Plenarprotokoll 17/204 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 204. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Hans-Joachim Otto Wahl der Abgeordneten Kathrin Vogler als Schriftführerin Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Absetzung der Tagesordnungspunkte 41, 46 a, 46 b und 47 Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts (Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungs-gesetz – GemEntBG) (Drucksache 17/11316) b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit im Verein (Drucksache 17/5713) Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) Petra Hinz (Essen) (SPD) Dr. Birgit Reinemund (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Marco Buschmann (FDP) Katrin Kunert (DIE LINKE) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Ute Kumpf (SPD) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Ute Kumpf (SPD) Detlef Seif (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 4: a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Sevim Da?delen, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Umgang mit der NS-Vergangenheit (Drucksachen 17/4126, 17/8134) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Dietmar Bartsch, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: NS-Vergangenheit in Bundesministerien aufklären (Drucksachen 17/3748, 17/9448) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Michael Kretschmer, Dr. Hans-Peter Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Stefan Ruppert, Patrick Kurth (Kyffhäuser), Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stärken, Rahmenbedingungen verbessern – Die Aufarbeitung der Geschichte der wichtigsten staatlichen Institutionen in Bezug auf die NS-Vergangenheit durch besseren Aktenzugang unterstützen und Bestandsaufnahmen zur Aufarbeitung der frühen Geschichte der Bundesministerien und -behörden sowie der vergleichbaren DDR-Institutionen beauftragen – zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Tom Koenigs, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: NS-Vergangenheit von Bundesministerien und Behörden systematisch aufarbeiten – Bestandsaufnahme zur Forschung erstellen – Erinnerungsarbeit koordinieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verantwortlichkeit der Bundesregierung für den Umgang des Bundesnachrichtendienstes mit den Fällen Klaus Barbie und Adolf Eichmann (Drucksachen 17/11001, 17/10068, 17/4586, 17/11260) d) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich regeln (Drucksachen 17/6128, 17/11261) e) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Wolfgang Neškovi?, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten gegen das NS-Regime anerkennen (Drucksachen 17/2201, 17/11262) f) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken (Drucksachen 17/4037, 17/11383) Jan Korte (DIE LINKE) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Jan Korte (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) Jan Korte (DIE LINKE) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Kirsten Lühmann (SPD) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) Jan Korte (DIE LINKE) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) Gabriele Fograscher (SPD) Detlef Seif (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 49: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Steuerliche Transparenz von multinationalen Unternehmen herstellen – Country-by-Country und Project-by-Project Reporting einführen (Drucksache 17/11075) b) Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Willi Brase, Dr. Wilhelm Priesmeier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bedingungen bei Tiertransporten und in Schlachtbetrieben verbessern (Drucksache 17/11148) c) Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Überprüfung der Namen von Bundeswehrkasernen (Drucksache 17/11208) d) Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Nicole Maisch, Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland (Drucksache 17/11213) e) Antrag der Abgeordneten Johanna Voß, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbot des Fracking in Deutschland (Drucksache 17/11328) f) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bedingungen in Schlachthöfen verbessern (Drucksache 17/11355) Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bärbel Höhn, Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bilaterale Verhandlungen aufnehmen zur unverzüglichen Stilllegung besonders gefährlicher grenznaher Atomkraftwerke in Frankreich (Drucksache 17/11206) b) Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Swen Schulz (Spandau), Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für einen breiten Qualitätspakt in der Reform der Lehrerbildung (Drucksache 17/11322) c) Antrag der Abgeordneten Dr. Carsten Sieling, Ingrid Arndt-Brauer, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Finanztransaktionsteuer im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit einführen (Drucksache 17/11321) d) Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn, Markus Tressel, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nationalen Radverkehrsplan 2020 zum ambitionierten Aktionsplan der Radverkehrsförderung weiterentwickeln (Drucksache 17/11357) e) Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Residenzpflicht abschaffen (Drucksache 17/11356) Tagesordnungspunkt 50: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 8. April 1959 zur Errichtung der Interamerikanischen Entwicklungsbank (Drucksachen 17/9697, 17/10920) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 18. Oktober 1969 zur Errichtung der Karibischen Entwicklungsbank (Drucksachen 17/9698, 17/10921) c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 19. November 1984 zur Errichtung der Interamerikanischen Investitionsgesellschaft (Drucksachen 17/9699, 17/10922) d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Rahmenabkommen vom 10. Mai 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits (Drucksachen 17/10757, 17/11056) e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 17. Dezember 2009 zwischen Kanada und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten (Vertragsgesetz EU--Kanada-Luftverkehrsabkommen – EU-KAN-LuftverkAbkG) (Drucksachen 17/10917, 17/11252) f)–l) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 487, 488, 489, 490, 491, 492 und 493 zu Petitionen (Drucksachen 17/11154, 17/11155, 17/11156, 17/11157, 17/11158, 17/11159, 17/11160) Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europäische Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwickeln und stärker institutionell in der EU verankern (Drucksache 17/11329) Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jahrestag des Bekanntwerdens der NSU-Terrorzelle – Zwischenbilanz der Ermittlungspannenaufklärung und Stand des Kampfes gegen den Rechtsextremismus Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister BMI Dr. Eva Högl (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Petra Pau (DIE LINKE) Clemens Binninger (CDU/CSU) Sönke Rix (SPD) Serkan Tören (FDP) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) Aydan Özo?uz (SPD) Stephan Stracke (CDU/CSU) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksachen 17/10748, 17/11055, 17/11382) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11397) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Sabine Zimmermann, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesmittel zur Finanzierung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 1 : 1 an Kommunen weiterreichen (Drucksachen 17/8606, 17/11382) Karl Schiewerling (CDU/CSU) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Pascal Kober (FDP) Katrin Kunert (DIE LINKE) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sebastian Blumenthal (FDP) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Peter Götz (CDU/CSU) Kirsten Lühmann (SPD) Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Ulrich Klose, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine Neubelebung und Stärkung der transatlantischen Beziehungen (Drucksachen 17/9728, 17/10169) Dr. Rainer Stinner (FDP) Philipp Mißfelder (CDU/CSU) Hans-Ulrich Klose (SPD) Stefan Liebich (DIE LINKE) Ruprecht Polenz (CDU/CSU) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Peter Beyer (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 11: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2063 (2012) vom 31. Juli 2012 (Drucksachen 17/11036, 17/11389) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11398) Joachim Spatz (FDP) Karin Evers-Meyer (SPD) Johannes Selle (CDU/CSU) Kathrin Vogler (DIE LINKE) Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) Namentliche Abstimmung Ergebnis Zusatztagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Thomas Oppermann, Christian Lange (Backnang), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz bei Nebeneinkünften herstellen durch Veröffentlichungspflicht auf Euro und Cent (Drucksache 17/11331) b) Antrag der Abgeordneten Thomas Oppermann, Christian Lange (Backnang), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nebentätigkeiten transparent machen – Branchen kennzeichnen (Drucksache 17/11332) in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 46: c) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Karenzzeit für ausgeschiedene Regierungsmitglieder (Drucksache 17/11204) d) Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Transparenz und Unabhängigkeit im Bundestag und in der Bundesregierung (Drucksache 17/11333) e) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Ulrich Maurer, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parteien-Sponsoring im Parteiengesetz regeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parteispenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden verbieten – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Partei-Sponsoring transparenter gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Parteispenden begrenzen (Drucksachen 17/892, 17/651, 17/1169, 17/547, 17/6566) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktion der SPD: „Karenzzeit“ für ehemalige Bundesminister und Parlamentarische Staatssekretäre in Anlehnung an EU-Recht einführen (Drucksache 17/11318) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bernhard Kaster (CDU/CSU) Thomas Oppermann (SPD) Dr. Hermann Otto Solms (FDP) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Hermann Otto Solms (FDP) Raju Sharma (DIE LINKE) Helmut Brandt (CDU/CSU) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 13: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolutionen 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und 2057 (2012) vom 5. Juli 2012 (Drucksachen 17/11037, 17/11390) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11399) Marina Schuster (FDP) Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD) Robert Hochbaum (CDU/CSU) Jan van Aken (DIE LINKE) Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neue Struktur der Nationalen Anti Doping Agentur schaffen (Drucksache 17/11320) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: -Doping an Olympiastützpunkten, Bundesleistungszentren und Bundesstützpunkten konsequent bekämpfen (Drucksachen 17/8896, 17/10083) Dagmar Freitag (SPD) Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Jens Petermann (DIE LINKE) Dr. Lutz Knopek (FDP) Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Klaus Riegert (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung (Drucksachen 17/9874, 17/11388) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung – zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einsetzung einer Expertenkommission zur Sicherungsverwahrung (Drucksachen 17/8760, 17/7843, 17/11388) Christian Ahrendt (FDP) Thomas Kutschaty, Minister (Nordrhein-Westfalen) Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Menschenrechte in Zentralasien stärken (Drucksachen 17/9924, 17/11287) Marina Schuster (FDP) Ullrich Meßmer (SPD) Jürgen Klimke (CDU/CSU) Katrin Werner (DIE LINKE) Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung einer Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas (Drucksachen 17/10060, 17/10253, 17/11386) Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigungsgesetz zum Berlin-Bonn-Gesetz (Drucksachen 17/2419, 17/8622) Gisela Piltz (FDP) Roland Claus (DIE LINKE) Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zur Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (EMIR-Ausführungsgesetz) (Drucksache 17/11289) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) Dr. Carsten Sieling (SPD) Björn Sänger (FDP) Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für einen wirksamen Schutz und die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in der Europäischen Union und in Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Dr. Frithjof Schmidt, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen (Drucksachen 17/10786, 17/10638, 17/11131) Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes (GwGErgG) (Drucksachen 17/10745, 17/10798, 17/11335, 17/11416) Tagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes (Drucksachen 17/10744, 17/10797, 17/11387) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/11400) Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Uta Zapf, Fritz Rudolf Körper, Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Keine Modernisierung der US-Nuklearwaffen in Europa und Deutschland – Abrüstungschancen nicht ungenutzt verstreichen lassen (Drucksache 17/11323) b) Antrag der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abzug statt Modernisierung der US-Atomwaffen in Deutschland (Drucksache 17/11225) Uta Zapf (SPD) Inge Höger (DIE LINKE) Christoph Schnurr (FDP) Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 20: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend ein Mitteilungsverfahren (Drucksachen 17/10916, 17/11392) Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Dr. Hans-Peter Bartels, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Konsequenzen aus der Havarie der MSC Flaminia ziehen – EU-Notfallpläne und Gefahrgutkon-trollen im Seeverkehr überprüfen (Drucksache 17/10819) b) Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Europäisches Notfall- und Havariemana-gement wirksam und verbindlich weiterentwickeln (Drucksache 17/11324) Matthias Lietz (CDU/CSU) Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) Uwe Beckmeyer (SPD) Torsten Staffeldt (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begleitung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäfts-anforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (SEPA-Begleitgesetz) (Drucksachen 17/10038, 17/10251, 17/11395) Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Harald Koch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbindliches Mitwirkungsrecht für Kommunen bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen und Verordnungen sowie im Gesetzgebungsverfahren (Drucksachen 17/1142, 17/4726) Peter Götz (CDU/CSU) Kirsten Lühmann (SPD) Dr. Birgit Reinemund (FDP) Katrin Kunert (DIE LINKE) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 (Drucksachen 17/10041, 17/11363) Michael Frieser (CDU/CSU) Kirsten Lühmann (SPD) Manuel Höferlin (FDP) Jan Korte (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 25: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Soziale und ökologische Offenlegungspflichten für Unternehmen regeln (Drucksachen 17/9567, 17/11229) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Karin Roth (Esslingen), Elvira Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und Fraktion der SPD: Transparenz für soziale und ökologische Unternehmensverantwortung herstellen – Unternehmerische Pflichten zur Offenlegung von Arbeits- und Umweltbedingungen auf europäischer Ebene einführen (Drucksache 17/11319) Jürgen Klimke (CDU/CSU) Ullrich Meßmer (SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Serkan Tören (FDP) Annette Groth (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 26: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 17/10957, 17/11393) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dorothea Steiner, Jerzy Montag, Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen nach der EG-Richt-linie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz) (Drucksachen 17/7888, 17/8876) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) Dr. Matthias Miersch (SPD) Judith Skudelny (FDP) Sabine Stüber (DIE LINKE) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Koch, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbau des Truppenübungsplatzes Altmark sofort stoppen – Colbitz-Letzlinger Heide zivil nutzen (Drucksachen 17/10684, 17/11334) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) Jürgen Hardt (CDU/CSU) Wolfgang Hellmich (SPD) Joachim Spatz (FDP) Harald Koch (DIE LINKE) Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen (Drucksachen 17/10486, 17/11394) Dr. Michael Paul (CDU/CSU) Ute Vogt (SPD) Gerd Bollmann (SPD) Dr. Lutz Knopek (FDP) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Sven-Christian Kindler, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Anbindung deutscher Seehäfen verbessern – Alternativen zur Y-Trasse vorantreiben (Drucksache 17/11352) Ulrich Lange (CDU/CSU) Thomas Jarzombek (CDU/CSU) Michael Groß (SPD) Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) Herbert Behrens (DIE LINKE) Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur -Änderung des Flaggenrechtsgesetzes und der Schiffsregisterordnung (Drucksachen 17/10772, 17/11307) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Johannes Kahrs, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Maritimes Bündnis fortentwickeln – Schifffahrtsstandort Deutschland sichern (Drucksachen 17/10097, 17/11307) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVBS Uwe Beckmeyer (SPD) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Herbert Behrens (DIE LINKE) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) Torsten Staffeldt (FDP) Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien (Drucksache 17/10820) Ulrich Lange (CDU/CSU) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) Martin Burkert (SPD) Patrick Döring (FDP) Katrin Kunert (DIE LINKE) Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 32: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des Internationalen Privatrechts (Drucksachen 17/11049, 17/11384) Ute Granold (CDU/CSU) Dr. Eva Högl (SPD) Stephan Thomae (FDP) Jens Petermann (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 33: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess (Drucksachen 17/10490, 17/11385) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Christian Ahrendt (FDP) Jens Petermann (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des -Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben (Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz – MicroBilG) (Drucksachen 17/11292, 17/11353) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) Ingo Egloff (SPD) Richard Pitterle (DIE LINKE) Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Drucksache 17/11317) Tagesordnungspunkt 36: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schlichtung im Luftverkehr (Drucksache 17/11210) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) Mechthild Heil (CDU/CSU) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Ulrike Gottschalck (SPD) Herbert Behrens (DIE LINKE) Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Tagesordnungspunkt 37: Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Hans-Peter Uhl, Stephan Mayer (Altötting), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Stefan Ruppert, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) – KOM(2012) 11 endg.; Ratsdok. 5853/12 – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes (Drucksache 17/11325) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Gerold Reichenbach (SPD) Gisela Piltz (FDP) Jan Korte (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 38: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (Drucksache 17/11293) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung reduzieren (Drucksachen 17/8348, 17/9972) Tagesordnungspunkt 39: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts (Drucksache 17/11127) Erich G. Fritz (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Ulla Lötzer (DIE LINKE) Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 40: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen (Drucksachen 17/11294, 17/11354) Josef Rief (CDU/CSU) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Alexander Süßmair (DIE LINKE) Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des AZR-Gesetzes (Drucksachen 17/11051, 17/11364) Nächste Sitzung Berichtigung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung einer Markttransparenzstelle für den Groß-handel mit Strom und Gas (Tagesordnungspunkt 7) Thomas Bareiß (CDU/CSU) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) Dr. Erik Schweickert (FDP) Ulla Lötzer (DIE LINKE) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Beendigungsgesetz zum Berlin-Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 14) Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) Dr. Peter Danckert (SPD) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zur Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (EMIR-Ausführungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Axel Troost (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Für einen wirksamen Schutz und die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in der Europäischen Union und in Deutschland; Beschlussempfehlung und Bericht zu dem -Antrag: Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen (Tagesordnungspunkt 16) Helmut Brandt (CDU/CSU) Ute Granold (CDU/CSU) Rüdiger Veit (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes (GwGErgG) (Tagesordnungspunkt 17) Peter Aumer (CDU/CSU) Martin Gerster (SPD) Björn Sänger (FDP) Richard Pitterle (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 18) Norbert Schindler (CDU/CSU) Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) Dr. Birgit Reinemund (FDP) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: Keine Modernisierung der US-Nuklearwaffen in Europa und Deutschland – Abrüstungschancen nicht ungenutzt verstreichen lassen; Abzug statt Modernisierung der US-Atomwaffen in Deutschland (Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend ein Mitteilungsverfahren (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) Norbert Geis (CDU/CSU) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) Miriam Gruß (FDP) Diana Golze (DIE LINKE) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Begleitung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (SEPA-Begleitgesetz) (Tagesordnungspunkt 22) Peter Aumer (CDU/CSU) Martin Gerster (SPD) Frank Schäffler (FDP) Harald Koch (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 35) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Tankred Schipanski (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Stephan Thomae (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Entwurf eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes; Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung reduzieren (Tagesordnungspunkt 38) Dieter Stier (CDU/CSU) Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Hans-Michael Goldmann (FDP) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Peter Bleser, Parl. Staatssekretär BMVEL Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des AZR-Gesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 8) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Rüdiger Veit (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Inhaltsverzeichnis 204. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 Beginn: 9.00 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. (Zurufe: Guten Morgen, Herr Präsident!) Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie. Ich freue mich über die offenkundig besonders gute Stimmung und werde mit Interesse verfolgen, wie lange sie anhält. (Iris Gleicke [SPD]: An uns soll es nicht liegen!) Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Kollegen Hans-Joachim Otto im Namen des ganzen Hauses herzlich zu seinem 60. Geburtstag gratulieren, den er vor wenigen Tagen gefeiert hat. (Beifall) Wir müssen vor Eintritt in die Tagesordnung bedauerlicherweise erneut eine Schriftführerwahl durchführen. (Zurufe von der LINKEN: Oh! – Bernd Scheelen [SPD]: Namentlich?) – Ich stelle mit besonderer Verblüffung fest, dass die größte einzelne Empörung über diesen Vorgang aus den Reihen der Linken zu registrieren ist. Denn genau diese Fraktion schlägt vor, (Heiterkeit) für die Kollegin Sabine Stüber die Kollegin Kathrin Vogler als Schriftführerin zu wählen. (Zurufe von der LINKEN: Ah! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Da sind wir sehr einverstanden!) – Sie werden sich hoffentlich etwas dabei gedacht haben. – Ich darf einmal fragen, ob auch die anderen Abgeordneten mit diesem Vorschlag einverstanden sind. – Das sieht so aus. Dann ist die Kollegin Kathrin Vogler als neue Schriftführerin gewählt. Herzlichen Glückwunsch! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU und der FDP) Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Bundesregierung zu Residenzpflicht und Sondergesetzen für Flüchtlinge sowie Asylbewerberinnen und Asylbewerber (siehe 203. Sitzung) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 49 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bärbel Höhn, Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bilaterale Verhandlungen aufnehmen zur unverzüglichen Stilllegung besonders gefährlicher grenznaher Atomkraftwerke in Frankreich – Drucksache 17/11206 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Swen Schulz (Spandau), Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für einen breiten Qualitätspakt in der Reform der Lehrerbildung – Drucksache 17/11322 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Carsten Sieling, Ingrid Arndt-Brauer, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Finanztransaktionsteuer im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit einführen – Drucksache 17/11321 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Kühn, Markus Tressel, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nationalen Radverkehrsplan 2020 zum ambitionierten Aktionsplan der Radverkehrsförderung weiterentwickeln – Drucksache 17/11357 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Sportausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Residenzpflicht abschaffen – Drucksache 17/11356 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache Ergänzung zu TOP 50 Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europäische Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwickeln und stärker institutionell in der EU verankern – Drucksache 17/11329 – ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jahrestag des Bekanntwerdens der NSU-Terrorzelle – Zwischenbilanz der Ermittlungspannenaufklärung und Stand des Kampfes gegen den Rechtsextremismus ZP 5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas Oppermann, Christian Lange (Backnang), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz bei Nebeneinkünften herstellen durch Veröffentlichungspflicht auf Euro und Cent – Drucksache 17/11331 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas Oppermann, Christian Lange (Backnang), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nebentätigkeiten transparent machen – Branchen kennzeichnen – Drucksache 17/11332 – ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD „Karenzzeit“ für ehemalige Bundesminister und Parlamentarische Staatssekretäre in Anlehnung an EU-Recht einführen – Drucksache 17/11318 – ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Karin Roth (Esslingen), Elvira Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Transparenz für soziale und ökologische Unternehmensverantwortung herstellen – Unternehmerische Pflichten zur Offenlegung von Arbeits- und Umweltbedingungen auf europäischer Ebene einführen – Drucksache 17/11319 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 8 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des AZR-Gesetzes – Drucksache 17/11051 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/11364 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ulla Jelpke Memet Kilic ZP 9 a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) – Drucksache 17/9917 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – Drucksache 17/11404 – Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Bär Caren Marks Florian Bernschneider Diana Golze Ekin Deligöz Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11405 – Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Mattfeldt Rolf Schwanitz Dr. Florian Toncar Steffen Bockhahn Sven-Christian Kindler b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Kita-Ausbau statt Betreuungsgeld – zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Betreuungsgeld nicht einführen – Öffentliche Kinderbetreuung ausbauen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Sven-Christian Kindler, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kein Betreuungsgeld einführen – Kinder und Familien durch den Ausbau der Kindertagesbetreuung fördern – Drucksachen 17/9572, 17/9582, 17/9165, 17/11404 – Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Bär Caren Marks Florian Bernschneider Diana Golze Ekin Deligöz c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Betreuungsgeldgesetzes (Betreuungsgeldergänzungsgesetz) – Drucksache 17/11315 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Das Menschenrecht auf inklusive Bildung in Deutschland endlich verwirklichen – Drucksache 17/10117 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss ZP 11 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen – Drucksachen 17/10747, 17/10799 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – Drucksache 17/11396 – Berichterstattung: Abgeordnete Maria Michalk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Assistenzpflege bedarfsgerecht sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Praxisgebühr abschaffen – Hausärztinnen und Hausärzte stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Praxisgebühr sofort abschaffen – zu dem Antrag Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Praxisgebühr abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Praxisgebühr jetzt abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgitt Bender, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zusatzbeiträge aufheben, Überschüsse für Abschaffung der Praxisgebühr nutzen – zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Praxisgebühr und Zusatzbeiträge jetzt abschaffen – Drucksachen 17/10784, 17/9189, 17/11192, 17/9031, 17/11141, 17/9408, 17/11179, 17/11396 – Berichterstattung: Abgeordnete Maria Michalk Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem werden die Tagesordnungspunkte 41, 46 a, 46 b und 47 abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Sind Sie auch damit einverstanden? – Das sieht ganz so aus. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts (Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz – GemEntBG) – Drucksache 17/11316 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit im Verein – Drucksache 17/5713 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Sportausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Auch dazu darf ich Einvernehmen feststellen. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Christian von Stetten für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute von den Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts haben die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion ein Versprechen eingelöst, welches sie den Vereinsvertretern und den damals betroffenen ehrenamtlich Tätigen während der Zeit der Großen Koalition gegeben haben. Wir haben damals bei den Berichterstattergesprächen zu dem Gesetz mit dem Arbeitstitel „Hilfen für Helfer“ nicht alle Punkte unterbringen können, welche wir mit den Ehrenamtlichen eigentlich besprochen hatten und welche wir in diesem Gesetz gern untergebracht hätten. Das galt insbesondere für die weitere Beseitigung von Bürokratie und für Fragen der Haftung von Vereinsvorständen. Dies holen wir heute nach. Wir legen gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, der FDP, ein umfangreiches Gesetzesvorhaben vor. In diesem Zusammenhang darf ich mich besonders bei unseren beiden Bundesministern Dr. Wolfgang Schäuble und Frau Leutheusser-Schnarrenberger bedanken. Sie haben sich beide an den Gesprächen persönlich beteiligt und das heute vorliegende Gesetzespaket ermöglicht. (Ute Kumpf [SPD]: Wo sind sie denn?) Dieser Gesetzentwurf wurde bereits im Oktober im Bundeskabinett beschlossen. Herzlichen Dank für diese umfangreiche Hilfe der Ministerien! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich lade aber auch alle Kolleginnen und Kollegen der Opposition recht herzlich ein, diesen Gesetzentwurf in den nächsten Wochen nicht nur intensiv zu beraten, sondern auch dazu beizutragen, dass wir ihn gemeinsam verabschieden. Weitere Vorschläge zur Entbürokratisierung sind also jederzeit herzlich willkommen. Wenn Sie den Gesetzentwurf gelesen haben, ist Ihnen auch aufgefallen: Wir haben bereits wesentliche Anregungen des Bundesrates in den Gesetzentwurf einfließen lassen. Ich glaube, es wäre ein gutes Zeichen, wenn wir am Ende der Beratungen, am Ende der Debatten zu diesem Gesetzentwurf den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes zeigten, dass wir es mit der Förderung des Ehrenamts gemeinsam ernst meinen und nicht nur in Sonntagsreden darüber sprechen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ziel des Gesetzes und, ich glaube, aller Fraktionen hier im Parlament ist es, den ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürgern sowie den steuerlich begünstigten Körperschaften ihr wichtiges Arbeiten durch Entbürokratisierung, Konkretisierung und Flexibilisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen zu erleichtern. Da bürgerschaftliches Engagement zu großen Teilen in Vereinen und Stiftungen geschieht, benötigen diese einen besseren und einen verlässlicheren Rahmen für ihre Tätigkeiten. Das gilt insbesondere für die Punkte, die heute im Erlasswege geregelt werden. Es ist für Ehrenamtliche schon schwierig genug, wenn sie sich durch Gesetzestexte wühlen müssen; aber völlig unverständlich ist es, wenn wichtige Punkte gar nicht mehr im Gesetz zu lesen sind, sondern seit Jahren über Erlasse geregelt werden. Diesen unhaltbaren Zustand wollen wir beenden. Da freuen wir uns auf die Zustimmung der Opposition. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nicht erforderlich!) Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Anhebung der Freibeträge für die nebenberufliche ehrenamtliche Tätigkeit zum 1. Januar 2013. Die Inkraftsetzung zum 1. Januar 2013 ist uns wichtig. Sie kann selbst dann passieren, wenn die letzte Beratung im Bundesrat erst nach diesem Datum stattfindet. Ich glaube, positive Maßnahmen können auch rückwirkend in Kraft treten. Da all die, die eine Steuererklärung für das Jahr 2013 abgeben, dies frühestens im Jahr 2014 tun werden, dürfte das auch von daher kein Problem sein. Den sogenannten Übungsleiterfreibetrag wollen wir um rund 15 Prozent von 2 100 Euro auf 2 400 Euro erhöhen. Den sogenannten Ehrenamtsfreibetrag für Vorstandsmitglieder, Schiedsrichter, Platzwarte oder besonders engagierte Helfer im Verein wollen wir um satte 44 Prozent von 500 Euro auf 720 Euro erhöhen. Diese Erhöhung ist sicherlich ein deutlicher Schritt. Wie bei allen anderen steuerlichen Maßnahmen, die in unserem Paket sind, sind wir aber auch hier der Überzeugung, dass das wichtige Investitionen in unsere Gesellschaft sind; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die kulturelle und soziale Bedeutung der Vereine ist in den letzten Jahren noch einmal stark gestiegen. Wer sich in funktionierenden Vereinen aufhält, der spürt eine Art Wärme, ja fast schon zum Teil familiäre Atmosphäre, und in einigen Bereichen sind die Vereine bereits zu einer Art Ersatzfamilie für Kinder geworden. Besonders bei der Integration der ausländischen Jugendlichen in unserem Lande leisten die Vereine einen wesentlichen Beitrag. Deswegen sind wir der festen Überzeugung, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es ist besonders hervorzuheben, dass die Übungsleiter in unseren Sportvereinen schon längst mehr sind als nur gut ausgebildete und durchtrainierte Vorturner. Sie kümmern sich auch immer mehr um die persönlichen Probleme der Jugendlichen, die ihnen anvertraut sind. Viele Jugendliche erfahren im Verein das erste Mal, wie wichtig Pünktlichkeit, Fairness, aber auch Kameradschaft untereinander sind. Auch deswegen haben wir unser Hauptaugenmerk auf diese ehrenamtlich tätigen Übungsleiter gelegt und sind uns sicher, dass die Gesellschaft das doppelt zurückerhält. Haftungsrisiken sind ein anderes wichtiges Thema für uns. Es ist dringend notwendig, dass wir das jetzt regeln. Da Veränderungen bei den Haftungsrisiken der einzelnen Vorstandsmitglieder uns bei der letzten Gesetzesreform leider nicht gelungen sind, ist es umso wichtiger, dass wir dies nun regeln. Die Haftung bei der zweckwidrigen Verwendung von Spendengeldern wollen wir an die allgemein übliche Haftung in anderen Rechtsbereichen angleichen. Das heißt, künftig werden Fehler nur dann zu Konsequenzen führen, wenn ehrenamtlich Tätige Spendengelder mit Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit zweckwidrig verwendet haben. Damit wird den engagierten Bürgerinnen und Bürgern unserer Gesellschaft der Schritt zur ehrenamtlichen Verantwortung deutlich leichter fallen. Natürlich stellen wir auch klar: Wer schwere Fehler macht oder kriminell handelt, wird auch zukünftig zur Verantwortung gezogen werden. Aber derjenige, der sich engagieren will und bereit ist, ein Vorstandsamt anzunehmen, soll dies mit einem guten Gefühl tun und nicht die ständige Angst haben, dass er ein unkalkulierbares persönliches oder finanzielles Risiko eingeht. Das darf kein Grund sein, dass man ein Vorstandsamt nicht annimmt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Auch für die Stiftungen und deren Stifter schlagen wir heute eine Verbesserung der Rahmenbedingungen vor. Wir sind weltweit – das ist bekannt – schon jetzt das Land der Ehrenamtlichen. Millionen von Bürgern engagieren sich bei uns. Wir sind aber auch auf einem guten Weg, das Land der Stifter und der Stiftungen zu werden. Diesen Weg wollen wir erfolgreich weitergehen und danken allen Stiftern, die ihr Vermögen zum Wohl der Allgemeinheit einsetzen. Den Weg hierzu, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, wollen wir gemeinsam mit Ihnen gehen. Den heute vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir in den nächsten Wochen ausführlich diskutieren. Wir wollen – das betone ich zum Abschluss noch einmal ausdrücklich – auch mit Ihnen gemeinsam zu einem positiven Ergebnis kommen. Wir machen heute einen Anfang. Ich glaube, es ist ein guter Tag für das Ehrenamt in Deutschland. Herzlichen Dank (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Petra Hinz ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Petra Hinz (Essen) (SPD): Guten Morgen, lieber Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist richtig: Wir haben in der letzten Legislaturperiode gemeinsam an dem Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements gearbeitet. Ich glaube, es war ein großer Schritt. Nach der Arbeit in der Enquete-Kommission mit über 200 Anregungen, der Arbeit im Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ zum Sport- und Kulturbereich ist das, was wir in diesem Gesetz gemeinsam gebündelt haben, der richtige Weg. Es war, wie ich finde, ein fulminanter Start für bürgerschaftliches Engagement. Es ist dann nur folgerichtig, wenn wir daran jetzt weiter arbeiten. Ihr Angebot und Ihre ausgestreckte Hand zur Zusammenarbeit nehmen wir sehr gern an. Sie werden aber sicherlich auch verstehen, dass wir noch andere Schwerpunktsetzungen haben und dass das eine oder andere -kritisch zu hinterfragen ist; denn das, was Sie in dem -Gesetzentwurf vorgesehen haben, wurde bei den Beratungen in der zurückliegenden Legislaturperiode kritisch diskutiert. Dort gab es einige Abwägungen, die wir in den jetzt anstehenden Verhandlungen berücksichtigen müssen. Dazu komme ich später noch in meinen Ausführungen. Ich gebe allen recht, die heute darauf aufmerksam machen, dass wir gemeinsam im Rahmen des Internationalen Tages des Ehrenamtes, der am 5. Dezember begangen wird, das Ehrenamt und damit die über 23 Millionen Menschen, die sich für unsere Gesellschaft und damit für uns alle ehrenamtlich starkmachen, besonders anerkennen und würdigen sollten. Diese wollen nämlich – das möchte ich in dieser Diskussion insbesondere deutlich machen – keine Entgeltumwandlung, keine Entlohnung oder etwas Ähnliches, sondern eine Würdigung. Darüber hinaus wollen sie nur, dass ihr Aufwand entlohnt wird. Aus meinen Ausführungen können Sie entnehmen, dass wir sehr genau aufpassen müssen, dass es beim Ehrenamt bleibt und nicht möglicherweise etwas anderes hi-neininterpretiert wird. (Beifall bei der SPD) Viele von uns, wenn nicht sogar alle, werden am 5. Dezember, wie ich gesagt habe, das Ehrenamt würdigen. Wir werden sehr viele Ehrungen vornehmen, und zwar zu Recht. Wir werden bei den Beratungen dieses Gesetzentwurfes im Ausschuss und bei einer Anhörung aber noch andere Prioritäten setzen. Wir werden Sie fragen, wie Sie auf die Erhöhung der Übungsleiterpauschale von 2 100 Euro auf 2 400 Euro kommen. Auch die Anhebung der Zweckbetriebsgrenze werden wir hinterfragen. Das sind einige Themen, die wir ansprechen werden. Ein Punkt – er ist vielleicht verräterisch, vielleicht aber auch nur missverständlich – betrifft nicht das eigentliche Gesetz, sondern nur dessen Begründung. Die Begründung erklärt ja das, was im Gesetz steht. Dort schreiben Sie – ich zitiere –: Bürgerschaftliches Engagement hilft wirtschaftliches Wachstum, gesellschaftliche Integration, Wohlstand sowie stabile demokratische Strukturen auch für die Zukunft zu erhalten und zu verbessern. Bis hierhin können wir uns noch einig sein. Aber dann: In Zeiten knapper öffentlicher Kassen gewinnt die Förderung und Stärkung der Zivilgesellschaft an Bedeutung, denn die öffentliche Hand – jetzt kommt es – wird sich wegen der unumgänglichen Haushaltskonsolidierung auf ihre unabweisbar notwendigen Aufgaben konzentrieren müssen. Wenn Sie es tatsächlich so meinen, wie es da steht, haben wir ein Problem. Denn wir sehen den ehrenamt-lichen Bereich nicht als Kompensation für falsche Prioritätensetzung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) oder für verfehlte Wahrnehmung der politischen Verantwortung, sondern das Ehrenamt soll ein Ehrenamt bleiben. So verstehen es auch diejenigen, die ehrenamtlich tätig sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist ein ganz wichtiger Punkt, und die Menschen, die ehrenamtlich tätig sind, achten sehr genau darauf. Sie sind zu Recht sehr sensibel, wenn wir Politiker – insbesondere Sie während Ihrer Regierungszeit – den Eindruck erwecken, dass wir beim Hauptamt sparen, kürzen, den Kommunen das Geld wegnehmen und letztendlich auf Umwegen das Ehrenamt an Stelle des Hauptamtes setzen. Diesen Eindruck dürfen wir nicht erwecken. Ich gebe Ihnen recht: Die Ehrenamtlichkeit bringt dem Staat ein Vielfaches wieder zurück, aber bitte nicht auf diesem Weg. Das muss im Laufe der Beratungen noch klargestellt werden. (Beifall bei der SPD) Ich möchte noch einmal betonen, dass bürgerschaft-liches Engagement kein Reparaturbetrieb dafür sein kann, was die Politik versäumt hat, sondern ganz im Gegenteil eine zusätzliche Komponente. So verschieden die Ehrenämter auch sind, so unterschiedlich und vielfältig müssen wir sie unterstützen und fördern. Für dieses Engagement zum Zusammenhalt der Gesellschaft möchte ich an dieser Stelle für meine Fraktion noch einmal ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Unsere Aufgabe ist es unter anderem auch, zur Stärkung und zur Förderung der Zivilgesellschaft Impulse zu setzen. In diesem Zusammenhang schaue ich insbesondere in Richtung der FDP. Herr Wissing hat in seinen Ausführungen in der letzten Wahlperiode sehr deutlich gemacht, wie er über das Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements denkt. (Jörg van Essen [FDP]: Guter Mann!) – Lesen Sie einmal die Protokolle, bevor Sie sich jetzt äußern. Herr Wissing schaut schon weg; er weiß, was jetzt kommt. (Jörg van Essen [FDP]: Guter Mann!) Er hat nämlich gesagt, es sei einfach nur eine Aufsattelung bereits bestehender Beträge, aber von den Strukturen her sei nichts in Angriff genommen worden. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Das machen wir jetzt!) – Herr Wissing, Sie machen jetzt in einigen Bereichen nichts anderes. Sie wollen die Übungsleiterpauschale von 2 100 Euro auf 2 400 Euro anheben, Sie bieten an, die Ehrenamtspauschale von 500 Euro auf 720 Euro anzuheben. Ich vermisse hier jedoch noch etwas Gehaltvolleres, nämlich wie Sie mit denjenigen umgehen, die nicht steuerlich veranlagt sind und die letztendlich nicht davon profitieren können. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist doch zusätzliches Geld!) Ich denke beispielsweise an die Menschen, die Vorleseaktionen durchführen und hierfür noch nicht einmal ihre Fahrtkosten erstattet bekommen, weil es dafür keine Kostenstelle gibt. Ich gebe Ihnen insofern recht, dass jetzt ein weiterer Schritt getan ist; es gibt jedoch noch eine ganze Menge zu tun und auf den Weg zu bringen. (Beifall bei der SPD) Ich möchte an dieser Stelle mit den Worten von Michael Bürsch, der gemeinsam mit meiner Kollegin Ute Kumpf in den letzten Legislaturperioden sehr engagiert in der Enquete-Kommission und im Unterausschuss gearbeitet hat, das Thema noch einmal in drei Punkten zusammenfassen. Erstens. Wir wollen den Schutz der Engagierten. In den zurückliegenden Legislaturperioden haben wir bereits einige große Schritte unternommen, unter anderem mit der Unfallversicherung, der Übungsleiterpauschale usw. Diese Regelungen umfassen nicht nur den Sportbereich, sondern wir haben in der letzten Legislaturperiode Erweiterungen vorgenommen, sodass auch andere Bereiche hierauf zugreifen können. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ich war dabei!) Zweitens. Wir müssen trotz der vorgesehenen Regelungen noch stärker auf den Nachteilausgleich eingehen. Drittens. Die allgemeine Förderung des Engagements muss stärker ausgebaut werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles sind nur erste Schritte in die richtige Richtung. Ich nehme Ihr Angebot zur Diskussion gerne an, ich sage Ihnen aber auch: Hierbei kann es nicht bleiben. Gerade bei der Zweckbetriebsgrenze – das habe ich gerade gesagt – haben wir sehr lange verhandelt. Wir hatten uns auf 35 000 Euro geeinigt. Sie reden jetzt von 45 000 Euro. Ich bin sehr gespannt, wie Sie das mit dem Thema „Wettbewerbsverzerrung“ usw. in Einklang bringen werden. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Reine Sportveranstaltungen!) – Ja, genau, nur der Sportbereich. Sie werden sicherlich auch entsprechende Anfragen und Anschreiben aus Ihrem Wahlkreis bekommen haben. Hier sind wir wieder bei der Frage nach Erweiterungen und Strukturveränderungen. Es ist doch klar, dass diejenigen, die nicht von diesen Regelungen profitieren, uns anschreiben und nachfragen, warum die Änderungen nicht breiter gefasst werden und auch andere Bereiche einschließen. Diesen Fragen müssen wir uns jedenfalls stellen und schlussendlich zu einer Antwort kommen. Da gebe ich Ihnen allerdings wiederum recht. (Beifall bei der SPD) Herr Präsident, ich nehme Ihr Signal wahr, auch wenn Sie hinter mir sitzen. – Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken. Es gibt einige Punkte, bei denen wir übereinstimmen. Ich freue mich sehr, dass wir hier über die Stärkung und auch über die Frage der Entbürokratisierung des bürgerschaftlichen Engagements reden. Es ist immer eine Sternstunde, wenn wir hier im Parlament das würdigen, was die Menschen draußen auf den Weg bringen. In diesem Sinne möchte ich mich bei allen ehrenamtlich Tätigen bedanken und bei Ihnen für Ihr sehr intensives Zuhören. Herzlichen Dank und Glück auf! (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Kollegin Birgit Reinemund das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Birgit Reinemund (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir bringen hier ein richtig gutes Maßnahmenpaket auf den Weg. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD) Es ist sehr schön, dass die SPD keinen wirklichen inhaltlichen Kritikpunkt gefunden hat. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ute Kumpf [SPD]: Warten Sie ab!) Wir bringen deutliche Verbesserungen im steuerlichen und zivilrechtlichen Bereich und deutliche strukturelle Verbesserungen auf den Weg. Das Einzige, was mir persönlich daran nicht gefällt, ist der furchtbare Name: Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Kann man das nicht ändern?) Denn es ist ein Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts, und genau so sollte es auch genannt werden. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Also, den Namen ändern wir noch!) Wie viel ärmer wäre unser Land ohne unser Ehrenamt, ohne die rund 23 Millionen Menschen, die sich in Kirchen, Sportvereinen, sozialen Einrichtungen, Parteien und Initiativen engagieren! In keinem anderen Land ist die Kultur des ehrenamtlichen Engagements so ausgeprägt wie in Deutschland. Die Aufgaben in vielen Bereichen des öffentlichen und sozialen Lebens wären ohne die ehrenamtlich Tätigen nicht machbar. Das Ehrenamt ist Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Deswegen hat die christlich-liberale Koalition dieses Gesetzespaket auf den Weg gebracht, in großer Harmonie, in guter Zusammenarbeit untereinander und mit Finanzministerium und Justizministerium. Herzlichen Dank dafür. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer besondere gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, und dazu noch in der Freizeit, fördert damit den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Dies verdient unsere höchste Anerkennung und Unterstützung, nicht nur in Sonntagsreden, sondern ganz konkret, so wie über dieses Gesetz: durch Abbau bürokratischer Hemmnisse, durch steuerliche Entlastung, durch Schaffung von Rechtssicherheit und durch flexiblere Vorgaben für die gemeinnützigen Vereine und Stiftungen zur Verwendung ihrer Mittel. Unser Ziel muss es sein, die tägliche Arbeit in den Vereinen zu erleichtern. Und unser Ziel muss es sein, den Menschen in den Vereinen die Angst zu nehmen, plötzlich und unversehens mit Haftungsansprüchen ihres Vereins oder der Finanzbehörden konfrontiert zu sein, obwohl sie doch eigentlich nur ehrenamtlich Gutes tun wollten. Vereine beklagen vielfach, dass Menschen allein aus diesem Grund davor zurückschrecken, ein Amt überhaupt erst anzunehmen. Deswegen ist die Begrenzung der Haftung von Ehrenamtlichen auf Fälle von grober Fahrlässigkeit und Vorsatz für uns eine sehr wichtige Verbesserung, zumal dies künftig nicht nur für Mitglieder der Vereinsvorstände gilt, sondern für alle Vereinsmitglieder. Denn auch ein Hallenwart sollte sich zum Beispiel beim Schmücken der Halle für eine Veranstaltung nicht primär mit Haftungsfragen auseinandersetzen müssen. Vielleicht gelingt es den Vereinen so in Zukunft wieder leichter, Menschen zu finden, die überhaupt Verantwortung übernehmen wollen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Als Anerkennung für das überragende ehrenamtliche Engagement, das man nicht genug loben kann, erhöhen wir die Ehrenamtspauschale von 500 auf 720 Euro, die Übungsleiterpauschale von 2 100 auf 2 400 Euro. Das ist nicht nur eine steuerliche Entlastung für Übungsleiter im Sport, für Chorleiter oder für Eltern, die ihre Kinder regelmäßig zu Veranstaltungen oder zum Training fahren; es bedeutet auch weniger Belegesammelei und Bürokratie für die Ehrenamtlichen selbst, für die Vereine und für die Finanzämter. Wir verlängern die Frist, in der gemeinnützige Vereine und Stiftungen ihre Mittel für steuerbegünstigte Zwecke ausgeben müssen, um ein weiteres Jahr. So werden sie in ihrer Planung flexibler. Stellen Sie sich vor, ein Verein erhält eine unerwartete hohe Spende oder eine Erbschaft. Bisher müssen die entsprechenden Mittel bereits im Folgejahr ausgegeben sein. Das löst ungewollt Handlungsdruck aus. Sehr kurzfristig müssen sinnvolle Investitionsmöglichkeiten und Projekte gefunden werden. Das ist nicht gewollt. Diesen Druck werden wir he-rausnehmen. Flexibler werden die gemeinnützigen Organisationen auch bei der Rücklagenbildung. Sie können künftig die freie Rücklage in den folgenden zwei Jahren nachholen. Neu ist, dass sie jetzt auch eine Wiederbeschaffungsrücklage ansparen können. Ein Beispiel: Ein Turnverein plant, seinen alten Kleinbus durch einen neuen zu ersetzen. Dazu kann der Verein künftig jedes Jahr Mittel in Höhe der Abschreibung in die Rücklage einlegen, bis zum vollen Anschaffungswert. Gut begründet kann der Verein sogar darüber hinausgehen, wenn zum Beispiel der neue Kleinbus mehr Plätze benötigt und die Kosten dadurch höher werden. So können die Gelder konzentriert und bedarfsgerecht verwendet werden. So können Investitionen besser geplant werden, ohne dass die Gemeinnützigkeit gefährdet wird. Zu einem weiteren, scheinbar kleinen Punkt mit großer Wirkung, der uns Liberalen sehr wichtig war: Vereine erhalten künftig nach Prüfung ihrer Satzung einen rechtsverbindlichen Bescheid darüber, ob sie die Voraussetzung für die Anerkennung als gemeinnütziger Verein erfüllen. Bisher erhielten sie lediglich einen unverbind-lichen Brief, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass sie ab sofort Spendenbescheinigungen ausstellen dürfen. Immer wieder bestand die Unsicherheit, ob die Anerkennung bis zum nächsten Steuerbescheid Bestand hat; denn die Auslegung der Anforderungen variiert stark von Bundesland zu Bundesland. Schon ein Wechsel des zuständigen Sachbearbeiters birgt heute das Risiko, die Gemeinnützigkeit rückwirkend aberkannt zu bekommen. Das kann gerade kleine Vereine schnell in die Insolvenz führen. Hier schaffen wir jetzt Rechtssicherheit. Das künftige Verfahren stellt einen rechtsverbindlichen Verwaltungsakt dar, der die Finanzverwaltung an ihre einmal getroffene Bewertung der Satzung bindet. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit all den genannten Maßnahmen erleichtern wir Vereinen und Stiftungen die Arbeit und drücken vor allem unsere Anerkennung für das Ehrenamt aus. Aus der Antwort des Finanzministeriums auf meine schriftliche Anfrage geht hervor, dass im Veranlagungszeitraum 2007 insgesamt 96 280 Steuerpflichtige die Pauschalen in Anspruch genommen haben. Das Finanzministerium geht laut Gesetzentwurf von Steuermindereinnahmen von 110 Millionen Euro aus. Da es sich um einen überschaubaren Personenkreis handelt, erscheint mir der Betrag sehr hoch. Doch selbst wenn: Ehrenamtliche Tätigkeit ist nicht kostenlos, aber für unsere Gesellschaft ist sie unbezahlbar. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das Geld ist es uns wert!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Barbara Höll ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Zielsetzung des Gesetzes ist klar umrissen: Durch Entbürokratisierung und Flexibilisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen soll zivilgesellschaftliches Engagement erleichtert werden, und steuerbegünstigte Organisationen und ehrenamtlich Tätige sollen ihre Aufgaben besser und leichter wahrnehmen können. Ich frage mich natürlich: Was ist eine Flexibilisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen? Ich dachte, Recht ist etwas, worauf man sich verlassen kann: Wenn es verabschiedet ist, dann weiß ich, woran ich bin. Sie wollen nun die rechtlichen Rahmenbedingungen flexibilisieren. Ich weiß nicht: Muss man solche Begriffe in den Gesetzestext hineinschreiben? (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Ich habe es ihnen doch gerade erklärt!) Sie haben in Ihrer Begründung richtigerweise ausgeführt – ich zitiere –: Bürgerschaftliches Engagement ist Ausdruck einer freiheitlichen Gesellschaft, in der Bürgerinnen und Bürger freiwillig einen solidarischen Beitrag für die Gemeinschaft leisten. Ja, viele Bürgerinnen und Bürger aller Altersklassen – das beginnt im Jugendalter und hält bis ins hohe Alter an – engagieren sich tatsächlich freiwillig. Ich komme aus Leipzig, der Geburtsstadt der Schrebergartenbewegung. Wir haben allein 208 Kleingartenvereine mit über 32 500 Parzellen. Wir haben in Leipzig eine Aidshilfe, in jedem Stadtbezirk gibt es Bürgervereine. Wir haben Vereine zur Betreuung von Menschen mit psychischen Behinderungen. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Haben wir auch!) Es gibt Sportvereine. Ich könnte die Liste endlos fortsetzen. Das zeigt: Es wird unheimlich viel gemacht, und zwar freiwillig und unentgeltlich. Bürgerinnen und Bürger haben zu Recht die Hoffnung, dass sie wenigstens das, was sie an zusätzlichen Aufwendungen haben, also die Straßenbahnfahrkarte oder den Busfahrschein, eventuell vom Verein erstattet bekommen. Sie schlagen nun vor, die steuerlichen Freigrenzen anzuheben. Die Zahlen wurden genannt: bei der Ehrenamtspauschale auf monatlich 60 Euro, bei der Übungsleiterpauschale auf monatlich 200 Euro. Das ist schön und gut. Schauen wir uns aber einmal die Realität an. Die im Freiwilligensurvey 2009 genannten Zahlen belegen, dass nur 23 Prozent, also ungefähr jede oder jeder Vierte, die oder der sich freiwillig engagiert, eine Vergütung erhalten. Das ist das Problem. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: So ist es!) Von diesen 23 Prozent erhielten 57 Prozent eine Vergütung von unter 50 Euro pro Monat. Das heißt, 77 Prozent der Ehrenamtlichen haben von einer Änderung der steuerlichen Rahmenbedingungen überhaupt nichts. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist nicht in Ordnung!) Die 57 Prozent der übrigen 23 Prozent haben ebenfalls nichts davon, ob eine Vergütung in Höhe von 50 Euro oder 60 Euro im Monat vorgesehen ist; denn sie bekommen ohnehin weniger. Nur ganze 8 Prozent erhalten tatsächlich über 350 Euro im Monat. Das ist die Realität. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber das entscheidet doch nicht der Staat, ob die sie kriegen!) Mit der Erhöhung der Pauschalen, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorsehen, erfassen Sie maximal 10 Prozent der freiwillig Engagierten. Das ist einfach zu wenig, um zu sagen: Jetzt haben wir wirklich etwas geschafft. (Beifall bei der LINKEN) Im Fußballverein Leipzig Nordost kann ein Übungsleiterentgelt gezahlt werden. Im Kinder- und Jugendbereich sind es 1,50 Euro pro Stunde. Das heißt, der Trainer müsste 6,5 Stunden pro Tag und 133 Stunden im Monat Kinder und Jugendliche trainieren, um auf 2 400 Euro zu kommen und so den maximalen Freibetrag absetzen zu können. Das kann er natürlich nicht. Das wäre kein Ehrenamt mehr. Hier liegt das Problem: Real gibt es in vielen Bereichen, in denen Ehrenamtler tätig sind, eine sogenannte Arbeitsmarktnähe. Menschen üben inzwischen ehrenamtlich Tätigkeiten aus, die bis vor kurzem noch bezahlt wurden. Der Jugendtrainer trainiert meistens nicht nur – auch im Fußballverein Nordost ist das so –, sondern er ist gleichzeitig mitverantwortlich für den Fußballplatz und für die Halle. In Leipzig gibt es kaum noch Hallen mit Hallenwarten. Die Logik, die dem zugrunde liegt, muss man aufknacken: In den letzten Jahren gab es eine Schwächung der Finanzen der öffentlichen Hand. Das heißt, Hallenwarte werden entlassen, und dem entlassenen Hallenwart, der am Sport und an seinem Verein hängt, sagt man: Du kannst ja im Ehrenamt weitermachen. Ein paar Pfennige bekommst du dann noch von uns, aber bezahlen können wir dich leider nicht mehr. Der letzten Erhebung zufolge haben ein Viertel – 27 Prozent – aller ehrenamtlich Engagierten die Erfahrung gemacht, dass sie Tätigkeiten ausüben, die bis vor kurzem noch regulär bezahlt wurden. Ich finde, das ist einfach skandalös. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das bestreite ich! Das ist ein Quatsch! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Deswegen brauchen wir eine neue Oberbürgermeisterin in Leipzig!) Dankenswerterweise haben Sie das in Ihrem Gesetzentwurf sehr klar benannt. Ich zitiere aus der Begründung: In Zeiten knapper öffentlicher Kassen gewinnt die Förderung und Stärkung der Zivilgesellschaft an Bedeutung, denn die öffentliche Hand wird sich wegen der unumgänglichen Haushaltskonsolidierung auf ihre unabweisbar notwendigen Aufgaben konzentrieren müssen. Es ist daher notwendig, Anreize für die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement zu stärken und bestehende Hindernisse bei der Ausübung gemeinnütziger Tätigkeiten abzubauen. Was heißt das? Das ist keine Freiwilligkeit. (Zuruf von der FDP: Eine so gute Maßnahme so schlechtzureden!) Das ist kein freiwilliges Engagement, sondern Sie missbrauchen das Ehrenamt tendenziell als Lückenbüßer für die Bereiche, in denen der Sozialstaat nicht mehr richtig funktioniert. So ist es beschrieben. Hier sollen Stiftungen als mildtätige Organisationen zum Beispiel beim Bilderankauf für Museen einspringen, weil diese kein Geld mehr haben. Das ist eine Entwicklung, die wir nicht gutheißen können. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Schade, dass Sie das nicht unterstützen!) Deshalb ist in Ihrem Gesetzentwurf sehr genau auf den Bereich der Stiftungen zu schauen; denn es ist Realität, dass Stiftungen in der Bundesrepublik Deutschland in einem großen Bereich dazu dienen, Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer zu umgehen. Bis zu einem Drittel der Stiftungseinkommen können zur Alimentierung und zur Pflege des Andenkens des Stifters verwandt werden. Im Gesetz ist also einiges versteckt, was nicht im Sinne des bürgerschaftlichen Engagements sein kann. Ich glaube, wir müssen hier massiv nachbessern und endlich über Regelungen nachdenken, die vielleicht nicht im Bereich des Steuerrechts liegen, sondern zum Beispiel einer kleinen Zugabe für Rentner dienen. Eine Verbesserung der gesellschaftlichen Anerkennung des bürgerschaftlichen Engagements gelingt nur, – Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, würden Sie freundlicherweise gelegentlich auf die Uhr blicken? Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): – wenn es nicht missbraucht wird, sondern das Sahnehäubchen für die Arbeit ist. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort der Kollegin Lisa Paus für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Reinemund, Sie haben recht: Der Titel des Gesetzentwurfs ist falsch gewählt. Von einem Gemeinnützigkeitsentbürokratisierungsgesetz erwartet man wirklich etwas. Wieder einmal erleben wir eine Diskrepanz zwischen dem pompösen Titel auf der einen Seite und den eher wenig konkreten Änderungen auf der anderen Seite. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) 2007 gab es schon einmal den Plan, das bürgerschaftliche Engagement steuerlich besser zu fördern. Der damalige Finanzminister Peer Steinbrück hatte dazu ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt. Nicht nur meine Fraktion war damals unzufrieden. Fraktionsübergreifend wurde kritisiert, dass diese zehn Punkte deutlich hinter dem zurückbleiben, was man, und zwar ressortübergreifend, eigentlich tun müsste, um das ehrenamtliche Engagement zu unterstützen. (Ute Kumpf [SPD]: Wir haben ein Gesetz gemacht, Frau Kollegin!) Vorneweg war damals die FDP; es wurde schon zitiert. Herr Wissing sagte: Aufsatteln bei einigen Steuervergünstigungen, sämtliche Strukturfragen bleiben offen. – Ich sage einmal: Wo Herr Wissing recht hatte, da hatte er recht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben zwar ein grundsätzlich unterschiedliches Verständnis von ehrenamtlichem Engagement – Sie wollen Stellen abbauen und die Leute zu ehrenamtlicher Arbeit zwingen; wir haben die Vorstellung, dass ehrenamtliches Engagement unterstützend wirkt –, aber in diesem Punkt hatte Herr Wissing einfach recht. Aber Sie von der FDP haben damals darüber hinaus konkret etwas versprochen. Sie haben den Menschen in diesem Lande damals zugerufen: Halten Sie durch! Auf die Reformbemühung der Großen Koalition wird mit uns eine echte Reform folgen. – (Zuruf von der FDP: Die ist auch da!) Und jetzt das. Mal ganz ehrlich, Frau Reinemund, da müssen auch Sie lachen, oder? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Über Sie vielleicht!) Was wollen Sie konkret ändern? Vor allem wollen Sie die Übungsleiterpauschale von 2 100 auf 2 400 Euro erhöhen. Weniger stark wollen Sie die Aufwandspauschale erhöhen, von 500 auf 720 Euro. Auch in diesem Zusammenhang zitiere ich gerne den Kollegen Wissing. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Machen Sie mit?) Herr Wissing sagte damals – diese Meinung wurde in den Ausschüssen übrigens fraktionsübergreifend geteilt –: Wir lehnen dieses Zweiklassensystem bürgerschaftlichen Engagements ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Schon 2007 gab es eine breite Debatte darüber, ob es wirklich sinnvoll ist, die sogenannte Übungsleiterpauschale zu erhöhen – damals ging es um eine Erhöhung von 1 848 auf 2 100 Euro –, oder ob es nicht sinnvoller wäre, den Personenkreis der Berechtigten zu erweitern. Doch das berühmte Steinbrück’sche Wort verhinderte diese Lösung. Deshalb haben wir heute zum Beispiel beim Behindertentransport nach wie vor eine absurde Situation: Der Helfer, der das Fahrzeug fährt, kann den Freibetrag nicht in Anspruch nehmen, während der Helfer, der die behinderte Person betreut, diesen Freibetrag sehr wohl in Anspruch nehmen kann. Absurd! Und welches Ziel verfolgen Sie jetzt mit diesem Gesetzentwurf, jetzt, wo Steinbrück nicht mehr Finanzminister ist, jetzt, wo die FDP mit in der Regierung ist? Statt den starren Katalog zu öffnen und den Abstand zwischen Übungsleiterpauschale und Aufwandsentschädigung zu verringern, vergrößern Sie ihn noch. (Marco Buschmann [FDP]: Und was wollen Sie machen?) Wenn das so kommt, wird der Vater, der seinen Sohn und andere Kinder auf dem Fußballplatz trainiert, 2 400 Euro geltend machen können, während die Mutter, die die gleiche Zeit aufwendet, um zum Beispiel die Trikots zu waschen, nur 720 Euro geltend machen kann. Das finden wir falsch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Sagen Sie doch einmal, was Sie eigentlich wollen! – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie haben es gar nicht verstanden! – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist doch absurd!) Anders als Sie von der FDP und insbesondere Herr Wissing haben wir auch heute noch Diskussionsbedarf. Wir würden uns an dieser Stelle weniger Amtsschimmel und mehr Praxistauglichkeit wünschen. Wenn wir uns umhören, dann stellen wir fest – darauf hat Frau Höll schon hingewiesen –, dass die Übungsleiterpauschale von 2 100 Euro schon heute nicht immer ausgeschöpft wird, weil gerade die kleinen Organisationen sich das überhaupt nicht leisten können. Nicht dass Sie glauben, dass ich der Meinung bin, dass die Bürgerinnen und Bürger, die sich ehrenamtlich engagieren, keinen Freibetrag von 2 400 Euro verdienen! Natürlich verdienen sie ihn. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Was jetzt? Ja, nein oder vielleicht? – Marco Buschmann [FDP]: Was wollen Sie denn machen, Frau Paus? Haben Sie auch einen konstruktiven Beitrag?) Trotzdem bin ich skeptisch, was diese Erhöhung angeht; denn – das ist kein Geheimnis – die Erhöhung der Übungsleiterpauschale erhöht den Anreiz, diese Pauschale quasi als „Miniminijob“ mit einem normalen Minijob zu verbinden. So würde der Gefahr, dass mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse im gemeinnützigen Bereich entstehen, weiter Vorschub geleistet. Das spricht dafür, dass es sinnvoller ist, den starren Katalog endlich zu öffnen, als die Pauschale zu erhöhen. Wir werden uns mit dieser Frage in den Beratungen genauer beschäftigen. Leitschnur sollte nicht sein, das Ehrenamt zu monetarisieren, sondern die Bedingungen für ehrenamtliches Engagement sollten durch Förderung und durch Strukturentwicklung verbessert werden; denn – zumindest darin sind wir uns alle einig; von daher habe ich auch noch Hoffnung – ehrenamtliches Engagement ist unersetzlich und eine Stärkung dieses Engagements dringend erforderlich. Das gilt für die derzeitige Situation, aber vor allem mit Blick auf die Zukunft; denn aufgrund der Entwicklung unserer Gesellschaft kommen noch weitere Aufgaben hinzu. Die Umstellung von Energieerzeugung und Energienutzung zum Beispiel ist ein wichtiges Thema für bürgerschaftliches Engagement. Auch für die europäische Integration benötigen wir ehrenamtliches Engagement. Ebenso müssen wir in den Bereichen Stadtentwicklung und Verkehrsentwicklung die Strukturen des ehrenamtlichen Engagements stärken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deswegen kann es nicht dabei bleiben, dass bis zum heutigen Tage die Finanzämter die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements als gemeinnützigen Zweck wegen des Anwendungserlasses des Bundesfinanzministeriums nicht anerkennen; auch dieser Aspekt war bereits 2007 zentrales Thema. Doch Ihr Bundesfinanzminister schnürt den Sack zu, der im parlamentarischen Verfahren mühsam geöffnet wurde. Auch darüber wollen wir in den Beratungen reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein weiterer zentraler Punkt, der die Gemeinnützigkeitsszene seit 2007 bewegt hat, kommt in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nicht, mit keinem einzigen Wort, vor: eine Antwort auf das verloren gegangene Vertrauen in so manche gemeinnützige Organisation aufgrund von einzelnen Skandalfällen, die bundesweit Aufmerksamkeit erregt haben, Stichwort: Kinderhilfswerk UNICEF 2008. Dieser Skandal und andere Skandale hatten nicht nur Folgen für die jeweilige Organisation, sondern darunter leiden seitdem auch alle anderen gemeinnützigen Organisationen, die auf Spendengelder angewiesen sind. Die Spendenbereitschaft ist in der Folge in Deutschland massiv eingebrochen. Diese Fälle haben gezeigt: Wir brauchen deutlich mehr Transparenz in diesem Bereich. Die Menschen müssen vor einer Spende verlässliche Informationen darüber haben, was mit ihrem Geld geschieht und welche steuerlichen Konsequenzen eine Spende für sie selber hat. Das ist aber zurzeit in Deutschland nicht der Fall. So sieht etwa das Wissenschaftszentrum Berlin gerade in der im internationalen Vergleich hohen Intransparenz in Deutschland eine zentrale Ursache dafür, dass in Deutschland viel weniger Menschen spenden als beispielsweise in Skandinavien. Ein öffentliches Register könnte Transparenz herstellen, ein Register, das alle Vereine, Stiftungen und gemeinnützigen Kapitalgesellschaften aufführt, die als steuerbegünstigt anerkannt sind. Wir finden, diese Organisationen sollten offenlegen, wofür sie ihr Spendengeld verwenden. Es gibt ja inzwischen schon einige freiwillige Register wie das von Transparency International. Darauf sollte unserer Ansicht nach ein öffentliches Register aufbauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Uns ist wichtig, dass ein öffentliches Transparenzregister aussagekräftig ist. Aber es darf natürlich auch nicht zu kompliziert sein. Vorbild könnte aus unserer Sicht die Offenlegungspflicht für Kapitalgesellschaften im elektronischen Bundesanzeiger sein, mit differenzierten Offenlegungspflichten zum Beispiel entlang der Größe der Organisationen. Im Übrigen: Ein öffentliches Transparenzregister wäre auch ein sehr gutes Instrument, um nichtgemeinnützigen extremistischen Organisationen tatsächlich auf die Spur zu kommen und Informationen zu erhalten, die helfen, zum Beispiel verkappten Naziorganisationen den Gemeinnützigkeitsstatus entziehen zu können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD]) Ihre Versuche, den Verfassungsschutz dafür heranzuziehen, sind bisher allesamt kläglich gescheitert. Bis heute gibt es etwa ein Dutzend Verfahren vor Finanzgerichten, von denen absehbar in keinem einzigen Fall die Aberkennung der Gemeinnützigkeit wegen extremistischer Aktivitäten bestätigt werden wird. Wir wissen inzwischen – leider –: Unsere Geheimbehörden können vieles nicht. Definitiv sind sie nicht qualifiziert, Steuerprüfungen durchzuführen. Die Erkenntnisse der Geheimbehörden entziehen sich einer transparenten Überprüfbarkeit. Kein Finanzgericht kann das als Grundlage einer Entscheidung anerkennen. Deswegen: Vergessen Sie endlich den Verfassungsschutz an dieser Stelle! Der gemeinnützige Sektor braucht mehr Transparenz, nicht mehr Geheimnisse. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ein anderes Skandalstichwort ist im Zusammenhang mit der Berliner Treberhilfe – mir als Berlinerin besonders präsent – die sogenannte Maserati-Affäre. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Sprechen Sie doch mal zum Thema, Frau Paus! – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wir haben da einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht!) Auch hier sagt einem doch das Gerechtigkeitsgefühl: Wenn der Geschäftsführer einer gemeinnützigen Organisation die Steuerbegünstigung unter anderem dafür nutzt, sich exorbitante Gehälter zu zahlen, dann stimmt etwas nicht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist eine Frage der Aufsicht und der Behörden!) Folgerichtig wäre also eine Begrenzung der Spitzengehälter bei gemeinnützigen Organisationen. Aber auch dazu findet sich in Ihrem Gesetzentwurf nichts. Wir wollen das in die Beratungen einbringen. Was bringt der Gesetzentwurf darüber hinaus? Neben einigen wichtigen Verfahrensänderungen bringt er vor allen Dingen Änderungen, die die Welt nicht braucht: Sie wollen die Frist für die Geltung von Freistellungsbescheiden für Spenden auf drei Jahre verkürzen. Bisher gelten fünf Jahre. Auch bei Verwendungsauflagen sieht der Entwurf eine Festschreibung auf zwei Jahre statt der bisher üblichen drei Jahre vor. Das bedeutet für die betroffenen Träger eine erhebliche Verschlechterung gegen-über der aktuellen Situation. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Sportveranstaltungen wurden schon angesprochen. Ich bin gespannt darauf, Herr Steffel, wie Sie mir gleich erklären werden, was bei Sportveranstaltungen so viel anders ist als bei allen anderen, dass es notwendig ist, sie im Gesetz mit einem um 10 000 Euro höheren Freibetrag zu begünstigen; dieser soll ja für Sportveranstaltungen von 35 000 auf 45 000 Euro erhöht werden. Meine Damen und Herren, das Steuerrecht wird die notwendige Ausweitung des gesellschaftlichen Engagements von Bürgerinnen und Bürgern nur dann nachhaltig unterstützen, wenn die Struktur der steuerlichen Förderung den aktuellen Anforderungen angepasst wird, statt dass die vorhandenen Starrheiten, so wie Sie es tun, -immer wieder neu bedient werden. Ich fordere Sie deshalb im Sinne des bürgerschaftlichen Engagements auf: Spenden Sie in den kommenden Wochen Ihre persön-liche Zeit, um diesen Gesetzentwurf besser zu machen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Frank Steffel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt aber! Sag’s ihr mal!) Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und -Herren! Wir sprechen heute über die Anerkennung des Ehrenamts, über die Stärkung unserer Vereine, über Wertschätzung für Ehrenamtliche und über Dank an Ehrenamtliche, die unendlich viel für unsere Gesellschaft leisten. Sie sprechen über Skandale, Missbrauch des Ehrenamts und Steuerhinterziehung. Unser Verständnis von Ehrenamt und Vereinen ist, mit Verlaub, ein völlig anderes. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie eigentlich Zeitung? – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wissen Sie, was in den Vereinen los ist?) Wie man bei einem Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts, zur Anerkennung des Ehrenamts, zur Entbürokratisierung der Arbeit ehrenamtlich arbeitender kleiner Vereine ernsthaft über Steuerhinterziehung und Missbrauch des Ehrenamts sprechen kann, ist mir völlig schleierhaft. Insofern danke ich den Sozialdemokraten für ihren Beitrag. Sie haben sich zwar im Detail kritisch mit dem Vorschlag auseinandergesetzt – was völlig in Ordnung ist –; aber im Grundsatz sagen sie: Jawohl, das geht in die richtige Richtung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, mich freut es, dass wir uns heute hier endlich einmal nicht mit -Finanzkrisen oder Marktkrisen beschäftigen, sondern mit Menschen: mit den 30 Millionen Deutschen, die sich ehrenamtlich – ohne Marktpreis und ohne Entgelt – jeden Tag für uns und unsere Gesellschaft engagieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Steffel, darf Ihnen die Kollegin Höll eine Zwischenfrage stellen? Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Nein. – Mich freut es, dass in Deutschland 25 Millionen Menschen in Sportvereinen Sport treiben können. Das wäre ohne das Engagement unserer ehrenamtlichen Trainer, Übungsleiter, übrigens auch der Schatzmeister, der Kassierer, unserer Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter überhaupt nicht möglich. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Deswegen danken wir besonders den 7,5 Millionen Deutschen, die sich in ihrer Freizeit gerne und aus Überzeugung ehrenamtlich in Sportvereinen engagieren, zumeist übrigens, um sich um Kinder und Jugendliche zu kümmern. Ich will auch sehr deutlich sagen: Kein Fitnessstudio und keine Nordic-Walking-Gruppe kann das ersetzen, was deutsche Vereine für Kinder und Jugendliche leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gerade weil sich ein großer Teil dieses sehr guten Gesetzes zur Stärkung des Ehrenamts mit Vereinen – im Wesentlichen mit Sportvereinen – beschäftigt, ist es mir ein besonderes Anliegen, heute auch über die Ehrenamt-lichen zu sprechen, die sich nicht im Sport engagieren, sondern in anderen Bereichen unserer Gesellschaft. Meine Damen und Herren, das, was Elternvertreter – Väter und Mütter – in Schulen und Kitas leisten, ist herausragende ehrenamtliche Arbeit. Bei unseren Hilfsorganisationen – das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter, das Technische Hilfswerk, Malteser, Arbeiter-Samariter-Bund, die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft – stehen, wenn es kritisch wird, von Montag bis Sonntag Männer und Frauen, Jungs und Mädels für unser Leben, für unser Wohl ein. Deshalb verdienen sie Anerkennung, Entbürokratisierung und eine Stärkung ihrer Tätigkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will ausdrücklich auch auf die Arbeit der Gemeindekirchenräte in Deutschland hinweisen und darauf, was die Kirchen in Deutschland – seien es christliche, jüdische oder islamische – leisten: bei der Integration von Menschen, in der sozialen Arbeit in unserem Land. Auch das spielt eine große Rolle. Das sollte im Zusammenhang mit dem Ehrenamt erwähnt werden. Ich möchte auch die Arbeit der Parteien erwähnen. Das, was Kommunalpolitiker in Deutschland leisten, das, was ehrenamtliche Mitglieder in allen Parteien für unser Gemeinwohl leisten, sollte hier im Deutschen Bundestag anlässlich dieser Debatte auch einmal lobend erwähnt werden. 90 Prozent der Mitglieder in den deutschen Parteien arbeiten ehrenamtlich und engagieren sich in der Nachbarschaft, kommunal, für uns und unsere Gesellschaft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, was bedeutet das Ehrenamt, über das wir so viel und so gerne sprechen? (Iris Gleicke [SPD]: Sagen Sie doch mal was zu dem Gesetz!) Es bedeutet zum Ersten, eine Aufgabe zu übernehmen und sich dauerhaft, zumeist sehr lange, vielfach ein ganzes Leben, für eine Sache zu engagieren. Schon das verdient in unserer Gesellschaft Anerkennung. Es bedeutet zum Zweiten, Zeit zu opfern, Freizeit zu opfern. Dabei geht es nicht darum, irgendetwas abzusetzen, Frau Paus. Vielmehr sprechen wir von einer Aufwandsentschädigung von läppischen 60 Euro pro Monat. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß, Herr Steffel, ja!) Das hat mit dem Absetzen von Quittungen, Steuerhinterziehung und Missbrauch überhaupt nichts zu tun. Das ist ein bisschen Taschengeld für die, die sich für uns alle -engagieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es geht auch um Menschen, die in der Tat Geld mitbringen. Die Mutter, die einen Kuchen für das Kita-Fest mitbringt, engagiert sich ehrenamtlich und bringt noch Geld mit. Der Vater, der seine Kinder zum Sport fährt, engagiert sich ehrenamtlich und gibt das Geld für sein Benzin und sein Auto gerne aus. Über was reden wir hier eigentlich? (Iris Gleicke [SPD]: Die Frage ist, über was Sie reden! – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über den Gesetzentwurf müssen wir reden!) Wir reden über Menschen, die nicht fragen: „Was kriege ich? Wie hoch ist die Verzinsung?“, sondern die im Wesentlichen darüber reden: Was kann ich tun? Wo kann ich anpacken? Wo kann ich unserer Gesellschaft und uns allen helfen? – Das sind die Männer und Frauen, die wir in diesem Land brauchen – und nicht die Nörgler, die das Ehrenamt noch beleidigen und beschädigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das ist ja unverschämt! – Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Wenn wir über die Rahmenbedingungen des Ehrenamts sprechen, ist mir eine Bemerkung besonders wichtig: Viele Ehrenamtliche haben auch Nachteile aus ihrem Ehrenamt. Sie treten im Beruf kürzer. Sie kriegen keine bezahlten Überstunden, sondern sie leisten unbezahlte ehrenamtliche Arbeit. Sie verzichten vielleicht auf Karrierechancen, (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Oh, jetzt kommt es aber dicke!) auf Fortentwicklung, auf Weiterbildung, auf Beförderung. Deshalb möchte ich auch heute hier ausdrücklich an alle Unternehmen in Deutschland appellieren: Das Ehrenamt darf nicht zum Nachteil eines Arbeitnehmers gereichen, sondern unsere Unternehmen sollten Ehrenamtliche fördern und unterstützen und sie im Zweifelsfall denen vorziehen, die sich nicht ehrenamtlich engagieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Abschließend möchte ich den Familien der Ehrenamtlichen einen besonderen Dank aussprechen. Die Familien von Ehrenamtlichen zahlen vielfach einen hohen Preis. Manch ein Vater und manch eine Mutter, die am Wochenende für eine Hilfsorganisation tätig sind, können sich eben nicht um ihre eigenen Kinder, ihre eigenen Eltern, ihre Freunde und ihre sonstigen Familienangehörigen kümmern. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Antworten Sie doch auf die Frage der Kollegin Paus!) Manch ein Trainer verzichtet abends darauf, seinen eigenen Kindern eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen, weil er sich um andere Kinder auf deutschen Sportplätzen oder in Sporthallen kümmert. Deshalb möchte ich einen besonderen Dank und eine besondere Anerkennung auch denen aussprechen, die in ihren Familien Ehrenamtliche unterstützen, ihnen den Rücken freihalten, sie ermuntern, sie motivieren, in unserer Gesellschaft auch weiterhin eine unverzichtbare Aufgabe zu übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auf die Details des Gesetzentwurfes wurde umfangreich hingewiesen. Heute ist ein guter Tag für das Ehrenamt. Heute ist ein Tag der Anerkennung für Ehrenamtliche in Deutschland. Heute ist ein guter Tag für deutsche Vereine, Hilfsorganisationen und viele andere. Wir werden die Anerkennung des Ehrenamts und die Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement verbessern. Wir werden das Ehrenamt stärken. Auch Ihre kleinteilige Nörgelei wird uns davon nicht abbringen. Uns geht es ums Ehrenamt und nicht um Parteipolitik. Wir brauchen ehrenamtliche Menschen in diesem Land, die etwas tun, was kein anderer an anderer Stelle durch den Staat jemals leisten könnte. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Höll das Wort. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Danke, Herr Präsident. – Ich möchte zunächst eine Bemerkung machen: Herr Steffel, ich weise entschieden zurück, dass ich das Ehrenamt diskreditieren würde. Im Gegenteil! Ich achte – das habe ich in meinen Ausführungen klargemacht – das Engagement der vielen Bürgerinnen und Bürger, die sich ehrenamtlich engagieren. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann müssen Sie das einmal deutlicher sagen!) Ich würde nie, wie Sie eben, sagen, dass es hier um „läppische 60 Euro“ geht. Nein, auch 60 Euro wären eine gute Anerkennung. Ich habe Ihnen aber gesagt – hier kennen Sie leider die Realität nicht –: Nur jeder vierte ehrenamtlich Engagierte kommt überhaupt in den Genuss, wenigstens den Aufwand erstattet zu bekommen. Ganze 10 Prozent der Ehrenamtlichen werden von Ihren steuerlichen Regelungen etwas haben. Das ist nicht die notwendige Anerkennung, sondern viel zu wenig. (Beifall bei der LINKEN) Noch ein Gedanke. Sie müssten wirklich einmal den Vergleich mit anderen Ländern wagen. In Skandinavien gibt es ein wesentlich größeres ehrenamtliches Engagement, weil die Menschen dort ihr Ehrenamt gerade im sozialen Bereich, im kulturellen Bereich, im Bildungsbereich als Ergänzung empfinden können und sich nicht als Lückenbüßer sehen, wie Sie es im Gesetzentwurf begründen, weil die öffentliche Hand kein Geld mehr hat und da jetzt bitte einmal das unentgeltliche freiwillige Engagement ran soll. Das ist ein Missbrauch von bürgerschaftlichem Engagement durch die Politik. Das kritisiere ich und lehne ich ab. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Na ja, bei Ihnen gab es ja Ehrenamt! Zwangsernteeinsatz! Wunderbar! – Gegenruf von der LINKEN: Sie reden aber heute ein „Kauder-Welsch“!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun möchte die Kollegin Paus noch etwas klarstellen, weil sie direkt angesprochen worden ist. Dazu sollte sie Gelegenheit haben. Und wenn er möchte, kann der Kollege Steffel dann darauf noch kurz reagieren. Ich mache aber darauf aufmerksam, dass ich jetzt natürlich nicht die Absicht habe, zuzulassen, dass die ohnehin gemeldeten Redner der Fraktionen sich durch anschließende Kurzinterventionen wechselseitig eine Verlängerung ihrer jeweiligen Redezeiten erschleichen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Sehr richtig! – Zuruf der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]) – Ich nehme es mit Rührung zur Kenntnis, Frau Kollegin. Frau Kollegin Paus, bitte schön. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Der Redner hat keine Zwischenfragen zugelassen. Er hat mich aber trotzdem direkt angesprochen. Deswegen wollte ich einfach noch einmal Folgendes klarstellen: Ich kann nicht nachvollziehen, dass der Fahrer eines Behindertentransports keinen Freibetrag geltend machen kann, während der Betreuer des Behinderten diesen sehr wohl geltend machen kann. Mein Punkt war, dass ich beim ehrenamtlichen Engagement insgesamt nicht nachvollziehen kann, warum Sie in Ihrem Gesetzentwurf wieder so stark unterscheiden, warum Sie nicht endlich herunterkommen von dem starren Katalog und warum Sie in der Tendenz Frauen gegenüber Männern benachteiligen, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist doch abwegig! – Marco Buschmann [FDP]: Das ist absurd!) indem bei der Übungsleiterpauschale der Mann auf dem Platz den hohen Freibetrag geltend machen kann, während die Frau nur einen geringeren Freibetrag geltend machen kann. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Was ist denn das für ein Frauenbild?) Um diese Ungleichbehandlung ging es mir. Außerdem haben Sie meine Frage zu den Sportveranstaltungen nicht beantwortet. Das ist für mich ein wichtiger Punkt, und darüber möchte ich diskutieren. Das ist keine Kleinkrämerei, und deswegen möchte ich gerne entsprechend gewürdigt werden. Es ist nun einmal so, dass man das ehrenamtliche Engagement auf unterschiedliche Art und Weise stärken kann. Wir wollen eine Gleichbehandlung, Sie wollen das nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Als Sie in der Regierung waren, haben Sie gar nichts gemacht! Jetzt die große Lippe! Und in Baden-Württemberg haben Sie auch noch nichts gemacht!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Vertiefung dieser zweifellos klärungsbedürf-tigen Punkte stehen ja auch die Ausschussberatungen zur Verfügung. – Möchte der Kollege Steffel noch etwas dazu sagen? Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es freut mich, Frau Kollegin Höll, dass wir Sie bei unserem Engagement für das Ehrenamt an unserer Seite wissen. Und es freut mich, Frau Kollegin Paus, dass Sie einmal mehr deutlich gemacht haben, dass Sie ganz anders denken als wir. Deswegen wählen die Menschen auch unterschied-liche Parteien. Ich bin sicher: Die Ehrenamtlichen in Deutschland wählen uns, weil sie spätestens seit heute wissen, worum es uns geht. (Lachen bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das glauben Sie ja selbst nicht!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wenn das, Herr Kollege Steffel, tatsächlich 30 Millionen sind, lässt das ja eigentlich ziemlich sichere Prognosen bezüglich des Wahlergebnisses zu, nicht wahr? (Heiterkeit) Nächste Rednerin ist die Kollegin Marianne Schieder für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, es ist so. Was wäre unsere Gesellschaft, was wäre unser Land ohne das vielfältige, uneigennützige gesellschaftliche und bürgerschaftliche Engagement? Viele Menschen engagieren sich in den verschiedensten Bereichen für ihre Mitmenschen; sie engagieren sich für Gesellschaft, Kirche und Staat, und sie engagieren sich für unser aller Wohl. Ehrenamtliches Engagement ist, gerade im ländlichen Raum, das gesellschaftliche Bindeglied. Vor allen Dingen für junge Menschen ist die Möglichkeit eines ehrenamtlichen Engagements enorm wichtig; denn es fördert soziales Lernen, eröffnet sinnvolle Freizeitgestaltung, übt Verantwortungsbewusstsein ein und lässt den Wohnort zur Heimat werden. Wir alle wissen doch, wovon wir sprechen; denn auch die meisten von uns kamen über ein umfangreiches ehrenamtliches Engagement in die Politik und nicht zuletzt auch zum Bundestagsmandat. Und auch die meisten von uns stellen sich nach wie vor im bürgerschaftlichen Engagement, im ehrenamtlichen Engagement in den Dienst der Allgemeinheit. Alle in unserem Land ehrenamtlich tätigen Männer und Frauen haben natürlich ein Recht darauf, dass wir als Gesetzgeber die Rahmenbedingungen so gestalten, dass ehrenamtliches Engagement gefördert und nicht behindert wird, dass unnötige Bürokratie abgebaut und rechtliche Festsetzungen nachvollziehbar und durchschaubar gestaltet werden. (Beifall bei der SPD) Ehrenamt muss man sich leisten können. Ehrenamt muss man sich auch zutrauen können. Es kann doch nicht sein, dass viele Menschen, die sich engagieren oder sich engagieren wollen, das Gefühl haben, sie befänden sich stets mit einem Bein im Gefängnis (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Genau!) oder wären von Haus aus nicht in der Lage, den Berg von Vorschriften und einzuhaltenden Regelungen überhaupt zu überblicken, geschweige denn einzuhalten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Deswegen machen wir das!) Hier sind natürlich Klarstellungen und Erleichterungen zu schaffen. Der Deutsche Bundestag hat dies bereits im Jahre 2009 mit der Schaffung des § 31 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs getan; das wurde heute schon erwähnt. Dort steht, dass der Vereinsvorstand, der unentgeltlich tätig ist, gegenüber dem Verein und auch gegenüber den Mitgliedern des Vereins nur dann haften muss, wenn Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Gegenüber Dritten wird zwar gehaftet, aber da gibt es gegenüber dem Verein den Befreiungsanspruch, der eingeräumt wird. Nun soll diese Regelung auch auf Mitglieder anderer Organe und auf besondere Vertreter von Vereinen und Stiftungen erweitert und § 31 a BGB entsprechend gefasst werden. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird auch vorgeschlagen, diese Beschränkung der Haftung auf alle Vereinsmitglieder auszudehnen. So soll dann künftig ein ehrenamtlich tätiges Vereinsmitglied nur noch dann für einen Schaden, der durch sein Handeln entsteht, haften, wenn grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorliegt. Entsteht der Schaden einem Dritten und liegt beim Schadensverursacher weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vor, dann soll das Vereinsmitglied zwar haften, aber eben auch diese Freistellung in Anspruch nehmen können. Dazu wird vorgeschlagen, den § 31 b neu ins BGB einzufügen. In diesem Sinne soll es auch eine Veränderung im Einkommensteuergesetz geben, nämlich eine Veränderung in § 10 b, mit der die Veranlasserhaftung bei zweckfremder Verwendung von Spenden auf die Fälle der grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Schadensverursachung beschränkt werden soll. Solche Verbesserungen sind natürlich sinnvoll, und solche Verbesserungen unterstützen wir. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Allerdings möchte ich an dieser Stelle schon darauf hinweisen, dass solche Verbesserungen nur eine kleine Verbesserung darstellen. Es darf keinesfalls der Eindruck erweckt werden, dass damit die zweifellos hohen Anforderungen an die Vereinsvorstände, was die Kenntnis von steuerrechtlichen, strafrechtlichen, urheberrechtlichen, arbeitsrechtlichen und diversen anderen recht-lichen Vorschriften betrifft, gesunken wären. Die Augen davor zu verschließen oder den Kopf in den Sand zu stecken, hilft niemandem weiter, (Beifall bei der SPD) weil Nichtwissen ebenso wenig vor Strafe schützt wie Nicht-wahrhaben-Wollen. Hier möchte ich an die Verbände, Vereine und Organisationen appellieren, sich dieses Themas verstärkt anzunehmen und die Verantwort-lichen vor Ort über Ausbildung und Schulung auf ihre Aufgaben ausreichend vorzubereiten. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Einverstanden!) Allerdings müssten wir in dieser Hinsicht die Vereine, Verbände und Organisationen natürlich entsprechend unterstützen; denn nach meiner Erfahrung – auch ich bin umfangreich ehrenamtlich tätig – ist die Angst vor all diesen Anforderungen gerade dort groß, wo das Wissen gering ist, und es entstehen schlimme Folgen gerade deswegen, weil man sich eben nicht rechtzeitig und ausreichend um die rechtlichen Belange kümmert. Ich frage mich allerdings auch, warum die Bundesregierung nicht auch einen anderen Bereich in Angriff genommen hat, nämlich den Bereich der Versicherungen. Da gibt es ein wirklich unüberschaubares Chaos, und kaum ein ehrenamtlich Tätiger weiß, was Sache ist. Dazu gibt es unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern. Hier hätte ich mir wirklich eine länderübergreifende Initiative mit dem Ziel der Vereinfachung gewünscht. (Beifall bei der SPD) In diesem Sinne müssen wir noch intensiv diskutieren, um diesen Gesetzentwurf zu verbessern und entsprechend anzureichern, sodass er den Ehrenamtlichen wirklich dienlich ist. Auch ich möchte schließen mit einem ganz herzlichen Dank an alle Männer und Frauen in unserem Land, die ehrenamtlich tätig sind; denn sie alle leisten eine wirklich großartige Arbeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Marco Buschmann für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marco Buschmann (FDP): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie man eine so gute Sache so schlechtreden kann, das werde ich auch nach drei Jahren Parlamentserfahrung nicht verstehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wie man eine solch gute Sache, nämlich den ehrenamtlich Tätigen zu helfen, die in unserem gemeinsamen Interesse liegt, für die kleine Münze parteitaktischen Kalküls nutzen kann, das werde ich nach drei Jahren Mitgliedschaft im Parlament nicht verstehen. (Unruhe bei der SPD) Das will ich auch nicht verstehen; das möchte ich nicht verstehen. Dass man versucht, aus der Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements eine Genderfrage zu machen, werde ich ebenfalls nicht verstehen. Das will ich auch nicht verstehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) In Deutschland gibt es über 600 000 eingetragene Vereine, eine Unzahl nicht eingetragener Vereine und rund 19 000 Stiftungen. Viele davon sind gemeinnützig und sind in einem Bündnis für Gemeinnützigkeit organisiert. Ich hoffe, dass viele von denen heute zuschauen und zur Kenntnis nehmen, dass Sie auf den von uns geplanten Maßnahmen – diese lassen sich in Mitteilungen vieler Verbände wiederfinden; viele Verbände rufen regelrecht danach und bitten uns, ihnen in der Praxis mit vielen kleinen Maßnahmen zu helfen, die ihnen ihre Arbeit etwas erleichtern – geradezu herumtrampeln und sagen, das alles sei dummes Zeug. Ich bin sicher, dass die Betreffenden dann die Konsequenzen daraus ziehen werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD]) Wenn Sie von der Linken uns weismachen wollen, es sei etwas Schlimmes, wenn gemeinnützige Vereine Lücken schließen, dann halte ich Ihnen mit dem großen Liberalen Ralf Dahrendorf entgegen: Das Wesen des Ehrenamts sowie von gemeinnützigen Vereinen und Stiftungen besteht doch darin, Initiativlücken zu schließen; denn die Gesellschaft deckt hier Bedarfe, die der Staat nie finden würde. Das ist Innovation und Fortschritt, der aus der Gesellschaft kommt. Es ist das normale Wesen von gemeinnützigen Vereinen und Stiftungen, Lücken zu schließen, die der Staat noch gar nicht erkannt hat. Wenn Sie sagen, der Staat sei schlauer als die Gesellschaft, die gemeinnützigen Vereine und die Bürger, dann zeigt das Ihr Gesellschaftsbild und Ihr Staatsverständnis. Das teilen wir nicht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte nun mit meinen Entgegnungen auf all die Vorwürfe aufhören, weil es der Sache nicht gerecht wird, und zum Verbindenden kommen. Ich bin der Kollegin Schieder sehr dankbar, dass sie auf einen wichtigen Punkt hingewiesen hat, auf den ich erst gestern angesprochen wurde. Eine Lehrerin, die zu einer Besuchergruppe gehörte und die sich in einer Umweltgruppe engagiert, liebe Frau Paus, sprach mich an und sagte mir: Die größte Sorge, die wir haben, ist das Haftungsrisiko. Wir finden immer weniger Menschen für ehrenamtliche Tätigkeiten, weil sich viele Sorgen machen. Die meisten würden gerne etwas tun, wissen aber nicht, welchem Haftungsrisiko im Steuer-, Abgaben- und Zivilrecht sie sich aussetzen. Ich möchte auf das hinweisen, was die Kollegin Schieder gerade angesprochen hat. Wir gestalten die zivilrechtliche Haftungsverfassung endlich so fair und transparent aus, dass man keine Angst haben muss, wenn man als Mitglied eines Vereins die Aufgabe übernimmt, das Vereinsheim oder die Turnhalle für die Weihnachtsfeier zu schmücken. Wenn eine Lichterkette herunterfällt, die man vielleicht nicht perfekt festgemacht hat, oder wenn eine Metallklammer auf einen Tisch fällt, auf dem ein Smartphone liegt, stellt sich die Frage, wer nun den entstandenen Schaden in Höhe von Hunderten Euro trägt. Früher musste man darüber diskutieren, ob es sich um leichte oder mittlere Fahrlässigkeit handelt. Unabhängig von der Frage, wer für den Schaden aufkommen muss, findet man niemanden mehr für eine ehrenamt-liche Tätigkeit, wenn sich im Verein erst herumgesprochen hat, dass man im Schadensfall per Rechtsanwalt klären muss, welcher Grad an Fahrlässigkeit exakt vorliegt. Sie haben damals eine Lösung für die Vereinsvorstände in § 31 a BGB gefunden. Wir gehen jetzt einen Schritt weiter; wer A sagt, muss auch B sagen mit dem neuen § 31 b BGB. Wenn wir nun das von Ihnen den Vereinsvorständen gewährte Privileg auch dem normalen Vereinsmitglied zukommen lassen, dann stellt das eine praktische Hilfe dar. Ich bitte insbesondere die Kollegen von der Linken und den Grünen, die sagen, das alles sei nur eine Randerscheinung und nicht so wichtig: Nehmen Sie Kontakt mit gemeinnützigen Vereinen auf und fragen Sie, wo konkret Probleme bestehen. Sie werden dann feststellen: Es ist die Sorge um die Haftung in der Zeit des ehrenamtlichen Engagements. Wir helfen nun mit einer einfachen, fairen und transparenten Regelung, die nichts anderes bedeutet als: Ihr müsst euch keine Sorgen machen. Erst dann, wenn ihr vorsätzlich einen Schaden anrichtet und wenn jedermann klar ist, dass man das nicht machen darf, wenn man also grob fahrlässig handelt, müsst ihr euch Sorgen machen. Das schafft Transparenz für die, die sich ehrenamtlich engagieren. Ich denke, das ist eine gute Sache, die man hier nicht aus parteitaktischen Gründen zerreden sollte. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich freue mich auf die konstruktive Diskussion mit den Sozialdemokraten; denn sie haben sich als einzige Oppositionsfraktion konstruktiv eingebracht, indem sie einen Bezug zu dem Gesetz, das wir vorgelegt haben, hergestellt haben. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Danke! Danke!) Ich bin gespannt, wie die Grünen uns erklären wollen, wie wir die Genderfrage durch das Vereins- und Gemeinnützigkeitsrecht lösen können, und ich bin wirklich sehr gespannt, wie die Linken uns erklären werden, wie wir demnächst dafür sorgen können – ich habe es gar nicht richtig verstanden; das gebe ich offen zu, das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen –, (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Sie haben es nicht verstanden! – Iris Gleicke [SPD]: Den Eindruck haben wir auch!) den Gedanken, dass ehrenamtliches Engagement immer Aufwand und Opfer bedeuten, aus der Welt zu schaffen. Auch das werde ich nicht verstehen; denn das ist der Inbegriff ehrenamtlichen Engagements. Wir wollen den Leuten durch die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen helfen. Wie man das zerreden kann – damit beende ich meinen Beitrag so, wie ich ihn begonnen habe –, das werde ich nie verstehen, und das möchte ich auch nicht verstehen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Die Linke spricht nun die Kollegin Katrin Kunert. (Beifall bei der LINKEN) Katrin Kunert (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Buschmann, meine Oma hat immer gesagt: Wenn du etwas nicht verstehst, dann sprich nicht darüber. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und der SPD) Ja, das bürgerschaftliche Engagement in der Gesellschaft muss gestärkt und unterstützt werden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann sollten Sie jetzt mal abtreten!) Die Linke sagt allen ehrenamtlich Tätigen in Deutschland ausdrücklich Danke, weil wir auf dieses Engagement bauen. (Unruhe bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ich möchte Sie von der CDU bitten, das „Kauder-Welsch“ zu unterlassen. (Beifall bei der LINKEN) Neben vielen anderen Dingen, die Sie mit diesem Gesetzentwurf verändern wollen, geht es insbesondere um die Anhebung der Grenzen für Ehrenamtspauschalen und Freibeträge. Frau Höll hat bereits gesagt, dass viele gar nicht in den Genuss kommen, höhere Freibeträge geltend zu machen. Die Ehrenamtlichen wollen auch gar nicht, dass man sich darauf konzentriert. Was wir und die Ehrenamtlichen wollen, ist eine Stärkung der Anerkennungskultur, was das ehrenamtliche Engagement in der Bundesrepublik betrifft. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Daniel Volk [FDP]: Das haben wir doch!) Herr Steffel, es geht nicht um Nörgelei und kleinteilige Kritik; aber wir müssen das Gesetz sehr wohl daraufhin überprüfen, ob wir alle würdigen, die in diesem Land ehrenamtlich tätig sind, oder ob wir das nicht tun. Wir schlagen vor, über diesen Gesetzentwurf in einer Anhörung intensiv zu diskutieren und auch diejenigen, die sich ehrenamtlich betätigen, zu Wort kommen zu lassen. (Beifall bei der LINKEN) Ich will einige Fragen stellen, die mir von ehrenamtlich Tätigen aus meinem Wahlkreis mitgegeben wurden: Unter welchen Bedingungen leisten Feuerwehrleute ihren Dienst? Haben sie ausreichend Unterstützung, wenn sie von schweren Unfällen zurückkommen, zu denen sie gerufen werden? Wie sieht es aus mit der Freistellung in Betrieben? Wie kann man dies für die Kameradinnen und Kameraden bei der Feuerwehr besser regeln? Wie geht der Gesetzgeber mit der Forderung um, über zusätzliche Rentenpunkte für langjährige Mitglieder der Feuerwehr nachzudenken? (Beifall der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]) Wie können wir Lehrerinnen und Lehrer unterstützen, die sich nach der Schule um Kinder und Jugendliche kümmern? Kann man ihre Arbeit vielleicht durch Abgeltungsstunden usw. unterstützen? Warum sind die Ausgabestellen der Tafeln im Land immer in stark sanierungsbedürftigen Räumen untergebracht? Warum müssen Sportvereine immer höhere Kosten tragen, wenn sie Sportanlagen der Kommunen nutzen? Wie kann Ehrenamt im ländlichen Raum weiterhin funktionieren, wenn die Bevölkerung immer älter und weniger wird? – Das sind Fragen, die wir gemeinsam mit den Ländern, den Kommunen und den ehrenamtlich Tätigen klären sollten. Ihre Würdigung des Ehrenamts beschränkt sich im monetären Bereich leider nur auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nachdem Sie im Gesundheitssystem eine Zweiklassengesellschaft geschaffen haben, setzen Sie dies im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements leider fort. Ich will Ihnen auch sagen, warum. – Die CDU lächelt bei diesen Ausführungen. (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Bei uns ist der Spaß nicht verboten! Bei Ihnen schon!) Während normale Erwerbstätige beim Überschreiten ihrer Freibetragsgrenze nur für einen Teil Steuern abzuführen haben, wird dem Arbeitslosengeld-II-Beziehenden oberhalb der Freibetragsgrenze die Aufwandsentschädigung zu 100 Prozent abgezogen bzw. auf den Regelsatz angerechnet. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist in Baden-Württemberg gut geregelt!) Das ist für die Linke nicht hinnehmbar, (Beifall bei der LINKEN) übrigens auch deshalb, weil wir in diesem Hause überhaupt nicht darüber reden, ob Vergütungen für Neben-tätigkeiten von Bundestagsabgeordneten vielleicht auch in entsprechendem Umfang von den Diäten abgezogen werden sollten. (Marco Buschmann [FDP]: Das ist doch kein Nebentätigkeitsthema!) Aber bei Arbeitslosengeld-II-Beziehenden gehen wir so brutal heran und ziehen ihnen die Entschädigung ab. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das stimmt doch gar nicht! Da ist die Kollegin falsch informiert!) Sie setzen sich überhaupt nicht mit der Frage ausei-nander, warum Aufwandsentschädigungen keine Gegenleistung für erbrachte Arbeit sind, sondern Ersatz für erbrachten Aufwand. Haben Sie sich einmal gefragt, warum in Kommunalverfassungen geregelt ist, wie hoch die Aufwandsentschädigungen sind? Haben Sie sich einmal gefragt, warum in Kommunen Verordnungen oder Satzungen zum Ehrenamt beschlossen werden? Darin wird geregelt, wie groß eine Körperschaft ist, welchen Umfang die Aufgabe hat, welcher Aufwand damit -verbunden ist und welche Anforderungen an Qualifikationen es gibt. All dies hat nämlich Auswirkungen auf die Höhe einer Aufwandsentschädigung. Diese Fragen haben Sie nicht beantwortet. Bei den Arbeitslosengeld-II-Beziehenden stellen Sie sich diese Fragen erst gar nicht. Sie glauben immer noch, die Erwerbslosigkeit in Deutschland bekämpfen zu können, indem Sie die Erwerbslosen bekämpfen. Das kann nicht sein. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Zu welchem Thema reden Sie -eigentlich?) Sie verpeilen völlig, dass bürgerschaftliches Engagement wertvoll ist, egal von wem es erbracht wird. Circa 25 Prozent der Arbeitslosengeld-II-Beziehenden bekleiden ein Ehrenamt. Ich möchte Ihnen gern ein Beispiel nennen: Kerstin ist seit Jahren mit Leib und Seele Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr im Land Brandenburg. Sie war im Kreis für die Ausbildung im Bereich ABC-Unfälle und für den Umgang mit Kampfmitteln, Tierseuchen und Terroranschlägen zuständig. Regelmäßig hat sie dazu Lehrgänge durchgeführt. Zudem war sie Jugendwartin bei der Jugendfeuerwehr und war für die Ausbildung von 300 Feuerwehrleuten zuständig. Sie war auch Sicherheitspartnerin der Polizei. Das alles sind Tätigkeiten, für die ein hohes Maß an Qualifikation, Engagement und Disziplin erforderlich sind. Die Anrechnungspraxis hat dazu geführt, dass sie ihre Ehrenämter aufgegeben hat. Sie hat zwei Berufe, in denen sie arbeiten könnte. Entsprechende Möglichkeiten hat sie aber vor Ort nicht; sie bezieht daher Arbeitslosengeld II. Sie kann demnächst vielleicht wieder eine neue Arbeit finden und würde die ehrenamtliche Tätigkeit wieder aufnehmen. Ich zitiere aus einer Pressemitteilung der Bundes-regierung: „Bürgerschaftliches Engagement ist ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft.“ Das Problem aber ist: Diesen Grundpfeiler reißen Sie in dem von mir gerade erwähnten Bereich ein. Er ist aber viel zu wichtig für die Gesellschaft. Bürgerschaftliches Engagement von Langzeitarbeitslosen dürfen Sie nicht weiter diskriminieren. Die Linke fordert, diese Anrechnungspraxis abzuschaffen. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Stephan Mayer ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Von Albert Schweitzer stammt das Zitat: „Das Wenige, das du tun kannst, ist viel.“ Dieses Zitat verdeutlicht, wie wichtig jeder Beitrag für den Zusammenhalt unseres Gemeinwesens und das menschliche Miteinander in Deutschland ist. Mehr als 23 Millionen Bundesbürger folgen in Deutschland diesem Motto und engagieren sich in den unterschiedlichsten Bereichen ehrenamtlich, sei es im sportlichen, kulturellen oder karitativen Bereich, insbesondere aber auch im Bildungsbereich und in vielen Selbsthilfe-gruppen. Der Gesetzentwurf hilft all denjenigen, die sich in Deutschland ehrenamtlich engagieren. Deswegen – das muss ich gestehen – wundert es mich, dass diese Debatte am heutigen Vormittag so kontrovers verläuft. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Dann kennen Sie Ihren Gesetzentwurf nicht!) Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dass Sie sich insgeheim nur darüber ärgern, dass Sie diesen Gesetzentwurf nicht vorgelegt haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Das kommt der -Sache schon näher! – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das ist doch dummes Zeug!) Von dem Gesetzentwurf profitiert jeder vierte Bundesbürger in Deutschland. Ich betone auch: Wenn der Staat einspringen müsste, dann wäre es in keiner Weise finanzierbar. Der Staat wäre völlig überfordert. Ich gehe sogar noch weiter: Es wäre auch nicht richtig, wenn der Staat einspringen würde. Denn die Kreativität, Individualität und auch die breite Vielfalt an Angeboten könnte der Staat nicht so abdecken, wie es die vielen ehrenamtlich Engagierten und die zahllosen Vereine in Deutschland tun. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das einzige Sperrige an dem Gesetzentwurf ist aus meiner Sicht der Name. Er ist zu lang geraten und erklärt sich auch nicht von selbst. Aber der Inhalt des Gesetzentwurfs ist alles andere als sperrig. Es gibt zahllose -Regelungen, die bessere Rahmenbedingungen für das Ehrenamt in Deutschland schaffen. Ich komme gerade von einem parlamentarischen Frühstückstermin mit Ehrenamtlichen vom THW, die im Bereich des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes tätig sind. Ich habe ihnen erzählt, welche Debatte an diesem Plenartag als erste ansteht. Sie waren voll des Lobes über den Inhalt dieses Gesetzentwurfes. Sie haben mir deutlich gemacht – ich glaube, dies gilt es noch einmal herauszustreichen –: Es geht ihnen nicht darum, 1 oder 2 Euro mehr zu bekommen oder auf 1 oder 2 Euro, die sie zusätzlich bekommen, keine Sozialversicherungsbeiträge oder Steuern zahlen zu müssen. Vielmehr geht es ihnen um die Wertschätzung, um die Anerkennung ihrer Leistung, ihres Engagements. Das ist neben der finanziellen Besserstellung, die durch dieses Gesetz erreicht wird, der zentrale, vielleicht sogar wichtigere Punkt: dass ehrenamtliches Engagement in Deutschland wirklich wertgeschätzt wird. Ich finde es schon schade, wenn zahlreiche Vertreter der Opposition in ihren Reden immer wieder versuchen, das Ehrenamt in Deutschland madig zu machen, (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das hat doch keiner gemacht! Eine Ungeheuerlichkeit!) und darauf verweisen, dass die Situation in anderen -Ländern doch viel besser sei. Wir können auf die ehrenamtliche Kultur, die wir in Deutschland haben, wirklich stolz sein. Das Gesetz, das wir heute in erster Lesung -beraten, verstärkt und verbessert diese ehrenamtliche Kultur in Zukunft. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es geht vor allem darum, dass man unnötige Bürokratie abbaut. Wenn zum Beispiel die Ehrenamtspauschale von 500 Euro auf 720 Euro erhöht wird, dann ist dies für den Einzelnen zwar kein entscheidender Betrag, aber es -entlastet ihn davon, dass er Quittungen sammeln und aufwendig Einzelabrechnungen anfertigen muss. Er kann dann pauschal einen Entschädigungsbetrag geltend machen und muss nicht erst eigens Nachweise vorlegen. Das entlastet den Übungsleiter, das entlastet das Vorstandsmitglied, das entlastet denjenigen, der ehrenamtlich in einer Selbsthilfegruppe tätig ist. Wir wollen doch, dass die Bürgerinnen und Bürger sich ihrem ehrenamtlichen Engagement zuwenden und ihre Zeit nicht am Schreibtisch verbringen. (Beifall der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Es geht auch darum, dass wir uns Gedanken darüber machen, in welchen Bereichen man vielleicht das eine oder andere noch verbessern könnte. Allerdings: Immer nur von einer Verbesserung der Anerkennungskultur für ehrenamtliches Engagement in Deutschland zu reden, ist mir persönlich zu wenig. Jeder von uns kennt es: In Sonntagsreden wird wohlfeil über die Bedeutung ehrenamtlichen Engagements gesprochen. Es geht jetzt in der konkreten Gesetzesarbeit darum, wirklich Hand anzu-legen. Ich bin schon der Meinung, dass man das eine oder andere über diesen Gesetzentwurf hinaus verbessern kann. Ich denke zum Beispiel daran, dass Schiedsrichter oder Kampfrichter jedes Wochenende viele Stunden in Turnhallen und auf Sportplätzen verbringen, ohne dass sie in § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes einbe-zogen sind. Da ist meines Erachtens noch Verbesserungsbedarf gegeben. (Beifall des Abg. Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]) Die Begründung dafür, dass das bisher nicht so war, ist, dass nur pädagogisch ausgerichtete Tätigkeiten unter diesen Paragrafen fallen. Meines Erachtens ist die -Arbeit, die ein Schiedsrichter oder ein Kampfrichter erbringt, in disziplinarischer, pädagogischer Hinsicht für junge Menschen vielleicht wertvoller als die manches Übungsleiters. Angesichts dessen, wie sich manche Schiedsrichter und Kampfrichter behandeln lassen müssen – sie werden nicht nur ausgepfiffen und angepöbelt, sondern teilweise sogar auch tätlich angegriffen –, (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Darüber müssen wir reden!) wäre es nur recht und billig, die Kampf- und die Schiedsrichter genauso zu behandeln wie die Übungsleiter. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Auch die Schiedsrichterinnen natürlich!) Was mir persönlich in Gesprächen mit ehrenamtlich Engagierten oder potenziell Willigen auffällt, ist, dass sie sagen: Na ja, aber dann stehe ich doch mit einem Bein schon im Gefängnis. Ich habe ohnehin das Problem, meiner Familie erklären zu müssen, dass ich meine Freizeit nicht bei ihr verbringe, sondern sie für Mitmenschen opfere, indem ich etwa auf dem Sportplatz bin, die Kinder zum Training, zu den Auswärtsspielen fahre, die Trikots wasche. Dabei kann immer einmal -etwas passieren, was mir möglicherweise zum Vorwurf gemacht wird. – Insofern ist es ein sehr sinnstiftender und auch sehr zielgerichteter Ansatz, den Haftungsmaßstab für ehrenamtlich Tätige zu reduzieren. In Zukunft wird es neben § 31 a den § 31 b im BGB geben, durch den sämtliche ehrenamtlich Tätigen von der Haftung ausgenommen werden – außer wenn natürlich Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorliegt. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Nur zivilrechtlich, mein Lieber! Nicht strafrechtlich!) Ich glaube, dass dadurch konkret sehr viele Hemmschwellen für viele Willige abgebaut würden, die an sich bereit wären, sich ehrenamtlich zu engagieren, dies aber aufgrund der bisher sehr strengen Haftungsmaßstäbe nicht getan haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, insgesamt ist dies wirklich ein Gesetzentwurf, der sich sehen lassen kann. Er wird im Bereich des Ehrenamts durchaus auf große Anerkennung stoßen. Es ist richtig, dass man für Sportvereine, die im Zweckbetrieb Veranstaltungen durchführen, den Freibetrag von 35 000 Euro auf 45 000 Euro erhöht. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum? Erklären Sie das mal!) Dies ist sachgerecht und zielgerichtet, weil es immer wieder Veranstaltungen gibt, für die die bisherige Grenze von 35 000 Euro nicht ausreicht. Deswegen würde es mich wirklich freuen – das sage ich abschließend –, wenn die Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition diesem Gesetzentwurf nicht so apodiktisch negativ gegenüberstünden. Auch wenn es nicht Ihre Erfindung ist, meine Damen und Herren: Begleiten Sie uns positiv und konstruktiv auf diesem Weg! Mit diesem Gesetzentwurf wird das Ehrenamt in Deutschland ganz konkret gestärkt und verbessert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort der Kollegin Ute Kumpf für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ute Kumpf (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege von Stetten und lieber Kollege Mayer, wir nehmen die Einladung gern an, dieses Gesetz in der Beratung positiv zu begleiten, um zu erreichen, dass es zu einem Meilenstein in der Reform des Gemeinnützigkeitsrechts wird, wie wir das 2007 mit dem Gesetz „Hilfen für Helfer“ geleistet haben. (Beifall bei der SPD) Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass da einiges offengeblieben ist. Sie kennen auch das, was all die Verbände, Organisationen, Vereine und Initiativen sagen: Was damals, 2007, noch nicht geregelt worden ist, das muss jetzt geregelt werden. – Es geht da oft gar nicht so sehr um das Geld; es geht vor allem um strukturelle Verbesserungen, es geht um Vereinfachungen, (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das, was wir jetzt machen!) es geht tatsächlich um den Abbau von Bürokratie. Dieser Katalog ist Ihnen bekannt. Im Koalitionsvertrag ist auch angekündigt worden, dass die Regierung einen Gesetzentwurf vorlegen wird, der zur Entbürokratisierung beiträgt. Ist der vorliegende Gesetzentwurf jetzt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung, also auch des Finanzministeriums? Das Finanzministerium ist, glaube ich, gar nicht vertreten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch! Doch!) – Es ist aber nicht politisch vertreten. (Marco Buschmann [FDP]: Wenn das die einzige Kritik an dem Gesetz ist!) Lieber Kollege Kauder, Steinbrück hat damals da gesessen. Er hat sogar geredet. Wo ist Herr Schäuble? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Frau Kollegin, er ist entschuldigt! Die Geschäftsführer haben es akzeptiert! So geht das nicht!) Oder wo ist wenigstens der Parlamentarische Staatssekretär? Es geht hier um die Wertigkeit, die dadurch zum Ausdruck kommt. Ich finde, Loben ist wichtig – das tun wir auch –, aber Lob wird zur Lobhudelei, wenn die Schwachstellen, die in diesem Gesetz sind, nicht beseitigt werden. Es ist unsere Aufgabe, in diesem Parlament ein besseres Gesetz auf den Weg zu bringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir stehen mit dieser Kritik und mit dieser Anmerkung nicht allein da. 2010 hat das Nationale Forum für Engagement und Partizipation einen Katalog erarbeitet, auch mit Unterstützung aus dem Ministerium. Das Bündnis für Gemeinnützigkeit hat aus diesem Katalog eine Synopse zusammengestellt, aus der sich ergibt, -inwieweit Regelungen noch notwendig sind. Das alles ist Ihnen bekannt, aber leider sind diese Vorschläge, die sich nicht unbedingt in der Erhöhung der Übungsleiterpauschale oder der Ehrenamtspauschale erschöpfen, nur unzureichend aufgegriffen worden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist, denke ich, unsere Aufgabe, diese Vorschläge aus der Bürgergesellschaft, aus der Zivilgesellschaft mit einzubinden. Was die Menschen sowie die Organisationen und Vereine irritiert hat: Normalerweise ist es so, dass zu -einem Gesetzentwurf, der von der Bundesregierung vorgelegt wird, eine Voranhörung der Verbände stattfindet. Eine solche Anhörung hat es hier nicht gegeben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Alle wurden davon überrascht. Es war auch unklar: Ist der Bundesrat von Anfang an dabei oder nicht? Auf -einmal heißt es: Der Bundesrat soll doch dabei sein. – Dieses Gesetz ist zustimmungsbedürftig. Sie brauchen auch die Zustimmung der Länder. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ja, klar!) Es ist doch wichtig, bei diesem zentralen Thema die -Zustimmung der Zivilgesellschaft und auch die des -Bundesrates von Anfang an zu organisieren. Deswegen bitte ich Sie, eine entsprechende Klarstellung zu liefern. Der Gesetzentwurf wird von Ihnen ja so gelobt. Ich finde es gut, dass er da ist. So können wir weiter daran stricken und ihn sozusagen zu einem wirklich wohlgenährten Kind machen – mit unserer Unterstützung und, wie ich denke, auch mit Unterstützung der Grünen sowie der Linken. Wir alle werden daran arbeiten, dass es tatsächlich ein herausragender Meilenstein wird. Aber nun zur Reaktion der Organisationen auf Ihren Gesetzentwurf. Es gibt Kritik. Sie wissen ganz genau, dass die Verbände ein bisschen zurückhaltend sind, weil sie wissen, dass sie von verschiedenen Häusern zum Teil finanziell abhängig sind. Olaf Zimmermann hat gesagt: Ein bisschen Butter bei die Fische wäre vielleicht nicht schlecht. – Wir können die Butter liefern. Frau Fehres aus dem Sportbereich hat kritisch angemerkt, dass die Erhöhung der Übungsleiterpauschale zwar ganz gut ist, aber dass der Punkt Stärkung des bürgerschaftlichen -Engagements wieder nicht die notwendige Beachtung findet. Auch Herr Fleisch vom Bundesverband Deutscher Stiftungen hat darauf verwiesen, dass es nicht nur darum geht, Stiftungen zu bedienen. Die Stiftungen werden in dem Gesetz gut bedient. Wir müssen noch einmal genau hinschauen, ob die Regelungen auf einem guten Weg sind. Aber Herr Fleisch hat darum geworben, dass auch alle anderen ehrenamtlich tätigen Menschen von diesem Gesetz profitieren. Es ist unsere Aufgabe, entsprechend dafür zu sorgen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie wissen selbst: Auch Sie als Regierungsfraktionen stehen im Wort. Es gibt in Ihrem Gesetzentwurf den Teil der Begründung – dazu werde ich noch etwas sagen, weil auch dieser Teil sehr problematisch ist –, und es gibt einen Engagementbericht. Sie selber reden davon, dass die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement verbessert werden können, wobei sich Ihre Definition von Rahmenbedingungen und Infrastruktur oft auf die Vereine beschränkt. Aber auch für die Vereine tun Sie in diesem Gesetz schlichtweg zu wenig: Sie werden nicht von Bürokratie entlastet. Es wird zu wenig getan, um Klarheit zu schaffen, zum Beispiel bei Umsatzsteuerfragen. Es wird in diesem Gesetz zu wenig getan, die Weichen so zu stellen, dass bei einer Insolvenz eines Spenders die gespendeten Gelder nicht mehr zurückgefordert werden können. Eine ganze Latte von Fragen ist hier nicht beantwortet worden, die wir im Laufe der Beratungen vonseiten der SPD ansprechen werden. Dazu gehört – ich möchte das an dieser Stelle sagen; dies ist ein wichtiger Punkt, den wir seit fünf Jahren vor uns herschieben; er beruht auf dem Gesetz von 2007 –: Die Klarstellung zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements (Beifall der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) muss als eigenständiger Zweck anerkannt werden. Das ist eine Forderung aller Verbände. Dafür müssen wir Sorge tragen. (Zuruf von der CDU/CSU) – Ich weiß, ich war bei den Verhandlungen dabei. Ich weiß, woher das rührt. Da bin ich nicht außen vor. Wir hatten damals mehr gefordert, mehr gewünscht. Jetzt ist es die Aufgabe, dies tatsächlich zu leisten. Es fehlt auch eine Klarstellung, dass die öffentlichen Zuschüsse, die die Vereine bekommen, tatsächlich umsatzsteuerfrei gestellt werden. Dies ist ein großes Thema, das gerade kleine Vereine beschäftigt, die eine entsprechende Unterstützung bekommen. Sie loben ja den Sport rauf und runter. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass im Sportbereich durch Strukturveränderungen, durch Fusionen ein großes Problem bei der Grunderwerbsteuer entsteht. Dies ist nicht geregelt. Einige Fusionen werden nicht durchgeführt, weil dem steuerliche Hemmnisse entgegenstehen. (Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ihr habt in Baden-Württemberg die Grunderwerbsteuer erhöht!) Manche Städte – Stuttgart macht es –, die reichen Städte, helfen dann den Sportvereinen. Aber nicht alle Städte sind reich, also muss auch hier eine ganz klare Regelung getroffen werden. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nachdem ihr die Grunderwerbsteuer dramatisch erhöht habt in Baden-Württemberg!) – Kollege Kauder, lassen Sie doch die Nebenkriegsschauplätze. Dies interessiert mich an dieser Stelle überhaupt nicht. Ich will den Vereinen helfen und hier keine Polemiken hören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zum Schluss einige kritische Anmerkungen. Ähnlich hat es die Kollegin von der Linken gesehen; auch die Kollegin Paus hat es angeführt. Es geht um Ihren Begriff des Engagements in der Begründung in diesem Gesetzentwurf. In der Enquete-Kommission waren wir uns einig: Engagement ist freiwillig, (Petra Hinz [Essen] [SPD]: So ist es!) kann nicht verordnet werden, muss eigensinnig sein und darf nicht dazu führen, dass man hier einen kleinen dritten oder vierten grauen Arbeitsmarkt aufbaut. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es darf vor allem nicht sein, dass Engagierte zu Lückenbüßern funktionalisiert werden. Die Leute spüren das, sind sauer und sagen: Da machen wir nicht mehr mit. – Daher ist es unsere Pflicht und Notwendigkeit, dafür zu sorgen, dass solche Begrifflichkeiten, die Sie in Ihrer Begründung verwenden, gestrichen werden. Die Alarmglocken schrillen vor allem bei den Engagierten ganz heftig, da in Ihrem Ersten Engagementbericht eine Definition von bürgerschaftlichem Engagement auftaucht, die so moralisierend und ideologieüberfrachtet ist, dass alle fragen: Was soll das sein? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dort wird auf einmal von der Freiwilligkeit in der Mitverantwortung gesprochen. Die Leute sagen: Wir waren in der Finanzkrise verantwortlich. Wir haben in unserem Engagement nicht nachgelassen. Wir haben im Gegensatz zu den Unternehmen die Verantwortung mitgetragen. Wo ist die Verantwortung der Unternehmen in diesem Sektor? Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Ute Kumpf (SPD): Hier stellt sich für mich die Frage: Wo ist die Verantwortung der Bundesregierung, sich diesem Thema zu stellen und dieses Gesetz positiv zu begleiten. Einen -dicken Gruß und eine aufrichtige Einladung an die Bundesregierung – – Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin, mit den Grüßen sollte man anfangen, weil am Ende dafür keine Zeit mehr ist. Ute Kumpf (SPD): Gut. – Aber ich wollte gerade noch den Finanzminister Schäuble einladen, dass er auf unserer Seite ist, wenn es darum geht, Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Danke schön. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Reinhard Grindel das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerne will ich die versöhnliche Art der Diskussion aufgreifen, die Frau Kumpf hier eingeführt hat. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir es durch Berichterstattergespräche, möglicherweise auch durch Ergänzungen unseres Gesetzentwurfs, hinbekommen, dass sich der vorliegende Entwurf auf eine breite parlamentarische Mehrheit stützen kann. (Beifall des Abg. Dr. Michael Meister [CDU/CSU]) Sie haben zu Recht darauf hingewiesen: Wir brauchen den Bundesrat. Es wäre ein gutes Signal an den Bundesrat, wenn wir hier miteinander festhalten, dass es uns bei diesem Thema nicht um die parteipolitische Auseinandersetzung geht, sondern um das Ehrenamt, vor allen Dingen im Sportbereich. Das ist der gemeinsame Wunsch des Bundestages, und wir würden uns freuen, wenn der Bundesrat dann auch an unserer Seite wäre. Herzlichen Dank für die konstruktive Art der Diskussion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Hinz, ich stimme Ihnen völlig zu: Es wäre nicht in Ordnung, wenn mit unserem Gesetzentwurf einer Tendenz Vorschub geleistet würde, die den Eindruck erweckt, der Staat ziehe sich zurück (Lachen bei Abgeordneten der SPD) und die Vereine müssten diese Lücke ausfüllen. Die Stelle, aus der das Zitat stammt, das Sie und, ich glaube, auch andere Redner gebracht haben, bezieht sich ausschließlich auf den Bereich der Stiftungen; hier müssen wir fair miteinander sein. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das ist nicht der Fall!) – Nein, Frau Schieder. – Auch bei den Kirchen gibt es die Entwicklung, dass sich diese manches nicht mehr leisten können und die Gemeinden dann durch Stiftungen ergänzend tätig werden. Das trifft auch noch auf andere Bereiche zu. Beispielsweise werden für große kulturelle Veranstaltungen in den Kommunen Stiftungen gegründet, und zwar durch Unternehmen, auch durch die örtlichen Stadtwerke. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die zahlen ja auch Vortragshonorare!) Das sind die Bereiche, an die wir denken. Ich bin wie Sie der Auffassung, dass sich der Staat hier nicht der Verantwortung entziehen darf, gerade wenn es um Sportförderung geht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Bochum!) Ich will nur auf eines hinweisen: Durch die Übernahme der Grundsicherung im Alter seitens des Bundes sind die Kommunen finanziell erheblich entlastet. Ich sage Ihnen: Davon profitieren auch die Bereiche Sport und Kultur, weil sonst im Rahmen der freiwilligen Leistungen vielleicht vieles auf den Prüfstand gekommen wäre, jetzt aber die Kommunen neuen Handlungsspielraum haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Insofern haben wir ganz konkret etwas dafür getan, dass sich der Staat nicht aus der Verantwortung zieht. Frau Kunert, Sie haben dem Kollegen Buschmann zu verstehen gegeben, man solle nur über das reden, wovon man Ahnung hat, und haben in diesem Zusammenhang die Feuerwehrrente angesprochen. Ich sage Ihnen: In meinem Wahlkreis lehnen die Feuerwehren diese Rente ab, und zwar nicht nur deshalb, weil das Ganze mit unendlich viel Bürokratie verbunden ist, sondern weil es noch immer zu Situationen kommt, dass einige Feuerwehrleute diese Rente erhalten, andere hingegen nicht. Dann fragen Letztere: Ist denn unsere Leistung für die Feuerwehr weniger wert? Irgendwann macht sich dann der Spaltpilz in diesem ehrenamtlichen Bereich breit. Wenn es dann um Übungen und Einsätze geht, werden einige Betroffene sagen: Lasst doch erst einmal diejenigen fahren, die die Rente bekommen, und nicht die anderen, die über Jahre und Jahrzehnte Dienst geleistet haben, das aber ohne Rente. Wir wollen gerade das Ehrenamt stärken. Deswegen ist es nicht richtig, mit irgendwelchen Leistungen an den unterschiedlichen Stelle letztlich die Arbeit und den Zusammenhalt vor Ort infrage zu stellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich möchte auf Folgendes hinweisen – Frau Hinz hat es bereits angesprochen –: Es geht nicht um einen allgemeinen Steuerbefreiungstatbestand, sondern es geht um Leistungen, die ein Verein Übungsleitern oder sonst wie ehrenamtlich Tätigen gewährt. Diese Betroffenen sollen steuerlich ein bisschen mehr Spielraum bekommen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Darf die Frau Kollegin Kumpf eine Zwischenfrage stellen oder eine Zwischenbemerkung machen? Reinhard Grindel (CDU/CSU): Ja, selbstverständlich. Präsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön. Ute Kumpf (SPD): Herr Kollege Grindel, ist Ihnen bekannt, dass Ihre jetzt vorgesehene Regelung die Feuerwehrleute nicht umfasst, sondern dass sie nur den Sportbereich und die Übungsleiter umfasst, und eben nicht die Hilfeeliten wie Deutsches Rotes Kreuz, THW und Feuerwehr, die aus öffentlichen Kassen bezahlt werden? Reinhard Grindel (CDU/CSU): Frau Kollegin Kumpf, das ist eine Frage der Rechtsanwendung durch die Steuerbehörden bzw. das Finanzamt. (Zurufe von der SPD: Nein, nein!) Wir müssen mit dem Finanzministerium darüber sprechen, welche Rahmenbedingungen wir schaffen können. Ich sage in aller Deutlichkeit: Da es sich um Leistungen des Staates an die Feuerwehrleute handelt und nicht, wie etwa im Sportbereich, um Leistungen von Privaten aus Vereinsbeiträgen, muss man hier nach einer recht-lichen Lösung suchen. Ich bin gerne bereit, im Rahmen der von mir angesprochenen Berichterstattergespräche über diese Frage zu diskutieren. Wir wollen hier das Ehrenamt möglichst breit erreichen. Insofern ist es richtig, dass Sie hier die Vereine besonders hervorgehoben haben und gesagt haben, dass wir mehr tun müssen, um tatsächlich für Entbürokratisierung zu sorgen. Aber, Frau Kollegin Kumpf, gerade deswegen nehmen wir hier eine Erhöhung vor: Sport-liche Veranstaltungen eines Vereins sind zukünftig dann als Zweckbetrieb steuerfrei, wenn die Einnahmen 45 000 Euro nicht übersteigen; bisher liegt die Grenze bei 35 000 Euro. Das ist eine konkrete Entbürokratisierungsmaßnahme für die Vereine. Wir treffen diese Regelung bewusst für den Sportbereich und nicht für den Bereich Essen und Trinken, für die Vereinsgaststätte; denn wir wollen nicht, dass vor Ort die alte Problematik auftritt – DEHOGA hat es immer wieder angesprochen – und die Gaststätten im ländlichen Raum sagen: Hier wird eine Wettbewerbsverzerrung vorgenommen. (Beifall der Abg. Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]) Frau Kollegin Paus, tun Sie mir einen Gefallen und sprechen Sie einmal mit Michael Vesper, dem General-direktor des DOSB, mit dem wir dieses Gesetz natürlich intensiv abgestimmt haben. Was Sie hier zur Frage der Übungsleiter gesagt haben, ist wirklich nicht richtig; Claudia Roth, die hinter Ihnen sitzt, weiß das. Wir haben eine Vielzahl von Programmen, etwa im Fußball, bei denen es darum geht, dass Frauen, zum Beispiel Mädchen mit Migrationshintergrund, als Trainer tätig werden. Die Vorstellung, der Übungsleiter sei ein Mann, während für das Waschen der Trikots die Frauen zuständig seien, entspricht dem Bild der Vereine der 70er-Jahre. So ist es heute wirklich nicht mehr, Frau Kollegin Paus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!) Ein weiteres Kennzeichen des heutigen Ehrenamts: Wir stellen fest, dass das Leisten-Wollen des Ehrenamtlichen gut ist, aber das Können-Müssen hinzukommen muss. Ehrenamtliche sind bewusst keine Profis; aber die Erwartung der Mitglieder ist immer stärker auf eine professionelle Vereinsarbeit gerichtet. Deswegen machen wir jetzt so viel für Übungsleiter. Denn sie sind eben nicht mehr allein für das Training zuständig. Sie leisten einen Beitrag zur Integration und zur Inklusion. Sie müssen sich mit Maßnahmen zur Prävention von sexualisierter Gewalt, Spielsucht, Wettmanipulation und vielem anderen mehr auseinandersetzen. Die Qualität eines Übungsleiters – das belegen sportwissenschaftliche Untersuchungen – entscheidet ganz zentral darüber, ob ein junger Mensch beim Sport bleibt oder ein Drop-out wird und sich anderen Freizeitbetätigungen zuwendet. Deswegen ist es eine richtige Maßnahme, die Übungsleiterpauschale im Sinne einer Anerkennungskultur anzuheben. Die Übungsleiter müssen nicht noch Geld mitbringen, wenn sie ihren Dienst an der Gesellschaft leisten, sondern bedürfen der Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das gilt auch für die ehrenamtlich Tätigen: für den Schiedsrichter, für den Schatzmeister, für denjenigen, der am Wochenende den Platz kreidet oder sich als Öffentlichkeitsreferent um die Homepage kümmert. Ich sage hier ganz klar: Wir wollen vor allen Dingen den Vereinen im Breitensport helfen. Die öffentliche Wahrnehmung ist meines Erachtens zu sehr auf den Spitzensport gerichtet. Große Vereine können sich einen Geschäftsführer leisten. Sie haben Steuerberater und Rechtsanwälte. Sie haben unser Ehrenamtspaket nicht so sehr nötig. Wir richten uns an den Verein um die Ecke, weil wir wissen, dass gute Arbeit an der Basis, im Breitensport, die Voraussetzung ist, um überhaupt gute Erfolge und Spitzenleistungen erreichen zu können. Wir haben eine Einheit des Sports: Ohne eine gute Arbeit in der Breite gibt es keine gute Spitze. Deswegen bringen wir unser Paket auf den Weg. Lassen Sie mich eines klar sagen: Frau Kumpf hat zu Recht angesprochen – auch das gehört dazu –, dass wir die Menschen allein mit diesem Paket nicht dazu bewegen können, ehrenamtlich tätig zu werden. Wir müssen den Menschen deutlich machen, dass ehrenamtliches Engagement eine Bereicherung für ihr eigenes Leben ist, dass man dabei viele Kompetenzen erwirbt, die man auch im Berufsleben nutzen kann. Deshalb müssen Unternehmen ehrenamtliches Engagement fördern. Hier geht es um soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit und Führungsstärke, aber auch um geistige und körperliche Fitness. Viele Unternehmen geben eine Menge Geld aus, um über Schulungsmaßnahmen Fähigkeiten zu vermitteln, die im Verein täglich gelebt werden. Wir müssen gerade jungen Leuten und allen anderen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen, deutlich machen: Der Ehrenamtliche ist nicht der Dumme, er ist der Schlaue. Er muss von uns unterstützt werden. Das tun wir. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Detlef Seif, auch für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Detlef Seif (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Mangel des vorliegenden Gesetzentwurfes wurde angesprochen: Sein Name ist furchtbar, nicht hinnehmbar und bedarf der Änderung. (Ute Kumpf [SPD]: Da muss aber noch ein bisschen was rein! Nicht nur das Etikett!) Wir beraten den Entwurf heute in erster Lesung. Wir alle wissen, dass der Gesetzentwurf in Teilbereichen noch geändert werden kann und auch geändert werden sollte. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das ist das Struck’sche Gesetz!) Bei der Diskussion konnte man in der Tat den Eindruck bekommen, dass es sich um ein Streitthema handelt. Das Versöhnende stelle ich voran: Wir alle schätzen die 23 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, die ehrenamtlich tätig sind. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sind 30 Millionen!) Wir alle wissen, wie wichtig das ehrenamtliche Engagement für die Gesellschaft ist. Wir alle haben ein Interesse daran, das Ehrenamt zu fördern und zu unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) In Bezug auf die Historie ist auf Folgendes hinzuweisen: Im Frühjahr 2011 gab es eine Initiative der Länder Baden-Württemberg und Saarland. Sie betraf einzig und alleine die Einführung eines neuen § 31 b BGB. Es ging darum, eine Haftungserleichterung auch für Mitglieder eines Vereins herbeizuführen, wodurch sie im Prinzip mit den Vorstandsmitgliedern gleichgesetzt werden sollten. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Richtig!) Das haben einige Koalitionspolitiker zum Anlass genommen, zu sagen: Das kann doch nicht wahr sein. Es gibt doch viele andere Bereiche, die ebenfalls geregelt werden müssen. – Deswegen wurde der vorliegende Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Diesen Ansatz sollte man lobend erwähnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Erhöhung der Übungsleiterpauschale von 2 100 auf 2 400 Euro sowie der Ehrenamtspauschale von 500 auf 720 Euro wurden angesprochen. Es handelt sich nicht um eine abzugsfähige Vergütung, sondern um eine Pauschale. Erst wenn diese überschritten wird, kommt die Steuerwirksamkeit zum Tragen. Frau Paus, das sollten Sie zukünftig berücksichtigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Erhöhung der Umsatzgrenze für Sportvereine bei sportlichen Veranstaltungen von 35 000 auf 45 000 Euro im Jahr ist ein Akt der Entbürokratisierung. Andernfalls müssen die Vereine für reine Sportveranstaltungen Aufzeichnungen in erheblichem Umfang durchführen, was die Vereine in der Vergangenheit belastet hat. Vorhin wurde die Frage gestellt: Warum gilt dies nur für Sportvereine und nicht für andere Organisationen? Das betrifft über 70 000 Sportvereine, die rein sportliche Veranstaltungen durchführen. Legen Sie uns im weiteren Verfahren dar, welche anderen Vereine betroffen sind. Sie können davon ausgehen: Wenn es wirklich noch Regelungsbedarf gibt, dann werden wir den Gesetzentwurf entsprechend anpassen. Ihre Ausführungen waren bisher nur abstrakt, Sie haben keine konkreten Fallbeispiele gebracht. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Nein, überhaupt nicht! Ganz konkret!) Die Frist, innerhalb der steuerbegünstigte Körperschaften ihre Mittel verwenden müssen, wird um ein Jahr verlängert. Auch die Wiederbeschaffungsrücklage wird neu geregelt. Dies führt zu einer Entlastung der Vereine, weil sie nicht unter dem Druck stehen, etwas tun zu müssen, nach dem Motto: Wir haben da noch etwas in der Kasse, das muss unbedingt ausgegeben werden. Kaum lag der Gesetzentwurf vor und wurde vom Bundeskabinett beschlossen, wurde auch schon erste Kritik geübt. Frau Kumpf, Sie hatten direkt, wahrscheinlich im Eifer des Gefechts, eine Pressemitteilung herausgegeben. Sie haben unter anderem in Bezug auf § 52 Abgabenordnung kritisiert, dass Engagement insgesamt förderungswürdig sei und nicht nur, wenn bestimmte Zwecke erfüllt würden. (Ute Kumpf [SPD]: Das ist eine alte Forderung, nicht nur von mir, sondern von der Zivilgesellschaft!) – Richtig, das ist eine alte Kamelle. Sie haben eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Die Antwort war: Förderungswürdig sind nur die Tätigkeit und das Engagement, die oder das tatsächlich mildtätig, gemeinnützig oder kirchlich-kulturell ist. Daran ist auch nichts zu ändern. (Ute Kumpf [SPD]: Das muss geändert werden! Sie verstehen es nicht!) Sie haben kritisiert, dass die Vereine in Bezug auf öffentliche Zuschüsse Gefahr liefen, in eine Falle zu tappen. Öffentliche Zuschüsse müssten eindeutig umsatzsteuerfrei gestellt werden. Allgemeine Zuschüsse, das heißt Zuschüsse ohne Gegenleistung, waren und sind umsatzsteuerfrei, und sie werden auch Zukunft umsatzsteuerfrei bleiben. Geht es um die Fälle, in denen der Verein Gegenleistungen vereinbart, kann ich nur empfehlen, eine andere Rechtsgestaltung zu wählen. In den meisten Fällen ist das überhaupt kein Problem. Wir sehen keinen Bedarf, das Gesetz an dieser Stelle neu zu regeln. Die Kritik, die Sie hier und im Vorfeld geübt haben, ist Teil einer regelrechten Neiddebatte. (Zurufe von der SPD: Nein!) Man kann Ihnen wirklich dankbar dafür sein, weil Sie damit zeigen, dass der Gesetzentwurf gut ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Das ist ein bisschen unterirdisch!) Frau Höll, Sie haben gesagt, es würden flexible Rahmenbedingungen eingeführt. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Ich bin nicht Frau Höll – weil Sie mich angucken!) – Sie sind nicht Frau Höll, das weiß ich. Ich gucke Sie aber auch gern an. (Ute Kumpf [SPD]: Männer können sowieso besser gucken!) Frau Höll, Sie haben von flexiblen Rahmenbedingungen gesprochen und gesagt, das Gesetz müsse verbindlich sein. Damit vernebeln Sie natürlich. Das Gesetz ist und bleibt verbindlich, aber durch die Erhöhung der Umsatzgrenze von 35 000 Euro auf 45 000 Euro, durch die Wiederbeschaffungsrücklage, die jetzt geregelt wird, und durch die freie Rücklage, die man ein Jahr länger verwenden kann, sind die Vereine in der Lage, flexibler zu arbeiten. Das ist damit gemeint. Damit ist nicht gemeint, dass wir ein Gesetz haben, das in alle Richtungen zu bewegen und völlig unverbindlich ist. Machen Sie Ihre Vorschläge im Detail. Ich denke, wir alle sind bei diesem Thema sehr engagiert, weil wir wissen, wie wichtig der Einsatz der Menschen in diesem Land ist. Der Kollege Grindel hat es schon gesagt: Es geht nicht darum, dass sich der Staat der Verantwortung entzieht und staatliche Aufgaben überträgt. Das werden wir Koalitionspolitiker sehr sorgfältig beobachten. Wir werden Regelungen entgegenwirken, die etwas anderes wollen. Lassen Sie uns gemeinsam an dem Thema arbeiten. Lassen Sie uns das Ehrenamt gemeinsam nach vorne bringen und es fördern. Lassen Sie uns das Gesetz – vielleicht mit kleinen Änderungen – zügig umsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/11316 und 17/5713 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Hat jemand dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann fängt das Ganze mit großem Einvernehmen an, und die Überweisungen sind so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 f auf: a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Jan Korte, Sevim Da?delen, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Umgang mit der NS-Vergangenheit – Drucksachen 17/4126, 17/8134 – b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Dietmar Bartsch, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE NS-Vergangenheit in Bundesministerien aufklären – Drucksachen 17/3748, 17/9448 – Berichterstattung: Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein) Gabriele Fograscher Dr. Stefan Ruppert Jan Korte Wolfgang Wieland c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Michael Kretschmer, Dr. Hans-Peter Uhl, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der CDU/CSU, der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Siegmund Ehrmann, Angelika Krüger-Leißner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Stefan Ruppert, Patrick Kurth (Kyffhäuser), Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stärken, Rahmenbedingungen verbessern – Die Aufarbeitung der Geschichte der wichtigsten staatlichen Institutionen in Bezug auf die NS-Vergangenheit durch besseren Aktenzugang unterstützen und Bestandsaufnahmen zur Aufarbeitung der frühen Geschichte der Bundesministerien und -behörden sowie der vergleichbaren DDR-Institutionen beauftragen – zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Tom Koenigs, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NS-Vergangenheit von Bundesministerien und Behörden systematisch aufarbeiten – Bestandsaufnahme zur Forschung erstellen – Erinnerungsarbeit koordinieren – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verantwortlichkeit der Bundesregierung für den Umgang des Bundesnachrichtendienstes mit den Fällen Klaus Barbie und Adolf -Eichmann – Drucksachen 17/11001, 17/10068, 17/4586, 17/11260 – Berichterstattung: Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein) Gabriele Fograscher Dr. Stefan Ruppert Jan Korte Dr. Konstantin von Notz d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich regeln – Drucksachen 17/6128, 17/11261 – Berichterstattung: Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein) Kirsten Lühmann Dr. Stefan Ruppert Jan Korte Wolfgang Wieland e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Wolfgang Neškovi?, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten gegen das NS-Regime anerkennen – Drucksachen 17/2201, 17/11262 – Berichterstattung: Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein) Gabriele Fograscher Dr. Stefan Ruppert Jan Korte Wolfgang Wieland f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken – Drucksachen 17/4037, 17/11383 – Berichterstattung: Abgeordnete Detlef Seif Sebastian Edathy Christian Ahrendt Jens Petermann Jerzy Montag Es liegt hierzu ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zu ihrer Großen Anfrage vor. Interfraktionell ist auch für diese Debatte eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. Das findet offenkundig allgemeine Zustimmung und ist damit so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Jan Korte für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute, einen Tag vor dem 9. November, führen wir eine wichtige Debatte, die aktueller denn je ist. Wieso? Vor kurzem wurde bekannt, dass der BND jahrelang den Aufenthaltsort von Adolf Eichmann kannte. Geschehen ist nichts. Klaus Barbie, der Schlächter von Lyon, verantwortlich für 7 591 Deportationen und 4 342 Hinrichtungen, wurde 1966 Informant des BND. Er erhielt 500 DM pro Monat. Carl-Theodor Schütz, ehemaliger SS-Hauptsturmführer, befehligte die Hinrichtung von 335 italienischen Geiseln. Wie gerade bekannt wurde, wurde er hauptamtlicher Abteilungsleiter beim BND. Es hieß, er sei eine charakterlich einwandfreie Persönlichkeit. (Zurufe von der LINKEN: Pfui!) So steht es in seiner Personalakte, die erfreulicherweise einmal nicht geschreddert wurde. In der Antwort auf die Große Anfrage der Linken zum Umgang mit der NS-Vergangenheit sagt die Bundesregierung in ihrer Einleitung – ich darf zitieren –: Bund und Länder haben diese Aufarbeitung von Beginn an … unterstützt. Diese Behauptung ist (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!) absurd. Sie ist wissenschaftlich nicht haltbar, und sie ist im Übrigen politisch fahrlässig und inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN) Die 50er- und 60er-Jahre waren geprägt durch das Schweigen und die große Rückkehr der Täter in Amt und Würden. Ralph Giordano nannte dies: „Der große Frieden mit den Tätern“. Besonders bedauerlich ist gewesen, dass dies von der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen wurde. Die Abwehr und Beendigung der Entnazifizierung war ein wesentlicher Kern der frühen bundesdeutschen Politik – im Hintergrund übrigens gesteuert und vorangetrieben von Leuten wie Werner Best, dem ehemaligen Justiziar im Reichssicherheitshauptamt. Diese „Unfähigkeit zu trauern“, wie es die Mitscherlichs beschrieben haben, beschädigte die demokratische Entwicklung der Bundesrepublik; wir haben auch heute noch mit ihr zu tun. Die Bundesregierung widerspricht sich in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage übrigens selber. Das war eben keine reine Erfolgsgeschichte. Die Bundesregierung listet auf: Ein Bundeskanzler und 26 Bundesminister waren NSDAP-Mitglieder. Noch erhellender ist die Antwort auf diese Frage – ich zitiere sie –: Wie viele Angestellte, Beamte, Mitarbeiter in Institutionen des Bundes sind nach 1949 aufgrund ihrer NS-Vergangenheit aus dem Dienst entlassen worden? Die Antwort der Bundesregierung – Zitat –: Für den Verantwortungsbereich des AA wurden explizit aufgrund ihrer Tätigkeit im „Dritten Reich“ drei Personen aus dem Auswärtigen Dienst entlassen. Drei! Man stelle sich das einmal vor! Wer die Ergebnisse der Studie „Das Amt“ zur Kenntnis genommen hat, weiß, welch verbrecherischen Charakter das Auswärtige Amt hatte. (Beifall bei der LINKEN) Im Bereich des Bundesjustizministeriums wurde eine Person entlassen, und beim BKA wurden ganze drei Personen aufgrund einer NS-Belastung entlassen. Das Fazit ist erschreckend: Offenbar war eine NS-Vergangenheit der Schlüssel, um einen guten Posten in der frühen Bundesrepublik zu bekommen. Noch erschreckender sind die Zahlen, die die Bundesregierung uns zum Thema „Berufsbeamtentum und öffentlicher Dienst“ mit auf den Weg gibt. Der öffentliche Dienst wurde von den Alliierten ja als besonders naziverseucht eingestuft. Deswegen wurden die Beamten dort zu Recht aus Amt und Würden herausgedrängt. Infolge der sogenannten 131er-Regelung des Grundgesetzes – das war ein Kernanliegen der damaligen Politik, insbesondere der Konservativen im damaligen Bundestag – kehrten allerdings alle Berufsbeamten inklusive der Gestapobeamten zurück an die Schaltstellen der jungen Bundesrepublik. Ein paar Zahlen – Stichtag: 1955 –: 77,4 Prozent der Besetzungen im Verteidigungsministerium erfolgten aufgrund der 131er-Regelung; im Vertriebenenministerium waren es 71 Prozent, und im Wirtschaftsministerium waren es 68,3 Prozent. Das Ausmaß des Skandals, dass diese Täter straflos davonkamen, wird erst richtig deutlich, Kollege Kauder, wenn Sie sich die Frage stellen: Wie hat es eigentlich auf die Emigranten und die Opfer gewirkt, dass die Täter wieder in Amt und Würden kamen? Der Historiker Norbert Frei sagt zur 131er-Regelung kurz, knapp und richtig: Die Hitler den Staat gemacht hatten – kaum zehn Jahre später waren sie, soweit nicht in Pension, fast alle wieder in Amt und Würden. Das sollte auch Sie aufregen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Jetzt sagen Sie bestimmt: Das ist vielleicht alles richtig, aber trotzdem war es eine demokratische Erfolgsgeschichte. Das war es aber leider nicht; denn die Nazirichter waren nicht nur zurück, sondern sie prägten natürlich auch die Rechtsprechung in diesem Land. Die Rechtsprechung wurde eben nicht geprägt von Leuten wie Fritz Bauer oder Ernst Fraenkel, der den Nationalsozialismus trefflich als System „bürokratisierter Rechtlosigkeit“ analysierte. Ich will das konkret belegen an der Gehilfenrechtsprechung: Der Kommandeur der Einsatzgruppe 8, der die Ermordung von 15 000 Juden befohlen und eigenhändig mit geschossen hatte, wurde als Gehilfe, nicht als Täter verurteilt. Der Adjutant von Auschwitz, der selber an Selektionen teilnahm, wurde nicht als Täter, sondern als Gehilfe verurteilt. Die Faustformel in der frühen Bundesrepublik war: Je größer die Zahl der Ermordeten und je monströser die Tat gewesen ist, umso geringer die Strafe. Es muss uns doch umtreiben, dass das bis heute nicht vollständig aufgearbeitet ist. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Iris Gleicke [SPD]) Die Folgen sind bekannt. Deswegen muss es jetzt darum gehen, alles offenzulegen. Ich kann nicht verstehen, dass die Bundesregierung in einer Drucksache zur Aufarbeitung der Geschichte des Verfassungsschutzes folgende Auflage macht – ich zitiere –: Das BfV begleitet die Drucklegung des Buches – über seine Vergangenheit – und entscheidet über presseöffentliche Maßnahmen zu seiner Bewerbung. Während der Projektphase verzichtet der Projektnehmer – also die Wissenschaftler – auf die Veröffentlichung von Teilergebnissen des Projekts und auf öffentlichkeitswirksame Stellungnahmen zum Projekt, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja, Freiheit der Wissenschaft!) sofern letztere nicht mit der Projektleitung im BfV abgesprochen oder von dieser ausdrücklich gewünscht sind. Das ist Zensur. Das ist der Sache nicht angemessen. Hier müssen wir dringend etwas ändern. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ganz kurz noch zu dem Antrag von CDU/CSU, FDP und bedauerlicherweise auch SPD. Es stehen sicherlich einige richtige Sachen in diesem Antrag, zum Beispiel die Forderung, ein forschungsfreundliches Klima zu schaffen. Dort steht auch, „dass im Westteil Deutschlands und Berlins der Aufbau einer stabilen freiheitlich-demokratischen und sozial-marktwirtschaftlichen Ordnung früh gelungen ist“ – Zitat Ende –, das ist zum Teil richtig. Aber es fehlt etwas, nämlich ein Hinweis darauf, wie zum Beispiel mit Willy Brandt oder Fritz Bauer in der frühen Bundesrepublik umgegangen worden ist. Wie kann man als SPD so etwas unterschreiben? Das kann ich nicht verstehen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte auf einen weiteren Aspekt eingehen. Wir haben einen Antrag zur Anerkennung des Widerstandes der Kommunistinnen und Kommunisten eingebracht. Wir wissen aus der Geschichte, dass es im Zuge eines wirklich maßlosen Antikommunismus Vorgänge gegeben hat, die heute nicht mehr akzeptabel sind. Durch das Bundesentschädigungsgesetz wurden kommunistischen Widerstandskämpfern, die zum Teil jahrelang im Konzentrationslager gesessen haben, in den 50er- und 60er-Jahren ihre Anerkennung und Würde genommen. Außerdem wurde damit natürlich auch die Unrechtsprechung gegenüber kommunistischen Widerstandskämpfern im Nachhinein legitimiert. Wir möchten mit unserem Antrag auf diese Fehlentwicklung aufmerksam machen. Wir wollen, dass auch heute der Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten vom Bundestag anerkannt wird, so wie es Richard von Weizsäcker übrigens schon 1985 eingefordert hat. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Widerstand an der Mauer! Schießbefehl! – Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So etwas zu vergleichen! Schämen Sie sich nicht?) Der Spiegel schreibt – ich darf zitieren –: Die Zahl der zwischen 1951 und 1968 gefällten Urteile gegen Kommunisten lag fast siebenmal so hoch wie die gegen NS-Täter – obwohl die Nazis Millionen Menschen ermordet hatten, während man westdeutschen Kommunisten politische Straftaten wie Landesverrat vorwarf. Das kann doch nicht die letzte Position sein! Es gibt eine Unteilbarkeit des Widerstandes, und zwar vom sozialdemokratischen und kommunistischen Widerstand der Arbeiterbewegung bis zum Widerstand vom 20. Juli 1944. Dem können sich jetzt endlich auch die Konservativen beugen, indem sie diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Kenntnis nehmen und den Widerstandskämpfern ihre Würde zurückzugeben. (Beifall bei der LINKEN) Ich fasse zusammen: Ich glaube, der Bundestag, die Bundesregierung und die Öffentlichkeit sollten nun da-rangehen, die Aufarbeitung der „zweiten Schuld“, wie sie Ralph Giordano genannt hat, entschlossen anzugehen, und zwar ohne Verzögerung und ohne Reglementierung. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Stasi-Unterlagen-Gesetz! ) Wir sollten darüber nachdenken, wie diese Vorgänge auf die Opfer gewirkt haben. Ich will deutlich sagen: Wir müssen auch über politische Verantwortung reden, auch ganz aktuell, und beispielsweise die Frage beantworten: Wer trägt die politische Verantwortung dafür, dass im Jahre 1996 und im Jahre 2007 beim BND Akten über die NS-Verstrickungen zum Fall Alois Brunner geschreddert worden sind? Das muss uns als Parlamentarier alle gemeinsam umtreiben! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sollten heute auch der Minderheiten gedenken – zu ihnen gehörten unter anderem Fritz Bauer, Martin -Niemöller, Eugen Kogon und Gustav Heinemann –, die in der Bundesrepublik damals sehr alleine gestanden haben. Ihnen sollten der Dank und die Anerkennung des ganzen Bundestages gelten. Sie haben nämlich vieles sehr viel früher erkannt als einige andere. Zum Schluss möchte ich ein Zitat vortragen. 1999 sagte Joachim Perels, ein bekannter Politikwissenschaftler und Sohn von Friedrich Justus Perels – er war einer der Widerständler vom 20. Juli 1944 und Justiziar der Bekennenden Kirche –: Es ist an der Zeit, sich der Erkenntnisse der überwiegend misslungenen Aufarbeitung des nationalsozialistischen Schreckenssystems in der jungen Bundesrepublik zu stellen. Die kritische Reflexion dieser großen Blockierung gehört zur Selbstfindung unserer rechtsstaatlichen Demokratie. Dem ist nichts hinzuzufügen. Ich hoffe auf große Zustimmung zu den heute vorliegenden Anträgen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Armin Schuster. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Korte, welches Geschichtsbild versuchen Sie uns eigentlich zu vermitteln? Ich möchte nicht polemisch werden; aber diese Frage drängt sich einfach auf: Wie kommen Sie nach so vielen gemeinsamen Jahren auf die Idee, in Ihrer Rede ausschließlich zu fragen: „Wie hat sich die nationalsozialistische Gewaltherrschaft auf die junge Bundesrepublik ausgewirkt?“ (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es in der Debatte! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage!) Was soll denn das? So sahen DDR-Geschichtsbücher aus; aber wir befinden uns im Jahr 2012. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Logisch!) Wir möchten mit unserem Antrag erreichen, dass die Geschichte in ganz Deutschland aufgearbeitet wird. Wir dürfen nicht nur die Frage stellen: „Wie war es in der jungen Bundesrepublik?“, wir müssen auch vergleichen: „Wie war es in der DDR?“ Eine einseitige Betrachtung wie in den Geschichtsbüchern der DDR bringt uns nichts. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, zwischen 1933 und 1945 ist unendliches Leid von deutschem Boden ausgegangen: (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von Deutschen, nicht vom deutschen Boden!) Menschen wurden planmäßig und in nie dagewesenem Umfang vernichtet, Andersdenkende gnadenlos verfolgt. Der Zweite Weltkrieg hat Europa weitgehend verwüstet. Mit nicht enden wollender Akribie vernichteten Hitler und seine Gefolgsleute – hinter ihnen eine jubelnde Masse und zahllose Helfershelfer – einen Großteil des deutschen Judentums. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Des europäischen Judentums!) Spätestens seit den 68ern treibt unsere Gesellschaft die Frage um: Wer waren diese Menschen, wie haben sie nach dem Ende der NS-Herrschaft weitergelebt, und, vor allen Dingen: wo haben sie gearbeitet? Immerhin war die Nachkriegsverwaltung in beiden Teilen Deutschlands auf Personal mit Verwaltungserfahrung angewiesen, und ein irgendwie funktionierender Verwaltungs-apparat stand schließlich zur Verfügung. Es gibt viele rationale und irrationale Gründe dafür, warum wahrscheinlich viele NS-belastete Personen, Menschen mit schwerer Schuld, in der Exekutive der neu gegründeten Bundesrepublik und in der DDR die Geschicke des Landes geführt haben. Dies zu erklären oder gar zu entschuldigen, ist gar nicht Gegenstand dieser Debatte, meine Damen und Herren. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) Wir beschäftigen uns mit der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, gerade nicht!) sowie mit der Zeit davor und danach. Bis heute gibt es viele gefragte Forschungsgebiete, die diese Zeit zum Gegenstand haben. (Karin Binder [DIE LINKE]: Wo leben Sie, Herr Kollege?) Es gibt unzählige Publikationen. Viele Bereiche sind gut erforscht. Trotzdem ist das Interesse der Wissenschaftler – glücklicherweise – ungebrochen. Neue Aspekte, neue Fragestellungen kommen immer wieder auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zwei deutsche Staaten gegründet, die mit einem schweren Erbe umgehen mussten. Wie die alten Eliten in beiden Teilen inte-griert wurden, lässt sich vor allem anhand von Archivbeständen des Bundes näher beleuchten. Auch die Rolle der Alliierten auf diesem Feld könnte weiter erforscht werden. Für uns, Herr Korte, ist vor allem die Frage spannend, wie und warum sich in der Bundesrepublik Institutionen und Eliten mit all diesen Kontinuitäten in Politik und Verwaltung im Vergleich zur DDR so unterschiedlich entwickeln konnten und warum sich bei ähnlichen personellen Voraussetzungen auf der einen Seite der Mauer ein funktionierender demokratischer Rechtsstaat, die Bundesrepublik, entwickeln konnte, auf der anderen aber nicht – ich will nicht sagen: das Gegenteil. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Eine spannende Frage ist zum Beispiel: Kommt dem Bundesverfassungsgericht für die Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der Bundesrepublik eventuell eine entscheidende Bedeutung zu? Das alles gilt es noch zu untersuchen. Deshalb zielen wir in unserem Antrag darauf ab, dass zum Beispiel auch die Akten zu Abwägungsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen leichter zugänglich werden. Rein quantitative Fragestellungen wie in Ihrer Großen Anfrage, meine Damen und Herren von den Linken, greifen aus meiner Sicht zu kurz. Die NSDAP-Mitgliedschaft eines Beamten beispielsweise ist nur bedingt aussagekräftig. (Lachen der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Art und Schwere der Verstrickung sollten im Einzelfall untersucht werden. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Güte!) Einzelfallprüfungen sind aufwendig und erweisen sich aufgrund lückenhafter Aktenbestände oft als schwierig. Aber wenn die Verstrickung eines Beamten festgestellt wurde, kann man auch die Frage stellen: Inwiefern hat sie Einfluss auf seine Arbeit und auf seine Entscheidungen gehabt? Eine methodische Herangehensweise zur Lösung dieser Fragen wollen wir nicht vorgeben. Das gehört zur Forschungsfreiheit, die wir auf jeden Fall bewahren wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir sehen unsere Aufgabe darin, die Rahmenbedingungen für die Forschung zu verbessern, Archivbestände zu sichern und weitere Akten in die Hände des Bundesarchivs zu geben. Die Wissenschaftler sollen in Deutschland ein forschungsfreundliches Klima in den Behörden vorfinden. Wir brauchen dafür nicht eine staatlich gesteuerte Auftragsforschung, wie Sie sie in Ihrem Antrag fordern. Wer den Wissenschaftlern Fragestellungen vorgibt, greift nicht nur in deren Freiheit ein, sondern deutet und begrenzt. Das ist genau das, was Sie gerade eben in Ihrer Rede auch getan haben. Wir konzentrieren uns darauf, dem einzelnen Wissenschaftler bessere Rahmenbedingungen bei der Akteneinsicht und der Sicherung der Akten zu bieten. Sein Forschungsobjekt, seine Methoden, seine Quellen und seine Fragestellungen sollte er selbst wählen können. Damit können auch seine Ergebnisse in einem sachlich neutralen Umfeld diskutiert werden, ohne sofort politisch bewertet zu werden. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau, „ohne … politisch bewertet zu werden“! Darum geht es!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Schuster, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Korte? Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Ja. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Korte. Jan Korte (DIE LINKE): Kollege Schuster, ich habe dazu eine ganz konkrete Frage. Sie unterstellen hier sozusagen, dass die Opposition staatliche Auftragsarbeit will und die Forschungsfreiheit nicht ernst nimmt. Deshalb möchte ich Sie fragen: Wie schätzen Sie die Studie Das Amt und die Vergangenheit oder die Studie zum BKA ein? Sie zu erstellen, waren ja politische Entscheidungen, die von der rot-grünen Regierung auf den Weg gebracht wurden, aber auch von Ihren Regierungen weiter getragen wurden. (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Unabhängige Kommission!) Was ist das denn dann, bitte schön? (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Unabhängige Kommission!) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Wir haben in – ich glaube – fünf Ministerien unabhängige Historikerkommissionen eingesetzt, deren Arbeit schon abgeschlossen ist. In mindestens einem Ministerium und zwei Behörden laufen gerade die Arbeiten unabhängiger Historikerkommissionen. Mit unserem Antrag gehen wir der Frage nach, die Sie jetzt stellen: Haben wir in Wirklichkeit alles erforscht? Unser Antrag soll zu einer reinen Bestandsaufnahme führen. Wir überprüfen uns quasi noch einmal selbst. Waren diese unabhängigen Historikerkommissionen richtig eingesetzt? Haben sie die richtigen Fragen beantwortet? Gibt es weitere zu stellen? Insofern sehe ich überhaupt keinen Grund, anzunehmen, dass wir da etwas falsch gemacht hätten. Allein das Wort „unabhängig“ erklärt doch schon alles. Im Übrigen wird der Fall Barbie/Eichmann, den Sie ansprechen, durch eine unabhängige Historikerkommission, die im BND arbeitet, gerade bearbeitet. Es gibt nicht die geringsten Zweifel daran, dass alle Akten, die verfügbar sind, dieser Kommission zur Verfügung gestellt werden, (Karin Binder [DIE LINKE]: „Dieser Kommission“, genau! Wem nicht?) sodass die Kommission diesen Fall glasklar aufarbeiten kann. Insofern weiß ich gar nicht, was Sie mir mit Ihrer Frage sagen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Das, was Sie vortragen, war fachlich nicht gut! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abgelehnt haben Sie unseren Antrag dazu!) – Macht nichts, Frau Roth. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist man gewöhnt!) – Ja, Sie kommen ja aus dem gleichen Ländle. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das passt schon!) Um bei dem Thema Akteneinsicht zu bleiben: Einigen, hoffentlich wenigen, hier in diesem Haus ist nach wie vor nicht klar, warum wir nicht jede Akte für jedermann jederzeit zugänglich machen. „VS“ heißt „Verschlusssache“, etwas, das unter Verschluss bleibt und der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden soll. Dies geschieht im öffentlichen Interesse und dient vor allem der inneren Sicherheit. Gerade weil Deutschland beispielsweise bevorzugtes Spionageziel ist, brauchen wir die Verschlusssachenklassifizierung. Wir wollen damit verhindern, das extremistische und kriminelle Organisationen zu viel über die Bekämpfungsstrategien unserer Sicherheitsorgane erfahren. (Jan Korte [DIE LINKE]: Mit NS-Leuten oder was? So was kann doch nicht wahr sein!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Schuster, jetzt würde gerne der Kollege Beck eine Zwischenfrage stellen. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Nein. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nein, keine Zwischenfrage mehr. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Ich führe zu Ende. – Vertraulichkeit ist in manchen Lebenssituationen unerlässlich und eben auch im staat-lichen Handeln manchmal notwendig. Klar muss aber auch sein, dass nur die Vorgänge den Stempel „VS“ erhalten, bei denen er wirklich sinnvoll ist. Herr Korte, in Ihrem Antrag zur Deklassifizierung beklagen Sie, dass das Bundesministerium des Innern eine Verwaltungsvorschrift über Verschlusssachen so verändert habe, dass keine automatische Freigabe mehr erfolge. Das ist nicht richtig. Im Jahr 2009 hat das Kabinett Eckpunkte beschlossen, nach denen Verschlusssachen innerhalb festgelegter Zeiträume hinsichtlich ihrer Offenlegung zu prüfen sind. Die Regelung sieht vor – jetzt komme ich einmal zum Einzelnen –, dass bis zum Januar 2013 die Geheimakten aus den Jahren 1949 bis 1959 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Dokumente aus der Zeit bis 1994 sollen dann schrittweise bis 2025 freigegeben werden, danach jährlich drei weitere Jahrgänge. Für die Akten ab 1995 gilt eine Sperrfrist von 30 Jahren. Das ist aus meiner Sicht gut und gangbar. Es ist natürlich nicht die Forderung, die Sie erheben: automatische Deklassifizierungen von Verschlusssachen nach 20 Jahren. Ein Beispiel: Vor knapp 20 Jahren hat der Antiterroreinsatz der GSG 9 in Bad Kleinen stattgefunden; Sie denken an Grams und Hogefeld. Das war vor knapp 20 Jahren, so schnell geht das. Auch heute noch ließen sich aus den Unterlagen, würden wir diese jetzt deklassifizieren, wertvolle Rückschlüsse auf die Einsatzverfahren von Ermittlungen und Einsatzkräften der GSG 9 -ziehen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das wäre auch richtig!) Es kann doch nicht in unserem Interesse und auch nicht im Interesse der inneren Sicherheit sein, dass wir so -etwas jetzt öffentlich zugänglich machen. (Zurufe von der LINKEN: Doch!) – Ja, bei Ihnen kann ich mir das gut vorstellen. – In-sofern ist die von Ihnen beantragte automatische Deklassifizierung sicherheitsfachlich kaum nachvollziehbar, vielleicht sogar ein bisschen weltfremd. Unbestritten ist dagegen, dass wir die Quellen zur -Erforschung der NS-Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten sichern und zugänglich machen. In einem intensiven Austausch mit den Kollegen von der SPD -haben wir Koalitionsabgeordnete über Monate hinweg darum gerungen, wie die Forschung zur NS-Vergangenheit in den Behörden der Bundesrepublik und der DDR weiter forciert werden kann. Die Sachverständigen haben in der Anhörung Anfang dieses Jahres empfohlen, die Anpassungsfähigkeit von Eliten zu erforschen. Deshalb wollen wir zunächst eine fundierte Bestandsaufnahme. Immerhin gibt und gab es in vielen Ministerien und Behörden bereits die angesprochenen Historikerkommissionen. Das Institut für Zeit-geschichte München-Berlin und das Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam sollen ermitteln, wie weit die Forschung in diesem Bereich ist und wo noch Forschungsbedarf besteht. Ich bin dankbar, dass wir dieses Thema im Einvernehmen mit der SPD gestaltet haben. Mit unserem -Antrag erleichtern wir künftig die Erforschung der NS-Vergangenheit sowie der Kontinuitäten in der DDR und der Bundesrepublik, und wir bewahren gleichzeitig die Forschungsfreiheit. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Antrag. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Volker Beck vom Bündnis 90/Die Grünen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der -Kollege hat gerade über die Frage der Deklassifizierung gesprochen. Ich verstehe das mit den 20 Jahren; das ist etwas pauschal. Aber Sie haben um die Ziffer II des Antrags der Linken herumgeredet. Wir werden auch Teilung der Abstimmung an diesem Punkt beantragen. Da fordert die Linke – und dagegen kann man meines Erachtens nichts einwenden –, dass „sämtliche Unter-lagen, die mittelbar oder unmittelbar im Zusammenhang mit den Verbrechen der NS-Vergangenheit stehen, un-abhängig vom Zeitpunkt ihrer Erstellung sofort deklassifiziert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt -werden sollen“. Ich vermag nicht zu erkennen, dass es in Bezug auf die Causa Barbie noch Vorgänge gibt, die VS-gestempelt sein müssen und der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden können. Ich vermag auch nicht zu sehen, wer ein öffentliches Interesse daran haben könnte, dass die Arbeit unserer Geheimdienste vor einer öffentlichen Diskussion geschützt wird, wenn es darum geht, dass NS-Leute vor Entdeckung geschützt wurden oder man Informationen über ihren Verbleib nicht nachgegangen ist. Angesichts der Diskussion, die wir hier im Hohen Hause über den Umgang mit Rechtsextremismus und den Geheimdiensten haben, gibt es wirklich keinerlei Veranlassung, sich vor die Dienste zu stellen und zu -sagen: „Das dürft ihr im stillen Kämmerlein machen, das geht uns als Parlament nichts an.“ Da wir die Arbeit der Geheimdienste über den Bundeshaushalt finanzieren und auch als Parlament verantworten, kann ich nicht nachvollziehen, dass wir hier den Zugang zu diesen Vorgängen nicht haben sollen. Deshalb rate ich Ihnen, nachher mit uns gemeinsam dieser Ziffer in dem Antrag der Linken zuzustimmen, damit diese Sachen ans Licht kommen. Es ist richtig: Nach 20 Jahren kann es bei anderen Vorgängen noch -außenpolitische oder sicherheitspolitische Interessen -geben, die ich aber in diesem Kontext generell ausschließen würde. Da müssten Sie mir schon erklären, wo da die Arbeit unserer Geheimdienste gefährdet sein soll, wenn diese Vorgänge ans Licht kommen. Da ist allenfalls eine falsche Kameraderie gefährdet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zur Erwiderung Kollege Schuster. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Herr Kollege, auch wir sehen keine Gründe dafür, solche Dinge geheim zu halten. Deswegen haben wir Historikerkommissionen eingerichtet. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit geht es aber nicht in die Öffentlichkeit! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lassen Sie ihn doch ausreden!) Deswegen haben wir gesagt, dass wir alle Akten aus der Zeit zwischen 1949 und 1959 offenlegen. Ich wäre Ihnen trotzdem dankbar, wenn Sie bei Ihrem Vokabular aufpassten. Ich würde mitgehen, wenn Sie über das Thema „Geheimdienste und Mauscheleien“, was die NS-Zeit anbelangt, sprechen. Aber ich möchte Sie bitten, den Begriff „Geheimdienste und Mauscheleien“ nicht im Zusammenhang mit der Bundesrepublik Deutschland zu benutzen. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Oh! Oh!) Ich habe auch als Mitglied des Untersuchungsausschusses ein gutes Gefühl, wenn ich sage: Das sind bundesdeutsche Nachrichtendienste, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Oh! Oh!) bei denen vielleicht Fehler gemacht werden – diese werden übrigens auch in Ihrer Fraktion gemacht –, aber es gibt keine vorsätzlichen Mauscheleien oder sonst irgendetwas in der Art. (Iris Gleicke [SPD]: Das untersuchen wir -gerade!) Da stelle ich mich ganz klar vor die Dienste. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Thierse für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich habe den Artikel in der Süddeutschen Zeitung gelesen, aus dem Kollege Korte schon zitiert hat. Das ist ein wahrlich erschreckendes Beispiel für das Problem, über das wir hier diskutieren. Jener Carl Theodor Schütz war für die Organisation Gehlen und dann für den Bundesnachrichtendienst tätig. Ich will auch noch einmal zitieren, weil man angesichts dessen wirklich fassungslos ist. Ihm wird bescheinigt, so die Akten des BND, dass er eine „charakterlich einwandfreie, ausgereifte, sensible, temperamentvolle Persönlichkeit“ und ein „Vorbild für die Mitarbeiter“ sei. Dabei war dieser Schütz 1944 als Hauptsturmführer an dem berüchtigten Massaker an den Ardeatinischen -Höhlen, nahe Rom, beteiligt, also am sogenannten Geiselmord an 335 italienischen Menschen. Nun kommt es: Bereits 1933 war er wegen Körperverletzung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Nach einem Trinkgelage hatte er gemeinsam mit SS-Kameraden eine Wohnung gestürmt und die vermeintlich kommunistischen Bewohner, darunter eine Frau, brutal misshandelt. Dafür ist er verurteilt worden. Für seine Beteiligung an Kriegsverbrechen musste sich Schütz nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland nicht verantworten, obwohl sie dem BND bekannt war. Ein wahrlich erschreckendes Beispiel! Die Forschungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Geschichte des BND haben diese Fakten zutage gefördert. Wir konnten sie vor wenigen Tagen nachlesen. Die Karriere von Schütz ist mit Sicherheit kein Einzelfall. Sie zeigt nur besonders eindringlich, dass wir weiter nachfragen müssen. Sie zeigt, dass wir noch lange nicht alles über die Frühgeschichte der Bundesministerien und -behörden wissen. Sie macht deutlich, dass der Weg in die bundesdeutsche Demokratie keineswegs so selbstverständlich und so glatt war, wie manche heute denken oder behaupten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Die Tatsache allein, dass ehemalige NSDAP-Mitglieder in Behörden oder Ministerien der Nachkriegszeit eine Anstellung fanden, ist dabei wenig bemerkenswert. Wer 1945 für eine Stunde null hält, muss sich nur fragen, wohin jene Deutschen denn plötzlich verschwunden sein sollten, die im Jahr zuvor noch Bürger des Dritten Reiches waren, in welcher Rolle auch immer. Wichtiger ist es deshalb, nach der Qualität der Täterschaft, des Mitläufer- oder Denunziantentums zu fragen, die sich in Biografien von Mitarbeitern und Beamten in Ministerien und Behörden widerspiegelt. Es ist nach dem Geist zu fragen, der die Arbeit in Behörden und Ministerien der jungen Bundesrepublik und auch der frühen DDR bestimmte, nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Verwaltungspraxis. Und es ist danach zu fragen, wie sich die Umstellung, die Transformation von der NS-Diktatur zu westdeutscher Demokratie und zum System der DDR mit Funktionseliten vollzog, die durch ihre Erfahrungen und ihr Handeln im Nationalsozialismus geprägt waren. Angesichts vielfacher personeller und auch institutioneller Kontinuitäten wird erklärlich, wie schwer es ehrliche und konsequente Aufarbeitung der Nazivergangenheit bis in die 60er-Jahre in der Bundesrepublik hatte. Ich erinnere nur an die mühsame Aufklärungsarbeit des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer und an die Anfeindungen, denen er bis zu seinem Tode ausgesetzt war. Wie viel Verdrängung begleitete die Entwicklung der westdeutschen Demokratie? Wie viel Verdrängung kaschierte der staatsoffizielle, autoritäre Antifaschismus der DDR? Kollege Korte, wenn Sie über dieses Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte ein einziges Wort verloren hätten, (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Das hat er kein einziges Mal gemacht!) wäre es glaubwürdiger, wie Sie Ihr Anliegen vertreten. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Thierse, der Kollege Korte möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Ich warte schon darauf. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte, Herr Korte. Jan Korte (DIE LINKE): Herr Kollege Thierse, wenn Sie die Fragen der Linken in der Großen Anfrage zur Kenntnis genommen hätten, dann hätten Sie sich eine solche Bemerkung vielleicht verkniffen. Wir haben dort nämlich explizit – ich betone: explizit – nach NS-Funktionseliten in Strukturen und Behörden der DDR gefragt. Ich glaube, aus vielen Debatten kennen Sie in etwa meine Position zu diesen Fragen. Heute habe ich in meiner Rede einen anderen Schwerpunkt gesetzt. Schön wäre – um das zu beantworten, Kollege Thierse –, wenn die Bundesregierung bzw. die Koalitionsfraktionen, die wieder mit besonderem -Engagement in Verhaltensweisen des Kalten Kriegs zurückfallen, zur Kenntnis nähmen, dass in unserer Großen Anfrage eine neunseitige Literaturliste zu ehemaligen Nazis in der DDR zu finden ist. Letzte Anmerkung, die ich dazu machen möchte. Es gibt nun einmal einen qualitativen Unterschied. Bei -allem Unrecht, das es in der DDR gab, waren dort die NS-Funktionseliten aus Reichssicherheitshauptamt, NS-Bürokratie und -Staatswesen nicht in den oberen und zentralen Etagen der Verwaltung und der Regierung zu finden. Das muss man doch bei einer solchen Debatte zur Kenntnis nehmen. Es muss doch möglich sein, einen solchen Unterschied darzulegen. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist eine Gegenrede und keine Frage!) Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Herr Kollege Korte, in Bundestagsdebatten gilt das gesprochene Wort. (Beifall des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]) Ich habe genau auf das reagiert – Sie haben hoffentlich zugehört –, was Sie hier gesagt haben. Ich habe nicht übersehen, dass die Große Anfrage Ihrer Fraktion auch ein paar Fragen zu dem angesprochen Themengebiet enthält. (Beifall des Abg. Dr. Stefan Ruppert [FDP]) Wenn man aber hier über die Geschichte der jungen Bundesrepublik im Ton der Anklage redet – das kann ich in emotionaler Hinsicht verstehen –, dann muss man als ehemaliger DDR-Bürger auch ein paar Sätze über die Geschichte der DDR und ihre Art des Antifaschismus sagen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: Ich bin in Niedersachsen geboren, entschuldigen Sie mal!) – Entschuldigen Sie, das kenne ich doch. Sie werden nicht oft erleben, dass ich Ihnen die Vergangenheit der SED vorhalte. Aber gelegentlich, gerade wenn man sich mit der Vergangenheit befasst, sollte sie eine selbstkritische Bemerkung wert sein. Nicht mehr und nicht weniger habe ich mit meiner kleinen Bemerkung an Sie sagen wollen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Mit der Beantwortung der von mir vorhin formulierten Frage, wie viel Verdrängung in beiden Teilen Deutschlands auf höchst unterschiedliche Weise eine Rolle gespielt hat, gewinnen wir hoffentlich neue Einsichten über das Wesen und Werden unseres Gemeinwesens. Forschung und öffentliche Diskussion sollten sich nicht darin erschöpfen, einfach historische Fakten aufzuzählen oder gewissermaßen ein Namedropping zu betreiben. Sie sollen und können vielmehr in eine aufrichtige gesellschaftliche Selbstverständigung über den Weg zu unserer Demokratie münden. Ich will das noch einmal sagen: Beides ist erklärungsbedürftig, das Weiterwirken von Nazitätern und Schuldiggewordenen sowie der -Umstand, dass daraus eine Demokratie entstanden ist. Beides sollte Gegenstand der Betrachtung sein. Beides müssen wir erklären. Das ist ein selbstkritischer Umgang mit der Geschichte und ihren Widersprüchen, aus denen wir heute demokratisches Selbstbewusstsein gewinnen können. Das ist der Sinn dieser Aufgabenstellung. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Diesem Ziel dient der Antrag, den meine Fraktion gemeinsam mit CDU/CSU und FDP eingebracht hat. Er ist – das sage ich nicht aus Eitelkeit – auf meine Initiative hin entstanden. Der erste Antrag, den ich formuliert habe, ist anderthalb Jahre alt. Ich bin froh, dass wir nun darüber diskutieren; denn es waren einige Hürden zu überwinden. Es hat sehr lange gedauert, bis Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, sich diesem Anliegen haben anschließen können. Das Anliegen ist, eine Bestandsaufnahme in Auftrag zu geben, die die Desiderate der Forschung, das, was bisher nicht geleistet und aufgeklärt worden ist, ermittelt. Das Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, zwei aus Bundesmitteln teilfinanzierte Institute, sollen dieses Gutachten ausarbeiten. Unsere Kernforderung erachten CDU, CSU und FDP als richtig und wichtig. Der gemeinsame Antrag spiegelt das wider. Die Grünen, die sich der gemeinsamen Initiative nicht anschließen wollten, haben diese Forderung jedenfalls inhaltlich auch in ihrem Antrag. Die Bestandsaufnahme soll im weiteren Verfahren nicht einen Schlussstrich ziehen, sondern der Vorbereitung eines nächsten Schrittes dienen, einer adäquaten, an aktuellen Methoden und Fragestellungen orientierten Erforschung einzelner Ministerien und Behörden, ohne jede Beschönigung. Dass es einer solchen Bestandsaufnahme bedarf, hat ein sehr informatives Expertengespräch im Kulturausschuss gezeigt. In Auswertung dieses Gesprächs ziehen wir mit dem Antrag eine konkrete Schlussfolgerung. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Ministerien und Behörden des Bundes hat bereits – es ist schon daran erinnert worden – in der Zeit rot-grüner Regierungsverantwortung begonnen. Joschka Fischer und Frank-Walter Steinmeier haben dazu wesentlich beigetragen. Die Debatte über die Traditionspflege im Auswärtigen Amt und die 2010 erschienene Studie Das Amt und die Vergangenheit: deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik haben, wie auch immer die Studie im Einzelnen bewertet werden mag, zu neuem Nachdenken geführt. Inzwischen arbeiten Ministerien wie das Finanz- und das Justizministerium ihre Geschichte auf. Einzelne Studien wie die über das BKA sind bereits abgeschlossen. So gut diese Entwicklung insgesamt ist, so bleiben doch immer noch Defizite zu beklagen, und zwar was den Zugang zu Aktenmaterial und die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse betrifft. Verstecken und Unterdrücken ist einfach nicht mehr an der Zeit. Da sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und FDP, sich einen Ruck geben und sagen: Hier sollte der öffentliche, direkte Zugang zu diesem Teil der Akten nicht mehr behindert werden. – Es ist nicht verständlich, dass dieser Zugang immer noch behindert wird. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vor über einem Jahr haben wir genau deshalb schon einen Antrag formuliert. Er ist vom 28. Juni 2011 und trägt den Titel: „Personelle und institutionelle Kontinuitäten und Brüche in deutschen Ministerien und Behörden der frühen Nachkriegszeit hinsichtlich NS-Vorgänger-institutionen untersuchen“. Mit dem heutigen Antrag kommen wir einen konkreten Schritt weiter. Mir ist es darum gegangen, dass wir eine Mehrheit für einen Antrag finden, der einen Fortschritt erzielt. Darum geht es. Angesichts der Bedeutung – ich hoffe, da sind wir uns, bei allen anderen Meinungsverschiedenheiten, einig –, die die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit für unser Selbstverständnis hat und wohl auch mit Sicherheit weiterhin haben wird, lade ich alle Fraktionen ein, diesem weiteren Schritt zuzustimmen. Dann geht die Diskussion weiter, was anschließend noch zu tun ist. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Stefan Ruppert. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Stefan Ruppert (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal finde ich es ausgesprochen gut, dass wir an so prominenter Stelle (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) über die Wurzeln der frühen Bundesrepublik und über Fragen von personeller und inhaltlicher Kontinuität -reden. (Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist Zeichen einer reifen und gefestigten Demokratie, dass sie mit ihrer eigenen Vergangenheit souverän und durchaus selbstkritisch umgehen kann. Insofern finde ich, dass diese Form der Vergangenheitspolitik, um den Historiker Norbert Frei zu zitieren, für einen reifen Rechtsstaat die angemessene ist. Ich freue mich auch über die Gemeinsamkeit mit den Sozialdemokraten in dieser Frage. Es ist doch gut, wenn wir die Gemeinsamkeiten in solchen Themen besonders betonen und alle zeigen, dass es uns darum geht, uns diesen Kontinuitäten zu stellen, statt sie dazu zu nutzen, um uns gegenseitig zu bezichtigen, dass der eine das besser macht als der andere. Es ist doch unstreitig, dass in der frühen Bundesrepublik eine erhebliche personelle Kontinuität bestanden hat. Wo sollten auch all die Menschen geblieben sein, die zwischen 1933 und 1945 in der einen oder anderen Form mitgewirkt haben? Sie verschwanden nicht auf einmal, sondern sie waren natürlich an gewissen Stellen und haben die Kontinuität in der Verwaltung und auch in den Ministerien geprägt. Das ist unstreitig. Auch wir als Parteien haben natürlich Kontinuitäten. Meine Partei zum Beispiel erforscht gerade, dass es in Niedersachsen, aber auch in Nordrhein-Westfalen durchaus Ortsverbände gab, wo die Zahl an Nationalsozialisten besonders hoch war und wo es keine kritische Distanz gegeben hat. Das abzugrenzen von den Fällen, wo sich Einzelne durchaus der Verantwortung für ihre Vergangenheit gestellt haben und sich in das Gemeinwesen der frühen Bundesrepublik integriert haben, ist Aufgabe historischer Forschung. Dem stellen sich Parteien, und zwar SPD, CDU, FDP und, ich nehme an, auch die Grünen. Insofern glaube ich, wir sollten uns nicht gegenseitig Dinge vorwerfen, sondern wir sollten diese geschichtlichen Tatbestände erforschen, zur Kenntnis nehmen und einordnen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Thierse hat schon gesagt: Er hatte einen Antrag vorgelegt, und dann gab es eine Anhörung. Diese Anhörung hatte die Frage zum Gegenstand: Wie gehen wir aus wissenschaftlicher Sicht mit unserer Vergangenheit in der frühen Bundesrepublik um? Es war interessant, dass die Sachverständigen, beispielsweise Herr Professor Möller und Herr Professor Stolleis, uns empfohlen haben, einerseits den Aspekt, der in Herrn Kortes Rede im Vordergrund stand, nämlich die personelle Kontinuität, zu untersuchen, und andererseits genau zu fragen: Warum ist es der jungen Bundesrepublik gleichwohl gelungen, sich als Rechtsstaat zu etablieren? Warum hat es dieses Gemeinwesen vermocht, trotz bestehender Kontinuitäten im Einzelfall einen modernen Rechtsstaat heutiger Prägung aufzubauen? Welche Strategien hatten die einzelnen Beamten? Waren sie wirklich innerlich bereit, am Aufbau eines demokratischen Rechtsstaats und einer sozialen Marktwirtschaft mitzuarbeiten, oder haben sie inhaltlich ihre Agenda zum Teil weiterverfolgt? Das sind Fragen, die uns interessieren und genauer betrachtet werden müssen. Es geht nicht um das Zählen von Fliegenbeinen nach dem Motto „Dieses Ministerium hatte mehr als das andere“ oder „In dieser Behörde gab es mehr als in der anderen“. Es sind diese Verständnisfragen, die etwas über unser Selbstverständnis aussagen, und nicht die rein quantitativen Angaben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Offen gesagt ging es mir wie Herrn Thierse. Es ist schon bezeichnend. Sie sagen: Es gab keine personellen Kontinuitäten. (Jan Korte [DIE LINKE]: Das habe ich nicht gesagt! Habe ich doch gar nicht gesagt!) – In höchsten Ämtern, haben Sie gesagt. Ich frage Sie: Welche Funktion hat ein stellvertretender Chefredakteur des Neuen Deutschland? Welche Funktion hat beispielsweise ein Generalfeldmarschall Paulus in der DDR gehabt? Natürlich gab es das, und es gab auch andere. (Jan Korte [DIE LINKE]: Das habe ich doch gar nicht abgestritten! Das wissen Sie doch auch!) – Entschuldigung, dann formuliere ich es so: Es gab auch in höchsten Positionen solche Kontinuitäten. Der sogenannte antifaschistische Staat, der sich zugutegehalten hat, da besonders rigide gewesen zu sein, war es bei Entschädigungen und anderen Dingen gerade nicht. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Genau so ist das!) Er hat sich gerade nicht dieser Geschichte gestellt. Auch das kann man an dieser Stelle einmal sagen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die FDP hat es getan!) Das macht es nicht besser. Man versteht es nur besser, wenn man genauer hinguckt und Fragen stellt, die nicht davon geleitet sind, den einen oder den anderen anzuklagen. Ich finde, es ist an dieser Stelle auch notwendig, auf ein bestimmtes Wissenschaftsverständnis hinzuweisen. Die Grünen haben einen Antrag vorgelegt, der – das trennt uns von ihnen in einem Punkt – auf dem Ratschlag von Micha Brumlik basiert. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Brumlik hat vorgeschlagen, es muss eine Art Stabsstelle zur staatlichen Erforschung der Geschichte der frühen Bundesrepublik geben. Alle anderen Sachverständigen, vom Hannah-Arendt-Institut über das Institut für Zeitgeschichte bis zum Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, haben gesagt: Unser Problem ist nicht, dass der Staat eine Art historische Auftragsforschung initiieren soll; unser Problem ist viel eher, dass die Historiker keinen adäquaten Quellenzugang bekommen. Die Wissenschaft stellt die richtigen Fragen selbst, so Professor Stolleis oder auch Professor Möller. Es ist ein Unterschied, ob wir als Politiker die Fragen stellen, die wir für interessant halten, oder ob wir Zeithistorikern sagen: Wir ermöglichen euch, eure Fragestellungen anhand des vorhandenen Quellenmaterials zu verfolgen. – Ich glaube, aus dem zweiten Ansatz folgt mehr histo-rische Erkenntnis als aus dem Brumlik’schen Ansatz, den ich in vielen Aspekten durchaus verstehe. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Jetzt wird uns vorgeworfen, wir deklassifizierten nicht pauschal. Aus unserem Ansatz folgt eben, sich diejenigen Quellen zu suchen, die man haben will, die man braucht, die man sehen will. Man stellt dann einen Antrag auf Akteneinsicht, und diesem Antrag muss im Einzelfall stattgegeben werden, wenn nicht ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse legitimerweise besteht. Ich glaube, wenn wir so vorgehen, kommen wir zu guten Ergebnissen. Mich interessiert noch die Frage: Welchen Anteil hatte eigentlich das Bundesverfassungsgericht an dem Gelingen dieses Rechtsstaats? Es ist doch interessant, dass gerade Urteile wie das Lüth-Urteil, das KPD-Verbotsurteil, das SRP-Verbotsurteil, die Stärkung von Grundrechten des Einzelnen wie der Religionsfreiheit und der Meinungsfreiheit dazu beigetragen haben, dass dieser Staat gelungen ist. Insofern ist es richtig, dass der Deutsche Rechtshistorikertag feststellt: Wir müssen verstehen lernen, was das Bundesverfassungsgericht in den Anfangsjahren seines Bestehens geurteilt hat. – Dabei gilt es, Beratungsgeheimnisse zu schützen. Dabei gilt es, darauf zu achten, dass lebende Personen legitime Datenschutzinteressen haben. Wir wollen in die frühen Akten hineinschauen. Auch darauf zielt unser Antrag ab. Man kann es nicht so wie die Linken machen – zum Teil sind wir deckungsgleich –, dass man dem Bundesverfassungsgericht als einem anderen obersten Verfassungsorgan diktiert: Ihr müsst das so und so machen. – Vielmehr wollen wir das Gespräch mit dem Bundesverfassungsgericht suchen, um zu zeigen, dass wir an der Aufarbeitung seiner Geschichte ein erhebliches Interesse haben. Notwendig ist der Dialog zwischen den obersten Verfassungsorganen und kein Dekret von hiesiger Seite. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Viele Ministerien – ich nenne exemplarisch das BMJ, aber auch das Bundesministerium der Verteidigung – haben sich diesen Fragestellungen schon sehr gut gestellt. Im BMJ wird im Moment eine hervorragende Arbeit geleistet. Insofern finde ich, daran sollten wir weiterarbeiten. Wir sollten die Einigkeit der Demokraten weiter stärken, anstatt uns hier gegenseitig Vorwürfe zu machen, wer etwas wie und gegebenenfalls in welcher Form vertuschen oder verkleistern will. Das ist die Vorgehensweise eines reifen Rechtsstaates, der wir zum Glück sind. Insofern werbe ich für mehr Gemeinsamkeit bei der Erforschung der frühen Bundesrepublik. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die Kollegin Claudia Roth. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Morgen, am 9. November, jährt sich die Reichspogromnacht, die 1938 Mord, Zerstörung, Misshandlung über die Juden brachte. Das war ein terroristisches Fanal auf dem Weg in den Holocaust. Die Erinnerung an dieses Datum ist nicht beliebig. In ihr steckt ein demokratischer Auftrag, nämlich alles zu tun, damit Rechtsextremismus in unserem Land keine Chance hat. Was heißt das konkret für uns hier und heute? Es heißt zum Beispiel, sich dem entgegenzustellen, was alte und neue Nazis zum 9. November, also für morgen, planen: Fackelzüge in Essen, wo 1938 die Alte Synagoge brannte, oder in Wolgast, wo sie zu einer Gemeinschaftsunterkunft marschieren wollen, in der Flüchtlinge Aufnahme finden. Es ist unsere Pflicht, hier laut „Stopp!“ zu rufen. Das Aktionsbündnis „Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt!“, das gegen diesen Aufmarsch mobilisiert, hat die volle Unterstützung unserer Fraktion und, ich hoffe, die volle Unterstützung aller Fraktionen hier im Deutschen Bundestag. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Eine klare, eine entschiedene Haltung gegenüber Rechtsextremen ist wichtig, auch um das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen, gerade das Vertrauen zu unserem demokratischen Rechtsstaat, das schwer gelitten hat unter dem Totalversagen der Sicherheitsbehörden bei der NSU-Mordserie. Das ist auch das Grundanliegen bei der Aufklärung der NS-Vergangenheit – selbstverständlich in ganz Deutschland –, über die wir heute diskutieren. Es geht doch nicht darum, Schmutz zu werfen. Es geht doch nicht um eine Sicherheitsgefährdung; ganz im Gegenteil. Es geht um die demokratische Selbstvergewisserung -unserer Institutionen. Es geht auch um die Einsicht -Adornos, dass das, was verdrängt und was nicht kritisch aufgearbeitet wird, uns wieder einholt, uns überfällt, und zwar hinterrücks. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diese Einsicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, passt doch offensichtlich sehr gut zu einem NSU, der mordend durch das Land zog, und zu einem braunen Schleier – das muss man wirklich sagen – über den Sicherheitsbehörden. Wie soll ich die Blindheit und das Versagen in der NSU-Verbrechensserie denn sonst beschreiben? Die Aufarbeitung eines verdrängten Kapitels der Zeit-geschichte im kritischen, im aufklärerischen Geist und im Sinne eines Erinnerns und Lernens für die Zukunft, das ist unser Ziel im Umgang mit der NS-Vergangenheit von Ministerien und Behörden. Wie viel da noch zu tun ist, hat nicht zuletzt die von Joschka Fischer in Auftrag gegebene und vor zwei Jahren veröffentlichte Studie zur NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amts gezeigt. Diese Studie hat die Debatte in Gang gebracht, die wir heute weiterführen und die wir weiterführen müssen, auch zum Beispiel über die Praxis der Ehrwürdigkeit, auf die mein Kollege Ostendorff mich noch einmal hingewiesen hat. Wie nötig diese Debatte ist, das zeigt doch auch der Fall, der von meinen Vorrednern schon benannt worden ist, den erst am 27. Oktober 2012 die Süddeutsche Zeitung öffentlich gemacht hat, der Fall von Carl-Theodor Schütz, der wirklich eine verbrecherische Karriere hinter sich hat. Sein allerschwerstes Verbrechen ist die Erschießung der 335 Geiseln in den Ardeatinischen Höhlen in der Nähe von Rom im März 1944. Er befehligte das -Exekutionskommando, und er ermordete die ersten Opfer sogar eigenhändig. Geheimdienstchef Gehlen wollte diesen Mann nach dem Krieg unbedingt beim BND haben, und Bundeskanzler Adenauer hat dem ausdrücklich zugestimmt. Doch in den letzten Jahren sind leider noch andere Fälle bekannt geworden, fast unvorstellbare Fälle, vor allem die von Eichmann und von Barbie. Von Eichmann, dem Holocaustorganisator, kannte der BND den Aufenthaltsort, ohne zu seiner Ergreifung beizutragen. Ist es nicht bitter, zu erkennen, wie sehr man Simon -Wiesenthal alleingelassen hat bei seiner Suche nach Eichmann? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Klaus Barbie, der sogenannte Schlächter von Lyon, war in den 60er-Jahren sogar Agent des BND. In der NS-Zeit hat er in Frankreich katholische Priester gefoltert, hat Kinder hungern lassen, hat Frauen unsäglich misshandelt. Es ist schändlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Serge und Beate Klarsfeld, die ihm jahrelang nachgespürt haben, alleingelassen worden sind und hier in Deutschland zum Teil als Feinde behandelt worden sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Ich glaube, wir alle sehen, wie groß der Aufklärungsbedarf ist, wie groß er noch ist. Ich möchte Sie deshalb wirklich herzlich bitten, dass wir das engagiert tun, dass wir es zusammen tun, ja, dass wir es gemeinsam tun, ohne jegliche taktische Hintergedanken, dass wir es so engagiert tun, wie es unsere Kollegen und Kolleginnen im NSU-Untersuchungsausschuss uns zeigen. Deswegen – das muss ich wirklich sagen – ist es uns, ist es mir sehr unverständlich, dass die Regierungsfraktionen in den Ausschussberatungen einen Antrag von uns Grünen abgelehnt haben, (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Sie waren gar nicht sprechfähig im Ausschuss! Es war keiner da!) der die Regierung auffordert, im Falle Barbie und im Fall Eichmann Verantwortung für die Aufklärung zu übernehmen. Dieser Antrag steht heute noch einmal zur Debatte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich muss Ihnen sagen, liebe Kollegen und Kolleginnen und liebe Freunde und Freundinnen von der SPD: Auch Sie haben diesen Antrag im Kulturausschuss abgelehnt. (Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Es war niemand da von Ihnen, der dazu reden konnte!) Ich verstehe das überhaupt nicht. Ist es denn wirklich -sozialdemokratische Position, einen Antrag, der Aufklärung in Sachen Eichmann und Barbie – dass das noch nicht geschehen ist, ist doch ein Skandal – fordert, abzulehnen oder sich dazu neutral zu verhalten, also sich zu enthalten, wie Sie es im Innenausschuss getan haben? Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit der Studie zum Auswärtigen Amt sind zahlreiche parlamentarische Initiativen gestartet worden. Wir haben einen umfassenden Antrag zur systematischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Ministerien und Behörden eingereicht, der Ihnen heute vorliegt. Er geht in entscheidenden Punkten über den aus meiner Sicht unzureichenden Antrag der Koalition und der SPD hinaus, der nur Minischritte macht, ohne – das ist eine große Kontroverse – politische Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Mittelpunkt Ihres Antrags steht eine „Metaforschung“, das heißt, über vorliegende Forschung soll geforscht werden. Ich glaube aber, es können und es sollten politische Konsequenzen benannt werden. Es kann doch nicht darum gehen, dass man wenig aufarbeitet und viel Stillstand pflegt. Herr Deutschmann hat im Kulturausschuss für die FDP sogar gefordert, dass die Politik gar keine eigenen Forschungsaufträge vergeben sollte, weil – so hat er gesagt – das eine Einmischung in die Freiheit der Wissenschaft sei. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Im Bund sollen wir nicht tun dürfen, was wir von Verbänden und Organisationen selbstverständlich verlangen und was auch viele Verbände und Organisationen heute endlich tun, nämlich eigene Aufträge vergeben. Der DFB oder die Deutsche Bahn vergeben Aufträge, um zu erforschen, wie ihre NS-Vorgeschichte aussieht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Nein, eine wirkliche Einmischung in die Freiheit der Wissenschaft ist die Behinderung der laufenden Forschung, so wie es beim BND geschehen ist, oder wenn man sich weigert, Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, wie das zunächst mit der Studie zum Reichsernährungsministerium geschehen ist, die noch von Renate Künast in Auftrag gegeben worden ist. (Jan Korte [DIE LINKE]: Richtig!) Aus meiner Sicht falsch in Ihrem Antrag ist auch die Begrenzung des Forschungsauftrags auf die frühe Bundesrepublik Deutschland – nach allem, was wir jetzt wissen. Nehmen wir zum Beispiel den Fall Barbie: Er reiste ja bis 1980 unter dem Decknamen „Klaus Altmann“ wiederholt in die Bundesrepublik ein. Er baute neofaschistische Strukturen auf. Er wickelte Waffengeschäfte ab. Er wurde offensichtlich vom Verfassungsschutz geschützt, wie die taz im Januar 2012 berichtet hat. Und es darf kein Aktenschreddern mehr geben wie beim BND noch in den 90er-Jahren und den 2000er-Jahren, wo Akten von Mitarbeitern mit NS-Vergangenheit vernichtet wurden. Das ist ein Schreddern der Zeitgeschichte und der Versuch einer Reinwaschung durch den Reißwolf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was uns ferner in Ihrem Antrag fehlt, ist eine Systematik beim Vorgehen. Wir wollen einen Ansprechpartner auf Bundesebene, damit wir den Flickenteppich in der Aufarbeitung wegbekommen. Wir wollen klare Kriterien, wie mit den Forschungsergebnissen umgegangen wird, auch für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und für die Außendarstellung der Häuser. Schließlich brauchen wir dringend eine Koordination mit den Ländern und Kommunen; denn die NS-Herrschaft war ja flächendeckend. Hier liegen die politischen Antworten, um die wir uns nicht länger drücken dürfen. Deswegen bitte ich die Koalitionsfraktionen und die SPD, dem weitergehenden Antrag zuzustimmen. Wenn wir der Geschichte von Behörden und Bürokratie nachgehen, dann sollten wir auch die Banalität des Bösen nicht vergessen, die Hannah Ahrendt mit Blick auf den Bürokraten Eichmann beschrieben hat. Diese Banalität, diese scheinbare Alltäglichkeit des blinden Mitmachens und des Sich-Einordnens haben Spuren hinterlassen, auch in unseren Nachkriegsinstitutionen. Es gab keine Stunde null. Die Brüche und die Kontinuitäten in ganz Deutschland aufzuarbeiten, das ist unsere Verantwortung als Demokraten und Demokratinnen. Lassen Sie uns das zusammen tun! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Thierse. Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Liebe Kollegin Roth, Sie haben hier etwas wahrheitswidrig behauptet. Im Kulturausschuss hat die SPD--Fraktion Ihren Antrag nicht abgelehnt, sondern sich der Stimme enthalten, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Wir hatten bereits einen grundlegenden Antrag formuliert, nämlich am 28. Juni 2011; ich habe das -Datum vorhin genannt. Im Anschluss an diesen Antrag bin ich – weil es mir ja um eine Mehrheit geht; wir wollen etwas erreichen – auf die anderen Fraktionen zugegangen und habe mit ihnen das Gespräch gesucht. Wenn man aber im Gespräch mit den Kollegen ist, um ein Anliegen mehrheitsfähig zu machen, kann man nicht zugleich einem anderen Antrag zustimmen. So hat sich der Vorgang zugetragen. Das hat nichts mit einem politisch-moralischen Versagen der SPD zu tun. (Beifall bei der SPD – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wollen Sie erwidern? Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe definitiv nicht von „politisch-moralischem Versagen“ gesprochen, Herr Kollege Thierse. In Ihrem Antrag kommt der, wie ich finde, erschütternde Skandal um Barbie und Eichmann aber leider nicht vor. Es wäre nicht ein Widerspruch, unserem Antrag zugestimmt zu haben, sondern es wäre eine notwendige Ergänzung. Es ist nicht nachvollziehbar, dass man in diesem Fall die Regierung nicht beauftragt, eine umfassende Aufklärung zu fordern. Das haben Sie leider nicht unterstützt. Ich bitte darum, dass das heute endlich passiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Stephan Mayer. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Die Linke zitieren: Mehr als 60 Jahre nach Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland und mehr als 65 Jahre nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur lässt sich feststellen, dass die nationalsozialistische Gewaltherrschaft generell die am besten erforschte Periode der Geschichte des 20. Jahrhunderts ist. Setzt man diese Aussage in Zusammenhang mit den Äußerungen der Sachverständigen in der Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien am 29. Februar 2012, bei der diese deutlich die Selbstorganisation und auch die Unabhängigkeit der Wissenschaft in den Vordergrund gestellt haben, so stellt sich für mich die Frage, warum von Bündnis 90/Die Grünen und insbesondere der Fraktion Die Linke heute so umfangreiche Forderungen nach staatlicher Aufarbeitung der NS-Vergangenheit erhoben werden. Denn nach Ansicht der Sachverständigen sollten vielmehr bestehendes Wissen und aktuelles Erkenntnisinteresse zusammengeführt werden. Dies würde die wissenschaftliche Forschungsarbeit erleichtern und zugleich dem öffentlichen Interesse an dem Thema gerecht werden. Ich muss daher angesichts der vorliegenden Anträge zu der Überzeugung kommen, dass es Ihnen vorrangig um staatlich gesteuerte und politisch instrumentalisierte Auftragsforschung geht, geleitet von der Maxime: -Irgendetwas Skandalisierbares wird man schon finden. (Jan Korte [DIE LINKE]: Darunter machen Sie es ja nicht!) Ein solches Verhalten darf in diesem Hohen Haus keine Unterstützung finden. Bezeichnend und entlarvend ist es zudem, dass sich die Anträge der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen ausschließlich auf die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Westdeutschland konzentrieren. Dies belegt nicht nur Ihre historische Unkenntnis, sondern ist auch ein weiterer Beweis dafür, dass es Ihnen nicht um eine unabhängige und wissenschaftsorientierte Aufarbeitung der Vergangenheit geht, (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja eine ziemliche Unverschämtheit!) sondern um eine Skandalisierung und Diffamierung einzelner Personen und Einrichtungen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stünden bei Ihnen wirklich die Aufklärung und Aufarbeitung der Vergangenheit im Vordergrund, (Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist ja schon ziemlich frech, was Sie sagen!) hätten Sie sich in Ihren Anträgen nicht nur auf Westdeutschland konzentriert, sondern auch die ehemalige DDR mit einbezogen. (Widerspruch von der LINKEN) Denn während in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Schritt für Schritt tatsächlich Vergangenheitsbewältigung betrieben wurde (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Du lieber Gott!) und dies ein ständiger Prozess war, wurde sie in der damaligen DDR mit der „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ durch die SED einfach für beendet erklärt. Weitere Debatten über Schuld und Verantwortung erübrigten sich. Die DDR lehnte jegliche Haftungsverpflichtungen für die Vergangenheit ab. Der Historiker Edgar Wolfrum schrieb hierzu einmal – ich zitiere –: Hitler, so konnte man meinen, sei ein Westdeutscher gewesen. Meine sehr verehrten Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen, ein aufrichtiger und umfassender Umgang mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus nach dem Zweiten Weltkrieg darf sich aus meiner Sicht nicht nur auf Westdeutschland beschränken, sondern er muss selbstverständlich auch die ehemalige DDR berücksichtigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, und?) Die gemeinsame Vergangenheit ist ein schwieriges Erbe beider deutscher Staaten und des wiedervereinigten Deutschlands. (Karin Binder [DIE LINKE]: Und wo sind wir jetzt? – Gegenruf von der CDU/CSU: Was wehren Sie sich denn dagegen?) Als solche muss sie auch problematisiert und reflektiert werden. Daher haben wir als Regierungsfraktionen zusammen mit der SPD-Fraktion einen eigenen Antrag hierzu erarbeitet, der genau diesen schwerwiegenden Fehler in den Anträgen der beiden anderen Fraktionen behebt. Gleichzeitig respektieren wir die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Forschung in Deutschland; diese ist durch Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz geschützt. Wir wollen interessierten Forschern und Einrichtungen den Zugang zu bereits erstellten Untersuchungen erleichtern und zugleich gute wissenschaftliche Rahmenbedingungen für neue Studien schaffen. Es geht also nicht nur darum, eine Bedarfserhebung durchzuführen und festzustellen, was schon erforscht wurde, sondern durchaus auch darum, eine Grundlage für neue Studien zu schaffen. Insbesondere wollen wir bei den beiden zeitgeschichtlichen Instituten, dem Institut für Zeitgeschichte in München und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, eine Bestandsaufnahme in Auftrag geben, um den aktuellen Forschungsstand und den bestehenden Forschungsbedarf zu ermitteln, was die Geschichte von Institutionen und Behörden im frühen Nachkriegsdeutschland sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der ehemaligen DDR betrifft. Wir setzen uns auch für eine wissenschaftsfreund-lichere Ausgestaltung des Bundesarchivgesetzes und der Möglichkeiten zur Akteneinsicht ein. In diesem Zusammenhang möchte ich aber betonen, dass wir die schutzwürdigen Belange von natürlichen und juristischen Personen selbstverständlich auch in Zukunft achten werden; denn anders als der Fraktion Die Linke geht es uns nicht um eine Skandalisierung oder Diffamierung, sondern um eine unabhängige zeithistorische Aufarbeitung, die mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Auch ich möchte kurz auf Ihre Forderung eingehen, sämtliche Verschlusssachen nach 20 Jahren öffentlich zugänglich zu machen. Sie begründen Ihren Antrag damit, dass „die Prinzipien des Amts- und Aktengeheimnisses in einer fortschrittlichen Demokratie keinen Platz“ hätten. Mit dieser offensichtlich verfassungswidrigen Argumentation verlassen Sie zum wiederholten Mal den Boden unseres Grundgesetzes. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Was ist das denn jetzt? Das geht doch nicht!) Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht haben in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass personenbezogene Daten ihrem Wesen nach grundsätzlich geheimhaltungsbedürftig und schutzwürdig sind. Es frappiert mich besonders, dass die angesprochene Position gerade von den Fraktionen vertreten wird, die sich immer als Gralshüter des Datenschutzes in Deutschland gerieren. (Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) Beide Gerichte haben zudem den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung anerkannt, aus dem geheim zu haltende Tatsachen nicht mitgeteilt und offenbart werden müssen. Dies erstreckt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht nur auf laufende Vorgänge, sondern auch auf abgeschlossene Vorgänge. Darüber hinaus ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass Behörden Informationen, die für eine effektive Erfüllung ihrer Aufgaben unentbehrlich sind, von Dritten in der Regel nur erhalten, wenn sie dem Informanten die Vertraulichkeit der personenbezogenen Daten zusichern. Dies gilt insbesondere für die Arbeit der Sicherheitsbehörden in Deutschland. Ihnen geht es offenkundig nicht um mehr Transparenz und die Legitimation des Rechtsstaats, sondern schlicht um die Abschaffung der Behörden, die auf entsprechende vertrauliche Informationen angewiesen sind, so wie unsere Nachrichtendienste. Die Forderungen, die von Ihnen erhoben werden, können deshalb meines Erachtens nicht die Unterstützung dieses Hohen Hauses finden. Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Kirsten Lühmann das Wort. (Beifall bei der SPD) Kirsten Lühmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Anwesende, insbesondere die Besuchergruppe von der Heeresfliegerinstandsetzungsstaffel 100 aus meinem Wahlkreis in Celle! Wir führen hier eine sehr interessante Debatte. Man kann sagen: Verschlusssachen sind Transparenzkiller, nicht für immer, aber für eine bestimmte Zeit. Wir stehen nun vor der Frage: Wie können wir dieses Problem lösen? Wir sind der Meinung: Wir können es nicht dadurch lösen, dass wir dem Antrag der Linken zustimmen, der einfach eine generelle Verkürzung der Sperrfristen ohne jegliche Ausnahme fordert. In Ihrem Antrag steht: Geheimnisschutz und im Geheimen operierende staatliche Institutionen … sind klassische Mittel des Machterhalts Einzelner in totalitären Systemen. Das sind markige Worte; ich denke, dem können wir alle in diesem Haus zustimmen. Aber der Umkehrschluss, dass es in der Demokratie keine Geheimnisse geben darf, ist so einfach wie falsch. Ich möchte Ihnen dazu ein Beispiel geben. Wir Abgeordnete bekommen regelmäßig Berichte über die Situation der von uns in Auslandseinsätze entsandten Soldaten und Soldatinnen sowie Polizisten und Polizistinnen. Wir brauchen sie für unsere Arbeit. Diese Berichte sind Verschlusssachen. Ich halte das für richtig; denn diese Berichte enthalten Informationen, die das Leben und die Gesundheit unserer entsandten Soldaten und Soldatinnen gefährden könnten, wenn sie öffentlich würden. Die Frage ist nur: Muss denn eine solche Vorlage auch 30 Jahre nach einem Abzug aller deutschen Kräfte aus Afghanistan immer noch eine Verschlusssache sein? (Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, das fragen wir!) Das Fazit ist: Transparenz ist für die Demokratie wichtig, aber es darf keine bedingungslose Transparenz sein. Die von den Linken geforderte pauschale Verkürzung der Sperrfrist wird dem Einzelfall nicht gerecht. Wir lehnen sie deshalb ab. Es gibt übrigens heute schon die Möglichkeit, Sperrfristen von Akten vor Ablauf der 30 Jahre aufzuheben, und zwar dann, wenn die Gründe für die Geheimhaltung entfallen sind. Ich finde, davon sollten wir deutlich öfter Gebrauch machen. Zurzeit ist es so, dass die Anfrage eines Bürgers, einer Bürgerin nach dem Informationsfreiheitsgesetz sofort abgelehnt wird, wenn sie sich auf eine Vorlage bezieht, die als Verschlusssache eingestuft wurde. Ich wünsche mir offenere und regelmäßigere Prüfungen, ob diese Einstufung im Einzelfall noch sachgerecht ist. Zu einem anderen Antrag der Linken. Herr Kollege Beck, ja, das ist etwas anderes. In Bezug auf Akten zur NS-Vergangenheit einzelner Personen haben wir ein ganz anderes Problem. Im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ist ein zweiter Untersuchungsbericht nicht veröffentlicht worden mit dem Hinweis auf personenbezogene Daten aus Personalakten, die geschützt werden müssen. Ich finde das seltsam. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, also das Grundrecht, dass ich selbst entscheide, wer meine Daten bekommt oder nicht, ist ein wichtiges Grundrecht. Aber wenn ich verstorben bin, fehlt der Grundrechtsträger – und damit die Interessen, die zu schützen sind. Hier muss es das Ziel sein, die Informationsfreiheit mit den Interessen Einzelner und auch den Interessen des Staates in eine gute Balance zu bringen. Wir wollen weg vom Amtsgeheimnis und hin zu einer offenen Verwaltung. Da helfen allerdings weder erhobene Zeigefinger noch pauschale Aktionen. Es gibt viel zu tun, sowohl was die Bestimmungen des Informationsfreiheitsgesetzes angeht als auch in der täglichen Verwaltungspraxis. Wir laden Sie dazu ein, sachlich und unaufgeregt nach Lösungen zu suchen, im Sinne des Schutzes der Einzelnen, aber vor allem im Sinne der Informationsrechte unserer Gesellschaft. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Patrick Kurth das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Staatsräson ist es, alle Diktaturen aufzuarbeiten und mit Engagement historisch zu erschließen. Deshalb wurde über dieses wichtige Thema in den Ausschüssen und hier im Bundestag mehrfach intensiv diskutiert. Höhepunkt war die Fachanhörung im Kultur- und Medienausschuss im Februar. Nahezu übereinstimmend legten uns die Experten zwei Erkenntnisse nahe. Erstens: Selbstorganisation der Wissenschaft statt staatlicher Auftragsforschung. Forschungsfragen stellt die Wissenschaft. Forschung lebt vom wissenschaft-lichen Diskurs und von ständiger akademischer Hinterfragung. Vorgelegte Ergebnisse müssen überprüfbar bleiben. Im ersten Semester habe ich gelernt, dass sich das intersubjektive Nachvollziehbarkeit nennt. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sehr gut!) Sie muss gewährleistet sein. Bei staatlicher Auftragsforschung mit privilegierten Zugangsrechten für Einzelne ist dies schwerlich gegeben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die zweite Erkenntnis war: Für Forschung ist Aktenzugang nötig. Dies funktioniert bei Bundesministerien, Gerichten und Behörden unterschiedlich gut; nicht überall gibt es umfangreiche Akteneinsicht. Hier ist es Aufgabe der Politik, Forschung durch Archivzugang zu ermöglichen. Im Antrag von FDP, Union und SPD stellen wir fest, dass die Selbstorganisation der Wissenschaft auch bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit einer staatlichen Auftragsforschung vorzuziehen ist. Damit stärken wir die Wissenschaftsfreiheit. Zudem revolutionieren wir geradezu die Zugangsrechte für die Forschung. Damit beheben wir ein Stück weit eine Unwucht, die es bisher in Bezug auf die Aufarbeitung der deutschen Geschichte gegeben hat. Lassen Sie mich als Beispiel die Behörden der ehemaligen DDR nennen, deren Archive geöffnet sind. Man kann dort hingehen und sich die entsprechenden Unterlagen anschauen. Demgegenüber ist die historische Forschung zu bestimmten Behörden des Westens bis heute schwieriger. Durch unseren Antrag stellen wir sicher, dass zukünftig die Geschichte von Institutionen in Ost und West vollumfänglich und gleichberechtigt erforscht werden kann. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]) Den freiheitlichen Ansätzen von Union, FDP und SPD stehen gewisse, ich sage einmal, etatistische Ansätze gegenüber. Keine noch so eindeutige Expertenanhörung kann manches Mal von vorher festgelegten Forderungen und Vorurteilen abbringen. Die Grünen legten in dieser Legislaturperiode Anträge vor, zogen sie zurück und legten wieder welche vor. Wir waren erfreut darüber; denn möglicherweise gab es einen Lernprozess. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Herr Kurth!) Aber nein: Sie predigen ein staatsnahes Wissenschaftsverständnis. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) – Schauen Sie in Ihren aktuellen Antrag. Dort fordern Sie eine staatliche Koordinierung der Forschung zur NS-Vergangenheit in Bundesbehörden. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Flickenteppich!) Seit wann ist es Aufgabe des Staates, Forschung zu koordinieren? Dafür gibt es in einer freiheitlichen Gesellschaft die Selbstorganisation der Wissenschaft. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) Liebe Claudia Roth, Sie haben gerade wiederholt, was Professor Brumlik damals sagte, nämlich, man solle die Mitarbeiter in den Bundesbehörden und in den Institutionen noch einmal einer „demokratischen Selbstvergewisserung“ unterziehen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren die Institutionen!) – Sie haben es so gesagt; ich habe es mir aufgeschrieben. – Das ist nichts anderes als eine Gesinnungsprüfung. Ich möchte Sie fragen: Wer prüft wen nach welchen Maßstäben auf seine Gesinnung? – Das geht nicht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie zitieren, dann gefälligst richtig!) Besonders problematisch ist die Vorwurfshaltung, die man hier erkennen kann. Aus manchen Reden und aus manchen Anträgen geht hervor, dass die Bundesrepublik sich über Jahrzehnte rechtswidrig verhalten haben soll. Die Linken schreiben zum Beispiel: Die Vergangenheitspolitik habe in Deutschland lange Zeit auf Beschweigen, die Integration von NS-belasteten Personen und Tätern und einen möglichst baldigen Schlussstrich gesetzt. Dazu will ich drei Punkte anmerken: Erstens. Herr Korte, Sie haben vorhin Willy Brandt und die Art, wie man mit ihm umgegangen ist, erwähnt. Sie haben es unterlassen, im gleichen Zusammenhang über Herbert Wehner und Kurt Schumacher zu reden, die in den 50er-Jahren Sozialdemokraten und Demokraten der ersten Stunden waren. Warum haben Sie das gemacht? – Das war kommunistische Dialektik, nichts anderes. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Was?) Sie haben es unterlassen, Theodor Heuss zu nennen. Sie haben es unterlassen, an Konrad Adenauer zu erinnern. (Widerspruch bei der LINKEN) Das müssen Sie tun, wenn Sie über die 50er-Jahre in der Bundesrepublik reden. Zweitens. Es geht nicht anders: Sie müssen auch den Vergleich mit anderen Postdiktaturen übernehmen. Sie müssen vergleichen, wie Aufarbeitung in anderen Ländern betrieben wurde. Ich kann Ihnen sagen: In beiden Postdiktaturen, in der Bundesrepublik und nach der Wende, war die Aufarbeitung im Vergleich vorbildlich. Darum kommt niemand herum. Drittens. Diese Vorhaltung muss ich Ihnen machen: Sie sprechen hier von personellen Kontinuitäten. Personelle Kontinuitäten heißen auch: Gerlinde Stobrawa, IM „Marisa“, die Abgeordnete der Linken in Brandenburg wurde 2009 enttarnt. Renate Adolph, Abgeordnete der Linken im Landtag, wurde Ende 2009 enttarnt. Gerd-Rüdiger Hoffmann, ebenfalls für die Linke im Landtag, wurde als IM „Schwalbe“ Ende 2009 enttarnt. Ich kann Ihnen auch noch IM „Sonja“ und IM „Fritz Kaiser“ nennen. Das sind personelle Kontinuitäten, mit denen Sie selbst nicht aufgeräumt haben. Andererseits werfen Sie anderen Unlauteres vor. So geht es nicht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Sie sich nicht schämen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Der Kollege Korte erbittet das Wort zu einer Kurzintervention. – Bitte schön. Jan Korte (DIE LINKE): Kollege Kurth, man muss hier lernen, sich zu beherrschen, um angesichts dieser intellektuellen Tieffliegerei nicht wahnsinnig zu werden. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte drei Anmerkungen machen: Erstens. Seit dem 3. Oktober 1990 gibt es die DDR nicht mehr. Das möchte ich Ihnen mitgeben; das scheinen Sie nicht mitbekommen zu haben. Zweitens. Ich bin im Westen, in Niedersachsen, geboren. Ich bin damals bewusst und überzeugt in die PDS eingetreten. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, du warst erst einmal bei uns! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ich war vorher bei den Grünen. Jeder macht einmal Fehler. Danach bin ich aus voller Überzeugung in die PDS eingetreten. – Ich trage persönlich für das Unrecht, das es auch in der DDR gegeben hat, keine Verantwortung. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir auch nicht!) Als ich in die Partei eingetreten bin, war aber klar, dass ich eine politische Verantwortung trage. Seitdem ich Mitglied bin, ringen und streiten wir in durchaus freudiger und harter Form um die Deutung und den Umgang mit der Geschichte. Das machen wir für uns selber, (Otto Fricke [FDP]: Transparent?) um uns selbst zu vergewissern, und wir haben eine Lehre daraus gezogen: nie wieder Sozialismus ohne demokratischen Rechtsstaat. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ohne Transparenz!) Dafür brauchen wir von Ihnen keine Nachhilfe. Drittens will ich eines anmerken – das finde ich nämlich wirklich ungeheuerlich –: In den Reden meiner Vorredner ging es um Auschwitz, um Einsatztruppen, um Täter im Reichssicherheitshauptamt. Egon Bahr hat vor kurzem zusammen mit Reinhard Höppner eine richtige Bemerkung gemacht, die auch Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben sollten: Bei allem Unrecht in der DDR, über das wir hier zu Recht viel diskutieren und streiten, geht es nicht an, dass man die Leichenberge der Nazis mit den Aktenbergen der Stasi verwischt, wie Sie das hier eben getan haben. Das ist abstoßend. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist so was von daneben!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Kurth zur Erwiderung. Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): „Erschossen in Moskau …“ hat die Landeszentrale für politische Bildung in Thüringen vor drei Jahren herausgegeben. Ich kann Ihnen sagen: Wir zählen die Leichen nicht nach. Jede einzelne Leiche ist eine zu viel. Das ist Staatsräson in diesem Lande. Ich empfehle Ihnen auch das Buch „Stasi im Westen“. Nur weil Sie im Westen geboren wurden, waren Sie nicht gefeit vor der Stasi. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie aber auch nicht!) Wir prüfen zurzeit, wie stark die Staatssicherheit auch den Westen bestimmt hat. Dabei kam heraus, dass der Kollege Kurras, der Benno Ohnesorg erschossen hat, -einen höheren Dienstgrad bei der Stasi als bei der -Westberliner Schutzpolizei hatte. Da kommt plötzlich heraus, dass Frau Klarsfeld, eine Ikone der 68er-Bewegung, -dafür, dass sie den Bundeskanzler geohrfeigt hat, SED-Geld bekommen hat. (Zuruf von der LINKEN: Das ist doch nicht wahr! Das stimmt doch überhaupt nicht!) Ein Stück weit kann man diese 68er-Bewegung auch einmal hinterfragen. Man kann auch fragen, inwieweit die 68er-Bewegung im Westen von der Stasi gesteuert worden ist. Das ist überhaupt kein Grund, sich hier aus der Verantwortung zu ziehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, Herr Kurth! Das war einmal Freie Demokratische Partei! Und ich war einmal Jungdemokratin!) – Liebe Claudia Roth, hat denn einmal einer bei euch nachgefragt, ob es richtig war, 1968 „Ho, Ho, Ho Tchi Minh“ zu rufen und kommunistische Kampfbünde aufzumachen, während in Prag sowjetische Panzer Menschen niedergewalzt haben? Diese Frage könnt ihr euch auch einmal stellen. Stellt euch diese Frage bitte einmal! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Abgeordnete aus Prag in den Deutschen Bundestag geschickt, als erste! Milan Horacek war der erste! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Ganz ruhig! – Gegenruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man keine Ahnung hat, soll man still sein!) Herr Korte, Sie haben persönlich – das nehme ich Ihnen ab; das ist auch richtig – mit der Stasi nichts zu tun, auch nicht mit der SED. Deswegen tragen Sie persönlich auch keine Verantwortung. Auch ich trage für das, was Klaus Barbie getan hat, keine persönliche Verantwortung. Das gilt für jeden in diesem Hause. Trotzdem stellen wir uns dieser Vergangenheit. Trotzdem arbeiten wir sie auf. Trotzdem nehmen wir uns dieser Geschichte an. (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habt ihr auch nötig!) Es ist ein dummes Argument, zu sagen, dass die DDR vor 22 Jahren untergegangen ist. Damit geben Sie jedem Rechtsextremisten in diesem Land ein schönes Argument an die Hand; denn auch 1945 ist ein Staat in die Brüche gegangen. Das ist unlauter, und dafür sollten Sie sich entschuldigen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Nur Kalter Krieg! Nichts anderes!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat der Kollege Marco Wanderwitz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bemühe mich, ein wenig Tempo aus der Debatte zu nehmen, damit wir wieder zu unserem Antrag zurückfinden können, dessen Titel ich zu Beginn vortragen möchte, weil ich finde, dass er selbsterklärend ist: „Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stärken, Rahmenbedingungen verbessern – Die Aufarbeitung der Geschichte der wichtigsten staatlichen Institutionen in Bezug auf die NS-Vergangenheit durch besseren Aktenzugang unterstützen und Bestandsaufnahmen zur Aufarbeitung der früheren Geschichte der Bundesministerien und -behörden sowie der vergleichbaren DDR-Institutionen beauftragen“. Das ist ein langer Titel, gleichwohl schön, weil selbsterklärend. Das ist das, was die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP hier heute vorlegen. Ich meine, das ist ein guter Antrag, nicht zuletzt weil er das direkte Ergebnis der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien am 29. Februar 2012 ist. Herr Kollege Korte, ich habe extra noch einmal ins Protokoll geschaut, weil ich mir nicht so ganz sicher war. Die beiden Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion, die bei dieser Anhörung anwesend waren, beehren uns heute leider beide nicht mit ihrer Anwesenheit. (Jan Korte [DIE LINKE]: Weil sie krank sind!) Ich hoffe, Sie haben zumindest das Protokoll gelesen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Krank, Herr Wanderwitz!) – Gut, dann sind zufällig beide krank. Das kann passieren. (Zurufe von der LINKEN: Unglaublich! – -Unverschämt! – Gegenruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Unglaubwürdig -vielleicht!) Das ist schon Zufall; darauf muss man erst einmal kommen. – Da ich nicht ganz sicher bin, ob Sie das Protokoll gelesen haben, möchte ich ein paar Aussagen, die uns die Sachverständigen nahezu einhellig mit auf den Weg gegeben haben, vortragen. Sie haben uns gesagt, dass jetzt, da bereits unheimlich viel Forschung zu diesem Themenkreis betrieben worden ist, das Wichtigste eine Bestandsaufnahme ist. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: „Unheimlich“! Das ist genau das richtige Wort!) Professor Hütter beispielsweise, der Präsident des Hauses der Geschichte in Bonn, hat gesagt, dass es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Bundesrepublik unterschiedliche Intensitäten bei der Beschäftigung mit dem Thema NS-Aufarbeitung gab. Forschung und -Wissenschaft haben sich, so Professor Hütter, sehr früh auch mit dem Themenkreis der personellen Kontinuitäten beschäftigt. Die Breite der Bevölkerung hat sich in der Tat erst beginnend in den 60er-Jahren intensiver mit dieser Frage auseinandergesetzt. Die Wissenschaft hat dies früher getan. Das ist im Übrigen ein schönes Argument dafür, zu sagen, dass man der Wissenschaft, wenn es darum geht, wie sie forscht, möglichst viel selbst überlassen sollte. Ich will aber ganz offen sagen: Das spricht überhaupt nicht dagegen, dass es, wie schon in der Vergangenheit, auch künftig punktuell weitere Forschungsaufträge, beispielsweise von Behörden oder von uns als Deutschem Bundestag, geben kann und soll. Wir haben dieser Tage den Festakt „25 Jahre Deutsches Historisches Museum“ in Berlin erlebt. Da sich das Deutsche Historische Museum wie viele andere -Museen und Einrichtungen mit der Aufarbeitung und der weiteren Vermittlung der Thematik NS-Vergangenheit befassen, ist dies, wie ich glaube, ein Anlass, darauf hinzuweisen, dass wir an dieser Stelle eine gute und breite Basis haben, auf der wir aufbauen können. Alle Experten haben uns gesagt, dass neben der -Forschung und der weiteren Aufarbeitung – deswegen setzen wir in unserem Antrag hier einen Schwerpunkt – die Vermittlungs- und Bildungsarbeit ganz wichtig sind. Völlig klar: Wir haben es immer wieder mit neuen jungen Generationen zu tun, an die wir unser Wissen darüber weitergeben müssen, was die NS-Diktatur war und – es ist bereits mehrmals gesagt worden, dass es keine Stunde null gab – was in den frühen Jahren der Bundesrepublik und der ehemaligen DDR geschehen ist. Im Juni dieses Jahres haben wir die sogenannte Schroeder-Studie der FU Berlin bekommen. Sie hat uns – leider wieder einmal – bestätigt, dass in der jüngeren Generation erschreckend viel Unkenntnis zum Thema „Diktatur und Demokratie“ vorherrscht. Ich glaube, es kann uns alle nur betroffen machen, wenn wir sehen, dass ein erheblicher Teil der jungen Leute der Meinung ist, die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2012 sei keine Demokratie. Es ist genauso bedrückend, dass viele junge Leute sagen, die Zeit des Nationalsozialismus sei keine Diktatur gewesen. Ich denke, das ist auch der Grund, warum wir alle in diesem Hause so sehr ringen, um bei diesem Thema weiter voranzukommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Erinnerungskultur ist seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der Kulturpolitik aller Bundesregierungen, so auch der christlich-liberalen Bundesregierung. Wir -haben im Zeitraum von 2010 bis 2012  13 NS-Gedenkstätten mit Projektfördermitteln in Höhe von 4 Millionen Euro bedacht, außerdem elf Gedenkstätten, die institutionell gefördert werden und in diesem Zeitraum 17 Millionen Euro jährlich erhalten. Das ist, wie ich meine, gut angelegtes Geld; auch deshalb wurde die -Gedenkstättenkonzeption in der Anhörung ausdrücklich gelobt. Es gibt inzwischen über 65 000 wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema Nationalsozialismus, mehr als zu jedem anderen zeithistorischen Thema. In der Breite gibt es keinen wissenschaftlichen Nachholbedarf. Professor Stolleis vom Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt – Kollege Ruppert hat schon darauf hingewiesen – sagte plakativ: Jedes Kind weiß inzwischen, dass es personelle Kontinuitäten gegeben hat. – Angesichts der Schroeder-Studie stellt sich die Frage, ob das wirklich jedes Kind weiß. Ich denke, er meint damit, dass es in unserer Gesellschaft beim Thema „Kontinuitäten personeller Art“ kein grundlegendes Erkenntnisdefizit gibt. Kollege Thierse hat schon gesagt: Mit dem Institut für Zeitgeschichte in München und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam haben wir für die Bestandsaufnahme fachkompetente Adressaten ausgewählt. Wir haben ihnen gegenüber behutsam deutlich gemacht, wie wir uns das vorstellen; aber wir lassen den beiden Instituten natürlich Luft, eigene Gedanken einzubringen, den Forschungsauftrag sozusagen ein Stück weit selbst weiterzuentwickeln. Im Kern waren sich alle Experten einig, dass es keine ernsthaften Forschungshemmnisse gibt. Gleichwohl geht es uns mit unserem Antrag um forschungserleichternde Regelungen zur Einsicht in Akten insbesondere des Bundesarchivs. Wir wollen gezielt Einzelstudien anregen, wo Bedarf besteht. Die entscheidende Frage ist – Kollege Thierse hat das schon angesprochen –: Wohin wollen wir künftig? Professor Henke von der TU Dresden hat sehr plastisch ausgeführt: Nachdem wir nun schon relativ viel wissen, stellt sich die Frage, warum wir nicht am Leichengift des Nationalsozialismus eingegangen sind, warum trotz starker NS-Kontinuitäten – dass es Kontinuitäten gab, ist bekannt, wenn auch vielleicht nicht in jedem Einzelfall – die Demokratie der Bundesrepublik – Gott sei Dank – so gut und so schnell geglückt ist. Das ist für uns im Jahr 2012 die entscheidendere Frage. Um dies verstehen zu können, sagte Professor Henke, darf man nicht nur die Kontinuitäten sehen, sondern muss auch die Diskonti-nuitäten sehen. Manchmal entsteht in der Debatte der -Eindruck, dass in den Institutionen fast niemand unbelastet gewesen sei. Dieser Eindruck ist natürlich falsch. In den allermeisten Institutionen war eine große Zahl von Personen unbelastet. Professor Goschler von der Ruhr-Universität Bochum sieht in gleichem Sinne das offene Forschungsfeld, in die Betroffenen hineinzuschauen. Er hat gefragt, ob es ein Leben mit gespaltener Zunge gibt oder ob die Leute einen neuen Code lernen und sich innerlich auf die -normativen Verhältnisse einlassen. – Ich glaube, das -beschreibt schön, was das Forschungsfeld sein sollte. Wir haben in unserem Antrag auch auf das Thema „NS-Belastungen in der ehemaligen DDR“ einen gewissen Wert gelegt. Schließlich war die SED – daran möchte ich an dieser Stelle erinnern – nach dem Krieg die erste Partei, die sich für ehemalige Parteigenossen der NSDAP öffnete. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: So ein Quatsch!) 1954 hatte mehr als ein Viertel der SED-Mitglieder eine NS-Vergangenheit. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Insofern wünsche ich der Linken bei der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte weiterhin viel Erfolg. Sie werden noch 2022 davon reden. Vielleicht könnten Sie das Tempo ein wenig beschleunigen, damit man in diesem Prozess auch einmal zu abschließenden Aussagen kommt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dann müssten wir von außen uns vielleicht nicht so viel mit Ihnen beschäftigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Aufarbeiten!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Gabriele Fograscher. (Beifall bei der SPD) Gabriele Fograscher (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte, die wir heute führen, findet am Vortag des 9. November statt. Auf den 9. November fallen viele historische Ereignisse, die die deutsche Geschichte geprägt haben, auch politische Wendepunkte: Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann von einem Fenster dieses Gebäudes aus die deutsche Republik aus. Am 9. November 1923 versuchten Hitler, Ludendorff und andere, die Regierungsmacht in München an sich zu reißen. In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 organisierte und lenkte das nationalsozialistische Regime Gewaltmaßnahmen gegen Jüdinnen und Juden im gesamten Deutschen Reich. Am 9. November 1989 fiel nach einer friedlichen Revolution die Mauer; die deutsch-deutsche Grenze war offen. Die historische Aufarbeitung beider Diktaturen beschäftigt uns bis heute und muss uns weiter beschäftigen. Es gibt zahlreiche Forschungsergebnisse, Gutachten und Untersuchungen zum Umgang von Bundesministerien und -behörden mit der NS-Vergangenheit. Einige davon sind veröffentlicht, einige – meine Kollegin Lühmann hat darauf hingewiesen – sind nicht veröffentlicht. Wir haben in unserem gemeinsamen Antrag formuliert: Unabhängige Forschung und die Achtung der grundgesetzlich garantierten Forschungsfreiheit sind ein hohes Gut. Dafür müssen wir gute wissenschaftliche Rahmenbedingungen schaffen und für ein forschungsfreundliches Klima in Ministerien, Gerichten und Behörden werben. Natürlich wollen auch wir kein Aktenschreddern mehr, und wir wollen auch, dass Akten offengelegt werden, soweit es eigene Bestände der Bundesrepublik Deutschland sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen und wir müssen die mit Bundesmitteln geförderten zeitgeschichtlichen Institute an dieser Aufarbeitung beteiligen. Es ist die Frage zu beantworten, wie es trotz personeller Kontinuitäten möglich war, dass sich die Bundesrepublik Deutschland zu einer stabilen Demokratie entwickeln konnte, und wir wollen uns natürlich auch mit der frühen DDR beschäftigen. Auf den Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 27. Oktober 2012 ist hier schon Bezug genommen worden. Es ist wirklich erschreckend, dass ein NS-Verbrecher damals gegen starke Bedenken von Adenauer (Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!) eingestellt worden ist, weil der Geheimdienstchef -Gehlen diesen Mitarbeiter als unentbehrlich bezeichnete. Ich glaube, es werden auch bei zukünftigen Forschungen weitere erschreckende Details aufgedeckt werden. Aber auch das gehört dazu, um die Entwicklung unseres Gemeinwesens zu verstehen und Lehren für die Zukunft zu ziehen. Es ist wichtig, dass wir mehr Erkenntnisse darüber gewinnen, welchen Einfluss die Täter aus der NS-Zeit in der Bundesrepublik Deutschland hatten, aber wir müssen auch weiterhin die Opfer im Blick behalten. Auch hier gibt es immer wieder neue Erkenntnisse, wenn akribisch recherchiert wird. Ich will ein aktuelles Beispiel nennen: Vor kurzem ist das Buch Verfolgung und Widerstand. Das Schicksal Münchner Sozialdemokraten in der NS-Zeit erschienen. Ziel dieses Buchprojekts ist es, die Verfolgung der Münchner Sozialdemokraten in ihrer ganzen Breite und in ihren unterschiedlichen Facetten zu dokumentieren und die Erinnerung an die Betroffenen und ihre Schicksale wieder wachzurufen. So heißt es auf der Internetseite des herausgebenden Volk-Verlages. Diese historische Aufarbeitung ist und bleibt wichtig. Sie ist aber auch deshalb wichtig, damit wir Konsequenzen und Lehren daraus ziehen können, um unsere Demokratie zu fördern und zu festigen. (Beifall bei der SPD) Studien wie die der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Rechtsextremismus oder der kürzlich vorgelegte Bericht des unabhängigen Expertengremiums Antisemitismus führen uns immer wieder vor Augen, dass rassistische, antisemitische Denkmuster in Deutschland noch immer in viel zu hohem Maße existieren, ja, in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt sind. Wir alle müssen uns gemeinsam bemühen, den Kampf gegen Vorurteile, Ressentiments oder, wie -Heitmeyer das nennt, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu intensivieren. Für uns gehören dazu auch eine Verstetigung der Finanzierung der bisherigen Modellprojekte gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus und eine Stärkung der politischen Bildung. In den Haushaltsberatungen können Sie die Bundeszen-trale für politische Bildung gerne gemeinsam mit uns besser ausstatten. (Beifall bei der SPD) Schließlich gehört für uns auch weiterhin dazu, die „Ex-tremismusklausel“ abzuschaffen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir müssen uns weiterhin mit unserer Geschichte auseinandersetzen – wissenschaftlich, aber auch praktisch und pädagogisch. Neben den wenigen Zeitzeugen, die uns authentisch über die NS-Zeit berichten können, müssen wir Wege finden, um die Vergangenheit auch für künftige Generationen fassbar zu machen und ein Wiedererstarken rechtsextremistischer, rassistischer und antisemitischer Tendenzen zu verhindern. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich jetzt dem Kollegen Detlef Seif von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Detlef Seif (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befassen uns heute unter Tagesordnungspunkt 4 mit mehreren Anträgen, die sich einerseits mit der NS-Vergangenheit, andererseits aber mit dem Umgang mit der NS-Vergangenheit bis in die Gegenwart befassen. Wir alle wissen, dass das deutsche Volk aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit, aufgrund des Krieges, der systematischen Verfolgung, Vertreibung und Ermordung von Menschen eine große Schuld auf sich geladen hat. Wir alle wissen, dass im Nachkriegsdeutschland ehemalige Nazis in Verwaltung und Indus-trie untergekommen sind. Es gab bei Kriegsende rund 8,5 Millionen Nazis. Geeignete Vertreter, die in die Verwaltungen, in die Industrie hätten entsandt werden könnten, waren gar nicht vorhanden. (Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!) Wir alle wissen, dass wir dieses Thema intensiv und umfassend aufarbeiten müssen. Ich glaube, niemand in diesem Hause bestreitet es, dass wir alle einhellig der Meinung sind: Hier muss umfänglich Aufklärung, auch in der Zukunft, betrieben werden. Die Linken haben zum Thema „Umgang mit der NS-Vergangenheit“ eine Große Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Dazu gibt es eine zweiseitige Begründung. Wenn man die Unterpunkte hinzunimmt, wurden 90 Fragen gestellt, auch Fragen, welche wissenschaft-lichen Studien mit welchen Quellen der Regierung bekannt sind. Das übersteigt, wenn man es einmal genau betrachtet, nach unserer Geschäftsordnung den Umfang einer Großen Anfrage bei weitem. Dennoch – bei der Wichtigkeit dieses Themas – hat die Bundesregierung sehr akribisch, ausführlich und sorgfältig ihre Arbeit geleistet und Ihnen auf jede Frage, soweit Datenmaterial zugänglich war, auch geantwortet. Ich habe es noch nicht gehört, möchte es an dieser Stelle aber einmal sagen: Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ich denke, auch für unseren Koalitionspartner FDP, möchte ich Ihnen unseren ausdrücklichen Dank dafür aussprechen, dass Sie so gründlich und sorgfältig gearbeitet haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Ihre Aufgabe!) Meine Damen und Herren, der Kollege Thierse hat sehr eindrucksvoll auch angesprochen, Herr Korte, dass in Ihrer Rede mit keinem Wort der Bezug zur DDR enthalten war und dass es glaubwürdiger gewesen wäre, wenn Sie das getan hätten. Ihre Replik war: „Wir haben das aber in der Großen Anfrage an einigen Stellen verfasst.“ Entscheidend ist aber nicht das, was man fragt, was man sagt, sondern das, was man tut. Sie haben unter der Drucksache 17/3748 Ihren Antrag so formuliert, dass nur die Bundesrepublik Deutschland und ihre Behörden betroffen sind. Also lassen Sie Ihren Worten Taten folgen. (Jan Korte [DIE LINKE]: Das gilt für alle, das vereinigte Deutschland! Wo leben Sie denn?) – Nein, das haben Sie anders formuliert, Herr Korte. Lesen Sie Ihren Antrag. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihren Ausführungen Taten folgen ließen. Korrigieren Sie Ihren Antrag 17/3748 so, dass auch Behörden der ehemaligen DDR und die Verwaltungsstruktur der DDR von Ihrem Antrag umfasst sind! (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie zu?) Es muss auch anerkannt werden – das tun Sie nicht; teilweise ist das anklagend und unterstellend –, dass die Bundesregierung bereits aus eigenem Antrieb umfangreiche Forschungsmaßnahmen durchgeführt hat, durchführt und fördert. Ich will das nicht alles wiederholen. Das ist in der Debatte im Einzelnen schon alles dargestellt worden. Der Antrag der Linken zum Tagesordnungspunkt 4 b – in Formulierungen sind Sie wirklich der Weltmeister – hat die wohlklingende Bezeichnung „Demokratie durch Transparenz stärken“. Sie fordern die Freigabe sämt-licher Verschlusssachen. Der Kollege Schuster hat das schon im Einzelnen dargelegt. Betroffen wären auch die Verschlusssachen, die mit „Streng geheim“ befasst sind. (Jan Korte [DIE LINKE]: Wir haben eine Fristenregelung vorgeschlagen!) Gerade bei den Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden umfassen die Akten Erkenntnisse über Personal, -Arbeitsweise und auch die Arbeitsergebnisse. Bei den Sicherheitsbehörden, die geheim arbeiten, die Geheimdienste, kommen darüber hinaus noch die Verfahren der Agentenwerbung, nachrichtendienstliche Mittel, etwa Observation und Legendierungen hinzu. Das würde alles offengelegt: Al-Qaida lässt grüßen. Die organisierten Verbrecher warten darauf, dass wir denen unsere Ermittlungsmethoden offenlegen. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Mann, Mann, jetzt werden Sie nicht unverschämt! Sie ticken ja nicht richtig!) Liebe Linke, vielleicht sollten Sie den Titel Ihres Antrags in „Informationsfreiheit für al-Qaida“ umformulieren. Das trifft das dann wesentlich besser. (Jan Korte [DIE LINKE]: Merken Sie eigentlich noch etwas?) Den Behörden muss es weiter möglich sein, Akten unter Verschluss zu halten. Hier hat der Kollege Thierse natürlich sehr eindrucksvoll die Fälle angesprochen, von denen wir wissen: Es handelt sich um Schwerverbrecher, um Kriegsverbrecher, um Menschen, die andere Menschen verfolgt und ermordet haben. – Wir alle haben ein Interesse daran, dass die Akten offengelegt werden. Aber man muss trotzdem die Frage stellen, ob in diesen Akten vielleicht sicherheitsrelevante Tatsachen enthalten sind, durch deren Bekanntwerden der Bundesrepublik heutzutage noch ein erheblicher Nachteil zugefügt werden könnte. Wir haben ein Kontrollgremium. Wir haben eine Bundesregierung. Das Bundeskanzleramt ist für den BND zuständig. Meine Empfehlung und mein Vorschlag: Der BND berichtet, warum einige Akten im Moment teilweise oder insgesamt zurückgehalten werden, und zwar gegenüber dem Kontrollgremium. Wenn es tatsächlich sicherheitsrelevante Gründe gibt, dann können die Akten teilweise oder in Gänze nicht freigegeben werden. Wenn nicht, gibt es dazu keinen Grund. Ich denke, dann wird uns die Bundesregierung vorschlagen, dass man diesem Vorschlag folgt und die Akten freigibt. Das wäre der richtige Umgang. Man kann nicht sagen: Nur weil jetzt die Namen von Kriegsverbrechern in den Akten enthalten sind, entfällt jedes Geheimhaltungsinteresse des Staates. – Das muss man prüfen. Wenn das Ergebnis so ist wie geschildert, dann müssen die Akten freigegeben werden. Nun haben die Linken nicht nur Akteneinsicht und Transparenz für Gesellschaft, Wissenschaft und Forschung angesprochen, sondern auch Leistungen, die Verfolgten, insbesondere der KPD, verweigert werden. Sie haben sehr eindrucksvoll dargelegt, welcher Personenkreis davon betroffen ist. Was Sie aber nicht gesagt -haben: Alle Bundesländer haben Härtefallregelungen. Diese greifen aber nur dann, wenn der KPD-Vertreter nicht aktiv gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gearbeitet hat. Das ist die wesentliche Voraussetzung. Nennen Sie uns bitte die Namen derjenigen, die davon betroffen sind und deren Fall heute nicht geregelt ist und bei denen man sagen kann: Es ist ungerecht, dass hier keine Entschädigung geleistet wird. Ich denke, da kann man einlenken. Aber Sie stellen das abstrakt im Sinne eines Klassenkampfthemas dar und verschweigen, dass dieser Personenkreis bewusst gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gearbeitet hat. Jetzt habe ich den Namen des Kollegen Thierse schon das dritte Mal in meiner Rede genannt. (Iris Gleicke [SPD]: Ich werde auch langsam unruhig!) Das wirkt schon etwas übertrieben. Aber ich muss Ihnen sagen: Ich bin Ihnen äußerst dankbar für Ihren Vorschlag, der auch in den gemeinsamen Antrag mündet, für die Art und Weise, wie Sie das vortragen und in dieses Verfahren einbringen. Ich denke, harte Töne können wir bei diesem sensiblen Thema nicht gebrauchen. Der eine oder andere hat in dieser Debatte vielleicht den falschen Ton, vielleicht auch die falsche Modulation gewählt. Ich denke, Sie sind auf dem richtigen Weg – dafür vielen Dank –, dem kann ich mich vollumfänglich anschließen. Wir müssen – das ist unser gemeinsamer Antrag – erst eine Bestandsanalyse vornehmen. Daraus wird sich entwickeln, wie weit noch Forschungsbedarf besteht. Der Forschungsbedarf ist dann aber kein Selbstzweck. Er ist auch nicht nur rechtsorientiert, sondern uns geht es darum, Gefahren, politische Fehlentwicklungen aufzuzeigen, egal ob von links oder rechts. All das, was Menschenrechte beeinträchtigt, was unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung beeinträchtigen kann, auch die Fragestellung, wie gebildete und geistig hochstehende Menschen, die wissen, was sie tun, plötzlich einer Diktatur zuarbeiten, haben uns zu interessieren. Zum Abschluss zitiere ich Professor Horst Möller, ehemaliger Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, der auch bei der Anhörung dabei war und der den Forschungsauftrag zutreffend beschrieben hat: Man muss diese Forschung zur Schärfung des demokratischen Bewusstseins betreiben. Das ist der zentrale Umsetzungsauftrag. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11336. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der Linken und der Grünen und Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt. Tagesordnungspunkt 4 b. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „NS-Vergangenheit in Bundesministerien aufklären“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 17/9448, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3748 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von SPD und Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 4 c. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Druck-sache 17/11260. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 17/11001 mit dem Titel „Wissenschafts- und Forschungsfreiheit stärken, Rahmenbedingungen verbessern – Die Aufarbeitung der Geschichte der wichtigsten staatlichen Institutionen im Bezug auf die NS-Vergangenheit durch besseren Aktenzugang unterstützen und Bestandsaufnahmen zur Aufarbeitung der früheren Geschichte der Bundesministerien und -behörden sowie der vergleichbaren DDR-Institutionen beauftragen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/10068 mit dem Titel „NS-Vergangenheit von Bundesministerien und Behörden systematisch aufarbeiten – Bestandsaufnahme zur Forschung erstellen – Erinnerungsarbeit koordinieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen und Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf -Drucksache 17/4586 mit dem Titel „Verantwortlichkeit der Bundesregierung für den Umgang des Bundesnachrichtendienstes mit den Fällen Klaus Barbie und Adolf -Eichmann“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor. Jetzt kommen wir zu Tagesordnungspunkt 4 d und damit zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Demokratie durch Transparenz stärken – Deklassifizierung von Verschlusssachen gesetzlich regeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 17/11261, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6128 abzulehnen. Jetzt kommt aber die Neuerung durch den Antrag der Grünen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun beantragt, dass über die Ziffer II Nr. 2 des Antrags einerseits und über den übrigen Antrag andererseits getrennt abgestimmt werden soll. Wir stimmen daher zunächst über die Ziffer II Nr. 2 des Antrags auf Drucksache 17/6128 ab. Wer stimmt -dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Ziffer II Nr. 2 des Antrags ist abgelehnt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten die Mehrheit! Eindeutig! – Gegenruf des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das bestimmt doch nicht ihr durch Zuruf!) – Die Mehrheit ist eindeutig. Wollen Sie einen Antrag stellen, Herr Beck? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen die Mehrheit feststellen lassen! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das Präsidium ist sich einig, fertig ist der Lack!) Nach meiner Auffassung ist die Mehrheit auf dieser Seite. – Nicht zählen, Sie müssen sagen, welcher Meinung Sie sind. (Heiterkeit – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU], Schriftführerin: Ich bin selber unsicher! Deswegen habe ich gezählt!) Wir gehen nach unserer Geschäftsordnung vor. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zahlen zählen nicht! Meinungen!) – Sie kennen die Geschäftsordnung, Herr Trittin. Also, das Präsidium ist einstimmig der Meinung, dass die Mehrheit auf dieser Seite des Hauses ist. Damit ist die Sache geklärt. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Der Herr Beck hat Sehnsucht nach ein bisschen AStA-Atmosphäre!) Jetzt stimmen wir über den übrigen Teil des Antrags auf Drucksache 17/6128 ab. Wer stimmt dagegen? – Wer stimmt dafür? – Wer enthält sich? – Der übrige Teil des Antrags ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der Linken und Enthaltung der Grünen. Tagesordnungspunkt 4 e. Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Widerstand von Kommunistinnen und Kommunisten gegen das NS-Regime anerkennen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11262, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2201 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 4 f. Beschlussempfehlung des Rechtsauschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11383, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4037 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Grünen bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 49 a bis 49 f sowie die Zusatzpunkte 2 a bis 2 e auf: 49 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Steuerliche Transparenz von multinationalen Unternehmen herstellen – Country-by-Country und Project-by-Project Reporting einführen – Drucksache 17/11075 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz Paula, Willi Brase, Dr. Wilhelm Priesmeier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bedingungen bei Tiertransporten und in Schlachtbetrieben verbessern – Drucksache 17/11148 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überprüfung der Namen von Bundeswehrkasernen – Drucksache 17/11208 – Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Kultur und Medien d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Nicole Maisch, Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Drucksache 17/11213 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Federführung strittig e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Johanna Voß, Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verbot des Fracking in Deutschland – Drucksache 17/11328 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Federführung strittig f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Bärbel Höhn, Undine Kurth (Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bedingungen in Schlachthöfen verbessern – Drucksache 17/11355 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bärbel Höhn, Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bilaterale Verhandlungen aufnehmen zur unverzüglichen Stilllegung besonders gefährlicher grenznaher Atomkraftwerke in Frankreich – Drucksache 17/11206 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Swen Schulz (Spandau), Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für einen breiten Qualitätspakt in der Reform der Lehrerbildung – Drucksache 17/11322 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Carsten Sieling, Ingrid Arndt-Brauer, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Finanztransaktionsteuer im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit einführen – Drucksache 17/11321 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Stephan Kühn, Markus Tressel, Dr. Anton Hofreiter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nationalen Radverkehrsplan 2020 zum ambitionierten Aktionsplan der Radverkehrsförderung weiterentwickeln – Drucksache 17/11357 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Sportausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Residenzpflicht abschaffen – Drucksache 17/11356 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Wir kommen zunächst zu zwei Vorlagen, bei denen die Federführung strittig ist. Tagesordnungspunkte 49 d und 49 e. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 17/11213 und 17/11328 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführungen sind strittig. Die Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Die Linke wünschen jeweils die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht jeweils Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich lasse zunächst über die Überweisungsvorschläge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen gegen die Stimmen der Grünen abgelehnt. Ich lasse nun über die Überweisungsvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Die Linke – Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen gegen die Stimmen der Grünen angenommen. Wir kommen nun zu den unstrittigen Überweisungen. Tagesordnungspunkte 49 a bis c und 49 f sowie Zusatzpunkte 2 a und 2 e. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 50 a bis 50 l sowie Zusatzpunkt 3 auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 50 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 8. April 1959 zur Errichtung der Interamerikanischen Entwicklungsbank – Drucksache 17/9697 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) – Drucksache 17/10920 – Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Selle Dr. Barbara Hendricks Joachim Günther (Plauen) Heike Hänsel Ute Koczy Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10920, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/9697 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – -Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in der zweiten Beratung angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Linken und die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 50 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 18. Oktober 1969 zur Errichtung der Karibischen Entwicklungsbank – Drucksache 17/9698 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) – Drucksache 17/10921 – Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Selle Dr. Barbara Hendricks Joachim Günther (Plauen) Heike Hänsel Ute Koczy Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10921, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/9698 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 50 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens vom 19. November 1984 zur Errichtung der Inter-amerikanischen Investitionsgesellschaft – Drucksache 17/9699 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) – Drucksache 17/10922 – Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Selle Dr. Barbara Hendricks Joachim Günther (Plauen) Heike Hänsel Ute Koczy Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10922, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/9699 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Linken und die Grünen bei Enthaltung der SPD angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 50 d: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Rahmenabkommen vom 10. Mai 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits – Drucksache 17/10757 – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) – Drucksache 17/11056 – Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Klimke Edelgard Bulmahn Bijan Djir-Sarai Wolfgang Gehrcke Dr. Frithjof Schmidt Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner -Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11056, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10757 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke. Tagesordnungspunkt 50 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 17. Dezember 2009 zwischen Kanada und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten (Vertragsgesetz EU-Kanada-Luftverkehrs-abkommen – EU-KAN-LuftverkAbkG) – Drucksache 17/10917 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) – Drucksache 17/11252 – Berichterstattung: Abgeordnete Kirsten Lühmann Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11252, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10917 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Linken. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 50 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 487 zu Petitionen – Drucksache 17/11154 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 487 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 50 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 488 zu Petitionen – Drucksache 17/11155 – Wer ist dafür? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Sammelübersicht 488 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 50 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 489 zu Petitionen – Drucksache 17/11156 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 489 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 50 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 490 zu Petitionen – Drucksache 17/11157 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 490 ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 50 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 491 zu Petitionen – Drucksache 17/11158 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 491 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 50 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 492 zu Petitionen – Drucksache 17/11159 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 492 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Linken bei Gegenstimmen von SPD und Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 50 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 493 zu Petitionen – Drucksache 17/11160 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 493 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Zusatzpunkt 3: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europäische Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwickeln und stärker institutionell in der EU verankern – Drucksache 17/11329 – Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Linken angenommen. Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jahrestag des Bekanntwerdens der NSU-Terrorzelle – Zwischenbilanz der Ermittlungspannenaufklärung und Stand des Kampfes gegen den Rechtsextremismus Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Wolfgang Wieland von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch nach einem Jahr hat sich das Entsetzen noch nicht gelegt, und auch die Fassungslosigkeit ist noch nicht verschwunden: Da taucht eine Terrorzelle unter den Augen der Polizei ab, bleibt 14 Jahre lang unentdeckt, begeht in dieser Zeit neun Morde an Migranten und einen Mord an einer Polizistin, begeht mehrere Mordversuche, zündet zwei Bomben und begeht eine Serie von Banküberfällen quasi vor ihrer Haustür – und nicht eine dieser Taten wird ihr bis dahin von den Sicherheitsbehörden zugerechnet. Im Gegenteil: Ohne das Finale in Eisenach suchte man den Ceska-Mörder immer noch im Milieu der organisierten Kriminalität und tappte bei den anderen Spuren im Dunkeln. Bis in den Sommer vergangenen Jahres hinein präsentierte das Bundeskriminalamt in großen Schaubildern die Ceska-Morde als Beispiele für organisierte Kriminalität in Deutschland – mit längst ausgeräumten, von den eigenen Beamten widerlegten Verdächtigungen gegenüber den Opfern. Sie wurden, weil man auch die Medien entsprechend befeuerte, in ausgeklügelten Medienstrategien so zweifach zum Opfer; ihre Familien wurden stigmatisiert. Hier hat der deutsche Staat eine schwere Schuld auf sich geladen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wir können nur hoffen – bei dieser Debatte sind Vertreter des Zentralrats der Juden und von Opferinitiativen des Türkischen Bundes anwesend; wir haben auch lange mit Vertretern der Sinti und Roma darüber geredet –, dass die Aufklärungsarbeit hier im Bundestag und in den Landtagen sowie auch das, was die Justiz nun mit Anklageerhebung und mit Strafverfahren leistet, wenigstens eine gewisse Genugtuungsfunktion für die Familien der Opfer hat; dringend nötig ist es. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN) Der zurückgetretene Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz formulierte es so: Wir haben versagt. Wir hätten es angesichts der deutschen Geschichte besser wissen müssen. – Das gilt vor allem für sein eigenes Haus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dies wurde im Jahr 2003 direkt gefragt, ob es eine „braune RAF“ in Deutschland gebe – der bayerische Innenminister Beckstein hatte diesen Begriff in die Debatte gebracht –, und es wurde sogar speziell gefragt, ob die Untergetauchten aus Jena eine solche terroristische Gruppierung sein könnten. Die Antwort war Nein; denn schließlich, so hieß es, seien diese auf der Flucht, und schließlich hätten sie, soweit ersichtlich, keine weiteren Straftaten begangen. – Da hatten sie schon viermal gemordet und eine Bombe in Köln gelegt. Wir haben hier ein Totalversagen leider aller Sicherheitsbehörden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Nicht alle sind so selbstkritisch, wie es Herr Fromm war. Der ehemalige Vizepräsident des Bundeskriminalamtes Bernhard Falk nannte die Arbeit der Kriminalpolizei „kriminalfachlich stümperhaft organisiert“. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, außer dass diese Selbstkritik leider singulär geblieben und an der Spitze des BKA nicht angekommen ist. Dort meint Präsident Ziercke, man habe erfolgreich gearbeitet; schließlich habe die Mordserie aufgehört. – Ein Erfolg, den nur er sieht! Zu diesem Versagen kommt nicht nur das Strukturproblem der Sicherheitsbehörden hinzu, sondern auch das Mentalitätsproblem und das Problem der Arbeitsweise, was nicht zuletzt das Schreddern der Akten – im Grunde bis zum heutigen Tag weit verbreitet in den Sicherheitsbehörden – zeigt. Man glaubt es nicht, dass im Land Berlin noch Ende Juni dieses Jahres Akten geschreddert wurden. Hier müssen Änderungen erfolgen. Hier brauchen wir eine Zäsur. Hier brauchen wir einen Neustart bei den Verfassungsschutzorganisationen. Wir brauchen vor allen Dingen eine grundlegende Änderung im V-Mann-System; das muss radikal auf den Prüfstand. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es kann nicht sein, dass wir geradezu Informationsblockaden haben: in einem Landesamt von einer Abteilung zur anderen, bei den Landesämtern untereinander, im Verhältnis von Ländern und Bund und erst recht vom Verfassungsschutz zur Polizei. Nur ein Beispiel: Die Bitte der BAO „Bosporus“ um Benennung eines Ansprechpartners wurde telefonisch beschieden: Stellen Sie doch erst mal einen schriftlichen Antrag! Im Übrigen haben wir Landesämter. – Dies ist nicht nur eine fehlende Kooperation; dies ist ein Gegeneinander, und so kann es nicht weitergehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]) Last, but not least – meine letzte Ausführung –: Es wäre ein Fehler, auf die Schandtaten dieses Trios lediglich mit einer Reform der Abteilung für staatliche Repression und staatliche Prävention zu antworten. So notwendig hier Mentalitätswechsel und neue Strukturen sind: Es ist Aufgabe von uns allen, es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, den Netzwerken der Nazis den Boden streitig zu machen; und es ist Aufgabe des Staates, die vielfältigen Initiativen dabei vorurteilsfrei und dauerhaft zu unterstützen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) Nicht die Polizei kann verhindern, dass rassistisches Gedankengut junge Köpfe erreicht und vergiftet; das müssen wir alle leisten, täglich und leider beinahe an jedem Ort in unserem Land. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Wolfgang Wieland. – Nächster Redner ist für die Bundesregierung Herr Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich. Bitte schön, Herr Bundesminister. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor genau zwölf Monaten ist diese Mörderbande, die zehn Morde begangen hat, die Banken überfallen hat und die Bombenanschläge verübt hat, enttarnt worden. Der Schock sitzt tief; nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch bei den politisch Handelnden, aber auch bei den Sicherheitsbehörden. Ein Schock deshalb, weil man bis zu diesem Tag, dem 4. November 2011, nicht wusste, dass es diese Rechtsterroristen gibt (Zurufe von der LINKEN) – alle Experten hatten sich offenkundig geirrt und versagt –, (Zuruf von der LINKEN: Peinlich!) und weil man nicht in der Lage war, die Mörder, die Bankräuber und die Bombenattentäter zu finden. Ich denke, das Urteil des eben zitierten, zurückgetretenen Präsidenten des BfV, Heinz Fromm, die Sicherheitsbehörden hätten eine Niederlage erlitten, kann man nur bekräftigen. Meine Damen und Herren, mich hat am meisten das Treffen mit den Angehörigen der Mordopfer berührt. Man muss sich das einmal vorstellen: Menschen verlieren einen Sohn, einen Vater, einen Bruder und geraten anschließend selbst in den Kreis der Verdächtigen und werden von ihrer sozialen Umgebung distanziert behandelt nach dem Motto: Wer weiß, was wirklich dahinter ist. Das hat diese Menschen sehr verletzt und sehr getroffen. Unser Versprechen, dass wir diese Verbrechen aufklären, besteht weiter. Wir tun das auch; denn Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz sind seit zwölf Monaten engagiert und mit Hochdruck dabei, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu schreddern!) all das aufzuklären, was in diesem Zusammenhang passiert ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, vielleicht haben Sie es den Agenturen entnommen: Es ist inzwischen Anklage gegen Frau Zschäpe und andere erhoben worden. Das geschieht in einem sehr schwierigen Umfeld der Ermittlungen, weil zwei der Hauptverdächtigen tot sind, weil Frau Zschäpe bisher offenkundig noch nicht ausgesagt hat und weil ein Teil der Beweismittel, die in dem Haus vorhanden waren, in dem die drei gewohnt haben, durch die Brandstiftung vernichtet wurden. Wir haben dafür gesorgt, dass in der Spitze bis zu 400 Beamte vom Bundeskriminalamt, von Landeskriminalämtern und der Polizei zusammen mit dem Generalbundesanwalt über 6 800 Asservate ausgewertet haben. Die Verfahrensakten umfassen nach derzeitigem Stand schätzungsweise rund 280 000 Seiten. Diese 280 000 Seiten sind Grundlage für weitere Maßnahmen und Anklageerhebungen der Justiz. Ich glaube, es ist hier der Zeitpunkt gekommen, den Beamtinnen und Beamten der Polizei und des Verfassungsschutzes dafür zu danken, dass sie in den letzten zwölf Monaten diese Arbeit mit großer Akribie und großem Erfolg gemacht haben. Die Anklage ist erhoben worden. Daran kann man sehen, die Aufklärung geht voran. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der LINKEN) Meine Damen und Herren, neben der Aufklärung der Mordfälle muss natürlich geklärt werden, wie es zu dieser kollektiven Fehleinschätzung der Sicherheitsbehörden auf allen Ebenen kommen konnte. Man wusste erstens, dass die Rechtsextremisten gewalttätig waren, gewaltaffin, wie es in vielen Berichten heißt. Man wusste, dass sie mit großer Verve, mit großem Fanatismus ihre hirnverbrannte Ideologie, ihre menschenverachtende Ideologie verfolgen. Deswegen ist es ein Wunder, dass man diese Gefahr so unterschätzen konnte (Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und offenkundig nicht damit gerechnet hat, dass es ein Netzwerk gegeben hat, mit dem sie sich anonym vor den Behörden verstecken konnten. An diesem Fall wird deutlich, dass wir eine neue Entschlossenheit zur Bekämpfung des Rechtsextremismus in Deutschland brauchen. Zumindest dieser Fall muss Ausgangspunkt für die neue Entschlossenheit sein. (Zurufe der Abg. Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Meine sehr verehrten Damen und Herren, neben der Aufklärung des kollektiven subjektiven Versagens geht es natürlich auch darum, dass die Strukturen, Organisationen und Kommunikationswege kritisch untersucht werden. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Objektiv!) In diesem Zusammenhang bedanke ich mich ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen des NSU-Un-tersuchungsausschusses. Ich habe selbst zwei Untersuchungsausschüssen angehört und weiß, was es bedeutet, viele Akten durchzuwühlen und sich in die Problematik einzulesen. Ganz herzlichen Dank für die Arbeit, die Sie dort verrichten! Sie haben schon die Kommunikationsprobleme aufgezeigt, die zwischen den Behörden sichtbar geworden sind; das ist, glaube ich, auf ganz gute Art und Weise gelungen. Wir haben inzwischen schon darauf reagiert, indem wir die Kommunikation zwischen den Behörden zum Haupttätigkeitsfeld für Reformen ernannt haben. Ich bedanke mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Bund-Länder-Kommission, die die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Landesebene untersucht. Das ist bisher ganz ohne Öffentlichkeit geschehen; ich kann Ihnen aber zusagen, dass diese Bund-Länder-Kommission noch in diesem Jahr einen Zwischenbericht vorlegen wird. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Innerhalb des Innenministeriums und innerhalb der Behörden wurde eine Fülle von Arbeitsgruppen eingerichtet, die sich mit der Modernisierung von Abläufen, der Modernisierung von Kommunikation und auch der Modernisierung der Kontrolle beschäftigen. Diese Arbeitsgruppen beschäftigen sich übrigens auch mit der Frage, Kollege Wieland, wie wir in Zukunft mit den V-Leuten umgehen. Einige wichtige Maßnahmen haben wir bereits umgesetzt. Bereits fünf Wochen nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie haben wir ein Gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus eingerichtet, das auf die Standorte Meckenheim und Köln aufgeteilt ist. In diesem Gemeinsamen Abwehrzentrum sitzen täglich Vertreter der Behörden von Bund und Ländern zusammen und diskutieren über die Fälle, die in den Ländern und auf Bundesebene zur Kenntnis der Behörden gelangen. Das halte ich für ausgesprochen wichtig. Ich glaube, dass man heute sagen kann: Hätte es dieses Zentrum bereits vor 10 oder 15 Jahren gegeben, wäre man heute sicher ein Stück weiter gewesen und einer Fehleinschätzung nicht in diesem Maße unterlegen. (Zuruf der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir haben das Ganze erweitert und ergänzt, indem wir die modernen Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation nutzen. Seit September dieses Jahres existiert eine Rechtsextremismusdatei. Diese Datei ist ein wichtiges Hilfsmittel für die Behörden, um auch auf diesem Wege die Kommunikation zu verbessern. Inzwischen kommt die Gefahr der Propaganda der Rechtsextremen auch aus dem Internet. Wir haben eine koordinierte Internetauswertung eingerichtet; das ist eine Einheit, die sich darauf spezialisiert, Neonazis und Rechtsextremismus im Internet zu bekämpfen. Diese Einrichtung halte ich ebenfalls für sehr wichtig. Wir müssen jetzt gemeinsam mit den Ländern versuchen, im Verbund des Verfassungsschutzes auf Bundes- und auf Landesebene voranzukommen. (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Was ist denn aus Ihrem Vorschlag geworden?) Zusammen mit den Innenministern der Länder haben wir bereits zehn allgemeine Grundsätze koordiniert und verabschiedet. Ich habe eine Konkretisierung dieser Maßnahmen vorgenommen, und zwar sowohl im Hinblick auf die interne Reform des Bundesamts für Verfassungsschutz als auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit im Verbund. Bei der Innenministerkonferenz im Dezember werden wir Ihnen konkrete Ergebnisse präsentieren können. Wichtig ist – Kollege Wieland hat darauf hingewie-sen –, dass wir nicht nur im Bereich der Strafverfolgung und im Bereich der Sicherheitsbehörden handeln, sondern dass wir uns auch darüber im Klaren sind, dass der Kampf gegen den Rechtsextremismus die gesamte Gesellschaft betrifft. (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen aber noch mehr tun!) Im präventiven Bereich muss Demokratie trainiert werden. Das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ des Bundesinnenministeriums ist ein Programm, das die Strukturen im gesellschaftlichen Bereich widerstandsfähig machen soll gegen rechtsextremistisches Gedankengut. Unter anderem wird ein Demokratietraining eingeübt, um die verschiedenen Organisationen gegen dieses Gedankengut abwehrfähig machen zu können. Dieses Programm wird weiter fortgeführt. In diesem Zusammenhang bedanke ich mich bei den Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, dass sie für den Sicherheitsbereich 25 Millionen Euro mehr zur Verfügung gestellt haben, um effektiv gegen den Rechtsextremismus kämpfen zu können. Es geht letztlich darum, dass wir Fehler und Versäumnisse klar benennen (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann voran! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Fehler und Versäumnisse beseitigen. Ich will es noch einmal betonen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir bekämpfen den Rechtsextremismus in unserem Land mit neuer Entschlossenheit. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Dr. Eva Högl. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Högl. (Beifall bei der SPD) Dr. Eva Högl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Mordserie des NSU war ein Anschlag auf unsere Demokratie. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, war es richtig, dass wir uns hier im Deutschen Bundestag entschieden haben, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, um die Versäumnisse, das Versagen und die gemachten Fehler hier im Parlament aufzuarbeiten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das bestreitet auch keiner!) Es war eine richtige und gute Entscheidung, das zu einer Angelegenheit des Parlaments zu machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich weiß, dass viele von uns am Anfang zu Recht skeptisch waren, ob ausgerechnet ein Untersuchungsausschuss das richtige Gremium ist, um das aufzuarbeiten. Aber wir haben es bis jetzt geschafft – wir arbeiten jetzt zehn Monate zusammen –, partei- und fraktionsübergreifend sachorientiert zusammenzuarbeiten und aufzuklären. Das macht unseren Untersuchungsausschuss stark und schafft auch Vertrauen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) Es waren sicherlich viele skeptisch – auch das wissen wir –, ob elf Abgeordnete des Deutschen Bundestages überhaupt etwas ans Tageslicht befördern können, ob sie mit den vielen Akten zurande kommen. Ich glaube, wir haben in den zehn Monaten bewiesen, dass das möglich ist. Wir haben sehr viel ans Tageslicht befördert, wir haben viel aufgedeckt. Allerdings nichts, was uns Freude macht; vieles erschreckt uns, macht uns fassungslos, erstaunt uns zumindest sehr oder lässt uns den Kopf schütteln. Meine Damen und Herren, ich freue mich auch sehr, dass unser Untersuchungsausschuss so intensiv von den Medien und der kritischen Öffentlichkeit begleitet wird, dass das Thema nicht nur vor einem Jahr, ganz zu Beginn der Diskussion, und vielleicht jetzt noch einmal, zum Jahrestag, interessant war, sondern es über ein Jahr hinweg eine kontinuierliche Berichterstattung gab und die Veranstaltungen, auf denen wir über dieses Thema diskutiert haben, gut besucht waren, weil sich viele Bürgerinnen und Bürger zu Recht für das interessieren, über das wir hier miteinander diskutieren. Wir nehmen einen Auftrag sehr ernst: Wir machen diese Arbeit im Deutschen Bundestag für die Opfer und ihre Angehörigen. Das ist uns eine Verpflichtung, das nehmen wir ernst, das ist für uns ganz wichtig. Wir können kein geschehenes Unrecht wiedergutmachen; aber wir können mit einer konsequenten, lückenlosen Aufklärung dazu beitragen, dass diese schlimmen Ereignisse, die für die Familien erschütternd und wirklich entsetzlich sind, zumindest verarbeitet werden können. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das ist ein wichtiges Signal aus diesem Parlament. Meine Damen und Herren, es sind Fehler gemacht worden. Wenn eine rechtsextreme Terrorgruppe 14 Jahre lang untertauchen kann, wenn sie zehn Menschen hinrichten kann, wenn sie 2 Sprengstoffanschläge mit vielen Verletzten und 15 Banküberfälle begehen kann, dann kann es nicht sein, dass keine Fehler gemacht worden sind, dann sind in unseren Sicherheitsbehörden Fehler gemacht worden. Das gilt für die Polizei, für den Verfassungsschutz, für die Zusammenarbeit in den Bundesländern, aber auch zwischen den Bundesländern und der Bundesebene. Das gilt auch, meine Damen und Herren, für Entscheidungen auf der politischen Ebene, für falsche Einschätzungen und falsche Bewertungen. Das werden wir ans Tageslicht befördern; da bleiben wir weiter dran. Wir müssen aus diesen Erkenntnissen die richtigen Lehren, die richtigen Konsequenzen ziehen und umfassende Reformen bei der Polizei, beim Verfassungsschutz, bei der Ausgestaltung der Zusammenarbeit und der Arbeitsweise unserer Sicherheitsbehörden durchführen. Wir brauchen diese Reformen. Wenn wir nur hier und da ein bisschen an der Ausgestaltung der Zusammenarbeit schrauben, dann haben wir die Lehren aus dieser rechtsextremen Mordserie nicht verstanden. (Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU]) Herr Bundesminister Friedrich, da muss ich Ihnen sagen: Das, was Sie hier vorgetragen haben, ist zu wenig. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was Sie hier in diesem Jahr gemacht haben, ist zu wenig; es ist unengagiert und fantasielos. Die Verbrechen der rechtsextremen Terrorgruppe wurden vor einem Jahr aufgedeckt. Man kann jetzt schon tätig werden. Die Bundeskanzlerin selbst hat für die Bundesregierung versprochen, lückenlos aufzuklären, die Aufklärung engagiert voranzutreiben und Konsequenzen zu ziehen. Herr Bundesminister, ich muss sagen: Das, was Sie hier vorgetragen haben, genügt dem überhaupt nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Friedrich, auch das muss erwähnt werden: Es war ein schwerer Fehler – ich gehe davon aus, dass Sie das genauso sehen –, dass Sie im November 2011 nicht sofort einen umfassenden Aktenvernichtungsstopp erlassen haben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist so unglaublich viel Vertrauen zerstört worden, zunächst einmal durch die Fehler, die bei den Sicherheitsbehörden gemacht wurden, aber ein zweites Mal durch die Aktenvernichtung. Es war ein gravierender Fehler, dass nicht dafür gesorgt wurde, dass kein Blatt Papier vernichtet und keine Datei gelöscht wird. Meine Damen und Herren, da frage ich mich auch: Wie muss das auf die Angehörigen der Opfer wirken, die nicht nur die Ereignisse von damals verkraften müssen, sondern jetzt auch noch erleben müssen, dass unsere Sicherheitsbehörden nicht alles dafür tun, dass lückenlos aufgeklärt wird? Da drängt sich schon der Eindruck auf, dass etwas vertuscht werden soll. Wir haben kein Interesse daran, einen solchen Eindruck zu erwecken. Wir müssen jetzt aber dafür sorgen, dass lückenlos aufgeklärt wird. Meine letzte Bemerkung. Mir ist ganz wichtig: Wenn wir aufgeklärt und Reformen auf den Weg gebracht haben, dann dürfen wir auf keinen Fall den Aktendeckel zumachen – nach dem Motto „Das war das Kapitel rechtsextremer Terror des NSU“ –, sondern wir alle müssen die Lehren daraus ziehen und den Rechtsextremismus konsequent bekämpfen. Herr Bundesminister, das geht weit über das hinaus, was Sie hier vorgetragen haben. Ich hoffe, dass wir entsprechende Mehrheiten im Bundestag dafür bekommen, dass wir das zu unserer Aufgabe machen und diese Herausforderung annehmen können. Danke schön. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Högl. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Hartfrid Wolff. Bitte schön, Kollege Hartfrid Wolff. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Morde der Zwickauer Terrorzelle sind die bislang schwerwiegendste Kette von rechtsextrem motivierten Gewaltverbrechen, die die Bundesrepublik Deutschland erlebt hat. Sie sind der Grund für eine schwerwiegende Krise unserer Sicherheitsorgane. Die FDP hat von Anfang an auf eine lückenlose par-lamentarische Aufklärung gedrängt. Zu viel war augenscheinlich schiefgelaufen. Über Jahre hinweg wurden Menschen ermordet. Auch den Angehörigen wurde unermessliches Leid zugefügt. Die Behörden haben jahrelang ergebnislos ermittelt. Da muss sich niemand wundern, dass das Ansehen unserer Sicherheitsorgane schwer belastet ist. Ich glaube, inzwischen sind wir uns hier im Hause einig: Der Untersuchungsausschuss hat dabei die Auf-klärungsarbeit erheblich vorangebracht – seriös und konsequent –, und er bewältigt erfolgreich ein großes Arbeitspensum, gemeinsam und über Parteigrenzen hinweg. Und, meine Damen und Herren, wir müssen weitermachen. Der Untersuchungsausschuss hat vier Er-mittlungsbeauftragte eingesetzt und gerade erst eine erhebliche Fülle an zusätzlichen Akten bekommen. Wöchentlich kommen neue Fakten auf den Tisch, denen wir nachgehen müssen. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir nach der Wahl weitermachen und eine Empfehlung an den nächsten Deutschen Bundestag aussprechen, den Untersuchungsausschuss in der kommenden Legislaturperiode – getragen von allen Fraktionen – fortzusetzen. Wir brauchen mehr Zeit, um besser aufklären und um fundierte Empfehlungen für die Zukunft aussprechen zu können – zur besseren Bekämpfung des Rechtsextremismus in Deutschland und international, für wirksame Empfehlungen zur Stärkung unserer Sicherheitsarchitektur – und um den Opferschutz voranbringen zu können. Dass immer mehr Fehler der Behörden zutage treten, ist erschütternd. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf eine lückenlose und gemeinsame politische Aufklärung dieser Fehler. Nur so ist das Vertrauen in die Behörden mittel- und langfristig wiederherzustellen. Ich habe den Eindruck, manche Behörden haben den Schuss immer noch nicht gehört. Warum werden in Berlin noch Akten geschreddert, nachdem die Vernichtung von Akten beim Bund bekannt geworden ist? Wir reden von einem gravierenden Vertrauensverlust in die Fähigkeiten der Sicherheitsbehörden. Wie konnte es möglich sein, dass die Naziterroristen 13 Jahre im Untergrund lebten? Und: Wir reden von einem Vertrauensverlust in rechtsstaatliche Abläufe in Behörden. Weshalb wurden warum welche Akten gelöscht? Warum waren Beamte und V-Leute beim Ku-Klux-Klan aktiv? Wurden Rechtsextremisten gar von Sicherheitsbeamten gedeckt? Der Verfassungsschutz muss mit einem aktiven Sicherheitsauftrag ausgestattet und rechtsstaatlich wieder aufgerichtet werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Im Zuge einer grundlegenden Reform müssen wir für rechtsstaatliche Standards in ganz Deutschland für den Einsatz von V-Leuten, für neue Richtlinien zur Aufbewahrung und Löschung von Akten sowie für eine bessere Ausbildung der Mitarbeiter der Dienste sorgen. Vor allem aber brauchen wir eine deutlich bessere, konti-nuierliche Kontrolle. Die Dienste müssen strenger an die Leine genommen werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestages muss erheblich gestärkt werden. Wir brauchen jederzeit Zugang zu allen Vorgängen, volle Akteneinsicht und einen ständigen Sonderermittler des Kontrollgremiums, der mit seinem Stab den Abgeordneten in ihrem Auftrag zuarbeitet. (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, auch die Länder haben nebeneinanderher gearbeitet. Es wäre unverantwortlich, hieraus keine Konsequenzen zu ziehen. Die unverhohlene Verteidigung von Ressortegoismen und von Kompetenzen im Bund-Länder-Verhältnis muss auf den -Prüfstand. Wer nicht zusammenarbeitet, schafft Sicherheitslücken. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es macht fast fassungslos, dass nach wie vor einzelne Länder nicht bereit sind, sich konstruktiv an einer Reformdiskussion zu beteiligen, und lieber alte Strukturen verteidigen, die offensichtlich versagt haben, oder gar die transparente Aufklärung attackieren, wie beispielsweise im Fall des Landes Thüringen. Der Abbau von Doppelstrukturen ist nötig. Das ist leider immer noch ein Bohren dicker Bretter. Der Bund muss hier vorangehen. Auch im Zusammenhang mit dem MAD ist zu fragen, ob seine Aufgaben nicht besser mit den Aufgaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz zusammengeführt werden. Gerade heute haben wir dafür aus dem Untersuchungsausschuss die besten Beweise bekommen. Die Zusammenarbeit zwischen MAD, Verfassungsschutz und den anderen Sicherheitsbehörden leidet deutlich. Eine Verzahnung tut not. Nach den vergangenen 25 Jahren, in denen die Bundeswehr um drei Viertel geschrumpft wurde, brauchen wir nicht wirklich einen zusätzlichen Geheimdienst der Bundeswehr. Hier wünsche ich mir mehr Mut zum Wohle und zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Eine stärkere Kontrolle der Dienste, bundeseinheitliche Standards, mehr Zusammenarbeit, effektivere Strukturen und ein rechtsstaatliches Selbstverständnis können wieder Vertrauen schaffen. Die FDP wird weiter auf lückenloser Aufklärung bestehen und im Ausschuss konsequent und konstruktiv mitarbeiten. Nur so kann es gelingen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Wolff. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Petra Pau. Bitte schön, Kollegin Petra Pau. (Beifall bei der LINKEN) Petra Pau (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 4. November 2011 offenbarte sich eines der größten po-litischen und Sicherheitsversagen: der Nazimordskandal, der seitdem unter dem Kürzel NSU verhandelt wird. Zehn Morde und noch mehr Verletzte gehen auf das Konto dieses terroristischen Nazitrios und seiner Unterstützer. Wir müssen allerdings auch berücksichtigen: Bevor sie im Jahr 2000 ihre erste Hinrichtung ausführten, waren seit 1990 bereits 105 Menschen in der Bundes-republik aus rassistischen, rechtsextremen Motiven umgebracht worden – erschlagen, erschossen, verbrannt, ertränkt. Auch sie müssen uns mahnen. (Beifall im ganzen Hause) Latenter Rassismus wird auch heute immer wieder befeuert. Aktuell geschehen ist dies im Land Berlin, wo demonstrierenden Asylbewerbern in nasser Kälte Decken, Isomatten und Schirme entzogen wurden, damit sie ab- und zusammenbrechen. Nazis frohlocken öffentlich darüber; ich schäme mich dafür. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]) Ich habe ein anderes Verständnis von Menschen- und Bürgerrechten. Der NSU-Untersuchungsausschuss sei eine seltene Sternstunde der Demokratie. Er versuche, sachlich aufzuklären, statt politisch zu keilen. Diese Einschätzung las ich in einem Magazin, und ich teile sie gern. Das sind wir den Opfern und ihren Hinterbliebenen aber auch schuldig. Umso verantwortungsloser sind Versuche, ausgerechnet uns Parlamentarier in hintergründigen Gesprächen als Sicherheitsrisiko zu brandmarken. (Beifall bei der LINKEN, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU]) Was für ein Demokratieunverständnis bricht sich hier eigentlich Bahn? Das Nazitrio wurde in den 1990er-Jahren rassistisch sozialisiert. Dazu gehörten Pogrome in Mölln und Rostock-Lichtenhagen, aber es war viel schlimmer. 1991 und 1992 gab es Tag für Tag rassistische Angriffe auf Unterkünfte von Migranten und Asylsuchenden. Dabei hatten militante Rassisten viele Biedermänner an ihrer Seite. Und auch das gab es: Auch Polizisten sahen weg, anstatt diese Menschen zu schützen. Nazis mussten sich in ihrem Wahn regelrecht bestätigt fühlen, auch durch die Politik. Wer diese Geschichte, diese Vorgeschichte ausblendet, hat das NSU-Desaster nicht verstanden. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich sage aktuell aber auch: Deshalb ist es ein Spiel mit dem Feuer, erneut eine Asyldebatte zu entfachen, noch dazu gegen Sinti und Roma. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann doch nicht ein Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma einweihen und gleichzeitig lebende Sinti und Roma zur Unperson erklären. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schauen wir uns die Ermittlungen zur NSU-Mord-serie an: Als acht Menschen mit türkischen Wurzeln und ein Grieche ermordet wurden, suchte man die Täter unter Türken. Als in Heilbronn die Polizistin Kiesewetter ermordet wurde, suchte man die Täter unter Sinti und Roma, wieder mit Eifer und europaweit. Die These, man habe vorurteilsfrei in alle Richtungen ermittelt, ist eine pure Schutzbehauptung und stimmt einfach nicht. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Um es klar zu sagen: Ich unterstelle keinem Beamten, er sei Rassist. Das wäre auch schlicht falsch. Aber die einseitigen Ermittlungen hatten rassistische Züge. Deshalb hat der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, recht: Wer ernsthaft über Integration sprechen will, muss endlich auch über Rassismus in Deutschland reden. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich füge hinzu: Sonst gedeihen im Schatten dieses Schweigens die nächsten NSU-Banden. Aktuell wird viel über die Sicherheitsarchitektur -gesprochen. Ich tue das heute nicht. Ich möchte ab-schließend auf einen anderen Widerspruch verweisen: Die Naziszene hat sich systematisch und langfristig militarisiert. Wie wir aus der V-Leute-Praxis wissen, auch mit staatlichem Beistand. Jene aber, die sich alltäglich gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagieren, werden kurzatmig gehalten und obendrein brüskiert. Das kann nicht gutgehen. Wir brauchen endlich eine neue Präventionsarchitektur, ohne Extremismusklausel, aber mit verlässlicher Förderung. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kurzum: Es reicht nicht, ein Jahr nach dem Auffliegen des NSU-Nazitrios zu erinnern und zu mahnen. Das ersetzt keine politischen Konsequenzen. Sie fehlen noch immer. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Petra Pau. – Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Clemens Binninger. Bitte schön, Kollege Clemens Binninger. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Clemens Binninger (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es war eine Niederlage für die Sicherheitsbehörden, so Verfassungsschutzpräsident a. D. Fromm. Es war mehr. Dass Menschen in Deutschland Angst um ihr Leben haben mussten, weil sie ausländischer Abstammung waren oder weil sie unseren Staat als Polizistin repräsentiert haben, war eine Niederlage für unsere ganze Gesellschaft und darf sich nicht wiederholen. (Beifall im ganzen Hause) Dass bei der Untersuchung der Mordserie eines abgetauchten Trios, das zunächst nicht gefunden werden und mehrere Jahre unentdeckt morden und rauben konnte, Fehler passiert sind, ist offenkundig. Wer hier eine andere Ansicht vertreten würde, wäre in der Tat fehl am Platze. Deshalb ist es gut, dass der Deutsche Bundestag gemeinsam einen Untersuchungsausschuss eingesetzt hat. Unsere Aufgabe ist es, alle Fragen zu stellen – alle –, auch im Interesse der Opfer und der Familien der Opfer. Wir stellen stellvertretend für sie die Fragen, die sie sich selber stellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Warum ist es nicht gelungen, die Täter zu ermitteln, obwohl es doch so viele Hinweise gab? Für mich gab es viele Fehler; ich will aber keine Rangliste aufstellen. Da war der Sprengstoffanschlag in Köln, in einer Straße, in der nur ausländische Mitbürger leben. Er wurde genau so begangen, wie es in einem Dossier des Verfassungsschutzes steht; die Tatbegehungsweise passt also exakt auf ein Dossier des Nachrichtendienstes, das vier Wochen später veröffentlicht wurde. In diesem Dossier sind auch mögliche Täter genannt. Da steht drin: Für solche Taten könnten auch die Jenaer Bombenbastler in Betracht kommen, also Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Trotzdem hat man nicht in diese Richtung ermittelt. Das macht mich wirklich fassungslos und ratlos. Das darf sich nicht wiederholen. (Beifall im ganzen Hause) Wenn wir Kritik an den Sicherheitsbehörden üben, müssen wir trotzdem fair bleiben. Es wurde mit hohem Aufwand ermittelt; wohl wahr. Aber wenn man sich ansieht, wie die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Nachrichtendiensten ablief, muss man feststellen: Das ist nicht hinnehmbar. Bei einer Anfrage aus den Ermittlerkreisen musste man neun Monate warten, bis dann eine völlig unzureichende Antwort kam. Es war in Summe ein schlechter Informationsaustausch. Dass es nicht gelingt, eine Verbindung herzustellen zwischen 14 Banküberfällen, bei denen immer zwei Männer mit Fahrrad vom Tatort weggefahren sind, und einer Verbrechens-serie, bei der ebenfalls immer zwei Männer mit Fahrrad am Tatort gesehen wurden, ist ein Armutszeugnis für die Analysefähigkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Gleichwohl wurde mit hohem Aufwand ermittelt. Das, glaube ich, kann niemand bestreiten. Ich würde niemandem in diesem Land unterstellen, nicht willens zu sein, einen Mord aufzuklären. Aber wenn man den Aufwand, der für eine bestimmte Ermittlungsrichtung betrieben wurde – über Monate, gar Jahre, und das bis zuletzt –, mit dem Aufwand vergleicht, der für Ermittlungen in Richtung rechtsradikaler Täter betrieben wurde, dann muss man sagen: Hier besteht ein Missverhältnis, das sich so nicht wiederholen darf. (Beifall im ganzen Hause) Ich glaube, dass der Gedanke der Opferbeauftragten der Bundesregierung, Frau John, ein kluger ist und in unsere weiteren Überlegungen mit einfließen sollte. Wenn es um ein Verbrechen geht, bei dem das Opfer auslän-discher Herkunft ist oder der jüdischen Religion angehört und der Täter nicht feststeht, muss es für die Behörden eine Verpflichtung sein, nachhaltig in Richtung Fremdenfeindlichkeit oder Antisemitismus zu ermitteln und das auch zu dokumentieren. Wenn man keine Hinweise hat, darf man nichts ausschließen. (Beifall im ganzen Hause) Wenn dies – neben vielen technischen Dingen, die wir hier und heute nicht erörtern müssen – eine Lehre aus den Geschehnissen ist, dann wäre, glaube ich, viel gewonnen. Ich will noch etwas zu einem Instrument sagen, das Nachrichtendienste einsetzen und das viel Beachtung findet: zu V-Leuten. Ich maße mir, gemeinsam mit den Kollegen im Untersuchungsausschuss, an, mittlerweile einen einigermaßen guten Einblick zu haben, wie dieses Instrument im Bereich des Rechtsextremismus genutzt wird; das mag in anderen Bereichen anders sein. Angesichts dessen, wie V-Leute im Bereich der Neonaziszene für mehr als 10, 12, 14, 15 Jahre genutzt wurden und was sie zutage gefördert haben, muss ich wirklich sagen: Der Aufwand, den man mit dieser Methode betrieben hat, und das Risiko, das man damit eingegangen ist, standen in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was die Rechtsextremismusdatei angeht, richte ich mich ohne Schärfe an die Adresse der Grünen. Ich bitte Sie, Ihre Position zu überdenken. Man kann diese Datei, die wir beschlossen haben, nicht ablehnen. Sie ist ein sehr wichtiger Baustein, der dazu beiträgt, das Wissen zusammenzuführen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht so! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir brauchen eine andere Datei!) – Dann macht einen Vorschlag, lehnt sie aber nicht ab! – Es sind zwar schon viele Maßnahmen auf den Weg gebracht worden. Über das Instrument der V-Leute müssen wir allerdings noch einmal grundlegend nachdenken. Wir alle haben die Aufgabe, alle Fragen zu stellen, die notwendig sind, damit sich so etwas nie wiederholt. Wir tun das im Interesse der Opfer und ihrer Familien, aber auch im Interesse der Zivilgesellschaft in diesem Land, die frei von Angst vor Rechtsextremisten und Neonazis leben können muss. Niemand soll Angst um sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit haben, nur weil er ausländischer Herkunft ist. Das darf sich nicht wiederholen. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Clemens Binninger. – Nächster Redner ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Sönke Rix. Bitte schön, Kollege Sönke Rix. (Beifall bei der SPD) Sönke Rix (SPD): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Binninger, genau da möchte ich anknüpfen. Sebastian Edathy sagt immer, wenn er über dieses Thema spricht: Wir haben als Staat unseren Bürgerinnen und Bürgern, allen, die hier leben, zwei Versprechen gegeben. Das erste Versprechen: Wir wollen die rechtsstaatlichen Mittel dafür zur Verfügung stellen, dass der Schutz von Leib und Leben gewährleistet werden kann. Das zweite Versprechen: Wenn das nicht erfolgreich ist, dann wollen wir so schnell wie möglich aufklären, damit so etwas nicht weiterhin geschehen kann. Man muss an dieser Stelle deutlich machen: Diese zwei Grundsätze konnten wir bei der Mordserie nicht einhalten. Dafür können wir als gewählte Vertreterinnen und Vertreter dieses Staates nur immer wieder um Verzeihung bitten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei den Ermittlungen im Zusammenhang mit den NSU-Morden gerieten über Jahre hinweg immer wieder die Angehörigen ins Visier der Ermittler. Über Jahre hinweg wurde ihnen immer wieder gesagt: Ihr seid schuld, teilschuld, mitschuld; ihr seid die Verdächtigen, die Hauptverdächtigen. – Bis heute ist ein unheilbarer Schaden entstanden. Auch dafür können wir nur wieder um Verzeihung bitten. Meine Damen und Herren, ich finde es gut, dass die Bundeskanzlerin eine Ombudsfrau berufen hat, damit genau über diese Problematik intensiv gesprochen und den Menschen vielleicht ein Sprachrohr gegeben werden kann. Wir haben uns im Untersuchungsausschuss darauf verständigt, die Angehörigen der Opfer nicht noch einmal in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Aber wir reden alle viel mit Frau John. Die Idee der Bundesregierung, eine Ombudsstelle einzurichten, war eine gute Idee. Die Arbeit von Frau John verdient ganz herzlichen Dank von uns allen. (Beifall im ganzen Hause) Diese Arbeit, meine Damen und Herren, könnte uns als Beispiel dienen. Die Ombudsstelle ist entstanden für die Angehörigen dieser zehn Opfer. Wir könnten aber auch eine Ombudsstelle für Opfer rechter Gewalt und die Angehörigen dieser Opfer dauerhaft einrichten. Denn es gibt ja mehr als diese zehn Opfer: Je nachdem, welche Berechnung man zugrunde legt, kommt man auf weit über 140 Todesopfer durch rechte Gewalt in den letzten Jahren. Ich glaube, wir können als Staat ein gutes Zeichen setzen, wenn wir sagen können: Es gibt eine unabhängige Stelle, an die ihr euch wenden könnt, die euch beraten kann, die für euch ein Sprachrohr sein kann. – Wir sollten das in unsere Beratungen und in die Arbeit im Untersuchungsausschuss auf jeden Fall mit aufnehmen. Das ist eine Idee, über die man nachdenken sollte. Neben der notwendigen Neustrukturierung der Sicherheitsbehörden ist natürlich – das wurde schon von mehreren angesprochen – Rassismus insgesamt ein Thema. Wir müssen den Rassismus in unserer Gesellschaft überall bekämpfen, nicht nur in den Sicherheitsbehörden. Aber auch die Sicherheitsbehörden können sich nicht freisprechen von Rassismus; auch dort gibt es Menschen mit rassistischem Hintergrund. Rassismus ist leider bis in die Mitte unserer Gesellschaft verbreitet. Herr Friedrich, ich finde es gut, dass Sie gerade angesprochen haben, dass die Sicherheitsbehörden für die Bekämpfung von Rechtsextremismus mehr Mittel erhalten. Ich finde es aber schade, dass nicht auch die Mittel entsprechend erhöht werden, die zur Verfügung gestellt werden, um den Rassismus in der Mitte der Gesellschaft zu bekämpfen: Mittel für die politische Bildung oder für eine Stärkung der Zivilgesellschaft. Auch da würde man sich vonseiten der Bundesregierung deutlichere Zeichen wünschen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Solche Zeichen hat es leider nicht gegeben. Sie haben gerade von 25 Millionen Euro gesprochen. Wenn die Mittel für die Programme gegen Rechtsextremismus auch nur um die Hälfte dieser Summe aufgestockt würden, wäre das die richtige Antwort. Abschließend habe ich noch eine Bitte, einen Appell. Das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden ist ganz massiv erschüttert. Das gilt nicht nur für die Angehörigen der Opfer und diejenigen, die unmittelbar damit zu tun haben; vielmehr gilt das aufgrund der bisherigen Aufklärungsarbeit für viele Bürgerinnen und Bürger. Daher habe ich die Bitte an die Vertreter der Behörden, der Regierung, der Exekutive, wirklich intensiv daran mitzuarbeiten, dass dieses Vertrauen wiederhergestellt werden kann. Wir werden alle darunter zu leiden haben, wenn – bis in die Mitte der Gesellschaft – dieses Vertrauen nicht mehr existiert. Ich sage ausdrücklich: Wir brauchen die Sicherheitsbehörden – wenn auch nicht in dieser Form – als Partner der Bürgerinnen und Bürger. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen sich den Behörden gegenüber nicht als Bittsteller fühlen. Bitte helfen Sie mit, dieses Vertrauen wiederherzustellen. Wir im Untersuchungsausschuss wollen auf jeden Fall unseren Beitrag dazu leisten. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Sönke Rix. – Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Serkan Tören. Bitte schön, Kollege Serkan Tören. (Beifall bei der FDP) Serkan Tören (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor einem Jahr ist das NSU-Trio aufgeflogen. Drei Rechtsextreme sind über Jahre unentdeckt durch Deutschland gezogen und haben eine Blutspur hinterlassen, die ihresgleichen sucht. Dieses Trio hat Menschen aufgrund ihrer Herkunft ermordet oder weil sie, wie im Fall der Polizistin Kiesewetter, Teil des von ihnen so verhassten Systems waren. Noch immer bin ich fassungslos ob der Morde und des Leids der Angehörigen der Mordopfer, die dieses Trio zu verantworten hat. Wahrscheinlich werden wir nie begreifen können, wie Menschen zu solchen Taten fähig sein können. Wie sieht nun die Bilanz ein Jahr nach der Entdeckung des NSU aus? Noch immer kennen wir nicht alle Hintergründe dieser schrecklichen Mordserie. Nun stellt sich natürlich die Frage: Was macht die Politik? Was trägt sie zur Aufklärung der Versäumnisse der Sicherheitsbehörden bei? In noch nie dagewesener Einmütigkeit arbeiten Koalition und Opposition im Untersuchungsausschuss zusammen. Unser gemeinsames Ziel ist zum einen die Aufklärung und zum anderen die Erarbeitung von Empfehlungen dafür, wie wir die Sicherheitsarchitektur in Deutschland umbauen müssen. So etwas wie die Mordserie des NSU-Trios darf es in Deutschland nie wieder geben. Dies sind wir auch den Opfern schuldig. In beinahe jeder Sitzung des Untersuchungsausschusses fördern wir neue Fehlleistungen der Sicherheitsbehörden zutage, sei es auf Ebene des Bundes oder auch der Länder. Es erschreckt mich immer wieder, wie die Sicherheitsbehörden gearbeitet haben. So wurde zwar das Motiv der Ausländerfeindlichkeit bei den Ermittlungen immer wieder thematisiert, aber konsequent nachgegangen wurde diesem Motiv nie. Das war ein Fehler. Dieser Fehler rechtfertigt aus meiner Sicht aber nicht den oft erhobenen Vorwurf, dass die Sicherheitsbehörden auf dem rechten Auge blind seien. Mit der gleichen Logik könnte man zum Beispiel auch den Vorwurf erheben, dass die Sicherheitsbehörden auf dem linken Auge blind seien. Man muss sich nur die vielen unaufgeklärten Morde der Rote-Armee-Fraktion anschauen. Nein, die immer wieder geäußerten Vorwürfe, die Behörden seien auf dem einen oder dem anderen Auge blind, bringen uns keinen Millimeter weiter. Wer von einem latenten Rassismus bei Sicherheitsbehörden spricht, der spaltet die Gesellschaft. Die Idee, dass man bei Gewaltopfern mit Migrationshintergrund immer zuerst rechte Gewalt vermuten muss, halte ich hier für nicht zielführend. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir derartige Morde künftig besser verhindern können, wenn Menschen mit Migrationsgeschichte einen höheren Anteil in den Sicherheitsbehörden stellen als bislang. Sie bringen eine besondere Sensibilität und auch einen anderen Blickwinkel mit, die helfen können, vergleichbaren Straftaten schneller und erfolgreicher entgegenzutreten. Wir – auch meine Vorredner – haben bis jetzt immer vom Versagen der Sicherheitsbehörden gesprochen. Wenn man sich die Vergangenheit anschaut, dann erkennt man, dass auch die Medien versagt haben. Das muss man leider auch feststellen. (Dr. Eva Högl [SPD]: Die müssen aber keine Morde aufklären!) Es ist seinerzeit nicht hinterfragt worden, ob die Sicherheitsbehörden richtig agieren und richtig handeln. Teilweise wurden in Überschriften sogar Wörter wie „Döner-Morde“ kreiert. Das ist ein schrecklicher Begriff, der auch von den Medien kam. Deswegen – das muss man leider sagen – haben in diesem Zusammenhang auch die Medien versagt. Mein Mitgefühl gilt heute allen Opfern und ihren Angehörigen. Wir als Politik sind in der Verantwortung, die schrecklichen Taten aufzuklären und zu verhindern, dass sich so etwas in Deutschland wiederholt. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Serkan Tören. – Nächster Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Hans-Christian Ströbele. Bitte schön, Kollege Hans-Christian Ströbele. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir geht es so: Wenn ich ein Jahr nach dem Auffliegen des Terrortrios von Bürgerinnen und Bürgern, vor allen Dingen von Angehörigen der Opfer, gefragt werde: „Was habt ihr denn nun herausbekommen?“, wenn die Frage gestellt wird, zum Beispiel vorgestern in der Sendung Fakt im Fernsehen: „Wieso können die so lange morden?“, dann erwarte ich eigentlich, dass der Bundesinnenminister, wenn er heute hier redet, wenigstens versucht, eine vorläufige Antwort und Erklärung zu geben. Allein eine Statistik, wie viele Beamte eingesetzt sind und wie viele Ressourcen losgetreten worden sind, kann doch nicht ausreichen. Vielmehr sollte wenigstens der Innenminister, der für die Sicherheitsorgane im Bund zuständig ist, einmal versuchen, eine Erklärung abzugeben, wieso es so weit kommen konnte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Wenn die in der Sendung anwesende Angehörige in Anspielung auf die gerade bekannt gewordene Schredderaktion beim Verfassungsschutz in Berlin ihren Beitrag schließt mit der Frage: „Wird es wieder gelingen, zu verbergen?“, dann kann ich nur sagen: Sie hat recht. Deshalb erwarte ich von dem Innenminister, dass er versucht, eine Antwort darauf zu geben, wie es sein kann, dass ein halbes Jahr nach Auffliegen des Terrortrios sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene Akten vernichtet, geschreddert werden, die uns vielleicht Aufschluss über die Frage geben könnten: Wie konnte das passieren? Wieso haben die Behörden so versagt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Hier ist zutreffend darauf hingewiesen worden – diese Überlegung hatte ich ursprünglich auch –: Es gab einfach nicht die Idee, dass Rechte damit etwas zu tun haben könnten, als die Morde passierten, einer nach dem anderen. Man wusste relativ wenig, außer dass die Morde alle mit derselben Waffe begangen worden sind und dass es sich hier nicht um einfache Morde, sondern um gezielte Hinrichtungen gehandelt hat. Inzwischen weiß ich mehr. Zwei Beispiele sind von den Kollegen Wieland und Binninger erwähnt worden; ich will ein drittes hinzufügen. Wir haben gesicherte Erkenntnis darüber, dass es in den Behörden sehr wohl ein Problembewusstsein gegeben hat, dass es auch die Idee gegeben hat, dass hier die rechte Szene am Werk war. Und es geht noch einen Schritt weiter: Wir wissen inzwischen, dass der Militärische Abschirmdienst, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz, dass Landesämter für Verfassungsschutz, dass die Polizei in Berlin sehr wohl Hinweise auf das untergetauchte Trio gehabt haben. Diese Hinweise sind zum Teil weitergegeben worden, aber sie haben nicht dazu geführt, dass man der Sache mit der Vehemenz nachgegangen ist, wie man ihr hätte nachgehen müssen angesichts einer einmaligen Mordserie in Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn wir Erklärungen dafür suchen – und die suchen wir alle –, dann stellen wir immer wieder fest: Bei den Behörden hat es Informationen gegeben. Die Beamten haben sich damit beschäftigt. Warum haben sie nicht eins und eins zusammengezählt? Wenn das Trio im Untergrund ist und sagt: „Wir brauchen Geld“, und eines Tages kommt die Meldung: „Das Trio braucht kein Geld mehr“, und gleichzeitig passieren im nahen Chemnitz und im nahen Zwickau fünf Banküberfälle, die nicht anders zu erklären sind, als dass das zwei Täter gewesen sein müssen, von denen es Videoaufnahmen gab, die Männer zeigten, die die Statur und das äußere Aussehen dieses Terrortrios gehabt haben – warum hat man das nicht zusammengebracht? Was haben die Beamten vom Bundesamt für Verfassungsschutz sich gedacht, als sie zur Ermittlung dieser Täter in Thüringen waren? Warum sind sie nicht darauf gekommen, dass das eine mit dem anderen zusammengehört und zu erklären ist? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nun die Erklärung. Ich sehe mit wenigen Ausnahmen bei fast allen Zeugen aus den Ämtern, aus den Geheimdiensten, aus den Polizeibehörden von Bund und Ländern eine bürokratische Ignoranz sowie eine Mentalität, eine Sichtweise, eine Einstellung des Denkens dieser Mitarbeiter – vor allen Dingen derjenigen von den Geheimdiensten –, das nicht wahrhaben zu wollen. Für diese war das Bewahren ihrer Geheimnisse wichtiger als die Aufklärung einer Mordserie. Ich gehe deshalb als Schlussfolgerung davon aus: Diesen Beamten, diesen Mitarbeitern kann man es nicht überlassen, in Zukunft die Grundsätze des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen und die Sicherheit der Menschen in Deutschland zu garantieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir müssen hier die Konsequenzen ziehen und sagen: Diese Beamten sind nicht die Richtigen, um jetzt aufzuklären. Diese Beamten sind auch die Falschen, die Sicherheit in Deutschland in Zukunft zu garantieren. Wir brauchen einen vollständigen personellen Neuanfang. Es reicht nicht, die Präsidenten oder Vizepräsidenten auszutauschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Abschließend: Herr Bundesinnenminister, ich hätte von Ihnen erwartet, dass Sie entsprechend dem Beschluss des Deutschen Bundestages, der lautet: „Alle demokratischen Gruppen in Deutschland, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren, müssen gestärkt werden“, als ersten wichtigen Schritt in diese Richtung dem Deutschen Bundestag heute mitgeteilt hätten: Wir heben die Extremismusklausel auf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Hans-Peter Uhl. Bitte schön, Kollege Hans-Peter Uhl. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ein Jahr nach der Aufdeckung dieser entsetzlichen Morde ziehen wir heute eine Zwischenbilanz. Es ist kein Wunder, Herr Ströbele, dass wir zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen, weil wir von unterschiedlichen Einstellungen zu den Behörden, über die wir heute reden, geprägt sind, zumindest beim Verfassungsschutz. Lassen Sie mich eines vorausschicken – das ist schon mehrfach apostrophiert worden –: In zehn Jahren zehn Morde, von Nazihand begangen, nicht aufgeklärt zu haben, ist natürlich kein Ruhmesblatt für die Sicherheitsbehörden in Deutschland. Es ist richtig, Untersuchungsausschüsse eingerichtet zu haben. Es ist richtig, das alles zu hinterfragen. Aber ich versetze mich in diesen Tagen auch in die Lage von Mitarbeitern von Verfassungsschutzämtern, Herr Ströbele, und frage mich: Geht man heute mit diesen Mitarbeitern fair um? Ich meine, zum fairen Umgang gehört auch, dass ein abgeschlossener Sachverhalt nicht mit dem Wissen von heute beurteilt wird. In Ihrem Fall, Herr Ströbele, war es so, dass Sie die Tatsachen, nämlich dass zwar einige Beamte in Thüringen den Sachverhalt so kannten, wie sie ihn kannten, aber dass die Beamten im benachbarten Sachsen diesen Sachverhalt eben nicht so kannten, einfach in einen Topf werfen, umrühren und fragen: Warum haben die Beamten nicht eins und eins zusammengezählt? (Dr. Eva Högl [SPD]: Weil sie sich nicht ausgetauscht haben!) Das ist kein fairer Umgang mit den Menschen. Ich möchte auch davor warnen, dass wir unsere Beamten pauschal verdächtigen und gar in eine geistige Nähe zu dem braunen Sumpf rücken. Dafür gibt es überhaupt keine Anhaltspunkte. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat überhaupt niemand gemacht!) – Bitte lesen Sie die Zeitungen. Dann sehen Sie, dass das permanent gemacht wird, immer und immer wieder. Selbst die dümmste Unterstellung von irgendeinem Journalisten wird sofort als möglicherweise wahr angesehen und die Frage aufgeworfen, ob jetzt die ganze Behörde von dem, was behauptet wird, geprägt ist. Meine Damen und Herren, wir dürfen keine herabsetzende Diffamierung unserer Beamten zulassen. Wir müssen vor allem heute eines feststellen: Ein Jahr Untersuchungsausschuss hat gezeigt, dass es keinerlei Nachweis für die Behauptung gibt, dass unsere Sicherheitsbehörden auf dem rechten Auge blind seien. Dafür gibt es keinerlei Nachweis! Dieser Staat ist nicht auf dem rechten Auge blind. Er war es nicht und ist es nicht. Er darf es auch niemals werden. (Dr. Eva Högl [SPD]: Das sehen wir anders! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Uhl, da denken Sie noch einmal darüber nach! Da klatscht keiner von der CDU/CSU!) Frau Högl hat dem Minister vorgeworfen, dass er die Akten zum Rechtsextremismus mit gewissen Aktivitäten schließen wolle, um dann zur Tagesordnung überzugehen. Das will keiner von uns. Wir wissen sehr wohl, dass wir in Deutschland Verantwortung für unsere Geschichte haben und dass wir den Kampf gegen Nazis niemals beenden dürfen. In dieser Woche wurde das Thema Trennungsgebot auf sehr eigentümliche Weise behandelt. So wurden im Untersuchungsausschuss wieder einmal Beamte des Verfassungsschutzes gefragt, warum sie ihr Wissen nicht an die ermittelnde Polizei weitergegeben haben. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch richtig!) Zur gleichen Zeit musste sich der Innenminister vor den Verfassungsrichtern in Karlsruhe wegen eines Gesetzes verteidigen, das die Zusammenführung von Informationen des Nachrichtendienstes und der Polizei in einer Verbunddatei vorsieht und dazu dient, Verbrechern von links und rechts sowie Islamisten das Handwerk zu legen. Wie Sie sehen, gibt es hier ein Thema, das immer zu einem Zielkonflikt geführt hat und immer dazu führen wird. (Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Hören Sie doch bitte zu, und seien Sie nicht so aufgeregt! Wenn Sie im Grundgesetz suchen, werden Sie keinen Artikel finden, der das Trennungsgebot regelt. Es gibt nur den sogenannten Polizeibrief vom April 1949 – unterschrieben von drei Generälen der Besatzungsmächte –, in dem das steht. Aus, Ende, mehr nicht. (Sebastian Edathy [SPD]: Haben Sie das Thema der Aktuellen Stunde zur Kenntnis genommen? – Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Herr Trittin, man kann das auch Soldatenbrief nennen, wenn Sie wollen. – Dieser Polizeibrief stellt die Grundlage für das Trennungsgebot dar. Ich werde Ihnen diesen Brief geben; denn ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie ihn nicht kennen. Ich rate dem Bundesverfassungsgericht, auf diesem Gebiet rechtsschöpferisch tätig zu werden, und zwar gerade aus diesem Anlass und in dieser Zeit. Wie viel Trennung zwischen Nachrichtendienst und Polizei brauchen wir in unserem Staat, und wie viel Verbunddatei sowie gemeinsames Wissen und Zusammenarbeit brauchen wir? Die Beantwortung dieser Fragen ist angezeigt. Ich möchte Ihnen dringend raten, die Polizei und den Verfassungsschutz nicht pauschal zu diffamieren und keinen Austausch an Haupt und Gliedern, von oben bis unten zu fordern, Herr Ströbele. Nein, wir brauchen einen starken Verfassungsschutz und eine starke Polizei. Das Parlament sollte über alle Parteigrenzen hinweg zum Verfassungsschutz und zur Polizei stehen. Wir brauchen sie alle. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Aydan Özo?uz. Bitte schön, Frau Kollegin Aydan Özo?uz. (Beifall bei der SPD) Aydan Özo?uz (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Uhl, bevor Sie gesprochen haben, hatte ich den Eindruck, dass hier eigentlich große Einmütigkeit über das herrscht, was sich in den letzten zehn Jahren in unserem Land getan hat, (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) über das, was es aufzuarbeiten gilt, über die Fehler, die gemacht wurden. Die Stärke dieses Untersuchungsausschusses besteht darin, dass wir dort wirklich zusammenarbeiten, dass wir die Fehler sehen und nicht die Augen davor verschließen. Wir sollten jetzt nicht anfangen, alle möglichen Verteidigungstaktiken an den Tag zu legen. Das wird uns am Ende überhaupt keine Aufklärung bringen, befürchte ich. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich hatte vor Ihrer Rede gedacht, dass man gar nicht mehr so viel zu sagen braucht. Ich glaube, es tut doch not, einige Aspekte erneut zu unterstreichen. Wenn man sich mit Eltern und Angehörigen der Opfer unterhält, dann merkt man doch sehr deutlich – das haben einige schon angedeutet –, was es eigentlich bedeutet und anrichtet, wenn man verdächtigt wird, wenn man von seinem gesamten Umfeld ausgegrenzt wird, wenn es immer wieder heißt: Da muss doch etwas dran sein, wenn alle ermittelnden Behörden meinen, dass bei denen etwas nicht stimmt. Ich möchte mich deshalb dem Dank an Barbara John anschließen, die sich weit über den Auftrag hinaus, der ihr erteilt worden ist, für die Familien einsetzt und die es geschafft hat, gerade die Kinder, die ihre Väter verloren haben, zusammenzubringen. Diese hatten damit zum ersten Mal die Gelegenheit, sich über das auszutauschen, was über viele Jahre ihr Leben in so schrecklicher Weise bestimmt hat. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich habe in der Ausschussarbeit auch gelernt, dass Angehörige von Opfern häufig in einem Verhältnis zu den Tätern stehen. Das ist oft so, und das war mir vorher nicht bewusst. Daher haben wir auch im Ausschuss nie gesagt, man hätte in diese Richtung nicht ermitteln dürfen; ganz im Gegenteil. Es ist klar, dass man in alle Richtungen ermitteln musste. Das gehört nicht nur zur Routine, sondern auch zu dem, was wir erwarten dürfen. Der entscheidende Punkt ist nur, dass man nicht aufgehört hat, nur in Richtung der Familien der Opfer zu ermitteln, obwohl es dafür keine nachvollziehbaren Gründe und keine wirklichen Hinweise mehr gab. Da sollten wir genauer hinsehen. Es wurden Polizisten mit Migrationshintergrund als türkische Privatdetektive getarnt, wie wir wissen, um in einer Opferfamilie zu recherchieren, weil man glaubte – das finde ich nun doch bemerkenswert –, dass „die Türken“ der deutschen Polizei nicht die volle Wahrheit sagen würden. Die Familien der Opfer wurden in den -abgelegensten Winkeln der Türkei aufgesucht, um vermeintliche Verbindungen zur Mafia, zur PKK, zur türkischen Hisbollah und wem auch immer aufzuspüren. Aber es gab diese Hinweise nicht, es gab nichts, was weitergeführt hätte, und trotzdem blieb der Schwerpunkt der Ermittlungen in dieser Richtung bestehen. Es ist bemerkenswert, dass nicht von einem Gleichgewicht bei den Untersuchungen gesprochen werden kann; denn Ermittlungen in eine andere Richtung fehlten. Herr Binninger, Sie haben eben zu Recht gesagt, es habe Hinweise gegeben. Aber diesen Hinweisen wurde nicht in gleicher Weise und mit gleicher Akribie nachgegangen. Die Medienstrategie der Polizei – das erklärt zu einem gewissen Grade den Umgang mit dem Thema in der Öffentlichkeit – bestand darin, zu sagen, man solle die türkischstämmigen Menschen nicht unnötig beunruhigen, um zu vermeiden, dass sie Angst davor haben, vielleicht selbst Opfer werden zu können. Man tat so, als ob diese in einem luftleeren Raum leben würden und gar nicht mitbekämen, was um sie herum los ist. Das kann man nicht mehr nachvollziehen. Nach den Morden im April 2006 gab es Demonstrationen in Kassel und Dortmund, auf denen die Demonstranten gefordert haben: Kein zehntes Opfer. – Es war also allen bewusst, was da eigentlich los ist, aber die Ermittlungsbehörden – ich sage es jetzt so, wie ich es empfinde – blieben in ihrer eigenen Parallelwelt. Sie kümmerten sich nicht darum, was öffentlich gesagt wurde. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme zu meinem letzten Punkt, den ich ansprechen möchte. Wir haben schon gesagt, dass man heute und gestern nicht völlig voneinander trennen darf. Herr Bundesinnenminister, Sie wissen, dass ich von Ihrer Kampagne „vermisst“ nichts halte, weil ich glaube, dass es sehr pauschalisierend ist, Gesichter von Menschen wie mir, also von Muslimen, auf deutschen Straßen zu plakatieren und die Frage zu stellen, ob diese möglicherweise dem Terrorismus zuneigten und deswegen plötzlich verschwunden seien. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Plakate aufzuhängen, zeugt von pauschalem Denken. Eines hat mich ebenfalls sehr betroffen gemacht. Vor einigen Wochen gingen in meinem Büro viele Anrufe von Anwohnern der Keupstraße in Köln ein. Damals, nach dem Attentat, wurden die Anwohner dieser Straße stigmatisiert; denn es wurde angenommen, dass sie etwas mit diesem Attentat zu tun haben müssten, weil die Keupstraße in einem Ausländerviertel liegt. Genau in dieser Straße fängt man an, solche Postkarten zu verteilen und die Leute erneut zu stigmatisieren, indem man andeutet, dass sie irgendwie auch etwas mit Terrorismus zu tun haben könnten. Ich finde, ein bisschen mehr Sensibilität ist das Mindeste, was man heute aus diesen Dingen ziehen kann. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur ein bisschen!) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Stephan Stracke. Bitte schön, Kollege Stracke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Stephan Stracke (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Oberlandesgericht München hat heute mitgeteilt, dass gegen Zschäpe und vermutlich andere aus dem Unterstützerkreis Anklage erhoben wurde. Das ist der geeignete Anknüpfungspunkt für die heutige Debatte. Es ist der richtige Zeitpunkt für die Anklageerhebung. Das ist die Antwort des Rechtsstaates auf die Verbrechen der Terroristen, die Antwort, die Familien der Opfer zu Recht erwarten dürfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es ist gut, dass der Prozess nun beginnt. Was die Angehörigen der Opfer auch erwarten dürfen, ist eine sach-gerechte Auseinandersetzung darüber, warum die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund nahezu 13 Jahre unentdeckt geblieben ist. Wer sich sachlich mit diesen Dingen beschäftigt, muss meines Erachtens differenziert vorgehen; er muss differenzieren in Bezug auf objektive Fehler und vermeintliche Fehler der Sicherheitsbehörden, die aber der Rechtslage geschuldet waren, und auch in Bezug auf den Umgang beispielsweise der Exekutive mit dem Untersuchungsausschuss dieses Hohen Hauses. Diese Differenzierung ist es, die Aufklärung gelingen lässt, um daraus die richtigen und notwendigen Schlussfolgerungen beispielsweise im Rahmen des Abschlussberichtes zu ziehen. Wir werden dafür sorgen und genau diese rückhaltlose Aufklärung betreiben. Das ist auch der Kern der Aufgabe des Untersuchungsausschusses. Diese Aufgabe nehmen wir über Parteigrenzen hinweg sehr ernst. Der Untersuchungsschuss leistet gute Arbeit, weitaus bessere, als manch einer zu Beginn gedacht oder erwartet hätte. Über 200 Beweisbeschlüsse haben wir gefasst, über 40 Befragungen von Sachverständigen und Zeugen durchgeführt. Dies tun wir immer im Bewusstsein unserer Verantwortung und mit Blick auf das erschütterte Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. Dass diese Untersuchung in einem so kurzen Zeitraum möglich ist, ist vor allem dem gemeinsamen Einsatz über die Parteigrenzen hinweg zu verdanken. Mein Dank gilt dabei in besonderem Maße dem großen persönlichen Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen und des Ausschusssekretariats sowie unserem Ermittlungsbeauftragten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Danken möchte ich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Behörden von Bund und Ländern, die den Ermittlungsauftrag des Untersuchungsausschusses ernst nehmen und diesen tatkräftig unterstützen. Die zahlreichen Akten aus fast 20 Jahren für den Untersuchungsausschuss aufzubereiten, ist, gelinde gesagt, eine Herkulesaufgabe und harte Arbeit. Gerade Bayern leistet hier Vorbildliches. Ohne die zügige und umfängliche Aktenzulieferung und auch Personalabordnung des Freistaats Bayern wären wir längst nicht so weit, wie wir heute sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit unserem Auftrag sind wir im Untersuchungsausschuss noch lange nicht fertig. Es zeichnet sich jedoch ein erstes Bild ab. Die Sicherheitsarchitektur in Bund und Ländern ist entgegen mancher Darstellungsversuche dem Grunde nach nicht unfähig oder untauglich. Aber die Zusammenarbeit zwischen den Behörden muss verbessert werden. Hier besteht noch viel Optimierungspotenzial, gerade was den Informationsaustausch in der Praxis angeht und auch was den rechtlichen Rahmen betrifft, der diese Kooperation regelt. Der Bundesinnenminister hat auf die erkannten Lücken und Mängel schnell und gut reagiert. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schnell?) Was mögliche und weitergehende Vorschläge angeht, so müssen diese freilich immer wieder mit dem Rechtsrahmen abgeglichen werden, und vor allem müssen auch die grundrechtlichen Grenzen in den Blick genommen werden. Das wird sicherlich noch Gegenstand so mancher Debatte sein. Im Hinblick auf die Möglichkeiten, den EDV-gestützten nachrichtendienstlichen Informationsaustausch zu verbessern, bin ich gespannt, welche Debatten hier noch geführt werden. Beispielsweise wäre die Vorratsdatenspeicherung ein wirksames Instrument gewesen, (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) das Unterstützerumfeld zum Zeitpunkt des Auffliegens des Terrortrios zu identifizieren. Viele Ermittlungen bezüglich der Mordserie und der Sprengstoffanschläge waren nach heutigem Wissen nicht zielführend. Zu dieser Erfolglosigkeit stehen auch die polizeilichen Ermittler. Echte Fehler, die wir im Rahmen des Untersuchungsausschusses identifizieren konnten, wurden dabei nur wenige gemacht. Nach dem, was wir bislang wissen, gab es beispielsweise Fehler – Kollege Binninger hat es angesprochen – im Zusammenhang mit der Spur in Köln, Stichwort „Sprengstoffanschlag“, und im Zusammenhang mit der Waffenspur. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, im Untersuchungsausschuss liegt noch eine Menge Aufgaben vor uns; es ist noch viel zu tun. Ich versichere Ihnen, dass wir die Arbeit des Untersuchungsausschusses weiterhin mit großem Ernst, zielstrebig und entschlossen vorantreiben werden. Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Armin Schuster. Bitte schön, Kollege Armin Schuster. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind es den Opfern und Hinterbliebenen schuldig, konsequent die Ursachen dafür zu erforschen, weshalb wir diese Mordserie nicht aufklären konnten. Aus meiner Sicht gibt es, zusammenfassend gesagt, drei Fehlerquellen: individuelle Fehler, strukturelle Fehler und Fehler im System. Wir wollen verstehen, warum die Täter nicht gefasst wurden und die Mordserie nicht gestoppt werden konnte. Wenn es den oder die Schuldigen gibt, dann geht es natürlich auch um Verantwortung. Bei Hunderten von Ermittlern bundesweit, bei Abertausenden von Ermittlungsstunden können wir zwar von einer Niederlage der Sicherheitsbehörden, was ihre bundesweite Vernetzung angeht, sprechen. Aber zur Fairness gehört auch – ich habe es als wohltuend empfunden, dass das fast alle so ausgedrückt haben –, festzustellen, dass in unserer intensiven Arbeit im Ausschuss bisher kein stichhaltiger Beweis für ein ultimatives Versagen einer bestimmten Person oder einer bestimmten Organisation erbracht worden ist. Es gibt bisher kein Beispiel dafür, dass wir mit unserem nachträglichen Wissen, also unserem Wissen von heute, mit Sicherheit sagen können: Wäre genau das nicht passiert, hätten wir Böhnhardt, Mundlos und -Zschäpe viel früher gestoppt. Bleibt also die Frage: Sind die Sicherheitsbehörden auf dem rechten Auge blind? Ich bin allen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss sehr dankbar, dass sie sagen – vor allem im Ausschuss, nicht immer vor der Kamera –: Dafür gibt es keinen Beweis. – Ein Beweis wäre, wenn sich Sicherheitsbehörden in Deutschland, die sich bei der Annahme eines OK-Hintergrunds gravierend geirrt haben, vorsätzlich einer rechtsterroristischen Falltheorie verweigert hätten. Dann wären wir auf dem rechten Auge blind. Doch dafür gibt es keinen Beleg – nicht einen einzigen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Meine Damen und Herren, wir hinterfragen im Ausschuss auch Fehler im System, also in der länder- und ressortübergreifenden Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Ich frage einmal provokant: Ist Föderalismus oder das Trennungsgebot ein K.-o.-Kriterium für einen solchen Fall? Vorschnell könnte man zu einer solchen falschen Bewertung kommen. Immerhin konnten wir uns bei dieser einzigartigen Mordserie nur auf ein bundesweites Lenkungsgremium in Bayern, aber nicht auf eine bundesweit zuständige Ermittlungsgruppe unter einheitlicher Führung eines Landes oder des BKA mit bundesweiter Weisungsbefugnis einigen. Das haben wir eben nicht geschafft. Woran es offenkundig mangelt, ist eine Routine zur überregionalen, partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Wie, wenn nicht durch vernetzte, hochflexible Ermittlungsgruppen über Ländergrenzen hinweg sollen wir eigentlich Bedrohungen des Terrorismus oder des Cybercrime heutzutage wirkungsvoll begegnen? Die schnelle Schaffung des GAR – ich betone: die schnelle Schaffung des GAR – ist für mich auch deshalb so wichtig, weil es geradezu symbolhaft in diesem vernetzten Sinne dazu führt, dass wir dem föderalen und nach Autarkie strebenden Alltagsbetrieb unserer Behörden Einhalt gebieten. Dafür müssen die Länder ein bestimmtes Selbstständigkeitsbestreben zurückstellen. Ich sage ganz offen: Das GAR und das GTAZ sind für mich ein erster guter Schritt in eine neue Zeit, aber auf gar keinen Fall schon die Lösung unseres Problems. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Trennungsgebot ist historisch von großer Bedeutung – ob es Verfassungsrang genießt, ist noch unklar; vielleicht hören wir dazu aus Karlsruhe mehr –; in der Praxis unserer Sicherheitsbehörden wirkt es aus meiner Sicht offenkundig völlig überhöht. Die strikte Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten, wie sie sich in diesem Fall gezeigt hat, ist nicht mehr gesund. Die fehlende Beteiligung des Bundesamtes für Verfassungsschutz an der BAO „Bosporus“ ist für mich nur ein Beleg dafür. Wie relevant die Erkenntnisse der Dienste waren, hätte nur in Zusammenarbeit mit der Polizei richtig bewertet werden können. Es ist auch wenig hilfreich – aus der Praxis kann ich das sagen –, wenn nur eine Routineschnittstelle, fast ein Single Point of Contact, zwischen dem polizeilichen Staatsschutz und den Verfassungsschutzämtern besteht und sonst nichts. Hier sieht man auch, was in diesem Fall falsch gelaufen ist. Ich sehe Informationen aus der Vorfeldaufklärung, die bei den Diensten gewonnen werden, als sehr wichtig an; bei der Polizei kommt es nicht immer so an. Dritter Komplex: strukturelle Defizite. Unsere Sicherheitsarchitektur ist nicht überholt. Sie ist kein Irrgarten vieler Behörden. Sie bedarf ganz sicher aber einer Fortentwicklung. Innenminister Friedrich hat im Kampf gegen Rechtsextremismus – meine Damen und Herren, das muss ich noch einmal geraderücken – mit seinem Zehn-Punkte-Plan schnell und konsequent reagiert. Man kann auch in Aktionismus verfallen. Jetzt lassen Sie uns erst einmal diesen Ausschuss zu Ende bringen, den Abschlussbericht machen, und dann wird man sehen, was man noch weiter tun kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine professionellere Vernetzung befürworte ich auf jeden Fall. Ich möchte überregional agierende gemeinsame Ermittlungsgruppen unter einer Führung. Es verstößt auch nicht gegen das Trennungsgebot, wenn wir die Personalfluktuation zwischen Diensten und Polizei verstärken. Die Liste der strukturellen Verbesserungsmöglichkeiten, auch beim Thema Akten, ließe sich beliebig verlängern. Ich will keine neue Kommission zur Sicherheitsarchitektur, aber, meine Damen und Herren – das richte ich auch an den Minister –, innerhalb unserer Sicherheitslandschaft fehlt eine Organisation, ein Thinktank, dessen tägliche Aufgabe darin besteht, strukturelle Fragestellungen aufzuwerfen, Schwachstellenanalysen durchzuführen, Zukunftsszenarien im Bereich der inneren Sicherheit zu bewerten und Lösungskonzepte zu erarbeiten. Für die Fehler gab es viele kritische Worte. Aber es hat keinen Sinn, Sicherheitsbehörden jetzt, medial verstärkt, über Gebühr an den Pranger zu stellen. Wir wollen mit ihnen arbeiten, und sie stehen für Deutschland. Da möchte ich um mehr Ausgewogenheit bitten. Zwei, drei Schuldige können wir nicht präsentieren, obwohl es für die Hinterbliebenen sehr wichtig wäre. Aber wir können durch konsequente Umsetzung der als richtig erkannten Verbesserungsvorschläge ein Vorbild werden für den gesamtgesellschaftlichen Prozess, den am Anfang der Debatte Herr Wieland hier eingefordert hat. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Wir sind am Ende unserer Aktuellen Stunde. Ich möchte mich bei allen Rednerinnen und Rednern in dieser Aktuellen Stunde herzlich bedanken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Drucksachen 17/10748, 17/11055 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – Drucksache 17/11382 – Berichterstattung: Abgeordneter Pascal Kober – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11397 – Berichterstattung: Abgeordnete Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Bettina Hagedorn Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Sabine Zimmermann, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundesmittel zur Finanzierung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 1:1 an Kommunen weiterreichen – Drucksachen 17/8606, 17/11382 – Berichterstattung: Abgeordneter Pascal Kober Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Sie sind damit einverstanden. Dann haben wir dies so beschlossen. Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Karl Schiewerling. Bitte schön, Kollege Karl Schiewerling. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute entscheiden wir in zweiter und dritter Lesung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung mit dem etwas nüchternen Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch“. Es geht um die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Hinter diesem etwas nüchternen Titel verbirgt sich nichts anderes als die größte Entlastung der Kommunen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In den Jahren 2013 bis 2016 werden die Kommunen um voraussichtlich 20 Milliarden Euro entlastet. (Bernd Scheelen [SPD]: Letztes Mal waren es nur 18!) Der Beschluss, den wir heute fassen, hat ein gutes Stück auch mit Ordnungsprinzipien zu tun; denn wir stärken damit den Grundsatz der Subsidiarität. Die Kommunen sind seit 1961, als das Bundessozialhilfegesetz geschaffen worden ist, verantwortlich für die Durchführung des Gesetzes und auch für die Finanzierung. Aus dem Bundessozialhilfegesetz wurde 2003 die Grundsicherung für Ältere ausgegliedert und in einen eigenen Bereich übertragen. 2003 hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung die Annahme, man käme mit -einem Festgeldzuschuss von 409 Millionen Euro für die Kommunen klar. Tatsächlich hat es aber einen gewaltigen Aufwuchs gegeben, eine gewaltige finanzielle Belastung, zu der weitere finanzielle Belastungen der Kommunen kamen. Deswegen ist die Entscheidung, die wir jetzt treffen, nämlich dass wir die Kommunen im Jahr 2013 zu 75 Prozent und ab dem Jahr 2014 zu 100 Prozent von den Kosten der Grundsicherung im Alter entlasten, richtig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Bund gibt den Kommunen diese Mittel im Rahmen des Instituts der Bundesauftragsverwaltung und hat ein Interesse daran, dass die Mittel ordentlich, sachgerecht und nach klaren Vorgaben ausgegeben werden. Die Kommunen haben damit deutlich mehr Gestaltungsspielraum. Sie erhalten damit eine Stärkung der eigenen kommunalen Selbstverwaltung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Meine Damen und Herren, die Grundsicherung im Alter ist gewiss eine wichtige Hilfe des Sozialstaates, die, wie die Grundsicherung für Arbeitsuchende, vor dem Sturz in das finanziell Bodenlose bewahrt. Die Grundsicherung im Alter ist eine durchaus akzeptierte Errungenschaft. Es ist notwendig, darauf hinzuweisen, dass die Grundsicherung viel bewirkt hat. Viele Menschen haben in der Vergangenheit jedoch den Weg zum Amt gescheut, weil sie den Rückgriff auf ihre Kinder befürchteten. In der Grundsicherung im Alter ist dieses so nun nicht mehr gegeben. Daher beantragen auch mehr Menschen als früher die Grundsicherung im Alter. Auch dies ist ein Grund für den Aufwuchs und ein Grund für die Mehrausgaben, die sich dort ergeben. Unter den Menschen, die jetzt entsprechende Anträge stellen, sind viele Frauen, vor allem Witwen, die älter sind und die, als sie als Mutter in der Familie tätig waren, auf Erwerbsarbeit verzichtet haben. Sie haben ihre Kinder erzogen und ihre Angehörigen gepflegt. Sie haben im Alter ein Einkommen, das dazu führt, dass sie auf Grundsicherung angewiesen sind. Normalerweise müsste in der Systematik die innerfamiliäre Solidarität greifen; denn die Familie hat davon profitiert. Aber viele wollen und können ihren Familien, ihren Kindern dieses nicht zumuten. Deswegen hilft an dieser Stelle der Staat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) In einer immer älter werdenden Gesellschaft ist dies eine große und wichtige Aufgabe. Deswegen ist der eigentlich bedeutsame Teil des heutigen Gesetzes, dass die Kommunen nicht nur bis 2016 entlastet werden, sondern auch in Zukunft. In einer immer älter werdenden Gesellschaft würden auf die Kommunen erhebliche Mehrbelastungen in noch größerem Maße zukommen. Deswegen ist das eigentlich Besondere an diesem Gesetz, dass wir sagen: Diese Belastungen kommen auf die Kommunen nicht zu. Das übernimmt der Bund in seiner Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) CDU und CSU sind und bleiben die Kommunal-parteien, (Anette Kramme [SPD]: Deshalb wollen Sie immer mal wieder die Gewerbesteuer abschaffen!) weil wir die Grundprinzipien von Subsidiarität, Solidarität und Eigenverantwortung auch in diesem Bereich schärfen und sie zur Grundlage unseres Handelns machen. Wir haben einen gut abgestimmten Gesetzentwurf vorgelegt und bitten um Ihre Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Karl Schiewerling. – Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Gabriele Hiller-Ohm. Bitte schön, Frau Kollegin Hiller-Ohm. (Beifall bei der SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Minuten werden wir hier über ein Gesetz beschließen, das Städte und Gemeinden so stark wie noch nie entlasten wird. Der Bund wird die Kosten für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung komplett übernehmen. Dafür haben wir, die SPD, gekämpft, und dies haben wir durchgesetzt. Und das ist richtig so. (Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Seit Einführung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Jahr 2003 hat sich die Zahl der Betroffenen bis heute nämlich mehr als verdoppelt; inzwischen sind 850 000 Menschen darauf angewiesen. Es geht hier um viel Geld, um etwa 4 Milliarden bis 5 Milliarden Euro jährlich. Diesen Kostenaufwuchs können die Städte und Gemeinden nicht länger schultern, deshalb muss der Bund in die Pflicht. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, haben die Kommunen so richtig zappeln und fast am langen Arm verhungern lassen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Anders herum! – Gisela Piltz [FDP]: Weil Sie ja vorher regiert haben!) Denn versprochen war diese Entlastung schon lange. Aber erst heute legen Sie den Gesetzentwurf endlich auf den Tisch. Diese Bummelei kritisieren wir. (Beifall bei der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Wer hat eigentlich elf Jahre lang vor uns regiert? Habe ich etwas verpasst?) Und wer nun denkt, Ihr Gesetzentwurf wäre Ihnen dann wenigstens in einem Guss gelungen, der irrt gewaltig. Noch gestern im Sozialausschuss wurden wir mit etlichen Änderungen konfrontiert. Ich freue mich, dass bei dieser Herumdokterei wenigstens einige Verbesserungen für die Länder und die Kommunen herausgesprungen sind, die wir seit längerem gefordert haben: Erstens. Das Abrechnungsverfahren wird zumindest für eine Übergangszeit vereinfacht. Zweitens. Städte und Gemeinden dürfen weiterhin auf eigene Kosten höhere Leistungen zahlen, so wie das in München jetzt der Fall ist. Es ist gut, dass Sie unsere Forderungen aufgegriffen und Ihren Gesetzentwurf entsprechend geändert haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei zwei weiteren wichtigen Punkten sind Sie jedoch stur geblieben. So können die Gelder vom Bund zukünftig nur alle drei Monate und nicht monatlich abgerufen werden. Ein monatliches Abrufen wäre natürlich besser, weil die Grundsicherung ja auch monatlich ausgezahlt wird. Schade, dass Sie hier nicht über Ihren Schatten springen konnten. Leider fehlt auch eine Zweckbindung, sodass nicht sichergestellt ist, dass die Entlastung vollständig bei den Kommunen ankommt. Hier hätten Sie eine Lösung finden müssen und die Kommunen nicht im Regen stehen lassen dürfen. (Beifall bei der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Dann müssen Sie mal mit Ihren Ländern reden, damit die das ordentlich machen!) Sie sehen, wir sind mit Ihrer Arbeit nicht zufrieden. Wir werden dem Gesetz aber trotzdem zustimmen. Denn wir haben es erkämpft, und die Kostenübernahme ist wichtig für die klammen Städte und Gemeinden. Leider wird dieses Gesetz für die betroffenen Rentnerinnen und Rentner selbst nichts ändern. Sie werden weiterhin mit ihrer schmalen Grundsicherung auskommen müssen. Und es werden immer mehr. Frauen sind besonders stark von Altersarmut bedroht. Das müssen wir ändern. Damit Altersarmut gar nicht erst entsteht, brauchen wir faire Löhne, einen gesetzlichen Mindestlohn und gute Arbeit. (Beifall bei der SPD) Lohndumping und prekäre Beschäftigung gehören abgeschafft. Dafür setzen wir uns ein. Und was, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, tun Sie? Genau das Gegenteil. Noch in der letzten Sitzungswoche haben Sie die Verdienstgrenze bei den Minijobs von 400 auf 450 Euro heraufgesetzt und damit gleichzeitig das Armutsrisiko vor allem der Frauen erhöht. Das, meine Damen und Herren, ist ein politisches Armutszeugnis. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Gabriele Hiller-Ohm. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Pascal Kober. Bitte schön, Kollege Pascal Kober. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Pascal Kober (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Karl Schiewerling hat es schon für die Regierungskoalition hervorgehoben, ich möchte es wiederholen: Der heutige Tag ist nicht nur ein hervorragender Tag für die Kommunen in unserem Land; er ist geradezu ein historischer Tag für die Kommunen. Denn noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat es eine Entlastung für die Kommunen vonseiten des Bundes in diesem Ausmaß gegeben. Das ist ein wirklich gutes Signal dieser Regierung an die Kommunen. Es zeigt, dass wir die Verantwortung für die Kommunen wahrnehmen und sie mit ihren Belastungen nicht alleinlassen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Allein in den nächsten Jahren wird die Entlastung der Kommunen 18,5 Milliarden Euro ausmachen. Das ist kein geringer Betrag; das ist auch für den Bund viel Geld. Deshalb ist diese Leistung nicht gering zu schätzen. Wir sind stolz, dass wir auf der einen Seite dies leisten und auf der anderen Seite den Pfad der Haushaltskonsolidierung nicht verlassen werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD, Sie haben die Grundsicherung im Alter in ihrer jetzigen Form im Jahr 2001 eingeführt. Für Sie war klar, dass die Kosten bei den Kommunen bleiben würden. Sie haben damals eine Kompensation von 600 Millionen DM vorgeschlagen. Diese Summe wurde dann im Vermittlungsverfahren auf 800 Millionen DM erhöht; das entspricht – auch das hat Karl Schiewerling schon ausgeführt – etwa 409 Millionen Euro, während die Gesamtbelastung heute bei etwa 4,8 Milliarden Euro liegt. Das zeigt: Wären wir auf Ihrem Pfad geblieben, dann wäre es für die Kommunen in der Zukunft immer schwieriger geworden, diese sozialen Leistungen zu erbringen. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Deswegen wollen wir es ja auch ändern!) Deshalb ist es gut, dass diese Regierung jetzt handelt und nach elf Jahren des Nichtstuns insbesondere von Rot jetzt endlich etwas für die Kommunen tut. (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Wer hat das denn im Vermittlungsausschuss durchgesetzt? Wir mussten Sie zum Jagen tragen! – Lachen bei der FDP und der CDU/CSU) – Nichts dergleichen, Frau Hiller-Ohm. Sie haben in den letzten Wochen und Monaten im Gesetzgebungsverfahren niemanden zum Jagen getragen. Sie haben insbesondere versucht, den Menschen in unserem Land und den Kommunen Angst zu machen. Sie haben immer wieder infrage gestellt, ob die Bundesregierung zu ihrer Zusage stehen würde. Sie haben in diesem Hause mehrfach versucht, den Menschen Sand in die Augen zu streuen, und betont, dass diese Regierung wahrscheinlich nicht zu ihren Zusagen stehen werde. Heute zeigen wir Ihnen, dass das richtig ist, was wir in diesem Hause immer gesagt haben: Wir stehen zu unserer Zusage. Heute ist es so weit: Das Gesetz wird heute verabschiedet. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Immer nur auf Druck hin! Da war nichts freiwillig!) Wir haben immer darauf hingewiesen, dass es, weil wir die Leistungen aufgrund der föderalen Finanzbeziehungen des Bundes zu den Ländern nicht direkt an die Kommunen auszahlen können, in der Verantwortung der Länder liegt, das Geld an die Kommunen weiterzureichen. Ich möchte diese Ermahnung an dieser Stelle eindringlich wiederholen. Es ist auch nicht unbegründet, dass wir diese Ermahnung wiederholen. Ich möchte einmal einen kleinen Ausschnitt aus der Schweriner Volkszeitung vom 8. Februar dieses Jahres zitieren. Dort heißt es: Zwischen den neuen Großkreisen und dem Land ist ein erster handfester Streit entbrannt: Während das Sozialministerium Mittel des Bundes in zweistelliger Höhe für die Grundsicherung im Alter – also Gelder für arme und ärmere Senioren – einbehalten will, fordern sie die Kommunen für sich. Allein 2012 könnte die Summe rund 20 Millionen Euro betragen, für das Jahr 2015 schätzt sie der Landkreistag auf 77 Millionen Euro, sagte Geschäftsführer Jan Peter Schröder auf Nachfrage. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, dieses Sozialministerium von Mecklenburg-Vorpommern, das die Gelder, die den Kommunen zur Verfügung gestellt werden sollen, für sich einbehält, wird von der stellvertretenden Parteivorsitzenden der SPD, Manuela Schwesig, geführt. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Zuruf von der FDP: Ein Skandal ist das!) Es liegt in ihrer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass diese Handhabe ihres Ministeriums in Mecklenburg-Vorpommern ein Ende hat, damit die Gelder den Kommunen wirklich zur Verfügung stehen und die Entlastung wirklich bei den Kommunen ankommt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie haben kritisiert, dass im Ausschuss weitere Änderungen an dem Gesetzentwurf vorgenommen worden sind. Frau Hiller-Ohm, das hat seine guten Gründe: Wir haben den Gesetzentwurf noch einmal im Sinne der Kommunen verbessert. Beispielsweise werden künftig die Kosten nicht jährlich, sondern quartalsweise abgerechnet. Das Statistische Bundesamt wird die Zusammenführung und Prüfung der Daten vornehmen. Ihre politischen Konzepte, die Sie schon im Vorgriff auf die Bundestagswahl hier vorstellen, bedeuten Steuererhöhungen und Belastungen für die Wirtschaft. All das wird zu geringeren Gewerbesteuereinnahmen und zu geringeren Löhnen führen. Das ist eine falsche Politik, weil sie die Kommunen, die Unternehmen und am Ende die Menschen in unserem Land belastet. Das werden wir verhindern. Mit unserer Politik haben die Kommunen und die Menschen einen starken Partner an ihrer Seite. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Dass die FDP für Gewerbesteuer ist, das ist ja etwas ganz Neues!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Pascal Kober. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Katrin Kunert. Bitte schön, Frau Kollegin Katrin Kunert. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Erkläre es Ihnen noch einmal!) Katrin Kunert (DIE LINKE): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kober, Sie wollten im Rahmen der Gemeindefinanzreform an die Gewerbesteuer ran und niemand anders. Sie haben sie infrage gestellt. Sich heute als Rächer der Kommunen darzustellen, das ist schon sehr abenteuerlich. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist lächerlich! – Bernd Scheelen [SPD]: Das steht sogar im Koalitionsvertrag!) Wenn die Rente zum Leben nicht reicht, egal ob es die Rente im Alter oder bei Erwerbsminderung ist, muss Grundsicherung bezogen werden. Es ist ausdrücklich nicht Aufgabe der Kommunen, für diese Kosten aufzukommen; dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die kompletten Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom Bund übernommen werden. Bereits in der ersten Lesung haben wir Nachbesserungen gefordert. Wir haben Ihnen im Arbeits- und Sozialausschuss einen Änderungsantrag vorgelegt. Erstens wollten wir, dass die Möglichkeit der örtlich abweichenden Regelleistungen beibehalten wird. Das heißt, die Stadt München gibt den Grundsicherungsbeziehenden 19 Euro mehr, weil die Preise in München sehr hoch sind. Diese Möglichkeit hat die Koalition aufgegriffen, sie will aber die höheren Kosten nicht über den Bund, sondern über die Länder finanzieren lassen. Wir sagen: Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer die Kommunen von den Kosten entlasten will, der muss das auch in vollem Umfang tun. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens wollten wir, dass die Menschen mit Behinderung, die bei ihren Eltern leben und dort betreut werden, ihre Unterkunftskosten unbürokratisch erhalten können. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts müssen Mietverträge zwischen den Eltern und ihrem leistungsberechtigten Kind geschlossen werden, um die Kosten der Unterkunft zu erhalten. Eltern, die sich liebevoll um ihr Kind weit über das 18. Lebensjahr hinaus kümmern und es betreuen, werden mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand belastet. Zudem sind die Eltern meist die gesetzlichen Betreuer ihrer Kinder und müssten daher einen Vertrag mit sich selbst schließen, was juristisch überhaupt nicht möglich ist. Es wäre also nötig, einen Ersatzbetreuer zu bestellen. Das halten wir für einen unhaltbaren Zustand. Bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention muss solcher Unfug ausgeschlossen sein. (Beifall bei der LINKEN) In einem Änderungsantrag haben wir Ihnen dazu einen Vorschlag unterbreitet, aber leider haben Sie ihn abgelehnt, was wir sehr bedauern. (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Schämt euch! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sehr peinlich!) Als Nächstes frage ich Sie, wie Sie Ihr gegebenes Versprechen, die Kommunen zu entlasten, halten wollen. Der Bund lehnt derzeit jede Übernahme von Verantwortung ab. Sie haben aber die Möglichkeit, unserem Antrag zuzustimmen, in dem wir fordern, dass die Entlastung eins zu eins an die Kommunen weiterzuleiten ist; denn eine Ermahnung reicht nicht, Herr Kober. (Beifall bei der LINKEN) Wie oft ermahnen wir Sie von diesem Pult aus, dass Sie sich gegenüber den Ländern entsprechend verhalten! Wir sind der Meinung, dass man das gesetzlich regeln kann. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Da hilft eine Mahnung gar nichts! – Gisela Piltz [FDP]: Dann ändern Sie doch einmal das Staatsrecht, Frau Kunert!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der in den nächsten Jahren zu erwartende Anstieg im Bereich Grundsicherung muss uns alle alarmieren. Die Anzahl der Menschen, die lange gearbeitet haben und trotzdem auf Grundsicherung angewiesen sind, wird stark steigen. Bereits in der ersten Lesung habe ich die Frage gestellt: Warum lassen wir, verdammt noch mal, die Menschen nicht mit ihrer Hände Arbeit eine armutsfeste Rente erarbeiten, indem wir hier im Hause die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns beschließen? (Beifall bei der LINKEN) Es hilft nicht, die Verdienstgrenze bei Minijobs von 400 auf 450 Euro anzuheben. Eine Kollegin hat einmal vorgerechnet: Man müsste 200 Jahre arbeiten, um überhaupt das Grundsicherungsniveau zu erreichen. Es gibt auch in Zukunft keinen Weg weg von der Grundsicherung. Die Linke sagt: Wir wollen den Mindestlohn, und wir wollen das System der Rentenversicherung endlich sozial, solidarisch und gerecht gestalten. (Beifall bei der LINKEN) Die Rente muss zum Leben reichen. Das Rentenniveau muss angehoben werden. Wir wollen die in der Rentenanpassungsformel enthaltenen Kürzungen streichen. Wir wollen die Rente in Ost und West endlich gleich gestalten. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Längst überfällig!) Dazu gehört auch, dass wir die Rente mit 67 abschaffen wollen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Katrin Kunert. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Britta Haßelmann. Bitte schön, Frau Kollegin Britta Haßelmann. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher! Frau Ministerin! Wenn wir das Gesetz gleich beschließen – mit einer ziemlich großen Mehrheit des Deutschen Bundestages –, dann bewirkt dies eine wirkliche Verbesserung für die Städte und Gemeinden. Denn die Kommunen werden an einer ganz zentralen Stelle massiv dadurch entlastet, dass die Ausgaben für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung demnächst zu 100 Prozent vom Bund übernommen werden. Das ist aus meiner Sicht absolut richtig, weil klar ist, dass nicht die Kommunen die Verantwortung für Altersarmut und prekäre Beschäftigungssituationen tragen, die die Grundsicherung im Alter erst erforderlich machen, sondern der Bund. Wir müssen gesamtgesellschaftlich die Verantwortung übernehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Von daher wird auch meine Fraktion heute diesem Gesetzentwurf zustimmen. Ich finde das gut und richtig. Die Kommunen und die Menschen, die vor Ort Politik machen und dort leben, sowie die dort hauptamtlich tätigen Menschen wissen, dass die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter durch den Bund tatsächlich eine Entlastung ist. Ich finde es unangemessen, dass hier argumentiert wird: Dieses Gesetz ist allein von CDU/CSU und FDP auf den Weg gebracht worden. Nein, das ist natürlich nicht so. Das wissen Sie auch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie das doch einfach, und sagen Sie nicht ständig: Wir haben das Förmchen heute erfunden. Die Kommunalos wissen genau, dass sie diese Leistungen des Bundes brauchen; denn die Finanzsituation der Kommunen ist ziemlich dramatisch. Wir haben auf der einen Seite Steuermehreinnahmen, die, gesamt betrachtet, auch bei den Kommunen auflaufen. Es gibt aber auf der anderen Seite eine unglaubliche Entwicklung hin zu einer Zweiklassengesellschaft bei den Kommunen. Einerseits gibt es Steuermehreinnahmen, gleichzeitig haben wir aber immer mehr Kommunen, die sich in Haushaltsnotlagen befinden, die Notlagegesetze anwenden und die auf Kassenkredite angewiesen sind, die sich in Deutschland auf insgesamt über 44 Milliarden Euro belaufen. Darauf ist man in diesen Kommunen nicht stolz; denn das bedeutet Mangelverwaltung. Wir haben es also mit einer totalen Spaltung zu tun. (Zuruf der Abg. Gisela Piltz [FDP]) Deshalb ist die Frage der Bundesanteile gerade für diese Kommunen so wichtig und so bedeutend. Herr Kober, gerade die Politik der FDP hat nichts dazu beigetragen, dass es den Städten und Gemeinden besser geht. Ich frage nur: Wer stand bis vor kurzem hier im Haus in der Frage der Abschaffung der Gewerbesteuer noch in der ersten Reihe? Das war Ihre Fraktion. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Frau Piltz, so etwas kann man locker fordern, wenn man aus Düsseldorf kommt, wo man von einem großen Speckgürtel profitiert und natürlich über ausreichende Steuereinnahmen verfügt. (Widerspruch bei der FDP) Das aber ist nicht die Realität vieler Kommunen in Deutschland. Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Blumenthal? Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gern, wenn er mich etwas fragen möchte. Sebastian Blumenthal (FDP): Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben uns eben unterstellt, wir würden die Kommunen schwächen, indem wir ihnen die -Gewerbesteuer wegnehmen wollen. Können Sie uns bestätigen, dass der Sachstand so aussieht, dass die FDP in einem Alternativkonzept gesagt hat, dass der Hebesatz und Zuschlagsmöglichkeiten bei anderen Steuerarten für die Kommunen gewährleistet sind? Können Sie bestätigen, dass das unser Alternativvorschlag war, der den Kommunen sehr wohl eine finanzielle Grundlage geboten hat? Es gibt also eine Alternative. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen und hier richtigzustellen? (Gisela Piltz [FDP]: Nein, das hat sie noch nie verstanden! Das hat nichts geholfen! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Supervorschlag! Da waren alle ganz begeistert von Ihnen!) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wissen Sie, ich beschäftige mich schon ziemlich lange mit dem Thema Kommunen. Ich habe selbst elf Jahre lang Kommunalpolitik gemacht. (Gisela Piltz [FDP]: Hat aber nichts geholfen!) – Frau Piltz, Sie hätten sich Redezeit verschaffen können, wenn Sie etwas sagen wollen. Sie können mich auch noch etwas fragen. Ich weiß, dass die Kommunen vor Ort die Gewerbesteuer sehr schätzen. Genauso sind sehr viele Unternehmen bereit, Gewerbesteuer zu zahlen, weil sie wissen, dass sie Verantwortung für ihr Gemeinwesen tragen, und weil sie das Band zwischen Kommunen und Wirtschaft vor Ort durch die Gewerbesteuer gesichert sehen. (Sebastian Blumenthal [FDP]: Das ist nicht meine Frage!) Das, was Sie wollten, haben sowohl die kommunalen Spitzenverbände als auch die grün und rot regierten Länder völlig verrissen. Auch den CDU/CSU-Kommunalos wurde klar, dass Ihr Modell der Einkommensteuer- und Hebesatzberechnungen dazu führt, dass der Wettbewerb unter den Kommunen massiv zunimmt. (Gisela Piltz [FDP]: Oje!) Kommunen wie Düsseldorf mit hohem Einkommensteueraufkommen hätten natürlich davon profitiert; das -wissen Sie alle ganz genau. Die kommunalen Spitzenverbände haben eine vernichtende Stellungnahme abgegeben. Deshalb haben wir in der Gemeindefinanzkommission gemeinsam mit den Ländern, den Kommunen und der CDU/CSU verhindert, dass dieses Projekt Realität wurde. Darüber bin ich heilfroh. Dieses Projekt ist beerdigt, zumindest bis zum Ende dieser Legislaturperiode. Danach wird es, glaube ich, keine Rolle mehr spielen, weil dann auch die FDP keine Rolle mehr spielen wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zur Frage nach den Bundesanteilen. Vizepräsident Eduard Oswald: Sie werden förmlich bedrängt, Frau Kollegin. Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn wir hier einen Kurs in Gewerbesteuer oder Steuerpolitik geben wollen, dann können wir das gerne machen. Vizepräsident Eduard Oswald: Alle weiteren möglichen Nachfrager darf ich daran erinnern, wie lange der heutige Plenartag noch dauert. (Gisela Piltz [FDP]: Was können wir dafür, dass Frau Haßelmann das nicht versteht?) Bitte schön, Kollege Kolb, Sie haben das Wort. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Frau Kollegin Haßelmann, zwar konnten Sie die Frage des Kollegen Blumenthal nicht beantworten, (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hat sie doch!) aber vielleicht können Sie mir ja folgende Frage beantworten, da Sie sich hier als Kommunalfreundin präsentieren: Die Entlastung der Kommunen durch die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter war Ergebnis der überfraktionellen Gespräche Anfang des letzten Jahres im Zusammenhang mit der Hartz-Reform. Können Sie mir erklären, warum die Kommunalfreunde von den Grünen sich damals in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Konsens mit den anderen Fraktionen verabschiedet haben und diese Regelung im Ergebnis gar nicht mitgetragen haben? Das ist angesichts Ihres Auftretens hier sehr erstaunlich. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hatte seine Gründe! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der Fehler war, dass Sie überhaupt erst mitgemacht haben!) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann ich Ihnen gerne erklären, Herr Kolb. Ich bin froh, dass Sie im Gegensatz zu Herrn Kober gesagt haben, dass das ein Ergebnis von uns allen war. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein, Sie waren am Ende nicht mehr dabei! Ihr wart weg!) Halten wir einmal fest: Im Vermittlungsausschuss diskutierten Bund und Länder über das Bildungs- und Teilhabepaket. Auch die Kommunen waren beteiligt. Die Ministerin kann bestätigen, dass auch die kommunalen Spitzenverbände befragt worden sind. Es ist doch klar, dass auch mit den kommunalen Spitzenverbänden ausführlich über das Bildungs- und Teilhabepaket diskutiert worden ist. Wir haben die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter von Anfang an begrüßt. Wären sie Mitglied im Unterausschuss Kommunen wie Herr Götz oder andere, dann wüssten Sie, dass wir dort über das Thema soziale Kosten immer positiv diskutiert haben. Dann wüssten Sie, dass wir immer gesagt haben, dass neben der Zukunft der Eingliederungshilfe insbesondere die Grundsicherung im Alter und die diesbezügliche Verantwortung des Bundes eine große Rolle spielen. Das war schon immer unsere Position. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nur zugestimmt haben Sie nicht!) – Sie wollten, dass ich Ihre Frage beantworte. – Die Grünen sind erst aus den Verhandlungen ausgestiegen, als klar war, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dass die anderen alle zustimmen!) dass Sie dieses mit Bürokratie völlig überlastete Bildungs- und Teilhabepaket konzipieren würden. (Pascal Kober [FDP]: Das ist definitiv falsch! Das kann man nachlesen!) Herr Kolb, ich möchte es Ihnen gerne erklären: Es war klar, dass ein ganz erheblicher Teil der Mittel für Verwaltungs-, für Bürokratiekosten aufgewendet wird und nicht bei den Betroffenen ankommt. Heute können wir feststellen, dass es viele Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes gibt. Das zeigt, dass viele unserer Gründe, über die wir damals mit Ihnen diskutieren wollten, absolut gerechtfertigt waren. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es wird nicht besser!) Das belegen ganz offensichtlich auch die Berichte des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. (Marco Buschmann [FDP]: Sie waren nicht dabei! Darauf läuft es hinaus!) Vielleicht darf ich noch kurz ausführen, dass der Gesetzentwurf zur Grundsicherung im Alter, um den es jetzt hauptsächlich geht, an drei Punkten nachgebessert worden ist. Das finde ich gut und richtig. Das erleichtert uns die Zustimmung. Zum einen geht es um die Frage der regionalen Regelsätze. Darüber hatten wir diskutiert, insbesondere am Beispiel von München, wo die Regelsätze höher sind als im übrigen Bundesgebiet. Der zweite Punkt ist die Spitzabrechnung. Im ersten Gesetzentwurf, auch im ersten Gesetz zur Grundsicherung im Alter, war der Vorvorjahresabzug vorgesehen. Er wurde auch praktiziert. Das war für die Städte und Gemeinden natürlich sehr schwierig, weil gerade die Kosten der Grundsicherung im Alter stark schwanken. Deshalb würden bei den Kommunen unglaublich große Defizite auflaufen, wenn wir keine Spitzabrechnung machen würden. Ich begrüße es sehr, dass wir uns auf diese Lösung verständigt haben. Dritter Punkt. Wir haben im Unterausschuss Kommunen betont – das stimmt mich hoffnungsvoll –, dass wir weiter über die monatliche Kostenerstattung diskutieren wollen. Gerade weil die Leistungen so schwankend sind, ist das für die Städte und Gemeinden sehr wichtig. Es ist also im Endeffekt ein positives Ergebnis. Alle haben dazu beigetragen. Frau Kunert, das Thema, das Sie angesprochen haben, werden wir weiterverfolgen. Ich glaube, es ist absolut notwendig, darüber zu sprechen – das wurde im Unterausschuss Kommunales und auch im Ausschuss für Arbeit und Soziales deutlich –, aber es rechtfertigt aus grüner Sicht nicht eine Ablehnung oder Enthaltung bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf; denn wir finden es gut, dass jetzt diese Entlastung bei der Grundsicherung im Alter in Höhe von circa 4 bis 4,5 Milliarden Euro erfolgt. Deshalb werden wir zustimmen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Britta Haßelmann. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist der Kollege Peter Götz für die Fraktion der CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Peter Götz (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, man kann es nicht oft genug sagen: Heute ist ein guter Tag für die Kommunen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Bundesregierung hat zugesagt, die Kommunen deutlich stärker als bisher finanziell zu unterstützen und zu entlasten. Dieses Versprechen lösen wir heute ein. Die Übernahme der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist ein wichtiger Schritt zum Erfüllen dieser Zusage. Im vergangenen Jahr haben wir – das wurde vorhin bereits erwähnt – mit dem ersten Gesetz zur Stärkung der Finanzkraft der Kommunen den Bundesanteil für 2012 von 16 auf 45 Prozent angehoben. 2013 erhöhen wir den Anteil des Bundes auf 75 Prozent. Ab 2014 übernimmt der Bund die vollen Kosten für die Grundsicherung von den Kommunen. Allein bis 2016 bedeutet diese Kostenübernahme eine neue zusätzliche Entlastung in einer Größenordnung von 20 Milliarden Euro. Ich wiederhole: 20 Milliarden Euro. Dies ist unbestritten die größte Entlastung der Kommunen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Dafür sollten wir dankbar sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ein Zweites kommt hinzu. Profitieren werden von dieser besonderen Entlastung vor allem die Kommunen, die unter ganz drängenden Finanzproblemen leiden, weil sie strukturelle Probleme haben, weil sie besondere Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben und vieles andere mehr. Wir reden über Kosten der Städte, Gemeinden und Kreise – auch diese Zahl wurde vorhin schon genannt, aber sie kann nicht oft genug wiederholt werden – in Höhe von über 4 Milliarden Euro pro Jahr. Sie werden sich überproportional dynamisch nach oben weiterentwickeln. Nur zur Vermeidung von Geschichtsverfälschung: Mit der heutigen Entscheidung wird ein besonders kommunalfeindlicher Akt der früheren rot-grünen Bundes-regierung aus dem Jahr 2001 rückgängig gemacht und damit endgültig beseitigt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – -Widerspruch bei der SPD) Liebe Kollegin Haßelmann, in der rot-grünen Regierungszeit wurden die Kassen der Städte, Gemeinden und Landkreise systematisch geplündert. (Bernd Scheelen [SPD]: Überhaupt gar nicht!) Ich belege dies auch mit Zahlen, Herr Scheelen. Dies führte im Jahr 2003 zu dem historischen Tiefpunkt der Kommunalfinanzen mit einem bundesweiten Defizit von über 8 Milliarden Euro. Dabei handelt es sich nicht um die Folgen einer weltweiten Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, sondern um die Folgen einer kommunalfeindlich gestalteten Bundespolitik. Noch nie hat eine Bundesregierung so viel für die Kommunen getan wie die Regierung unter Angela Merkel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]) Mit der Entlastung der Kommunen bei den Sozialausgaben durch den Bund wird der Paradigmenwechsel in der Bundespolitik für jeden sichtbar. In der nächsten -Legislaturperiode wollen wir die Kommunen bei den Kosten der Eingliederungshilfe ebenfalls entlasten. Die Unterstützung von Menschen mit Behinderung ist eine gesamtgesellschaftliche und keine kommunale Aufgabe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bereits in diesem Jahr wird sich die Finanzsituation vor Ort erheblich verbessern. „Fast alle Kommunen konnten ihre Finanzsituation … verbessern“, stellt der Deutsche Städtetag in seinem aktuellen Finanzbericht fest. Nach Einschätzung des Bundesfinanzministeriums wird sich dieser Haushaltsüberschuss bis 2016 kontinuierlich auf über rund 5,5 Milliarden Euro steigern. Die gute Zukunftsperspektive ist nicht nur auf die schrittweise Umsetzung der Ergebnisse der Gemeindefinanzkommission, sondern ohne Frage auch auf die gute Konjunktur zurückzuführen. Für die nächsten Jahre können die Gemeinden damit rechnen, dass ihre Steuereinnahmen jedes Jahr um 3 Milliarden Euro wachsen. Da nicht alle Kommunen gleichermaßen davon profitieren, ist die milliardenschwere Entlastung bei den Sozialausgaben besonders wichtig. Wir danken an dieser Stelle Bundesfinanzminister Schäuble, dass er – in einer für den Bund haushaltspolitisch sicherlich schwierigen Zeit – bereit war, diese dynamisch steigenden Kosten zu übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Frau Haßelmann, Sie haben recht: Natürlich gibt es arme und reiche Kommunen; das ist überhaupt keine Frage. Nach wie vor gibt es – vor allem im Ruhrgebiet und in Rheinland-Pfalz – Kommunen, denen es unmöglich ist, den Haushalt aus eigener Kraft auszugleichen. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Bochum!) – Bochum ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür: Bochum muss wie viele andere Städte im Ruhrgebiet die laufenden Kosten mit Kassenkrediten finanzieren. (Bernd Scheelen [SPD]: Wie in NRW zu Zeiten von Jürgen Rüttgers!) In einigen Ländern müssen die Kommunen zur Durchsetzung ihrer berechtigten Ansprüche bedauerlicherweise immer wieder auf die Hilfe der Landesverfassungsgerichte zurückgreifen, zum Beispiel in Rheinland-Pfalz, wo die SPD-geführte Landesregierung vom Gericht dazu gezwungen wird, zugunsten der Kommunen nachzubessern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ein weiteres ärgerliches Problem ansprechen, das zunehmend um sich greift: Aufgrund der sehr positiven finanziellen Entwicklung der Kommunen wachsen bei einigen Ländern Begehrlichkeiten, den Kommunen das zusätzliche Geld, das sie vom Bund bekommen, an anderer Stelle wieder abzuziehen. (Gisela Piltz [FDP]: Wie in Nordrhein--Westfalen!) Das dürfen wir nicht zulassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Entlastung, die wir heute beschließen, muss vollständig bei den Kommunen ankommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) – Vielen Dank für Ihren Beifall. – Die Länder dürfen sich nicht zulasten der Kommunen bereichern. Ich denke, in dieser Frage sind wir uns alle einig. (Gisela Piltz [FDP]: Ja!) Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, ihre Heimat selbst zu gestalten. Dazu gehören Finanzautonomie und eine angemessene finanzielle Ausstattung der Kommunen. Mit diesem Gesetz leisten wir einen hervorragenden Beitrag für starke Städte, Gemeinden und Landkreise. Deshalb werbe ich für eine breite Zustimmung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD hat Kirsten Lühmann jetzt das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kirsten Lühmann (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Verehrte anwesende Gäste! Ich freue mich, heute einem Gesetz zustimmen zu können, durch das die Kommunen entlastet werden. Allerdings musste ich bei der Debatte wieder verwundert zur Kenntnis nehmen, dass auch diesmal Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Koalition, die Vaterschaft für dieses Gesetz beanspruchen. Wenn wir jetzt einmal einen entsprechenden Test machen, werden wir vielleicht feststellen, dass Sie gar nicht die Erzeuger dieses Gesetzes sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir freuen uns trotzdem, dass Sie sich zu einer Adoption entschlossen haben, und wollen Sie dabei tatkräftig unterstützen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In der ersten Lesung war von der größten Entlastung der letzten Jahrzehnte die Rede. In dieser Lesung habe ich gelernt, es sei die größte Entlastung in der Geschichte der Bundesrepublik. Wie sieht die Realität aus? Schauen wir uns die Bilanz der schwarz-gelben Bundesregierung an, was eine Entlastung der Kommunen -angeht: Absenkung der Erstattung der Kosten der -Unterkunft: minus 400 Millionen Euro jährlich. Wachstumsbeschleunigungsgesetz: minus 1,6 Milliarden Euro jährlich. (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das liegt daran, dass es weniger Bedarfsgemeinschaften gibt!) Änderungen bei der Unternehmensteuer: minus 800 Millionen Euro jährlich. Das summiert sich während Ihrer Regierungszeit zu einem Minus von 11 Milliarden Euro in den Kassen der Kommunen. (Bernd Scheelen [SPD]: Hört! Hört!) Wenn man davon die 4 Milliarden Euro, um die die Kommunen jetzt entlastet werden sollen, abzieht, bleibt immer noch ein Minus von 7 Milliarden Euro. Es ist unanständig, dies als größte Entlastung in der Geschichte der Bundesrepublik zu bezeichnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dabei haben Sie noch nicht einmal alle Projekte -umgesetzt, die in Ihrem Koalitionsvertrag stehen. Wir haben heute schon ausgiebig darüber gesprochen, wie die Gewerbesteuer durch alternative Modelle ersetzt werden könnte. Die Betroffenen haben diese Alternativen einhellig abgelehnt. Wie sieht es mit der Mutterschaft für dieses Gesetz von der linken Hälfte dieses Hauses aus? Wir haben schon mehrfach festgestellt, dass es Verhandlungen im Rahmen des Bildungspaketes waren, in denen die entsprechenden Länder – für uns verhandelte Manuela Schwesig – der Bundesregierung diese Entscheidungen abgerungen haben. Die Entscheidung wurde deutlich abgerungen und fiel nicht freiwillig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Hinterher haben Sie versucht, diese Einigung als -einen Erfolg der Gemeindefinanzkommission zu verkaufen. Natürlich mussten Sie das; denn sonst hat die Gemeindefinanzkommission ja nichts zustande gebracht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Peter Götz [CDU/CSU]: Aber immerhin!) Auch die jetzige Veränderung des Auszahlungsmodus ist Ihnen nicht plötzlich eingefallen, sondern auch diese Veränderung wurde Ihnen in den Verhandlungen mit den Ländern zum Fiskalpakt abgetrotzt. Auch hier sind nicht Sie die Eltern, sondern wir von der linken Seite dieses Hauses. Das muss man einmal ganz deutlich so sagen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gisela Piltz [FDP]: Interessant: Die Linke ist dagegen, und die Grünen machen nicht mit! Das ist entweder Größenwahnsinn oder ich weiß es nicht!) Was heißt das? Wenn diese Änderung nicht gekommen wäre, wären den Kommunen aufgrund von Buchungstricks Kosten in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich nicht erstattet worden, obwohl Sie behaupten, 100 Prozent zu erstatten. Sie wären darauf sitzen geblieben. Im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf – das wurde mehrfach erwähnt – wird das verändert. Es gibt jetzt eine Dreimonatsfrist, das heißt, die Kommunen finanzieren noch immer vor, aber nicht mehr so lange, und das finden wir gut. (Beifall bei der SPD) In diesem Zusammenhang bedanke ich mich recht herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit im Unterausschuss Kommunales. Wir haben mehrere Probleme, die in einem Antrag der SPD und auch von anderen Fraktionen angesprochen wurden, behandelt. Wir haben über behinderte Kinder und über klebrige Finger einiger Länder, die es möglicherweise geben könnte, gesprochen. Mir fallen dabei auch andere ein, als hier heute genannt wurden. Wir haben uns einvernehmlich darauf verständigt, dass wir dieses Thema noch einmal auf die Tagesordnung rufen, wenn der jetzt zu beratende Gesetzentwurf Gültigkeit hat. Das heißt, wir werden uns in sechs Monaten wieder zusammensetzen und schauen, was wir noch verbessern können. Eine Verbesserung haben wir schon ausgehandelt. Sie kommt leider nicht mehr in dieser Legislaturperiode. Ich meine den Einstieg des Bundes in die Übernahme der Kosten für die Eingliederungshilfe, was auch im Rahmen der Verhandlungen über den Fiskalpakt besprochen wurde. Es geht hier immerhin um eine Belastung der Kommunen von jährlich 14 Milliarden Euro. Wenn wir hier in der nächsten Legislaturperiode unter einer SPD-geführten Bundesregierung (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Gott behüte! – Peter Götz [CDU/CSU]: Keine Drohung gegenüber den Kommunen!) einen Schritt weiter sind, dann können wir endgültig sagen: Dies ist ein guter Tag für die Kommunen. Danke schön. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11382, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/10748 und 17/11055 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Die Gegenstimmen! – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten, alle anderen Fraktionen haben zugestimmt. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, der möge sich erheben. – Die Gegenstimmen! – Die Enthaltungen! – Damit ist der Gesetzentwurf bei gleichem Stimmverhältnis wie vorher angenommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bundesmittel zur -Finanzierung der Grundsicherung im Alter und bei -Erwerbsminderung 1 : 1 an die Kommunen weiterreichen“. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss auf Drucksache 17/11382, diesen Antrag auf Drucksache 17/8606 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Die Gegenstimmen! – Die Enthaltungen! – Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Die Koalitionsfraktionen haben zu-gestimmt, die Fraktion Die Linke war dagegen, Bünd-nis 90/Die Grünen und SPD haben sich enthalten. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Ulrich Klose, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine Neubelebung und Stärkung der transatlantischen Beziehungen – Drucksachen 17/9728, 17/10169 – Berichterstattung: Abgeordnete Peter Beyer Dr. Rolf Mützenich Dr. Rainer Stinner Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller (Köln) Vorgesehen ist es, hierzu eine Stunde zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Dr. Rainer Stinner hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Rainer Stinner (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Berichterstattung der letzten Monate beiderseits des Atlantiks über die jeweilige andere Seite anschaut, dann kommt man nur ins Staunen. Auf beiden Seiten sieht man dasselbe Bild: Der jeweils andere ist im Abschwung begriffen, „in decline“. Das ZEITmagazin hat im letzten Jahr das Bild veröffentlicht: „Europe in Decline“. Der Spiegel hat in dieser Woche das Bild veröffentlicht: „America in Decline“: (Der Redner hält zwei Bilder hoch) Das heißt, auf beiden Seiten des Atlantiks haben wir -offensichtlich die Anschauung, dass es dem anderen schlecht geht und er unabwendbar vor dem kurzfristigen Untergang steht. Meine Damen und Herren, diese Bilder sind falsch. Europa ist nicht „in decline“, im Abschwung, sondern Europa ist nach wie vor, trotz aller Probleme, die wir haben und die wir gar nicht verschweigen wollen, für viele Regionen der Welt ein Modellfall. Viele in aller Welt fragen uns ganz neidisch: „Wie habt ihr es in Europa geschafft, aus der kriegerischen Region eine Region des Friedens, der Freiheit und des Wohlstands zu machen?“ Auch das Bild von Amerika im Abschwung, „in de-cline“, ist falsch. Jawohl, es gibt viele Probleme, die aber werden in diesem Bild zusammengemixt; das betrifft willkürlich alle Probleme, ob das die Schuldenkrise ist, ob das Guantanamo ist oder ob das soziale Probleme sind. All das wird zusammengebündelt, und daraus wird dieses negative Bild zusammengesetzt. Amerika heißt aber auch, dass nach wie vor bis zum heutigen Tage die besten Studenten der Welt danach streben, in Amerika ausgebildet zu werden. Amerika heißt nach wie vor, dass die amerikanischen Universitäten bei den Rankings immer in der Spitzengruppe zu finden sind. Amerika heißt auch, dass Technologieerfindungen, dass ganze Industrien, wie zum Beispiel die Kommunikationsindustrie, von Amerika aus ganz prägend gestaltet werden. Von daher ist dieses Bild, dass Amerika im Niedergang sei, völlig falsch und völlig einseitig. (Beifall bei der FDP) Es ist also hohe Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass auch wir gerade in Deutschland vom hohen Baum des Hochmuts herunterkommen und uns mit der Situation beschäftigen, wie sie ist, und mit den Möglichkeiten der Kooperation mit Amerika. Insoweit ist sicherlich die Wiederwahl Obamas ein positives Zeichen. Wir wissen, woran wir sind. Obama hat im Gegensatz zu seinem Vorgänger ein anderes Prinzip der Kooperation und Konzentration eingeführt, das sehr gut ist, nicht vollständig und nicht perfekt, aber immerhin. Deshalb haben wir alle Chancen, mit Amerika zusammenzuarbeiten. Ich halte dafür, dass aus amerikanischer Sicht, wenn man denn dort überhaupt glaubt, Partner auf der Welt zu brauchen – manche in Amerika glauben das ja nicht, aber die Mehrzahl glaubt es halt –, Europa auch in Zukunft der natürliche Partner der Vereinigten Staaten sein wird. Darauf können und darauf sollen wir aufbauen. Ich gehe zunächst auf die bilateralen Beziehungen ein. Hier sehe ich eine ganz große Aufgabe auf uns zukommen, eine Schwerpunktaufgabe, die große Folgen haben könnte, nämlich die Verabschiedung eines Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika. Ich glaube, dass die Mächtigkeit dieses Themas noch in weiten Teilen unterschätzt wird. Es geht nämlich bei dem Abschluss eines Freihandelsabkommens um viel mehr als nur darum, auf beiden Seiten des Atlantiks wirtschaftlich neue Impulse zu setzen, die ja ohne jeden Zweifel vorhanden wären. Es geht auch darum, gemeinsam zu zeigen, dass wir bei einem solch wichtigen Thema zusammenarbeiten können. Überall auf der Welt werden Freihandelsabkommen geschlossen. Das Signal, das von einem europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommen ausgehen würde, von einer großen wirtschaftlichen Zone, wäre sicherlich sehr prägend auch für andere Teile dieser Welt. (Beifall bei der FDP) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus Amerika bekommen wir deutliche Signale: „Jawohl, wir sind bereit, wir wollen ein solches Freihandelsabkommen abschließen. Aber wir werden mit Verhandlungen nicht beginnen, wenn wir nicht ganz sicher sind, dass wir diese auch abschließen können.“ Man befürchtet also, dass man vor Verhandlungen auf beiden Seiten in Gefahr ist, irgendwelche unüberwindbaren Hindernisse aufzubauen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, gefällt mir Ihr diesbezüglicher Satz, dass wir dafür sorgen sollten, die fortschrittlichsten Regelungen für alles Mögliche einzubeziehen, nicht so richtig. Erstens: Wer definiert Fortschritt? Zweitens: Das war immer die SPD; das ist bekannt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber das hat sich weltweit vielleicht noch nicht herumgesprochen. Von daher plädiere ich dafür, in Sachen Vorbedingungen Vorsicht walten zu lassen; denn das Abkommen ist meines Erachtens sehr wichtig. Das Niveau von bilateralen Beziehungen erhöht sich, wenn man nicht nur über bilaterale Probleme spricht, sondern wenn man gemeinsam auch darüber spricht, wie man in der Welt agiert. Hier haben die Europäer und die Amerikaner noch ein weites Feld vor sich und weitere Möglichkeiten, die wir entsprechend nutzen sollten. Ich bin dafür, dass wir in dem Fall der europäisch-amerikanischen Partnerschaft wirklich von einer strategischen Partnerschaft sprechen können. Das Wort wird zum Teil inflationär gebraucht. Hier ist es wirklich angebracht, weil wir tatsächlich eine gemeinsame Basis haben, von der aus wir die Welt betrachten können. In Amerika hat es jetzt diesen „pivot“, die Hinwendung nach Asien gegeben. Die Frage ist: Bedrängt uns das? Ich sage Nein, das bedrängt uns nicht. Das ist eine ganz natürliche Bewegung. Zur Erinnerung: Amerika ist immer eine pazifische Macht gewesen. Der Zweite Weltkrieg ist über den Pazifik hinweg gestartet worden. Ich erwähne den Koreakrieg, den Vietnamkrieg. Vielfältige amerikanische Beziehungen nach Asien sind seit Jahrzehnten vorhanden. In Asien spielt heute eben die Musik. Von daher ist das für uns meines Erachtens keinerlei Bedrohung. Wir können damit sehr gut leben. Die Wiederwahl von Präsident Obama gibt uns aber auch die Möglichkeit, auf zwei Feldern voranzukommen, die uns sehr am Herzen liegen. Das erste Thema ist der Klimaschutz, das zweite Thema ist die Abrüstung. Meine Meinung ist, dass ein anderer Ausgang der Wahl in Amerika es uns in beiden Fällen wesentlich schwerer gemacht hätte, auf diesen beiden wichtigen Feldern voranzukommen. Von daher begrüßen wir es, dass wir es mit einer Obama-2-Administration zu tun haben werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ich glaube, dass wir als Europäer auch in Zukunft gut daran tun, mit unseren amerikanischen Freunden im Rahmen der NATO eng zusammenzuarbeiten. Es ist auch unter veränderten politischen Rahmenbedingungen weltweit so, dass die NATO für uns beide, sowohl für Amerika als auch für Europa, einen Wert als Sicherheitsbündnis hat, nicht mehr und nicht weniger. Wenn unsere Sicherheit dadurch gefördert wird, dann ist das umso besser. Wir wollen daran weiter mitarbeiten. Lassen Sie mich zum Schluss kurz auf die innenpolitische Situation in Amerika eingehen. (Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Dafür liegt der Antrag ja vor!) Wir erleben in Amerika eine Spaltung, wie sie größer nie gewesen ist. Sie war schon immer da: Auch der erste Präsident, den ich in Amerika erlebt habe, Nixon, war auf der anderen Seite nicht gerade beliebt. Aber die jetzige Spaltung ist größer als jemals zuvor. Auch wenn wir jetzt nach der Wahl von beiden Seiten versöhnliche Worte gehört haben, so bin ich nicht sicher, ob es gelingt, die Spaltung zu überwinden; denn es ist nicht so, wie es in Deutschland verkürzt dargestellt wird, dass dabei nur die Republikaner durch ihre Blockade schuld sind, sondern beide Seiten sind daran beteiligt. Um es verkürzt auszudrücken: Wenn Sie sich Fox oder MSNBC anschauen, dann können Sie, was das Geifern und die Verunglimpfung des politischen Gegners angeht, kaum Unterschiede in der Intonierung bemerken. Vielleicht aber ist die kurzfristig größte Krise eine Chance, um die langfristige Krankheit der Spaltung zu überwinden. Die Krise besteht darin, dass dann, wenn nichts passiert, am 2. Januar nächsten Jahres ein Automatismus in Form von Kürzungen und Steuererhöhungen eintritt. Wir wissen, dass weder Demokraten noch Republikaner das wollen. Die Hoffnung ist, dass aufgrund dieser schwierigen Lage eine Kooperation möglich wird. Ein starkes Amerika ist in unserem Interesse. Uns verbindet die Geschichte. Uns verbindet gemeinsame Kultur. Uns verbinden Werte wie Demokratie, Menschenrechte, die marktwirtschaftliche Ordnung und der Rechtsstaat. Uns verbinden Interessen. Bei so viel Gemeinsamkeiten ist es nach meinem Dafürhalten nicht nur Interessenpolitik, die uns verbindet, sondern ich sage es zum Schluss so: Für mich persönlich ist es ein Herzensanliegen, dass wir weiterhin mit unserem amerikanischen Partner zusammenarbeiten: zum Wohle unserer Völker und, soweit das möglich ist, zum Wohle der Welt. Vielen Dank (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Philipp Mißfelder hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Amerika hat gewählt, und Deutschland hat in starkem Maß Anteil daran genommen. Die Begeisterung gerade vieler Deutscher über die Wiederwahl von Barack Obama zeigt, dass sich unsere Völker sehr nahe sind. Ich kenne kein anderes Beispiel dafür, dass Menschen so lange wach bleiben, um mit großer Spannung eine Wahl zu verfolgen, mit den Kandidaten mitzufiebern und sich letztendlich darüber zu freuen, dass sich der Wunschkandidat – jedenfalls der meisten Deutschen, wenn man den Umfragewerten glauben kann – durchgesetzt hat. Rainer Stinner hat es bereits angesprochen: Es gibt sehr viele Stereotypen, die gegenseitig bedient werden. Einerseits erwarten die Amerikaner von uns mehr Aktivität bei der Verschuldungskrise im Euro-Raum. Gegenseitiges Unverständnis herrscht an mancher Stelle in der Geldpolitik. Manche Amerikaner erwarten von uns, die Probleme durch eine radikale Inflationspolitik zu lösen. Andererseits betrachten viele Europäer das amerikanische Budget und die nach wie vor hohen Verteidigungsausgaben mit großer Skepsis. Ich glaube, die Zerrbilder, die auf beiden Seiten entstanden sind, haben auch etwas damit zu tun, dass aufgrund der Spaltung Amerikas, die offensichtlich ist – das wurde bereits angesprochen –, ständig Extrembeispiele genannt werden. Peter Hintze und ich haben vor ein paar Wochen an der Republican Convention teilgenommen und haben gesehen, wie zerrissen diese Partei ist und wie die Tea Party teilweise versucht, die Richtung und den Kurs der von sehr vernünftigen Außenpolitikern geprägten republikanischen Partei fundamental zu verändern. Das ist ein Zeichen dafür, dass es in vier Jahren unter Barack Obama nicht gelungen ist, das Land zu einigen. Nein, es ist an manchen Stellen tiefer gespalten, als man erwartet hat. Das betrachten wir natürlich mit großer Sorge. Vor dem Hintergrund, dass sich der Blick in der Administration Obamas mehr in Richtung Pazifik richtet – er selbst bezeichnet sich als ersten pazifischen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika –, hat die althergebrachte Konstellation „Europa und die USA gemeinsam“ zwar keine Risse bekommen. Sie hat aber nicht mehr die oberste Priorität. Das führt teilweise zu einer Entfremdung. Diese muss allerdings nicht von Dauer sein und muss uns auch nicht schaden, im Gegenteil. Ich glaube, dass die Wiederwahl von Barack Obama in den USA die Chance bietet, die nicht behandelten Themen aufzugreifen und für mehr Verständnis auf beiden Seiten des Atlantiks für den jeweils anderen zu werben. Die Bundeskanzlerin hat in ihren Gratulationsworten deutlich gemacht, dass Herr Obama in Deutschland nach wie vor sehr herzlich willkommen ist. Wir freuen uns auf Barack Obama als wiedergewählten Präsidenten. Wir freuen uns, wenn er die Bundesrepublik Deutschland besucht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In den Vereinigten Staaten ist die Selbstdefinition der Rolle der USA – das konnte man gerade in der dritten Fernsehdebatte sehen – sehr wichtig. Wenn man beide Kandidaten im Wahlkampf verfolgte, konnte man feststellen, dass keiner davon gesprochen hat, dass Amerika bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen, im Gegenteil. Obama hat gestern in seinen Dankesworten davon gesprochen, dass er weiß, dass die Amerikaner nach zehn Jahren Krieg in Afghanistan und im Irak nur eines wollen: sich um ihre Probleme kümmern und die offenen Fragen in den USA beantworten. Sie wollen nicht durch weitere Interventionen in der Welt die Rolle des Welt-polizisten übernehmen. Das, was viele Europäer eingefordert haben, nämlich dass die UNO an die Stelle der USA als Weltpolizist tritt, wird nun in Erfüllung gehen. Leider zeigt Syrien als aktuelles Beispiel, dass die UNO keineswegs die Kompetenzen hat, entsprechende Probleme zu lösen. Zwar haben wir 2005 die Responsibility to Protect eingeführt und zum Schutz der Zivilbevölkerung das UNO-Statut geändert. Nichtsdestotrotz führt die Blockade im UNO-Sicherheitsrat dazu, dass die UNO an dieser Stelle eher ein Totalausfall ist und nicht als Weltpolizist eingreifen kann. Das bezahlt gerade die Zivilbevölkerung in Syrien mit ihrem Leben. Man kann lange darüber spekulieren, warum das der Fall ist, ob die Ursache dafür der Rückzug der Amerikaner aus der Weltpolitik oder das verloren gegangene oder mangelnde Vertrauen zwischen der westlichen Welt und China bzw. Russland gewesen ist. Darüber kann man lange diskutieren. An all diesen Ver-mutungen ist etwas dran. Aber wir als mittlere Macht in Europa können es nicht hinnehmen, dass ein Fall wie Syrien unerledigt im UN-Sicherheitsrat liegt. Wir dürfen nicht wegschauen, sondern wir müssen das Thema mit großer Ernsthaftigkeit begleiten. Ich gehe davon aus, dass gerade von den Amerikanern erwartet wird, dass wir in Zukunft mehr Verantwortung innerhalb der NATO übernehmen als weniger. Ich bin gespannt darauf, welche Antwort unser Land und unsere Bevölkerung darauf geben werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Erwartungshaltung der USA ist auf jeden Fall klar, was die Agenda der NATO betrifft. In Sachen Sharing und Pooling, das heißt Fähigkeiten zusammenführen und Lasten teilen, ist die Erwartungshaltung in Washington ganz klar, dass wir mehr leisten müssen. Ich weiß nicht, ob alle dazu bereit sind. Ich glaube, dass die Grundsatzdiskussion in unserem Land noch geführt werden muss, ob wir militärisch, wirtschaftlich und auch finanzpolitisch bereit sind, einen größeren Beitrag zu leisten. Ich bin vergangene Woche in Boston und New York gewesen. (Zurufe von der SPD) – Ich weiß nicht, wo Sie zuletzt waren; ich auf jeden Fall war in der letzten Woche in den USA. – Ich habe mit großem Interesse verfolgt, welche Debatten in den USA geführt werden, insbesondere im geistigen Zentrum, der Harvard University. Viele sprechen von „decline“. Rainer Stinner hat gerade die europäischen und amerikanischen Medien angesprochen. Ob nun Erfindungen von Amazon, neue Technologien wie Facebook oder andere Innovationen der Internetwirtschaft – alles kommt aus Amerika. Ich kann allen nur das Buch The Quest von Yergin empfehlen, in dem Sie nachlesen können, welche großen energiepolitischen Herausforderungen Amerika gerade meistert. Ich glaube, dass Amerika nach wie vor das innovativste und dadurch auch wirtschaftlich erfolgreichste Land der Welt ist und es auch bleiben wird. Deshalb würde ich auch nicht von „decline“ sprechen; Amerika ist vielmehr der wichtigste und beste Partner, den sich Deutschland wünschen kann. Ich komme auf meine Reise und den Besuch der Universität von Harvard zurück. Herr Kollege Klose, ich habe dort sehr viele, zugegebenermaßen ältere Professoren getroffen, die bewundernd über Ihre Arbeit gesprochen haben. Das gilt nicht nur für Karl Kaiser, der mit Ihnen freundschaftlich verbunden ist, sondern auch für viele amerikanische Professoren, die dort lehren. Sie haben von Ihrer großartigen Lebensleistung und Ihrer Tätigkeit im Deutschen Bundestag gesprochen und betont, wie sehr Sie sich für die Beziehungen unserer beiden Staaten eingesetzt haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Dafür möchte ich Ihnen ganz herzlich im Namen unserer Fraktion danken. Ich möchte Ihnen auch für die kollegiale und menschlich wunderbare Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg danken. Die Anerkennung, die Sie in den USA genießen, muss erst einmal jemand aus unserem Kreis und unserer Generation erwerben. Deshalb möchte ich Ihnen, auch im Namen meiner Fraktion, meinen ganz großen Respekt bekunden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Hans-Ulrich Klose hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hans-Ulrich Klose (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es war eine sehr kluge Entscheidung der Geschäftsführer, die Debatte über den SPD-Antrag zu den transatlantischen Beziehungen auf die Zeit nach den amerikanischen Wahlen zu schieben; denn jetzt, einen Tag danach, wissen wir jedenfalls, mit welchem Präsidenten und mit welchem Kongress wir es zu tun haben: wie gehabt mit Barack Obama und mit einem republikanischen Haus. Same procedure also? Nein, meine Damen und Herren, nicht ganz. Der Präsident hat weitere vier Jahre Zeit, um zu bewirken, was er in den ersten vier Jahren nicht bewirken konnte, vor allem dies: die Wirtschaft wieder voranzubringen und die zunehmende Spaltung des Landes in sehr Reiche und sehr Arme – eine gefährdete Mittelschicht dazwischen – zu überwinden. Ob ihm das gelingen wird, hängt nicht allein von seiner Führungskraft ab; es hängt auch ab von der Bereitschaft der republikanischen Führung, sich aus der Umklammerung von Tea Party und Grover Norquist zu befreien. Ich weiß nicht, wer von beiden schwieriger ist. Auf deren Einsicht zu hoffen, halte ich für ziemlich verwegen. Die republikanische Führung hat aber bei dieser Wahl – hoffe ich – gelernt, dass bedingungslose Konfrontation weder dem Land dient noch der republikanischen Partei. Es geht nicht ohne Kompromissbereit-schaft und ein Mindestmaß an Bipartisanship. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gilt schnell zu lernen, meine Damen und Herren; denn Amerika steuert zu auf das sogenannte „fiscal cliff“. Wenn es zum Ende dieses Jahres keine Vereinbarung zur Haushaltspolitik gibt, kommt es durch Wegfall von Steuervergünstigungen faktisch zu Steuererhöhungen und zugleich zu kräftigen Einschnitten in den Haushalt. Die Rede ist von Einsparvolumina von circa 600 Mil-liarden US-Dollar – Untergrenze. Die Folgen solcher Einschnitte für die Wirtschaft wären gravierend. Sie abzuwenden und zugleich die Weichen für mehr Wirtschaftswachstum und mehr Beschäftigung zu stellen – darum geht es, übrigens nicht nur aus amerikanischer Sicht. Für die ganze Welt ist es wichtig, wie sich die amerikanische Wirtschaft entwickelt, auch für uns. Denn noch immer ist Amerika für Europa der wichtigste Handels- und Wirtschaftspartner – und umgekehrt. Amerikanische Investitionen sichern Arbeitsplätze in Europa. Europäische, vor allem auch deutsche Investitionen in den USA sichern dort amerikanische Arbeitsplätze. Deutschland ist aus amerikanischer Sicht ein wichtiger ökonomischer Partner, nicht zuletzt weil Deutschland in Amerika als Beispiel gesehen und sogar auch ein bisschen bewundert wird, weil es uns bisher trotz massiver Konkurrenz zum Beispiel aus China gelungen ist, unsere produktive industrielle Basis zu behalten und sogar auszubauen. Deutschland ist deshalb ein Partner, der bei der dringend notwendigen Reindustrialisierung Amerikas helfen kann, auch weil deutsche Firmen, die in den USA investieren, ihre Arbeitskräfte vor Ort finden und schulen. Ich habe das vor einem Jahr in einem VW-Werk in Chatta-nooga gesehen und zuletzt bei Stihl in Virginia Beach. Die Zusammenarbeit ist rundherum gut und könnte noch besser werden, wenn es, ja wenn es endlich gelänge, das Projekt einer transatlantischen Freihandelszone in die Tat umzusetzen. Das ist nicht einfach, weil, wenn es um Regeln und Standards geht, es auf beiden Seiten des Atlantiks und, zugegeben, auch innerhalb der EU deutlich unterschiedliche Auffassungen gibt. Der Nutzen einer transatlantischen Freihandelszone wäre aber groß. Deshalb hat die Bundesregierung sich wiederholt für die Errichtung einer solchen Freihandelszone ausgesprochen. Auch der Kollege Polenz hat sich kürzlich noch einmal dazu geäußert – wie ich finde, zu Recht. Denn es liegt auch an uns, das Projekt voranzutreiben. Die Amerikaner sehen jedenfalls Deutschland als das europäische Powerhouse. Sie erwarten, dass Deutschland seine ökonomischen Stärken politisch-strategisch nutzt, zum Vorteil Europas und des gesamten Westens. Meine Damen und Herren, die Zeiten westlicher Dominanz gehen zu Ende. Der Anteil westlicher Länder an der Weltbevölkerung nimmt ab auf bald nur noch 12 bis 13 Prozent. Die westliche Führungsmacht Amerika steckt in einer innenpolitischen Krise, die durch die jüngsten Wahlen nicht einfach aufgelöst worden ist. In den USA ist – nicht nur vereinzelt – die Rede von „decline“, also Abstieg. Der Glaube, dass Demokratie und Marktwirtschaft einander bedingen und wirtschaftlicher Erfolg nur in einer Demokratie möglich sei, ist durch China erschüttert. China ist erfolgreich, aber ganz sicher keine Demokratie. Das verursacht hier und da ideologische Kopfschmerzen. Manch einer erwartet, dass die westliche Führungsmacht von China eingeholt und sogar überholt werden könnte. Ich teile diese Besorgnis nicht. Ich kenne mich in der amerikanischen Geschichte ein bisschen aus und weiß, dass Amerika es mehr als einmal geschafft hat, Zeichen von Schwäche und Konflikten zu überwinden. Jedenfalls hat Amerika nicht nur aus meiner Sicht die deutlich besseren Chancen, seine Führungsposition zu erhalten. Amerika ist ein großes Land und verfügt, anders als China, über reichhaltige Bodenschätze, vor allem über ausreichend Energievorräte. Amerika ist, anders als China, in der Lage, seine wachsende Bevölkerung aus eigener Kraft zu ernähren und produziert Nahrungsmittel über den eigenen Bedarf hinaus für den Export. Amerika hat in seiner Nachbarschaft keine relevanten Feinde. Amerika ist ein attraktives Land mit hohem Innovationspotenzial; der Kollege Mißfelder hat darauf hingewiesen. Amerika ist ein Land mit freiheitlicher Verfassung, ein freies Land, in dem jeder und jede eine Chance für persönlichen Aufstieg hat. Nicht zuletzt deshalb ist Amerika als Zuwanderungsland attraktiv für junge Menschen aus aller Welt. Und – um auch dies zu erwähnen –: Amerika wird noch lange Zeit die stärkste Militärmacht bleiben. Ich glaube deshalb – um es noch einmal zu sagen –, dass Amerika mit den neuen Herausforderungen fertigwerden kann. Aber es bleibt auch richtig: Amerika und der Westen sind herausgefordert. Wir müssen uns diesen Herausforderungen stellen. Amerika hat das lange vor Europa erkannt. Es hat sich nach der Zeitenwende 1989/90 strategisch neu aufgestellt, schrittweise, aber konsequent Richtung Asien und Pazifik. „Pivot to Asia“, das war die Kurzformel der strategischen Neuausrichtung, in deren Verlauf sich der amerikanische Präsident selbst einen pazifischen Präsidenten nannte. „Pivot to Asia“, das klang für manche europäischen Ohren nach Abwendung von Europa, war aber nie so gemeint und ist deshalb, um Missverständnisse zu vermeiden, inzwischen durch das Wort „rebalancing“ ersetzt worden. Das bedeutet Herstellung einer neuen Balance zwischen andauerndem US-Engagement in Europa und verstärktem Engagement der pazifischen Macht Amerika in Asien, also ausdrücklich nicht Abwendung von Europa, sondern die Zusicherung, auch künftig im NATO-Rahmen in Europa engagiert zu bleiben, verbunden allerdings mit der Forderung an die Europäer, künftig mehr zu tun, mehr Verantwortung zu übernehmen, und zwar, Herr Kollege Mißfelder, in doppelter Hinsicht: Zum einen erwarten die Amerikaner von den Europäern einen höheren, effektiveren Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit. Das Missverhältnis zwischen amerikanischen NATO-Aufwendungen, circa 70 Prozent, und denen der Europäer, zusammen nur etwa 30 Prozent, ist offensichtlich und aus amerikanischer Sicht nicht akzeptabel. Es geht aber nicht nur um Geld und Fähigkeiten, sondern auch um strategisches Burden Sharing. Amerika will, dass sich die Europäer um die Probleme in der europäischen Peripherie selbst kümmern. Amerika hilft, wenn nötig, will aber nicht führen. Das war so im Fall Libyen und wird, fürchte ich, so sein im Fall Mali. Weil das so ist, macht es Sinn, dass sich die Europäer vorher darüber verständigen, was sie mit welchen politischen und/oder militärischen Mitteln in Mali oder in ähnlich gelagerten Fällen erreichen wollen. Die Betonung, dass es sich nur um eine Ausbildungsmission handele, trägt allein nicht. Europa braucht mehr Gemeinsamkeit und, wenn ich das so sagen darf, mehr Entschlossenheit, um als europäischer Akteur in der transatlantischen Zusammenarbeit ein relevanter Partner zu bleiben oder zu werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutschland, so hört man es gelegentlich in den USA, dürfe nicht zu einem Land der Neinsager werden; es müsse bereit sein, mehr Verantwortung zu übernehmen. Ich weiß, meine Damen und Herren, das alles klingt eher ein bisschen bedrohlich in den Ohren all jener, die weiterhin auf eine Politik der Zurückhaltung setzen. Diese Politik war historisch begründet. An der Richtigkeit der Gründe war und ist nicht zu zweifeln. Die Schlussfolgerungen müssen aber überdacht und den Realitäten der heutigen Zeit angepasst werden. Für Europa und für Deutschland in Europa gilt die Formel „pivot to reality“. „Pivot to reality“ bedeutet nicht, die Prinzipien einer wertorientierten Außen- und Sicherheitspolitik infrage zu stellen. Die Orientierung an Werten ist konstitutiv für das Selbstverständnis des Westens. Es ist aber eben auch richtig, dass eine wertorientierte Außenpolitik an den oft widrigen Realitäten nicht vorbeidiskutieren kann. Wir müssen sie zur Kenntnis nehmen, nicht resignierend oder zynisch, sondern in guter Weise pragmatisch. Was, meine Damen und Herren, bedeutet das für die praktisch-politische Arbeit der nächsten Jahre, vielleicht Jahrzehnte? Erstens. Die strategische Neuorientierung der US-Außenpolitik in Richtung Pazifik liegt nicht nur im amerikanischen Interesse. Auch Europa muss die geostrategischen Veränderungen in Richtung Pazifik zur Kenntnis nehmen. Vor allem das exportorientierte Deutschland ist an berechenbar stabilen Verhältnissen in Ostasien in besonderer Weise interessiert. Da es für die EU und einzelne Mitgliedstaaten der EU eine pazifische Machtprojektion nicht gibt, muss sie sich einmal mehr auf das stabilisierende Potenzial der USA verlassen, insbesondere darauf, dass die USA wie auch China auf ein kooperatives Miteinander hinarbeiten und Konflikte vermeiden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Deutschland hat Einfluss in den USA und in China. Mit China verbindet uns eine, wie es heißt, strategische Partnerschaft. Strategisch oder nicht – richtig ist, dass Deutschland aus chinesischer Sicht ein wichtiger Akteur ist, politisch und ökonomisch. Die Stimme Deutschlands hat Gewicht in China. Das sollten wir in Abstimmung mit unseren europäischen Partnern nutzen, um unsere europäische Perspektive positiv zu Gehör zu bringen – in China und darüber hinaus. Drittens. Politisch muss es unser Ziel sein, die europäischen Lehren aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts global auszuwerten; will sagen: Der europäische Gedanke von gemeinsamer Sicherheit und Sicherheitspartnerschaft könnte auch in anderen Weltregionen an Bedeutung und Zustimmung gewinnen. ASEAN und ASEAN-Staaten sind Ansprechpartner, um die wir uns intensiv und hochrangig bemühen sollten. Viertens. Deutschland ist ein Partner in Leadership, zuerst und vor allem in Europa. In Europa gibt es heute Schwierigkeiten rund um den Euro. Das eigentliche -Problem ist aber nicht der Euro, sondern das mangelnde Bewusstsein von europäischer Zusammengehörigkeit und Identität. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wechselseitige Vorurteile und Ressentiments sind im Verlauf der Euro-Krise überdeutlich zutage getreten. Es wird schwer sein, neuerliche wechselseitige Verwundungen zu heilen. Fünftens. Die Erfahrung eigener Unzulänglichkeit sollte uns im Auftreten – ich betone: im Auftreten! – etwas bescheidener machen, wenn wir international agieren. Europäer, zumal wir Deutschen, haben eine Neigung zu, wenn ich das so sagen darf, missionarischen Auftritten mit erhobenem Zeigefinger. Vor allem im Umgang mit den neuen Akteuren in Asien wird uns das immer wieder vorgehalten. Die Welt ist eben nicht so, dass alle Staaten und Völker sich an gleichen universellen Werten orientieren. China zum Beispiel lehnt das ausdrücklich und mit chinesisch-philosophischer Begründung ab. „Kommt uns bloß nicht mit Kant“, titelte die FAZ, als sie über eine Philosophenkonferenz in China berichtete. Gleichwohl müssen wir mit China wie auch mit Russland oder mit Staaten der islamischen Welt kooperieren, deren Wertvorstellungen und Verhalten in Sachen Menschenrechte unseren europäischen Vorstellungen nicht entsprechen. Es geht nicht anders – das wissen wir –, auch wenn wir es gern anders hätten. Zum Schluss erlauben Sie mir eine sehr persönliche Bemerkung. Ich weiß, Dankbarkeit ist in der Politik keine belastbare Größe. Als kindlicher Zeitzeuge der letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre erlaube ich mir aber bei dieser Gelegenheit ein Wort des Dankes an die Amerikaner. Ohne sie wären wir nicht, wo wir heute sind. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]) Ohne sie hätten wir weder die deutsche noch die europäische Teilung überwunden. Ich denke, wir sollten uns hin und wieder an diese Wahrheit erinnern. Vielen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Stefan Liebich hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Stefan Liebich (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 25. April 1945 haben sich an der Elbe bei Torgau amerikanische und sowjetische Soldaten die Hand gereicht. Dieses historische Bild wurde gezeichnet anlässlich des gemeinsamen militärischen Sieges der Anti-Hitler-Koalition über das Naziregime. Auch Deutsche in US-amerikanischer Uniform kamen damals in ihre Heimat zurück, die sie wegen Verfolgung und politischem Druck verlassen haben, weil sie ein Leben in Freiheit und nicht in der Diktatur wollten. Die Vereinigten Staaten von Amerika waren damals das Land ihrer Wahl. Ich nenne hier beispielhaft Marlene Dietrich, die vom Berliner Senat im Jahr 2003 dafür zur Ehrenbürgerin ernannt wurde, oder auch den ehemaligen Alterspräsidenten des Deutschen Bundestages Stefan Heym, dessen hundertsten Geburtstag wir im nächsten Jahr feiern. (Beifall bei der LINKEN) Die aktuellen transatlantischen Beziehungen begannen mit der Befreiung Deutschlands – ein guter Start, wie ich finde. Die Anti-Hitler-Koalition ist schnell zerbrochen. Deutschland wurde gespalten. Die USA haben dem Westen unseres Landes mit dem Marshallplan eine Perspektive heraus aus Hunger und Ruinen geboten. Dieses Angebot wurde angenommen und war die Grundlage für das sogenannte Wirtschaftswunder. Deshalb sind viele Menschen in unserem Lande den USA bis heute zutiefst verbunden. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland entschieden sich für eine feste Bindung an die USA. Auch der Bundestag etablierte Strukturen enger Zusammenarbeit mit dem Kongress. Bald werden wir wieder, wie in jedem Jahr, ein Treffen mit den Kolleginnen und Kollegen aus Senat und Repräsentantenhaus haben. Es wird das letzte Mal sein, dass unsere Parlamentariergruppe von Hans-Ulrich Klose angeführt wird. Sie sagten mir einmal, wie es Sie geprägt hat, dass die USA nach dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg sofort junge Leute wie Sie in ihr Land eingeladen haben. Das merkt man. An dieser Stelle möchte ich Ihnen auch im Namen meiner Fraktion recht herzlich für Ihre langjährige engagierte Arbeit danken. (Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Der Blick zurück ist wichtig. Kommende Beziehungen sind aber vor allen Dingen von den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft geprägt. Am Dienstag – es wurde hier natürlich angesprochen – haben die Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten ihren Präsidenten Barack Obama wiedergewählt. Viele, auch hier bei uns im Land, hat das sehr gefreut. Wir haben aber auch am Dienstag gesehen: Die USA sind immer noch politisch tief gespalten. Dies ist ja nicht nur einfach ein Klischee, sondern es ist die Wirklichkeit. Wenn man sich die Abstimmungen angeschaut hat, dann hat man gesehen: Es sind auf der einen Seite in Maryland und Maine Cannabis legalisiert bzw. die Ehe zwischen zwei Männern oder zwei Frauen gestattet worden – beides übrigens Punkte, die eine Mehrheit hier in unserem Haus ablehnt –, auf der anderen Seite ist in Kalifornien die Todesstrafe bestätigt worden. In Florida wurde abgelehnt, dass der Staat Krankenversicherungen unterstützt, die Abtreibungen beinhalten. Es gab Kandidaten mit sehr seltsamen Auffassungen. Todd Akin aus Missouri meinte, dass Schwangerschaften nach Vergewaltigungen sehr selten seien, weil der weibliche Körper Wege habe, diese zu unterbinden, und dass deshalb Abtreibungen auch in so einem Fall nicht zulässig sein sollen. Zum Glück hat er seine Wahl verloren. Schön dagegen ist, dass mit Tammy Baldwin erstmals eine offen lesbisch lebende Frau in den Senat gewählt wurde. Das hat mich sehr gefreut. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit Barack Obama hat ein Präsident gewonnen, der das Gefangenenlager in Guantanamo immer noch nicht geschlossen hat, obwohl er es angekündigt hatte. Mangelnde Glaubwürdigkeit attestiert ihm daher völlig zu Recht der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. Obamas Drohnenangriffe in souveränen Staaten brechen internationales Recht; die Tötung von Menschen, die niemand verurteilt hat, können wir nicht einfach -hinnehmen. Dies ist nur die eine Seite. Er hat auch dafür gesorgt, dass sich die USA international wieder abstimmen, in der UNO ordentlich ihre Beiträge bezahlen, er hält den Klimawandel nicht für einen Scherz. Er setzt sich für die Rechte von Migranten, von Lesben und Schwulen ein. Und er wird als derjenige Präsident in die US-Geschichte eingehen, der für den Großteil der Menschen in den Vereinigten Staaten eine Krankenversicherung organisiert hat. Ich bin ganz ehrlich: Mir war die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger in der vorletzten Nacht nicht egal. Ich bin über die Wiederwahl von Barack Obama trotz aller Kritik froh, da er die bessere Alternative war. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein Kandidat, der sagt, es sei nicht sein Job, sich um die ärmere Hälfte der eigenen Bevölkerung zu kümmern – Mitt Romney hat sich so geäußert –, aber die Unternehmenssteuern senken will, der außenpolitisch eher noch im Kalten Krieg lebt, weil er Russland für eine Bedrohung hält, wäre aus meiner Sicht eine schlechtere Wahl gewesen. Die Welt hat sich dramatisch geändert. Klimawandel, internationaler Terrorismus, Globalisierung – das sind neue Herausforderungen. Aber die Antworten, die diesseits und jenseits des Atlantik gegeben werden, sind häufig immer noch die alten: Militär gegen Bedrohung und zur Ressourcensicherung, Abbau sozialer Sicherung und statt klarer Regeln durch den Staat freie Hand für Märkte und Banken. Barack Obama hat gestern in seiner Siegesrede in Chicago von Werten gesprochen, die ein Land so voller Unterschiede zusammenhalten sollen: Verantwortung untereinander und künftigen Generationen gegenüber. – Ich würde es Solidarität nennen. Er hat von Freiheit gesprochen und von Respekt. Gestützt auf diese Werte können Europa, Deutschland und die Vereinigten Staaten eine neue transatlantische Partnerschaft begründen. Wir könnten zusammen den Frieden in der Welt fördern, indem wir mutige Abrüstungsschritte unternehmen, zum Beispiel, indem man in einem ersten Schritt die Atomwaffen aus Deutschland abzieht. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir könnten die Armut weltweit bekämpfen, indem Banken und Finanzmärkte mutig reguliert werden, zum Beispiel, indem wir als ersten Schritt eine weltweite Finanztransaktionsteuer einführen. Wir könnten eine neue internationale Sicherheitsarchitektur aufbauen, zum Beispiel, indem wir als ersten Schritt die OSZE, in der beide Länder Mitglied sind, stärken. Wir könnten gemeinsam im Nahen Osten eine Initiative dazu ergreifen, dass es endlich zu einer Zwei-Staaten-Lösung kommt. Die -Aufnahme Palästinas als Vollmitglied bei den Vereinten Nationen könnte hierfür ein erster Schritt sein. (Beifall bei der LINKEN) Und wir könnten gemeinsam für die Achtung der Menschenrechte weltweit eintreten und deshalb eine Initiative ergreifen, Waffenexporte zu ächten. Der Stopp von Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete könnte hier ein erster Schritt sein. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Lösungen liegen also vor uns. Wir müssen es nur schaffen, uns endlich von den Dogmen der Vergangenheit zu lösen. Auch wir als Linke machen dazu in der nächsten Woche einen kleinen Schritt. Mancher denkt ja, wir Linke seien antiamerikanisch. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Ja!) Das ist falsch. (Gisela Piltz [FDP]: Komisch, wie kommen wir darauf?) Am kommenden Dienstag nehmen unser Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi, unsere stellvertretende Fraktionsvorsitzende Cornelia Möhring und ich in New York City an der Eröffnung des ersten US-Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung teil. Das war auch an der Zeit. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Damit ist es noch nicht getan! Wir gucken auch hin, was die da sagen!) Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ruprecht Polenz hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ruprecht Polenz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über die transatlantischen Beziehungen ist im Grunde eine Debatte über unser außenpolitisches Koordinatensystem. Ich sage das deshalb, weil ich diese Beziehungen von den etwas inflationär entstehenden strategischen Partnerschaften unterscheiden möchte. Die Vereinigten Staaten sind ein wesentlicher Bestandteil unseres außenpolitischen Koordinatensystems, und zwar in dem Sinne, dass uns dieses Koordinatensystem Anhaltspunkte dafür gibt, wie wir andere Bereiche einordnen und mit anderen außenpolitischen Themen umgehen. In diesem Zusammenhang ist als zweite große Koordinatenlinie die deutsch-französische Freundschaft zu nennen, die wir im Rahmen des Weimarer Dreiecks jetzt um die Achse nach Warschau verlängern und in die europäische Einigung einbetten. Als dritte Koordinatenlinie – um den Rang deutlich zu machen – möchte ich die Sonderbeziehung Deutschlands zu Israel anführen. Das ist das außenpolitische Koordinatensystem Deutschlands. Gute transatlantische Beziehungen sind also wichtig für die Einordnung von Themen. Das ist in einer unübersichtlicher gewordenen Welt nicht immer einfach. -Warum aber ist es so wichtig, gute transatlantische Beziehungen zu haben, sodass wir bei anderen Themen die Frage immer mit im Auge behalten: Welche Auswirkungen hat unser Verhalten in dieser oder jener Frage auf die transatlantischen Beziehungen? Verbessert es sie, stärkt es sie, oder würde es sie schwächen? Außenpolitik heißt ja, dass wir unsere Interessen verfolgen und dass wir das von einer wertegeleiteten Basis her tun. Nun können Werte und Interessen miteinander in Konflikt geraten. Aber im Verhältnis zu den USA ist es so, dass unsere Werte und unsere Interessen in sehr hohem Maße übereinstimmen. Sie sind nicht deckungsgleich oder identisch. Es gibt durchaus Handelskonflikte mit den USA, es hat auch durch den wirtschaftlichen Wettbewerb immer Situationen gegeben, in denen man bis hin zur Anrufung von -internationalen Schiedsgerichten um eine Klärung nachsuchen musste. Aber uns verbindet doch die Grundüberzeugung, dass Freihandel und Marktwirtschaft für die Völker dieser Welt wohlfahrtsfördernd sind und dass wir uns dafür gemeinsam einsetzen sollten. Was die Werte angeht: Ja, es ist richtig: Wir versuchen, unsere amerikanischen Freunde davon zu überzeugen, die Todesstrafe endlich abzuschaffen. Wir haben auch Probleme damit, zu verstehen, dass in Amerika -tatsächlich Menschen glauben, man könne ohne eine gesetzlich verpflichtende Krankenversicherung auskommen. Aber trotzdem verbindet uns ein Freiheitsverständnis, ein gemeinsames Verständnis der Menschenrechte, von Rechtsstaat und Demokratie. Das ist zusätzlich zu den historischen Erfahrungen die gemeinsame Basis, die uns mit den Amerikanern verbindet. Auch nach meiner Überzeugung sind die USA in der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts noch auf Jahrzehnte hinaus mit Abstand die Nummer eins. Sie erbringen gegenwärtig ein Viertel der Weltwirtschaftsleistung und verfügen über eine große Innovationskraft. Die Attraktivität ihrer wissenschaftlichen Einrichtungen ist groß; 800 000 Studenten, die besten Köpfe aus aller Welt, studieren in den USA. Wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf: Die Amerikaner nutzen dieses Potenzial wesentlich intelligenter als wir, indem sie denen, die nach dem Studium dort bleiben wollen, diese Möglichkeit eröffnen, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) während wir, kaum hat man das Examen oder die Promotion abgeschlossen, diskret darauf hinweisen, dass jetzt das Aufenthaltsvisum abgelaufen sei. Amerika verfügt nach wie vor über eine große kulturelle Anziehungskraft. Nicht zu vergessen ist: Die USA haben eine wachsende Bevölkerung. Die amerikanische Bevölkerung wird bis 2030 um etwa 100 Millionen Menschen wachsen; im gleichen Zeitraum wird Europa 100 Millionen Menschen verlieren. Herr Klose hat schon betont, dass die USA auf lange Sicht auch die militärisch stärkste Macht auf dieser Welt sind. Sie sind unser wichtigster Verbündeter, und die NATO ist die Klammer, mit der wir unsere Sicherheit vom Bündnis mit den Amerikanern abhängig machen. Es ist in der Debatte bereits angesprochen worden: Die USA wenden sich dem Pazifikraum zu. Das ist auch in unserem Interesse; denn die selbsttragenden, den Frieden stabilisierenden Strukturen, die in Europa in den letzten 60 Jahren – denken Sie etwa an die Europäische Union! – unter tatkräftiger Mithilfe der Amerikaner entstanden sind, fehlen in Asien völlig. Es gibt in Asien keinerlei vertrauensbildende, länderübergreifende Mechanismen oder Maßnahmen. Wir beobachten im Fern-sehen, wie chinesische und japanische Schiffe vor einer Insel fast kollidieren, und müssen wissen: Es gibt kein rotes Telefon für Gespräche zwischen Peking und Tokio. Das Fehlen solcher Strukturen verlangt danach, dass sich Amerika als Ordnungsmacht diesem Raum zuwendet. Das ist in unserem Interesse. Wir wenden uns diesem Raum – das ist schon gesagt worden – in anderer Weise ebenfalls zu. Es ist hier schon darauf hingewiesen worden: Wir müssen selber etwas dafür tun, die transatlantischen Beziehungen auch in Zukunft mit Leben zu erfüllen. Der Gedanke einer transatlantischen Freihandelszone sollte nicht nur auf dem Papier stehen; er muss jetzt mit Leben erfüllt werden. Die Zeit ist reif dafür, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) einen gemeinsamen Markt für über 800 Millionen Menschen zu schaffen, mit großen Wohlfahrtsgewinnen für beide Kontinente. Gerade in der jetzigen Wirtschafts- und Finanzkrise sind solche Visionen und Perspektiven notwendig. Meine Damen und Herren, die transatlantischen Beziehungen, die Freundschaft zwischen Deutschland und den USA, wollen gepflegt werden; sie müssen gelebt werden. Unser Kollege Hans-Ulrich Klose hat das in beispielhafter Weise über lange Jahre hinweg in vielfältigen Funktionen getan. Lieber Herr Klose, dafür möchte auch ich mich ganz persönlich bei Ihnen bedanken. Ich wünsche Ihnen weiterhin alles Gute. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kerstin Müller hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa feiert mit den USA den wiedergewählten US-Präsidenten. Hätten wir in Europa ihn wählen dürfen – einige von Ihnen haben es schon gesagt –, wäre das Ergebnis wahrscheinlich fast ein sozialistisches geworden. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wie meinen Sie das?) Überall in Deutschland und Europa haben die Menschen mitgefiebert. Die allermeisten Umfragen ergaben, dass 90 Prozent Barack Obama die Daumen gedrückt haben. Er hat es geschafft – und daher von mir und meiner Fraktion – Herr Liebich, ich bin da ganz offen – einen ganz herzlichen Glückwunsch an den neu gewählten Präsidenten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE]) Warum elektrisiert uns diese Wahl so? Ich glaube, es gibt zwei Gründe: Erstens. Der Typ ist einfach gut und trotz allem irgendwie cool; das höre ich von vielen jungen Menschen. Zweitens. Die transatlantischen Beziehungen sind allen Unkenrufen zum Trotz tief in unserer Gesellschaft und in unserer politischen Kultur verwurzelt. Warum ist Obama nun so toll? Hat er nicht eine enttäuschende Bilanz aufzuweisen? Keine Antwort auf den Klimawandel, anhaltende Kriege und Krisen, außer Kontrolle geratene Finanzmärkte. Haben wir nicht alle erwartet, er bringe das alles in Ordnung? Ja, das haben wir erwartet. Aber wir haben dabei die Macht des amerikanischen Präsidenten überschätzt. Es wird nämlich gerne vergessen, dass jeder Präsident stärker aussieht, als er ist, dass er ohne den sehr mächtigen Kongress – zumal, wenn im Repräsentantenhaus die Opposition die Mehrheit hat – in vielen Fragen nicht alleine regieren kann, vor allem wenn er es, wie Obama, mit einer Opposition zu tun hat, die nicht einmal den Anschein von Kooperationsbereitschaft erweckt und unter Anführung der rechten Tea-Party-Bewegung zentrale Projekte des Präsidenten kategorisch blockiert. Wenn wir also die überzogenen Erwartungen einmal beiseitelassen, dann müssen wir feststellen, dass Obama viele Erfolge vorzuweisen hat. Er hat zum Beispiel nach der verheerenden Finanzkrise 2008 den wirtschaftlichen Totalabsturz der USA verhindert durch ein 800 Milliarden Dollar schweres Konjunkturprogramm und zumindest den Einstieg in überfällige Regulierungen des Finanzsektors. Es war Obama, der die Bush-Ära der Anti-terrorkriege beendet hat durch den Abzug aus dem Irak und durch das absehbare Ende des Afghanistan-Einsatzes 2014. Unter ihm hat die Politik wieder die Oberhand über das Militärische gewonnen, auch wenn wir sicherlich nicht mit allem einverstanden sind, was er gemacht hat. Schließlich – viele von Ihnen haben es erwähnt – hat Obama mit seiner Gesundheitsreform den Mut bewiesen – entgegen einiger seiner Berater, die gesagt haben: Das wirst du nicht durchsetzen; lass die Finger davon –, eine gesellschaftspolitische Zeitenwende einzuleiten, meines Erachtens vergleichbar mit der Einführung des Wahlrechts für Frauen oder der Bürgerrechte für Schwarze. Klug statt kühn hat Obama die Geschicke seines Landes vier Jahre geführt. Er ist und bleibt ein Ausnahmepräsident, auch nicht zuletzt deshalb, weil er der erste Afroamerikaner ist, der dieses Staatsamt bekleidet. Vor dem Hintergrund der grausamen Geschichte des Rassenhasses in den USA kann man deshalb die gesellschaftspolitische Wirkung seiner Präsidentschaft nicht hoch genug einschätzen. Sie hat Wirkung weit über die Grenzen der USA hinaus – denken wir zum Beispiel an die Bilder des Freudenfestes zu seiner Wiederwahl im Dorf seiner Familie im kenianischen Kogelo. Obama hat die Wahl gewonnen, weil er wie 2008 die schwarze Bevölkerung zu 93 Prozent und die ethnischen Minderheiten, etwa die Latinos, zu 71 Prozent hinter sich versammeln konnte, weil ihn überwiegend junge Menschen und Frauen gewählt haben. Er hat sich als erster Präsident für die gleichgeschlechtliche Ehe ausgesprochen. Er ist dafür scharf kritisiert worden, wie er mitten im Wahlkampf dazu käme. Man hat das als großen Fehler eingeschätzt. Man muss schon sagen: Er verkörpert ein modernes, liberales Amerika, und wir sind froh, dass das von den Amerikanern bestätigt wurde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Als wiedergewählter „Präsident der Hoffnung“ hat Obama nun erfreulicherweise auch Gelegenheit, viele seiner Projekte umzusetzen, deren Umsetzung bisher nicht gelungen ist, zum Beispiel die Schließung von -Guantanamo. Vielleicht gibt es einen Wiedereinstieg in die Debatte über die Verabschiedung eines Klimaschutzgesetzes, was aufgrund der Verhältnisse im Kongress schwierig wird; es wäre aber wichtig. Vielleicht bringt er die Reform des Einwanderungsrechtes voran. Ich meine, wir sollten ihn bei seinen Vorhaben unterstützen, zum Beispiel indem Europa beim Klimaschutz unter der Führung Deutschlands vorangeht, was leider von dieser Bundesregierung nicht zu erwarten ist, aber notwendig wäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Wahlen haben uns nicht nur wegen des spannenden Duells oder wegen unseres Lieblingskandidaten begeistert. Sie haben auch gezeigt, dass die transatlantischen Beziehungen keinesfalls ein siechendes Relikt des Kalten Krieges sind. Das Wahlfieber hierzulande hat deutlich gemacht, dass die Verbindungen zwischen den USA und Europa auf allen gesellschaftlichen Ebenen fester Bestandteil unserer politischen Kultur sind. Herr Kollege Klose, auch ich möchte Ihnen an dieser Stelle persönlich und für meine Fraktion für Ihren Einsatz für das transatlantische Verhältnis danken. Ich weiß aus vielen Gesprächen in den USA, wie sehr Sie dort geachtet und respektiert werden. Das war und ist für uns alle wichtig. Ich danke Ihnen sehr dafür. Ich bin sicher, dass Sie hier weiter intensiv engagiert bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Ich glaube, dass ein gutes transatlantisches Verhältnis angesichts der Herausforderungen einer multipolaren Welt unerlässlich ist. Man könnte sagen: Obama hat ein schwächeres Amerika in einer schier nicht zu regierenden Welt geführt – und das geht nicht ohne Partner. Herr Stinner und Herr Mißfelder, diese Einsicht ist meines Erachtens seine größte Leistung. Es ist die Einsicht in die Grenzen der amerikanischen Macht, die verbunden ist mit dem Mut, diese Einsicht gegenüber den Partnern und der Welt auch offensiv zu vertreten. Das war seine Leistung; denn die Vorgängerregierungen sind ganz anders vorgegangen. Da hieß es: „Hoppla, wir sind wieder wer“, und: „nicht ohne uns“, verbunden mit verheerenden Kriegen. Diese Einsicht durchgesetzt und verankert zu haben, ist eine große Leistung. Es ist sozusagen Multilateralismus aus der Einsicht in die Notwendigkeit, dass kein Staat der Welt, auch nicht die USA, die neuen Herausforderungen alleine meistern kann. Das war verbunden mit einem maßvollen Auftreten und mit einem Ton der Selbstbeschränkung, und das war wichtig. Was heißt das für Europa? Herr Kollege Klose, ich stimme Ihnen zu: Ich glaube, es hilft nicht, darüber zu jammern, dass es eine Hinwendung zum pazifischen Raum gibt. Diese Hinwendung fordert vielmehr von Europa, sich endlich zusammenzuraufen. Die neue strategische Ausrichtung ist keine Abkehr von Europa. Sie bedeutet vielmehr, dass die Europäer zum Beispiel in den Krisenregionen in der Nachbarschaft, von Osteuropa bis nach Afrika, noch mehr Verantwortung übernehmen, also ein transatlantisches Burden Sharing. Mit Obama kann eine solche Politik der gemeinsamen Verantwortung gelingen, aber nur, wenn Europa seine Probleme gemeinsam anpackt und weitere Schritte in Richtung einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik unternimmt, um die EU endlich als ernstzunehmenden Global Player zu etablieren. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin gleich fertig. – Das Beste kommt erst noch, hat Barack Obama gesagt. Wir sollten auf dem Teppich bleiben. Dann gibt es gute Chancen, dass wir das transatlantische Verhältnis noch verstärken können. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Thomas Silberhorn das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Präsidentschaftswahlen in den USA, die nach den Umfragen über Wochen hinweg ein Kopf-an-Kopf-Rennen waren, haben nicht nur dort, sondern in ganz Europa und in der ganzen Welt für große Aufmerksamkeit gesorgt. Obama sorgte allerdings schon bei seinem ersten Wahlerfolg in unserem Land und in Europa für große Aufmerksamkeit. Das kam auch durch die Verleihung des Friedensnobelpreises zu einem sehr frühen Zeitpunkt seiner Regierungszeit zum Ausdruck. Es zeigt sich, dass für viele Menschen in der Welt – auch bei uns in Deutschland – große Hoffnungen mit dem Präsidenten verbunden sind, der als erster Präsident afrikanische Wurzeln hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit gestern wissen wir, dass Präsident Barack Obama vier weitere Jahre regieren kann. Ich gratuliere dazu, und ich freue mich darüber, dass es ein eindeutiger Regierungsauftrag ist. Er mag hoffentlich dazu beitragen, die Spaltung der Gesellschaft, die nach den Umfragen in diesem Kopf-an-Kopf-Rennen zum Ausdruck gekommen ist, etwas zu überwinden. Diese Wiederwahl wird es mit sich bringen, dass wir an die gewachsenen Kontakte der letzten Jahre anknüpfen können und dass wir die Kontinuität in den transatlantischen Beziehungen nutzen können, um unser Verhältnis zu vertiefen. Die transatlantischen Beziehungen sind neben der europäischen Integration die tragende Säule unserer Außenpolitik. Das liegt nicht nur daran, dass diese Beziehungen so umfassend angelegt sind, sondern vor allem daran, dass wir ein gemeinsames Gerüst an Werten und Interessen verfolgen. Es gibt ein tiefes gemeinsames Verständnis zwischen unseren amerikanischen Freunden und uns darüber, dass Prinzipien wie Freiheit und Demokratie über den Westen hinaus Anziehungskraft besitzen. Natürlich ist die transatlantische Zusammenarbeit darüber hinaus auch wichtig, weil es eine ganze Reihe von drängenden globalen Herausforderungen gibt, die wir gemeinsam angehen müssen: von der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, von Krankheit und Armut über die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen bis hin zum Klimaschutz. All das müssen wir auf die internationale Agenda setzen. Wir müssen auch den Versuch unternehmen, gemeinsame Initiativen zu starten. Die Sicherheitspolitik wird sicher ein großer Teil unserer Zusammenarbeit bleiben. Ich glaube, es ist wichtig, zu sehen, dass nicht nur die gemeinsame Partnerschaft in der NATO, sondern auch die NATO als solche von -außerordentlich hoher Bedeutung für uns bleibt, nicht nur, weil wir damit gemeinsamen Bedrohungen begegnen können, sondern auch, weil sich in diesem Bündnis unsere gemeinsamen Werte und Grundüberzeugungen immer wieder neu konkretisieren. Wir sollten die Zusammenarbeit im Bündnis auch deshalb ernst nehmen, weil sich aus einer erfolgreichen Zusammenarbeit im Bündnis eine ganze Reihe von Konsequenzen für den Ausbau der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der Europäischen Union ergeben können. Was die vermeintliche Abwendung der USA von Europa und die Hinwendung zum Pazifik angeht, rate ich zu einer nüchternen und sehr gelassenen Betrachtungsweise. Natürlich stellen das Bevölkerungswachstum und das Wirtschaftswachstum in Asien für die Vereinigten Staaten eine Herausforderung dar. Deswegen ist die Hinwendung der USA zu diesem Raum eine ganz natürliche Konsequenz. Das ist nicht zugleich eine Abwendung von Europa; im Gegenteil: Die amerikanische Außenministerin hat im letzten Jahr in München zu Recht betont, dass Europa für die Vereinigten Staaten in Sicherheitsfragen der erste Ansprechpartner bleibt. Wir sollten den Kurswechsel der Vereinigten Staaten in der Außenpolitik vielmehr als eine eigene Aufgabe verstehen. Wir sollten in die Rolle hineinwachsen, die nicht nur die Amerikaner von uns erwarten, sondern die wir auch von uns selbst erwarten. Wir sprechen in der Europäischen Union immer gerne über den Ausbau der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Diesen Worten müssen wir jetzt Taten folgen lassen. Wir entscheiden selbst, wie wir unsere Rolle in Zukunft ausfüllen. Lassen Sie mich noch anführen, dass wir neben den sicherheitspolitischen Fragen in Zukunft auch die wirtschaftspolitischen Beziehungen zwischen Europa und den USA in viel stärkerem Maße auf die Tagesordnung setzen müssen. Auch auf diesem Gebiet gibt es gemeinsame Herausforderungen: von der Frage, wie man neue Arbeitsplätze schaffen kann, über die Frage, wie man die industrielle Produktion erhalten kann, bis hin zu Fragen, wie wir Umwelttechnologien und Ähnliches sinnvoll nutzen können. Ich denke, Deutschland hat diesbezüglich ein Angebot zu unterbreiten: Wir haben wie die Vereinigten Staaten eine Marktwirtschaft; aber wir haben eine spezifische Tradition, die soziale, die ökologische und die fiskalische Dimension unseres Wirtschaftens zu ordnen – anders, als die Amerikaner dies tun. Ich sehe mit Interesse, dass die Vereinigten Staaten Fragen der sozialen Sicherung sehr streitig und heftig diskutieren, für die wir in Deutschland seit langem Lösungen haben. Ich verfolge mit großer Aufmerksamkeit, dass die umweltpolitischen Fragestellungen in den USA immer ernsthafter diskutiert werden. Wir werden auch über die fiskalischen Herausforderungen, zum Beispiel hinsichtlich der Regulierung der Finanzmärkte, gemeinsam diskutieren müssen. Wir haben in Deutschland eine hohe gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität – mit Sicherungssystemen, mit einem starken Mittelstand, mit Zukunftstechnologien. Ich glaube, das ist eine gute Basis für die Zusammen-arbeit mit den Vereinigten Staaten. Wir sind ein verlässlicher Partner und ein Partner, der mit Selbstbewusstsein diese Beziehungen pflegt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Beyer. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Peter Beyer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die transatlantischen Beziehungen waren in der Vergangenheit nie wirklich ein Selbstläufer. Zwischen Kennedy einerseits und Adenauer andererseits herrschte seinerzeit Misstrauen, zwischen Schmidt und Carter Funkstille. Die Welt hatte damals klarere Strukturen als heute; Freund und Feind waren klar definiert. Das ist Teil unserer gemeinsamen transatlantischen Geschichte. Es bedarf einer westlichen Selbstbehauptung. Europa hat dabei zu begreifen, dass unser Einfluss nicht am Nord-rand des Mittelmeeres endet, sondern am Südrand der Sahara. Wir Deutsche scheuen uns vor geografischen Debatten, weil da Großräumigkeit mitschwingt, gewissermaßen der Wiener Kongress. Europa und Amerika müssen mehr kooperieren. – Das sind richtige Worte; aber sie stammen nicht von mir. Sie stammen von einem geschätzten Kollegen des Hauses, von Hans-Ulrich Klose, den wir zu Recht mit der Ehrenbezeichnung -„Atlantiker“ titulieren. Damit reiht sich Hans-Ulrich Klose in eine Reihe von großen Persönlichkeiten ein, die sich in besonderem Maße um die transatlantischen Beziehungen verdient gemacht haben. Ich nenne einen Namen: Gerhard Schröder. Nein, nicht der Gerhard Schröder der SPD, sondern der CDU-Politiker. Er war Innenminister, Außenminister und Verteidigungsminister dieser Bundesrepublik. Ich freue mich, dass ich heute den Wahlkreis, den er damals im Deutschen Bundestag vertreten hat, vertreten darf. Der Kollege Klose schlägt mit seinen Worten einen ganz ähnlichen Ton an wie der ehemalige deutsche Botschafter in den Vereinigten Staaten Wolfgang Ischinger, der vor wenigen Tagen in der Zeitung Folgendes gesagt hat: Wir sind strategischer Partner, wahrscheinlich der einzige wirkliche Partner der USA. Auf wen sonst sollte man sich stützen bei internationalen Krisen und globalen Fragen, wenn nicht auf uns Europäer? – Ja, es ist richtig, wir brauchen eine Stärkung der transatlantischen Zusammenarbeit, und zwar mit einer gemeinsamen strategischen Politik. Das meine ich nicht nur in Bezug auf Asien, insbesondere auf China, sondern auch in Bezug auf die Herausforderungen in anderen Feldern. Ich nenne beispielsweise den Nahen Osten, ich nenne Syrien, ich nenne die Fortführung der Rüstungskontrolle. Ich nenne den Iran als Politikfeld. Ich nenne den Zugang zu Rohstoffen und eine gemeinsam abgestimmte Afrika-Politik als Beispiele weiterer möglicher Handlungsfelder im transatlantischen Bereich. Mit der Wiederwahl Barack Obamas als Präsident der Vereinigten Staaten stehen die Zeichen klar auf Kontinuität. Das heißt sicherlich nicht – dies trage ich mit großer Überzeugung vor –, dass in Washington auf eine globale Machtverschiebung gesetzt wird, also weg vom Atlantik hin zum Pazifik. Nein, es geht um – wir haben es schon mehrfach gehört – eine Ausbalancierung des Verhältnisses. Es ist im beiderseitigen Interesse, im europäischen wie im amerikanischen, hier einen Gleichklang zu finden. Nie standen die Zeichen günstiger als heute für Europa, sich als verlässlicher Partner zu beweisen und eben nicht nur als Verwerter amerikanischer Sicherheitsgarantien zu agieren. Es bietet sich aber auch – ich möchte sagen: vor allem – die Aussicht auf eine transatlantische Wirtschaftsinitiative, von der wir hier schon mehrfach gehört haben. Hierfür haben wir als Union seit längerem mit sehr großer Intensität geworben. Wir waren es, die im Mai dieses Jahres einen hochkarätig besetzten internationalen Kongress hier im Hause veranstaltet haben und damit anlässlich des fünfjährigen Bestehens des Transatlantischen Wirtschaftsrats den Diskurs mit einer neuen Dynamik bewegt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich freue mich, dass allen Unkenrufen zum Trotz – ich nenne das Unwort vom angeblichen Continental Drift – die Bemühungen für die Idee einer umfassenden transatlantischen Wirtschaftszone Unterstützung auf allerhöchster politischer Ebene erfahren. Die Weiterentwicklung der transatlantischen Wirtschaftsintegration verspricht den Wachstums- und Jobmotor in Europa und in den USA weiter zu befeuern. Es gibt Probleme, insbesondere im Bereich der nichttarifären Hemmnisse und bei den unterschiedlichen -Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei Gütern, bei Dienstleistungen, beim Handel, bei Innovationen und Investitionen. Dies verursacht jedes Jahr beidseits des Atlantiks, in Europa wie in den USA, Kosten in mehrfacher Milliardenhöhe, die völlig unnötig sind. Die Verhandlungen zwischen der EU und Kanada über die Errichtung einer Freihandelszone sollen bis zum Ende des Jahres erfolgreich abgeschlossen werden. Diese könnte als Blaupause für eine transatlantische Freihandelszone dienen. Die Schwierigkeiten, die es hier noch zu überwinden gilt, müssen wir anpacken, damit es für eine Befeuerung des Wachstumsmotors eine Perspektive gibt. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss: Die transatlantischen Beziehungen waren, wie ich eingangs erwähnte, nie wirklich ein Selbstläufer. Aber nie war die Ausgangssituation für eine gleichwertige Partnerschaft, für eine Partnerschaft auf Augenhöhe, so günstig wie heute. Nutzen wir sie für eine gemeinsame globale Strategie eines geschlossenen Westens im Wandel der Welt! Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Für eine Neubelebung und Stärkung der transatlantischen Beziehungen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 17/10169, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9728 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Für die Beschlussempfehlung haben die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke gestimmt, dagegen die SPD-Fraktion; Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2063 (2012) vom 31. Juli 2012 – Drucksachen 17/11036, 17/11389 – Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Heidemarie Wieczorek-Zeul Marina Schuster Jan van Aken Kerstin Müller (Köln) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11398 – Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Klaus Brandner Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Sven-Christian Kindler Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Verabredet ist, eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort hat für die FDP-Fraktion der Kollege Joachim Spatz. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Joachim Spatz (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind in diesem Jahr im sechsten Jahr des Hybrideinsatzes in Darfur, bei dem die Vereinten Nationen zusammen mit der Afrikanischen Union im Westen des -Sudan für Sicherheit sorgen. Die Lage ist nach wie vor fragil. Nach wie vor müssen wir den Schutz der Zivil-bevölkerung mit militärischer Präsenz garantieren. Nach wie vor müssen wir den Zugang für humanitäre Hilfe mit militärischer Präsenz sicherstellen. Daher beantragt die Bundesregierung, diesen Einsatz zu verlängern. Die Lage ist, wie ich sagte, nach wie vor fragil; die politischen Fragen sind noch immer ungelöst. Es muss unseren Soldatinnen und Soldaten möglich sein, zum eigenen Schutz Waffen einzusetzen. Deshalb braucht es für diesen Einsatz ein robustes Mandat gemäß Kapitel VII der UN-Charta. Wir beteiligen uns an diesem Einsatz mit einem re-lativ bescheidenen Kontingent von zurzeit zehn Soldatinnen und Soldaten und vier Polizeibeamten, ausgehend von einer Obergrenze von 50 Soldaten und 15 Polizisten. Man ist vor allem in Stäben unterwegs und nicht direkt in Kampfhandlungen eingebunden. Trotzdem ist es ein wichtiger Einsatz. Die Kompetenzen unserer Soldaten im Hinblick auf Logistik, Ausbildung, Personal und die Bereitstellung von Geoinformationen sind geschätzt, wenn es darum geht, die Truppen anderer Truppensteller entsprechend zu befähigen. Wir sind bei diesem Einsatz auch präsent, um ein Umfeld zu schaffen, in dem die Ergebnisse des Doha-Abkommens umgesetzt werden können. Mit einzelnen Rebellengruppen – leider nicht mit allen – gibt es bereits Vereinbarungen. Es geht auch darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Initiativen wie die von Thabo Mbeki, der mit anderen Rebellengruppen spricht, umgesetzt werden können. All das braucht Zeit. Um dieses Window of Opportunity offen zu halten, ist leider militärische Präsenz notwendig. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit zwei überragende Themen ansprechen. Das erste Thema. Neben der Notwendigkeit der militärischen Präsenz ist die nach wie vor existierende Uneinsichtigkeit der Regierung in Khartoum bezüglich eines wesentlichen Faktors zu erwähnen, dass nämlich die Regierung in Khartoum nach wie vor nicht bereit ist, die peripheren Regionen des Sudan, sei es Darfur, sei es Südkordofan, sei es die Region Blauer Nil, und die Bevölkerungen, die dort leben, wirklich ehrlich an der Macht und am Reichtum des Landes teilhaben zu lassen. Solange diese Einsicht nicht vorhanden ist, werden die Probleme im Grunde nicht gelöst sein. Man setzt Gewalt ein – nicht nur in Darfur –, bombardiert Dörfer, zum Beispiel in der Region Blauer Nil, und löst Flüchtlingsbewegungen in Richtung Süden des neu gegründeten, auch fragilen Südsudan in der Größenordnung von über 100 000 Menschen aus. Solange man eine solche Politik macht, ist man letztendlich nicht friedensfähig. Trotzdem setzt die Weltgemeinschaft auch hier auf Verhandlungen. Sie ist aber eben gezwungen, auch militärisch präsent zu sein. Das zweite überwölbende Thema ist, dass wir nicht nur im Sinne der Unterstützung der UNAMID-Mission tätig sind, sondern unser Engagement bei dem Kofi -Annan International Peacekeeping Training Centre, das wir in Ghana unterhalten, führt dazu, dass eben auch -Polizeibeamte aus Afrika, zum Beispiel aus Sierra -Leone, trainiert werden, um dann in Darfur eingesetzt zu werden. Das alles ist ein Teil unserer Unterstützung für den Aufbau eigenständiger Friedens- und Sicherheitsstrukturen und einer eigenständigen Friedens- und Sicherheitsarchitektur in Afrika. Ich denke, es muss insgesamt unser Ziel sein, dass wir die Afrikaner selbst Stück für Stück befähigen, in ihrer jeweiligen Region, ob das Ostafrika oder die Region ECOWAS ist, die ja jetzt leider an anderer Stelle Bedeutung und Berühmtheit erlangt hat, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Es muss eine Kombination entstehen: Zwar mit unserer Hilfe, aber doch unter Beachtung der African Ownership – es geht um das große und wichtige Stichwort Eigenverantwortung – müssen sie in der Lage sein, ihre eigenen Dinge zu regeln. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Das unterstützt die Bundesregierung seit Jahren. In diesem Gesamtbild aller Herausforderungen ist diese Mission ein Baustein. Deswegen werbe ich um die -Zustimmung dieses Hauses für eine Verlängerung der UNAMID-Mission. Danke schön. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Karin Evers-Meyer hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Karin Evers-Meyer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 15. November 2007 hat der Deutsche Bundestag zum ersten Mal die Beteiligung an der von den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union gestellten Friedenstruppe für Darfur, also im Sudan, bewilligt. Deutschland entsendet seitdem Soldaten und Polizisten in die Krisenregion im Westsudan. Nun liegt der Antrag der Bundesregierung vor, die Beteiligung an der Operation UNAMID bis zum 31. Dezember 2013 zu verlängern, natürlich nur, sofern ein Mandat des UN-Sicherheitsrates vorliegt. Die SPD ist und bleibt ein zuverlässiger außen- und verteidigungs-politischer Partner. Das gilt gegenüber der Bundesregierung, vor allem jedoch gegenüber den Truppen und Kräften, die ihren Dienst in den verschiedenen Einsatzgebieten verrichten. Stellvertretend für die SPD-Bundestagsfraktion möchte ich heute den Soldatinnen und Soldaten sowie den weiteren Beteiligten an UNAMID unseren Dank aussprechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihre Arbeit dort ist wichtig und wird hoch geachtet. Sie tragen dazu bei, diese krisengeschüttelte Region langfristig sicherer zu machen und eine noch größere humanitäre Katastrophe zu verhindern. Ich denke, das verdient unser aller Respekt und Dank. Die SPD weiß um die internationale Verantwortung Deutschlands und hat friedenbringende Einsätze stets unterstützt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Meine Damen und Herren, die Bundeswehr und die weiteren Einsatzkräfte nehmen bei UNAMID unsere Verantwortung in der internationalen Staatengemeinschaft wahr. Sie nehmen die Verantwortung gegenüber den Menschen in Not wahr, gegenüber den Parteien, die den Frieden wollen, und natürlich auch gegenüber unseren Bündnispartnern. Sie agieren verantwortungsvoll, konsequent und – ich denke, man kann dies sagen – mit höchster Professionalität. Wir möchten, dass dies in der Krisenregion Darfur auch im Jahr 2013 so bleibt. Kernauftrag von UNAMID ist und bleibt der Schutz der Zivilbevölkerung. Zusätzlich flankiert UNAMID das humanitäre Engagement vor Ort, unterstützt und achtet auf die Einhaltung von vertraglichen Übereinkünften, achtet auf die Einhaltung von Menschenrechten. -UNAMID leistet auch Unterstützung für die Darfur-Friedensabkommen vom Mai 2006 und Juli 2011. Die UN und damit auch die Bundesrepublik Deutschland sind Partner der Afrikanischen Union bei der Umsetzung und bei der Einhaltung dieses schwierigen Prozesses. Ziel sind ein friedliches Darfur und Frieden in Sudan. Was tun wir ganz konkret? Zugegeben, unser eigener Beitrag – das ist schon erwähnt worden – ist nur eine kleine Truppe, die überwiegend in Städten tätig ist. Zum Beispiel tragen über 200 Patrouillen im Durchschnitt täglich zu einem besseren Sicherheitsgefühl bei. Deutsche Polizisten stehen in Ghana ihren afrikanischen -Kollegen bei der polizeilichen Ausbildung zur Seite. Der UNAMID-Einsatzblock der Bundeswehr bestätigt, dass das deutsche Engagement in der Mission sehr positiv aufgenommen wird, auch wenn die Darfur--Region im Westen des Sudan noch ein gutes Stück weit weg ist vom Frieden. UNAMID zeigt Wirkung. Der Weg ist richtig, und wir müssen ihn gemeinsam mit unseren beteiligten Partnern weitergehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Pläne und Ideen entstehen immer nur in einer angstfreien Umgebung. Der Kaufmann, der seine Waren zum Markt bringt, die Köchin, die in der Straße ihre Speisen anbietet, oder die Kinder, die gemeinsam spielen wollen, sie alle haben ihre Träume, wollen arbeiten und sind voller Energie, alles in die Tat umzusetzen. Mehr Sicherheit bedeutet, die Kraft und den positiven Willen der Menschen in Darfur für Gutes einsetzen zu können. Im Frieden kann man gestalten, Krieg und Angst ersticken Hoffnung und Tatendrang. Die Region Darfur braucht den Frieden und die positive Kraft der dort lebenden Menschen dringend. Mit UNAMID wollen wir dabei helfen, diese Kräfte und Energie freizusetzen. Auch aus diesem Grund müssen wir weiterhin in Darfur präsent sein. Der Bundesaußenminister hat in seiner Rede am 25. Oktober 2012 in diesem Haus bereits die schlimmen Zahlen genannt: über 300 000 Tote zwischen 2003 und 2008, 2,5 Millionen Vertriebene und – so darf ich ergänzen – weitere 2 Millionen auf Hilfe angewiesene Menschen. Diese Zahlen sind Warnung, den Konflikt nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Der Minister sagte bei gleicher Gelegenheit: Der Darfur-Konflikt ist eine der furchtbarsten Katastrophen des letzten Jahrzehnts. Und: Der Konflikt hat den Sudan weiter destabilisiert, und er hat sich zeitweise auch auf die Nachbarländer, Tschad und die Zentralafrikanische Republik, ausgeweitet. Das ist ein Statement, das uns in unserer Meinung zusätzlich unterstützt, dass eine konsequente Erfüllung des Mandats notwendig und eine gute Strategie ist. Die Bundestagsfraktion der SPD unterstützt deshalb das Mandat mit Dank an die Frauen und Männer in -Darfur, die dort eine hervorragende Arbeit unter oftmals schwierigen Bedingungen leisten. Wir tun das in der Überzeugung, dass man in der internationalen Staatengemeinschaft auf die Bundesrepublik Deutschland als verlässlichen starken Partner zählen kann. Diese Mission ist ein ausgezeichnetes Beispiel, wie das Konzept der vernetzten Sicherheit auch in einem Einsatz unter dem Dach der UN funktionieren und Gutes bewirken kann. Daran wollen wir konsequent weiterarbeiten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Johannes Selle hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Johannes Selle (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann nahtlos an Kollegin Evers-Meyer anschließen: Der Darfur--Konflikt gehört zu den furchtbarsten aktuellen Katastrophen. Zwischen 2003 und 2008 verloren Hunderttausende Menschen ihr Leben, und 2,5 Millionen Menschen wurden vertrieben. 2007 wurde das UN-Mandat für -UNAMID beschlossen. Aufgabe ist im Wesentlichen, die Bewegungsfreiheit der Helfer zu sichern, die Bevölkerung zu schützen und ein Friedensabkommen zu begleiten. Mit dieser Mission, die wesentlich auf den Schultern der Afrikanischen Union ruht, konnte der Konflikt seit 2008 eingedämmt werden. Die Mission ist immer noch mit großen Schwierigkeiten konfrontiert, aber die Gewalt ist zurückgegangen. Flüchtlinge kehren teilweise wieder in ihre Heimat zurück. Einheimische haben jetzt ein politisches Mitspracherecht in der regionalen Verwaltung, der „Darfur Regional Authority“. Die Basis dafür wurde im Doha-Friedensabkommen von 2011 gelegt, leider nur mit einer Rebellengruppe, der „Liberation and Justice Movement“. Die Rebellengruppe „Justice and Equality Movement“, die bisher als die militärisch stärkste galt, hat sich nach dem Tod ihres Führers Khalil Ibrahim gespalten. Teile der JEM wollen jetzt mit der Regierung verhandeln, andere haben sich mit der SPLM-Nord zur „Sudan Revolutionary Front“ zusammengeschlossen und wollen die Regierung in Khartoum stürzen. Der brüchige Zusammenschluss von Rebellenorganisationen zur „United Resistance Front“ sorgt für zusätzliche Unruhe in der Region. Die Rückzugsgebiete im Tschad dienen immer wieder dazu, Angriffe auf die -Zivilbevölkerung zu starten. Auch UNAMID selbst ist immer wieder das Ziel von Angriffen. Das zeigt, wie komplex die Zusammenhänge im Sudan insgesamt sind und dass sie als Ganzes betrachtet werden müssen. Erschreckende Berichte erreichen uns in den letzten Tagen. Einige deutsche Hilfsorganisationen beklagen sich darüber, dass ihre Mitarbeiter keinerlei Reisegenehmigungen von der Zentralregierung für Projektbesuche erhalten. Die Sicherheitslage habe sich wieder verschlechtert. Projektbesuche in Krankenstationen und Kliniken in Norddarfur stellen ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Immer wieder flammen Kämpfe zwischen Rebellengruppen oder zwischen Rebellen und der sudanesischen Regierung auf. UNAMID bleibt daher bis auf weiteres als stabilisierendes Element unverzichtbar. Die Sicherheitslage in Darfur kann sich nur durch -UNAMID verbessern. Uns ist es ein großes Anliegen, dass die Afrikanische Union in die Friedenssicherung einbezogen wird. Die Afrikanische Union selbst ist sich der Verantwortung bewusst, die sie gerade in solchen Konflikten übernehmen muss. Dazu begrüße ich insbesondere den Beitrag der Bundesregierung für die Ausbildung afrikanischer Staaten und Polizisten im Kofi-Annan-Training-Center in Accra. Ich war Ende August dieses Jahres in Khartoum. Dort traf ich zusammen mit dem Kollegen Rebmann den verantwortlichen Staatsminister der Zentralregierung für Darfur, Ghazi al-Attabani, Chef der Regierungspartei NCP. Unmissverständlich machten wir deutlich, dass der Schutz der Zivilbevölkerung in Darfur in erster Linie der sudanesischen Zentralregierung obliegt. Al-Attabani räumte Versäumnisse ein. Bislang hat Khartum keine größeren Investitionen in Darfur getätigt oder nationale Entwicklungsprogramme aufgelegt, die die Darfur-Provinz stärker an die Zentralregierung binden würden. Für die nähere Entwicklung favorisiert der Staatsminister landwirtschaftliche Projekte und die Schaffung von lokalen Serviceeinrichtungen. Uns gegenüber jedenfalls signalisierte er Kooperationsbereitschaft in den Fragen: Was kann getan werden, um der Krise Herr zu werden? Wie kann die rohstoffreiche Region befriedet und entwickelt werden? Man benötige für Darfur einen Strategieplan sowie Investitionen in die Landwirtschaft. Hier sollte sich Deutschland einbringen. Deshalb ist eine deutsche Beteiligung an der Verlängerung des UNAMID-Einsatzes wichtig. Mein Eindruck ist: Die Bevölkerung hat die gewaltsamen Machtkämpfe satt. Die Menschen sehnen sich nach Mitsprache und Entwicklung. Ich wünsche mir, dass sich Deutschland aktiv am Wiederaufbau in Darfur beteiligt. Katar plant im Dezember eine Konferenz zum Wiederaufbau in Darfur. Das ist die Gelegenheit. Aber ohne Sicherheit gibt es keinen Wiederaufbau. -UNAMID wurde von den Vereinten Nationen bereits verlängert. Damit ist diese Mission nicht gescheitert, auch wenn noch viel zu tun bleibt. Deutschland ist der einzig verbliebene NATO-Partner – mit momentan 14 Personen. Deutschland stärkt afrikanische Peacekeeping-Fähigkeiten vor allem durch den Einsatz deutscher Soldaten und Polizisten vor Ort. „Das Ausmaß, in dem unsere Anwesenheit wahrgenommen wird, ist nicht nur überraschend; es zeigt uns auch, dass das deutsche Engagement in der Mission sehr positiv aufgenommen wird“, berichtet ein Stabshauptmann aus Potsdam über die Mission. „Meine Aufgabe besteht im Aufbau der Geländeanalysefähigkeit. Diese auftragsbezogene individuelle Analysekompetenz bewertet alle räumlichen Einflussfaktoren für die operative Entscheidungsfindung und gehört zu den entscheidenden Leistungen einer geostrategischen Beratungsstelle. Diese Fähigkeit fehlt derzeit in UNAMID. In Absprache mit dem Chief entwerfe ich mit meinen Mitarbeitern daher ein Konzept für ein Team ‚Geländeanalyse‘, um so den operativen Bereich unterstützen zu können“, so der Stabshauptmann aus Potsdam weiter. Ich möchte dem Stabshauptmann zusammen mit allen Soldaten und Polizisten, die dort unter schwierigen Bedingungen ihren Dienst leisten, Dank und Anerkennung aussprechen. Im letzten Jahr wurde dieses Mandat für die deutsche Beteiligung an UNAMID von allen Fraktionen in großer Geschlossenheit getragen. Die Mission hat – so meine ich – diese Geschlossenheit verdient. Ganz sicher haben die Menschen in Darfur sowie unsere Bundeswehr- und Polizeikräfte diese Geschlossenheit verdient. Deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kathrin Vogler hat das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wollen Sie das Bundeswehrmandat für die gemeinsame Mission der Afrikanischen Union und der Vereinten Nation in Darfur, kurz UNAMID, zum fünften Mal verlängern. Diese Mission wurde vom UN-Sicherheitsrat im Jahr 2007 beschlossen, um das damalige Friedensabkommen zwischen der sudanesischen -Armee und verschiedenen Rebellentruppen zu unter-stützen. Inzwischen gibt es seit 2011 ein neues Friedensabkommen. Aber auch dieses hat denselben Geburtsfehler wie alle vorangegangenen; denn es bezieht nicht alle Milizen ein, die in Darfur gegeneinander kämpfen. Die JEM als stärkste Rebellenarmee hat es scharf kritisiert. Auch die SLA ist nicht beteiligt. Ich sage Ihnen: UNAMID kann keine friedenssichernde Rolle spielen, weil es schlicht keinen Frieden in Darfur gibt, den man sichern könnte. (Beifall bei der LINKEN) Das Bomben und das Schießen geht weiter. Das neue Abkommen birgt sogar die Gefahr neuer Eskalation und neuer Konfliktlinien, weil es die Gründung zweier neuer Bundesstaaten vorsieht, die die Spaltung entlang der ethnischen Grenzen vertiefen. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: Das Gegenteil von gut gemacht ist gut gemeint. – Das trifft leider auch auf UNAMID zu: bestenfalls gut gemeint, aber ganz sicher nicht hilfreich für den komplizierten Friedensprozess im Sudan und zwischen den beiden sudanesischen Staaten. Deswegen sagen wir als Linke ganz klar Nein zu dieser Mandatsverlängerung. (Beifall bei der LINKEN) UNAMID ist eine der größten und teuersten UN-Militärmissionen. Sie zeitigt trotzdem keine wirklichen Erfolge. Warum? Es ist eine Mission Impossible; denn UNAMID soll ein Friedensabkommen umsetzen, das selbst von der Bundesregierung unumwunden als gescheitert bezeichnet wird. UNAMID soll Zivilisten schützen. Doch die Zahl der Toten, der Verletzten und der Vertriebenen steigt gerade jetzt, wo wir debattieren, wieder an. Tatsächlich verteilt UNAMID Hilfsgüter. Aber das ist definitiv keine militärische Aufgabe. Verteilen darf UNAMID übrigens nur dort, wo es die sudanesische Regierung erlaubt. Mit dem Grundsatz, dass humanitäre Hilfe neutral und unabhängig sein muss, dass sie nach Bedürftigkeit und nicht nach Wohlverhalten gewährt wird, hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Dadurch macht sich die Mission zum Spielball der Konfliktparteien, die die Bevölkerung für ihre militärischen Ziele in Geiselhaft nehmen. UNAMID ist noch nicht einmal in der Lage, zu verhindern, dass unablässig neue Waffen nach Darfur strömen. UNAMID ist einfach ein gescheiterter Einsatz. Anstatt ihn zu verlängern, sollten Sie die deutsche Beteiligung hier und heute beenden. (Beifall bei der LINKEN) Sie werden jetzt sagen: Aber man muss doch etwas tun. – Ja, da haben Sie völlig recht. Man muss auch etwas tun. Aber irgendetwas tun heißt nicht, das Richtige zu tun. (Edelgard Bulmahn [SPD]: Was?) Richtig wäre, alles zu tun, damit die Regierungen des Sudan, des Südsudan und des Tschad an einen Tisch kommen und vereinbaren, dauerhaft keine Milizen in den Nachbarländern mehr zu unterstützen. (Joachim Spatz [FDP]: So ein Krampf!) Dafür müssten die Konflikte um Grenzen und Rohstoffe zwischen den beiden sudanesischen Staaten endlich geklärt werden. Und wir sollten alles dafür tun, jungen Menschen in diesen Ländern eine Perspektive zu geben; denn wer eine Zukunft zu verteidigen hat, ist nicht mehr so anfällig für die Anwerbeversuche von gewaltbereiten Gruppen. Wir sollten natürlich endlich aufhören, überall hin Waffen zu exportieren; denn mit Waffen schafft man keinen Frieden. (Beifall bei der LINKEN) Haben Sie endlich den Mut zu neuen Ideen, anstatt einen wirklich gescheiterten Einsatz nur deshalb fortzusetzen, weil Ihnen nichts Besseres einfällt. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Agnes Brugger hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach einem viele Jahre andauernden bewaffneten Konflikt ist der Weg zum Frieden immer dornig und steinig. Eine Friedensmission in einem solchen Konflikt erlebt im Laufe ihres Einsatzes immer wieder Licht und Schatten, auch wenn sie im Grunde den richtigen Ansatz verfolgt. Die Situation in Darfur ist nach wie vor dramatisch. Millionen Menschen sind weiter tagtäglich mit Gewalt konfrontiert, und auch die humanitäre Lage ist katastrophal. Im Sudan ist rund ein Fünftel der UN-Kräfte stationiert; dennoch gelingt der Schutz der Zivilbevölkerung nur bedingt. Sicherlich, es ist schwer zu ertragen, dass unter den Augen der UN-Friedenskräfte immer noch Gewalt und Vertreibung stattfinden. Aber man muss sich doch die Frage stellen, wie die Situation ohne die UNAMID-Mission aussehen würde. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das Ausmaß der Gewalt wäre ohne die Blauhelme noch wesentlich höher. Ohne UNAMID wäre auch die dringend benötigte humanitäre Hilfe in Darfur vollends unmöglich. Deshalb werden wir Grüne dieser Mission, wie in den letzten Jahren auch, wieder zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eines der grundsätzlichen Probleme für UNAMID bleibt die Regierung des Sudan. Das liegt nicht nur an der brutalen und düsteren Geschichte der Regierungsmitglieder. Nach wie vor wendet die sudanesische Führung Gewalt gegen die eigene Bevölkerung an. Sie unterstützt auch Milizen, die mit äußerster Brutalität gegen Zivilisten und Zivilistinnen vorgehen. Gleichzeitig -behindert sie die Arbeit von Hilfsorganisationen und UNAMID. Wenn man den Konflikt ganz grundsätzlich betrachtet, dann stellt man fest: Nach wie vor profitieren zu viele Akteure im Sudan von der Ökonomie des Krieges, die in diesem so viele Jahre andauernden Konflikt verfestigt wurde. Gleichzeitig werden Ressourcen wie Weideland und Wasser immer knapper, auch aufgrund des Klimawandels in der Region. Hinter dieser Gewalt – auch das muss man betrachten – stehen Fragen um Mitbestimmungsmöglichkeiten, von kulturellen Identitäten und Konflikten um die Verteilung von Ressourcen. Für diese Fragen muss eine politische Lösung gefunden werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]) Das im März auf den Weg gebrachte Doha-Dokument, das mögliche Schritte für den Frieden in Darfur aufzeigt, ist ein Hoffnungsschimmer. Aber noch ist das Dokument nicht von allen Rebellengruppen unterzeichnet. Noch steht seine Umsetzung aus. Aber es wäre falsch, die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft in Darfur aufzugeben. Die Menschen in Darfur tun dies auch nicht. Über UNAMID hinaus brauchen wir weitere Anstrengungen für den Frieden. Der fortdauernde Konflikt wird nach wie vor auch von außen angeheizt. Am Beginn dieses Jahres hat Amnesty International ausführlich über die nicht abreißenden Waffenlieferungen von Russland und China an den Sudan berichtet. Die Waffen finden ihren Weg auch nach Darfur. Sie werden dort auch gegen die Zivilbevölkerung gerichtet. Diese Waffenlieferungen sind nicht hinnehmbar. Deshalb müssen die Sanktionen gegen den Sudan effektiv umgesetzt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es gilt auch ganz grundsätzlich: Rüstungsexporte in Krisenregionen sind und bleiben eine Gefahr für den Frieden überall auf dieser Welt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Trotzdem sind die Verhandlungen über die weltweite Begrenzung des Waffenhandels durch den Arms Trade Treaty im Sommer dieses Jahres leider ergebnislos verlaufen. Ich finde, wir müssen aus Konflikten wie in -Darfur auch für die Zukunft Lehren ziehen, zum Beispiel gerade auch in Bezug auf die ungebremste Verbreitung von Kleinwaffen, die in solchen Krisenregionen verheerende Auswirkungen hat. Wir dürfen uns auch nichts vormachen: Der Weg zum Frieden in Darfur wird auch weiterhin noch lang und steinig sein. Leider stellen wir auch fest, dass dieser Konflikt aus dem Fokus der Öffentlichkeit geraten ist. Auch wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier stehen hier in der Verantwortung, den Blick der Öffentlichkeit auf die Situation der Menschen in Krisenregionen zu lenken. Das sollten wir nicht nur dann tun, wenn wir diese Mandate im Bundestag debattieren. An dieser Stelle möchte ich den deutschen und internationalen Friedenskräften der UNAMID-Mission, den Zivilen und den Soldatinnen und Soldaten, den Hilfsorganisationen im Land und den Menschen im Sudan, die trotz der anhaltenden Gewalt für eine friedliche Zukunft streiten, ganz herzlich danken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, und der FDP) Ich finde, ihr Engagement muss uns auch weiterhin eine Verpflichtung sein. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Reinhard Brandl hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Konflikt in Darfur droht schleichend in Vergessenheit zu geraten. Deswegen ist es gut, dass wir ihn in diesem Hohen Hause immer wieder zum Thema machen. Die humanitäre Lage dort ist weiterhin verheerend. 1,7 Millionen Menschen sind dort immer noch auf Nothilfe angewiesen. Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Monaten vor allem im Norden von Darfur noch weiter verschlechtert. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung haben zugenommen. Selbst auf Angehörige von UNAMID sowie auf Angehörige von zivilen Hilfsorganisationen werden Attacken verübt. Allein im Oktober kamen fünf Soldaten von UNAMID ums Leben. Ein Großteil dieser Attacken wird Milizen zur Last gelegt, die die Regierung in Khartoum unterstützen. Nach Angaben von UNAMID wurde trotz anderslautender Ankündigungen der Regierung bis heute niemand wegen der Morde an den Blauhelmen der sudanesischen Justiz vorgeführt. Das ist nicht akzeptabel, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es passt aber in das Bild, das wir auch sonst von dieser Regierung haben. Immer wieder gibt es Schwierigkeiten: Visa werden nicht erteilt; Transportgenehmigungen für Hilfsgüter werden oft monatelang verzögert, und – der Kollege Selle hat es angesprochen – die Bewegungsfreiheit der Mission wird immer wieder eingeschränkt. Angesichts dieser Situation kann man sich natürlich fragen: Warum machen wir das überhaupt? (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja! Fragen Sie sich das mal!) Die Kollegin Brugger hat die Antwort gerade gegeben: weil ohne UNAMID die Situation noch viel dramatischer wäre. Das gilt sowohl für die humanitäre Situation und die allgemeine Sicherheitslage als auch für den Schutz der Zivilbevölkerung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dazu kommt, dass wir mit unseren Beiträgen zu -UNAMID, sei es finanziell oder personell, die Afrikanische Union dabei unterstützen, ihre Peacekeeping-Fähigkeiten weiter aufzubauen, damit sie auch selber in der Lage ist, für Sicherheit auf ihrem Kontinent zu sorgen. Die Afrikanische Union – auch das dürfen wir nicht vergessen – trägt die Hauptlast bei diesem Einsatz. Um einen Eindruck von der Größenordnung zu geben: Insgesamt umfasst UNAMID 21 000 uniformierte Soldaten und Polizisten. Wir Deutschen stellen derzeit vier Polizisten und zehn Soldaten. Das ist ein symbolischer Beitrag, aber es ist wichtig, dass wir ihn leisten und die Afrikanische Union in dieser Situation nicht alleinlassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, es ist auch nicht so, dass es gar keine Fortschritte gäbe. Am 22. Oktober hat die Regierung mit der Rebellengruppe Justice and Equality Movement ein Abkommen unterzeichnet, in dem sie sich zu dem gemeinsamen Ziel bekennen, die Gewalt in Darfur zu beenden. Sowohl die Gruppe als auch die Regierung haben angekündigt, auf Basis des Doha-Dokumentes weitere Verhandlungen zu führen. Damit hat sich nun bereits die zweite Rebellengruppe diesem Dokument angeschlossen. Die Umsetzung des darin skizzierten Friedensprozesses geht nur langsam voran; aber immerhin geht sie voran. Natürlich macht es die wirtschaftliche Situation für die Regierung in Khartoum schwierig – man muss die Situation im Sudan insgesamt sehen –, die nötigen Ressourcen dort zu allokieren. Aber, meine Damen und Herren, die Regierung in Khartoum kann mehr tun für Darfur, und sie muss mehr tun für Darfur. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Mehr Einsatz von Khartoum wäre auch ein Signal an die Gruppen, die sich dem Doha-Dokument noch nicht angeschlossen haben, und es wäre auch ein Zeichen, dass die Regierung es mit dem Friedensprozess ernst meint. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion wird diesem Mandat zustimmen. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei denjenigen Soldaten und Polizisten bedanken, die dieses Mandat für uns ausführen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Dieser Applaus ist sehr angebracht; denn diese Männer und Frauen leisten eine bewundernswerte Arbeit unter härtesten Bedingungen. Sie sind hervorragende Botschafter unseres Landes, und wir können stolz auf sie sein. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur, UNAMID. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11389, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 17/11036 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Abstimmungsurnen besetzt? – Das ist offensichtlich der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über die Beschlussempfehlung. Ich stelle die obligate Frage: Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses abgestimmt? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1 Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun die Zusatzpunkte 5 a und 5 b, die Tagesordnungspunkte 46 c bis 46 e sowie den Zusatzpunkt 6 auf: ZP 5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas Oppermann, Christian Lange (Backnang), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz bei Nebeneinkünften herstellen durch Veröffentlichungspflicht auf Euro und Cent – Drucksache 17/11331 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas Oppermann, Christian Lange (Backnang), Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nebentätigkeiten transparent machen – Branchen kennzeichnen – Drucksache 17/11332 – 46 c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Karenzzeit für ausgeschiedene Regierungsmitglieder – Drucksache 17/11204 – d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Transparenz und Unabhängigkeit im Bundestag und in der Bundesregierung – Drucksache 17/11333 – e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Ulrich Maurer, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Parteien-Sponsoring im Parteiengesetz regeln – zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Parteispenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden verbieten – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Partei-Sponsoring transparenter gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Parteispenden begrenzen – Drucksachen 17/892, 17/651, 17/1169, 17/547, 17/6566 – Berichterstattung: Abgeordnete Ingo Wellenreuther Gabriele Fograscher Dr. Stefan Ruppert Raju Sharma Wolfgang Wieland ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD „Karenzzeit“ für ehemalige Bundesminister und Parlamentarische Staatssekretäre in Anlehnung an EU-Recht einführen – Drucksache 17/11318 – Über einen der Anträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (Unruhe) – Wir wollen die Debatte fortsetzen. Deswegen bitte ich die Kolleginnen und Kollegen auf der rechten Seite des Hauses – CDU/CSU- und FDP-Fraktion –, die privaten Gespräche deutlich zu reduzieren. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute fünf Anträge meiner Fraktion zum Thema „Mehr Transparenz in der Politik“. Wir beraten heute mit mehr öffentlicher Aufmerksamkeit als bei der ersten Lesung einiger dieser Initiativen, weil wir die Diskussion über die Transparenz der Nebentätigkeit von Abgeordneten hatten. Leider redet dieses Hohe Haus über Transparenz, ob das beim Parteiengesetz ist oder beim Status der Abgeordneten, immer nur aus aktuellem -Anlass. Das ist falsch. Wir sollten hier gründlicher arbeiten. Ich hoffe, dass uns das mit der heutigen Debatte gelingt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Transparenz ist nämlich kein Selbstzweck. Transparenz soll sicherstellen, dass nicht Interessen in illegitimer Weise auf parlamentarische und exekutive Entscheidungen Einfluss nehmen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dies ist für die Legitimität einer Demokratie und eines Rechtsstaats unabdingbar. Deshalb geht es bei Transparenz der Nebentätigkeit von Abgeordneten nicht um Sozialneid, nicht um Neugier, sondern es geht darum, dass der Bürger nachvollziehen kann, dass der Abgeordnete nur nach bestem Wissen und Gewissen für das Allgemeinwohl und im Sinne des Wählerauftrags handelt und nicht für subjektive wirtschaftliche Interessen seiner Auftraggeber. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben in den letzten Wochen die Backen aufgeblasen, weil Sie den Kanzlerkandidaten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands aufs Korn nehmen wollten. (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist er denn?) Sie haben von ihm eine Transparenz gefordert, die Sie nicht bereit sind, als Regel für alle Mitglieder des Hohen Hauses gelten zu lassen. Das ist schäbig. Das ist Heuchelei. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben heute gemeinsam mit der SPD einen Antrag eingebracht, in dem wir Transparenz auf Heller und Batzen oder auf Euro und Cent fordern. Das heißt, das, was Herr Steinbrück gemacht hat, soll in Zukunft auch für alle Mitglieder des Hauses gelten und entsprechend vom Bundestagspräsidenten veröffentlicht werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich wüsste schon gern, was die Spitzenverdiener des Hauses, außer Herrn Steinbrück, verdienen. Vielleicht erscheint manches dann in einem ganz anderen Licht. (Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP]) Wir hatten auch Diskussionen nach der Veröffentlichung von Herrn Steinbrück. Diese Diskussionen sind gut, weil sie klären sollen: Ist alles korrekt? Ist das vielleicht erstaunlich viel Geld, geht aber in Ordnung? Oder: Gibt es Dinge, bei denen es Nachfragen gibt? Wir wollen endlich auch durchsetzen, was wir im Jahr 2005 schon gefordert haben, dass nämlich die Berufsgeheimnisträger – die Steuerberater, die Rechtsanwälte – wenigstens die Branchen ihrer Auftraggeber veröffentlichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es gab den Fall des Herrn Friedrich Merz, der als Abgeordneter die Interessen der RAG wahrgenommen hat. Dem Webauftritt des Deutschen Bundestages konnte man seine Lobbytätigkeit als Rechtsanwalt für die RAG-Stiftung nicht entnehmen. Ich meine, das ist nicht richtig. So etwas müssen wir sehen, müssen wir erkennen. Darauf haben die Wählerinnen und Wähler einen Anspruch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir fordern auch, dass, wenn Mitglieder der Bundesregierung aus ihrem Amt ausscheiden, klar sein muss, dass die Anschlussbeschäftigung eine allein berufliche Tätigkeit ist und kein Dankeschön für Entscheidungen im Amt und kein Einkaufen von Amtswissen durch Konzerne und Wirtschaftsverbände. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Ah ja!) Das ist gegenwärtig nicht gewährleistet. Die EU-Kommission hat damals eine solche Regelung nach dem Wechsel von Bangemann zu Telefónica eingeführt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hieß immer: Bangemann, geh du voran!) Es ist da nämlich derjenige in ein Telekommunikationsunternehmen eingetreten, der zuvor als EU-Kommissar den Telefonmarkt in Europa reguliert hat. Solche Sachen gehen nicht. Das muss genehmigt werden. Es kann nicht einfach das versilbert werden, was man im Amt geleistet hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, wir müssen auch im Parteiengesetz mehr Transparenz schaffen. Wir wollen Spenden auf 100 000 Euro pro Jahr und pro Person begrenzen, und wir wollen, dass Sponsoringverträge öffentlich gemacht werden. Daran ist nichts Verkehrtes. Wenn es aber als Produkt der Parteizentrale Verträge gibt wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen mit Herrn Rüttgers: „Rent a MP“, dann muss das vom Bundestagspräsidenten überprüft und unterbunden werden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen! Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Denn das ist eine illegitime Tätigkeit. Diese illegitimen Formen des Zusammenhangs von Geld und Politik wollen wir beseitigen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ende! Feierabend!) Da ist Transparenz die beste Remedur. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung über die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der UNAMID-Mission bekanntgeben: abgegebene Stimmen 573. Mit Ja haben gestimmt 504, mit Nein haben gestimmt 68, Enthaltungen 1. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 572; davon ja: 503 nein: 68 enthalten: 1 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann Enthalten SPD Petra Hinz (Essen) Nun erteile ich Bernhard Kaster für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bernhard Kaster (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Debattenbeginn und auch die Anzahl der Anträge, die teilweise ohne Beratung im Geschäftsordnungsausschuss abgestimmt werden sollen, zeigen, dass es heute weniger um die Sache geht als vielleicht vielmehr um die Ablenkung von anderen Sachverhalten, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wovon soll ich denn ablenken?) von Sachverhalten nämlich, bei denen die Transparenz in den vergangenen Wochen beispielhaft funktioniert hat, und zwar von Berlin bis Bochum. Die Bürger bilden sich da ihr eigenes Urteil. So ist es ja auch gewünscht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wollen den gläsernen Abgeordneten genauso wenig wie den gläsernen Bürger. Wir brauchen aber aus guten Gründen beim Abgeordneten mehr Transparenz als bei anderen Personen. Die Bürger sollen wissen: Steht beim Abgeordneten das Mandat noch im Mittelpunkt? Sie sollen wissen: Gibt es Einkünfte, die Interessen beeinflussen könnten? Hierfür brauchen wir klare Regelungen. Wir haben zwar klare Regelungen, aber wir brauchen Erweiterungen. Lassen Sie mich sagen: Der Fall eines einzigen Kollegen, der in Stil, Art, Ausmaß und Parlamentsverständnis aus dem Rahmen fällt, darf dabei nicht alleiniger Maßstab sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD) Ich persönlich finde es sogar ungeheuerlich, dass seitens der SPD – und die Grünen beteiligen sich daran – wegen der Besonderheiten eines Einzelfalles ein Zerrbild vom ganzen Parlament gezeichnet und auch in Kauf genommen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellen Sie das doch durch Transparenz klar!) 70 Prozent der Mitglieder des Deutschen Bundestages haben neben ihrem Mandat keinerlei Nebeneinkünfte. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Warum haben Sie es dann gefordert?) Es gibt eine sehr interessante und, wie ich finde, ermutigende Analyse der Parlamentszusammensetzung nach der beruflichen Herkunft. Hiernach gibt es in unserem Parlament 15,5 Prozent Selbstständige aus den Bereichen Handwerk, Gewerbe und Landwirtschaft. Es gibt 15,9 Prozent freiberuflich Tätige, also Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Apotheker und Ingenieure. Wir in der Union begrüßen diese Zusammensetzung ausdrücklich. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Herr Glos, Herr Kollege? Arbeitet der?) All diese Kolleginnen und Kollegen, die sich dazu entschieden haben, ihre eigene Berufs- und Lebensbiografie für vielleicht zwei oder drei Legislaturperioden zu unterbrechen – das ist bei über 50 Prozent der Kollegen so –, müssen doch selbstverständlich Wege finden, wie ihr Betrieb, ihr Büro oder ihre Kanzlei für eine bestimmte Zeit noch weiterlaufen können. Deswegen werden wir als Koalition keiner Regelung zustimmen, die es diesen Berufsgruppen weiter erschwert oder sogar unmöglich macht, sich um ein Bundestagsmandat zu bewerben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zudem: Bei den Angaben über Nebeneinkünfte handelt es sich um Bruttozuflüsse; sie sind daher oft schwer miteinander vergleichbar. Ich will an dieser Stelle auch erwähnen, dass Zuflüsse aus vielen sogenannten Nebentätigkeiten fast nie mit dem eigentlichen Arbeits-, Personal- und Zeitaufwand gleichzusetzen sind, weil es sich um Zuflüsse handelt, die aus Betrieben fließend gemeldet werden und die nur dank personeller Umorganisationen zustande gekommen sind. So sieht die Wirklichkeit bei den Nebentätigkeiten und Nebeneinkünften hier im Deutschen Bundestag aus. Von schlimmsten dunklen Interessenvermischungen – diese grundsätzliche Unterstellung hört man ja teilweise heraus – kann jedenfalls keine Rede sein. Darauf dürfen wir hier im Deutschen Bundestag auch ein wenig stolz sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Eine Offenlegung der Einnahmen auf Heller und Batzen, auf Euro und Cent – das klingt ja gut. Das ist aber auch schon so. Auf Euro und Cent müssen alle Einnahmen gemeldet werden. Die Veröffentlichung erfolgt in Stufen, und das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hat auch gute Gründe. Ich zitiere am besten aus der Debatte zur Einführung der Stufenregelung: Wir haben dieses Stufenmodell bewusst gewählt, um allen verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung zu tragen… … Wir haben dabei – da bin ich sicher – insgesamt einen angemessenen Ausgleich zwischen dem berechtigten Interesse der Öffentlichkeit auf Offen-legung von Nebentätigkeiten und dem Schutz der individuellen Grundrechte des einzelnen Abgeordneten gefunden. So der damalige Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. (Thomas Oppermann [SPD]: Nicht von mir!) Ein gewisser Kollege namens Volker Beck bemerkte zum gleichen Thema: … wir schützen die Abgeordneten sowie ihr Lebens- und Arbeitsumfeld mit der stufenweisen Veröffentlichung. Richtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an SPD und Bündnis 90/Die Grünen gewandt: Wendehals! – Gegenruf der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]: So was von doof!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Aufgeregtheiten in der SPD-Fraktion bei diesem Thema mag man verstehen. Ich persönlich finde es im Übrigen bemerkenswert und interessant, mit welchen Problemen sich die Partei eines August Bebel oder Kurt Schumacher in der heutigen Zeit herumschlagen muss. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, gerade! Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!) Meine Damen und Herren, was die Tonlage in der Fraktion der Grünen angeht, kann ich nur feststellen: Das ist nicht nur Tagespopulismus; ich erkenne darin auch eine gewisse Berufsferne, eine Ferne zur Lebenswirklichkeit und zu den Verhältnissen hier im deutschen Parlament. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe eine Anwaltszulassung! Was haben Sie? Ich bin Sozialarbeiterin! Was können Sie? Was ist das für ein blöder Kommentar!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich denke wir sollten bei diesem Thema wieder zur Sachlichkeit zurückfinden, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, im Interesse der Transparenz und im Interesse des ganzen deutschen Parlamentes, dieses Deutschen Bundestages. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dagmar Ziegler [SPD]: Schöne Büttenrede!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Thomas Oppermann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen heute über mehr Transparenz bei Nebeneinkünften ab. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, genau!) Das hat in der Tat eine Vorgeschichte, Herr Kaster, aber Sie haben nur einen kleinen Teil davon erwähnt. Auf Initiative der SPD-Fraktion wurden seinerzeit, 1972, überhaupt erst Verhaltensrichtlinien für Abgeordnete des Deutschen Bundestags eingeführt. Die nächste Stufe kam im Jahre 2002, als die SPD, dieses Mal gemeinsam mit den Grünen, dafür gesorgt hat, dass Nebentätigkeiten und die Höhe der Einkünfte dem Präsidenten gemeldet werden müssen. Die dritte Stufe kam 2005; seitdem werden die auf Euro und Cent zu meldenden Einkünfte in drei Einkommensstufen unterteilt vom Präsidenten pu-bliziert. Sie waren in allen drei Fällen – 1972, 2002 und 2005 – gegen diese Transparenz. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Heute gehen wir einen Schritt weiter. Es ist die Ironie der Geschichte, Herr Kaster, dass Sie anders als bei den drei letzten Malen dieses Mal einen aktiven Beitrag dazu geleistet haben. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: So ist es!) Sie haben nämlich von Peer Steinbrück die volle Transparenz gefordert: Auf Euro und Cent solle er alles auf den Tisch legen. (Michael Brand [CDU/CSU]: Hat er ja nicht!) Wir werden bei der Abstimmung heute sehen, ob Sie das ehrlich gemeint haben oder ob Sie lediglich mit zweierlei Maß messen wollten, nach dem Motto: Von anderen fordern wir Transparenz, aber selber sind wir nicht bereit, Transparenz zu schaffen. Das wäre scheinheilig. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wer Kanzler werden will, muss sich auch andere Maßstäbe gefallen lassen!) Aber warum überhaupt Transparenz bei Abgeordneten? Transparenz soll nicht geschaffen werden, um den Abgeordneten das Leben schwerzumachen. Vielmehr ist Transparenz notwendig, um die Unabhängigkeit der Abgeordneten zu sichern. Wer das nicht glaubt, der mag das in unserem Grundgesetz nachlesen. In Art. 48 steht: (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: 38!) Die Abgeordneten … sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Mit anderen Worten: Damit die Abgeordneten nicht nur Vertreter von Partikularinteressen sind, sondern Vertreter des ganzen Volkes sein können, müssen sie frei und unabhängig sein. Das freie Mandat steht nicht im Grundgesetz, um die persönlichen Freiheits- und Gestaltungsspielräume individueller Abgeordneter zu erweitern. Das freie Mandat ist eine Funktionsbedingung für die parlamentarische Demokratie. Es wird gebraucht, damit unsere Demokratie funktionieren kann. In dieser Demokratie ist Interessenvertretung keineswegs illegitim. Es trägt sogar zum Gelingen der Demokratie bei, wenn unterschiedliche Interessen vertreten und am Ende zum Ausgleich gebracht werden. Legitim ist Interessenvertretung allerdings nur dann, wenn auch der materielle Kontext transparent ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Finanzielle Abhängigkeiten, Interessenkollisionen oder Interessenverflechtungen müssen erkennbar, müssen diskutierbar, müssen kritisierbar sein. Das ist aber nur möglich, wenn Einkünfte aus Nebentätigkeiten nicht verheimlicht, sondern auf Euro und Cent veröffentlicht werden. Wir wollen damit dokumentieren, dass die Abgeordneten das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger auch verdienen. Wir haben Ihnen jetzt vorgeschlagen, vollständige Transparenz herzustellen. Sie spüren selbst: Die Zeit dafür ist reif. Sie bewegen sich enorm. Sie schlagen plötzlich weitere Einkommensstufen bis 250 000 Euro vor. Sie haben gemerkt: Sie sind in einer selbstgestellten Falle, da müssen Sie wieder raus. Sie bewegen sich ja in die richtige Richtung, aber uns geht das nicht weit genug. Das reicht noch nicht. Es wäre heute eine gute Gelegenheit, wenn wir als Bundestag alle gemeinsam an die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes das Signal aussendeten: Wir Abgeordneten haben nichts zu verbergen. Wir rechtfertigen das Vertrauen, das die überwiegende Mehrheit der Menschen noch in diese Institution hat. Wir veröffentlichen die Einkünfte auf Euro und Cent. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen auch eine Karenzzeit für ausgeschiedene Regierungsmitglieder einführen. Im deutschen Recht fehlt dazu bisher jegliche Regelung; es gibt aber ein Bedürfnis für eine vernünftige Regelung. Wir wollen diese in Anlehnung an die Regeln der Europäischen Kommission machen. Danach muss sich ein Kommissionsmitglied nach dem Ende der Dienstzeit innerhalb von 18 Monaten eine berufliche Tätigkeit nach Anhörung von einer Ethikkommission genehmigen lassen. Das halte ich für eine vernünftige Regelung. (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wegen Schröder und Fischer!) Ich möchte zusammenfassen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Bitte!) Sie von der Koalition haben in den letzten Wochen großen Eifer gezeigt, als es darum ging, finanzielle Transparenz vom politischen Gegner zu fordern. (Michael Brand [CDU/CSU]: Wo ist eigentlich der Herr Steinbrück?) Wir kommen Ihnen heute entgegen. Wir bieten Ihnen an, das zu machen, was Sie gefordert haben. Sie müssen sich jetzt nur noch bewegen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie müssen sich bei drei Sachen bewegen. Erstens. Sie verhindern seit Jahren die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung und blamieren damit die deutsche Demokratie. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Zweitens. Sie verweigern die Offenlegung und Transparenz bei Nebeneinkünften auf Euro und Cent. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist schlichtweg falsch! Wir sind doch weiter als Sie zurzeit!) Drittens. Sie blockieren die Regelung für eine angemessene Karenzzeit von ausscheidenden Regierungsmitgliedern. Ich prophezeie Ihnen: Damit werden Sie und damit können Sie nicht durchkommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ihre Antitransparenz entspricht einem Demokratieverständnis von gestern. Deshalb sage ich: Begrenzen Sie den Schaden, und stimmen Sie heute unseren Anträgen zu! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Hermann Otto Solms für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Was Sie hier vorführen, ist schon einigermaßen erstaunlich. Wir befinden uns seit Wochen und Monaten gemeinsam in intensiven Beratungen, um im Konsens eine vernünftige Lösung zur Steigerung der Transparenz herzustellen. Bei der vorletzten Sitzung der Rechtsstellungskommission war die SPD nicht anwesend. Deshalb konnten wir nicht beraten. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht seit drei Jahren so, oder?) Bei der letzten Sitzung haben die Koalitionsfraktionen einen Vorschlag zur Erweiterung der Stufenregelung vorgelegt, der weit über das hinausging, was Sie in Wirklichkeit von uns erwartet hatten. Er sah nämlich zehn Stufen bis zu 250 000 Euro und darüber vor. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben Ihnen 13 als Kompromiss vorgeschlagen!) Heute Morgen haben wir zusammengesessen. Alle, die hier gesprochen haben, waren dabei. Wir haben eine Liste von 17 schwierigen und teilweise sehr komplizierten Punkten, die noch zu klären sind und über die wir möglichst im Konsens entscheiden wollen. (Dagmar Ziegler [SPD]: Wann denn?) Genau in diesem Moment machen Sie hier diese Showveranstaltung. Sie wissen doch genau, dass Sie so zu keinem Ergebnis kommen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist Handeln nach dem Motto: „Haltet den Dieb!“ Wir wollen die gerade noch einmal vorführen, bevor wir mit ihnen zusammen etwas abstimmen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ohne die Causa Steinbrück hätten wir die Diskussion im Moment gar nicht. Liebe Kollegen, lieber Herr Oppermann, wer anderen Wasser predigt, darf nicht selbst Wein trinken. Das geht nicht. Das ist eine doppelte Moral. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck? Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Nein, keine Zwischenfragen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr mutig!) – Herr Kollege Beck, bei jeder Sitzung der Rechtsstellungskommission muss ich mit größter Geduld Ihre Einwürfe ertragen. Erlauben Sie mir, dass ich das heute nicht will; (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr kollegial!) denn immer, wenn wir mit der SPD auf einem konsen-sualen Weg sind, bringen Sie wieder Vorschläge ein, die diesen Konsens vermeiden. Dafür sind Sie mittlerweile bekannt. Nein, meine Damen und Herren, wir wollen Transparenz für die Abgeordneten und deren Beziehungen und berufliche Tätigkeiten, aber wir wollen die Tür zum Parlament für alle Berufsgruppen offen halten. Das ist das Entscheidende. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben nicht nur ein Parlament für Beamte oder Angestellte, sondern auch für Selbstständige und Mitglieder der freien Berufe. Diese haben schutzwürdige -Interessen Dritter. Sie können nicht ins Parlament gehen und ihr Büro oder ihre Firma weiter betreiben, wenn -alles aufgedeckt wird. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Deswegen ist die Stufenregelung richtig und vernünftig, und wir werden uns hier auf ein vernünftiges Ergebnis einigen. Herr Beck, abschließend will ich sagen: Sie reden vom Sponsoring. Sie haben überhaupt nicht begriffen, was Sponsoring ist. Sponsoring ist ex definitione öffentlich. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah, da kennt sich die FDP ja aus!) – Ja, natürlich kenne ich mich aus. Sie kennen sich auch aus, weil Sie das auf Ihren Parteitagen genauso machen. Das habe ich genau beobachtet. Sie machen genau das Gleiche. (Beifall bei der FDP) Die Firmen, die dort ausstellen, bieten ihr Firmenlogo an, und Sie werben mit den Firmenlogos auf Ihren -Broschüren. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lassen Sie also diese doppelte Moral. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie soll man in Bayern herausfinden, wo Ihre Partei Sponsoring macht? Das ist doch Quatsch! Woher soll man wissen, was in Bayern passiert?) Wir alle zusammen stehen in der Verantwortung für dieses Parlament. Diese skandalisierenden Veranstaltungen, die Sie hier vorführen, schaden in Wirklichkeit allen und nutzen niemandem. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was, Sie trauen sich nur nicht! -Alles geheim halten!) Ich appelliere an unsere gemeinsame Verantwortung, den Ruf des Parlamentes hochzuhalten, das Parlament für alle Berufsgruppen offen zu halten (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und das Schwarzer-Peter-Spiel endgültig zu beenden. Davon hat keiner einen Vorteil. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Zu einer Kurzintervention erteile ich Volker Beck das Wort. (Widerspruch bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben doch schon gesprochen!) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das müssen Sie schon ertragen, Herr Kauder. Noch darf in diesem Parlament auch die Opposition das Wort ergreifen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Noch haben wir solche Verhältnisse. Damit müssen Sie jetzt zurechtkommen. Sehr geehrter Herr Freiherr von Solms, (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) Sie haben vorhin die Causa Steinbrück angesprochen. Weil wir drei Anträge zum Thema Parteienfinanzierung vorliegen haben, wollte ich Sie ansprechen und fragen, was aus der Causa Gauselmann für das Parteiengesetz folgen soll. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen doch sicherstellen, dass auch nicht über den Umweg von wirtschaftlichem Handeln parteieigener Betriebe Spenden undeklariert in die Parteikassen fließen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass Sponsoring tatsächlich einen Vertrag über eine Werbeleistung der Partei gegenüber dem Wirtschaftsunternehmen beinhaltet und nicht einfach eine verdeckte Spende ist, die gegenüber dem Bundestagspräsidenten und der Öffentlichkeit noch nicht einmal transparent gemacht werden muss. Dazu haben Sie kein Wort gesagt. Ich glaube, dafür gibt es in Ihrer Partei gute Gründe. Die Partei, die in letzter Zeit immer wieder Probleme mit den Parteifinanzen hatte, ist schließlich die Freie Demokratische Partei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Es gibt also einen Grund, warum man das fürchtet. Sie gehören ja selbst zu den ehemaligen Mitarbeitern der Gauselmann-Kompanie, wenn ich richtig informiert bin. Sagen Sie also einmal: Wann setzen wir uns zusammen? Wann machen wir Sponsoring transparent? Wann begrenzen wir die Möglichkeiten, durch Spenden Einfluss auf die Parteien zu nehmen? Wann wollen wir für einen fairen Wettbewerb sorgen und intransparente -Einflussnahme auf die Politik – wie bei den Möven--pick-Spenden oder in Sachen Spielverordnung durch Gauselmann – zu verhindern? Ich glaube, wenn wir das nicht machen, büßt am Ende die parlamentarische Demokratie, büßt die Parteiendemokratie an Legitimität ein. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt reicht es aber!) Darum mache ich mir ernsthaft Sorgen; (Zurufe von der FDP: Oh!) denn ein schwarzes Schaf im Parlament kann das ganze Haus und die gesamte demokratische Politik in Verruf bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Solms, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion. Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Ich will in aller Kürze antworten: Keine Partei stellt ihre Fakten so öffentlich aus, wie wir das tun. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gauselmann?) Alles wird ins Internet gestellt. Jeder kann das nach-lesen. Jede Frage, jede Antwort, alles steht im Internet. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Gauselmann-Aktion? Die Wirtschaftsunternehmen? Nichts steht drin!) – Sie können unserem Beispiel gerne folgen. Auch die SPD, die im Verhältnis zu uns ein riesiges Parteivermögen hat, kann das alles ins Internet stellen und verkünden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Wir haben gespart, im Gegensatz zu Ihnen!) Wir haben kein schlechtes Gewissen. Wir sind da ganz offen. Im Übrigen würde ich Sie bitten, Herr Beck, mich mit dem Namen anzusprechen, mit dem ich in der Politik arbeite. Der hat sich seit vielen Jahren bewährt, und den brauchen Sie nicht zu verändern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Raju Sharma für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Raju Sharma (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über den Themenkomplex „Parteienfinanzierung, Transparenz, Lobbyismus, Nebentätigkeiten“. Dazu gibt es insgesamt neun Anträge – das ist schon gesagt worden –: drei von den Grünen, zwei von SPD und Grünen, drei von der Linken und einen von der SPD. Die Einzigen, die sich zu dem Thema überhaupt nicht geäußert haben, die keinen eigenen Beitrag geleistet haben, sind bemerkenswerterweise die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir haben schon gehandelt! Wir haben schon zehn Stufen geschaffen!) – Herr Kollege Grosse-Brömer, Sie haben nicht gehandelt. Deswegen hat mich auch gewundert, dass der Kollege Oppermann gesagt hat, es bewege sich etwas. Ich sehe keine Bewegung. Ich höre nur Ankündigungen. Das sind alles nur Sprüche. Es hat sich überhaupt nichts bewegt! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie müssen einmal zu den Sitzungen kommen!) Seit Monaten blockieren FDP und Union die Umsetzung der Empfehlung der Staatengruppe gegen Korruption. Nichts ist passiert! Es wurde schon gesagt, dass Deutschland immer noch nicht die UN-Konvention gegen Korruption ratifiziert hat. Auch da sind wir keinen Schritt weitergekommen. Das liegt daran, dass Sie das alles blockieren. In Wirklichkeit sind Sie die Dagegen-Partei. Nichts passiert! Sie blockieren alles! (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Thomas Oppermann [SPD]: Blockierer!) Zwei Oberbegriffe kennzeichnen auch die heutige Debatte: Transparenz und Verbote. Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Beides ist wichtig. Wir wollen maximale Transparenz, und wir wollen genau das verbieten, was der Demokratie und dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat abträglich ist. Wir wollen maximale Transparenz, weil die Bürgerinnen und Bürger wissen sollen, was wie finanziert wird; denn nur dann können sie eine mündige Entscheidung treffen. Dazu gehört natürlich das Thema Nebentätigkeit. Alles redet hier über die Causa Steinbrück. Aber wir haben doch auch in anderen Fraktionen genug Fälle. Nehmen wir einmal das Beispiel des Kollegen Koschorrek, der für die CDU/CSU im Gesundheitsausschuss sitzt. Er hat in den Jahren 2010 und 2011 insgesamt 28 bezahlte Vorträge gehalten, vor allem vor Lobbyisten der Pharmaindustrie. Auch darüber kann man doch einmal reden. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Na klar kann man das! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Darüber muss man reden!) Lassen Sie uns auch über Parteienfinanzierung reden. Auch auf diesem Gebiet brauchen wir Transparenz. Wenn die Bürgerinnen und Bürger vorher wissen, welche Großspenden zum Beispiel die FDP von Arbeitgeberverbänden oder Konzernen erhält, dann wundert sich hinterher niemand, welche Politik dabei herauskommt. Das ist doch klar. (Beifall bei der LINKEN) Linke Wähler haben es einfach. Bei den Linken weiß man, woran man ist. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir bekommen keine Spenden von Großkonzernen. (Beifall bei der LINKEN) Bei uns zieht kein Lobbyist und kein Unternehmen mit Spendenschecks an den Strippen. Das haben wir ganz bewusst so geregelt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schalck-Golodkowski! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo ist denn euer Schwarzgeld?) – Sie können sich gerne aufplustern, Frau Künast; ich komme auch noch zum Thema Parteiensponsoring. Auch dazu haben wir eine klare Position und im Gegensatz zu den Grünen eine klare Praxis. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das DDR-Geld! Wo ist es geblieben?) Was die Spenden angeht, zieht bei uns niemand an den Strippen – bei den Linken weiß man, woran man ist –, deswegen sind wir nicht abhängig. (Beifall bei der LINKEN) Transparenz ist wichtig, aber wir brauchen in diesem Feld auch Verbote. Verbote sind sinnvoll, weil es Wertentscheidungen des Gesetzgebers sind und weil wir bestimmte Mechanismen abstellen müssen. Das kann man ganz einfach formulieren: Wir als Linke sind dagegen, dass es Parteispenden von Unternehmen und Konzernen gibt, weil wir Abhängigkeiten vermeiden wollen. (Beifall bei der LINKEN) Wir sind gegen ein Parteiensponsoring, weil dies nichts anderes ist als verdeckte Parteienfinanzierung. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich Gysi? – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: In Amerika ist er doch! Der hebt Geld ab!) Wir sind natürlich auch dagegen, dass es direkte Spenden an Abgeordnete gibt. Dort wird die Grenze zur -Korruption so verwischt, dass man es nicht mehr sauber abgrenzen kann. Da Sie bisher alles blockiert haben und auch heute alles blockieren, kann ich mir vorstellen, wie Sie zukünftig damit umgehen werden. Union und FDP werden alle -Initiativen blockieren. Aber wir als Linke wollen nicht darauf warten, dass Sie irgendwann in der Opposition sitzen und es andere Mehrheiten gibt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wollen wir auch nicht!) Wir als Linke sind mit gutem Beispiel vorangegangen. Wir haben alle Nebenverdienste unserer Abgeordneten veröffentlicht und diese Angaben auf den Cent genau ins Netz gestellt, ohne dass es dazu eine gesetzliche Verpflichtung gibt. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo ist euer SED-Geld?) Das kann jede und jeder von uns machen. Dazu fordere ich uns alle auf. Jeder kann diesem Beispiel folgen. Ich freue mich darauf, dass Sie in Ihren Wahlkreisen von den Bürgerinnen und Bürgern darauf angesprochen werden. Diese werden irgendwann vielleicht auch fragen: Wenn das bei Abgeordneten der Linken möglich ist, warum nicht bei dir? Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Als letztem Redner zu diesem Debattenpunkt erteile ich Helmut Brandt für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Helmut Brandt (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Sharma, dass Sie von der Industrie keine Spenden bekommen, liegt wahrscheinlich primär daran, dass es keine volkseigenen Betriebe mehr gibt. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Der war gut!) Von denen wären Sie sicherlich gesponsert worden. In der vorletzten Sitzungswoche haben wir bereits in einer Aktuellen Stunde dem Grunde nach über das gleiche Thema debattiert. Damals hieß der Tagesordnungspunkt – das muss man sich einmal auf der Zunge zer-gehen lassen –: „Integrität parlamentarischer Entscheidungen durch mehr Transparenz und klare Regeln gewährleisten – Nebentätigkeiten, Karenzzeit für Regierungsmitglieder, Abgeordnetenbestechung und Parteiengesetz“. Mehr kann man unter einem Punkt nicht zusammenfassen. Damit versucht man im Grunde genommen, zu erreichen, dass das, worum es eigentlich geht, nicht mehr offenkundig ist. Wenn die Opposition kein anderes Thema als dieses hier wöchentlich zur Debatte stellen kann, dann ist es um ihre Politikfähigkeit sehr schlecht bestellt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sagen Sie mal was zum Tagesordnungspunkt!) – Ja, dazu komme ich gleich. Der ganze Wust von Vorschlägen, die jetzt auf den Markt geworfen werden, dient erkennbar nur einem einzigen Ziel – das ist eben und auch bei der Debatte in der vorletzten Sitzungswoche deutlich geworden –: Sie wollen eigentlich ein anderes Parlament, ein Parlament aus Beamten, Berufslosen und Gewerkschaftsfunktionären. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Studienabbrecher!) Sie wollen Freiberufler, Handwerker und Selbstständige ausschließen. Eben ist richtigerweise von Bernhard Kaster darauf hingewiesen worden, wie wichtig gerade diese Berufsgruppen in diesem Parlament sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bin ganz eindeutig der Auffassung, dass das Zehn-Stufen-Modell, das wir in der Rechtsstellungskommission eingebracht haben, ausreichend ist und transparent macht, was jeder Einzelne mit seiner Nebentätigkeit tatsächlich verdient. Eine ausdifferenzierte Veröffentlichungspflicht in zehn Stufen ist sicherlich bestens geeignet, das Informationsbedürfnis zu befriedigen. Herr Oppermann, Sie können das noch so oft wiederholen, aber ich habe bisher noch kein Argument gehört, warum eine Veröffentlichung auf Euro und Cent genau im Vergleich zu dieser Staffelung einen Mehrwert an Öffentlichkeit bringen würde. Das ist einfach nicht der Fall. Im Übrigen ist es so, dass die SPD offensichtlich nicht überall dieser Auffassung ist. Gestern las ich in der Berliner Morgenpost, dass die Berliner Landespolitiker der SPD gegen eine Verschärfung der Offenlegungspflichten für Nebeneinkünfte seien. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist ein Teilzeitparlament!) Sogar eine Veröffentlichungspflicht nach dem bisherigen Drei-Stufen-Modell passt denen nicht in den Kram. Was gilt denn nun: das, was Ihre Kollegen von der Berliner SPD sagen, oder das, was Sie hier zum Besten geben? (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist ein Teilzeitparlament!) Das Gleiche, Herr Beck, gilt für eine Aufschlüsselung nach Branchen. So etwas ist strikt abzulehnen. Ich will auch sagen, weshalb: Wenn man diese Aufforderung ernst nimmt, kommt es – das ist Ihnen ja schon vorgeführt worden – zum offenen Rechtsbruch, und zwar immer dann, wenn ein Anwalt in einer bestimmten Region Mandanten vertritt und aus der Branchenbezeichnung erkennbar würde, welcher Mandant gemeint ist. Wenn Sie die Vorschriften des Strafgesetzbuches ernst nehmen, dann müssten Sie dies auch so sehen. Ich bin seit über 30 Jahren Anwalt. Frau Künast war eben stolz, über eine Anwaltszulassung zu verfügen; ob sie tätig ist, weiß ich nicht. Ich kann jedenfalls sagen: Angenommen, jemand ist auf dem Lande in einer kleinen Anwaltspraxis tätig und vertritt Arbeitnehmer im Kündigungsschutz, Familien in Familiensachen und andere in Unfallsachen. Was sollte er dann als Branche angeben? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann geben Sie 20/20/20 an!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck? Helmut Brandt (CDU/CSU): Ja, ich ertrage sie jetzt als Zwischenfrage; sonst muss ich sie wie der Kollege Solms nachträglich ertragen. Dann lieber sofort. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nachdem Sie rechtlich umfangreich argumentiert haben, welche Bedenken Sie gegen eine Veröffentlichung der Branche haben, frage ich Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass eine solche bereits Gegenstand des geltenden Rechts ist und vom Bundesverfassungsgericht in einem Urteil für verfassungskonform -erklärt wurde? Der Präsident macht von dieser Veröffentlichungsmöglichkeit lediglich keinen Gebrauch; sie ist in den geltenden Verhaltensregeln aber ausdrücklich vorgesehen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Helmut Brandt (CDU/CSU): Herr Beck, was Sie wollen, hat mit den geltenden Verhaltensregeln nichts zu tun; das ist die Antwort auf Ihre Frage. Wenn die von Ihnen geforderte Pflicht bestünde, dann würde die Schweigepflicht des Anwalts im Einzelfall verletzt. Das ist nicht akzeptabel, das verstößt gegen geltendes Recht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Bundesverfassungsgericht sieht das anders!) Die Grünen haben auch noch andere Dinge gefordert, unter anderem eine Karenzzeit für ehemalige Regierungsmitglieder und Parlamentarische Staatssekretäre. Ich möchte einmal daran erinnern, dass sich gerade Mitglieder der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder in dieser Weise besonders hervorgetan haben. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die würde das auch treffen! Das ist auch gut so! Ich bin auch nicht von allem begeistert!) Ich meine, hier gilt der Satz: Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie es denn nicht eingeführt vor drei Jahren? Dann wären Sie doch jetzt fein raus!) Nehmen wir den von Ihnen damals gestellten Außenminister: Er war erst wenige Monate aus dem Amt, da hat er Vorträge für Investmentbanken wie Barclays Capital oder Goldman Sachs gehalten, er hat Beraterverträge mit RWE und OMV, mit BMW, mit Siemens und mit Rewe. (Ulrich Kelber [SPD]: Wenn so etwas schlecht ist, dann stimmen Sie doch zu!) – Es ist nicht schlecht, Herr Kollege, sondern es ist eine Tatsache, die in offensichtlichem Widerspruch zu Ihrer Argumentation hier steht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das Gleiche gilt für Herrn Schröder, den früheren Bundeskanzler. Wir wissen noch sehr gut: Nur wenige Wochen nachdem er aus dem Amt ausgeschieden ist, wurde bekannt, dass er einen Posten bei der Nord Stream AG angenommen hat, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zeigt doch, wie nötig die Regelung ist!) und wir wissen auch, was er in der Folge getan hat. Wenn man über eine solche Vergangenheit verfügt, dann sollte man es sich gut überlegen, bevor man solche Forderungen aufstellt. Zum Abschluss noch ein paar Bemerkungen bezüglich der Frage der Parteispenden. Im Hinblick auf die Linken habe ich ja schon Stellung genommen. Ich persönlich muss ganz ehrlich sagen: Ich halte eine Begrenzung von Parteispenden für nicht erforderlich. Parteispenden werden laut Parteiengesetz öffentlich gemacht. Wir verfügen bereits über eine hinreichende Transparenz. Wenn man sieht, dass der Wahlkampf der beiden Kandidaten in Amerika 5,6 Milliarden Dollar gekostet hat, die aus privaten Spenden finanziert wurden, dann kann ich nur sagen: Ich hätte gerne einmal die Debatte hier erlebt, wenn das in Deutschland auch nur annähernd der Fall wäre. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Zusatzpunkt 5 a: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11331 mit dem Titel „Transparenz bei Nebeneinkünften herstellen durch Veröffentlichungspflicht auf Euro und Cent“. Wir stimmen über den Antrag auf Verlangen der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Abstimmungsurnen besetzt? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung über den Antrag. Die pflichtgemäße Frage: Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? – Ich höre keinen Protest. Dann ist das der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte Sie, dazu Platz zu nehmen.2 Zusatzpunkt 5 b: Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11332 mit dem Titel „Nebentätigkeiten transparent machen – Branchen kennzeichnen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 46 c: Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11204 mit dem Titel „Karenzzeit für ausgeschiedene Regierungsmitglieder“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Linken und Grünen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 46 d: Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11333 mit dem Titel „Transparenz und Unabhängigkeit im Bundestag und in der Bundesregierung“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Tagesordnungspunkt 46 e: Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 17/6566. Unter Buchstabe a empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/892 mit dem Titel „Parteien-Sponsoring im Parteiengesetz regeln“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Linken mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe b in seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/651 mit dem Titel „Parteispenden von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden verbieten“. Wer stimmt für diese -Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Linken und Grünen angenommen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1169 mit dem Titel „Partei-Sponsoring transparenter gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/547 mit dem Titel „Parteispenden begrenzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von SPD und Linken angenommen. Zusatzpunkt 6: Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11318 mit dem Titel „‚Karenzzeit‘ für ehemalige Bundesminister und Parlamentarische Staatssekretäre in Anlehnung an EU-Recht einführen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der Linken gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Süd-sudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolutionen 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und 2057 (2012) vom 5. Juli 2012 – Drucksachen 17/11037, 17/11390 – Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Heidemarie Wieczorek-Zeul Marina Schuster Jan van Aken Kerstin Müller (Köln) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11399 – Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Klaus Brandner Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Sven-Christian Kindler Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Marina Schuster für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Marina Schuster (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen heute vor der Verlängerung des deutschen Beitrags zum UNMISS-Mandat und damit des Einsatzes im Südsudan. Es ist ein robustes Mandat. Die Personalobergrenze liegt nach wie vor bei 50 Soldatinnen und Soldaten. Derzeit sind 16 Soldatinnen und Soldaten dort eingesetzt. UNMISS beruht auf dem ausdrücklichen Wunsch der südsudanesischen Regierung. Es ist ein Mandat, das hier im Hohen Haus große Unterstützung genießt; denn dabei geht es darum, dem neuen Staat Südsudan beim Staatsaufbau zu helfen, insbesondere auch bei der Gewährleistung der Sicherheit für die Zivilbevölkerung. Zum Auftrag von UNMISS gehört auch, Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und diese Menschenrechtsverletzungen der Hohen Kommissarin für Menschenrechte zu melden und den Sicherheitsrat davon zu unterrichten. Deswegen ist es nicht akzeptabel, dass der Südsudan eine Mitarbeiterin von UNMISS aus dem Land gewiesen hat. Wir fordern, dass die Mitarbeiter von UNMISS ihrem Auftrag so nachkommen können, wie es vereinbart ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir können uns uneingeschränkt den Äußerungen der Leiterin von UNMISS, Frau Hilde Johnson, anschließen. Sie war in der letzten Sitzungswoche hier in Berlin zu Gast. Wir haben mit ihr verschiedene Gespräche geführt, auch im Unterausschuss „Zivile Krisenprävention“. Wir konnten uns davon überzeugen, dass sie mit viel Engagement und Herzblut an die Sache herangeht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Mandatsverlängerung ist nie „business as usual“. Es geht auch immer darum, ein Mandat einzubetten, in die politische -Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Wir haben die Entwicklungen im Sudan und im Südsudan über viele Jahre begleitet. Wir haben hier im Deutschen Bundestag viele Debatten dazu geführt. Keiner von uns hat gedacht, dass sich am 9. Juli 2011 der Südsudan weitgehend friedlich vom Sudan abspaltet. Wir hatten damals große Sorge, dass die Lage eskalieren könnte. Die weitgehend friedliche Abspaltung hat aber auch ihren Preis, nämlich dass die strittigen Fragen nach wie vor nicht geklärt sind. Deutschland unterstützt deswegen die Vermittlungsversuche der Afrikanischen Union unter der Leitung von Thabo Mbeki. Wir sind froh, dass am 27. September dieses Jahres eine neue Einigung erreicht werden konnte. Doch auch danach läuft es schleppend. Immer noch nicht geklärt ist der finale Status der Region Abyei. Es gibt den Vorschlag, im Oktober nächsten Jahres ein -Referendum abzuhalten. Ebenfalls nicht geklärt ist die tatsächliche Implementierung der Sicherheitsvereinbarungen. Nun soll sich ein technisches Team damit beschäftigen. Insofern haben wir an der Grenze immer noch keine wirklich demilitarisierte „buffer zone“. Ein weiterer Knackpunkt ist die tatsächliche Wiederaufnahme der Erdöllieferungen. Die Einstellung der Erdölförderung hatte große wirtschaftliche Verwerfungen hervorgerufen; denn 98 Prozent der Staatseinnahmen des Südsudan beruhen auf der Erdölproduktion. Fallen diese Einnahmen weg, ist die Erfüllung von staatlichen Aufgaben, beispielsweise die Basisversorgung für die Bevölkerung sicherzustellen, fast nicht mehr möglich. Deswegen ist es wichtig und richtig, dass sich die Bundesregierung auch in der humanitären Hilfe engagiert, insbesondere bei der Sicherung der Ernährungsgrundlage. So hat die Bundesregierung die humanitäre Nothilfe für den Südsudan noch einmal um 5 Millionen Euro auf jetzt 10,5 Millionen Euro aufgestockt. Es gibt weitere Projekte der GIZ, des UNHCR, des Roten Kreuzes und des World Food Programme, und zwar alles in den Bereichen Gesundheit, Trinkwasserversorgung, Ernährung. Wir sind sehr dankbar, dass es ein umfassendes Engagement der Bundesregierung gibt. Eine weitere Aufgabe, die man auf die Zeit nach dem CPA verschoben hat, ist die Entwaffnung. Wir wissen, dass nach wie vor sehr viele Kleinwaffen vor Ort im Umlauf sind. Die Entwaffnung hat bisher nicht gut funktioniert. Es ist wichtig, dass es einen neuen Impetus gibt, damit es in diesem Bereich vorangeht. Das Auswärtige Amt unterstützt weiterhin Projekte in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, juristische Ausbildung und Beratung bezüglich des Verfassungsprozesses. Das zeigt: Das UNMISS-Mandat selbst ist in ein umfassendes Engagement eingebettet. Wir haben uns auch in den parlamentarischen Beratungen mit zwei interfraktionellen Anträgen immer mit der Gesamtsituation befasst. Wir hatten jeweils einen großen interfraktionellen Antrag vor dem Referendum und erst kürzlich im Juni dieses Jahres eingebracht. Es ist besonders wichtig, dass wir weiterhin Unterstützung gewähren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will aber auch die Defizite beim Namen nennen. Wir wissen, dass die Korruption im Südsudan weit verbreitet ist. Es gibt dort keine transparente Rechenschaftslegung. Wir fordern außerdem die strikte Beachtung der Menschenrechte. Vor allem muss die „Kultur der Straf-losigkeit“ endlich ein Ende haben. Wir wissen, dass es viele Probleme und Herausforderungen für den neuen Staat gibt. Es besteht die Gefahr, dass der Südsudan abdriftet. Deswegen ist es wichtig, dass das internationale Engagement erhalten bleibt, dass das Mandat für UNMISS fortgesetzt wird. Der Schlüssel dazu liegt natürlich vor Ort, im politischen Prozess. -UNMISS und auch UNAMID – diese Mission haben wir vorhin verlängert – sind Bausteine. Es geht darum, die politische Lösung voranzubringen. Ein letztes Wort. Ich freue mich, dass wir heute zu einer früheren Tageszeit über die Verlängerung des Mandats diskutieren. Das sind wir unseren Soldatinnen und Soldaten, aber auch den Zivilisten vor Ort schuldig. Ich möchte an dieser Stelle den Soldatinnen und Soldaten sowie den Polizisten und den zivilen Helfern für ihren Einsatz vor Ort meinen Dank und meine Anerkennung aussprechen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Vor der nächsten Rednerin möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte -Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von den Kollegen Thomas Oppermann und Volker Beck -sowie anderen Abgeordneten von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Antrag mit dem Titel „Transparenz bei Nebeneinkünften herstellen durch Veröffentlichungspflicht auf Euro und Cent“: abgegebene Stimmen 574. Mit Ja haben gestimmt 271, mit Nein haben gestimmt 303. Der Antrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 574; davon ja: 271 nein: 303 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ich erteile nunmehr das Wort Susanne Kastner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 9. Juli 2011 hat der Süden des Sudans seine Unabhängigkeit erklärt. Seitdem sind 16 bewegte Monate vergangen. Vieles hat sich zum Besseren gewandelt. Aber vieles ist immer noch im Argen. Festzuhalten bleibt allerdings, dass es noch eine Menge zu tun gibt, bis im Südsudan stabile Verhältnisse herrschen. Zwei wichtige Faktoren sollten wir uns dabei vor Augen führen: die bewegte Geschichte des Landes sowie die enorme Größe. Mit einer Fläche von circa 650 000 Quadratkilometern ist der Südsudan fast doppelt so groß wie Deutschland. Daraus resultieren erhebliche logistische Probleme für den Aufbau und die Stabilisierung des Landes. Zweifelsohne konnten seit Inkrafttreten der UN--Resolution zahlreiche Fortschritte erzielt werden. Der Südsudan steht aber weiterhin vor großen Herausforderungen. So ist beispielsweise die wirtschaftliche Lage für große Teile der Bevölkerung weiterhin äußerst prekär und angespannt. Vergleichsweise gutgestellt sind da diejenigen, die über ein wenig Land oder Vieh verfügen. Dies gilt aber nur für einen Bruchteil der Bevölkerung. Durch den langjährigen Bürgerkrieg und die bewaffneten Auseinandersetzungen wurden tiefe Wunden gerissen. Diese werden sicherlich nicht von heute auf morgen zu heilen sein; das wissen wir alle. In Anbetracht der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Ausgangssituation muss man allerdings auch anerkennen, dass die südsudanesische Regierung ihr Möglichstes tut, um geordnete Verhältnisse zu schaffen. Es ist jedoch offenkundig, dass das Vorhaben zum jetzigen Zeitpunkt ohne die weitere konsequente und umfassende Unterstützung durch die internationale Staatengemeinschaft zum Scheitern verurteilt wäre. Es ist daher unsere Pflicht, uns weiterhin für den Frieden im Südsudan zu engagieren. Im vergangenen August sind die Obleute des Verteidigungsausschusses zusammen mit mir in den Südsudan gereist. Wir wollten uns selbst einen Überblick verschaffen über die Einsatzbedingungen unserer Soldaten vor Ort und über die politische Lage in Dschuba. Wie Sie sich sicherlich vorstellen können, ist die Situation alles andere als einfach. Wir reden schließlich von einer Region, in der noch immer Grenzkonflikte vorherrschen und in der bis an die Zähne bewaffnete Milizen agieren. Bei dem Zusammentreffen mit der Sonderbeauftragten für Südsudan, Hilde Johnson, bedankte sich diese ausdrücklich für den deutschen Beitrag zur UN-Mission. Diesen Dank möchte ich gerne an unser Parlament weitergeben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Soldaten leisten im Südsudan unter schwierigsten Bedingungen eine hervorragende Arbeit. Dafür sagen wir herzlichen Dank, und es gilt, diese Arbeit fortzusetzen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Vereinten Nationen und insbesondere die Zivil-bevölkerung im Südsudan setzen große Hoffnungen auf den Erfolg der UN-Mission und auf das weitere Engagement der Bundeswehr. Wer wie ich die Situation vor Ort erlebt hat, der weiß, dass wir in der Pflicht sind, das UNMISS-Mandat der Bundeswehr zu verlängern. Neben der Unterstützung des Staats- und Institutionsaufbaus ist die Kernaufgabe dieser Friedensmission schließlich die Unterstützung beim Schutz der Zivilbevölkerung. Dies ist wahrlich keine leichte Aufgabe; denn die humanitäre Lage im Südsudan ist nach wie vor heikel. Die desaströse wirtschaftliche Entwicklung, die internen bewaffneten Konflikte und das anhaltende Problem der Vertriebenen sind ein schweres Erbe, dem sich die südsudanesische Regierung stellen muss. Die UN-geführte Mission ist daher dringend erforderlich, um den fragilen Staat zu stützen und weiter aufzubauen. Nach meinen Gesprächen mit UN-Vertretern, Politikern und unseren Soldaten im Südsudan muss ich allerdings nachdrücklich darauf hinweisen, dass der Einsatz nur dann gelingen kann, wenn wir auch die benötigte Ausrüstung zur Verfügung stellen. Unsere Soldaten machen derzeit bereitwillig Abstriche bei der Unterkunft und den Hygienebedingungen. Sie können aber nicht auf die entsprechende Ausrüstung verzichten, um diesen Auftrag zu erfüllen. Zu den Herausforderungen des Einsatzes im Südsudan gehören zweifelsohne die logistisch extrem schwierigen Ausgangsbedingungen. Aufgrund der geografischen Verhältnisse ist es unabdingbar, die UN-Mission dezentral aufzustellen. Es ist aber nun einmal so, dass man während der achtmonatigen Regenzeit in weite Teile des Landes nur mit einem Transporthubschrauber gelangen kann. Seit dem Abzug der russischen Hubschrauber ist eine gravierende Fähigkeitslücke entstanden, die dringend geschlossen werden muss. Diesen -Appell der UN-Vertreter und unserer Soldaten muss ich daher mit Nachdruck an die Adresse unseres Verteidigungsministers richten: Sorgen Sie dafür, dass die benötigten Hubschrauber vor Ort zum Einsatz kommen! (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nur so kann UNMISS eine Erfolgsgeschichte werden. Es gäbe noch vieles über die schwierigen Verhältnisse und Einsatzbedingungen im Südsudan zu berichten. Offenkundig ist jedoch, dass die internationale Staatengemeinschaft seit der Unabhängigkeit des Südens dort gute Arbeit geleistet hat. Diesen Prozess gilt es fortzusetzen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns weiterhin an dem Einsatz beteiligen und das UNMISS-Mandat für die Bundeswehr um ein weiteres Jahr verlängern. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung zur Mandatsverlängerung, damit der junge südsudanesische Staat gelingen kann. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Robert Hochbaum für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Robert Hochbaum (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Free at last, endlich frei – das war am 9. Juli 2011 im Südsudan immer wieder zu hören und auf -Plakaten zu lesen. Endlich frei zu sein, bedeutete für die Menschen, sich loszusagen von Repressalien, von -bewaffneten Reitermilizen, die Menschen öffentlich gequält und erniedrigt haben, sich loszusagen von 20 Jahren Bürgerkrieg, 20 Jahren gezielter Vertreibung, Tötung und Ächtung. Heute, knapp anderthalb Jahre später, musste die Freiheitseuphorie leider der Realität weichen. Viele Hoffnungen der Menschen konnten bis heute noch nicht erfüllt werden. Stattdessen liegt ein Jahr hinter dem neuen Staat, das von einer tiefen Krise, humanitären Notlagen und einer sehr fragilen Sicherheitslage geprägt war. Die UN-Sondergesandte Hilde Johnson – ihr Name wurde heute schon öfter erwähnt – bilanzierte sehr treffend und spricht von einem „harten Start“, gar einem „schmerzvollen Jahr“ für den Südsudan. Aber, meine Damen und Herren, können wir da wegschauen? Sollen wir – jetzt richte ich meinen Blick auf Sie, meine Damen und Herren von der Linken – einem erneuten Abgleiten dieses Staates in Chaos und Mord tatenlos zusehen und somit die gesamte ostafrikanische Region in ihrer Stabilität gefährden? Sollen wir die Unabhängigkeit eines Staates, die in einer demokratischen Volksabstimmung mit sehr großer Mehrheit von den Menschen gewollt war, nicht anerkennen? Für uns gibt es darauf nur eine klare Antwort: Nein, wir wollen helfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei unserem Verständnis von humanitärer Verpflichtung, bei unserem Verständnis von Politik, die hier – das müsste jeder erkennen, zumindest derjenige, der hinschaut – ganz klar einem vernetzten Ansatz folgt, und bei unserem Verständnis von Menschlichkeit und Menschenrechten haben wir geradezu eine Verpflichtung, nämlich eine Verpflichtung zur Hilfe. Das ist wie so oft eine mit Ausnahme von Ihnen – dabei schaue ich wieder nach links – mehrheitlich getragene Meinung. Dafür möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei der SPD und den Grünen bedanken. Sie stellen Menschlichkeit über parteitaktisches Verhalten. (Annette Groth [DIE LINKE]: Das ist etwas Neues!) Das finde ich gut und, wenn ich nach links schaue, auch nachahmenswert. Merken Sie auf der linken Seite gar nicht, dass bei Ihnen manchmal etwas nicht stimmt? (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Allen hier im Saal ist klar, dass der Südsudan unsere Unterstützung braucht. Wir alle wollen Frieden und nachhaltige Friedenssicherung in dieser Region. (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber wollen reicht nicht! Man muss auch können!) Sie schauen anscheinend weg und nehmen die Tatsachen – das ist die Schlussfolgerung, wenn man Ihre Reden in der Vergangenheit und wahrscheinlich auch heute verfolgt – einfach nicht zur Kenntnis. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ihr müsst mal zuhören!) Nur so lässt sich für mich Ihre Ablehnung zu UNMISS erklären. Ich frage mich, wie Sie, wenn Sie wieder einmal dort hinfahren sollten, den Menschen dort noch in die Augen schauen können. Meine Damen und Herren, es bleibt natürlich unbestritten, dass die gegenwärtige Situation im Südsudan unbefriedigend ist. Aufgrund der andauernden Konflikte konnte sich die Regierung nicht um die grundlegen-den Aufbauarbeiten des Landes bemühen. So liegen die Herausforderungen weiter auf der Hand: fehlende Infrastruktur, mangelnde Wirtschaftskraft, ein nicht aufgebauter Sicherheitssektor und fehlendes administratives Wissen der Verantwortlichen. Hinzu kommen die bekannte Flüchtlingsproblematik in den umkämpften Gebieten und weitere humanitäre Notlagen, die sich daraus ergeben. Entscheidend ist aus diesem Grund jetzt, dass die im September mit dem Sudan unterzeichneten Abkommen und Vereinbarungen umgesetzt werden. UNMISS wird dabei wie bereits beim Zustandekommen der Abkommen eine zentrale Rolle der Vermittlung und Unterstützung beigemessen. Schon deshalb ist es zu begrüßen, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Juli dieses Jahres die Verlängerung des Mandats beschlossen hat. Wir sollten das aus meiner Sicht heute auch in diesem Hause mit großer Mehrheit tun. Wenn ich von den Vereinten Nationen spreche, muss ich schon wieder nach links schauen. Meine Damen und Herren von den Linken, mit Ihrer Ablehnung negieren Sie auch das UN-Mandat und stellen sich faktisch über die UN. Sie meinen wohl, dass sich die Weltgemeinschaft mehr nach Ihnen richten sollte als nach den Vereinten Nationen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das wäre gut!) Es tut mir leid, dass wir Ihnen den Gefallen hier und heute nicht tun können. Um auch gleich Ihrem Hauptvorwurf, die militärische Komponente würde im Vordergrund stehen, den Wind aus den Segeln zu nehmen, möchte ich auf die zahlreichen Maßnahmen und Projekte der Entwicklungshilfe verweisen. Ernährungssicherheit, Bildung, Gesundheit, Trinkwasserversorgung – all das sowie die finanziellen Hilfen müssten sogar Ihnen den vernetzten politischen Ansatz deutlich machen. Es steht übrigens alles im Mandat geschrieben. Man kann es dort nachlesen. Lesen bildet normalerweise, zumindest im Regelfall. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Kommt darauf an, was man liest!) Uns ist dabei eines klar: keine Entwicklung ohne Sicherheit und keine Sicherheit ohne Entwicklung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Deshalb unterstützen wir UNMISS mit bis zu 50 Sol-daten. Wie wir gehört haben, waren zuletzt 16 Stabsoffiziere vor Ort eingesetzt. An dieser Stelle möchte ich es wie andere Redner nicht versäumen, den Soldaten, den Polizisten, den zivilen Mitarbeitern unseren Dank und unseren Respekt für ihre Arbeit unter diesen ganz besonders schwierigen Bedingungen vor Ort auszusprechen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend den Bogen zum Anfang schlagen. „Endlich frei“, stand am 9. Juli 2011 auf den Plakaten. Ich wünsche mir, dass die Euphorie der Unabhängigkeit bei den Menschen im Südsudan wieder entflammt, dass die Menschen auf staatliche Strukturen vertrauen, dass sie ihr Land aufbauen und friedlich entwickeln. UNMISS hilft und unterstützt dabei. Gerade vor dem Hintergrund unseres Verständnisses von demokratischer Grundordnung und der Wahrung der Menschenrechte werden auch wir uns dieser Verantwortung stellen. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Für die Fraktion Die Linke spricht nun Jan van Aken. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur einmal daran erinnern: Es geht hier um einen Bundeswehreinsatz innerhalb des Südsudan. (Robert Hochbaum [CDU/CSU]: Ja! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist sehr deutlich geworden!) Es ist relativ wichtig, das zu betonen, weil Sie alle heute und in der Debatte vor zwei Wochen sehr viel über Abyei, Südkordofan, die Grenze zum Sudan geredet haben. Das hat nur sehr bedingt mit UNMISS zu tun. Hier geht es um einen internationalen Militäreinsatz innerhalb des Südsudan. Ich glaube, es hilft nicht, das alles in einem Topf zu verrühren. Das verstellt manchmal den Blick auf die Lage, Herr Hochbaum. (Beifall bei der LINKEN) UNMISS war von vornherein ein Konstrukt mit völliger Schieflage. Wir hatten es mit Interessen der UNO und Interessen der Regierung des Südsudan zu tun. Das ließ sich nicht vereinbaren: Die UNO wollte zum Beispiel die Armee reformieren, vor allem reduzieren. Die Regierung des Südsudan wollte vor allem die eigene Machtposition ausbauen. Dann gab es einen Kompromiss, der extrem problematisch ist. UNMISS steht an der Seite der Regierung des Südsudan. Die Regierung ist es, die darüber bestimmt, wo und wann UNMISS eingreifen darf. Das große Problem hier ist, dass die Regierung Südsudans manchmal überhaupt kein Interesse daran hat, dass UNMISS zuschaut: wenn nämlich die Regierung selbst oder ihre Armee, die SPLA, Verbrechen an der Zivilbevölkerung begeht. Sie wissen ganz genau – Frau Schuster hat es dankenswerterweise erwähnt –, dass die Regierung Süd-sudan die Arbeit von UNMISS massiv behindert. Vor kurzem hat sie eine UNMISS-Mitarbeiterin ausgewiesen. Daher ist es relativ hilflos, Frau Schuster, sich hier hinzustellen und zu sagen: Das kritisieren wir; die Regierung des Südsudan sollte es anders machen. (Marina Schuster [FDP]: Ja, sollen wir denn schweigen, oder wie?) Trotzdem wollen Sie hier darüber entscheiden, dass Bundeswehrsoldaten an die Seite einer menschenrechtsverletzenden Regierung gestellt werden. Das finde ich nicht akzeptabel. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte hier ein einziges Mal von Ihnen ein Argument dazu hören, wie Sie es verantworten können, Bundeswehrsoldaten an die Seite einer Regierung zu stellen, die die eigene Zivilbevölkerung bedroht. Das geht nicht. (Beifall bei der LINKEN) Sie wissen genauso wie ich – Herr Hochbaum, eigentlich müssten auch Sie es wissen –, dass die Regierung gerade dabei ist, einen Einparteienstaat zu etablieren – mit Korruption, mit Vetternwirtschaft, mit Unterdrückung der eigenen Bevölkerung, mit Vernachlässigung der Bevölkerung in der Peripherie und auf dem Lande, um nur einige Punkte zu nennen. Und dafür hat sie jahrelang Unterstützung bekommen? Ist das der Staatsaufbau, den Sie wollen, den die UNO wollte? Sie sollten eigentlich eingestehen, dass die bisherigen Bemühungen gescheitert sind. Jetzt ist es unsere Aufgabe, zu schauen: Wo ist der Fehler? Was können wir anders machen? Da möchte ich Sie, Herr Hochbaum, einmal beim Wort nehmen. Sie haben die Frage gestellt: Sollen wir einfach zuschauen? Meine Antwort ist: Nein. Wir wollen helfen. (Beifall bei der LINKEN) Aber wir wollen nicht so helfen, wie man es die letzten Jahre versucht hat und womit man komplett gescheitert ist. Wir haben dazu vor einem Jahr sehr ausführliche und detaillierte Vorschläge gemacht – die entsprechende Vorlage hätten Sie vielleicht lesen sollen, Herr Hochbaum; ich kann Ihnen die Drucksachennummer nennen –, (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das kennen wir alles! Alles Gerede!) wie man den Menschen im Südsudan ganz konkret helfen kann, Gewalt zu vermeiden und den Staat wiederaufzubauen. Ich möchte nur einen einzigen Vorschlag nennen. Da es um den Schutz der Zivilbevölkerung, auch vor der südsudanesischen Regierung, geht, brauchen wir ein Frühwarnsystem. (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Das macht doch UNMISS!) Ich war im Südsudan und habe mir angeschaut, wie funktionierende Frühwarnsysteme aussehen können. Das Ganze funktioniert nicht mit internationalem Militär. Dazu braucht man Menschen vor Ort. Die Menschen, die in den Dörfern leben, die lokalen Autoritäten, die anerkannt sind, muss man einbinden. Dann braucht man neutrale Vermittler. So kann man einen Konflikt vermeiden. Was Sie machen, ist: Sie gucken in Jonglei zu, bis 800 Leute tot sind, (Marina Schuster [FDP]: Das stimmt doch gar nicht!) und dann schicken Sie einen Hubschrauber hin, um frühzuwarnen. Das reicht nicht. Wenn Sie den Menschen helfen wollen, dann machen Sie es zivil! Mit dem Militär funktioniert es nicht. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde es ganz zynisch – damit komme ich zum Schluss –, dass Herr Westerwelle vor zwei Wochen an dieser Stelle gesagt hat, seit der Unabhängigkeit habe der Südsudan eine eigene stabile Staatlichkeit. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie blenden doch vollkommen aus, was vorher passiert ist!) Das ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen im Süd-sudan, die immer noch hungern, die immer noch an behandelbaren Krankheiten sterben, die ohne Anklage im Gefängnis sitzen, die gefoltert werden. An die Seite eines solchen Regimes darf man keine Bundeswehrsoldaten schicken. Deswegen werden wir dem UNMISS-Mandat nicht zustimmen. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Unmöglich!) Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen exportieren sollte. Auch das ist ein wichtiges Thema, aber dafür habe ich keine Zeit mehr. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Agnes Brugger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ja gestimmt – das haben im Juli 2011 alle grünen Abgeordneten bei der ersten Abstimmung über UNMISS, die damals neu geschaffene UN-Mission im Südsudan. Wir Grüne machen es uns mit einem Ja zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr niemals leicht und prüfen jeden Einsatz äußerst intensiv und kritisch. (Zurufe von der LINKEN) – Sie tun das nicht; den Eindruck habe ich bei der Rede von Herrn van Aken gewonnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Nach wie vor halten wir UNMISS nicht nur für richtig, sondern auch für einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung im Südsudan. Ziel der Mission ist im Wesentlichen der Schutz der Zivilbevölkerung, die Verbesserung der Menschenrechtslage und die Unterstützung beim Staatsaufbau. Das sind keine einfachen Aufgaben, und der Weg zu einem funktionierenden Staat im Südsudan wird auch noch ein langer sein. Zentrale Voraussetzung dafür ist, dass wir sowohl die Regierung des Sudan als auch die des Süd-sudan in die Pflicht nehmen, die friedliche Koexistenz beider Staaten zu unterstützen und nicht weiter zu torpedieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ende September haben sich beide Staaten auf eine Lösung für die Verteilung der Öleinnahmen geeinigt. Nachdem diese strittige Frage endlich geklärt zu sein scheint, muss nun die Einrichtung einer entmilitarisierten Zone an der Grenze zwischen beiden Staaten zügig umgesetzt werden. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl wahr!) Dann hat eine politische Lösung für die Klärung der noch offenen Grenzfragen eine echte Chance und haben die dortigen Gewaltausbrüche hoffentlich schnell ein Ende. Wir müssen bei der Bewertung des Mandates allerdings auch immer realistisch bleiben: UNMISS kann nicht jeden Gewaltausbruch im Land verhindern; -UNMISS hat aber die Möglichkeit, Gewalt effektiv und schnell einzudämmen. Um das konkret zu machen: Ja, es erreichte uns im August 2011 die traurige und erschreckende Nachricht, dass rund 600 Angehörige des Stammes der Nuer durch Angehörige der Murle getötet wurden. UNMISS reagierte auf diesen Gewaltausbruch schnell und mit einer Mischung verschiedener präventiver Maßnahmen, solcher Maßnahmen, die auch Sie, Herr Kollege van Aken, gerade gefordert haben. (Robert Hochbaum [CDU/CSU]: Ja! Wohl wahr!) Es gab ein Frühwarnsystem. Es gab die Ausweitung der Präsenz der Mission. Es gab Patrouillen in Zusammenarbeit mit der südsudanesischen Armee. Es gab Überwachung und die Unterstützung lokaler Verhandlungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das hat dazu geführt, dass im Dezember auf diese Weise Angehörige der Murle vor einer Racheaktion der Nuer rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden konnten. Man geht davon aus, dass dieses besonnene Handeln mehrere Tausend Todesopfer und eine Eskalation der Gewalt verhindern konnte. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Realität von Einsätzen!) Ich finde, zu einer ehrlichen Auseinandersetzung gehört natürlich auch, dass man nicht verschweigt, dass es auch Rückschläge und Ereignisse im Südsudan gibt, die Anlass zur Sorge geben, so zum Beispiel die schon erwähnte Ausweisung einer UN-Mitarbeiterin, deren Aufgabe die Beobachtung der Menschenrechtslage war. Hier ist deutliche Kritik angebracht, wenn die Regierung Südsudans die kritische Auseinandersetzung mit eigenen Menschenrechtsverletzungen unterbinden will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Aber trotz der Rückschläge: Der Friedensprozess im Südsudan ist im Gange, und UNMISS leistet einen wichtigen Beitrag dazu. Allerdings kann dies nur gelingen, wenn alle beteiligten Staaten die Mission voll und ganz unterstützen. Ich finde, Deutschland ist hierbei viel zu zurückhaltend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dafür ein Beispiel: Wir beschließen heute erneut eine Mandatsobergrenze von nur 50 Soldatinnen und Soldaten. Aber nicht einmal dieses kleine Kontingent wird ausgeschöpft. Bis heute waren zu keinem Zeitpunkt mehr als 17 Bundeswehrangehörige gleichzeitig im Südsudan. Bei den Missionen der Vereinten Nationen und gerade bei UNMISS im Besonderen finde ich diese deutsche Zurückhaltung falsch und, ehrlich gesagt, auch beschämend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Diese mangelnde Unterstützung wird vor allem einem nicht gerecht: Auf meiner Reise in den Südsudan haben mich die Menschen, die dort trotz aller Schwierigkeiten fest an eine friedliche Zukunft für diesen jungen Staat glauben, unheimlich beeindruckt. Ebenso beeindruckt hat mich das Engagement von zivilen Kräften der NGOs und von UNMISS sowie der Soldatinnen und Soldaten dieser Mission, die dazu beitragen, dass diese Vision Realität wird – und das unter teilweise sehr schwierigen Bedingungen. Ihnen möchte ich auch im Namen der Grünen-Fraktion danken; denn ohne diese Menschen hätte der Frieden keine Chance. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Letzter Redner in dieser Debatte ist Kollege Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kurz nach Ostern dieses Jahres habe ich den Südsudan und die UNMISS-Mission besucht. Wenn man in Juba oder in der dortigen Region ein Ministerium oder eine Polizeistation betritt, kann man plötzlich mit Händen greifen, was es bedeutet, wenn wir hier von fehlender oder mangelnder staatlicher Ordnung sprechen. Es ist offensichtlich, dass sie dort aufgrund der Ausrüstung und der Mittel, die im Moment zur Verfügung stehen, praktisch nicht in der Lage sind, ihr Volk in der Fläche zu erreichen, geschweige denn, ihm substanziell zu helfen und die humanitäre Situation und Sicherheit zu verbessern. Mein persönlicher Eindruck war, dass diese noch sehr unterentwickelten staatlichen Institutionen es nicht schaffen, in diesem Land eine staatliche Identität herzustellen. Nationale Identität entsteht immer mehr durch die Abgrenzung gegenüber dem Norden. Ich habe mit einem Provinzgouverneur, vergleichbar einem Ministerpräsidenten bei uns, gesprochen und ihn gefragt, wie er darüber denkt, dass der Südsudan die Ölförderung ausgesetzt hat und damit auf 90 Prozent seiner Einnahmen verzichtet. Er hat mir gesagt: Wir haben so lange für unsere Unabhängigkeit gekämpft, dass wir jetzt lieber auf das Geld verzichten, als dass wir uns vom Norden bestehlen lassen. Ein solcher Ansatz ist natürlich Wahnsinn. Er ist fatal und wirft den Staatsaufbau massiv zurück. Aber es keimt die Hoffnung, dass der Staat Südsudan mittlerweile auf einem besseren Weg ist. Der Friedensplan der Afrikanischen Union von Ende April und der massive Druck der Vereinten Nationen haben zu einer Waffenruhe geführt und dazu, dass die beiden Länder Ende September eine ganze Reihe von Vereinbarungen geschlossen haben, unter anderem zur Aufnahme von Wirtschaftsbeziehungen und zur Wiederaufnahme der Ölförderung. Wenn das alles eingehalten wird, wäre das eine gute Grundlage für die Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Sudan und dem Südsudan. Bei der Konsolidierung des Friedens, dem Aufbau staatlicher Strukturen und dem Schutz von Zivilisten spielt UNMISS eine zentrale Rolle. Lieber Herr van Aken, in der letzten Sitzungswoche war die Leiterin von UNMISS, Hilde Johnson, zu Gast im Unterausschuss „Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit“. Sie hat im Ausschuss sehr eindrucksvoll dargestellt, wie die SPLA, unterstützt von UNMISS, im letzten Dezember während der Stammesauseinandersetzungen in Jonglei das Leben von Tausenden Zivilisten gerettet hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Website von UNMISS befindet sich ein ausführlicher Bericht, der Hunderte von Seiten lang ist, in dem dargestellt worden ist, was gut und was schlecht gelaufen ist und welches die „lessons learned“ für die Regierung sind. Natürlich ist nicht alles gut gelaufen, und natürlich kann man noch etwas verbessern, aber ohne die internationale Präsenz hätten wir diese Form der Aufarbeitung gar nicht. Wir würden wahrscheinlich erst Wochen später erfahren, dass überhaupt etwas passiert ist. Meine Damen und Herren, UNMISS hat massiv dazu beigetragen – nicht nur im Fall der Stammesauseinandersetzungen –, das Leben der Zivilisten zu schützen. Hilde Johnson hat bei ihrem Besuch sehr deutlich gemacht, wie wertvoll sie den zwar zahlenmäßig geringen, aber hochqualifizierten Beitrag der deutschen Soldaten und Polizisten einschätzt. Ich kann es von meinem Besuch in Südsudan aus eigenem Erleben bestätigen: Die Soldaten sind hochqualifiziert und hochmotiviert. Ich möchte ihnen von dieser Stelle aus für ihren Einsatz dort unten ganz herzlich danken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In Südsudan halten sich jedoch nicht nur Soldaten und Polizisten auf, wenngleich aufgrund der Mandatierung immer wieder von diesen Personengruppen hier im Parlament die Rede ist. Ich habe dort auch zivile Mitarbeiter getroffen, zum Beispiel von der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe oder von der Weltbank. Bei diesen Menschen, die oft mehrere Jahre in Südsudan verbringen, handelt es sich um wirklich beeindruckende Persönlichkeiten, deren Kraft und Idealismus ich nur bewundern kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Unser Dank gilt allen, die dort unten für das Land und für die Menschen arbeiten. Meine Fraktion wird dem Mandat zustimmen. Ich würde mich freuen, wenn auch dieses Mandat, ebenso wie das UNAMID-Mandat, über das wir eben abgestimmt haben, eine breite Zustimmung im Parlament erfahren würde. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Süd-sudan, UNMISS. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11390, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 17/11037 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Abstimmungsurnen besetzt? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses abgestimmt? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.3 Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neue Struktur der Nationalen Anti Doping Agentur schaffen – Drucksache 17/11320 – Überweisungsvorschlag: Sportausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Doping an Olympiastützpunkten, Bundesleistungszentren und Bundesstützpunkten konsequent bekämpfen – Drucksachen 17/8896, 17/10083 – Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Martin Gerster Dr. Lutz Knopek Katrin Kunert Viola von Cramon-Taubadel Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Bevor wir mit der Debatte beginnen, bitte ich die lieben Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen, sofern sie an dieser Debatte teilnehmen wollen, oder die Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Lutz Knopek [FDP]) Dagmar Freitag (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute zwei Anträge, die ein gemeinsames Ziel haben: den Kampf gegen Doping glaubwürdiger und vor allen Dingen effektiver zu machen. Um es gleich vorweg zu sagen: Es gibt weitaus mehr Stellschrauben als nur die beiden, die heute im Mittelpunkt der Debatte stehen. Ich denke da nur an eine strikte Anti-Doping-Gesetzgebung, die mehr ist als nur ein Feigenblatt. Aber die Diskussion über dieses Thema kommt in absehbarer Zeit ebenfalls auf uns zu. Ich bin gespannt, ob sich Koalition und Bundesregierung dann auch einmal mit zielführenden Vorstellungen zu Wort melden oder weiter in Lethargie verharren. (Beifall bei der SPD) Der Kampf gegen Doping in unserem Land weist an den entscheidenden Stellen leider mehr Schwächen als Stärken auf. Wie kann es beispielsweise sein, dass der Leiter eines Olympiastützpunktes keine Ahnung hat, welche Blutanalysen an seinem Stützpunkt durchgeführt werden? So geschehen in Erfurt, wo im Auftrag der Ärzte Blutanalysen durchgeführt und von ihnen auch ausgewertet wurden, der OSP-Leiter aber leider keinen Überblick über die durchgeführten Untersuchungen hatte. Schlimm genug; aber Sie können es sich denken: Es geht noch schlimmer. Auf meine Frage an den Vorsitzenden des dortigen Trägervereins, ob man sich denn wenigstens nach den verbotenen Blutbehandlungen durch den Arzt Andreas Franke nunmehr darum kümmere und schaue, was mit den Blutuntersuchungen an diesem OSP geschieht, bekam ich in einer Sitzung die Antwort, er sei nicht gekommen, um solche Fragen zu beantworten. (Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Unerhört!) Dies war ein wahrlich beeindruckendes Zeugnis echter Nulltoleranzpolitik in Sachen Anti-Doping. Es lässt uns, wie ich finde, fassungslos auf eines der Kompetenzzen-tren im deutschen Spitzensport schauen. Und was, Herr Dr. Bergner, sagt das Bundesinnenministerium dazu, das auch diesen Olympiastützpunkt mit hohen öffentlichen Geldern fördert? Die Vermutung ist richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen: nichts. (Klaus Riegert [CDU/CSU]: Ein Blick ins Protokoll würde etwas anderes offenbaren!) Schauen wir auf ein anderes Kompetenzzentrum: die Nationale Anti Doping Agentur. Vor genau zehn Jahren aus der Taufe gehoben, hat sich dieses Pflänzchen aus vielerlei Gründen nur kümmerlich weiter- und in einigen Bereichen sogar zurückentwickelt. Gründe dafür gibt es reichlich. Ein ganz wesentlicher Grund, wenn auch nicht der einzige, liegt in der mangelnden finanziellen Ausstattung. Das der NADA zugrunde liegende Stiftungs-modell, liebe Kolleginnen und Kollegen, das die Stakeholder zwar mit Sitz und starker Stimme in den Gremien verankert, aber die von ihnen zu leistenden finanziellen Beiträge leider nicht verbindlich regelt, muss als gescheitert betrachtet werden. (Beifall bei der SPD) Einzig der Bund ist seinen Verpflichtungen nachgekommen, wenn auch mit abnehmender Tendenz. Diese Vorhaltung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, kann ich Ihnen nicht ersparen. Erst haben Sie den Zuschuss zum Stiftungskapital in Höhe von 1 Million Euro gestrichen, was sich im operativen Geschäft nicht sofort bemerkbar gemacht hat, aber natürlich ein Signal war, leider eines in die völlig falsche Richtung. (Beifall bei der SPD) In der Koalition war es bereits ausgemachte Sache, für 2013 weitere 1 Million Euro zu streichen. Nur massiver öffentlicher Druck und der weitgehend ergebnislose Runde Tisch des Herrn Bundesinnenminister haben Sie auf der Zielgeraden der Haushaltsberatungen dazu bewegt, diese Million wenigstens für 2013 wieder einzustellen. Eines will ich gerne einräumen: Ich teile durchaus die berechtigte Verärgerung von Innenminister Friedrich über den weitgehenden Ausfall der anderen Stakeholder. Lediglich die Firma Adidas hat sich mit einer nicht unerheblichen und vor allen Dingen gleichbleibenden Summe bislang als verlässlicher Kofinanzier aus den Reihen der Wirtschaft erwiesen. Deshalb empfehlen wir einen Blick über den Tellerrand. In vielen Staaten übernimmt das jeweilige Nationale Olympische Komitee einen durchaus beachtlichen -Finanzierungsanteil für die jeweilige Anti-Doping-Agentur. Swiss Olympic beispielsweise trägt mit umgerechnet 1,5 Millionen Euro jährlich zur Finanzierung der Schweizer Anti-Doping-Agentur bei. Und der Deutsche Olympische Sportbund als NOK Deutschlands? Gerade einmal 400 000 Euro ist es ihm wert plus 100 000 Euro für das Ergebnismanagement – ein Armutszeugnis verglichen mit den Zahlen aus der Schweiz oder mit den USA, wo der jährliche Beitrag des dortigen NOK immerhin bei umgerechnet 2,6 Millionen Euro liegt. Eine glaubwürdige Nulltoleranzpolitik – das muss sich der DOSB sagen lassen – sieht wirklich anders aus. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Zum finanziellen Beitrag der Bundesländer ist eigentlich alles gesagt: Da kam nichts, und da kommt nichts. (Martin Gerster [SPD]: Bis auf Baden--Württemberg!) – Bis auf Baden-Württemberg mit einem kleineren Beitrag; richtig, Herr Kollege Gerster. Wann, wenn nicht nach zehn langen Jahren, wollen wir endlich die Frage nach der Effektivität des derzeitigen Stiftungsmodells stellen? Wer sich dieser Frage nicht stellt, nimmt billigend in Kauf, dass die NADA in einem Jahr um diese Zeit wieder um ihre Finanzierung bangen, wenn nicht sogar betteln muss – mit all den bekannten Problemen wie Personalabbau und Verringerung der Kontrolle, um nur zwei Beispiele zu nennen. An dieser Stelle darf man sich schon über die Aussagen der NADA-Vorstandsvorsitzenden wundern, die sich kürzlich wiederholt öffentlich als Verfechterin des derzeitigen Stiftungsmodells zu erkennen gab. Tenor: Das Stakeholder-Modell mit Bund, Ländern, Sport und Wirtschaft habe sich bewährt, es befinde sich lediglich in einer Finanzierungsschieflage. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Alle Partner müssten dazu bewegt werden, Herr Dr. Bergner, ihren Beitrag zu leisten. Da kann ich nur sagen: Wohlan! Ich garantiere den Verantwortlichen der NADA: Mit dieser passiven Haltung stehen Sie in einem Jahr wieder vor der Frage, ob man mit den zur Verfügung stehenden Mitteln wenigstens einen Mindeststandard in der Doping-Bekämpfung einhalten kann. Mit anderen Worten: Same procedure as every year! (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Trotz des unbestreitbaren Misserfolgs des runden Tisches kommt Minister Friedrich offenkundig zu dem Schluss, dass alles am besten so bleibt, wie es ist. Mir ist jedenfalls kein anderer Gedankengang aus dem Hause BMI bekannt. Gleiches gilt, wie durch entsprechende Äußerungen bereits eindrucksvoll belegt, für die NADA – und für den Deutschen Olympischen Sportbund sowieso. Angesichts der Bedeutung einer wirklich starken NADA für einen sinnvollen und effektiven Kampf gegen Doping hält meine Fraktion dagegen eine Diskussion über die zukünftige Finanzierung und Struktur der NADA für unverzichtbar. (Beifall bei der SPD) Wir fordern daher die Bundesregierung auf, eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen, die zeitnah Vorschläge für eine neue Träger- und Finanzierungsstruktur der NADA erarbeitet. Es gibt keinen vernünftigen Grund, sich nach zehn schwierigen und teilweise quälenden Jahren dieser Diskussion zu verschließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es macht im Gegenteil viel Sinn, ergebnisoffen darüber zu diskutieren. Es gibt nichts zu verlieren, aber sehr viel zu gewinnen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nämlich im Idealfall eine starke, unabhängige und mutige NADA, die unbeirrt im Sinne der sauberen Sportler ihren Weg geht. Gerade kam eine Meldung herein: Das Urteil des Deutschen Sportschiedsgerichts in der Causa Erfurt, das von der NADA als richtungsweisend eingestuft worden ist, wird selbst vom Generalsekretär der DIS so nicht bewertet. Ich bin gespannt, welche Erklärungen Vertreter unserer NADA dafür morgen wieder liefern werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinne: Helfen Sie uns, eine starke NADA hinzubekommen. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Dann können wir diesen Weg gemeinsam gehen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Christoph Bergner. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Freitag, ich wundere mich ein wenig über die Rhetorik. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dagmar Freitag [SPD]: Macht nichts!) Es beginnt mit der Feststellung, dass die Anti-Doping-Gesetzgebung, die wir haben, nichts anderes als ein Feigenblatt sei. Sie wissen, dass diese Gesetzgebung jüngst durch eine Institution, die wir im Einvernehmen festgelegt haben, einer Evaluierung unterzogen wurde. Sie kennen das Evaluierungsergebnis; es spricht nun wirklich nicht von einem Feigenblatt. (Dagmar Freitag [SPD]: Das werden wir noch sehen!) Sie sagen, das Bundesinnenministerium habe zur Causa Erfurt nichts gesagt. Sie wissen, dass wir Ihnen einen umfänglichen Bericht dazu vorgelegt haben. Viel mehr will ich dazu nicht sagen. Im Zusammenhang mit diesem Punkt scheint mir immer noch nicht hinreichend verstanden worden zu sein, dass es hier nicht um irgendein Verdeckungsproblem ging, sondern um ein Qualifizierungsproblem im Rahmen des WADA-Codes, das den eigentlichen Konfliktpunkt hervorgerufen hat. Am meisten irritiert mich Ihre verspätete Geburtstagsrede zum zehnten Jahrestag der NADA. Hier ist von quälenden Jahren die Rede und davon, dass der NADA eigentlich nicht zu trauen sei. Ich weiß nicht, ob Sie wirklich Anlass haben, der NADA ein solches Etikett mitzugeben. Meine Damen und Herren, als ich den SPD-Antrag las, hatte ich eigentlich Ernsthafteres erwartet. Das Problem, das Sie dort ansprechen, nehmen wir durchaus ernst. Es ist das Problem, dass wir für die Anti-Doping-Arbeit der NADA bisher keine hinreichende nachhaltige Finanzierungssicherung liefern konnten. (Martin Gerster [SPD]: Was ist denn mit dem Runden Tisch? Da gibt es keine Ergebnisse!) Diese Finanzierungssicherung ist das eigentliche Problem. Ich frage mich, wie Sie es lösen wollen, wenn Sie damit die Strukturfrage verbinden. Vor zehn Jahren hatten Sie die Regierungsmehrheit. In dieser Zeit hat man sich aus guten Gründen dazu entschlossen, die NADA als eine privatrechtliche Stiftung einzuführen. Wie gesagt, dies geschah aus gutem Grund. Man wollte eine unabhängige Institution haben, (Beifall bei Abgeordneten der FDP) und zwar unabhängig gegenüber dem Sport, aber auch gegenüber dem Staat; denn natürlich sind Interessenkonflikte denkbar. (Klaus Riegert [CDU/CSU]: Auch gegenüber der Ausschussvorsitzenden!) Ich kann mir sogar Zeitungskommentare dergestalt ausmalen, dass der Staat als Träger von Sportfördergruppen und damit mit besonderen Beziehungen zu bestimmten Athletinnen und Athleten bei einer rein staatlichen -Finanzierung und der damit verbundenen staatlichen Abhängigkeit unter Umständen einen unredlichen Einfluss ausübt. Ich glaube, man hat sich vor zehn Jahren aus guten Gründen und nicht zuletzt um der Unabhängigkeit willen für ein privatrechtliches Stiftungsmodell entschieden. Hier deckt sich meine Aussage vollkommen mit dem, was die Vorstandsvorsitzende Gotzmann gesagt hat. Wenn wir über den Tellerrand schauen, dann dürfte uns auch auffallen, dass von den führenden Sportnationen sehr viele genau dieses privatrechtliche Stiftungsmodell für ihre nationalen Anti-Doping-Agenturen verwenden. Ich will nur auf die USA hinweisen, wo sich dieses Modell im Zusammenhang mit der Causa -Armstrong – das war eine sehr lange und sehr mühselige Aufklärungsarbeit – als ausgesprochen erfolgreich erwiesen hat. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben nichts Ähn-liches in Deutschland hinbekommen!) Worum geht es also? Es geht um die Sicherstellung einer nachhaltigen Finanzierung. Auch in diesem Zusammenhang bitte ich um eine redliche Argumentation. Wir haben die Mittel nicht gestrichen, sondern wir haben uns seinerzeit, im Jahr 2007, als wir gemeinsam eine Koalition gebildet haben, gemeinsam darauf verständigt, dass wir zusätzliche Stiftungsmittel einstellen und eine Anschubfinanzierung für die Sportverbände zur Verfügung stellen, damit sie den zusätzlichen Anforderungen, die mit einer vermehrten Probenahme verbunden sind, gerecht werden können. Diese Anschubfinanzierung war von vornherein begrenzt. Im Grunde genommen war sie schon im laufenden Haushalt nicht mehr vorgesehen. Es ist bedauerlich, dass wir vonseiten des Bundes aufgrund der Tatsache, dass sich andere verweigert haben, nachliefern mussten. (Dagmar Freitag [SPD]: Aber das zeigt doch das Scheitern!) Wir sollten uns auf den eigentlichen Anlass zur Besorgnis, auf den verbesserungsbedürftigen Sachverhalt, konzentrieren. Das ist der Umstand, dass der Bund im Rahmen des Stakeholder-Modells bisher fast ausschließlich die Finanzierungsleistung erbringt. Die Bundes-regierung hat sich nachdrücklich bemüht, diesbezüglich zu einer entsprechenden Erweiterung zu kommen. Sie wissen, dass wir in der Sportministerkonferenz und am runden Tisch dafür geworben haben. Ich will den Landesregierungen von Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern sowie der Otto Bock GmbH, die im Ergebnis dieses Prozesses zusätzliche Mittel bereitgestellt haben, ausdrücklich danken. (Martin Gerster [SPD]: Jämmerlich! Unzureichend! – Dagmar Freitag [SPD]: 7 000 Euro!) – Ich bitte Sie, sich verantwortungsbewusst zu verhalten und darüber nachzudenken, welche Zwischenrufe Sie hier gerade produzieren: „Jämmerlich!“, „Unzureichend!“ (Martin Gerster [SPD]: Das ist so!) Wenn Sie eine vollständig staatlich finanzierte NADA haben wollen, dann liegt die Finanzierung im Ermessen des jeweiligen Haushaltsgesetzgebers, und zwar ausschließlich. Sie geben mit dieser Veränderung ein wesentliches Stück der Unabhängigkeit und der sachgerechten Bearbeitung im Anti-Doping-Kampf auf; denn es geht ja um die Durchsetzung und Überwachung sportrechtlicher Regelungen. Deshalb bitte ich Sie ausdrücklich: Würdigen Sie die Leistungen der NADA in den letzten zehn Jahren. Sie ist international anerkannt. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland eine beispielgebende Nationale Anti Doping Agentur. Sie hat international eine Vorbildfunktion. Lassen Sie uns gemeinsam dafür werben, dass diese Institution auch in ihrer Unabhängigkeit eine angemessene Förderung durch alle Stakeholder erfährt. (Dagmar Freitag [SPD]: Das war ja sehr -erfolgreich in der Vergangenheit!) Das ist die eigentliche Lösung des Problems und nicht ein Systemwechsel in Richtung Verstaatlichung der NADA. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolutionen 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und 2057 (2012) vom 5. Juli 2012“ mitteilen: abgegebene Stimmen 563. Mit Ja haben gestimmt 496, mit Nein haben gestimmt 65, Enthaltungen 2. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 561; davon ja: 494 nein: 65 enthalten: 2 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Frank Hofmann (Volkach) Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Ottmar Schreiner Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Uta Zapf Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Sylvia Canel Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Gabriele Molitor Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Heike Hänsel Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Neškovi? Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann Enthalten SPD Petra Hinz (Essen) DIE LINKE Paul Schäfer (Köln) Nun erteile ich Kollegen Jens Petermann für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jens Petermann (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mafiöse Strukturen und systematisches Doping im Sport gehen Hand in Hand. Besonders exemplarisch und spektakulär ist der Fall Armstrong, der die Sportwelt in den vergangenen Wochen und Monaten wie kaum ein anderes Ereignis erschütterte. Der Abgrund – er wurde von vielen kundigen Beobachtern der Szene bereits seit langem vermutet – ist jetzt sichtbar. Die Tragweite ist bislang noch unklar. Sportfunktionäre, insbesondere bei der Internationalen Radsport-Union, ringen förmlich nach Luft. Hier geht es nicht nur um das tragische Schicksal einer einzelnen Person. Hinter dem Skandal Armstrong steckt ein ganzes System aus Sportärzten, Sportfunktionären, Sportlern und Geschäftsleuten. In besonders erschreckendem Ausmaß zeigt sich, wie mit Doping im Sport skrupellos Geschäfte gemacht werden. Die Kommerzialisierung des Sports ist eine wesentliche Ursache für ein betrügerisches Dopingsystem, das offensichtlich im Alltag der Sportwelt einen festen Platz hat. Das gibt uns allen, die ein Herz für den Sport haben, zu denken. Lassen Sie uns also das zum Anlass nehmen, um über Parteigrenzen hinweg nach Lösungen zu suchen. Ein wesentliches Moment ist die Verfolgung und Aufklärung von Dopingdelikten. Leider – das ist hier schon angeklungen – können wir mit der NADA, wie sie derzeit aufgestellt ist, keinen Staat machen. Die Aufdeckung des Falls Armstrong wäre wohl nie gelungen, wenn die US-Anti-Doping-Agentur nicht so einen langen, vor allem finanziellen, Atem gehabt hätte. Herr Bergner, da haben Sie völlig recht. Bereits 2003 hatte die US-amerikanische Anti-Doping-Agentur Einnahmen von über 10 Millionen US-Dollar, übrigens deutlich mehr als die Hälfte aus Zuwendungen des Staates. Das jährliche Gefeilsche im Sportausschuss um 1 Million Euro ist vor diesem Hintergrund wirklich lächerlich und ein Armutszeugnis. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Zentrum der Lösungen, nach denen wir gemeinsam suchen sollten, muss aus unserer Sicht vor allem eine Verbesserung der Prävention stehen. Doping ist kein alleiniges Phänomen des Spitzensports. Doping ist leider auch im Jugend- und Breitensport weit verbreitet. Hier geht es neben der Moral vor allem auch um die Gesundheit Tausender Menschen. Nierenschäden, Herzschwäche, Hautveränderungen und Veränderungen der Geschlechtsmerkmale sind nur einige der Nebenwirkungen, die insbesondere auf Anabolikamissbrauch zurückzuführen sind. Bereits Jugendliche müssen über die Gefahren für Leib und Leben aufgeklärt werden. Vielver-sprechende Ansätze wie beispielsweise die jährlich stattfindende Regionalkonferenz „Dopingprävention“ der Deutschen Sportjugend müssen zu einem flächendeckenden Angebot weiterentwickelt werden. (Beifall bei der LINKEN) Dass diese Angebote Geld kosten, ist klar. Weitere Investitionen sind also unausweichlich. In der Pflicht steht dabei vor allem der Bund. Die Bundesregierung schreibt sich in ihrem letzten Sportbericht eine Vorreiterrolle zu. Das finanzielle Engagement indes ist überschaubar und steht in keinem Verhältnis zu den Herausforderungen, die der Anti-Doping-Kampf mit sich bringt. Die Bundesregierung hat sich damit ein echtes Glaubwürdigkeitsproblem geschaffen. Die Lippenbekenntnisse des Innenministeriums sind für die Galerie und helfen nicht weiter. Besonders pikant wird das Ganze, wenn wir zeitgleich erfahren müssen, dass es an der Bereitschaft zur Aufarbeitung mangelt. Aktuelles Beispiel hierfür ist ein Forschungsprojekt über Doping in Deutschland, das 1950 vom Deutschen Olympischen Sportbund initiiert und vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft beauftragt und gefördert wurde, nun aber offensichtlich nicht beendet werden kann. Das Bundesministerium des Innern und der Deutsche Olympische Sportbund schieben nun den beauftragten Wissenschaftlern den Schwarzen Peter zu. Diese hatten aller-dings schon bei der Vorstellung des Zwischenberichts im Jahre 2011 regelwidrige Einflussnahmen durch die Auftraggeber beklagt. Mit dem Mittel der Zensur soll durch Schwärzungen Rücksicht auf prominente Namen aus Sport und Politik genommen werden. Im Sportausschuss wurde das Thema leider auf Mitte Januar verschoben. Dies ist völlig unverständlich. Dies ist ein typischer Fall für brutalstmögliche und zügige Aufklärung. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – So bekommen wir jedenfalls das Thema Doping nicht in den Griff. Die Verantwortlichen müssen endlich ehrlich, unvoreingenommen und ohne politische Rücksichtnahme handeln. Sonst wabert über dem deutschen Anti-Doping-Kampf weiterhin ein Nebelschleier der Scheinheiligkeit. Danke. Frau Präsidentin, ich bin jetzt fertig. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wie schön. – Das Wort hat der Kollege Dr. Lutz Knopek für die FDP-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Dr. Lutz Knopek (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Antrag der SPD wird zu Recht festgestellt: Doping gefährdet die Grundwerte des Sports und zerstört ihn somit in seiner Substanz. – Dem können wir als Sportpolitiker alle zustimmen. (Dagmar Freitag [SPD]: Das ist schon einmal ein guter Anfang!) Es ist klar – Herr Petermann hat es angesprochen –, dass der Kampf gegen Doping eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung ist. Der Breitensport, die Schulen, die Familien: sie alle sind im Kampf gegen Doping gefordert. Es heißt in dem Antrag: Größtes Problem der NADA ist die mangelhafte finanzielle Ausstattung. Da müssen wir uns in Erinnerung rufen, wie es zur Gründung der NADA kam: Nachdem das IOC, als im Zusammenhang mit der Vergabe der Olympischen Winterspiele 2002 in Salt Lake City der Verdacht der Korruption aufgekommen war, eine heftige Krise durchlebt hatte, gab es die World Conference on Doping, es gab die Deklaration von Lausanne, und es folgte 1999 die Gründung der WADA und dann, drei Jahre später, der NADA. Herr Bergner hat ganz richtig gesagt: Es gibt gute Gründe dafür, dass die NADA die Struktur hat, die sie hat; denn für uns hat die Autonomie des Sports einen ganz hohen Stellenwert. Gerade nach den Erfahrungen mit dem Staatsdoping der DDR müsste doch eigentlich klar sein, dass eine staatliche Anti-Doping-Agentur nicht automatisch die Lösung aller Probleme sein muss. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb ist die NADA nach dem Stakeholder-Modell aufgebaut, deshalb haben wir eine privatrechtliche Stiftung. Das war 2002 eine Entscheidung der rot-grünen Koalition, (Dagmar Freitag [SPD]: Das ist richtig!) und diese Entscheidung ist grundsätzlich richtig gewesen. Als Stiftungskapital waren ursprünglich 80 Millionen Euro angesetzt. (Dagmar Freitag [SPD]: Und zwar vom Bund!) Geworden sind daraus nur gut 6 Millionen Euro. Die Länder haben eine traurige Rolle gespielt: Sie haben gerade einmal 1 Million Euro beigesteuert. Die Beteiligung der Wirtschaft ist erst recht beschämend: Da kamen initial gerade einmal 150 000 Euro zusammen. Die Rolle des Bundes sollte eigentlich nur aus einer Anschubfinanzierung bestehen. Aktuell kommen aber ungefähr 85 Prozent des Stiftungskapitals vom Bund. Die NADA war also von Anfang an unterfinanziert. Jetzt kommt ein weiteres Problem dazu: Das Stiftungskapital verzinst sich kaum. Dieser Vorwurf betrifft Herrn Draghi und die Nullzinspolitik der EZB; wir Sportpolitiker können nichts dagegen machen. (Dagmar Freitag [SPD]: Auch 5 Prozent Zinsen würden nicht helfen!) Grundsätzliche Überlegungen für die Zukunft sind also sinnvoll. Fürs Erste ist die Finanzierung gesichert: Der Bund zahlt noch einmal 1 Million Euro; vielen Dank. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie geht es im nächsten Jahr weiter? Sitzen wir dann wieder hier und debattieren?) Nun sind die Länder und die Wirtschaft gefragt. Ein Dank geht an Baden-Württemberg dafür, dass Baden-Württemberg – sicherlich durch einen grünen Impuls – (Martin Gerster [SPD]: Durch einen roten Impuls!) – durch einen grün-roten Impuls – eine Vorreiterfunktion eingenommen hat. Die anderen Länder müssen nachfolgen. Aber auch die Wirtschaft muss sich wesentlich mehr engagieren. Ich finde es klasse, wenn die Firma Adidas und die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände vorangehen. Das ist nicht das klassische Sponsoring, bei dem man unmittelbar einen positiven Pro-dukteffekt hat; aber es steht einer verantwortungsvollen Sportindustrie gut zu Gesicht, sich hier mehr zu engagieren. Ich vertraue dem, was der neue Vorsitzende des Aufsichtsrates der NADA, Professor Näder, vor einigen Monaten bei uns im Sportausschuss gesagt hat: dass er sich als Mann aus der Wirtschaft noch einmal um Unterstützung aus der Wirtschaft kümmern wird. – Ich bin mir sicher, hier wird sich etwas tun. Es hat in der NADA aber auch organisatorische Anlaufschwierigkeiten gegeben. Als wir gestern im Sportausschuss den Anti-Doping-Bericht 2011 diskutiert haben, haben wir darüber gesprochen. Die Implemen-tierung der Anti-Doping-Regularien war schwierig. Es geht um 60- bis 70-seitige Regelwerke und 57 vom Bund geförderte Verbände. Darunter befinden sich auch kleinere Verbände mit ehrenamtlichen Strukturen. Dies hat einer aufwendigen persönlichen Beratung bedurft. Mittlerweile gibt es gemeinsam mit dem DOSB Schulungen und eine E-Learning-Plattform. Es geht also voran. Dennoch ein weiterer Appell an die Länder: Die bürokratischen Hürden müssen abgebaut werden; denn – Herr Petermann sagte es – die Prävention ist hier ganz besonders wichtig. Präventionsveranstaltungen sind aber Aufgabe der Länder. Die NADA hat also einen schwierigen Start gehabt, leistet inzwischen aber gute Arbeit. Die SPD fordert nun die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission. Dazu kann ich nur sagen: noch eine Kommission. (Zuruf von der SPD: Hätte gute Ergebnisse bringen können!) Kommen wir zum zweiten Antrag. Sie sprechen vom Erfurter Skandal. In Ihrem Antrag heißt es: Medienberichten zufolge soll es am Olympiastützpunkt Thüringen zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein. Medienberichte? Was ist denn das für eine Evidenz? Statt über Medienberichte zu reden, sollten wir lieber in Ruhe die Untersuchungsergebnisse abwarten und dann angemessen entscheiden. Was war denn das überhaupt für ein Skandal? Es ging um eine Eigenblutinfusion. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist verboten!) 50 Milliliter Blut wurden dem Körper entnommen, danach mit UV-Licht bestrahlt und dann dem Körper wieder zugeführt. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen ganz genau, dass das verboten ist!) Kein einziger der führenden Hämatologen kann sich hier das Potenzial eines leistungssteigernden Effektes vorstellen. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ein Verstoß! Punkt! Es ist verboten!) Die Sache war also vielleicht formal relevant, aber hier ist keinerlei leistungssteigernder Effekt abzusehen. (Beifall des Abg. Joachim Günther [Plauen] [FDP]) Es ist also ein Problem, dass es hier zu Quacksalberei kommt, die man sonst nur bei Heilpraktikern erlebt. Wie ist es eigentlich um die medizinische Qualität der Sportmedizin an unseren Olympiastützpunkten bestellt? Für mich ist der eigentliche Skandal: Wird so ein Humbug etwa durch Steuergelder bezahlt? (Dagmar Freitag [SPD]: Auch! Schlimm genug!) Kommen wir zu den Forderungen in Ihrem Antrag. Das sind die üblichen Appelle, gemischt mit einer Prise Heuchelei und leider auch mit einer sehr fragwürdigen Forderung: Alle Sportler und Sportlerinnen, die in Stützpunkten trainieren, müssen frei von jeglichem Dopingverdacht sein. Entscheidet also der bloße Verdacht – egal von wem erhoben, egal ob begründet? Das erinnert mich doch etwas an die Denkweise totalitärer Systeme. Sie sagen, für eine effektive Dopingbekämpfung sei eine nachhaltige und ausreichende Finanzierung unabdingbar. Das ist richtig. Wir arbeiten daran. Darüber dürfen wir aber nicht vergessen, dass die NADA inzwischen gute Arbeit leistet. Wir sollten das unterstützen und nicht infrage stellen. Die FDP-Fraktion lehnt daher beide Anträge ab. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Viola von Cramon-Taubadel hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines vorweg: Die Debatte um die NADA-Finanzierung ist eine Farce. Wie in jedem Jahr beschließen Sie, Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, in einer Hauruckaktion, der NADA ein weiteres Mal 1 Million Euro zuzuschießen. (Joachim Günther [Plauen] [FDP]: Habt ihr früher auch gemacht!) Damit beheben Sie aber das Grundproblem des Anti-Doping-Kampfes nicht. (Gisela Piltz [FDP]: Das haben wir ja von Ihnen geerbt!) Die NADA ist chronisch unterfinanziert und kehrt auch mit einer zusätzlichen Million nur zum Finanzierungsstand des Vorjahres zurück. Der tatsächliche Fehlbedarf liegt bei 1,35 Millionen Euro. Herr Knopek, Sie sagen, dass Sie auf die Otto Bock HealthCare GmbH hoffen. Das ist ein Mittelständler im Eichsfeld. Er soll sich jetzt dafür einsetzen, den Anti-Doping-Kampf in Deutschland zu reanimieren. Man muss wirklich sagen: Das ist ein absoluter Witz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Er ist doch Aufsichtsratsvorsitzender! Warum soll er das nicht machen?) Warum der Hilfeschrei der NADA für den notwendigen Mittelaufwuchs erst so spät erfolgte, versteht allerdings auch niemand. Gegenfinanziert wird diese Million übrigens aus dem Traineretat, einer Gruppe – die Trainer –, die über die Gründung des Trainerbeirats eigentlich gestärkt und nicht geschwächt werden sollte. Wir Grüne plädieren für Planungssicherheit und haben deshalb einen zukunftsfähigen Vorschlag vorgelegt, der auch den Spitzensport selbst nicht verschont. Aus Sicht der Grünen ist es unerlässlich, einen Teil der Mittel für die Spitzensportförderung in den Anti-Doping-Kampf zu stecken. Wenn der Sport beweisen will, dass er sauber ist und dass ihm die Dopingbekämpfung ein echtes Anliegen ist, dann spricht nichts dagegen, automatisch 5 Prozent der Förderung für Dopingbekämpfung, für Prävention und für Anti-Doping-Forschung auszugeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum Vergleich: In Frankreich sind es sogar 10 Prozent. Die Koalition aber hat sich diesem Vorschlag verweigert. Ich sage Ihnen voraus – auch das hat Frau Freitag eben schon erwähnt –: Wir werden in einem Jahr wieder hier sitzen, um über die Unterfinanzierung der NADA zu debattieren. Mit der jetzigen Zahlung zeigt die Koalition allerdings keinen Großmut, im Gegenteil. Sie stellen doch mit Ihrer Last-Minute-Episode nur eines unter Beweis: Der Runde Tisch des Innenministers vom Februar ist endgültig gescheitert. Anstatt die Länder zum Zahlen zu bewegen, bringt der Herr Minister diese mit seinem Vorgehen gegen sich auf. Nur das grün-rot-regierte – ich hätte auch fast rot-grün gesagt – Baden-Württemberg zeigt Flagge (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) und zahlt 128 000 Euro für drei Jahre. Wo ist denn der Beitrag des CSU-regierten Bayern? Ich frage Sie. Allerdings hat sich auch die NADA sonst nicht mit Ruhm bekleckert. Während in den USA das Denkmal Armstrong durch kluge Ermittlungen, aber auch mit Unterstützung der WADA gestürzt wurde, freut sich die NADA hier, wenn die Verfahren vom Deutschen Sportschiedsgericht folgenlos eingestellt werden. (Klaus Riegert [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie Äpfel mit Birnen verglichen!) – Ich habe nicht Äpfel mit Birnen verglichen. Wir haben hier eine NADA, und wir haben dort eine unabhängige USADA. Beide könnten das Gleiche leisten. Wir haben hier Versagen, dort gibt es Erfolge. Das ist die Wahrheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir halten fest: Es gibt ständig Personalwechsel bei der NADA. Ab 2011 hätte die NADA eine Chance für personelle Kontinuität gehabt, aber eine engagierte kommissarische Geschäftsführerin wurde abgewatscht, Querdenker oder investigatives Personal wurden nicht eingestellt. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren. In der Causa Erfurt ist die NADA jedes Mal einen Schritt zu spät: zu späte Akteneinsicht, zu spätes Einleiten der Ermittlungen. Anschließend überwirft sie sich auch noch mit der WADA. Das wenig wirksame Kontrollsystem krankt an Ineffizienz. Obwohl seit mehreren Jahren Blutkontrollen durch die NADA eingelagert werden und somit zur weiteren Verwendung zur Verfügung stehen, wurde immer noch kein indirekter Nachweis durch die Sportverbände geführt. Das ist das gängige Prinzip bei der Dopingbekämpfung in Deutschland. Man betrachtet sich selbst als die Spitze der Bewegung beim Anti-Doping-Kampf. Aber tatsächlich trägt man die rote Laterne. Die Bundesregierung hat bislang kein Konzept zur Qualitätsverbesserung vorgelegt. Sie kritisiert lieber die WADA, anstatt vor der eigenen Haustür zu kehren. Und mal ganz ehrlich: Wir wissen doch jetzt schon, was bei Professor Jahn und seiner Evaluierung des Arzneimittelgesetzes rauskommen wird. In der Evaluierung wird der Spitzensport gar nicht aufgegriffen. Wir beschäftigen uns dort mit dem Breitensport. Das, was Sie dazu in Auftrag gegeben haben, ist doch ein Witz; das kann man gar nicht anders sagen. Für mich steht fest: Die besten Dopingbekämpfer -sitzen außerhalb der NADA, wie zum Beispiel das Ehepaar Berendonk/Franke, der Präventionsexperte Gerhard Treutlein oder auch der Sportmediziner Perikles Simon. Daher bleibt das Fazit: Die NADA ist seit 2002 in den Startblöcken stecken geblieben. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Klaus Riegert für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Klaus Riegert (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundespräsident Gauck hat gestern bei der Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes überraschenderweise auch den Kampf gegen Doping gewürdigt und ausdrücklich der NADA für ihre gute Arbeit gedankt. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist auch kein Sportexperte!) Ich glaube, das ist der richtige Ansatz, das Ganze anzupacken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben hier Einigkeit im Kampf gegen Doping, das ist ja richtig. Aber zum SPD-Antrag zur Unzeit kann ich nur sagen: unsolidarisch. Wir bauen auf Länder, Wirtschaft und Sport Druck auf, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Wir haben vor zehn Jahren mit den Ländern, der Wirtschaft und dem Sport ein Stakeholder-Modell als gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Dopingbekämpfung verabredet. Bisher ist nur der Bund seinen Verpflichtungen nachgekommen. Er hat rund 11 Millionen Euro ins Stiftungskapital gegeben und hat im Haushaltplanentwurf für 2013 2,2 Millionen Euro in Ansatz gebracht. Hinzu kommt 1 Million Euro heute – ich hätte beinahe gesagt: in der Nacht der langen Messer – durch den Beschluss des Haushaltsausschusses bei der Bereinigungssitzung. In Ihrem Antrag lese ich dann: Doch auch die Mittel des Bundes sind von der derzeitigen Bundesregierung gekürzt worden, so dass schon in diesem Jahr nur durch zusätzliche Mittel, die im Rahmen der Haushaltsberatungen nachträglich eingestellt wurden, der geordnete Betrieb der NADA für 2013 aufrecht erhalten werden kann. (Martin Gerster [SPD]: Genau so ist es!) Der erste Punkt: Das ist nicht korrekt, weil es immer um eine Anschubfinanzierung ging. Es war von Beginn an klar, dass diese Anschubfinanzierung nach vier Jahren ausläuft. (Dagmar Freitag [SPD]: Aber dann ist doch noch weniger Geld da!) Der zweite Punkt: Es ist für Sie als Abgeordnete wirklich erbärmlich: Wir dringen auf das Königsrecht des Parlaments, das Haushaltsrecht. Die Haushaltsberatungen finden im Augenblick statt. Auf unseren Antrag hin wird 1 Million Euro zusätzlich eingestellt. Das aber diskreditieren Sie mit Ihrem Antrag. Das, was Sie da machen, ist völlig unmöglich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schauen wir, was noch in Ihrem Antrag steht. Sie schreiben: Dies ist nicht hinnehmbar, da eine glaubwürdige Dopingbekämpfung nur von einer starken, unabhängigen und finanziell dauerhaft auf sicheren Füßen stehenden NADA geführt werden kann. Was ist Ihre Antwort darauf? Die Einsetzung einer Expertenkommission. Ich lache mich ja kaputt. Sie hätten wenigstens ehrlich sein und schreiben können: Alles soll verstaatlicht werden, der Bund soll alles zahlen, auch wenn das zulasten des Sports im Haushalt geht. Mit der Unabhängigkeit ist es vorbei. Die Verantwortungen sind damit verlagert. Der Sport wird aus seiner Verantwortung entlassen. – Wenn Sie das wollen, dann sollten Sie das auch so in den Antrag schreiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Frau Vorsitzende, ein Wort zur Unabhängigkeit. Sie beklagen, die NADA habe nicht den nötigen Biss. Wir hätten von Ihnen als neutrale Vorsitzende des Sportausschusses und auch als Mitglied des Aufsichtsrats der NADA nicht erwartet, dass Sie der NADA in dieser Form in den Rücken fallen. Wir erwarten, dass Sie sich bei solchen politischen Themen etwas neutraler verhalten und vor allem auch sachgerechter äußern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Oder zurücktreten! – Dagmar Freitag [SPD]: Schauen Sie sich die neuesten Meldungen an!) Zu Ihrem zweiten Antrag. Schon die Überschrift ist verräterisch: „Doping an Olympiastützpunkten, Bundesleistungszentren und Bundesstützpunkten konsequent bekämpfen“. Das wirkt so, als ob Sie davon ausgingen, dass an unseren Zentren, die überwiegend aus Steuergeldern finanziert werden, in hohem Maße gedopt wird. (Martin Gerster [SPD]: Das ist eine bösartige Unterstellung!) Dann vergleicht die Frau von Cramon-Taubadel den Fall Armstrong, bei dem über Jahre nachgewiesener-maßen knallhart gedopt wurde, mit der Causa Erfurt. Das haben Sie gerade in Ihrer Rede gemacht. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau!) Man muss aber der Öffentlichkeit erzählen, was dort genau passiert ist. Der Kollege Knopek hat das vorgemacht. (Martin Gerster [SPD]: Eine öffentliche Ausschusssitzung ist notwendig!) Wir sind zwar beim Thema Heilpraktiker und der Qualität ihrer Arbeit geteilter Meinung, aber ansonsten hat er es zutreffend geschildert: 50 Milliliter Blut wurden mit UV-Licht bestrahlt und dann zurückinjiziert. Nur: Sieht so knallhart verdecktes Doping in diesem Fall aus? Der zuständige Arzt hat dieses Verfahren auf einem medi-zinischen Bogen vermerkt. Diese Maßnahme wurde dann auch entsprechend abgerechnet, und zwar mit 17,50 Euro. Das in einen Zusammenhang mit konspirativem Doping zu stellen, das ist schon ziemlich weit hergeholt. (Beifall des Abg. Eberhard Gienger [CDU/CSU]) Jetzt hat das Deutsche Sportschiedsgericht hierzu eine Entscheidung getroffen. Solange der CAS keine andere Entscheidung getroffen hat, können Sie hier nicht behaupten, diese Maßnahme sei verboten. Das ist definitiv erst ab dem Jahr 2012 ganz klar vom WADA-Code erfasst. Vorher kann man den Sportlern keinen Vorwurf machen. Deshalb lassen Sie uns wieder ein Stück weit ruhiger diskutieren. Wir brauchen die NADA. Die NADA hat sich zum Kompetenzzentrum für Dopingbekämpfung in Deutschland entwickelt, ist international anerkannt, hat den WADA-Code, entsprechende Vorgaben und Richtlinien durchgesetzt. Deswegen lassen Sie uns hier nicht so (Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Emotional!) emotional diskutieren, sondern wieder zu den Fakten zurückkehren. Sie werden Verständnis dafür haben, dass wir beide Anträge von Ihnen ablehnen. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11320 an den Sportausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Sportausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Doping an Olympiastützpunkten, Bundesleistungszentren und Bundesstützpunkten konsequent bekämpfen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10083, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8896 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dagegen haben SPD und Grüne gestimmt. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung – Drucksache 17/9874 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/11388 – Berichterstattung: Abgeordnete Ansgar Heveling Burkhard Lischka Christian Ahrendt Halina Wawzyniak Jerzy Montag b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – zu dem Antrag der Fraktion der SPD Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung – zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einsetzung einer Expertenkommission zur Sicherungsverwahrung – Drucksachen 17/8760, 17/7843, 17/11388 – Berichterstattung: Abgeordnete Ansgar Heveling Burkhard Lischka Christian Ahrendt Halina Wawzyniak Jerzy Montag Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Verabredet ist, eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Der Kollege Christian Ahrendt hat das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Christian Ahrendt (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute abschließend über die Umsetzung des Abstandsgebotes und schließen damit die Reform der Sicherungsverwahrung ab, die 2010 begonnen hat. 2010 haben wir die Sicherungsverwahrung zuerst durch die Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung und mit dem Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung reformiert. Jetzt folgt – schon damals angelegt – das Therapieunterbringungsgesetz, mit dem wir das Abstandsgebot rechtlich verankern. Damit setzen wir das Gesamtkonzept um, das das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom Mai 2011 verlangt. Wir können feststellen: Mit dieser Reform haben wir erstens erreicht, dass das Recht der Sicherungsverwahrung wieder auf verfassungsmäßig festem Boden steht, und zweitens, dass die Sicherheit für die Menschen in Deutschland effektiver und besser geworden ist, insbesondere was den Schutz vor gefährlichen Straftätern angeht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Für diese Arbeit möchte ich mich bei der Justizministerin und ihrem Ministerium, aber auch bei den Kollegen von der Koalition bedanken. Diesem schwierigen Gesetz sind sehr umfassende, aber auch sehr konstruktive Beratungen vorausgegangen. In der gestrigen Beratung im Rechtsausschuss hat auch die Opposition anerkannt, dass das, was wir mit dem Abstandsgebot umsetzen, vernünftig und richtig ist und sich exakt an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientiert. Trotzdem gibt es eine Restkritik, die hier nicht unerwähnt bleiben soll, und zwar einfach deshalb, weil sie uns in der nächsten Zeit noch beschäftigen wird. Ich möchte daher einen kleinen Rückblick auf das wagen, was uns Probleme beim Recht der Sicherungsverwahrung bereitet hat. Wir haben 1998 den ersten Fehler gemacht, als die Zehnjahresfrist abgeschafft wurde und Personen, die bereits in Sicherungsverwahrung waren, längere Zeit in Sicherungsverwahrung geblieben sind. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dies 2009 wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsgebot im Grunde genommen kassiert. Die Folge dieser Entscheidung war, dass wir nach 2009 Straftäter entlassen mussten, die auf ein Leben in Freiheit nicht vorbereitet und nicht therapiert waren. Teilweise waren sehr umfangreiche Polizeimaßnahmen erforderlich, um die betreffenden Straftäter zu überwachen und die Bevölkerung zu schützen. Ein weiterer relevanter Punkt war 2004 die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach einer grausamen Straftat in Neumünster und dem aus dem Jahr 2001 stammenden allbekannten Satz: „Wegschließen – und zwar für immer!“ Auch die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung hat beim Bundesverfassungsgericht auf dem Prüfstand gestanden. Damit bin ich genau an der Schnittstelle, die uns sicherlich in den kommenden Debatten noch beschäftigen wird, nämlich bei der Frage: Ist nach wie vor eine nachträgliche Sicherungsverwahrung auch unter Beachtung des Abstandsgebotes zulässig? Wenn man heute die Pressemeldungen liest und die Äußerungen der Landesjustizminister zur Kenntnis nimmt, dann hat man das Gefühl, dass wir eine Debatte im Bundesrat vor uns haben, die ich, auch wenn ich den Antrag der SPD sehe, für durchaus gefährlich halte – gefährlich deswegen, weil wir es, wie ich eingangs gesagt habe, geschafft haben, das Recht der Sicherungsverwahrung wieder auf einen verfassungsmäßig festen Boden zu stellen. Wenn wir uns aber wieder auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung oder die nachträgliche -Therapieunterbringung, um den aktuellen Begriff zu verwenden, hinbewegen, dann geben wir diesem Gesetz im Grunde genommen die Verfassungswidrigkeit schon wieder mit auf den Weg. (Zuruf von der SPD: Nein! – Burkhard Lischka [SPD]: Das ist ein Märchen! – Gegenruf des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sicher! Genau das ist es!) Wenn wir nicht das wollen, was 2009 passiert ist, nämlich dass wir irgendwann eine Anzahl von Straftätern entlassen müssen, dann sollten wir tunlichst davon ab-sehen. Ich will Ihnen die Gründe nennen, warum ich das für den falschen Weg halte. Der erste Grund ist: Wenn man sich die Praxis anschaut, dann stellt man fest, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Grunde genommen zu vernachlässigen gewesen ist. (Burkhard Lischka [SPD]: Es gibt doch die Fälle!) Derzeit gibt es gerade einmal 15 Fälle von 500, die davon betroffen sind. (Burkhard Lischka [SPD]: Ja, eben!) Es sind in den Jahren seit 2004 über 115 Fälle von den obersten Gerichten abgelehnt worden, für die nachträgliche Sicherungsverwahrung beantragt worden ist. Der zweite Grund betrifft ein Problem, das mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu tun hat. Um überhaupt in die Nähe einer nachträglichen Therapieunterbringung zu kommen, braucht man das Drohen einer spezifisch konkreten Straftat. Das betrifft nicht die ferne Zukunft, nicht einen Zeitraum von zwei, drei -Monaten, sondern es handelt sich um wenige Tage, bevor so etwas passiert. Damit ist eigentlich schon aus-geschlossen, dass Sie überhaupt eine nachträgliche Therapieunterbringung mit einem vernünftigen Rahmen in das Gesetz bekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat noch eine weitere Voraussetzung formuliert: Das ist die psychische Störung. Alles zusammengenommen zeigt die Schwierigkeit, dieses Rechtsgebiet zu regeln. Deswegen haben wir im Konzept 2010 das getan, was uns als richtiger Weg vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden ist. Das ist der Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung; denn damit erreichen wir mehrere Ziele. Die Gefährlichkeit des Täters wird durch seine Tat sichtbar. Sie ist sichtbar, wenn sie abgeurteilt wird. Anhand dessen, was der Richter zum Zeitpunkt der Urteilsabfassung weiß, kann er entscheiden, ob vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet wird oder nicht. Dann haben wir einen Täter in der Haft, der psychologisch betreut und kontrolliert wird, der aber auch auf ein Leben in Freiheit vorbereitet wird und hinsichtlich seiner Gefährlichkeit therapiert werden soll. Das ist alles das, was uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat. Damit haben wir eine engmaschige Überwachung genau dieses Täterkreises. Wenn sich dann tatsächlich die Gefährlichkeit herausstellt, haben wir am Ende die Möglichkeit, die nachträgliche Sicherungsverwahrung, die im Urteil vorbehalten worden ist, ordnungsgemäß und rechtsstaatlich, angeknüpft an die Tat, anzuordnen, um damit die Bevölkerung vernünftig zu schützen. Das ist der bessere Weg. Deswegen sollten wir es nicht riskieren, auch in den weiteren Debatten, die uns bevorstehen, ein Gesetz, das jetzt auf verfassungsmäßig festem Boden steht – Frau Präsidentin, ich komme gleich zum Schluss –, zu gefährden. Insofern darf ich in Richtung der Ministerin und der Koalition sagen: Bei diesem schweren Rechtsgebiet haben wir eines erreicht: Der Glanz ist in die Rechtspolitik – ich sage das immer gerne – zurückgekehrt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Christian Ahrendt (FDP): Die Opposition kann Anteil an dem Glanz haben, und zwar in dem Moment, in dem sie abstimmt. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD ergreift das Wort der Landesminister Thomas Kutschaty. (Beifall bei der SPD) Thomas Kutschaty, Minister (Nordrhein-Westfalen): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom Mai 2011 die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur rechtlichen Neugestaltung der Sicherungsverwahrung in Deutschland gesetzt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf will die Bundesregierung nunmehr zur Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung Leitlinien vorgeben und damit den eigenen bundesrechtlichen Anteil am Gesamtkonzept erfüllen. Lassen Sie es mich vorab sagen: Ein Großteil der zweijährigen Frist, die uns das Bundesverfassungsgericht gegeben hat, ist leider dadurch verschwendet worden, dass sich die Bundesregierung anderthalb Jahre lang nicht einig werden konnte, wie die neue Regelung denn tatsächlich aussehen soll. (Beifall bei der SPD) Es ist völlig unverständlich, dass die Bundesregierung bei einem so bedeutenden Thema derartig leichtfertig handelt. Bei derart wichtigen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben sollte der Zeitdruck möglichst minimiert werden, den die Länder nunmehr haben, weil wir noch in der Pflicht sind, eigene Umsetzungsgesetze bzw. Landesvollzugsgesetze dazu innerhalb eines halben Jahres zu schaffen. Dieses Thema dient nicht zur politischen Durchsetzung von Mindermeinungen in der Bundesregierung. (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf entspricht zwar im Grundsatz unseren Vorstellungen, auch was die Frage der Regelung des Abstandsgebotes anbelangt; er ist allerdings nicht vollständig. Es klafft in einem sehr wesentlichen Punkt eine schwerwiegende Lücke. So ist die Bundesregierung gerade nicht der Forderung des Bundesrates und der Justizministerkonferenz nachgekommen, auch künftig hochgefährliche psychisch gestörte Sexual- und Gewalttäter geschlossen unterzubringen, wenn ihre besondere Gefährlichkeit erst im Strafvollzug offenbar wird. Das betrifft zwar nur sehr wenige – damit haben Sie recht, sehr geehrter Herr -Arendt –, aber es sind gerade hochgefährliche -Menschen. (Beifall der Abg. Sonja Steffen [SPD] und Burkhard Lischka [SPD]) „Die Möglichkeit, gefährliche Gewalt- und Straftäter auch nachträglich noch unterbringen zu können, darf uns nicht genommen werden!“ Dieser Satz fasst die Notwendigkeit, die sich abzeichnende Gesetzeslücke zu schließen, treffend zusammen. Dieser Satz stammt allerdings nicht von mir, sondern von der stellvertretenden Vorsitzenden der CSU, meiner bayerischen Amtskollegin Frau Dr. Beate Merk. (Zuruf von der CDU/CSU: Gute Frau! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das sagt mehr aus über Sie als über Frau Merk!) Auch meine Amtskollegin aus Mecklenburg-Vorpommern, Frau Uta-Maria Kuder von der CDU, sowie -sämtliche sozialdemokratischen Landesministerinnen und -minister teilen diese Auffassung, ebenso die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, und seien Sie doch ehrlich, sehr geehrte Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion: Sie doch im Inneren eigentlich auch. So war es zumindest in der ersten Beratung erkennbar. (Beifall bei der SPD – Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Das ist unstrittig!) Sie sehen, meine Damen und Herren: Über Partei-grenzen hinweg haben sich Justizministerinnen und -Justizminister auf den letzten drei Justizministerkonferenzen mit deutlicher Mehrheit für die Möglichkeit der nachträglichen Therapieunterbringung ausgesprochen. Warum wird diese Forderung von der Bundesregierung nicht aufgegriffen? Warum enthält dieser Gesetzentwurf nach wie vor diese gravierende Lücke? Weil sich die Minderheit in der Bundesregierung gegen eine vernünftige parteiübergreifende Regelung sperrt. Das Bundesjustizministerium bzw. Sie, sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger, haben im Vorfeld immer gesagt, es sei schwierig, dies zu regeln, da es auch juristisch sehr umstritten ist. Ist also die Schwierigkeit einer Materie nunmehr ein Argument, von einer gesetzlichen Regelung Abstand zu nehmen? Hoffentlich nicht. Denn ich will Ihnen an dieser Stelle einmal verdeutlichen, über was für Menschen wir hier sprechen, und Ihnen damit gleichzeitig zeigen, welche direkten Auswirkungen Bundesgesetzgebung auf unsere Arbeit vor Ort in den Ländern hat. Ein erster Fall: In Nordrhein-Westfalen lebt der in Bayern verurteilte Sexualstraftäter Karl D. Er hat in einem eigens dafür hergerichteten Transporter zwei junge Mädchen über einen langen Zeitraum in brutaler und höchst erniedrigender Art und Weise vergewaltigt und sexuell verstümmelt. Gutachter bescheinigen ihm eine dissoziale Persönlichkeitsstörung und schließen daraus, dass er ohne Therapie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder rückfällig werden wird. Während seiner Strafhaft hat er nicht nur jedes Therapieangebot, sondern jegliche Auseinandersetzung mit seiner Tat verweigert. Karl D. ist frei. Er wird daher rund um die Uhr von nordrhein-westfälischen Behörden überwacht. Aufwand und Kosten dieser Maßnahme möchte ich an dieser Stelle bewusst nicht thematisieren. Ein weiteres Beispiel: Ein in Bayern Verurteilter hat über ein Jahrzehnt hinweg massive sexuelle Übergriffe auf seine Frau und seine Tochter verübt. Erst während der Verbüßung seiner 15-jährigen Haftstrafe wurde bei ihm eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert, nach der dieser Täter auch für die Allgemeinheit gefährlich ist. Wir alle wissen, dass eine nachträgliche Therapieunterbringung glücklicherweise nur in sehr wenigen Fällen in Betracht kommt. Schon die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist früher nur in wenigen Einzelfällen angeordnet worden. Das ist aber gerade kein Argument gegen die Schaffung einer neuen Maßregel. Das Gegenteil ist der Fall. Denn dieser Befund zeigt, wie sorgfältig unsere Gerichte bislang mit einem solchen Instrument umgegangen sind und auch zukünftig umgehen werden. Aber jeder Einzelfall, auf den die von uns vorgeschlagene Regelung abzielt, ist so gravierend, dass keine rechtliche Möglichkeit ungenutzt bleiben darf, um Schutzlücken zu schließen. (Beifall bei der SPD) Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen nunmehr diese Menschen nach Verbüßung ihrer Strafe automatisch auf freien Fuß kommen. Warum? Weil es rechtlich schwierig ist. Dieses Argument, meine Damen und Herren, überzeugt bei solchen Straftätern nicht. (Beifall bei der SPD) Dass die Forderung nach einer nachträglichen Therapieunterbringung auch über Parteigrenzen hinweg von ganz vielen Justizministerinnen und -ministern erhoben wird, sollte auch Sie im Deutschen Bundestag aufhorchen lassen. Es geht nämlich um nicht weniger als um den größtmöglichen Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor gefährlichsten Gewalt- und Sexualstraftätern. Hierfür muss alles gesetzgeberisch Mögliche getan -werden. Der Bundesrat hat mit der auch von mir nachdrücklich unterstützten Einführung einer Maßregel der nachträglichen Therapieunterbringung Ihnen einen verfassungsrechtlich gangbaren Weg aufgezeigt, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Ich biete Ihnen auch heute noch ausdrücklich die Unterstützung der SPD bei der Lösung dieser rechtlichen Schwierigkeiten an. Wir -lassen Sie nicht im Regen stehen, sondern sind bereit, Verantwortung zu tragen. Lassen Sie uns gemeinsam diese eklatante Lücke im Gesetzentwurf schließen. Ich appelliere daher an die Minderheit in der Bundesregierung, ihre Position zu überdenken. Meine Damen und Herren, Sie sehen, die Verfassung bietet die Möglichkeit, gefährliche Straftäter auch weiterhin geschlossen unterzubringen. Diese Tür hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung aus dem Mai 2011 ganz bewusst ein Stück offengelassen. Wir sollten diese eklatante Sicherheitslücke nicht in Kauf nehmen; denn, meine Damen und Herren, welche Worte wollen Sie für die Eltern eines Kindes finden, das Opfer einer schwersten Gewalt- oder Sexualtat eines solchen Täters geworden ist? Wie wollen Sie den Eltern erklären, dass dieser Täter trotz erkannter höchster Rückfallgefahr sehenden Auges entlassen worden ist, obwohl die Möglichkeit bestanden hätte, ihr Kind vor ihm zu schützen? Meine Damen und Herren, das können Sie nicht erklären, und ich bin mir sicher: Das wollen wir auch nicht erklären. (Beifall bei der SPD) Die SPD will auch weiterhin eine vernünftige, verantwortungsbewusste Regelung. Sollte dies heute nicht -gelingen, werden wir dieses Ziel im Bundesrat weiterverfolgen. Deswegen noch einmal mein Appell an alle Parteien hier im Hause: Lassen Sie uns unserer gemeinsamen Verantwortung gerecht werden! Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat die Kollegin Andrea Voßhoff für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Kutschaty, es ist richtig – es gibt überhaupt keinen Grund, das nicht auch hier zu sagen –, dass die Union sich eine Regelung zur nachträglichen Therapieunterbringung gewünscht hätte. Aber wenn Sie abschließend in einer solchen Art und Weise an uns appellieren und hier eine eklatante Schutzlücke feststellen, wenn Sie davon reden, dass ein Kind Opfer werden kann, und davon, dass dann die Eltern entsprechend belastet sind, ist das unseriös, Herr Kutschaty; (Burkhard Lischka [SPD]: Nein! Sie sind eingeknickt! Das ist erst mal alles! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so ist es!) denn Sie erwecken den Eindruck, dass dieses Gesetz in keiner Weise den Sicherheitsanforderungen gerecht wird, und das stimmt schlicht nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir schließen nämlich heute ein für die Sicherheitsarchitektur unseres Landes und unserer Bürger außerordentlich wichtiges Reformvorhaben ab. Der Kollege Ahrendt hat es gesagt. Nach der grundlegenden Reform der Sicherungsverwahrung im Jahre 2010 beschließen wir heute über den modernen und verfassungskonformen Vollzug einer solchen Sicherungsverwahrung. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen wir überhaupt sicher, dass die Sicherungsverwahrung über das Jahr 2013 hinaus Bestand haben kann. Ich denke, mit wenigen Ausnahmen, insbesondere von den Linken, sind sich die Mitglieder dieses Hohen Hauses auch weitgehend darin einig, dass die Sicherungsverwahrung unverzichtbar und der Staat verpflichtet ist, sie im Interesse der Sicherheit unserer Bürger zu ermöglichen, und wir tun dies heute. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit mit dem Freiheits-anspruch eines gefährlichen Täters kollidiert, der seine Freiheitsstrafe verbüßt hat, wie dies bei der Sicherungsverwahrung der Fall ist, stößt der Rechtsstaat naturgemäß an seine Grenzen. Daran haben uns der Europäische Gerichtshof, aber auch – wie wir wissen – das Bundesverfassungsgericht nicht nur erinnert, sondern sie haben uns gemahnt und eine entsprechende Gesetzgebung mit einem Urteil von uns eingefordert. Wir haben mit der Reform 2010 als Bundesgesetzgeber die materiell-rechtlichen Regelungen der Sicherungsverwahrung geregelt und sind dabei davon ausgegangen, dass entsprechend der Föderalismusreform wir als Bundesgesetzgeber nicht für den Maßregelvollzug zuständig sind, sondern dass es die Länder sind. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellten wir dann fest, dass das Bundesverfassungsgericht dies anders sieht und uns gemeinsam in die Pflicht nimmt. Es hat uns mit dem Urteil aufgegeben, den Vollzug der Sicherungsverwahrung neu zu gestalten. An dieser Stelle, Herr Kutschaty, darf ich einmal sagen: Bei allen Regelungen zur Sicherungsverwahrung, die wir in diesem Hohen Hause beschlossen haben, war immer der Appell – übrigens aller Fraktionen –, den Vollzug der Sicherungsverwahrung in den Ländern entsprechend auszugestalten. Dem sind die Länder in der Vergangenheit nicht nachgekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb, meine Damen und Herren, liegt von uns heute ein Gesetzentwurf vor, der dem sogenannten Abstandsgebot Rechnung trägt, den Vollzug der Sicherungsverwahrung also deutlich vom Strafvollzug abhebt. Herr Kutschaty, wenn Sie sagen, wir hätten uns anderthalb Jahre Zeit gelassen: Es hat in der ganzen Zeit, jedenfalls nach meinem Kenntnisstand, eine intensive Abstimmung mit den Ländern stattgefunden, (Burkhard Lischka [SPD]: Nein, am Anfang nicht!) weil es darum ging, gemeinsam die Vollzugsausgestaltung zu regeln. Wenn Sie hier also so tun, als hätten wir das hier anderthalb Jahre liegen gelassen, ist das schlicht und ergreifend falsch, unzutreffend. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Burkhard Lischka [SPD]: Die Länder haben jetzt nicht die gleiche Zeit! Wenn die sich so viel Zeit lassen würden, geht das in die Hose!) Ich sage offen, dass wir uns als Union eine Regelung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung gewünscht hätten; völlig unbestritten. Dazu stehen wir auch. Wir wissen nur, dass wir durch die Frist des Verfassungsgerichts unter zeitlichem Druck stehen, weshalb wir diese unsere Forderung aufgegeben haben. Wir gehen aber in keiner Weise davon aus, lieber Herr Kutschaty, dass wir hier eine eklatante Schutzlücke haben. (Burkhard Lischka [SPD]: Davon haben Sie selber gesprochen! Herr Krings! In der Pressemitteilung!) Wir sehen eine Regelungslücke, aber eine eklatante Sicherheitslücke, wie Sie sie hier suggerieren wollen, können wir nicht feststellen. Meine Damen und Herren von der SPD, so vehement, wie Sie die nachträgliche Therapieunterbringung fordern, so vehement lehnen die Grünen sie ab. Das kommt mir irgendwie bekannt vor. (Christine Lambrecht [SPD]: Wie bei der -Vorratsdatenspeicherung!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn Sie mit Ihrem Traumkoalitionspartner heute hätten etwas vorlegen müssen, hätten Sie keine Regelung zur nachträglichen Therapieunterbringung vorlegen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Burkhard Lischka [SPD]: Ach, warten Sie ab!) Das muss der Wahrheit halber dazugesagt werden. Das gehört zur Vollständigkeit dazu. Ich hoffe, Sie werden nie Gelegenheit haben, das auszutesten. (Burkhard Lischka [SPD]: Das werden Sie schon beim Verhalten des Bundesrates sehen!) Meine Damen und Herren von der SPD, neben dem, was Herr Kutschaty gesagt hat, muss man auch die Zeitung lesen. Darin steht, dass auch die sachsen-anhaltinische Justizministerin Kolb vor einer eklatanten Schutzlücke warnt. In dem Artikel werden dann Fallzahlen offenbar genannt – von Frau Kolb genannt; anders kann es eigentlich nicht sein –: 22 betroffene Straftäter in Sachsen-Anhalt sitzen in der Sicherungsverwahrung im Gefängnis in Burg. Für weitere 17 Straftäter kommt nach dem Haftende eine Sicherungsverwahrung infrage. – Im Zusammenhang mit dem Artikel wird suggeriert, das seien Fälle, die nicht regelbar seien, (Mechthild Dyckmans [FDP]: Genau!) weil es keine nachträgliche Therapieunterbringung gebe. Meine Damen und Herren von der SPD, ich gehe einmal davon aus, dass das alles Altfälle sind, bei denen die Anlasstat vor dem 31. Dezember 2010 begangen worden ist. (Mechthild Dyckmans [FDP]: So ist es!) Wenn das so ist, dann werden diese Fälle sehr zum Leidwesen der Grünen nach wie vor nach altem Recht geregelt, auch mit einer nachträglichen Sicherungsverwahrung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!) Ich bin sehr dafür, dass wir offen und vernünftig über das Thema diskutieren. Mit den Zahlen, mit dem, was Sie zum Schluss gesagt haben, versuchen Sie aber, der Bevölkerung zu suggerieren, hier würde die Bevölkerung gefährdet und die Sicherheit nicht in ausreichendem Maße gewährleistet. (Burkhard Lischka [SPD]: Nein, Sie nehmen die Bevölkerung nicht ernst!) Das ist schlicht und ergreifend nicht zutreffend. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Halina Wawzyniak hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden erneut über die Sicherungsverwahrung, weil das in dieser Legislaturperiode von der Mehrheit des Hauses verabschiedete Gesetz vom Bundesverfassungsgericht in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde. Die Bundesregierung musste also nachsitzen (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das sind keine Schüler!) und ein neues Gesetz vorlegen, ein Gesetz, das die bundesrechtliche Umsetzung des Abstandsgebotes regelt. Wir haben zu diesem Gesetz hier bereits geredet und eine Anhörung im Rechtsausschuss durchgeführt. Um es noch einmal sehr deutlich zu sagen: Bei der Sicherungsverwahrung geht es um einen präventiven Freiheitsentzug aufgrund einer Gefährlichkeitsprognose für Straftäterinnen und Straftäter, die für ihre Tat bereits eine Freiheitsstrafe ver- und damit auch für die Tat gebüßt haben. Die Linke – ich wiederhole das hier – lehnt das Institut der Sicherungsverwahrung ab. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: In Gänze?) Wir sagen deutlich: Jede Straftat ist eine Straftat zu viel. Jedes Opfer ist ein Opfer zu viel. Aber wir dürfen nicht suggerieren, es gäbe ein Mittel, das verhindert, dass überhaupt noch Straftaten begangen werden. (Beifall bei der LINKEN) Das im Übrigen ist eine Weisheit, die bislang keiner infrage gestellt hat. Wir haben mittlerweile verschiedene Arten der Sicherungsverwahrung. Dazu kommt jetzt die Therapieunterbringung. Wir schlagen uns mit dem Begriff der psychischen Störung herum. Der Sachverständige Professor Kinzig hat darauf verwiesen, dass dieser Begriff zu unbestimmt sei, um darauf eine so schwerwiegende Sanktion zu stützen. Ich bitte Sie alle, sich noch einmal vor Augen zu führen, wovon der Sachverständige Asprion in der Anhörung gesprochen hat. Er hat aus der Praxis berichtet, wie es den aus der Sicherungsverwahrung Entlassenen geht. Er hat beschrieben, dass es für die Entlassenen zum Teil nicht einmal Wohnungen gibt; sie können zum Teil keine Konten eröffnen, geschweige denn, dass sie eine Chance auf Arbeit oder eine Arbeitsgelegenheit haben. (Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Was ist mit den Opfern?) Hier anzusetzen und den Auftrag auf Wiedereingliederung ernst zu nehmen, würde ein Ansatz sein, Rückfälligkeiten zu vermeiden. Und genau darum muss es uns doch allen gehen, nämlich erneut Straftaten zu vermeiden. (Beifall bei der LINKEN) Die Ablehnung des Instituts der Sicherungsverwahrung hindert uns aber nicht, den Gesetzentwurf der Bundesregierung kritisch unter die Lupe zu nehmen. Wir finden es gut, dass mit dem § 66 c eine Art Rechtsanspruch auf individuelle und intensive Betreuung sowie eine vom Strafvollzug getrennte Unterbringung festgeschrieben wird. Wir wollen aber darauf hinweisen, dass die dafür notwendigen Mittel auf gar keinen Fall dazu führen dürfen, dass die Betreuung der Strafgefangenen verschlechtert wird. Wir hätten uns gewünscht, dass für den Fall der Unverhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung nicht die Aussetzung der Vollstreckung auf Bewährung die Rechtsfolge ist, sondern die Erledigung. (Beifall bei der LINKEN) Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung im Jugendgerichtsgesetz vorzusehen, halten wir für falsch. Sicherungsverwahrung und Jugendgerichtsgesetz, in dessen Mittelpunkt der Erziehungsgedanke steht, sind für uns ein unauflösbarer Widerspruch. (Beifall bei der LINKEN) Wir halten auch die in § 109 Abs. 3 des Strafvollzugsgesetzes vorgenommene Einschränkung, dass bei „Einfachheit der Sach- und Rechtslage“ im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens den Sicherungsverwahrten nicht zwingend von Amts wegen ein Rechtsanwalt beizuordnen ist, für problematisch. Hier sollte aus unserer Sicht tatsächlich Waffengleichheit hergestellt und dem Sicherungsverwahrten ein Rechtsanwalt beigeordnet werden. (Beifall bei der LINKEN) Schließlich bedauern wir ausdrücklich, dass eine Beschränkung der Straftaten, für die gegebenenfalls Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann, nicht erfolgt ist. Wenn die Regierung die Sicherungsverwahrung wirklich als Ultima Ratio versteht, dann hätte sie den Katalog der Anlasstaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung auf schwerste Gewalt- und Sexualdelikte beschränken müssen. An dieser Stelle will ich darauf hinweisen, dass wir begrüßen, dass SPD und Grüne genau dies fordern. Allerdings ist für uns nicht nachvollziehbar, warum die SPD unter Umgehung des Urteils des EGMR eine nachträgliche Therapieunterbringung einführen will. Ehrlich gesagt bin ich ein bisschen sprachlos über Ihre Rede, Herr Kutschaty, weil das nichts mehr mit rationaler Kriminalpolitik zu tun hat, sondern mit der Bedienung von Stammtischen. (Burkhard Lischka [SPD]: Ich frage mich die ganze Zeit, wen Sie hier bedienen! – Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Was ist mit den Opfern?) Wir werden dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es spricht Jerzy Montag für Bündnis 90/Die Grünen. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über die Sicherungsverwahrung reden, dann reden wir über Menschen, die mehrfach schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begangen haben und bei denen festgestellt wird, dass eine ganz große Gefahr besteht, dass sie in Zukunft weitere solcher Straftaten begehen werden. Wir müssen deswegen den ersten Satz, wenn wir über Sicherungsverwahrung reden, den Opfern, den möglichen Opfern solcher Täter widmen. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ist Ihre generelle Ablehnung der Sicherungsverwahrung ein Fehler, den Sie im Laufe der Zeit noch bereuen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Andererseits haben sich genau diese Täter – schwerste Gewalttäter, Sexualtäter – an das Bundesverfassungsgericht und in mehreren Fällen an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt und recht bekommen. Die Entscheidungen, die aufgrund des deutschen Rechts der Sicherungsverwahrung gegen sie ergangen sind, sind aufgehoben worden. Der Grund dafür ist ganz einfach: Auch diese Täter sind Menschen, und auch diese Menschen haben Rechte. Deswegen ist es gut und richtig, dass wir uns natürlich der Opferseite zuwenden. Aber genauso wichtig ist es aus rechtspolitischen bzw. menschenrechtspolitischen Gründen, dass wir uns bei der Frage, welches Recht wir schaffen, wie wir die Regelung zur Sicherungsverwahrung gestalten, an das Menschenrecht und die Rechtsstaatlichkeit halten, an das, was ein Grundbestandteil unseres Landes ist. Deswegen bin ich so erstaunt und entsetzt, Herr Kutschaty, dass Sie bei der Frage, ob man noch mehr machen soll, von Lücken reden. Der Kollege Ahrendt hat die Geschichte des Sicherungsverwahrungsrechts von Januar 1998 bis heute erzählt. Im Januar 1998 ist die erste Lücke geschlossen worden. Danach – erinnern Sie sich bitte – war es die Union, die den Deutschen Bundestag und die damalige Regierungskoalition mit dem Aufzeigen immer weiterer Lücken geradezu gejagt hat. Zuerst gab es eine Lücke im Heranwachsendenstrafrecht, dann im Jugendstrafrecht, dann bei der Frage, wie mit Tätern aus der ehemaligen DDR umzugehen sei, usw. usf. Zum Schluss hatten wir – das sage ich ganz selbstkritisch – ein Desaster. Ich bin froh, dass das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jetzt eine Klärung herbeigeführt haben. Ich bin dankbar – das sage ich ganz ausdrücklich –, dass das Bundesjustiz-ministerium jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der beim Vollzug einen Abstand zwischen der Strafhaft und der Haft in der Sicherungsverwahrung vorsieht. Im Grundsatz stimmen wir dem auch zu. Wir finden aber, dass dieser Gesetzentwurf noch etliche Schwächen hat. Diese Schwächen haben wir in einem Änderungs-antrag zusammengefasst und im Rechtsausschuss im Einzelnen aufgeführt. Wir werden diesen Änderungs-antrag heute zur Abstimmung stellen, weil wir auf dem Boden dieses Gesetzentwurfs für dessen Verbesserung streiten wollen. Zum Schluss will ich noch sagen: Wenn wir den Weg gehen würden, die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Kleid der nachträglichen Therapieunterbringung wieder ins Bundesgesetz hineinzuschreiben, dann würden wir sehenden Auges die nächsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heraufbeschwören. (Burkhard Lischka [SPD]: Wer sagt das denn? Unsinn!) Das aber sollten wir nicht tun, und das werden wir auch nicht tun. Herr Kollege Kutschaty, wenn Sie für die wenigen Fälle einen Regelungsbedarf sehen – ich habe dafür viel Verständnis –, bei denen bei Menschen in Freiheit – nicht in Haft, sondern in Freiheit – die Gefahr künftiger schwerer Straftaten besteht, dann sind Sie als Land aufgerufen, eine solche Regelung auf Landesebene herbeizuführen. (Burkhard Lischka [SPD]: Das hat das Bundesverfassungsgericht gerade ausgeschlossen!) – Nein, das ist falsch, was Sie da sagen. (Burkhard Lischka [SPD]: Das stimmt nicht! Gucken Sie sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu an!) Sie wissen doch selbst: Was das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, galt für die damalige Regelung und nicht für eine zukünftige Regelung nach dem Therapieunterbringungsgesetz. Ich fordere Sie auf: Finden Sie eine Regelung auf Landesebene. Schützen Sie dort Ihre Bürgerinnen und Bürger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Montag! Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fordern Sie uns nicht auf, hier ein verfassungswidriges Gesetz zu erlassen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Montag! Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das lehnen wir ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ansgar Heveling hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einigen Wochen wurde in Großbritannien ein 59-jähriger vielfacher Sexualstraftäter verurteilt. In zwei Verfahren wurden ihm schwerste Sexualstraftaten nachgewiesen. Als Kopf eines Kinderschänderrings aus dem Großraum Manchester war er für den Missbrauch von 30 jungen Mädchen verantwortlich und wurde zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt. Außerdem wurde ihm in einem separaten Verfahren wegen des über zehn Jahre währenden vielfachen Missbrauchs eines jungen Mädchens ebenfalls der Prozess gemacht. Dafür wurde er zusätzlich zu 22 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. 41 Jahre Gefängnis – nach menschlichem Ermessen wird dieser Täter also keinen Lebtag mehr in Freiheit verbringen. Diesen Fall schildere ich Ihnen nicht, um emotionale Genugtuung zu verbreiten, die man angesichts eines -solchen Strafmaßes für diese schrecklichen Straftaten empfinden mag. Ich schildere Ihnen diesen Fall, um aufzuzeigen, wie in Ländern, in denen es die Sicherungsverwahrung so nicht gibt, mit potenziell gefährlichen Straftätern umgegangen wird. Dort wird nicht nach der individuellen Gefährlichkeit des Täters gefragt. Vielmehr wird dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung allein über das Strafmaß Rechnung getragen, im Übrigen unangreifbar für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das ist auch erstaunlich!) Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben bewusst einen anderen Weg gewählt. Wir haben uns bewusst für ein zweispuriges System entschieden: Strafe als Sanktion für individuelle Schuld und Maßnahmen, die nicht an die Schuld anknüpfen – dazwischen wird bei uns unterschieden. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Hierzu gehört die Sicherungsverwahrung, die angesichts der Zweispurigkeit ohne Frage kein repressives, sondern ein präventives Instrument ist. Ich bin der festen Überzeugung – der kurze Blick auf den eingangs geschilderten Fall zeigt dies auch –, dass unser bewährtes zweispuriges System viel differenzierter und damit im Einzelnen auch viel gerechter ist als andere Strafrechtssysteme, in denen die Frage der Gefährlichkeit eines Täters mit der Strafe gleichsam abgehan-delt wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Daher lohnt es ohne Frage der gesetzgeberischen Mühen, dieses System der Strafe auf der einen Seite und der Sicherungsverwahrung auf der anderen Seite aufrechtzuerhalten. Leider haben der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht den zweispurigen Weg zu einem immer schmaleren Grat werden lassen. Ich hoffe aber, dass er breit genug bleiben wird, um den Weg der Sicherungsverwahrung weiterhin verfassungskonform beschreiten zu können. Es wäre bedauerlich, wenn wir mangels Alternativen irgendwann auch vor der Frage stünden, die Gefährlichkeit eines Täters bei uns ebenfalls allein über die Höhe der Strafe beurteilen zu müssen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung, den wir heute abschließend beraten, kommen wir den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom Mai 2011 nach und regeln die Sicherungsverwahrung zukünftig so, dass sich der Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vom Vollzug der Strafhaft deutlich unterscheidet. Damit wird die bundesrechtliche Grundlage gelegt, die es den Ländern ermöglicht, durch entsprechende Landesgesetze die Sicherungsverwahrung entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts weiter zu konkretisieren und im Sinne des Abstandsgebots umzusetzen. Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens hat es dazu eine enge Abstimmung zwischen dem Bund und den Ländern gegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bund und den Ländern diese Aufgabe gemeinsam aufgetragen. Daher ist dieses Zusammenwirken ausdrücklich zu begrüßen. Lassen Sie mich noch zu einzelnen Punkten Stellung nehmen. Anders als es die SPD in ihrem Antrag fordert, sehen wir keine Notwendigkeit, den Katalog der sogenannten Anlasstaten weiter einzugrenzen. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt keinen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Katalogs. Deswegen ist ein weiteres Handeln hier auch nicht erforderlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auch halten wir die Regelung der sogenannten Vertrauensschutzfälle durch die Übergangsregelung in Art. 7 für sachgerecht und ausgesprochen wichtig. Ja, die Übergangsregelung führt dazu, dass über einen langen Zeitraum unterschiedliche Rechtsnormen zur Anwendung kommen. Ich habe aber keinen Zweifel daran, dass die Gerichte damit ohne große Schwierigkeiten zurechtkommen werden. Nur durch diese Übergangsregelung lässt sich unter Beachtung der verfassungsrechtlich vorgegebenen und durch das Bundesverfassungsgericht aufgezeigten erhöhten Voraussetzungen dem Schutzanspruch der Bevölkerung ausreichend Rechnung tragen, bis die materiell-rechtliche Neuausrichtung der Sicherungsverwahrung, insbesondere die der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung, umfassend greift. In diesem Zusammenhang möchte ich abschließend nicht verschweigen, dass wir, die CDU/CSU, es als wünschenswert angesehen hätten, auch zukünftig – nicht nur im Rahmen der Übergangsregelung – auf das Instrument der nachträglichen Sicherungsverwahrung zurückgreifen zu können. Damit wäre eine umfassende, vollständige und für alle Eventualitäten vorgesehene Regelung der unterschiedlichsten Fallkonstellationen möglich geblieben. Das bleibt nun in diesem Gesetz offen. Insgesamt kommen wir mit dem zur Entscheidung anstehenden Gesetzentwurf einerseits dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nach, das Recht der Sicherungsverwahrung so zu regeln, dass ein ausreichender Abstand zwischen Strafhaft und Sicherungsverwahrung gewährleistet wird. Andererseits berücksichtigen wir insbesondere durch die Übergangsregelung in Art. 7 ausdrücklich, dass dem Anspruch der Bevölkerung auf Schutz vor gefährlichen Straftätern weiterhin Rechnung getragen wird. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11388, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/9874 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab, den Sie auf Drucksache 17/11406 finden. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion und die Fraktion Die Linke; die anderen Fraktionen haben dagegen gestimmt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen; Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt, die SPD-Fraktion hat sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, der möge sich bitte erheben. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen wie in der zweiten. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11388 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8760 mit dem Titel „Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung“. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt, dass über Ziffer II Nr. 2 des Antrages einerseits und über den übrigen Antrag andererseits getrennt abgestimmt werden soll. Wir stimmen daher zunächst über Ziffer II Nr. 2 des Antrags auf Drucksache 17/8760 ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist Ziffer II Nr. 2 des Antrags abgelehnt bei Zustimmung durch die SPD-Fraktion; alle anderen Fraktionen waren dagegen. Wer stimmt für den übrigen Teil des Antrags auf Drucksache 17/8760? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Zugestimmt haben SPD-Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen; dagegen gestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Die Linke hat sich enthalten. Der übrige Teil des Antrags ist abgelehnt. Damit ist der Antrag insgesamt abgelehnt. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11388 empfiehlt der Rechtsausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7843 mit dem Titel „Einsetzung einer Expertenkommission zur Sicherungsverwahrung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und SPD. Die Fraktion Die Linke hat dagegen gestimmt; enthalten hat sich niemand. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Menschenrechte in Zentralasien stärken – Drucksachen 17/9924, 17/11287 – Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Klimke Ullrich Meßmer Marina Schuster Katrin Werner Volker Beck (Köln) Hierzu soll eine halbe Stunde debattiert werden. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wenn sich jetzt bitte noch die Versammlung in den Reihen der CDU/CSU-Fraktion auflösen könnte? – Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Kollegin Marina Schuster für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Marina Schuster (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal begrüße ich ausdrücklich, dass wir heute eine Debatte über die Menschenrechtslage in Zentralasien führen. Es ist richtig und wichtig, dass dieses Thema auch hier im Plenum des Deutschen Bundestages Öffentlichkeit bekommt. Natürlich ist es nicht das erste Mal, dass wir uns mit dieser Region beschäftigen. Wir haben im Menschenrechtsausschuss öfter über die Situation dort diskutiert, speziell über die Situation in Usbekistan. Wir wissen, dass wir es dort bei der Baumwollernte mit dem Phänomen der staatlich verordneten Kinderarbeit zu tun haben. Das war auch Anlass für den Menschenrechtsausschuss, zu versuchen, eine Reise nach Usbekistan durchzuführen. Leider wurde kein Visum erteilt. Die Reise musste aus technischen Gründen abgesagt werden, weil die usbekische Seite kein Interesse an der Einreise der Kolleginnen und Kollegen hatte. Das ist sehr bedauerlich; denn wir haben eine Reihe von Kollegen, die sich für Usbekistan engagieren. Ganz konkret möchte ich auf das Engagement von Kolleginnen und Kollegen im Rahmen des Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ eingehen. Das ist ein unheimlich wichtiges Programm. Meine Bitte geht an diejenigen Kollegen hier im Haus, die noch keine Patenschaft übernommen haben, eine Patenschaft für einen Oppositionspolitiker oder einen Menschenrechtsverteidiger in anderen Ländern zu übernehmen. Das ist etwas, was wir ganz konkret leisten können. Wir haben hier eine ganz wichtige Funktion. Kollegin Graf hat die Patenschaft für den usbekischen Menschenrechtsaktivisten und Oppositionspolitiker Akzam Turgunov übernommen. Dadurch, dass die Reise abgesagt werden musste, konnte sie ihn wieder nicht in der Haft besuchen. Ich glaube, es wäre wichtig, dass wir weiterhin Druck ausüben und versuchen, eine Einreise nach Usbekistan zu ermöglichen. Wenn der Menschenrechtsausschuss solche Reisen tätigt, dann gehört es auch zu seiner Aufgabe, den Finger in die Wunden zu legen und solche Sachen zur Sprache zu bringen. (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch in Bezug auf Kasachstan haben Kollegen aus allen Fraktionen, auch Kollegen aus dem Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, Kritik formuliert. Es ging um den Fall Bolat Atabajew. Für ihn hat Frau von Cramon eine Patenschaft übernommen. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, hat versucht, Herrn Wladimir Koslow in der Haft zu besuchen und mit ihm zu sprechen. Wir sind tief enttäuscht darüber, dass es zu einer Verurteilung von Herrn Koslow gekommen ist. Er hat sich für die streikenden Ölarbeiter eingesetzt. Das ist ein vollkommen legitimes Interesse. Daher ist das Urteil für Herrn Koslow – sieben Jahre Gefängnis – vollkommen inakzeptabel. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt aber zum vorliegenden Antrag von SPD und Grünen. Sie haben im Feststellungsteil Ihres Antrags eine Reihe von Verletzungen der Menschenrechte aufgezählt. Wir haben dort eine sehr besorgniserregende Menschenrechtslage. Es gibt Folter, Misshandlungen, ein unzureichendes Justizwesen und Einschränkungen von Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit. Ich denke, darüber gibt es in diesem Hohen Haus keinen Dissens. Es gibt auch keinen Dissens bei der Einschätzung, dass Zentralasien als geostrategische Brücke zwischen Europa, Russland und China das Potenzial einer politischen und wirtschaftlichen Drehscheibe hat. Um jedoch ein verlässlicher Partner Europas zu werden, sind Rechtsstaatlichkeit, verantwortliche Staatsführung und Demokratisierung sowie die Einhaltung von Menschenrechten Voraussetzung. Dies sind ebenso Bedingungen für Stabilität und Sicherheit. Wie schon früher festgestellt, liegt das Problem des Antrags woanders. Ich denke, man kann die Situation in Zentralasien nicht ohne die historische Komponente, ohne die Einbeziehung der Sowjetvergangenheit diskutieren. Mir fehlt auch die Thematisierung von regionalen -Konflikten, von schwelenden Konflikten untereinander; vor allem fehlt mir die Thematisierung der Verteilungskonflikte, zum Beispiel bezogen auf die Ressource -Wasser, aber auch das Thema „ethnische Minderheiten“. Ich denke daher nicht, dass Sie mit diesem Antrag, insbesondere bezogen auf den Feststellungsteil, den Gegebenheiten vor Ort vollumfänglich gerecht werden. Auch wird ausgeblendet, was die Bundesregierung bereits tut. Die Bundesregierung setzt sich in den politischen Gesprächen mit den zentralasiatischen Regierungen nachdrücklich für eine Verbesserung der Menschenrechtslage ein. Wir haben im Rahmen der Europäischen Union, im Rahmen der Zentralasienstrategie, strukturierte Menschenrechtsdialoge aufgenommen. Wir haben eine Vielzahl von Programmen durchgeführt. Es gibt eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion zur Situation in Zentralasien. Die Antwort der Bundesregierung ist ziemlich klar. Darin wurden alle Projekte aufgezählt, die in dem Bereich Rechtsstaatlichkeit/Justizwesen durchgeführt werden, auch die Programme zur Medienförderung, die das Auswärtige Amt im Rahmen der Deutschen Welle unterstützt. Aber auch in anderen Bereichen engagiert sich die Bundesregierung, zum Beispiel für eine Verbesserung der Haftbedingungen. Seit 2009 fördert die Bundesregierung ein Projekt der NGO Golos Svobody zur Folterprävention. In Kasachstan hat die Bundesregierung Projekte der OSZE zur Stärkung der Ombudsmann-Institution unterstützt. Auch im Rahmen des Europarates – ich sehe meinen Kollegen Christoph Strässer, der sich im Rahmen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates sehr stark engagiert – haben wir Projekte angeboten und durchgeführt. Vieles von dem, was Sie vorschlagen, ist also bereits Bestandteil der Politik der Bundesregierung. Mir fehlt auch die gesamtpolitische Einbettung. Natürlich spielen Sicherheitsüberlegungen insbesondere seit dem Einsatz in Afghanistan eine besondere Rolle. Wir haben organisierte Kriminalität, internationalen -Terrorismus, Drogenhandel und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. All das bedroht Europa und Zentralasien gleichermaßen. Das hat die Fraktion der SPD in ihrer Kleinen Anfrage selbst geschrieben. Insofern greift der Antrag zu kurz. Das wird insbesondere deutlich, wenn man sich den Feststellungsteil anschaut. Ich denke, dass die Einbettung in die politische Struktur fehlt und die Situation in Zentralasien nicht hinreichend berücksichtigt wird. Insofern können wir Ihrem Antrag leider nicht zustimmen. Viele Ihrer Forderungen sind aber Bestandteil unserer Politik. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ullrich Meßmer hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ullrich Meßmer (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Schuster, die freundliche Nichtzustimmung nehme ich einmal so hin. Die Zentralasienstrategie der Europäischen Union -bildet seit 2007 den politischen Rahmen, um die Zusammenarbeit zwischen Europa und Zentralasien – wir reden hier von den Ländern Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan – zu gestalten und auszubauen. Es wurde schon gesagt: Es gibt viele Gründe dafür. Es gibt sicherheitspolitische Interessen in Europa wie die Bekämpfung von Waffen- und Drogenhandel, Terrorismus und organisierter Kriminalität. Es gibt wirtschaftliche Gründe wie die Sicherung von Rohstoffen, Energie, aber auch die Erschließung von Märkten. Nicht zuletzt – Kollegin Schuster, Sie haben es angesprochen – macht diese Länder die Nachbarschaft zu Afghanistan zu einem wichtigen strategischen und außenpolitischen Partner, aber – das möchte ich an dieser Stelle deutlich machen – nicht allein mit Blick auf einen möglichen Truppenabzug im Jahr 2014, sondern gerade darüber hinaus. Alle Länder in dieser Region, einschließlich Afghanistan, brauchen eine langfristige -Perspektive für ihre friedliche und wirtschaftliche Entwicklung. (Beifall bei der SPD) Hauptgrund aber – ich denke, darin sind wir uns einig – ist der Einsatz für den Ausbau und die Weiterentwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für eine verantwortliche Staatsführung und vor allen Dingen für die Einhaltung von Menschenrechten. Aus unserer Sicht ist genau das die Voraussetzung für Sicherheit und Stabilität, aber auch für wirtschaftliches Wachstum und die Teilhabe der Bevölkerung, zum Beispiel an wirtschaftlicher Entwicklung oder auch an staatlichen Entscheidungen. Die Machthaber der zentralasiatischen Staaten – so muss man den Eindruck gewinnen – fürchten offensichtlich eine Öffnung und Demokratisierung ihrer jeweiligen Gesellschaft. Sie scheinen damit unmittelbar die Erosion ihrer eigenen Macht zu verbinden. Diese Sicht ist gerade mit Blick auf die Menschenrechte äußerst gefährlich, da Sicherheit in dieser Begrifflichkeit nicht auf den einzelnen Menschen und die Wahrung seiner Rechte bezogen wird, sondern ausschließlich auf die Machtsicherung autoritärer Herrscher oder der Eliten, die sie tragen. So laufen wir Gefahr, dass sich die autoritären Strukturen in diesen Ländern verfestigen. Ich erspare mir die Aufzählung der Menschenrechtsverletzungen – Frau Kollegin Schuster, ich teile, was Sie dazu gesagt haben –, von Kinderarbeit, fehlender und eingeschränkter Versammlungs, Meinungs- und Pressefreiheit bis hin zur Zensur. Auch über die Unterdrückung der Opposition in diesen Ländern hören wir regelmäßig Berichte. Man kann feststellen: Auch fünf Jahre nach der -Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Rahmen der Zentralasienstrategie ist die Menschenrechtslage weiterhin problematisch. Deshalb sollte die seit diesem Jahr stattfindende Evaluierung zum Anlass genommen werden, der Frage nachzugehen, ob die -Beziehungen Deutschlands und der EU zu den zen-tralasiatischen Staaten politisch so noch tragfähig sind, ob sie unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten kritisch hinterfragt werden sollten und möglicherweise auch auf eine andere bzw. neue Grundlage gestellt werden sollten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dabei sollten wir nicht davor zurückschrecken, auch die Wirtschaftsbeziehungen zu einzelnen Ländern kritisch zu hinterfragen. Die Unterzeichnung eines bilateralen Abkommens zwischen Deutschland und Kasachstan über eine Partnerschaft im Rohstoff-, Industrie- und Technologiebereich Anfang Februar 2012 nach einer blutigen Niederschlagung eines Gewerkschaftsaufstandes in Zhanaosen im Dezember 2011 ist sicherlich einer dieser Punkte. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich denke, Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen, ohne Konsequenzen für wirtschaftliche Beziehungen in Betracht zu ziehen, setzt einen schnell dem Vorwurf aus – ich möchte jetzt nicht von Double Standards sprechen –, mit zweierlei Maß zu messen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die zukünftige Zentralasienstrategie kann aber auch neue Impulse für die Beziehungen zu den zentralasiatischen Ländern setzen. Die Umbrüche in der arabischen Welt haben gezeigt, dass es Möglichkeiten gibt, autoritäre Systeme zu erschüttern, vor allem wenn man die -Zivilgesellschaft selber stärkt und ihre Möglichkeiten ausbaut. Es wäre zu begrüßen, wenn der Fokus stärker auf die Artikulations- und Teilhabemöglichkeiten der Zivilgesellschaften gerichtet wird mit dem Ziel, diese nachhaltig zu stärken, zum Beispiel durch die Anbindung an die europäischen Informationsnetzwerke. Erste Schritte dazu sind getan – das ist immer wieder erwähnt worden –; aber dies könnte beschleunigt werden. Die Freiräume, die durch den Ausbau und die Nutzung des Internets entstehen, müssen verteidigt werden. Hier, denke ich, sind klare Worte sowohl der Bundesregierung als auch der Europäischen Union gegen Zensur des Internets und anderer Medien dringend gefordert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dies ist deutlich wahrnehmbar zu verurteilen. Natürlich – das will ich sehr deutlich sagen – unterstützen wir die Weiterentwicklung bewährter Maßnahmen und die Bemühungen zur Weiterentwicklung der Rechtsstaatlichkeit. Es geht weiter darum, Folter zu verhindern, Haftbedingungen zu verbessern und die bestehenden Bildungs- und Austauschprogramme weiter zu unterstützen und angemessen auszustatten. All das begrüßen wir. Das gilt auch für die Arbeit und das Wirken der politischen Stiftungen. Mit Blick auf die Gründe für die Ablehnung muss allerdings auch klar sein: Allein durch Entwicklungszusammenarbeit kann die Menschenrechtslage nicht verbessert werden. Entwicklungszusammenarbeit kann ein Teil sein; aber sie kann nie eine Gesamtlösung ersetzen, zu der wirtschaftliche Beziehungen und andere politische Maßnahmen gehören. Eigentlich erwarten wir, dass die Evaluierung als Chance für eine Verbesserung der Menschenrechtslage genutzt wird. Sie ist, wie ich finde, eine echte Chance, etwas zu verändern. Reine Rohstoffpartnerschaften, freie Handelswege, wirtschaftliche Zusammenarbeit, all das darf nicht den Kerngedanken und die Grundlage allen europäischen Handelns infrage stellen. Dies ist und bleibt die Wahrung und Förderung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit – in Zentralasien und überall sonst auf der Welt. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jürgen Klimke hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. Jürgen Klimke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die außenpolitischen Diskussionen der letzten Monate waren auch von der Rolle der zentralasiatischen Staaten geprägt. Das hat – das ist mehrfach gesagt worden – primär etwas mit den Rohstoffpartnerschaften zu tun, die Deutschland mit Ländern wie der Mongolei oder Kasachstan geschlossen hat. Das hat aber auch etwas mit Afghanistan zu tun. Usbekistan ist ein Nachbarland von Afghanistan; es wird in diesem Zusammenhang immer wieder thematisiert. Damit -haben wir im Zusammenhang mit Zentralasien zwei wichtige Interessen der deutschen und der europäischen Außenpolitik benannt: die Rohstoffpartnerschaften der deutschen und der europäischen Industrie sowie die Stabilität nach dem Abzug aus Afghanistan. Das ist eine geostrategische Frage, die Priorität hat. Diese gerechtfertigten Interessen in der Region müssen meiner Meinung nach noch viel stärker unsere Aufmerksamkeit erhalten und in unsere außenpolitische Strategie einfließen. Insofern ist es wichtig, dass wir heute darüber debattieren. Die Entwicklung dieser Staaten muss Teil unserer Beobachtung sein. In diesen Kontext ist auch die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung einzuordnen. Gerade weil wir Deutschen gute Beziehungen zu dieser Region unterhalten und daran ein großes Interesse haben, ist die Konsistenz der Menschenrechtspolitik in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. Die Menschenrechtssituation in den Staaten Zentralasiens ist insgesamt nicht befriedigend; man könnte auch zu Bewertungen wie „unzureichend“ oder „mangelhaft“ kommen. Fortschritte erfolgen, wenn sie erfolgen, insgesamt in zu kleinen Schritten, wobei in einigen Ländern durchaus Fortschritte wahrnehmbar sind. Die Unterschiede sind allerdings so groß, dass hinterfragt werden muss, ob eine gemeinsame Behandlung dieser Staaten in einem Antrag möglich ist. Gemeinsam ist diesen Staaten, dass sie weitgehend autoritär regiert werden. Es gibt allerdings deutliche Unterschiede zwischen dem wirtschaftlich prosperierenden Kasachstan einerseits und Turkmenistan oder Usbeki-stan andererseits, die deutlich repressiver sind und bei -denen die Probleme nicht durch eine dynamische Entwicklung der Wirtschaft abgemildert werden. Turkmenistan ist nach unserer Auffassung immer noch eines der repressivsten Länder der Welt. Mit Usbekistan unterhalten wir zwar eine enge Kooperation, und das Parlament hat einige Reformen zur formellen Stärkung der Rechtsstaatlichkeit angestoßen; die konkreten Auswirkungen auf die Menschen dürften aber wenig spürbar sein. Wohl auch deshalb ist eine Delegation des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages, die sich im September vor Ort unter meiner Leitung über die Menschenrechtssituation in Usbekistan informieren wollte, nicht ins Land gelassen worden. Insofern muss man davon ausgehen, dass es um die Menschenrechtssituation in Usbekistan schlecht bestellt ist. Man muss deutlich sagen: Die Ausladung unserer Delegation widerspricht dem Umgang, den man dem wichtigsten Partner dieses Landes in Europa gegenüber erwarten würde. Wir sind auch ein wichtiger Geldgeber, was Entwicklungsmittel betrifft. Ich bin erstaunt, dass die usbekische Regierung glaubt, sich solche Signale leisten zu können. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist ja nicht so, dass wir Menschenrechtspolitiker auf unseren Reisen außerhalb von Europa auf entwickelte Demokratien mit unabhängiger Justiz treffen würden, in denen die Menschenrechte voll geachtet werden. Wir konnten aber eben auch in problematischen Ländern unsere Möglichkeiten ausschöpfen, Besuche machen und bei aller Kritik gelegentlich auch Fortschritte feststellen, die wir dann auch kommunizieren. Das muss ja auch im Interesse der Länder sein. Berichte von Fortschritten gab es auch aus Usbeki-stan, (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hat sich doch nichts getan! Da ist doch nichts passiert!) vor allem auf dem Gebiet der Kinderarbeit und der vorzeitigen Annäherung an die Internationale Arbeitsorganisation, ILO. Diese Entwicklung vor Ort überprüfen zu lassen, wäre eigentlich auch für Usbekistan nützlich gewesen. Das Land wollte das aber nicht. So bleibt Usbekistan wie auch Turkmenistan in menschenrechtlicher Hinsicht problematisch. In beiden Staaten werden Andersdenkende besonders unterdrückt, und das nicht nur politisch und religiös, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Auch internationale Menschenrechtsaktivisten können in diesen Ländern eben nur schwer arbeiten und sich dort platzieren. Auch in Kirgistan macht die Entwicklung Sorgen; denn hier hat es durch die Übernahme des russischen Gesetzes über die Nichtregierungsorganisationen eine klare Verschlechterung der Menschenrechtssituation gegeben. Ein Thema, das im Zusammenhang mit Zentralasien auch immer wieder eine Rolle spielt, ist die Situation und die Rolle von sexuellen Minderheiten. Hier gibt es in Zentralasien große Defizite. Die Bereitschaft, zum Beispiel gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern die rechtliche Situation und die freie Ausübung ihrer sexuellen Orientierung voranzubringen, ist bei den meisten Regierungen fast überhaupt nicht ausgeprägt, und wenn überhaupt, dann nur sehr gering. Deswegen ist es auch unsere Verpflichtung, diese Themen immer wieder anzusprechen (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und deutlich zu machen, dass das aus unserer Sicht eine unbequeme Situation für eine langfristige Partnerschaft ist. Allerdings stellt sich auch die Frage, in welcher Form man das tut. Nur anzuprangern, hilft kaum weiter. Es gibt auch andere Möglichkeiten. Es gilt zum Beispiel, von unserer Seite vielmehr das Bewusstsein für diese Gruppen zu stärken und kleine Verbesserungen und auch Unterstützung durch eine entsprechende Zusammenarbeit mit diesen Gruppen anzubieten. Ich denke, dass wir alle uns über die menschenrecht-lichen Probleme in Zentralasien einig sind, auch wenn ich nochmals davor warnen will, alle Länder über einen Kamm zu scheren. Dieses Bewusstsein hat im Handeln der EU und der Bundesregierung bereits einen deut-lichen Niederschlag gefunden; (Michael Brand [CDU/CSU]: So ist es üblich!) denn die EU-Zentralasienstrategie – sie ist angesprochen worden –, die ja auf Deutschlands Initiative zustande gekommen ist, widmet sich in weiten Teilen eben dem Thema Menschenrechte. In diesem Rahmen setzen wir uns für die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit vor Ort und für die Unabhängigkeit der Justiz ein, auch indem wir entsprechende Strukturen schaffen. Das Instrument der EU ist der Menschenrechtsdialog als eine wesentliche Gesamtstrategie. Diese Dialoge zielen auf konkrete praktische Maßnahmen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation ab und unterstützen auch ganz spezifische Projekte. Deutschland als das einzige Land innerhalb der Europäischen Union, das in den fünf zentralasiatischen Ländern auch Botschaften unterhält und damit deutlich macht, wie wichtig die Länder aus unserer Sicht sind, ist in diesen Punkten ganz besonders engagiert. (Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist vorbildlich!) Zudem ist Deutschland im Rahmen der EU der größte bilaterale Geber. Das müssen wir auch immer deutlich machen. Andererseits genießen wir in Zentralasien auch den Ruf, dass wir ein ehrlicher Makler und Partner sind. (Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) Insofern werden die im Antrag der Grünen aufgeführten Punkte von der Bundesregierung permanent durchgeführt. Es ist nicht nötig, hier durch einen eigenen Antrag Aktionen zu fordern, die eben ohnehin politisches Handeln sind und ständig auf der politischen Agenda stehen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist eine Katastrophe, dass wir für Usbekistan noch Entwicklungshilfe leisten! Das Land ist steinreich!) Meine Damen und Herren, ein Element unserer Menschenrechtspolitik kommt im Antrag hingegen überhaupt nicht vor. Deswegen muss ich es hier ansprechen. Es geht um die Verknüpfung von Menschenrechten und Entwicklungszusammenarbeit, die gerade im neuen Menschenrechtskonzept des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung festgehalten ist und auch für die bilaterale Kooperation mit diesen Ländern sehr wichtig ist. (Michael Brand [CDU/CSU]: Es ist ziemlich wichtig, das zu sagen!) Dieses Konzept stellt eine ganz neue Qualität dar, auch weil es für alle Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit verbindlich ist. In deren Monitoring und Evaluierung werden jetzt erstmals Menschenrechte mit einbezogen. Beschwerde- und Sanktionsmechanismen werden geschaffen. Fast noch wichtiger ist, dass ein Kriterienkatalog erarbeitet worden ist, mit dem die Regierungsführung und die Menschenrechtssituation in den Partnerländern bewertet werden. (Michael Brand [CDU/CSU]: Und das alles steht nicht im Antrag?) Grundlage sind die Umsetzung der Menschenrechtskonventionen in nationales Recht, die Schaffung entsprechender Institutionen und Verfahren sowie die Ergebnisse der Umsetzung zentraler Menschenrechte. Die Ergebnisse der Bewertungen sind dann auch Grundlage für die Art und Ausgestaltung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, also Antwort auf die Frage: Wie viel Gelder bekommen diese Länder? Wenn sie sich von „bad“ nach „good“ entwickeln, dann gibt es einfach mehr. So einfach ist es, aber so richtig ist es auch. Das bedeutet, dass wir uns bei schlechten Ergebnissen oder bei Verschlechterung bestimmter Formen der Entwicklungszusammenarbeit auch die grundsätzliche Frage stellen müssen, ob Entwicklungszusammenarbeit mit diesen Ländern noch sinnvoll und gut ist. Meine Damen und Herren, mit Druck und Belehrung kommen wir in Zentralasien nicht weiter, wie auf der Welt überhaupt nur selten. Wir müssen die Situation vor Ort in ein Verhältnis zu den regionalen und zu den historischen Kontexten setzen. Ein Teil der autoritären Tendenzen ist auch der Situation geschuldet, dass diese Staaten aus der autoritären Sowjetunion stammen und immer noch ein starker russischer Einfluss bemerkbar ist. Die Angst vor einer destabilisierenden Situation auch durch den Islamismus führt weiterhin dazu, dass man gerade die Religionsfreiheit einschränkt – das ist ein ganz wichtiger Punkt für uns – und man die Kontrolle nur ungern aus der Hand gibt. Der beste Weg ist aus meiner Sicht, unser Engagement zu erhöhen; denn wir werden mittelfristig auch eine nachhaltigere Menschenrechtspolitik in Zentralasien erreichen und durchsetzen müssen. Faire Zusammenarbeit und Ehrlichkeit sind Tugenden, die die Regierungen dort verstehen; denn sie befinden sich in einem jungen Prozess auch der Entwicklung im Kaukasus und in Zentralasien und sozusagen in einem schweren Übergang in echte Demokratieländer. Aus diesem Grunde sollten wir klar in der Analyse der Probleme sein, um die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung und die Zusammenarbeit mit diesen Ländern in den nächsten Jahren zu verbessern. Dazu gehört im Übrigen auch – das möchte ich noch als letzten Punkt anführen – die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, die bei der Zentralasienstrategie eine wichtige Rolle spielt, weil damit die Zivilgesellschaft unterstützt wird, weil wir hier zu einer offenen, teilweise manchmal auch problemlosen Kommunikation kommen können. Ich sage es noch einmal: Die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik mit all den Angeboten, ob das Goethe-Institute oder ob das Austauschprogramme sind, sind ein unschätzbarer Wert in dieser Zusammenarbeit. Also, meine Damen und Herren: Der Kaukasus und Zentralasien sind Schlüsselregionen für Deutschland. Das gilt nicht nur für die Rohstoffsicherung, sondern auch für den Zugang nach Ost- und Südasien. Geostrategisch sind diese Länder für die Zukunft, für unsere Zukunft und die Zukunft der EU, ein ganz wichtiger Bereich. Deswegen müssen sie weiterhin im Fokus bleiben, sie müssen von uns weiterhin unterstützt werden, aber auch mit einer Zurückhaltung und mit einer wirklichen Überprüfung unserer Arbeit und Kooperation. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Katrin Werner das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Katrin Werner (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Menschenrechten in Zentralasien wurde lange Zeit zu wenig Beachtung geschenkt. Wir sollten immer als Erstes und zu jedem Land über die Menschenrechte reden und darüber, wie wir diese stärken können. Erst dann kann es um die wirtschaftlichen Interessen gehen. (Beifall bei der LINKEN) Aber auf der Homepage des Auswärtigen Amts steht: Die Länder Zentralasiens gewinnen zunehmend strategische Bedeutung. Dann heißt es weiter: Im wirtschaftlichen Bereich wird die Region immer wichtiger für die Rohstoff- und Energiesicherheit Deutschlands und der EU. Auch für die Entwicklung einer transkontinentalen Transport-Infrastruktur, die Europa, Russland und Asien miteinander verbindet, gewinnt Zentralasien zunehmend eine Schlüsselstellung. Für Sie also zählt zuerst: Die Region ist reich an Rohstoffen, wie Erdöl, Erdgas, Uran und Seltenen Erden. Russland, die USA und China konkurrieren seit geraumer Zeit erbittert um den Zugang zu diesen Rohstoffen und um die Kontrolle der Transportwege, und auch die EU mischt mit. Weiter liest man auf der Homepage des Auswärtigen Amts: Daneben ist die Region wegen ihrer Nachbarschaft zu Afghanistan von herausragender Bedeutung. (Michael Brand [CDU/CSU]: Was haben Sie denn gegen Deutschland und die Europäische Union?) Genau darum geht es. Der Flughafen Termez in Usbeki-stan dient der Bundeswehr von Anfang an als Drehscheibe für den Transport von Material und Soldaten nach Afghanistan. Dafür zahlt Deutschland circa 20 Millionen Euro pro Jahr. (Michael Brand [CDU/CSU]: Nicht nur der Bundeswehr, sondern vielen Nationen!) An der Zentralasienstrategie zeigt sich, wie sich die EU die Entwicklung ihrer Beziehungen zu den zen-tralasiatischen Ländern vorstellt. An der Ausarbeitung dieser Strategie hat die ehemalige schwarz-rote Bundesregierung 2007 maßgeblich mitgewirkt. Mit dem heutigen Antrag fordern SPD und Grüne richtige und wichtige Punkte, aber sie halten weiter an der EU-Zentralasienstrategie fest. Es stehen weiter die wirtschaftlichen Interessen an erster Stelle. Dabei ist die Situation bei den bürgerlichen und politischen Menschenrechten in Zentralasien dramatisch. Hier geht es vor allem um Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und Meinungsfreiheit. In all diesen Ländern herrschen mehr oder weniger autoritäre Regime, die demokratische Grundrechte systematisch verletzen. Auch bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten bestehen zum großen Teil Defizite. Beispielsweise werden in Usbekistan Kinder vom Staat verpflichtet, in der Baumwollindustrie zu arbeiten. Die Linke sagt: Ausbeuterische Kinderarbeit ist ein Skandal und gehört endgültig abgeschafft! (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Das sagt nicht nur die Linke!) Diese Punkte werden in ihrem Antrag kritisch und richtig beschrieben. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Entscheidend ist aber, was in Ihrem Antrag fehlt. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und? Was denn?) Hinzu kommt, dass Sie völlig inkonsequent bleiben, was die realen Umsetzungsmöglichkeiten Ihrer Forderungen angeht. Die EU-Zentralasienstrategie ist primär auf wirtschaftliche Ziele ausgerichtet. Es geht um Freihandel und Privatisierung von Wirtschaftsressourcen in diesen Ländern. Menschenrechte spielen nur eine Nebenrolle. Dies zeigt sich beispielsweise auch daran, wie ungeniert die Bundesregierung den diktatorischen Präsidenten Kasachstans hofiert hat, (Michael Brand [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zu Kuba!) um Anfang des Jahres eine Rohstoffpartnerschaft mit Kasachstan abzuschließen, und das trotz der bekannten Missstände in Kasachstan. Wenn SPD und Grüne ihre eigenen Anträge ernst nehmen würden, müssten sie fordern, dass die EU-Zentral-asienstrategie vor allem um menschenrechtsbezogene Ziele erweitert wird. Ohne eine andere Gewichtung und inhaltliche Änderung der Zentralasienstrategie lassen sich ihre Forderungen nicht umsetzen. (Beifall bei der LINKEN) Den rot-grünen Antrag lehnt die Linke ab. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht Viola von Cramon für Bündnis 90/Die Grünen. Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes möchte ich in der Tat meinen SPD-Kolleginnen und -Kollegen für die Initiative zu diesem Antrag ganz herzlich danken. Es war eine ausgesprochen angenehme Kooperation. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich bin erfreut, dass wir gemeinsam ein durchaus kritisches Resümee der EU-Zentralasienstrategie ziehen können. Diese hat im Bereich Demokratie und Menschenrechte – ich glaube, Frau Werner, das haben wir explizit so beschrieben – nicht zu relevanten Fortschritten in den fünf zentralasiatischen Ländern beitragen können. Bei der Neujustierung der Strategie haben die EU-Staaten im Sommer jetzt ausgerechnet die sicherheitspolitische Kooperation mit den zentralasiatischen Staaten stärker ins Zentrum gestellt. Das geschieht natürlich – das haben einige vor mir erwähnt – vor dem Hintergrund des ISAF-Abzugs. Es ist symptomatisch für die westliche Politik gegenüber Zentralasien: Im Rahmen des Antiterrorkampfes und der Sicherung der nördlichen Abzugsrouten sind Menschenrechte und Demokratie in Zentralasien leider absolut nachrangig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Hinzu kommen massive Interessen an Rohstoffen aus Turkmenistan und Kasachstan. Das ist leider der Hintergrund, vor dem wir hier über Menschenrechte in Zentralasien diskutieren. Wir hören menschenrechtliche Bekenntnisse aus den Regierungsfraktionen, aber sie klingen hohl. Nichts verdeutlicht die Doppelmoral der Bundesregierung in Bezug auf die Menschenrechte in Zentralasien besser als die hier schon erwähnte bilaterale Rohstoffpartnerschaft mit Kasachstan und die Sicherheitskooperation mit Usbekistan. Zu Kasachstan. Im Februar hat die Bundeskanzlerin dem kasachischen Präsidenten Nasarbajew hier in Berlin den großen Hof gemacht. Der Grund? Die deutsche Wirtschaft will privilegierten Zugang zu den Seltenen Erden und anderen Rohstoffen haben. Den Besuch Nasarbajews und den Abschluss der bilateralen Rohstoffpartnerschaft halte ich aus vier Gründen für ein politisches Fiasko: erstens der Zeitpunkt – keine zwei Monate nach dem Massaker an den streikenden Ölarbeitern und keinen Monat nach den pseudodemokratischen Parlamentswahlen im Januar, das war absolut schamlos –; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) zweitens der bilaterale Charakter – damit unterläuft die Bundesregierung eine kohärente europäische Menschenrechtspolitik und multilaterale Governance-Strukturen im Rohstoffsektor –; drittens das fehlende Engagement bei Substitution und Recycling zum Beispiel von Seltenen Erden – denn nur deswegen gerät unsere Wirtschaft in die Abhängigkeit von zweifelhaften Regimen wie dem kasachischen – und viertens der Inhalt des Abkommens zur Rohstoffpartnerschaft. Im Abkommen fehlen Verweise auf maßgebliche internationale Abkommen des Menschenrechtsschutzes, der Arbeitsrechte, der Bürgerbeteiligung und der Transparenz. Wir haben mit dem Entwurf eines Abkommens für eine alternative Rohstoffpartnerschaft gezeigt: Es geht eben auch anders, wenn man wertegeleitete Politik ernst nimmt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Es überrascht mich aber nicht, dass die Bundesregierung die Forderung der Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen, Pillay, nach einer internationalen Untersuchungskommission noch nicht einmal unterstützt. Man will es sich auf Teufel komm raus mit dem Autokraten Nasarbajew nicht verderben. In Einzelfällen, ja, da setzt man sich für einen prominenten politischen Gefangenen wie den Theaterregisseur Bolat Atabajew ein. Das freut mich. Aber ich denke nicht, dass das ausreicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Brand [CDU/CSU]: Ich hatte mehr von Ihnen erwartet!) Zweites Beispiel, Usbekistan. Hier sieht die Menschenrechtslage noch düsterer aus als in Kasachstan; die Details sind uns bekannt. Doch ist und bleibt Usbekistan ein zentraler Partner der NATO-Staaten in Bezug auf Afghanistan. Deutschland spielt mit einem Geheimvertrag über die Nutzung des Flughafens Termez eine besondere Rolle. (Patrick Döring [FDP]: Wenn Sie davon Kenntnis haben, ist der doch nicht geheim!) In der Antwort auf eine Kleine Anfrage unsererseits hat sich die Bundesregierung zu den Konsequenzen aus der katastrophalen Menschenrechtslage für die sicherheitspolitische Kooperation im Mai ignorant gezeigt und ist auf diese Frage gar nicht eingegangen – ich zitiere –: Die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Usbekistan konzentriert sich wesentlich auf die Unterstützung der Operationsführung der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe für Afghanistan (ISAF) und in diesem Zusammenhang die Nutzung des Flughafens Termez. That’s it. Wie soll man das anders verstehen, als dass Menschenrechte einfach keine Rolle für Art und Ausmaß der sicherheitspolitischen Kooperation spielen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dazu passt, dass Usbekistan, Herr Klimke, weiterhin vorrangiges Kooperationsland, ein sogenanntes A-Land, der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bleibt. Aber die UKW-Frequenz für die Deutsche Welle, die dringend notwendig wäre, wird eingestellt. Das ist eine Katastrophe. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Obwohl die Bundesregierung immer wieder vorgibt, sich für die Abschaffung der Kinderzwangsarbeit bei der Baumwollernte einzusetzen, hört man hinter den Kulissen, dass sie ein konsequenteres Engagement in der ILO zu diesem Thema ausbremst. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin! Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin fertig. (Michael Brand [CDU/CSU]: Wir auch!) – Ich bin fertig mit meiner Rede. Das ist leider die traurige Realität der Menschenrechtspolitik unserer Bundesregierung in Zentralasien. – Ich könnte noch viel hinzufügen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die Menschenrechte in Zentralasien stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11287, den Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9924 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Da-mit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Linke angenommen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen gestimmt. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung einer Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas – Drucksachen 17/10060, 17/10253 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/11386 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Martin Lindner Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Interfraktionell wurde vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann nehmen wir das so zur Kenntnis.4 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11386, den -Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/10060 und 17/10253 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Die Fraktion Die Linke war dagegen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie -zuvor angenommen. Ich lasse über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11401 abstimmen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion, enthalten haben sich Linke und Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP waren dagegen. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz – Drucksachen 17/2419, 17/8622 – Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Herrmann Carsten Schneider (Erfurt) Florian Toncar Steffen Bockhahn Katja Dörner Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und teile Ihnen mit, dass Frau Vogelsang und Herr Danckert ihre Reden zu Protokoll geben.5 (Michael Brand [CDU/CSU]: Die sind in Bonn!) Ich gebe das Wort der Kollegin Gisela Piltz für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Gisela Piltz (FDP): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Richard von Weizsäcker hat einmal gesagt: Keine andere Stadt, und gewiss nicht Bonn, will Berlin, der Hauptstadt der Deutschen, ihren historischen und geistigen Rang und ihre Zukunftsaufgaben für alle Deutschen streitig machen. – Die Behauptung in dem Antrag der Fraktion Die Linke, Berlins Rolle als Bundeshauptstadt werde durch den zweiten Dienstsitz von Ministerien in Bonn geschwächt, ist – das zeigt auch die jüngere Geschichte in Berlin – schlicht haltlos. In der politischen und gesellschaftlichen Realität ist es längst unstrittig – deshalb reden wir auch hier und nicht in Bonn –, dass Berlin die Funktion als Bundeshauptstadt voll erfüllt. Das ist im In- und Ausland anerkannt. Auch wenn man die Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger anschaut, sieht man es; denn wichtige Demonstrationen finden hier statt und nicht in Bonn. Zudem darf bei der Diskussion nicht vergessen werden, dass damals die Zustimmung zu dem Berlin-Bonn-Gesetz an die Bedingung geknüpft war, dass Bonn zum Teil Dienstsitz von Ministerien bleibt. Eine Änderung des Gesetzes wäre somit ein nachträglicher Wegfall der Geschäftsgrundlage, und für die FDP-Bundestagsfraktion gilt immer noch: Pacta sunt servanda, Verträge müssen eingehalten werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nur weil einem 20 Jahre später etwas anderes einfällt, kann man das nicht ändern. Eines sage ich Ihnen sehr klar – ich habe damals in Bonn studiert und habe es erlebt –: Berlin hätte nie eine Mehrheit bekommen, wenn dieses Gesetz nicht auf den Weg gebracht worden wäre. Das muss man der Ehrlichkeit halber sagen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eines bewegt mich als überzeugte Föderalistin ohnehin, nämlich die Tatsache, dass wir in Deutschland mit dem Umzug eine Art Rutschbahneffekt erleben. Wir bauen ein neues Bundespolizeipräsidium. Wo wird es gebaut? In Potsdam. Die Abteilung 6 des Verfassungsschutzes zieht wohin? Nach Berlin. Der BND zieht zum überwiegenden Teil wohin? Nach Berlin. Manchmal frage ich mich im Nachhinein, wie dieses Land jahrzehntelang ohne moderne Technologie funktioniert hat. Man hat mit diesen Häusern offenbar über Kilometer hinweg kommunizieren können. Irgendwie habe ich die Entwicklung wohl verschlafen. Deutschland kann offenbar auch mit gut verteilten Institutionen leben. (Beifall des Abg. Patrick Döring [FDP]) Wichtig ist in diesem Zusammenhang: Wir sind ein föderalistischer Staat, wir sind kein zentralistischer Staat. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, wieder einen zentralistischen Staat wollen, so sage ich Ihnen: Wir sind schon in Berlin. – Das sollte als Erfahrung für Sie reichen. Man kann natürlich vieles noch verbessern, zum Beispiel die Konferenztechnologie. Man kann sich auch in dem einen oder anderen Ausschuss morgens überlegen, wie man damit umgeht, wenn Beamtinnen und Beamte aus Bonn anreisen. Es ist alles schon viel besser geworden. In Ihrem Antrag erwähnen Sie übrigens die Umzugskosten mit keinem Wort. Sie tun so, als ob sich der Umzug von selbst bezahlen würde. Wenn Sie die Beamtinnen und Beamten hier unterbringen wollten, müssten Sie Neubauten errichten. Wer sich wie ich mit dem Bau des Polizeipräsidiums und des Innenministeriums beschäftigt hat, der weiß, dass ein Neubau nicht für 1 Euro zu haben ist. Der ist vielmehr richtig teuer. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Da wir uns vorgenommen haben, zu sparen, ist das, glaube ich, auch ein Beitrag zu einem strukturell ausgeglichenen Haushalt. Auch deshalb ist es für uns selbstverständlich, dass wir einem Antrag, der eine geschätzte Amortisationszeit von 200 bis 500 Jahren hat, nicht zustimmen können. Wenn Sie so weit denken, herzlichen Glückwunsch! Wir denken an die schwarze Null im Jahr 2014. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Vor allen Dingen ist es interessant, dass ausgerechnet die Linke – wo Sie sich hier immer so sozial gerieren – sich um konkrete Vorschläge zu den sozialen Betroffenheiten herumdrückt. Über die berechtigten Anliegen der Betroffenen – das sind nicht nur topbezahlte Beamtinnen und Beamten, sondern vor allen Dingen auch Menschen im mittleren oder vielleicht sogar einfachen Dienst – schweigen Sie sich einfach aus. Dazu fällt Ihnen eigentlich nur ein, dass das Ganze durch die Mitbestimmung – die sowieso gesetzlich vorgeschrieben ist – geregelt werden soll. Wenn Ihnen nicht mehr zur sozialen Betroffenheit von Tausenden von Beamten, die von Bonn nach Berlin umziehen sollen, einfällt, dann weiß ich nicht, wo Ihr soziales Gewissen geblieben ist. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Eines weiß ich aber: dass jeder, der heute Ihrem Antrag nicht zustimmt, ein soziales Gewissen hat und sich an rechtsstaatliche Verbindlichkeiten hält. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Soziales Gewissen bei der FDP? Das ist aber eine gewagte These! Ich bin entsetzt! Sechs! Setzen!) Wenn Sie das nicht können, ist Ihnen nicht zu helfen. Wir haben eine andere Auffassung. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort erteile ich jetzt dem Kollegen Roland Claus für die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Roland Claus (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meiner Vorrednerin will ich in einem Punkt ausdrücklich zustimmen: Dass wir weiter denken als die FDP, stimmt in der Tat. (Beifall bei der LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Den Referenten würde ich für den Scherz verprügeln!) Aber dass die FDP gerade bei diesem Antrag ihr soziales Gewissen entdeckt, ist etwas kurios. Worüber reden wir hier? Wir reden über eine seit 13 Jahre zweigeteilte Bundesregierung. Sie haben richtig gehört. Fast die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesregierung arbeitet nach wie vor am Standort Bonn. Da geht es nicht um Bundesämter und nachgeordnete Behörden, sondern um eine unmittelbare Regierungstätigkeit. Zu jeder Zeit unserer Beratungen führt das dazu, dass konkret 170 Angestellte des Bundes oder Bundesbeamte sich in der Luft befinden – zwischen Bonn und Berlin oder Berlin und Bonn. Zurzeit sind es ausdrücklich einige mehr, weil wir in den Haushaltsberatungen stecken. (Ulrich Kelber [SPD]: Können Sie die Zahlen noch einmal wiederholen?) Was tut die Bundesregierung und die sie tragende Koalition in dieser Zeit? Sie tut nichts oder eher das Gegenteil: Sie verfestigt diese Teilung, beispielsweise mit der Absicht, eine zentrale Bundesbehörde für die gesamte Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes in Bonn zu installieren. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie jetzt auch gegen die Bundesbehörden in Bonn?) Uns wird gelegentlich vorgehalten, dass wir diesen Antrag alle Jahre wieder stellten. Das ist auch nicht falsch, aber ich weiß, dass Sie dieses „alle Jahre wieder“ nicht als Kompliment meinen. Deshalb sagen wir Ihnen ganz deutlich: Solange Sie sich nicht oder in diesem Schneckentempo bewegen, mit dem Sie jetzt unterwegs sind, werden Sie mit diesem Antrag auch künftig zu tun haben. (Beifall bei der LINKEN) Was schlägt Ihnen nun die Linke vor? Die Linke sagt: Wir wollen einen schrittweisen Komplettumzug der Bundesregierung nach Berlin, und wir wollen trotzdem den Erhalt einer bundesweiten Verteilung von Bundesämtern und Bundesbehörden. Unser Hauptargument heißt: Geteilt regieren heißt schlecht regieren. Man merkt dieser Regierung an allen Ecken und Enden an, dass dies auch zutrifft. (Beifall bei der LINKEN – Iris Gleicke [SPD]: Das hat aber nichts mit den Bonner Mitarbeitern zu tun!) Ich will Ihnen auch eines klarmachen, weil mir immer wieder entgegengehalten wird, wir seien jetzt im Zeitalter von Computern und Telefonkonferenzen, was ich natürlich alles begrüße und nicht abstreite. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt eigentlich Paul Schäfer dazu?) Aber Sie werden auch die Erfahrung gemacht haben: Wirklich wichtige Entscheidungen in Regierung, Politik und Fraktionen fallen immer noch dadurch, dass Menschen zusammenkommen, sich die Sachlage erklären und etwas gemeinsam verabreden. Die Bundesregierung hat uns den jährlichen Teilungskostenbericht vorgelegt. Er enthält wie immer natürlich nur einen Teil der Wahrheit. Die ganze entgangene Arbeitszeit gehört auch zur Wahrheit; das geschieht beispielsweise dadurch, dass Beamte des Bundes, die Sie als Abgeordnete hierher zu uns zur Beratung einladen, (Ulrich Kelber [SPD]: 1,1 Dienstreisen pro Mitarbeiter und Jahr!) quasi umsonst hierher gefahren sind, wenn sich eine Tagesordnung verändert und dann eine Debatte stattfindet. Auch diese Wahrheit sparen Sie aus. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dazu kommt, dass es bundesweit viele junge kreative Leute gibt, die sich vorstellen können, ihre berufliche Entwicklung in einem Bundesministerium stattfinden zu lassen. Diese jungen Leute – das kann ich Ihnen wirklich sagen; das können uns auch alle mit Personalfragen Beschäftigten sagen – haben natürlich in erster Linie ein Interesse, nach Berlin zu kommen. Sie wollen nicht nach Bonn. Auch das muss gesagt werden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: Es ist die jüngste Großstadt Westdeutschlands!) Nun haben wir den Antrag im Haushaltsausschuss beraten. CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen haben unseren Antrag abgelehnt. Die SPD hat sich der Stimme enthalten. Das ist für uns wirklich ein beachtenswerter Schritt; dass sie sich hier bewegt hat, wollen wir auch anerkennen. (Ulrich Kelber [SPD]: Nicht die SPD, sondern zwei Haushälter!) – Die SPD hat sich in dem federführenden Ausschuss, Herr Kollege Kelber, ausdrücklich enthalten. Das können auch Sie nachlesen. Zu dem Einwand, man müsse geschlossene Verträge einhalten, kann ich Ihnen nur sagen: Alles, was der Bundesstadt Bonn – bitte schön, auch zu Recht – versprochen wurde, wurde spätestens bis 2003/2004 eingehalten. Man kann heute mit Fug und Recht sagen: Keinem Bonner wird es schlechter gehen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Das Berlin-Bonn-Gesetz hatte seine Zeit, getreu dem Bibelwort: Ein Jegliches hat seine Zeit. – In der Bibel steht aber nicht: Ein Jegliches hat seine Ewigkeit. Deshalb gehört auch jetzt das Berlin-Bonn-Gesetz aufgehoben. Vizepräsident Eduard Oswald: Beim Stichwort „Ewigkeit“ darf ich Sie an die Redezeit erinnern. Roland Claus (DIE LINKE): Herr Präsident, ich komme dem gerne nach. – Auf zur Wiedervereinigung der Bundesregierung in Berlin! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Roland Claus. – Die Kollegin Katja Dörner hat ihre Rede zu Protokoll gegeben.6 Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Beendigungsgesetz zum Berlin-Bonn-Gesetz“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8622, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2419 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! – Die Linksfraktion. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Bei der SPD hat auch einer mitgestimmt!) Enthaltungen? – Das ist die Fraktion der Sozialdemokraten. (Viola von Cramon-Taubadel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kelber hat dagegen gestimmt!) – Das kann der Herr Kelber selber sagen, wenn es so ist. Hier ist es nicht gesehen worden. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zur Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (EMIR-Ausführungsgesetz) – Drucksache 17/11289 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Ralph Brinkhaus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich darf bei der Gelegenheit darauf hinweisen, dass man um diese Uhrzeit einen hohen Zeitanteil nicht immer ausschöpfen muss. Bitte schön! Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Das war jetzt aber gemein, Herr Präsident. – Nein, das werde ich auch nicht machen. Vizepräsident Eduard Oswald: Ich habe „muss“ gesagt. (Heiterkeit) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Der verehrte Herr Präsident hat ja gerade den sperrigen Titel dieses Gesetzes vorgelesen. Man mag sich wirklich fragen: Was machen wir hier? Ausführungsgesetz zur Verordnung über OTC-Derivate – ist es wirklich wichtig, dass wir zu dieser späten Stunde darüber noch diskutieren? Ich sage Ja. Ich sage ganz ausdrücklich Ja; denn dieses Regulierungswerk ist wieder einmal ein sehr epochales Regulierungswerk, das wir hier zusammen mit unseren europäischen Kollegen auf den Weg bringen. Ich nenne Ihnen nur einmal eine Zahl. Das Nominalvolumen der ausstehenden Derivate, das weltweit über die Finanzmärkte wabert, beträgt nach seriösen Schätzungen zwischen 600 Billionen und 1 000 Billionen US-Dollar. Das muss man sich einmal vorstellen! Das wirklich Beunruhigende an der ganzen Sache ist, dass diese Märkte größtenteils nur wenig bis gar nicht reguliert sind. Hier soll Abhilfe geschaffen werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung behandeln. Was sind überhaupt Derivate, meine Damen und Herren? Sind Derivate eigentlich etwas Schlimmes? Nein, Derivate sind ganz normale Termingeschäfte, und diese werden in der Realwirtschaft auch gebraucht. Um ein einfaches Beispiel zu geben: Ein Maschinenbauer schließt am 1. Juli eines Jahres einen Vertrag, nach dem er zum 1. Dezember zu einem bestimmten Preis in US-Dollar eine Maschine liefert. Er stellt während der Zeit, wo er die Maschine baut, fest, dass der US-Dollar im Wert verfällt und er am Ende des Tages viel weniger für seine Maschine bekommt, als er ursprünglich gedacht hat. Um so etwas zu vermeiden, sichert man sich mit einem Devisensicherungsgeschäft ab. Das hört sich durchaus nützlich an. Es gibt ja auch Zinssicherungsgeschäfte und Warensicherungsgeschäfte. Die Realwirtschaft braucht diese Geschäfte. Nichtsdestotrotz sind wir – ich glaube, das gilt für alle Fraktionen hier im Hause – sehr beunruhigt. Warum sind wir beunruhigt? Einmal aufgrund des hohen Volumens dieser Geschäfte mit Derivaten – 600 bis 800 Billionen US-Dollar – und zum anderen deshalb, weil wir festgestellt haben, dass das Volumen dieser Geschäfte viel schneller gewachsen ist als das Bruttosozialprodukt in der Welt. Man lernt daraus, dass es anscheinend so ist, dass sich diese Geschäfte vom realwirtschaftlichen Bezug abgekoppelt haben. Findige Finanzmanager, findige Investmentbanker haben entdeckt, dass man für Geschäfte mit Derivaten, mit denen sich ein Gewinn, ein Ertrag erzielen lässt, den besagten Maschinenbauer überhaupt nicht braucht. Man kann untereinander handeln. So hat sich die ganze Sache unglaublich aufgebläht. Wir wissen eigentlich auch gar nicht, was auf diesen Derivatemärkten so abgeht. Wir haben das festgestellt, als wir 2010 die Griechenland-Krise gehabt haben. Da wurde gesagt: Mit Credit Default Swaps wird gegen Griechenland gezockt. Wir hätten gern empirische Daten gehabt. Wir hätten gern gewusst: Wer zockt gegen Griechenland, in welcher Höhe, mit welchen Verträgen? Wir wussten es nicht. Deswegen, meine Damen und Herren, konnte die Aufsicht auch nicht eingreifen. Deswegen sind wir sehr daran interessiert, dass dort Transparenz entsteht. Wir haben eine weitere beunruhigende Feststellung gemacht, nämlich dass diese Produkte immer komplexer werden. Wir hatten im Finanzausschuss eine Anhörung zu Spread Ladder Swaps. Das ist so kompliziert, dass mir selbst der Vorstand der Deutschen Bank nicht so richtig erklären konnte, was er an Kommunen und mittelständische Unternehmen verkauft hat. Das hat zu einem erheblichen Schaden geführt: bei Kommunen, bei mittelständischen Unternehmen. Solche Geschäfte sind im Übrigen auch heute noch gerichtsanhängig. Wenn ich das einmal zusammenfasse: einerseits riesengroße Volumina, die durch die Welt gehen, wenig Transparenz, Abkopplung von realwirtschaftlichen Prozessen und andererseits Produkte, die so komplex sind, dass sie wahrscheinlich nur noch der mathematisch vorgebildete Fachmann versteht. Das ist, glaube ich, Anlass genug, zu regulieren. Insofern erfüllen wir heute zusammen mit unseren europäischen Kollegen das Versprechen, das wir im Koalitionsvertrag gegeben haben, dass kein Finanzprodukt, kein Finanzmarkt und kein Akteur unreguliert bleibt. Deswegen wird hier heute das Ausführungsgesetz zur EMIR-Verordnung auf den Weg gebracht. Was beinhaltet die EMIR-Verordnung, meine Damen und Herren? Die EMIR-Verordnung regelt erstens, dass diese Derivate zukünftig, wenn sie standardisiert sind, über zentrale Plattformen abgewickelt werden. Das schafft Transparenz. Das schafft Sicherheit. Das schafft eine bessere Abwicklung. Das ist wichtig. Zweitens wird geregelt, dass es da, wo es nicht möglich ist, diese Derivate über zentrale Plattformen abzuwickeln, ein besseres Risikomanagement gibt und dass alle diese Geschäfte transparent gemacht werden, indem sie in Register eingetragen werden. Das müssen wir jetzt hier in Deutschland eigentlich gar nicht direkt umsetzen, weil es sich um eine EU-Verordnung handelt, die gleich deutsches Recht ist, aber wir müssen einige Sachen auf den Weg bringen, damit diese Verordnung hier in Deutschland auch ordentlich wirken kann. Als Erstes müssen wir – wie es immer so ist – festlegen, welche Behörde in Deutschland für die EMIR-Verordnung zuständig ist. Wir müssen als Zweites einige konkurrierende gesetzliche Regelungen im KWG ändern, die mit der EMIR-Verordnung nicht zusammenpassen. Wir müssen drittens – das ist auch ganz wichtig – hier in Deutschland Bußgeldtatbestände festlegen. Wir müssen viertens einige Folgeänderungen vornehmen: im Versicherungsaufsichtsgesetz, im Investmentgesetz und – das ist ganz wichtig; das wird uns noch beschäftigen – im Insolvenzrecht. Das ist das, was wir hier machen müssen. Das werden wir machen. Wenn Sie sich das alles einmal anschauen, dann merken Sie, dass als Grundalgorithmus hinter dieser Verordnung steht: Risiko minimieren und Risiko transparent machen. Das ist genau das, was wir in der christlich-liberalen Koalition in mittlerweile weit über 15 Gesetzen auf den Weg gebracht haben: Ich nenne die Gesetze zur Neuordnung der Vergütungsstrukturen, zur Neuordnung des Ratingwesens, zum Verbot der Leerverkäufe, die Umsetzung der Kapitaladäquanzrichtlinie, die Regelung von Verbriefungen von Großkrediten, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es reicht!) darüber hinaus noch das Bankenrestrukturierungsgesetz, das Anlegerschutzgesetz, das Finanzanlagenvermittlergesetz, die Neuordnung der deutschen Finanzaufsicht, die Integration der deutschen Finanzaufsicht an die europäische Finanzaufsicht, die Eigenkapital- und Liquiditätsregeln, die wir im Zuge von Basel III auf den Weg bringen, Solvency II, mit dem wir das Versicherungswesen sicherer machen, die Regulierung der alternativen Investmentfonds. Überall geht es darum, Risiko zu minimieren und vor allem Risiken transparent zu machen, damit eine Aufsicht vernünftig eingreifen kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Umsetzung der EMIR-Verordnung; denn der 600 bis 800 Billionen Dollar große Derivatemarkt muss, wie gesagt, dringend schärfer reguliert werden. Das werden wir heute machen. Jetzt könnte ich sagen: Alles ist toll gelaufen. Wir sind mit der Regulierung fast fertig, nichts kann mehr passieren. Aber auch hier ist es so, dass wir alle, die wir hier sitzen, in Demut sagen: Nein, wir wissen nicht, woher die nächste Finanzkrise kommt. Wir wissen auch nicht, ob wir durch all diese Regulierungen die nächste Finanzkrise verhindern können. Aber wir machen sie ein wenig unwahrscheinlicher. Das ist wichtig. Vielleicht gibt es den einen oder anderen Politiker in diesem Land, den einen oder anderen Kanzlerkandidaten der einen oder anderen Partei, (Zuruf von der FDP: Wo ist er überhaupt?) der hin und wieder behauptet, er könne die Finanzmärkte sicherer machen. Wir sagen das jedoch nicht; denn wir haben noch ganz viel Arbeit vor der Brust. Über die Regulierung der Derivatemärkte und über die Regulierung der alternativen Investmentfonds hinaus müssen wir noch einige dicke Eisen anpacken. Dazu gehört beispielsweise der große Bereich der Schattenbanken. Das wird eine der wesentlichen zentralen Aufgaben der nächsten Jahre sein. Wir müssen uns endlich der Too-big-to-fail-Problematik lösungsorientiert annehmen. Die SPD schlägt eine Art Trennbankensystem vor. Das überzeugt uns nicht ganz. Vielleicht müssen wir an dieser Stelle auch über mehr Eigenkapital nachdenken. Ich glaube, wir sind uns aber darin einig, dass wir es nicht akzeptieren können, dass es auf den Finanzmärkten Marktteilnehmer gibt, die so groß sind, dass sie bei einer Insolvenz den ganzen Markt zerstören. Das dem nicht so ist, ist nicht von uns, dem Gesetzgeber, nachzuweisen, sondern die jeweilige Bank steht in der Pflicht, das nachzuweisen. Das könnte sich die ein oder andere sehr große deutsche Bank einfach einmal hinter die Ohren schreiben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Meine Damen und Herren, um dem Wunsch des Präsidenten nach kürzerer Redezeit gerecht zu werden, kürze ich meine Rede ab: EMIR wird jetzt in das parlamentarische Verfahren hineingehen. Wir werden noch im November eine Anhörung zu diesem Thema haben. Die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes wird noch im Dezember dieses Jahres stattfinden. Dann werden wir am Ende des Jahres sagen können, dass wir die Finanzmärkte wieder einmal ein wenig sicherer und besser gemacht haben. Ich glaube, das ist die Mühe wert. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Ralph Brinkhaus. Sie haben in der Tat Ihre Redezeit abgekürzt, aber dafür haben Sie schneller gesprochen. Nächster Redner in unserer Aussprache ist Kollege Dr. Carsten Sieling für die Sozialdemokraten. (Beifall bei der SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Vorredner hat zu Beginn seiner Rede schon deutlich gemacht, welche Dimension die Derivate haben. Er hat die Zahl von 600 Billionen Dollar, mehr als das Zehnfache des Weltbruttoinlandsprodukts, genannt. Das sind in der Tat gewaltige und bedeutende Zahlen. Diese Zahlen zeigen, dass das Kernproblem noch nicht gelöst ist. Das ist nämlich die Entkoppelung der spekulativen Aktivitäten von der Realwirtschaft, also den erwirtschafteten Produkten und Dienstleistungen. Darin sind wir uns einig. Ich höre dieses Argument aus den Reihen der Koalition, vor allem aus den Reihen der CDU/CSU, in neuer Schärfe. Seit einigen Wochen erleben wir ja hier finanzmarktkritische Beiträge der gleichen Art, wie es heute der Fall ist. Von daher gehört das vielleicht zu der neuen Melodie ein Jahr vor der Bundestagswahl. (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Na, na!) Herr Kollege, Sie dürfen aber bei Ihren Argumenten einen weiteren Punkt nicht vergessen. Nachdem dieses Missverhältnis zum Ausbruch der Finanzkrise vor fünf Jahren geführt hat, hat der G-20-Gipfel von Pittsburgh im Jahr 2009, vor drei Jahren, dieses Problem thematisiert. Sie stellen sich hier hin und gestehen für die Regierung quasi ein, dass Sie seitdem nichts gemacht haben. (Widerspruch bei der CDU/CSU) Das ist doch das Wesentliche: dass Sie eben nichts gemacht haben. Sie können jetzt nicht mit Klagen über die schlechten Verhältnisse kommen, wenn Sie als Bundesregierung gleichzeitig drei Jahre Stillstand zu verantworten haben. So geht es nicht. (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Oh je, oh je!) Das ist das eigentliche Problem bei dieser Vorlage. (Beifall bei der SPD) Jetzt werden Sie sagen: Das musste doch auf der europäischen Ebene gemacht werden. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Nein, das ist national!) – Sogar international, wunderbar. Die klugen Kollegen von der FDP weisen darauf hin, dass das Ganze sogar international gemacht werden müsste. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Nein, national!) Dazu will ich Ihnen an dieser Stelle deutlich sagen: Viele von Ihnen hier im Plenum waren, wie ich selber auch, vor wenigen Wochen bei der IWF-Jahrestagung und der Weltbanktagung in Japan. Von der dortigen Finanzaufsicht ist uns erklärt worden, dass Japan die Regulierung der Derivate schon umgesetzt hat und das Ganze zum Ende des Jahres ins Werk gesetzt wird. Da stellt sich die Frage, warum das die deutsche Bundesregierung nicht konnte. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist doch dummes Zeug!) Jetzt wird wieder das Argument kommen: Das lag ja an der EU, und wir mussten das im EU-Rahmen machen. Dazu sage ich nur: Es gibt in diesem Zusammenhang auch noch andere Themen. Ich nenne nur die Leerverkäufe, bei denen Sie sich hier immer hinstellen und sehr stolz sagen: Das haben wir vorauseilend gemacht. Die Frage steht also im Raum: Warum machen Sie das in diesem gefährlichen Bereich nicht auch? Warum haben Sie das Problem liegen gelassen? (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Weil Sie das elf Jahre lang unter Ihrer Regierung nicht geschafft haben!) – Ihre Erregung spricht Bände. Sie sind erwischt an dieser Stelle. Das ist keine gute Botschaft für die Stabilität der Finanzmärkte. (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das ist aber ein sehr mühsamer Versuch gewesen! – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sonntag ist doch erst der 11.11.!) Wenn Sie hier behaupten, dass man mit dieser Verordnung Versprechen – Sie haben es mit diesem großen Wort bezeichnet – erfüllt, dann darf ich doch darauf hinweisen, dass es sich hier um ein Ausführungsgesetz handelt. Bei den vor uns liegenden Beratungen, insbesondere im Rahmen der Anhörungen, wird man sich deshalb noch vielen Einzelfragen zuwenden müssen. In diesem Ausführungsgesetz soll nun erst die Grundlage dafür geschaffen werden, dass geregelt werden kann, wie überhaupt die Erfassung dieser over the counter, also über der Ladentheke – ich sage immer: eigentlich unter der Ladentheke – stattfindenden Geschäfte auf vernünftigen Börsenplattformen erfolgen soll. Das ist aber noch lange keine Regelung. (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Gehört Japan zur EU?) – Kollege Schindler, Japan gehört nicht zur EU. Gut, dass Sie diese Erkenntnis dem Hohen Hause mitteilen. Japan gehört aber zur G 20; und die G 20 hat entsprechende Verabredungen im Jahr 2009 getroffen. Die einen haben sich daran gehalten, die anderen eben nicht. Das ist die Kritik, und sie bleibt richtigerweise bestehen. Ich verweise an dieser Stelle nur darauf, dass wir überhaupt noch keine Antwort haben – ich kenne auch noch keine Position der Bundesregierung dazu –, welche Derivate eigentlich reguliert werden sollen und welche im nicht standardisierten Bereich verbleiben werden. Die wesentliche Musik wird noch kommen, nämlich die Entscheidung darüber, was letztlich auf die Plattformen gezogen werden soll und wie diese Plattformen am Ende organisiert werden. Der Inhalt fehlt ganz einfach. Wir sprechen über ein Ausführungsgesetz, ein Formalgesetz, in dem eigentlich relativ wenig Musik – das wissen Sie auch, auch wenn Sie versucht haben, das hier anders darzustellen – drinsteckt. (Gisela Piltz [FDP]: Warum redest du denn dann so lange darüber?) Deshalb ist es notwendig, dass wir jetzt über die inhaltlichen Ziele reden. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ein bisschen spät!) Dazu hätte ich gerne ein bisschen mehr gehört, aber wir stehen ja noch am Anfang der Beratungen. Es wird allerdings deutlich, dass die schöne Rede darüber, was alles an Finanzmarktregulierungen geleistet worden sei, leider nicht mehr ist als eine schöne Rede. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: An Ihrer Erregung stelle ich fest: Herr Sieling, erwischt! Seit Jahren nicht mehr dabei!) Auch an dieser wichtigen Stelle zeigt sich, dass Sie ziemlich hinter dem herhinken, was in Pittsburgh vereinbart wurde. Pittsburgh war übrigens der letzte G-20-Gipfel – da können Sie reden, wie Sie wollen –, an dem Peer Steinbrück als zuständiger Finanzminister teilgenommen hat. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wo ist eigentlich der Kanzlerkandidat? Der Finanzprofi?) Dort hat man diese Vereinbarungen bereits getroffen, und erst jetzt kommen Sie mit Fakten. Das ist ziemlich müde. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Carsten Sieling. – Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Björn Sänger. Bitte schön, Kollege Björn Sänger. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Björn Sänger (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzter Kollege Sieling! Die Regulierung der Ratingagenturen, die Regulierung der Kreditverbriefungen, das Leerverkaufsverbot, das wir übrigens auf nationaler Ebene umgesetzt haben, die Regulierung von Vergütungen und Boni, das Bankenrestrukturierungsgesetz, das wir im Übrigen national umgesetzt haben und das auf EU-Ebene zum Vorbild wurde, die Bankenabgabe, OGAW, die Finanzvermittlerrichtlinie – ich könnte noch Zigtausende Dinge aufzählen, die diese Bundesregierung umgesetzt hat. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Tausende? Na ja!) – Okay, Tausende nicht ganz; „Dutzende“ würde es sicherlich am ehesten treffen. (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Ich habe schon millionenmal gesagt, Sie sollen nicht übertreiben!) Ich könnte also Dutzende Dinge aufzählen, die wir hier in diesem Hohen Haus beschlossen und mit denen wir Lehren aus der Finanzkrise gezogen haben. Bei den entsprechenden Abstimmungen haben Sie sich im Übrigen entweder enthalten oder haben dagegen gestimmt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gisela Piltz [FDP], an die SPD gewandt: Überzeugend wie Ihr Kanzlerkandidat!) Nahezu alle Probleme der Finanzkrise sind von dieser Bundesregierung angepackt worden. Heute haben wir die Regulierung der Derivate im Zuge der Umsetzung der EMIR-Richtlinie auf der Tagesordnung. Ein Derivat ist im Grunde genommen ein klassisches Unimogprodukt; es ist nicht genau zuzuordnen. Wenn der Winter kommt, kennen wir alle den Unimog als ein schönes orangefarbenes kommunales Fahrzeug mit einem Räumschild vorne und finden ihn gut. Den gleichen Unimog gibt es aber auch in Olivgrün mit komischen Gerätschaften hinten darauf. Wenn er durch Krisengebiete fährt, finden wir ihn möglicherweise nicht so gut. Genau so verhält es sich mit einem Derivat: Es ist in der Realwirtschaft tagtäglich zigtausendfach im Einsatz und leistet gute Dienste. Es ist für unsere Unternehmen im internationalen Handel ein Instrument der Risikosteuerung. Der Derivatemarkt hat jedoch zwei Seiten. Auf der einen Seite, im Bereich der Realwirtschaft, haben wir die „guten“ Unternehmen, die den Markt nutzen, um Risiken zu steuern. Auf der anderen Seite haben wir einen Investor, der in ein bestimmtes Risiko investiert. Den nennt man dann Spekulant. Sein Handeln auf dem Derivatemarkt ist aber notwendig, damit Arbeitsplätze erhalten werden. (Beifall der Abg. Claudia Bögel [FDP]) Bei dem Ganzen ist aber problematisch, dass man nicht genau weiß, wer wo welche Risiken trägt und wie viele es überhaupt sind. Das heißt, es besteht eine gewisse Intransparenz, eine Unsicherheit. Da setzt die EMIR-Richtlinie mit drei Maßnahmen an: Die erste Maßnahme ist die Bündelung der OTC-Geschäfte, der sogenannten Over-the-Counter-Geschäfte, die nicht an regulären Börsenplätzen abgehalten werden, bei den CCPs, den zentralen Gegenparteien, soweit dies möglich ist; denn diese Geschäfte – das liegt in der Natur der Sache – sind sehr individuell, je nachdem, welches Bedürfnis bei den Unternehmen vorherrscht. Die zweite Maßnahme ist eine Transparenzoffensive – das ist ganz wichtig –, die eine Eintragung in ein zentrales Transaktionsregister vorsieht, damit man weiß, wer gerade was macht. Das dient dazu, das Misstrauen zu mindern. Die dritte Maßnahme dient der Absicherung des Ausfallrisikos durch eine weitere Hinterlegung von Sicherheiten. Das alles sind grundsätzlich richtige Maßnahmen, die natürlich nicht ganz unproblematisch sind. Wenn wir beispielsweise alles auf zentrale Gegenparteien verlagern, dann stellen diese aufgrund der Kumulation der Risiken wiederum ein Risiko dar. Man muss dann aus meiner Sicht durchaus darüber nachdenken, ob das wirklich systemstabilisierend ist. Man muss auch den Aufwand der Realwirtschaft im Auge haben. Es nützt nichts, wenn die Erhöhung der Kosten der Risikosteuerung dazu führt, dass die Realwirtschaft in andere Märkte abwandert, die vielleicht nicht mit der Sorgfalt regulieren, wie wir das hier in Deutschland tun. Insgesamt müssen wir auch beachten, dass es hier bestimmte Regelungen gibt – Stichwort „Nachteilsausgleich bei Insolvenzen“; jetzt wird es schon sehr technisch –, die möglicherweise auch nicht geeignet sind, um insgesamt die Stabilität herzustellen, die wir brauchen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind aber erst am Anfang der Beratungen. Wir werden eine Anhörung durchführen und einen Erkenntnisgewinn haben. Am Ende wird es, wie bei allen vorhin genannten Vorhaben bzw. schon umgesetzten Maßnahmen im Bereich der Finanzmarktregulierung, auch hier wieder eine sehr sorgfältig erarbeitete gute Lösung geben, wie wir das von dieser Bundesregierung, die im Bereich der Finanzmarktregulierung nun wirklich führend ist, gewohnt sind. In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Björn Sänger. – Die Kollegen Dr. Axel Troost für die Linke und Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geben ihre -Reden zu Protokoll.7 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11289 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für einen wirksamen Schutz und die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in der Europäischen Union und in Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Dr. Frithjof Schmidt, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen – Drucksachen 17/10786, 17/10638, 17/11131 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ulla Jelpke Wolfgang Wieland Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Sie sind damit einverstanden. Die Namen der Redner liegen dem Präsidium vor, sodass wir gleich zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 17/11131 kommen.8 Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10786. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? – Fraktion der Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/10638. Wer stimmt für diese -Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshalber: Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes -(GwGErgG) – Drucksachen 17/10745, 17/10798 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksachen 17/11335, 17/11416 – Berichterstattung: Abgeordnete Peter Aumer Martin Gerster Björn Sänger Richard Pitterle Dr. Gerhard Schick Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Die Liste der Redner liegt hier vor. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden, Widerspruch erhebt sich nicht. So kommen wir zur Abstimmung.9 Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 17/11335 und 17/11416, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/10745 und 17/10798 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Das sind wieder die drei Oppositionsfraktionen. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes – Drucksachen 17/10744, 17/10797 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/11387 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Schindler Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dr. Birgit Reinemund Lisa Paus – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/11400 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider (Erfurt) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Sie sind damit einverstanden? – Widerspruch erhebt sich nicht. Die Namen der Redner liegen auch hier vor,10 sodass wir gleich zur Abstimmung kommen können. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11387, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/10744 und 17/10797 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshalber: Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshalber: Enthaltungen? – Es ist niemand aufgestanden. Infolgedessen ist der Gesetzentwurf angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11402. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das sind die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Vorsichtshalber: Enthaltungen? – Keine. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11403. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Gegenprobe? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Enthaltungen? – Niemand. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta Zapf, Fritz Rudolf Körper, Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Keine Modernisierung der US-Nuklearwaffen in Europa und Deutschland – Abrüstungschancen nicht ungenutzt verstreichen lassen – Drucksache 17/11323 - Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Abzug statt Modernisierung der US-Atomwaffen in Deutschland – Drucksache 17/11225 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sie sind damit einverstanden? – Dann ist dies so beschlossen. Die Redner sind auch schon bereit. Erste Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten: unsere Kollegin Uta Zapf. Bitte schön, Frau Kollegin Zapf. (Beifall bei der SPD) Uta Zapf (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Obama hat die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Alle, die auf weitere Abrüstung hoffen, haben natürlich erleichtert aufgeatmet. Herr Minister Westerwelle hat gesagt, es gebe neue Impulse in der Abrüstung und es müsse ein „energischer weiterer Schritt“ gemacht werden. Das ist sehr schön. Seine Forderung wird auch von Herrn Leibrecht, dem Koordinator für die transatlantischen Beziehungen, aufgegriffen. Er sieht eine Chance dafür, dass Obama in seiner zweiten Amtszeit im Bereich der Abrüstung mutige Schritte gehen könnte. Beide werfen die Frage auf – und das ist wichtig –, was mit den in Europa stationierten Atomwaffen geschehen soll. Wenn man mich fragt, ist die Antwort ziemlich leicht: Sie sollen weg – wenigstens die, die in Büchel stationiert sind. Unserer Regierung sage ich: Machen Sie einen mutigen Schritt! Dieses Hohe Haus hat bereits 2010 parteiübergreifend beschlossen – ich zitiere, wenn auch nicht ganz wörtlich –, dass im Zuge der Ausarbeitung eines neuen strategischen Konzeptes der NATO sich die Bundesregierung im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen solle, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden. Nichts dergleichen ist geschehen. Das neue Strategische Konzept bestätigt den alten Mix aus konventionellen und Nuklearwaffen als die richtige und nötige Struktur für die NATO. Damit nicht genug: Es wird darüber hinaus festgeschrieben, dass die Verbündeten, bei denen Nuklearwaffen stationiert sind, also auch wir Deutschen, sich verpflichten, alle Komponenten der NATO-Abschreckung – dazu gehören auch die B61-Bomben und die Carrier, also die Tornado-Flugzeuge – sicher und funktionsfähig zu halten, solange die NATO eine Nuklearallianz ist. Das bedeutet, dass Deutschland zur Modernisierung der B61 beitragen muss, indem es die Tornados modernisiert. Es wird Zeit, dass die Regierung aufhört, sich zu winden und auf Allianzzwänge zu berufen, wenn ein Abzug der strategischen Waffen auf der Tagesordnung steht, und gleichzeitig in der Öffentlichkeit hohe Ziele zu propagieren, die nicht einzuhalten sind. Ich glaube, wir müssen jetzt unbedingt handeln. Die Regierung muss ihre Stimme erheben, wenn in den USA über die Modernisierung der B61 verhandelt wird. Das sind die Bomben, die in Büchel lagern. Die Regierung muss Protest erheben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese geplante Modernisierung würde eine höchst kostspielige Modernisierung des Trägersystems Tornado erfordern. Es wäre nicht, wie immer beschönigend gesagt wird, nur eine Lebensdauerverlängerung. Das Thema B61 gehört auf den Tisch der NATO. Nicht nur Deutschland ist betroffen, sondern auch die Niederlande, Belgien, Italien und die Türkei. Wollen und müssen alle diese NATO-Partner viel Geld in die Modernisierung der Trägersysteme stecken? Die USA haben angekündigt, dass die NATO-Partner konsultiert werden. Das bietet die Chance, sich dagegen zu verwehren. Diese Regierung muss dann bitte deutlich und klar erklären, dass sie gegen eine Stationierung der modernisierten B61 in Deutschland ist. Bei dieser Modernisierung geht es nicht nur darum, die Bomben sicherer zu machen, wie uns erzählt wird. Auch die strategischen Qualitäten werden verändert. Reichweite, Präzision, Zielgenauigkeit und Durchschlagskraft werden modernisiert. Eine neue Qualität und neue Fähigkeiten werden damit erreicht. Das ist eine neue Bombe und damit eine strategische Nuklearwaffe und keine substrategische mehr. Das widerspricht der Absicht, die Bedeutung von Nuklearwaffen zu verringern und Abrüstung zu fördern. Nicht nur im Koalitionsvertrag steht, dass man Abrüstung fördern will, sondern auch die USA haben diese Absicht erklärt – Obama ist vor seiner ersten Wahl mit diesem Thema viel in der Welt unterwegs gewesen –, und alle Unterzeichner des Nichtverbreitungsvertrages – das sind insgesamt immerhin 190 Staaten – haben 2010 im Rahmen des Aktionsplanes des Nichtverbreitungsvertrages beschlossen, in ihren Strategien und Doktrinen die Rolle der Nuklearwaffen zu verringern und alles zu tun, um Abrüstung zu fördern. Eine solche neue Waffe wie die modernisierte B61 gibt Russland allerdings keinen Anreiz, über taktische Nuklearwaffen und deren Abrüstung zu verhandeln. Wie soll ein Angebot von mehr Transparenz angesichts von Modernisierungsplänen Vertrauen bilden? Vielmehr steht zu befürchten, dass Russland seine eigenen Nuklearwaffen modernisiert, wie angekündigt bzw. angedroht. Wenn sich die NATO bei ihrer Argumentation, die US-Waffen in Europa zu behalten, auf die weit höhere Anzahl taktischer Nuklearwaffen der Russischen Föderation beruft, vergisst sie, dass Russland die hohe konventionelle Überlegenheit der NATO durch Nuklearwaffen kompensieren will. Wenn wir Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung wollen, wenn wir eine Welt ohne Atomwaffen anstreben, müssen wir dringend zu neuer konventioneller Abrüstung kommen. Im Konzept des Prompt Global Strike werden auf fatale Weise konventionelle und nukleare Komponenten vermischt, um mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln schnell überall in der Welt zuschlagen zu können. Missile Defense, Raketenabwehr, soll möglichst für Unverletzlichkeit sorgen. Beides zusammen ist eine Strategie, die Konfrontation signalisiert und den Willen zur Überlegenheit zeigt. Was wir aber brauchen, ist gemeinsame Sicherheit in Europa, aber nicht nur in Europa. Ohne sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Russland werden wir nicht zu neuen Abrüstungsschritten kommen. Der NATO-Russland-Rat, aber auch alle anderen politischen Ebenen wie EU und OSZE müssen genutzt werden, um die konventionelle Rüstungskontrolle, die durch den Absturz des KSE-Vertrages zum Erliegen gekommen ist, wiederzubeleben. Wir brauchen wieder Verifikation und Vertrauensbildung, wir brauchen den Aufbau einer europäischen Sicherheitsgemeinschaft, wie sie im Rahmen der OSZE diskutiert wird, aber wir brauchen weiß Gott keine modernisierten Nuklearwaffen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Zapf. – Der angekündigte nächste Redner, Dr. Wadephul, hat seine Rede zu Protokoll11 gegeben, sodass ich nun unsere Kollegin Frau Inge Höger für die Fraktion Die Linke bitte, ans Pult zu kommen. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die überwältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland ist gegen Atombomben. Über 80 Prozent sagen dies in Umfragen. Selbst im Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb wurde ein Abzug der Atomwaffen in Aussicht gestellt. Angesichts des verheerenden Zerstörungspotenzials von Atombomben war dies erfreulich. Leider hat sich diese Passage des Koalitionsvertrages inzwischen als Luftnummer entpuppt. Die Bundesregierung scheint die Abrüstung im eigenen Land nicht ernst zu nehmen. Im Gegenteil: Sie hat dazu beigetragen, dass Atombomben auf absehbare Zeit in Deutschland stationiert bleiben. Diese Regierung hat wiederholt zugestimmt, dass Atomwaffen ein zentraler Teil der Kriegs- und Abschreckungsstrategie der NATO bleiben, zuletzt beim NATO-Gipfel in Chicago. Atomare Abrüstung geht anders. Die Bundesregierung – Frau Zapf hat schon darauf hingewiesen – unterstützt die Modernisierung der US-Atomwaffen in Deutschland. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich um mehr als um eine oberflächliche Modernisierung. Es geht um die Stationierung weitgehend neuer atomarer Waffensysteme. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!) Zur Mitwirkung an genau dieser Neustationierung hat sich die Regierung am Rande des NATO-Gipfels im Frühjahr verpflichtet. Zu diesem Aufrüstungsprojekt gehört auch die Modernisierung der Tornados, von denen aus deutsche Piloten die US-Atomwaffen abwerfen können. Allein die Umrüstung und Lebenszeitverlängerung der Tornados wird die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler etwa 250 Millionen Euro kosten. Das gesamte atomare Modernisierungsprojekt kostet circa 10 Milliarden Euro. An diesen Kosten wird sich Deutschland voraussichtlich beteiligen. Hier wird wieder einmal Politik gegen den Willen und auf Kosten der Bevölkerung gemacht. Die geplante neue Generation von Atomwaffen eröffnet völlig neue Einsatzoptionen. Die bisher frei fallenden Bomben sollen zu lenkfähigen, angeblich intelligenten Waffen werden. Diese können dann effektiver und zielgerichteter als bisher eingesetzt werden. Wahrscheinlich werden dadurch neue Einsatzmöglichkeiten geschaffen, wie etwa ein Angriff auf befestigte unterirdische Ziele. Durch die Neuerungen wird die Hemmschwelle für einen Einsatz der Atomwaffen gesenkt und ein Atomkrieg wahrscheinlicher. Die bisherige Politik der atomaren Abschreckung war schon mehr als fahrlässig. Durch die Umsetzung der Modernisierungspläne wird ein tatsächlicher Einsatz noch wahrscheinlicher. Wer so mit dem Feuer spielt, handelt völlig unverantwortlich. (Beifall bei der LINKEN) Dieser fatalen Entwicklung müssen wir uns entschlossen entgegenstellen. Ganz nebenbei wird der Öffentlichkeit vorgegaukelt, dass die Gefährdung für die Anwohnerinnen und Anwohner der Stationierungsorte durch die neuen, angeblich sicheren Waffen verringert wird. Erst einmal gilt: Nur Abrüstung macht die Welt sicherer. Aber auch auf der technischen Ebene stimmen die Beschwichtigungen nicht. Die größte Gefährdung für die Umgebung eines Atomwaffenstützpunktes geht von Feuerunfällen aus. Einen feuerresistenten Kern werden die Atombomben auch nach der Modernisierung nicht haben. Die Gefahren, die durch die Stationierung und den Einsatz von Atombomben ausgehen, können nur durch weltweite Abrüstung beendet werden. Die Bundesregierung muss gegenüber den USA und innerhalb der NATO allen Modernisierungsplänen entschlossen entgegentreten. Sie darf dabei nicht vor einem Veto oder der Kündigung des Stationierungsvertrages zurückschrecken. Alle Atombomben müssen endlich aus Deutschland abgezogen und verschrottet werden. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Höger. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Christoph Schnurr. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Bettina Kudla [CDU/CSU]) Christoph Schnurr (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion wird die beiden vorliegenden Anträge ablehnen. Anders als von der SPD und von den Linken dargestellt, sind wir selbstverständlich kein Stück von unserem Ziel eines Abzuges der in Deutschland gelagerten Atomwaffen abgerückt, und wir setzen uns auch weiterhin offensiv dafür ein. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Bettina Kudla [CDU/CSU]) Es ist nicht zuletzt der Bundesregierung und Außenminister Westerwelle zu verdanken, dass sich die NATO heute zum Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt bekennt, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das sagt gar nichts!) dass sie negative Sicherheitsgarantien ausspricht und dass es jetzt einen Abrüstungsausschuss gibt. Das Bündnis hat sich außerdem dafür ausgesprochen, in einem ersten Schritt Verhandlungen mit Russland über mehr Transparenz bei den substrategischen Atomwaffen aufzunehmen. Richtig ist, dass wir uns im neuen Strategischen Konzept der NATO und im Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv sehr viel deutlichere Formulierungen gewünscht hätten. Richtig ist vor allem, dass wir unser Ziel noch nicht erreicht haben. Richtig ist aber auch, dass wir mehr erreicht haben als alle Koalitionen vor uns. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Bettina Kudla [CDU/CSU] – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist auch kein Kunststück!) Bei Joschka Fischer und Frank-Walter Steinmeier gab es das Thema „Abzug der Atomwaffen“ gar nicht. Erst Guido Westerwelle und diese Bundesregierung haben das Thema auf die internationale Agenda gebracht. (Beifall bei der FDP – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wieder heruntergenommen!) Liebe Kollegen, wenn wir heute über Ihre Anträge debattieren, müssen wir uns zunächst verständigen, um was es eigentlich geht. Die Amerikaner sprechen von einem Life Extension Program, also von einem Lebensverlängerungsprogramm für die Atomwaffen des Modells B61. Die Sozialdemokraten nennen es Modernisierung, genauso die Linke; sie nimmt das aber mit dem Hinweis, dass es sich gar nicht um eine Modernisierung handelt, gleich wieder zurück und spricht lieber von einer Neustationierung. Hinter diesen Begriffen stehen natürlich ganz verschiedene Interpretationen. Sie betonen vor allem, dass neue Fähigkeiten geschaffen werden. (Uta Zapf [SPD]: Werden auch! – Inge Höger [DIE LINKE]: Ist auch!) – Sie sagen, es werden neue Fähigkeiten geschaffen. Dem will ich grundsätzlich gar nicht widersprechen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist ja in Ordnung!) Das ändert aber nichts daran, dass es auch für eine in ihren Fähigkeiten veränderte Bombe und die europäischen Trägersysteme nach wie vor keine Einsatzszenarien gibt; ich jedenfalls sehe keine Panzerarmeen auf uns zurollen. Deshalb ist es falsch, wenn die Linke behauptet – Frau Höger, Sie haben das gerade noch einmal so dargestellt –, der Einsatz von Atomwaffen würde wahrscheinlicher. Es bleibt dabei: Die Atomwaffen, über die einige unserer Partner verfügen, sind Waffen mit einem ausschließlich politischen Symbolwert. (Inge Höger [DIE LINKE]: Dann brauchen wir sie auch nicht!) Auch an anderer Stelle verheddern Sie sich in Widersprüchen: Einerseits fordern Sie, die Bundesregierung solle im NATO-Rat gegen das amerikanische Programm stimmen, andererseits behaupten Sie, die Bundesregierung hätte sich mit den Plänen der USA schon ausdrücklich einverstanden erklärt und sich gleich auch noch verpflichtet, den Tornado umzurüsten. Dabei vergessen Sie aber, dass der Haushalt immer noch vom Parlament beschlossen wird. Angeblich wissen Sie auch darüber Bescheid, wie viel eine Umrüstung kosten würde. Keine Frage – um das hier noch einmal ganz deutlich zu sagen –: Von mir aus könnten die USA jederzeit auf das Programm verzichten. (Beifall der Abg. Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Prima! Dann können wir doch hier beschließen!) Auch ich befürchte, dass dadurch der Abzug und die Reduzierung der Zahl der Atomwaffen erschwert werden. Die Entscheidung über eine Verlängerung der Lebensdauer bzw. Modernisierung ist aber eine nationale Entscheidung der Vereinigten Staaten, eine Entscheidung, bei der das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, und zwar aus mindestens drei Gründen: Erstens laufen die Kosten bereits jetzt aus dem Ruder. Aus ehemals geschätzten Kosten von 4 Milliarden Dollar sind mittlerweile 10 Milliarden Dollar geworden. Angesichts der Haushaltslage in den Vereinigten Staaten ist das für die Gegner des LEP sicher kein ganz schlechtes Argument. Wir kennen das ja aus Deutschland: Nicht alles, was entwickelt wird, wird dann auch beschafft. Zweitens hängt das Programm maßgeblich von der weiteren Entwicklung der innenpolitischen Situation ab. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Bei uns oder in den USA?) Drittens spielt die politische Großwetterlage eine entscheidende Rolle, insbesondere die Entwicklung der Nuklearstrategie der USA und die Beziehungen zu Russland. Präsident Obama hat bereits vor längerem angekündigt, nach seiner Wiederwahl mit Russland verhandeln zu wollen und dabei auch die substrategischen Atomwaffen einzubeziehen. Heute ist noch nicht absehbar, wie diese Verhandlungen ausgehen werden und ob die USA danach noch ein Interesse an der Modernisierung der in Europa lagernden Waffen haben werden. Auch wir sollten uns aber immer wieder ins Gedächtnis rufen, was eigentlich unsere sicherheitspolitischen Interessen sind. Der Abzug der Atomwaffen ist nämlich kein Selbstzweck. Es geht darum, mehr Sicherheit zu schaffen – für uns und unsere Partner. Dafür müssen wir in Staaten außerhalb der NATO Vertrauen aufbauen und unsere Glaubwürdigkeit im Hinblick auf weltweite Abrüstung stärken. Wir brauchen aber auch ein stabiles transatlantisches Bündnis. Wir müssen die Sorgen der anderen ernst nehmen und die Lasten innerhalb der Gemeinschaft fair teilen. Darum geht es, und darum halten wir an unserem Ziel fest, gemeinsam mit unseren Partnern den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland und Europa zu beschließen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Wir haben zu danken. – Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Frau Agnes Brugger. Bitte schön, Frau Kollegin Agnes Brugger. Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor drei Jahren hat Schwarz-Gelb sich im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, den Abzug der in Deutschland stationierten US-Atomwaffen in Angriff zu nehmen. Der Deutsche Bundestag unterstützte dieses Ziel mit großer Mehrheit: Er sprach sich in einem interfraktionellen Antrag klar für ein atomwaffenfreies Deutschland aus. Auch international waren bei der nuklearen Abrüstung Fortschritte zu beobachten. Die Vision einer atomwaffenfreien Welt war in aller Munde. Eigentlich also beste Voraussetzungen dafür, die Gunst der Stunde zu nutzen und die in Deutschland verbliebenen Relikte aus dem Kalten Krieg endlich loszuwerden. Doch Schwarz-Gelb wäre nicht Schwarz-Gelb, wenn sie es nicht schaffen würden, durch Zwist, Zank und Zoff historische Chancen für eine zukunftsorientierte Politik verstreichen zu lassen. Wenn Außenminister und Verteidigungsminister in einer so wichtigen außenpolitischen Frage gegeneinander arbeiten und die Regierungskoalition so gespalten ist und am liebsten alles auf die lange Merkel-Bank schiebt: Wie soll es da eigentlich gelingen, andere Staaten in der NATO davon zu überzeugen, dass die Zeit reif ist für eine neue Strategie, die auf Atomwaffen in Deutschland verzichtet? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gestern, gleich nach dem Sieg Obamas bei den Präsidentschaftswahlen, bekräftigte Außenminister Westerwelle die Forderung nach neuen Impulsen bei der Abrüstung. Ich begrüße es wirklich ausdrücklich, dass der Außenminister dieses Thema auf der Agenda hält. Doch daran, ob er sich damit durchsetzen kann, habe ich noch meine Zweifel. (Christoph Schnurr [FDP]: Aber er arbeitet daran!) Da Minister de Maizière in den Verteidigungspolitischen Richtlinien dieser schwarz-gelben Bundesregierung die Bedeutung der nuklearen Abschreckung noch einmal unterstreicht, frage ich mich schon, wie glaubwürdig Außenminister Westerwelle (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so ist es!) eigentlich weltweit für eine atomwaffenfreie Welt und nukleare Abrüstung werben kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Antwort bekamen wir auf dem letzten NATO-Gipfel im Mai dieses Jahres präsentiert: Die NATO will, solange es Atomwaffen gibt, eine nukleare Allianz bleiben. Ein Abzug der US-Atomwaffen ist nicht mehr in Sicht. Im Gegenteil: Die USA wollen die in Deutschland stationierten Waffen mit Milliarden modernisieren, damit sie bis 2050 einsetzbar sind. Modernisierung und damit Verbleib statt Abzug: Das ist die faule Frucht, die diese Bundesregierung mit ihrer zwiespältigen Abrüstungspolitik geerntet hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutschlands Beteiligung – das muss man sich, glaube ich, auch immer klarmachen – geht weit über die bloße Duldung der Stationierung dieser menschenverachtenden Waffen auf deutschem Boden hinaus. Die Bundeswehr selbst stellt Tornados und Soldatinnen und Soldaten für einen möglichen Atomwaffeneinsatz zur Verfügung. Man muss sich auch klarmachen: Modernisierung der Atombomben bedeutet zugleich auch Modernisierung der Trägermittel. In Zeiten knapper Kassen bürdet Schwarz-Gelb den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern damit Millionensummen für eine ebenso gefährliche wie überholte Militärdoktrin auf. Stellvertretend für unsere grüne Fraktion kann ich Ihnen schon jetzt sagen: Diesen sicherheitspolitischen Irrsinn machen wir definitiv nicht mit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir sparen uns lieber die nukleare Teilhabe, als für das abrüstungspolitische Fiasko von Schwarz-Gelb Millionen von Euro in die Hand zu nehmen. Aus den Reihen der CDU ist immer wieder zu hören, die nukleare Teilhabe sichere uns den Einfluss in der NATO, den wir für eine starke Abrüstungspolitik bräuchten. Wie groß ihr abrüstungspolitischer Einfluss in der NATO ist, hat die Bundesregierung auf dem letzten NATO-Gipfel in Chicago gezeigt. Dessen Abschlusserklärung ist eine abrüstungspolitische Bankrotterklärung. Ich frage mich schon auch, welchen Einfluss die Bundesregierung den Atomwaffen in Deutschland angeblich zu verdanken hat und geltend machen will, wenn sie nicht einmal über die konkreten Modernisierungspläne bezüglich der Waffen, die im eigenen Land liegen, informiert wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Den Beleg für diese Ahnungslosigkeit habe ich auch schwarz auf weiß als Antwort auf meine schriftliche Frage zu diesen Plänen. Der Kenntnisstand der Bundesregierung über die konkreten Modernisierungspläne liegt offensichtlich sogar hinter dem zurück – so legt es die Antwort nahe –, was man aus der Lektüre von US-Publikationen erfahren kann und von offizieller Seite schon bestätigt wurde. Das finde ich, ehrlich gesagt, ziemlich peinlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, ich wollte meine Rede eigentlich mit den Worten beenden: Ersparen Sie uns das Gerede von Ihrem vermeintlichen Einfluss, den Sie mit der nuklearen Teilhabe sichern wollen! – Da die Reden der CDU/CSU aber zu Protokoll gegeben sind, schließe ich meine Rede mit: Ersparen Sie uns die Fortsetzung der nuklearen Teilhabe! Denn ich bin fest davon überzeugt: Nur damit wäre dem abrüstungspolitischen Einfluss Deutschlands ein großer Dienst erwiesen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank. – Der nächste Redner, Kollege Dr. Wolfgang Götzer von der Fraktion der CDU/CSU, kann nicht darauf reagieren, weil er seine Rede zu Protokoll gegeben hat12, sodass wir am Ende der Aussprache sind. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11323 und 17/11225 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden; Widerspruch erhebt sich nicht. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich komme zurück auf den Tagesordnungspunkt 14, zu dem ich noch etwas bekannt geben möchte. Es gab dazu eine Abstimmung über das Thema „Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz“. Noch einmal zu dem Votum der SPD: Es lautet Ja zur Beschlussempfehlung. – Das ist nun auch festgehalten. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend ein Mitteilungsverfahren – Drucksache 17/10916 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – Drucksache 17/11392 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Tauber Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Miriam Gruß Diana Golze Ekin Deligöz Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben13. – Sie sind damit einverstanden, sodass wir jetzt zur Abstimmung kommen. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11392, den Gesetzentwurf der Bundes-regierung auf Drucksache 17/10916 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind alle Fraktionen. Vorsichtshalber noch die Gegenprobe. Wer stimmt dagegen? – -Niemand. Enthaltungen? – Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Dr. Hans-Peter Bartels, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Konsequenzen aus der Havarie der MSC -Flaminia ziehen – EU-Notfallpläne und Gefahrgutkontrollen im Seeverkehr überprüfen – Drucksache 17/10819 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Europäisches Notfall- und Havariemanagement wirksam und verbindlich weiterentwickeln – Drucksache 17/11324 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. – Widerspruch erhebt sich nicht. Matthias Lietz (CDU/CSU): Der Unfall der „MSC Flaminia“ hatte bereits in den Beratungen der Arbeitsgruppen und Ausschüsse einen vordringlichen Stellenwert, und über ihn wurde dementsprechend auch viel diskutiert. Glücklicherweise ereilen uns Unfälle wie dieser nicht regelmäßig. Sie müssen aber vor allem aus diesem Grund vernünftig erörtert und ausgewertet werden. Während in diesem Zusammenhang das Notfallmanagement von einigen kritisiert und angezweifelt wurde, komme ich persönlich zu dem Schluss, dass Deutschland sein Können in dieser Krisensituation unter Beweis gestellt hat. Ich bin froh und erleichtert, dass dieser Unfall keinen schlimmeren Ausgang nahm, und kann den Verantwortlichen und Beteiligten in diesem Sinne nur ein großes Lob aussprechen. Gleichzeitig zeigen konkrete Unfälle und Gefahren-situationen auf, ob alles wie zuvor geplant eingehalten und realisiert werden kann und ob im Falle des Falles tatsächlich alles so abläuft, wie man es sich einst dachte. Sicher ist eine Seenot, eine Havarie, immer ein individueller Vorgang, der dementsprechend auch unter Berücksichtigung der speziellen Faktoren und Gegebenheiten gesteuert und beurteilt werden muss. Allerdings gibt es vor allem in unserem Land ausreichend recht-liche Rahmenbedingungen, die für solche Situationen konzipiert wurden. So war es im speziellen Fall auch möglich, dass Deutschland seiner flaggenrechtlichen Verantwortung, unter Berücksichtigung von maritimen Umweltbelangen, vollumfänglich nachkommen konnte. Nichtsdestotrotz spielen vor allem in internationalen Gewässern zusätzliche Parameter eine Rolle. So spricht die SPD in ihrem Antrag zu Recht einige wünschenswerte Änderungsbedarfe hinsichtlich des Managements der Notliegeplätze und Nothäfen an. Auch ich sehe ein wochenlanges Umhergetreibe der „MSC Flaminia“ auf hoher See kritisch. Aber ich möchte keinen deutschen oder anderen europäischen Hafen zwingen, ein auf See havariertes Schiff aufzunehmen, bevor überhaupt ersichtlich ist, welche Gefahren noch zu erwarten sind, oder wenn gar von vornherein klar ist, dass der Hafen mit der Aufnahme überfordert wäre und noch schlimmeres Unheil drohen könnte. Wir alle wissen, dass das Schiff trotz Experteneinschätzungen, nach denen es keine Brandherde mehr geben dürfte, auch im JadeWeserPort nochmals Feuerwehreinsätze ausgelöst hatte. Die Ausweisung eines geeigneten Notliegeplatzes ist eine national zu entscheidende Frage und obliegt den jeweiligen Behörden. Da Notliegeplätze, „sheltered areas“, keine Liegeplätze am Kai sein müssen, sondern ebenso individuell zu ermittelnde Orte, wie etwa Flussmündungen, Buchten oder anderes sein können, halte ich eine nationale Einschätzung auch weiterhin für sinnvoll. Einem uneingeschränktem Recht, wie es die SPD-Fraktion hier fordert, stehe ich deshalb kritisch gegenüber. Es stellt sich die Frage, wie wir in solchen Notfällen bestenfalls vorgehen. Im Falle der „MSC Flaminia“ sprechen wir sehr wahrscheinlich eine europäische Antwort an. Schließlich ereignete sich der Unfall nicht etwa auf dem Rhein, sondern im Nordatlantik. Hier müssen viele internationale Kräfte zusammenspielen, um eine reibungsfreie Lösung im Notfall herbeizuführen. Während die Kollegen von der SPD und der Linken offenbar wieder einmal wissen, was es bestenfalls zu tun gilt, halte ich es für äußerst sinnvoll, zunächst die Ergebnisse der noch laufenden Sicherheitsuntersuchung abzuwarten. Die Tatsache, dass der Schleppverband am 9. September 2012 im JadeWeserPort einlaufen konnte, ohne große Umweltverschmutzungen oder Schädigungen auf See verursacht zu haben, ist ein glücklicher Umstand, den wir vielen positiven Bedingungen zu verdanken haben. Die umweltgerechte Reinigung des Schiffes kann bisweilen noch ein paar Wochen andauern und wird nach Abschluss ebenso aufgearbeitet werden müssen wie der komplette Havarie- und Rettungsvorgang. Derzeit prüft die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchungen, BSU, in Hamburg auf Grundlage der europäischen Richtline 2009/18/EG den Fall der „MSC Flaminia“ bis ins kleinste Detail. Diese Untersuchungsstelle ist unabhängig und weisungsfrei. Den noch ausstehenden Ergebnissen sollte daher auch keine Lösung vorangehen. Nach Abschluss der Untersuchungen wird der Ergebnisbericht einschließlich Sicherheitsempfehlungen veröffentlicht. Dieses Verfahren soll sicherstellen, dass der maritime Sektor sich eigenständig mit den zu lösenden Problemen auseinandersetzen kann, um geeignete Maßnahmen zur Vorbeugung weiterer Unglücksfälle treffen zu können. Dabei muss natürlich auch geklärt werden, welche Maßnahmen in der Zeit zwischen dem Unfall am 14. Juli 2012 und dem Tag des formellen Antrags an Deutschland zur Hilfestellung hätten getroffen werden können. Ebenso wird gegenwärtig die Zusammenarbeit mit den europäischen Staaten sowie die Rolle der Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs, EMSA, ins Visier genommen. Ich warne vor vorzeitigen Anträgen und Empfehlungen. Ich glaube nicht, dass die Genossen von SPD und Linken mit auf See waren und nun dazu befähigt sind, eine intensive Vorabeinschätzung inklusive Lösungsansätzen präzisieren zu können. Das sollten wir, bitte schön, der verantwortlichen Behörde überlassen. Sonst könnten wir die Gewaltenteilung ja gleich als hinfällig betrachten. Ich glaube auch nicht, dass Schuldzuweisungen und voreilige Schlüsse hier sachdienlich sind. Bisher haben wir aus gravierenden Schiffsunfällen immer gelernt und bereits vieles verbessert. Auch wenn die besagten Sicherheitsempfehlungen keinen zwingenden Charakter haben, bin ich gern bereit, mich auf Grundlage konkreter Ergebnisse über weitergehende Maßnahmen oder über die Ausbesserung bestehender Regelungen zu unterhalten. Nichts anderes streben meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in dieser Sache an. Der Bericht ist also entscheidend für das weitere Prozedere und sollte die Grundlage für jede weitere Antragslage sein. Die Anträge der SPD-Bundestagsfraktion und der Bundestagsfraktion Die Linke sind dementsprechend abzulehnen. Hans-Werner Kammer (CDU/CSU): Großartige Triumphe und tragische Unfälle liegen manchmal sehr eng beieinander. Die Einweihung des JadeWeserPorts in Wilhelmshaven am 21. September war nicht nur für meinen Wahlkreis, nicht nur für Niedersachsen, sondern für ganz Deutschland ein großer Tag. Ingenieurleistung und politische Entschlossenheit haben unserem Land ein einzigartiges Tor zur Welt beschert; Deutschlands einzigen Tiefwasserhafen. Schon zwölf Tage vor der offiziellen Eröffnung des JadeWeserPorts war die „MSC Flaminia“ in den Hafen geschleppt worden. Am 14. Juli 2012 war es während einer Fahrt von Charleston nach Antwerpen auf dem Containerfrachter zu einem Brand im Laderaum 4 gekommen. Bei den anschließenden Versuchen, das Feuer zu löschen, kam es zu einer weiteren Explosion. Das Unglück ereignete sich zwischen Kanada und Großbritannien – rund 1 000 Seemeilen vom Festland entfernt. Ich möchte an dieser Stelle des Ersten Offiziers, der bei diesem schrecklichen Unfall sein Leben verlor, und des Seemanns, der seit der Katastrophe vermisst wird, gedenken. Wegen der an Bord befindlichen Gefahrgutcontainer erhielt der Schleppzug mit der „MSC Flaminia“ keine Genehmigung, in Irland, Großbritannien, Frankreich oder Spanien ein wettergeschütztes küstennahes Gebiet oder einen Nothafen anzulaufen. Aber auch bei uns gab es verantwortungslose Äußerungen. Von berufsmäßigen Angstmachern wurde der havarierte Containerfrachter als „Wrack“ oder gar „Giftschiff“ bezeichnet. Ein SPD-Politiker fühlte sich sogar dazu bemüßigt, davor zu warnen, dass das Wattenmeer zu einer „Müllkippe für havarierte Frachter“ verkommt. Diese Kräfte stellen sich nicht der Verantwortung, sondern versuchen, in einem schmutzigen, verabscheuungswürdigen Spiel mit den Sorgen der Bevölkerung politisches Kapital aus diesem tragischen Unfall zu schlagen. Das ist nicht mehr zu unterbieten! Diesen Kräften fehlt jedes Gefühl für Verantwortung. Sie ignorieren nicht nur, dass das Schiff unter deutscher Flagge fährt und Deutschland daher auch Verantwortung übernehmen muss. Nein, man gaukelt den Menschen auch vor, das schwer beschädigte Schiff sei auf See besser aufgehoben. Dabei steigt das Risiko einer Umweltkatastrophe mit jedem Tag auf See. Profis haben die „MSC Flaminia“ dann doch sicher in den JadeWeserPort geschleppt. Das Havariekommando in Cuxhaven und die anderen beteiligten Behörden haben bislang eine hervorragende Arbeit geleistet. Das Schiff ist in Wilhelmshaven in besten Händen. Mittlerweile wurden alle Container, in denen Glutnester schwelten, von Bord gebracht. Das Havariekommando wird daher schon in dieser Woche die Einsatzleitung abgeben. Mein Dank geht nach Cuxhaven für die großartige Koordination der Bergung des Havaristen! Heute liegen uns zwei Anträge der Opposition vor, die Konsequenzen aus der Havarie der „Flaminia“ anmahnen. Die Forderung nach einer Überarbeitung der EU-Nothafenpläne kann ich nur unterstützen. In der Tat ist es nicht hinnehmbar, dass ein Schiff auf hoher See verbleiben muss, weil kein nahegelegener Küstenstaat Verantwortung übernehmen möchte. Europa basiert auf Solidarität. Das muss auch für havarierte Schiffe gelten. Unser Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer ist längst tätig geworden. Auf europäischer Ebene hat Deutschland bereits eine Diskussion über das Nothafenkonzept angestoßen. Die Koalition kann und wird es nicht hinnehmen, dass sich Staaten mit geeigneten Nothäfen aus der Verantwortung stehlen können. Sobald die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung den Unfallhergang vollständig ausgewertet hat, muss das Thema auch auf der Ebene der Internationalen Maritimen Organisation angesprochen werden. Beschädigte Schiffe müssen schnell geborgen werden – egal vor wessen Küste sie sich befinden! Es ist gut, zu wissen, dass die Opposition uns dabei unterstützt – auch wenn sie mit diesem Anliegen offene Türen einrennt. Etwas anders sieht es bei einer anderen Forderung der beiden Anträge aus. Die deutliche Ausweitung von Meldepflichten für Gefahrgüter sehe ich skeptisch. Schon heute gelten strenge Sicherheitsbestimmungen. Diese regeln nicht nur die Verpackung von Gefahrgut, sondern auch, wie die Container mit Gefahrgut an Bord verstaut werden. Sicherheitsabstände zwischen solchen Containern sind ebenso vorgeschrieben wie die klare Kennzeichnung der Container selbst. Anhand von Ladungslisten und Stauplänen lässt sich nachvollziehen, wie viele Gefahrgutcontainer an Bord sind und wo sich diese befinden. Die Vorschriften sind also eindeutig. Werden Schiffsunglücke durch noch mehr Regeln verhindert? Nein. Finden Havaristen dadurch schneller einen Notliegeplatz? Bedauerlicherweise auch nicht. Ich möchte jedoch nicht ausschließen, dass wir es mit einem Vollzugsdefizit zu tun haben. Der Verband der Deutschen Reeder geht davon aus, dass es insbesondere in Asien häufig zu Falschdeklarationen kommt. Die Reeder und Schiffsbesatzungen selbst können nicht sicherstellen, dass die Container korrekt gekennzeichnet sind. Die Kontrollen müssen durch Zollbehörden in den Häfen vor Ort erfolgen. In Deutschland selbst sehe ich hier derzeit keinen Handlungsbedarf. Natürlich wird Deutschland weiter auf eine konsequente Beachtung der geltenden Regeln auf internationaler Ebene drängen. Aber machen wir uns nichts vor: Unser Fokus muss darauf liegen, havarierte Schiffe schnell zu bergen. Havaristen gehören nicht auf hohe See, sondern in sichere Häfen. Ich denke, wir sind daher gut beraten, zunächst den Bericht der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung abzuwarten. Die dortigen Experten werden die Ursachen und Begleitumstände der „Flaminia“-Havarie bis ins letzte Detail durchleuchten. Die Koalition wird dann die erforderlichen Konsequenzen sofort ziehen. Blinden Aktionismus – wie diese Anträge – lehnen wir aber ab. Uwe Beckmeyer (SPD): Das Risiko fährt mit. Das zeigt der Fall des im -Nordatlantik verunglückten Containerfrachters „MSC -Flaminia“. Der wachsende Schiffsverkehr in Nord- und Ostsee bedeutet auch ein steigendes Gefahrenpotenzial für Meere und Küsten, und mit der Dynamik des Containerverkehrs rücken die Transportrisiken beim Seeversand von Gefahrgut stärker in den Blick. Auf Seeschiffen, die gefährliche Ladung befördern, stellen Feuer, Leckagen und Schiffsunfälle ein besonderes Risiko dar und stellen Reederei und Besatzung vor große Herausforderungen. Das rasche Aufsuchen eines Notliegeplatzes kann wesentlich zum Erfolg des Unfallmanagements beitragen. Doch im Falle der unter deutscher Flagge fahrenden „MSC Flaminia“ war lange Zeit kein rettender Hafen in Sicht. Erst nach wochenlanger Irrfahrt durch den Nordatlantik und einem heftigen Streit unter den Anrainerstaaten wurde schließlich die Bundesrepublik Deutschland als Flaggenstaat aktiv, und das verunglückte Schiff konnte unter Koordination des Havariekommandos von Schleppern durch den Ärmelkanal über das zum Welt-naturerbe zählende Wattenmeer zum JadeWeserPort gebracht werden; im Tiefwasserhafen wurden jetzt die beschädigten Container und das mit Giftstoffen belastete restliche Löschwasser entsorgt. Die Arbeiten an dem Schiff werden aber noch Wochen andauern, wie das Havariekommando erst gestern mitgeteilt hat. Trotz aller Anstrengungen, die Sicherheit im Seeverkehr zu verbessern, zeigt das Beispiel der „MSC Flaminia“: Es besteht Handlungsbedarf. Wir brauchen mehr Rechts-sicherheit und Rechtsklarheit in künftigen Krisensituationen. Zu prüfen sind zum einen die bestehenden Notfallkonzepte auf EU-Ebene, zum anderen die aktuellen Sicherheitsvorkehrungen für den Gefahrguttransport. Notwendig sind praxistaugliche Vereinbarungen für Seenot-Fälle. Seit Jahren fordern Experten die Bereitstellung von sicheren Häfen oder Notliegeplätzen, in denen havarierte Schiffe Zuflucht finden können. Die Erfahrung bisheriger Havarien hat gezeigt, dass bei rechtzeitiger Zuweisung eines Notliegeplatzes die Folgen für die Umwelt und damit auch die finanziellen Folgeschäden weitaus weniger gravierend gewesen wären. Denn das Anlanden in einem sicheren Hafen erlaubt es, effektivere Hilfe zu organisieren, als dies auf See möglich wäre. Erste Versuche zur Regelung internationaler Sorgfalts- und Verfahrenspflichten bei der Zuweisung solcher Notliegeplätze wurden als Reaktion auf die Havarie des Frachters „Pallas“ 1998 und den Unfall der Tanker „Erika“ und „Prestige“ in den Jahren 1999 und 2002 unternommen. Mit drei Gesetzgebungspaketen hat die EU seither dafür gesorgt, dass die Sicherheitsstandards im europäischen Seeverkehr erheblich erhöht worden sind. Nach der Havarie der „MSC Flaminia“ stellt sich jedoch die Frage, ob dies ausreichend war. Die EU-Bestimmungen schreiben den Mitgliedstaaten zwar Notfallpläne und das Vorgehen in einer Krisensituation vor. Das uneingeschränkte Recht, einen Nothafen anlaufen zu dürfen, ist jedoch weder in internationalen Übereinkommen noch im EU-Recht oder in nationalen Regelungen niedergelegt. Gemäß den EU-Richtlinien und den Vorgaben der International Maritime Organization hat der betreffende Mitgliedstaat, zu dessen Notliegeplatz ein havariertes Schiff Zugang erbittet, eine umfassende Interessenabwägung zu treffen. Der Zugang darf nur verwehrt werden, wenn die Gefahren durch ein Einlaufen des Unglücksschiffes größer wären als bei einem Verbleib auf See. Gleichwohl sehen die EU-Vorgaben keine ausdrückliche Ausweisung von Notliegeplätzen vor; diese obliegt einer Einzelfallentscheidung der jeweiligen nationalen Behörde. Unkalkulierbare Risiken und ein Containerterminal im Industriegebiet: Mit diesem Argument hat denn auch beispielsweise Frankreich die Aufnahme des Frachters im Hafen von Le Havre abgelehnt. Die Benennung eines Nothafens hilft aber nur dann, wenn dieser im Notfall auch tatsächlich angelaufen werden kann. Die Abweisung eines havarierten Schiffes durch Anrainerstaaten beruht häufig auf fehlenden Informationen, mangelnder Kooperation der betroffenen Staaten und einem schlechten Krisenmanagement. Wir als SPD-Bundestagsfraktion fordern daher, die Regeln für die Verbringung havarierter Schiffe in geeignete Nothäfen und Notliegeplätze zu überprüfen. Dies betrifft insbesondere die Kriterien für die Festlegung des auszuweisenden Nothafens bzw. dessen Beschaffenheit und Ausrüstung mit Sicherheitsvorkehrungen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Partnerländer über ausreichende Informationen über die sicheren Häfen verfügen. Dazu sollte das gemeinschaftliche Überwachungs- und Informationssystem für den Schiffsverkehr fortentwickelt werden, wobei die nationalstaatlichen Kompetenzen zu berücksichtigen sind. Es muss sichergestellt sein, dass Schiffe in Not die nächstgelegenen und am besten geeigneten Nothäfen oder Notliegeplätze schnellstmöglich anlaufen können. Die Bergung der „MSC Flaminia“ wird nach aktueller Einschätzung bis zum Jahresende dauern. Das Schiff hatte mehr als 2 800 Container geladen, davon enthielten rund 150 Gefahrgut. Der Anteil der Gefahrgüter am gesamten Güteraufkommen im Seeverkehr beträgt nach Schätzung von Experten rund 30 Prozent; bei den Containerlinienverkehren sind es demnach zwischen 15 und 20 Prozent. Die International Maritime Organization, IMO, hat auf den wachsenden Trend zur Containerisierung reagiert und die international geltenden Vorschriften kontinuierlich angepasst. Sie regeln verbindlich, wie der Transport von Gefahrgut auf Containerschiffen zu erfolgen hat. So sind denn auch keine Unfälle bekannt, die auf fehlende Vorschriften zurückzuführen wären. Das Problem ist vielmehr die Nichtbeachtung bzw. die falsche Anwendung der Bestimmungen. Immer wieder wird Gefahrgut, ob nun aus Unwissen oder absichtlich, von den Versendern falsch oder unzureichend deklariert und dann verschifft. Ein Großteil von Unfällen und Vorkommnissen mit Ladung jeglicher Art ist auf die falsche Deklaration der Waren zurückzuführen – eine Problematik, die insbesondere Gefahrguttransporte aus Asien betrifft. Notwendig sind verlässliche Informationen über Vorfälle mit gefährlichen Gütern und ein Höchstmaß an Transparenz, um die Risiken beim Transport verpackter gefährlicher Güter zu minimieren. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu eine Reihe von Vorschlägen auf den Tisch gelegt. Sinnvoll ist aus unserer Sicht eine Meldepflicht für nicht ausreichend oder falsch deklariertes Gefahrgut und eine zentrale Datenbank, um den Informationszugang und -austausch zwischen den nationalen Behörden zu erleichtern. Denkbar sind auch gemeinsame Kontrollen der Seefracht durch die für Gefahrgut zuständigen nationalen Behörden und die Zollverwaltungen. Zu diskutieren ist darüber hinaus, ob nach dem Vorbild des Luftverkehrs ein neuer Status „bekannter Versender“ einzuführen ist, um eine sichere Lieferkette auf See zu gewährleisten. Bei der Erstellung der sogenannten schwarzen Listen von Schiffen, die im Zuge der Hafenstaatkontrolle durch Sicherheitsmängel aufgefallen sind, sollten künftig auch unzuverlässige Versender berücksichtigt werden. Dies sind konkrete Vorschläge, die an bestehende Vorschriften anknüpfen und diese fortentwickeln. Wir brauchen möglichst einheitliche und weltweit anerkannte Standards für den Gütertransport auf See und das Notfallmanagement, damit wir sagen können: mit Sicherheit kein Risiko. Torsten Staffeldt (FDP): Als ich Mitte Juli des Jahres von dem Brand auf einem deutschen Containerschiff mitten auf dem Atlantik zum ersten Mal hörte, habe ich mir zunächst nicht viel dabei gedacht. Na ja, dachte ich, so etwas passiert leider mal; aber sicherlich wird die Besatzung den Brand bald gelöscht haben, und dann wird das Schiff seine Reise in einen sicheren Hafen fortsetzen, um sich dort einer Unfalluntersuchung zu unterziehen. Nie im Leben hätte ich es für möglich gehalten, dass diese Meldung der Auftakt zu einer wochenlangen Odyssee ist, an dessen Ende das letzte Glutnest erst Ende Oktober dieses Jahres gelöscht werden konnte – und das Ganze auch noch in einem Hafen, dem neuen JadeWeserPort, der zum Zeitpunkt der Verbringung der „MSC Flaminia“ noch nicht einmal in Betrieb war. Das wirkt manchmal wie ein Stück aus dem Tollhaus und hat auch mich fassungslos gemacht. Vielleicht könnte man sich sogar darüber amüsieren, wenn nicht zwei Menschen bei der Katastrophe zu Tode gekommen wären, einer nach wie vor vermisst wäre und die Fahrt nach Wilhelmshaven nicht durch das sensible Ökosystem Wattenmeer geführt hätte, mit allen damit verbundenen Umweltrisiken. Ich teile durchaus die Intention, die hinter Ihren Anträgen steckt, nämlich dass sich alle Beteiligten einmal Gedanken darüber machen müssen, wie ein solches kollektives Durcheinander fast aller europäischen Partner in Zukunft unterbunden werden kann. Dass Ihre Anträge hierfür eine große Hilfe sind, will ich dann allerdings doch infrage stellen. Aus meiner Sicht geht es jetzt um zweierlei Sachen: Erstens steht die eigentliche Unfalluntersuchung im Mittelpunkt. Es muss herausgefunden werden, was die Ursachen der Katastrophe auf der „MSC Flaminia“ waren, um anschließend Konsequenzen für mehr Sicherheit an Bord ziehen zu können. Hierzu werden wir aber in Ruhe die weiteren Untersuchungen, die die BSU bereits aufgenommen hat, abwarten und dann die Ergebnisse auswerten müssen. Zweitens muss uns aber auch die Frage beschäftigen, warum es so lange gedauert hat, bis sich ein sicherer Notfallhafen gefunden hat, in den die „MSC Flaminia“ verbracht werden konnte. Hier sind durch verschiedene EU-Richtlinien – 2002/59/EG und 2009/17/EG – die Mitgliedsländer dazu angehalten, entsprechende Notfallpläne zu entwickeln. An diesem Unglück ist aber deutlich geworden, dass dieses offenkundig noch nicht so reibungslos läuft, wie es laufen müsste. In diesem Punkt liefert der Antrag der SPD durchaus gute Ansätze. Aus meiner persönlichen Sicht sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass ein havariertes oder in diesem Falle brennendes Schiff ohne bürokratischen Aufwand sofort den nächstgelegenen Hafen anlaufen kann, um Hilfe in Anspruch zu nehmen. Für diese Selbstverständlichkeit bedarf es eigentlich keiner zusätzlichen Regelungen, sondern nur der Anwendung der auf See im Rahmen der International Convention for the Safety of Life at Sea, SOLAS, gültigen Regeln. Die Forderung von Linken und Grünen nach dem Aufbau einer gemeinsamen Küstenwache, verbunden mit der Abgabe nationaler Kompetenzen an die EMSA, teile ich nicht. Wichtiger ist mir, die Bestrebungen einer nationalen Küstenwache mit der Integration der am maritimen Geschehen beteiligten Ministerien und Länderkompetenzen voranzubringen. Ich freue mich, wenn es uns gelingt, im Rahmen der parlamentarischen Beratungen weitere Erkenntnisse zu gewinnen und vielleicht auch die eine oder andere kon-struktive Idee für eine Verbesserung des Notfallmanagements zu entwickeln. Herbert Behrens (DIE LINKE): In den letzten Wochen und Monaten hat uns die Odyssee der „MSC Flaminia“ stark beschäftigt. Es geht um ein Containerschiff unter deutscher Flagge, auf dem es am 14. Juli mitten auf dem Atlantik aus noch immer unbekannten Gründen zu einem Brand und zu heftigen Explosionen kam, bei denen mehrere Menschen starben und weitere schwer verletzt wurden. Unter der Ladung befanden sich über 150 teils hochgefährliche Gefahrgutcontainer. Obwohl wenige Tage später bereits Notschlepper vor Ort waren und den Containerfrachter in Schlepp nahmen, begann eine wochenlange Irrfahrt über den Nordostatlantik. Nach Angabe der Reederei und des Bergungsunternehmens erhielten sie über einen Monat keine Genehmigung für das Einlaufen in einen europäischen Nothafen. Als sie sich schließlich an Deutschland als Flaggenstaat wendeten, dauerte es nochmal drei Wochen, bis die „MSC Flaminia“ letztlich in den JadeWeserPort geschleppt werden konnte. Wir können und dürfen es nicht akzeptieren, dass ein Havarist fast zwei Monate auf den Weltmeeren umherirrt, bis er letztlich einen sicheren Hafen anlaufen kann, weil sich keiner zuständig fühlt. Nach der Übertragung der Gesamteinsatzleitung an das Havariekommando wurde das weitere Notfall-management den Berichten zufolge sehr professionell weitergeführt. Nachdem nun „die heißen Container“ entladen und der Einsatz heute Morgen beendet worden waren, möchten wir uns an dieser Stelle ausdrücklich bei dem Leiter, Herrn Monsees, und seinem Team für die geleistete Arbeit bedanken. Doch sind noch viele Fragen offen. Warum hat Deutschland zum Beispiel als zuständiger Flaggenstaat erst nach über einem Monat auf Anruf reagiert und nicht eigeninitiativ durch frühzeitige diplomatische Bemühungen eine schnelle Lösung erwirkt? Hätte Deutschland anders reagiert, wenn die „MSC Flaminia“ nicht unter deutscher Flagge gefahren wäre? Warum ist vier Monate nach der Havarie die Brandursache eigentlich immer noch ungeklärt, trotz intensivster Untersuchungen? Unsere Sicherheitsstandards im Seeverkehr wurden leider immer erst nach großen Katastrophen weiterentwickelt. Die großen Havarien der „Pallas“ 1998, der „Erika“ 1999 und der „Prestige“ 2002 waren die Auslöser für eine entsprechende EU-Gesetzgebung. 2003 und 2004 sind die Vorschriften der Erika-I+II-Pakete in Kraft getreten, in dem verschärfte Rechtsvorschriften vereinbart und unter anderem die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs, EMSA, gegründet wurde. Bei uns wurde in diesem Zuge das Havariekommando eingerichtet. Das dritte Erika-Paket wurde schließlich bis 2009 verhandelt. Danach sollte unter anderem für die Aufnahme von Schiffen in Seenot an Notliegeplätzen die Unabhängigkeit der Entscheidungen garantiert werden. Doch bis heute gibt es kein uneingeschränktes Recht zum Anlauf in einen Notliegeplatz für havarierte Schiffe; denn es gibt eine gravierende Regelungslücke. Nach geltendem Recht hat der Staat, zu dessen Notliegeplatz das havarierte Schiff Zugang erbittet, eine Abwägung zwischen den Gefahren durch ein Einlaufen des Havaristen in den Hafen und dem Verbleib des Schiffes auf See zu treffen. Nur wenn das Risiko eines Einlaufens größer ist, darf der Zugang zu einem Notliegeplatz verwehrt werden. Grundsätzlich dürfen Umweltrisiken aber nicht durch Abweisung eines Schiffes in ein anderes Gebiet verlagert werden. Nach Aussage des Reeders verweigerten zum Beispiel Spanien, Frankreich, Großbritannien und Irland der „MSC Flaminia“ einen solchen Notliegeplatz. Die europäischen Vereinbarungen gelten auch nur innerhalb der Hoheitsgewässer der EU-Mitgliedstaaten. Doch die Havarie hat sich nun mal auf dem freien Ozean ereignet. Nach den bisherigen Unglücken hat man sich auf die Folgen von Chemie- und Ölunfällen vor der Küste konzentriert, dabei aber nicht über den Teller- oder Küstenrand der Hoheitsgewässer hinaus auf den Ozean geschaut. Wir haben Ihnen dazu einen Antrag vorgelegt, der im September fast wortgleich als Drucksache 16/5187 von SPD, Linke und Grünen im Landtag Niedersachsen eingebracht wurde. In dieser Frage sollten wir fraktionsübergreifend zusammenarbeiten. Dem SPD-Antrag werden wir zwar zustimmen, jedoch gehen unsere Vorschläge wesentlich weiter: Wir fordern nicht nur die Aufklärung der Umstände, sondern ein verbindliches und wirksames Schiffssicherheitskonzept inklusive Nothafenkonzept im EU-Recht und im internationalen Recht. Während wir eine konkrete Eingriffskompetenz der EU bei größeren Schiffshavarien fordern und dazu die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs, EMSA, zu einer koordinierenden, gemeinsamen Küstenwache weiterentwickeln wollen, sollen nach dem SPD-Antrag die Zuständigkeiten und Richtlinien bewahrt und nur richtig angewendet, die Rolle der EMSA lediglich geprüft werden. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, da waren Sie in Niedersachsen schon einmal weiter, und daran wollen wir Sie mit unserem vorgelegten Antrag erinnern. Eine gemeinsame Küstenwache ist ja auch im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP zumindest auf nationaler Ebene vereinbart worden. Doch diese Pläne sind im letzten Sommer an Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Ressorts gescheitert. Damit bleibt ein Wirrwarr von verschiedenen Landes- und Bundesbehörden, die sich um die Sicherheit vor unseren Küsten kümmern. Wir denken hier nicht national, sondern gleich europäisch und wollen daher die EMSA zu einer solchen gemeinsamen Küstenwache weiterentwickeln, wobei hierbei natürlich das Havariekommando eingebunden werden soll. Diese europäische Küstenwache soll sich allein auf die Verhinderung von Schiffshavarien und entsprechende Notfallkonzepte konzentrieren. Die bisherige Verknüpfung mit der Einrichtung eines Europäischen Grenz-überwachungssystems sowie der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, Frontex, lehnen wir ausdrücklich ab. Diese Probleme können nur durch Bekämpfung der Migrations-ursachen und nicht der Migranten gelöst werden. Wir fordern Sie auf, heute mit unserem Antrag einer wirksamen und verbindlichen Weiterentwicklung des europäischen Notfall- und Havariemanagement zuzustimmen. Wir brauchen europäische Regelungen, die verbindliche und schnelle Lösungen einer Havarie gewährleisten können, damit sich ein solcher Vorfall mit einer solchen monatelangen Hängepartie nicht wiederholen darf. Wir fordern die Bundesregierung auf, in der EU umgehend ein neues ErikaIV-Paket mit einem verbindlichen europäischen Seesicherheitssystem einzubringen. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Juli dieses Jahres ist der Containerfrachter -„MSC Flaminia“ im Atlantik, circa 1 800 Kilometer bzw. 1 000 Seemeilen vor der europäischen Küste, havariert. Nach Explosionen und Feuer an Bord gab es Tote, mehrere Verletzte und anschließend monatelange Kompetenzstreitigkeiten europäischer Behörden. Die Bergung des Schiffes entwickelte sich zu einer Odyssee entlang der europäischen Küsten. Niemand wollte das Schiff in seinen Hafen lassen, bis es schließlich in Wilhelmshaven geborgen werden konnte. Enormes Risiko ging von dem sehr schweren Seeunfall aus. Gefahr bestand während bzw. nach dem Unfall nicht nur für die Besatzung, sondern auch für die Meeresumwelt. Zu jeder Zeit ging vom an Bord befindlichen Schweröl und von der Ladung auch eine Bedrohung für den Fischbestand aus. Die Ladung an Bord enthielt auch 151 deklarierte Gefahrgüter, von denen einige wohl auch als Brandbeschleuniger gewirkt haben. Aufgrund der großen Gefahren, die von dem Wrack ausgingen, hieß es daher längere Zeit in Überschriften der deutschen Presse: „Giftige Irrfahrt der brennenden ,MSC Flaminia‘“, „Zeit Online“ vom 31. August 2012, und „Reederei schweigt zu ‚Flaminia‘-Gefahrstoffen“, „Spiegel Online“ vom 10. September 2012. Die Havarie hat gezeigt, dass sowohl die Nothafen-regelung der EU als auch die Kompetenzen der Europäischen Maritimen Sicherheitsagentur EMSA deutlich nachgebessert werden müssen. Ich finde es sehr schade, dass es immer erst einen schweren Seeunfall geben muss, bevor gesetzliche Regelungen angepasst werden. Ich habe noch zu sehr das Bild vor Augen von verschmutzten Stränden, ölverklebten Meerestieren und Strandvögeln in Nordspanien und Südwestfrankreich in den Jahren 2000 und 2002. Verantwortlich dafür waren die verheerenden Seeunfälle der beiden Öltanker „Erika“ und „Prestige“. Die EU hat daraufhin zwar relativ schnell Handlungsbereitschaft gezeigt, in der europäischen maritimen Sicherheit nachzubessern. Zu viel lag im Argen und zu sehr waren die Kompetenzen zerstreut, sodass ein rasches Eingreifen nicht gewährleistet war. Daher kamen auf EU-Ebene insgesamt drei Gesetzespakete – Erika I, II und III – zustande, und die Europäische Maritime Sicherheitsagentur EMSA wurde aus der Taufe gehoben. Seither müssen Öltanker zwei Außenwände haben. Dass die relativ zügig umgesetzten Regelwerke jedoch an verschiedenen Punkten nicht konsequent umgesetzt worden sind, zeigt sich jetzt wieder anhand der Havarie der „MSC Flaminia“. Das derzeitige europäische Nothafenkonzept, so wichtig es ist, verpflichtet die Staaten der Europäischen Union derzeit leider weder zu Koordination noch zu Kooperation. Dadurch ist es leider so, dass schwer havarierte Schiffe von verschiedenen EU-Mitgliedstaaten abgewiesen werden können, selbst wenn sie dringend Hilfe benötigten und geborgen werden müssten. Dies hat das Containerschiff „MSC Flaminia“ im Juli bzw. August 2012 leidvoll erfahren müssen. Das Nothafenkonzept hat versagt. Daher muss nach unserer Auffassung dringend eine Anpassung der einschlägigen EU-Richtlinie erfolgen. Außerdem muss die Europäische Maritime Sicherheitsagentur EMSA dringend weitere operative Befugnisse bekommen: Notliegeplätze für havarierte Schiffe müssen von ihr europaweit zugewiesen werden können, um die Gefahr, die von einem verunfallten Schiff ausgeht, schnellstmöglich zu bannen. Meist ist in einem Hafen bzw. in Hafennähe die Gefahr, die von einem solchen Schiff ausgeht, leichter zu bannen als auf hoher See. Auf hoher See wirken durch Wind und Wellen starke Kräfte auf das Schiff ein. Dadurch können das Schiff weiter destabilisiert und das Gefahrenpotenzial unnötig erhöht werden. Dass Deutschland nach Anfrage des Frachters „MSC Flaminia“ Hilfe zugesagt hat, ist vor allem dem Havariekommando des Bundes und der Küstenländer zu verdanken. Das Schiff fuhr unter deutscher Flagge; daher war Deutschland die letzte Rettung. Nicht auszudenken, wie lange die Odyssee des Wracks noch gedauert hätte, wäre es unter der Flagge eines außereuropäischen Staates unterwegs gewesen. Hier liegt ein Schwachpunkt im ergänzend eingebrachten Antrag der Linken, in dem Sie gleich eine europäische Küstenwache fordern. Das schaffen wir ja nicht mal in Deutschland aufgrund unserer zersplitterten Zuständigkeiten. In Europa sind die Zuständigkeiten in den einzelnen Mitgliedstaaten noch viel komplexer über die einzelnen Mitgliedstaaten verteilt. Viel effektiver ist aus unserer Sicht, der bestehenden Europäischen Maritimen Sicherheitsagentur EMSA nach und nach mehr Kompetenzen zu übertragen. Dies ist trotz verschiedener Gesetzespakete seit rund zehn Jahren versäumt worden. Der Antrag der SPD geht unserer Auffassung nach nicht weit genug. Es geht Ihnen nur darum, Sachverhalte und Änderungen an bestehenden Richtlinien „zu prüfen“. Hätte die Prüfung zum Ergebnis, alles solle bleiben wie bisher, würden Sie dann auch das mittragen? Dies wäre fahrlässig, sowohl für die Besatzungen auf den Schiffen und für die Meeresumwelt als auch für die europäische Küste. Die Havarie des Motorschiffs „MSC Flaminia“ fordert zum Handeln auf. Die Bundesregierung muss nun auf europäischer Ebene tätig werden und versuchen, Änderungen herbeizuführen. Es bleiben dabei zunächst die Ergebnisse der noch andauernden Seeunfallunter-suchungen abzuwarten. Dann müssen die richtigen Schlüsse gezogen werden, wie es zukünftig in Europa mit der Sicherheit auf den Meeren weitergehen soll. Hier sind die EU-Mitgliedstaaten am Zuge, also auch die deutsche Bundesregierung. Bisher war von der schwarz-gelben Regierung im Bereich der maritimen Politik wenig zu erwarten. Aber ich lasse mich gerne überraschen und freue mich über konstruktive Vorschläge. Vizepräsident Eduard Oswald: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/10819 und 17/11324 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind alle damit einverstanden; Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begleitung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (SEPA-Begleitgesetz) – Drucksachen 17/10038, 17/10251 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/11395 – Berichterstattung: Abgeordnete Peter Aumer Martin Gerster Dr. Gerhard Schick Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben14. Die Reden liegen hier auch vor. – Alle sind damit einverstanden. Widerspruch erhebt sich nicht. Wir kommen infolgedessen zur Abstimmung. (Zuruf des Abg. Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]) – Wollten Sie, Kollege Rehberg, ans Mikrofon gehen? (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Nein!) – Okay. Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 17/11395, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/10038 und 17/10251 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Fraktion der SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11407. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das ist die Fraktion Die Linke. Gegenprobe! – Koalitionsfraktionen und Sozialdemokraten. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Harald Koch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verbindliches Mitwirkungsrecht für Kommunen bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen und Verordnungen sowie im Gesetzgebungsverfahren – Drucksachen 17/1142, 17/4726 – Berichterstattung: Abgeordnete Michael Frieser Kirsten Lühmann Gisela Piltz Frank Tempel Dr. Konstantin von Notz Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. – Alle sind damit einverstanden, sodass wir zur Abstimmung kommen. Peter Götz (CDU/CSU): Der heute zur Debatte stehende Antrag der Fraktion Die Linke fordert großspurig die Einführung verbindlicher Mitwirkungsrechte für die Kommunen bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen und Verordnungen sowie im Gesetzgebungsverfahren. Wo leben denn die Antragsteller? Die Forderungen sind doch längstens von der christlich-liberalen Koalition umgesetzt. Die erfolgte Stärkung der Mitwirkungsrechte der Kommunen bei der Bundesgesetzgebung reiht sich ein in eine umfassende Richtungsänderung der Bundespolitik für die kommunale Ebene. Dieser Paradigmenwechsel wurde von CDU und CSU seit 2005 Schritt für Schritt zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung forciert. Bereits die unionsgeführte Große Koalition hat mit der Föderalismusreform I für die existenziellen Belange der Kommunen Rechnung getragen. Damit wurde eine direkte Aufgabenzuweisung an die Kommunen in Bundesgesetzen sowohl bei der Landesverwaltung der Bundesgesetze als auch bei der Bundesauftragsverwaltung ausgeschlossen. Der Weg neuer Aufgabenübertragungen auf Gemeinden und Gemeindeverbände führt nur über die Länder. Da die in den jeweiligen Landesverfassungen verankerten Konnexitätsregelungen uneingeschränkt greifen, ist Aufgabenübertragung auf die Kommunen ohne entsprechende Finanzierung seitdem ausgeschlossen. In der in dieser Legislaturperiode eingesetzten Gemeindefinanzkommission wurden – gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden – konkrete Handlungsempfehlungen zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung vorgelegt. Diese schließen eine verstärkte Beteiligung der Kommunen an der Gesetzgebung des Bundes bzw. der Rechtsetzung der EU ebenso ein wie die Flexibilisierung von Standards bzw. den Abbau von Bürokratie in allen Bereichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, vielleicht sollten Sie die seit Mai 2012 geltende Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages gründlich lesen. Sie werden dann feststellen, dass wir auf -Initiative der christlich-liberalen Koalition bereits vor Monaten verbindliche Mitwirkungsrechte für die Kommunen und eine privilegierte Anhörung der kommunalen Spitzenverbände beschlossen haben. § 69 Abs. 5 Satz 1 GO-BT wurde von einer Soll- in eine Istvorschrift geändert. Den kommunalen Spitzenverbänden muss seitdem Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden, wenn ein Ausschuss federführend Gesetzentwürfe berät, durch die deren wesentliche Belange berührt werden. Daneben wurde in § 70 Abs. 4 (neu) GO-BT geregelt, dass den kommunalen Spitzenverbänden Gelegenheit zur Teilnahme an einer öffentlichen Anhörung zu entsprechenden Gesetzentwürfen zu geben ist. Hierbei soll eine Anrechnung der Vertreter der kommunalen Spitzenverbände nach § 70 Abs. 2 Satz 2 GO-BT auf die jeweiligen Fraktionskontingente unterbleiben. Mit dieser Privilegierung der kommunalen Spitzenverbände in seiner Geschäftsordnung folgte der Deutsche Bundestag entsprechenden Änderungen in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO). Dort regelte die unionsgeführte Bundesregierung bereits im vergangenen Jahr die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände an Rechtsetzungsvorhaben umfassend neu, und zwar ebenfalls zugunsten der Kommunen. Neben dieser GGO-Privilegierung wird den kommunalen Spitzenverbänden im Zusammenhang mit EU-Rechtsetzungsvorhaben außerdem der Zugang zur zentralen ZEUS-Datenbank (Zentraler EU-Dokumenten-Server) des EU-Ratssekretariats beim Auswärtigen Amt angeboten. Der Server, der der Bundesregierung zur Verfügung steht, enthält alle für die EU-Ratsarbeitsgruppen relevanten Dokumente und wird kontinuierlich von Brüssel aus ergänzt und gepflegt. Bundesregierung und Bundestag sind damit den Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Rechtsetzung“ aus der Gemeindefinanzkommission gefolgt. Diese Kommission wurde vor dem Hintergrund des gemeinsamen Ziels der christlich-liberalen Koalition gebildet, um sich für leistungsfähige Städte, Gemeinden und Kreise einzusetzen. Das wichtigste Ergebnis der Kommission war jedoch, dass der Bund die kommunalen Haushalte durch die Reduzierung der kommunalen Sozialausgaben entlastet. Die heute Vormittag in zweiter und dritter Lesung im Deutschen Bundestag beschlossene Übernahme der -Nettoausgaben der Grundsicherung im Alter und bei -Erwerbsminderung durch den Bund entlastet die Kommunen allein im Zeitraum 2012 bis 2016 um rund 20 Milliarden Euro. Dies stärkt die kommunale Selbstverwaltung mehr als irgendwelche zusätzlich von der Fraktion Die Linke geforderten Formalitäten bei der Bundesgesetzgebung. Die realen Ergebnisse unserer Politik stärken die Kommunen – und zwar auf Dauer. Das wird für die Städte, Gemeinden und Landkreise immer konkreter spürbar. Nach Angaben des Deutschen Städtetags konnten fast alle Kommunen ihre Finanzsituation weiter verbessern. Bereits im laufenden Jahr 2012 rechnen die Kommunen mit einem Überschuss von 2,3 Milliarden Euro. Im Finanzplanungszeitraum bis einschließlich 2016 kann dieser Überschuss nach Einschätzung des Bundesfinanzministeriums kontinuierlich auf rund 5,5 Milliarden Euro gesteigert werden. Verantwortlich für die Gesundung der Kommunalfinanzen ist in erster Linie unsere auf Wachstum ausgerichtete Politik. Nach der aktuellen Steuerschätzung von letzter Woche können die Gemeinden bis ins Jahr 2017 damit rechnen, dass ihre Steuereinnahmen jedes Jahr um rund 3 Milliarden Euro anwachsen. In letzter Zeit verweisen die kommunalen Spitzenverbände völlig zu Recht verstärkt auf die besondere -Verantwortung der Länder. Schließlich weisen die Kommunalfinanzen nach wie vor enorme regionale Unterschiede auf, denen der Bund gar nicht entgegenwirken kann. In manchen Bundesländern geht die Schere zwischen armen und reichen Kommunen immer weiter auseinander. Die Rechtslage ist klar: Die Länder sind für ihre Kommunen und den kommunalen Finanzausgleich verantwortlich. Leider müssen die Kommunen zur Durchsetzung ihrer Ansprüche immer wieder auf die Hilfe der Landesverfassungsgerichte zurückgreifen, wie zum Beispiel zuletzt in Rheinland-Pfalz. Vor diesem Hintergrund hoffe ich, dass die kommunalfreundliche Politik beispielgebend für das Verhalten der Länder gegenüber ihren Kommunen ist. Ich fasse zusammen: CDU und CSU haben die kommunalfeindliche Politik der rot-grünen Bundesregierung beendet und kämpfen seit 2005 in Regierungsverantwortung erfolgreich für die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Sinkende Sozialausgaben durch die Kostenübernahme vom Bund und gleichzeitig höhere Einnahmen bei den Anteilen an der Einkommensteuer und Gewerbesteuer ermöglichen den Kommunen, zu investieren und ihre kommunalen Aufgaben zu erfüllen. Es liegt im ureigenen Interesse der Städte, Gemeinden und Landkreise, dass sich dieser neue Politikstil noch lange fortentwickeln kann. Kirsten Lühmann (SPD): Viele Gesetze, die auf Bundesebene beschlossen werden, haben Auswirkungen auf die Kommunen. Wir halten es deshalb für wichtig, dass die Kommunen an den Entscheidungsprozessen auf Bundesebene beteiligt werden. In Städten, Gemeinden und Landkreisen erhält Politik für die Menschen ein konkretes Gesicht: Hier wirken sich Entscheidungen direkt auf ihre Lebenssituation aus. Die Erfahrungen, die die Menschen vor Ort machen, entscheiden über Akzeptanz unserer Politik oder Politikverdrossenheit. Die Städte, Kreise und Gemeinden schaffen die Infrastruktur, die für unsere wirtschaftliche Entwicklung und die Lebensqualität der Menschen existenziell ist. Kommunen organisieren die Kinderbetreuung, sorgen für Sicherheit, sanieren Schulen, beseitigen Abwasser, zahlen Sozialhilfe, bieten einen öffentlichen Personennahverkehr an, stehen Menschen mit Behinderung und Pflegebedürftigen zur Seite, fördern Kultur und stärken mit Investitionen das örtliche Handwerk. Kurzum: Die Kommunen erfüllen einen umfassenden Fürsorgeauftrag. Deshalb sind die Stärkung unserer Städte, Gemeinden und Kreise und die Lösung ihrer Probleme für uns ein Kernanliegen. In der Vergangenheit haben Bund und Länder den Kommunen eine Vielzahl Aufgaben übertragen, ohne ihnen immer die dafür angemessene Finanzausstattung zu geben. Zugleich erhöhte sich infolge der demografischen und gesellschaftlichen Entwicklung die Inanspruchnahme staatlicher Leistungen. Seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts haben sich die kommunalen Sozialausgaben fast verdoppelt, erreichen inzwischen ein Niveau von gut 45 Milliarden Euro jährlich und wachsen dynamisch weiter. Wenn aber den Kommunen die Mittel fehlen, ihren Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge und der sozialen Sicherung nachzukommen, dann wird ihre Schlüsselrolle für unser Gemeinwesen grundsätzlich infrage gestellt. Es ist daher wichtig, auch bei Gesetzen, die auf Bundesebene beschlossen werden, Auswirkungen auf die kommunale Ebene stärker als bisher zu berücksichtigen. Zwar sind die Kommunen als Teil der Länder im Bundesrat bereits indirekt beteiligt, es ist aber sinnvoll, ihre Perspektive auch im Bundestag von vorneherein stärker in politische Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Dafür haben wir uns mit Nachdruck eingesetzt, zum Beispiel indem wir die Bildung des Unterausschusses Kommunales forciert haben. Die Regierungskoalition hat dabei keine rühmliche Rolle gespielt. Ende 2009 gab es einen Beschluss aller Fraktionen, diesen Ausschuss einzusetzen. Im Februar und März 2010 hatten SPD, Grüne und Linke ihre Mitglieder für den Unterausschuss benannt, CDU/CSU und FDP nicht. Im Mai beschloss der Innenausschuss offiziell seine Einsetzung und wählte den Vorsitzenden. Die Benennung der Mitglieder der FDP erfolgte einen Monat später, die der CDU/CSU drei Monate später. Im September konnte das erste gemeinsame Obleutegespräch des Ausschusses stattfinden, in dem beschlossen wurde, eine Geschäftsordnung festzulegen. Diese notwendige Voraussetzung für unsere Arbeit wurde wiederum von den Koalitionen CDU/CSU und FDP hinausgezögert. Im November 2011 konnte dann endlich die erste Sitzung des Unterausschusses Kommunales stattfinden. Knapp ein Jahr lang hatten die Regierungsfraktionen die Einsetzung des Ausschusses verschleppt. Im Folgenden wurde die Blockade auf andere Ebenen verlagert. Der Rahmenbeschluss zu den Kompetenzen des Unterausschusses wurde so eingeschränkt wie nur irgend möglich verfasst. Die Zuweisung von Themen an den Unterausschuss wird immer wieder von CDU/CSU und FDP abgelehnt – trotz eindeutigen kommunalen Bezugs. Letztes Beispiel: das Betreuungsgeld. So werden die Belange der Kommunen mit Füßen getreten. Der nächste Kraftakt betraf die Regelung, wie die kommunalen Spitzenverbände zu relevanten Gesetzentwürfen im Bundestag angehört werden. Nach den Beschlüssen der Gemeindefinanzkommission sollten die kommunalen Spitzenverbände bei öffentlichen Anhörungen im Bundestag privilegiert werden beziehungsweise das „Recht des ersten Wortes“ erhalten. Im Folgenden unterbreitete der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages einen Vorschlag, der ohne großes Aufheben in den Kleinstgremien der Obleute-runden versenkt werden sollte. Erst die Intervention der Kommunalpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion holte den Antrag wieder aus der Versenkung und leitete ein geordnetes Verfahren ein. Im Ergebnis haben wir einen überfraktionellen Beschluss gefasst, das Mitspracherecht der Kommunen auf Bundesebene zu verbessern. Im April 2012 wurde die Geschäftsordnung des Bundestages so geändert, dass zu allen relevanten Gesetzentwürfen Stellungnahmen der Kommunalverbände eingeholt werden müssen. Die Forderung nach einem eigenen Kommunalmitwirkungsgesetz auf Bundesebene halten wir verfassungsrechtlich für problematisch. Mit den eben genannten Instrumenten haben wir die Mitwirkungsmöglichkeiten der Kommunen bereits erheblich verbessert und müssen diesen Weg auch nicht gehen. Bei der ganzen Diskussion über Mitwirkungsmöglichkeiten sollten wir aber eines im Blick behalten: Wichtig ist, dass die Kommunen eine ausreichende -finanzielle Ausstattung bekommen. Die Steuereinnahmen dieses Jahr sind zwar gut, aber die Kommunen schieben einen Schuldenberg von etwa 50 Milliarden Euro vor sich her. Die Sozialausgaben steigen weiter, und die Schere zwischen armen und reichen Kommunen wird breiter. Darüber sollten wir reden in der nächsten Debatte. Dr. Birgit Reinemund (FDP): Entscheidungen, die wir hier im Bundestag treffen, stehen nicht im luftleeren Raum. Sie haben vielfältige Auswirkungen, auch und gerade auf die Kommunen. Das gilt besonders für die Bereiche Sozial- und Steuergesetzgebung. Als Gebietskörperschaften der Länder ist den Kommunen ein direktes Recht auf Mitwirkung an der Gesetzgebung verwehrt. Sie müssen ihre Belange über die Länder im Bundesrat vertreten lassen – auch gegenüber dem Bund und Europa. Dennoch ist eine Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände an der Bundesgesetzgebung explizit politisch gewollt und für mich und die gesamte FDP-Fraktion selbstverständlich. Nach dem Antrag der Linken soll die Bundesregierung aufgefordert werden, „zur Sicherstellung der Mitwirkungsrechte ein Kommunalmitwirkungsgesetz in den Deutschen Bundestag einzubringen“. Diese Formulierung ist derartig undifferenziert, dass man sich fragt, welche gesetzlichen Maßnahmen Ihnen, liebe Kollegen der Linken, hier genau vorschweben. Diese Antwort bleiben Sie schuldig. Sie haben diesen Antrag in der letzten Legislaturperiode ja schon einmal eingebracht – fast wortgleich. Der Antrag ist Schnee von gestern. Auch damals waren Sie zu konkreten Aussagen nicht fähig. Wenn Sie schon einen Schaufensterantrag einbringen, sollten Sie wenigstens auch ein bisschen Inhalt in die Auslage legen. Ihren Antrag lehnen wir ab, nicht weil wir gegen eine Mitwirkung der Kommunen am Gesetzgebungsverfahren wären, sondern weil der Antrag schlicht und ergreifend zu schlecht ist. Sie fordern in Ihrem Antrag dazu auf, dass Bundesregierung und Bundestag Kommunen verbindliche Mitwirkungsrechte bei der Beratung von Gesetzentwürfen geben. Diese Forderungen sind überholt. Hier haben wir bereits gehandelt: Wir haben die Geschäftsordnung des Bundestages so geändert, dass den kommunalen Spitzenverbänden im federführenden Ausschuss eine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muss, wenn dort kommunal relevante Gesetzentwürfe beraten werden. Das gilt im Übrigen auch für nichtöffentliche Ausschusssitzungen. In öffentlichen Anhörungen müssen die kommunalen Spitzenverbände ebenfalls gehört werden, wenn ihre Belange betroffen sind. Alle anderen Sachverständigen werden in solchen Anhörungen von den Fraktionen benannt. Die Anzahl an Experten, die eine Fraktion benennen darf, richtet sich dabei nach der Fraktionsstärke. Bei den kommunalen Spitzenverbänden findet solch eine Anrechnung auf Fraktionskontingente nun nicht mehr statt. Bisher sind die Vertreter der Kommunen behandelt worden wie Lobbyisten. Wir haben das geändert. Wir beteiligen die Kommunen angemessen am Gesetzgebungsprozess. Das sage ich sehr deutlich als kommunalpolitische Sprecherin meiner Fraktion, der FDP. Es freut mich, dass die Bundesregierung das genauso sieht und die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien ebenfalls geändert hat, um den kommunalen Spitzenverbänden mehr Mitwirkungsrechte zu geben. Genauso selbstverständlich war es für uns, die Kommunen beim Umsetzungsgesetz zum Fiskalvertrag, das wir aktuell im Bundestag beraten, einzubeziehen. Der Stabilitätsrat, der die Einhaltung der Schuldenbremse und die Haushalte von Bund und Ländern überwacht, wird einen Beirat erhalten, in dem auch die kommunalen Spitzenverbände vertreten sein werden. Die Schuldenbremse im Fiskalvertrag umfasst auch die Kommunen. Die Kommunen sind von Sanierungsprogrammen des Stabilitätsrates potenziell mit betroffen. Deshalb ist diese Beteiligung vernünftig und notwendig. Gut, dass wir im Umsetzungsgesetz übrigens auch festschreiben, dass die Länder für die Umsetzung der Schuldenbremse im Bereich der Kommunen verantwortlich zeichnen! Für mich ist ganz klar: Dort, wo Gesetzentwürfe und politische Maßnahmen die Interessen der Kommunen berühren, müssen die kommunalen Spitzenverbände so in die Gremien eingebunden werden, dass sie dort ihre Meinung einbringen können. Die Belange der Städte und Gemeinden sind bei FDP und Union in guten Händen. Deshalb brauchen die Kommunen auch nicht aufgewärmte Anträge der Linken, sondern die kommunalfreundliche Politik der Regierungskoalition. Katrin Kunert (DIE LINKE): Nach langwierigen Beratungen, mitunter schwierigen Verhandlungen und auf Druck der Linken hat sich der Bundestag am 26. April 2012 einstimmig dafür ausgesprochen, den Gemeinden und Gemeindeverbänden bei Vorlagen, von denen „wesentliche Belange von Gemeinden und Gemeindeverbänden berührt werden“, ein obligatorisches Recht auf Stellungnahme einzuräumen. Kommunale Spitzenverbände müssen nun bei allen Anträgen, die seitens der Fraktionen in den Bundestag eingebracht werden, gehört werden. Es kann sich niemand mehr darum herum mogeln, wie es in der Vergangenheit oft der Fall war. Ein Manko dieser Regelung ist indes, dass sie nicht für Vorlagen – zum Beispiel Gesetzentwürfe – der Bundesregierung gilt. Unserer Forderung, dass dies auch ausnahmslos für Regierungsvorlagen gelten muss, stellten sich die Fraktionen von CDU/CSU und FDP entgegen. Die Linke hat dem trotzdem zugestimmt, weil es ein Schritt in die richtige Richtung ist. Allerdings ist die Linke der Auffassung, dass wir unbedingt den nächsten Schritt gehen müssen. Daher halten wir auch an den anderen Forderungen in unserem Antrag fest. Wir wollen ein Kommunalmitwirkungsgesetz. Die Kommunen brauchen ein verbindliches Mitwirkungsrecht, damit sie ihre Beteiligung notfalls auch einklagen können. Dafür bedarf es einer gesetzlichen Regelung, die sicherstellt, dass Kommunen in allen Phasen der Entscheidung über ein Gesetzesvorhaben des Bundes beteiligt werden. Es reicht nicht aus, dass kommunale Spitzenverbände nur am Anfang eines Gesetzgebungsverfahren gehört werden. In die dann folgende Debatte, in der es in der Regel zu Änderungen der Gesetzentwürfe kommt, müssen die kommunalen Spitzenverbände ebenso einbezogen werden. Daher brauchen wir hier ein geordnetes Verfahren, einen Konsultationsmechanismus, ähnlich wie er in Österreich bereits seit Mitte der 90er-Jahre erfolgreich angewandt wird. Es kann und darf nicht im Ermessen einzelner Ministerien oder Personen liegen, darüber zu befinden, wann und in welchem Maße Kommunen an Gesetzesvorhaben, die kommunale Belange berühren, beteiligt werden. Wir wollen sicherstellen, dass die Kommunen frühzeitig beteiligt werden. Frühzeitig heißt für uns, die kommunalen Spitzenverbände müssen zum frühestmöglichen Zeitpunkt einbezogen werden, und sie müssen Zeit haben, Vorlagen für Gesetzesvorhaben mit ihren Mitgliedskommunen zu diskutieren. Dies gewährleitstet, dass im Vorfeld die möglichen Auswirkungen durch die Kommunen selbst bewertet werden können. Nur so kann offengelegt werden, welche finanziellen Folgen einzelne -Gesetzesvorhaben für Kommunen und welche Auswirkungen sie auf das Leben in den Städten, Landkreisen und Gemeinden haben. Und eine einseitige Lastenverschiebung auf die Kommunen kann verhindert werden. Auch die Formulierung in Gesetzesvorlagen: „mögliche finanzielle Auswirkungen sind nicht bezifferbar“, wie zum Beispiel bei der Änderung des Gesetzes zum Vormundschafts- und Betreuungsrecht, würde der Vergangenheit angehören. Die Umsetzung des genannten Gesetzes führt zu einer Verdopplung des Personalbedarfs in den Jugendämtern. Die Kosten hierfür müssen die Kommunen tragen. Auch heute ist es noch gang und gäbe, dass kommunale Spitzenverbände kurzfristig aufgefordert werden, zu Gesetzesentwürfen Stellung zu nehmen. Ein Beispiel hierfür war der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Leistungssteigerung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, der kurzfristig und mitten in den Osterferien den kommunalen Spitzenverbänden zur Abstimmung zugesandt wurde. Mit dieser Praxis muss Schluss sein. Im Übrigen ist es schon bemerkenswert, wenn immer häufiger externe Unternehmen an Gesetzen mitwirken, aber kommunale Spitzenverbände – wenn es um Belange der Kommunen geht – um eine Mitwirkung ringen müssen. Allein im Jahr 2009 wurden 16 Gesetze verkündet, an denen externe Unternehmen mitgewirkt haben. Im Zeitraum von 1990 bis 1999 war es gerade mal ein Gesetz. Insgesamt wendeten die Ministerien über 4 Millionen Euro für die Mithilfe an Gesetzen durch externe Berater auf. Während also externen Unternehmen und Beratern alle Türen offenstehen, wenn es um die Erarbeitung von Gesetzentwürfen geht, stehen die Kommunen vor einer fast verschlossenen Tür. Sie werden nur unzureichend an der Gesetzgebung beteiligt, und das vor dem Hintergrund, dass 80 Prozent der Bundesgesetze Kommunen ausführen müssen. Eine Änderung dieses Zustandes erreichen wir nur, wenn kommunale Spitzenverbände ein gesetzlich verankertes Mitwirkungsrecht erhalten. Bei allen Fortschritten, die es hier in der jüngsten Vergangenheit gegeben hat, halten wir an dieser Forderung fest und stehen -damit auch an der Seite der Kommunen. Im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe „Rechtsetzung“ der Gemeindefinanzkommission ist vermerkt: „Die kommunalen Spitzenverbände halten an der Auffassung fest, dass eine Verankerung von Beteiligungsrechten in der Rechtsetzung im Kontext des Art. 28 Abs. 2 GG der Stellung der Kommunen im föderalen Staatsgefüge angemessener wäre als deren Berücksichtigung auf Geschäftsordnungsebene.“ Die Linke ist der Auffassung, dass durch ein verbindliches Mitwirkungsrecht der kommunalen Spitzenverbände Gesetze an Qualität gewinnen, weil die konkreten Erfahrungen aus der Praxis der Umsetzung der Gesetze berücksichtigt werden können. Wir hätten nicht nur bessere Gesetze, wir könnten uns auch eine Vielzahl von Korrekturen und Änderungen im Nachhinein ersparen. Ich bitte sie daher um Zustimmung zu unserem Antrag. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Bund spart bei der Arbeitsmarktpolitik, die Länder versuchen den Fiskalpakt einzuhalten, der dringend notwendige Kitaausbau ist überfällig, aber nicht aus-finanziert. Diejenigen, die vor Ort Politik machen, müssen letztendlich die Umsetzung und die finanziellen Lasten schultern. Für Bürgermeister oder Landräte wird die Redensart, den Letzten beißen die Hunde, schnell zum Alltag. Woran liegt das? Auf den ersten Blick genießen die Kommunen einen hohen verfassungsrechtlichen Schutz. Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes hält fest: „Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.“ Die Gemeinden haben das Recht, eigene Regeln zu verantworten, sich selbst zu verwalten und ihnen stehen Einnahmen aus eigenen Steuern zu. Das hört sich doch gut an. Leider ist die Realität vor Ort eine andere. Wie viel sind solche Rechte wert, wenn andere Gebietskörperschaften der kommunalen Familie Pflichtaufgaben aufzwingen und bisherige Einnahmen absenken können? Anhörungs- und Mitwirkungsrechte der Kommunen bei solchen Entscheidungsfindungen sind gesetzlich nicht vorgesehen. Ergebnis: Nach der Meinung der Kommunen kräht kein Hahn. Dass es auch anders geht, zeigt die Rolle der Länder bei wichtigen Entscheidungen. Die Anhörungs- und Zustimmungsrechte der Länder im Bundesrat zwingen den Bund zu Kompromissen. Niemand fordert heute eine vergleichbare Machtposition für die Kommunen. Allerdings ist eine Aufwertung der bisherigen kommunalen Teilhabe zwingend notwendig. Die mangelnde Mitwirkung hat sogar die erfolglose Gemeindefinanzkommission entdeckt. So hält die Arbeitsgruppe „Rechtssetzung“ fest: Die kommunalen Spitzenverbände sollen möglichst zeitlich vor Interessenvertretungen an Rechtsetzungsvorhaben beteiligt werden. Auch soll die Möglichkeit einer Kostenfolgenabschätzung von Bundesgesetzen für Kommunen geprüft werden. Spätestens die beiden Aussagen müssen doch auch den letzten Zweifler von einer besseren Einbindung der Kommunen überzeugen. Es spricht doch Bände: Die kommunalen Spitzenverbände werden bisher genau wie Interessenverbände behandelt. Erstens. Bund und Länder können Steuerrechts- oder Sozialrechtsänderungen beschließen, ohne irgendeine Information über finanzielle Auswirkungen für die Kommunen zu besitzen. Zweitens. Der vorliegende Antrag der Linksfraktion zielt auf diese Schwachstellen ab. Die Forderung nach verbindlichen Mitwirkungsrechten für Kommunen sind notwendig. Die Festschreibung von solchen Rechten ist dabei der richtige Weg. Darauf haben auch wir Grüne im Rahmen der Debatte der Gemeindefinanzkommission gedrängt. Wir müssen einfach den Status quo überwinden: Die Beteiligung der Kommunen darf nicht mehr im Ermessen des Gesetzgebers liegen, sondern muss durch ein gesetzlich garantiertes Mitwirkungsrecht ersetzt werden. Außerdem überlässt der Antrag die genaue Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte der Bundesregierung. Deshalb stimmen wir, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, diesem Antrag zu. Vizepräsident Eduard Oswald: Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4726, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1142 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? – Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 – Drucksache 17/10041 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/11363 – Berichterstattung: Abgeordnete Michael Frieser Kirsten Lühmann Manuel Höferlin Jan Korte Dr. Konstantin von Notz Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Michael Frieser (CDU/CSU): Wir haben heute einen Gesetzentwurf vor uns liegen, bei dem ich eigentlich davon ausgegangen bin, dass dieser ohne größere Diskussionen sogar interfraktionell verabschiedet werden könnte. So kann man sich täuschen. Selbst die Verlängerung eines zunächst nüchtern klingenden Gesetzes, wie die des Mikrozensus, scheint die Opposition in Unruhe zu versetzen und für strittige Abstimmungen zu sorgen. Warum brauchen wir dieses Gesetz? Es gibt einen schönen Satz: „Politik beginnt mit der Betrachtung der Realität.“ Genau darum geht es beim Mikrozensus. Um die Betrachtung der Realität. Diese soll nun mit einem bestehenden und dem Grunde nach bewährten Gesetz nicht bis Ende dieses Jahres, sondern bis 2016 fortgesetzt werden. Angesichts der politischen und rechtlichen Probleme, mit denen seit den 1980er-Jahren die Volkszählung in Deutschland zu kämpfen hatte, ist der Mikrozensus mittlerweile zur zentralen Informationsquelle für die Erstellung öffentlicher Statistiken geworden. Im Gegensatz zu einer Volkszählung werden beim -Mikrozensus nur nach bestimmten Zufallskriterien ausgewählte Haushalte beteiligt. Die Anzahl der Haushalte wird so gewählt, dass die Repräsentativität der Ergebnisse statistisch gesichert ist. Der Mikrozensus dient dazu, die im Rahmen von umfassenden Volkszählungen erhobenen Daten in überschaubaren Zeitabständen mit klar definiertem organisatorischem Aufwand zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Für die Praxis bedeutet das, dass für vier weitere Jahre wie bisher auch jährlich 800 000 Bürgerinnen und Bürger zu Auskünften auf Fragen verpflichtet werden, wobei jede Befragung ungefähr eine halbe Stunde dauert. Zudem werden weitere 200 000 Bürgerinnen und Bürger zur Beantwortung weiterer Fragen verpflichtet, deren Beantwortung nur rund 15 Minuten dauert. Es handelt sich insgesamt also um nur 1 Prozent unserer Bevölkerung, der Gewinn durch die Befragung ist aber gewaltig. Die Ergebnisse des Mikrozensus betreffen aber uns alle, ganz besonders jedoch uns in der Politik Tätigen. Für unsere politischen und wirtschaftlichen Planungen, ebenso für die wissenschaftliche Forschung, brauchen wir verlässliche Daten, nicht nur darüber, wie viele Menschen in Deutschland in welchen Städten und Gemeinden leben, sondern ebenso darüber, beispielsweise welche Bildungsabschlüsse diese Menschen haben oder welchen Beruf sie ausüben, ob sie davon leben können, in welchen Verhältnissen sie wohnen. Für mich, in meiner Funktion als Integrationsbeauftragter der Unionsfraktion besonders interessant ist der Abschnitt „Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsdauer“. Für eine passgenaue Integrationspolitik ist es von entscheidender Bedeutung, genau zu wissen, wer bei uns lebt, woher die Menschen kommen und ob Sie die deutsche Staatsangehörigkeit bereits angenommen haben. Für jedes Projekt, für jede Regelförderung werden -Mittel aus dem Haushalt aufgrund dieser Zensusdaten errechnet. Unser Mikrozensus ist mit seinen Ergebnissen darüber hinaus europapolitisch mittlerweile eigentlich zwingend. Inhaltlich ist er verknüpft mit der Arbeitskräftestichprobenerhebung der EU. Die entsprechende -Verordnung der EU (VO (EG) Nr. 577/98 des Rates vom 9. März 1998 zur Durchführung einer Stichprobenerhebung über Arbeitskräfte in der Gemeinschaft (ABL. EG Nr. L 77 S. 3)) sieht Lieferverpflichtungen für Deutschland vor, die ohne den Mikrozensus nicht mehr erfüllt werden können. Dieses Gesetz gilt es heute zu verlängern, um 2016, also später als im Mikrozensus 2005 ursprünglich vorgesehen, ein modernisiertes Gesetz zu verabschieden. Die Gründe dafür liefert die ebenso einfache wie einleuchtende Begründung des Gesetzentwurfs, der nichts hinzuzufügen ist: Die Ergebnisse des Zensus 2011 sind für eine sinnvolle Justierung des Mikrozensus entscheidend. Diese werden allerdings erst voraussichtlich im Jahr 2014 vorliegen. Die Volkszählungsdaten bilden den Auswahl- und Hochrechnungsrahmen des Mikrozensus, der, um künftig noch genauer und zielgerichteter eingesetzt zu werden, nach der Auswertung der Ergebnisse des Zensus 2011 angepasst werden muss. Darüber hinaus soll künftig alle zehn Jahre ein europäischer Zensus stattfinden. Hier gilt es für uns zuvor noch zu klären, welche Daten künftig durch diesen Zensus abgedeckt werden und welche Daten dann noch unser eigenes Instrument des Mikrozensus beisteuern soll und kann. Zum Dritten laufen derzeit im Statistischen Bundesamt konzeptionelle Überlegungen zur Weiterentwicklung des Systems der Haushaltsstatistiken. Auch diese Ergebnisse werden für den Mikrozensus zu berücksichtigen sein. Wir würden – auch dies beschreibt die Begründung des Gesetzentwurfes –, sollte der Mikrozensus nicht vor Ablauf dieses Jahres verlängert werden, in den rechtlichen und am Ende auch tatsächlichen Stand von 1957 zurückfallen. Das Ergebnis wäre: Wir würden keine -Daten über die Bevölkerungsstruktur, wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung, über Familien und Haushalte, Erwerbstätigkeit, Arbeitssuche, Ausbildung, Wohnverhältnisse erhalten, nach denen wir unsere Politik mit ausrichten können, und wir können auch keine Daten mehr den Parlamenten in Bund, Ländern und Europa zur Verfügung stellen. Nicht nur viele gute Gründe sprechen für ein einstweiliges Beibehalten des Mikrozensus 2005, auch gibt es keine ernsthaft in Betracht zu ziehende Alternative. Deshalb empfehle ich auch der Opposition, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Kirsten Lühmann (SPD): Der Mikrozensus wird seit 1957 als Haushaltsstichprobe über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt durchgeführt. Seine Hauptaufgabe ist es, umfassende, aktuelle und zuverlässige Daten über die Bevölkerung bereitzustellen. Dabei geht es um die Bevölkerungsstruktur, die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung, Familien und Haushalte, Erwerbstätigkeit, Arbeitssuche, Ausbildung und Wohnverhältnisse. Diese Daten sind eine wichtige Grundlage für Entscheidungen der Parlamente, Regierungen und Verwaltungen in Bund und Ländern. Auch für Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft und andere politische und gesellschaftliche Institutionen sind sie eine wichtige Informationsquelle. Jedes Jahr werden 800 000 Bürgerinnen und Bürger befragt, also 1 Prozent der Bevölkerung. Die Befragten müssen dafür jeweils etwa eine halbe Stunde Zeit aufwenden. Grundsätzlich besteht für diese Erhebungen Auskunftspflicht. Allerdings sind einige Merkmale von der Pflicht ausgenommen: So sind zum Beispiel Auskünfte über Wohn- und Lebensgemeinschaft oder vermögenswirksame Leistungen freiwillig . Die Mikrozensusdaten erlauben es, Veränderungen der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse schnell festzustellen und auch längerfristige Entwicklungen zu untersuchen. Für politische Entscheidungen sind solche Daten eine unverzichtbare Grundlage. Nehmen wir das Beispiel demografischer Wandel: Die niedrige Geburtenrate und zunehmende Kinderlosigkeit rücken immer mehr in den Fokus öffentlicher und politischer Debatten. Wie genau wird sich unsere Bevölkerungsstruktur verändern? Wie können wir mit dem demografischen Wandel umgehen? Um diese Fragen zu beantworten, brauchen wir Daten, die unter anderem durch den Mikrozensus erhoben werden. Wesentliche Kriterien für Berechnungen zur künftigen Entwicklung der Bevölkerung sind zum Beispiel Veränderungen des Anteils der Frauen mit bzw. ohne Kinder und die Gesamtzahl der Kinder einer Frau. Ohne solche Angaben lassen sich keine sinnvollen Planungen zum Beispiel zur langfristigen Stabilität unserer sozialen Sicherungssysteme machen. In Verbindung mit weiteren Angaben wie Ausbildung und Erwerbs-tätigkeit können wir Ansatzpunkte für familienpolitische Maßnahmen erkennen – oder die Wirkung von Maßnahmen etwa zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aufgrund dieser Argumente sind wir uns einig, dass eine Weiterführung des Mikrozensusgesetzes notwendig ist. Wir verlängern das Gesetz heute um vier Jahre bis 2016. Die befristete Verlängerung hat ihren Sinn darin, dass in regelmäßigen Abständen überprüft werden soll, ob die Datenerhebung ergänzt oder verändert werden soll. Bei der letzten Verlängerung wurde zum Beispiel eingeführt, dass nicht nur die aktuelle Staatsangehörigkeit der Befragten erfasst wird, sondern auch die vorherige, sofern vorhanden. Dadurch wurde es möglich, die Bevölkerungsstruktur und Integration von Migranten und Migrantinnen genauer zu beschreiben. Vorher tauchte der Migrationshintergrund dieser Menschen in der Statistik nicht mehr auf. Nunmehr kann die Gruppe der Eingebürgerten separat ausgewiesen werden. Da über die Einbürgerung eine formale Integration erfolgt, lässt dies Rückschlüsse auf die Integrationsbereitschaft dieser Bürger und Bürgerinnen zu. Ein weiterer Befund der Forschung in diesem Bereich ist, dass Eingebürgerte günstigere sozioökonomische Merkmale aufweisen. Hier fallen also positive Beispiele der Integration auf, die vorher so nicht sichtbar waren. Insofern werden wir das Mikrozensusgesetz auch in vier Jahren wieder auf den Prüfstand stellen. Bis dahin muss die Arbeit des Statistischen Bundesamtes auf einer gesetzlichen Grundlage weiter gewährleistet werden. Das tun wir heute mit Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Manuel Höferlin (FDP): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird das 2005 verabschiedete Mikrozensusgesetz verlängert. Die Laufzeit endet dieses Jahr und wird nun auf 2016 ausgeweitet. Und ich freue mich, dass wir zum ersten Mal seit langem wieder die Zeit finden, dieses wichtige Thema zu debattieren; denn auch ein Mikrozensusfortschreibungsgesetz wirft Fragen auf. Wird der Datenschutz ausreichend berücksichtigt? Ist die Auskunftspflicht das richtige Mittel, um die Daten für den Mikrozensus zu erheben? Ist eine solche Befragung überhaupt zeitgemäß? Um Sie nicht allzu sehr auf die Folter zu spannen: Die Antwort auf all diese Fragen lautet „Ja!“. Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern hatten bereits in den vergangenen Jahren keine Einwände gegen das Gesetz geäußert. So viel Einmütigkeit ist – gerade bei einem so sensiblen Thema – selten und erfreulich. Auch halte ich die Auskunftspflicht im Rahmen des -Mikrozensus für gerechtfertigt. Die Befragung ist eine der wichtigsten in Deutschland und liefert zentrales Datenmaterial über Haushalte und Familiensituationen. Für die Planung der Sozialpolitik und für die Dokumentation des demografischen Wandels ist sie unerlässlich. Die Daten, die mit dem Mikrozensus erhoben werden sind, daher auch ungemein wichtig. Und damit habe ich auch schon die halbe Antwort auf die dritte Frage gegeben: Selbstverständlich ist der Mikrozensus zeitgemäß, da das erhobene Datenmaterial für wichtige Planungen bereitliegen muss und die Grundlage für die Zukunftsplanungen darstellt. Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Damen und Herren, mit dem Mikrozensusgesetz haben wir in den letzten sieben Jahren sehr gut wichtige Informationen gewinnen können, und – abgesehen von einigen wenigen Korrekturen im Jahr 2007 – es gab keinen Anlass, dieses Gesetz einer grundsätzlichen Revision zu unterziehen. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung. Jan Korte (DIE LINKE): Mit dem hier heute zur Abstimmung stehenden -Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 soll die erneute Verlängerung des Mikrozensus um weitere vier Jahre beschlossen werden. Das Gesetz aus dem Jahre 2005, das die Durchführung des Mikrozensus bis zum Jahre 2012 vorgesehen hatte, wurde bewusst befristet, „um regelmäßig das -Erhebungsverfahren prüfen und die Merkmale an den aktuellen Informationsbedarf anpassen zu können“. Von einer Prüfung des Erhebungsverfahrens und dessen -Ergebnissen ist allerdings bislang nichts bekannt geworden. Auf diesen Punkt komme ich später noch einmal -zurück. Die heute zur Abstimmung stehende Änderung besteht zwar lediglich in der Ersetzung der Jahreszahlen „2012“ durch „2016“ – weitere Änderungen sind diesmal nicht vorgesehen –, hat aber durchaus weitreichende Auswirkungen. So heißt es im Erläuterungsteil des Gesetzes: „Wie bisher werden daher jährlich 800 000 Bürgerinnen und Bürger zu Auskünften auf Fragen verpflichtet, deren Beantwortung je Fall rund eine halbe Stunde dauert. Zudem werden jeweils 200 000 Bürgerinnen und Bürger zu Auskünften auf weitere Fragen verpflichtet, deren Beantwortung rund 15 Minuten dauert.“ Das klingt offenbar in Ihren Ohren relativ harmlos, ist es unseres Erachtens aber nicht. Denn wenn man sich der Beantwortung der Fragen verweigert, wird man mit Zwangsgeldern von bis zu 5 000 Euro bzw. Beugehaft bestraft. Meine Fraktion hatte bereits das Ausgangsgesetz abgelehnt, weil seine Notwendigkeit nach unserer Meinung und der Auffassung vieler Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler nicht konkret nachgewiesen, der Umfang der Datenabfrage ausufernd und teilweise unverständlich bis diskriminierend gewesen ist. Letzteres – beispielsweise die Abfrage der Geburtenfolge bei Frauen oder Religionsgemeinschaften – ist zwar freiwillig anzugeben, die Abfrage wird dadurch aber nicht plausibler. Kritisch beurteilen wir auch, dass der Bürgerinitiative „Arbeitskreis Zensus“ im Rahmen ihres Engagements zur letzten Volkszählung, dem „Zensus 2011“, offenbar eine Reihe von Berichten über unwürdige Befragungspraktiken im Rahmen des Mikrozensus zugetragen wurden und dies zumindest keine öffentlich wahrnehmbare Diskussion, geschweige denn eine Änderung der kritisierten Praxis, zur Folge hatte. Der Arbeitskreis warnte in seiner Stellungnahme vom Sommer 2012 ebenfalls vor einem „bürokratischen Automatismus der alle vier Jahre stattfindenden Verlängerung der Gesetzesgrundlage“. Richtig ist, dass von einer unabhängigen und gründlichen Überprüfung der Erhebungsverfahren und Merkmale sowie ihrer entsprechenden Anpassung bislang nichts bekannt geworden ist. Dies ist schon extrem verwunderlich. Denn es hätten sich ja durchaus Möglichkeiten ergeben können, auf bestimmte Daten zu verzichten oder die Verfahren zu vereinfachen. Immerhin werden beim 59 Seiten langen Fragebogen des derzeitigen Mikrozensus 200 Fragen und zahlreiche detaillierte persönliche Angaben zwangsweise abgefragt. Aus bürgerrechtlicher Sicht wäre also eine Überprüfung des Erhebungsverfahren insbesondere hinsichtlich seiner Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit, selbst wenn es durch die Befristung nicht eh vorgesehen wäre, unbedingt angebracht. Aber wie gesagt, von einer Überprüfung war und ist keine Rede bei Ihnen. So scheinen diese Fortsetzung der Zwangserhebung und das Bekenntnis zu einer Überprüfung für die Bundesregierung reine Formalitäten zu sein – ein Verfahren, das den tatsächlichen Belastungen nicht gerecht wird. Denn es geht dabei nicht um die von der Regierung und dem Normenkontrollrat penibel ausgerechnete zeitliche Belastung für jede Bürgerin und jeden Bürger, sondern um die Belastung durch massive Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Darüber hinaus ist auch die Kostenverteilung – der Bund trägt mit 2 105 070 Euro gerade einmal ein Zehntel der Kosten der Länder in Höhe von 21 610 193 Euro – nicht so ganz einleuchtend ohne einen Nachweis der Nützlichkeit. Die Befristung hätte für alternative Überlegungen und Verfahren zur Bedarfsplanung genutzt werden können – daran bestand und besteht offensichtlich aufseiten der Bundesregierung keinerlei Interesse. Oder warum wurden keine Ergebnisse von Überprüfungen der Verfahren und des Datenumfanges im Parlament ausführlich diskutiert? Auch ist nicht bekannt, ob und wenn ja welche Änderungen in dem neuaufgelegten Fragebogen für die Jahre bis 2016 vorgenommen wurden und welche Veränderungen des Hochrechnungsrahmens sich nach dem Zensus 2011 ergeben haben und -inwiefern der Mikrozensus daran gegebenenfalls angepasst wurde. Wir wissen ebenfalls nicht, welche Überlegungen im Statistischen Bundesamt zur Weiterentwicklung des Systems der Haushaltsstatistiken angestellt werden. Allein schon aufgrund dieser mehr als unbefriedigenden Informationslage könnten wir diesem Anschluss-gesetz nicht zustimmen. Solange kein klarer und verständlicher Nachweis über Sinn, Nützlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Befragungen vorgelegt worden ist, muss der Mikrozensus ausgesetzt werden. Wir erwarten außerdem, dass den Vorwürfen der Bürgerrechtler über einen unwürdigen Umgang der Statistikämter mit den Befragten nachgegangen wird und es, sollten sich die Berichte bestätigen, auch zu entsprechenden Konsequenzen kommt. Ein Staat, der auf unwillige Bürgerinnen und Bürger bei solchen Fragen mit der Androhung von Verwaltungszwang reagiert, bekommt vielleicht irgendwann irgendwelche Auskünfte – beliebter werden solche Maßnahmen dadurch aber nicht, und auch die Verlässlichkeit erzwungener Auskünfte bleibt zweifelhaft. Meine Fraktion wird daher dem Gesetz heute hier nicht zustimmen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Angaben des Mikrozensus versorgen uns mit so segensreichen Erkenntnissen wie zum Beispiel, dass in Hamburg jede 20. Wohnung leer steht, dass fast die Hälfte der Informatikerinnen und Informatiker im klassischen Familienalter kinderlos sind oder die wirklich triste Aussicht, wonach die Bundesrepublik Deutschland die weltweit niedrigste Geburtenrate von nur acht Kindern auf 1 000 Einwohner aufweist. Die neuesten Erkenntnisse des jährlich erscheinenden Statistischen Jahrbuches, das vergangenen Monat vorgestellt wurde und uns Deutschen aktuell bescheinigt, nach Japan die zweitälteste Gesellschaft der Welt zu sein, stammen aus dem Mikrozensus. Gerade weil der präventive, der vorsorgende und auch auf Nachhaltigkeit und komplexe Steuerungskonzepte setzende Staat nur effektiv sein kann, wenn er über laufend aktuelle Zahlen zur Bevölkerung verfügt, gewinnt das Statistikwesen an Bedeutung. Wer wie die Bundesrepublik Deutschland in den kommenden Jahren auf der Grundlage von Demografieberichten mit den Folgen schrumpfender Erwerbsbevölkerung, der zunehmenden Alterung und dem Kinderschwund zu rechnen hat, kann auf die Statistik nicht verzichten. Darüber haben wir bereits im vergangenen Jahr hinlänglich im Rahmen der Debatte um den Zensus 2011 diskutieren können. Der Mikrozensus stellt die Grundlage unserer Erkenntnisse dar; er ist gewissermaßen der kleine Bruder der bei uns nur selten erfolgenden großen Zensen. Alljährlich sind eine beachtliche Anzahl von circa einer Million Bundesbürgern mit den umfänglichen Fragenkatalogen der Statistikbehörden konfrontiert, denen sie nicht ausweichen können. Denn die Teilnahme an den Interviews oder auch wahlweise Ausfüllung der Fragebögen ist bußgeldbewehrt. Die oft besonders weit das Privatleben berührenden Fragen etwa nach dem Einkommen, nach den familiären Verhältnissen oder der Ausbildung stellen ohne Zweifel – völlig unabhängig von ihrer konkreten Weiterverarbeitung – aufgrund der Zwangslage der Auskunftspflicht einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz dar. Genau diese Konflikte haben die Volkszählungsproteste der 1980er-Jahre ausgelöst. Viele Grüne haben diese Bewegung mitgetragen, und sie zählt sicherlich als bürgerrechtliches Großereignis bis heute zu einer der Wurzeln des grünen Selbstverständnisses. Im Kern geht es dabei um die Sicherung der informationellen Selbstbestimmung des Einzelnen. Selber wissen und so weit als möglich auch mit entscheiden zu können, wer was wann über einen erfährt und was dann mit diesem Wissen gemacht werden darf, das zählt heute zum Kern des Datenschutzes, so wie ihn auch die grüne Partei gemeinsam mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Gruppen erstritten hat. Dank des tatsächlich wegweisenden Volkszählungsurteils von 1983 wurden genaue Vorgaben gemacht, die den Gesetzgeber bis heute beschäftigen und binden. Das Mikrozensusgesetz basiert auf diesen Vorgaben. Es dient dazu, diese Vorgaben zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger gegen eine überbordende staatliche Datenerhebung, und sei sie auch nur zu statistischen Zwecken, sicherzustellen. Die Aufsichtsbehörden für den Datenschutz in den Ländern berichten alljährlich von Bürgerinnen und Bürgern, die sich mit Beschwerden auch gegen den Mikrozensus an sie wenden. Das derzeit in Kraft befindliche, wie seine Vorgänger zeitlich befristete Mikrozensus-gesetz von 2005 enthält zwar nicht mehr sämtliche -Einzelfragen im Gesetz selbst, sondern enthält Fragenkomplexe, die dann im späteren Verordnungswege konkretisiert werden dürfen. Gleichwohl besteht an dieser Verfahrensweise trotz der teilweisen Zurücknahme des strikten Gesetzesvorbehalts ein berechtigtes Interesse der Flexibilisierung, um eben möglichst aktuelle, besonders zielgerichtete Fragenkomplexe entwerfen zu können. Die Bundesregierung hat sich mit dem vorgelegten Gesetzentwurf entschieden, das bisherige Mikrozensusgesetz um weitere vier Jahre zu verlängern. Sie räumt in der Begründung durchaus ein, dass sich das Statistikwesen im Umbruch befindet. Denn die Ergebnisse des Zensus 2011 werden für 2014 erwartet und könnten und sollten auch Auswirkungen auf den Mikrozensus haben. Außerdem werden entsprechende Vollzensusverfahren gemäß EU-Verordnung zukünftig alle zehn Jahre erfolgen. Man könnte vor diesem Hintergrund theoretisch deshalb wohl auch den Verzicht auf den Mikrozensus bis zur weiteren Klärung oder eine kürzere, eine grundrechtsschonendere Befristung um lediglich zwei Jahre ins Auge fassen. Der Preis wäre dann allerdings wohl die Lückenhaftigkeit der Statistik für diese Zeiträume. Zu bedenken bleibt zudem, dass sich die Fragebögen des Zensus 2011 und die Fragebögen des Mikrozensus keinesfalls umfänglich überschneiden, sondern durchaus unterschiedlich angelegt sind. Lassen Sie mich zum Schluss noch auf die Radikalkritik bezüglich des Mikrozensus eingehen. Ohne Zweifel muss auch das Mikrozensusverfahren im Fokus des Datenschutzes bleiben. Grundlegende Schutzprinzipien müssen gewahrt und willkürliche Ausdehnungen und Erweiterungen der Fragen verhindert werden. Doch muss angesichts des hohen Verrechtlichungsgrades, der wirklich sehr dichten Begleitung des gesamten Prozesses durch die Aufsichtsbehörden und den nur wenigen konkreten Beschwerdefällen trotz der bereits seit vielen Jahren stattfindenden Befragungen festgestellt werden, dass bei diesem Thema aktuell nicht die Front der rechtspolitischen Auseinandersetzung verläuft. Wir haben wahrlich andere Großbaustellen zu -bewältigen, wie schon der ebenfalls für diese Sitzungwoche aufgezeigte Debattenpunkt zur EU-Datenschutzreform zeigt. Wir sollten deshalb in unserem Einsatz für die Bürgerrechte auch klare Prioritäten zu setzen. Das Mikrozensusverfahren zählt zu den weitgehend geregelten und ganz überwiegend zufriedenstellend verlaufenden Datenerhebungen unseres Staates, das insoweit auch Vorbild sein kann für andere Bereiche. Diese Erkenntnis sollte uns gleichwohl nicht davon abhalten, in der Auswertung der Ergebnisse des Zensus 2011 kritisch nachzufragen, auf welche Weise die Anzahl der Betroffenen und der Umfang der Fragen weiter reduziert werden kann, damit das Ausmaß der Grundrechtsbeeinträchtigung weiter reduziert werden kann. Vizepräsident Eduard Oswald: Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11363, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10041 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Linksfraktion. Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 sowie Zusatzpunkt 7 auf: 25 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Soziale und ökologische Offenlegungspflichten für Unternehmen regeln – Drucksachen 17/9567, 17/11229 – Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Klimke Ullrich Meßmer Serkan Tören Annette Groth Volker Beck (Köln) ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Karin Roth (Esslingen), Elvira Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Transparenz für soziale und ökologische Unternehmensverantwortung herstellen – Unternehmerische Pflichten zur Offenlegung von Arbeits- und Umweltbedingungen auf europäischer Ebene einführen – Drucksache 17/11319 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Federführung strittig Die Reden werden zu Protokoll genommen. – Alle sind einverstanden. Jürgen Klimke (CDU/CSU): Manchmal hat man das Gefühl, dass man als Verbraucher sowieso nichts ausrichten kann, wenn einem etwas nicht passt, zum Beispiel wenn einem nicht gefällt, mit welchen zum Teil zweifelhaften Methoden große, meist global agierende Konzerne ihre Waren produzieren und verkaufen. Einerseits gibt es die Verbraucher, die sich über die als ungerecht empfundenen Produktionsmethoden in Entwicklungsländern ärgern, durch welche die Umwelt geschädigt oder Mitarbeiter ausgebeutet werden. Meistens nehmen sie die Missstände jedoch hin. Sie zucken mit den Schultern und sagen sich: „So ist das eben. Daran kann man nichts ändern!“ Gleichzeitig gibt es aber auch die Verbraucher, die ihre geballte Verbrauchermacht einsetzen und Macht auf große Konzerne und manchmal sogar ganze Länder ausüben – wenn sie sich zusammentun und den Mut haben, offen gegen das zu protestieren, was ihnen missfällt. Verbraucherproteste und -boykotte, meist unterstützt durch das Engagement politischer Aktionsgruppen, haben schon häufiger dazu geführt, dass Unternehmen ihre Produktionsmethoden überdacht und geändert haben. Diese Verbrauchermacht muss gestärkt werden, besonders auch im Rahmen der sozial-ökologischen Standards. Ich bezweifle jedoch, ob diese Verbrauchermacht durch staatlichen Zwang gestärkt werden kann. Meistens binden verpflichtende Berichtssysteme Ressourcen, die die Unternehmen für eine bessere CSR einsetzen könnten. Die Opposition fordert dies in ihrem Antrag. Mir ist der Gedanke jedoch nicht konsequent zu Ende gedacht, daher schlage ich im Rahmen der Aufgaben der Bundesregierung eher folgendes Vorgehen vor: Erstens. Die Menschenrechte müssen in den Formulierungen mehr Gewicht erhalten. Sie sollen daher in einem eigenen Kapitel behandelt werden. Es ist zu diskutieren, ob die Menschenrechte ein rechtlich einklagbares Kriterium bei den OECD-Leitsätzen sind und wie sie möglicherweise auf alle Geschäftstätigkeiten eines Unternehmens ausgeweitet werden können. Zweitens. Wichtig zu diskutieren ist, wie mögliche Sanktionsmechanismen für deutsche Unternehmen aussehen können, die sich nicht an die Leitsätze halten. Ich halte es für sinnvoll, wenn Unternehmen mit nicht nachhaltigem Wirtschaften von staatlichen Förderinstrumenten für eine Zeit lang ausgeschlossen werden. Drittens. Wir sollten zudem diskutieren, wie wir die Zuständigkeiten über die OECD-Leitsätze im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie inhaltlich von dem Referat trennen, das auch gleichzeitig für die Genehmigung von Bürgschaften entscheidet. Die derzeit dort entstehenden Interessenskonflikte dürfen nicht sein und untergraben auch die Glaubwürdigkeit, mit der die Bundesregierung die Leitlinien umsetzen will. Als letzten inhaltlichen Aspekt möchte ich mich an dieser Stelle noch mit dem Argument des Rechtsschutzes für Geschädigte gegenüber den internationalen Unternehmen auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang kommen die Instrumente der deutschen Entwicklungspolitik und die Arbeit der deutschen Stiftungen im Ausland ins Spiel. Wichtig ist, dass Deutschland verstärkt Rechtsberatung als einen Schwerpunkt der gemeinsamen Entwicklungspolitik mit unseren Partnerländern in Regierungsverhandlungen verankern muss. Grund ist, dass oftmals deutsche Unternehmen, selbst wenn sie es wollten, keine Handhabe haben, Sozialstandards in den produzierenden Partnerländern durchzusetzen, da die Rechtssysteme vor Ort kein Arbeitsrecht kennen. Daher wäre es auch nicht gerecht, dass deutsche und internationale Unternehmen in ihren Heimatländern vor internationalen Gerichten angeklagt werden können. Es muss auch in der Selbstverantwortung der Partnerländer liegen, ein Arbeitsrecht zu schaffen, das es den Arbeitern vor Ort ermöglicht, Recht erst mal im eigenen Land zu erhalten. In diesem Zusammenhang möchte ich auch die ILO, die Arbeitsorganisation der UN, in die Pflicht nehmen, endlich ihre internationalen Ansätze nachhaltiger und rechtlich einklagbarer umzusetzen. Oftmals werden die zu 100 Prozent zu unterstützenden ILO-Arbeitsnormen in den Partnerländern nicht ernst genommen, da die rechtliche Verbindlichkeit fehlt. Ich bin der Auffassung, dass wir auch hier einen neuen internationalen Mechanismus zur wirksamen Durchsetzung der Normen finden müssen. Abschließend ist somit zu sagen, dass wir alle die Chancen in Fragen der Unternehmensverantwortung erkennen müssen. Wir müssen internationale Verträge neu justieren und der Wirtschaft vor Augen führen, welchen Imagegewinn sie durch nachhaltige CSR erhalten. Daher muss unsere Nachricht an die CSR-Welt lauten, dass es keinen Wettbewerb zulasten von Sozialstandards zwischen importierenden deutschen und internationalen Unternehmen geben darf. Die Bundesregierung nimmt sich dieser Maxime an, es ist der moralische Anspruch der deutschen Wirtschaft, hier in Gänze zu folgen. Ullrich Meßmer (SPD): Das Thema „Menschenrechte und Unternehmensverantwortung“ ist in den letzten Jahren zu Recht in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Bereits 2011 wurden mit der Revision der OECD-Leitsätze und der Annahme der Guiding Principles von Ruggie, dem VN-Sonder-berichterstatter für Menschenrechte und Wirtschaft, durch den VN-Menschenrechtsrat wichtige Signale für mehr Unternehmensverantwortung gesendet. Des Weiteren steckten die Erklärung der ILO über multinationale -Unternehmen und Sozialpolitik, der Global Compact der Vereinten Nationen und der VN-Sozialpakt einen Rahmen für menschenrechtskonformes unternehmerisches Handeln ab. Daneben existieren eine Reihe freiwilliger Initiativen der Wirtschaft zur Einhaltung von Menschen- und Arbeitnehmerrechten zur nachhaltigen Entwicklung und zur Beachtung von Umweltfaktoren. Sie werden mit dem Begriff Corporate Social Responsibility, oder kurz: CSR, zusammengefasst. CSR beinhaltet nur freiwillige Maßnahmen bzw. Selbstverpflichtungen der Wirtschaft. Sie werden von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich oder gar nicht angewandt. CSR wird nicht überprüft; auch Sanktionen sind nicht vorgesehen. Sie können verbindliche Standards höchstens ergänzen oder den Weg hin zu verbindlichen Standards vorzeichnen. Verbindliche Standards und Normen sind zum Beispiel gewerkschaftlich erstrittene tarifliche Vereinbarungen und Arbeitnehmerrechte, die nicht nur den -Betrieb binden, sondern für jeden einzelnen Betriebs-angehörigen gelten und einklagbar sind. So schützen sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Bezahlung, ihres Rechts auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen, Urlaub, Absicherung usw. und vor Diskriminierung. Es gibt aber noch weitere Gründe, die für verbindliche soziale und ökologische Offenlegungspflichten von Unternehmen sprechen. Ökologische und soziale Auswirkungen unternehmerischen Handelns berühren nämlich fast immer auch den Bereich der Menschenrechte. Wenn Ureinwohnern beispielsweise durch sogenanntes Landgrabbing ihre Lebensgrundlage entzogen wird, verletzt dies ihre Menschenrechte sogar in existenziellem Sinne. Ebenso können die Rodung von Wäldern, die Verseuchung ganzer Fluss-Systeme durch Industrie oder fehlende Nachhaltigkeit ganze Bevölkerungsgruppen ihrer Menschenrechte berauben. Schlechte Entlohnung, fehlende Gesundheitsfürsorge und gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen verletzen Menschenrechte sogar in erheblichem Umfang. Wir begrüßen daher die im Antrag geforderten sozialen und ökologischen Offenlegungspflichten für Unternehmen. Neben der Offenlegungspflicht für finanzwirtschaftliche Daten wird die gesetzliche Pflicht für die Offenlegung der sozialen und ökologischen Produk-tionsbedingungen die Transparenz unternehmerischen Handelns in erheblichem Umfang erhöhen, besonders wenn, wie im Antrag gefordert und soweit möglich, auch die Lieferkette mit einbezogen wird. Gerade Verbraucherinnen und Verbraucher haben das Recht, zu erfahren, unter welchen Bedingungen Waren hergestellt wurden. Es ist sicherlich vernünftig, dabei den Kapazitäten kleiner und mittlerer Unternehmen Rechnung zu tragen. Wichtig ist – das hat der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Menschenrechte und Wirtschaft, Ruggie, immer wieder zu Recht betont –, dass neben die verbindlichen Pflichten vor allem Sanktionsmöglichkeiten und ein ausgeprägter Schutz der Opfer treten müssen. Von Menschenrechtsverletzungen betroffene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen einen wirksamen Rechtsweg beschreiten können, der ihnen nebst einer Anerkennung des erlittenen Unrechts auch Hilfe und Wiedergutmachung gewährt. Längst haben viele Unternehmen erkannt: Transparenz über Produktionsbedingungen auch entlang der Wertschöpfungskette zahlt sich aus. Gute Unternehmensführung und Nachhaltigkeit sind absatzfördernd, da kritische Verbraucherinnen und Verbraucher zunehmend solche Informationen nachfragen und zur Grundlage ihrer Kaufentscheidung machen. Verbindliche -Offenlegungspflichten würden ihre Position und ihren Einfluss weiter stärken. Unternehmen, die ihre Offenlegungspflichten verletzen und damit womöglich Menschenrechtsverletzungen decken oder vertuschen wollen, müssen auch mit Sanktionen im Falle nachgewiesener Menschenrechtsverletzungen belegt werden können. Die vorliegenden Anträge verfolgen einen sinnvollen Weg, den wir seitens der SPD begrüßen und unterstützen werden. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Ich freue mich, dass wir heute gemeinsam über die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen debattieren – vor allem über die Vorschläge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, nach welchen Regeln diese von der Wirtschaft wahrgenommen werden soll. Ich halte die Debatte in unserem Hause für dringend notwendig und hätte mir eine lebhafte Diskussion darüber gewünscht – statt einer Rede für das Protokoll. Ich hoffe, wir haben an anderer Stelle dazu noch Gelegenheit. Die Frage der unternehmerischen Verantwortung ist eine ganz grundlegende, entscheidende Frage. Im Kern geht es darum: Soll die Wirtschaft für die Menschen da sein, oder ist es etwa umgekehrt der Fall? Wenn ich immer wieder Berichte lese, wie Menschen rund um die Welt ausgebeutet werden oder sogar betriebsbedingt verunglücken, wie Gewerkschaftsrechte mit Füßen getreten werden und wie vielerorts die Umweltzerstörung voranschreitet, habe ich erhebliche Zweifel daran, dass die Wirtschaft den Menschen dient. Das betrifft auch europäische und deutsche Konzerne, in deren Lieferketten bereits schlimme Fälle bekannt geworden sind. Wenn in Pakistan eine ganze Fabrik abbrennt und 250 Menschen darin verbrennen, die auch für den deutschen Textildiscounter KiK produziert haben, ist das mehr als erschütternd. Offensichtlich wurden dort keinerlei Arbeitsschutzmaßnahmen für die Beschäftigten getroffen. Es gab keine Notausgänge, und die Fenster waren vergittert. Das ist nicht hinnehmbar! Es muss im Interesse jedes Unternehmens sein, solche Missstände in der eigenen Produktions- bzw. Zulieferkette zu verhindern. Mehr noch: Es muss in der Verantwortung der Unternehmen liegen, sorgfältig zu prüfen, unter welchen sozialen und ökologischen Bedingungen ihre Produkte hergestellt werden. Die im Juni 2011 verabschiedeten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte legen Unternehmen diese Sorgfaltspflicht auf, die über die eigenen Unternehmensaktivitäten hinausgeht und Geschäftspartner und andere Akteure in der Wertschöpfungskette einbezieht. Als SPD-Fraktion begrüßen wir die – vor fast genau einem Jahr veröffentlichte – neue EU-Strategie für die -soziale Verantwortung der Unternehmen. Die EUKommission bekennt sich damit zum ersten Mal zu verpflichtenden Vorschriften zur Förderung der Transparenz und erwartet insbesondere von großen Unternehmen, eine risikobasierte Sorgfaltsprüfung bis in die Lieferketten vorzunehmen. Transparenz ist das entscheidende Stichwort: Den Verbraucherinnen und Verbrauchern hilft es doch nicht, wenn sie von einigen Unternehmen in Hochglanzbroschüren lesen, was Gutes auf den Weg gebracht wurde. Denn erstens wissen die interessierten Konsumenten damit noch nicht, ob es an anderer Stelle der Geschäftstätigkeit dieses Unternehmens soziale oder ökologische Probleme gibt, die natürlich nicht in einem freiwilligen CSR-Bericht des Unternehmens auftauchen würden. Zweitens können die Verbraucherinnen und Verbraucher keinen Vergleich zu anderen Unternehmen vornehmen. Wichtig wäre zu wissen, wie sich alle bekannten Firmen einer bestimmten Branche, wie zum Beispiel Sportartikelhersteller, verhalten. Drittens kann es ohne klare Regeln für Transparenz auch zur Irreführung der Kunden kommen: So hatte Lidl 2010 mit einem Versprechen geworben, faire Arbeitsbedingungen bei Textilzulieferern in Bangladesch zu garantieren. Erst aufgrund einer Klage der Verbraucherzentrale Hamburg infolge einer Untersuchung der Arbeitsbedingungen vor Ort musste Lidl seine Werbung kleinlaut zurückziehen. Fehlende Transparenz ist auch für die vorbildlichen Unternehmen ein Problem, wenn sie durch Lohndumping und schlechte Arbeitsbedingungen in anderen Unternehmen von diesen preislich unterboten werden können. Der Preis ist doch heute für potenzielle Kunden die einzige überprüfbare vergleichbare Größe. Das wollen, das müssen wir ändern! Von der Bundesregierung haben wir hier – wie so oft – leider nichts zu erwarten, vor allem nichts Gutes. Schwarz-Gelb gefällt sich in der Rolle als größter Bremsklotz auf EU-Ebene für die aktuellen Pläne der Kommission, für echte Transparenz und verbindliche Unternehmensverantwortung zu sorgen. Wir wollen der lahmen Bundesregierung mit unserem Antrag Beine machen, damit wir hier in Deutschland und Europa endlich vorankommen. Wir fordern, dass Unternehmen verpflichtet werden, Informationen zu sozialen und ökologischen Aspekten ihrer Geschäftstätigkeit vorzulegen, und zwar nach einheitlichen Standards, wahrheitsgemäß und vollständig – und auch im Rahmen ihrer Verantwortung für die Wertschöpfungs- und Lieferkette. Es muss öffentlich werden, wo Niedriglöhne gezahlt werden, wie viele Arbeitsunfälle passieren, wie Kinderarbeit verhindert wird, ob Betriebsräte vorhanden sind. Genauso liegt es im öffentlichen Interesse, Angaben zum Flächenverbrauch von Agrarbetrieben oder die Menge abgebauter Rohstoffe zu erhalten. Wir flankieren diese Offenlegungspflichten mit einem Verbandsklagerecht. Denn bei Verstößen gegen die wahrheitsgemäße und pflichtgemäß vollständige Offenlegung müssen Verbraucherverbände oder auch Gewerkschaften die Möglichkeit haben, dagegen vorzugehen. Wichtig ist, dass die Unternehmensinformationen geprüft und im Anschluss veröffentlicht werden. Dies soll durch unabhängige Prüfgesellschaften – ähnlich wie Wirtschaftsprüfer heute, aber mit Know-how im sozialen und ökologischen Bereich – erfolgen. Das Ziel muss, darauf aufbauend, ein Auditierungs- und Zertifizierungssystem sein, mit einheitlichen Standards und europaweit gültig. Dann können Verbraucherinnen und Verbraucher besser vergleichen und sich für faire und nachhaltige Produkte entscheiden. Klar ist auch: Kleine und mittlere Unternehmen dürfen wir nicht überfordern. Sie sollen in einer ersten Phase ausgenommen sein und später angemessen in die Offenlegung von Informationen einbezogen werden, gerade wenn es sich um risikoreiche Branchen wie Textilunternehmen handelt. Ich freue mich, dass die Grünen sich ebenfalls für die geforderte Transparenz aussprechen. Auch wenn in ihrem Antrag viele Prüfaufträge enthalten sind, schließen wir uns diesem gerne an. Wir brauchen Transparenz mit vergleichbaren und verbindlich einzufordernden Informationen. Nur so ist ein fairer Wettbewerb um nachhaltige Handels- und Produktionsbedingungen möglich, und nur so dient die Wirtschaft tatsächlich den Menschen. Serkan Tören (FDP): Der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert die Bundesregierung auf, strenge Offenlegungspflichten zu sozialen und ökologischen -Aspekten der Geschäftstätigkeit von Unternehmen in Zukunft gesetzlich festzuschreiben. Im Falle eines Verstoßes soll über mögliche Sanktionsmechanismen nachgedacht werden. Die Bundesregierung wird außerdem erneut dazu aufgerufen, sich auch weltweit verstärkt für umfassende Offenlegungspflichten einzusetzen. Die Forderungen der Grünen sind nicht neu. Ganz im Gegenteil: Ähnliche Sachverhalte haben wir bereits mehrfach debattiert und sie mit guten Gründen stets abgelehnt. Diese guten Gründe ignorieren die Grünen allerdings vollständig. Ihr Antrag blendet zudem sämtliche Fortschritte aus, die bislang auf internationaler Ebene errungen wurden. Aber der Reihe nach. Der inhaltliche Kern des Antrags – die soziale und ökologische Verantwortung von Unternehmen zu stärken – ist ein zentrales Anliegen der FDP. Über den Weg dorthin lässt sich jedoch streiten. Der große Sprung in unbekanntes Terrain, wie ihn die Grünen vorsehen, birgt die Gefahr, zurückrudern zu müssen. Ein Ansatz auf freiwilliger Basis, wie ihn die Liberalen vertreten, stellt hingegen sicher, dass der Prozess kontinuierlichen Fortschritts nicht ins Stocken gerät. Vor allem zeigt das Vorhaben der Grünen ein mangelndes Verständnis für die Entwicklung unserer heutigen Wirtschaftstrukturen. Das Hauptproblem liegt dabei in der Definition von Verantwortung und Pflichten von Unternehmen, die in unserem Land tätig sind und waren. Jahrzehntelang wurden Pflichten gegenüber anderen Akteuren als den jeweiligen Anteilseignern nämlich kaum eingefordert. Seitdem haben sich Unternehmen jedoch zunehmend zu verantwortungsbewussten Partnern des Staates und der Gesellschaft entwickelt. Sie haben aus eigener -Initiative heraus ein verstärktes Bewusstsein für die weitergefassten sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten geschaffen. Die Übernahme von ökologischer und sozialer Verantwortung entwickelt sich zunehmend zum Wettbewerbsvorteil. Änderungen in Bezug auf die Offenlegungs- und Kontrollpflichten eines Unternehmens, wie sie von den Grünen gefordert werden, würden daher höchstens einen enormen bürokratischen und finanziellen Mehraufwand darstellen. Vor allem in Anbetracht der starken Wirtschaftsleistung mittelständischer Unternehmen und ihres bereits großen freiwilligen Engagements im Bereich sozialer und ökologischer Verantwortung, ist es fraglich, ob sich eine zusätzliche gesetzliche Regelung nicht eher kontraproduktiv auf die bereits erzielten Fortschritte auswirkt und eine zu hohe Belastung darstellt. Unternehmen brauchen flexible Regelungen, um soziale und ökologische Verantwortung nachhaltig als einen Teil ihrer Unternehmenskultur und -identität zu etablieren. Solche Regelungen müssen in erster Linie auf suprana-tionaler Ebene verfolgt werden, um Wettbewerbsnachteile und Standortverlagerungen ins Ausland zu verhindern. Dass dieser Prozess bereits an Fahrt aufgenommen hat, zeigt sich an der zunehmenden Akzeptanz internationaler Initiativen für stärkere soziale und ökologische Pflichten seitens der Unternehmen. Konkret meine ich damit die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, den Runden Tisch Verhaltenskodizes, die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschrechte der Vereinten Nationen, die Modernisierungsrichtlinie der EU sowie die Reform der Transparenzrichtlinie auf europäischer Ebene. In den letzten Jahren haben sich immer mehr Unternehmen diesen Vorschriften angeschlossen und sich freiwillig zu verantwortlicherem Handeln verpflichtet, das oftmals sogar über eine reine Offenlegungsverpflichtung hinausgeht. Wir sollten uns also eher dafür einsetzen, die bereits vorhandenen freiwilligen Initiativen zu stärken, als uns unbedacht in gesetzliche Experimente zu stürzen. Das spart nicht nur Zeit und Geld, sondern bringt uns dem eigentlichen Ziel, soziale und ökologisch nachhaltige Unternehmensstrukturen zu stärken, entscheidend näher. Freiwilligkeit ist und bleibt die bessere Alternative um das gesellschaftliche Umdenken zu unterstützen und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit und Existenz von Unternehmen zu sichern. Nur so kann kontinuierlicher Fortschritt sichergestellt werden, besonders im Bereich der Menschenrechte ist das der einzig vernünftige Weg. Den Antrag der Grünen lehnen wir deshalb ab. Annette Groth (DIE LINKE): Die Forderung, durch Transparenz Öffentlichkeit und damit demokratische Kontrolle von Aktivitäten transnational arbeitender Unternehmen zu schaffen, ist richtig. Die Fraktion Die Linke unterstützt deshalb den Antrag, fordert aber gleichzeitig die Einführung von verbindlichen und konkreten Mindeststandards für international arbeitende Konzerne. Unverbindliche Selbstverpflichtungen der Unternehmen, Transparenzrichtlinien und unverbindliche internationale Abkommen werden die sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen nicht verbessern. Deshalb hätten wir uns gewünscht, dass in dem Antrag auch verbindliche und vor allem individuell einklagbare Mindeststandards für Unternehmen gefordert werden. Wir werden den Antrag trotzdem unterstützen, da Transparenz eine wichtige Voraussetzung für Gegenwehr und Protest ist. Die Liberalisierung des internationalen Handels, der in den letzten 25 Jahren von allen Bundesregierungen unterstützt wurde, hat zu immer mehr Macht der internationalen Konzerne geführt. Viele der großen, börsennotierten transnationalen Konzerne haben Jahresumsätze, die das Bruttoinlandsprodukt mittelgroßer Staaten deutlich übersteigen. So hat zum Beispiel Wal Mart als umsatzstärkstes Unternehmen der Welt einen Jahresumsatz von fast 410 Milliarden Dollar und beschäftigt etwa 2,1 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Royal Dutch Shell und Exxon Mobil erwirtschaften beide fast 290 Milliarden Dollar pro Jahr. Das größte deutsche Unternehmen, die Volkswagen AG, hat einen Jahresumsatz von fast 150 Milliarden Dollar. Nur 21 der wirtschaftlich stärksten Staaten der Welt haben ein größeres Bruttoinlandsprodukt als Wal Mart. Länder wie Norwegen, Schweden, Venezuela oder Österreich haben ein geringeres Bruttoinlandsprodukt als diese Unternehmensgiganten. Es ist notwendig, diese zunehmende Macht der großen Konzerne zu kontrollieren und über ihre Aktivitäten größtmögliche Öffentlichkeit herzustellen. Seit vielen Jahrzehnten versuchen entwicklungs-politische und menschenrechtliche Initiativen und -Organisationen durch Kampagnen diese Öffentlichkeit herzustellen. Alle Kampagnen fordern ebenfalls eine verbindliche Veröffentlichungspflicht der Unternehmen über die sozialen, menschenrechtlichen und ökologischen Auswirkungen ihres unternehmerischen Handelns. Beispiel: Clean-Clothes-Kampagne. Die „Kampagne Saubere Kleidung“ engagiert sich seit vielen Jahren für die Einhaltung von ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen Mindeststandards in den Unternehmen der Bekleidungsindustrie. Mit Aktionen zu KiK, Aldi, Lidl und der Sport- und Outdoor-Branche haben sie Informationen über die Hersteller und Handelsunternehmen aus diesen Bereichen gesammelt und öffentlich gemacht. Es ist der „Kampagne Saubere Kleidung“ zu verdanken, dass große Unternehmen wie Puma und Adidas einen Teil ihrer Verbindungen mit Zulieferern öffentlich machen und erste innerbetriebliche Zertifizierungen aufgebaut haben. Die Kampagne betont, dass die Herstellung von Öffentlichkeit ein zentraler Baustein für die Veränderung der Unternehmenspolitik ist. Nur wenn die Kundinnen und Kunden die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen der Zulieferer, die Einschränkung von Menschenrechten und die katastrophalen ökologischen und arbeitsrechtlichen Standards der Unternehmen kennen, können sie Druck auf die Konzerne, zum Beispiel durch Kaufverzicht, ausüben. Beispiel: Bankenkampagne. Die Kampagne „Bankwechsel jetzt!“ klärt über die Geschäfte von Großbanken auf. Sie stellt Öffentlichkeit über die Finanzierung von Atomanlagen, Finanzierung von Rüstungsproduktion, Landgrabbing und über die Spekulation mit Nahrungsmitteln her. Banken und Versicherungen sind im großen Stil an Landgrabbing beteiligt. In Deutschland werden über 30 verschiedene Fonds angeboten, die direkt oder über Firmenbeteiligungen Landgrabbing unterstützen und eine Geldanlage in Landflächen unterstützen. Die Fonds hatten im Jahr 2010 ein Gesamtvolumen von mehr als 5,2 Milliarden Euro. FIAN weist in einer Studie darauf hin, dass allein die Fondgesellschaft der Deutschen Bank DWS etwa 300 Millionen Euro in Unternehmen investiert hat, die mehr als 3 Millionen Hektar Ackerland in Südamerika, Afrika und Südostasien kontrollieren. Damit wird Land den Menschen in den betroffenen Ländern entzogen, das dann nicht mehr der Produktion von Nahrungsmitteln für den eigenen Bedarf zur Verfügung steht. Beispiel: Rüstungsexport. Die „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ weist darauf hin, dass jede Minute ein Mensch an den Folgen einer Gewehrkugel, einer Handgranate oder einer Landmine stirbt. Allein durch Gewehre und Pistolen der Waffenschmiede -Heckler & Koch haben in den letzten 60 Jahren mehr als eine Million Menschen ihr Leben verloren. Ziel der Kampagne ist, Alternativen zur Rüstungsproduktion durchzusetzen. Die Aktion klärt über Rüstungsaktivitäten großer Unternehmen wie Daimler AG, Siemens oder Deutsche Bank auf. Die Kampagne fordert „eine grundsätzliche Veröffentlichungspflicht aller geplanten und tatsächlich durchgeführten Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern durchzusetzen, um öffentliche Diskussionen und parlamentarische Entscheidungen überhaupt zu ermöglichen“. Beispiel: Landgrabbing. Verbände wie FIAN, -INKOTA, urgewald, NaturFreunde und GRAIN decken international die Folgen von Landgrabbing auf. In vielen Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas werden riesige Landflächen an internationale Investoren verkauft und Menschen von ihrem zum Teil seit Jahrhunderten genutzten Land vertrieben. Durch verbindliche Register sollen alle internationalen Akteure bekannt gemacht werden, Verträge veröffentlicht und soziale und ökologische Folgen der Landdeals öffentlich werden. Transparenz und Öffentlichkeit sind auch für sie wichtige Grundlagen, um in Europa oder den betroffenen Ländern Investitionen verhindern oder zumindest kritisch begleiten zu können. Beispiel: Lidl-Kampagne von Verdi. Am 10. Dezember 2004, dem Tag der Internationalen Menschenrechte, veröffentlichte die Gewerkschaft Verdi das „Schwarz-Buch Lidl“, das auf gravierende soziale und arbeitsrechtliche Defizite bei dem Discounter hinwies. Mit einer Öffentlichkeitskampagne wurde der Discounter gezwungen, sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen und zum Teil Veränderungen herbeizuführen. Auch Verdi hat betont, dass Öffentlichkeit und Information Grundvoraussetzungen für gesellschaftlichen Druck sind. Beispiel: „Handel gegen den Frieden“. Die kürzlich veröffentliche Publikation von europäischen kirchlichen Hilfswerken und Menschenrechtsorganisationen „Handel gegen den Frieden: Wie Europa zur Erhaltung -illegaler israelischer Siedlungen beiträgt“ prangert -europäische Firmen an, die gegen internationales Völkerrecht verstoßen, indem sie Produkte aus illegalen israelischen Siedlungen nicht als solche kennzeichnen. Stattdessen werden sie mit dem Label „Made in Israel“ versehen. Damit unterstützen Firmen wie zum Beispiel Heidelberg Cement oder Veolia die völkerrechtswidrigen und menschenrechtsverletzenden Praktiken im Rahmen der fortgesetzten Besatzung palästinensischer Gebiete. Eine der Hauptforderungen der kirchlichen Hilfswerke und Menschenrechtsorganisationen ist die Kennzeichnungspflicht von Produkten, die in den illegalen Siedlungen gefertigt wurden. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 25. Februar 2010 entschieden, dass das Vorgehen der Zollbehörden, Waren aus den Siedlungen die Präferenzbehandlung zu verweigern, rechtmäßig ist und dass die in den völkerrechtswidrigen Siedlungen produzierten Waren keinen Anspruch auf EU-Zollvergünstigungen haben. Die britische Regierung hat bereits 2009 Richtlinien zur Kennzeichnung eingeführt; die dänische Regierung kündigte im Mai 2012 ähnliche Richtlinien an. Da sich Firmen zunehmend zu internationalen Rahmenbedingungen der Corporate Social Responsibility, CSR, bekennen, haben sich etliche Firmen, wie zum Beispiel die Deutsche Bahn, aus den besetzten Gebieten zurückgezogen. Diese Beispiele zeigen auf, dass verbindliche soziale und ökologische Offenlegungspflichten für Unternehmen einen wichtigen Beitrag für gesellschaftlichen Druck und die Arbeit von Gewerkschaften, NGOs und Betroffenen darstellen. Deshalb unterstützt die Fraktion Die Linke ausdrücklich die Forderung nach einer gesetzlichen Verpflichtung der Unternehmen, die sozialen, menschenrechtlichen und ökologischen Auswirkungen ihres unternehmerischen Handelns offenzulegen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Transnationale Unternehmen haben mitunter ganz konkreten Einfluss auf Menschenrechtsverletzungen, nehmen an diesen teil oder profitieren von ihnen. Dies betrifft auch Unternehmen, die in Deutschland und der EU ihren Sitz haben oder hier einen Großteil ihres Umsatzes erwirtschaften. Es ist seit jeher eines der Kernanliegen grüner Politik, diese Verletzungen der Menschenrechte sowie der ökologischen und sozialen Standards zu beenden. Wir Grüne haben an die Bundesregierung eine Kleine Anfrage zu den Arbeitsbedingungen in Indien gerichtet. Die Antwort mit der Drucksachennummer 17/11222 ist frustrierend. Es geht in der Anfrage in erster Linie um das sogenannte Sumangali-System. In der tamilischen Sprache beschreibt das Wort Sumangali eine glückliche Braut oder eine Braut, die Wohlstand bringt. Um Wohlstand geht es tatsächlich, aber gewiss nicht um den der Bräute. Es geht um ein Geschäft, das in Spinnereien im Süden Indiens beginnt und von den dortigen Textilfabriken bis in deutsche Kleidergeschäfte führt. Beim Sumangali-System im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu geht es letztlich um die Versklavung junger Frauen. Eltern geben die Mädchen in die Obhut von Textilfabriken, in denen sie dann ihre eigene Mitgift verdienen müssen. Drei Jahre lang werden die Mädchen „ausgebildet“; sie werden aber tatsächlich wie Gefangene gehalten und ausgebeutet. In der Regel bekommen sie monatlich nur ein Taschengeld von etwa 20 Euro. Wird der Bonus von 500 bis 800 Euro nach Ablauf des Vertrags überhaupt gezahlt, wandert er direkt in die Taschen der Familie des Bräutigams. Laut Terre des Hommes gehört das Sumangali-System zu den schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Der Bundesregierung ist dieses Problem bewusst. Das gibt sie in der Antwort auf unsere Anfrage zu. Möglichkeiten, die Produkte der Sklavenarbeit von deutschen Ladentischen zu verbannen, sieht sie aber praktisch nicht. Denn wörtlich antwortet sie: „Es besteht keine rechtliche Verpflichtung der deutschen Unternehmen ihre Bezugsquellen anzugeben.“ Ihr lägen daher keine Informationen darüber vor, welche deutschen Unternehmen unter solchen Umständen produzieren lassen und in Deutschland verkaufen. Schwarz-Gelb setzt bei Fragen der Offenlegung und Transparenz bei unternehmerischem Handeln einzig und allein auf das Prinzip der Freiwilligkeit. Auch in dieser Debatte werden Union und FDP wieder einmal darauf verweisen, dass Freiwilligkeit der einzig richtige Weg sei. Ich sage ganz deutlich: Spätestens mit dieser Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zu den Sumangali-Mädchen in Indien hat sich Ihr Dogma der Freiwilligkeit bis auf die Knochen blamiert. Wenn nicht einmal die schlimmsten Auswüchse unternehmerischer Tätigkeit im Ausland bekannt gemacht werden können, dann brauchen wir dringend gesetzliche Regelungen. Die Bundesregierung sieht nichts, hört nichts und weiß nichts. Nicht einmal das, was Journalisten recherchiert haben. Aber Schwarz-Gelb will offenbar nichts an diesem Zustand ändern. Wir fordern daher in unserem hier vorliegenden Antrag die Bundesregierung auf, Unternehmen gesetzlich zu verpflichten, Informationen zu menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Aspekten ihrer Geschäftstätigkeit zu veröffentlichen. Auf Ebene der Vereinten Nationen und auch in der EU hat man längst eingesehen, dass es ohne rechtliche Verpflichtung nicht geht. Im Jahr 2011 wurden sowohl die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen als auch die neue EU-Strategie für die soziale Verantwortung der Unternehmen verabschiedet. Damit wurde der langjährige internationale Streit darüber beendet, ob die weltweite Einhaltung grundlegender Menschenrechtskriterien durch Unternehmen freiwillig erfolgen oder verbindlich gemacht werden soll. Beide Vorlagen drängen auf eine Kombination von verbindlichen Regelungen und freiwilligen Maßnahmen und erkennen an, dass negative soziale und ökologische Auswirkungen von Unternehmenshandeln nicht allein auf freiwilliger Basis verhindert werden können. Warum die Bundesregierung wider besseres Wissen dennoch weiterhin dem reinen Prinzip der Freiwilligkeit anhängt, ist mir schleierhaft. Kleine und mittlere deutsche Unternehmen schützt sie dadurch nicht. Denn die meisten dieser Unternehmen haben überhaupt kein Interesse daran, die deutschen Verbraucher zu täuschen. Geschützt werden dadurch nur riesige Konzerne wie H & M, Lidl, KiK oder Metro. Sie verstecken sich hinter wohlklingenden Strategien zur Corporate Social Responsibility, kümmern sich aber zum Teil nicht einen Deut um die Lebensbedingungen der Arbeiterinnen in den Zulieferbetrieben. Diese und andere deutsche und europäische Unternehmen verkauften und verkaufen in Deutschland Waren, die unter teilweise gravierenden Verletzungen der menschenrechtlichen, ökologischen und sozialen Standards produziert wurden. Dazu gehören Fälle von Kinderarbeit, Fälle, in denen die Löhne unter der absoluten Armutsgrenze von 1,25 US-Dollar liegen, und Fälle, in denen die Arbeiterinnen und Arbeiter aufgrund der Arbeitsbedingungen sterben oder schwer erkranken. Die Textilindustrie sticht dabei heraus; dort ist die Situation besonders miserabel. Bei einer furchtbaren Feuerkatstrophe in einer pakistanischen Textilfabrik starben im September 2012 mehr als 250 Menschen, weil die Fenster vergittert und die Türen verriegelt waren, damit niemand den Arbeitsplatz verlässt. Auch das deutsche Unternehmen KiK ließ dort produzieren. Die Verbraucherinnen und Verbraucher erfahren von diesen Missständen zu wenig. Nur wenn ein besonders drastischer Skandal aufgedeckt oder eine besonders bekannte Marke betroffen ist, dringt dies in breite Bevölkerungsgruppen durch. Doch fehlende Offenlegungspflichten belasten auch jene Firmen, die sich nichts zu Schulden kommen lassen. Auch im Interesse gleicher Wettbewerbsbedingungen ist eine gesetzliche Offenlegungspflicht daher notwendig. Denn die vorbildlichen Unternehmen leiden darunter, wenn sie im Wettbewerb mit Konkurrenten stehen, die Lohndumping, Zwangs- und Kinderarbeit sowie die Diskriminierung von Frauen tolerieren. Mehr Transparenz in der Geschäftstätigkeit nützt daher nicht nur den Menschen in den Betrieben. Sie nützt auch den Betrieben selber und damit der deutschen und europäischen Wirtschaft. Zwar sind Berichtspflichten natürlich eine zusätzliche Aufgabe, die Unternehmen erfüllen müssen. Doch selbstverständlich wollen wir die Offenlegungspflicht so ausgestalten, dass den Kapazitäten von kleinen und mittelständischen Unternehmen ausreichend Rechnung getragen wird. Die Kosten sind nicht hoch, und der Verwaltungsaufwand ist nicht groß. Die relevanten Daten werden von der überwiegenden Anzahl der Unternehmen bereits jetzt erhoben. Es ist auch im Interesse der Betriebe, eine klare Übersicht über menschenrechtliche, ökologische und sozialpolitische Bedingungen ihrer Geschäftstätigkeit zu haben. Multinationale Unternehmen können einen erheblichen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten, wenn Handel und Investitionen verantwortungsbewusst auch auf menschenrechtliche, soziale und ökologische Ziele ausgerichtet sind. Einige, wahrscheinlich sogar die meisten Unternehmen in Deutschland und Europa tun dies freiwillig. Die wenigen schwarzen Schafe aber müssen gesetzlich dazu verpflichtet werden, ihre Zuliefer- und Produktionsketten offenzulegen. Denn wer irreführendes Marketing, sogenanntes Greenwashing, verhindern möchte, braucht einheitliche und überprüfbare Indikatoren. Diese sind über eine Vielzahl freiwilliger Kodizes nicht zu erreichen. Das geht nur über klare gesetzliche Regelungen. Hier hat die Politik nicht nur eine Regelungskompetenz, hier hat sie sogar die Pflicht, menschen- und völkerrechtlichen Standards zur Geltung zu verhelfen. In den USA werden durch die Cardin-Lugar-Bestimmung des Dodd-Frank-Act von 2010 Öl-, Gas- und Bergbauunternehmen verpflichtet, ihre projektbezogenen Zahlungen zu veröffentlichen. Das ist zwar nur ein kleiner Ausschnitt aller Unternehmen, aber immerhin ein Anfang. In Europa wurden im Oktober 2011 die Reformen der Transparenzrichtlinie zur Aufnahme börsennotierter Unternehmen und der Rechnungslegungsrichtline zur Aufnahme großer nicht börsennotierter Unternehmen veröffentlicht. Dies wurde auch als europäischer Dodd-Frank-Akt bezeichnet. Europäische Unternehmen, die in der Mineralgewinnung und der Forstwirtschaft tätig sind, sollen demnach Zahlungen offenlegen, die sie an Regierungen für den Zugang und Abbau von Erdöl, Erdgas, anderen Bodenschätzen und Wald zahlen. Während sich EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich und Großbritannien auf europäischer Ebene für eine verpflichtende Offenlegung im Rohstoffsektor eingesetzt haben, blockiert die Bundesregierung nach wie vor diese Entwicklung. Es ist schon erstaunlich, dass die USA uns auf diesem Gebiet einen Schritt voraus sind. Es ist ja positiv, dass etwa das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung dem großen Komplex Wirtschaft und Menschenrechte mittlerweile etwas mehr Aufmerksamkeit schenkt; auf der großen Veranstaltung vor zwei Wochen anlässlich des ersten Geburtstages des Menschenrechtskonzepts im BMZ stand dieses Thema im Fokus. Dass die Bundesregierung aber weiterhin alle rechtlichen Verpflichtungen in diesem Bereich ablehnt, lässt ihr Engagement inkonsequent und leider auch etwas unglaubwürdig erscheinen. Es darf einfach nicht sein, dass Waren in Deutschland gehandelt werden, die unter menschenverachtenden Bedingungen wie etwa im Sumangali-System produziert wurden. Es darf auch nicht sein, dass die hiesige Öffentlichkeit noch nicht einmal die Chance hat, dies zu bemerken. Derzeit werden Verbraucherinnen und Verbraucher, die bewusst handeln wollen, in ihren Handlungs-möglichkeiten und im Wunsch, sich ethisch vernünftig zu verhalten, eingeschränkt; denn sie können einfach nicht in Erfahrung bringen, was woher stammt und wie es produziert wurde. Ich fordere die Bundesregierung daher eindringlich dazu auf, Unternehmen gesetzlich zu verpflichten, Informationen zu menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Aspekten ihrer Geschäftstätigkeit zu veröffentlichen. Vizepräsident Eduard Oswald: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11229, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9567 abzulehnen. Wer stimmt für diese -Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zusatzpunkt 7. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11319 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP wünschen die Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht die Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also die Federführung beim Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Das sind Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen und Sozialdemokraten. Enthaltungen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Koalitionsfraktionen und Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. Der Überweisungsvorschlag ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften – Drucksache 17/10957 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) – Drucksache 17/11393 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Thomas Gebhart Dr. Matthias Miersch Judith Skudelny Sabine Stüber Dorothea Steiner b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dorothea Steiner, Jerzy Montag, Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der -Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz) – Drucksache 17/7888 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) – Drucksache 17/8876 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Thomas Gebhart Dr. Matthias Miersch Judith Skudelny Sabine Stüber Dorothea Steiner Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. – Sie sind damit einverstanden. Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass das deutsche Recht derzeit hinter den Anforderungen zurückbleibt, wenn es um die gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten der deutschen Umweltverbände geht. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung räumen wir diese Bedenken aus und billigen den Umweltverbänden wesentlich mehr Klagerechte zu. Bislang konnten Umweltverbände nur Verstöße gegen Umweltvorschriften geltend machen, die dem Schutz subjektiv-öffentlicher Rechte dienen. Nun können sie die Verletzung aller umweltrechtlichen Vorschriften rügen. Den Grünen gehen diese klaren Vorstellungen nicht weit genug. Wenn es nach ihrem Willen geht, sollen sogar Stiftungen Klageinstrumente an die Hand bekommen. Wir als Regierungskoalition lehnen dies ab. Um welche Entscheidungen geht es konkret, und welche Entscheidungen können angefochten werden? Es geht beispielsweise um Genehmigungsentscheidungen bei Infrastruktur- und Energieprojekten, die einer -Umweltverträglichkeitsprüfung bedürfen. Der Energieleitungsausbau, der in den kommenden Jahren erforderlich wird, ist davon erheblich betroffen. Es geht um Offshoreanlagen auf hoher See, deren Bau eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfordert. Es geht um Speicherprojekte und vieles mehr. In diesen Fällen kann künftig beispielsweise eine behördliche Entscheidung auf die Zielsetzung der FFH-Richtlinie hin gerichtlich überprüft werden. Die Verletzung der Umweltvorschriften über die Artenvielfalt kann gerichtlich angefochten werden. Wir wollen bei diesen Projekten den bestmöglichen Schutz unserer Umwelt, und wir verstehen die Umweltverbände als Interessenschützer unserer Umwelt. Daher ist es im Grundsatz richtig, dass die gerichtliche -Kontrolle effektiv und umfassend ist. Dies schreibt im Übrigen auch die Aarhus-Konvention vor, deren Vertragspartei Deutschland ist. Bereits heute werden zahlreiche Großprojekte gerichtlich angefochten. Dies kann zu erheblichen Verzögerungen führen, die mitunter mit hohen Kosten verbunden sind. Die Industrie und auch die Energiewirtschaft fürchten durch die Erweiterung der Verbandsklage weitere Verfahrensverzögerungen bei wichtigen Infrastruktur- und Energieprojekten. Dies kann Investitionsunsicherheit bedeuten. Diese wollen wir ausdrücklich nicht. Deutschland ist Industrieland, und wir wollen, dass Deutschland Industrieland bleibt. Wir wollen, dass weiterhin wichtige Infrastrukturvorhaben der Wirtschaft in Deutschland entstehen und Investitionsentscheidungen am Standort Deutschland getroffen werden. Wir wollen – und das ist Konsens in diesem Hohen Haus –, dass der Umbau unserer Energieversorgung gelingt. Wir stehen damit vor dem Erfordernis, den europarechtlichen Anforderungen zu genügen, die ökologischen Notwendigkeiten zu berücksichtigen und gleichzeitig die Bedenken etwa aus dem Bereich der Wirtschaft – nicht nur vor dem Hintergrund des Umbaus der Energieversorgung – ernst zu nehmen. Dieses Zieldreieck bringt der vorliegende Gesetzentwurf in Ausgleich. Wir setzen die europäischen Vorgaben in deutsches Recht um. Zugleich werden flankierende Maßnahmen eingeführt, die zu effizienten Verfahren führen sollen. Insbesondere soll Verzögerungen vorgebeugt werden. Klagen müssen etwa ausreichend begründet und bestimmte Fristen eingehalten werden. Der behördliche Beurteilungsspielraum bekommt ein stärkeres Gewicht. Zugleich werden die Anforderungen an die Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen erhöht. Diese Regelungen werden künftig bei Rechtsbehelfen auf dem Gebiet des Umweltrechts auch für Individualkläger gelten. Nur so erfüllen wir die europarechtlichen Anforderungen. Die Regelungen sollen in der konkreten Ausgestaltung dazu beitragen, dass sich die Rahmenbedingungen bei Vorhaben, wie zum Beispiel Infrastrukturprojekten im Energie- oder im Verkehrsbereich, nicht so verändern, dass sich diese kaum noch durchsetzen lassen. In der Anhörung des Umweltausschusses mit Sachverständigen wurde deutlich, dass diese flankierenden Maßnahmen europarechtskonform und wichtig sind. Es wurde sogar geäußert, dass man hätte weiter gehen können. Die flankierenden Maßnahmen sind eine Teilantwort auf die Befürchtung, dass die erweiterten Klagemöglichkeiten zu mehr Investitionsunsicherheit führen. Ich kann an dieser Stelle daher nur an die Opposition und den Bundesrat appellieren, diese flankierenden Maßnahmen zu unterstützen. Im Übrigen greifen wir in drei unserer Änderungsanträge Anliegen des Bundesrates auf. Wir werden sehr genau beobachten, wie sich die neuen gesetzlichen Regelungen in der Praxis auswirken werden. Wir werden insbesondere beobachten, ob es zu einer Häufung von Klagen kommt und inwiefern die Gerichte ausreichend ausgestattet sind. Vor dem Hintergrund der erweiterten Klagebefugnisse müssen wir uns außerdem die Frage stellen: Wie können wir es schaffen, dass es erst gar nicht zur Klage kommt? Wie schaffen wir es, sowohl neue Energieleitungsnetze zu bauen als auch die Bürger- und Umweltinteressen zu wahren? Eine generelle Antwort auf die Sorge, dass es am Ende der Entscheidungsprozesse zu mehr Klagen und Verzögerungen kommen könnte, muss heißen: Wir müssen künftig bei wichtigen Infrastrukturprojekten am -Anfang des Entscheidungsprozesses die Betroffenen stärker einbinden und für Transparenz sorgen. Die -Planungen von Großvorhaben müssen offengelegt, die Alternativen abgewogen werden, und schlussendlich muss entschieden werden. Diese Entscheidungen sollten dann auch Bestand haben. Ich sage nicht, dass diese Entscheidungen dann grundsätzlich nicht mehr angefochten werden. Durch die frühzeitige Einbindung und eine erhöhte Transparenz verringern wir aber die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu Klagen kommt. Wir können damit auch das Vertrauen in unsere demokratischen Entscheidungsprozesse und -ergebnisse stärken. Ich möchte an dieser Stelle eine Aussage Heiner Geißlers anführen, der als Schlichter beim gefährdeten Großprojekt Stuttgart 21 hervorragende Arbeit geleistet hat. Heiner Geißler hat gesagt: „Man kann doch nicht dauernd in Entweder-Oder-Kategorien denken, sondern es gibt auch das Denken Sowohl-Als-Auch.“ So ist es. Durch eine transparente Einbindung der Öffentlichkeit am Anfang des Entscheidungsprozesses ergeben sich nicht zuletzt neue Möglichkeiten, Kompromisse auszuloten. Wir wollen die Akzeptanz von sinnvollen Vorhaben steigern und eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung schaffen. Wir wollen, dass die Umwelt geschützt wird und Deutschland Industrieland bleibt. Ich kann nur für Ihre Zustimmung zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und für diesen Weg werben. Dr. Matthias Miersch (SPD): Mit der heutigen zweiten und dritten Lesung des Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften wird – darüber bin ich sehr betrübt – wohl nicht nur kein Fortschritt in der Beteiligungskultur in der Bundesrepublik Deutschland erzielt werden. Es wird mit Ihrer Novelle sogar zu einem Rückschritt bei der Einbeziehung von Stakeholdern vor Ort kommen. Schlimmer noch: Es wird zu weitreichenden Eingriffen in geltende Rechtsdogmatiken kommen, die Sie hier und heute in ihren langfris-tigen Auswirkungen gar nicht erfassen können. In der Summe wird der unendlichen Geschichte der Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der unzureichenden Umsetzung völker- und europarechtlicher Vorgaben bei der Beteiligung von Umweltverbänden und natürlichen Personen an Planungs- und Genehmigungsverfahren einfach ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Die Anhörung im Umweltausschuss hat sehr deutlich gezeigt, dass es bei den anwesenden Experten und bei den Berufsverbänden der Verwaltungsrichter und Anwälte massive Bedenken wegen der Einschränkung der Beteiligungsrechte der anerkannten Umweltverbände sowie von Einzelpersonen gibt. Der Gesetzentwurf von Schwarz-Gelb ist geprägt von einem tiefen Misstrauen der Wirtschaft und des Wirtschaftsministeriums gegenüber dem Einbringen von Sachverstand in die Planungs- und Genehmigungsverfahren durch die Verbände. Mit der sechswöchigen Klagebegründungsfrist und der Präklusionsregelung werden die Hürden für die Verbände unnötig hoch gehängt; zu der behaupteten Verfahrensverkürzung führt dies nicht. Darüber hinaus werden durch die Modifizierung der Verwaltungsgerichtsordnung die Einschränkung und Verschärfung des gerichtlichen Prüfmaßstabes zugunsten des Vorhabens bezweckt. Besonders problematisch ist die Regelung hinsichtlich des einstweiligen Rechtsschutzes, wonach dieser nur noch bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Vorhabens gewährt werden soll. Eine Interessenabwägung der Vollzugsfolgen scheint dagegen überhaupt nicht mehr gewollt zu sein. Diese Regelungen werden sogar auf den Rechtsschutz von Individualklägern ausgedehnt. Das ist im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes sehr bedenklich. Selbst in der Sitzung des Umweltausschusses haben die Berichterstatter der Koalition durch ihre Wortbeiträge dokumentiert, dass sie kein Interesse an einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit dieser rechtlich komplexen Materie besitzen. „Augen zu und durch“ ist die Devise. Diese Haltung möchte ich an einem Beispiel illustrieren. Frühere Entwürfe der Novelle zum Umweltrechtsbehelfsgesetz sahen Regelungen zu Umweltverträglichkeitsprüfungen beispielsweise im Bereich des Fracking vor. Obwohl – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – bereits zwei Ihrer Umweltminister über mehrere Jahre durch die Lande ziehen und versprechen, gesetzliche Regelungen zum Umgang mit Fracking vorzulegen, wurden die einschlägigen Passagen aus dem Entwurf herausgestrichen. „Augen zu und durch“, wir lassen die Unternehmen einfach mal machen und denjenigen, die sich mit ihrem Sachverstand gegen mögliche Vorhaben aussprechen könnten, verpassen wir einen Maulkorb! Die Wirtschaftsverbände und das Wirtschaftsministerium verkennen bei ihrem Kampf gegen die Verbände, dass gerade die Organisationen vor Ort über große Datenmengen zu Fauna und Flora des von einer Planung betroffenen Gebiets verfügen, die betroffenen Habitate sehr gut kennen und daher auch besser geeignete alternative Standorte oder umweltverträglichere Lösungsmöglichkeiten aufzeigen können. Sie können damit einen konstruktiven Beitrag zur Realisierung eines Projektes leisten. Ausgrenzung der Verbände statt Kooperation mit ihnen ist die Maxime der Bundesregierung – eine Vorgehensweise, die nicht von Erfolg gekrönt sein wird: nicht nur, weil dieses Denken und Handeln überhaupt nicht dem Sinn und den Buchstaben der Aarhus-Konvention, den Richtlinien zur Öffentlichkeitsbeteiligung und zum Zugang zu Gerichten entsprechen, sondern auch, weil im Jahre 2012 nach den Erfahrungen mit Stuttgart 21 und anderen Großprojekten einfach ein anderer Umgang mit den betroffenen Bürgern und Bürgerinnen und den Umweltverbänden dringend erforderlich ist. Die Bundesregierung wird aus Schaden nicht klug, sondern versucht einfach weiter, Störenfriede möglichst schnell mundtot zu machen. Dass sich aufgrund einer solchen Vorgehensweise erst recht Widerstand regen wird und sich Bürgerinitiativen vor Ort umso stärker engagieren werden, je öfter man ihnen mit Missachtung begegnet, scheint in die Überlegungen von Schwarz und Gelb keinen Eingang gefunden zu haben. Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben uns zum Ziel gesetzt, die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu öffnen und sie den Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts anzupassen. Das dazu erarbeitete Papier, das Bürger und Verbände bei der Vorhabenplanung auf Augenhöhe von Anfang an einbezieht, ihre Anliegen ernst nimmt und das ganze Verfahren transparent und nachvollziehbar macht, wurde mit großer Zustimmung breit diskutiert. Durch eine frühzeitige, gleichberechtigte Einbeziehung aller Stakeholder werden Verfahrensfehler minimiert, die Verfahren mit geringerer Wahrscheinlichkeit beklagt und damit insgesamt verkürzt. Man sollte auch erwähnen: Damit wird es insgesamt sehr viel billiger für den Vorhabenträger. Dieser neue Ansatz bedeutet einen Paradigmenwechsel: weg vom Planen hinter verschlossenen Türen, hin zu einem transparenten, auf Dialog ausgerichteten Verfahren. Solange die Bundesregierung nicht begreift, dass sich Bauprojekte nur mit den Bürgerinnen und Bürgern und den Verbänden und nicht gegen sie realisieren lassen, und solange sie diese nur als Störfaktor betrachtet und sie mit gesetzlichen Einschränkungen ihrer Beteiligung überzieht, werden große Infrastrukturprojekte wie die Energiewende nur schwerlich zu realisieren sein. Außerdem wird sich die Bundesregierung wohl noch öfter auf der Anklagebank des EuGH wiederfinden. Judith Skudelny (FDP): Kernpunkt des vorliegenden Gesetzentwurfs ist die Umsetzung des sogenannten Trianel-Urteils des EuGH vom 12. Mai 2011. Darin hat der EuGH die umweltrechtliche Verbandsklage nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz als europarechtswidrig beurteilt, da anerkannte Umweltverbände nur solche Verstöße gegen Umweltvorschriften geltend machen können, die dem Schutz Dritter dienen. Der EuGH hat dies damit begründet, dass nach Art. 10 a der UVP-Richtlinie, mit dem die Europäische Union Vorschriften der UNECE Aarhus-Konvention über den Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten umgesetzt hat, Umweltverbände die Möglichkeit erhalten müssen, die Verletzung aller für die Zulassung von Vorhaben maßgeblichen Umweltvorschriften gerichtlich geltend zu machen, die auf dem Unionsrecht basieren. Anerkannten Umweltverbänden ist danach in Umweltangelegenheiten ein weiterer Zugang zu den Gerichten zu gewähren. Es bedarf somit einer Anpassung des deutschen Rechts an die europarechtlichen Vorgaben. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine Aufhebung dieser Einschränkung vor. Danach können Umweltvereinigungen künftig Verletzungen aller umweltrechtlichen Vorschriften rügen, auch die Beachtung eines vorsorgenden Umweltschutzes beispielsweise im Bereich der Luftreinhaltung und des Artenschutzes. Dies bedeutet eine deutliche Ausweitung der bisherigen umweltrechtlichen Verbandsklage. Die Herausforderung bei der Novellierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes besteht darin, einen Ausgleich zwischen der europarechtlich gebotenen Ausweitung der Verbandsklage und der Umsetzung bzw. Verfahrensbeschleunigung von dringend notwendigen Infrastrukturprojekten zu schaffen. Denn es ist zu befürchten, dass durch die Ausweitung der Verbandsklage die Genehmigungsdauer für Projekte noch weiter zunimmt und auch die Kosten für diese weiter steigen. Hierdurch könnte für Deutschland ein erheblicher Wettbewerbsnachteil entstehen. Diese Interessen will der vorliegende Gesetzentwurf gleichermaßen berücksichtigen. Insbesondere soll verhindert werden, dass das Instrument der Verbandsklage in der Praxis zu sachlich ungerechtfertigten Verzögerungen von Vorhaben instrumentalisiert wird. Als Ausgleich für die europarechtlich notwendige Erweiterung der umweltrechtlichen Verbandsklage sollen daher künftig bei Rechtsbehelfen auf dem Gebiet des Umweltrechts bestimmte verwaltungsprozessuale Regelungen, § 4 a UmwRG, gelten. Diese sollen aus europarechtlichen Gründen nicht nur bei Verbandsklagen, sondern auch bei Individualklagen zur Anwendung kommen. Diese Maßnahmen sind auch der Knackpunkt der Differenzen mit der Opposition. Hierbei handelt es sich zum einen um die Einführung einer sechswöchigen Klagebegründungsfrist; diese ist notwendig. Die Umsetzung des Trianel-Urteils wird unbestritten zu einer Ausweitung der Klagerechte anerkannter Umweltvereinigungen führen. Diese können mit der Novellierung auch vorsorgenden Umweltschutz einfordern, beispielsweise in Bezug auf Luftreinhaltung und Artenschutz. Diese Ausweitung ist europarechtlich geboten und richtig. Jedoch brauchen wir bestimmte ausgleichende Regelungen. Schon jetzt dauern Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland zu lange. Das können wir uns spätestens vor dem Hintergrund der Umsetzung der Energiewende nicht leisten. Dabei ist die Einführung einer sechswöchigen Klagebegründungsfrist weder europarechtswidrig noch Sonderrecht außerhalb der Verwaltungsgerichtsordnung, wie die Opposition behauptet. Denn es gibt diese Klagebegründungsfrist seit Jahren unbeanstandet in vielen Fachplanungsgesetzen, beispielsweise im Allgemeinen Eisenbahngesetz und im Bundesfernstraßengesetz. Außerdem ist in dem vorliegenden Gesetzentwurf sogar eine Möglichkeit zur Verlängerung der Frist durch das Gericht vorgesehen. Als weitere verwaltungsprozessuale Regelung wird der gerichtliche Prüfungsmaßstab gemäß § 80 Abs. 5 VwGO modifiziert, wonach Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme bei einer summarischen Prüfung „ernstliche“ sein müssen. Es ist wichtig und richtig, dass eine solche Modifizierung des Prüfungsmaßstabes im Eilverfahren erfolgt, um rechtssichere und schnelle Entscheidungen herbeizuführen, die zu Planungs- und Investitionssicherheit für alle Beteiligten führen, auch für den Fall, dass ein Vorhaben nicht verwirklicht werden kann. Das beste Beispiel, dass dies mit dem geltenden Prüfungsmaßstab nicht gelingt, ist der Beschluss des -Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Oktober zur Elbvertiefung. Hier wurde nach Maßgabe des alten Prüfungsmaßstabes der Ausbau der Elbvertiefung mit drei Sätzen Begründung abgelehnt. Dies kann aufgrund der großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung eines solchen Vorhabens nicht richtig sein. Hier geht es um Planungs- und Investitionssicherheit für beide Seiten. Es kann weder im Interesse von Investoren und Planern noch im Interesse der Bürger und der Umweltverbände sein, dass keine ordentliche Interessenabwägung vorgenommen wird und der Ausgang eines solchen Vorhabens offen bleibt und möglicherweise um mehrere Jahre verzögert wird. Die Verbandsklage bezieht sich auf nahezu alle industrierelevanten Entscheidungen, wenn mit ihr behörd-liche Entscheidungen bei UVP-pflichtigen Vorhaben, Genehmigungen für Anlagen nach einem förmlichen -immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, wasserrechtliche Erlaubnisse und Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien angegriffen werden können. Dies zeigt die große praktische Relevanz und Bedeutung dieses Gesetzentwurfs, insbesondere vor dem Hintergrund der Herausforderungen im Rahmen der Energiewende. Als liberale Partei wollen wir in Deutschland Vorhaben verwirklichen und nicht ausbremsen. Durch die in dem Gesetzentwurf der Grünen auf Drucksache 17/7888 geforderten Änderungen, die deutlich über die europarechtlichen Anforderungen hinausgehen, würden die Klagemöglichkeiten erheblich aus-geweitet, wodurch Deutschland ein wesentlicher Wettbewerbsnachteil entstehen würde. Wir wollen Arbeitsplätze in Deutschland halten und neue schaffen. Dazu benötigen wir Vorhabenträger, die weiterhin in den Standort Deutschland investieren. Was wir nicht brauchen, sind Forderungen wie die der Grünen, die den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit Arbeitsplätze gefährden. Das bedeutet nicht, dass wir die demokratischen Mitwirkungsrechte der Bürger beschneiden wollen. Die Herausforderungen der Energiewende beispielsweise wollen wir nicht gegen die Bevölkerung, sondern mit ihr bewältigen. Die bestehenden Klagemöglichkeiten haben sich dazu als ausreichend und angemessen erwiesen. Eine über die Vorgaben des EuGH hinausgehende Erweiterung der Klagemöglichkeiten ist nicht erforderlich. Ziel muss es sein, ein ausgewogenes Maß an demokratischen Mitwirkungsrechten der Bürger auf der einen Seite und die Umsetzbarkeit von notwendigen Vorhaben wie den Netzausbau und den Bau von Speicherkraftwerken auf der anderen Seite zu gewährleisten. Das bestehende Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz leistet hierzu einen wichtigen Beitrag und ist im Folgenden an die europarechtlichen Vorgaben anzupassen. Diesen Anforderungen wird der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung gerecht. Ein Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, das, wie von den Grünen gefordert, die Klagemöglichkeiten noch weiter ausdehnt, blockiert den dringend notwendigen Netzausbau und damit die Energiewende und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Man kann nicht auf der einen Seite sagen: „Wir wollen keine Atomkraftwerke“ und auf der anderen Seite den Ausbau der Trassen, den wir für den Anschluss und die Leitung des Stroms aus erneuerbaren Energien brauchen, blockieren. Den realitätsfernen und schlechten Gesetzentwurf der Grünen lehnen wir daher ab; denn wir wollen beides: Umweltschutz und die Realisierung von Vorhaben. Sabine Stüber (DIE LINKE): Was ist das für ein schlechter Gesetzentwurf, den wir heute hier besprechen, am liebsten würde ich sagen: besprechen müssen? Wäre es nach meiner Fraktion und nach den beiden anderen Oppositionsfraktionen gegangen, hätte es ohne grundlegende Überarbeitung der Gesetzesnovelle keine dritte Lesung gegeben. Worum geht es? Es geht um mehr Bürgerrechte in Umweltfragen, um das Recht auf vollständige Informationen über die Einhaltung von Umweltvorschriften bis hin zu Klagemöglichkeiten gegen die Beeinträchtigung der Umwelt auch für kommende Generationen. Die europäischen Länder haben das mit einer Vereinbarung, der Aarhus-Konvention, 2001 im Völkerrecht verankert. Erst fünf Jahre später hat der Bundestag dazu ein Gesetz mit dem sperrigen Namen Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz verabschiedet. Der eigentliche Sinn des Gesetzes bestand darin, dass Bürgerinnen und Bürger ohne Einschränkungen Verwaltungsentscheidungen, das heißt die Genehmigung von Großvorhaben mit erheblichen Umweltauswirkungen, gerichtlich überprüfen lassen können. So sollte es sein; so stand es aber nicht im Gesetz. Die Klage der Umweltverbände beim Europäischen Gerichtshof folgte, und das Urteil fiel eindeutig aus, wenn auch erst im Mai 2011. Bei dem Spiel auf Zeit ging der Punkt an die Bunderegierung. Aber nun muss nachgebessert werden! Schlechtes Timing, denn gerade jetzt will der Bundeswirtschaftsminister eben einmal für eine ungewisse Zeit das Naturschutzrecht außer Kraft setzen; es gehe schließlich um Wirtschaftswachstum. Das wirkt, Kolleginnen und Kollegen, populistisch und auch wenig -kompetent. Außerdem ist die Angst des Bundeswirtschaftsministers vor einer Klagewelle und der daraus resultierenden Zeitverzögerung für Großvorhaben völlig unbegründet. Die Zahl von Klagen gegen Umweltbeeinträchtigungen nimmt ab und ist mit weniger als 1 Prozent bei den anhängigen Verwaltungsrechtsverfahren verschwindend gering. Die Erfolgsrate liegt allerdings mit rund 40 Prozent über dem Durchschnitt. Trotzdem, was tut die Bundesregierung? Sie ignoriert komplett das Urteil des Europäischen Gerichtshofs und schränkt die Bürgerrechte im Gesetzentwurf noch zusätzlich ein, statt sie zu erweitern. Sie verstößt somit nicht nur wiederholt gegen europäisches Recht, nein, sie entlarvt auch ihre tatsächliche Haltung zu den Bürgerrechten. Beteiligung der Zivilgesellschaft an Gestaltung und Verantwortung, Transparenz und Akzeptanz, das alles meint diese Regierung nicht ernst. Es sind und bleiben leere Worthülsen. Wiederum wird, wie schon 2006, EU-Recht nicht korrekt umgesetzt. Vor dem Europäischen Gerichtshof ist der Gesetzentwurf von vornherein zum Scheitern verurteilt. Der Bundesrat hat Mitte September die Novelle zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz vor allem wegen der Beschränkung der Klagemöglichkeiten abgelehnt. Bei der Nachhaltigkeitsprüfung ist sie ebenfalls durchgefallen. Die Sachverständigen haben in einer öffentlichen Anhörung am 22. Oktober dieses Jahres mehrheitlich auf die Defizite und den unsicheren Rechtsstatus hingewiesen. Alle Hinweise der Experten, Vorschläge aus den Reihen der Opposition, alles umsonst; nichts findet sich in der Novelle wieder. Diese Bundesregierung ist beratungsresistent. Geändert wurden einige Formalien, nicht aber die inhaltlichen Mängel. Das ist nicht einfach schlechtes Handwerk, das hat Methode, und ich nenne es Arroganz der Macht. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor eineinhalb Jahren stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass das deutsche Umweltklagerecht die Rechte der Bürgerinnen und Bürger übermäßig einschränkt und gegen Europa- und Völkerrecht verstößt. Die Bundesregierung hat das Urteil lange ignoriert. Wir Grüne haben bereits vor einem Jahr einen Gesetzentwurf vorgelegt, der diesen europarechtswidrigen Zustand korrigiert. Und auf unseren Druck hin hat dann im September auch die Regierung endlich einen Gesetzentwurf vorgelegt. Über beide entscheiden wir heute -abschließend. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist leider noch immer äußerst fragwürdig, trotz all der Diskussionen, die wir in den vergangenen Wochen und Monaten hatten. Ich frage mich, warum wir diese Diskussionen überhaupt geführt haben, wenn sämtliche kritische Anmerkungen von verschiedenen Expertinnen und Experten so komplett von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP ignoriert werden. Sämtliche Warnungen davor, dass auch dieses Gesetz wieder vom Europäischen Gerichtshof einkassiert werden wird, weil es offensichtlich europarechtswidrig ist, schlagen sie in den Wind. CDU/CSU und FDP können und wollen bis heute nicht akzeptieren, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofes auch Deutschland dazu zwingt, bei Vorhaben mit Umweltauswirkungen verbesserte Klagerechte für Umweltverbände festzuschreiben. Auf den ersten Blick wird zwar in dem Gesetzentwurf versucht, das Trianel-Urteil umzusetzen und die Klagemöglichkeiten für Verbände zu erweitern, aber durch die Hintertür werden die Klagerechte gleichzeitig massiv beschränkt. Im neu eingefügten und sowohl in der Anhörung als auch im Ausschuss heiß diskutieren § 4 a wird die Begründungsfrist für Klagen stark verkürzt und der Rechtsschutz der Klägerinnen und Kläger eingeschränkt. Dies gilt nicht nur für Umweltverbände, sondern auch für Individualkläger, also für jeden einzelnen Bürger. Mit dem § 4 a höhlt die Bundesregierung gemeinsam mit den Regierungsfraktion in einmaliger Weise die Verwaltungsgerichtsordnung aus. Die großen Richter- und -Anwaltsverbände haben das umfassend kritisiert, aber Sie, liebe CDU/CSU und FDP, ignorieren es. Wollen oder können Sie nicht verstehen, dass Sie hier ein extrem problematisches höchstwahrscheinlich rechtswidriges -Gesetz beschließen wollen? Auch in der Ausschussanhörung wurde dieses Problem umfassend diskutiert. Haben Sie wirklich so schlecht zugehört? Bei der Debatte gestern im Ausschuss hat Kollege Gebhart betont, die Sachverständigen hätten deutlich gemacht, dass der Gesetzentwurf europarechtskonform sei. Da habe ich mich gefragt, lesen Sie vielleicht mal das Protokoll der Anhörung, Herr Gebhart! Oder warten Sie ab, bis der EuGH erneut entscheidet. Wir würden uns diese peinliche erneute Gerichtsniederlage jedoch gerne ersparen. Dies ginge recht einfach, nämlich wenn wir heute den Gesetzentwurf beschließen. Dieser setzt als einziger das EuGH-Urteil um und stärkt im notwendigen Maße die Klagerechte von Umweltverbänden und Bürgerinnen und Bürgern. Auf unnötige und stark umstrittene flankierende Maßnahmen jedweder Art verzichten wir gerne, denn wir haben keine Angst vor einer Klageflut und vor kritischen Bürgerinnen und Bürgern. Meine Damen und Herren aus den Reihen der Koalitionsfraktionen, bitte erklären Sie uns doch endlich mal, warum Sie solche Angst vor den Umweltverbänden und den Bürgerinnen und Bürgern haben. Die Praxis zeigt, dass umfassende Beteiligungs- und auch spätere Klagerechte für Umweltverbände und Bürgerinnen und Bürger dazu beitragen, dass sorgsamer geplant wird, dass alle umweltrechtlichen Vorschriften eingehalten werden und die Akzeptanz der Projekte steigt. Nur schlecht geplante Projekte, bei denen, absichtlich oder fahrlässig, bestehende Rechtsvorschriften ignoriert werden, müssen erweiterte Klagemöglichkeiten fürchten. Nicht nur das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist eine Katastrophe, nein, ganz en passant regelt die Bundes-regierung unter dem Zusatz „anderer umweltrechtlicher Vorschriften“ auch noch einige andere Dinge in diesem Gesetzentwurf. Vieles davon war im Regierungsentwurf vertretbar und nicht kritikwürdig. Leider muss man sagen „war“; denn mit ihren Änderungsanträgen haben CDU/CSU und FDP erneut eine Umsetzung von europäischem Recht in Deutschland verhindert. Sie lehnen die vom Kabinett beschlossene Übernahme der Definition von Hochwasser aus der Wasserrahmenrichtlinie ab und, noch viel schlimmer, Sie streichen die vorgeschlagene Umsetzung von Art. 9 der Wasserrahmenrichtlinie in deutsches Recht. Als Begründung führen Sie weiteren Klärungsbedarf an. Ja wie lange wollen Sie denn noch diskutieren? Die Wasserrahmenrichtlinie ist nicht erst seit gestern in Kraft. Sie zementieren den gegenwärtigen Zustand der unvollständigen Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in Deutschland – ein weiteres Thema, das den Europäischen Gerichtshof bereits beschäftigt. Ich frage mich inzwischen, ob das Gesetz, das Sie heute hier beschließen wollen, eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für den EuGH sein soll. Auch in Bezug auf die Regelungen zur Umweltverträglichkeitsprüfung waren in einem der früheren Entwürfe aus dem Umweltministerium sehr begrüßenswerte Vorschläge enthalten, gerade mit Blick auf die hochumstrittene Fracking-Technologie. Gemeinsam mit der SPD haben wir hier einen wichtigen Änderungsantrag im Sinne der ursprünglichen Vorschläge eingebracht. Wir wollten sicherstellen, dass schon bei der Aufsuchung und Erkundung von Lagerstätten von unkonven-tionellem Erdgas eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung stattfindet. Dies sollte mit Blick auf die hohen Risiken der Fracking-Technologie, die mittlerweile glücklicherweise alle Fraktionen des Bundestages anerkennen, eine Selbstverständlichkeit sein. Aber Sie lehnen den Antrag ab, Sie hätten hier noch Beratungsbedarf. Wie lange, bitte, wollen Sie denn noch beraten und klären? Wollen Sie nun, dass die Fracking-Technologie, wenn sie in Deutschland überhaupt zum Einsatz kommt, dann wenigstens unter höchstem Umweltstandard angewendet wird? Oder wollen Sie einfach weitermachen wie bisher und die Umweltrisiken beim Fracking ausblenden? Sie müssen sich endlich entscheiden, Sie dürfen nicht immer wieder Abstimmungsbedarf vorschieben. Dieser Gesetzentwurf ist eine Enttäuschung auf ganzer Linie. Er schwächt die Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger, er unterminiert wichtige bestehende Umweltschutzvorgaben, und er provoziert mehr als eine Auseinandersetzung mit dem Europäischen Gerichtshof. Der grüne Gesetzentwurf hingegen regelt klar, was zu regeln ist, nämlich die Umsetzung des Trianel-Urteils, nicht mehr und nicht weniger. Vizepräsident Eduard Oswald: Tagesordnungspunkt 26 a: Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11393, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10957 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. – Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 26 b: Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8876, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7888 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Wie Sie wissen, entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Koch, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausbau des Truppenübungsplatzes Altmark sofort stoppen – Colbitz-Letzlinger Heide zivil nutzen – Drucksachen 17/10684, 17/11334 – Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Hardt Wolfgang Hellmich Joachim Spatz Paul Schäfer (Köln) Agnes Brugger Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Sind Sie damit einverstanden? – Widerspruch erhebt sich nicht. Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Der Antrag der Linken zur Schließung des Truppenübungsplatzes Altmark ist wie üblich stark an Ideologie, aber schwach an Fakten. Worum geht es? Die Colbitz-Letzlinger Heide wird seit fast 80 Jahren als Truppenübungsplatz genutzt. Seit dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus den neuen Bundesländern auch durch die Bundeswehr. Mit über 23 000 Hektar Fläche gehört er zu den größten in Deutschland und bietet ausgedehnte Möglichkeiten für das Training auf Verbandsebene. Seit dem Jahr 2000 ist hier das Gefechtsübungszen-trum Heer in Betrieb, kurz GÜZ, eine der modernsten militärischen Übungseinrichtungen der Welt. Deutsche und verbündete Soldaten trainieren hier Krisenreaktions- und Stabilisierungseinsätze – nicht im scharfen Schuss, sondern mit Simulationsausrüstung. Für eine den Gefahren von Einsätzen wie etwa in Afghanistan angemessene Ausbildung ist das GÜZ unverzichtbar. Als Parlamentarier, die unseren Soldaten den Auftrag für solche Einsätze erteilen, um zu unser aller Sicherheit beizutragen, muss uns das besonders bewusst sein. Dafür müssen die Übungsanlagen aber auch stets den aktuellen und zu erwartenden Herausforderungen der Einsatzrealität angepasst bleiben. Dazu gehört, dass sich Kriseneinsätze künftig immer wahrscheinlicher auch auf urbanes Gebiet erstrecken werden. Das ist nachvollziehbar, weil die Urbanisierung der Welt immer weiter zunimmt. Bereits heute lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Nach Prognosen der UNO werden es 2030 über 60 Prozent und 2050 sogar 70 Prozent sein. Wir sehen diese Entwicklung nicht nur an der Abwanderung junger Leute aus den ländlichen Räumen Deutschlands, sondern auch und gerade an der Landflucht in Entwicklungsländern. Wer etwa die im Umbruch befindliche arabische Welt bereist, kennt die dortigen rapide wachsenden, zunehmend unübersehbaren Ballungszentren. Die Menschen suchen dort vielfach Zuflucht vor Armut und Konflikten im Land – sie bringen aber auch Konflikte mit, die dann auf engstem Raum erneut ausbrechen können. Für Terroristen und Guerillakämpfer sind Millionenstädte ebenso geeignete Kampf- und Rückzugsräume wie anderes unübersichtliches Terrain. Hier können sie schnell mit großen Opferzahlen aus dem Hinterhalt zuschlagen und sich dann wieder unter die Bevölkerung mischen. Denn sie wissen, dass Sicherheitskräfte in Demokratien unbeteiligte Opfer durch den Einsatz schwerer Waffen in besiedeltem Gebiet zu vermeiden versuchen. Um dieser Herausforderung zu begegnen, um gerade auch um solche Situationen bei möglichen künftigen Einsätzen in urbanem Gebiet zu verhindern und unsere Soldaten entsprechend vorzubereiten, ist auf dem Truppenübungsplatz Altmark die Errichtung einer sogenannten Übungsstadt geplant. Das ist im Prinzip nichts Neues, denn Soldaten wurden schon immer auch für den Kampf im bebauten Gelände ausgebildet – etwa im Übungsdorf „Bonnland“ in Hammelburg oder den ehemaligen NVA-Ortskampfanlagen in Lehnin. Damals ging man aber davon aus, dass umkämpfte Orte weitgehend von Zivilbevölkerung verlassen sein würden. Dass man vielleicht einmal Kämpfe zwischen verfeindeten Gruppen in einer dicht bevölkerten Megastadt beenden müsse, stellte man sich nicht vor. Die geplante Anlage auf dem Übungsplatz Altmark wird das Training auch für solche Extremsituationen ermöglichen – und das natürlich ebenfalls mit der modernen Simulatortechnik, ohne den Einsatz scharfer Munition. Nicht nachvollziehbar ist daher, wie die Linke daraus in ihrem Antrag ableitet, dass nunmehr Städte zu Angriffszielen würden. Es geht vielmehr gerade darum, Konflikte auch in Städten beenden zu können, ohne große Verluste in der Zivilbevölkerung zu verursachen. Nicht nachvollziehbar ist auch die Behauptung, dass der Bau im Widerspruch zum erklärten Willen einer Mehrheit der Anwohnerinnen und Anwohner stehe. Ja, es gibt eine örtliche Bürgerinitiative einiger Friedensaktivisten. Die hat wohl jeder der Kollegen hier im Haus mit Bundeswehrstandorten im Wahlkreis. Das macht aber noch keinen Mehrheitswillen. Genauso wenig wie ein paar Berufsprotestierer, die in der Gorleben-freien Zeit aus dem Wendland einpendeln, um ein paar Gebäude und Fahrzeuge auf dem Übungsplatz rosa anzusprühen. Nicht nachvollziehbar ist ferner das Klagen über nicht geschaffene zivile Arbeitsplätze, obwohl die 1 200 fest auf dem Übungsplatz beschäftigten Soldaten und Zivilangestellten einen erheblichen Wirtschaftsfaktor für die Region darstellen. Die Gemeinde Letzlingen stellt sogar in ihrem Internetauftritt fest, dass die Arbeitslosigkeit dort aufgrund der Bundeswehr weit unter dem Landesdurchschnitt in Sachsen-Anhalt liegt. Die Landesregierung wusste schon, warum sie in den 90er-Jahren an diesem handfesten Vorteil festhielt und die Pläne für eine zivile Nutzung mit unsicheren Vorhersagen neuer Arbeitsplätze nicht weiter verfolgte. Nicht nachvollziehbar ist schließlich, warum der Ausbau des Übungsplatzes durch den Bund eine „enorme -finanzielle Belastung der kommunalen Haushalte“ darstellen soll. Als jemand, der gerade aktuell ein militärisches Großbauprojekt am Rande des Wahlkreises hat, weiß ich schon, was das an baurechtlichen und Verkehrsplanungen bedeutet. Wie Sie allerdings den Kommunen in der Altmark die in Ihrem Antrag genannten 100 Millionen Euro aufbürden wollen, erschließt sich mir nicht. Die bauen die neue Anlage nämlich nicht. Zusammengefasst: Die Menschen in der Altmark, die Natur und die Arbeitsplätze kümmern Sie nicht. Sie pflegen nur wieder Ihr parteipolitisches Alleinstellungsmerkmal der Ablehnung alles Militärischen. Wir dagegen wollen nicht nur die Wirtschaft der Region, sondern auch unsere Soldaten unterstützen, indem wir ihnen die bestmögliche Vorbereitung für ihre Einsätze ermöglichen. Sie werden daher nachvollziehen können, dass wir diesen Antrag ablehnen. Jürgen Hardt (CDU/CSU): Hier geht es mal wieder um einen Antrag der Linken, die am liebsten alles, was auch nur im Entferntesten mit Militär zu tun hat, aus dieser Welt – oder zumindest aus Deutschland – verbannen möchte. Eigentlich ein edler und schöner Ansatz, aber ähnlich weit von der Realität entfernt wie die gesamte Politik der Linken. Diesmal steht der Truppenübungsplatz Altmark in der Colbitz-Letzlinger Heide auf der Abschussliste. Ihnen geht es dabei gar nicht um das schöne Gebiet in Sachsen-Anhalt, sondern um Ihre Politik, mit der Sie sich als Weltretter und Gutmenschen präsentieren möchten. Würde es Ihnen nämlich um die Colbitz-Letzlinger Heide gehen, würden Sie sehr schnell erkennen, dass militärische Nutzung und Umwelt sich keinesfalls ausschließen, sondern sich sogar aufs Beste ergänzen können. Außerdem hilft die zukünftige Ausbildung auf dem Truppenübungsplatz Altmark den Soldaten, dem humanitären Völkerrecht gerecht zu werden, indem sie gerade dafür trainiert werden, zivile Schäden zu vermeiden. Auf diese Punkte lohnt es sich, näher einzugehen. Deshalb zum ersten Punkt, zum Umweltaspekt. Schon in ihrer Grundsatzweisung „Bundeswehr und Umweltschutz“ macht die Bundeswehr deutlich, ich zitiere –: Umweltschutz ist Bestandteil aller Planungen und Handlungen der Bundeswehr in Erfüllung ihres Auftrags. Er ist Teil der Führungsverantwortung. Die Aufgaben der Bundeswehr sind unter geringstmöglicher Belastung von Mensch und Umwelt zu erfüllen, ihre Wahrnehmung soll das Gebot der nachhaltigen Entwicklung berücksichtigen. Dass dieses keine leeren Worthülsen sind, sondern gelebte Realität, machen viele Beispiele deutlich. Gerade Truppenübungsplätze bieten durch ihre Abgeschiedenheit und Unzugänglichkeit vielfältige Rückzugsräume und Regenerationsflächen für gefährdete Tier- und Pflanzenarten. Ein Beispiel ist der Wolf. So wurde 1998 auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz erstmals in Deutschland seit knapp 100 Jahren wieder ein Wolfspaar gesichtet, das ein Rudel gegründet hat. Seitdem ist der Bestand des Wolfes kontinuierlich gestiegen und das Verbreitungsgebiet hat sich stetig vergrößert. Das hat dazu geführt, dass sich der Wolf in diesem Jahr nun auch nachweislich in Westdeutschland angesiedelt hat. Und wo? Sie werden es ahnen. Auf einem Truppenübungsplatz, und zwar auf dem Truppenübungsplatz Munster in Niedersachsen. Dies hat vor allem der Naturschutzbund Deutschland freudig begrüßt. Und der Naturschutzbund Deutschland ist einer militaristischen oder bundeswehrnahen Politik nun wirklich völlig unverdächtig. Dass Truppenübungsplätze wertvolle Natur- und Tierreservate sind, zeigt auch das Europäische Verbundsystem von wertvollen Naturschutzflächen – die Natura 2000. Gut die Hälfte der in Deutschland zu schützenden Naturflächen entfällt auf Truppenübungsplätze. Also, das Umweltargument zieht nicht. Aber auch andere Argumente ziehen nicht. Was Sie gegen eine Investition von 100 Millionen Euro in einer strukturschwachen Region haben, kann ich nicht nachvollziehen. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie einen Investor finden würden, der auch nur ein Zehntel dieser Summe dort investieren würde. Aber, ach ja, Entschuldigung, „Investor“ ist für Sie ja ein Schimpfwort. Sie würden aber auch kein Kollektiv oder keine Kolchose finden, die das tun würde. Aber auch beim genannten anderen Thema ist Ihr Antrag nicht stichhaltig. Ich weiß ja, dass einige wenige von Ihnen nicht dem naiven Irrglauben anhängen, dass „kein Militär“ automatisch auch „kein Krieg“ bedeutet. Einige von Ihnen sind so weit realistisch, dass sie wissen: Jedes Land hat eine Armee zu tragen, wenn nicht die eigene, dann eine fremde. Und es ist in unserem Interesse, dass Soldaten, die ihren Beitrag zum Frieden in Deutschland und der Welt leisten, gut ausgebildet sind. Es ist schließlich eine der Hauptherausforderungen der Asymmetrischen Bedrohung, dass Terroristen und Aufständische gefasst werden, und dies am besten ohne Kollateralschäden. Es ist ja direkt im Sinne des humanitären Völkerrechts, dass Terroristen und Aufständische festgenommen und nicht bombardiert werden. Hierfür werden Soldaten auf dem Truppenübungsplatz Altmark ausgebildet werden. Also, Sie sehen, mit diesem Antrag versuchen Sie nur, mit Gewalt Ihre Anti-Haltung zur Bundeswehr auf einen Truppenübungsplatz in Sachsen-Anhalt zu pressen. Das gelingt Ihnen nicht. Weder Ihr Grundanliegen noch Ihre Argumente sind nachvollziehbar. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag, den Antrag der Fraktion Die Linke, ab. Wolfgang Hellmich (SPD): Die aktuellen außen- und sicherheitspolitischen -Herausforderungen und Bedrohungen sind so vielfältig wie noch nie. Die Bundesrepublik Deutschland muss daher ein breites Fähigkeitsspektrum vorhalten. Nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien, VPR, aus dem Jahr 2011 gehören unter anderem „internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung“ zu den Aufgaben der Bundeswehr, weswegen sich auch die zivile und militärische Ausbildung an diesem Aufgabenspektrum orientiert und auch künftig orientieren muss. Der dem Heeresamt direkt unterstellte Truppenübungsplatz in der Altmark ist das wichtigste Ausbildungszentrum der deutschen Landstreitkräfte. Wie die Kollegen von der Linken richtig in ihrem Antrag festgestellt haben, soll dieser Übungsplatz des Heeres zum größten europäischen Gefechtsübungszentrum ausgebaut werden. Dies steht im Einklang mit unserem Anspruch, als Teil der Europäischen Union auch anderen Staaten die Möglichkeit zu geben, sicherheitspolitische Kernkompetenzen und militärische Fähigkeiten gemeinsam zu trainieren; denn nur im Bündnis mit anderen EU- und NATO-Mitgliedstaaten kann Deutschland seinen Bürgerinnen und Bürgern Stabilität und Schutz gewähren sowie glaubwürdig für Frieden und Sicherheit in der Welt eintreten. Die Ausbildung in der Bundeswehr kann durch den Ausbau des Truppenübungsplatzes praxisnäher als bisher erfolgen, und ich stimme Ihnen zu, dass sie damit zu einer noch effektiveren Armee, auch im Einsatz, wird. Dies ist richtig und notwendig. Als Mitglieder des Deutschen Bundestages müssen wir für die bestmögliche Ausbildung unserer Soldatinnen und Soldaten Sorge tragen. Es darf nicht der Fall sein, dass wir die Bundeswehr in teilweise sehr gefährliche Auslandseinsätze entsenden, aber an der Einsatzvorbereitung sparen. Eine realitätsgetreue Darstellung möglichst vieler verschiedener Einsatzszenarien ist eine unabdingbare Voraussetzung für einen zügigen und erfolgreichen Einsatz unser Streitkräfte. Schließlich ist eine sehr gute Ausbildung immer auch der beste Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten. Insbesondere modernen, computergestützten Ausbildungsmitteln wie Simulatoren kommt eine ständig wachsende Bedeutung zu, aber auch in Echtzeit im Gelände muss die Einsatzlage simuliert werden. Meine Damen und Herren von der Fraktion Die Linke, die Behauptung in Ihrem Antrag, dass bisher lediglich circa 150 Arbeitsplätze für Menschen aus der Region gestellt werden und dies vorwiegend im Niedriglohnsektor, ist schlichtweg falsch. Die über 250 beschäftigten zivilen Mitarbeiter erhalten einen Stundenlohn von über 10 Euro. Die darüber hinaus von Ihnen angeführte Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes, nach der durch eine zivile und touristische Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide etwa 2 600 Arbeitsplätze für Menschen aus der Region geschaffen werden könnten, entstammt dem vorigen Jahrtausend, genauer gesagt dem Jahr 1995, und ist somit bereits 17 Jahre alt. Die Bundeswehr und der geplante Ausbau des Truppenübungsplatzes führen auch, wie Sie behaupten, nicht zu einer verstärkten Bedrohung von seltenen, vom Aussterben bedrohten Tierarten. So gibt es und wird es auch weiterhin Geländebereiche geben, die von der Nutzung durch die Bundeswehr ausgenommen worden sind. Ganz im Gegenteil: Die Bundeswehr garantiert umfangreiche Forst-, Naturschutz-, Wasserschutz- und Renaturierungsmaßnahmen, sodass die militärische Nutzung des Truppenübungsplatzes stets im Einklang mit der Bewahrung und Pflege der einzigartigen Heidelandschaft steht. Auch wurde das Gefechtsübungszentrum zwischen 1994 und 2008 durch die Bundeswehr und zivile Muni-tionsräumfirmen entmunitioniert, wobei sich die entstandenen Kosten auf circa 367 Millionen Euro beliefen. 2011 wurde zudem mit einer aufwendigen Altlastenentsorgung im Südteil des Truppenübungsplatzes begonnen. Der begonnene Ausbau muss fortgesetzt werden. Die Region kann die Investitionen gut gebrauchen, und die ablehnende Haltung der Mehrheit der Bevölkerung – die Linke behauptet,dass es diese gibt – ist nicht festzustellen. Diese Behauptung soll wohl nur eher für Wahlkampfauftritte genutzt werden. Das wird mit uns nicht geschehen. Meine Kolleginnen und Kollegen der SPD im Verteidigungsausschuss befürworten den bereits begonnenen Ausbau des Truppenübungsplatzes Altmark und lehnen damit den Antrag der Fraktion Die Linke auf einen sofortigen Ausbaustopp ab. Joachim Spatz (FDP): Um es gleich vorweg zu sagen: Die FDP-Bundestagsfraktion wird den Antrag der Fraktion Die Linke ablehnen. Zur Begründung würde ich gerne auf einige wenige Punkte des Antrags näher eingehen, anhand derer verdeutlicht werden kann, warum eine Zustimmung für eine seriöse Regierungsfraktion schlicht unmöglich ist. Die Antragsteller erheben auf der vorliegenden Drucksache einmal mehr eine plakative Forderung, die den unrühmlichen Versuch darstellt, sich bei den -Anwohnern vor Ort als Fürsprecher zu gerieren. Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich außerdem wieder, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Linken über verantwortungsvolle Sicherheitspolitik nicht möglich ist. Dies zeigt sich nicht zuletzt an reißerischen Formulierungen wie „Kriegseinsätze“ oder „Angriffsziele“, die, obwohl es sich um einen Truppenübungsplatz der Bundeswehr handelt, den gesamten Antrag durchziehen. Verantwortungsvolle Sicherheitspolitik und Fürsorge für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sieht sicher anders aus. Die Angehörigen unserer Bundeswehr müssen, auch in Deutschland, die Möglichkeit -haben, sich auf ihre gefährlichen Auslandseinsätze vorzubereiten. Dazu leistet der Truppenübungsplatz Altmark einen wichtigen Beitrag. Wer seriöse Sicherheitspolitik betreiben möchte, muss dafür Sorge tragen, dass die Soldatinnen und Soldaten, die unter Einsatz ihres Lebens für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eintreten, auch ausreichende Möglichkeiten zum Üben haben. Dies gilt vor allem in Zeiten der Transformation der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“. Das Gelände des Truppenübungsplatzes Altmark wird durch das Heer als Gefechtsübungszentrum genutzt und ist die zentrale Ausbildungseinrichtung zur Einsatzausbildung von Verbänden und Einheiten aller Art. Der Aufbau des Gefechtsübungszentrums konnte im Jahr 2006 abgeschlossen werden und wird seither mit der heutigen Ausbildungskapazität betrieben. Auch nach der Stationierungsentscheidung vom 26. Oktober 2011 wird das Gefechtsübungszentrum eine der zentralen Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr für das „Bestehen im Einsatz“ bleiben. Mit dem Umbau des „Urbanen Ballungsraumes Schnöggersburg“ wird eine weitere qualitative Verbesserung der bestehenden Ausbildungseinrichtung erzielt. Wer im Gegensatz zu den Antragstellern verantwortliche Sicherheitspolitik betreiben will, ist darauf angewiesen, sich an gegebenen Realitäten und Bedrohungsszenarien zu orientieren. Die Ausgestaltung der Übungsszenarien in Altmark ist ausgerichtet an den -nationalen verteidigungspolitischen Grundlagen- und Bündnisdokumenten, ergänzt um Erfahrungen aus den laufenden Einsätzen und den Erkenntnissen aus den Einsätzen in asymmetrischen Konfliktsituationen. Da die Übungen als „Live-Simulation“ stattfinden, können alle Handlungen der Übungsteilnehmer durch die Systemtechnik überwacht und in der Zentrale des Übungszentrums nahezu in Echtzeit aufgezeichnet und ausgewertet werden. Dies stellt eine weitere wesentliche Verbesserung der Übungsmöglichkeiten unserer Truppe dar und dient damit einer verbesserten Vorbereitung unserer Soldatinnen und Soldaten für den Auslandseinsatz. Anders als von den Antragstellern behauptet, bietet der Ausbau des Truppenübungsplatzes auch für die Bevölkerung vor Ort einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert. In den Jahren von 1991 bis 2010 beliefen sich die Gesamtausgaben für Unterhalt, Baumaßnahmen etc. auf circa 430 Millionen Euro. Diese wurden aus dem Einzelplan 14 des Bundeshaushaltes der Bauverwaltung des Landes Sachsen-Anhalt zur Verfügung gestellt und flossen von dort überwiegend in die regionale Wirtschaft zurück. Auch die von den Linken erhobene Forderung, der Betrieb des Truppenübungsplatzes Altmark müsse auch aus umweltpolitischen Aspekten sofort gestoppt werden, ist nicht nachvollziehbar. Aktuell wird auf dem Truppenübungsplatz Altmark eine vollständige naturschutzfachliche Kartierung – Biotopkartierung sowie eine Lebensraumtypen- und Artenerfassung – durchgeführt. Diese beinhaltet auch die Aspekte von Natura-2000-Bereichen, wie die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinien oder die Vogelschutzrichtlinien. Die Kartierungen werden Ende 2013 abgeschlossen sein. Die Gesamtmaßnahme wurde auch mit den zuständigen Landesbehörden einvernehmlich abgestimmt. Die Vorwürfe der Linken zielen also auch an dieser Stelle ins Leere. Harald Koch (DIE LINKE): Am 2. November wurde – von der Öffentlichkeit und der Presse fast unbemerkt – mit dem ersten Spatenstich der Grundstein für den Ausbau des Truppenübungsplatzes Altmark in der Colbitz-Letzlinger Heide zum größten europäischen Gefechtsübungszentrum gelegt. Hier soll nun im Laufe der nächsten zwölf Jahre eine komplette Geisterstadt mit Infrastruktur zur Simulation von Kampf- und Kriegseinsätzen für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und anderer europäischer Streitkräfte entstehen. Die Gesamtkosten für den Ausbau sollen sich auf rund 100 Millionen Euro belaufen. Ich halte das gesamte Projekt für grundlegend falsch und möchte auch gern begründen, warum: Der Ausbau bedeutet eine enorme finanzielle Belastung der kommunalen Haushalte, die sich gerade das Bundesland Sachsen-Anhalt nicht leisten kann. Hier werden allerorts Schwimmhallen, Schulen und Freizeiteinrichtungen geschlossen, weil für deren Finanzierung und Erhalt kein Geld da ist. Hier können Straßen nicht saniert werden, weil die Haushalte nicht ausgeglichen werden können. Da scheitert es schon an kleinsten Summen. Und Sie wollen jetzt 100 Millionen zum Kriegspielen ausgeben? Das kann man doch keinem vernünftigen Menschen erklären. Das ist doch vollkommen inakzeptabel. Und das gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass der Bau und Erhalt des Truppenübungsplatzes in den letzten Jahren schon weit über 600 Millionen Euro verschlungen hat und es ja auch zukünftig nicht bei den reinen Baukosten bleiben wird. Darüber hinaus ist die Bestimmung des Truppenübungsplatzes eine vollkommen falsche. Hier sollen Häuserkämpfe und Kampfeinsätze in urbanen Zentren unter der Anwesenheit von Zivilistinnen und Zivilisten geübt werden. Soll das wirklich die zukünftige Ausrichtung der Bundeswehr sein? Noch vor einiger Zeit gab es überfraktionelle Unterstützung dafür, diese Art der Kriegführung zu ächten. Und nun? Nun ist diese Art der Kriegführung offenbar breiter Konsens für die Bundeswehr. Und über die Folgen, die das sowohl für die Zivilistinnen und Zivilisten als auch für die Soldatinnen und Soldaten haben wird, scheint keiner nachzudenken. Ich kann es nicht nachvollziehen, zumal damit auch dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren Tür und Tor geöffnet wird. Die Linke lehnt dies strikt und entschieden ab und fordert die Bundesregierung auf, diese Entscheidung noch einmal gründlich zu überdenken. Auch unter umweltpolitischen Aspekten ist das gesamte Projekt eine einzige Katastrophe. Die Colbitz-Letzlinger Heide ist die größte nicht landwirtschaftlich genutzte Landfläche Mitteleuropas. Hier gibt es seltene Biotope und zahlreiche vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten, welche durch den Bau der Geisterstadt „Schnöggersburg“ massiv bedroht wären. Das kann man doch auch nicht einfach ignorieren, nur um stur die eigenen Interessen zu verfolgen. Hinzu kommt noch, dass der Großteil der Anwohnerinnen und Anwohner keineswegs mit dem Ausbau einverstanden ist. Es gab und gibt zahlreiche öffentliche Proteste, unter anderen auch von Bürgerinitiativen, welche sich für eine ausschließlich zivile Nutzung der Heide einsetzen. Die Linke unterstützt dies. Anstatt an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger vorbei dieses sowohl friedenspolitisch als auch haushalterisch und umweltpolitisch unsinnige und äußerst bedenkliche Projekt um jeden Preis voranzutreiben, sollte die Bundesregierung lieber darauf setzen, den Ausbau des Gefechtsübungszentrums sofort zu stoppen und unverzüglich ein Konzept für die zukünftige zivile Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide vorzulegen. Dabei müsste natürlich die vollständige Beseitigung von sämtlichen Munitions- und Kampfmitteln auf diesem Gebiet an zentraler Stelle stehen, und es muss sichergestellt werden, dass die kommunale Gestaltungshoheit gewahrt bleibt und die Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen zur Zukunft der Colbitz-Letzlinger Heide direkt beteiligt werden. Ich kann daher abschließend nur noch einmal an den Verstand aller Entscheidungsträger appellieren: Stoppen Sie dieses Projekt, und zwar unverzüglich! Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer sich zur internationalen Schutzverantwortung und Krisenprävention bekennt, der anerkennt auch, dass Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr nicht unvorbereitet in Krisengebiete entsandt werden können. Es ist eine gute und professionelle Ausbildung nötig. Daher ist es auch folgerichtig, dass die Bundeswehr auf ihren Standorten bestmögliche Ausbildungsvoraussetzungen schafft. Die Fraktion der Linken stellt mit ihrem Antrag zur zivilen Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide Forderungen auf, denen wir in Teilen zwar zustimmen können, insgesamt wird der Antrag aber der Geschichte und der heutigen Situation der Colbitz-Letzlinger Heide nicht gerecht. Wir lehnen ihn deshalb ab. Lassen Sie uns einen Blick in die Vergangenheit werfen. 1997 wurde unter Federführung der rot-grünen Landesregierung in einem schwierigen und mühseligen Verfahren ein mit allen Beteiligten abgestimmter -Kompromiss zur Zukunft der Colbitz-Letzlinger Heide gefunden. Ich war als damalige Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen an dieser Kompromissbildung persönlich beteiligt. Der sogenannte Heide-Kompromiss sah vor, dass der südliche Teil der Colbitz-Letzlinger Heide bis 2006 aus der militärischen Nutzung genommen und in eine zivile Nutzung überführt werden sollte. Geplant war die Einrichtung eines Naturparks als Grundlage einer touristischen Nutzung der Heide. 1998 wurde die rot-grüne Landesregierung durch eine durch die damalige PDS tolerierte SPD-Allein-regierung abgelöst und diese 2002 durch eine schwarz-gelbe Koalitionsregierung. Beide Konstellationen waren für die Umsetzung des Heide-Kompromisses denkbar ungünstig. Rot-Rot hat es in vier Jahren nicht vermocht, einen Naturpark Colbitz-Letzlinger Heide einzurichten. Das machte es Schwarz-Gelb leicht, den Heidekompromiss in ihrer Amtszeit vollends aufzulösen. Sie von der Linken sehen also, dass Sie und Ihre Partei in Sachsen-Anhalt nicht gänzlich unbeteiligt an der -Situation sind, die Sie heute beklagen. Umso unglaubwürdiger ist es, dass Sie jetzt, wo der Spatenstich für die Übungsstadt Schnöggersburg bereits erfolgt ist, mit -Ihrem Antrag um die Ecke kommen und Vorschläge unterbreiten, die beim besten Willen nicht umsetzbar sind. Es bleiben bei uns große Zweifel, ob Sie wirklich an einer Problemlösung interessiert sind oder ob es Ihnen nicht eher darum geht, auf billigen Stimmenfang zu gehen. Konstruktiv ist Ihr Vorgehen jedenfalls nicht. -Leider. Sie hatten Ihre Chance, die zivile Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide zu sichern, Sie haben sie nicht genutzt. Die Truppenübungsplätze der Bundeswehr gehören oftmals zu den wertvollsten deutschen Naturschutzflächen. Sie sind für den Biotop- und Artenschutz in den einzelnen Regionen von großer Bedeutung. Ihr Wert -ergibt sich aus den fehlenden direkten Eingriffen des Menschen in die Landschaft. So gibt es oft eben keine Bodenversiegelung, keinen Umbruch für die Landwirtschaft und damit keinen Dünger- oder Pestizideinsatz. Dadurch konnten sich die Landschaften natürlich entwickeln und weisen heute einen großen Reichtum an Pflanzen und Tieren auf. Viele Truppenübungsplätz sind heute sogar eine neue Heimat für den Wolf, der als geschützte Art für den Erfolg einer guten Naturschutzpolitik steht. Auch in der Colbitz-Letzlinger Heide. Dieses Potenzial der Truppenübungsplätze ist seit langem bekannt, und oft gab es hier auch eine gute Kooperation zwischen Naturschutz und Bundeswehr. Mit dem Bau von Schnöggersburg wird diese Kooperation aufgekündigt. Mitten in Sachsen-Anhalts größtem zusammenhängenden Fauna-Flora-Habitat-Gebiet baut Schwarz-Gelb eine Geisterstadt und versiegelt wertvolle Flächen. Bundesregierung und sachsen-anhaltische Landesregierung verbauen damit – im wahrsten Sinne des Wortes – jeglicher nachhaltigen regionalen Entwicklung den Weg zugunsten einiger weniger ziviler Arbeitsplätze. Die Linke spricht davon, dass die Mehrheit der -Anwohnerinnen und Anwohner gegen dieses Projekt sei. Als Anwohnerin wäre ich es definitiv. Die Fakten sprechen aber eine andere Sprache: Keine der betroffenen Gemeinden hat dem Vorhaben widersprochen. Es wäre mir anders lieber, aber wir sollten hier bei der Wahrheit bleiben. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es der Akzeptanz gutgetan hätte, wenn das Bundesverteidigungs-ministerium sich frühzeitig um eine Einbindung der Öffentlichkeit bemüht hätte. Einer Parlamentsarmee wie der Bundeswehr steht es gut zu Gesicht, wenn sie die Menschen vor Ort frühzeitig beteiligt. Die Einhaltung allein formaljuristischer Vorgaben ist nicht immer ausreichend. Das sollten wir alle inzwischen gelernt haben. Wir Grünen unterstützen alle Initiativen, die das zivile Entwicklungspotenzial der Heide nutzen wollen. Wir fordern nach wie vor, dass der Südteil für den Naturschutz reserviert und endlich für den Tourismus und -damit für die wirtschaftlich nachhaltigste Entwicklung erschlossen wird. Wir müssen aber von den Verhältnissen ausgehen, die wir – auch in Hinterlassenschaft linker Regierungsbeteiligung in Sachsen-Anhalt – vorfinden. Mit schönen, aber unrealistischen Forderungen kommt die Colbitz-Letzlinger Heide nicht voran. Vizepräsident Eduard Oswald: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss -empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11334, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10684 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen, Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! – Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Industrie-emissionen – Drucksache 17/10486 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) – Drucksache 17/11394 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Paul Ute Vogt Dr. Lutz Knopek Ralph Lenkert Dorothea Steiner Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Sind alle damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dr. Michael Paul (CDU/CSU): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt die Richtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen, die IERL oder auch IED, Industrial Emissions Directive, ohne Systembrüche in das bewährte Anlagenrecht des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sachgerecht um. Die Richtlinie stellt das zentrale europäische Regelwerk für die Zulassung und den Betrieb von Industrieanlagen und damit für die Luftreinhaltung dar. Die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht ist eines der wichtigsten und umfangreichsten umweltpolitischen Vorhaben dieser Legislaturperiode. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist von der Umsetzung dieser Richtlinie in besonderer Weise betroffen. Schließlich stehen von den europaweit durch die Richtlinie erfassten circa 52 000 Anlagen rund 9 000 Anlagen in Deutschland. Es handelt sich zum Beispiel um Kraftwerke, Stahlwerke, Anlagen zum Gießen und Walzen von Metallen, Anlagen der Automobilindustrie, industrielle Chemieanlagen, Mineralölraffinerien und anderes. Die IE-RL stellt kein grundlegend neues EU-Recht dar, sondern ist eine Fortentwicklung des schon seit der sogenannten IVU-RL, der Richtlinie zur integrierten Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, bestehenden europäischen Anlagenrechts. Das Konzept der IVU-Richtlinie, welches die Verminderung und Vermeidung von Verschmutzung der Luft, des Wassers und des Bodens sowie die Erreichung einer hohen Energieeffizienz integriert betrachtet, wurde beibehalten. Zur formalen Umsetzung der Richtlinie wurden drei Regelungspakete erarbeitet, von denen wir heute das Artikelgesetz beraten. In diesem werden die Regelungen der Industrieemissionsrichtlinie durch Änderungen insbesondere im Bundes-Immissionsschutzgesetz, im Wasserhaushaltsgesetz sowie im Kreislaufwirtschaftsgesetz umgesetzt. Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte haben wir in Deutschland ein im internationalen Vergleich sehr hohes Umweltschutzniveau erreicht. Um dieses hohe Umweltschutzniveau sicherzustellen, haben wir ein umfangreiches Regelungswerk, das der Zulassung und dem Betrieb genehmigungsbedürftiger Anlagen zugrunde zu legen ist: das Bundes-Immissionsschutzgesetz, BImSchG, sowie das dazugehörige untergesetzliche Regelwerk, insbesondere Rechtsverordnungen. Dort sind zum Beispiel die technischen Anforderungen an eine Anlage definiert und spezifische Emissionsgrenzwerte vorgeschrieben. Auch werden die Durchführung von Emissionsmessungen verlangt und entsprechende Abnahmen und regelmäßige Überprüfungen auferlegt. Die Industrieemissionsrichtlinie legt dabei eine höhere Verbindlichkeit der Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität und der Emissionsstandards auf EU-Ebene fest; das begrüße ich gerade im Interesse des Schutzes der Gesundheit ausdrücklich. Diese äußern sich insbesondere in strengen Genehmigungs- und Grenzwertanforderungen, der Aufwertung der Merkblätter zu besten verfügbaren Techniken, der BVT-Merkblätter, sowie in erweiterten Berichts- und Überwachungspflichten für Betreiber und Behörden. Die Umsetzung der IE-RL in nationales Recht muss bis zum 7. Januar 2013 erfolgen. Der Kernbereich der IE-RL betrifft die verbindliche Anwendung der sogenannten BVT-Schlussfolgerungen bei der Festlegung von Emissionsbegrenzungsanforderungen durch die Mitgliedstaaten. Die BVT-Schlussfolgerungen beschreiben das Vorsorgeniveau, das nach dem Maßstab der besten verfügbaren Techniken eingehalten werden soll. Bei diesem sogenannten BVT-Maßstab handelt es sich allerdings angesichts mancher „Weichmacher“ eher um eine typisch englische verbale Übertreibung. Dahinter fällt jedenfalls der im deutschen Immissionsschutzrecht maßgebliche unprätentiöse Begriff des Standes der Technik, der im Gesetzentwurf beibehalten wird, in keiner Weise zurück. Die von der Fraktion Bündnis90/Die Grünen dargelegten Befürchtungen sind jedenfalls unbegründet: Die in ihrem Entschließungsantrag im Umweltausschuss vorgetragene Prämisse, BVT-Merkblätter der Europäischen Union könnten gegenüber dem innerstaatlichen untergesetzlichen Regelwerk höherrangig sein und dadurch zu einer Abschwächung der Luftreinhaltung in Deutschland führen, wenn hier strengere Anforderungen gelten, trifft nicht zu. Die EU-Anforderungen aus den BVT-Merkblättern gelten in den Mitgliedstaaten und damit auch in Deutschland nicht unmittelbar und können daher zu keiner Abschwächung schärferer innerstaatlicher Standards führen. Für den umgekehrten, im Entschließungsantrag nicht angesprochenen Fall, dass BVT-Merkblätter strengere Anforderungen als das innerstaatliche Recht vorsehen sollten, gibt es einen bewährten nationalen Anpassungsprozess, an dem festgehalten wird. Mit der Verpflichtung, neue europäische Emissionsstandards – BVT-Schlussfolgerungen – innerhalb von vier Jahren auch bei bestehenden Anlagen einzuhalten, enthält die IE-RL im Vergleich zur IVU-RL eine gewisse Verschärfung. Die vom Bundesrat empfohlene Einführung einer Jahresfrist zur untergesetzlichen Umsetzung auf Bundesebene ist hilfreich. Für den Vollzug in den Ländern und auch für die Anlagenbetreiber wird so ausreichend Zeit vorgehalten, um sich auf die neuen technischen Anforderungen durch Anpassungen der Genehmigungen und der Überwachung einerseits sowie durch technische Anpassung und gegebenenfalls den Umbau der betroffenen Anlagen andererseits einzustellen. Für Anlagen, die nach Erlass neuer BVT-Schlussfolgerungen neu genehmigt werden, sind die europäischen Emis-sionsstandards hingegen unverzüglich im untergesetzlichen Regelwerk umzusetzen und in Genehmigungsverfahren anzuwenden. Die vierjährige Umsetzungsfrist aus Art. 21 Abs. 3 IE-RL gilt hier nicht. Sowohl aus Umweltsicht als auch aus Sicht des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist es positiv, dass die Verbindlichkeit der BVT-Schlussfolgerungen in Europa vorgesehen wird. Dass dadurch europaweit ein insgesamt höheres Umweltschutzniveau gewährleistet wird, kann ich aus Sicht der Umwelt nur begrüßen. Einheitliche Rahmenbedingungen innerhalb der EU stärken aber auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, da dann gleiche „Spielregeln“ für alle europäischen Anlagen gelten. Deshalb ist es richtig, dass die Umsetzung der IE-RL eins zu eins geschieht, also keine Sonderbelastungen für die Unternehmen in Deutschland draufgesattelt werden. Das haben CDU, CSU und FDP zu Beginn der Legislaturperiode so vereinbart, und das wird auch hier bei der IE-RL eingehalten. Diese Eins-zu-eins-Umsetzung darf aber nicht als Vehikel zum Abbau von Umweltstandards im bestehenden nationalen Recht benutzt werden. Das ist auch nicht der Fall. Beispielsweise ist die in Art. 15 Abs. 4 der IE-RL enthaltene starke Relativierung der Vorsorgeanforderungen aufgrund möglicher Ausnahmen wegen des geografischen Standorts und lokaler Umweltbedingungen zu Recht nicht in deutsches Recht übernommen worden. Das hätte einen fundamentalen Paradigmenwechsel und einen nicht vertretbaren umweltpolitischen Rückschritt bedeutet. Ein wichtiges Element der Richtlinie ist die neue Pflicht, den Ausgangszustand von Boden und Grundwasser im Hinblick auf die spätere Stilllegung der Anlagen zu dokumentieren. Hierfür muss künftig im Rahmen des Anlagengenehmigungsverfahrens ein sogenannter Ausgangszustandsbericht erstellt werden. Ja, die Erstellung dieses Ausgangszustandsberichts ist für die Unternehmen eine neue, nicht immer kostengünstige Auflage. Auch sind in Deutschland im Bundes-Bodenschutzgesetz bereits die Sanierungspflichten vollumfänglich geregelt. Die Sanierung des Bodens nach einer Anlagenstilllegung sollte jedoch in Europa einheitlich geregelt werden, sodass nun auch in Deutschland ein Ausgangszustandsbericht unumgänglich ist. Der Erkenntnisgewinn im Hinblick auf den Verschmutzungsgrad des Bodens, der mit dem Ausgangszustandsbericht erreicht wird, kann dann in der Praxis eine Sanierungspflicht nach Bundes-Bodenschutzgesetz auslösen. Dies ist aber gleichzeitig auch ein Erkenntnisgewinn für die Unternehmen und eine Möglichkeit, frühzeitig Vorsorge zu treffen. Was wir als Koalitionsfraktionen im Gesetzgebungsverfahren hier im Deutschen Bundestag jedoch ausgeschlossen haben, ist die Möglichkeit, dass im Fall vorhandener funktionierender Schutzvorrichtungen, zum Beispiel vorhandener dichter Bodenwannen, diese für die Erstellung des Ausgangszustandsberichts zur Bodenuntersuchung durchbohrt werden müssen. Denn die Möglichkeit einer Verschmutzung des Bodens oder des Grundwassers besteht nicht, wenn aufgrund der tatsächlichen Umstände ein Eintrag ausgeschlossen werden kann. Diese Regelung entspricht auch den Ergebnissen der Sachverständigenanhörung. Im Übrigen kann die Dokumentation des Ausgangszustands auch im Interesse der betroffenen Unternehmen sein. Denn sie müssen bei Stilllegung der Anlagen im Rahmen der Pflicht zur Rückführung zwar den Ausgangszustand wiederherstellen, aber auch nicht mehr. Bei den Beratungen im Parlament haben wir in der Koalition eine Reihe von Wünschen, die die Länder über den Bundesrat vorgetragen haben, berücksichtigt. Nicht übernehmen konnten wir allerdings die von den Ländern vorgeschlagene Formulierung zur möglichen Beauftragung privater Dritter. In der Begründung des Bundesrates war sogar zu lesen, dass eine „Beleihung“ angestrebt sei. Um es klar zu sagen: Eine Verlagerung der hoheitlichen Aufgaben der Aufsichtsbehörden auf Private ist mit uns nicht zu machen. Was allerdings auch in Zukunft möglich sein muss – dafür haben wir die nötige klarstellende Formulierung gefunden –, ist, dass die Behörden bei Durchführung der erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen Verwaltungshelfer einschalten können. Die Verantwortung der Vollzugsbehörden bleibt aber vollumfänglich erhalten. Im Rahmen der Beratungen zur Umsetzung der IE-RL haben wir uns entschlossen, die Mitwirkungsrechte des Bundestages und die Beteiligung beim Erlass von Rechtsverordnung nach dem BImSchG zu verbessern. Standen bisher drei Sitzungswochen zur Beratung zur Verfügung, werden es künftig vier Wochen sein. Damit ist einerseits eine zügige Verabschiedung von Verordnungen, die oft europäisches Recht umsetzen, gewährleistet. Andererseits ist es sinnvoll – das zeigen die bisherigen Erfahrungen –, wenn dem Bundestag für eine vertiefte Beratung mehr als drei Sitzungswochen zur Verfügung stehen. Insofern stellt die Verlängerung der Beteiligungsfrist auf vier Sitzungswochen einen vernünftigen Ausgleich zwischen diesen Interessen dar. Mein Fazit ist: Die Umsetzung der Richtlinie für Industrieemissionen in deutsches Recht ist in dieser Legislaturperiode eines der ambitioniertesten Gesetzgebungsvorhaben im Umweltrecht. Alles in allem wahrt der Gesetzentwurf materiell in der Kontinuität des bisherigen Immissionsschutzrechts die vernünftige Balance zwischen fortschrittlicher Umweltvorsorge einerseits und notwendiger Sicherung des Industriestandorts Deutschland andererseits. Bestehende Ungleichheiten in Europa hinsichtlich der Umweltstandards werden ausgeglichen und gleiche Wettbewerbsbedingungen hergestellt. Der Koalitionsvereinbarung einer Eins-zu-eins-Umsetzung von EU-Vorgaben ohne eine Absenkung nationaler Umweltstandards wurde Rechnung getragen, und mit den im Umweltausschuss angenommenen Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen werden die Anliegen der Bundesländer zu einem großen Teil aufgegriffen. Ute Vogt (SPD): Ich will ja zugestehen, dass die Umsetzung der Industrieemissionsrichtlinie, IED, ein Kraftakt ist. Dass es schwierig ist, verschiedene Gesetze und Verordnungen unter einen Hut zu bekommen und damit die IED-Richtlinie umzusetzen, ebenfalls. Aber gerade weil dies so ein umfangreiches Regelungswerk ist, ist es umso bedauerlicher, dass die Bundesregierung mit der Umsetzung der IED-Richtlinie in die deutsche Gesetzgebung keine substanzielle Verbesserung für uns in Deutschland erreicht. So wäre es zum Beispiel unerlässlich, zumindest konkrete Anforderungen an die Verbesserung der Energieeffizienz festzuschreiben. Sie lassen die Chance ungenutzt, obwohl die Richtlinie solche Regelungsmöglichkeiten nicht nur zulässt, sondern ausdrücklich vorsieht. Es ist bereits jetzt nicht einfach, Außenstehenden zu vermitteln, was die IED genau ist und was wir mit der Umsetzung alles regeln. Dass die IED eine der wichtigsten Richtlinien zur Genehmigung und Überwachung von Industrieanlagen ist und damit auch unsere hohen deutschen Umweltstandards nach Europa quasi „exportiert“, ist außerhalb der betroffenen Industrien leider selten bekannt. Dass die bisher ungenutzten Energieeinsparpotenziale nicht als Anreiz zur weiteren Verbesserung der Standards mit aufgenommen wurden, ist nicht nachvollziehbar. Denn die frühzeitige Entwicklung und Anwendung fortschrittlicher Anlagentechnik in Deutschland hat nicht nur für ein hohes Umweltschutzniveau gesorgt, sondern dadurch der Allgemeinheit ein höheres Maß an Gesundheitsschutz und der deutschen Wirtschaft einen Wettbewerbsvorsprung gebracht. Ein Kollege der Regierungsfraktionen bezeichnete in der Ausschussberatung das deutsche Immissionsschutzrecht im Ganzen sogar als „Erfolgsstory“. Zu Recht, aus meiner Sicht. Aber warum ist es das? Weil die Stellschrauben von der Politik so genutzt wurden, dass es Anreize gab, stets besser zu sein als die Konkurrenz. Warum will ausgerechnet eine konservativ-liberale Regierung dieses Prinzip nun ändern? Die „Erfolgsstory“ bekommt mit der IED-Umsetzung ein lahmes Ende! Denn ganz klar: Die Industrie braucht unsere politische Unterstützung, um besser zu werden. Der vorliegende Entwurf schafft diese Anreize in Deutschland leider nicht. Nun bin ich bei dieser schwarz-gelben Regierung ja schon froh, dass sie wenigstens so vernünftig war, in der Umsetzung der IED die Festlegung von Emissionsgrenzwerten weitgehend den Werten der bisherigen BVT-Merkblätter entsprechen zu lassen, und eine Abschwächung von Grenzwerten weitestgehend vermieden wird. Darüber hinaus passiert aber leider zu wenig. Die Energieeffizienz ist ein Schlüssel für den Erfolg der Energiewende, das müsste sich doch auch in den Reihen der Regierungskoalition inzwischen herumgesprochen haben. Aber obwohl die Effizienzpflicht bereits festgeschrieben ist, hat dies in der Umsetzung der IED Richtlinie hier keinerlei Konsequenzen. Warum nutzt die Regierung an dieser Stelle nicht die einmalige Chance, Genehmigungsbehörden die Möglichkeit an die Hand zu geben, Effizienzanforderungen an energieerzeugende und energieverbrauchende Anlagen zu stellen? Schließlich bleiben bisher Anlagen vielfach wegen schwacher Anreize, fehlender Information oder auch wegen falsch eingeschätzter Einsparpoten-ziale hinter ihren Möglichkeiten zurück. Mit der vorliegenden weitestgehenden Eins-zu-eins-Umsetzung der IED-Richtlinie vergibt die schwarz-gelbe Regierung die große Chance, gerade im Zusammenhang mit der Energiewende, eigene Effizienzstandards zu definieren, zumal laut Experteneinschätzungen Deutschland die in der EU-Effizienzrichtlinie festgeschriebenen Ziele nach bisherigem Stand verfehlen wird. Effizienzanforderungen hätten über die Umsetzung der IED in nationale Rechtsprechung Einzug halten können, um die von der EU geforderten 1,5 Prozent an Energieeinsparungen zu erreichen. An anderer Stelle werden wir mit Sicherheit nachholen müssen, was hier verpasst wurde, schließlich bleiben nur noch knapp 18 Monate, um Maßnahmen zum Energiesparen vorzulegen. Wir erkennen die Schwierigkeiten, die es bei der Umsetzung der IED in deutsche Gesetzgebung gibt, an. Es entschuldigt aber nicht, dass der Entwurf hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Deshalb werden wir diesem nicht zustimmen und enthalten uns der Stimme. Gerd Bollmann (SPD): Nachdem wir in der letzten Sitzungswoche die Verordnung zur Umsetzung der europäischen Richtlinie über Industrieemissionen verabschiedet haben, beraten wir heute über den entsprechenden Gesetzentwurf. In diesem Zusammenhang möchte ich einmal das Bundesumweltministerium loben. Auch unsere Fraktion ist frühzeitig über die Pläne zur Umsetzung der Emis-sionsrichtlinie informiert worden. Leider ist dieses Vorgehen die große Ausnahme, nicht nur in der Umwelt-politik, sondern im gesamten Regierungshandeln. Insgesamt ist die Umsetzung der europäischen Industrieemissionsrichtlinie in deutsches Recht gut gelungen. Dies liegt zum Teil auch daran, dass neue europäische Vorgaben in Deutschland bereits vorher Gesetz waren oder zum Beispiel neue Grenzwerte in der Praxis bereits eingehalten werden. Sowohl in der Verordnung als auch in dem Gesetzentwurf wurden keine schwerwiegenden Fehlentscheidungen gemacht. Trotzdem hat unserer Meinung nach die Bundesregierung die Chance vertan, mehr für Umwelt- und Gesundheitsschutz zu tun. Wir sind der Auffassung, dass die Umsetzung der Konzeption nicht vollständig den Ansprüchen genügt, da es in Deutschland durch anspruchsvolle Genehmigungs-auflagen, zum Beispiel bei Abfallverbrennungsanlagen, -bereits zu erheblich niedrigeren Betriebswerten kommt, als im Verordnungsentwurf vorgeschrieben werden soll. Folglich wird dadurch die Chance vergeben, den -Umwelt- und Gesundheitsschutz in Deutschland den Möglichkeiten entsprechend voranzubringen. Ein Beispiel hierfür ist die Festlegung der Quecksilbergrenzwerte. Das Umweltbundesamt hat einen niedrigeren Grenzwert von 3 Mikrogramm für Quecksilber vorgeschlagen, und dies sollten wir umsetzen. Auch die Grenzwerte für die Freisetzung von Feinstaub, sowohl für Kohlekraftwerke als auch für die Abfallverbrennungsanlagen, sind unserer Ansicht nach zu hoch. -Insbesondere bei Abfallverbrennungsanlagen liegen die Betriebswerte für die Staubemission schon heute deutlich unter den geltenden und geplanten neuen Grenz-werten. Keine deutsche Abfallverbrennungsanlage wird mit Staubemissionen, Tagesmittelwert, oberhalb von 3 Milligramm Staub pro Kubikmeter betrieben. Rund zwei Drittel der Anlagen liegen sogar unter 1 Milligramm Staub pro Kubikmeter. Somit wird die in der Verordnung vorgesehene Absenkung des Grenzwertes von 10 auf 5 Milligramm pro Kubikmeter keinerlei senkende Auswirkung auf die aktuellen Staubemissionen aus Abfallverbrennungsanlagen haben. Niedrigere Grenzwerte sind möglich und bedeuten keinen Wettbewerbsnachteil. Wir würden damit vor allem die Hintergrundbelastung senken und somit Bürgerinnen und Bürger in hochbelasteten Gebieten helfen. Allerdings gibt es auch einen Bereich, der meiner Meinung nach viel zu lasch geregelt wird. Für Abfallmitverbrennungsanlagen gelten zum größten Teil Ausnahmen bei den Grenzwerten, oder anders ausgedrückt: Zementwerke und Kraftwerke dürfen bei der Mitverbrennung von Abfällen höhere Grenzwerte erreichen. Dies ist nicht gerechtfertigt, sie stehen nicht im internationalen Wettbewerb. Vor allem aber ist es ökologisch nicht vertretbar. In den letzten zehn Jahren hat sich die Emissionsbilanz der Abfallwirtschaft verschlechtert, weil immer mehr Abfall als Ersatzbrennstoff unterhalb vereinfachter Emissionsgrenzwerte verfeuert wird. Dies ist ein entscheidender Punkt: Die Emissionswerte, die Luftqualität um diese Abfallmitverbrennungsanlagen hat sich verschlechtert, nicht nur bei Feinstaub, auch bei anderen Emissionen, besonders bei Queck-silber. Viele Menschen haben gerade bei der Abfallverbrennung für strenge Grenzwerte gekämpft. Die kommunalen Entsorger haben Millionen Euro in die Verbesserung der Müllverbrennungsanlagen gesteckt. Kommunale Müllverbrennungsanlagen gehören inzwischen zu den „besten“ Anlagen in Deutschland. Mutwillig wird dieses mit den Ausnahmeregelungen unterlaufen. Außerdem entsteht ein Ökodumping zulasten von Kommunen, Umwelt- und Gesundheitsschutz. Weil die Mitverbrennungsanlagen geringere Auflagen haben, können sie niedrigere Preise nehmen. Infolge dieses Ökodumpings müssen gut ausgebaute, technisch anspruchsvolle Müllverbrennungsanlagen, vor allem kommunale, nicht kostendeckende Preise zahlen. Dies lehnen wir ab. Zugunsten von Umwelt, Luftreinhaltung und einem fairen Wettbewerb müssen die gleichen niedrigen Grenzwerte für die Verbrennung von Abfall gelten. Dr. Lutz Knopek (FDP): Mit der EU-Industrieemissionsrichtlinie, die bis zum 7. Januar 2013 europaweit in nationales Recht umgesetzt werden muss, gehen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen weiteren Schritt in Richtung einer Harmonisierung von Umweltstandards und Genehmigungsanforderungen für industrielle Anlagen. Aus deutscher Sicht ist dies unbedingt zu begrüßen, da somit zukünftig endlich europaweite Mindeststandards gelten und nationalem Umweltdumping ein effektiver Riegel vorgeschoben wird. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung und die Änderungsanträge der Koalition setzen die Vorgaben der Industrieemissionsrichtlinie weitestgehend im Maßstab eins zu eins in deutsches Recht um. Abstriche von einer Eins-zu-eins-Umsetzung werden dort gemacht, wo die Richtlinie weniger anspruchsvolle Umweltstandards vorsieht als die bestehende nationale Gesetzgebung. Einen Standardabbau in Deutschland wird es definitiv nicht geben. Die Abweichungsklausel des Art. 15 der IED haben wir ebenfalls nur eingeschränkt umgesetzt. Eine vollständige Umsetzung, also die Erweiterung der möglichen Ausnahmen auf lokale und geografische Faktoren, hätte zwar nicht zwangsläufig einen Standardabbau in Deutschland bedeutet. Jedoch ist dieser immissionsseitige Ansatz nur schwer mit dem emissionsseitigen Ansatz des bewährten deutschen Konzeptes des Standes der Technik in Einklang zu bringen. Wir haben uns deshalb dafür entschieden, die bestehende Systematik des deutschen Immissionsschutzrechtes unverändert beizubehalten. Mit Blick auf die zu erwartende weitere Europäisierung des Umweltrechts sollten jedoch frühzeitig Überlegungen angestellt werden, ob dieser Weg auch zukünftig zielführend ist. Der Gedanke des integrierten Umweltschutzes ist unaufhaltsam auf dem Vormarsch, und Deutschland – so eine jüngere Untersuchung des Zen-trums für Europäische Wirtschaftsforschung – läuft durch seine starre Grenzwertfixierung Gefahr, hier den Anschluss an technologische Entwicklungen zu verlieren. Die größte Herausforderung dieses Gesetzgebungsverfahrens besteht sicherlich darin, angemessene Regelungen für die Umsetzung der Richtlinienanforderungen bezüglich des Bodenzustandsausgangsberichts zu finden. Ich darf daran erinnern, dass wir diesen in Deutschland unisono immer abgelehnt haben, da er aufgrund des bestehenden deutschen Bodenrechts schlicht überflüssig ist und auch nur schwer mit unseren nationalen Regelungen in Einklang zu bringen ist. Die jetzt im Gesetzentwurf und im Änderungsantrag der Koalition gefundene Regelung wird hoffentlich dafür sorgen, dass die europarechtlichen Anforderungen mit so wenig bürokratischem Aufwand wie möglich erfüllt werden können. Ich appelliere hier an die Vernunft der Länder, die neuen Kompetenzen nicht für andere Zwecke zu zweckentfremden. Das regelmäßige Anbohren dichter Bodenwannen, wie es von einigen Seiten ja bereits propagiert wird, wird diesem Anspruch jedenfalls nicht gerecht. Da sollten die Vollzugsbehörden doch noch einmal in sich gehen und genau überlegen, ob es nicht zweckdienlichere Ansätze gibt. Zum Schluss noch einen Satz zur Kritik der SPD und der Grünen, dass der Gesetzentwurf keine Ermäch-tigung zur Auferlegung von Energieeffizienzvorgaben enthält. Eine solche Regelung ist aus unserer Sicht aufgrund des Emissionshandels schlicht überflüssig. Die Unternehmen selbst haben dadurch bereits den größten Anreiz zu rationaler Energiebewirtschaftung. Eine gesetzliche Regelung würde zudem nur Kosten verursachen, ohne auch nur ein Gramm CO2 einzusparen. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Was ist wichtiger? Kosten für die Industrie zu vermeiden oder die Menschen unseres Landes vor schädlichen Nebenprodukten der industriellen Produktion zu schützen? Wenn ich den Ausführungen der Koalition folge, ist die Antwort einfach: Zugunsten der Profite verzichtet sie auf den bestmöglichen Schutz von Mensch und Natur. Nachfolgend werde ich etliche Mängel des Gesetzentwurfs zur Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen ansprechen und zeigen, wie die Linke Mensch und Natur vor Schäden bewahren würde. Es ist sicher gut, dass in diesem Entwurf das Prinzip der besten verfügbaren Technik angewendet wird. Leider ist aber eine Überwachung der Umsetzung kaum möglich, weil immer mehr Aufgaben an die unteren -Naturschutz- und Umweltbehörden delegiert werden würden. Diese Behörden wurden von Ihnen aufgrund der finanziellen Situation verkleinert und sollen jetzt immer mehr Aufgaben lösen, womit sie personell überfordert sind. Wenn die Umweltrichtlinien nicht kontrolliert -werden und man nicht damit rechnen muss, bestraft zu werden, dann halten sich viele auch nicht daran. Das ist wie mit dem Tempolimit: Nur wenn Autofahrer Radarfallen befürchten müssen, halten sie sich an das vorgeschriebene Tempo. Auch die Aktualisierung der Merkblätter zur besten verfügbaren Technik könnte besser organisiert werden. Der Prozess ist zu langwierig. Bis die Aktualisierung einer verfügbaren Technik erfolgt, gibt es oft schon eine neue und bessere Lösung. An dieser Stelle könnten wir mit ambitionierteren Vorgaben viel mehr für die Gesundheit erreichen. Die Folgekosten von Umweltemis-sionen trägt schließlich die gesamte Gesellschaft und nicht das jeweilige Unternehmen. Die Eins-zu-eins--Umsetzung der EU-Vorgabe ist in vielen Bereichen gegenüber den bundesdeutschen Maßstäben der TA Luft ein Rückschritt. Das bedeutet mehr Erkrankungen durch Luftschadstoffe. Die Linke lehnt diese Verschlechterung ab. Beim Bodenschutz haben Sie Definitionen gewählt, die einer Interpretation viel Raum lassen. Die Begriffe sind nirgends definiert. Demzufolge laufen die Vorgaben nach diesem Gesetz ins Leere. Man kann nicht juristisch durchsetzen, was nicht definiert ist. Gehen Sie absichtlich so vor, um Firmen Schlupflöcher zu öffnen – so wie Sie umfangreiche Ausnahmen zulassen, um die Pflicht zur Prüfung auf schädliche Stoffe im Boden auszuhebeln? Sowohl die Bestimmungen des Gesetzes als auch die Pflichtprüfungen müssen eindeutig und damit durchsetzbar sein. Hinsichtlich der Informations- und Veröffentlichungspflichten stellte ich im Ausschuss mehrfach die Frage, ob Unterlagen bei einem Antrag zum Bau von umweltgefährdenden Anlagen nur dann veröffentlicht werden müssten, wenn sie in elektronischer Form vorlägen. Wie verhält es sich dann mit Unterlagen, die in schriftlicher Form eingereicht werden? Die Antwort „Dies wird in einer zukünftigen Verwaltungsvorschrift geregelt“ beruhigt mich nicht wirklich. Bleibt nur die Frage: Wann wird diese Verwaltungsvorschrift wirksam? Bis dahin können Firmen die Veröffentlichung umweltrelevanter Anträge verhindern, indem sie diese einfach nur auf Papier einreichen. Wahrscheinlich kommt die Vorschrift aber doch. -Damit die Firmen dann vor unbequemen Nachfragen von Anwohnern und Nachbarn geschützt werden, haben Union und FDP in ihrem Änderungsantrag klargestellt, dass eine Veröffentlichung nicht stattfinden dürfe, soweit Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse von Firmen betroffen seien. Diese Formulierung ist sehr dehnbar. Da kann man gleich festlegen: Daten von Unternehmen brauchen nicht veröffentlicht zu werden. Das wäre wenigstens -ehrlich. Die Linke ist gegen das Ausschalten der öffentlichen Kontrollmöglichkeiten. Wir wollen die Pflicht zur Information. Schon dieser Grund reicht, den Antrag -abzulehnen. Weiterhin legen Sie fest, dass die Behörde sofort nach Eingang der Unterlagen den Eingang bestätigen muss und dass jeder Antrag automatisch als genehmigt gilt, wenn nach Ablauf eines Monats keine Behördenantwort vorliegt. Die personelle Ausstattung der betreffenden Behörden haben Sie verschlechtert, wie ich schon ausführte. Die Aufgaben werden dagegen ständig umfangreicher. Wenn dann ein Unternehmen kurz vor Jahresende oder kurz vor den Sommerferien Unterlagen einreicht, ist die Behörde aufgrund von Personalmangel und Urlaubszeiten nicht mehr der Lage, rechtzeitig den Antrag zu bearbeiten. Über den Trick „Arbeitsüberlastung und kurze -Fristen“ verhindern Sie gründliche Prüfungen und ermöglichen der Industrie, über einen weiteren Weg -Kosten für den Umweltschutz zu vermeiden. Die Linke fordert ausreichend Personal und realistische Bearbeitungszeiten. Damit werden Folgekosten zum Beispiel aus unnötigen Krebs- und Atemwegserkrankungen mit all dem Leid für die Betroffenen und den Belastungen fürs Gesundheitswesen vermieden. Damit inhaltliche Fehler der Behörden, ausgelöst durch Arbeitsüberlastung, Personalmangel und kurze Fristen, nicht zu einer Blockade der Vorhaben der Industrie wegen Klagen vor einem Verwaltungsgericht führen, schränken Sie dann noch das Klagerecht für Umweltverbände massiv ein. Sie setzen kurze Einspruchsfristen und beschränken das Klagerecht auf formale Fehler. Gegen inhaltliche Fehler soll man nicht klagen dürfen. Das ist eine eklatante Verletzung des Rechtsstaates, aber für die Koalition offenbar ein notwendiger Schritt, damit die Industrie ungestört Profite zulasten der Gesundheit einfahren kann. Betroffene und Umweltverbände müssen die Möglichkeit der Überprüfung von behördlichen Fehlern haben. Die Behörden müssen in die Lage versetzt werden, nach Gesetz zu entscheiden, und das Gesetz selbst muss stimmen. Das würde die Linke umsetzen. Ihr Gesetz ist mangelhaft, die Umsetzung des schlechten Gesetzes erschweren Sie zusätzlich, und Korrekturen durch Gerichte verhindern Sie. Die Linke lehnt dies ab und fordert Sie auf, das Gesetz zu korrigieren. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eines der wichtigsten umweltpolitischen Vorhaben der Europäischen Union der letzten Jahre ist die Richtlinie über Industrieemissionen, die nun in deutsches Recht umgesetzt wird. Bereits im Oktober haben wir hier im Bundestag den ersten Teil dieser Umsetzung diskutiert. Die entsprechende Verordnung aber war in Sachen Umweltschutz und Luftreinhaltung ein Reinfall. Leider setzt sich genau dies auch beim jetzt vorgelegten Gesetzentwurf fort. Einer der Kernpunkte der Richtlinie ist die Stärkung der Energieeffizienz, die in Art. 11 als eine Grundpflicht für die Betreiber festgeschrieben wird. Darüber hinaus wird es den Mitgliedstaaten aber zusätzlich freigestellt, für die dem Emissionshandel unterliegenden Anlagen weitere Energieeffizienzanforderungen zu stellen. Die Chance, die Erhöhung der Energieeffizienz hier umfassend als Grundpflicht aller Anlagenbetreiber festzuschreiben, nutzt die Bundesregierung hier in voller Absicht nicht. Dabei ist die Stärkung der Energieeffizienz doch integraler Bestandteil der geplanten Energiewende. Nur wenn es gelingt, in diesem Bereich Fortschritte zu erreichen, kann die Energiewende gelingen. Oder sieht die Bundesregierung dies anders? Dazu aber bedarf es eines funktionierenden Instrumentariums zur Zielerreichung. Hier haben Sie die Möglichkeiten, die die Umsetzung der Industrieemissionsrichtlinie bietet, insbesondere die Möglichkeit, das Anlagenrecht weiterzuentwickeln, ohne Not vergeben. Auch versäumen Sie es, eindeutig zu klären, welchen Stellenwert zukünftig die deutsche TA Luft haben wird im Vergleich zu den Anforderungen der neu eingeführten europäischen BVT-Merkblätter. Diese sollen nämlich den aktuellen Stand der bestverfügbaren Technik festschreiben und setzen damit die europaweiten Standards. Es ist nicht klar, welches Instrument rechtlich höherrangig ist und was gilt, wenn in einzelnen Bereichen in -beiden Dokumenten verschiedene Standards festgeschrieben sind. Wir möchten hier Klärung und fordern, dass die TA Luft rechtlich mit den BVT-Merkblättern zumindest gleichgestellt wird. Es kann nicht sein, dass am Ende schon bestehende hohe Standards der TA Luft nicht mehr angewendet werden müssen, weil in den BVT-Merkblättern niedrigere Standards verankert sind, die dann aber als höherrangig in der rechtlichen Abwägung angesehen werden. Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf sehr kritisch betrachtet und einige sehr gute Änderungsvorschläge verabschiedet. Von denen finden sich zwar einige in den Änderungsanträgen von der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion, die gestern im Ausschuss eine -Mehrheit gefunden haben, wieder, aber leider nicht alle wichtigen. Beispielsweise ignorieren Sie den Bundesratsvorschlag zur Wiedereinführung von Betriebstagebüchern und zur Übermittlung von Jahresberichten im Abfallbereich, dessen Umsetzung eine effektive Stoffstromverfolgung sowie die angemessene Überwachung und ordnungsgemäße Entsorgung der Abfälle sicherstellen würde. Ebenfalls enttäuschend ist Ihre Weigerung, den sogenannten abfallrechtlichen Wertausgleich einzuführen. Dieser hatte bei den Beratungen zum Kreislaufwirtschaftsgesetz eine breite Mehrheit im Bundesrat -bekommen. Damit wären analoge Haftungsrechte zum Bodenschutz- und Wasserrecht im Kreislaufwirtschaftsrecht verankert. Von einer Gewichtung zugunsten der Umweltanforderungen kann bei diesem Gesetz keine Rede sein. Mit fadenscheinigen Argumenten nehmen Sie hier eine minimale Eins-zu-eins-Umsetzung der europäischen Richtlinie vor und ignorieren sämtliche Möglichkeiten zur Stärkung des Umweltschutzes und zum Vorantreiben der Energiewende, die die Richtlinie bietet. Dies lässt uns erneut daran zweifeln, wie ernsthaft Bundes-regierung und Koalitionsfraktionen Umweltschutz und Energiewende betreiben. Vizepräsident Eduard Oswald: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11394, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10486 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Fraktion der SPD. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Fraktion der SPD. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Sven-Christian Kindler, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anbindung deutscher Seehäfen verbessern – Alternativen zur Y-Trasse vorantreiben – Drucksache 17/11352 – Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Ulrich Lange (CDU/CSU): Der Hauptgrund für die Ausbaustrecke/Neubaustrecke, ABS/NBS, Hamburg/Bremen–Hannover, die allgemein als Y-Trasse bezeichnet wird, ist die hohe Belastung der bestehenden Hauptstrecke Hamburg–Lüneburg– -Uelzen–Celle–Hannover/Lehrte. Durch eine teilweise Entmischung von Hochgeschwindigkeits- und Nah-/Güterverkehr soll eine höhere Kapazität für den Güterverkehr und eine verbesserte Pünktlichkeit erreicht werden. Und dies ist dringend notwendig. Es wird prognostiziert, dass der Personenverkehr auf der Schiene von 2004 bis 2025 um 25,6 Prozent und der Güterverkehr um 65 Prozent steigen werden. Wenn Güter transportiert werden sollen, brauchen wir auch die entsprechenden Schienen. Eine gute Anbindung unserer Häfen an das Hinterland ist sinnvoll und notwendig. Deshalb werden derzeit umfangreiche Trassen geprüft, um eine möglichst effiziente Lösung zu finden. Wie ist der derzeitige Sachstand? Die Bedeutung der Y-Trasse für das Zielnetz 2025 wird durch die Aufnahme der Strecke in den Entwurf des Investitionsrahmenplans 2011 bis 2015 als weiteres wichtiges Vorhaben in der Kategorie D verdeutlicht. Die ABS/NBS Hamburg/Bremen–Hannover ist im Vordringlichen Bedarf des Bedarfsplans für die Bundesschienenwege enthalten. Das Projekt dient der Verbesserung der verkehrs- und strukturpolitisch notwendigen Hinterlandanbindungen der deutschen Seehäfen. Zur Beschleunigung der Planung finanziert die -Bundesregierung mit 19 Millionen Euro einen Teil der Planungskosten bis einschließlich Leistungsphase 3 der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure vor. Ein Planungsstopp ist nicht vorgesehen. Zur Y-Trasse gibt es eine raumordnerisch festgelegte Trasse, deren Gültigkeit bis 2016 verlängert wurde. Ein Planfeststellungsverfahren für diese Trasse ist derzeit nicht in Vorbereitung. Im Zuge der Bedarfsplanüberprüfung des Bundes im Jahr 2010 wurden die Planungsparameter für die raumordnerisch festgelegte Y-Trasse angepasst: Güterverkehr auch tagsüber, Höchstgeschwindigkeit 250 Kilometer pro Stunde. Auf dieser Basis werden die notwendigen Baumaßnahmen und die Kostenkalkulation überarbeitet. In der Bedarfsplanüberprüfung beauftragte der Bund die Prüfung von Alternativen: Ausbau der Bestandsstrecken und die Y-Trasse nur für den Güterverkehr in veränderter Trassierung. Eine abschließende Festlegung auf eine dieser Streckenführungen erfolgte nicht. Infolge der derzeit laufenden Vorplanung wird – ausgehend von den Planfällen 9a (modifizierter Neubau der Y-Trasse) und 45 (Ausbau der vorhandenen Strecken) der Bedarfsplanüberprüfung 2010 – gegebenenfalls die verkehrliche Untersuchung von noch nicht gesamtwirtschaftlich bewerteten Alternativen durch den Bund initiiert, für die erforderlichenfalls neue bzw. modifizierte Planfälle geschaffen werden. Die Durchbindung nach Lehrte zur Entlastung des Knotens Hannover wird hierbei mit untersucht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, auch für die Koalition ist die Anbindung der Häfen an das Hinterland von großer Bedeutung. Aber lassen Sie uns die begonnenen Untersuchungen abwarten und dann auf der Grundlage fundierter Ergebnisse die notwendigen Entscheidungen treffen. Wenn ich berücksichtige, dass Überlegungen für eine Neubaustrecke -zwischen Hamburg und Hannover bereits aus dem Jahr 1962 bekannt sind, sollten Sie diese Wartezeit akzeptieren können und gemeinsam mit uns auf der Basis der Prüfungsergebnisse den Ausbau des Schienennetzes -forcieren. Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Ich bin dankbar für den vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Denn hier wird deutlich, dass wir eine Einschätzung teilen: Die Hafenhinterlandanbindungen in Deutschland sind ein sehr wichtiges Thema und verdienen politische Priorität. Logistik, das ist nicht irgendein Gewerbe, sondern die drittgrößte Branche in Deutschland. Im letzten Jahr waren hier über 2,6 Millionen Menschen beschäftigt, und es wurde ein Umsatz von über 220 Milliarden Euro erreicht. Ohne unsere leistungsstarke Logistik wären wir nicht Exportvizeweltmeister, und daher hat die Logistikbranche für die CDU/CSU einen sehr großen Stellenwert. Für eine starke Logistik braucht es starke Häfen und eine starke Anbindung. Ich denke, wir sind mit Bünd-nis 90/Die Grünen ebenfalls einer Auffassung, dass die Anbindung unserer Häfen primär über die Schiene erfolgen soll. Doch was mich sehr verwundert, ist die Fokussierung auf die norddeutschen Seehäfen. Genauso bedeutend für unser Land sind die großen Seehäfen im Westen: Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam. Diese werden vor allem über die Binnenhäfen in Nordrhein-Westfalen angebunden, Duisburg ist der größte Binnenhafen der Welt. Auch hier braucht es eine bessere Hinterlandanbindung. Aus diesem Grund stellen wir im Investitionsrahmenplan, IRP, 2011 bis 2015 für die sogenannte Betuwe-Linie beispielsweise insgesamt 805,7 Millionen Euro bereit, und auch der „Eiserne Rhein“ muss kommen. Auch die Anbindung der deutschen Seehäfen muss verbessert werden. Schon heute sind die vorhandenen Eisenbahnstrecken in dem Dreieck Hamburg–Bremen– Hannover bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit oder sogar darüber hinaus ausgelastet. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Aber welcher? Im Bundesverkehrswegeplan 2003 war die Y-Trasse als Hochgeschwindigkeitsstrecke für Tempo 300 und den Schienenpersonenfernverkehr ausgelegt. Die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Hafenhinterlandanbindung für den Güterverkehr wäre also ausschließlich dadurch zustande gekommen, dass auf den vorhandenen Strecken die Verlagerung des Schienenpersonenfernverkehrs auf die Y-Trasse Kapazitäten frei geworden wären. Die Bedarfsplanüberprüfung vom November 2010 hat die Entscheidung für die Y-Trasse grundsätzlich bestätigt, aber auch die Notwendigkeit von Anpassungen im Interesse einer nachhaltigen Optimierung deutlich gemacht. Die Neukonzeption sieht eine Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf der Neubaustrecke auf 250 km/h und auf der Ausbaustrecke auf 160 km/h vor. Außerdem soll die Y-Trasse für den Güterverkehr geöffnet und bis nach Lehrte verlängert werden. Dadurch sinken die Betriebskosten deutlich, während der Schienengüterverkehrsanteil – und damit der gesamtwirtschaftliche Nutzen – signifikant steigt. Uns liegt daran, die Bürger frühzeitig in einem transparenten und offenen Verfahren in die Planung mit einzubeziehen und ihre Belange so weit wie möglich zu berücksichtigen. Dies hat der Parlamentarische Staats-sekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Enak Ferlemann, sowohl hier in Berlin als auch vor Ort immer wieder versichert. Wir stehen zu einem fairen und offenen Dialog! Und zwar nicht nur bei der Y-Trasse, das kann ich an zwei aktuellen Beispielen verdeutlichen: Vor wenigen Tagen erst hat Bundesminister Dr. Ramsauer das „Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung“ in der endgültigen Fassung öffentlich vorgestellt. Dieses soll den Akteuren bei der Planung von großen Infrastrukturvorhaben einen „Werkzeugkasten“ an die Hand geben, wie es der Minister genannt hat. In dem Handbuch sind verschiedene Anregungen zur Verbesserung der Bürgerbeteiligung enthalten, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Dadurch sollen die Bürger deut-lich früher und umfassender in die Vorhabenplanung eingebunden werden. Bei Erhalt und Ausbau unserer Verkehrsnetze brauchen wir die Akzeptanz der Gesellschaft. Das zweite Beispiel: der Bundesverkehrswegeplan 2015. Noch in dieser Legislaturperiode wird von der christlich-liberalen Bundesregierung hierfür die Grundkonzeption erstellt. Erstmalig wird die Öffentlichkeit dabei beteiligt. Schon im Sommer dieses Jahres hat der Bundesminister ein Konzept vorgestellt, wie diese Beteiligung konkret in die Aufstellung der neuen Bundesverkehrswegeplanung eingebunden werden soll. Die Bürger erhalten die Möglichkeit, sich frühzeitig zu infor-mieren und ihren Standpunkt in einem intensiven Dialog auch selbst einzubringen und dadurch Entscheidungen mit zu beeinflussen. Das ist vorbildliches Handeln im Interesse von mehr Transparenz und Akzeptanz. In diesem Sinne wurden bei der Überprüfung des Bedarfsplans für die Bundesschienenwege selbstverständlich auch Alternativen zur Y-Trasse geprüft. Die Deutsche Bahn AG untersucht deshalb den Ausbau der Bestandsstrecken Lüneburg–Uelzen–Celle und Langwedel–Wunstorf mit einer Machbarkeitsstudie für einen wirtschaftlichen und verkehrlichen Vergleich mit der Y-Trasse und ihrer Verlängerung nach Lehrte. Die Ergebnisse werden voraussichtlich im ersten Quartal des nächsten Jahres vorliegen. Diesen Untersuchungen sehen wir selbstverständlich offen und unvoreingenommen entgegen. Bis dahin können und wollen wir aber die Planungen der Y-Trasse nicht – wie von Ihnen vorgeschlagen – auf Eis legen. Im Gegenteil. Die Bedeutung der Y-Trasse für das Zielnetz 2025 zeigt sich an der Aufnahme der Strecke in den Entwurf des Investitionsplans 2011 bis 2015 als weiteres wichtiges Vorhaben in der Kategorie D. Die Y-Trasse ist im vordringlichen Bedarf des Bedarfsplans für die Bundesschienenwege enthalten. Die Bundesregierung finanziert einen Teil der Planungskosten vor. Zweifelsfrei ist die Y-Trasse ein Großprojekt. Großprojekte führen heutzutage leider in weiten Teilen der Bevölkerung nicht zu Vorfreude und Euphorie, sondern lösen regelmäßig Pawlow’sche Reflexe aus. Technikwahn und Großmannssucht werden dann gern unterstellt, etwas kleiner und billiger – und nach Möglichkeit auch woanders – ginge es doch auch. Diese Reflexe verstellen den Blick auf die Realität. Lassen Sie mich mit einigen Vorurteilen aufräumen: Der Ausbau einer vorhandenen Strecke ist nicht zwangsläufig billiger als eine Neubaustrecke. Der Bau des dritten Gleises auf der Strecke zwischen Stelle und Lüneburg kostet rund 285 Millionen Euro. Der viergleisige Ausbau zwischen Lüneburg und Celle würde rund 2,4 Milliarden Euro kosten. Das ist auch nicht billig. Einfacher ist das ebenfalls nicht: Durch den Ausbau wird die Kapazität der betroffenen Strecken erheblich eingeschränkt. Im obigen Beispiel fuhren die ICE zeitweise 17 Minuten länger, der Metronom wurde manchmal durch Busse ersetzt. Ich frage sie: Ist das wirklich besser als ein Neubau? Ich gebe ja gern zu, dass der Ausbau einer Bestandsstrecke auf den ersten Blick verlockend einfach klingt. Haben Sie schon daran gedacht, welche Schwierigkeiten es gibt, wenn in einem Ort eine Bestandsstrecke um zwei weitere Gleise erweitert werden soll? Ein weiteres beliebtes Argument von Gegnern des Vorhabens ist, dass das Großprojekt sowieso viel zu spät fertig würde, um noch irgendeinen Nutzen zu entfalten. Richtig daran ist nur eines: Jeder Tag Verzögerung verbessert nichts, sondern sorgt nur für Probleme. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch auf eine aktuelle Entwicklung eingehen, die zeigt, welche Wichtigkeit die Bundesregierung dem Ausbau von Hafenhinterlandanbindungen einräumt. 2013 wird der Bund sich erstmals an den Kosten für die Ertüchtigung nichtbundeseigener Eisenbahnen für den Güterverkehr beteiligen. Das Land Niedersachsen hat für 2013 in seinem Haushalt entsprechende Mittel für die Cofinanzierung eingeplant. Damit können dann die EVB-Strecke -Bremerhaven–Bremervörde–Rotenburg/Wümme und die OHE-Strecken zwischen Winsen/Lüneburg und Celle ausgebaut werden. Dadurch wird mit verhältnismäßig wenig Geld schnell bis zur Realisierung der großen Lösung eine merkliche Entlastung geschaffen. Michael Groß (SPD): Deutschland ist ein Industriestandort. Eine starke -Logistik gehört eindeutig zu unseren Zukunftsoptionen, die wir nutzen müssen. Dies gilt umso mehr für die Entwicklung und Sicherung guter Arbeitsplätze mit tarif-gebundenen Löhnen und betrieblicher Mitbestimmung. Um eine zukunftsfähige Mobilität zu gestalten, müssen wir uns den Herausforderungen hinsichtlich der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Verkehrssystems, des demografischen Wandels, des Umwelt- und Klimaschutzes, der stark wachsenden Güterverkehre und des effizienten Einsatzes geringer finanzieller Mittel stellen. Prognostiziert wird eine Steigerung der Güterverkehrsleistung von 637 Milliarden Tonnenkilometer auf 936 Milliarden Tonnenkilometer bis 2025. Für die Straße wird von einem Zuwachs von mehr als 50 Prozent durch Lkw-Verkehre ausgegangen. Das ist weder durch die vorhandene Straßeninfrastruktur realistisch zu stemmen, noch den Bürgerinnen und Bürgern zuzumuten. Ebenso wenig ist es mit unseren umweltpolitischen Zielen vereinbar. Deshalb muss eine Verlagerung auf die Schiene verfolgt werden. Gleichzeitig sieht die Finanzplanung der schwarz-gelben Bundesregierung keine ausreichende Finanzierung für eine bedarfsgerechte Verkehrsinfrastruktur vor. Eine Verbesserung der Hafenhinterlandanbindung ist jedoch dringend geboten. Hierzu müssen wir die richtigen Weichen jetzt stellen. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, wollen verstärkt Verkehre auf umweltfreundlichere Verkehrsträger verlagern. Dies ist auch Bestandteil unserer Konzepte im Rahmen unseres Infrastrukturkonsenses. Natürlich bestehen aus unserer Sicht Kapazitätsengpässe insbesondere im Bereich der Schieneninfrastruktur. Eine Erhöhung des Schienenverkehrsanteils wird daher in den kommenden Jahren nur mit massiven Investitionen in die Infrastruktur umgesetzt werden können. Um quantifizierte Verlagerungsziele zu erreichen, ist es also notwendig, die nötigen Finanzmittel für den Ausbau der Infrastruktur sicherzustellen. Wir fordern daher, zusätzlich 2 Milliarden Euro für den Verkehrsetat vorzusehen. Gleichzeitig ist Verkehrspolitik nicht nur Finanzpolitik. Niemand darf dem Verkehrswachstum einfach hinterherbauen. Wir müssen aus ökonomischen und auch ökologischen Gründen den Anspruch haben, durch -effiziente Organisation von Verkehren und durch eine integrierte Verkehrs- und Siedlungspolitik die bestehende Infrastruktur besser zu nutzen. Hier sind Anreize gefragt, damit vermeidbare Verkehre vermieden und -verbleibende Verkehre umweltfreundlich abgewickelt werden können. Für eine verlässliche, ökonomische, ökologisch sinnvolle und stete Güterabwicklung der Häfen kommt dem kombinierten Verkehr in der Hinterlandanbindung eine Schlüsselrolle zu. Neben der Verbesserung des Verkehrsanteils an der Schiene sollte hier unbedingt das Potenzial der Binnenschifffahrt besser genutzt werden. Wir schlagen ein Reformkonzept vor, um die Verkehrsnetze von morgen zu planen. Wir streben eine Bundesverkehrsnetzplanung an, die den Reformstau überwindet und einen neuen Aufbruch in der Verkehrspolitik ermöglicht. Wir brauchen mehr Geld für die Infrastruktur, aber mehr Geld allein wird nicht genügen. Es muss effizient und mit den richtigen Prioritäten eingesetzt werden. Wir müssen aus Engpass- und Schwachstellenanalysen den Neu- und Ausbaubedarf entwickeln. Nur solche Projekte dürfen in das Zielnetz aufgenommen werden, deren Notwendigkeit zur Beseitigung überregional bedeutsamer Engpässe erforderlich sind und einen hohen volkswirtschaftlichen Nutzen haben. Dazu gehören ohne Zweifel Hafenhinterlandanbindungen. Infrastrukturprojekte müssen allerdings transparent und unter Mitwirkung der Öffentlichkeit ermittelt und politisch festgelegt werden. Eine große Rolle für die -Akzeptanz der zunehmenden Güterverkehre wird die Reduzierung des Lärms an den Strecken haben. Hier gilt es in erster Linie, aktiven Lärmschutz umzusetzen. Die -Umrüstung der Güterwagen muss forciert werden. Entsprechende andere Maßnahmen wie Lärmschutzwände gilt es umzusetzen. Eine weitere Voraussetzung für eine notwendige Lärmreduzierung ist die politische Entscheidung, den Schienenbonus abzuschaffen. Die Planungen und die zeitnahe Realisierung der -Hafenhinterlandanbindung müssen auf jeden Fall durchgeführt werden. Die Y-Trasse ist ein wichtiger Baustein zur Verbesserung der Nord-Süd-Güterverkehre. Bahnchef Grube wird im Oktober dieses Jahres mit den Worten zitiert: „Wir müssen grundsätzlich über die Y-Trasse nachdenken. Im ersten Quartal 2013 soll ein neuer Vorschlag vorgelegt werden.“ Wichtig ist letztendlich eine optimale Lösung. Die Ausfinanzierung der Projekte durch die Bundesregierung auf der Grundlage des Bundesverkehrswegeplanes ist aber zurzeit mehr als kritikwürdig. Es reicht nicht aus, wenn Parlamentarische Staatssekretäre in jedem Bundesland alle Projekte für umsetzbar erklären und die Mittel eigentlich nur nach Bayern fließen. Die Bundesregierung muss endlich die richtigen Prioritäten setzen, gemeinsam mit den Ländern und den Bürgerinnen und Bürgern, für die Realisierung wichtiger Infrastrukturprojekte. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Die Bedeutung der maritimen Wirtschaft in Deutschland kann kaum überschätzt werden. Mit mehr als 380 000 Beschäftigten und einem Umsatzvolumen von über 50 Milliarden Euro ist die maritime Wirtschaft von zentraler Bedeutung für den Wohlstand in unserem Land. Rund ein Viertel des deutschen Außenhandels wird über die deutschen Seehäfen abgewickelt. Und wie wir alle gerne beschwören, lebt die deutsche Wirtschaft vom Export, woraus man durchaus eine maritime Abhängigkeit Deutschlands ableiten kann. Die christlich-liberale Koalition hat in dieser Legislaturperiode die Weichen für die maritime Wirtschaft in die richtige Richtung gestellt. Wir haben beim Maritimen Bündnis Wort gehalten und den Finanzbeitrag an die Seeschifffahrt auf 58 Millionen Euro erhöht, die damit für die Förderung von Beschäftigung und Ausbildung in der Seeschifffahrt zur Verfügung stehen. Wir haben für die dringend benötigte Sanierung der Schleuse am Nord-Ostsee-Kanal in Brunsbüttel gesorgt und den Neubau der fünften Schleusenkammer auf den Weg gebracht. Und auch die Sicherheit der Seewege konnten wir verbessern. Mit dem erweiterten Atalanta-Mandat, forcierter Entwicklungszusammenarbeit und der Ermöglichung des Einsatzes privater Sicherheitsdienstleister auf deutschen Schiffen sind wir bei der Pirateriebekämpfung auf klarem Kurs. Der Ausbau unserer Häfen hat für uns höchste Priorität. Sie sind Deutschlands Tor zur Welt. Ihre Anbindung an internationale Seewege und das Hinterland durch Schiene, Straße und Wasserstraße sichert die nachhaltige Entwicklung unserer maritimen Wirtschaft und damit Arbeitsplätze. Eine gute Anbindung der Seehäfen ist dementsprechend unerlässliche Voraussetzung für zukünftiges Wirtschaftswachstum. Diese Ausgangslage gilt es zu betrachten, wenn wir heute über die Y-Trasse sprechen. Die Y-Trasse ist also kein niedersächsisches Projekt, sie ist kein Bremer Projekt, und sie ist ebenso kein Hamburger Projekt. Sie ist noch nicht einmal ein norddeutsches Projekt. Die Y-Trasse ist von gesamtdeutscher Bedeutung! Alle exportorientierten Wirtschaftszweige Deutschlands sind auf eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur angewiesen, und deshalb möchte ich meine Argumente zur Ablehnung des heute eingebrachten Antrags keineswegs nur als Hamburger Abgeordneter vorbringen. Uns allen muss klar sein, dass die Anbindung nicht für verkehrspolitische Experimente missbraucht werden darf. Verlässlichkeit ist oberstes Gebot. Die Grünen scheinen hingegen mit dem vorliegenden Antrag wieder einmal ihr Fähnlein in den Wind halten zu wollen. Schon bei der Fahrrinnenanpassung der Elbe hatten die Grünen zunächst den Umweltverbänden öffentlich ihre Unterstützung zugesagt, dann aber während ihrer Regierungszeit in Hamburg die Fahrrinnenanpassung auf den Weg gebracht. Statt jedenfalls die Elbe in den Zustand vor dem Elbehochwasser in 2002 versetzt zu haben, feiern sie jetzt die Klage der Naturschutzverbände. Es ist sehr bedauerlich, dass durch den Eilantrag von NABU und BUND die dringend notwendige Elbeanpassung voraussichtlich um Jahre verzögert wird. Das Seeschiff ist das umweltfreundlichste Verkehrsmittel. NABU und BUND und ihre grünen Partner in den Parlamenten Norddeutschlands haben ihren eigenen Interessen also ein fulminantes Eigentor beschert. Sowohl in Hamburg als auch in Bremen – hier sogar in Regierungsverantwortung – gefährden die Grünen moderne Wasserstraßen. Konsistente Infrastrukturpolitik sieht anders aus. Wir hingegen setzen auf ein schlüssiges Konzept zur Stärkung des maritimen Standorts Deutschland und stehen sowohl zur Elbvertiefung als auch zur Y-Trasse. Ohne die Fahrrinnenanpassungen wird die maritime Wirtschaft in Deutschland im europäischen Wettbewerb an Bedeutung verlieren. Das gefährdet unmittelbar -Arbeitsplätze im norddeutschen Raum und schadet der Exportnation Deutschland insgesamt. Für uns Liberale gehört zur Verbesserung der Hinterlandanbindung der Seehäfen auch eine Stärkung der Binnenschifffahrt. Natürlich kann eine Stärkung der Binnenschifffahrt die Probleme der Hinterlandanbindung nicht alleine lösen. Eine Steigerung des Anteils am Modal Split von derzeit 2 auf 5 Prozent wäre jedoch schon ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Statt weiterer blumiger Prosa wie in dem vorliegenden Antrag fordere ich konkretes Handeln der Grünen zum Beispiel an der Weser. So bleiben sie aber den Beweis moderner, substanzieller Infrastrukturpolitik schuldig. Herbert Behrens (DIE LINKE): Herr Verkehrsminister, sie haben jüngst erklärt, die Verbesserung der Hafenhinterlandanbindung stehe ganz oben auf Ihrer Prioritätenliste. Auch Sie haben offensichtlich erkannt, dass die Steigerung des Güterumschlags in den deutschen Häfen letztlich von der Schiene aufgefangen werden muss und dass dringender Bedarf besteht, in die Bahninfrastruktur zu investieren. In diesem Punkt sind wir uns ausnahmsweise einig. Dass Sie immer noch der Meinung sind, mit einem Großprojekt wie der Y-Trasse die Kapazitätsengpässe auf der Schiene beheben zu können, kann bei der Linksfraktion jedoch nur Kopfschütteln hervorrufen. Wir reden hier über ein Projekt, das längst seinen Rückhalt verloren hat – wenn es diesen jemals gegeben hat. Die Deutsche Bahn stellt die Trasse mittlerweile grundlegend infrage, die Verkehrsverbände haben sich eindeutig gegen das Projekt ausgesprochen, und bei den Menschen in Niedersachsen stieß sie nie auf Gegenliebe. Warum ist dem so? Ich kann es Ihnen sagen: Das Projekt Y-Trasse löst keines der akuten verkehrspolitischen Probleme, sondern steht einem sachgerechten und vor allem umgehenden Ausbau der Bahninfrastruktur im Wege. Selbst für einen Laien ist unmittelbar erkennbar, dass eine auf Hochgeschwindigkeitsverkehr ausgelegte Trasse wohl kaum Kapazitäten für die Aufnahme von Güterverkehren vorhalten kann. Diese für Sie unliebsame Wahrheit wurde gleich durch mehrere verkehrswissenschaftliche Analysen bestätigt. Wer also behauptet, dass auf einer Hochgeschwindigkeitstrasse auch riesige Gütermengen transportiert werden können, betreibt schlicht Etikettenschwindel. Der Klarheit in Bezug auf den verkehrstechnischen Nutzen der Y-Trasse steht eine völlige Ungewissheit bezüglich der zu erwartenden Kosten gegenüber. Die im Bundesverkehrswegeplan von 2003 errechneten Kosten von 1,3 Milliarden Euro sind nicht mal ein grober Richtwert. Eine Trasse, die sowohl Personenfernverkehr als auch Güterverkehre aufnehmen kann, kostet mindestens das Dreifache. Das Umweltbundesamt hat hierfür bereits 2010 knapp 4 Milliarden Euro veranschlagt. Dies können Sie nicht wegdiskutieren. Völlig unklar ist auch, wann die Y-Trasse denn ans Netz gehen und den von Ihnen unterstellten Kapazitätseffekt entfalten könnte. Genau genommen liegt nicht einmal eine landesplanerische Feststellung vor, da hier eine reine Personenverkehrsverbindung projektiert wurde. Bis alle Planungsebenen durchlaufen sind und vor allem Geld aus dem bis 2020 ausgelasteten Investitionsetat bereitsteht, könnten noch Jahrzehnte ins Land gehen. Die schienenseitige Hinterlandanbindung der Seehäfen muss jedoch sofort verbessert werden; denn durch die Eröffnung des JadeWeserPorts wird der Druck auf die ohnehin schon ausgelasteten Schienenverbindungen zukünftig beträchtlich steigen. Die Y-Trasse ist ein verkehrspolitisches Fossil, das Milliarden verschlingt und zudem in absehbarer Zeit nicht zu realisieren ist. Dies wird auch im Antrag der Grünen völlig zu Recht angemahnt. Die Linke unterstützt daher den Vorstoß, Alternativplanungen zur Y-Trasse unter umfassender Bürgerbeteiligung voranzutreiben. Die Linke-Landtagsfraktion in Niedersachsen hat bereits im November 2008 eine Studie mit einem umfangreichen Gegenkonzept zur Bewältigung des Seehafenhinterlandverkehrs vorgestellt. Wir fordern seit Jahren, dass durch die Ertüchtigung des Bestandsnetzes und den gezielten Ausbau der Knotenbahnhöfe das Schienenverkehrsnetz schrittweise dem Bedarf angepasst wird. Diese Herangehensweise ist viel flexibler, zeitsparender und nicht zuletzt weit weniger kostenintensiv, als mit -aller Macht an einem Alles-oder-nichts-Projekt wie der Y-Trasse festzuhalten. Der Antrag der Grünen geht auch in dieser Hinsicht genau in die richtige Richtung und findet unsere volle Unterstützung. In einem Punkt sind wir jedoch entschiedener als die Grünen: Wir wollen die weiteren Planungen für die Y-Trasse nicht nur ruhen lassen, sondern ein für alle Mal beenden. Die im Planungsprozess für dieses Großprojekt gebundenen Mittel müssen sofort freigesetzt -werden. Es wurden viel zu lange personelle wie finanzielle Planungskapazitäten für dieses antiquierte Projekt gebunden. Nur ein konsequenter Schnitt kann den Weg für eine schnelle Planung und Umsetzung der notwendigen Infrastrukturmaßnahmen freimachen. Um den Herausforderungen eines wachsenden Güterverkehrsaufkommens gerecht zu werden, muss Verkehrsinfrastruktur endlich integriert geplant werden. Ohne schlüssiges Gesamtkonzept, welches effektive Einzelmaßnahmen bündelt, ist der Kollaps der norddeutschen Schienenwege vorprogrammiert. Herr Verkehrsminister, es liegt in Ihren Händen, diesen Kollaps noch abzuwenden. Dabei möchte ich Ihnen eines mit auf den Weg geben: Als die Y-Trasse geplant wurde, gab es noch zwei deutsche Staaten, die durch den Eisernen Vorhang getrennt wurden. Es an der Zeit, sich von diesem Projekt zu verabschieden und verkehrspolitisch im vereinigten Deutschland anzukommen! Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Hafenhinterlandverkehr wächst in Norddeutschland seit Jahren kontinuierlich an. Um diesen wachsenden Güterverkehr auf die Schiene zu bringen, brauchen wir endlich realistische und vernünftige Konzepte. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass eine erhebliche Lücke zwischen geplanten Projekten der Verkehrsinfrastruktur und den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln des Bundes besteht: Das zeigt sich am deutlichsten beim Blick auf den aktuellen Bundesverkehrswegeplan. Über 80 Prozent der bis 2015 geplanten und bereits als prioritär eingestuften Neubauprojekte bei Straße und Schiene sind nicht finanziert! Für den Straßenbereich sind 6,3 Milliarden Euro Bundesmittel vorgesehen, geplant sind aber Projekte mit einem Gesamtvolumen von 33 Milliarden Euro. Das gleiche Bild haben wir bei der Schiene. Hier stehen offenen Projekte mit geplanten Gesamtkosten von rund 38 Milliarden Euro gerade einmal rund 4,5 Milliarden Euro real zur Verfügung stehenden Mitteln gegenüber. Angesichts dieser Lücke zwischen Planung und verfügbaren Geldern muss doch auch dem Letzten klar sein: Wir haben es hier beim Bundesverkehrswegeplan nicht mit einer vermeintlichen Unter-finanzierung des Infrastrukturplanung zu tun, sondern mit einer hemmungslosen Überbuchung! Ursache dieser Überfrachtung ist eine Projektauswahl und Priorisierung durch ein intransparentes Zusammenspiel aus regional- und landespolitischen Interessen, zu niedrig angesetzten Baukosten und unrealis-tischen Verkehrsprognosen. Einmal aufgenommene Projekte werden über Jahrzehnte weiter mitgeschleppt, eine kritisch und ergebnisoffene Prüfung findet nicht statt! So wird stoisch an uralten Prestigeprojekten festgehalten, obwohl sich die Rahmenbedingungen völlig geändert haben. Dieses Weiter-so grenzt in vielen Fällen wirklich an Realitätsverleugnung. Ich beschreibe das deswegen so ausführlich, weil all dies heute am hier debattierten Projekt der Y-Trasse geradezu exemplarisch nachzuvollziehen ist. Die Ursprünge des Projektes Y-Trasse liegen in den späten 80er-Jahren: Helmut Kohl ist in der Mitte seiner Kanzlerschaft, Georg Bush senior ist Präsident der USA, und der ICE-Hype in Deutschland ist groß. 1992 wird dann die Y-Trasse als Personenfernverkehrsstrecke in den Verkehrswegeplan aufgenommen und soll als Hochgeschwindigkeitstrecke rund 13 Minuten Fahrtzeit zwischen Hamburg und Hannover und rund 8 Minuten zwischen Bremen und Hannover einsparen. Geplante Gesamtkosten für diesen Zeitgewinn: 2,5 Milliarden Deutsche Mark, umgerechnet 1,28 Milliarden Euro. 20 Jahre später findet sich das Projekt immer noch in den Planungsunterlagen des Bundes. Es soll nun für die Lösung der Engpässe im Hafenhinterlandverkehr herhalten. Im Bundesverkehrswegeplan ist der veranschlagte Gesamtkostenansatz für diese Lösung rund 1,5 Milliarden Euro, im Wesentlichen eine einfache Fortschreibung des uralten Kostensatzes von 1992. Nach aktuellen Kostenschätzungen von unabhängigen Verkehrsexpertinnen und -experten würden die Gesamtkosten deutlich höher bei mindestens 4 Milliarden Euro liegen. Gleichzeitig weisen verkehrswissenschaftliche Einrichtungen und Verbände vehement darauf hin, dass die Y-Trasse trotz dieser exorbitanten Kosten zur Lösung der Engpässe im Hafenhinterlandverkehr konzeptionell schlicht und einfach ungeeignet sei. Die als Hochgeschwindigkeitsstrecke geplante Strecke kann – auch wenn dies auf Biegen und Brechen behauptet wird – den dringend notwendigen Umfang an Kapazitätsgewinnen für den Güterverkehr nicht bereitstellen. Hinzukommt, dass das Y eine klassische Alles-oder-nichts-Planung ist. Nutzbar wäre die Strecke erst bei vollständiger Fertigstellung, also frühestens in den 2020er-Jahren und käme damit für den vorher anwachsenden Bedarf viel zu spät. Zu einem entsprechend vernichtenden Urteil kommt auch das Umweltbundesamt in seiner Studie „Schienennetz 2025/2030; Ausbaukonzeption für einen leistungsfähigen Schienengüterverkehr in Deutschland“. Ich zitiere: „Das Y ist der sichere Weg, den Vor- und Nachlauf der norddeutschen Seehäfen zu verstopfen. Umso unverständlicher ist das Plädoyer der Hafenwirtschaft, der Kammern und der Landesregierungen zugunsten dieses Großprojektes.“ Alternativen für eine zeitgemäße und effektive Seehafenhinterlandanbindung liegen auf dem Tisch und dürfen durch Schwarz-Gelb in Niedersachsen und im Bund nicht länger durch ein fortwährendes Klammern an das 90er-Jahre-Relikt Y-Trasse beiseite geschoben und gezielt ignoriert werden. Der zweigleisige Ausbau der Strecke Rotenburg–Verden muss abgesichert werden, die Strecke Hamburg–Lüneburg–Celle ausgebaut sowie die Amerika-Linie Bremen–Soltau–Uelzen–Stendal weiter ertüchtigt werden. Bei all diesen Vorhaben müssen die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger vor Ort ernst genommen werden und durch eine echte, offene und faire Bürgerbeteiligung umgesetzt werden. Das heißt insbesondere, dass ein besonderes Augenmerk auf die umfassende Umsetzung des Lärmschutzes im Bereich der Ausbaustrecken gelegt wird. Auch wenn es die Herren McAllister und Bode in Niedersachsen nicht gerne hören: Die Fakten sprechen eine nur zu deutliche Sprache: Die Y-Trasse ist veraltet, zu teuer und kommt zu spät. Deswegen geht inzwischen sogar Bahnchef Grube auf Distanz zur Y-Trasse. Es ist Zeit für eine finanzpolitisch realistische und zukunftsorientierte Planung von Verkehrsinfrastruktur. Schwarz-Gelb muss sowohl hier in Berlin als auch in Niedersachsen endlich die Zeichen der Zeit erkennen. Wir Grüne wollen mit überzeugenden Konzepten für den Hafenhinterlandverkehr die Güter auf die Schiene bringen. Die unsinnige und teure Y-Trasse brauchen wir dafür nicht. Vizepräsident Eduard Oswald: Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11352. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP wünschen Überweisung, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Enthaltungen? – Keine. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 17/11352 nicht ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten -Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Flaggenrechtsgesetzes und der Schiffsregisterordnung – Drucksache 17/10772 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) – Drucksache 17/11307 – Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Werner Kammer Uwe Beckmeyer b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Johannes Kahrs, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Maritimes Bündnis fortentwickeln – Schifffahrtsstandort Deutschland sichern – Drucksachen 17/10097, 17/11307 – Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Werner Kammer Uwe Beckmeyer Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Kollege Enak Ferlemann für die Bundesregierung. Bitte schön, Herr Staatssekretär Enak Ferlemann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Sehr geschätzter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir, wenn auch zu vorgerückter Stunde, heute doch noch ein bisschen über internationale Seeschifffahrtspolitik sprechen wollen; diese ist in der Tat eine einzigartige Erfolgsgeschichte der Bundesregierung. Sie ist gekennzeichnet durch die Stichworte Tonnagesteuer, Lohnkostenzuschüsse, Lohnsteuereinbehalt und Ausbildungsplatzförderung. Wir haben in den letzten Jahren das Maritime Bündnis, das sehr positive Auswirkungen hatte, weiterentwickelt, insbesondere was die Ausbildung und die Beschäftigung in Deutschland angeht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kaum ein Seeschifffahrtsstandort hat sich so dynamisch entwickelt wie der deutsche. Das spricht dafür, dass wir die richtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gesetzt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt haben. Angesichts der aktuellen Herausforderungen, die wir haben – Stichworte dazu sind: Schiffsfinanzierung, Tonnagekapazitäten, Frachtraten, Entwicklung des seemännischen Personals auf See und an Land –, befindet sich die Seeschifffahrt im wahrsten Sinne des Wortes in einem sehr schwierigen Fahrwasser. Vor diesem Hintergrund dürfen wir uns auf dem Erreichten nicht ausruhen; wir müssen vielmehr den Schifffahrtsstandort Deutschland weiter fit für die Zukunft machen. Ich begrüße sehr, dass der Haushaltsausschuss, insbesondere auf Anregung meines Kollegen und Freundes Eckhardt Rehberg, die Finanzbeiträge für die Seeschifffahrt im Haushaltsjahr 2012 von 28,7 Millionen Euro auf 57,8 Millionen Euro erhöht hat und diesen Betrag auch für das Haushaltsjahr 2013 in den Haushaltsberatungen wieder so vorsieht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kombiniert ist das Ganze mit dem Versprechen des Verbandes Deutscher Reeder, auch einen Eigenbeitrag von rund 30 Millionen Euro jährlich zu erbringen. Ich glaube, das ist ein einmaliger Vorgang in Deutschland. Wir werden nur gemeinsam dieses Bündnis vertrauensvoll fortsetzen können. Deswegen bleibt es unverändert bei den Zielen der Bundesregierung: Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit des Schifffahrts- und Reedereistandorts Deutschland verbessern, eine international wettbewerbsfähige, qualitativ hochwertige und leistungsstarke Handelsflotte sowie sichere und zukunftsfähige Arbeitsplätze im maritimen Bereich in Deutschland haben, an Bord wie an Land. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden zielgerichtet Maßnahmen in Angriff genommen, um diese Ziele zu erreichen. Wer zukünftig ausflaggt, muss die dadurch entstehenden Nachteile für den Standort Deutschland ausgleichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dieser Ausgleich besteht in erster Linie in der Aufrechterhaltung der Schiffe als Ausbildungsplatz, auch wenn sie ausgeflaggt sind. Ausnahmsweise darf ein Ablösebetrag gezahlt werden. Dieser Ablösebetrag geht zweckgebunden an einen Fonds, den der Verband Deutscher Reeder als private Einrichtung verwaltet. Zweck dieser Einrichtung ist es, die nautische und technische Ausbildung, Qualifizierung und Fortbildung von Besatzungsmitgliedern zu fördern, die auf in inländischen Schiffs-registern eingetragenen Seeschiffen beschäftigt sind. Lieber Uwe Beckmeyer, ich hoffe, dass du uns wenigstens heute einmal – du bist ja oft unterwegs als jemand, der die Regierung anklagt, (Sören Bartol [SPD]: Zu Recht!) leider wenig erfolgreich – lobst und sagst: Das habt ihr richtig gut gemacht. – Du hättest uns doch nie zugetraut, so etwas hinzubekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Ihr fahrt das Ding doch an die Wand!) – Lieber Kollege aus Hessen, du weißt doch gar nicht, wie ein Seeschiff aussieht. Nun sei hier nicht so laut. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich darf mich sehr herzlich bei dem maritimen Koordinator, meinem Freund Staatssekretär Hans-Joachim Otto, für die exzellente Zusammenarbeit auch in diesem Bereich bedanken. Insbesondere gilt mein Dank Eckhardt Rehberg, der der Initiator dieser Sache war. Ich glaube, mit Blick auf die maritime Konferenz, die am 8./9. April nächsten Jahres in Kiel stattfinden wird, kann man sagen: Wir haben ein tragfähiges Fundament geschaffen, um den maritimen Standort Deutschland und das maritime Fachwissen in Deutschland zu stärken. Ich würde mich sehr freuen, wenn der vorliegende Gesetzentwurf heute eine breite Mehrheit in diesem Parlament bekommen würde; denn er trägt deutlich zu einer nachhaltigen Stärkung des maritimen Standorts Deutschland bei. Das ist ein guter Tag für den deutschen Seeschifffahrtsstandort. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Kollege Enak Ferlemann. – Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Uwe Beckmeyer. Bitte schön, Kollege Uwe Beckmeyer. (Beifall bei der SPD) Uwe Beckmeyer (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn es darum geht, zu zeigen, wie Propaganda entsteht, dann ist das das beste Beispiel: Erst erklärt man ein hervorragendes Programm, das andere entwickelt -haben, und vor allen Dingen dessen Erfolge zu seinen eigenen. Gleichzeitig organisiert man mit dem Finanzminister und dem Fachminister, der nicht richtig aufpasst, dass die Mittel für das Programm, das bisher gut und auch auskömmlich ausgestattet war, auf die Hälfte gekürzt werden. Dann sagt die eigene Fraktion, überrascht über das, was die Regierung macht: So geht es aber nicht; wir müssen vielleicht doch wieder ein bisschen aufstocken. Bei der Aufstellung des nächsten Haushaltes, also des Haushaltes für das Jahr 2013, erlebt man dann, dass die Regierung wieder die alte Summe einsetzt. Man fragt sich: Was ist das für ein Hin und Her? (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: -Einsicht!) Haben Sie in der Regierung eigentlich eine eigene Meinung zu diesem Thema, oder müssen Sie immer korrigiert werden? Sie erarbeiten einen Gesetzentwurf, der so schlecht ist, dass er innerhalb von vier Wochen erneut korrigiert werden muss. Man hat nämlich plötzlich festgestellt, dass man vielleicht zu viel Geld einsammelt bzw. mehr, als man eigentlich einsammeln wollte. (Beifall bei der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, man merkt: Das ist ein Schlingerkurs par excellence. Wichtig und gut ist, dass wir seit 2001 in Deutschland ein Maritimes Bündnis haben, das gut funktioniert und über die ganzen Jahre hinweg sehr tragfähig war. Dass es in den letzten vier Jahren für die deutsche Reederschaft ökonomisch schwieriger geworden ist, weiß sicherlich jeder, der sich ernsthaft mit dieser Materie auseinandersetzt. Gleichwohl ist das kein Grund dafür, dass die schwarz-gelbe Koalition an das bisher bewährte Bündnis die Axt anlegt, indem die Bundesrepublik Deutschland als Vertragspartner dieses Bündnis erst einmal aufkündigt und dann sagt: Nun müsst aber auch ihr Privaten euer Scherflein dazu beitragen. Dass es vielleicht gerechtfertigt ist, dass sie auch etwas tun müssen, will ich gar nicht in Abrede stellen. Gleichwohl kann man angesichts der Politik, die dazu geführt hat, nur sagen: Liebe Freunde, haltet euch doch einmal selbst den Spiegel vor: Was habt ihr denn mit diesem Bündnis angestellt? Ihr habt es erst einmal infrage gestellt, und ich finde, das ist nicht gut. Ein selbst verursachtes Haushaltsloch war zunächst einmal die Ursache dafür, dass das ganze Bündnis ins Wanken kam. Was das Zurückholen der Reeder in die Verantwortung betrifft, werden wir sehen, wie es klappt. Ich frage mich, ob am Ende das sich noch nicht bewährte Gesetz, das im Übrigen erst 2013 – wie man hört, erst zur Maritimen Konferenz, wahrscheinlich als große Propagandashow – seine Wirkung entfalten soll, tatsächlich so tragfähig ist, wie Sie es zurzeit angeben. Ich will hoffen, dass Ihnen ein Konstrukt gelungen ist, das am Ende des Tages nicht vor dem nächsten Verwaltungsgericht in der Bundesrepublik Deutschland aus den Angeln gehoben wird, was man nicht ausschließen kann, weil es diverse Reeder gibt, die nicht im VDR organisiert sind und die möglicherweise diese Verabredungen für sich nicht -akzeptieren. Insofern meine ich, dass das, was auf uns zukommt, noch seine Bewährungsprobe zu bestehen hat. Die Fondslösung habe ich noch nicht geprüft. Ich habe auf informellem Weg eine Information bekommen, dass es jetzt beim VDR eine Fondslösung in irgendeiner Form geben soll. Sie bauen einen Gesetzentwurf auf einer solchen Lösung auf, die aber als Basis eines Gesetzes nirgendwo in die Gremien des Deutschen Bundestages eingebracht worden ist. Auch das ist ein Novum, zu dem ich nur sagen kann: Man kann zwar noch dazulernen, wie man hier Politik macht, aber die Basis, auf der Sie diese Politik betreiben, ist ausgesprochen schwach und nicht tragfähig. (Beifall bei der SPD) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden sehen, ob die massiven handwerklichen Fehler, die Sie bisher begangen haben, sich nicht möglicherweise fortsetzen. Uns geht es um die Qualifizierung und Weiterbildung von nautischem Personal, das wir dringend brauchen, weil der Nachwuchsbedarf auch für die deutsche Reederschaft in der Zukunft beträchtlich ist. Die Frage ist: Was passiert eigentlich nach 2018? Wird es da weitere Ausflaggungen geben? Ist dafür eine scheunentorgroße Möglichkeit gegeben? Ich denke, auch hier müssen Sie Antworten liefern. Ich habe die Sorge, dass innerhalb des Gesetzentwurfs noch Koordinaten verschoben werden, die möglicherweise für uns an der Küste bei der Frage von Ausbildung und Beschäftigung eine Gefahr darstellen. „Freifahrtschein für weitere Ausflaggungen“ ist ein weiteres Stichwort. Auch hier, meine ich, muss man aufpassen. Sie haben einen Gesetzentwurf formuliert, der diesen Freifahrtschein am Ende des Tages durchaus möglich erscheinen lässt und ihn nicht grundsätzlich ausschließt. Das ist meines Erachtens schlecht für den maritimen Standort und auch für die Ausbildung und -Beschäftigung in Deutschland. Unser Ziel als Sozialdemokraten ist eindeutig, zum Maritimen Bündnis zurückzukehren. Die Bundesregierung und die Sozialpartner müssen dringend gemeinschaftlich Ziele verabreden, um mehr Handelsschiffe -unter deutsche Flagge zu bringen. Wenn uns ein Vertreter der Christlich Demokratischen Union im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung nach der Anhörung weismachen will, dass all die Fachleute, die da vorgetragen haben, den Gesetzentwurf der Koalition gut finden, dann muss ich sagen: Er war nicht dabei. Wenn man sich die entsprechenden Ausführungen der Fachleute dort noch einmal vergegenwärtigt, dann wird klar: Es waren mindestens drei von vier nicht der Meinung, dass das ein gelungener Gesetzentwurf ist. Insofern bleiben wir bei unserer Position. Wir brauchen ein Maritimes Bündnis. (Zuruf von der CDU/CSU: Unbelehrbar!) Wir brauchen aber etwas Besseres als das, was Sie hier leider Gottes verschlimmbessert haben. Diese Verschlimmbesserungspolitik betreiben Sie zurzeit im Bereich der maritimen Industrie am laufenden Band. Das ist etwas, was uns an der Küste sehr umtreibt und von dem wir nur sagen können: Das gehört zu einer Reihe von Fehlleistungen, die Sie in den letzten Jahren produziert haben. Das ist auch ein Grund dafür, dass diese -Koalition am Ende dieser Legislaturperiode ihren Freifahrtschein für das Regieren in Deutschland abgeben muss. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Das war unser Kollege Uwe Beckmeyer. – Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Otto für die Bundesregierung. Bitte schön, Kollege Hans-Joachim Otto. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: Der ist übrigens auch aus Hessen!) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Lieber Kollege Beckmeyer, eine konstruktive, souveräne Opposition ist in der Lage, auch einer Vorlage der Bundesregierung zuzustimmen, wenn das im gemeinsamen Interesse geboten ist. (Torsten Staffeldt [FDP]: Wohl wahr!) Das, was Sie geboten haben, ist keine souveräne Opposition, sondern eine ganz kleinliche Mäkelei. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, dies ist ein guter Tag für den Seeschifffahrtsstandort Deutschland. Wir senden ein wichtiges Signal in einer aktuell sehr angespannten Situation. Mit diesem Gesetzentwurf, den wir heute beschließen, stärken wir das Maritime Bündnis und stellen es auf eine neue, solide Grundlage. Dass wir heute mit dem Flaggenrechtsänderungsgesetz das Maritime Bündnis auf eine neue Grundlage stellen können, ist vielen zu verdanken. Ich danke ausdrücklich den beteiligten Verbänden, allen voran dem VDR und Verdi, für die große Kooperationsbereitschaft. Ich danke aber ebenso den maritimen Berichterstattern der Koalition dafür, dass sie immer ein offenes Ohr für die wichtigen Anliegen der maritimen Wirtschaft haben. Auch ich nenne an erster Stelle den Kollegen Eckhardt Rehberg, der eine hervorragende Arbeit geleistet hat, aber auch die Kollegen Claudia Winterstein, Bartholomäus Kalb und Torsten Staffeldt. Vielen Dank für Ihr, für euer Engagement für den Schifffahrtsstandort Deutschland. Meine Kolleginnen und Kollegen, so gut das alles ist: Wir dürfen an dieser Stelle nicht stehen bleiben. Die Bundesregierung bekennt sich nach wie vor zur Tonnagesteuer. Für die Wettbewerbsfähigkeit des Seeverkehrsstandortes Deutschland steht damit – zusammen mit der neuen Schifffahrtsförderung – ein besonders leistungsfähiges Instrumentarium zur Verfügung. Mit diesem Engagement der Bundesregierung für den Standort Deutschland erwarten wir nun aber auch von den deutschen Reedern, die gegebenen Zusagen, sich stärker zur deutschen Flagge zu bekennen, einzulösen. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Für die Fraktion Die Linke spricht unser Kollege Herbert Behrens. Bitte schön, Kollege Herbert Behrens. (Beifall bei der LINKEN) Herbert Behrens (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenden wir uns einmal dem eigentlichen Thema zu. Wir haben hier Lobreden gehört über das, was in Form dieses Gesetzentwurfs auf den Tisch gelegt worden ist. Wenn wir einmal wirklich ernsthaft darauf schauen und uns die Entwicklung dieses Gesetzentwurfs vor Augen führen, müssen wir zu einem anderen Ergebnis kommen. Das, was heute vorliegt, ist wirklich – der Begriff wurde schon genannt – eine Verschlimmbesserung dessen, was Sie ursprünglich vorgesehen hatten. Es sollte darum gehen, wieder Schifffahrtsförderung, Ausbildung und Beschäftigung möglich zu machen. Aber hier zeigt sich: Mit dem, was jetzt auf dem Tisch liegt, wird genau das Gegenteil erreicht. Was hier vorgelegt wurde, wird keine Stärkung des Schifffahrtsstandorts Deutschland bewirken, sondern wird dazu beitragen, dass weniger Schiffe unter deutscher Flagge fahren, als das jemals der Fall war. Es wird wahrscheinlich auch nicht die Zahl erreicht werden können, die mit dem -Maritimen Bündnis ursprünglich vorgesehen war. 600 Schiffe sollten es sein. Das hatten die Reeder zugesagt, als das Maritime Bündnis einst das Licht der Welt erblickte. Wir haben diese Zahl kaum je erreicht. Die aktuelle Zahl lautet: 366 Schiffe. Das ist weit entfernt von dem, was sein sollte. Nachdem es einige Irritationen gegeben hatte, hat die Bundesregierung jetzt angekündigt, die Zuschüsse wieder fließen zu lassen. Gleichzeitig haben sich die Reeder verpflichtet, zusätzliches Geld lockerzumachen; die Gebühren für Ausflaggungsmaßnahmen werden erhöht. Das soll in die Stärkung des Schifffahrtsstandorts Deutschland fließen. Was macht die Bundesregierung? Anstatt das, was die Reeder zugesagt haben, produktiv aufzunehmen und die Reeder ein Stück weit wieder verpflichtend in das ganze Verfahren einzubinden, wurde ein Gesetzentwurf vorgelegt, der schon zu Beginn keine Qualität hatte und im weiteren Verlauf der Beratungen noch weiter verschlechtert worden ist. Die Regierungskoalition besserte nach – in Anführungszeichen –; während ursprünglich vorgesehen war, 2018 mit der Ausflaggung Schluss zu machen, ist im Änderungsantrag der Regierungskoalition, der im Ausschuss vorgelegt worden ist, davon nicht mehr die Rede, angeblich aus Wettbewerbsgründen. Stattdessen soll 2016 überprüft werden, wie sich das insgesamt entwickelt hat. Ich meine, aufgrund der Erfahrung mit dem Maritimen Bündnis und mit der Zuverlässigkeit des Bündnispartners Reeder können wir schon heute abschätzen, welche Entwicklung das nehmen wird. In dem Gesetzentwurf wird zudem die Bedingung gestrichen, dass nur in wirtschaftlicher Not ausgeflaggt werden darf. Damit wird eine Praxis legalisiert, die uns das Problem, mit dem wir es heute zu tun haben, eigentlich erst beschert hat. Um das besser verkaufen zu können, hat die Koalition zur Bedingung gemacht, dass auf jedem auszuflaggenden Schiff eine Ausbildungsstelle geschaffen werden muss, von der sich die Reeder allerdings freikaufen können – zu einem Betrag zwischen 20 000 und 30 000 Euro. Damit sollten die Ausbildungs- und Lohnkosten subventioniert werden. Aber nun hat die Regierungskoalition auch das korrigiert. Dieser Betrag wurde um 90 Prozent reduziert. Jetzt ist davon die Rede, dass man sich von dieser Verpflichtung mit 2 000 Euro freikaufen kann. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine lächerliche Summe!) Es wäre für Sie, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ausreichend Gelegenheit gewesen, das wirklich -offensiv aufzunehmen, Verbesserungsvorschläge zu -machen und Forderungen aufzustellen, um das, was hier durchgesetzt werden soll, unmöglich zu machen. Sie bleiben mit Ihrem Antrag allerdings weit dahinter zurück. Es hätte wirklich eine Alternative dazu geben können. Der Weg, den Sie mit Ihrem Antrag beschreiten -wollen, ist grundsätzlich richtig. Die sozialen Aspekte werden anders gewichtet als im Regierungsvorschlag. Darum werden wir dem Antrag zustimmen. Aber insgesamt bleibt es dabei: Wir fordern die Bundesregierung auf, die Ausflaggungspraxis konsequent zu stoppen. Dazu gehört mehr als der vorliegende untaugliche Versuch. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Behrens. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Dr. Valerie Wilms. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Wilms. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und, da noch Besucher da sind: Liebe Herren, die Sie zu dieser späten Stunde noch ausgeharrt haben! Worum geht es heute? Es geht um das Flaggenrecht. In der Fraktion wurde ich gefragt: Was ist das? Geht es darum, wie wir die Flagge vor dem Parlament hissen dürfen? Nein, darum geht es nicht. Es geht um die Seeschifffahrt und um die maritime Branche. Gerade die maritime Branche geht derzeit durch eine selbstgeschaffene Blase; denn es geht ihr nicht besonders gut. Mitten in dieser Krise wird über die Zukunft des Maritimen Bündnisses verhandelt. Das war ursprünglich dazu gedacht, möglichst viele Schiffe unter deutscher Flagge fahren zu lassen, um damit Arbeitsplätze an Bord zu sichern. Für dieses Versprechen der Reeder gab es die Quasi-Flat-Tax, genannt Tonnagesteuer, mit der kräftig Steuern gespart werden konnten. Das sind bisher insgesamt knapp 5 Milliarden Euro. Diesen Betrag muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Was wurde aus diesen Vereinbarungen? Die Reeder hielten ihre Zusagen zur Einflaggung nicht ein, und die Politik hatte es schlicht und ergreifend versäumt, für diesen Fall Konsequenzen festzulegen. Jetzt soll es eine neue Vereinbarung geben. Leider hat die Koalition aus den Fehlern von damals nichts gelernt. Dieses Mal geht es um die Ausbildung von Schiffspersonal. Wir alle wollen gut ausgebildete Seeleute. Da gibt es aktuell riesige Probleme. Das kam bei der Anhörung deutlich heraus. Ausgebildete Seeleute, die wir für viel Geld durch unsere Ausbildungslehrgänge an Land -schicken, können ihre Patente nicht ausfahren, weil es keine Arbeitsplätze auf deutschen Schiffen gibt. Kollege Behrens hat es deutlich gesagt: Es gibt noch etwa 366 Schiffe unter deutscher Flagge. Die jetzt im Gesetzentwurf vorgesehene Konstruktion könnte grundsätzlich funktionieren. Wer ausflaggt und ein Schiff unter Billigflagge betreiben will, bezahlt dafür eine deutlich höhere Gebühr. Im Gegenzug verpflichtet sich der Reeder zur Ausbildung. Man kauft sich also aus der deutschen Flagge heraus. Es gibt aber einen entscheidenden Haken; denn die ganze Vereinbarung haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, während der Ausschussberatungen völlig verwässert – zum Nachteil der Ausbildung und zum Nachteil des Bundes. Diese Koalition hat sich das einfach so gefallen lassen. Fehlt Ihnen hier der Mumm, oder warum handeln Sie so zum Nachteil der Seeleute? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was bitte soll eine Kopplung der Ausbildung an die Schiffsgröße? Jetzt soll mit einem Mal auf kleineren Schiffen weniger ausgebildet werden. Sie und ich wissen doch, dass es kaum Unterschiede zwischen großen und kleineren Schiffen gibt. Man braucht fast die gleiche Zahl an Seeleuten. Es wird doch gerade auf große Schiffe gesetzt, weil man hier mit genauso vielen Leuten deutlich mehr transportieren kann. Mit der späten Änderung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, haben Sie dafür gesorgt, dass rund zwei Drittel weniger Ausbildungsplätze für Seeleute zur Verfügung stehen. Diese Änderung haben Sie einfach so gemacht, ohne irgendetwas dafür herauszuholen. Da kann man den Reedern nur gratulieren. Sie von der Koalition frage ich: Wie gut vertreten Sie eigentlich die Interessen unseres Landes? (Torsten Staffeldt [FDP]: Da klatschen nicht einmal Ihre eigenen Leute!) Das frage ich gerade Sie, Herr Staffeldt, von der FDP. Zu diesem Land gehören nicht nur die Reeder, sondern alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Aber es kommt noch besser: Beim letzten Mal gab es keine Konsequenzen, als die Reeder einfach weniger Schiffe unter deutsche Flagge gebracht haben, als sie es versprochen hatten. Deswegen wurde diesmal eine zeitliche Begrenzung ins Gesetz geschrieben. Bis 2018 sollte die Vereinbarung gelten. Dann sollte geprüft werden. Wenn das Ganze funktioniert, sollte verlängert werden. Das ist im Grundsatz vernünftig. Aber was ist daraus geworden? Auf Wunsch der Reeder wurde diese Befristung einfach gestrichen. Sie haben eine neue Dauersubvention daraus gemacht. Es ärgert mich maßlos, dass Sie damit die Kontrolle durch uns, nämlich durch das Parlament, aus der Hand gegeben haben. Auch das ist ohne jegliches Zugeständnis seitens der Reeder geschehen. Auch da kann ich den Reedern nur zu ihrem Geschick gratulieren. Aber dieser Koalition werfe ich vor, dass sie selbst ein vom Grundsatz her -gutes Gesetz schlecht gemacht hat. Sie vertreten unsere Interessen maßlos schlecht. Es wird Zeit, dass diese Wahlperiode zu Ende geht (Torsten Staffeldt [FDP]: Damit wir wiedergewählt werden!) und damit auch die schwarz-gelbe Koalition. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Wilms. – Nächster Redner ist der heute schon öfters gelobte Kollege Eckhardt Rehberg für die Fraktion der CDU/CSU. Bitte schön, Kollege Eckhardt Rehberg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich glaube, es ist ein guter Tag für die deutsche Seeschifffahrt. Nachdem mir so viel gedankt worden ist, möchte ich sagen: Es war mehr als ein Jahr lang das Bohren dicker Bretter; das ist wohl war. Es ist auch keine ganz einfache Materie gewesen. Deswegen möchte ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken, die diesen Prozess konstruktiv begleitet haben. Meine Damen und Herren von der Opposition, der Gesetzentwurf, der heute beraten wird, ist in hundertprozentiger Übereinstimmung mit den Sozialpartnern, mit Verdi und dem VDR, vereinbart und umgesetzt worden. Es handelt sich um eine echte Modernisierung, eine Neubelebung, eine Innovation im Maritimen Bündnis, die wir hier vorgenommen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich frage mich ganz besorgt, Kollege Beckmeyer, was man dagegen haben kann, dass wir seit 1999 – damals insbesondere auf Initiative von Dirk Fischer – mit der Einführung der Tonnagesteuer, die eine europaweit harmonisierte Steuer ist, 1 Milliarde Euro Steuerersparnis für die deutschen Reeder verzeichnen konnten. Damit konnte der Schifffahrtsstandort Deutschland wettbewerbsfähig bleiben. Das hatte zur Folge, dass sich die Zahl der Schiffe, die von Deutschland aus bereedert werden, in zehn Jahren verdoppelt hat. Das hatte auch zur Folge, dass über 6 000 hochkarätige und hochqualifizierte Arbeitsplätze an Land, nicht nur auf See, entstanden sind. Deswegen war die Einführung der Tonnagesteuer ein mehr als erfolgreiches Instrument für den Schifffahrtsstandort Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich habe bereits gesagt, dass wir in Verabredung mit VDR und Verdi gehandelt haben. Wir als Bund stellen 57,8 Millionen Euro für Lohnkostenzuschüsse zur Verfügung. Die Reeder leisten einen Beitrag von 30 Millionen Euro; so lautete die ursprüngliche Verabredung. Wir sind letztendlich zu dem Ergebnis von 57,8 Millionen Euro gekommen; darüber werden wir morgen früh, gegen 5 Uhr, im Haushaltsausschuss entschieden haben. Wir haben die Gebühren auf 10 Millionen Euro erhöht. Herr Kollege Beckmeyer, wie konnten Sie es über sieben Jahre lang zulassen, dass für Ausflaggungen nicht einmal 1 Million Euro veranschlagt wurde, wo man doch einen Nutzen von 1 Milliarde Euro verzeichnet? (Zuruf des Abg. Uwe Beckmeyer [SPD]) Das, was Sie über ein Jahrzehnt versäumt haben, haben wir in diesem Jahr nachgeholt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir mussten Ihre verkorkste Politik korrigieren. Nun werden die Ausbildung und das Ausfahren der Patente von Verdi selbst über eine Stiftung mit Vorstand, Kuratorium und Beirat gesteuert. Das heißt, auf der einen Seite gibt der Staat etwas und verlangt auf der anderen Seite eine Leistung von der Privatwirtschaft. Ich denke, das ist soziale Marktwirtschaft, wie sie gelebt wird und gelebt werden sollte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir erwarten natürlich auch etwas von den Reedern. Frau Wilms, da haben Sie recht – Sie haben es nicht zum ersten Mal gesagt, ich auch nicht –: Nicht die Bundesregierung hat das Maritime Bündnis aufgekündigt. Seit Bestehen des Maritimen Bündnisses gab es keinen einzigen Zeitpunkt, in dem die Reeder über die volle Zeitachse hinweg ihre Zusage hinsichtlich des Fahrens unter deutscher Flagge eingehalten haben. (Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das muss Konsequenzen haben!) Wir waren sehr konziliant mit den Reedern. Deswegen ist es auch an dieser Stelle geraten, zu sagen: Der Staat gibt etwas, aber auch von den Reedern wird etwas abverlangt, nämlich eine Gebühr und eine Primärverpflichtung zur Ausbildung. Hier wird beklagt, dass wir den Ablösebeitrag nach der Größe der Schiffe gestaffelt haben, damit wir auf einen Betrag von rund 20 Millionen Euro kommen. Auch nach der Schiffs-besetzungsverordnung muss ein kleines Schiff einen deutschen Kapitän haben, bei großen Schiffen muss es sieben Besatzungsmitglieder mit deutscher oder europäischer Nationalität geben. Dass wir dann auch die Ausbildung nach der Leistungsfähigkeit der Schiffe staffeln, ist doch ganz normal. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Kollege Beckmeyer, wenn Sie sagen, das Ganze sei immer auskömmlich finanziert gewesen, dann muss ich Ihnen sagen: Nein, auch hier mussten wir Ihren Murks beseitigen, (Uwe Beckmeyer [SPD]: Was? Murks? – Weitere Zurufe von der SPD) nämlich dass die Lohnkostenzuschüsse für die deutsche Seeschifffahrt drastisch unterfinanziert waren. Dass wir in jedem Jahr eigentlich nicht 60 Millionen Euro gebraucht hätten, sondern 80 Millionen bis 90 Millionen Euro, ist erst im Jahr 2011 zutage getreten, als wir die Nachfinanzierung der Jahre 2009 und 2010 mit einer überplanmäßigen Ausgabe von knapp 30 Millionen Euro nachfinanzieren mussten. Das heißt, den Murks von Tiefensee, von Rot-Grün mussten wir in der schwarz-gelben Koalition beseitigen. Das sind die Tatsachen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Das ist totaler Quatsch!) Herr Kollege Beckmeyer, Sie sprechen von „grandiosen Fehlleistungen“. Ich darf Sie hier zitieren. Sie haben für die SPD gesagt: Unser Ziel ist es, zum Maritimen Bündnis zurückzukehren. Kollege Behrens hat die Zahl genannt: Am 30. September dieses Jahres fuhren 366 Schiffe unter deutscher Flagge. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hätten 367 Schiffe sein können: Die SPD hat als Partei (Sören Bartol [SPD]: Oh! Auch das noch!) – da kann man sowieso fragen, warum eine Partei so etwas macht – einen Kreuzfahrer gechartert. Die SPD chartert einen Kreuzfahrer, stellt sich dann hierhin und beklagt, dass nicht genug Schiffe unter deutscher Flagge fahren; aber dieser Kreuzfahrer fuhr unter der Flagge von Madeira, Portugal. (Lachen und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) So viel, meine Damen und Herren, zu Ihrem Tun. -Anspruch und Wirklichkeit liegen bei Ihnen weit auseinander. Sie predigen hier Wasser und trinken selber Wein. (Lachen und Beifall bei der CDU/CSU  und der FDP – Widerspruch bei der SPD – Sören Bartol [SPD]: Portugiesisch! Hör doch auf! So ein Quatsch!) – Getroffene Hund bellen. An dieser Stelle muss man eines wissen: Dieses Schiff fuhr mit einem Blue Certificate der Internationalen Transportarbeiter-Föderation. Das sind die minimalsten Standards, die es auf dieser Welt gibt. Diese Standards sind nicht ansatzweise mit den Sozial- und Arbeitsstandards auf Schiffen unter deutscher Flagge zu vergleichen. Lieber Kollege Beckmeyer, Sie haben dann noch im Verkehrsausschuss gesagt, dass Sie Frau Hendricks darauf hingewiesen hätten, dass man das nicht tun solle, dass das nicht sehr klug sei. Dazu muss ich sagen: Sie sollten demütig sein und diesem Gesetz, das mit Verdi und dem VDR vereinbart wurde, hier und heute einfach zustimmen. (Sören Bartol [SPD]: Oh! Meine Güte!) Dann würden Sie eine gute Tat für den Schifffahrtsstandort vollbringen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Ich wusste gar nicht, dass man eine so gute Karnevalsrede als Norddeutscher halten kann!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Eckhardt Rehberg. – Letzter Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Torsten Staffeldt. Bitte schön, Kollege Torsten Staffeldt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Torsten Staffeldt (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Seeleute, die jetzt auf der 8-12-Wache sind, ich begrüße Sie recht herzlich zu unserer Debatte. Glücklicherweise führen wir diese Debatte heute Abend an dieser Stelle. Ich weiß, dass ich mir damit nicht nur Freunde gemacht habe; aber nichtsdestotrotz halte ich es für sehr wichtig, dass wir diese Debatte hier im Deutschen Bundestag führen, weil sie letztendlich dazu dient, die Sea Blindness, die in Deutschland leider an vielen Stellen vorhanden ist, ein wenig zu überwinden. (Sören Bartol [SPD]: Ich hoffe auf die Fünfprozenthürde!) Es ist eben nicht ausreichend, in Sonntagsreden zu sagen: Seefahrt und Schifffahrt sind uns wichtig. Es ist wichtig, dass wir darüber auch hier im Deutschen Bundestag debattieren und klarmachen, was die unterschiedlichen Standpunkte der Parteien sind. Ich finde, die Standpunkte der Opposition sind nicht besonders positiv. Die Standpunkte der Regierungskoalition sind jedoch sehr positiv. Mit dieser Debatte wird die Sea Blindness ein wenig überwunden. Ich freue mich, dass wir sie heute Abend hier führen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Es ist schon Nacht!) Zu den Inhalten ist eigentlich alles gesagt worden. Ich möchte nur auf einige Punkte eingehen, die mir persönlich sehr wichtig sind, insbesondere auf den Punkt des Ausfahrens der Patente. Lieber Kollege Beckmeyer, in der letzten Verkehrsausschusssitzung haben Sie sogar gesagt, dass es richtig ist, was wir machen, und dass Sie es gut finden. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Was? Lesen Sie das Protokoll der Ausschusssitzung, bitte!) Ich kann Ihnen als Lotsen der SPD-Fraktion im Hinblick auf die Ausgestaltung des Fondsmodells nur den -Ratschlag geben, sich doch einmal beim ehemaligen SPD-Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium schlauzumachen. Er kann Ihnen ganz genau sagen, wie das Fondsmodell ausgestaltet ist, wer darüber gefördert wird und dass darüber auch die von der Kollegin Wilms angesprochenen jungen Patentinhaber gefördert werden. Das ist, wie Sie wissen, ein Punkt, der mir persönlich sehr wichtig ist. Denn es reicht eben nicht aus, die -Ausbildung zu fördern. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Menschen, die den langen Weg der Ausbildung gegangen sind und als Inhaber eines nautischen oder technischen Patents an Bord gehen, die Chance haben, mit den seit 20 oder 30 Jahren aktiven Besatzungsmitgliedern aus anderen Ländern zu konkurrieren, die niedrigere Löhnen beziehen. Das ist ein wesentlicher und wichtiger Punkt. Wie gesagt, der ehemalige SPD-Staatssekretär, der jetzt Geschäftsführer des VDR ist, kann Ihnen sicherlich dazu Auskunft geben. Ich gebe Ihnen gerne die Telefonnummer, sodass Sie hier kein dummes Zeug erzählen müssen, lieber Kollege Beckmeyer. Es wurde schon mehrfach gesagt: Es ist eine Erfolgsgeschichte. Das ist ein guter Tag für die Seeschifffahrt. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Ja, dann setzen!) Ich freue mich über das, was wir erreicht haben. Es war ein langer, harter und schwieriger Weg. Kollege Rehberg und andere haben daran gearbeitet. Insbesondere der Maritime Koordinator hat nie aufgegeben, das gesetzte Ziel und eine vernünftige Regelung zu erreichen. Ich freue mich, dass wir eine Regelung hinbekommen haben, die eine gewisse Parität zwischen staatlichem Denken und Handeln sowie privatwirtschaftlichem Handeln gewährleistet, eine Regelung also, die dazu führt, dass die Reeder beteiligt werden. (Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dauersubvention!) Da ich einer der wesentlichen Betreiber der heutigen abendlichen Debatte (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Nächt-lichen!) bin, lade ich meine Kolleginnen und Kollegen zum Abschluss meiner Rede als kleine Kompensation herzlich auf ein Getränk in die PG ein. (Zurufe von Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bedanke mich herzlich für diese Debatte. Ich halte sie für sinnvoll. Ich wünsche Ihnen einen schönen Feierabend und den Seeleuten eine gute Wache. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: Total peinlich! Einfach nur peinlich!) Vizepräsident Eduard Oswald: Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11307, den Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/10772 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Fraktion der Sozialdemokraten und die Linksfraktion. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Sozialdemokraten und Linksfraktion. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Tagesordnungspunkt 30 b. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11307, den Antrag der SPD auf Drucksache 17/10097 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien – Drucksache 17/10820 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. – Sie sind einverstanden. Ulrich Lange (CDU/CSU): Vor dem Hintergrund der hohen Haushaltsbelastungen der zunehmend finanzschwachen Kommunen fordern die Linken eine Novellierung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes (EKrG), um zukünftig Kommunen bei Baumaßnahmen im Kreuzungsbereich von Eisenbahnen und kommunalen Straßen von einer Mitfinanzierung freizustellen. Sucht man in dem einseitigen Antrag eine Aussage darüber, wer statt der Kommunen die Kosten übernehmen soll, wird man nicht fündig. Darüber schweigen sich die Linken aus. Die Fraktionen der PDS/Die Linke haben bereits in den Jahren 1997, 1999, 2002, 2006 und 2007 ähnliche Initiativen zur finanziellen Entlastung der Kommunen bei Bau- und Erhaltungsmaßnahmen an Eisenbahnkreuzungen erfolglos eingebracht. Heute erleben wir einen erneuten Versuch. Wie ist die Rechtslage? Da Bahnübergänge sowohl Straße als auch Schiene berühren, sind sie Gemeinschaftsaufgabe. Soll eine technische Sicherung, beispielsweise eine Schranken- oder Halbschrankenanlage, eingebaut oder der Bahnübergang etwa durch ein Brücken- oder Tunnelbauwerk ersetzt werden, müssen Bahn, Bund und Straßenbaulastträger – also der Eigentümer der Straße und damit die Kommune – dieses vereinbaren. Im Zusammenhang mit der Neuordnung des Eisenbahnwesens wurde unter anderem der § 19 des Eisenbahnkreuzungsgesetzes, EKrG, neu gefasst und dahin gehend geändert, dass die bislang gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 EKrG bestehende Sondererhaltungslast der DB für Straßenüberführungen entfiel. Damit waren ab dem 1. Januar 1994 in den alten Bundesländern alle Straßenüberführungen im Zuge von öffentlichen Straßen und Wegen in die Erhaltungslast der Straßenbaulastträger übergegangen. Ich möchte darauf hinweisen, dass mit dem Wegfall der oben genannten Regelung eine Rechtsvereinheitlichung eintrat, da in den neuen Bundesländern die Erhaltungspflicht für Straßenüberführungen schon immer bei den Straßenbaulastträgern lag. Die Kosten für Maßnahmen an Straßenüberführungen, die durch die Ertüchtigung von Schienenwegen -erforderlich werden, sind – sofern der Straßenbaulastträger keine Änderung verlangt – nach den Regelungen des EKrG ausschließlich vom Schienenbaulastträger zu tragen. Wegen der gesetzlichen Duldungspflicht nach § 4 EKrG, die eine wesentliche Grundlage des Gemeinschaftsverhältnisses im Kreuzungsbereich darstellt, kann der Straßenbaulastträger solche -Maßnahmen nicht verhindern. Daher ist nicht ersichtlich, inwieweit die prekäre Haushaltssituation einiger Kommunen zur Behinderung notwendiger Investitionen in die Schienenwege führen sollte. Soweit der Gesetzentwurf zum Ziel hat, dem Bund die finanziellen Lasten für die im Rahmen der kommunalen Baulast anfallenden Aufgaben aufzuerlegen, bestehen in Bezug auf die Grundsätze der Finanzverfassung erhebliche Bedenken. Denn nach Art. 104 a Abs. 1 Grundgesetz haben Bund und Länder und auf deren Seite auch die Kommunen gesondert die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergebenden Ausgaben zu tragen. Bei der Beteiligung verschiedener Baulastträger an Verkehrswegekreuzungen gebietet diese Verfassungsnorm, dass jeder diejenigen Kosten trägt, die dem Anteil seiner -Verpflichtung zur Aufgabenwahrnehmung entsprechen. Erfolgen Baumaßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit an Bahnübergängen, dient dies grundsätzlich gleichermaßen bei den Baulastträgern zur Erfüllung -ihrer Aufgaben. Die derzeitige gesetzliche Regelung in § 13 Abs. 1 EKrG trägt diesem Grundsatz Rechnung. An dieser sachgerechten und klaren Regelung ist somit festzuhalten. Die Freistellung der Gemeinden von ihren originären Aufgaben als Straßenbaulastträger widerspräche auch der Zielsetzung der Föderalismusreform, die politischen Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern klarer zuzuordnen und die Effizienz der Aufgabenerfüllung zu steigern. Mit den grundgesetzlichen Änderungen im Zuge der Föderalismusreform ist auch die Bund-Länder-Mischfinanzierung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, GVFG, entflochten worden. Als Ausgleich für die bisher in die – auch für EKrG-Maßnahmen aufgelegten – GVFG-Landesprogramme fließenden Bundesfinanzhilfen erhalten die Länder seit dem 1. Januar 2007 bis Ende 2019 Bundesmittel in Höhe von 1 335,5 Millionen Euro. Der Antrag der Linken ist nicht zielführend und deshalb abzulehnen. Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU): Die Linke fordert, die Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen zu befreien. Provokant will ich an dieser Stelle fragen: Wieso – um Himmels willen – sollten wir das tun? Wo ist hierfür die rechtliche Grundlage? Kann und darf es genügen, zur Durchsetzung dieser populistischen Forderung ein chronisches Finanzierungsdefizit der Kommunen anzuführen, für das laut der Linken--Kollegen obendrein der böse Bund mit seinen gemeinen Gesetzen der Hauptverursacher sein soll? Ich sage Nein! Die Verfasser dieses Antrags verkennen hierbei die einfachsten und bewährtesten gesetzlichen Prinzipien, wie zum Beispiel die Gebote der Subsidiarität und der Äquivalenz, das hohe Gut der kommunalen Selbstverwaltung, aus dem sich jedoch nicht nur Rechte, sondern eben auch Pflichten – und zwar inklusive etwaiger Finanzierungsrisiken – ergeben, oder die hier entscheidende Grundlage, das EKrG, also das Eisenbahnkreuzungsgesetz. Dieses Bundesgesetz regelt bereits seit 1963 die Handhabung, den Bau und die Finanzierung von Kreuzungen an Bahnen und Straßen. Werden also bestehende Bahnübergänge geschlossen, verändert oder Überführungen neu gebaut, regelt dieses zuletzt 1971 geänderte Gesetz bzw. die 2006 aktualisierte, entsprechende -Verordnung über die Kosten von Maßnahmen nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz klipp und klar die Finanzierung. So gilt bei der Anlage einer neuen Kreuzung das -Verursacherprinzip. Das heißt: Derjenige, der den neu hinzukommenden Verkehrsweg baut, bezahlt auch die Kreuzung. Oder anders: Die Musik zahlt, wer sie -bestellt. Werden zwei unterschiedliche Verkehrswege angelegt, werden die Kosten auch halbiert. Das ist nachvollziehbar und mehr als gerecht. Wenn an höhengleichen Bahnübergängen Baumaßnahmen durchgeführt werden – wir stellen uns vor, ein Bahnübergang muss wegen eines Brückenbaus beseitigt werden oder ein Bahnübergang wird durch Signale gesichert – ,werden die Kosten zwischen den Baulastträgern gedrittelt; sprich: Es kommen also die Deutsche Bahn Netz AG, der Bund oder das jeweilige Land und die entsprechende Kommune zu je einem Drittel für die Kosten auf. Wenn man bedenkt, was die Linken in diesem Antrag herunterzuspielen versuchen, nämlich dass diese -Drittel-Kosten zulasten der Gemeinde grundsätzlich nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz förderfähig sind und dass die Länder vom Bund zusätzlich mit Kompensationszahlungen ausgestattet werden, offenbart sich, wie absurd und ungerechtfertigt eine Befreiung von den ohnehin bereits maßgeblich vom Bund kofinanzierten gedrittelten Kosten ist. Dieser Antrag der Linken ist auch vor dem Hintergrund, dass die Verhandlungen mit den Ländern über eine neue, anschließende Festlegung der Entflechtungsmittel nach 2013 noch andauern, nicht akzeptabel. Am selben Tag, an dem dieser Antrag amtlich wurde, nämlich am 24. Oktober 2012, hat der Haushaltsausschuss des Bundes übrigens beschlossen, einen neuen Titel zur anteiligen Finanzierung von Investitionen in die Schienenwege der öffentlichen, nicht bundeseigenen Bahnen in Höhe von 25 Millionen Euro ins Leben zu rufen. Auch hier hilft der Bund erneut, die Kommunen zu entlasten. Aber das ignorieren die Linken-Abgeordneten. Lieber stellen sie Bahnübergänge, Kommunen und damit sich selbst in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Dabei vergessen sie allerdings zu sagen, wer für diese populistische und durch und durch undienliche kommunale Kostenbefreiung aufkommen soll. Ich sage nur: Wer die Musik bestellt, muss auch dafür bezahlen. Wir -wollen, dass das so bleibt. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. Martin Burkert (SPD): Mit dem Antrag „Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien“ greift die Fraktion Die Linke ein wichtiges Thema auf: die Finanzierung der Infrastruktur. Positiv ist dabei hervorzuheben, dass mit diesem Antrag auf die schwierige Haushaltslage vieler Kommunen eingegangen wird. Alle Kolleginnen und Kollegen können aus ihren Wahlkreisen berichten, mit welchen finanziellen Nöten gerade auf kommunaler Ebene gekämpft werden muss. Dennoch ist aus der Sicht der SPD-Bundestagsfraktion der Antrag viel zu kurz gegriffen. Nicht nur die Kommunen haben mit angespannten Haushaltslagen zu kämpfen – auch der Bund und die Länder müssen den Gürtel enger schnallen. Aus diesem Grund ist die Verteilung der Kosten und Lasten auf mehrere Schultern richtig. Denn es ist ein Prinzip unseres Gemeinwesens, dass die Lasten von mehreren getragen werden. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass es mir in der Diskussion um die Befreiung der Kommunen von Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen nicht um das „Wer-hat-den-Schwarzen-Peter“-Spiel geht. Auch will ich das Ansinnen der Fraktion Die Linke nicht herunterspielen. Vielmehr geht es mir darum, dass nun endlich eine -Gesamtstrategie für die Finanzierung und den bedarfsgerechten Ausbau von Infrastruktur in Deutschland angegangen werden muss. Wir brauchen in diesem Land eine Infrastrukturplanung aus einem Guss, das heißt Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam für ein Ziel: Deutschland muss weiterhin seine ökonomische und ökologische Vorreiterrolle in Wirtschaft und Technologie behaupten können; dazu braucht es einen bedarfsgerechten Ausbau der Infrastruktur. Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2013 und der Koalitionsgipfel am Wochenende haben deutlich gezeigt: Die Bundesregierung hat keine Ideen, keine Konzepte, und unter dem bedarfsgerechten Ausbau von Infrastruktur versteht sie den Ausbau für eine bestimmte Klientel, um im nächsten Jahr wiedergewählt zu werden. Gerade bei der Konzeption des neuen Bundesverkehrswegeplanes, der Ende 2015 verabschiedet werden soll, fordere ich die Bundesregierung auf, sich an ihre eigens aufgestellten Maßstäbe zu halten: Neutralität bei der Bewertung und bedarfsgerechter Ausbau sowie Erhalt der bestehenden Infrastruktur. Wenn von einem Ausbau der Infrastruktur aus einem Guss gesprochen wird, dann müssen dabei die Herausforderungen der Zukunft angegangen werden – und das ist das Anwachsen des Personen- und Güterverkehrs. Durch individualisierte Lebensplanung, aber auch durch die steigenden Anforderungen an die persönliche Mobilität im Berufsleben ist mit einer Zunahme von 7,1 Prozent im motorisierten Individualverkehr bis ins Jahr 2025 zu rechnen. Im Straßengüterverkehr soll die Steigerung des Transportaufkommens 55 Prozent und im Schienengüterverkehr die Steigerung der Verkehrsleistung 65 Prozent im gleichen Zeitraum betragen. Die zwei Leuchtturmprojekte der Bundesregierung, der Test des Gigaliners und die Liberalisierung des Busfernverkehrs, sind dabei bestimmt nicht die richtigen Antworten auf die Fragen der Zukunft. Als Bahnbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion ist für mich eines klar: Nur durch den Ausbau der bestehenden Schieneninfrastruktur werden wir die verkehrlichen Herausforderungen der Zukunft bewältigen können. Ziel muss es sein, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Dazu braucht es eine rasche Beseitigung der Verkehrsengpässe und eine Steigerung der Kapazitäten im Netz. Für die SPD-Bundestagsfraktion steht fest: Verkehr darf nicht krank machen. Gemeinsames Ziel von Bund, Ländern und Gemeinden muss es sein, den Verkehrslärm bis 2020 zu halbieren. Im Bereich der Schiene kann durch die Umrüstung der 600 000 Güterwagen, die in ganz Europa unterwegs sind, auf sogenannte Flüsterbremsen ein wesentlicher Beitrag geleistet werden. Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht, dies auf europäischer Ebene durchzusetzten. Es reicht nicht aus, nur die 180 000 umzurüstenden Güterwagen in Deutschland mit Flüsterbremsen auszustatten. Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern bei Planungsprozessen sowie die Gleichbehandlung des ländlichen Raumes und Boomregionen ist bei der Konzeption einer Verkehrsinfrastruktur aus einem Guss eine Selbstverständlichkeit. Genauso gilt es, bauliche Projekte vonseiten des Bundes anzupacken, die ansonsten den in den nächsten Jahren einen wahren Finanz--Tsunami in den öffentlichen Kassen bewirken könnten: Ich spreche von den Renovierungskosten für baufällige Bahnbrücken im Milliardenbereich. Die aktuelle Investitionsplanung im Verkehrsbereich gibt keine Antworten auf die Fragen zu den anstehenden Kosten. Beispielhaft lassen sich die 23 Eisenbahnbrücken im fränkischen Pegnitztal auf der Strecke Nürnberg–Marktredwitz anführen. Hier fallen nach Angaben der DB AG Gesamtkosten von 100 Millionen Euro an. Zwar sind diese laut Bahnprojektplanung gesichert – aber was ist mit den anderen Brücken? Wir sprechen von 9 000 der insgesamt 25 000 Brücken, die über 100 Jahre alt sind. Aus diesem Grund fordere ich ein Sofortprogramm zur Brückeninstandhaltung. Bund, Länder und Gemeinden müssen gemeinsam für den bedarfsgerechten Ausbau der Infrastruktur einstehen. Es gilt, eine Verkehrsplanung aus einem Guss zu -realisieren. Die SPD-Bundestagsfraktion hat mit ihrem „Projekt Zukunft“ die richtigen Antworten auf die Fragen der Zukunft und mit dem darin enthaltenden Konzept für eine moderne Infrastruktur auch die richtigen Weichen gestellt – für Bund, Länder und Kommunen. Als SPD-Bundestagsfraktion enthalten wir uns daher bei dem Antrag „Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien“ der Fraktion Die Linke, weil dieser kein Gesamtkonzept für eine bedarfsgerechte Infrastrukturplanung darstellt. Patrick Döring (FDP): Der Antrag der Fraktion Die Linke „Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreien“ greift ein tatsächlich existierendes Problem auf, zieht jedoch die falschen Schlussfolgerungen. Worum geht es? Nach heutiger Rechtslage greift bei der Beseitigung von höhengleichen Bahnübergängen die Finanzierungsvorschrift nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz. Danach zahlen, soweit es sich um Eisenbahnen des Bundes handelt, der Bund und die beteiligten Baulastträger der Verkehrswege Schiene und Straße jeweils ein Drittel der kreuzungsbedingten Kosten. Die Absicht dieser Finanzierungsregelung war und ist, diejenigen an den Kosten zu beteiligen, die Kreuzungsmaßnahmen initiieren können. Genau das verkennt der Antrag der Fraktion Die Linke. Es ist grundsätzlich richtig, auch die Kommunen an den bei Kreuzungsmaßnahmen entstehenden Kosten zu beteiligen, da diese Maßnahmen häufig vonseiten der Städte und Gemeinden initiiert werden. In der Regel geht es dabei um die Beseitigung von Kreuzungen oder den Bau von Überführungen oder Schrankenanlagen. Würden die Kommunen, wie im Antrag verlangt, generell von der Pflicht befreit, sich mit einem Drittel an den Kosten für Kreuzungsmaßnahmen zu beteiligen, würde ein falscher Anreiz und Regelungsmechanismus entstehen. Die Kommunen wären beteiligt an dem Verfahren mit vollen Rechten und könnten auf teure Kreuzungsmaßnahmen, wie etwa den Bau von Über- oder Unterführungen, pochen. An den Kosten beteiligen müssten sie sich aber nicht. Welche Folgen sich daraus für das zukünftige Verhalten von Kommunen ergeben würden, kann man sich leicht vorstellen. Richtig allerdings ist, dass bei großen Ausbauvorhaben an Bundesschienenwegen für einzelne Kommunen das Problem entstehen kann, sich an der Beseitigung von zahlreichen Bahnübergängen nach Maßgabe des Eisenbahnkreuzungsgesetzes zu beteiligen und dann der von der Kommune zu stemmende Finanzierungsanteil zu hoch ist. Das spielt vor allem dann eine Rolle, wenn die Ausbaumaßnahme an der Schienenstrecke darauf ausgerichtet ist, die zulässigen Geschwindigkeiten so zu erhöhen, dass höhengleiche Bahnübergänge nicht mehr zulässig sind. Hier müssen wir in der Tat schauen, welche Lösungen für solche Konstellationen zukünftig infrage kommen. Dazu aber, wie gesagt, muss man nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, wie man so schön sagt. In diesem Sinne werden wir uns an den weiteren Beratungen des Antrags beteiligen. Katrin Kunert (DIE LINKE): Dort, wo sich Schiene und Straße begegnen, ist besondere Vorsicht geboten. Aus diesem Grund enthalten die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung und andere Gesetze ein ganzes Bündel an Vorschriften, die genau regeln, wie Schranken, Licht- und Signalanlagen oder auch Überführungsbauwerke, also Brücken, an den Stellen beschaffen sein müssen, an denen sich Schiene und Straße begegnen. Betrachtet man die Besonderheiten der Bahn als Verkehrsmittel, zum Beispiel die langen Bremswege und die Bewegung großer Massen, dann kommt man schnell zu dem Schluss, dass die Fülle der eben erwähnten Vorschriften notwendig ist, um ein sicheres Nebeneinander von Straße und Schiene zu ermöglichen. Als Nächstes stellt sich jedoch unweigerlich die Frage, wer diese notwendigen Maßnahmen der Verkehrssicherheit eigentlich finanziert. Nach der derzeitigen Regelung des § 13 Eisenbahnkreuzungsgesetz soll bei jeder Kreuzungsmaßnahme zwischen Schiene und Straße ein Drittel der Kosten von dem Träger der Straßenbaulast getragen werden. Dieser Träger der Straßenbaulast ist in den meisten Fällen die Kommune. Bei der Regelung im Eisenbahnkreuzungsgesetz handelt es sich um einen von vielen Fällen, in denen die Gesetzgebung des Bundes eine Aufgabe definiert, die auf kommunaler Ebene finanzielle Belastungen auslöst. Die Kommunen sind dabei weder an der Gesetzgebung beteiligt, noch kümmert sich der Bund um eine ausreichende Finanzierung der Aufgabe. Die Aufgabe nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz trifft Kommunen, die sich immer noch in einer höchst angespannten finanziellen Lage befinden. Es ist zwar davon auszugehen, dass die Kommunalfinanzen im Jahre 2012 insgesamt erstmals nach langer Zeit wieder im Plus liegen. Dies ist jedoch im Wesentlichen auf Zuwächse bei den Gewerbesteuereinnahmen zurückzuführen. Es ist daher zu befürchten, dass diese Bilanz bei der zu erwartenden Abkühlung der Konjunktur wieder deutlich negativer ausfällt. Betrachtet man die gegenwärtigen Zahlen etwas genauer, stellt man fest, dass von dem gegenwärtigen Einnahmeüberschuss keineswegs alle Kommunen profitieren. Es verfestigt sich vielmehr der Trend, wonach die finanzielle Schere innerhalb der kommunalen Familie immer weiter auseinandergeht. Ein Großteil der Kommunen muss sich schon seit Jahren mit einem Defizit herumschlagen. Nun soll es an dieser Stelle nicht um die Frage gehen, ob die öffentlichen Haushalte im Allgemeinen und die kommunalen Haushalte im Besonderen eher unter einem Einnahmeproblem oder unter einem Ausgabenproblem leiden. Vielmehr soll es um eine konkrete gesetzliche Regelung gehen, die auf Bundesebene beschlossen wurde und auf kommunaler Ebene immer wieder zu enormen finanziellen Belastungen führt. Die finanzielle Beteiligung der Kommunen an Kreuzungsmaßnahmen mag in früheren Zeiten anders zu bewerten gewesen sein, die Regelung steht in dieser Form immerhin seit 1963 im Gesetz. Die damalige Deutsche Bundesbahn hatte als Staatsbahn noch den Anspruch, möglichst viele Orte mit dem Bahnnetz zu verbinden, sodass die Kommunen in der Regel nicht nur die Lasten der Finanzierung der Eisenbahnkreuzungen, sondern auch den Nutzen eines eigenen Bahnhofs mit entsprechendem Anschluss an das Bahnnetz hatten. Die Bahn ist allerdings mittlerweile eine privatrechtlich organisierte Aktiengesellschaft und agiert entsprechend. Sie konzentriert sich auf wirtschaftlich lukrative Verbindungen und ist immer weniger in der Fläche präsent. In vielen Regionen müssen sich Städte und Gemeinden mit reduzierten Verbindungen begnügen oder werden gar nicht mehr angefahren. Häufig handelt es sich dabei um strukturschwache Gebiete, die mit Wegfall der Bahnverbindung einen zusätzlichen Standortnachteil hinnehmen müssen. Nicht umsonst hat sich der ehemalige Verkehrsminister meines Landes zu dem Hinweis berufen gefühlt, der Landesname sei Sachsen-Anhalt und nicht Sachsen-Durchfahrt. Bei von Kreuzungsmaßnahmen zwischen Straße und Schiene konkret betroffenen Kommunen übersteigen die finanziellen Aufwendungen für die Maßnahme in vielen Fällen das Haushaltsbudget. Die Kosten für Signal- und Sicherungsanlagen bzw. Überführungsbauwerke sind oftmals erheblich. In der Folge können Strecken mangels Verkehrssicherheit nicht freigegeben werden, weil notwendige Reaktivierungen oder Ertüchtigungen der Schienenwege von den Kommunen abgelehnt wurden. Besonders gravierend ist jedoch, dass die Kommune keinen Einfluss auf die Art und Weise der Ausführung der baulichen Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen hat. Sie muss das, was Bund und Bahn vorgeben, einfach hinnehmen und dann noch mit finanzieren. Wichtige kommunale Interessen bleiben bei den Baumaßnahmen zudem außen vor. So ist es zum Beispiel nicht möglich, dass in die Planungen der betreffenden Baumaßnahmen noch anzulegende Radwege Eingang finden. Es wird höchste Eisenbahn, dass die Kommunen von den Kosten für bauliche Maßnahmen an Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen befreit werden. Dies liegt nicht nur im Interesse der Kommunalfinanzen, sondern dient auch den Sicherheitsinteressen der Nutzerinnen und Nutzer sowohl der Straße als auch der Schiene. Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Fraktion Die Linke stellt in ihrem Antrag richtig fest, dass es dort, wo die Kommunen Träger der Straßenbaulast sind, an einigen Stellen Probleme gibt, wenn es darum geht, Bahnübergänge zu beseitigen bzw. zu ersetzen. Die Kommunen sind teilweise nicht in der Lage, ihren Anteil, – der ein Drittel der Gesamtkosten beträgt, aufzubringen. Das Ergebnis: Die sogenannte Kreuzungsvereinbarung mit Bund und Bahn kommt nicht bzw. erheblich verspätet zustande. Das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass sich Ausbauprojekte bei der Schiene verzögern. Ganz aktuell ist diese Problematik beispielsweise bei der Ausbaustrecke Berlin–Dresden. Zumindest gibt die Deutsche Bahn AG als Grund für den erneut verscho-benen Fertigstellungstermin eines Teilabschnitts der Verbindung zwischen Spree und Elbe die zähen Verhandlungen mit den Kommunen beim Ersatz von Bahnübergängen durch Bau von Unter- und Überführungen an. Wir sind allerdings der Ansicht, dass Sie es sich mit Ihrem Antrag zu einfach machen. Der Bund soll es also – mal wieder – richten. Kann das die Lösung bei der Kostenbeteiligung der Kommunen bei Bahnübergangsersatzmaßnahmen sein? Ist das unsere Antwort auf das chronische Finanzproblem der Kommunen? Entspricht es dem Subsidiaritätsprinzip, dass bei originären Kommunalaufgaben – und um eine solche handelt es sich bei den Pflichten, die sich aus der Straßenbaulast ergeben – einfach der Bund einspringt? Wir meinen, dass kann nicht die Lösung sein. Wer die Finanzprobleme der Kommunen nachhaltig, also dauerhaft, lösen will, der muss nicht die Kompetenzen des Bundes ausweiten, sondern die Finanzkraft der Kommunen stärken. Die Probleme, die wir bei Bahnübergangsersatzmaßnahmen sehen, sind doch nur ein Beispiel – quasi die Spitze des Eisbergs – für die Finanzprobleme der Kommunen. Sie können in weiteren Politikfeldern gleichlautende Anträge stellen und haben am Ende das Problem der klammen Kommunalkassen immer noch nicht gelöst. Wir brauchen daher eine umfassende Reform der Gemeindefinanzen. Deshalb muss Schluss sein mit der Steuersenkungspolitik, die zulasten öffentlicher Güter im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge geht. Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer müssen verstetigt und ökologisch ausgerichtet werden. Nur wenn wir die Kraft aufbringen, diese Reformen anzugehen, kann die Finanzkraft der Kommunen gestärkt werden, sodass sie wieder in der Lage sind, ihre originären Aufgaben auch wahrzunehmen. Dazu gehört nun einmal auch die Unterhaltung von Kommunalstraßen und die Beteiligung an entsprechenden Bahnübergangsersatzmaßnahmen. Vizepräsident Eduard Oswald: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/10820 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind alle damit einverstanden? – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 32 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des Internationalen Privatrechts – Drucksache 17/11049 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/11384 – Berichterstattung: Abgeordnete Ute Granold Burkhard Lischka Stephan Thomae Raju Sharma Jerzy Montag Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. – Widerspruch erhebt sich nicht. Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute abschließend über das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des internationalen Privatrechts. Die Europäische Union hat am 20. Dezember 2010 die Verordnung des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (Rom-III-Verordnung) verabschiedet. Diese regelt, welches Recht auf die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes in Fällen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen, anzuwenden ist, und gilt seit dem 21. Juni 2012 in Deutschland und 13 weiteren an der verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden Mitgliedstaaten der EU. Durch die Rom-III-Verordnung wird das in den Mitgliedstaaten noch unterschiedlich ausgestaltete internationale Privatrecht vereinheitlicht. Das materielle Scheidungs- und Trennungsrecht wird von der Verordnung jedoch nicht berührt. Der Rechtsakt findet auch keine Anwendung auf die Ungültigerklärung einer Ehe und die Feststellung ihres Nichtbestehens. Bisher regelte das EGBGB, welches Recht auf die Scheidung von Ehegatten unterschiedlicher Nationalität anzuwenden ist. Für ab dem 21. Juni 2012 eingereichte Ehescheidungsanträge gelten die deutschen Regelungen nach dem EGBGB jedoch nicht weiter. An ihre Stelle treten die Bestimmungen der Rom-III-Verordnung. Eine Anpassung des bislang geltenden nationalen Rechts an die Verordnung ist daher dringend erforderlich und soll nunmehr durch den hier vorgelegten -Gesetzentwurf erfolgen. Dieser enthält die zur Durchführung der Rom-III-Verordnung erforderlichen Bestimmungen. Mit der Verordnung soll vor allem die Privatautonomie der Ehegatten gestärkt werden. Diese haben gemäß Art. 5 der Rom-III-Verordnung ab sofort die Möglichkeit, das anzuwendende Recht durch Rechtswahl selbst zu bestimmen. Die von den Eheleuten gewählte Rechtsordnung muss dabei über ihren gewöhnlichen Aufenthalt, ihre Staatsangehörigkeit oder den Gerichtsort eine enge Verbindung zu ihrer Lebensführung aufweisen. Sofern die Ehegatten dieses Wahlrecht nicht ausgeübt haben, wird das anzuwendende Recht nach objektiven Kriterien bestimmt (Art. 8 Rom-III-Verordnung). Maßgeblich sind auch hier insbesondere der Lebensmittelpunkt der Eheleute, ihr letzter gewöhnlicher Aufenthalt oder ihre Staatsangehörigkeit. Sowohl bei der Ausübung der Rechtswahl als auch bei der Bestimmung nach -objektiven Kriterien kommt das Recht aus Drittstaaten als anzuwendendes Recht in Betracht. Dabei sieht die Rom-III-Verordnung jedoch eine Kontrolle vor: Sollte das eigentlich anzuwendende ausländische Recht gegen wesentliche rechtliche Grundprinzipien im Gerichtsstaat verstoßen, kann seine Anwendung ganz oder zum Teil unterbleiben (ordre public). Art. 5 III der Verordnung sieht als Regelfall vor, dass eine Rechtswahlvereinbarung spätestens bei Anrufung des Gerichts geschlossen wird. Hiervon können die teilnehmenden Mitgliedstaaten jedoch abweichend anordnen, dass das anzuwendende Recht auch noch im Laufe des Gerichtsverfahrens gewählt werden kann. Von -dieser Möglichkeit haben wir durch die Regelung in Art. 46 d II EGBGB Gebrauch gemacht, um zu erreichen, dass die Rechtswahl noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug möglich ist. Dies halten wir für erforderlich, da den Ehegatten in vielen Fällen erst nach Anrufung des Gerichts bewusst wird, welches Recht – mangels Rechtswahl – nach Art. 8 der Rom-III-Verordnung anwendbar ist. Darüber hinaus kann sich auch noch aus anderen Gründen im Verfahren herausstellen, dass es vorteilhafter wäre, das Recht eines anderen Mitgliedstaates zu wählen, so zum Beispiel, wenn die Ehegatten nach einer anderen Rechtsordnung schneller geschieden werden könnten. Für die Wahl der Rechtsordnung ist nach Art. 7 Rom-III-Verordnung zumindest die Schriftform erforderlich; zugleich wird den EU-Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit gegeben, eine strengere Form vorzusehen. Von dieser Möglichkeit haben wir zum Schutz des „schwächeren“ Ehegatten bei der Umsetzung in deutsches Recht ebenfalls Gebrauch gemacht. Deshalb muss gemäß Art. 46 d I EGBGB die Rechtswahlvereinbarung notariell beurkundet werden, wenn mindestens einer der Ehegatten im Zeitpunkt der Rechtswahl seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Wir halten diese Regelung für erforderlich, da vor dem Hintergrund der Komplexität der Auswirkungen einer Rechtswahl für den Fall der Scheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes gewährleistet sein muss, dass eine qualifizierte Beratung in Vorbereitung der Rechtswahlvereinbarung erfolgt. Darüber hinaus wird die Notwendigkeit der notariellen Beurkundung auch dazu führen, dass sich die Parteien in vielen Fällen im Vorfeld anwaltlich beraten lassen. Ein weiterer wichtiger Punkt, der durch die Verordnung nun geregelt wird, ist der Umstand, dass es bei -binationalen Ehen häufig zu einem Wettlauf der Ehegatten bei Einreichung des Scheidungsantrages bei dem Familiengericht im In- oder Ausland kam, um das für sie jeweils günstig erscheinende Scheidungsrecht zur Anwendung zu bringen. Mit dem nun vorliegenden System, das für die Frage des richtigen Scheidungsstatuts in Art. 8 Rom-III-Verordnung nicht mehr auf die Staatsangehörigkeiten der Ehegatten abstellt, sondern vorrangig auf den Aufenthaltsort der Ehegatten, wird dieser Wettlauf uninteressant. Hinsichtlich des Versorgungsausgleichs ist anzumerken, dass dieser dem Scheidungsstatut zugeordnet wird. Aufgrund der materiell rechtlichen Besonderheiten des Versorgungsausgleichs wird dabei die zulässige Bedingung gestellt, dass er von Amts wegen nur durchzuführen ist, wenn deutsches Recht anzuwenden ist und er in einem der Staaten, denen die Eheleute beim Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags angehören, bekannt ist. Darüber hinaus kann er auf Antrag eines Ehegatten durchgeführt werden, soweit Anwartschaften bereits bestehen und die Durchführung der Billigkeit entspricht. Die Rom-III-Verordnung ist nicht isoliert zu sehen, sondern immer im Zusammenhang mit der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Beide Rechtsakte zusammen verwirklichen den bisher in der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen -bewährten Integrationsansatz, der mindestens drei -Elemente umfasst, nämlich: Bestimmung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte im erfassten Rechtsgebiet; Erleichterung der Anerkennung und Vollstreckung; Harmonisierung des internationalen Privatrechts/Kollisionsrechts. Abschließend ist noch zu erwähnen, dass der Gesetzentwurf durch die Einführung des Art. 48 EGBGB auch die Rechtsgrundlage zur Wahl eines im EU-Ausland erworbenen und dort eingetragenen Namens schafft. Zusammenfassend lässt sich demnach festhalten, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen guten Weg gefunden haben, das Zusammenwirken der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 mit den nationalen Regelungen im Bereich des internationalen Privatrechts zu regeln. Ich hoffe daher heute auf breite Zustimmung. Dr. Eva Högl (SPD): Die Regelungen, über die wir heute abstimmen, sind ein großer Fortschritt – in mehrfacher Hinsicht. Formal passen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf unser geltendes Recht zwar „lediglich“ an die bereits geltenden Bestimmungen der EU-Verordnung an, die seit dem 21. Juni 2012 in Kraft ist und Bestimmungen über das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht festlegt. Seine tatsächlichen Auswirkungen sind aber in dreierlei Richtung ein großer Erfolg: Erstens schaffen die Regelungen Rechtssicherheit und beenden damit den in der Praxis unzufriedenstellenden Zustand, dass es bisher keine einheitlichen Regeln für die Bestimmung des anwendbaren Scheidungsrechts gab, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt zugrunde liegt. Die Folge war ein zersplittertes Scheidungsrecht, das in vielen Fällen zu Nachteilen für einzelne Partnerinnen oder Partner führte. Und selbst einvernehmliche Trennungen konnten zur Qual werden, weil den Paaren verwehrt war, das anzuwendende Scheidungsrecht selbst zu wählen. Damit ist jetzt Schluss. Nach den neuen Regelungen können die Paare grundsätzlich selbstbestimmt wählen, nach welchem nationalen Scheidungsrecht sie geschieden werden möchten. Wenn sie das nicht tun, gibt es klare gesetzliche Bestimmungen: Dann ist grundsätzlich das am gewöhnlichen Aufenthalt der Betroffenen geltende Recht anzuwenden, und im Zweifel kommt das Recht des Staates zur Anwendung, in dem die Scheidung eingereicht wurde. Diese Rechtsklarheit ist eine große Erleichterung für die Betroffenen, denen es vorher oftmals schwerer gemacht wurde in einer regelmäßig ohnehin schwierigen Lebenssituation. Zweitens wird durch die Regelungen verhindert, dass ein Ehepartner oder eine Ehepartnerin ein für ihn bzw. sie günstiges Scheidungsrecht einseitig zur Anwendung bringen kann. Damit soll der schwächere Teil vor unfairer Benachteiligung in Scheidungsverfahren geschützt werden. Bisher war es möglich, dass ein Ehepartner bzw. eine Ehepartnerin die Folgen einer Scheidung insofern beeinflussen konnte, als dass er das für ihn günstige Scheidungsrecht zur Anwendung brachte. Notwendig dafür war in manchen Fällen lediglich, dass er oder sie die Reise- und Anwaltskosten aufbrachte und die Scheidung in dem Mitgliedstaat beantragte, dessen Scheidungsrecht ihm oder ihr die meisten Rosinen versprach. Das war bisher in sieben Mitgliedstaaten möglich, die grundsätzlich ihr Landesrecht anwendeten, völlig legal. Ich begrüße ausdrücklich, dass dem mit den neuen Regeln ein Riegel vorgeschoben wurde. Denn auch wenn der Gesetzentwurf richtigerweise geschlechtsneutral formuliert ist, zeigt die Praxis doch, dass in der Regel Frauen die schwächeren Parts im Sinne dieser Regelung sind. Natürlich kann auch nach den neuen Regelungen das nationale Recht vereinbart werden, das positive Scheidungsfolgen für die Betroffenen gewährt. Es ist aber ausgeschlossen, dass dies ohne Wissen des Partners oder der Partnerin geschieht. Da die Betroffenen bei der Wahl des anwendbaren Rechts zwingend über die Tragweite ihrer Entscheidung informiert werden müssen – der vorliegende Gesetzentwurf sieht für Deutschland eine notarielle Beurkundung vor – werden einseitige Spielchen zulasten des schwächeren Partners bzw. der schwächeren Partnerin verhindert. Drittens – und das freut mich als Europapolitikerin besonders – sind die Regelungen, über die wir heute abstimmen, Ausdruck eines zusammenwachsenden Europas und besonders deshalb zu begrüßen. Mehr noch: Sie sind vor diesem Hintergrund längst überfällig. EU-Bürgerinnen und Bürger sind zunehmend mobiler. Infolgedessen gibt es mehr Ehen mit internationalem und daher grenzüberschreitendem Hintergrund. Das ist zu begrüßen, das ist das Ergebnis erfolgreicher Europapolitik. Diesen Tatsachen dürfen aber keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen bzw. müssen bestehende Hindernisse beseitigt und den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst werden. Genau das machen wir heute, wenn wir den vorgelegten Gesetzentwurf verabschieden. Die Regelungen sind ein anschauliches Beispiel für die Ausgestaltung der europäischen Bürgerrechte, anhand derer der Mehrwert der Europäischen Union im praktischen Leben erkennbar wird. Es gibt natürlich noch viel mehr dieser Beispiele, und ich möchte bei dieser Gelegenheit abschließend auf eine aktuelle Initiative der EU-Kommission verweisen, die die Bürgerinnen und Bürger auf ihre Rechte als Unionsbürger hinweisen möchte. Seit Ende September finden Bürgerdialoge in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union statt, bei denen Bürgerinnen und Bürger mit EU-Politikerinnen und -Politikern ins Gespräch kommen können und über ihre Erfahrungen und Ansichten zur Europäischen Union diskutieren können. Diese Bürgerdialoge stehen bereits im Zeichen des EU-Jahresmottos für 2013, das zum „Europäischen Jahr der Bürgerinnen und Bürger“ ausgerufen wurde. Die Verabschiedung der heutigen Bestimmungen passt zu diesem Motto und wird konkreten Mehrwert für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger haben. Stephan Thomae (FDP): In den letzten Wochen und Monaten wurde die öffentliche Debatte von den Spekulationen um die Zukunft des Euro und den damit verbundenen möglichen Konsequenzen für die Zukunft der Europäischen Union -bestimmt. Den Euro gibt es noch immer, und auch sonst ist es ein gutes und wichtiges Signal, dass die Arbeit an einem immer enger zusammenwachsenden Europa fortgeführt wird. Ein gutes Beispiel ist hierfür der Gesetzentwurf der Bundesregierung, den wir heute behandeln. Er hat folgenden Hintergrund: Gemäß Art. 81 AEUV müssen Maßnahmen zum -Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug vom Rat einstimmig beschlossen werden. Ein im Jahr 2006 vorgelegter Verordnungsvorschlag, mit dem die internationale Zuständigkeit von Gerichten in Scheidungsverfahren und Verfahren, die die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes sowie die Ungültigkeit der Ehe betreffen, fand im Rat nicht die nötige Unterstützung aller Mitgliedstaaten. Daraufhin wurde von 14 Mitgliedstaaten, zu denen auch Deutschland gehört, im Rahmen der sogenannten ROM-III-Verordnung eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts beschlossen. Mit der Verordnung sind die zum Teil beträchtlichen Unterschiede, die in den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten zum Scheidungsrecht, gerade beim -Kollisionsrecht, bestanden, überwunden worden. Diese Unterschiede bedeuteten für Paare, die aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten stammen, eine große Rechtsunsicherheit. Innerhalb der beteiligten Mitgliedstaaten gilt nun aber ein klarer Rechtsrahmen für das anzuwendende Recht in Scheidungs- und Trennungssachen. Art. 5 der ROM-III-Verordnung bestimmt, nach welchen Kriterien die Ehegatten das auf die Ehescheidung oder die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendende Recht wählen können. Haben die Eheleute keine entsprechende Rechtswahl getroffen, regelt Art. 8 der Verordnung, welches Recht anzuwenden ist. Dadurch wird insgesamt ein Wettlauf zu den Gerichten verhindert, bei dem ein Ehegatte alles daransetzt, die Scheidung zuerst einzureichen, um sicherzugehen, dass sich das Verfahren nach einer Rechtsordnung richtet, die vor allem seine Interessen schützt. Die ROM-III-Verordnung berührt das materielle Scheidungs- und Trennungsrecht der Mitgliedstaaten nicht. Sie gilt für die teilnehmenden Staaten seit dem 21. Juni 2012. Sie ist unmittelbar anzuwenden und verdrängt in ihrem Anwendungsbereich das bislang geltende Recht, welches daher angepasst werden muss. Diese Anpassung wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgenommen. Dabei sind folgende Punkte hervorzuheben: Erstens. In Art. 17 Abs. 1 EGBGB-Entwurf wird geregelt, dass sich vermögensrechtliche Scheidungsfolgen, die nicht von nach Art. 3 EGBGB vorrangig anzuwendenden Regelungen erfasst werden, dem Recht des nach der ROM-III-Verordnung anzuwendenden Rechts unterliegen. Zweitens. Führt die Konstellation im Einzelfall dazu, dass eine Scheidung im Ausland nach deutschem Recht vorgenommen wird, bleibt es dabei, dass eine Ehe nur von einem Richter geschieden werden kann. Privatscheidungen bleiben damit nach deutschem Recht ausgeschlossen. Drittens. Art. 17 Abs. 3 EGBGB-Entwurf regelt, nach welchem Recht Fragen des Versorgungsausgleichs zu klären sind. Grundsätzlich richtet sich dies nach dem Statut, dem nach der ROM-III-Verordnung auch die Scheidung unterliegt. Der Versorgungsausgleich ist aber nur dann durchzuführen, wenn auf die Scheidung deutsches Recht anzuwenden ist und das Recht eines der Staaten, denen die Ehegatten im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags angehören, den Versorgungsausgleich kennt. Viertens. Grundsätzlich müssen die Parteien ihre Rechtswahlvereinbarung nach Art. 5 Abs. 2 ROM-III-Verordnung spätestens zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts geschlossen haben. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der ROM-III-Verordnung räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, dass die Rechtswahl auch noch im Laufe des Verfahrens vorgenommen werden kann. Die Bundesrepublik Deutschland macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. Dies ist im Interesse der Eheleute, die somit die Möglichkeit haben, auf Entwicklungen im Laufe des Verfahrens zu reagieren. Fünftens. Art. 48 EGBGB-E wird eine Anpassung hinsichtlich des Namensrechts vorgenommen. Danach kann eine Person, deren Name deutschem Recht unterliegt, durch eine Erklärung gegenüber dem zuständigem Standesamt bestimmen, dass sie anstelle des nach deutschem Recht zu bildenden Namens einen Namen führen will, den sie im EU-Ausland erworben hat. Damit reagiert der deutsche Gesetzgeber auf ein Urteil des EuGH vom 14.Oktober 2008. Die ROM-III-Verordnung ist ein weiterer Mosaikstein im Gesamtbild eines immer enger zusammenwachsenden Europas. Mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf sorgen wir dafür, dass dieser Stein auch seine Funktion erfüllt, indem wir das deutsche Recht an die Verordnung anpassen. Die FDP-Bundestagsfraktion bekennt sich klar zur Europäischen Union und wird dem Gesetzentwurf daher zustimmen. Jens Petermann (DIE LINKE): Die Bundesregierung versucht mit diesem Gesetzentwurf, die Verordnung der Europäischen Union Nr. 1259/2010 zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts umzusetzen. Das wiederum geht auf die Rom-III-Verordnung der Europäischen Union zurück, die festlegt, welches Recht bei Ehescheidung und Trennung anzuwenden ist. Die Verordnung soll durch Änderung des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch umgesetzt werden. Das heißt übersetzt, dass in jedem Mitgliedstaat, der an der Verordnung beteiligt ist, das für Scheidungs-sachen zuständige Gericht auf die Scheidung und Trennung das einheitliche Recht eines Mitgliedstaates -anwenden soll. Damit soll das vorteilsbezogene Nutznießen nebeneinanderstehender Zuständigkeiten verschiedener Staaten unterbunden werden. Glücklicherweise bleibt aber das materielle Familienrecht unberührt. Meine Fraktion und ich betrachten diese Initiative mit kritischen Augen. Die Europäische Union hat sich beim Erlass der Rom-III-Verordnung, welche den Regelungsbedarf ausgelöst hat, auf Art. 81 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union gestützt. Danach kann der Rat nach Anhörung des Europäischen Parlaments auf dem Gebiet des Familienrechts mit grenzüberschreitendem Bezug Maßnahmen erlassen. Höchst fraglich bleibt dabei aber, ob das Familienrecht als höchstpersönliches Rechtsgebiet für das Funktionieren des Binnenmarktes der Europäischen Union überhaupt eine wesentliche Rolle spielt und damit in die Pflicht genommen werden kann. Meines Erachtens ist das nicht erforderlich. Aber nachdem die Verordnung mit der Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten ist, muss nun das nationale Recht entsprechend angepasst werden. Die Europäische Union besteht derzeit aus 27 Mitgliedstaaten. Bei den Verhandlungen zur Verabschiedung dieser Verordnung traten in der Arbeitsgruppe des Rates Probleme auf. Aufgrund unüberwindbarer Schwierigkeiten konnte die auf dem Gebiet des Familienrechts erforderliche Einstimmigkeit für die Verabschiedung dieses Rechtsaktes nicht erreicht werden. Es gab Mitgliedstaaten, die nicht akzeptieren wollten, dass ihre Gerichte durch die Verordnung gezwungen werden sollten, je nach Sachlage auch fremdes Recht anzuwenden. Daraufhin beschlossen lediglich 14 Mitgliedstaaten, eine Verordnung zur verstärkten Zusammenarbeit auf diesem Gebiet zu erlassen, die nur für die beteiligten Mitgliedstaaten gilt. Demnach bleiben nach Adam Riese 13 Mitgliedstaaten, also fast die Hälfte der Mitglieder, die das nicht mitmachen; das stellt natürlich die Sinnhaftigkeit des gesamten Unterfangens infrage. Demzufolge gilt die Rom-III-Verordnung nur für 14 Mitgliedstaaten. Für diese besteht nun gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Die Rom-III-Verordnung soll unmittelbar gelten, indem die Verordnung in das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch aufgenommen werden soll. Daneben wird auch der Versorgungsausgleich für geschiedene Ehen mit Auslandsbezug der Rom-III-Verordnung unterworfen, wonach sich die Ehegatten das für ihre Scheidung zuständige nationale Recht selbst wählen dürfen. Damit stärkt man schon die Privatautonomie. Doch ein kleiner Haken bleibt auch bei dieser neuen Freiheit: Es wird teurer. Aus Gründen der Rechtssicherheit müssen in der Bundesrepublik Deutschland Rechtswahlvereinbarungen notariell beurkundet werden. Deshalb müssen die scheidungswilligen Ehepaare mit Auslandsbezug bei der Wahl des deutschen Familienrechts entsprechend dem Geschäftswert ihrer Ehe Notarkosten zahlen. Das ist zwar ein erheblicher Nachteil, gleichzeitig aber auch eine hervorragende Einnahmequelle für Notare. Das Treffen einer Rechtswahlvereinbarung ist kein Zwang, sondern freiwillig – wenigstens etwas Positives zum Schluss. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In unserer globalisierten Welt ist es eine Selbstverständlichkeit geworden, dass Ehepaare einen kleinen oder größeren Teil ihres gemeinsamen Lebens im Ausland verbringen. Gleichzeitig steigt die Zahl binationaler Ehen. So gehörten in Deutschland im Jahr 2010 bei jeder achten Eheschließung die Ehegatten unterschiedlichen Nationalitäten an. Solange die Ehe stabil ist, stellen sich Ehepartner selten die Frage, welches Recht auf ihre Ehe Anwendung findet. Bricht die Ehe aber auseinander, stellt sich diese Frage sehr deutlich; denn die kann erhebliche Auswirkungen, beispielsweise auf Unterhaltsfragen oder Vermögensausgleich, haben. Die europäische Verordnung zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts verfolgt das Ziel, innerhalb der Europäischen Union einheitliche Regelungen für das Recht zu treffen, das auf Ehescheidungen anzuwenden ist. Die Verordnung will Bürgerinnen und Bürgern in Bezug auf Rechtssicherheit, Berechenbarkeit und Flexibilität sachgerechte Lösungen garantieren. Auch soll sie verhindern, dass ein Ehepartner alles daran setzt, die Scheidung zeitlich als Erster bei Gericht einzureichen, um sicherzustellen, dass sich das Verfahren nach einer Rechtsordnung richtet, die seine Interessen besser schützt. Künftig sollen Ehegatten, deren Leben vom Recht verschiedener Staaten geprägt wird, das Recht wählen dürfen, das für die Scheidung ihrer Ehe Anwendung findet. Nach dem Umsetzungsgesetz, um das es heute geht, soll die Rechtswahl jederzeit vor oder nach der Eheschließung möglich sein. Spätestens erfolgen muss sie bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug des Scheidungsverfahrens. Für die Rechtswahl sieht das Umsetzungsgesetz die notarielle Beurkundung vor. Es ist richtig, zumindest auf der Ebene der Europäischen Union für mehr Harmonisierung in internationalen Scheidungsverfahren zu sorgen. Mit der Verordnung erreichen wir nicht nur eine rechtliche Harmonisierung, mit der Einführung der Rechtswahl stärken wir auch die Privatautonomie der Ehepaare. Und was geschieht, wenn das Ehepaar keine Rechtswahl getroffen hat? Dann trifft die Verordnung klare Regelungen über das anzuwendende Recht. Die wichtigste Änderung gegenüber den bisher in Deutschland geltenden Regelungen ist, dass nicht mehr primär an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Eheleute angeknüpft wird, sondern an das gewöhnliche Aufenthaltsland der Eheleute zum Zeitpunkt der Stellung des Scheidungsantrags. Das führt dazu, dass sich die Ehescheidung bei einem im Ausland lebenden deutschen Paar nicht mehr, wie bisher, nach deutschem Recht richtet, sondern nach dem Recht seines Aufenthaltslandes. Dies kann zu unbefriedigenden Ergebnissen vor -allem im Bereich des Versorgungsausgleichs führen. Der Versorgungsausgleich, also der Ausgleich der Anwartschaften auf Altersversorgung, die während der Ehe -begründet worden sind, nimmt nach deutschem Recht -einen hohen Stellenwert ein. Er ist für den Ehegatten, der während der Ehe keine oder nur eine geringe Altersvorsorge begründet hat, von zentraler Bedeutung. Damit sichert sich dieser Ehegatte eine eigenständige Altersversorgung. Wird eine Ehe nach deutschem Recht geschieden, wird der Versorgungsausgleich grundsätzlich durch-geführt. Wird eine Ehe nach ausländischem Recht -geschieden, erfolgt die Durchführung des Versorgungsausgleichs nur auf entsprechenden Antrag und auch nur noch nach Billigkeitsgesichtspunkten, ist also nicht obligatorisch. Das ist angesichts der Bedeutung des Versorgungsausgleichs ein Wertungswiderspruch, der noch geklärt werden muss. Wir Grünen werden uns deshalb bei der Abstimmung über das Umsetzungsgesetz enthalten. Vizepräsident Eduard Oswald: Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11384, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11049 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Sozialdemokraten. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesordnungspunkt 33 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess – Drucksache 17/10490 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/11385 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jan-Marco Luczak Elisabeth Winkelmeier-Becker Sonja Steffen Christian Ahrendt Jens Petermann Jerzy Montag Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Sind alle damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess erleichtert die christlich--liberale Koalition den Bürgern die Orientierung im -gerichtlichen Instanzenzug. Wir verbessern den Rechtsschutz des Einzelnen bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und stärken damit das Vertrauen der Menschen in die Justiz und den Rechtsstaat insgesamt. Deswegen ist das ein gutes Gesetz. Was ist der Hintergrund? Das Bundesverfassungs-gericht hat bereits im Jahr 1995 festgestellt, dass eine Rechtsmittelbelehrung zum damaligen Zeitpunkt zwar verfassungsrechtlich noch nicht zwingend eingeführt werden muss. Anders könne dies aber wegen der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie sein, wenn es unzumutbare Schwierigkeiten bei der Beschreitung des Rechtsweges gebe, die über eine Rechtsmittelbelehrung ausgeglichen werden könnten. Auch die anderen Verfahrensordnungen, die eine solche Belehrung vorsehen, müsse man dabei im Blick behalten. Vor dem Hintergrund dieser Argumentation des Bundesverfassungsgerichtes hat schließlich der Bundes-gerichtshof im Jahr 2009 in bestimmten Fällen beim Zwangsversteigerungsverfahren die Notwendigkeit einer Rechtsmittelbelehrung unmittelbar aus der Verfassung hergeleitet. Schließlich hat der Bundesrat dieses Anliegen aufgegriffen. Die Justizministerkonferenz hat im Jahr 2010 einstimmig beschlossen, dass Rechtsbehelfsbelehrungen im Zivilprozess eingeführt werden sollen. Was ist nun genauer Inhalt des Gesetzes? Mit Inkrafttreten des Gesetzes müssen Zivilgerichte die Bürger bei allen anfechtbaren gerichtlichen Entscheidungen über die Form, die Frist und das zuständige Gericht für den Rechtsbehelf unterrichten. Die Rechtsuchenden haben es damit zukünftig leichter, zu entscheiden, ob und in welcher Zeit sie einen Rechtsbehelf einlegen wollen. -Damit stärken wir die Bürgerfreundlichkeit der Justiz. Zugleich werden damit unzulässige Rechtsbehelfe vermieden, die entweder gar nicht statthaft oder schon verfristet sind. Das entlastet die Gerichte und trägt somit dazu bei, dass mehr Zeit für andere Verfahren zur Verfügung steht. Diese Pflicht zur Belehrung soll kein zahn-loser Tiger bleiben. Wird die Belehrung verabsäumt oder ist sie fehlerhaft, so wird dies bei einem Wiedereinsetzungsantrag berücksichtigt. Mit der Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess durch den neuen § 232 Zivilprozessordnung schließen wir zudem die Lücke zwischen den einzelnen Verfahrensordnungen. Denn in anderen Prozessordnungen – etwa im Verwaltungsverfahren – ist eine Rechts-behelfsbelehrung schon lange vorgeschrieben. Wir erreichen also auch einen gewissen Gleichlauf der Verfahrensordnungen und stärken damit die Einheit der Rechtsordnung. Eine Rechtsbehelfsbelehrung soll jedoch nur in solchen zivilgerichtlichen Verfahren notwendig sein, in -denen nicht eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt vorgeschrieben ist. Ist die anwaltliche Vertretung obligatorisch, kann und soll der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege seinen Mandanten darüber aufklären und beraten, welche Rechtsbehelfe im konkreten Fall statthaft und sinnvoll sind. Hier bedarf es einer gerichtlichen Belehrungspflicht nicht. Auf diese Weise vermeiden wir bei den Gerichten unnötigen bürokratischen Aufwand. Eine Ausnahme von dieser Regel machen wir aber in den Fällen, in denen es sich zwar um einen Anwaltsprozess handelt, in denen aber aufgrund der konkreten -Verfahrenssituation eine anwaltliche Vertretung nicht -sichergestellt ist. Das ist etwa bei Versäumnisurteilen und bei Beschlüssen im einstweiligen Rechtsschutz der Fall. Auch hier muss belehrt werden, damit dem Rechtsuchenden keine Rechte verlustig gehen. Aus dem gleichen Grund muss auch in Entscheidungen, die mit Wirkung für Zeugen oder Sachverständige ergehen, belehrt werden. Auch diese Personen sollen über ihre Rechte aufgeklärt werden. Schließlich regeln wir mit dem Gesetzentwurf auch noch andere Themen. Herausgreifen möchte ich die Änderung des § 145 Abs. 1 ZPO. Nach dieser Vorschrift kann ein Gericht mehrere in einem Prozess erhobene Ansprüche trennen und gesondert über diese verhandeln. Wir stellen mit der Änderung klar – wie es weitestgehend auch der bisherigen Gerichtspraxis entsprach –, dass dies zukünftig nur angeordnet werden darf, wenn dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist. Sachliche Gründe sind insbesondere die Vermeidung einer verzögerten Erledigung einzelner abtrennbarer Teile des Rechtsstreits, die Förderung der Übersichtlichkeit des Prozessstoffes sowie die Ermöglichung einer Teilaussetzung. Damit wird zum Wohle der Kläger und Beklagten ausgeschlossen, dass Verfahren aus sachfremden und insofern missbräuchlichen Gründen getrennt werden. Abschließend möchte ich festhalten, dass die christlich-liberale Koalition mit dem Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess ein Stück mehr Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und vor allem Bürgerfreundlichkeit schafft. Ganz offenbar sehen auch die Oppositionsfraktionen, dass wir hier einen guten Gesetzentwurf vorlegen; denn im Rechtsausschuss haben alle Fraktionen unserem Vorschlag zugestimmt. Diese Einsicht würde ich mir manchmal auch bei den vielen anderen guten Gesetzen wünschen, die wir als christlich-liberale Koalition vorlegen. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Wir behandeln heute in zweiter/dritter Lesung den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess. Das Gesetz regelt nun auch die dauerhafte Beibehaltung des derzeit geltenden modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffes und die damit verbundenen Änderungen im Finanzmarktstabilisierungsgesetz in Bezug auf § 19 Absatz 2 Insolvenzordnung. Bis zum 17. Oktober 2008 galt der mit der Insolvenzordnung eingeführte Überschuldungsbegriff, wonach -juristische Personen verpflichtet waren, mithilfe der -sogenannten Überschuldungbilanz sicherzustellen, dass keine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne vorlag. Sofern von der Fortführung des Unternehmens auszugehen war, wurden Vermögen und Schulden zu Fortführungswerten bewertet. Entscheidende Bedeutung hatte somit ein rechnerisches Überschuldungselement. Bekanntlich muss bei Überschuldung binnen drei Wochen der Insolvenzantrag gestellt werden. Diese starre Regelung konnte zur Folge haben, dass Unternehmen aufgrund einer Momentaufnahme einen Insolvenzantrag stellen mussten, auch wenn sich eine positive Änderung der Vermögenslage in näherer Zukunft abzeichnete. Als Reaktion auf die Finanz- und Bankenkrise haben wir die absolute Bedeutung der rechnerischen Überschuldung aufgegeben. Die Krise hat insbesondere bei Aktien und Immobilien zu erheblichen Wertverlusten und damit bei Unternehmen zu einer bilanziellen Überschuldung geführt. Konnten diese Verluste nicht durch sonstige Aktiva ausgeglichen werden, so wären die Organe dieser Unternehmen verpflichtet gewesen, innerhalb von drei Wochen nach Eintritt dieser rechnerischen Überschuldung trotz etwaiger positiver Fortführungsprognose einen Insolvenzantrag zu stellen. Es gilt daher durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz wieder der vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung durch den Bundesgerichtshof vertretene modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff; dies allerdings befristet bis zum 31. Dezember 2013. Danach schließt bereits eine positive Fortführungsprognose stets eine insolvenzrechtliche Überschuldung aus. Erst bei negativer Prognose ist eine Überschuldungsbilanz aufzustellen. Entscheidende Bedeutung hat somit ein rechtliches Überschuldungselement in Form einer Zahlungsfähigkeitsprüfung. § 19 Absatz 2 der Insolvenzordnung wurde in seiner derzeit geltenden Fassung lediglich als vorübergehende Lösung für die Zeit der Finanzkrise eingeführt. Zunächst war beabsichtigt, dass ab dem 1. Januar 2011 der mit der Insolvenzordnung eingeführte Überschuldungsbegriff wieder in Kraft treten sollte. Mit dem Gesetz zur -Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7. Dezember 2011 wurde die Gültigkeit der Übergangsbestimmung bis zum 31. Dezember 2013 verlängert. Die Auswirkungen dieser Regelung sind evaluiert worden durch eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene rechtsstaatliche Untersuchung. Darin kommen Professor Bitter und Professor Hommerich zu dem Ergebnis, dass die in der Finanzkrise getroffene Entscheidung, den Überschuldungsbegriff zu ändern, richtig war. Die volkswirtschaftlichen Vorteile überwiegen die Nachteile dem Gutachten zufolge klar. Bei einer Rückkehr zum mit der Insolvenzordnung eingeführten Überschuldungsbegriff befürchten die Gutachter, dass an sich lebensfähige Unternehmen, bei denen die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie weiter erfolgreich am Markt operieren können, in ein Insolvenzverfahren gedrängt würden. Zu Recht weisen die Gutachter auf die Vorwirkung der nach bisheriger Rechtslage weitreichenden Rechtsänderung zum 1. Januar 2014 hin. Wenn absehbar ist, dass ein Unternehmen Anfang 2014 aufgrund des dann wieder geltenden „alten“ Überschuldungsbegriffs Insolvenzantrag stellen müsste, hat es schon Ende 2012 keine positive Fortführungsprognose mehr. Folge wäre bereits jetzt eine Insolvenzantragspflicht; das zeigt, dass bereits heute dringender Handlungsbedarf besteht. Festzuhalten ist, dass sehr viel für eine dauerhafte Beibehaltung des aktuell geltenden Überschuldungsbegriffs spricht. Konjunkturelle Schwankungen und damit verbundene bilanzielle Bewertungen allein dürfen nicht zur negativen Fortführungsprognose eines Unternehmens führen, das auch in Zukunft erfolgreich am Markt tätig sein kann. Der mit der Insolvenzordnung eingeführte Überschuldungsbegriff wird wegen der erforderlichen bilanziellen Überschuldungsfeststellung von vielen Praktikern weitgehend für unpraktikabel gehalten. Nahezu kein Unternehmen kann einer Überschuldungsprüfung zu Liquidationswerten standhalten. Bereits im Gründungsstadium wären die meisten deutschen Unternehmen rechnerisch überschuldet. Ausweislich des genannten Gutachtens steht der dauerhaften Beibehaltung des modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs auch nicht die Funktion als Auslöser einer Insolvenzantragspflicht entgegen. Insbesondere die straf- und zivilrechtlichen Sanktionen bei Insolvenzverschleppung zeitigen in Überschuldungsfällen keine große Wirkung, oder sie werden durch andere Tatbestände aufgefangen. Die zivilrechtliche Haftung wegen Insolvenzverschleppung beispielsweise wird ganz überwiegend auf Zahlungsunfähigkeit und nicht auf Überschuldung gestützt. Dagegen hat sich § 19 Absatz 2 InsO in der derzeit geltenden Fassung in der Praxis bewährt. Die vorgesehene Entfristung trägt dem Rechnung und bringt für die betroffenen Unternehmen die im Rechts- und Wirtschaftsverkehr dringend gebotene Rechts- und Planungssicherheit. Sonja Steffen (SPD): Die Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess ist längst überfällig. In der freiwilligen Gerichtsbarkeit und im familiengerichtlichen Verfahren gibt es die Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung bereits seit 2009, wenn auch beschränkt auf bestimmte Entscheidungen. In § 232 ZPO soll sie nun für alle anfechtbaren „gerichtlichen“ Entscheidungen gelten. Diese Ausweitung halte ich im Sinne einer bürgerfreundlichen Justiz für sinnvoll. Ziel des Gesetzentwurfes ist es, die Orientierung im gerichtlichen Instanzenzug zu erleichtern und unzulässige Rechtsmittel zu vermeiden. Ich denke, dass wir mit Einführung dieser Gesetzesänderung diesem Ziel deutlich näher kommen. Die Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung soll bei allen anfechtbaren Entscheidungen des Gerichts bestehen. Der Bundesrat wünscht hier eine Einschränkung auf „befristet“ anfechtbare Entscheidungen. Ich schließe mich der Entscheidung der Bundesregierung an, diese Einschränkung abzulehnen. Um drohende Zwangsmaßnamen rechtzeitig abzuwehren, ist auch die Belehrung über den Widerspruch im einstweiligen Rechtsschutz nötig. Eher noch hätte man vielleicht noch weiter gehen und die Rechtsmittelbelehrungspflicht auf sämtliche Entscheidungen ausweiten können, unabhängig von der Anfechtbarkeit. Denn für den rechtsunkundigen Bürger dürfte schwer erkennbar sein, ob eine Rechtsmittelbelehrung fehlerhaft unterblieben ist oder hier kein Rechtsmittel möglich ist. Wichtig ist jedoch aus meiner Sicht vor allem, dass die Bürgerinnen und Bürger über die Rechtsmittel, die ihnen zur Wahrung ihrer Rechte tatsächlich zur Verfügung stehen, aufgeklärt werden. Grundsätzlich wird die Pflicht zur Rechtsbehelfsbelehrung auf Verfahren ohne Anwaltszwang beschränkt sein. Begründet wird dies mit einem geringeren Schutzbedürfnis der Rechtsanwälte. Hiervon gibt es Ausnahmen, wenn die Beratung durch den Anwalt nicht sichergestellt ist, beispielsweise bei Versäumnisurteilen. Im Kostenrecht ist hingegen eine einheitliche Rechtsbehelfsbelehrungspflicht vorgesehen. Ein Kritikpunkt der Verbände an dem Gesetzentwurf ist die vermeintlich einseitige Haftungsverschärfung für Rechtsanwälte. Denn die Rechtsfolge einer fehlerhaften oder fehlenden Rechtsmittelbelehrung – die gesetzliche Vermutung der unverschuldeten Fristversäumnis, und damit die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand, § 233 ZPO – sei bei vorhandener Kenntnis ausgeschlossen. Bei diesem Punkt habe ich als Rechtsanwältin natürlich auch genau hingesehen. Denn in der Praxis wird im normalen Büroablauf die vom Gericht mit der Rechtsbehelfsbelehrung genannte Frist in den Fristenkalender eingetragen und nicht noch kritisch überprüft. Allerdings hat hier die Bundesregierung auf die Sorgen der Rechtsanwälte reagiert und eine entsprechende Aussage in der Begründung zum Gesetzentwurf getroffen. Demnach dürfe auch ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die ihm genannten Fristen vertrauen und auch bei Vertretung durch einen Anwalt sei Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn das Rechtsmittel innerhalb der mitgeteilten, falschen Frist einlegt würde. Ich halte dies für eine sachgerechte Lösung, die nicht die Rechtsanwälte einseitig belastet. Im Ergebnis halte ich den Gesetzentwurf zwar nicht für perfekt, aber doch für gelungen; denn er sorgt durch zusätzliche Information für eine verbesserte Situation der Bürgerinnen und Bürger. Christian Ahrendt (FDP): Mit diesem Omnibusgesetz schaffen wir nicht nur Rechtsklarheit in Bezug auf Rechtsmittelbelehrungen im Zivilprozess. Wir passen die Pfändungsfreigrenzen an und kümmern uns um den Überschuldungsbegriff. Während in den übrigen Verfahrensordnungen Belehrungen über die Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen der Gerichte bereits vorgeschrieben sind, ist dies im Zivilprozess einschließlich des Zwangsvollstreckungsverfahrens nicht vorgeschrieben. Das Gesetz führt nun eine Rechtsbehelfsbelehrungspflicht in allen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ein, in denen die anwaltliche Vertretung nicht obligatorisch ist. Diejenigen Rechts-behelfe, über die zu belehren ist, werden ausdrücklich aufgezählt. Die unterbliebene oder fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung wird nun bei einem Wiedereinsetzungsantrag berücksichtigt. Die Rechtsbehelfsbelehrung soll den Bürgerinnen und Bürgern die Orientierung im gerichtlichen Instanzenzug erleichtern und soll unzulässige Rechtsmittel vermeiden. Auf diese Weise soll der Rechtsschutz des Einzelnen im gesamten Zivilprozess verbessert werden. Denn das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung erschwert den Bürgerinnen und Bürgern die Orientierung im gerichtlichen Instanzenzug und erhöht die Gefahr unzulässiger Rechtsbehelfe, weil sich Form, Frist und zuständiges Gericht für den Rechtsbehelf nicht aus der Entscheidung entnehmen lassen. Im Rahmen des Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen wird das Gesetz um weitere notwendig -gewordene Regelungen ergänzt. Die Neufassung von § 145 Abs. 1 ZPO soll verdeutlichen, dass eine Trennung der Verfahren – wie bereits in der höchstrichterlichen Rechtsprechung verankert – nur zulässig ist, wenn dafür sachliche Gründe bestehen. Sachliche Gründe können insbesondere die Vermeidung einer verzögerten Erledigung einzelner abtrennbarer Teile des Rechtsstreits, die Förderung der Übersichtlichkeit des Prozessstoffes sowie die Ermöglichung einer Teilaussetzung sein. Zudem erhöhen wir die Höhe der pfändungsfreien -Beträge für den Pfändungsschutz der Altersvorsorge Selbstständiger in § 851c Abs. 2 ZPO, der an die veränderten Berechnungswerte angepasst wird. Das pfändungsfreie Deckungskapital wird nun, da die Berechnungswerte einer ständigen Veränderung unterliegen, überprüft und angepasst. Der Berechnung des -Deckungskapitals wurden die maßgeblichen Berechnungswerte wie Sterbetafel, Garantiezins, aktuelle Pfändungstabelle, übliche Abschluss-, Inkasso- und Verwaltungskosten zugrunde gelegt. Schließlich wird der derzeit geltende Überschuldungsbegriff in § 19 Abs. 2 InsO mit diesem Gesetz entfristet. § 19 Abs. 2 InsO wurde in seiner derzeit geltenden Fassung lediglich als vorübergehende Lösung für die Zeit der Finanzkrise eingeführt. Durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG) wurde im Oktober 2008 der Überschuldungsbegriff des § 19 Abs. 2 InsO zeitlich befristet bis Ende 2010 geändert. Zunächst war beabsichtigt, dass ab dem 1. Januar 2011 der frühere Überschuldungsbegriff wieder in Kraft treten sollte. Durch das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen wurde die Befristung im August 2009 bis Ende 2013 verlängert. Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen im August 2009 gebeten, „die Anwendung des weiter geltenden Überschuldungsbegriffs zu beobachten, mit Fachkreisen und den Landesjustizverwaltungen zu diskutieren und dem Deutschen Bundestag Mitte der nächsten Legislaturperiode über die gemachten Erfahrungen zu berichten“, um über die Notwendigkeit einer weiteren Verlängerung oder einer Rückkehr zum früheren Überschuldungsbegriff entscheiden zu können. In der daraufhin von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen rechtstatsächlichen Untersuchung kommen die Professoren Bitter und Hommerich zu dem Ergebnis, dass die in der Finanzkrise getroffene Entscheidung, den -Überschuldungsbegriff zu ändern, richtig war. Die volkswirtschaftlichen Vorteile hätten die Nachteile klar überwogen. Bei einer Rückkehr zum alten Überschuldungsbegriff befürchten die Gutachter, dass lebensfähige Unternehmen in ein Insolvenzverfahren gedrängt würden, da die Inkraftsetzung des alten Überschuldungsbegriffs bereits im Jahre 2012 Vorwirkungen zeige. Vermögenswerte betroffener Unternehmen müssten in den Jahresabschlüssen nicht mehr zu Fortführungswerten, sondern zu Liquidationswerten angesetzt werden. Auf zahlreiche mittelständische Unternehmen läuft dieses Problem zum 31. Dezember 2013 zu. Unternehmen, die bis zu diesem Zeitpunkt eine bestehende -Deckungslücke nicht geschlossen haben, wären ab 1. Januar 2014 in einer Insolvenzantragspflicht. Daher ist dringender Handlungsbedarf gegeben. In ihrer abschließenden Empfehlung stellen die Gutachter zudem fest, dass viel für eine Entfristung des aktuell geltenden Überschuldungsbegriffs spreche. Der alte Überschuldungsbegriff werde in der Praxis weitgehend für unpraktikabel gehalten. Die relative Mehrheit der befragten Experten befürwortete eine dauerhafte Beibehaltung des derzeit geltenden Überschuldungsbegriffs. § 19 Abs. 2 InsO hat sich in der derzeit geltenden Fassung in der Praxis bewährt. Die vorgesehene Entfristung trägt dem Rechnung und bringt für die betroffenen Unternehmen die im Rechts- und Wirtschaftsverkehr dringend gebotene Rechtssicherheit. Jens Petermann (DIE LINKE): Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung den Bürgerinnen und Bürgern die Orientierung im Instanzenzug des Zivilprozesses – einschließlich der Zwangsvollstreckung – erleichtern möchte. Das ist ein Schritt in Richtung bürgerfreundliche Justiz und bringt für die Rechtsunkundigen etwas mehr Durchblick im Gesetzesdschungel. Für Entscheidungen im Zivilprozess sind derzeit Rechtsbehelfsbelehrungen nicht vorgeschrieben. Dennoch kann man Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelbelehrungen, anders als im Gesetzentwurf behauptet, durchaus als verfassungsrechtlich geboten ansehen. Dies folgt aus Art. 19 Abs. 4 und aus Art. 20 Abs. 1 GG. Rechtsstaatsprinzip und Justizgewährleistungsanspruch garantieren die Rechtswegklarheit und damit auch die Rechtsmittelklarheit. Eine Rechtsbehelfsbelehrung -vermindert die Gefahr unzulässiger Rechtsbehelfe, weil sich Form, Frist und zuständiges Gericht für den Rechtsbehelf nicht aus der Entscheidung selbst entnehmen lassen, sondern mühevoll aus dem Gesetz abgeleitet werden müssen, was fehlerträchtig ist. Damit kann sich die neue Bürgerfreundlichkeit auch justizentlastend auswirken. In einem neuen § 232 ZPO wird die Rechtsbehelfsbelehrung geregelt, wonach jede anfechtbare gerichtliche Entscheidung eine Belehrung über das statthafte Rechtsmittel, das zuständige Gericht und über die Form und Frist enthalten muss. Ausgenommen sind Verfahren mit Anwaltszwang, also grundsätzlich alle zivilrechtlichen Angelegenheiten ab Landgerichtszuständigkeit. Ob eine Einschränkung auf Verfahren ohne Anwaltszwang bzw. Anwaltsbeteiligung sinnvoll ist, kann man infrage stellen. Natürlich sollte ein Anwalt und damit die anwaltlich vertretene Partei immer wissen, wie und innerhalb welcher Frist sie sich gegen Entscheidungen verteidigen kann. Allerdings folgt aus der Differenzierung anwaltlich vertreten und nicht anwaltlich vertreten ein administrativer Aufwand für die Geschäftsstellen der Gerichte, ohne dass dem ein Nutzen gegenübersteht. Es schadet nicht - weder der Partei noch dem Anwalt - von dem Gericht über das nach dessen Sicht zulässige Rechtsmittel bzw. den Rechtsbehelf informiert zu werden. Es sind keine Nachteile oder Bedenken ersichtlich, die gegen eine solche Information auch bei anwaltlicher Vertretung sprechen. Es würde mithin Gerichten und sonstigen berufenen Stellen die Arbeit erleichtern, wenn sie stets ihre Entscheidungen damit versehen müssten; in anderen Verfahrensordnungen ist eine derartige -Einschränkung auch nicht üblich. Effiziente und weitsichtige Gesetzgebungspraxis muss sich daran messen lassen. Sollte nun das Gericht bei einer Entscheidung, die es an einen nicht anwaltlich vertretenen Verfahrensbeteiligten zustellt, die Rechtsmittel- und Rechtsbehelfsbelehrung vergessen oder fehlerhaft ausstellen, so führt dies bei Versäumung der Rechtsmittelfrist zu einem Wiedereinsetzunganspruch in den vorherigen Stand, und der Verfahrensbeteiligte wird so gestellt, als hätte er die Frist nicht versäumt. Nach diesem Schema werden eine Reihe weiterer Vorschriften unter anderem im Justiz-vergütungs- und Justizentschädigungsgesetz, im Rechts-anwaltsvergütungsgesetz, Gerichtskosten- und Gerichtsvollzieherkostengesetz etc. ergänzt. Dennoch kann ich dem BMJ ein paar kritische Worte nicht ersparen. Nicht nur ich warte immer noch auf den Tag, an dem das Bundesjustizministerium zu einem mängelfreien Gesetzentwurf beglückwünscht werden kann. Am heutigen Tag ist das leider nicht möglich; denn der Entwurf enthält weitere Änderungen, die mit dieser -Thematik nichts zu tun haben. Art. 4 des Gesetzentwurfes – Änderung des Rechtspflegergesetzes – setzt augenscheinlich einen deutsch-österreichischen Konkursvertrag um. Art. 5 ändert die Zulässigkeitsregelungen für Vorlagen an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes; dort soll das Verfahren effektiviert werden, indem vor Vorlage abzuklären ist, ob der Senat, von dessen Rechtsprechung abgewichen werden soll, überhaupt daran festhalten will. Art. 6 – Änderung des FamFG – ändert auch Normen im Bereich der Zwangsmaßnahmen wie der gewaltsamen Öffnung der Wohnung zur Vorführung zur Untersuchung in Betreuungssachen. Frau Justizministerin, erklären Sie mir einmal, was die Einführung der Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess mit gewaltsamem Öffnen von Wohnungen zu tun hat? Wenigstens versuchen Sie nicht diese Regelungen, die Zwangsmaßnahmen erlauben, hinterrücks auszuweiten. Das Argument, mit dem Huckepackverfahren erspare man sich lauter Einzelinitiativen, ist im Hinblick auf das Transparenzgebot parlamentarischer Verfahren bedenklich. Deshalb appelliere ich erneut an Sie, Frau Ministerin, dass in Zukunft bitte je Gesetzentwurf nur diejenigen Änderungen oder Regelungen enthalten sind, die thematisch, sachlich und fachlich korrespondieren. Auch wenn Sie mit dem Gesetzentwurf sachfremde Rechtsmaterie wieder still und leise heimlich nebenbei mitregeln wollen, stimmen wir Ihrem Gesetzentwurf zu. Er setzt ein rechtsstaatliches Gebot um, das bereits in vielen Verfahrensordnungen enthalten ist. Die Länder haben auf der 81. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 23. und 24. Juni 2010 einstimmig beschlossen, dass Rechtsbehelfsbelehrungen in Verfahren, in denen eine anwaltliche Vertretung nicht vorgeschrieben ist und bei denen die Entscheidungen nur befristet anfechtbar sind, eingeführt werden sollen. Das ist nun begrüßenswerterweise geschehen, auch wenn Sie dazu gut zwei Jahre Zeit benötigt haben. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Die Qualität der Gesetze wird immer schlechter.“ Das sage nicht ich. Das sagt der Deutsche Anwaltverein. Wenn ein Verband von Juristinnen und Juristen der -Gesetzgebung ein derart mangelhaftes Zeugnis erteilt, dann müssen wir uns nicht darüber wundern, dass Bürgerinnen und Bürger die für sie gemachten Gesetze nicht mehr verstehen. Und da gibt es ein ganz praktisches Problem: Bürgerinnen und Bürger, die keine anwaltliche Vertretung in Anspruch nehmen, schreiben ihre Klage selbst. Sie reichen diese bei Gericht ein. Sie verhandeln vor Gericht. Sie nehmen das Urteil entgegen. Und dann? Was also geschieht nach einer gerichtlichen Entscheidung? Ohne Anwalt oder Anwältin stehen Recht-suchende nun vor erheblichen Fragen und haben keine Antwort: Kann ich gegen die Gerichtsentscheidung vorgehen? Wie kann ich mich wehren? Wo muss ich Rechtsbehelfe einlegen? Habe ich Fristen zu beachten? Die Folge ist: Bei den Zivilgerichten gehen viele unzulässige oder verfristete Rechtsbehelfe ein. Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen eine Gerichtsentscheidung wehren wollen, scheitern. Sie können ihr Recht nicht ausüben, da sie über dieses Recht nicht ausreichend informiert sind. In verschiedenen Gerichtsverfahren sind bereits Belehrungen über Rechtsbehelfe vorgesehen. Dies ist zum Beispiel für Prozesse nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Fall. Diese Gerichtsverfahren sind bei den Zivilgerichten angesiedelt. Dort aber, wo die Zivilprozessordnung gilt, besteht bisher noch keine Verpflichtung zur Rechtsbehelfsbelehrung. Heute beschließen wir hier im Bundestag das Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess. Richterinnen und Richter sollen zukünftig Prozessbeteiligte, die keinen Anwalt haben, darüber unterrichten, wie, wo und wie lange sie gegen eine Gerichtsentscheidung vorgehen können. Mit diesem Gesetz schließen wir eine große Schutzlücke im Zivilprozessrecht. Mit der Rechtsbehelfsbelehrung wird es künftig für Bürgerinnen und Bürger einfacher, sich im Verfahrensdschungel bei Gericht zurechtzufinden. Das Gesetz ist ein Schritt hin zu besserem Rechtsschutz. Allerdings sollten wir in der Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes evaluieren, ob der Schutz, der durch die Rechtsbehelfsbelehrung statuiert wird, ausreicht. Bisher hat keine Evaluierung der entsprechenden Regelung im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der frei-willigen Gerichtsbarkeit stattgefunden, und das, obwohl diese bereits vor einigen Jahren in Kraft getreten ist. Wir sollten überprüfen, ob sich die Neuregelungen in der Praxis als sinnvoll erweisen. Sollte die Zahl der -unzulässigen Rechtsbehelfe trotz der Belehrung nicht abnehmen, so müssen wir über weitere Reformen nachdenken. So könnte es beispielsweise sinnvoll sein, die Beteiligten eines Rechtsstreites auch zu informieren, wenn kein Rechtsbehelf gegen die Gerichtsentscheidung statthaft ist. Ebenso könnte die Festlegung einer bestimmten Belehrungsform den Rechtsschutz fördern. Das Recht muss die Bedürfnisse jeder und jedes Einzelnen berücksichtigen. Damit sie aber ihre Rechte wahrnehmen können, müssen sie diese kennen. Unsere Aufgabe als Abgeordnete ist es, sicherzustellen, dass Bürgerinnen und Bürger vollen Rechtsschutz erhalten können – auch ohne Anwältin oder Anwalt. Vizepräsident Eduard Oswald: Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11385, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/10490 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind alle Fraktionen des Hauses. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind alle Mitglieder des Hauses. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben (Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz – MicroBilG) – Drucksachen 17/11292, 17/11353 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll gegeben. – Niemand widerspricht. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Die Reduzierung von entbehrlichen Verwaltungslasten für die Wirtschaft ist seit Jahren ein vorrangiges Ziel der Bundesregierung im Rahmen der Umsetzung des Programms Bürokratieabbau. So konnten Einzelkaufleute bereits mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, BilMoG, aus dem Jahr 2009 von der Pflicht zur Aufstellung von Jahresabschlüssen befreit werden. Das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben (Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz, MicroBilG) sieht nun auch für Kleinstkapitalunternehmen Erleichterungen im Bereich Rechnungslegungs- und Offenbarungsvorschriften vor und nimmt ihnen bürokratische Lasten bei der Erstellung von Bilanzen ab. Standen entsprechenden nationalen Regelungen bislang europarechtliche Vorgaben entgegen, konnte die christlich-liberale Bundesregierung mit ihren guten -Argumenten im März dieses Jahres erfolgreich für einen Kompromiss, der die Entlastung möglich macht, auf EU-Ebene werben. Allein in Deutschland sind rund 500 000 kleine Kapitalgesellschaften mit geringen Umsätzen und kleinen Vermögenswerten aufgrund ihrer entsprechend geringen Größe typischerweise nicht grenzüberschreitend tätig. Für genau diese wird eine strikte Rechnungslegung nach den Vorgaben der Richtlinie 78/660/EWG jedoch als Belastung empfunden. Dabei konzentriert sich das Interesse derjenigen, die Jahresabschlüsse nutzen, in der Regel auf die Nachfrage weniger Kennzahlen. Von den vorgesehenen Befreiungen werden Kleinst-kapitalgesellschaften profitieren. Als Unterform der kleinen Kapitalgesellschaften sind das solche Unternehmen, die an zwei aufeinanderfolgenden Abschlussstichtagen mindestens zwei der folgenden drei Schwellenwerte unterschreiten: 350 000 Euro Bilanzsumme nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrags, 700 000 Euro Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag und/oder durchschnittliche Anzahl der Mitarbeiter während des Geschäftsjahres nicht über zehn. Der Status als Kleinstkapitalunternehmen wird dabei erst nach zwei Jahren verwirkt, so ein Unternehmen zwei der drei oben genannten Schwellenwerte überschreitet. Die neue Richtlinie räumt den Kleinstunternehmen zum Einzelabschluss besondere Wahlrechte als Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Rechnungs-legung von Kapitalgesellschaften ein. So sind Ausnahmen von der grundsätzlichen Verpflichtung zum Ausweis von aktiven und passiven Rechnungsabgrenzungsposten möglich, dürfen Kleinstunternehmen auf den umfangreichen Anhang zur Bilanz verzichten sowie die Aufgliederung von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung verkürzen. Zudem sieht das MicroBilG eine Einschränkung hinsichtlich der Veröffentlichungspflicht vor. Nicht mehr zwingend erforderlich ist die Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen von Kleinstunternehmen gegenüber der breiten Öffentlichkeit, wie dies durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger aktuell verpflichtend ist. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass es ausreicht, wenn Kleinstunternehmen ihre Jahresabschlüsse nur mehr an ein Register übersenden, aus dem sie nur auf Nachfrage zur Information an Dritte herausgegeben werden. Die Richtlinie wird zügig umgesetzt, damit den Kleinstkapitalgesellschaften die auf EU-Ebene vereinbarten Erleichterungen möglichst schnell zugutekommen können. Die Neuregelung soll für alle Geschäftsjahre gelten, deren Abschlussstichtag nach dem 31. Dezember 2012 liegt. Die Bundesregierung hat mit dem MicroBilG den Spielraum der Richtlinie bestmöglich ausgeschöpft. Die Befreiung der Kleinstkapitalunternehmen von einigen genau bezeichneten Anforderungen stellt eine maßvolle Abschwächung der Vorgaben für die Rechnungslegung dar, ohne dabei die berechtigten Informationsinteressen von Gläubigern über Gebühr auszuhebeln. Von den durch das MicroBilG getroffenen Erleichterungen werden rund 500 000 deutsche Unternehmen profitieren. Im weiteren parlamentarischen Verfahren sind – Stichwort Flexibilität beim Ordnungsgeld – für eine Verletzung von Publizitätspflichten noch einige kleinere Punkte zu beleuchten. Der Normenkontrollrat hat der Bundesregierung erst kürzlich in seinem Jahresbericht bescheinigt, dass der Bürokratieabbau in Deutschland trotz weiterhin bestehendem Handlungsbedarf bereits gut vorangekommen ist. Die schnelle Umsetzung der EU-Micro-Richtlinie 2012/6/EU ist ein weiteres positives Signal, das die christlich-liberale Bundesregierung aussendet. Ingo Egloff (SPD): Wer sich an das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz aus dem letzten Jahr der Großen Koalition und seine segensreichen Verbesserungen für Einzelkaufleute erinnert, muss angesichts des nun vorgelegten Gesetzentwurfs zur Änderung des Bilanzrechts für kleinste Kapitalgesellschaften herb enttäuscht sein. Denn es bleibt alles beim Alten: Die Bilanzrechtsänderung für Kleinstbetriebe könnte auch unter der Überschrift „Mikroskopische Hilfen für Mikro-Unternehmen“ stehen. Tritt das Gesetz in dieser Form in Kraft, dann sind im Ergebnis die Erleichterungen beschämend dürftig. Das Bundesjustizministerium hatte die ursprünglich angestrebten Maßnahmen zu einer Vereinfachung und Lockerung der Rechnungslegung im Rahmen der EU-Micro-Richtlinie 2012/6/EU zu einem „wichtigen Anliegen“ erklärt, aber in den entscheidenden Fragen hat sich die Bundesregierung in Brüssel nicht durchsetzen können. Weder ist von einer Vereinfachung bei der Rechnungslegung auszugehen, weil die ursprünglich gute Idee einer Befreiung von der Bilanzierungspflicht für Kleinstkapitalgesellschaften in Europa nicht durchzusetzen war, noch wird eine Reduzierung der bürokra-tischen und finanziellen Belastung der Unternehmen in auch nur nennenswerter Größenordnung spürbar. Nach ihren gescheiterten Verhandlungen mit den europäischen Partnern blieb als kleinster gemeinsamer Nenner eine Regelung übrig, die wir nun als Gesetzentwurf vorgelegt bekommen: Firmen unterhalb der Schwelle von zwei der drei Merkmale 350 000 Euro Bilanzsumme, 700 000 Euro Umsatz oder zehn Arbeitnehmer können künftig auf die Erstellung eines Anhangs zur Bilanz verzichten (§ 264 HGB-E), wenn sie bestimmte Angaben unter der Bilanz machen – dazu gehört die Darstellung der Haftungsverhältnisse, Angaben zu Vorschüssen und Krediten an Mitglieder der Geschäftsführung oder der Aufsichtsorgane, sowie Angaben zu eigenen Aktien. Die Bilanz muss mit einer geringeren Gliederungstiefe aufgestellt werden, § 266 Abs. 1 HGB-E (Verkürzte Bilanz), das Gleiche gilt für die Gewinn- und Verlustrechnung (Verkürzte GuV). Die gesamten 36 Millionen Euro Ersparnis, die Sie im Gesetzentwurf zugunsten der Kleinstkapitalgesellschaften beziffern, resultieren aus dem simplen Umstand, dass diese Unternehmen künftig ihre Bilanz beim Bundesanzeiger nicht mehr veröffentlichen müssen – es genügt, wenn sie sie dort hinterlegen. Im Falle der Hinterlegung können Dritte künftig auf Antrag kostenpflichtig eine Kopie der Bilanz erhalten, die Veröffentlichungskosten in der Größenordnung von 60, 70 Euro im Jahr bleiben den Kleinstfirmen erspart. Aber Pflicht bleibt Pflicht: Die Bilanz ist auch wei-terhin dem Bundesanzeiger zu übersenden, und zwar fristgerecht und ordnungsgeldbewehrt. Ein Bürokratieabbau und eine Entlastung der Betroffenen sind hier jedenfalls nicht zu erkennen, mit denen man die geringere Transparenz im Geschäftsverkehr, die Einführung von Sonderregelungen im HGB und in der Unternehmens-registerverordnung und den vergrößerten Überwachungsaufwand vielleicht hätte begründen können. Schließlich sollen selbst diese geringen Entlastungen auf kleine Genossenschaften keine Anwendung finden. Mögliche Erleichterungen – so die Begründung – sollen gesondert geprüft werden. Hier sehen wir unbedingten Änderungsbedarf, eine Anwendung der Micro-Richtlinie auch auf genossenschaftlich organisierte Unternehmen halten wir für geboten. Dass bereits die Verabschiedung im Europäischen Rat erst nach zähem Ringen erfolgte, weil die Widerstände aus einigen europäischen Ländern selbst in dieser minimalinvasiven Endfassung noch spürbar waren, ist bedauerlich. Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen, aber mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass wir mit dem mangelnden Durchsetzungsvermögen der Bundesregierung in Brüssel außerordentlich unzufrieden sind. Richard Pitterle (DIE LINKE): Heute beraten wir über Erleichterungen für ganz kleine Kapitalgesellschaften, also solche, die höchstens 700 000 Euro (Netto-)Umsatz erwirtschaften, maximal 350 000 Euro Bilanzsumme aufweisen oder zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchschnittlich beschäftigt haben – zwei der drei Kriterien dürfen nicht überschritten sein. Davon werden fast ausschließlich GmbHs Gebrauch machen können, kaum AGs. Die Bundesregierung führt damit den mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, BilMoG, eingeschlagenen Weg fort und räumt kleinen Unternehmen weitere Erleichterungen bei ihrer Rechnungslegung ein. Doch soll das, was mit dem BilMoG begonnen wurde, wirklich weitergeführt werden? Die Bundesregierung gibt sich wirtschaftsfreundlich: Die Kleinstkapitalgesellschaften, wie sie genannt werden, sollen bei der Aufstellung und Veröffentlichung ihres Jahresabschlusses von Kosten entlastet werden. Sie können zukünftig vereinfachte Bilanzen sowie kürzere Gewinn- und Verlustrechnungen erstellen und brauchen keinen Anhang anzufertigen. Als ich den Gesetzentwurf vorliegen hatte, war meine erste Frage: Brauchen wir dieses Gesetz? Die zugrundeliegende Richtlinie der EU verlangt nicht zwingend die Umsetzung in deutsches Recht. Die Bundesregierung spricht von Kostenersparnissen und Bürokratieabbau. Das klingt für die Öffentlichkeit immer gut. Wer wollte schon dagegen sein? Für den Wirtschaftspraktiker sieht das Bild jedoch ganz anders aus. Er weiß, dass die Kreditinstitute Unterlagen für ihre Kreditentscheidungen benötigen; ich erinnere hier an § 18 KWG. Er weiß, dass das Finanzamt neben den Steuererklärungen eine Steuerbilanz sehen will und die Taxonomie der Euro-Bilanz gut gefüllt sein soll. In beiden Fällen liefert der HGB-Jahresabschluss die Grundlagen. Somit sind die vorgesehenen Erleichterunge bei der Aufstellung des Jahresabschlusses vernachlässigbar, wenn man etwas weiter denkt. Blieben also lediglich potenzielle Einsparungen bei den Kosten für die Veröffentlichung des Jahresabschlusses. Doch diese sind für kleine Unternehmen schon heute gering. Aus der Sicht der Wirtschaft werden sich die Erleichterungen für die Kleinstkapitalgesellschaften also in einer sehr überschaubaren Größenordnung bewegen. Solange die Finanzverwaltung die Vereinfachungen und Verkürzungen nicht akzeptiert, wird es keine nennenswerten Entlastungen für die Kleinstkapitalgesellschaften geben. Und das kann die Finanzverwaltung wegen der Euro-Bilanz nicht machen. Ich möchte abschließend noch an das Ziel erinnern, das mit der Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses verbunden ist, nämlich dass der Kaufmann sich einen Überblick über seinen Betrieb machen soll. Ich zitiere § 242 HGB: Erster Absatz: „Der Kaufmann hat zu Beginn seines Handelsgewerbes und für den Schluß eines jeden Geschäftsjahrs einen das Verhältnis seines Vermögens und seiner Schulden darstellenden Abschluß… aufzustellen.“ Zweiter Absatz: „Er hat für den Schluß eines jeden Geschäftsjahrs eine Gegenüberstellung der Aufwendungen und Erträge des Geschäftsjahrs – Gewinn- und Verlustrechnung – aufzustellen.“ Diese Vorschriften wurden eingeführt, weil sich früher viele Kaufleute keine Übersicht über ihre Geschäfte verschafften und dadurch in Insolvenz gerieten. Doch das, was früher galt, gilt auch heute. Auch der Kleinstunternehmer braucht einen Überblick über seine Geschäfte, sein Vermögen und vor allem seinen Erfolg, also eine Antwort auf die Frage: Lohnt sich seine unternehmerische Tätigkeit für ihn? Die Linke ist für die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen und für Bürokratieabbau, doch sie sieht auch, dass die kleinen Unternehmen geschützt werden müssen – manchmal auch vor sich selbst, wie wir bei dem Ansturm zahlreicher Kleinunternehmer auf die britische Rechtsform Limited gesehen hatten, die viele wegen leichter Gründung, keines Mindestkapitals und beschränkter Haftung wählten, ohne zu erkennen, welche Folgepflichten mit dieser Rechtsform verbunden waren. Da sind viele bitter aufgewacht. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Großes wird versprochen: Mit dem Gesetzentwurf will die Bundesregierung Kleinstkapitalgesellschaften von den strengen Veröffentlichungspflichten im Hinblick auf den Jahresabschluss entlasten – Stichwort „Bürokratieabbau“. Aber wie so oft stehen hinter dem großen Versprechen von CDU/CSU und FDP nur Marginalitäten. Schön hat es der Verein Deutscher Ingenieure im August auf den Punkt gebracht: „Das „Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzänderungsgesetz“ wird weniger Entlastung bringen, als es sein monströser Name vermuten lässt.“ Momentan sind die Pflichten zur Rechnungslegung und Offenlegung für Kapital- und Personenhandelsgesellschaften sehr umfassend. Derzeit muss die Vorjahresbilanz mit Anhang verpflichtend jährlich im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Unternehmen, die der Offenlegung nicht oder nicht fristgerecht nachkommen, drohen hohe Ordnungsgelder ab 2 500 Euro aufwärts. Besonders für sehr kleine Gesellschaften kann das eine enorm hohe Belastung bedeuten. Nun legt der Gesetzentwurf die neue Kategorie der Kleinstkapitalgesellschaft fest. Das sind Unternehmen, die zwei der drei folgenden Merkmale an zwei aufeinander folgenden Abschlussstichtagen nicht überschreiten: Umsatzerlöse bis 700 000 Euro, Bilanzsumme bis 350 000 Euro und durchschnittlich zehn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zur Offenlegung müssen diese Kleinstkapitalgesellschaften zwar auch künftig ihren Jahresabschluss elektronisch beim Bundesanzeiger einreichen. Sie können sich aber aussuchen, ob sie ihn im Bundesanzeiger bekannt machen lassen oder ob sie ihn lediglich zur dauerhaften Hinterlegung beim Unternehmensregister einreichen. So oder so: Die Unterlagen müssen dann aber trotzdem rechtzeitig elektronisch beim Bundesanzeiger eingereicht werden. Viel Entlastung kann dadurch also nicht erwartet werden. Wirkungsvoller ist da eher, dass Kleinstkapitalgesellschaften keinen Anhang zur Bilanz mehr erstellen müssen. Dafür müssen unter der Bilanz ein paar mehr zusätzliche Angaben gemacht werden, so zum Beispiel die Darstellung der Haftungsverhältnisse. Schließlich wurde die Darstellungstiefe für Kleinstkapitalgesellschaften hinsichtlich des Jahresabschlusses geändert, das heißt: Es kann ein vereinfachtes Gliederungsschema angewendet werden. So weit, so gut. Das eigentliche Problem bleibt davon aber völlig unberührt: die unangemessen hohen Ordnungsgelder, die zu entrichten sind, wenn die Rechnungsunterlagen nicht spätestens 12 Monate nach -Abschluss des Geschäftsjahres beim Bundesanzeiger elektronisch eingereicht wurden und die sechswöchige Androhungsfrist im Ordnungsgeldverfahren abgelaufen ist. Jetzt werfen wir noch einmal einen Blick auf gerade die kleinen Unternehmen, denen eigentlich geholfen werden sollte: Für sie ist der buchhalterische Aufwand bei der Erstellung des Jahresabschlusses schwerer zu erfüllen als für mittlere und große Unternehmen. In den Ordnungsverfahren der Jahre 2009 und 2010 wurden laut Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von uns Grünen 97 Prozent der Ordnungsgeldverfahren -gegen kleine Unternehmen eingeleitet. Das ist eine happige Zahl und zeigt ja ganz deutlich, dass gerade kleine Unternehmen Schwierigkeiten mit der starren derzeitigen Regelung haben. Von einzelnen Unternehmen habe ich auch erfahren, dass die nicht pünktlich veröffent-lichen konnten, weil wesentliche Verfahrensinformationen gefehlt haben und das Bundesamt für Justiz auf Fragen nicht reagiert hat. Statt Antworten flatterten den Betroffenen dann gelbe Briefe mit bereits eingeleiteten Ordnungsgeldverfahren ins Haus. Nun zur Höhe des Ordnungsgeldes: Mindestens 2 500 Euro sind für kleine Unternehmen ein harter Schlag – bis hin zur Existenzbedrohung. Die Bundesregierung hätte am Ordnungsgeldverfahren durchaus Änderungen vornehmen können. Die EU-Richtlinie gibt hier keine verpflichtenden Details vor. Doch Schwarz-Gelb hat es verpasst, spürbare Entlastung bei der Höhe der Ordnungsgelder umzusetzen. Nicht einmal eine Anpassung der Ordnungsgelder an die Unternehmensgrößen wurde vorgenommen. Dabei ist doch vollkommen klar, dass ein kleiner Handwerksbetrieb von 2 500 Euro unverhältnismäßig schwerer getroffen wird als ein Großkonzern. Jetzt kommt noch dazu, dass es in kleinen Unternehmen ab und zu vorkommt, dass nur eine Person für die Rechnungslegung und Buchhaltung verantwortlich ist. Nicht immer gibt es Vertretungskräfte. Wir reden hier immerhin von Kleinstunternehmen, die vielleicht eine Handvoll Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben. Wenn nun der Geschäftsführer bzw. die Geschäftsführerin krank wird, kann sich die Einreichung der Bilanz drastisch verzögern. Mir ist auch ein Fall bekannt, in dem durch einen Brand sämtliche Unterlagen zerstört wurden. Ob die Unternehmer es in dem Fall gewollt hätten oder nicht: Der Jahresabschluss konnte so faktisch nicht erstellt werden. Für solche und ähnliche Fälle müsste das Bundesjustizministerium mehr Flexibilität beweisen und nicht gleich nach starr bürokratischer Art mit Ordnungsgeldern drohen. Würde die Bundesregierung die Besonderheiten von Klein- und Kleinstkapitalgesellschaften wirklich verstehen und hätte sie es mit der Unterstützung ernst gemeint, hätten viel wirksamere Änderungen angegangen werden können. So aber bleibt das „Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzänderungsgesetz“ nicht mehr als ein zahnloser Tiger; viel Lärm um fast nichts. Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Bürokratieabbau und Deregulierung sind zentrale Leitlinien der Arbeit dieser Bundesregierung. Mit dem zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf wird ein weiteres Element des Bürokratieabbaus hinzugefügt. Nachdem wir bereits in der letzten Sitzungswoche – von vielen vielleicht nicht bemerkt – mit dem Jahressteuergesetz auch die handelsrechtlichen Aufbewahrungsfristen für Unterlagen der Rechnungslegung erheblich reduziert haben, wird der Weg des Bürokratieabbaus mit dem vorliegenden Gesetz weiter fortgesetzt. Es geht um die Entlastung der Kleinstkapitalgesellschaften von Vorgaben der Rechnungslegung. Erfasst werden damit vor allem Kleinst-GmbHs mit wenigen Mitarbeitern und geringem Geschäftsumfang. Während allerdings bei den erwähnten handelsrechtlichen Aufbewahrungsfristen keinerlei EU-rechtliche Vorgaben existieren, ist eine Entlastung im Bereich des Bilanzrechts nur durch die Änderung der bestehenden EU-Richtlinien möglich. Die Bundesregierung hatte deshalb in der Vergangenheit die Initiative der Kommission, Kleinstunternehmen von entsprechenden EU-Vorgaben zu entlasten, immer unterstützt. Der nach langen und strittigen Verhandlungen gefundene Kompromiss hat sich zwar von dem ursprünglichen Vorschlag erheblich entfernt – aber auch hier gilt: Lieber diese Entlastung als gar keine Entlastung. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung entlastet circa 500 000 Unternehmen. Das erreichen wir, indem wir die EU-rechtlichen Schwellenwerte für die Anerkennung als Kleinstkapitalgesellschaften voll ausschöpfen. Bei den allermeisten dieser Unternehmen wird der Gesetzentwurf schon Auswirkungen auf die Rechnungslegung für das Jahr 2012 haben. Das Bilanzgeschäftsjahr vieler Unternehmen endet zum Ende des Jahres; und genau zu diesem Zeitpunkt soll nach dem Vorschlag der Bundesregierung die Neuregelung bereits greifen. Die Unternehmen können dann beispielsweise erleichterte Gestaltungsformen in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung nutzen. Zudem entfällt die Pflicht zur Erstellung eines Anhangs zur Bilanz völlig – eine häufige Fehlerquelle gerade bei Kleinstunternehmen in der Vergangenheit. Die Unternehmen müssen nur einen eng begrenzten Katalog von Informationen unter der Bilanz aufnehmen, falls diese überhaupt einschlägig sind. Schließlich können die Kleinstunternehmen die all-gemeine Veröffentlichungspflicht im frei zugänglichen Bundesanzeiger dadurch ersetzen, dass sie die Rechnungslegungsunterlagen beim Betreiber des Bundesanzeigers hinterlegen. Sie sind dann dort für Dritte nur im gebührenpflichtigen Einzelabruf erhältlich. Der Gesetzentwurf nutzt damit im Kern alle Optionen, die das EU-Recht seit kurzem gewährt. Die Bundesregierung will auch bewusst mit der Umsetzung nicht auf den Abschluss der derzeit laufenden Beratungen zur umfassenden Reform der EU-Bilanzrichtlinien warten. Vielmehr sollen die Entlastungen so schnell wie möglich an die Unternehmen weitergegeben werden. Lassen Sie uns deshalb den Gesetzentwurf jetzt zügig beraten, damit die Kleinstkapitalgesellschaften möglichst rasch Rechtssicherheit erhalten und die neuen Optionen nutzen können. Vizepräsident Eduard Oswald: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11292 und 17/11353 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes – Drucksache 17/11317 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.15 – Alle sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11317 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann haben wir gemeinsam die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schlichtung im Luftverkehr – Drucksache 17/11210 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. – Alle sind damit einverstanden. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Schlichtungsstellen sind in allen Branchen, in denen sie eingerichtet werden konnten, Erfolgsgeschichten. Deshalb hat es sich die christlich-liberale Koalition zum Anliegen gemacht, auch im Luftverkehr die Schlichtung zu etablieren. Künftig kann sich nun auch jeder Fluggast bei Problemen an eine Schlichtungsstelle wenden, egal ob es um Überbuchung, Annullierung, Verspätung oder Schäden am Gepäck geht. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine zweigleisige Schlichtungsstruktur im Luftverkehr vor: eine privatrechtlich organisierte Schlichtung sowie eine bei einer Bundesbehörde einzurichtende behördliche Schlichtung für die wenigen ausländischen Airlines, die sich bislang noch nicht freiwillig beteiligen wollen. Die Mehrzahl der Branche aber verhält sich sehr vernünftig. Für die Schlichtung soll dabei eine Bagatellgrenze von 10 Euro gelten. Die vorherige Geltendmachung des Anspruchs gegenüber dem Luftfahrtunternehmen soll Voraussetzung für die Anrufung der Schlichtungsstelle sein. Der Gesetzentwurf sieht zudem die Möglichkeit vor, künftig eine maximal 20 Euro hohe Schlichtungsgebühr vor Einleitung des Schlichtungsverfahrens beim Fluggast zu erheben, die im Falle eines begründeten Anspruchs vom Luftfahrtunternehmen dann zu erstatten ist. Im Rahmen einer Evaluierung wird nach zwei Jahren überprüft, wie hoch die Erfolgsquote bei der Anrufung der Schlichtungsstelle ist. Besteht die überwiegende Zahl der geltend gemachten Ansprüche nicht, könnte eine solche Gebühr dann von der Schlichtungsstelle eingeführt werden. Bis dahin gilt jedenfalls zunächst einmal Schlichtung ohne „Eintrittsgebühr“ für jedermann. Die Zusage zur Teilnahme der im Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft e.V., BDL, zusammengeschlossenen deutschen Luftfahrtunternehmen und der im Board of Airline Representatives in Germany e.V., BARIG, organisierten ausländischen Luftfahrtunternehmen an einer privatrechtlichen Schlichtungsstelle lässt auf eine erfolgreiche Schlichtung im Flugverkehr hoffen. Eine Schlichtung unter einem Dach wäre die Ideal-lösung gewesen; das will ich offen sagen. Die söp, die bestehende Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V., funktioniert; sie leistet gute Arbeit. Dennoch müssen die wirtschaftlichen Bedingungen für alle Beteiligten stimmen. Den Fluggesellschaften ist die söp zu teuer, ein gemeinsamer Nenner war trotz vieler Gespräche nicht zu erreichen. Die Kostenstruktur der söp, Stichwort „Fallpauschale“, wäre aus Sicht der Airlines ein Nachteil im harten internationalen Wettbewerb. Das Wesen einer Schlichtungsstelle liegt aber gerade in der freiwilligen Teilnahme. Gesetzlicher Zwang ist nicht zielführend, da niemand gesetzlich gezwungen werden kann, Schlichtersprüche abschließend zu akzeptieren. Gemäß dem Justizgewährleistungsanspruch kann der Rechtsweg nicht abgeschnitten werden. Eine Schlichtungsstelle ist aber nur dann effektiv, wenn sie von einer breiten Akzeptanz der jeweiligen Branche getragen wird, sprich: wenn der Schlichtungsspruch auch akzeptiert wird. Nur dann ist den Verbrauchern wirklich geholfen; nur dann werden Gerichte entlastet. Im Übrigen gilt auch: Je höher die Fallpauschale, desto mehr zahlen diejenigen, die keine Beschwerden haben; auch für diese Kunden würden die Tickets teurer. Wichtig ist, dass die Fluggesellschaften nun weit mehrheitlich einer brancheninternen Schlichtung zugestimmt haben. Alle Verkehrsträger beteiligen sich damit in Zukunft an einer Schlichtungsstelle. Der Gesetzentwurf enthält auch die notwendige Auffanglösung für die eigentlichen Problemkinder, Airlines wie Easyjet und Ryanair, die sich hartnäckig nicht freiwillig beteiligen. Gleichwohl bleibt hier am Ende des Tages „nur“ der Weg zum Gericht, wenn diese Airlines ein behördliches Schlichtungsergebnis nicht akzeptieren. Das müssen die Fluggäste vor Augen haben, wenn sie Tickets kaufen. Das sogenannte Y-Modell ist eine gute Lösung. Die Verbraucher haben ein digitales Schlichtungseingangsportal mit zwei Ausgängen. Sie können sich entweder unmittelbar zur söp oder zur Schlichtungsstelle der Airlines durchklicken. Fälle mit Bezug zu EasyJet und -Ryanair werden von der Schlichtungsstelle der Airlines dann automatisch an die behördliche Schlichtungsstelle weitergegeben, die Betroffenen darüber informiert. Im weiteren parlamentarischen Verfahren bleibt zu prüfen, ob, wie vorgesehen, eine Begrenzung der Ansprüche von Passagieren auf 5 000 Euro sinnvoll ist. Auch bei höheren Streitwerten kann die Schlichtung zielführend sein. Darüber hinaus sollte bezüglich einer etwaigen zukünftigen Eintrittsgebühr klargestellt werden, wie unzulässige Anrufungen der Schlichtungsstelle bei der Berechnung der Misserfolgsquote einzubeziehen sind. Es spricht zudem einiges dafür, die für die Beschwerdebearbeitung vorgesehene Regulierungsfrist von 30 auf 60 Tage zu verdoppeln. 30 Tage dürften wohl zu eng bemessen sein, um Schnelligkeit und gebotene Sorgfalt bei der Bearbeitung ins Verhältnis zu setzen. Die söp geht von einer Frist von drei Monaten aus. Mechthild Heil (CDU/CSU): „Der Weg ist das Ziel“ – so wird Konfuzius gern und oft zitiert. Bei Reisen ist der Weg einfach der Weg. Und der ist mehr oder weniger beschwerlich. Und wenn dann noch Unannehmlichkeiten hinzukommen, wie Annullierungen, Verspätungen oder Gepäckschäden, bleibt der Weg in schlechter Erinnerung. Nun liegt uns der Gesetzentwurf zur Schlichtung im Luftverkehr vor. Verbraucherfreundlich kann sich der Fluggast nun bei Problemen rund um seinen Flug an die Schlichtungsstelle wenden. Schlichtung ist ein sinnvolles Instrument der Streitbeilegung und hat sich in den letzten Jahren in vielen Branchen bewährt. Denken Sie an die Schlichtungsstellen im Versicherungs- und Bankenbereich oder auch die „Reiseschiedsstelle“ für online gebuchte Reisen. Auch von Fluggästen werden Verbraucheransprüche in größerer Zahl und mit ähnlichen Sachverhalten geltend gemacht. Sie sind meist einfach zu beurteilen und haben eher einen geringen Streitwert. Deshalb sind sie für die außergerichtliche Schlichtung geeignet. Im Koalitionsvertrag hat die christlich-liberale Koalition vereinbart, eine unabhängige, verkehrsübergreifende Schlichtungsstelle gesetzlich zu verankern. Die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V., söp, hat sich zu einer wichtigen Anlaufstelle für Fahrgäste entwickelt. Ich stimme meinem Kollegen Marco Wanderwitz zu: Ich hätte auch lieber eine verkehrsübergreifende Schlichtungsstelle unter einem Dach gehabt. Leider konnten sich söp und Fluggesellschaften nicht einigen; Stichwort Fallpauschale. Ich denke aber, dass wir mit diesem Gesetzentwurf eine gute Lösung gefunden haben. Die deutschen Luftfahrtunternehmen, die im Bundesverband der Luftverkehrswirtschaft, BDL, organisiert sind, und die ausländischen, die im Board of Airline Representatives in Germany e. V. organisiert sind, haben sich nach intensiven Bemühungen unserer Bundesregierung bereit erklärt, sich freiwillig an einer privatrechtlich organisierten Schlichtungsstelle zu beteiligen. Eine Schlichtungsstelle macht aber nur Sinn und ist nur dann im Sinne der Verbraucher, wenn sich auch alle Unternehmen dieser Branche daran beteiligen. Leider gibt es schwarze Schafe, die das nicht wollen. Aber das darf für die Fluggäste kein Nachteil sein. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit vor, in solchen Fällen eine behördliche Schlichtungsstelle anzurufen. Das ist Verbraucherschutz. Es ist aber nur dann wirksamer Verbraucherschutz, wenn der unzufriedene Fluggast sich nicht erst durch einen Schlichtungsstellendschungel quälen muss, bis er die richtige findet. Deshalb unterstütze ich das derzeit von den Flugunternehmen angedachte „Y-Modell“, also ein Portal mit zwei Schlichtungsstellen. Der Verbraucher kann sich dann entweder an die söp oder die Schlichtungsstelle der Airlines wenden. Was aber machen wir mit den Airlines, die sich nicht freiwillig der Schlichtungsstelle anschließen? Das Modell sieht vor, dass Beschwerden, die diese Airlines betreffen, automatisch an die behördliche Schlichtungsstelle weitergegeben werden. Für den Verbraucher entstünde kein besonderer Aufwand. Schlichtung ermöglicht den Verbrauchern eine schnelle und im Allgemeinen kostenlose Streitbeilegung. Aber auch für die Unternehmen hat die außergericht-liche Schlichtung den Vorteil, dass sie den Kunden eher an sich binden können, als wenn es zu einer gericht-lichen Auseinandersetzung kommt. Dass sich ein Unternehmen freiwillig an einer Schlichtungsstelle beteiligt und dem Kunden diese Möglichkeit eröffnet, erzeugt sicherlich auch Vertrauen und ist ein Vorteil im Wettbewerb. Deshalb hoffe ich, dass sich auch die anderen Airlines überzeugen lassen, an der Schlichtungsstelle freiwillig teilzunehmen. Sie gesetzlich zwingen, wie die Verbraucherzentrale es fordert, wollen wir nicht. Das Verfahren beruht auf Freiwilligkeit. Was hätte der Verbraucher davon, wenn die Fluggesellschaft zur Teilnahme gezwungen würde, dann aber keinen Schlichterspruch akzeptiert? Ein wichtiger Aspekt für die Verbraucher sind natürlich die Kosten. Wenn nach einer zweijährigen Evaluierungsphase überwiegend Ansprüche geltend gemacht wurden, die nicht bestanden haben, kann die Schlichtungsstelle eine Gebühr von 20 Euro von dem Fluggast verlangen. Diese wird zurückgezahlt, sollte der Anspruch begründet sein. Diese Regelungen sind sinnvoll. Eine Schutzgebühr ist notwendig, damit die Schlichtungsstelle nicht überlastet wird. Die Gebühr darf aber keinesfalls eine Hürde darstellen, also nicht so hoch sein, dass sie Verbraucher, die einen begründeten Anspruch haben, abschrecken würde! 20 Euro halte ich für angemessen. Wenn allerdings „die Geltendmachung des Anspruchs missbräuchlich“ war, muss der Fluggast eine Gebühr zahlen. Dabei ist mir besonders wichtig: Der Verbraucher muss vor Einleitung des Schlichtungsverfahrens informiert werden, sollte es zu Gebühren kommen, weil die Schlichtungsstelle missbräuchlich in Anspruch genommen wird. Einerseits müssen sich die Fluggesellschaften natürlich vor Querulanten schützen dürfen. Andererseits darf ein unbedachter Fluggast auch nicht mit Gebühren bestraft werden. Das müssen wir beobachten. Das Gesetz zur Schlichtung im Luftverkehr bringt viele Vorteile für die Verbraucher. Die Schlichtungsstelle bringt grundsätzlich gebührenfrei und schnell Ergebnisse; der Verbraucher hat damit eine gute Möglichkeit, seinem Recht Geltung zu verschaffen. Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Wir haben 2009 nach langen und intensiven Diskussionen die Rechte von Bahnkunden gestärkt. Wir haben dafür gesorgt, dass Kundinnen und Kunden der Bahn auf klar geregelte Fahrgastrechte bauen können und nicht mehr als Bittstellerinnen und Bittsteller auf die Kulanz der Bahn hoffen müssen. Bereits seit Februar 2005 ist die EU-Fluggastrechte-Verordnung 261/2004 in Kraft. Auf dieser Grundlage könnten die Fluggäste ihre Rechtsansprüche gegenüber den Fluggesellschaften geltend machen. Eigentlich! Seit Jahren zeigt sich aber, dass die Fluggesellschaften mit allen möglichen Tricks versuchen, sich um die Zahlungsverpflichtungen zu drücken. Statt sich um eine -außergerichtliche Streitbeilegung, also um eine Schlichtung, zu bemühen, müssen die Gerichte ein ums andere Mal die Luftfahrtunternehmen auf ihre Verpflichtung zu Ausgleichsleistungen verurteilen. Erst vor zwei Wochen wieder hat der Europäische Gerichtshof ein entsprechendes Urteil gefällt und erneut die Rechte der Fluggäste gestärkt. Eine Schlichtungsstelle ist wichtig und notwendig, eine Beteiligung der Luftverkehrsunternehmen ebenso. Es würde ihnen die Chance eröffnen, ihr Verhältnis zu ihren Kundinnen und Kunden zu verbessern, neues -Vertrauen aufzubauen und damit den entstandenen Imageschaden zu heilen. Dies gilt vor allem mit Blick auf diejenigen Airlines, die bis heute über kein Beschwerdemanagement verfügen und deren Ziel bisher nur die -Abwehr von Verbraucheransprüchen ist. Um es ganz klar zu sagen: Schlichtung ersetzt nicht das Beschwerdemanagement bei den Verkehrsunternehmen. Schlichtung stellt vielmehr eine unverzichtbare Ergänzung zu einem guten Beschwerdemanagement dar. Aber: Wir brauchen eine verkehrsträgerübergreifende Schlichtungsstelle, und diese muss für alle Verkehrsträger – selbstverständlich auch für die Luftfahrtunternehmen – verpflichtend sein! Alles andere ist Murks. Die unübersichtliche Aufsplitterung der Zuständigkeit, je nach Verkehrsträger und dann auch noch behördlich und privatrechtlich organisiert, verursacht Nachteile für die Verbraucherinnen und Verbraucher und ist ganz einfach nicht effektiv. Richtig angesiedelt ist die Schlichtung bei der „Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr“, söp, die ja verkehrsträgerübergreifend konzipiert ist und eine hervorragende Arbeit leistet. Ich erinnere daran, dass die Verbraucherschutzminister der Länder dies bereits im September 2010 gefordert haben. Ich begrüße und unterstütze die Kritik des Bundesrates am Gesetzentwurf der Bundesregierung: Die vorhergesehene Regulierungsfrist muss von 30 Tage auf 90 Tage ausdehnt werden, denn die bisherige Frist ist kaum erreichbar. Die Luftfahrtunternehmen sollen gesetzlich verpflichtet werden, auf ihrer Internetseite, in ihren AGB und in den Reiseverträgen in geeigneter Weise bekannt zu machen, dass die Möglichkeit eines Schlichtungsverfahrens besteht und welche Schlichtungsstelle für die Behandlung der gegen sie geltend gemachten Ansprüche von Fluggästen zuständig ist. Mit Eingang eines Schlichtungsantrages soll ein Anspruch auf Entgelt an die Schlichtungsstelle entstehen, da für diese ein Aufwand entsteht. Die Begrenzung der Zuständigkeit der Schlichtungsstelle auf bestimmte Rechtsverstöße, Verbraucher-streitigkeiten und vor allem Zahlungsansprüche bis 5 000 Euro soll gestrichen werden. Ich hoffe sehr, dass die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen in den anstehenden parlamentarischen Beratungen in den Ausschüssen gemeinsam mit uns die Kritik aufgreifen und entsprechende Änderungen im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher auf den Weg bringen. Ulrike Gottschalck (SPD): Ich freue mich, dass wir einen breiten Konsens darüber haben, dass eine Schlichtungsstelle für Flugreisende eine wichtige Einrichtung ist. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung dokumentiert, dass auch die Bundesregierung dieses Ziel verfolgen will. Ein weiterer breiter Konsens besteht in der positiven Bewertung der qualitativ hochwertigen Arbeit der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V., söp. Die Schaffung einer verkehrsträgerübergreifenden Schlichtung für den Luftverkehr unter dem Dach der söp ist daher wünschenswert. Es gibt gute Gründe: Derzeit warten rund 2 500 Flugreisende auf eine Schlichtungsempfehlung zur Beendigung ihres Streitfalles. Die söp könnte dies professionell und in einem überschaubaren Zeitrahmen erledigen. Aber leider beschränken sich die Unterstützungsbekundungen der Koalition oftmals nur auf verbale und schriftliche Darlegungen. So ist es auch bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung. Eine Unterstützungsabsicht ist dem Gesetzentwurf zu entnehmen. Bei einer konkreten Durchführung der Einrichtung einer verkehrsträgerübergreifenden Schlichtungsstelle für den Luftverkehr unter dem Dach der söp hapert es allerdings bei der Bundesregierung und ihrem Gesetzentwurf. Konkret schlägt die Bundesregierung in ihrem Entwurf mehrere verschiedene Schlichtungsstellen allein für den Luftverkehr vor: die söp und eine oder mehrere private Schlichtungsstellen, die von deutschen Luftfahrtunternehmen auf freiwilliger Basis neu gegründet werden sollen. Hinzu soll dann noch eine behördliche Schlichtungsstelle kommen, für die Probleme mit Luftverkehrsunternehmen, die anderen Schlichtungsstellen nicht freiwillig beitreten. Diese unnötigen Parallel-strukturen sind nicht verbraucherfreundlich, weil Fluggäste zunächst die überhaupt zuständige richtige Schlichtungsstelle finden müssten. Intermodalität wird heute von jedem praktiziert und von Politik und Unternehmen in die Planungen mit einbezogen. Die EU will vereinheitlichte Zugänge für die Verbraucherinnen und Verbraucher, um die Nutzung einer Mobilitätskette von verschiedenen Verkehrsträgern zu erleichtern. Dies bezieht sich sowohl auf Fahrscheine und Reiseverträge als auch auf Anlaufstellen für -Beschwerden und Schlichtungsstellen. Die EU-Kommission formulierte bereits in ihrer Mitteilung vom Dezember letzten Jahres: Es „sind EU-Passagierrechte notwendig, die den Reisenden einheitliche Zugangsbedingungen und ein grundlegendes Dienstleistungsniveau garantieren – Mitteilung über die Rechte der Benutzer aller -Verkehrsträger (COM(2011)898 endgültig vom 19. Dezember 2011). An anderer Stelle schreibt die EU--Kommission: „Die Bereitstellung „durchgehender Fahrscheine“, das heißt ein Beförderungsvertrag für verschiedene Reiseabschnitte mit einem Verkehrsträger) und integrierte Fahrscheine, das heißt ein Vertrag für eine intermodale Beförderungskette, erleichtert das Reisen und stärkt die Passagierrechte.“ „Die Verwirklichung des intermodalen Verkehrs, etwa durch integrierte Beförderungsverträge, erfordert eine Anpassung des gesetzlichen Rahmens für Passagierrechte, damit das Problem, wenn es bei intermodalen Beförderungen zu Störungen an einem Umsteigepunkt kommt, gelöst werden kann“. Dass dieses Ziel auch notwendig ist, zeigen Ergebnisse verschiedener Untersuchungen und Umfragen, wie der repräsentativen Quotas-Umfrage im Rahmen des EU-Projektes USEmobility, das in sechs europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, durchgeführt wurde. Laut dieser Umfrage wählen zwei Drittel der Reisenden einen Mix aus verschiedenen Verkehrsmitteln für ihre täglichen Wege. Mit 77 Prozent weist Deutschland von allen europäischen Ländern die höchste Multimodalität auf. Als Antwort auf die vorhandene Intermodalität fordern wir Sozialdemokraten die Schaffung einer verkehrsträgerübergreifenden Schlichtungsstelle, an die sich Reisende bei allen Problemen – egal ob Bahn-, Flug-, Schiffs- oder Busreise wenden können. Hierzu hätte die Bundesregierung nach dem Vorbild der Schlichtungsstelle Energie die Unternehmen gesetzlich zur Teilnahme verpflichten müssen. Betrachtet man den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung genauer, muss man leider feststellen, dass die gute Absicht, die Verbraucherrechte für Flugreisende zu stärken durch die Ausgestaltung des Gesetzentwurfes eingeschränkt wird. Obwohl nach den Erfahrungen der mehrjährigen Schlichtungsarbeit der söp die Quote rechtsmissbräuchlich erhobener Beschwerden unter 1 Prozent liegt, hält sich die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf die Möglichkeit offen, in so einem Fall Kosten von bis zu 20 Euro auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abzuwälzen. Dies kann Fluggäste davon abhalten, sich mit ihrer Beschwerde an eine Schlichtungsstelle zu wenden. Die Bundesregierung begrenzt die Zuständigkeit der Schlichtungsstellen auf bestimmte Rechtsverstöße, Verbraucherstreitigkeiten und auf Zahlungsansprüche über 10 und bis zu 5 000 Euro. Bei dieser Eingrenzung wären aber beispielsweise Streitigkeiten über fehlerhafte In-ternetbuchungen und über Stornogebühren für eine Schlichtung nicht zulässig. Obwohl die Schlichtung ein freiwilliges Verfahren ist, dass jederzeit abgebrochen werden kann und der Schlichterspruch von beiden Parteien akzeptiert werden muss, wird dieses Verfahren im vorliegenden Gesetzentwurf unnötigerweise eingegrenzt. Die Verfahrensordnung der söp sieht stattdessen eine Obergrenze des Streitwertes von 30 000 Euro vor. Diese Schlichtungsstelle schlichtet auch Streitfälle, die Körper- und Sachschaden zum Gegenstand haben. Die von der Bundesregierung getroffenen Eingrenzungen schließen dagegen einen großen Teil von Streitfällen für ein Schlichtungsverfahren aus. Bereits im Herbst 2010 hatte die Konferenz der Verbraucherschutzminister der Länder die Bundesregierung dazu aufgefordert, die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr verpflichtend für alle in Deutschland tätigen Reiseverkehrsunternehmen gesetzlich festzuschreiben. Wir sind der Ansicht: Diese Forderung ist durch nichts zu ersetzen und mit Sicherheit nicht durch diesen Gesetzentwurf. Herbert Behrens (DIE LINKE): Als Verbraucher will ich die Leistung haben, für die ich auch bezahlt habe. Bekomme ich die Leistung nicht oder nicht in der vereinbarten Qualität, will ich einen Ersatz für den entstandenen Schaden. Darum ist es ein demokratisches Recht, sich an eine Stelle wenden zu können, die bei der Durchsetzung von Rechten hilft. Das muss nicht immer gleich mit dem Gang zum Gericht verbunden sein. Darum ist es sinnvoll, außergerichtliche Schlichtung anzubieten, die den Geschädigten davor schützen kann, nicht auch noch das Risiko zusätzlicher Kosten einzugehen. Verbraucherinnen und Verbraucher wollen ohne bürokratischen Aufwand zu ihrem Recht kommen. Und sie wollen auch nicht lange suchen, wer denn für was zuständig ist. Ein Anliegen, ein Ansprechpartner. Dieses Prinzip heißt auf Fahrgastrechte übertragen, dass es für mich einen Ansprechpartner gibt, der mich unterstützt, die Rechtmäßigkeit meiner Beschwerde zu prüfen, und dabei hilft, berechtigte Interessen durchzusetzen. Diesen Anspruch erfüllt der hier vorliegende Gesetzentwurf überhaupt nicht. Aus Sicht der Verbraucher ist er untauglich. Denn er ist nicht aus dem Blickwinkel der Verbraucher geschrieben. Die Bundesregierung hat sich von ihrem Vorhaben verabschiedet, eine unabhängige Schlichtungsstelle zu schaffen, die für alle Reisenden zuständig ist, egal ob sie per Bahn, Bus, Schiff oder Flugzeug unterwegs sind. Die Fluggesellschaften weigern sich standhaft, eine neutrale Schlichtungsstelle für alle zu akzeptieren. Was macht die Bundesregierung? Sie kuscht und legt uns einen Gesetzentwurf vor, der exklusiv für die Luftverkehrsgesellschaften gemacht ist. Das überrascht nicht wirklich. Schließlich hat der Kollege Patrick Döring vor einem Jahr hier im Plenum angekündigt – ich zitiere –: „Unser Ziel bleibt, gemeinsam mit der betroffenen Wirtschaft ein gutes Gesetz auf den Weg zu bringen.“ Es stimmt, das Gesetz ist eindeutig mit oder vielleicht sogar von der betroffenen Wirtschaft auf den Weg gebracht. Das Versprechen, ein gutes Gesetz vorzulegen, bleibt die Bundesregierung allerdings schuldig. Man hat sich nicht die Regelungen zueigen gemacht, die beispielsweise in Schweden, Dänemark, Estland oder Lettland gelten. Dort fallen Fluggastansprüche in die Zuständigkeit von Schlichtungsstellen, die allgemein für Verbraucheransprüche eingerichtet worden sind. Das bestätigt auch die Bundesregierung. Der alternative Verkehrsclub Deutschland, VCD, hat Vorschläge, wie Reisende in Deutschland zu ihrem Recht kommen, wenn sie nicht die Leistung erhalten, für die sie bezahlt haben. Meine Fraktion hat, wie die übrigen Oppositionsparteien auch, einen Antrag eingebracht, der eine einheitliche Anlaufstelle für Verbraucher festschreibt. Damit kann ein wirklicher Fortschritt in Sachen Stärkung der Verbraucherrechte gelingen. Wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung beschlossen würde, wäre das ein echter Rückschritt. Das ist fatal, schließlich waren wir schon auf dem richtigen Weg. Vor drei Jahren jedoch wurde die Richtung gewechselt. Die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V., söp, löste die anerkannte unternehmensgetragene Schlichtungsstelle Mobilität ab. Die Fluggesellschaften wollten aber auch an dieser Schlichtungsstelle söp nicht teilnehmen und bestanden auf einer Extrawurst. Jetzt liegt uns eine Sonderregelung vor, wo aus jedem Absatz herauszulesen ist, wessen Interessen umgesetzt werden sollen. Es wird uns ein bunter Strauß verschiedener Schlichtungsmöglichkeiten angeboten. Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht? Also – es wird angeboten, dass das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie – und nun kommt’s – privatrechtlich organisierte Einrichtungen als Schlichtungsstellen zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten anerkennen. Fluggäste können eine Schlichtungsstelle anrufen, wenn sie mit einer direkten Beschwerde bei der Fluggesellschaft nicht weitergekommen sind. Die privatrechtlich organisierte Stelle ist zuständig, wenn das Luftfahrtunternehmen an der Schlichtung durch diese Schlichtungsstelle teilnimmt. Und damit man weiß, ob denn die Stelle auch die richtige ist, muss diese Schlichtungsstelle eine Liste der Gesellschaften vorweisen, welche sich dieser Stelle angeschlossen haben. Wenn ein Fluggast Ansprüche gegen eine der Gesellschaften geltend machen will, die nicht in dieser Liste zu finden ist, dann kann er oder sie die Schlichtungsstelle anrufen, die bei einer Bundesbehörde einzurichten ist. Soll das Verbraucherschutz sein? Soll das Bürokratieabbau sein? Ich gebe zu, das ist eine rhetorische Frage. Dieser Gesetzentwurf zur Schlichtung im Flugverkehr ist Bürokratie pur und verbraucherfeindlich. Vielleicht guckt die Verbraucherschutzministerin nochmal drauf. Ihre bayerische Kollegin Frau Merk hat schon mal auf den wunden Punkt hingewiesen. Ich zitiere: „Wenn jede Fluggesellschaft die Möglichkeit bekommt, ihre Schlichtungsstelle selbst zu bestimmen, führt das zu einem Fleckerlteppich. Und der ist für den Reisenden nicht mehr überschaubar.“ Damit nicht nur Spezialisten ihre Rechte durchsetzen können, fordert Die Linke eine Regelung, die für alle Verkehrsgesellschaften gilt, die für alle verbindlich ist und die für alle Betroffenen ohne bürokratische Hürden zugänglich ist. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einig sind wir uns ja nun alle: Es ist sinnvoll, eine außergerichtliche Streitbeilegung für Reisende gesetzlich zu verankern. So können Reisende ihr Recht bei Verspätungen, Annullierungen und Nichtbeförderung niedrigschwellig durchsetzen. Aber in keinem Rechtsbereich ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit momentan so eklatant wie bei den Fluggastrechten. Die entscheidende Frage ist nun, ob durch den vorliegenden Gesetzentwurf mehr Probleme oder Lösungen geschaffen werden. Aus meiner Sicht ist das vorliegende Gesetz verbraucherunfreundlich und widerspricht Ihrem eigenen Koalitionsvertrag. Von Niedrigschwelligkeit keine Spur! Der Gesetzentwurf sieht die Möglichkeit vor, mehrere Schlichtungsstellen für den Luftverkehr zu schaffen. Getrennte Schlichtungsstellen sind besonders verbraucherunfreundlich, weil die Gefahr besteht, dass Zuständigkeiten hin- und hergeschoben werden. Das ist ineffizient und führt zu einer Zersplitterung der Zuständigkeiten und zu höheren Kosten. Das hat mit Verbraucherschutz wenig zu tun. Um die Verwirrung komplett zu machen, wird im Gesetzentwurf neben der privaten Schlichtungsstelle, an der die Airlines teilnehmen können, nun noch zusätzlich eine Behörde beauftragt, bei den Airlines zu schlichten, die bei den anderen Schlichtungsstellen nicht mitmachen. Das ist ein absurdes Theater. Weil die Airlines sich nicht einigen können, sollen die Steuerzahler jetzt mit einer Behörde einspringen. Das ist eine ungerechtfertigte Extrawurst für die Airlines. Auch das hat nichts mit Verbraucherschutz zu tun. Wir Grünen haben von Anfang an betont, dass wir eine Schlichtungsstelle für alle Verkehrsträger unter einem Dach wollen. So steht es übrigens auch in Ihrem Koalitionsvertrag. So eine Stelle gibt es bereits mit der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personennahverkehr, söp. Die söp ist verkehrsübergreifend konzipiert und wird diesem Anspruch durch diverse Angebote gerecht. Während nahezu alle Bahnunternehmen und auch vermehrt Nahverkehrsanbieter wie zum Beispiel die BVG als Träger der söp die Vorteile dieses Verfahrens anerkennen, weigern sich die Flugunternehmen weiter beharrlich. Die Bundesregierung knickt vor den Interessen der Airlines ein. Auch die Verbraucherschutzminister haben vor über einem Jahr festgestellt – damals saßen auch Verbraucherschutzminister der CDU und der FDP mit am Tisch –, dass die Schlichtung bei der söp am besten aufgehoben ist. Eine unabhängige und verkehrsträgerübergreifende Streitbeilegung in einer einzigen Schlichtungsstelle ist für ein zeitnahes Ergebnis im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher die richtige Lösung. Eine verkehrsträgerübergreifende Lösung sichert vor allem die Neutralität gegenüber den verschiedenen Verkehrsträgern sowie betriebswirtschaftliche Skaleneffekte, die die Kosten für eine Schlichtung so niedrig wie möglich halten. Zugleich steigen aber etwa Effizienz und Effektivität von Werbemaßnahmen. Das wichtigste Argument müssen immer die Verbraucherinnen und Verbraucher sein. Sie sollten sofort wissen, an wen sie sich mit ihrem Anliegen wenden können, ganz unabhängig davon, welchen Verkehrsträger sie nutzen. Ein Zuständigkeitswirrwarr, wie Sie es mit diesem Gesetz planen, hilft doch eher dabei, die Menschen von einem Schlichtungsverfahren fernzuhalten. Viele werden ein solches Verfahren resigniert scheuen, erst recht die Beschreitung des Rechtsweges. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf mehr das Wohl der Airlines im Auge hat als das der Verbraucherinnen und Verbraucher. Sogar der Koalitionsvertrag wird dafür gebrochen. Dort heißt es, es solle eine Schlichtungsstelle für alle Verkehrsträger eingesetzt werden. Genau das wäre im Sinne der Reisenden. Da hätten Sie sich mit Ihrem Koalitionsvertrag endlich einmal die Unterstützung der gesamten Opposition verdienen können, und Sie verpatzen es schon wieder. Wenn Sie schon nicht auf uns hören, dann hören Sie doch wenigstens auf den ADAC oder den Verbraucherzentrale Bundesverband. Alle sind dafür, nur eben die Airlines nicht und in der Folge auch die Bundesregierung nicht. Pure Ignoranz ist, dass die Bundesregierung nicht auf die Änderungsvorschläge des Bundesrates eingeht. Da waren auch viele Änderungsvorschläge von der CSU dabei. Heute wissen wir, dass das nichts als Show war. Die Bundesregierung hat dem 20-seitigen Dokument des Bundesrates zur Schlichtung im Luftverkehr so gut wie nichts entgegenzusetzen. Wir brauchen eine verkehrsträgerübergreifende Schlichtungsstelle für alle Verkehrsträger. Die söp macht hier gute Arbeit; an ihr sollten wir anknüpfen. Noch ist es nicht zu spät. Daher appelliere ich an die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen: Sorgen Sie für eine gesetzliche Lösung, bei der die Interessen der Verbraucher ernst genommen werden und ihr Koalitionsvertrag ausnahmsweise einmal ordentlich umgesetzt wird! Wenn Sie das in einem entsprechenden Änderungsantrag tun, stimmen wir gerne mit Ihnen. Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Wird ein Fluggast mit dem gebuchten Flug nicht befördert, weil dieser überbucht oder annulliert ist, kommt ein Fluggast verspätet an oder ist sein Gepäck verloren gegangen, hat er zwar umfangreiche Ansprüche gegen die Fluggesellschaft. Häufig jedoch ist es schwierig, diese Ansprüche auch zu realisieren, weil die Fluggesellschaft sie nicht reguliert oder weil Streit über die -Anspruchsberechtigung besteht. Hiervon zeugen vielzählige Gerichtsverfahren. Sie bedeuten aber nicht nur ein Kostenrisiko für den Fluggast, das ihn oft von der gerichtlichen Geltendmachung abhält. Auch werden unsere Zivilgerichte hierdurch zunehmend belastet. Diese Ansprüche schnell, kostengünstig und durch eine unabhängige Stelle schlichten zu können, ist das Ziel des von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes zur Schlichtung im Luftverkehr. Er wird zugleich die Zivilgerichte nachhaltig entlasten. Voraussetzung für das Funktionieren jeder Schlichtung ist aber ihre Akzeptanz durch die Beteiligten. Die Bundesregierung hat daher intensive Gespräche mit den Luftfahrtunternehmen und ihren Verbänden geführt. Dabei ist es letztlich gelungen, die im Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft e. V., BDL, und in dem Board of Airline Representatives in Germany e. V., BARIG, organisierten deutschen und ausländischen Luftfahrtunternehmen für eine Akzeptanz der Schlichtung zu gewinnen und sich auf gemeinsame Eckpunkte hierfür zu verständigen. Dies ist ein großer Erfolg, der vor allem den Verbrauchern zugutekommt. Auf der Grundlage dieser Eckpunkte hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf erarbeitet, der Ihnen heute zur Beratung vorliegt. Wie in vielen anderen Bereichen sollen danach Schlichtungen grundsätzlich durch privatrechtlich organisierte, von den Unternehmen getragene Schlichtungsstellen erfolgen. Diese können von der Bundesregierung anerkannt werden, wenn sie bestimmte Anforderungen an die Unparteilichkeit der Stelle und die Fairness des Verfahrens erfüllen. Unternehmen, die sich an der freiwilligen privaten Schlichtung nicht beteiligen, sollen einer subsidiären behördlichen Schlichtung überantwortet werden. Die Schlichtungsstellen können von Fluggästen wegen solcher Ansprüche angerufen werden, die aus einer Überbuchung, einer Annullierung oder einer Verspätung des Fluges resultieren sowie beschädigtes oder verloren gegangenes Reise- oder Handgepäck betreffen und 5 000 Euro nicht übersteigen. Die Schlichtung ist – abgesehen von Fällen des Missbrauchs – für den Verbraucher kostenlos. Die Luftfahrtunternehmen haben sich trotz Umsetzung der vereinbarten Eckpunkte in dem vorgelegten Gesetzentwurf in zwei Punkten kritisch geäußert: Sie fordern, dass in die Evaluierung zur Einführung eines „Zugangsentgelts“ nicht nur die unbegründeten, sondern auch die unzulässigen Anrufungen der Schlichtungsstelle einbezogen werden sollen. Diese Forderung lehnt die Bundesregierung ab. Zunächst einmal ist es wichtig, hervorzuheben, dass der Gesetzentwurf ein „Zugangsentgelt“, wie es von den Luftfahrtunternehmen gefordert wurde, nicht vorsieht. Verbraucher können also ohne eigene Aufwendungen die Schlichtungsstelle wegen ihrer Fluggastansprüche anrufen. Sollte sich allerdings zeigen, dass die Schlichtungsstelle ganz überwiegend angerufen wird, obwohl gar keine Ansprüche bestehen, kann ein moderates Zugangsentgelt von maximal 20 Euro eingeführt werden, um die Schlichtungsstelle vor Überlastung mit unbegründeten Begehren und die allein kostenpflichtigen Luftfahrtunternehmen vor unnötigen Aufwendungen zu bewahren. Demgegenüber bedeuten unzulässige Anrufungen der Schlichtungsstelle regelmäßig keine nennenswerte zusätzliche Arbeitsbelastung und verursachen meist keine nennenswerten Kosten. Nur hiervor soll das „Zugangsentgelt“ aber schützen. Die Luftfahrtunternehmen fordern weiter, die Bearbeitungsfrist von Beschwerden durch Unternehmen von 30 Tagen vor – zulässiger – Anrufung der Schlichtungsstelle auf 90 Tage heraufzusetzen. Nach Auffassung der Bundesregierung ist eine Bearbeitungszeit von 30 Tagen vor Einleitung eines Schlichtungsverfahrens für die Unternehmen jedoch ausreichend und aus Gründen der Kohärenz der Rechtsordnung auch geboten. Die Bemessung dieser Frist folgt den Antwortfristen für das Kunden- und Beschwerdemanagement nach den EU-Verordnungen über Fahrgastrechte im Eisenbahn- und Kraftomnibusverkehr. Berücksichtigt wurde zudem, dass nach deutschem Recht nach Ablauf von 30 Tagen die Verzugsfolgen eintreten. Es gibt keine sachlichen Gründe, den Luftfahrtunternehmen längere Bearbeitungsfristen als den anderen Verkehrsträgern einzuräumen. Es kann keine Bearbeitungszeit beansprucht werden, die über die Verzugsfristen hinausgeht und diese konterkariert. Die im BDL und in der BARIG organisierten deutschen und ausländischen Luftfahrtunternehmen haben sich in den Eckpunkten zur freiwilligen Teilnahme an -einer Schlichtung bereit erklärt. Ob sie dazu der vorhandenen Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V., söp, beitreten oder eine neue Schlichtungsstelle für den Luftverkehr einrichten, werden sie demnächst entscheiden müssen. Wichtig ist, dass damit alsbald ein schnelles, unkompliziertes und faires Regulierungsverfahren zur Verfügung steht, das für Verbraucher und Luftfahrtunternehmen Vorteile bringt. Vizepräsident Eduard Oswald: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11210 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 37 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Hans-Peter Uhl, Stephan Mayer (Altötting), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Stefan Ruppert, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zu dem Vorschlag für eine Verordnung des -Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung) KOM(2012) 11 endg.; Ratsdok. 5853/12 hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-tages gemäß Artikel 23 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes – Drucksache 17/11325 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Wie in der Tagesordnung schon ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. – Alle sind damit einverstanden. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sowohl im Europäischen Parlament und im Rat als auch im Deutschen Bundestag und Bundesrat haben nach der Veröffentlichung der Vorschläge der EU-Kommission zur Neuregelung des Datenschutzes in Europa lebhafte Diskussionen begonnen. Dies liegt unter anderem daran, dass gerade in Deutschland der Schutz -personenbezogener Daten eine sehr hohe Bedeutung genießt. Es ist daher sehr wichtig, dass sich das deutsche Parlament mit dem Instrument des Antrages nach Art. 23 des Grundgesetzes ebenfalls in die Diskussion einbringt. In vielen Fällen ist es allerdings nicht der Staat, den es als Sammler von personenbezogenen Daten zu regulieren gilt, sondern die Wirtschaft, die personenbezogene Daten als Währung für ihre Angebote und Dienstleistungen längst akzeptiert hat. Für mich stellt sich somit die Frage nach einem roten Faden, einer Leitlinie, die auf der einen Seite die Interessen der datenverarbeitenden Unternehmen und auf der anderen Seite die Interessen der die Anwendungen nutzenden Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen berücksichtigt. Denn schließlich steht der Schutz personenbezogener Daten gemäß Art. 8 in der EU-Grundrechtecharta nicht isoliert. Auch die Berufs- und die unternehmerische Freiheit gemäß Art. 15 und 16 sind fester Bestandteil der EU-Grundrechtecharta. Dem vorliegenden Entwurf der Kommission gelingt dieser schonende Ausgleich zwischen den von mir aufgezeigten widerstrebenden Interessen allerdings nicht vollständig. Daher haben die Koalitionsfraktionen hier einen Antrag vorgelegt, der die wichtigsten Fragen aufgreift und die Bundesregierung auffordert, sich in den Verhandlungen im EU-Rat für eine ausgleichende sowie praxistaugliche Fortentwicklung des Verordnungsentwurfes einzusetzen. Viele datenschutzrechtliche Fragestellungen werden ausschließlich aus Sicht des Verbrauchers abgehandelt und auch zu dessen Gunsten aufgelöst. Dies mag vielleicht in dem einen oder anderen Fall aufgrund der jüngeren Schwierigkeiten von Unternehmen mit dem Schutz personenbezogener Daten angezeigt sein. Ergänzend hierzu darf es natürlich zukünftig nicht mehr möglich sein, dass Unternehmen in der Europäischen Union das Land als Unternehmenssitz wählen, in dem ein vergleichsweise geringes Datenschutzniveau herrscht. Grundsätzlich begrüße ich daher das Vorhaben einer Vollharmonisierung des europäischen Datenschutzrechtes sehr. Ich halte beispielsweise die vorgesehenen Regelungen von Privacy-by-Design und Privacy-by-Default für zwei wichtige technikoffene Optionen zur zukünftigen datenschutzkonformen Gestaltung von elektronischen Diensten und Anwendungen im Internet. Insgesamt überwiegen jedoch im Entwurf die vielen unternehmensbelastenden Regelungen. Das von der Kommission selbst gesetzte Ziel eines Abbaus von Bürokratie und einer Reduzierung der -Kosten der Wirtschaft wird aus meiner Sicht längst nicht im möglichen Umfang erreicht. Zwar werden teilweise bestehende Informationspflichten abgebaut. Es werden zugleich aber auch insbesondere durch die Art. 14 und 15 sowie den Art. 32 eine Vielzahl von neuen Informations- und Dokumentationspflichten geschaffen. Es ist zudem noch immer unklar, welche Informationspflichten tatsächlich als Bringschuld des Unternehmens ausgestaltet sind. Aus meiner Sicht sollte beispielsweise für Dinge, die bereits allgemeiner Kenntnis entsprechen, zumindest keine Informationspflicht durch die Unternehmen bestehen. Zudem sollten für kleinere und mittlere Unternehmen oder auch Unternehmen, die nur selten personenbezogene Daten verarbeiten, entsprechende Ausnahmen oder Erleichterungen geschaffen werden. Lassen Sie mich das mit einem kleinen Beispiel verdeutlichen: Aufgrund des weiten Anwendungsbereichs der jetzigen Vorschriften wäre beispielsweise die Übertragung von Informationen von Visitenkarten in eine elektronische Datenbank ein informations- und auskunftspflichtiger Vorgang. Dies ist schlicht unverhältnismäßig und völlig praxisfern. Ich teile daher die Einschätzung der deutschen Wirtschaftsverbände, die alle davon ausgehen, dass die Verordnung in der jetzigen Form zu einem erheblichen Mehraufwand an Kosten führen wird, zu einem Mehraufwand, der letztlich auf alle Nutzerinnen und Nutzer umgelegt werden wird. Hinzu kommt, dass viele der neuen Pflichten vielleicht noch von großen Konzernen eingehalten werden können. Gerade kleinere und mittelständische Unternehmen werden sich aber schwertun, beispielsweise innerhalb von 24 Stunden umfassend über eine mögliche Datenschutzverletzung aufklären zu können. Umso unverständlicher ist es daher für mich, dass die Verpflichtung zur Einrichtung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten erst ab 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern greifen soll (Art. 35 Nr. 1 b). In Deutschland hat sich an dieser Stelle die Grenze von 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einem Unternehmen durchaus bewährt (§ 4 f Abs. 1 BDSG). Ich rate daher zu einer gründlichen Überarbeitung der entsprechenden Vorschriften. Es sollte eine deutliche Abstufung und Differenzierung zwischen dem Umfang der zu verarbeitenden personenbezogenen Daten und der jeweiligen Größe des Unternehmens und der damit verbundenen Pflichten vorgenommen werden. Auch wenn das neue One-Stop-Shop-Prinzip grundsätzlich eine breite Zustimmung erfährt, sollte ein einheitlicher europäischer Rechtsrahmen auch die Belange der kleineren und mittleren Unternehmen in gebotenem Maße berücksichtigen. Nachfolgend möchte ich kurz auf die möglichen Folgen der Verordnung für den Datenschutz von Beschäftigten eingehen. Auch an dieser Stelle schießt die Verordnung aus meiner Sicht deutlich über das Ziel hinaus. In Deutschland haben sich seit vielen Jahren datenschutzrechtliche Regelungen in Betriebsvereinbarungen bewährt. Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite passen die bestehenden rechtlichen Grundlagen für den jeweiligen Betrieb und das jeweilige Arbeitsumfeld darin an. Betriebsvereinbarungen helfen, Verfahrensabläufe rechtssicher zu handhaben und unbestimmte Rechtsbegriffe für die Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu konkretisieren. Sie stellen damit einen hohen und praxisnahen Datenschutz dar. Dieser Prozess des Gebens und Nehmens ist allerdings durch den Verordnungsvorschlag in Gefahr geraten. Denn dieser sieht in Art. 6 Abs.1 b, c vor, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten zur Erfüllung eines Vertrages oder einer gesetzlichen Verpflichtung erforderlich sein muss. Die in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern geschlossenen Kollektivvereinbarungen zwischen den Tarifpartnern wären somit hinfällig. Sie böten keine Grundlage mehr für eine rechtmäßige Datenverarbeitung. Es sollte daher -dringend sichergestellt werden, dass auch zukünftig Kollektivvereinbarungen wie Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen rechtmäßige Grundlage für eine Datenverarbeitung sein können. Auch der Wegfall der Einwilligungsmöglichkeit im Arbeitsverhältnis in Art. 7 Abs. 4 in Verbindung mit Erwägungsgrund 34 stellt aus meiner Sicht einen Rückschritt vom praxisnahen Datenschutz dar. Mir ist bewusst, dass viele Datenschützer und auch die Gewerkschaften den Wegfall der Einwilligungsmöglichkeit im Arbeitsverhältnis im Entwurf der Kommission begrüßt haben. Ich halte ihn dennoch für falsch. Denn bereits jetzt wird die Möglichkeit der Einwilligung in der überwiegenden Zahl der Fälle nur wahrgenommen, wenn die damit verknüpfte Datenverarbeitung zugunsten des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin erfolgt, beispielsweise bei zusätzlichen durch den Arbeitgeber angebotenen Gesundheitsleistungen, kostenlosen Zeitschriften, Mitarbeiterrabatten etc. Alle diese Fälle wären dann zukünftig ausgeschlossen bzw. müssten gesondert durch den Gesetzgeber geregelt werden. Dies ist weder aufwandsneutral noch praxistauglich. Die Einwilligung sollte daher grundsätzlich auch in Beschäftigungsverhältnissen zulässig bleiben. Einzelne kritische Anwendungsbereiche könnten jedoch ausgeschlossen werden. Abschließend möchte ich noch kurz zur Anzahl der delegierten Rechtsakte sowie dem beabsichtigten Kohärenzverfahren Stellung nehmen. Aus meiner Sicht stellen die knapp 50 Stellen für -delegierte Rechtsakte bzw. weiterführende Ermächtigungen zur näheren Ausgestaltung der Verordnung ein deutliches Überschreiten der in Art. 290 AEUV gesetzten Grenzen dar. Aus Art. 289 und 290 AEUV ergibt sich, dass eine Verordnung als Basisrechtsakt die wesentlichen materiellen Festlegungen nicht auf den abgeleiteten Rechtsakt übertragen darf, sondern diese selbst -regeln muss. Der Verordnungsentwurf sieht aber an den vorgenannten Stellen nicht nur Konkretisierungen vor, sondern auch die Befugnis für die Kommission, den -Regelungsgehalt von einzelnen Normen eigenständig auszufüllen. Sie kann damit eine Vielzahl von Normen, deren Einhaltung sie überwachen soll, zuvor selbst schaffen. Dies ruft erhebliche rechtsstaatliche Bedenken hervor. Die Zahl der delegierten Rechtsakte muss daher aus meiner Sicht deutlich reduziert werden. Es ist richtig, dass für Bereiche, die der rasanten technologischen Entwicklung angepasst und fortgeschrieben werden, gewisse Spielräume und eine gewisse Flexibilität für die EU-Kommission verbleiben müssen. Allerdings geschieht dies hier in deutlich zu großem Umfang. Auch das im Verordnungsentwurf vorgesehene Kohärenzverfahren ist bereits aus rechtsstaatlichen Gründen abzulehnen. Die Kommission kann bei datenschutzrechtlichen Fragestellungen ein eigenes Selbsteintrittsrecht geltend machen und Maßnahmen der nationalen Datenschutzaufsichtsbehörden untersagen. Ein gesondertes Rechtsmittel hat die nationale Aufsichtsbehörde gegen eine solche Entscheidung nicht. Die Kommission erhält durch dieses Verfahren somit umfangreiche Durchgriffsrechte bis hinunter auf die nationale Ebene. Damit verstößt das Verfahren sowohl gegen die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden (Art. 47) als auch -gegen das in Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes verankerte Demokratieprinzip. Schließlich wäre die Datenschutzkontrolle nicht mehr der demokratischen Verantwortung der -jeweiligen Mehrheit des nationalen Parlaments unterworfen. Bei den Diskussionen sollte weiterhin die Umsetzbarkeit und Praktikabilität der geplanten Regelungen im Vordergrund der Debatte stehen. Mein Fazit ist, dass es zu einer Vielzahl von einzelnen Regelungen noch einer intensiven Diskussion unter den Mitgliedstaaten und im Europäischen Parlament bedarf. Die möglichen Auswirkungen der neuen Verordnung sind für viele zentrale Lebensbereiche noch ungeklärt und nicht endgültig abschätzbar. Es verbieten sich daher gesetzgeberische Schnellschüsse. Die christlich-liberale Koalition leistet mit dem vorliegenden Antrag einen praxisorientierten Beitrag dazu, das europäische Datenschutzrecht angemessen und sinnvoll weiterzuentwickeln. Sie finden in diesem Antrag noch weitere grundsätzliche Forderungen, wie die angemessen Differenzierung zwischen dem öffentlichen und dem nichtöffentlichen Bereich, die Einbeziehung der -Institutionen der Europäischen Union in den Anwendungsbereich der Verordnung, die Ablehnung von -Verbandsklagen oder auch die Forderung nach angemessene Übergangs- und Inkrafttretensregelungen. Die Fülle der Themen und die Komplexität des -Themas verlangen auch in den kommenden Wochen und Monaten eine intensive Beschäftigung mit diesem zentralen Reformvorhaben. Gerold Reichenbach (SPD): Wir stehen erst am Beginn des digitalen Zeitalters. Weite Bereiche unseres Lebens sind aber jetzt schon erfasst. Immer mehr Menschen nutzen soziale Netzwerke für ihre private und öffentliche Kommunikation. Das -Internet wird von immer mehr Menschen zur Information und zum Einkaufen genutzt. Und immer mehr Handlungen des täglichen Lebens – wie zum Beispiel die Nutzung von Verkehrsmitteln – werden über das Internet abgewickelt. Das alles ist aber erst der Anfang. Mit dem Internet der Dinge, mit der Nutzung des Internets auch im -Individualverkehr, den sogenannten „Connected Cars“, wird auch unser alltägliches Handeln immer mehr Spuren im Netz hinterlassen. Und diese Vielfalt von Informationen und Datenspuren, die wir im Netz hinterlassen, die etwas über unsere Person und unser Verhalten aussagen, ist hochinteressant und kommerziell verwertbar. Je mehr ich über eine Person, ihr Verhalten und ihre Präferenzen weiß, desto besser kann ich dieses Wissen nutzen, um sein Verbraucherverhalten gezielt über Werbung zu steuern oder auch zu manipulieren. Und gerade in dieser Kombinationsmöglichkeit, und nicht als Datum per se, werden personenbezogene oder personenbeziehbare Daten im Internet zur Ware. Daten sind sozusagen das Erdöl des Internetzeitalters. Nicht „Big brother is watching you“, sondern „Big Business is watching you“. Damit aber tritt das kommerzielle Interesse an der Erhebung von personenbeziehbaren und personenbezogenen Daten in Widerspruch und in erheblichen Konflikt zum Grundrechtsschutz der Würde des Menschen, der Person und ihrer Freiheit; oder – wie das Bundesverfassungsgericht es in Ableitung aus diesen Grundrechten definierte – zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Der Schutz dieser Grundrechte im Internetzeitalter ist nicht nur Aufgabe, sondern Pflicht der Staaten. Dem sind wir in der deutschen Rechtsordnung in vielen Bereichen nachgekommen. Allerdings haben wir bei der Durchsetzung der Rechtsgrundsätze des Datenschutzes ein erhebliches Vollzugsdefizit. Denn die Rechtsgrenzen sind national, die der Märkte sind europäisch und das Netz ist global. Effektiven Datenschutz – und diese Erkenntnis ist inzwischen allgemein geworden – können wir nur auf europäischer Ebene organisieren. Wir brauchen eine europäische Harmonisierung! Davon werden nicht nur die Verbraucher, sondern davon wird auch die Wirtschaft in Europa profitieren, weil ihr mit einer europäischen Rechtsetzung auch Einheitlichkeit und Rechtssicherheit gegeben wird. So hat am 25. Januar 2012 die Europäische Kommission den Entwurf einer Datenschutzreform vorgestellt, und zwar bestehend aus der sogenannten Datenschutz-Grundverordnung sowie der sogenannten Richtlinie über die justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit. Beide Teile sollen als Gesamtpaket – so wünscht dies die Europäische Kommission – verabschiedet werden. Die Datenschutz-Grundverordnung wird ohne Umsetzungsrechtsakt für Deutschland gelten. Ein Großteil der deutschen Datenschutzregelungen wird durch sie ersetzt werden. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt das Ziel der Kommission, mit den vorgelegten Entwürfen ein einheitliches Datenschutzniveau innerhalb der Europäischen Union zu erreichen. Wir verstehen die Entwürfe der Kommission als Chance, um innerhalb Europas einen besseren Datenschutz sowie mehr Rechtssicherheit zu erreichen. Wir verstehen den Verordnungsentwurf auch deshalb als Chance, weil er in einigen Bereichen bereits zukunftsweisende Prinzipien des Datenschutzes, wie die grundsätzliche Zustimmungspflicht oder das Prinzip, dass jedes Unternehmen, das Daten europäischer -Bürger verarbeitet, unabhängig vom Sitz erfasst wird, beinhaltet. Allerdings gibt es aus unserer Sicht auch eine Reihe von Verbesserungsmaßnahmen. Für die Bundesrepublik wird es nun entscheidend sein, diese bei den Verhandlungen im Rat durchzusetzen. Und gerade in dieser sensiblen Frage kann man diese Bundesregierung und gerade diesen Bundesinnenminister nicht alleine lassen. Gemessen an den Schwankungen, die die Koalition und der Innenminister beim Thema Datenschutz vollzieht, und das können Sie mir als Bewohner des Hessischen Riedes glauben, ist ein im Winde hin und her geworfenes Schilfrohr eine statisch höchst stabile Erscheinung. Und das sieht offensichtlich die Koalition auch so. Denn auch Sie haben jetzt einen Antrag eingebracht, in dem Sie Ihrer eigenen Regierung konkrete Vorgaben für die Verhandlungen machen. Das ist ein bemerkenswerter Vorgang. Inhaltlich ist dieser Antrag aber ein „Bärendienst“ für den Datenschutz! Sie formulieren zwar, dass Sie einen Datenschutz auf hohem Niveau haben wollen. In der Sache aber fordern Sie, dieses Niveau möglichst weit im Interesse der Wirtschaft abzuschleifen. Sie wollen die bereits bestehenden hohen deutschen Datenschutzstandards nicht etwa schützen, sondern über Europa aushebeln. Das wird die SPD nicht mitmachen! Sie führen das Wort „Datenschutz“ gerne im Munde, um in der Paxis das Gegenteil zu tun, meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen von CDU/CSU und FDP! Aber das sind wir ja gewohnt von dieser Koalition und Regierung – sie versucht, sich in den meisten -Themen darin zu überbieten, dass sie nichts tut. Aus der so hoch gepriesenen Stiftung Datenschutz wurde nichts und das mit großem Tamtam angekündigte Rote-Linie-Gesetz wurde nie vorgelegt, weil die Wirtschaftslobby Sie zurückgepfiffen hat. Auch der Beschäftigtendatenschutz hängt im schwarz-gelben Strudel der Klientel-befriedigung. Dafür wollen Sie mit Ihrem Antrag den Schutz der -Beschäftigten über die EU-Verordnung aushebeln. Sie wollen, dass auch in dem vom Ungleichgewicht geprägten Beschäftigtenverhältnis durch Einwilligung oder -Betriebsvereinbarung das Schutzniveau unterschritten werden kann. Neben den arbeitnehmerfeindlichen Forderungen wollen Sie dann auch in weiteren Punkten die Wirtschaft – diesmal zulasten der Verbraucher – glücklich machen. Da kommt dann nämlich wieder die übliche Leier von: Die Wirtschaft soll nicht mit angeblich zu viel Bürokratie belastet werden; strengere Regeln würden Innova--tionspotenzial hemmen; die Wirtschaft kann sich viel besser selbst regulieren. Wie gut das funktioniert, haben wir ja bei dem -Geodatenkodex gesehen. Ein Jahr nach dem mit großem Medienrummel vorgelegten Kodex ist nicht viel passiert. Bis auf ein verspätet fertiggestelltes Informationsportal kann man nicht viel erkennen von der angepriesenen Selbstregulierung. Das, was von Ihnen und Wirtschaftsverbänden immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird: „Wir wollen einen praktikablen Datenschutz auf hohem Niveau“ ist doch Orwell´scher „Neusprech“! Das erinnert mich an den Frankfurter Flughafen, wo Luftverkehrswirtschaft und CDU das Nachtflugverbot durch ein „praktikables Nachtflugverbot“ ersetzen wollten, bei dem weiter 17-mal in der Nacht geflogen wurde. „Praktikables Nachtflugverbot“ hieß also: kein Nachtflugverbot und Beschränkungen nur, insoweit die Profitinteressen der Wirtschaft nicht gestört werden. Und genauso bedeutet doch Ihr „praktikabler Datenschutz auf hohem Niveau“ nichts anderes als weniger Datenschutz! Nein, dieser Minister braucht keinen Antrag, der ihn dazu auffordert, die Datenschutzbestrebungen in Europa zu be- und verhindern: Das schafft er schon alleine. Er braucht die klare Aufforderung des Parlamentes, sich für „tatsächlichen Datenschutz auf hohem Niveau“ in Europa einzusetzen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat deshalb einen eigenen Antrag eingebracht (Bundestags-Drucksache 17/11144), der bereits an den Ausschuss überwiesen wird. In ihm geben wir der Bundesregierung klare Vorgaben in Richtung Sicherung und Erhöhung des Datenschutzes in Europa. Die durch das Bundesverfassungsgericht geschaffenen Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme dürfen nicht ausgehöhlt und verwässert werden. Wir begrüßen deshalb in unserem Antrag die positiven Ansätze, die der Entwurf der Kommission in dieser Richtung zeigt. Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Kommission den Anwendungsbereich auch hinsichtlich der Unternehmen festlegt, die ihren Sitz nicht innerhalb der Europäischen Union haben, aber in der EU Waren oder Dienstleistungen anbieten bzw. Verhaltensbeobachtungen durchführen. Diese Festlegung auf das Territorialprinzip erleichtert auch den Kontroll- bzw. Aufsichtsbehörden die Arbeit. Oft konnte Datenschutzverstößen nur deshalb nicht nachgegangen werden, weil die Unternehmen keinen Sitz innerhalb des jeweiligen Mitgliedstaates bzw. innerhalb der EU hatten. Wir fordern aber eine weitere Überarbeitung des Anwendungsbereichs der Verordnung. So kann es nicht sein, dass die Union sich selbst aus dem Anwendungsbereich herausnimmt, wo sie doch selbst eine sehr große Datenverarbeiterin ist. Wir wollen auch, dass ausdrücklich aufgenommen wird, dass soziale Netzwerke und Suchmaschinen, die ihre Einnahmen ja hauptsächlich aus Werbung erhalten und personenbezogene Daten sammeln, um diese kommerziell zu nutzen, ausdrücklich auch der Verordnung unterliegen. Gemeint sind hier natürlich Facebook und Co. Wir begrüßen weiter, dass die Einwilligung grundsätzlich zur Voraussetzung für die Datenverarbeitung gemacht wird. Allerdings bedarf es dabei noch weiterer Ergänzungen bzw. weiterer Konkretisierungen. Die Einwilligung im Beschäftigungs- bzw. Beschäftigungsanbahnungsverhältnis kann keine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten sein, weil der Arbeitnehmer grundsätzlich in einem unlösbaren -Abhängigkeitsverhältnis zum Arbeitgeber steht. Es lässt sich eben nie ausschließen, dass die Einwilligung nur gegeben wird, weil der Arbeitnehmer Angst hat, sein -Arbeitsverhältnis zu belasten bzw. zu verlieren. Darüber hinaus müssen die Rechtsfolgen bei Verstößen gegen diese Regelung eindeutig in der Verordnung geregelt sein. Wir fordern darüber hinaus, dass der besondere Schutz von Kindern und Jugendlichen im Bereich der Datenverarbeitung stärker hervorgehoben wird. In eine Verordnung, die auch die Verarbeitung von Daten gerade dieser besonders schützenswerten Gruppe regeln soll, gehören auch gesonderte Regelungen, die dem -besonderen Gefährdungspotenzial für diese Gruppe Rechnung tragen. Besonders wichtig ist es uns, dass eine Weitergabe oder Übermittlung an Drittstaaten oder internationale Organisationen nur dann zulässig sein darf, wenn ein ausreichendes Schutzniveau gewährleistet ist. Was nützen uns denn die schönsten, ausgefeiltesten Datenschutzregeln, wenn wir sie dann über die Grenze schaffen und dort jeder damit tun und lassen kann, was er will? Gerade in diesem Abschnitt muss die Verordnung noch erheblich nachgebessert werden. Auch im Bereich der Geltendmachung von Rechten sowie im Bereich des Rechtsschutzes sehen wir Ergänzungsbedarf. Wir fordern weiter, dass die Unabhängigkeit der -nationalen und europäischen Datenschutzbehörden gewährleistet wird – wie dies auch das Urteil des EuGH von 2010 fordert. Es muss eine klare Trennung gegenüber den Exekutivorganen der Union geben. Wir fordern darüber hinaus Regelungen, die es ermöglichen, bei besonders bereichsspezifischen und besonders schützenswerten Daten von den Festsetzungen der Verordnung nach oben hin abzuweichen. Wir fordern klare Regelungen, die ein Profiling nur mit eindeutiger Zustimmung zulassen, und wir sehen eindeutige Vorgaben zur durchgehenden Umsetzung des Prinzips „privacy by default“ als zwingend. Wenig Verständnis haben wir dafür, dass die Sanktionen geringer ausfallen sollen als im europäischen Wettbewerbsrecht. Und wir fordern die Angleichung der Schwelle zur Bestellung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten an die der deutschen Regelungen, die sich bewährt haben. Die Vorlage des europäischen Verordnungsvorschlages ist eine einmalige Chance, den Schutz der Bürger im digitalen Zeitalter, den Schutz der Persönlichkeitsrechte gegenüber Gewinnmaximierungsinteressen voranzubringen. Wir Sozialdemokraten wollen sie nutzen und nicht kaputtmachen. Gisela Piltz (FDP): Die EU hat sich ein großes Ziel gesetzt: ein moderner und europaweit verlässlicher Datenschutz. Für über 500 Millionen Menschen in 27 Staaten und knapp 20 Millionen Unternehmen sollen künftig ein und dieselben Regelungen für den Umgang mit personenbezogenen Daten gelten, egal, ob die Daten im eigenen Land oder beispielsweise im E-Commerce über Staatengrenzen hinweg verarbeitet werden. Dabei macht die rasante technische Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte eine Modernisierung des Datenschutzes erforderlich. Der Datenschutz steht vor neuen Herausforderungen, weil die digitale Datenverarbeitung neben neuen Chancen auch neue Risiken mit sich bringt. Die falsche Herangehensweise wäre, die Digitalisierung und das Internet als Büchse der Pandora zu betrachten und zu versuchen, deren Deckel wieder zu schließen. Nicht nur war das schon bei Pandora ein hoffnungsloses Unterfangen und wäre es erst recht in Bezug auf Internet und neue Medien, die schon längst zum Alltag gehören und daraus auch nicht wegzudenken oder zu verdrängen sind, sondern es wäre auch ein gedanklich falscher Ansatz. Der richtige Ansatz ist, ein Datenschutzrecht zu schaffen, das den mündigen Bürger als Herrn über seine Daten begreift und auch so behandelt. Der Ausgangspunkt muss daher sein, dass alle personenbezogenen Daten privat, das heißt in der freien Verfügungsgewalt des Betroffenen, sein müssen – und es für ihre Verarbeitung stets besonderer Voraussetzungen bedarf. „Datenautonomie“ ist das Prinzip unseres Datenschutzverständnisses. Datenautonomie bedeutet, dass jeder für sich entscheiden kann, ob oder ob nicht er seine Daten zur Verfügung stellt. Damit es eine wirklich autonome Entscheidung ist, bedarf es des mündigen Entscheiders, der seine Entscheidung auf ausreichende Information stützt. Datenautonomie heißt aber gerade nicht, die Entscheidung nur dann zuzulassen, wenn es um die Zurückhaltung von Daten geht, sondern auch, wenn es um die Preisgabe von Daten geht. Datenschutz darf man nicht als Schutz des Menschen vor sich selbst missverstehen. Das wäre eben gerade keine selbstbestimmte, mündige Entscheidung. Das wäre Datentotalitarismus. Es muss also darum gehen, einen Rahmen zu setzen, in dem nicht die Verarbeitung personenbezogener Daten verboten oder bis an den Rande eines Verbots eingeschränkt wird, sondern in dem die Eigenverantwortung des Einzelnen das tragende Element ist. Dazu bedarf es klarer Vorgaben, wer die Daten des Einzelnen haben darf, nutzen darf und vor allem, unter welchen Voraussetzungen das geschehen darf. Von dieser Überzeugung lassen wir uns leiten in unserer Stellungnahme nach Art. 23 Grundgesetz, mit der wir der Bundesregierung die Marschrichtung vorgeben, wie sie für Deutschland, für die Menschen in unserem Land, in Brüssel votieren soll. Darin unterscheidet sich unsere Stellungnahme auch ganz wesentlich von derjenigen, die die Sozialdemokraten hier letzte Woche vorgelegt haben: Wir trauen den Menschen zu, dass sie selbst entscheiden können. Wir vertrauen der Klugheit und dem Selbstbewusstsein der Menschen, wenn es darum geht, ob sie ihrem Arbeitgeber durch Einwilligung erlauben, Daten zu erheben für die freiwillige betriebliche Altersvorsorge oder den Platz im Betriebskindergarten. Die Sozialdemokraten hingegen wollen das verbieten. Sie meinen, dass der Gesetzgeber den Menschen die Entscheidung abnehmen und den Arbeitgebern eine gesetzliche Ermächtigung geben sollte, aber natürlich nur für die Fälle, die die Sozialdemokraten für gut halten. Aber wenn dann ein Angebot kommt, was zwar ohne Zweifel für den Arbeitnehmer vorteilhaft wäre, aber der SPD heute nicht einge-fallen ist oder nicht bekannt war, weil es in der rasanten technischen Entwicklung erst entsteht, dann ist es halt verboten. Das ist Politik nach Gutsherrenart – und lässt jeden Respekt für den mündigen Bürger vermissen. Wir wollen zudem, dass neben Einwilligung und gesetzlicher Ermächtigung auch Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge in der EU-Verordnung als Rechtfertigungsgrundlagen für Datenerhebungen einbezogen werden. Schleierhaft bleibt mir an dieser Stelle die Verweigerungshaltung der Gewerkschaften selbst, denn in beiden Fällen sitzen sie doch regelmäßig mit am Tisch und stimmen den Vereinbarungen zu. Nicht nur den Bürgerinnen und Bürgern trauen wir zu, selbst zu entscheiden. Wir setzen auch auf Selbstregulierung in der Wirtschaft. Datenschutz ist in der Informationsgesellschaft ein Wettbewerbsmerkmal – und guter Datenschutz ein Wettbewerbsvorteil. Alle Unter-nehmen, die von Datenschutzskandalen betroffen waren, haben das erlebt: Kundenvertrauen basiert auch darauf, dass mit den Kundendaten sorgsam umgegangen wird. Deshalb ist es falsch, funktionierende Selbstregulierung durch staatliche Allzuständigkeit zu ersetzen. Dazu gehört einmal der Punkt, dass der Erhalt unseres bewährten Systems der betrieblichen Datenschutzbeauftragten unbedingt erforderlich ist. Die Vorschläge der Kommission würden durch den viel zu hohen Schwellenwert von 250 Mitarbeitern den betrieblichen Datenschutz völlig aushöhlen. Dazu gehört aber auch, dass Instrumente des Selbst- und Systemdatenschutzes, etwa ein Datenschutzgütesiegel, in das neue Recht Eingang finden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Volkszählungsentscheidung, in der Geburtsstunde unseres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, gesagt, dass es kein belangloses Datum mehr geben könne. Das gilt in der Informationsgesellschaft umso mehr. In einer Zeit, in der alles mit allem verknüpft werden kann, in der schon ein einfaches Handy mit früher nicht vorstellbaren Rechenkapazitäten ausgestattet ist, kann ein Datum durch die Verknüpfung auf einmal viel mehr aussagen, als es allein und nur für sich ausgesagt hätte. Denkt man hier konsequent weiter, kommt man schnell zu dem Ergebnis, dass eigentlich alle Daten, von Atlanten bis Zuschauerquoten, mit anderen Daten verknüpft und letztendlich auch mit einer Person in Verbindung gebracht werden könnten. Dass darin Gefahren für die Persönlichkeitsrechte liegen, wird niemand ernsthaft bestreiten wollen. Dass aber umgekehrt auch nicht jedem, der Faltstraßenkarten erstellt, zugerechnet werden kann, dass womöglich seine Karte mit anderen Daten zusammengewürfelt werden, liegt auch auf der Hand. Hier einen fairen Ausgleich zu finden, der berücksichtigt, wie Daten verwendet werden können, aber zugleich berücksichtigt, wie weit jeder, der Daten, die zunächst für sich allein stehen, verarbeitet, verantwortlich gemacht werden kann für das, was womöglich ein Dritter damit machen könnte, ist wohl die härteste Herausforderung für ein modernes Datenschutzrecht. Herr Dix, der Berliner Landesdatenschutzbeauftragte, sagte letztens bei dem vom Bundesinnenministerium veranstalteten Kongress zum geplanten EU-Datenschutzrecht, dass man über eine Differenzierung durchaus nachdenken könne, solange das nicht dazu führe, dass durch schlichte Festlegung Teile der personenbezogenen Daten schlichtweg vom Schutz ausgenommen würden. Dem folgend setzen wir uns dafür ein, dahin gehend zu differenzieren, wie streng das Schutzniveau im Einzelnen ist, und zwar danach, welches Gefährdungspotential in einer Datenverarbeitung liegt. Eine Datenverarbeitung, beispielsweise für die Rechnungserstellung des Klempners, birgt deutlich weniger Gefahren für die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen als eine Datenverarbeitung durch eine Freunde-Finde-App auf dem Smartphone. Dass hier also an den Klempner als Daten-verarbeiter andere Anforderungen zu stellen sind als an den Hersteller einer App, die in Echtzeit Standortdaten übermittelt, liegt für uns auf der Hand. Ganz anders denken hier aber wieder die Sozialdemokraten. In deren Antrag wollen sie die Bundesregierung verpflichten, sich in Brüssel dafür einzusetzen, dass zum Beispiel jegliche Datenübertragung personenbezogener Daten auf elektronischem Wege nach dem Stand der Technik gesichert sein müsse. Jede Datenübertragung – das ist dann auch das Einstellen eines Photos auf Flickr durch den Betroffenen selbst. Jede Datenübertragung – das ist jede personalisierte E-Mail. Das ist also ganz offensichtlich völlig an der Sache vorbei. Mit solchen Vorschlägen schüttet man das Kind mit dem Bade aus und bringt den einfachen, schnellen und unkomplizierten Datenaustausch zum Erliegen. Ganz offensichtlich ist es zwingend, dass die elektronische Übermittlung von Datensätzen, beispielsweise von Mitarbeiterdaten oder Versicherungsdaten oder auch Behördendatensätzen, so gesichert sein muss, dass der unberechtigte Zugriff Dritter ausgeschlossen ist. Aber für den Abruf von Daten, die im Telefonbuch mit Einwilligung des Betroffenen veröffentlicht sind, eine gesicherte Übertragung vorzuschreiben, ist ebenso offensichtlicher Unsinn. Damit wird aber ein Kernproblem offenbar, das die Datenschutzregulierung im Informationszeitalter mit sich bringt: Wir brauchen Regelungen, die anwendbar und praktikabel sind für ganz unterschiedliche Sachverhalte. Es geht nicht an, dass – aus ja durchaus auch berechtigten Gründen – schweres Geschütz aufgefahren wird, um manch einem US-amerikanischen Internetdatenkraken die Grenze aufzuzeigen, aber dann auch die Spatzen mit Kanonen beschossen werden. Ein Recht, das dieser Prämisse folgt, kann nur ungenaue Streutreffer verursachen und damit zu Kollateralschäden führen, die niemand wollen kann. Deshalb haben wir in unserer Stellungnahme Wert darauf gelegt, dass die Bundesregierung ihr besonderes Augenmerk darauf richtet, dass hier nicht im Versuch, Facebook, Google und Co. zu treffen, ein Lex Internet geschaffen wird, das dann aber den Handwerksbetrieb um die Ecke trifft. Einige Punkte, die wir in unserer Stellungnahme einfordern, sind auch schon von vielen anderen kritisiert worden – und wir haben hier nicht einfach die Stellungnahme der Gewerkschaften übernommen und schließen uns dieser an. Ebenso wenig übernehmen wir die Stellungnahme von Arbeitgebern oder Wirtschaftsverbänden einfach eins zu eins, auch das unterscheidet uns von den Sozialdemokraten. Datenschutz macht eben auch Mühe, Herr Reichenbach! Zu den Punkten, auf die ich hier auch nicht in aller Breite eingehen will, weil sie schon von vielen anderen zu Recht vorgetragen wurden, gehören: differenzierte Regelungen für den öffentlichen und den nichtöffentlichen Bereich, weil man das Standesamt nicht gleichbehandeln kann mit Facebook; klare, unmissverständliche und praktikable Vorgaben zum Schutz von besonders sensiblen Daten, insbesondere Gesundheits- oder Sozialdaten; die Eindämmung der unerträglich vielen delegierten Rechtsakte, die sich derzeit mitnichten am Wesentlichkeitsprinzip orientieren, das in Art. 290 AEUV verankert ist; die Wahrung der Unabhängigkeit der -Datenschutzaufsichtsbehörden, die nach dem von der Kommission vorgeschlagenen Verfahren am Ende ihre Unabhängigkeit eben gerade bei der Kommission abgeben und sich deren Diktat unterwerfen müssen; Profilbildung nur mit Einwilligung, um den besonderen Gefahren einer umfassenden Verknüpfung zahlreicher Einzeldaten ein starkes Recht des Betroffenen entgegenzu-stellen; effektive Rechtschutzmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger, die sich trotz gebündelter Zuständigkeit der Datenschutzaufsicht am Sitzland des Unternehmens an „ihren“ nationalen bzw. lokal zuständigen Datenschutzbeauftragten wenden können müssen; die Einbeziehung der EU-Institutionen in die Verordnung, weil es nicht sein kann, dass sich in der EU alle daran halten müssen, außer die EU selbst. Die EU-Datenschutz-Verordnung wird unser Bundesdatenschutzgesetz ablösen; sicher nicht ganz so schnell, wie sich die Kommission das wünscht. Aber ich habe keinen Zweifel, dass die Verordnung kommen wird – und auch kommen soll. Dem muss aber eine breite und vor allem gründliche Diskussion vorangehen, denn vieles, was von der Kommission vorgeschlagen wurde, muss doch noch deutlich verändert und verbessert werden. Es ist gut, dass sich der Bundestag an dieser Debatte beteiligt – und von seinen Rechten nach Art. 23 Grundgesetz Gebrauch macht, um der Bundesregierung eine klare und bindende Weisung mit auf den Weg zu geben. Von den eingangs erwähnten über 500 Millionen Menschen vertritt der Bundestag 80 Millionen, die natürlich von einer Verordnung der EU unmittelbar betroffen sind und für die wir uns für einen modernen, effektiven und zukunftsfähigen Datenschutz einsetzen. Jan Korte (DIE LINKE): An einer Europäisierung des Datenschutzniveaus geht kein Weg vorbei. Es gibt heute praktisch keinen Bereich moderner Informations- und Kommunikationstechnik mehr, der sich nicht nationaler Regelung und Kontrolle entzieht. Die vorgelegten Vorschläge der Europäischen Kommission zu einer Reform des europäischen Datenschutzrechts gehören deshalb zu Recht zu den derzeit am intensivsten diskutierten Gesetzgebungsvorschlägen sowohl auf der europäischen als auch auf der mitgliedstaatlichen Ebene. Angesichts von Umfang und Komplexität der Vorschläge ist es aus meiner Sicht eigentlich kaum möglich, eine zusammenfassende Bewertung abzugeben. Festzustellen ist, dass die Kommission eine Vielzahl begrüßenswerter Einzelvorschläge vorgelegt hat, die durchaus Unterstützung verdienen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass sowohl in wesentlichen Grundfragen als auch in speziellen Bereichen zum Teil deutlicher Verbesserungsbedarf besteht. Angesichts des noch laufenden Diskussionsprozesses ist es schon etwas erstaunlich, welchen Wettlauf an Stellungnahmen die Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO, vor allem aber die Sachverständigenanhörung des Innenausschusses initiiert hat. Schon sehr früh legten die Grünen eine allgemeine Erklärung in Antragsform zur europäischen Datenschutzreform vor, die ja dann auch Gegenstand der Sachverständigenanhörung war. Unmittelbar nach der Anhörung und einigen Anregungen aus der Anhörung folgend, legte die SPD eine Stellungnahme zur Grundverordnung vor, und schließlich wurde die heute als „zu Protokoll“ eingereichte „Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Art. 23 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz“ der Koalitionsfraktionen aufgelegt. Die heute vorliegende Stellungnahme der Koalitionsfraktionen ist denn auch eine - nicht einmal mit besonderem Engagement vorgetragene – Pflichtübung. Einerseits. Andererseits ist sie aber auch der Versuch, die in der öffentlichen Debatte geäußerten Vorbehalte – Stichwort Absenkung deutscher Standards, Umgehung des Bundesverfassungsgerichts – aufzugreifen und mit einem Bekenntnis zu wirtschaftsliberalen Lockerungsvorschlägen gegen die Harmonisierungsvorgaben im Unternehmensbereich zu verbinden. Bemüht werden dabei die üblichen Schlüsselwörter: Bürokratieabbau, Wettbewerbsfähigkeit, Betriebsvereinbarungen statt gesetzlicher Regelungen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Gleichbehandlung von Verbraucherinteressen und wirtschaftlichen Interessen usw. usf. Und so hat in dieser Stellungnahme jeder Absatz, geradezu klassisch, quasi sein eigenes Ober- und Unterhaus. Oder um es anders zu sagen: In der Stellungnahme soll offenbar das schöne Wort den praktischen Pferdefuß vergessen lassen. Und, auch das muss ich feststellen, es ist natürlich auch einer der Formelkompromisse, zu denen eine Koalition im Zustand des Dauerzoffs gerade noch fähig ist. Um Ihnen das einmal an einem Beispiel zu veranschaulichen: In Punkt 23 wird zu Recht die „Berücksichtigung des Scorings in der Datenschutz-Grundver-ordnung“ und die Achtung der Rechte „der Verbraucherinnen und Verbraucher an Information, Nachvollziehbarkeit und dem Schutz vor unangemessener Benachteiligung“ gefordert. So weit, so wohlklingend. Aber dann folgt die Forderung, „auch dem wirtschaftlichen Interesse an diesem Verfahren“ Rechnung zu tragen. Genau mit diesen schönfärberischen Formulierungen wurden im deutschen Recht rechtliche Legitimierung und reale Praxis des Scorings nicht nur nicht deutlich begrenzt, sondern stramm den technischen Möglichkeiten und den Forderungen der diversen Lobbys folgend erweitert. Auf diese und viele andere Punkte wie zum Beispiel Verbandsklagerechte, betrieblicher Datenschutz und Beschäftigtendatenschutz, Status bzw. Ausstattung der Aufsichtsbehörden trifft zu, was der Sachverständige Neumann in der Anhörung als Problem des öffentlichen und parlamentarischen Umgangs mit der Datenschutzgrundverordnung benannt hat: „Die berechtigte einhellige Forderung nach einem Erhalt der durch deutsche Gesetzgebung und deutsche Verfassungsrechtsprechung erreichten rechtlichen Standards – in vielen Fällen gegen Versuche des Gesetzgebers durchgesetzt, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einzuschränken – darf nicht die vielfältig prognostizierten Mängel an der deutschen Datenschutzpraxis und deren Modernisierungsbedarf unterschlagen. … Daneben gibt es aber bereits nach heutigem Stand der europäischen Datenschutzrichtlinie eine Reihe weiterer Umsetzungsdefizite, von den nicht umgesetzten Richtlinien mit datenschutzrechtlichem Bezug – zum Beispiel die sogenannten Cookierichtlinie – ganz zu schweigen. Auch in Deutschland sind weiterhin erhebliche Umsetzungsdefizite zu beklagen: sowohl in der Praxis der nichtöffentlichen Stellen im Umgang mit personenbezogenen Daten als auch im öffentlichen Bereich. Diese Defizite werfen berechtigte Fragen nach der Effektivität der Datenschutzaufsicht, aber auch nach der Geeignetheit materiell-rechtlicher Vorgaben auf. Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat sich vor diesem Hintergrund im Jahr 2010 mit einer bisher unbeantwortet gebliebenen Initiative zur umfassenden Modernisierung des deutschen Datenschutzrechts gemeldet und eine Fülle konkreter Vorschläge unterbreitet. Bedauerlicherweise fehlte es bisher am politischen Willen, sich ernsthaft mit den Herausforderungen zu befassen.“ Die von der Koalition vorgelegte Stellungnahme enthält zweifellos auch ein paar wichtige und richtige Forderungen an die zukünftigen Verhandlungen, darunter einige konkretere, wie zum Beispiel die Möglichkeiten, nationale, weitergehende Standards, vor allem auch bereichsspezifischer Art, beibehalten zu können, aber auch allgemeine wie die Beschränkung der Ermächtigungen für die Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte. Das ist erst einmal zu begrüßen. Es ist mir allerdings ein kleines Rätsel, wieso sie dieses wichtige Thema heute mit dieser Stellungnahme und ohne die nötige parlamentarische und gesellschaftliche Debatte abhandelt. Ihre Gründe hierfür interessieren mich sehr, und ich hoffe, sie sorgt hier schnellstmöglich für Aufklärung. Denn eine solch widersprüchliche und allgemeine Stellungnahme als Meinungsäußerung des Parlaments würde an den bisherigen Verhandlungspositionen der Bundes-regierung nicht nur nichts ändern, sondern ihr weiterhin einen ziemlich großzügigen Spielraum zugestehen. Den hat die Bundesregierung aber bisher auf europäischer Ebene nur äußerst selten im Interesse des Datenschutzes, des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Schutzes der Rechte von Verbraucherinnen und Verbraucher genutzt. Daran muss sich endlich grundlegend etwas ändern. Meine Fraktion sagt deshalb Ja zu einer überfälligen Europäisierung des Datenschutzniveaus. Dies muss aber auf dem höchsten Niveau erfolgen und nirgendwo zu einem Abbau von Datenschutzrechten führen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Fraktion und ich haben das heutige Thema bereits vor einigen Monaten hier erstmals ins Plenum getragen, weil wir in Sorge waren, dass von dieser Koalition dazu gar nichts mehr kommt. Ich habe es damals gesagt, und ich tue es jetzt hier gerne wieder und appelliere erneut an die Koalition, all die Kritik, das Verharren und Zögern endlich in kon-struktive Energien umzuwandeln. Denn wir brauchen die EU-Datenschutzreform. Wir brauchen die EU--Datenschutzreform, weil wir ansonsten im zunehmend globalisierten Datenverkehr, in Zeiten, in denen zwei Drittel aller Bürgerinnen und Bürger online sind und heute beinahe 25 Millionen Deutsche ein Profil bei einem sogenannten sozialen Netzwerk haben, mit unseren bestehenden nationalen Regelungen schlicht untergehen. Wir werden von den internationalen Playern auf dem heißumkämpften Markt um immer mehr Daten der Bürgerinnen und Bürger schlicht nicht Ernst genommen, wenn wir nicht einheitlich als Wirtschaftsraum auch unsere Werte- und Grundrechtsordnung klar und deutlich ausformulieren. Für uns bedeutet Datenschutz Grundrechtsschutz, und das gilt auch und mehr denn je für die Privatwirtschaft, wo staatliche Schutzpflichten den Gesetzgeber anhalten, gravierende Machtungleichgewichte zwischen den Vertragsparteien auszugleichen. Wir unterstützen deshalb die Europäische Kommission darin, die ohne Zweifel beachtliche, auch ganz konkret fachliche Herausforderung zu stemmen, einen tragfähigen und in die Zukunft weisenden, den Bürgerinnen und Bürgern tatsächliche Mehrwerte bietenden Entwurf zu erarbeiten und freuen uns sehr, dass einer der Berichterstatter für dieses Vorhaben, welches der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, vor kurzem während einer interparlamentarischen Anhörung in Brüssel eines der wichtigsten Vorhaben für das Europäische Parlament bis zum Ende der Legislatur genannt hat, mein geschätzter Kollege Jan Philipp Albrecht ist. Auch wir verhehlen nicht, dass der gegenwärtige Entwurfsstand noch viele wichtige Fragen offenlässt und weisen auf diesen Umstand bei jeder Gelegenheit hin, auch hier im Plenum. Die bestehenden Mängel des bisherigen Entwurfs haben wir in unseren Anträgen klar formuliert. Auch wir wollen durch die Reform keine Absenkung des allgemeinen und vergleichsweise hohen Schutzstandards, sehen aber auch die zahlreichen Lücken und bestehenden Probleme des bundesdeutschen Datenschutzrechts, bis hin zu den gravierenden Vollzugsdefiziten in der Kontrolle der Wirtschaft, die vor allem den viel zu knappen Ressourcen der Aufsicht geschuldet sind. Umso wichtiger erscheint es uns deshalb, dass gerade unser Land in der weiteren Diskussion um die Ausgestaltung eines europäischen Datenschutzrahmens eine konstruktive Rolle einnimmt und mit konkreten Verbesserungsvorschlägen zumindest versucht, die führende innovative Rolle, die wir in Fragen des Datenschutzes einmal innehatten, wieder ein Stück weit zurückzugewinnen. Dass wir aber so weit in der derzeitigen Diskussion zurückgefallen sind, verdanken wir leider dem beharrlichen Unterlassen der schwarz-gelben Koalition und der politischen Bankrotterklärung, in diesem für die Bürgerinnen und Bürger so wichtigen Feld wirken und für hohe Daten- und Verbraucherschutzstandards sorgen zu wollen. An Aufforderungen und Erinnerungen, zu handeln, mangelte es freilich nicht. Die Debatte um die Reform des Datenschutzes auf EU-Ebene wurde nicht erst am 25. Januar 2012 eröffnet, als Frau Reding ihren Entwurf einer Datenschutz-Grundverordnung vorstellte. Die Debatte war bereits 2009 voll entbrannt, als annähernd 200 Institutionen und Personen auf Aufforderung der EU-Kommission in einer Public Consultation ihre Änderungswünsche zur EG-Datenschutzrichtline 95/46 unterbreitet haben. Darunter war auch die Bundesregierung mit einer äußerst knapp gehaltenen Stellungnahme, aus der ich gerne zitiere: „Die Bundesregierung ist bereit, an dieser wichtigen Aufgabe konstruktiv mitzuwirken“. Doch erst heute, nach drei Jahren intensivster Diskussionen auf nationaler wie auch europäischer Ebene, erhalten wir hier allenfalls Andeutungen, wohin die Reise nach Ansicht der Bundesregierung gehen soll. In der Zwischenzeit haben andere die Arbeit gemacht. Andere haben die Richtungen vorgezeichnet – leider nicht immer in unserem Interesse. Wenn Sie jetzt, Herr Minister Friedrich, hier und heute betonen, sie wünschten sich „eine breite und sorgfältige Debatte“ und es bestehe „erheblicher Erörterungsbedarf auch in grundsätzlicher Hinsicht“, dann ist das vor diesem Hintergrund einfach nicht nachvollziehbar. Eine solche „breite Debatte“ läuft seit Jahren, bisher ist sie allerdings schlicht an Ihnen vorbeigegangen. Sie haben sich, Herr Minister, zunächst entschieden, die ganze Sache in Brüssel mehr oder weniger laufen zu lassen. Sie haben dabei die ständig wachsende Bedeutung der Thematik sowie die politische Dynamik insgesamt völlig unterschätzt. Ideologische Scheuklappen machen eben immer auch ein Stück weit blind. Denn auch wenn ich nicht glaube, dass alle in der Union so denken, so ist zu befürchten, dass, durch die Brille der inneren Sicherheit Ihrer Partei besehen, Datenschutz oft immer noch auf Täterschutz und, durch die Wirtschaftsbrille besehen, häufig auf Bürokratie reduziert wird. So haben Sie bloß zugeschaut, als eine äußerst entschlossen auftretende Kommissarin Reding 2010 das Thema mit einer sehr weitgehenden Reformankündigung aufgriff. Seit aber die konkreten Vorschläge auf dem Tisch liegen, hintertreiben Sie die Reform, wo es nur geht. Von Ihren ersten grundsätzlich ablehnenden Stellungnahmen bis zu Ihrem auf Verzögerung angelegten, wenig konstruktiven Verhalten in den EU-Ratsverhandlungen wird deutlich, dass Sie diese Reform eigentlich nicht wollen. Diesen Eindruck hinterließ auch die vom BMI kürzlich in größter Eile einberufene Datenschutzkonferenz, mit der eine breitere Zustimmung für die gröbsten Schlagworte der Bundesregierung zur Debatte gefunden werden sollte. Sie kam deutliche zwei Jahre zu spät. Sie erinnerte mit ihren an Grundsatzfragen ausgerichteten, selbstquälerischen, ja geradezu faustischen Debatten um das Thema „Datenschutz oder nicht“ deshalb an absurdes Theater, weil in Brüssel und in vielen europäischen Großstädten derweil ganz konkrete Fragen der Weiterentwicklung des Datenschutzes auf der Agenda stehen, es also um den Ausbau und die Effektivierung und nicht um den Abbau des Datenschutzes geht. Ebenfalls unangenehm aufgefallen ist, meine Damen und Herren von der Koalition – daran muss ich Sie in diesem Zusammenhang leider erinnern –, wie Sie in unkollegialer Weise versucht haben, die Anhörung des Innenausschusses zur Datenschutzreform durch Ihre Sachverständigen zu torpedieren und die Fragerechte der Oppositionsfraktionen durch Zeitablauf zu beschränken bzw. leerlaufen zu lassen. Ich will noch auf die mantraartig vorgetragenen, aber zu keinem Zeitpunkt konzeptionell untermauerten drei Thesen des Bundesinnenministers in Sachen Reform eingehen. Wenn wir den Datenschutz des öffentlichen Bereichs aus der Grundverordnung wieder herausnehmen, dann fallen wir hinter den Stand der Richtlinie von 1995 zurück. Denn auch diese erstreckt sich bereits auf den öffentlichen Bereich, und sie gilt nach der Rechtsprechung in einer Reihe von Punkten bereits als vollharmonisierend. Natürlich bedeutet der Schritt zur Rechtsform der Verordnung auch insoweit eine bedeutende Veränderung, aber dann lassen Sie uns doch konkret über die-jenigen Gebiete, etwa den Sozialdatenschutz, das -Meldewesen oder vielleicht sogar Teile des Medizindatenschutzes, reden, bei denen wir uns konkret wünschen, dass unsere Standards auch auf europäischer Ebene Eingang finden. Die Verordnung lässt dafür durchaus Spielräume offen, und die grundlegende Gesprächsbereitschaft der Kommission wurde bereits signalisiert. Bereichsausnahmen oder Übernahmen unserer Schwellen in das Gerüst der Verordnung bleiben somit möglich. Man muss dafür aber wenigstens konkrete Vorschläge vorlegen. Selbstregulierung bleibt ein Schlagwort, wenn man nicht über den Status quo redet. Wir haben eine Regelung im Bundesdatenschutzgesetz. Doch die findet in der Wirtschaft keinen Anklang. Uns liegt bis heute keine einzige Selbstregulierung vor, die den Namen tatsächlich verdient. Denn Selbstregulierung heißt im grundrechtssensiblen Bereich des Datenschutzes eben nicht, dass mal eben eine Handvoll Unternehmen vage Zusagen geben und dafür im Gegenzug von der Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen befreit werden. Hier fehlt es an einem Konzept, bei dem die bessere Sachkenntnis der Betroffenen in ihren Unternehmen und Branchen und die Verantwortung des Gesetzgebers für einen durchgehend hohen Schutzstandard zusammengeführt werden. Ein solches Konzept konnten Sie bis heute noch immer nicht vorlegen. Schließlich: Die irreführende These vom Verbotsvorbehalt dient lediglich dazu, das Bild der hinderlichen Bürokratie zu evozieren. Der Erlaubnisvorbehalt behält seine wichtige Funktion der Verteilung der Rechtfertigungslast auch für scheinbar unwichtige Informationen über Personen, weil diese, einmal ihrem Kontext entrissen und anderswo verwendet, eben doch erheblichen Schaden entfalten können. Deshalb ist es gerade Sache der Verantwortlichen, die Erforderlichkeit der Verarbeitung überzeugend zu begründen und nicht umgekehrt Sache der Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen zur Einhaltung grundlegender Spielregeln im Umgang mit ihren Daten anzuhalten. Auch die These von der Notwendigkeit eines stärker risikobezogenen Ansatzes verfehlt vor allem die gelebte Praxis des Datenschutzes, die sich in den Unternehmen und vermittelt über deren Verbände auf der Grundlage des sicherlich besonders unschönen § 28 BDSG längst etabliert hat. In jahrelanger Absprache mit den Aufsichtsbehörden bestehen weitgehende Erleichterungen und Anpassungen für kleine und mittlere Unternehmen sowie sehr weitgehende Rechtfertigungen der unterschiedlichsten Verarbeitungspraktiken in den Unternehmen auf der Grundlage des bestehenden Rechts. Die gesamte Auslegung des Bundesdatenschutzgesetzes erfolgt also seit über 20 Jahren höchst pragmatisch und risikobezogen. Lassen sie mich abschließend noch eins sagen, meine Damen und Herren der Koalition: Ihr Antrag enthält – das sage ich an dieser Stelle ausdrücklich – durchaus einzelne unterstützenswerte Punkte. Aber aus Ihrem Munde klingen sie, gemessen an Ihrem „Gesamtnichtverhalten“ zum Thema Datenschutz, einfach unglaubwürdig. Der Grundtenor des Antrages atmet eine insgesamt so rückwärtsgewandte Perspektive im Hinblick auf den Datenschutz, dass wir ihn nur ablehnen können. Vizepräsident Eduard Oswald: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11325 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es sind alle damit einverstanden. Dann haben wir dies gemeinsam so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 38 a und 38 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes – Drucksache 17/11293 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Gesundheit b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung reduzieren – Drucksachen 17/8348, 17/9972 – Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Stier Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Friedrich Ostendorff Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden dieses Tagesordnungspunktes zu Protokoll zu geben.16 Sind alle damit einverstanden? – Widerspruch erhebt sich nicht. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11293 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir das so gemeinsam beschlossen. Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Die Linke. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9972, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8348 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind alle drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshalber frage ich nach Enthaltungen. – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts – Drucksache 17/11127 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll gegeben. – Widerspruch erhebt sich nicht. Erich G. Fritz (CDU/CSU): Wir befassen uns heute in der ersten Lesung mit einem Entwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts. Mit der vorliegenden Überarbeitung erfüllen wir eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag vom 26. Oktober 2009. Das Außenwirtschaftsgesetz genießt weltweit einen hervorragenden Ruf und wird daher in seinen bewährten Grundstrukturen, insbesondere im Grundsatz der Außenwirtschaftsfreiheit, beibehalten. Dennoch wird es höchste Zeit für eine Modernisierung. Das Außenwirtschaftsgesetz ist 1962, also vor 50 Jahren, in Kraft getreten. Seither hat sich, wie wir alle wissen, in der außenpolitischen Architektur einiges geändert: Die Europäische Union hat Zuständigkeiten im Außenhandel übernommen und in ihrem Zuständigkeitsbereich einen gemeinsamen Exportkontrollmechanismus aufgebaut. Auch deshalb sind das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und die Außenwirtschaftsverordnung (AWV) häufig geändert worden. AWG und AWV gleichen derzeit einem Flickenteppich, sie sind unübersichtlich und wenig nutzerfreundlich. Selbst Juristen und Experten haben teilweise Schwierigkeiten, sich in diesem Dschungel an Paragrafen noch zurechtzufinden. Das AWG besteht aus 50 Paragrafen. Nach der Novelle sollen es nur noch 28 Bestimmungen sein. Im Interesse der Exporteure, ins-besondere der kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland, die oft nicht über eine eigene Rechtsabteilung verfügen, müssen die Regelungen gestrafft und auch für Nichtjuristen verständlich formuliert werden. Die Neufassung ist also eine notwendige Anpassung, und ich gratuliere der Bundesregierung zu ihrer Entscheidung, das Außenwirtschaftsrecht zu novellieren. Worum es hier zunächst geht, sind modernere Definitionen für besseres sprachliches Verständnis. Das AWG wird an die moderne Terminologie angepasst. Es erhält eine zeitgemäße Sprache und wird in Einklang mit den europarechtlich etablierten Begriffen gebracht. Da das nationale und das europäische Recht eng verzahnt sind, werden so Widersprüche beseitigt. Viele Begrifflichkeiten sind schlicht veraltet. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man sich vor Augen führt, dass viele der Definitionen aus der Zeit vor der Wiedervereinigung und vor der Dual-Use-Verordnung (erstmaliges Inkrafttreten 1994, grundlegende Überarbeitung 2009) stammen. Es ist also an der Zeit, den Definitionskatalog zu überarbeiten. Einige Begriffe wie „fremde Wirtschaftsgebiete“ entfallen ganz, andere werden sprachlich vereinfacht. Auch sollen AWG und AWV besser und übersichtlicher strukturiert werden. Ein Beispiel: Die außenwirtschaftsrechtlichen Einfuhrverfahrensvorschriften finden sich derzeit sowohl im AWG als auch in der AWV. Im Interesse der Übersichtlichkeit werden sie nunmehr einheitlich in der AWV geregelt und damit an die Ausfuhrverfahrensvorschriften angeglichen. Sie sehen, es geht hier nicht um eine grundlegende Änderung der Inhalte, etwa um laxere Ausfuhrbestimmungen, wie teils fälschlicherweise in der Presse behauptet und skandalisiert, sondern vor allem um eine Anpassung an den modernen Sprachgebrauch und eine schlankere Fassung der Bestimmungen. Vergleicht man AWG/AWV in ihrer aktuellen Form mit der vorliegenden Überarbeitung, so wird klar: In der Sache ändert sich nur wenig. Die Opposition wäre also gut beraten, sich die Zeit zum Lesen der 88 Seiten Gesetzesnovelle zu nehmen, bevor sie absichtlich oder zumindest durch Nachlässigkeit falsche Behauptungen über laxere Rüstungskontrollen verbreitet, die explizit nicht vorgesehen sind. Denn das AWG geht weit über Rüstung hinaus, und der Bereich Rüstung innerhalb des AWG bleibt völlig unberührt von der Überarbeitung. Ich sage es noch einmal: Die Überarbeitung des Außenwirtschaftsrechts sieht keinerlei Erleichterungen für den Export von Rüstungsgütern vor. Insofern ist es gelinde gesagt verwunderlich, wenn das Magazin „Der Spiegel“ in seiner Ausgabe vom 16. Juli 2012 (29/2012, S. 16) mit dem irreführenden Titel „Rüstungsexporte: Deutsche Waffen für die Welt“ behauptet, die Bundesregierung wolle mit der Gesetzesnovellierung „den Export von Waffen und Rüstungsgütern vereinfachen“. Hiervon kann keine Rede sein! Die Inhalte der bestehenden Verbote und -Genehmigungsinhalte bleiben dieselben. Die vorliegende Gesetzesmodernisierung führt nicht dazu, dass sich Rüstungsgüter aus Deutschland leichter exportieren lassen. Und das begrüße ich ausdrücklich. Was in der Tat entfällt, sind überholte Ermächtigungsgrundlagen, die seit Inkrafttreten des Gesetzes schlicht nie genutzt wurden. Gerne gebe ich Ihnen ein Beispiel: Nach § 17 AWG können Rechtsgeschäfte über die Verbreitung ausländischer Filme und anderer audiovisueller Werke beschränkt werden, um die deutsche Filmwirtschaft zu schützen. Die Beschränkungen haben keinen außenwirtschaftsrechtlichen, sondern einen industriepolitischen Hintergrund. Von der Ermächtigungsgrundlage wurde noch nie Gebrauch gemacht. Wichtige Grundlagen, wie beispielsweise der sogenannte „Einzelakteingriff“ (§§ 6, 7 AWG-Novelle), bleiben erhalten. Nach wie vor können also Lieferungen, die nach dem geltenden Recht legal wären, durch einen Einzeleingriff gemäß § 6 (ehemals § 2 Abs. 2 AWG) untersagt werden, um bestimmte Gefahren abzuwenden, zum Beispiel für die auswärtigen Beziehungen Deutschlands. Die Voraussetzungen einer solchen Ausfuhrbeschränkung in Form eines Verwaltungsakts sollen durch die Gesetzesnovelle auch für den Seeverkehr außerhalb des deutschen Küstenmeers konkretisiert werden (§ 7 AWG-Novelle). Zusätzlich zu der Anpassung an die moderne Terminologie sind einige inhaltliche Änderungen im Bereich der Straf- und Bußgeldbewehrungen vorgesehen, die ich gerne erläutere: Bislang fiel es schwer, zwischen dem Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit und dem einer Straftat zu unterscheiden. Die bisherigen Straf- und Bußgeldbewehrungen sind schwer verständlich, weil sie an unbestimmte Rechtsbegriffe anknüpfen. Verstöße gegen bestimmte Genehmigungserfordernisse werden zu Straftaten, wenn sie geeignet sind, die „auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland“ erheblich zu gefährden (§ 34 Abs. 2 AWG). Dies ist eine schwammige Formulierung. Die Rechtsprechung hat die Bestimmungen aus gutem Grund kritisiert: Es sei für den Adressaten schwer erkennbar, wann er sich strafbar machen könne, weil nicht immer klar sei, in welchen Fällen das Auswärtige Amt diesen Tatbestand bescheinige. Deshalb sind die geltenden Straf- und Bußgeldbewehrungen „am Rande der Verfassungswidrigkeit“. Ich halte es daher für richtig, dass die Novelle auf unbestimmte Rechtsbegriffe in der Zukunft verzichten soll. Die Straf- und Bußgeldbewehrungen werden in der Novelle klarer als bisher am Grad der Vorwerfbarkeit ausgerichtet. Mit anderen Worten, vorsätzliche Verstöße gegen bestimmte Verbote und Genehmigungserfordernisse, die bisher als Ordnungswidrigkeiten behandelt werden, sollen zukünftig als Straftaten bewertet werden, auch im Bereich von Dual-Use-Gütern. Auch hier bietet sich zum besseren Verständnis ein kurzes Beispiel an: Die ungenehmigte Ausfuhr von Waffen wird als Straftat geahndet. Das ist bisher so, und das wird auch so bleiben. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf wird aber auch die ungenehmigte Ausfuhr ziviler Güter, die für militärische Zwecke missbraucht werden können, eine Straftat, wenn der Täter vorsätzlich handelt (§ 18 AWG-Novelle). Damit ist die klare Botschaft verbunden: Wer sich bewusst über das Außenwirtschaftsrecht hinwegsetzt, handelt nicht nur ordnungswidrig, er macht sich vielmehr strafbar. Eine Ahndung von Ordnungswidrigkeiten als Straf-taten soll hingegen nicht mehr möglich sein. Der Gesetzentwurf – mit Ausnahme von Verstößen gegen Waffenembargos – verzichtet auf eine Strafbewehrung fahrlässigen Handelns, das heißt von Verstößen gegen die erforderliche Sorgfalt. Der Grund hierfür ist einleuchtend: Mitarbeiter exportierender Unternehmen sollen nicht kriminalisiert werden, wenn sie sich rechts-treu verhalten wollen, ihnen aber versehentlich ein Arbeitsfehler unterläuft. In diesen Fällen ist die Verhängung eines Bußgeldes gegen das Unternehmen die angemessene Sanktion. Außerdem können solchen Unternehmen außenwirtschaftsrechtliche Genehmigungen wegen mangelnder Zuverlässigkeit versagt werden. Nicht unerwähnt bleiben sollte auch, dass Verstöße gegen Waffenembargos verschärft werden. Eine Lieferung von Waffen in ein Embargoland oder die Vermittlung eines solchen Waffengeschäfts wird als Verbrechen bestraft. Festzuhalten ist: Die Strafbewehrungen für vorsätzliche Verstöße gegen das Außenwirtschaftsrecht werden sogar deutlich verschärft. Erlauben Sie mir, vor dem Hintergrund der teilweise ungeheuerlichen Berichterstattung auch kurz auf den Bereich der Gesetzesnovelle einzugehen, der die Überarbeitung der AWV betrifft. Ich meine die Genehmigungserfordernisse für Güter mit doppeltem Verwendungszweck, den sogenannten Dual-Use-Bereich: Es handelt sich um deutsche Sondervorschriften aus einer Zeit, als es noch keine vergleichbaren Bestimmungen im europäischen Recht gab. Mittlerweile sind sie durch korrespondierende europäische Vorschriften überlagert. Das Nebeneinander der europäischen und der deutschen Genehmigungserfordernisse mit weitgehend identischem Regelungsgehalt führt nicht zu einer verbesserten Exportkontrolle, sondern nur zu einer bürokratischen Belastung der Unternehmen und zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber ihren europäischen Konkurrenten. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben: Welche Dual-Use-Güter gelistet sind, ist im deutschen Recht in der Ausfuhrliste geregelt. Diese erfasst neben den europaweit gelisteten Gütern auch Güter, die nur in Deutschland gelistet sind (sogenannte 900er-Listenpositionen): Häufig sind die nationalen Listungen auf Einzelfallentscheidungen (durch „Einzeleingriff“, § 2 Abs. 2 AWG) zurückzuführen. Viele dieser gelisteten Güter sind veraltet bzw. haben ihre Praxisrelevanz verloren. Aus diesem Grund wird die deutsche Güterliste gekürzt. Zudem wird auf die Wiedergabe der Güter der Dual-Use-Verordnung verzichtet, denn diese Güter sind ohnehin von der vorrangig geltenden EG-Dual-Use-Güter-VO erfasst. Sie sehen also, dass der vorliegende Gesetzentwurf deutlich in die Klasse der Weiterentwicklung effizienten Regierens in Deutschland einzuordnen ist. Sein Inhalt eignet sich nicht für parteipolitisches Geplänkel. So schließe ich mit einem Lob an unsere Bundesregierung, die einen sehr vernünftigen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Rolf Hempelmann (SPD): Die Bundesregierung hat uns ein Gesetz zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts vorgelegt. Wie wir der Begründung des Gesetzentwurfs entnehmen können, werden nun Vorgaben des Koalitionsvertrags von Schwarz-Gelb umgesetzt. Wie schön! In Ihrem Koalitionsvertrag steht zur Änderung des Außenwirtschaftsrechts unter anderem – ich zitiere –: Es werden Vorschriften gestrichen, die deutsche -Exporteure gegenüber ihren europäischen Konkurrenten benachteiligen. Bei der Anwendung des Außenwirtschaftsrechts muss der internationalen Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft mehr als bisher Rechnung getragen werden. Damit missverstehen Sie das Außenwirtschaftsrecht. Aus dem ersten Paragrafen des Außenwirtschaftsgesetzes ergibt sich, dass der Wirtschaftsverkehr mit anderen Staaten „grundsätzlich frei“ ist, jedoch – und dafür muss man diesen Paragrafen weiterlesen – Einschränkungen unterliegt. Und diese Einschränkungen ergeben sich aus der besonderen Berücksichtigung der nationalen – also deutschen – und auch europäischen sicherheits-, außen-, wirtschafts- und handelspolitischen Belange. Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Raum, wie Sie sie sehen, sollten Sie auf der Ebene der EU angehen. Eine alleinige Streichung von deutschen Sondervorschriften darf nicht Ergebnis einer Novellierung des Außenwirtschaftsrechts sein. Mit den geplanten Änderungen im Außenwirtschaftsrecht werden Sie den neuen Herausforderungen nicht gerecht. Gerade vor dem Hintergrund der Debatte zu Angra 3 hätte sich die SPD-Bundestagsfraktion zum Beispiel eine klare Regelung zur Beendigung der Exportförderung für Atomtechnologien gewünscht. Die Förderung und Unterstützung des Baus eines Atomkraftwerks in Brasilien steht im Widerspruch zum Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie in Deutschland. Es kommt hinzu: Die Hermesbürgschaft für Angra 3 soll 1,3 Milliarden Euro betragen. Mit diesem Betrag will die Bundesregierung ein Projekt fördern, an dem kein deutsches Unternehmen mehr beteiligt ist. Das Atomkraftwerk soll in einem Gebiet gebaut werden, das geologisch – aufgrund von Erdrutschgefahren und instabilen Böden – und geografisch – durch die Nähe zum Meer und zu Großstädten – ungeeignet ist. Darüber hinaus ist das Sicherheitsdesign des geplanten Atomkraftwerks veraltet. Unter Rot-Grün haben wir Hermesumweltleitlinien entwickelt. Wir wollen im Ausland keine Projekte unterstützen, die wir bei uns nicht zulassen würden. Nach den Hermesleitlinien war die Exportförderung von Nukleartechnologien zum Neubau bzw. zur Umrüstung von Atomanlagen ausgeschlossen. Kurz nach der Bundestagswahl 2009 setzte Schwarz-Gelb diese Hermesumweltleitlinien außer Kraft. Ein Ausdruck Ihrer rückwärtsgewandten Politik! Spätestens seit dem Atomausstieg 2011 müssen die Leitlinien wieder gelten. Die SPD-Bundestagsfraktion kann sich vorstellen, solche Kriterien, wie in den Hermesleitlinien formuliert, in das Außenwirtschaftsrecht zu integrieren. Das wäre ein Fortschritt und eine wirkliche Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts. Ein anderer sensibler Bereich des Außenwirtschaftsrechts ist das Rüstungsregime. Nehmen wir den Schauplatz Indonesien: Wir hören da von 150 Panzern der -Typen Leopard und Marder, die von Deutschland nach Indonesien geliefert werden sollen. Gestern wurde gemeldet, dass die Unterzeichnung des Panzerdeals aufgrund offener technischer Details verschoben wurde. Es wird davon ausgegangen, dass die Unterzeichnung am Samstag erfolgt. Im Wirtschaftsausschuss hörte sich das Anfang Juli noch anders an. Eine Anfrage – aber kein Antrag auf Erteilung einer Genehmigung – sei eingegangen, so hieß es damals. Dieser Deal soll, so wie es aussieht, trotz der Befürchtungen, dass die Panzer im Konflikt mit ethnischen Minderheiten eingesetzt werden könnten, vonstatten gehen. Hier ist Aufklärung durch die Bundesregierung notwendig. Es gibt Kriterien zur Bewertung von Waffenexporten. Die haben wir unter Rot-Grün entwickelt. Diese „Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstiger Rüstungsgüter“ zusammen mit dem „Gemeinsamen Standpunkt des Rates“ legen die Regeln für die Genehmigung von Waffenexporten fest. Die dortigen Kriterien sind gesetzlich zu verankern. Dazu hätten Sie mit dieser Novelle des Außenwirtschaftsgesetzes die Möglichkeit gehabt. Aus Regierungskreisen heißt es, durch die Novelle des Außenwirtschaftsrechts würden die Regelungen über den Export von Rüstungsgütern „ausdrücklich nicht berührt“ werden. Es bliebe bei den „bewährten Grundsätzen“ des Außenwirtschaftsrechts, „wonach die Ausfuhr von Rüstungsgütern im jeweiligen Einzelfall unter sorgfältiger Abwägung vor allem der außen-, sicherheits- und menschenrechtspolitischen Argumente geprüft“ werde. Aber warum schreiben Sie es nicht ins Gesetz? Sie könnten für Klarheit sorgen. Das wäre eine wirkliche Weiterentwicklung des Außenwirtschaftsrechts. Und sagen Sie nicht, das Außenwirtschaftsgesetz würde durch diese Kriterien überfrachtet werden. Wem wollen Sie etwas vormachen? Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Vorschriften zur Ausfuhr von Dual-Use-Gütern aufgehoben werden sollen. Begründet wird diese Aufhebung mit dem bürokratischen Aufwand für die betroffenen Unternehmen und dem Wettbewerbsnachteil gegenüber Wettbewerbern aus anderen Mitgliedstaaten. Gerade der Bereich der Dual-Use-Güter ist besonders sensibel. Das erleben wir gerade bei der Debatte zu den Kommunikationstechnologien und zur Spyware. Die Kenntnisse über atomare, biologische oder chemische, aber auch kommunikationstechnologische -Zusammenhänge auch im zivilen Bereich können zum Gebrauch oder zur Entwicklung von Waffen genutzt werden. Daher stellen diese Güter ein besonderes Gefahrenpotenzial dar und unterliegen der Ausfuhrkontrolle. Die Aufhebung der Sondervorschriften zu Dual-Use-Gütern erfolgt mit Bezugnahme auf die europäische Dual-Use-Verordnung. Inwiefern die europäische Verordnung den gleichen hohen Ansprüchen an die Ausfuhrkontrolle gerecht wird, werden wir in der angesetzten Anhörung klären müssen. Das ist insbesondere interessant, weil die europäische Verordnung nach Art. 4 strengere Regelungen in den Mitgliedstaaten zulässt. Es gibt viel zu besprechen, und wir sollten uns zu den verschiedenen Aspekten weiteren Sachverstand einholen. Daher werden wir im Wirtschaftsausschuss eine Anhörung durchführen. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Die Koalition und die Bundesregierung verfolgen im Zuge der Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes besonders eine Straffung und Harmonisierung der Vorschriften. Denn niemand kann bestreiten, dass eine Modernisierung dieses Gesetzes nach über 50 Jahren notwendig ist. Deutsche Sondervorschriften entfallen zugunsten einer europäischen Angleichung. Dies betrifft die Ausfuhr sogenannter Dual-Use-Güter. Eine ungenehmigte Ausfuhr von Rüstungsgütern bleibt weiterhin eine Straftat. Gleiches gilt für den Verstoß gegen die Genehmigungspflicht bei Dual-Use-Gütern, die bisher lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet wurde. Die neue Übersichtlichkeit und Verständlichkeit führt zur Senkung der Bürokratiekosten in den betroffenen Unternehmen. Die Novelle behält dabei die bewährten Grundstrukturen des deutschen Außenwirtschaftsrechts bei. Genehmigungen zur Ausfuhr von Rüstungsgütern werden weiterhin auf Grundlage der „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr 2000 und dem „Gemeinsamen Standpunkt 2008/944/GASP des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern“ geprüft. Vereinfacht wird lediglich das Verfahren als solches. Die nationalen Sonderregelungen, die zum größten Teil ihre Bedeutung verloren haben, begründeten lange Zeit für deutsche Unternehmen durch bürokratischen Aufwand einen Wettbewerbsnachteil. Dieses Problem hat unsere schwarz-gelbe Koalition nun angegangen und beseitigt sie durch die Novellierung des Gesetzes. Mit dieser Novelle fördern wir einen fairen Wettbewerb und heben die Wettbewerbsnachteile deutscher Unternehmen gegenüber ihren europäischen Mitbewerbern auf. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Deutschland ist der drittgrößte Rüstungsexporteur der Welt. Das ist eine beschämende Position; denn damit ist Deutschland in hohem Maße mitverantwortlich für viele Tote auf der Welt. Die Regierung macht sich lächerlich, wenn sie sich bei der Vorstellung der Novelle zum Gesetz zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts selbst eine strenge Kontrolle von Rüstungsgütern bescheinigt. U-Boot-Lieferungen nach Ägypten und Israel, Panzerlieferungen nach Indonesien und Saudi-Arabien, deutsche Sturmgewehre in Libyen und Georgien beweisen das Gegenteil. Am Geschäft mit dem Tod wird gut verdient, und das soll auch so bleiben. Deshalb finden dringend notwendige Restriktionen keinen Eingang in die vorliegende Novelle. Die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für Rüstungsexporte klingen gut: Lieferungen an Länder, die sich in bewaffneten äußeren Konflikten befinden oder bei denen eine Gefahr für den Ausbruch solcher Konflikte besteht, scheiden grundsätzlich aus. Auch bei einem schon hinreichenden Verdacht, dass deutsche Waffen zur Unterdrückung der Bevölkerung oder zu sonstigen fortdauernden Menschenrechtsverletzungen im Empfängerland missbraucht werden könnten, gibt es grundsätzlich keine Exportgenehmigung. Doch was nutzt das, wenn diese Grundsätze unverbindlich sind, gegenüber den ökonomischen Interessen der deutschen Rüstungsindustrie abgewogen werden und dann – wen wundert es? – der Profit immer über die Menschenrechte gesetzt wird? Nicht einmal 0,15 Prozent der Rüstungsexporte – in Antragswerten – wurden 2010 abgelehnt. Diese Grundsätze müssen verbindlich in das Außenwirtschaftsgesetz eingefügt werden. Dann wären wir einen großen Schritt weiter auf dem Weg zu einer friedlicheren und humaneren Welt. Die Menschenrechte sind für die Bundesregierung immer gerade dann nützlich, wenn sie ihre Soldaten irgendwo hinschicken will. Sie schert sich einen Deut darum, wenn deutsche Wasserwerfer an autoritäre Regime verkauft werden. Den Milizen von Lukaschenko greift sie sogar aktiv unter die Arme, bildet sie aus und beliefert sie mit Kameras, Software und Transportern. Nicht nur Waffen und Kriegsgerät, auch Überwachungstechnik und Software können Unterdrückungsinstrumente sein und müssten unter die Restriktionen des Außenwirtschaftsgesetzes fallen. Doch statt einer Verschärfung nimmt die Bundesregierung im Bereich der Dual-Use-Güter Lockerungen vor. Restriktionen, die nach dem deutschen Recht bisher vorgeschrieben waren, nach europäischem aber nicht, sollen entfallen. Nach dem derzeitigen Außenwirtschaftsrecht kann die Ausfuhr von Gütern beschränkt werden, die für die Entwicklung, die Erzeugung oder den Einsatz von Waffen, Munition oder Kriegsgerät nützlich sind. Künftig soll dies nur noch für Güter gelten, die ausdrücklich für die Entwicklung, die Erzeugung oder den Einsatz von Waffen, Munition und Rüstungsgütern gedacht sind. Das heißt, der Exporteur wird aus der Verantwortung für die Verwendung seiner Güter entlassen. Ihm kann egal sein, wie viele Menschen wegen seiner Produkte sterben müssen. Bei den neuen Straf- und Bußgeldvorschriften gibt es Verschärfungen, aber auch Erleichterungen. Zentral erscheint mir dabei, dass dem Rüstungsexporteur künftig nachgewiesen werden muss, dass er vorsätzlich gehandelt hat. Fahrlässige Verstöße gegen das Außenwirtschaftsrecht werden nur noch als Ordnungswidrigkeiten geahndet. Lediglich leichtfertige Verstöße gegen ein Waffenembargo werden noch strafbewehrt. Das klingt wie ein halber Freifahrtschein für die Rüstungswirtschaft. Viele Menschen werden weltweit mit Waffen aus deutscher Produktion oder Lizenz, mit deutschem Know-how und deutscher Hilfe getötet – nach dieser Novelle leider mehr statt weniger. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung verfolgte bei der Neufassung des Außenwirtschaftsrechts nach eigenen Worten das Ziel, die Regelungen zu straffen und zu vereinfachen. Was für ein Ehrgeiz: eine Anpassung an eine EU-Richtlinie, Begriffsklärungen, aber keine substanziellen -Veränderungen. So will ich Ihr Augenmerk auf all das lenken, was die Bundesregierung in diesem Gesetzentwurf, in dem es vor allem um Ausfuhrbestimmungen zu militärisch nutzbaren Exportgütern geht, nicht ändern möchte. Deutschland ist inzwischen zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt aufgestiegen. Deutsche Rüstungsgüter verkaufen sich hervorragend und finden sich in -Libyen, Indonesien und Saudi-Arabien wieder. Die Presse berichtete ausführlich über die skandalösen -Verkäufe von Panzern an Saudi-Arabien. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie scheint diese Exporte sehr zu begrüßen; denn es schreibt in seinem Kommentar zum Außenwirtschaftsgesetz: „Die strenge Exportkontrolle für Rüstungsgüter bleibt unangetastet.“ Doch die Exportkontrolle für Rüstungsgüter ist in Deutschland ein Skandal. Insbesondere wir Abgeordnete werden außen vor gehalten. Die Legislative, also wir, hat zurzeit sogar nur beschränkte Informationsrechte im Hinblick auf bereits erteilte Genehmigungen, und das Wenige erhalten wir sogar regelmäßig lückenhaft und mit erheblicher Verspätung. Nur im jährlichen Exportbericht erfahren wir von erteilten Genehmigungen für Rüstungsgüter; aber dieser wird regelmäßig erst zum Ende des folgenden Jahres fertiggestellt. Hier muss die Regierung endlich eine verbindliche Zeitvorgabe schaffen. Es wäre für die Bundesregierung ein Leichtes gewesen, ihren Entwurf eines Außenwirtschaftsgesetzes um einen Satz zum Rüstungsexportbericht zu ergänzen und festzulegen, dass der Bericht spätestens im ersten Quartal des Folgejahres veröffentlicht werden muss. Im -ersten Quartal übermittelt die Bundesregierung die deutschen Rüstungsexportdaten auch an die EU. Die Bundesregierung informiert die EU also regelmäßig früher als die eigenen Abgeordneten. In anderen Ländern wie Großbritannien und Rumänien wird das Parlament sogar vierteljährlich über Rüstungsexporte unterrichtet. Das halten auch wir von Bündnis 90/Die Grünen für erstrebenswert. Wir Abgeordnete haben eine Kontrollfunktion inne und sollten diese im Bereich der Rüstungsexporte auch ausüben. Die Bundesregierung sollte sich nicht mehr mit dem Mantel des Schweigens bedecken können. Begründungen für getroffene Entscheidungen zum Beispiel -sollten für sie selbstverständlich sein. Selbst wir Abgeordnete werden oft mit Hinweisen auf Geheimhaltungsbedürfnisse abgespeist. Ein weiterer Skandal bei der Exportkontrolle für Rüstungsgüter ist der Umgang der Bundesregierung mit den Kriterien für die Vergabe der Genehmigungen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie schreibt zwar, dass Anträge zur Genehmigung der Ausfuhr von Kriegswaffen oder sonstigen Rüstungsgütern auf Grundlage der Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 19. Januar 2000 und des gemeinsamen Standpunktes der EU betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern vom 8. Dezember 2008 entschieden werden. Doch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vergisst dabei, zu erwähnen, dass es sich hierbei um unverbindliche Vorgaben handelt. Andere Länder wie Großbritannien, Schweden, Österreich, Tschechien und Dänemark haben den gemeinsamen Standpunkt längst in nationales Recht übernommen. Eine gesetzliche Verankerung der Exportkriterien wäre eine wichtige Aufgabe bei der Novellierung des Außenwirtschaftsrechts gewesen. Insbesondere die Menschenrechtslage im Empfängerland und die Gefahr der inneren Repression müssen bei Rüstungsexporten bedacht werden. Doch die schwarz-gelbe Koalition stimmt lieber in den Refrain der Rüstungsverbände ein: Veränderungen sind nicht notwendig. Um eine Überprüfung der Einhaltung von Menschenrechtskriterien zu ermöglichen, wollen wir Grüne die Möglichkeit der Verbandsklage bei Rüstungsexporten prüfen. Im Umwelt- wie im Verbraucherrecht gibt es jetzt schon Verbandsklagerechte, zum Beispiel bei Verstößen gegen Umweltstandards. Jetzt ist es so, dass ein Exporteur klagen kann, wenn ein Antrag durch Ausfuhrgenehmigung durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, BAFA, abgelehnt wird. Jedoch ist zurzeit nur er klagebefugt, um die Interessenabwägung zu seinen Gunsten überprüfen zu lassen. Eine nochmalige gerichtliche Überprüfung im Sinne des Friedensschutzes und der Menschenrechte ist nicht möglich. Solch eine Möglichkeit könnte mehr Öffentlichkeit und somit mehr Transparenz im Hinblick auf die Ausfuhrgenehmigungen und ihre Kriterien schaffen. Besondere Dringlichkeit für Änderungen des Außenwirtschaftsrechts gibt es auch bei Dual-Use-Gütern, welche für die Störung von Telekommunikationsdiensten und zur Überwachung und Unterbrechung des Internetverkehrs eingesetzt werden können. Wenn autoritäre -Regierungen die Internetverbindungen kappen, reicht es nicht, wenn wir protestieren. Techniken zur Filterung und Zensur des Internets müssen genauso wie andere Dual-Use-Güter einer strengen Rüstungskontrolle unterliegen. Die Bundesregierung behauptet zwar immer wieder, dass solche Exportgenehmigungen grundsätzlich bei hinreichendem Verdacht des Missbrauchs zur inneren Repression oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen nicht erteilt werden. Jedoch hat sie sich nicht dafür eingesetzt, dass obengenannte Störtechnologien in die europäische Dual-Use-Verordnung aufgenommen werden. In einem Schreiben von 2011 an die Europäische Kommission setzte sich die schwarz-gelbe Bundesregierung gar dafür ein, dass die Interessen der Wirtschaft ausgewogen Berücksichtigung finden – ohne auf 21 Seiten die Menschenrechte zu erwähnen. Die Bundesregierung setzt bei Rüstungsexporten ihre Prioritäten bei der Industrie- und Wirtschaftspolitik und vergisst dabei ihre Pflicht zur Friedenssicherung. So schreibt zum Beispiel das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie auf seiner Homepage in seinem Kommentar zur Novellierung des Außenwirtschaftsrechts: „Mit diesen Änderungen setzt sich die Bundesregierung für ein modernes, klar formuliertes Exportkontrollrecht für die exportorientierte deutsche Wirtschaft ein.“ Aufgrund all dieser Punkte erscheint es mir zwingend notwendig, dass dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie die Zuständigkeit für Rüstungsexporte entzogen wird. Die Ressortzuständigkeit für Rüstungsexporte sollte dem Auswärtigen Amt übertragen werden; denn dieses hat die notwendige Kompetenz in Menschenrechtsfragen. Anders als das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie dürfte das Auswärtige Amt es auch nicht als seine primäre Aufgabe ansehen, für den wirtschaftlichen Erfolg der heimischen Rüstungsindustrie durch eine Exportstrategie zu sorgen. Die deutsche Rüstungsindustrie steht vor der Herausforderung, sich umzustrukturieren und auf friedlichere Produkte zu setzen. Dabei ist sie aufgrund ihrer vielen Dual-Use-Produkte gut aufgestellt. „Dual use“ bedeutet ja: Auch andere Verwendungen sind möglich. Vizepräsident Eduard Oswald: Interfraktionell wird die Überweisung dieses Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/11127 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Macht jemand andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir dies gemeinsam so beschlossen. Ich komme zum Tagesordnungspunkt 40: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen – Drucksachen 17/11294, 17/11354 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Die Reden werden zu Protokoll genommen, wie dies in der Tagesordnung ausgewiesen ist. – Alle sind damit einverstanden. Josef Rief (CDU/CSU): Das europäische Milchpaket ermöglicht es unseren Milchbauern in Zukunft, ihre Vermarktung noch besser zu bündeln. Erzeugergemeinschaften können nun auch selbst Preise mit Molkereien verhandeln und damit eine bessere Stellung in der Wertschöpfungskette einnehmen. Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung nun das Marktstrukturgesetz, das seit 1969 die Anerkennung von Erzeugergemeinschaften und deren Vereinigungen regelt, weiterentwickelt und so die Umsetzung der neuen EU-Regelung ermöglicht. Für die Landwirte gibt es am bestehenden Anerkennungssystem keine grundlegenden Änderungen, sodass der bürokratische Aufwand nicht erheblich wachsen wird. Wir begrüßen die wettbewerbsrechtliche Klarstellung der Tätigkeitsbereiche von Erzeugerorganisationen und deren Vereinigungen. In Zukunft gibt es klare Regelungen für Preisberichterstattung und Preisfeststellung. Dies ist schon deshalb notwendig, da der Milchmarkt in Deutschland in ständiger Bewegung ist. Wir stehen unmittelbar vor dem Auslaufen der Milchquotenregelung, und europaweit ist eine Konzentration in der Molkereistruktur zu beobachten. Die jetzt gegebene Bündelungsmöglichkeit im Milchmarkt soll den Wettbewerb verbessern. Die Sektoruntersuchung Milch hat uns gezeigt, dass auch kartellrechtliche Auswirkungen zu bedenken sind. Unser Ziel muss es sein, dass in Zukunft Preise für die Landwirte erreicht werden, die es ihnen ermöglichen, einen Hof über Jahre rentabel zu betreiben und ihn auch an die nächste Generation zu übergeben. Dabei ist die Bündelung zur Verhandlung auf Augenhöhe mit den großen Abnehmern sicher wünschenswert. Das kann und darf nicht durch Zwang erfolgen. Bündelung heißt nicht zwangläufig mehr Strukturwandel. Insgesamt fördert das Gesetz die Wettbewerbskraft der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft. International steigt die Nachfrage nach Milch und gerade auch nach hochveredelten Produkten wie Käse. Durch eine noch bessere Bündelung ergeben sich hier noch bessere Möglichkeiten für den Milchexport. Bei einem Selbstversorgungsgrad von über 100 Prozent und einem großen Druck auf die Erzeugerpreise ist es nur folgerichtig, wie bisher zusätzliche Absatzmöglichkeiten auf dem Weltmarkt zu nutzen. An der Chicagoer Börse zeigt der Preis nach oben. Durch die Probleme mit der diesjährigen Dürre in den USA sind viele Herden geschlachtet worden, und Milch ist, etwa zur Käseproduktion, stark nachgefragt. Ich weiß: Es gibt Kritik an der Exportorientierung der deutschen Landwirtschaft, trotz der Tatsache, dass die europäische Milchquote derzeit um 4,3 Prozent unterliefert wird. Es ist nicht einzusehen, dass im Exportland Deutschland, das seine Entwicklung und seinen Wohlstand der Orientierung auf den Außenhandel zu verdanken hat, gerade eine Branche, nämlich die Land- und Ernährungswirtschaft, nicht weitere ausländische Absatzmärkte erobern soll. Wir würden so den Bauern einerseits Entwicklungsmöglichkeiten verweigern und andererseits die Marktentlastung im Inland verhindern. Die Gegnerschaft gegenüber deutschen Agrarexporten und die gleichzeitige Forderung nach einem staatlich verordneten höheren Erzeugerpreis passen nicht zusammen. Wir müssen unseren Bauern, ebenso wie den anderen Branchen, den Weg in den Export offen halten und so einen höheren Absatz ermöglichen. Alles andere würde die Existenz der Höfe in Deutschland gefährden, und am Ende könnten wir nicht einmal unser eigenes Land mit einheimischer Milch versorgen. Die Folgen für den Standort und vor allem für den Milchstandort Deutschland wären erheblich und nicht zurückzudrehen. In den Medien liest man von den Vorbehalten einiger Erzeuger und auch einiger Länder gegenüber der sogenannten Andienungspflicht an eine Erzeugergemeinschaft. Die Andienungspflicht gibt es schon. Das Gesetz ändert hieran nichts. Auch gibt es keine Benachteiligung für den einzelnen Landwirt. Es bleibt aber den Erzeugergemeinschaften wie bisher offen, ihren Mitgliedern in ihrer Satzung den Weg in eine weitere Gemeinschaft bzw. Genossenschaft freizustellen. Denkbar sind da sowohl lokale als auch grenzüberschreitende Gemeinschaften. Wenn die Mitglieder das für sinnvoll halten, sollte es ihnen auch freigestellt bleiben. Der Markt wird hier aber für eine adäquate Bündelung der Erzeuger sorgen. Mit der Umsetzung des EU-Rechts und der Anpassung des Marktstrukturgesetzes macht die Bundesregierung nun den Weg für eine weitere Entwicklung auf dem Milchmarkt frei, und sie wird zum Erhalt unserer heimischen Strukturen beitragen. Das Gesetz stärkt zudem die Marktposition der Erzeuger und gibt Raum durch bessere Exportchancen. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Heute beraten wir in erster Lesung den Gesetzentwurf zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen. Das Gesetz hat zum Ziel, die staatliche Anerkennung für Agrarorganisationen und deren Freistellung vom Kartellrecht zu regeln. Das Gesetz ist erforderlich, um bestehendes EU-Recht umzusetzen und insbesondere die Vertragsbeziehungen im Sektor Milch und Milcherzeugnisse zu regeln. Das bisher in Deutschland geltende Marktstruktur-gesetz mit seinen 18 Durchführungsverordnungen weist wegen der zahlreichen Änderungen im EU-Recht in den vergangenen Jahren erheblichen Änderungsbedarf auf. Es fehlen beispielsweise grundsätzliche Regelungen für die Anerkennung von Branchenverbänden, obwohl das EU-Recht diese schon seit längerem beinhaltet. Außerdem gibt es gegenwärtig noch Bestimmungen zur Förderung der Erzeugerorganisationen sowohl im Marktstrukturgesetz als auch in den Fördergrundsätzen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, die sich zum Teil widersprechen. Der nun vorliegende Gesetzentwurf enthält Begriffsdefinitionen und Ermächtigungen zum Erlass von Durchführungsverordnungen. Leider resultiert aus dem EU-Recht ein wesentlich höherer Bürokratie- und Verwaltungsaufwand. In der Durchführungsverordnung werden die wesentlichen Punkte geregelt. Aus meiner Sicht ist besonders erfreulich, dass nach der erfolgten Überarbeitung die Verschärfungen gegenüber dem EU-Recht herausgenommen wurden. Offensichtlich war der Genossenschaftsverband nicht in der Lage, den politischen Druck aufrechtzuerhalten, und dadurch kommen wir heute zu einer sinnvollen Eins-zu-eins-Umsetzung. Ich begrüße auch ausdrücklich, dass das Agrarorganisationenregister nun doch bei der BLE geführt werden soll. Das Gesetz wie auch die Verordnung können nicht ohne Berücksichtigung des EU-Milchpaketes bewertet werden. Ziel des EU-Milchpaketes ist es, dass die europäischen Milcherzeuger ihre Marktstellung verbessern und so zukünftig auf Augenhöhe mit den Milchabnehmern verhandeln können. Das ist angesichts der -Marktstrukturen überfällig. Erfreulich ist auch, dass -bestehende Erzeugergemeinschaften zunächst ihre Anerkennung behalten können. Innerhalb einer Übergangsfrist bis zum 1. September 2014 lassen sich gegebenenfalls noch fehlende Anerkennungsvoraussetzungen gemäß den neuen Anforderungen schaffen. Für den Milchsektor sind insbesondere die Punkte Doppelmitgliedschaft sowie Obergrenzen der Bündelung interessant. Deutschland wird entsprechend dem eingebrachten Entwurf von der Möglichkeit Gebrauch machen, bei geografisch getrennten Erzeugungseinheiten auch mehrere Mitgliedschaften in Erzeugerorganisationen zuzulassen. Eine Definition, was unter „unterschiedlichen geografischen Gebieten“ zu verstehen ist, gibt es bisher nicht. Erste Diskussionen lassen erkennen, dass die Länderabgrenzung konsensfähig sein könnte. Rein rechtlich betrachtet wird die Doppelmitgliedschaft nur dann verboten sein, wenn kartellrechtlich freigestellte Vertragsverhandlungen geführt werden sollen. In der Praxis wird aber jede Erzeugerorganisationen auch Vertragsverhandlungen führen wollen, sodass sich daraus am Ende doch das Verbot der Doppelmitgliedschaft ergibt. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hatte in den ersten -Arbeitsentwurf des Agrarmarktstrukturgesetzes ein generelles Verbot der Doppelmitgliedschaft aufgenommen. Das hätte jedoch dazu geführt, dass dieses Verbot auch für andere Produktbereiche, für die ebenfalls Erzeugergemeinschaften gegründet und anerkannt werden können, gelten würde. Dafür gibt es aber teilweise keine entsprechende Grundlage im EU-Recht. Nun wird diese nicht mehr geregelt, und damit gilt das EU-Recht eins zu eins in Deutschland, was ich sehr begrüße. Allerdings sind Doppelmitgliedschaften im Milchsektor bei Vertragsverhandlungen weiterhin verboten. Ein paar Worte möchte ich zu diesem Thema aber noch verlieren. Es macht wenig Sinn, Vertragsverhandlungen zu beginnen, ohne dass man genau weiß, über welche Menge konkret verhandelt wird. Diejenigen, die die Verhandlungen führen, müssen über entsprechende Sicherheit verfügen. Es ist nicht vorstellbar, dass Milchmengen in Abhängigkeit vom erzielten Verhandlungs-ergebnis weiterhin zur Verfügung stehen oder nicht. -Darauf kann sich kein Vertragspartner einlassen, und deshalb sind an dieser Stelle klare Vorgaben sinnvoll. Zum Thema Genossenschaften möchte ich Folgendes anmerken: In Deutschland werden ungefähr 70 Prozent der Milchmenge von Genossenschaften erfasst. EU-weit liegt der Durchschnitt bei ungefähr 58 Prozent. Diese Mengen stehen gemäß dem Milchpaket nicht zur Bündelung bei kartellrechtlich freigestellten Vertragsverhandlungen zur Verfügung. Der Bund der Deutschen Milchviehhalter fordert, dass auch Mitglieder einer Molkereigenossenschaft an solchen Vertragsverhandlungen teilhaben dürfen. Ich möchte darauf hinweisen, dass es dann Vertragsverhandlungen im eigentlichen Sinn nicht geben kann, da die Mitglieder zugleich Eigentümer der Molkerei sind, an die sie ihre Milch liefern. Das gilt auch in den Fällen, in denen das Verarbeitungsunternehmen in eine eigenständige Rechtsperson ausgegliedert wurde. Den Mitgliedern einer Genossenschaft bieten sich im Rahmen der Gremien der Genossenschaft vielfältige Möglichkeiten, ihre Interessen durchzusetzen. Das grundsätzliche Regelwerk der Genossenschaften besteht inzwischen fast 150 Jahre. Sie sind nicht auf häufigen Wechsel der Mitglieder ausgerichtet, sondern eher auf eine gewisse Konstanz. Es erscheint daher auch verständlich, dass Genossenschaften ehemalige Mitglieder eher nicht wieder aufnehmen wollen, wenn diese zuvor die Solidargemeinschaft aus welchen Gründen auch immer verlassen haben. Grundsatz in der Genossenschaft ist einerseits die vollständige Andienungspflicht der Milch durch die Erzeuger und andererseits die vollständige Abnahmepflicht durch die Molkerei. Dieses bedeutet auch weniger Risiko für den einzelnen Milcherzeuger und mehr Sicherheit für beide Vertragsparteien. Ich sehe allerdings, dass in den Regionen, wo einzelne Molkereigenossenschaften regionale Nachfragemonopole etabliert haben, sehr wohl wettbewerbsrechtliche Anpassungen bezüglich der Bindefristen und anderer Regelungen notwendig sind. Die Molkereigenossenschaften sollten nicht zu Restmilchempfängern degradiert werden; denn das würde das Aus für die Molkereigenossenschaften bedeuten. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Bedeutung der Molkereigenossenschaften kann dies politisch nicht gewollt sein. Auch zur Obergrenze der Bündelungsmenge melden einige Marktbeteiligte weiteren Diskussionsbedarf an. Dazu möchte ich wie folgt Stellung beziehen: In Deutschland beläuft sich die Grenzen für die Milchmenge, die kartellrechtlich freigestellt verhandelt werden darf, auf 5,3 Millionen Tonnen. Diese Begrenzung wird von einigen Vertretern der Milcherzeuger kritisiert. Sie argumentieren, dass statt der Festlegung einer Grenze im Einzelfall geprüft werden solle, welcher Bündelungsgrad zulässig sei. Diesem Argument kann ich nicht folgen. Eine gemäß dem EU-Milchpaket anerkannte Erzeugerorganisation kann im Namen der Mitglieder Verträge über die Lieferung von Rohmilch mit einem Abnehmer aushandeln, wenn die verhandelte Milchmenge weniger als 3,5 Prozent der EU-Milcherzeugung und weniger als 33 Prozent der erzeugten Milchmenge des Mitgliedstaates betrage. Der gegenwärtige Bündelungsgrad in Deutschland ist weit von den genannten Grenzen entfernt. Die größte Vereinigung von Milcherzeugerorganisation in Deutschland verfügt nach eigenen Angaben zurzeit über eine Milchmenge von 1,8 Millionen Tonnen. Darüber hinaus sind Einzelfallprüfungen im Kartellrecht sehr aufwendige Verfahren, sodass mit der pauschalen Freistellung unterhalb der genannten Grenze eine einfache Regelung getroffen wurde. Ich hoffe, dass der Bündelungsgrad in der nächsten Zeit weiter zunimmt. Dies würde aber bedeuten, dass bei jeder Änderung der Milchmenge, über die Vertragsverhandlungen geführt werden sollen, eine erneute kartellrechtliche Prüfung erfolgen müsste. Das erscheint mir wenig handhabbar und angesichts der zu erwartenden kürzeren Abstände zwischen den Vertragsverhandlungen fast unmöglich. Allerdings bleibt die Möglichkeit der Einzelfallprüfung bestehen, wenn die Grenzen der pauschalen Freistellung überschritten werden sollten. Diese Einzelprüfungen würden dann greifen, wenn es zu weiteren großen Zusammenschlüssen käme. Das EU-Milchpaket ist bis 2020 befristet, und es sollen Fortschritts-berichte im Jahr 2014 und 2018 vorgelegt werden. Ich gehe davon aus, dass bei Bedarf Anpassungen beim Thema „Obergrenze der Bündelungsmenge“ möglich sein werden. Ich begrüße auch, dass die Mindestmitgliederzahl von Erzeugerorganisationen von sieben auf fünf reduziert wird. Die Mitglieder können künftig auch aus anderen Mitgliedstaaten stammen und dort ihren Betriebssitz haben. Die Regelungen zur Andienungspflicht ändern sich nicht. Mit Zweidrittelmehrheit können Änderungen weiterhin beschlossen werden. Es bleibt bei dem Grundsatz, dass die Erzeugerorganisationen nur für einen -Sektor gegründet werden können. Deren Anerkennungsvoraussetzungen entsprechen im Grunde denen aus dem Marktstrukturgesetz. Leider gibt es für die Wirtschaftsbeteiligten und -zuständigen Behörden einen Wermutstropfen; denn die Informationspflichten werden ausgebaut. Diese zusätzlichen Bürokratielasten ergeben sich unmittelbar aus dem EU-Recht. Geregelt ist nun auch, dass die Förderung von Erzeugerorganisationen national ausschließlich in den Fördergrundsätzen zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ geregelt wird. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Im Frühjahr dieses Jahres haben Parlament, Ministerrat und Kommission das sogenannte EU-Milchpaket beschlossen. Dieses Milchpaket ist ein wichtiger Schritt hin zu einem markt- und wettbewerbsorientierten Milchsektor. Mit dem vor über zehn Jahren beschlossenen Ausstieg aus der Milchquote zum 1. April 2015 werden Landwirte mehr Freiheit zur Produktion von Milch erhalten. Sie können dadurch die Chancen und Möglichkeiten ihres Produktionsstandorts besser nutzen. Außerdem werden die Quotenkosten der Vergangenheit angehören. Mit dem Gesetz zur Änderung agrarmarktrechtlicher Bestimmungen werden die notwendigen Anpassungen für die Umsetzung des Milchpakets vorgenommen. Das bestehende Marktstrukturgesetz aus dem Jahr 1969 wird an den neuen Rechtsrahmen angepasst; die national -bewährten Regelungen werden weiterentwickelt. Uns als Liberale ist es dabei besonders wichtig, dass die bisher 18 Durchführungsverordnungen entschlackt und in einer einzigen Verordnung zusammengefasst werden. Das Milchpaket ermöglicht es Milcherzeugern erstmals, sich zu Erzeugerorganisationen und Branchen-verbänden zusammenzuschließen. Die Möglichkeit zur Bündelung des Milchangebots stärkt die Verhandlungsmacht der Milcherzeuger. Sie können für ihre Mitglieder Verträge aushandeln und erhalten eine stärkere Stellung in der Wertschöpfungskette Milch. Das bringt sie ihrem Ziel näher, über die Vermarktung ihrer Rohmilch mit den Molkereien auf Augenhöhe zu verhandeln. Die FDP begrüßt diese Stärkung der Milcherzeuger. Milcherzeuger müssen ebenso wie Molkereien die neuen Möglichkeiten nutzen, die Wertschöpfung aus einem -Liter Milch zu erhöhen. Italien und Frankreich zeigen uns, dass eine höhere Wertschöpfung möglich ist. Diese ist eine wichtige Voraussetzung für gute Milchpreise. Gleichzeitig gibt die EU-Verordnung vor, dass die Angebotsbündelung nicht mehr als 33 Prozent des nationalen und 3,5 Prozent des europäischen Marktes umfassen darf. Es muss sichergestellt sein, dass der Wettbewerb nicht ausgeschlossen wird. Wir wollen keine Monopolbildung, sondern sicherstellen, dass kleine und mittlere Molkereiunternehmen sich am Markt behaupten können. Dadurch, dass es keine generelle Vertragspflicht gibt, bleibt die unternehmerische Entscheidungsfreiheit des einzelnen Landwirtes gewährleistet. Dies ist ein wichtiges Element für einen funktionierenden Markt. Die FDP lehnt das von der EU geforderte Verbot von Doppelmitgliedschaften in Erzeugerorganisationen für ein und dasselbe Agrarerzeugnis ab. Erzeugergemeinschaften geben sich Satzungen, in denen auch die sogenannte Andienungspflicht geregelt wird. Sie dient dazu, dass eine Erzeugergemeinschaft von einem Landwirt eine möglichst große Menge des erzeugten Produktes erhält, um diese dann gebündelt vermarkten zu können. In fast allen derzeit bestehenden Erzeugergemeinschaften beträgt diese Andienungspflicht 100 Prozent des Agrarerzeugnisses. Es gibt aber bereits Ausnahmen für -geringfügigen „Ab-Hof-Verkauf“. Ein Landwirt kann aufgrund seiner Zustimmung zur Satzung der Erzeugergemeinschaft nicht ein und dasselbe Produkt an mehrere Erzeugergemeinschaften liefern. Es sollte jedoch möglich bleiben, zukünftig die Satzungen auch in der Andienungspflicht flexibler zu gestalten. Ein Verbot von -vornherein lässt später keine neuen Organisationsformen und Flexibilität der Landwirte zu. Hier sollte auf Vorgaben von gesetzgeberischer Seite verzichtet werden; dies kann der Markt selbst regeln. Auch die Festlegung von Mindestmengen, Mindestmarktwerten und Mindestanbauflächen sehen wir Liberale kritisch. Erzeugergemeinschaften brauchen eine bestimmte Größe, um sich auf dem Markt etablieren zu können; aber sie sind selbst dafür verantwortlich, tragende Strukturen aufzubauen. Hier ist ein weiterer Einsatz auf europäischer Ebene notwendig. Mit dem Agrarmarktstrukturgesetz sollen auch die gesetzlichen Grundlagen für Erzeugergemeinschaften und Branchenverbände aus anderen Landwirtschaftsbereichen an neues EU-Recht angepasst werden. In Deutschland gibt es bereits starke landwirtschaftliche Branchenverbände, anders als in anderen EU-Mitgliedstaaten. Deshalb gilt es, die bewährten Strukturen an die jetzige Rechtslage anzupassen; neue Organisationsformen sind hier nicht notwendig. Die Gründung und -Entwicklung des Bundesverbandes deutscher Milchviehhalter, BDM, hat, neben bestehenden Organisationen, exemplarisch gezeigt, dass bei uns neue Branchenorganisationen entstehen können. Eine Vorgabe durch die Politik ist nicht notwendig. Mit dem neuen Agrarmarktstrukturgesetz stärken wir den Landwirt als Erzeuger und seine Position gegenüber der Verarbeitungsebene und dem Handel. Gleichzeitig verbessern wir die Kommunikation mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Wir schaffen einen Rechtsrahmen, in dem unternehmerische Landwirte -dabei unterstützt werden, ihr Einkommen am Markt zu erwirtschaften. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Das in Brüssel beschlossene Milchpaket zur Verbesserung der Situation am Milchmarkt bildet die Grundlage für den hier vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung. Es ist offensichtlich, dass im Bereich der Milcherzeugung der Markt nicht funktioniert. In regelmäßigen Abständen führt die Entwicklung an den Absatzmärkten für Milchprodukte zu existenziellen Bedrohungen bei den Erzeugerbetrieben. Die letzte große Krise aus den Jahren 2007/2008 ist noch nicht vergessen. Das strukturelle Überangebot an Milch ist grundsätzlich unverändert, auch wenn hier und da der Export gestiegen ist und von den strukturellen Problemen am innereuropäischen Markt ablenkt. Warum ist das so? Warum funktioniert die Libera-lisierung und die Globalisierung der Märkte nicht? Warum produzieren die Milchviehbetriebe auf Teufel komm raus, egal ob die Preise steigen oder sinken? Warum -reagieren die Erzeuger nicht auf die Marktlage? Warum schränken sie ihr Angebot an Milch nicht ein, wenn die Preise niedrig sind, das heißt, die Kosten nicht gedeckt werden können, und weiten es aus, wenn Verbrauch und Nachfrage steigen? Das wäre doch marktgerechtes Verhalten? Es ist im Grunde ganz einfach: Es gibt keinen fairen Milchmarkt, in dem sich Erzeuger, Verarbeiter und Händler auf Augenhöhe begegnen. Ein tatsächlicher Markt im idealen Sinne verlangt aber gerade nach Verhandlungen auf Augenhöhe. Diese sind aber strukturell nicht annähernd gegeben. Rund 80 000 Milchviehbetrieben stehen 100 Molkereien und diesen wiederum 10 große Einzelhandelsketten in der Lebensmittelvermarktung gegenüber. Da ist völlig klar, wie die Machtverhältnisse und damit die Preisgestaltung aussehen. Als Erzeuger muss ich entweder möglichst viel Milch liefern, auch wenn der Preis nicht kostendeckend ist, um damit zumindest einen Teil meiner Ausgaben zu decken, oder ich ziehe mich komplett zurück und gebe die Milchviehhaltung auf. Die verbleibenden Betriebe versuchen durch Kostensenkung und Wachstum, das Notwendige zum Überleben zu erwirtschaften, was häufig zu hoher Selbstausbeutung und Überschuldung führt. Das genau ist der Grund, warum die Milchmenge sich kaum verändert, obwohl die Zahl der Erzeugerbetriebe ständig schrumpft. Wachsen oder Weichen, diese Devise des sogenannten Strukturwandels bestimmt nach wie vor das Geschäft. Die Betriebe, die heute noch Milch erzeugen, haben faktisch keinen Einfluss auf die Angebotsmenge und damit keinen Einfluss auf die Preisbildung. Genau das müsste ihnen aber mit dem Milchpaket der EU ermöglicht werden! Das ist und bleibt eine zentrale Forderung der Milchbäuerinnen und -bauern. Konkret müsste das bedeuten: keine vertragliche Festlegung auf nur eine Molkerei, sondern die Möglichkeit, die Angebotsmenge zu variieren und auch an verschiedene Abnehmer zu verkaufen. Die Linke unterstützt die Anliegen der Milcherzeuger für eine wirksame Angebotsbündelung und Mengen-steuerung durch sie selbst. Wenn das Milchangebot die Nachfrage übertrifft, muss es eben möglich sein, das Angebot zurückzufahren und darüber die Preisbildung zu beeinflussen, ohne dass die Abnehmer dies sofort mit dem Rückgriff auf andere Angebote aus dem Weltmarkt aushebeln können, um damit wieder den Preis zu drücken. Nur ein funktionierender Milchmarkt kann die auch ökologisch und sozial wichtige Milcherzeugung absichern, und zwar viel besser als alle direkten oder indirekten politischen Interventionen. Das hat die Krise aus den Jahren 2007/2008 gezeigt. Es wurde deutlich, wie begrenzt wirksam finanzielle Hilfen sind. Sie können prinzipiell nicht das Marktversagen in Form einer völlig ungleichen Machtverteilung am Markt kompensieren. Die agrarmarktrechtlichen Bestimmungen müssen dazu beitragen, die ungleichen Machtverhältnisse am Milchmarkt zugunsten der Milchbäuerinnen und -bauern zu korrigieren, damit diese eine Zukunft haben. Dafür wird sich die Linke einsetzen. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Milcherzeugerinnen und Milcherzeuger in Deutschland befinden sich seit Jahren in einer angespannten bis existenziell bedrohlichen wirtschaftlichen Lage. Nun ist es ja nicht einmal so, dass Frau Aigner in Sachen Milch nichts getan hat. Sie hat zum Beispiel 2009 mit der Milchkrise Wahlkampf gemacht. Sie hat auch über 700 Millionen Euro Steuergelder in einem Sonderprogramm für die Milchviehhalter – besser bekannt als Kuhschwanzprämie – versenkt, von dem heute keiner mehr spricht, weil es verpufft ist wie ein Strohfeuer. Nur eines hat Frau Aigner nicht getan: Sie hat nichts unternommen, um der strukturellen Krise der Milch-erzeugung etwas entgegenzusetzen. Dabei hätten sich genug Gelegenheiten geboten: Als das Milchpaket in Brüssel verhandelt wurde, hätte Frau Aigner sich aktiv für die Forderungen der Milchbäuerinnen und Milchbauern einsetzen können; sie hat es nicht getan. Als das Kartellamt offengelegt hat, dass der Milchmarkt nicht funktioniert und die Milcherzeuger massiv benachteiligt werden, hätte Frau Aigner das in Regierungshandeln umsetzen müssen; sie hat es nicht getan. Bei allen Haushaltsberatungen dieser Legislaturperiode haben wir den Antrag, eine Bündelungsoffensive Milch aufzulegen, eingebracht, um die Bildung von Milcherzeugerzusammenschlüssen zu fördern. Dem hätten Sie zustimmen können, aber Sie haben es nicht getan. Der Grund für Ihre Untätigkeit ist, dass Sie überhaupt nicht an einer wirklichen Lösung der Milchkrise interessiert sind. In dem ungleichen Machtkampf zwischen den Milchbauern und den Molkereien stehen Sie nicht auf der Seite der schwachen Bauern, sondern auf der Seite der starken Industrie und des Handels. Das ist angesichts der personellen Verstrickungen mit der Agrar-industrie bei CDU/CSU und FDP auch kein Wunder. Dieses Lobbygeflecht wirkt bis in die Gesetzgebung hinein. Es ist geradezu absurd, wie Sie aus dem EU-Milchpaket zur Stärkung der Erzeuger gegenüber den Molkereien ein Gesetz und eine Verordnung zur Stärkung der Genossenschaftsmolkereien gegenüber den Milcherzeugern machen wollen. Genau das würde das von Ihnen geplante Verbot von Doppelmitgliedschaften in einer Molkerei und einer Erzeugergemeinschaft bedeuten. Wir lehnen diese unsinnige Gängelei der Milcherzeuger entschieden ab, so wie es auch der Bundesrat getan hat. Diese Bundesregierung hat bisher nichts für die Milchbäuerinnen und Milchbauern getan, und sie will auch künftig nichts für sie tun. In der Erwiderung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrats zu dem uns vorliegenden Gesetzentwurf steht es schwarz auf weiß: Die Bundesregierung ist fest entschlossen, nichts zu unternehmen, um in Brüssel die unsinnigen und ungerechten Obergrenzen für Erzeugerzusammenschlüsse im Milchpaket nachzuverhandeln. Statt in Brüssel ihre Arbeit zu machen, verzieht sich Frau Aigner lieber schon mal nach Bayern, wohl auch, um dem dauernden Beschuss aus den eigenen Reihen wie beim gerade gescheiterten Tierschutzgesetz zu entgehen. Ein paar wohlklingende Versprechungen für die Milchbäuerinnen und Milchbauern hat sie sicher auch im Gepäck. Vizepräsident Eduard Oswald: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf den Drucksachen 17/11294 und 17/11354 an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? – Das sehe ich nicht. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 8 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des AZR-Gesetzes – Drucksache 17/11051 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/11364 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ulla Jelpke Memet Kilic Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Punkt zu Protokoll zu geben.17 – Ich sehe, es sind alle einverstanden, sodass wir zur Abstimmung kommen. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11364, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11051 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Sozialdemokraten und Linksfraktion. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Sozialdemokraten und Linksfraktion. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können es sicher kaum fassen, aber wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 9. November 2012, 9 Uhr, ein. Ich freue mich, Sie dann wieder begrüßen zu können. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 22.56 Uhr) Berichtigung 203. Sitzung, Seite 24633 C, erster Absatz, erster Satz ist wie folgt zu lesen: „Ich habe Ihnen den Vorgang eingangs bestätigt und mache das noch einmal.“ Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Becker, Dirk SPD 08.11.2012 Bellmann, Veronika CDU/CSU 08.11.2012 Bülow, Marco SPD 08.11.2012 Burgbacher, Ernst FDP 08.11.2012 Da?delen, Sevim DIE LINKE 08.11.2012 Dittrich, Heidrun DIE LINKE 08.11.2012 Dörflinger, Thomas CDU/CSU 08.11.2012 Funk, Alexander CDU/CSU 08.11.2012 Granold, Ute CDU/CSU 08.11.2012 Griese, Kerstin SPD 08.11.2012 Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 08.11.2012 Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 08.11.2012 Kampeter, Steffen CDU/CSU 08.11.2012 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 08.11.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 08.11.2012 Laurischk, Sibylle FDP 08.11.2012 Dr. Lauterbach, Karl SPD 08.11.2012 Leidig, Sabine DIE LINKE 08.11.2012 Nietan, Dietmar SPD 08.11.2012 Nink, Manfred SPD 08.11.2012 Pawelski, Rita CDU/CSU 08.11.2012 Rachel, Thomas CDU/CSU 08.11.2012 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 08.11.2012 Sager, Krista BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 08.11.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 08.11.2012 Schulz, Jimmy FDP 08.11.2012 Strothmann, Lena CDU/CSU 08.11.2012 Dr. Westerwelle, Guido FDP 08.11.2012 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung einer Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas (Tagesordnungspunkt 7) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Das Markttransparenzstellengesetz ist ein weiterer wichtiger Schritt hin zu mehr Transparenz auf den Energiemärkten. Die von uns eingeführte Marktbeobachtung auf den Kraftstoffmärkten und beim Handel mit Strom und Gas verhindert nicht nur Marktmissbrauch, sondern kommt vor allem dem Verbraucher zugute. Denn mehr Wettbewerb ist zwar kein Garant für sinkende Preise, aber der beste Garant dafür, dass Verbraucher nicht abgezockt werden. Deshalb war es auch richtig, sich etwas mehr Zeit zu lassen als vorgesehen. In den knapp zwei Jahren wurde die Aufgabe der Markttransparenzstelle nicht nur um den Kraftstoffmarkt erweitert, sie wurde auch in einen europäischen Kontext gesetzt, sodass Ineffizienzen und Doppelstrukturen vermieden werden konnten. Jeder Autofahrer kennt den Ärger: Immer ist diejenige Tankstelle günstiger, wo man selber gerade nicht getankt hat. Preisinformationen lassen sich nur schwerlich besorgen und sind oft nicht aktuell und somit unzuverlässig. Diese Preisunterschiede sind in einem freien Markt natürlich. Sie wird es auch weiterhin geben. Denn wir setzen auf Wettbewerb und nicht auf Preisfestlegungen und Preisregulierung, wie in Frankreich oder Westaustralien. Wir sind der Überzeugung, dass mehr Transparenz der Schlüssel zu mehr Wettbewerb auf dem Kraftstoffmarkt ist. Deshalb soll zukünftig jeder Autofahrer wissen, wo in seiner Umgebung die günstigste Tankstelle ist. Alle rund 15 000 Tankstellen in Deutschland werden verpflichtet, ihre Kraftstoffpreise an die Markttransparenzstelle zu liefern. Diese Daten werden dann in einer Internetdatenbank gesammelt und dem Verbraucher über Dritte zur Verfügung gestellt. Damit wird nicht nur der Wettbewerb im Kraftstoffmarkt erhöht, sondern auch ein Innovationswettbewerb zwischen denjenigen ausgelöst, die die Daten aus der Datenbank verarbeiten. Ich bin davon überzeugt, dass es bald Navigationssysteme mit aktuellen Spritpreisen oder Apps etc. gibt. Der Preisdschungel Tankstelle wird künftig durchschaubar. Jeder Autofahrer wird die Benzinpreise in -seiner Umgebung kennen und automatisch die billigste Tankstelle anfahren, was wiederum die Konkurrenz dazu animiert, ihre Preise auch anzupassen. Ich bin überzeugt, dass wir damit den richtigen Weg einschlagen. Auch im Gas- und Stromsektor sind mehr Transparenz und damit mehr Markt und Wettbewerb unser Ziel. Es darf keine unberechtigte Zurückhaltung von Kraftwerkskapazität geben, um Preise nach oben zu treiben. Mit einer zentralen und kontinuierlichen Marktbeobachtung wollen wir dieses Problem effektiv beseitigen und das Vertrauen in Markt und Wettbewerb zum Wohle der Verbraucher stärken. Deshalb haben wir die Überprüfung der Preisbildung auf den Großhandelsmärkten für Strom und Gas durch die Markttransparenzstelle schon 2010 als eine Sofortmaßnahme aus dem Energiekonzept auf den Weg gebracht. Verzögert wurde die Umsetzung dann durch die Ende 2011 in Kraft getretene europäische Verordnung über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts – REMIT –, die ähnliche, aber nicht identische Verbote wie das Kartellrecht enthält. So werden unter anderem Insiderhandel und Marktmanipulation verboten. Mitgliedstaaten werden dazu verpflichtet, die Sanktionen für Verstöße gegen die Verordnung festzulegen. Sie müssen ihre nationale Regulierungsbehörde mit den nach REMIT passenden Befugnissen ausstatten. Es wird dabei ausdrücklich zur Unterstützung der europäischen Regulierungsbehörde ACER eine regionale Marktüberwachung in den Mitgliedstaaten vorgesehen. Eine weitere wichtige Funktion hat die Markttransparenzstelle im Zusammenhang mit dem Monitoring zur Energiewende. Sie wird Daten erheben, um insbesondere Versorgungssicherheit zu garantieren. Dieses Vorhaben kann im Rahmen einer Verordnung bei Bedarf zusätzlich erhoben werden. Ich möchte gerne auf die drei Hauptkritikpunkte im Rahmen der Gesetzesnovelle eingehen. Zum einen wurde bemängelt, dass das Gesetz zu Doppelmeldungen und somit zu kostenintensivem und bürokratischem Mehraufwand der Unternehmen führt. Wir haben uns dieses Anliegens angenommen und Doppelmeldepflichten gegenüber der Markttransparenzstelle und dem europäischen Regulierer ACER verhindert. Im Hinblick auf die noch zu konkretisierenden Meldepflichten nach der REMIT-Verordnung sieht der Gesetzentwurf ausdrücklich vor, dass Marktteilnehmer, die ihren Meldepflichten nach der REMIT-Verordnung nachgekommen sind, keine Meldepflichten nach dem Markttransparenzstellengesetz haben. Die Markttransparenzstelle wird also diese Daten von ACER erhalten und nicht zusätzlich erheben. Der zweite häufig genannte Kritikpunkt ist, dass zu viele Daten erhoben werden. Im Markttransparenzstellengesetz haben wir in der Tat die Möglichkeit zu einer weiteren Erhebung von Daten vorgesehen, die nach -REMIT möglicherweise nicht abgefragt werden und zum Gelingen der Energiewende gebraucht werden. Doch diese Abfragen werden noch durch eine Rechtsverordnung konkretisiert. Soweit national zusätzliche Daten abgefragt werden müssen, sollen insbesondere die Formatwege für die Daten einheitlich gehalten werden. Auch eine zeitliche Konsistenz der Vorschriften ist gesetzlich vorgesehen. Die Höhe der Abfrageschwelle von 10 Megawatt ist der dritte Kritikpunkt. Hier hätte ich mir persönlich auch durchaus eine Schwelle von 50 oder 100 Megawatt vorstellen können. Ich finde es deshalb richtig, dass wir die Sinnhaftigkeit dieser von der Bundesnetzagentur gewünschten Schwelle prüfen werden und deshalb ausdrücklich eine Evaluierung nach drei Jahren im Gesetz vorgesehen haben. Auch die Markttransparenzstelle zeigt deutlich: Für uns ist Markt und Wettbewerb auch in Zukunft ein wesentlicher Bestandteil der Energiewende. Trotzdem bedarf es auch in einer Marktwirtschaft einer gewissen Kontrolle marktmächtiger Marktteilnehmer. Dazu wird die Martktransparenzstelle einen entscheidenden Beitrag leisten. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Wenn wir heute ein neues Gesetz zur Einrichtung einer Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas – ergänzen müssen wir eigentlich „und Mineralöl“ – debattieren und beschließen, sollten wir meines Achtens erst einmal -darüber reden, für welchen Markt wir eigentlich Transparenz schaffen wollen. Betrachten wir zunächst mal den Strommarkt. 2011 hatten wir in Deutschland eine Bruttostromerzeugung von 615 Terawattstunden Strom; das sind 615 Milliarden Kilowattstunden. Man kann davon ausgehen, dass die vier großen Stromanbieter EnBW, Eon, RWE und Vattenfall davon einen Anteil von zusammen rund 80 Prozent auf dem Erstabsatzmarkt hatten. So geht es aus der Sektoruntersuchung „Stromerzeugung Stromgroßhandel“ hervor, die das Bundeskartellamt im Januar 2011 vorgelegt hatte. Nach dieser Untersuchung hatte im Jahre 2009 EnBW eine Gesamteinspeisung von 14 Prozent, Eon von 21 Prozent, RWE von 31 Prozent und Vattenfall von 16 Prozent. Macht zusammen 82 Prozent. Auch wenn für das vergangene Jahr keine vergleichbaren Zahlen vorliegen, kann man von etwa 80 Prozent ausgehen, wenn man berücksichtigt, dass – durch die als Folge der Energiewende eintretende Diversifizierung – kleinere Anbieter, aber vermehrt auch Stadtwerke 2011 einen etwas höheren Anteil einnahmen als noch 2009. Ich sage das hier auch mit Blick auf die Energiewende und den viel zitierten Markt. Auf dem Mineralölmarkt sieht es ähnlich aus: Die vom Bundeskartellamt in seiner Sektoruntersuchung vom Mai 2011 als Oligopol festgestellten fünf großen Mineralölkonzerne Aral, Shell, Jet, Total und Esso stellen von den insgesamt 14 336 Tankstellen in Deutschland zusammen 7 286 Tankstellen – Stand: 1. Juli 2012 –, also etwa die Hälfte. Zusammen kommen die großen Fünf auf einen Kraftstoffabsatzmarktanteil von 69 Prozent am deutschen Markt, davon 22,5 Prozent Aral, 21 Prozent Shell, 10,5 Prozent Jet, 7,5 Prozent Esso und ebenfalls 7,5 Prozent Total. Die im Bundesverband Freier Tankstellen organisierten Unternehmen kommen mit ihren 2 206 freien Tankstellen in Deutschland auf einen Absatzmarktanteil von 13 Prozent, die übrigen mittelständisch geprägten Mineralölunternehmen haben mit Stand 1. Juli 2012 18 Prozent Absatzmarktanteil. Ob diese Struktur im Sinne von Wettbewerb und vertretbarer Preise zufriedenstellend ist, kann man zumindest diskutieren. Strom, Gas und Benzin sind nun einmal unverzichtbare Güter, auf die jeder von uns angewiesen ist, weswegen jeder auch den Preis zahlt, der nun einmal verlangt wird – auch unter Murren. In der Wirtschaftstheorie spricht man da von einer niedrigen Preiselastizität der Nachfrage. Die Strom-, Gas- und Mineralölunternehmen haben gegenüber den Konsumenten eine erhebliche Angebotsmacht, die sie theoretisch auch ausnutzen könnten. Spätestens kurz vor Weihnachten bzw. dann zu Ostern wird die Debatte um die Spritpreise wieder einmal heißlaufen. Welche Möglichkeiten aber hat der Gesetzgeber, um Missbrauch bei der Preisentwicklung auf diesen Märkten entgegenzuwirken? Da schreien die Populisten von links gerne einmal sofort nach direkter oder indirekter Preisregulierung. Als überzeugte Vertreter der sozialen Marktwirtschaft, die unserem Land erst dieses Wohlstandsniveau gebracht hat, das wir heute gar nicht mehr anders kennen, lehnen wir solche sozialistischen Spielchen klar ab. Also müssen wir versuchen, mit den uns im Rahmen der Marktwirtschaft zur Verfügung stehenden kartellrechtlichen Instrumenten Transparenz herzustellen, eventuellen Missbrauch aufzudecken und Vergehen entsprechend zu sanktionieren. Natürlich muss auch die Marktwirtschaft ihre Regeln und ihren Ordnungsrahmen haben; sonst kann das auch schnell einmal aus dem -Ruder laufen, wie der Finanzsektor in den letzten Jahren gezeigt hat. Da haben wir im Bereich Mineralöl in der jüngst beschlossenen GWB-Novelle schon ein nicht unerhebliches Schlupfloch geschlossen, indem wir das Verbot der sogenannten Preis-Kosten-Schere um weitere fünf Jahre verlängert haben. Damit verhindern wir, dass große -Mineralölkonzerne mit eigenen Raffinerien ihren kleinen und mittelständischen Wettbewerbern Kraftstoffe zu einem höheren Preis liefern als zu dem Preis, den sie von ihren eigenen Tankstellen verlangen. Die Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas ist als Maßnahme im Zehn-Punkte--Sofortprogramm des Energiekonzepts der Bundesregierung und schon in unserem Koalitionsvertrag vorgesehen. Sie wird laufend und zeitnah die Strom- und -Gasmärkte auf Auffälligkeiten untersuchen. Die Markttransparenzstelle für Strom und Gas werden wir – statt wie ursprünglich vorgesehen beim Bundeskartellamt – nun bei der fachlich dafür geeigneteren Bundesnetzagentur ansiedeln. Damit wird ermöglicht, verbotene Einflussnahme auf die Großhandelspreise für Strom und Gas aufzudecken und zu sanktionieren. Denn wettbewerbskonforme Großhandelspreise setzen die richtigen Investitionssignale und sorgen für das nötige Vertrauen der Strom- und Gaskunden. Sie kommen letztlich allen Verbrauchern zugute. Die organisatorische Neuzuordnung der Markttransparenzstelle im Energiebereich an die Bundesnetzagentur ist meines Erachtens – anders als SPD und Grüne es sehen – sachgerecht und entspricht auch dem Wunsch beider Behörden. Dadurch ist vor allem besser gewährleistet, dass die erforderlichen Daten nur einmal erhoben werden. Von Rot-Grün befürchtete Doppelstrukturen, also die künftige verpflichtende Meldung von Daten an die EU-Energietransparenzbehörde ACER gemäß der europäischen REMIT-Verordnung einmal und an die nationale Markttransparenzstelle außerdem, werden so vermieden, da die Bundesnetzagentur als Energieregulierungsbehörde bei ACER mitarbeitet und weiß, welche Daten schon an ACER gemeldet wurden. Wir haben also durchaus daran gedacht, Doppelmeldungen und unnötigen Mehraufwand für die Wirtschaft zu vermeiden. Die im Gesetz vorgesehenen Schwellenwerte für Mitteilungspflichten im Strombereich bei Erzeugungskapazitäten von 10 Megawatt in § 47 g Abs. 2 GWB haben wir zunächst auf drei Jahre befristet. Zweieinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes soll die Bundesregierung einen Vorschlag machen, welche Schwelle bei den Erzeugungskapazitäten ab 2016 gelten sollte. Das haben CDU/CSU und FDP bewusst in die Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses geschrieben. Die SPD-Forderung, dass „nur solche Strukturen beobachtet werden sollten, die reale Einflussmöglichkeiten auf die Preisbildung auf den Großmärkten haben“, und zwar „Stromerzeugungsanlagen ab einer Größe von 50 MW“ geht an der Sache vorbei. In der Summe haben die kleineren Anlagen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung am Energiemarkt. Es soll ja auch um einen Gesamtüberblick über die Entwicklung der Energiewende in Deutschland gehen. Dazu braucht man auch die Daten der kleineren Anlagen, die bei der weiteren Entwicklung unseres Jahrhundertprojekts Energiewende eine immer größere Gewichtung bekommen werden und kein Pappenstiel sind, wie die Sozialdemokraten das sehen. Die beim Bundeskartellamt angesiedelte Markttransparenzstelle für die Entwicklung der Mineralölpreise ist ein echter, sichtbarer Fortschritt für die 54 Millionen Autofahrer in Deutschland. Den Gesetzentwurf der Bundesregierung haben wir deutlich verbessert, indem die Verbraucher nun unmittelbar Transparenz über die aktuellen Spritpreise bekommen. Die Markttransparenzstelle für Kraftstoffe wird zum einen laufend und zeitnah die Tankstellenpreise auf Auffälligkeiten untersuchen. Dadurch können die Kartell-behörden unzulässige Verdrängungsstrategien, zum Beispiel Preis-Kosten-Scheren, oder missbräuchlich erhöhte Preise der großen Mineralölkonzerne leichter aufdecken und verfolgen. Uns geht es dabei immer darum, den Wettbewerb auf den Kraftstoffmärkten zu stärken und die Position der mittelständischen und freien Tankstellen zu schützen. Um die Unternehmen aber nicht übermäßig zu belasten, haben wir im Rahmen der parlamentarischen Beratungen die Meldepflichten gegenüber dem Regierungsentwurf deutlich verschlankt. Zum einen verzichten wir auf Meldungen der Tankstellenbetreiber zu den abgegebenen Mengen. Zum anderen verzichten wir auf sämtliche Meldepflichten der Raffinerie- und Großhandels-ebene, also zu Preisen und Absatzmengen. Hier sind wir den betroffenen Unternehmen ein ganzes Stück weit entgegengekommen. Nachvollziehbarerweise gab es in -Reaktion auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung massive Kritik der Branche und des Normenkontrollrates wegen des Erfüllungsaufwands für die Wirtschaft. Der Aufwand für diese Meldungen wäre in Relation zum Nutzen unverhältnismäßig hoch. Viel sinnvoller ist es, echte Transparenz auch für die Autofahrer zu schaffen. Deshalb sorgen wir dafür, dass die aktuellen Tankstellenpreise künftig lückenlos in Echtzeit veröffentlicht werden. Damit haben es die Autofahrer künftig leichter, die günstigste Tankstelle anzusteuern. Gleichzeitig erhöhen wir dadurch den Preisdruck auf die großen Mineralölkonzerne. Dafür müssen die Tankstellen jetzt ihre Preise bzw. Preisänderungen in Echtzeit an die Markttransparenzstelle melden und nicht nur einmal wöchentlich en bloc, wie noch im ursprünglichen Gesetzentwurf geplant. Die Markttransparenzstelle stellt diese Daten dann sofort privaten Onlineportalen zur Verfügung. So können die Autofahrer alle Benzinpreise an allen Tankstellen bundesweit online und in Echtzeit abrufen, sei es am PC, über eine Smartphone-App oder über das Navigationssystem im Auto. Das schafft echte Vergleichsmöglichkeiten und erhöht den Preisdruck auf die Anbieter. Das ist echter Wettbewerb. Bewusst möchten wir keine staatliche Informationsstelle einrichten und in Konkurrenz zu bestehenden Verbraucherinformationsportalen treten lassen. Damit würden wir Geschäftsmodelle auf privater Basis gefährden oder gar zerstören, die sich bereits mit Erfolg am Markt etabliert haben. Ich bin mir sicher, dass sich auf dem Markt ein vielfältiges Informationsangebot entwickeln wird. Die Details der Datenmeldung an die Markttransparenzstelle sowie zur Form der Datenweitergabe werden in einer Rechtsverordnung des Bundeswirtschaftsministeriums festgelegt. Für diese Rechtsverordnung haben wir uns für das Parlament ein Zustimmungsrecht erwirkt. Ich möchte an die Bundesregierung appellieren, dass sowohl die Verordnung als auch die technische Umsetzung rasch erfolgen, um der leidlichen Spritpreis-debatte noch vor Ostern zuvorzukommen. Weil wir die kleinen und freien Tankstellen schützen wollen, die kein automatisiertes System für eine Datenmeldung in Echtzeit haben, die ihre aktuellen Preistafeln immer noch mit der Leiter und händisch abändern müssen und die für eine neue elektronische Anlage etwa 20 000 Euro investieren müssten, haben wir in § 47 k Abs. 6 Satz 2 GWB eine Bagatellregelung eingebaut, nach der die Markttransparenzstelle solche Tankstellen von der Meldepflicht ausnehmen kann. Um die Auswirkungen des Gesetzes auf das Markt-geschehen, auf die Unternehmen und die Verbraucher bewerten zu können, haben wir schließlich festgelegt, dass die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag und dem Bundesrat einen Bericht vorlegt – bei Strom und Gas fünf Jahre nach Inkrafttreten der Berichtspflichten, im Kraftstoffbereich drei Jahre nach Inkrafttreten. Hier „soll insbesondere auf die Preisentwicklung und die Situation der mittelständischen Mineralölwirtschaft“ eingegangen werden, wie wir das festgelegt haben. Eine Evaluierung der Markttransparenzstelle dauerhaft alle drei Jahre, wie von der SPD gefordert, halte ich für überflüssig. Ich denke, dass wir mit diesem Gesetz in der Lage sind, das Geschehen auf diesen sensiblen Märkten nicht nur mit dem Fernglas, sondern mit der Lupe zu beobachten und da einzuschreiten, wo die Regeln für den Markt, die es zweifelsohne geben muss, bewusst nicht eingehalten werden. Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Markttransparenz – das klingt gut. Landauf, landab ist Transparenz in aller Munde. Die Bundesregierung versucht den Koalitionsvertrag umzusetzen und hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, um den Markt für den Handel mit Strom und Gas transparenter zu gestalten. – So weit so gut. Vertrauen im Markt ist notwendig. Wir begrüßen deshalb den Gesetzesvorschlag insoweit, dass Markttransparenzstellen eingerichtet werden. Ja, es ist jetzt nicht mehr eine beim Bundeskartellamt, sondern es sind jetzt gleich zwei: die für den Kraftstoffmarkt beim Bundeskartellamt und die für Strom und Gas bei der Bundesnetzagentur. Wir hätten es für sinnvoller und effizienter gehalten, die MTS in das Bundeskartellamt zu integrieren und nicht „beim“ Kartellamt bzw. jetzt auch noch bei der Bundesnetzagentur anzusiedeln. Das hätte das Personalproblem gelöst und gleichzeitig dafür gesorgt, dass das Kartellamt direkt hätte tätig werden können. Das heißt, bei Verdacht auf Preismanipulation hätte unverzüglich ein Untersuchungsverfahren eingeleitet werden können. Kommen wir nun von der Organisation zur Funktion der Markttransparenzstellen: Es braucht Transparenz über Preisfindungsprozesse, damit Manipulationen und Marktmissbrauch verhindert werden. Denn 80 Prozent des Strommarktes werden von vier Unternehmen beherrscht. Der Verdacht von Manipulationen im Markt konnte bislang nie vollständig ausgeräumt werden. Auf dem Kraftstoffmarkt sieht es auch nicht viel anders aus, dort gibt es ebenso nur wenige Anbieter. Wir haben dort auch eine oligopolistische Struktur. Aber was soll denn hier für wen transparent gemacht werden? Wird der Verbraucher von der Markttransparenzstelle profitieren? Oder zahlt er am Ende wieder die Zeche? Künftig werden Spritpreis-Vergleichsportale im Internet, Apps für Smartphones oder auch Navigationsgeräte in Autos auf die Daten zugreifen können. Die Preisdaten kommen damit nicht direkt vom Bundeskartellamt zu den Verbrauchern, sondern indirekt über private Verbraucherinformationsdienste, die diese Preisvergleichsseiten oder Apps betreiben. Jeder Tankkunde kann sich also informieren, welche Zapfsäule in seiner Nähe die günstigste ist. – Okay. Ob damit Preismanipulationen verhindert werden können bezweifle ich. Schlussendlich konnten sich die Ölkonzerne bei der Bundesregierung durchsetzen, und so müssen nun ausschließlich Tankstellenpreise und nicht ebenfalls Großhandelspreise an Raffinerien oder Tankanlagen gemeldet werden. Glaubt denn diese Bundesregierung wirklich, dass die großen Ölkonzerne auf einmal ein Herz für Verbraucher gefunden haben. Der Unterschied zu früher ist nur, dass der Verbraucher in Zukunft auf einen Blick sieht, dass alle Tankstellen vor Ostern, den Sommerferien usw. die Preise anziehen und er wieder den teuren Kraftstoff bezahlen muss. Ganz anders ist das bei Strom und Gas. Hier soll nur auf der Stufe des Großhandels die Preisbildung überwacht werden. Richtig. Aber warum vollzieht die Bundesregierung nicht die Einrichtung einer Markttransparenzstelle im Einklang mit der Europäischen Verordnung über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts, REMIT? Wird mit dem Gesetz der Bundesregierung ein Schwarzes Loch entstehen, in dem Daten verschwinden und nie wiedergesehen werden, außer von Behördenmitarbeitern? In diesem Zusammenhang muss auch die Frage gestellt werden, ob die Behörden genügend Personal haben, um der zukünftigen Aufgabe nachzukommen. Ich befürchte einen erheblichen Bürokratieaufwuchs. Das sieht übrigens der viel geschätzte Normenkontrollrat ebenso. Er hat sich ebenfalls dafür ausgesprochen, die EU-Durchführungsakte abzuwarten. Ich frage mich, was die Eile jetzt soll. Wenn man das Gesetz gut macht, könnte Doppelaufwand vermieden werden. Die angestrebte Einrichtung einer Markttransparenzstelle in Deutschland muss im Einklang mit der Umsetzung der REMIT-Verordnung vollzogen werden. Das heißt, dass die jeweiligen Meldepflichten und wege sowie die zu nutzenden Datenformate der Unternehmen aufeinander abzustimmen sind. Nur so lässt sich der Aufbau aufwändiger und kostenintensiver Doppelstrukturen verhindern. Ein Erfüllungsaufwand, Personal, Informationstechnologie, der über den durch REMIT verursachten hinausgeht, hätte unbedingt vermieden werden sollen. Dann setzt die Bundesregierung noch eins drauf und bezieht kleine Erzeugungseinheiten ab 10 Megawatt ein. Zum Vergleich: REMIT bezieht erst ab 100 Megawatt ein. Wir fordern pragmatisch, Erzeugereinheiten erst ab 50 Megawatt mit einzubeziehen. Aber die Bundesregierung setzt auf noch mehr Bürokratie für kleine und mittlere Unternehmen und somit auch auf höhere Kosten. Was glaubt die Bundesregierung, wer am Ende die zusätzlichen Kosten für diesen Bürokratieaufwand trägt. – Klar, natürlich wird das umgelegt und schlägt sich in den Preisen nieder, und somit zahlt am Ende des Tages wieder der Verbraucher die Zeche. Gut gedacht – ist noch lange nicht gut gemacht. Dr. Erik Schweickert (FDP): Heue stärken wir den Wettbewerb im Energiebereich. Mit der Einrichtung der Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom und Gas werden Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur zukünftig die Preisentwicklung im Energiegroß-handel rund um die Uhr genau beobachten. Sollte es zu verbotenen Beeinflussungen kommen, können diese zukünftig noch effektiver sanktioniert werden. Mit dem neuen Gesetz geben wir den Wettbewerbs-behörden Instrumente in die Hand, um gegen kartellwidriges und manipulatives Verhalten konsequenter vorgehen zu können. Wir haben auch dafür gesorgt, dass die Unternehmen nicht durch zu viel Bürokratie belastet werden. Eine doppelte Datenerhebung wird es nicht geben, da nach § 47 e Abs. 4 des Markttransparenzstellengesetzes die jeweiligen Mitteilungspflichten als erfüllt gelten, wenn den Meldepflichten nach REMIT nachgekommen wurde. Gerade durch die organisatorische Ansiedlung der Markttransparenzstelle bei der Bundesnetzagentur wird sichergestellt, dass durch die Beteiligung der Bundesnetzagentur an dem REMIT-Umsetzungsprozess und die Mitarbeit in der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, ACER, auf europäischer Ebene eine enge Abstimmung der Datenerhebungen der Markttransparenzstelle mit ACER gewährleistet werden kann. So können Doppelmeldungen von Daten auf nationaler und europäischer Ebene vermieden werden. Mit der Markttransparenzstelle schaffen wir nicht nur mehr Transparenz bei Strom und Gas. Die Markttransparenzstelle wird auch den Benzinmarkt revolutionieren. Um dem Entschließungsantrag der SPD gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Wir entlassen das Bundeskartellamt ausdrücklich nicht aus seiner Verantwortung, gegen kartellrechtliche Verstöße vorzugehen. Selbstverständlich wird der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung Konsequenzen nach sich ziehen. Gerade deshalb haben wir mit der Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen dafür gesorgt, das Verbot der Preis-Kosten-Schere dauerhaft im Gesetz zu verankern. Wir tun aber noch mehr. Zum ersten Mal werden die Verbraucher ohne großen Aufwand erfahren können, welche Tankstelle ihrer Region aktuell am billigsten ist. Dafür verankern wir eine Meldepflicht für Tankstellen, welche ihre Echtzeitpreise an die Markttransparenzstelle weitergeben müssen. Diese wiederum wird ihre Datenbank dann für interessierte Anbieter zur Verfügung stellen. Das bedeutet: Die aktuellen Tankstellenpreise werden künftig nicht nur im Internet, sondern auch per Handy-App oder Navi abrufbar sein. Wenn ich also künftig von Stuttgart nach Berlin über die Autobahn fahre, dann kann ich mir auf dem Navi die günstigste Tankstelle auf dem Weg anzeigen lassen und dort tanken. Wir versetzen die Verbraucher damit in die Lage, ihre Marktmacht an der Zapfsäule auszuüben. Bisher waren die Preise nur auf der Anbieterseite weitgehend transparent. Wie das Bundeskartellamt in seiner Sektoranalyse zum Tankstellenmarkt herausgearbeitet hat, verfügte insbesondere das herrschende Oligopol aus den großen fünf Tankstellenketten über ein ausgeklügeltes System der Marktüberwachung. Damit waren sie in der Lage, den Tankstellenmarkt über den Preis zu dominieren. Das funktionierte aber nur, weil die Preise für die Verbraucher nicht in gleichem Maße transparent waren wie für die Tankstellenbetreiber. Nur wenn zwei Tankstellen direkt beieinanderliegen, war ein valider Preisvergleich für die Verbraucher möglich. Deshalb vergleichen 25 Prozent der Autofahrer bislang überhaupt keine Preise. 40 Prozent tanken sogar immer an derselben Tankstelle. So kann Wettbewerb nicht funktionieren. Nun werden Verbraucher Preise für ganze Regionen vergleichen können. Sie können damit auch die günstigste Tankstelle aufsuchen und den Preiswettbewerb entfachen. Ich appelliere deshalb an die Verbraucher, diese Marktmacht auch zu nutzen. Durch die Preistransparenz stärken wir auch die kleinen Tankstellen am Markt, die ihren Sprit meistens günstiger anbieten als die fünf großen Oligopolisten. Letztlich bauen wir durch den steigenden Preiswettbewerb auch mehr Druck auf das herrschende Oligopol auf, ihr Benzin ebenfalls billiger anzubieten. Mehr Wettbewerb ist viel effizienter als irgendwelche staatlich verordneten Preisregulierungsmodelle, nach -denen insbesondere die Oppositionsparteien immer wieder rufen. Schauen wir uns doch einmal die Situation in Österreich an. Allen, die das österreichische Modell mit einer zugelassenen Preiserhöhung am Tag als so verbraucherfreundlich preisen, sage ich: Nein, dieses -Modell ist alles andere als verbraucherfreundlich. Denn die Benzinpreise sind seit der Einführung des Preisregulierungsmodells nicht gesunken, sondern auf neue -Rekordhöhen geklettert. Das ist auch nicht überraschend. Denn wenn man nur einmal am Tag den Preis erhöhen darf, erhöhen die Tankstellenbetreiber dafür eben immer umso deutlicher. In Österreich ist man über das eigene Modell deshalb so unzufrieden, dass man es schon wieder abschaffen möchte. Österreich ist also kein Vorbild für Deutschland. Wir haben eine bessere Alternative für die deutschen Autofahrer entwickelt. Indem wir in Deutschland Preistransparenz für die Verbraucher herbeiführen, schaffen wir die Grundlage dafür, dass sich die Benzinpreise wieder nach Angebot und Nachfrage richten und nicht mehr nach Feiertagen und Ferienzeiten. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Preise für Strom, Gas und Kraftstoffe steigen rasant. Der Buhmann ist schnell ausgemacht: Die Bundesregierung verweist wie die Energiekonzerne auf die Energiewende, die Mineralölkonzerne auf die gestiegenen Rohölpreise. Doch die Wahrheit liegt etwas anders. Die erneuerbaren Energien führen zu Preissenkungen an der Energiebörse, die nicht an die Endkunden weitergegeben werden. Die Mineralölkonzerne treiben die Benzinpreise künstlich in die Höhe – so das Bundeskartellamt –, ohne zu formalen Preisabsprachen zu greifen. Das Problem ist in beiden Fällen dasselbe: die Marktmacht der beiden Oligopole. Diese Marktmacht muss beschnitten werden. Nur dann können die Extraprofite der Konzerne auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger endlich beendet werden. Doch anstatt die Marktmacht endlich wirkungsvoll aufzubrechen, wollen Sie mit einer Markttransparenzstelle Handeln demonstrieren, ohne den Konzernen wehzutun. Die Monopolkommission hat mehrfach festgestellt, dass bei den Kraftstoffpreisen vor allem die Raffineriepreise beachtet werden müssen, wenn es um die Untersuchung der Folgen von Vermachtung geht. Im Entwurf Ihres Gesetzes sollten die Großhandelspreise an Raffinerien oder Tanklagern noch gemeldet werden. Jetzt sind Sie den Konzernen noch entgegengekommen und beschränken die Meldung auf die Tankstellenpreise. Verstehen Sie uns nicht falsch: Wir sind keineswegs gegen Transparenz – wer ist das schon? –, aber Sie betreiben mit der Einrichtung einer Markttransparenzstelle einen riesigen Aufwand für wenig Ergebnis. Im Gegenteil, Professor Helmedag hat in der Anhörung darauf hingewiesen, dass im Kraftstoffsektor die Preise dadurch sogar steigen könnten: zum einen, weil die Mineralölkonzerne dadurch noch einfacher an die Daten ihrer Konkurrenten herankommen können, zum anderen, weil die Konzerne die Kosten für diesen neuen bürokratischen Aufwand auf die Endverbraucherpreise umlegen werden. Die Autofahrer dürfen sich auf Apps freuen, die ihnen bald den Weg zur günstigsten Tankstelle weisen sollen. Doch das nützt nicht viel, wenn die Preise insgesamt weiter in dieser Rasanz steigen. Verbraucherverhalten ist wichtig, kann aber staatliche Regulierung nicht ersetzen. Ganz abgesehen davon müssen endlich der öffentliche Personenverkehr ausgebaut und der Umstieg auf alternative Mobilitätsformen gefördert werden. Sonst können sich bald nur noch die Reichen Mobilität leisten. Strom und Gas müssen bezahlbar bleiben. Sie gehören zu den Gütern des täglichen Bedarfs für die ganze Bevölkerung. Es muss damit Schluss sein, dass jährlich 800 000 Haushalten der Strom abgestellt wird, weil die Menschen ihn nicht mehr bezahlen können. Führen Sie eine staatliche Preisaufsicht ein! Verhindern Sie die Ex-traprofite der Energie- und Mineralölkonzerne! Ergreifen Sie endlich wirksame Maßnahmen gegen die Oligopole in beiden Branchen, und zwar durch Entflechtung! Die Markttransparenzstelle ist teure Augenwischerei. Daher lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Vergangenheit hat es eine Vielzahl von Hinweisen gegeben, dass Marktmissbrauch und -manipulation am Strom- und Gasmarkt stattfinden könnten. Man muss sich dazu den entsprechenden Bericht des Bundeskartellamtes und der Monopolkommission ansehen. Das verwundert auch nicht bei Märkten, die von Oligopolen und großer Marktmacht einzelner Unternehmen geprägt sind. Dass in der Vergangenheit Missbrauch und Manipulation nicht nachgewiesen werden konnten, liegt auch daran, dass den Behörden wie dem Bundeskartellamt die notwendigen Daten nicht vorlagen. Deshalb hat die schwarz-gelbe Koalition 2009 völlig richtig in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, eine „Markttransparenzstelle für Strom und Gas“ einzurichten. Doch dann beschäftigte sich Schwarz-Gelb vor allem mit sich selbst statt mit dem Strom- und Gasmarkt. Erst heute – sage und schreibe drei Jahre später – beschließen wir im Bundestag die Einrichtung einer solchen Stelle. Das ist nicht nur langsam, das ist ein Bummelstreik einer Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen. Wegen dieser dreijährigen Verzögerung blieben die Märkte nicht nur weiter unbeobachtet, nein – inzwischen hat die EU gehandelt und mit REMIT eine europäische Rechtsgrundlage für Marktransparenz geschaffen. Das ist gut; aber zu Recht gibt es nun seitens der Unternehmen im Strom- und Gasmarkt, insbesondere der kleinen, denen die Markttransparenzstelle ja eigentlich helfen soll, Befürchtungen hinsichtlich Doppelerfassungen und unnötiger Bürokratie. Statt Vorreiter in Europa zu sein, läuft Deutschland wieder einmal der Entwicklung hinterher. Das ist ein weiteres europäisches Armutszeugnis für diese Regierung. Ohne Zweifel, die Markttransparenzstelle wird Daten sammeln, auswerten und auf Missbrauch überprüfen. Das ist gut so. Aber was ist mit der Transparenz für die Verbraucherinnen und Verbraucher? Da soll es alle paar Jahre einen Bericht geben, mehr nicht. Das reicht nicht. Das ist eine Transparenzstelle ohne Transparenz. Da besteht die Gefahr, dass am Ende bei Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur Datenfriedhöfe geschaffen werden. So geht das nicht. Wir müssen die Daten zum Strom- und Gasmarkt zugänglich machen, soweit das mit den schützenswerten Interessen der Unternehmen vereinbar ist, damit auch alle interessierten und engagierten Menschen sich ein eigenes Bild machen können. Das ist Transparenz und liefert am Ende vielleicht noch einmal ganz neue Erkenntnisse. Überhaupt scheinen Verbraucherinnen und Verbraucher bei den Überlegungen der Bundesregierung zu diesem Thema keine Rolle gespielt zu haben. Dass Menschen sich mit konkreten Hinweisen und Verdachts-momenten an die Transparenzstelle wenden können, ist erst gar nicht vorgesehen. Hier vergibt man jedoch eine Riesenchance, dass die 80 Millionen Strom- und Gaskunden und Zehntausende Unternehmen mehr mitbekommen, als dass es gut zwei Dutzend mehr Mitarbeiter in einer Bundesbehörde gibt. Deshalb erwarten wir, dass Sie die Tansparenzstelle für die Verbraucherinnen und Verbraucher öffnen. Die Menschen im Land machen die Erfahrung, dass Strom- und Gaspreiserhöhungen von den Versorgern nicht seriös begründet werden. Aktuelle Fälle zeigen, dass Erhöhungen weitaus größer ausfallen, als steigende EEG-Umlage und Netzentgelte das rechtfertigen, und dass gleichzeitig auch noch die Börsenpreise sinken. Das sind Dinge, die die Transparenzstelle eigentlich im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher wird aufklären müssen. Doch ich fürchte, dass genau das nicht geschieht. Über die Anbindung der Stelle bei der Bundesnetzagentur oder dem Bundeskartellamt kann man streiten. Was aber nicht sein kann, ist, dass die Markttransparenzstelle durch die Hintertür eine andere Aufgabe bekommt, nämlich so eine Art Monitoringstelle für die Energiewende. Das brauchen wir natürlich, und das tut gerade bei dieser Bundesregierung not; aber dann muss man es auch im Gesetz klar verankern mit klaren Aufgabenzuweisungen. Aber das gibt Ihre per Änderungsantrag kurzfristig geänderte Anbindung an die Bundesnetzagentur einschließlich der Stellenzuweisungen nicht her. Zum Schluss noch ein Wort zum Thema Kraftstoffe: Es ist schön, wenn es aufgrund des Gesetzes und der Verordnung demnächst eine App für Smartphones mit den aktuellen Spritpreisen der Tankstellen der Umgebung geben wird. Das werden alle Autofahrer gut finden. Aber seien wir ehrlich: Das löst nicht das Problem steigender Spritpreise und steigender Marktkonzentration auf der Anbieterseite. Schon gar nicht ist es eine Antwort auf unsere fatale Ölabhängigkeit. Deshalb ist der regelmäßige Populismus von Ramsauer und Rösler zu Ostern und vor den Sommerferien nicht angebracht. Zusammenfassend kann ich sagen: Sie haben etwas Richtiges gemacht, was aber viel zu spät und viel zu dürftig umgesetzt wird. In einem Entschließungsantrag in den Ausschüssen haben wir konkrete Vorschläge gemacht, die sie jedoch abgelehnt haben. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über das Gesetz enthalten. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Beendigungsgesetz zum Berlin-Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 14) Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): Wir debattieren heute, wie in jedem Jahr, den Antrag der Linken zur Aufkündigung des Berlin-Bonn-Gesetzes. Zweck dieses Gesetzes ist es, den Beschluss des Deutschen Bundestages zur Vollendung der Einheit Deutschlands vom 20. Juni 1991 umzusetzen. Kern ist ein auf Dauer angelegter fairer Ausgleich für die Bundesstadt Bonn. Das Gesetz ist mit diesem Zweck ebenso singulär, wie es die Bundestagsdebatte 1991 war. Am 20. Juni 1991 war ich Bürgerin der Stadt Bonn, heute bin ich Bürgerin der Stadt Berlin. Damals habe ich als studentische Mitarbeiterin eines Berliner Bundestagsabgeordneten hautnah miterlebt, wie intensiv der Wettbewerb zwischen Bonn und Berlin im Vorfeld der Entscheidung gelaufen ist. Ich habe die sehr emotionale Debatte vor der Entscheidung im Wasserwerk in Bonn live miterlebt und weiß durch eigenes Erleben, dass ein ganz wesentlicher Aspekt für viele zweifelnde Abgeordnete auch die zugesicherte Bedeutung Bonns als Bundesstadt mit dem Sitz von Teilen der Exekutive gewesen ist. Die Gegner des Umzugs führten damals als ein Hauptargument an, in wenigen Jahren würde sich so oder so niemand mehr an die Zusage an Bonn erinnern, und man könne diesem föderalen Kompromiss nicht trauen. Viel Kraft wurde in die Beruhigung der Skeptiker gerade in diesem Punkt gesteckt. Politische Glaubwürdigkeit ist für mich immer eine ganz wichtige Basis für meine Überzeugungen gewesen. Deshalb habe ich dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP zur Bildung dieser Regierung auch an dieser Stelle ohne Hadern zugestimmt. Sicherlich: Als Berliner Bundestagsabgeordnete würde ich mich natürlich freuen, wenn die Regierung voll und ganz in die Bundeshauptstadt ziehen würde. Bonn ist eine sehr -lebenswerte Stadt. In der Metropole Berlin spiegelt sich allerdings die neue Bedeutung des wiedervereinigten Deutschlands kraftvoll wider. Die Zeit wird kommen, zu der wir eine neue große Debatte führen. Jetzt haben wir allerdings drängendere Fragen zur Zukunft Deutschlands in Europa zu beantworten. Dr. Peter Danckert (SPD): Nach fast zwölfstündiger Debatte des Deutschen Bundestages fiel am 20. Juni 1991 die Hauptstadtentscheidung zugunsten Berlins. Im provisorischen Plenarsaal, einem ehemaligen Wasserwerk, gab Präsidentin Rita Süssmuth um 21.49 Uhr bekannt, dass 337 Stimmen für den Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin abgegeben worden waren. Dabei hatten sich 320 Mitglieder des Bundestages erfolglos dafür eingesetzt, zwar den Bundesrat und den Sitz des Bundespräsidenten nach Berlin zu verlegen, Parlament und Regierung aber in Bonn zu belassen. Die Grundlage der Hauptstadtentscheidung bildet Art. 2 Abs. 1 des Einigungsvertrages, wo es heißt: „Hauptstadt Deutschlands ist Berlin. Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung wird nach der Herstellung der Einheit Deutschlands entschieden.“ Ausweislich einer Protokollnotiz zum Einigungsvertrag sollten die weiteren Entscheidungen zur Hauptstadt Sache der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes sein. So wurde das Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands, kurz: Berlin-Bonn-Gesetz, am 26. April 1994 verabschiedet. Es regelt wie der Beschluss des Deutschen Bundestags zum Umzug des Parlaments- und Regierungssitzes von Bonn nach Berlin in die Praxis umgesetzt werden sollte. Die zentrale Regelung, § 4 Abs. 4 Berlin-Bonn-Gesetz, legt fest, dass der größte Teil der Arbeitsplätze in Bonn erhalten werden soll. Auch zentrale Politikbereiche, wie zum Beispiel Verteidigung, Bildung, Umwelt, sollten in Bonn angesiedelt bleiben. Zudem bestimmte das Gesetz, dass Bonn einen Ausgleich für den Verlust von Parlament und Regierung erhielt, etwa durch neue Funktionen und die Ansiedlung neuer Institutionen. Durch die „Vereinbarung über die Ausgleichsmaßnahmen für die Region Bonn vom 29. Juni 1994“ wurden 1,437 Milliarden Euro für 90 Ausgleichsprojekte und weitere rund 210 Einzelmaßnahmen an Bonn gezahlt. Der Vollständigkeit halber muss hier erwähnt werden, dass auch Berlin Ausgleichszahlungen erhielt. Laut Antrag der Fraktion Die Linke wirkt das Gesetz seit 1994 und hat seinen Sinn erfüllt. Trotz der Verteilung der Arbeitsstellen zugunsten Berlins sei die Trennung der Regierungstätigkeit 20 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit überholt und unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung der Hauptstadtrolle Berlins, der Koordinierung der Regierungsarbeit sowie der Beziehungen zwischen Parlament und Bundesregierung in höchstem Maße ineffizient. Zugleich behindere die Teilung der Bundesregierung auf zwei Standorte die notwendige Nachwuchsarbeit in den Bundesministerien, da es junge Spitzenkräfte eher nach Berlin als nach Bonn ziehe. Durch die permanente Teilung seien operative Fähigkeiten der Bundesregierung, zum Beispiel bei der Lösung der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise, stark eingeschränkt. Meiner Meinung nach gilt grundsätzlich das Prinzip, dass Verträge eingehalten werden müssen. Andererseits stellt sich nach über 20 Jahren gesamtdeutschen Zu-sammenlebens die Frage, inwieweit dieses Gesetz noch sinnvoll ist. Als Jurist und Haushälter möchte ich dies -einerseits in rechtlicher- und andererseits in haushalts-politischer Hinsicht bewerten. Ganz aktuell kommt das am 29.Oktober 2012 vorgestellte Gutachten des Juristen Professor Dr. Markus Heintzen von der FU Berlin zu dem Ergebnis, dass seit vier Jahren gegen die Regelungen des Berlin-Bonn-Gesetzes verstoßen wird. So arbeiten zurzeit weniger als 45 Prozent der Ministerialbediensteten in Bonn. Da das Berlin-Bonn-Gesetz keinen Verfassungsrang besitzt, hat dieser Rechtsbruch aber keine konkreten Folgen für die Bundesregierung. Gestattet sei mir hier die Anmerkung, dass derartige Rechtsbrüche durch die Bundesregierung seit der über-raschenden Aufkündigung der geplanten Ansiedlung der Abteilung 7 des Bundesinstituts für Risikobewertung in Neuruppin im Haushaltsausschuss zunehmend legitim erscheinen. Die Ansiedlung der Abteilung 7 des Bundesinstituts für Risikobewertung stand in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Beschluss der Unabhängigen Föderalismuskommission aus dem Jahr 1992, nach dem neue Bundeseinrichtungen und Bundesinstitutionen grundsätzlich in den neuen Ländern anzusiedeln sind. Darüber hinaus sollte diese Ansiedlung für Brandenburg auch ein Ausgleich sein, weil ein Forschungsstandort des Friedrich-Löffler-Instituts in Wusterhausen geschlossen werden soll. Argumente gegen die Abschaffung des Berlin-Bonn-Gesetzes, welche sich auf bestehende Verträge und darin getroffene Vereinbarungen berufen, verlieren vor diesem Hintergrund ihre Glaubwürdigkeit. Neben der besagten Studie möchte ich mich auf eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2007 zur möglichen Änderung des Berlin/Bonn-Gesetzes und damit verbundener Maßnahmen für einen Komplettumzug nach Berlin beziehen. Diese kommt zu dem Schluss, dass für -einen Komplettumzug nach Berlin das Berlin-Bonn-Gesetz geändert werden müsse. Da die Gesetzgebungskompetenz beim Bund liegt, ist der Gesetzgeber grundsätzlich nicht gehindert, über ein Gesetz zu verfügen und dieses zu ändern. Diese Tatsache ergibt sich aus dem Demokratieprinzip und gilt auch für das Berlin-Bonn-Gesetz. Zudem trifft der § 1 Abs. 2 Nr. 3 Berlin-Bonn-Gesetz keine Aussage, in welcher Form die genannten Politikbereiche in Bonn angesiedelt sein sollen, etwa als Ministerien oder nachgeordnete Behörden. Auch die Sollvorschrift, dass laut § 4 Abs. 4 Berlin-Bonn-Gesetz der größte Teil der Arbeitsplätze in Bonn erhalten werden soll, schließt eine Reform der Ministerialverwaltung und damit einhergehende weitere Verlagerungen von Ministerien nach Berlin nicht aus. Soweit man davon ausgeht, dass die Region Bonn aufgrund bisheriger Vereinbarungen Vertrauensschutz genießt, spricht dies nicht generell gegen einen Umzug. Denkbar ist nur, laut Aussage des Wissenschaftlichen Dienstes, dass hieraus die Pflicht zu weiteren Ausgleichsmaßnahmen resultiert. Hier ließe sich einwenden, dass derartige Pflichten, wie im Falle der Neuruppin-Entscheidung im Haushaltsausschuss, aber nicht unbedingt Bindungswirkung entfalten. Um die Kosten der durch das Berlin-Bonn-Gesetz geteilten Dienstsitze besser kontrollieren zu können, beschloss der Haushaltsausschuss am 20. November 2008 die Vorlage jährlicher Teilungskostenberichte. Laut Teilungskostenbericht des Jahres 2012 belaufen sich die geschätzten Gesamtkosten der geteilten Dienstsitze für das Jahr 2013 auf 9,047 Millionen Euro. Im Vergleich zu 2012 erhöhen sich dabei die Ausgaben um 176 000 Euro. Den umfangreichsten Ausgabeposten stellen die Dienstreisen mit 4,895 Millionen Euro in 2013 dar. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einer Kostensteigerung um rund 2,3 Prozent. Vor diesen fiskal- und rechtspolitischen Aspekten müsste die Frage, ob das Berlin-Bonn-Gesetz noch Sinn macht, abschlägig beantwortet werden. Andererseits haben wir eine große Verantwortung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Region Bonn, die bei einem Komplettumzug nicht einfach ihrem Schicksal überlassen werden dürfen. Hier stellt sich die Frage der Zumutbarkeit einer kompletten Verlagerung der Dienstsitze nach Berlin für die dort lebenden Menschen und der Wirtschaftsregion Bonn als Ganzes. Vielleicht ließe sich hier eine Regelung finden, die über einen großzügig angelegten Übergangszeitraum einen sukzessiven Umzug unter sozialverträglichen Aspekten umsetzen kann. Möglicherweise wird das Parlament in der nächsten- oder übernächsten Legislaturperiode beschließen, das Berlin-Bonn-Gesetz abzuschaffen. Heute ist der Zeitpunkt noch nicht gekommen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Deutsche Bundestag hat vor etwas mehr als 21 Jahren, im Juni 1991, beschlossen, das Parlament und Teile der Regierung von Bonn nach Berlin zu verlegen, aber eine dauerhafte – ich betone: „dauerhafte“ – Arbeitsteilung zwischen den beiden Städten vorzusehen. Dieser Beschluss war denkbar knapp, er kam nach langer kontroverser Debatte mit 38 zu 320 Stimmen, also einer Mehrheit von gerade einmal 18 Stimmen, zustande. Und klar ist: Diese Mehrheit hätte es ohne die Zusage einer dauerhaften und fairen Arbeitsteilung zwischen der Bundeshauptstadt und der Bundesstadt Bonn gar nicht gegeben. Die Linksfraktion belegt mit ihren permanenten Attacken gegen das Bonn-Berlin-Gesetz nur ihre Ostfixiertheit und dass sie keinerlei Feeling und keinerlei Anerkennung für die Leistungen der westdeutschen Demokratie während der Zeit der deutschen Teilung hat. Kollege Claus hätte sich mal besser mit der Landtagsfraktion der Linken im nordrhein-westfälischen Landtag unterhalten, als es eine solche noch gab; die hätte ihm nämlich erzählt, wie groß die Bedeutung des Bonn-Berlin-Gesetzes für die Stadt und die Region ist. Aber wir erleben ja auch im Haushaltsausschuss immer wieder, dass Anfang der 90er für den Osten getroffene Vereinbarungen von der Linken für sakrosankt erklärt und mit Zähnen und Klauen verteidigt werden, während es bei Vereinbarungen, die den Westen und insbesondere Bonn angehen, mit einem Achselzucken abgetan werden. Der Stadt Bonn, der gesamten Region, den Menschen, die in den Ministerien und Behörden arbeiten, aber auch der gesamten Bevölkerung in Bonn und der Region wurde eine klare Zusage gemacht, und zwar die einer dauerhaften fairen Arbeitsteilung. Deshalb ist die Kernaussage im Antrag der Linken, das Bonn-Berlin-Gesetz habe seinen Sinn erfüllt, einfach Humbug. Den Menschen in Bonn und der Region wurde eine dauerhafte Absicherung zugesagt. Sie haben ein Recht darauf, dass diese Zusage eingehalten wird. Veränderungen kann es also nur im Dialog mit der Region geben. Das ist eine Frage von Verlässlichkeit und von Vertrauen, das Menschen in die Politik haben können. Direkt und indirekt sind in Bonn und der Region rund 60 000 Arbeitsplätze von der im Bonn-Berlin-Gesetz verbürgten Arbeitsteilung abhängig. Zehntausende Menschen und ihre Familien haben ihre Lebensplanung auf die Einhaltung von Zusagen aufgebaut, die die Politik ihnen gemacht hat. Das ist der angeblich auch so arbeitnehmerfreundlichen Linken aber offensichtlich schnuppe. Was mich besonders wundert, ist, dass die Forderung nach einem Komplettumzug gerade von den Haushaltspolitikern der Linken so forciert wird. Dabei sprechen die Zahlen eine glasklare Sprache – und gerade an den Zahlen sollten sich Haushälterinnen und Haushälter doch orientieren –: Der Bundesrechnungshof hat dargelegt, dass die Arbeitsteilung zwischen Bonn und Berlin sehr gut funktioniert und dauerhaft – ich betone wieder: „dauerhaft“ – preisgünstiger ist als ein Komplettumzug. Die Teilungskosten sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken. Der Komplettumzug würde rund 5 Milliarden Euro kosten – 5 Milliarden, die der Bund nicht hat und deshalb auf Pump finanzieren müsste. Alleine die Zinsen wären höher als die Teilungskosten, von Tilgung ganz zu schweigen. Die nackten Zahlen zeigen: Die Forderung nach einem Komplettumzug lässt sich mit den Teilungskosten nicht begründen. Einen weiteren Aspekt will ich ansprechen: Die Anzahl der Dienstreisen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Ministerien nach Brüssel ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Auch deshalb wäre ein Umzug des BMZ, des BMELV, des BMU und auch der anderen Organisationen, für die die Nähe zu Brüssel wichtig ist, finanziell und auch ökologisch kontraproduktiv. Von Berlin nach Brüssel wird geflogen. Von Bonn fährt man mit dem Zug. Von Berlin nach Brüssel kostet die eintägige Dienstreise 654 Euro, von Bonn 179 Euro. Bonn und die Region sind auf die Vereinbarungen aus dem Bonn-Berlin-Gesetz angewiesen. Es kann keine einseitige Aufkündigung fester Zusagen geben. Deshalb sollten wir die nervige, fruchtlose Debatte um eine einseitige Aufkündigung des Bonn-Berlin-Gesetzes endlich beenden. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zur Verordnung (EU) Nr. 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (EMIR-Ausführungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Wie stark sich Finanz- und Realwirtschaft voneinander entkoppelt haben, lässt sich leicht mit einigen Zahlen veranschaulichen. Nach den letzten verfügbaren Daten ist der globale -außerbörsliche Derivatehandel auf ein Volumen von -650 Billionen US-Dollar angewachsen – das Zehnfache der jährlichen Weltwirtschaftsleistung. Dahinter stehen keine Absicherungsgeschäfte von Unternehmen, sondern in erster Linie Spekulationen. Vor dieser Entwicklung haben wir lange gewarnt. Welche Risiken sie birgt, mussten wir infolge der Finanzkrise schmerzhaft erfahren. Doch trotz Finanzkrise geht der Handel mit Derivaten schwungvoll weiter. Derivate versprechen als Hebelinstrumente hohe Renditen bei hohem Verlustrisiko. Fehlspekulationen mit Derivaten können leicht im Ruin enden. Noch gefährlicher wird der Derivatehandel dadurch, dass bis zu 90 Prozent des Derivatehandels außerhalb regulierter Märkte stattfinden. Dort müssen keine Details wie Volumen oder Preis offengelegt werden. Niemand weiß, wer welche Derivate hat und wie stark mit wem über Derivate verflochten ist. Dadurch konnte sich die US-Immobilienblase zu einer weltweiten Finanzkrise ausweiten. Viele komplexe Derivate dienen nicht dazu, Risiken auf viele Schultern zu verteilen und damit tragbar zu machen. Risiken werden stattdessen verschleiert. Ein erster konsequenter Schritt wäre gewesen, den Dschungel der Derivatemärkte zu lichten und nur diejenigen Derivate zuzulassen, die offensichtlich einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen haben, verständlich sind und deren Risiken sich robust quantifizieren lassen. Dieser Schritt lässt weiter auf sich warten. Darüber hinaus muss der Derivatehandel sicherer und transparenter gemacht werden. Hier hat sich tatsächlich etwas getan. Mit EMIR hat die EU strengere Regeln für die Abwicklung des außerbörslichen Derivatehandels erlassen. Die Verordnung tritt 2013 in Kraft. Das hier debattierte Gesetz klärt nur noch kleinere Details. Zwischen Käufer und Verkäufer muss künftig eine Clearingstelle geschaltet werden. Diese springt dann ein, wenn eine der Vertragsparteien ausfällt. Dies soll Ansteckungsrisiken mindern. Es hat jedoch zur Folge, dass die Clearinghäuser eine systemische Funktion gewinnen. Die Pleite eines Clearinghauses wäre ein Schock vergleichbar mit einem Erdbeben. Sie sind systemisch relevant, weswegen der Staat sie notgedrungen auffangen müsste. Solange der Derivatedschungel weiterbesteht, müssen die Clearinghäuser unnötig viele Risiken schultern. Das ist für uns nicht akzeptabel. Ein weiteres Problem: Die Clearingpflicht ist unnötig löchrig, denn sie betrifft nur „standardisierte“ Derivate. Diese müssen lediglich an ein Transaktionsregister gemeldet werden. Als „standardisiert“ soll ein Derivat dann gelten, wenn ein Clearinghaus eine zentrale Abwicklung dafür anbietet – der Markt setzt sich damit wieder einmal selbst die Standards. Eine Nebenbemerkung: Das erwähnte Transaktionsregister hat neben Transparenz noch eine zweite Funktion: Es wird sehr einfach, die geplante Finanztransaktionsteuer zu erheben. Fehlende Informationen oder Erhebungskosten werden kein Hindernis für die Finanztransaktionsteuer sein. Ich betone das deshalb, weil die Finanzpolitiker der Koalition – FDP und Union – immer noch wenig Begeisterung und Einsatz für die Pläne von Finanzminister Schäuble für eine europäische Finanztransaktionsteuer zeigen. Doch bisher haben sich Argumente gegen die Steuer immer als haltlos erwiesen. Zusammenfassend: Wir fordern, die Finanzmärkte auch in Bezug auf die Derivatemärkte drastisch zu schrumpfen und ihre Komplexität zu reduzieren. Nur diejenigen Finanzprodukte, die gesamtwirtschaftlich nützlich, verständlich und von den Risiken beherrschbar sind, sollten von einem „Finanz-TÜV“ zugelassen werden. Die dann übrig gebliebenen Derivate wären standardisiert und könnten über regulierte Handelsplätze gehandelt werden. Der außerbörsliche Derivatehandel wäre dann erst recht überflüssig. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zweifellos: Die Umsetzung der European Market Infrastructure Regulation, EMIR, gehört zu den wichtigen Reformbaustellen der Finanzmarktregulierung. Denn bisher ist der etwa 700 Billionen Dollar schwere Derivatemarkt nahezu unreguliert, intransparent und daher stark missbrauchsanfällig. Daten sind Mangelware – bei Aufsicht wie bei den Regulierten selbst. Man erinnere sich nur an das Jahr 2010, als die deutsche Aufsicht auf Auskünfte eines privaten Anbieters in den USA angewiesen war, um die Position von auf Griechenland abgeschlossenen Kreditausfallversicherungen zu erfahren. Diese Intransparenz ist ein hohes systemisches Risiko. Auch deshalb konnte die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 zu einer derartigen Eskalation der Krise führen. Denn niemand wusste, wer welche Derivatekontrakte eingegangen war und deshalb von welchen etwaigen Dominoeffekten betroffen sein könnte. Das wäre jedoch nötig gewesen, um die Folgewirkungen eines unkontrollierten Zusammenbruchs abschätzen zu können. Stattdessen herrschte gefährliche, krisenbeschleunigende Marktpanik. Die Grundziele von EMIR sind daher richtig: Es ist richtig, dass künftig sämtliche Derivate an sogenannte Transaktionsregister gemeldet werden müssen, sodass die Aufsicht einen Überblick über Vernetzungen und Risiken, etwa zu hohe offene Position einzelner Akteure, im Derivatemarkt erhält. Und es ist richtig, dass standardisierbare Derivate künftig über sogenannte Clearinghäuser abgewickelt werden müssen. Doch der Teufel steckt auch hier im Detail. Etliche Fragen der Umsetzung, aber auch der sich aus der Regulierung ergebenden künftigen Marktstruktur, sind noch offen. So stellt sich mir die Frage, welche Art von Derivaten wann überhaupt clearingpflichtig werden. Reden wir hier von 10, 30, 50, oder sogar mehr als 70 Prozent des Derivatemarktes? In der EMIR-Verordnung der Kommission habe ich jedenfalls Ausnahmen von der Clearingpflicht für große Teile der Realwirtschaft, für Pfandbriefbanken, Pensionsfonds, Lebensversicherungen und auch Landesbanken gefunden. Aus dem Markt höre ich, die Clearingpflicht werde sich zunächst auf bestimmte Arten von Kreditausfallversicherungen sowie Zins-Swaps, also nur einen Teil des Marktes, konzentrieren. Die Frage des Umfangs der Clearingpflicht ist aber grundlegend und letztlich hochpolitisch. Denn vom Anteil künftig geclearter Derivate hängt ab, zu welchem Grad es gelingen wird, diesen billionenschweren Markt einem transparenten Preisfindungsmechanismus zuzuführen. In den „dark pools“, in denen bisher relevante Teile des Handels stattfinden, bleibt transparente Preisfindung nämlich auf der Strecke. Einen Nutzen haben davon letztlich nur die wenigen Insider, weil sie aus den resultierenden Informationsvorteilen Profit schlagen können. Anderen Marktteilnehmern fehlen hingegen die sonst verfügbaren Preis- und Handelsinformationen. In der Folge wird der Marktprozess als Ganzes behindert – zulasten der Endkundinnen und Endkunden. Ferner frage ich mich: Wer erhält künftig überhaupt Einblick in die Transaktionsregister? Wie viele derartiger Register wird es geben? Wie wird technisch deren korrekte internationale Konsolidierung sichergestellt? Es dürfte unstrittig sein, dass mit den Clearinghäusern neue „Risikoknoten“ systemischer Relevanz geschaffen werden. Bei der weiteren parlamentarischen Beratung dürfte vor diesem Hintergrund noch zu diskutieren sein, ob in der deutschen Umsetzung diesem neuen systemischen Risiko adäquat begegnet wird, und wie eigentlich die Behörden im Fall der Schieflage eines Clearinghauses vorgehen möchten. Mit der gerade erfolgten Eingrenzung des Soffin auf die Kreditwirtschaft kommt das Finanzmarktstabilisierungsgesetz jedenfalls nicht mehr infrage. Werden daher die Clearinghäuser im Notfall Zugang zu Zentralbankliquidität erhalten? Auch werden wir noch kritisch hinterfragen, ob die Entscheidung der deutschen Bundesregierung eigentlich richtig war, die Aufsicht über die Clearinghäuser letztlich national zu organisieren. Ich habe da meine Zweifel. Das europäische Parlament forderte hier eine starke Rolle der ESMA. Denn Clearinghäuser werden grenzüberschreitendes Geschäft betreiben. Deshalb wäre hier eine grenzüberschreitende Aufsicht auch folgerichtig gewesen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Für einen wirksamen Schutz und die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in der Europäischen Union und in Deutschland; Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen (Tagesordnungspunkt 16) Helmut Brandt (CDU/CSU): Aus Anlass der anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien soll nach den Anträgen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordern, die Situation insbesondere syrischer Flüchtlinge durch diverse Maßnahmen zu verbessern. Es dürfte keine Überraschung sein, wenn ich Ihnen sage, dass wir Ihre Anträge ablehnen. Ich wehre mich gegen den Eindruck, den Sie hier zu vermitteln versuchen, dass wir nicht genug Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen oder nicht genug Unterstützung leisten. In Deutschland sind die Asylbewerberzahlen aus Syrien deutlich angestiegen. 2011 gab es insgesamt 3 436 Anträge, von Januar bis September 2012 waren es 5 156 Anträge. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewährt syrischen Staatsangehörigen im Rahmen der Asylverfahren zumindest einen sofortigen Schutz in Form eines einjährigen Aufenthaltstitels, der verlängert werden kann. Zudem werden bundesweit bereits seit Ende April 2011 keine Personen mehr nach Syrien abgeschoben. Am Rande bemerkt: Diese Situation stellt unsere Kommunen schon jetzt vor große logistische Probleme. Die ersten Bundesländer sind bereits an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen, auch wegen der im Übrigen stark ansteigenden Asylbewerberzahlen. Nun zu einigen Ihrer Forderungen im Einzelnen. Die von Ihnen geforderte Unterstützung der Anrainerstaaten wird von uns bereits geleistet. Die Bundes-regierung hat bislang humanitäre Soforthilfe für die Flüchtlinge in der Region in Höhe von insgesamt 23,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und ist damit eines der größten Geberländer. Auch Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks leisten Hilfe in der Region. Weiterhin fordern Sie, dass wir in Absprache mit den anderen europäischen Staaten ein bedeutendes Kontingent syrischer Flüchtlinge aufnehmen. Wie ich eingangs sagte, werden derzeit keine Abschiebungen nach Syrien vorgenommen. Vor der aktiven Aufnahme von Flüchtlingen hat für die Bundesregierung und die CDU/CSU-Fraktion die Hilfe vor Ort Priorität. Denn die Flüchtlinge wollen dort gar nicht weg, weil sie die Hoffnung haben, dass die Kämpfe in absehbarer Zeit zu Ende gehen. Zudem beabsichtigen auch die anderen EU-Mitgliedstaaten zurzeit keine Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien. Ein nationaler Alleingang ist nicht sinnvoll. Auch wenn eine Aufnahme rechtlich allein auf nationaler Ebene grundsätzlich möglich wäre, so wäre die Durchführung eines Aufnahmeverfahrens – Auswahlmissionen, Interviews mit Flüchtlingen, Transport – ohne Unterstützung des UNHCR logistisch sehr schwierig. Nun zu Ihrer Forderung, Visaanträge syrischer Staatsangehöriger, insbesondere von Familienangehörigen in Deutschland lebender Personen, schnell und wohlwollend zu bearbeiten. Die Auslandsvertretungen prüfen nach hiesiger Kenntnis jeden Einzelfall sorgfältig, müssen sich dabei aber an die geltende Rechtslage halten. Die Erteilung eines Kurzzeit-(Schengen-)Visums zu -Besuchszwecken setzt unter anderem voraus, dass die Rückkehrabsicht des Antragstellers feststeht, er also nicht die Absicht hat, mithilfe eines Schengen-Visums nach Deutschland einzuwandern und sich hier niederzulassen. Angesichts der augenblicklichen Lage in Syrien wird die Rückkehrabsicht derzeit nur selten nachweisbar sein. Die Erteilung eines Langzeitvisums an Familienangehörige außerhalb der Kernfamilie, also an Ehepartner und minderjährige Kinder, ist gemäß § 36 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz nur möglich, wenn dies zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Ungünstige Verhältnisse im Heimatstaat und ausschließlich humanitäre Gründe, die auf der Situation im Heimatstaat beruhen, sowie politische Verfolgungsgründe können nach der allgemeinen Anwendungspraxis nicht herangezogen werden, um eine Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 zu begründen. Hiervon sollten wir auch nicht abweichen. Wir wollen kein Asyl durch die Hintertür. Nun zu Ihrer Forderung, sich für Regelungen einzusetzen, mit denen der Studienaufenthalt hier lebender syrischer Studenten gesichert werden soll. Derzeit halten sich circa 2100 syrische Staatsangehörige mit Aufenthaltserlaubnissen nach § 16 und § 17 Aufenthaltsgesetz zum Studium, zur Promotion, zur Facharztausbildung etc. in Deutschland auf, die ihren Aufenthalt mit Stipendien oder privaten Mitteln aus Syrien finanzieren. Aufgrund der Situation in Syrien sind bei bislang 18 Personen die Zahlungen ausgeblieben. Vorerst kann mit Mitteln des Auswärtigen Amtes über den Deutschen Akademischen Auslandsdienst in Einzelfällen geholfen werden. Dies kann aber keine dauerhafte Lösung sein, da der Zahlungsausfall bei weitaus mehr Personen zu erwarten ist. Vorrangiges Ziel ist, die syrischen Staatsangehörigen in dem bestehenden Aufenthaltsstatus zu belassen und ihnen Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit neben dem Studium anzubieten. In den Fällen, in denen eine eigenständige Lebensunterhaltssicherung dennoch nicht erfolgen kann, wird das Bundesinnenministerium den Ländern vorschlagen, über eine Länderanordnung nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz einen Aufenthaltstitel zu erteilen, der dann zum Bezug von BAföG berechtigt. Abschließend möchte ich noch ein paar Worte zu Ihrer Forderung, das mit der Syrischen Arabischen Republik geschlossene Rücknahmeabkommen aufzukündigen, sagen. Das bilaterale Rückübernahmeabkommen mit Syrien beschränkt sich, wie andere Rückübernahmeabkommen auch, auf rein prozedurale Regelungen und konkretisiert verfahrensmäßig die ohnehin bestehende völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung zur Rückübernahme eigener Staatsangehöriger. Es verpflichtet jedoch weder die für Abschiebungen zuständigen Bundesländer zur Durchführung von Abschiebungen, noch hindert es sie daran, Abschiebungen in Gefährdungssituationen auszusetzen. Die im deutschen Ausländerrecht vorgesehenen Möglichkeiten zur Aussetzung einer Abschiebung unter humanitären und menschenrechtlichen Aspekten werden von dem Abkommen in keiner Weise berührt oder gar eingeschränkt. Die Innenministerkonferenz hat im März 2012 beschlossen, Abschiebungen nach Syrien für die Dauer von sechs Monaten auszusetzen, und die Länder aufgefordert, umgehend einen Abschiebungsstopp anzuordnen. Der Bundesminister des Innern hat mittlerweile auf entsprechende Bitte des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz sein Einvernehmen mit einer Verlängerung der Aussetzung der Abschiebung nach Syrien um weitere sechs Monate erklärt. Daher sehe ich für eine Kündigung des Abkommens keine Veranlassung. Überdies hege ich immer noch die Hoffnung, dass dieser Bürgerkrieg in absehbarer Zeit endet. Dann aber werden wir das Abkommen brauchen. Ich bin überzeugt, dass die Bundesregierung die aktuelle Situation aufmerksam verfolgt. Sollte es künftig einer Aufnahme von syrischen Flüchtlingen bedürfen, werden wir in Absprache mit dem UNHCR und unseren europäischen Partnern unsere Verantwortung wahrnehmen. Ich weise jedoch schon jetzt darauf hin, dass, falls Deutschland sich zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Aufnahmeprogramm entschließt, angesichts der Dimension des syrischen Flüchtlingsproblems kein Resett-lement im technischen Sinn, also keine dauerhafte Aufnahme in Deutschland, in Betracht kommen wird. Möglich wäre vielmehr eine vorübergehende humanitäre Aufnahme für die Dauer des Konfliktes in Syrien. Ute Granold (CDU/CSU): Wir debattieren heute über zwei Anträge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen zur Situation der syrischen Flüchtlinge. Sie sprechen damit ein Thema an, das mich gerade als Menschenrechtspolitikerin sehr beschäftigt. So hatte ich die Gelegenheit, im Rahmen einer Delegationsreise Flüchtlingslager in Jordanien und im Libanon zu besuchen und dort mit syrischen Flüchtlingen zu sprechen. Lassen Sie mich zu Beginn noch einmal die Dimension des Leides der syrischen Bevölkerung in Erinnerung rufen: Mehr als 3 Millionen Menschen sind in Syrien von den Kämpfen betroffen. Über 360 000 Syrer sind bereits in die Nachbarländer Libanon und Jordanien sowie in den Irak und in die Türkei geflohen. Der Syrien-Koordinator des UN-Flüchtlingshilfswerks, Panos Moumtzis, hat davor gewarnt, dass die Zahl der Flüchtlinge bis zum Jahresende auf 700 000 ansteigen könnte. Der herannahende Winter wird die humanitäre Lage in der Region weiter verschärfen. Doch was ist nun zu tun, um diesen Menschen in Not am besten zu helfen? Lassen Sie mich Ihnen erläutern, warum die von der Opposition in den beiden Anträgen geforderte umfangreiche Aufnahme von syrischen Flüchtlingen in Deutschland und in der EU zum jetzigen Zeitpunkt nach meiner Auffassung nicht der richtige Weg ist. In meinen Gesprächen mit syrischen Flüchtlingen vor Ort und mit Vertretern von Hilfsorganisationen und Kirchen hier in Deutschland habe ich den Eindruck gewonnen, dass die große Mehrheit der Betroffenen in der Region bleiben und möglichst bald wieder in ihre Heimat zurückkehren will. Wir sollten daher diesen Wunsch der Flüchtlinge, nahe der Heimat zu bleiben, respektieren und zunächst Unterstützung vor Ort leisten. Darüber hinaus muss klar sein, dass die von der Opposition geforderten umfangreichen Resettlementprogramme Fakten schaffen würden, die ungewollt dem Assad-Regime in die Hände spielen könnten. Auch der UNHCR hat bislang nicht zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge außerhalb der Region aufgerufen und konzentriert seine Anstrengungen auf eine Verbesserung der Situation der Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Syriens. Deshalb steht für uns zurzeit die humanitäre Hilfe vor Ort im Zentrum des deutschen Engagements. Die Bundesrepublik hat ihre Hilfen für die Opfer des Syrien-Konflikts um 12 Millionen Euro auf insgesamt 67,3 Millionen Euro aufgestockt. Wir sind damit eines der größten Geberländer. Von den 67,3 Millionen Euro werden 30,3 Millionen Euro durch das Auswärtige Amt für humanitäre Hilfe in Syrien und für die Versorgung der Flüchtlinge in den Nachbarländern finanziert. Auch Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks sind im Einsatz und leisten Hilfe. So unterstützt das THW das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen bei der Wasserversorgung sowie beim Aufbau der Sanitärversorgung von Flüchtlingslagern in Jordanien. Dieser Beitrag des THW zur Versorgung der Flüchtlinge wird vom Auswärtigen Amt finanziert. Außenminister Westerwelle hat unseren Partnern in der Region, allen voran der Türkei, signalisiert, dass Deutschland den syrischen Nachbarländern auch weiterhin bei der Bewältigung des Flüchtlingsstromes helfen wird. Die syrisch-orthodoxe Kirche in Deutschland und der Jesuitenflüchtlingsdienst in der Region Mittlerer Osten und Nordafrika haben mir davon berichtet, dass vor allem die syrischen Christen der verschiedenen Konfessionen oftmals zwischen die Fronten der Konfliktparteien geraten und so von Hilfsmaßnahmen abgeschnitten werden. Deshalb müssen wir besonders darauf achten, dass die von Deutschland in Syrien geleistete humanitäre Hilfe auch für alle Hilfsbedürftige uneingeschränkt zugänglich ist. Durch die Aufnahme einer wachsenden Zahl von Asylbewerbern leistet Deutschland darüber hinaus bereits einen zusätzlichen Hilfsbeitrag. So sind die Asylbewerberzahlen aus Syrien deutlich angestiegen: Während 2011 insgesamt 3 436 Anträge verzeichnet wurden, sind von Januar bis September 2012 bereits 5 267 Anträge gestellt worden, davon 3 721 Erstanträge und 1 546 Folgeanträge. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewährt syrischen Staatsangehörigen im Rahmen der Asylverfahren subsidiären Schutz. Zudem werden bundesweit seit Ende April 2011 auf Beschluss der Innenministerkonferenz hin keine Personen mehr nach Syrien abgeschoben. Die Bundesregierung geht davon aus und erwartet, dass die Mitgliedstaaten der EU bei der Durchführung von Asylverfahren die Rechtsakte zum EU-Flüchtlingsrecht und die Gewährleistungen des internationalen und europäischen Rechts einhalten. Dazu gehören insbesondere die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention. Daher besteht mit Ausnahme von Griechenland, an das derzeit ohnehin keine Dublin-Überstellungen erfolgen, und Malta, wohin keine besonders schutzbedürftigen Personen überstellt werden, keine Veranlassung, Überstellungen syrischer Asylbewerber in andere Dublin-Staaten auszusetzen. Zunächst ist es also richtig, dass Deutschland und seine internationalen Partner versuchen, die Probleme vor Ort zu lösen, weil die ganz überwiegende Zahl der geflohenen Syrer in der Nähe ihrer Heimat bleiben und so schnell wie möglich zurückkehren möchte. Allerdings müssen wir die Lage weiterhin intensiv beobachten. Auch wenn im Augenblick eine Flüchtlingsaufnahme noch nicht ansteht, kann sich dies – wie von mir erläutert – bei gemeinsamen, abgestimmten Initiativen von UNHCR und EU ändern. Wie Sie sehen, arbeiten die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung intensiv daran, die syrischen Flüchtlinge zu unterstützen. Diesen Weg werden wir auch in Zukunft konsequent bestreiten. Vor diesem Hintergrund lehnen wir beide Anträge der Opposition ab. Rüdiger Veit (SPD): Heute befinden sich nach Angaben des Auswärtigen Amtes 340 000 Menschen aus Syrien auf der Flucht. Doch wie viele es genau sind, können wir nicht wissen. Stündlich werden es mehr. Viele der Flüchtlinge sind vor den Gewalttaten und Kampfhandlungen in ihrer Heimat in Nachbarländer geflohen. Die Türkei hat bislang rund 100 000 Flüchtlinge aufgenommen; zuvor hatte sie immer angekündigt, bei Erreichen dieser Marke die Grenzen zu schließen. Auch der Libanon hat nach Angaben des Auswärtigen Amtes bis zu 100 000 Syrer aufgenommen. Andere Syrer sind nach Jordanien und in den Nordirak geflohen. Die Türkei hat mit der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge bislang Großes geleistet. Im Libanon wird den Flüchtlingen keine Infrastruktur zur Verfügung gestellt. In Jordanien werden sie in Camps untergebracht. Im Nordirak wird es nach Angaben der EKD bald mehr Flüchtlinge als Nordiraker geben. Ein Ende der Kampfhandlungen ist nicht abzusehen. Angesichts des Flüchtlingselends und des Ausmaßes der Katastrophe muss gehandelt werden, und zwar sofort. Natürlich wäre ein innerhalb der EU abgestimmtes gemeinsames Vorgehen am besten. Aber wenn das nicht so schnell zu haben ist, dann muss Deutschland mit gutem Beispiel und im Sinne der dringend gebotenen Linderung von konkreter Not vorangehen. Wie die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sind auch wir dafür, neben der notwendigen Unterstützung der Anrainerstaaten bei der Versorgung vor Ort syrische Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Wir halten es dabei für notwendig, drei Gruppen zu unterscheiden: Erstens gibt es die Gruppe der Flüchtlinge, die aus anderen Ländern wie zum Beispiel dem Irak oder Somalia ursprünglich nach Syrien als Flüchtlinge gekommen sind und jetzt aufgrund der Entwicklung in Syrien selbst weiterfliehen müssen. Für diese Flüchtlingsgruppe brauchen wir dringend ein Resettlementprogramm. An dieser Stelle möchte ich sagen, dass wir schon lange für den Aufbau von langfristigen Resettlementprogrammen mit einem bestimmten Kontingent sind. Begrüßenswert ist daher dem Grunde nach der Beschluss der Innenministerkonferenz vom 8. und 9. Dezember 2011 über den Einstieg Deutschlands in ein institutionalisiertes Resettlementprogramm. In diesem Rahmen ist in den Jahren 2012 bis 2014 die Aufnahme von 300 Personen pro Jahr vorgesehen. 300 Menschen, das sind meiner Ansicht nach zu wenige. Angesichts unseres Wohlstands und unserer wirtschaftlichen Lage als führende Nation in Europa ist es unsere Pflicht, das Elend und die Not von entwurzelten Flüchtlingen konkret zu lindern. Ich könnte mir daher europaweit sehr gut die Aufnahme von rund 100 000 Flüchtlingen pro Jahr vorstellen. Zweitens gibt es eine Gruppe von Flüchtlingen, die in Deutschland lebende Verwandte hat. Hier sollten die Einreisebestimmungen erheblich erleichtert werden, um eine großzügige Familienzusammenführung in Deutschland zügig möglich zu machen. Drittens gibt es die Gruppe der aus politischen Motiven aus Syrien geflohenen Menschen. Für diese ist ein längerer Aufenthalt in Europa eher nicht das Ziel, da sie zum Teil ein Interesse daran haben, bei einer sich in Syrien ändernden Lage schnell in das Land zurückkehren zu können. Schon 2010 haben wir in unserem Antrag „Syrien – Abschiebungen beenden, politischen Dialog fortführen“ auf Drucksache 17/525 die Bundesregierung aufgrund der massiven Verletzung von Menschenrechten in Syrien dazu aufgefordert, einen Abschiebestopp nach Syrien zu erlassen und das bilaterale Rückübernahmeabkommen mit Syrien zu kündigen. Das ist heute, zwei Jahre später, erst recht und weiterhin unsere Forderung, weil sich die Zustände dramatisch verschlechtert haben. Schließlich wollen und müssen wir uns im Rat der Europäischen Union dafür einsetzen, dass in allen Mitgliedstaaten Abschiebungen nach Syrien ausgesetzt werden und eine europäische Lösung für die Flüchtlinge gefunden wird. Der Umgang mit den Flüchtlingen aus Syrien war auch Thema des Rates der Justiz- und Innenminister am 25. und 26. Oktober dieses Jahres in Luxemburg. Die Kommission erklärte, dass mehr als die Hälfte der bisherigen Hilfen für die Region von der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten bereitgestellt worden sei. Auch wenn Deutschland und Schweden bisher rund 90 Prozent der syrischen Flüchtlinge innerhalb der Union aufgenommen haben, sind wir genauso wie die Justiz- und -Innenminister der EU der Ansicht, dass ein Massenzustrom nach Europa nicht ausgeschlossen werden kann und man daher über die Gewährung von vorübergehendem Schutz nachdenken muss. In den von mir dargelegten Forderungen stimmen wir mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zum Teil mit den Forderungen der Fraktion Die Linke überein. Die Kollegen und Kolleginnen der Fraktion Die Linke wollen über das hinaus jedoch ein dauerhaftes Bleiberecht unabhängig von der Sicherung des Lebensunterhalts. Das ist zu weitgehend. Immerhin das Bemühen um die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts sollte nachgewiesen werden. Auch der Forderung nach einer uneingeschränkten Öffnung der Grenzen in der Europäischen Union können wir so nicht zustimmen. Wenn die Linke mir ihrer Forderung nach Öffnung der Grenzen allerdings auf das Problem des fehlenden legalen Zugangs in die Europäische Union für Schutzsuchende zielt, so ist das in der Tat ein wichtiges Problem. Dies betrifft jedoch nicht nur syrische Flüchtlinge, sondern Flüchtlinge allgemein. Hier brauchen wir eine Lösung für alle. Wenn wir auch nicht alle Positionen der Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke teilen, so teilen wir doch ihr Grundanliegen. Wir werden uns ihrem Antrag gegenüber daher der Stimme enthalten. Dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden wir zustimmen. Auch die Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU/CSU sollten dies tun. Angesichts der dramatischen Lage in Syrien hat es ja immerhin Gespräche zwischen Ihrem Fraktionschef Volker Kauder und dem Herrn Innenminister gegeben, was doch ein Zeichen dafür ist, dass auch Sie sich um eine Lösung des Flüchtlingselends bemühen wollen. Auf dem Rat der Justiz- und Innenminister am 25. und 26. Oktober 2012 in Luxemburg hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schröder zwar den Vorrang der Unterstützung und des Verbleibs der Flüchtlinge vor Ort betont, jedoch unter bestimmten Umständen eine weitere Aufnahme von Flüchtlingen nicht ausgeschlossen. Anfang letzter Woche sagte der Kollege Ruprecht Polenz bei Phoenix – vor Ort, er begrüße Überlegungen, syrische Bürgerkriegsflüchtlinge bei Angehörigen in Deutschland aufzunehmen: „Es wäre eine Möglichkeit, wirklich zu prüfen, ob man diese Art der vorübergehenden Familienzusammenführung nicht ermöglichen könnte. Das würde wahrscheinlich auch ein paar tausend Syrern helfen, und sie wären hier bei ihren Familienangehörigen in Deutschland untergebracht.“ Dann lassen Sie uns das machen. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Menschenrechtslage in Syrien hat sich in den vergangenen Monaten dramatisch verschärft. Die syrische Regierung bekämpft ihr eigenes Volk. Der Bürgerkrieg bedroht alle Menschen in dem Land. Schon zuvor gab es erhebliche Probleme: Meinungs- und Versammlungsfreiheit waren nicht gegeben, die Inlandsopposition starken Repressionen ausgesetzt. Dies hat die Bundesregierung ebenso wie ihre Vorgängerin deutlich benannt. Deshalb hat der Bundesinnenminister schon seit längerem den zuständigen Ländern empfohlen, derzeit nicht nach Syrien abzuschieben. Die FDP unterstützt die konsequente Haltung des Bundesinnenministers. Mehr kann auch eine Aufkündigung des Rückübernahmeabkommens nicht bewirken. Das Abkommen war bereits in Zeiten der Verhandlung heftiger Kritik ausgesetzt. Flüchtlingshilfeorganisationen haben Abschiebungen nach Syrien schon früher generell abgelehnt. Es war die Vorgängerregierung mit Vizekanzler Steinmeier, die sich dennoch für ein Abkommen mit Syrien entschieden hat. Wir alle hoffen, dass der Bürgerkrieg in Syrien möglichst bald beendet wird. Die Kündigung des Abkommens könnte auch so verstanden werden, dass wir nicht mehr an einen baldigen Frieden in Syrien glauben. Wir sollten, meine ich, alles vermeiden, was als Zeichen der Hoffnungslosigkeit gedeutet werden könnte. An der Sachlage, dass wir nicht nach Syrien abschieben, ändert sich durch die geforderte Kündigung ohnehin nichts. Der Bundesaußenminister hat klargemacht, dass aktuell Hilfe vor Ort Priorität für die Bundesregierung hat. Gleichzeitig hat er klargestellt, dass die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland nicht vom Tisch ist. Diese Haltung unterstützen wir nachdrücklich. Auch die Bundesjustizministerin hat durch ihren Besuch in einem Flüchtlingslager in der Türkei in der letzten Woche gezeigt, dass die Bundesregierung keineswegs – wie in den Oppositionsanträgen suggeriert – wegschaut. Ganz im Gegenteil hat sie genau hingesehen und ebenfalls eine Aufnahme von Flüchtlingen in der EU nicht ausgeschlossen. Auch UNHCR hat mittlerweile einen Aufruf gestartet und um Hilfe gebeten: Es gibt auch Flüchtlinge aus Syrien, die bereits in Syrien Flüchtlinge waren – Personen aus Somalia oder dem Irak, die nun ein doppeltes Verfolgungsschicksal haben. Bei dieser Personengruppe sollte der Bundesinnenminister zusammen mit seinen Länderkollegen in der Tat genauer hinsehen. Vielleicht bietet es sich an, das Resettlement-Kontingent entsprechend zu nutzen? Wir würden sie unterstützen. Der Ansatz der Bundesregierung ist richtig, den Menschen nach Möglichkeit vor Ort zu helfen. Denn entgegen dem, was auch von den Kolleginnen und Kollegen suggeriert wird, wünschen sich die meisten Flüchtlinge nicht eine Aufnahme in Deutschland, sondern eine Rückkehr in ein friedliches Syrien. Die Bundesregierung hilft mit 25 Millionen Euro zur Linderung der Not. Selbstverständlich greift bei persönlicher Verfolgung auch das geltende deutsche Recht. Für die FDP steht auch weiterhin die persönliche Schutzbedürftigkeit eines Flüchtlings im Vordergrund, nicht kollektive Gruppenmerkmale wie etwa die Religionszugehörigkeit. Religiöse Verfolgung kann ein Grund für Schutzbedürftigkeit sein, ist aber sicher nicht der einzige. Selbstverständlich wird die Bundesregierung bei einer Verschärfung der Lage gemeinsam mit den europäischen Partnern handlungsbereit sein. Die Dimensionen des Konflikts machen ohnehin eine enge internationale Abstimmung in EU und VN erforderlich. Wir Liberalen setzen uns dafür ein, die Entwicklung sensibel zu begleiten und im Zweifelsfall nicht primär einer Umsiedlungsideologie zu folgen, sondern dem praktisch und akut humanitär Gebotenen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Derzeit befinden sich schätzungsweise 400 000 Menschen aus Syrien auf der Flucht. Die meisten haben in den umliegenden Staaten Zuflucht gefunden, nur etwa 20 000 sind nach Europa gekommen. Davon befinden sich 5 500 in Deutschland. Viele warten allerdings noch auf ihre Entscheidung im Asylverfahren. Im Schnitt müssen sie derzeit fünf Monate warten. Das ist aus Sicht der Fraktion Die Linke viel zu lang. Sie alle werden Flüchtlingsschutz erhalten, die Anerkennungsquote liegt derzeit bei 97 Prozent. Deshalb sollten die Verfahren deutlich beschleunigt werden. Es ist im Übrigen unglaublich demagogisch, wenn derzeit von den Innenministern der Union darauf verwiesen wird, dass durch die vorgezogene Behandlung von aussichtslosen Asylanträgen aus Serbien und Mazedonien die syrischen Asylsuchenden noch länger warten müssen. Die Zunahme von Asylsuchenden aus Syrien war seit Monaten absehbar, ebenso die Zunahme aus dem Westbalkan. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hätte rechtzeitig seine Ressourcen entsprechend planen können. Stattdessen machen Sie die Schutzsuchenden zu Opfern des Behördenchaos in der Bundesrepublik. In den vergangenen Wochen wurde von der EU-Grenzschutzagentur Frontex und Griechenland mit Stolz verkündet, dass die griechisch-türkische Landgrenze am Fluss Evros erfolgreich dichtgemacht ist. Dafür begeben sich die Flüchtlinge nun auf deutlich gefährlichere Routen über das Meer. Mit dieser Grenzsicherung auf Kosten der Flüchtlinge muss Schluss sein. Die europäischen Grenzen müssen offengehalten werden. Das ist eine klare Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention. Dafür muss sich die Bundesregierung einsetzen, statt noch mehr eigenes Personal zur Grenzsicherung nach Griechenland zu schicken. Seit Monaten fordern Pro Asyl und andere Flüchtlingsorganisationen, ein Programm zur Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge aus den Anrainerstaaten Syriens zu starten, ein sogenanntes Resettlement. Der Bundesinnenminister wies diese Forderung zurück. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen habe noch kein Resettlement-Programm beschlossen, so der Minister. Das dürfte sich bald ändern, die Vorbereitungen des UNHCR laufen schon. Wenn der UNHCR zur Aufnahme von Flüchtlingen aufruft, müssen die EU-Staaten dazu umgehend in der Lage sein. Das ist ein wichtiges Signal der Solidarität an die Flüchtlinge und an die syrischen Anrainerstaaten, die bislang die ganze Last der Flüchtlingsaufnahme tragen. Doch dazu haben die Innenminister der EU bei ihrem Treffen Ende Oktober in Brüssel kein Wort verloren. Der gemeinsamen Asylpolitik der EU-Staaten haben sie einen weiteren Schandfleck hinzugefügt. Es ist selbstverständlich begrüßenswert, wenn die Bundesregierung die Nachbarstaaten Syriens bei der Flüchtlingsaufnahme finanziell unterstützt. Pünktlich zu dieser Debatte wurde die Hilfe auf 67 Millionen Euro aufgestockt, was die Redner der Koalition hier sicherlich ausführlich würdigen werden. Das darf aber keine Ausrede dafür sein, keine Menschen aufzunehmen, die zunächst in diese Staaten geflohen sind. Bei den Resettlement-Programmen des UNHCR geht es um die Menschen, für die überfüllte Flüchtlingslager vollkommen ungeeignet sind, die Erholung und psychologische oder medizinische Betreuung brauchen. Es geht um Traumatisierte, um alleinstehende Frauen und Kinder, um Verletzte und Kranke. Ihnen ist mit ein paar klimatisierten Zelten oder Decken nicht geholfen. Sie brauchen eine Perspektive außerhalb dieser Lager, in denen die Lebensbedingungen sich durch den nahenden Winter noch einmal rapide verschlimmern werden. Diese Perspektive wollen wir ihnen bieten. Ich bitte Sie daher alle, unserem Antrag zuzustimmen. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im März 2011 hat die syrische Freiheitsbewegung ihren Anfang genommen. Seit nunmehr 19 Monaten schlägt das syrische Regime jeden Protest für Menschenrechte und Demokratie mit brutaler Gewalt nieder. Die systematische Gewalt gegen Zivilisten ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ein Kriegsverbrechen. Der syrische Präsident Bashar al-Assad befehligt die Bombardierung von Wohngebieten, die Tötung von unschuldigen Zivilisten und Demonstranten, verhindert den Zugang zu humanitärer Hilfe und billigt offenbar Folter, sexuelle Gewalt und Misshandlungen, auch an Kindern. Syrerinnen und Syrer zahlen einen hohen Preis für ihren Wunsch nach Freiheit, Menschenrechten und Demokratie. Bisher sind nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als 30 000 Menschen während des gewaltsamen Konflikts in Syrien ums Leben gekommen. 1,2 Millionen Menschen sind in Syrien auf der Flucht. Über 360 000 Menschen mussten das Land verlassen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geht davon aus, dass bis zum Ende diesen Jahres die Zahl von syrischen Flüchtlingen auf 710 000 anwachsen wird. Ein Lösung des Bürgerkrieges in Syrien ist in absehbarer Zeit leider nicht in Sicht. Ein militärisches Eingreifen würde die Situation der Menschen in Syrien vermutlich nur verschlimmern. Im Rahmen der humanitären Hilfe ist jedoch noch vieles möglich. Die Vereinten Nationen – insbesondere UN OCHA und der UNHCR – und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz benötigen die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Wir müssen dauerhafte Lösungen für die Flüchtlinge aus Syrien finden. Die Türkei, Jordanien, der Libanon und Irak stoßen mit der Aufnahme und Versorgung der syrischen Flüchtlinge an ihre Grenzen. Diese vier Staaten allein haben bisher 355 162 Flüchtlinge aufgenommen. Bei solchen Zahlen frage ich mich, wo wir in Deutschland mit unseren Maßstäben bleiben, wenn Bundesinnenminister Friedrich zum Beispiel bei 1 500 Asylanträgen aus Serbien und Mazedonien im September 2012 aufschreit und auf dem Rücken dort und hier diskriminierter Roma und Sinti eine hysterische Asyldebatte lostritt. In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, die Anrainerstaaten Syriens bei der Aufnahme und Versorgung syrischer Flüchtlinge zu unterstützen. Wir begrüßen es, dass Bundesaußenminister Westerwelle gestern in New York den Vereinten Nationen weitere 12 Millionen Euro für die Syrien-Hilfe zugesagt hat. Angesichts des bevorstehenden Winters ist diese Hilfe bitter nötig. Bisher sind nur 29 Prozent des Hilfeplans der Vereinten Nationen für syrische Flüchtlinge finanziert. Die Bundesregierung ist auch aufgefordert, Flüchtlinge aus Syrien in Deutschland aufzunehmen. Die türkische „Politik der offenen Türen“ ist richtig. Daran sollten sich alle EU-Staaten ein Beispiel nehmen – auch Deutschland. Mehr als 360 000 syrische Flüchtlinge können nicht alle auf Dauer in Lagern in der Türkei, Jordanien, dem Libanon oder Irak leben. Besonders für Kinder ist die Situation dort schwierig. Die Bundesregierung sollte sich mit den aufnehmenden Anrainerstaaten und mit den Flüchtlingen solidarisch zeigen und Syrerinnen und Syrern in Deutschland Schutz gewähren. Es gibt auch Syrerinnen und Syrer, die von ihren Angehörigen nach Deutschland eingeladen werden. Für sie muss die Visumsvergabe deutlich erleichtert werden, damit sie wenigstens für eine Zeit lang Schutz in Deutschland finden. Dies hat jüngst auch Integrationsbeauftragte Maria Böhmer gefordert. Das deutsch-syrische Rücknahmeabkommen sollte sofort aufgekündigt werden. Jedes völkerrechtliche Abkommen mit Syrien gibt Bashar al-Assad eine Legitimation, die er nicht verdient. Für die in Deutschland lebenden syrischen Flüchtlinge, die bereits vor dem Krieg nach Deutschland geflohen sind, besteht zur Zeit zwar ein Abschiebestopp, der bis März 2013 verlängert wurde, sie leben hier aber nur unter Duldung. Das ist inakzeptabel. Sie müssen einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel bekommen. Ich möchte hier auch die Gelegenheit ergreifen, das Resettlement-Programm der Bundesregierung zu erwähnen. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass auf der Innenministerkonferenz vor ungefähr einem Jahr beschlossen wurde, in den nächsten drei Jahren jeweils 300 Flüchtlinge dauerhaft in Deutschland aufzunehmen. Wir meinen aber, dass Deutschland mehr kann und diese Zahl -angesichts der vom UNHCR gesuchten 172 000 Resettlement-Plätze für das Jahr 2012 beschämend gering ist. Unter Resettlement versteht man die dauerhafte Neuansiedlung besonders verletzlicher Flüchtlinge in einem zur Aufnahme bereiten Drittstaat. Bisher gibt es innerhalb der EU nur 4 100 Resettlement-Plätze. Die USA nimmt jedes Jahr 55 000 solcher Flüchtlinge aus Erstzufluchtsländern auf. Die bisher in Deutschland aufgenommenen Resettlement-Flüchtlinge erhalten noch nicht einmal einen Flüchtlingsstatus im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Hier gibt es noch einigen Verbesserungsbedarf. Es ist beschämend, dass Flüchtlinge kaum noch die Möglichkeit haben, Europa auf sicherem Weg zu erreichen. Flüchtlinge gehen stattdessen lebensgefährliche Risiken ein, um vor Krieg und Verfolgung zu fliehen und Schutz in Europa zu finden. Letztes Jahr sind mehr als 1 500 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken oder verdurstet. 2011 war bisher das tödlichste Jahr in dieser Region seit Beginn der Aufzeichnungen des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge im Jahr 2006. Dennoch gibt es keinerlei Anstrengungen der deutschen Bundesregierung, diese Situation zu beenden. Seit die Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland durch europäische Grenzsicherungsmaßnahmen kaum noch passierbar ist, wählen syrische Flüchtlinge immer öfter die lebensgefährliche Route über das Mittelmeer, um Zuflucht in Europa zu finden. Anfang September ertranken 61 Menschen, die meisten von ihnen Kinder, als ein Boot mit Ziel Lesbos auf Grund ging. Die Opfer waren fast alle Syrer. Keine Regierung, die Menschenrechte ernst nimmt, kann das mit ansehen. Eine Lösung zu finden, ist eine deutsche und europäische Herausforderung. Aber europäische Maßnahmen dürfen nicht mit dem Schutz der Grenzen und dem Verbarrikadieren der „Festung Europa“ beginnen. Es geht zuallererst um den Schutz von Leib und Leben der Flüchtlinge an der Grenze. Die Europäische Union mit ihrem Wertekanon und Deutschland mit seinem Grundgesetz können es sich nicht leisten, sehenden Auges die Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Europa muss sich entschieden, der Tragödie zuzusehen oder zu helfen. Wenn wir nicht handeln, werden uns nachfolgende Generationen zu Recht vorwerfen, dass Deutschland zwar die Menschenrechte weltweit gepredigt, beim Drama im Mittelmeer aber tatenlos zugesehen hat. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes (GwGErgG) (Tagesordnungspunkt 17) Peter Aumer (CDU/CSU): Die Geldwäscheprävention in Deutschland ist und bleibt ein wichtiges Thema für die Sicherheit, Stabilität und Ordnung unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Wie die Berichterstattung in den Medien und der Ende Oktober von der BaFin und dem BKA vorgestellten Jahresbericht 2011 der -Financial Intelligence Unit, FIU, zeigen, haben die Geldwäscheverdachtsmeldungen im Jahr 2011 um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Diese Zahl macht deutlich, dass die Adressaten des Geldwäschegesetzes zunehmend sensibilisiert werden oder dies bereits sind. Unsere Aufsichtsbehörden nehmen hier eine wichtige Rolle bei der Umsetzung und Einhaltung unserer Gesetze war. In den vergangenen Jahren haben wir eine Reihe neuer Regelungen zur Prävention und Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung auf den Weg gebracht. Immer wieder sind wir dabei auf neue Trends und technische Entwicklungen eingegangen, die Möglichkeiten zur Geldwäsche eröffnet haben. Von zentraler Bedeutung ist dabei unser Gesetz zur Optimierung der Geldwäscheprävention, das wir vor circa einem Jahr hier in diesem Hohen Hause verabschiedet haben. In diesem haben wir vor allem die Geldwäschegefahren bei elek-tronischem Geld aufgegriffen. Die E-Geld-Industrie stellt eine stark wachsende Branche in Deutschland dar. Durch den immer weiter wachsenden e-Commerce sowie Online-Games und weitere zahlungspflichtige Angebote im Internet entwickelten sich diese Formen in den letzten Jahren immer weiter. Den positiven Effekten für den Kunden standen allerdings auch geldwäscherechtlich relevante Risiken entgegen, denen wir mit diesem Gesetz begegneten. Durch höhere Identifizierungspflichten, einem Verbot, mehrere Karten zu einer einzelnen Karte zusammenzuführen, und einer Beschränkung der Auszahlung von E-Geld Karten begegneten wir umfangreichen Möglichkeiten zur Geldwäsche, hielten aber durch das Einziehen von Schwellenwerten die Benutzung für den „Normalkunden“ für praktikabel. Mit dem Gesetz zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes reagieren wir heute abermals auf einen in den letzten Jahren stark wachsenden Markt im Internet: dem Online-glücksspiel und den Onlinesportwetten. Nach Schätzungen der Europäischen Kommission lagen allein die Einnahmen der Onlineglücksspielanbieter innerhalb der Europäischen Union im Jahr 2008 bei über 6 Milliarden Euro. Die Kommission rechnet weiterhin, ausgehend von 2008, mit einer Verdopplung dieser Zahl bis zum kommenden Jahr. Das Onlineglücksspiel zählt somit zu einem der stark wachsenden Segmente im Onlinemarkt. In Deutschland war bis vor kurzem das Glücksspiel im Internet ausnahmslos verboten. Mit Auslaufen des Glücksspielstaatsvertrages aus dem Jahr 2007 und den in die Zuständigkeit der Länder fallenden Neuregelungen hat sich in diesem Bereich eine grundlegende Änderung ergeben. Als erstes Bundesland erlaubte das Land Schleswig-Holstein die Möglichkeit für Glücksspiel im Internet. Auch der Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag vom Dezember letzten Jahres eröffnet den unterzeichnenden Ländern die Möglichkeit zur Erlaubnis der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten im Internet. Ferner machte auch das öffentliche Fachgespräch, das wir vor kurzem im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages durchführten, deutlich, dass die Aufnahme des Onlineglücksspiels in das Geldwäschegesetz eine notwendige Maßnahme ist. Selbst die Vertreter der bisher in Deutschland lizensierten Anbieter begrüßten im Allgemeinen die Aufnahme ins Geldwäschegesetz. Mehrere Sachverständige bestätigten uns, dass Glücksspiel aufgrund seiner Struktur von beiden am Spiel teilnehmenden Parteien dazu missbraucht werden kann, illegale Gelder reinzuwaschen. Auch die Vielzahl von Transaktionen und die Möglichkeit, hohe Beträge in viele unauffälligere kleinere Einzelbeträge zu stückeln, macht das Online-Glücksspiel für Geldwäscher interessant. Durch das heute zu beschließende Gesetz zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes soll deshalb der Verpflichtetenkreis zukünftig auf die Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen im Internet erweitert werden. Diese Erweiterung wird durch Sorgfalts- und Organisationspflichten ergänzt. Ferner werden für die die Glücksspielaufsicht zuständigen Länderbehörden die notwendigen Aufsichtsbefugnisse geschaffen. Schließlich sieht der Gesetzentwurf entsprechende Bußgeldvorschriften zur Sanktionierung von Verstößen der Pflichtigen vor. Das Onlineglücksspiel darf somit kein rechtsfreier Raum sein. Auch hier ist sicherzustellen, dass Geldwäsche wirksam bekämpft wird. Entsprechend den europäischen Vorgaben haben wir daher den Anwendungsbereich des Geldwäschegesetzes entsprechend erweitert. Für Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen im Internet gelten also künftig spezielle Sorgfaltspflichten. Identifizierung und Verifizierung eines Spielers erfolgt durch eine elektronisch versandte Kopie eines Ausweisdokumentes. Die Identifizierung kann somit in Echtzeit vor Begründung der Geschäftsbeziehung abgeschlossen und ein Spielerkonto sofort eröffnet werden. Verstärkte Sorgfaltspflichten können durch zusätzliche Sicherungsmaßnahmen nach Begründung der Geschäftsbeziehungen wie etwa Post-Ident oder auf der Grundlage von zusätzlichen Dokumenten, Daten oder Informationen, die von einer glaubwürdigen und unabhängigen Quelle stammen und für die Überprüfung geeignet sind, erfolgen. Mit dieser Regelung wird erstmals eine me-dienbruchfreie und zugleich sehr sichere Identifizierung eines Kunden möglich. Eine weitere Hürde für Geldwäsche stellt in diesem Zusammenhang die Verwendung der Zahlungsmethode dar. So sind alle unbaren Zahlungsmethoden wie etwa eine Lastschrift oder Kartenzahlung für die Einzahlung auf ein Spielerkonto erlaubt, sofern es sich um ein ordnungsgemäß identifiziertes Zahlungskonto des Spielers handelt. Davon kann bei der Führung eines Zahlungskontos durch einen lizensierten Zahlungsdienstleister mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgegangen werden. Die Verwendung anonymer Produkte wie etwa Prepaid-Karten, auf denen E-Geld gespeichert ist, ist somit ausgeschlossen. So stellt der Dreiklang aus Übersendung eines gültigen Ausweisdokumentes, der zusätzlichen Sicherungsmaßnahme nach Begründung der Geschäftsbeziehung und des vollidentifizierten Kontos, das auf den Namen des Spielers lauten muss, einen hohen Schutz vor Missbrauch und damit zur Verhinderung von Geldwäsche dar. Gleichzeitig halten wir aber den bürokratischen Aufwand gering und verhindern damit die Abwanderung ins illegale Geschäft. Abschließend möchte ich noch auf den in den Medien sowie im öffentlichen Fachgespräch angesprochenen Sachverhalt der Nichtaufnahme von Spielhallen in das Geldwäschegesetz ansprechen. Die CDU/CSU- und die FDP-Fraktion haben sich hier zu einer Klarstellung im Bericht der Berichterstatter entschieden: Der Vorschlag der Aufnahme in das GwG wurde im Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht weiterverfolgt, weil verfassungsrechtliche Zweifel bestehen, ob eine ausreichende Bundeskompetenz für diese spielhallenrechtlich konzipierte Regelung vorhanden ist. Um das Geldwäscherisiko weiter zu reduzieren, hat sich die Bundesregierung stattdessen auf die Änderung der Spielverordnung geeinigt. Wir fordern die Länder jedoch auf, eine flächendeckende gewerberechtliche Beaufsichtigung im Bereich der Spielhallen sicherzustellen, bei der auch die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde untersagt werden kann, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Spielhallenbetreibers oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun. Darüber hinaus werden die Länder aufgefordert, die Umsetzung des Geldwäschegesetzes weiterhin zu verbessern, um eine effektive Beaufsichtigung und Verhinderung von Geldwäsche im Nichtfinanzbereich zu gewährleisten. Damit bewegen wir uns in unseren rechtlichen Möglichkeiten. Nun ist es an den Ländern, eine kompetente Vollziehung des Gesetzes sowie eine funktionierende Aufsicht sicherzustellen. Die Erfolge der Umsetzung des Geldwäschegesetzes wollen wir weiterhin durch eine Evaluierung des Gesetzes vornehmen. Wir fordern daher die Bundesregierung und die Bundesländer auf, die Evaluation in dem festgelegten Rahmen durchzuführen; denn nur so können wir die Wirksamkeit unseres Gesetzes überprüfen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf greifen wir erneut das Thema der Geldwäscheprävention in Deutschland auf und betonen abermals dessen Wichtigkeit. Die Koalition schließt damit eine noch bestehende Lücke in der Geldwäscheprävention. Die Geldwäschebekämpfung wird dadurch konsequent ausgebaut, auch im Sinne der internationalen Standards. Wir machen damit deutlich, dass für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in Deutschland kein Platz ist. Ich bitte Sie daher, dem Gesetz zuzustimmen. Martin Gerster (SPD): „Wenn ich Mafiosi wäre, würde ich in Deutschland investieren.“ Das Zitat von Roberto Scarpinato, der als Staatsanwalt intensiv mit dem Kampf gegen das international vernetzte organisierte Verbrechen kämpft, lässt aufhorchen. Wie zahlreiche andere Sachverständige hat auch er im Zuge der Anhörung zum vorliegenden Gesetzentwurf unterstrichen, dass unser Land gegenwärtig massiv im Visier von Kriminellen steht, die hierzulande Geld waschen wollen. Geld, das unter anderem aus Drogen-, Waffen-, und Menschenhandel, Betrug und illegalem Glücksspiel stammt und das in den legalen Geldkreislauf eingespeist werden soll, um seine Herkunft zu verschleiern. Bis zu 57 Milliarden Euro im Jahr werden nach Schätzungen der OECD Jahr für Jahr in der Bundesrepublik gewaschen. Internationale Gremien, die sich dem Thema Geldwäschebekämpfung widmen, thematisieren bereits seit längerem, dass mit dem Aufstieg der im Internet angebotenen Glücks- und Kasinospiele auch ein massives Geldwäscherisiko einhergeht. Mittlerweile haben wir es hier mit einem viele Milliarden schweren Wirtschaftszweig zu tun. Die Besonderheiten des Onlineumfelds, vor allem der fehlende persönliche Kontakt zwischen Spielern und Spielbetreibern, machen es findigen Kriminellen leicht, anonym Gelder zu transferieren und deren Spur zu verwischen. Bis vor kurzem war es in Deutschland nicht möglich, Onlineglücksspiele legal anzubieten, da der Glücksspielstaatsvertrag dies ausschloss. Doch schon im vergangenen Jahr war klar, dass sich dies mit dem Alleingang der abgewählten schwarz-gelben Landesregierung in Kiel ändern würde. Sie wollte Schleswig-Holstein auch virtuell zum Glücksspieleldorado machen – ohne Rücksicht auf Verluste. Vor dem Hintergrund dieser bedenklichen Entwicklung haben wir seither konsequent auf die Notwendigkeit verwiesen, hier aktiv zu werden. Und obwohl klar abzusehen war, wie sich die Situation in Schleswig-Holstein entwickeln würde, spielte die Bundesregierung auf Zeit. Während in Kiel bereits im März erste Konzessionen vergeben werden sollten, verwies man von Regierungsseite noch im Februar 2012 darauf, dass eine Überarbeitung der europäischen Geldwäscherichtlinie anstehe und die Diskussion um die Ausführung des Glücksspielstaatsvertrags abgeschlossen sei. Dann könne man im Forum Geldwäscheprävention diskutieren: „Das angesprochene Forum für Geldwäscheprävention wird sich mit Fragen des Onlineglücksspiels befassen, wenn erste Konzepte zur Ausführung dieses Staatsvertrags in den Ländern vorliegen bzw. von der Europäischen Kommission gegenwärtig geprüfte Verschärfungen der geldwäscherechtlichen Anforderungen an das Onlineglücksspiel in einem Kommissionsvorschlag für eine vierte Geldwäscherichtlinie konturiert sind“, so die Antwort des Parlamentarischen Staatsekretärs Steffen Kampeter vom 14. Februar 2012. Mittlerweile wissen wir, dass das Thema Onlineglücksspiel in der Überarbeitung der Geldwäscherichtlinie voraussichtlich wohl nicht so klar geregelt wird, wie wir uns das wünschen. Seit Juli erlauben nun auch die restlichen Länder, Lotterien und bestimmte Formen von Onlinesportwetten über das Internet anzubieten. Insofern ist es vollumfänglich zu begrüßen, dass dieses Problem nun angegangen wird und die Anbieter von Onlineglücksspielen als Verpflichtete in das GWG aufgenommen werden. Erfolgreiche Geldwäscheprävention lebt davon, Geldströme nachvollziehbar zu halten und die an Transaktionen beteiligten Personen sowie die dahinter stehenden wirtschaftlichen Berechtigten klar identifizieren zu können. Hier geht das Gesetz in die richtige Richtung. Aber es geht nicht weit genug und in letzter Sekunde hat es Schwarz-Gelb sogar noch geschafft, die guten Ansätze zu verwässern. Wo ursprünglich eine frühzeitige und eindeutige Identifikation vorgesehen war, wird nun ein zweistufiges Verfahren eingeführt, das die – ohnehin keineswegs unproblematische – Verifikation der potenziellen Spieler zeitlich hinter die Aufnahme der Geschäftsbeziehung mit dem Spieleanbieter verlagert. Dies erscheint uns nicht nur unter Aspekten der Geldwäscheprävention, sondern auch unter suchtpräventiven Aspekten nicht wünschenswert. Gerade die Debatte im Ausschuss war entlarvend, da es wieder die FDP war, die sich in ihren Beiträgen zum Sprachrohr der „Zockerlobby“ machte. Und das, obwohl die Partei im Umgang mit den Glücksspielanbietern erst in jüngster Zeit wenig Fortune hatte. So drängt sich auch hier der Verdacht auf, dass es bei der nachträglichen Änderung vor allem darum geht, die Hürden für eine Spielteilnahme zu senken und mehr Menschen mit den – mitunter hochgradig suchtgefährdenden – Onlinewetten in Kontakt zu bringen. Das zeigt ein Blick auf jene Aspekte, die der Gesetzentwurf nicht angeht, obwohl sie auch in der Anhörung überdeutlich zur Sprache kamen. Als wir im Mai 2012 bei der Bundesregierung nachfragten, ob denn durch die geänderte Lage in Schleswig-Holstein eine Regelung notwendig sei, antwortete uns die Bundesregierung: „Die Landesverordnung über die Genehmigung des Glücksspielbetriebs (Glücksspielgenehmigungsverordnung – GGVO) vom 11. Januar 2012 beinhaltet alle erforderlichen Instrumente für eine wirksame Verhinderung der Geldwäsche in diesem Aufsichtssektor.“ Mittlerweile wissen wir: Die Bundesländer geben offen zu, dass sie sich mit der Beaufsichtigung des Nichtfinanzsektors tendenziell überfordert sehen. Die Stellungnahme des Bundesrates zum vorliegenden Gesetzentwurf spricht da eine klare Sprache. Nun sollen sie zusätzlich die Aufsicht im Bereich Onlineglücksspiel übernehmen. Und ihre Behörden dürfen dank der Änderungsanträge der Koalition auch noch darüber entscheiden, ob überhaupt besondere Sorgfaltspflichten anzuwenden sind, weil sie in bestimmten Bereichen ein geringes Geldwäscherisiko vermuten. Es bleibt ein ungutes Gefühl, dass die seit langem bekannten Probleme in Zukunft eher nicht abnehmen dürften. Umso dringender stellt sich die Frage, wie die Probleme einer mangelhaften Aufsicht im Nichtfinanzsektor endlich überwunden werden können. Wir unterstützen den gemeinsamen Appell, die Länder hier verstärkt mit ins Boot zu holen und eine transparente, strukturierte und effektive Aufsicht sicherzustellen. Leider konnte sich Schwarz-Gelb nicht entschließen, dieser Forderung durch Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag im Ausschuss mehr Nachdruck zu verleihen. Gerade mit Blick auf die Länder gilt es überdies anzumerken, dass wir nach wie vor keine zufriedenstellende Lösung für den Umgang mit Spielhallen und Automatenkasinos haben. Die Mahnungen der Sachverständigen sollten deutlich gemacht haben, dass es noch immer dringend notwendig ist, auch im Sinne des Spieler- und Jugendschutzes eine effektive Gewerbeaufsicht der Betreiber von Spielhallen sicherzustellen. Die angekündigte Änderung der Spielverordnung und die Einführung einer personenungebundenen Spielerkarte sind keineswegs der Weisheit letzter Schluss. Die Haltung der Bundesregierung, die Aufnahme der Spielhallenbetreiber in das GWG aus verfassungssystematischen Gründen nicht weiterzuverfolgen, erscheint allerdings nachvollziehbar. Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich auch die Koalitionsfraktionen der Brisanz des Themas bewusst sind. Auch hier wurde jedoch die Gelegenheit vertan, durch die Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag ein deutlicheres Signal in Richtung der Länder zu geben. Ein Gesetz voller verpasster Chancen. Insofern setzen wir als Sozialdemokraten auf Enthaltung. Björn Sänger (FDP): Das vorliegende Gesetz ist erstens erforderlich, weil die Verhinderung von Geldwäsche im Onlineglückspielsektor ein übergeordnetes Thema darstellt, das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch verbrauchertechnisch in sicheres Fahrwasser gelenkt werden sollte. Die wirtschaftliche Bedeutung des Onlineglückspielsektors ist hoch und es bildet sich ein schnell wachsender Markt zugunsten der Glückspielindustrie. Laut einer Schätzung der EU-Kommission haben die Onlineglücksspielanbieter 2008 innerhalb der Europäischen Union über 6 Milliarden Euro eingenommen. Und das sind allein die legalen Zahlen. Erforderlich auch deshalb, da aufgrund der Neuregelungen und des Auslaufens geltender Verträge das Glückspiel im Internet vom Gesetzgeber „neu“ zu bewerten ist. Es war also erforderlich, das Geldwäschegesetz nun auch auf die Onlinevarianten des Glücksspiels zu erstrecken und Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen im Internet in den Verpflichtetenkreis des Geldwäschegesetzes einzubeziehen. Was gibt dieses Gesetz vor? Was wird verändert? Wir müssen auf die Besonderheiten des Onlineglückspiels mit großer Vorsicht Rücksicht nehmen. Es finden tagtäglich, ja stündlich und minütlich Geschäftsbeziehungen zwischen Personen statt, die sich niemals persönlich gegenüberstehen werden. Wir müssen hier den erhöhten Risiken in Bezug auf die Identifizierung des Spielers sowie die Finanzströme gezielt Rechnung tragen. Gerade im Onlineglückspielsektor gilt es daher, dass künftig Betreiber von Glücksspielen im Internet verstärkt ihre Sorgfaltspflichten nach dem Geldwäschegesetz erfüllen müssen. Insofern begrüßt die FDP die verstärkten Anforderungen, die der Gesetzentwurf aufstellt. Gleichwohl schauen wir mit Bedacht auch darauf, das legale Glücksspiel im Internet nicht derart zu regulieren und mit Vorsicht-Schildern zu versehen, dass keiner mehr die gut gepflasterten Straßen nutzt. So halten wir eine Zuordnung als Verpflichtete unter das GWG je nach Geldwäscheanfälligkeit für sachgerecht. Sofern sich ein geringes Geldwäscherisiko ergibt – wie beispielsweise bei Lotteriespielen, wo allein bei einem Maximaleinsatz von 1 000 Euro eine statistische Verlustquote von 80 Prozent gegeben ist –, soll eine Freistellung durch die Länder stattfinden. Der Gesetzentwurf nennt in der Entwurfsfassung vier Wege der Spieleridentifizierung: Die Identifizierung anhand eines Originalausweises, anhand einer beglaubigten Kopie des Ausweises, anhand des elektronischen Identitätsnachweises nach dem Personalausweisgesetz (Elektronischer Personalausweis) oder anhand einer qualifizierten elektronischen Signatur. Das Problem ist für den Verbraucher: Wer bei einem Onlineglücksspielanbieter spielt, will dies in aller -Regel unmittelbar tun und nicht erst deutlich später. Was ist die Folge? Nur die wenigsten Spieler werden wegen der Registrierung bei einem Glücksspielanbieter gleich einen neuen (elektronischen) Personalausweis beantragen, und nur die wenigsten Spieler, die etwa auf ein Bundesliga-spiel wetten möchten, werden sich stattdessen auch mit einer Wette auf den übernächsten Spieltag zufrieden geben. Vielmehr bedeutet der Gesetzentwurf derzeit noch ein Konjunkturprogramm für den unregulierten Markt, wo Spieler nach der Anmeldung sofort spielen können, aber jeglicher behördlicher Zugriff verwehrt ist und auch die internen Sicherheitsstandards der Anbieter alles andere als gewährleistet sind. Wir wollen keine leblose Wettbewerbssituation für die 20 konzessionierten Anbieter des regulierten Marktes entstehen lassen und die Angebote mehr als erheblich beschränken. Zudem müssen wir die konkurrierende Angebote von nicht konzessionierten Anbietern im Onlinebereich im Blick behalten, die weiterhin für jedermann erreichbar sind. Wir wollen kein Gesetz, welches Spieler ermutigt, den regulierten Markt zugunsten eines unregulierten Marktes zu verlassen. Leider wissen wir alle, dass die Verhinderung von -unregulierten Angeboten aus dem Grau- oder Schwarzmarkt sehr schwierig bis praktisch unmöglich zu verhindern ist. Erst recht bei Anbietern, die ihren Sitz in Übersee haben. Insofern haben wir nach praktikablen Lösungen gesucht, die den Spielern keinen Anreiz bieten, aus praktischen Erwägungen Anbieter aus dem unregulierten Markt vorzuziehen – und den regulierten Markt dadurch zu schwächen. Da gerade bei Onlineglücksspielen Spieler leicht mit falschen Identitäten auftreten können, setzen wir uns für sinnvolle und sichere Vorgaben zur Spieleridentifizierung sowie Anforderungen an die Errichtung eines -Spielerkontos ein. Wir schlagen daher eine Option vor, die erstmals die Identifizierung und Verifizierung anhand einer elektronisch versandten Kopie des Passes oder Personalausweises nur für die sofortige Eröffnung von Spielerkonten, jedoch nicht etwa für Zahlungskonten und andere Geschäftsbeziehungen zulässt. Mit der vorgeschlagen Zulassung der elektronisch versandten Kopie kann die Identifizierung und Verifizierung des Kunden/Spielers anhand dieses Dokuments in Echtzeit vor Begründung der Geschäftsbeziehung abgeschlossen und ein Spielerkonto vom Verpflichteten sofort eröffnet werden. Die vom Gesetzeszweck verlangte Erfüllung verstärkter Sorgfaltspflichten durch zusätzliche Sicherungsmaßnahmen bei nicht physischer Präsenz des Vertragspartners kann auch dadurch erbracht werden, dass die Zahlung von einem Kunden des Vertragspartners erfolgt und unverzüglich nach Begründung dieser Geschäftsbeziehung die Überprüfung der Identität etwa durch die Nutzung des Post-Ident-Verfahrens wiederholt oder aber auf der Grundlage von zusätzlichen Dokumenten, Daten oder Informationen vorgenommen wird, die von einer glaubwürdigen und unabhängigen Quelle stammen und für die Überprüfung geeignet sind. Es handelt sich beim letzteren Verfahren um Dokumente und Daten (Internetadresse, Telefonnummer etc.), die ohnehin im Anschluss an die Kundenidentifizierung für die durchzuführende kontinuierliche Überwachung der Geschäftsbeziehung (Monitoring) mit herangezogen werden müssen. Insofern sichern wir die von einer Freistellung nicht betroffenen Verpflichteten und Spieler von einem Geldwäscherisiko ab, indem wir ein doppeltes Sicherheitsnetz aufspannen. Zunächst verfügt der Spieler bereits über ein Zahlungskonto, welches ihn identifiziert und verifiziert. Zahlungskonten sind, soweit sie bei Kreditinstituten in Deutschland geführt werden, einer erfahrungsgemäß zufriedenstellenden Überwachung unterworfen. Zudem erfolgt unmittelbar nach Übersendung der -Kopie des Personalausweises an den Verpflichteten ein Identifizierungs- und Verifizierungsprozess, der bereits weitläufig angewendet und erprobt ist und keinerlei Unsicherheiten über die Identität des Spielers offenlässt. Seit Inkrafttreten des Geldwäschegesetzes sind laut der bei der im Bundeskriminalamt, BKA, angesiedelten Financial Intelligence Unit, FIU, in Deutschland im Jahr 2011 12 868 Verdachtsanzeigen eingegangen. Das ist ein neuer Höchststand seit Inkrafttreten des Gesetzes 1993. Dass sich dieser Trend auch 2012 fortsetzen könnte, -lassen die im ersten Halbjahr 2012 eingegangenen 6 798 Verdachtsanzeigen erwarten, ein Anstieg von circa 5 Prozent gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Wir sehen also, wir sind auf einem guten Wege. Nun werden wir diesen Weg auch für den Onlineglücksspielsektor vorzeichnen. Wir wollen gemeinsam verhindern, dass Geld von illegaler Herkunft durch Transaktionen über mehrere Spielerkonten und Konten der Betreiber gewaschen werden kann. Die Illegalität muss bestmöglich unterbunden werden, da gerade in der Glücksspielbranche hohe Risiken der Geldwäsche bestehen. Wir setzen uns mit aller Kraft dafür ein, dass auch für den Onlineglücksspielsektor mit dem richtigen regula-tiven Rahmen ein Weg gezeichnet wird, der Geldwäsche in Deutschland die Stirn bieten wird. Richard Pitterle (DIE LINKE): Die Fraktion Die Linke begrüßt die Schließung einer wesentlichen Lücke für die Verhinderung von Geldwäsche durch die Einbeziehung von Glücksspielen im Internet. Doch sind die daraus resultierenden praktischen Auswirkungen überschaubar, denn es existiert kaum ein lizensierter und regulierter deutscher Onlineglücksspielmarkt, was wir auch nicht bedauern. Das Onlineglücksspiel findet fast ausschließlich im illegalen Bereich statt. Da sich daran auch nach Meinung von Sachverständigen in der Anhörung vom 22. Oktober 2012 aufgrund der vorhandenen Angebots- und Nachfragestrukturen in Zukunft kaum etwas ändern wird, ist eine Reduzierung der Geldwäsche bei Onlineglücksspielen kaum zu erwarten. Allerdings bleibt ein zentraler Ort für Geldwäsche weiter außen vor: Die Spielhallen und Spielotheken. Die Ausschüsse des Bundesrates haben in ihren Empfehlungen vom 11. September 2012 die Einbeziehung der Spielhallen in das Geldwäscheergänzungsgesetz befürwortet, jedoch dabei übersehen, dass bei der letzten Föderalismusreform die Zuständigkeit an die Länder abgegeben wurde. Als Maßnahmenkatalog verwiesen sie analog auf die Instrumente der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Rahmen der geldwäscherechtlichen Aufsicht gemäß § 25 c Abs. 4 Kreditwesengesetz. Aufgrund der hohen Bargeldeinsätze sowie des großen Umsatzpotenzials der Automatenspielgeräte in den Spielhallen wäre deren Einbeziehung dringend geboten gewesen. Die Risikostruktur von Spielhallen und der Automatenspiele der Spielbanken rechtfertigen keine unterschiedliche geldwäschepräventive Beurteilung. Die Spielbanken sind Verpflichtete des Geldwäschegesetzes mit erhöhten Sorgfaltspflichten, dagegen werden die Spielhallen dem Geldwäschegesetz weiter nicht unterliegen. Das offiziell von der Bundesregierung aufgeführte Gegenargument, dass in vielen Fällen die Betreiber der Spielhallen selbst die Geldwäscher seien, steht dem nicht entgegen, sondern den Betreibern der Spielhallen wären spezifische Maßnahmen zur Geldwäscheprävention vorzugeben. Die Berücksichtigung der Spielhallen allein im Rahmen der Gewerbeordnung reicht nicht aus. An das Kernproblem der Geldwäschebekämpfung in Deutschland traut sich die Bundesregierung auch weiterhin nicht heran: die völlig unzureichende Durchführung der Geldwäscheaufsicht und -kontrollen im Nichtfinanzsektor – trotz umfassender Kritik von vielen Seiten, zum Beispiel des Bundes Deutscher Kriminalbeamter oder der Financial Action Task Force on Money Laundering, FATF. Im Nichtfinanzsektor liegt die Zuständigkeit für die Aufsicht bei den Bundesländern. Diese gaben sie in vielen Ländern an die Kommunen weiter. Mit der Zuständigkeit der Länder und Kommunen ging allerdings keine (wesentliche) finanzielle Unterstützung einher. Darüber hinaus kommt es bei länderübergreifenden Fällen zu erheblichem Abstimmungs- und Koordinierungsaufwand. Dieser Auffassung ist auch der Bundesrat. Er hat in seiner Stellungnahme vom 21. September 2012 der Bundesregierung mitgeteilt, dass die Länder nicht in der Lage sind, das Geldwäschegesetz umzusetzen. Das sind klare Worte. Der Bundesrat begründet seine Meinung unter anderem mit einer möglichst einheitlichen und effektiven Vorgehensweise und verweist auf Positivbeispiele wie Bankenaufsicht (BaFin) und Zoll. Da der Gesetzgeber die Aufsichtsbehörden nicht spezifizierte, wurden in den Bundesländern die Zuständigkeiten unterschiedlich geregelt und verortet. Während einige Länder die Aufsicht auf ministerieller Ebene beließen, delegierten andere Länder die Zuständigkeit auf die Mittelinstanzen oder auf die örtlichen Ordnungsbehörden. Die Erfassung von länderübergreifenden Sachverhalten verursacht einen erheblichen Abstimmungs- und Koordinierungsaufwand. Die Zersplitterung bei den föderalen Zuständigkeiten führt zu einer Vervielfachung der vorzuhaltenden Ressourcen und zu Vollzugsdefiziten. Den Bundesländern wurden zudem keine hinreichenden Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Eine Sachverständige hat aus der Praxis der Geldwäscheprävention überzeugend dargelegt, warum die Geldwäscheprävention im Nichtfinanzsektor bisher kaum erfolgt ist. Es fehlt an allem: Schulungen, Organisationsanweisungen, Fachkenntnissen, Koordination, Vorgaben zur Auslegung, Kapazitäten, Ressourcen. Die Linke schlägt eine Zentralisierung der Aufga-benwahrnehmung durch den Bund vor, zumindest der Geldwäscheprävention, zum Beispiel Auslegungs- und Anwendungshinweise, Konzernbezug, Auslandsbezug. Dass eine Aufsicht auf Bundesebene gut funktionieren kann, sieht man im Finanzsektor. Seitdem Geldwäscheprävention und -bekämpfung der Bankenaufsicht übertragen wurde, ist dieser Weg Geldwäschern weitestgehend verschlossen. Eine Zentralisierung von Aufgaben lehnt die Bundesregierung jedoch ab. Darüber hinaus fehlt immer noch eine Gesamtstrategie, wie die weiter zunehmende Geldwäsche bekämpft werden kann. Doch die Bundesregierung bleibt ihrer bekannten Politik der kleinen Tippelschritte treu. Es werden lediglich kleine, insgesamt als bescheiden anzusehende Anpassungen des Geldwäschegesetzes vorgenommen – allein 2011 wurden in diesem Gebiet drei Gesetze verabschiedet: das Gesetz zur Optimierung der Geldwäscheprävention, das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und Steuerhinterziehung und das Gesetz zur Umsetzung der Zweiten E-Geld-Richtlinie – und alles nur aufgrund des Drucks aus Europa. So ist es auch bei diesem Gesetz. Als Fazit ist festzustellen, dass das Geldwäschegesetz auch 20 Jahre nach Inkrafttreten nicht umgesetzt wird, Deutschland weiterhin die EU-Geldwäscherichtlinie verletzt und die FATF-Empfehlungen nicht umsetzt. Beim letzten Berichterstattergespräch hatte ich den Eindruck, dass sich alle Berichterstatter einig waren, dass vor allem im Nichtfinanzsektor hinsichtlich der Umsetzung des Geldwäschegesetzes weiterhin dringender Handlungsbedarf besteht. Wir waren uns einig, über das Bundesfinanzministerium die Länder zu bitten, uns die Daten zu liefern, um uns einen Überblick über den Vollzug der Geldwäschevorschriften in den Bundesländern zu verschaffen. Wir sehen, dass auch die Regierungsparteien daran arbeiten wollen, dass Deutschland seinen Status als Europameister in der Geldwäsche nicht weiter erfolgreich verteidigt. Daher werden wir Ihren Gesetzentwurf auch nicht ablehnen, sondern uns enthalten. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das heute vorliegende Geldwäscheergänzungsgesetz betrifft nur einen kleinen Bereich im Gesamtkomplex Geldwäsche. Es ist aber vor allem dieser Gesamtkomplex, der mehr Aufmerksamkeit braucht, als er derzeit bekommt. Genau deswegen hatten wir zur Anhörung zu diesem Gesetz im Finanzausschuss den italienischen Staatsanwalt Scarpinato als Sachverständigen benannt, der sehr eindrücklich den Zusammenhang zwischen Geldwäsche in Deutschland und Mafiaaktivitäten in Italien darlegen konnte. Dies ist nur ein Beispiel für die problematische Auswirkung zu geringer Geldwäscheprävention. Denn Geldwäsche macht Wirtschaftskriminalität, Drogenhandel oder Menschenhandel möglich. Vor diesem Hintergrund sind wir uns ja auch einig, dass die Prävention gegen Geldwäsche gestärkt werden muss und dass das Ausmaß dessen, was in Deutschland an Geldern gewaschen wird, nicht hinnehmbar ist. Die Zahlen des Bundeskriminalamts von vergangener Woche haben dies erneut bestätigt. Vor allem aber ist es problematisch, dass wir feststellen müssen, wenn in diesen Tagen eine Untersuchung des Bundesnachrichtendienstes zu Geldwäsche in Zypern diskutiert wurde, dass Deutschland selbst bei den letzten internationalen Überprüfungen in vielen Punkten nicht gut dastand. Die Financial Action Task Force, die international bei der OECD gegen Geldwäsche operiert, kam in ihrem Deutschlandbericht 2010 zu einem erheblich schlechteren Zeugnis, als es Zypern ein Jahr später erhielt. Damit lässt sich schwer Druck aufbauen. Man könnte die Berichte und ihre Kriterien infrage stellen. Dann müsste man aber auch erklären, warum alle Novellen zur Geldwäsche in Deutschland keinen Fingerbreit weitergehen als das, was von FATF oder EU eingefordert wird. Vor allem fehlt es in Deutschland nach wie vor an einer Gesamtstrategie zur Geldwäsche. Das Abarbeiten internationaler Kritik selbst ist noch keine Strategie. Es wird Zeit, dass wir vom Reagieren zum Agieren übergehen. Dass Deutschland sogar mehrfach von FATF und EU wegen der mangelhaften Geldwäschebekämpfung angemahnt wurde, hatte wiederum oft mit Missständen im Nichtfinanzbereich zu tun, der im Verantwortungsbereich der Länder liegt. Nicht zuletzt scheinen die personellen Ressourcen, die der Geldwäscheprävention gewidmet werden, zu gering zu sein. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit bei den Ausschussberatungen war deshalb erneut, die Umsetzung der bestehenden Normen der Geldwäscheprävention zu thematisieren. Deutschland hat seit 1993 die EU-Normen nicht umgesetzt, und noch immer bestehen massive Defizite in der Umsetzung. Zuletzt hat eine Studie im Auftrag des Bundeskriminalamtes zur Geldwäschethematik im Immobiliensektor dies deutlich gemacht. Ich bin sehr dankbar, dass wir gemeinsam einen Impuls geben, diese Defizite systematisch zu überwinden, indem wir als Berichterstatter aller Fraktionen gemeinsam deutlich gemacht haben, dass in Bezug auf die Umsetzung des Geldwäschegesetzes insbesondere im Nichtfinanzsektor weiterhin dringender Handlungsbedarf besteht. Dies hatte ja auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum vorliegenden Gesetz hervorgehoben. Zweckmäßig ist dafür ein aussagekräftiges Benchmarking. Wir haben uns deshalb im Finanzausschuss darauf verständigt, das Bundesministerium der Finanzen und die Regierungen der Länder zu bitten, vorhandene Vergleichszahlen zum Vollzug der Geldwäschenormen in den Ländern noch in diesem Jahr zu veröffentlichen. Dazu gehören etwa Personalaufwand in Vollzeitäquivalenten, Information von Verpflichteten, durchgeführte Kontrollen, insgesamt bearbeitete Fälle, Verdachtsanzeigen von Verpflichteten, Beanstandungen und Ordnungsmaßnahmen gegen Verpflichtete etc. Soweit die für ein aussagekräftiges Benchmarking notwendigen Vergleichszahlen heute noch nicht vorliegen, wird gebeten, diese zeitnah zu erheben und zu veröffentlichen. Sinnvollerweise schließt der vorliegende Gesetzentwurf mit dem Online-Glücksspielmarkt eine Lücke in der bisherigen Geldwäschegesetzgebung. Es wurde dabei viel um Sorgfaltspflichten gerungen, was durch die Kombination von Non-face-to-face-Geschäften mit elektronischen Zahlungsmitteln eine schwierige Aufgabe bleibt, die uns weiter ständig beschäftigen wird. Das Gesetz beinhaltet daher eine Rechtsverordnungsermäch-tigung, um auf den schnellen Wandel von Kundenan-nahmeprozessen reagieren zu können. Die Diskussion bestätigt, wie wichtig es war, dass die Berichterstatter bei der letzten Novelle fraktionsübergreifend eine Evaluation der informationstechnischen Aspekte vereinbart haben. Es wird nicht nur die zuständigen Behörden, sondern auch uns als Parlament weiter in Anspruch nehmen, wenn wir Geldwäscheprävention, zeitgemäße Geschäftsabwicklung und Datenschutz in ein stabiles Gleichgewicht bringen wollen. Beim Onlineglücksspiel kommt selbstverständlich die Suchtprävention hinzu. Als Finanzausschussmitglieder stehen wir vor der Herausforderung, diese Aspekte stets mit zu berücksichtigen. Im aktuellen Gesetzgebungsprozess wurde keine rechtlich wasserdichte Lösung für das Geldwäscherisiko der Spielhallen gefunden, die als allgemein befriedigend empfunden wird. Der im Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen vorgeschlagene Paragraf zur geldwäscherechtlichen Aufsicht über Spielhallen wurde laut Bundesregierung aus verfassungsrechtlichen Gründen fallen gelassen, da ein Eingriff in Länderkompetenzen vorliege und außerdem die Kompetenzen der Phy-sikalisch-Technischen Bundesanstalt ausgehöhlt werden würden. Die Tatsache, dass der Finanzausschuss des Bundesrats den vorgeschlagenen Paragrafen jedoch befürwortete, sollte als Anlass genommen werden, schnellstmöglich eine wirksame Lösung zu erarbeiten. Auch hier müssen Bund und Länder koordiniert von den gesetz-lichen Grundlagen bis zu einem praktikablen Vollzug zusammenarbeiten. Der Verweis auf Gesetzgebungskompetenzen der Länder ist noch lange keine Lösung des Problems. Vor allem aber reicht der Verweis auf den neuen Entwurf der Spielverordnung nicht aus. Zum einen liegt uns dieser Entwurf nicht vor. Ich weiß also nicht, ob er die Problematik der Zulassung manipulierbarer Geräte und manipulierbaren Zubehörs wirklich löst. Zum anderen reicht der Fokus auf die Geräte allein nicht aus. Notwendig sind deswegen, wenn die bundesgesetzliche Regelung nicht funktioniert, landesgesetz-liche Regelungen. Vor diesem Hintergrund werden wir uns enthalten. Wir stellen uns darauf ein, dass schon bald die nächste Gesetzgebung im Geldwäschebereich kommen wird. Insbesondere werden die Defizite im Immobilienbereich anzugehen sein. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 18) Norbert Schindler (CDU/CSU): In zweiter und dritter Lesung wird heute der Gesetzentwurf der Bundes-regierung zur Änderung des Energiesteuer- und Stromsteuergesetzes abschließend beraten. Lassen Sie mich vorab noch einmal betonen, wie zwingend notwendig es war, eine Nachfolgeregelung für die bestehenden Steuerbegünstigungen für Unternehmen des produzierenden Gewerbes einzuführen, um einem ersatzlosen Wegfall ab dem 1. Januar 2013 zuvorzukommen. Der bisherige Spitzenausgleich, der im Rahmen der ökologischen Steuerreform über die Parteigrenzen hinweg eingeführt worden war, ist von der EU-Kommission beihilferechtlich nämlich nur bis 31. Dezember 2012 genehmigt. Mit diesem Gesetzentwurf wird eine vernünftige und tragfähige Nachfolgeregelung eingeführt, die den in Deutschland energieintensiv produzierenden Unternehmen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erhält. Gemäß der Vorgaben der Europäischen Kommission war eine Eins-zu-Eins-Fortführung der steuerlichen Regelungen nur in Verbindung mit Energieeffizienzsteigerung möglich, was ich auch einhellig begrüße. Schlussendlich konnten wir damit sowohl den Kreis der Begünstigten als auch das Gesamtentlastungsvolumen erhalten. Zwei Ziele galt es bei der Gesetzgebung im Auge zu behalten, um auch die Notifizierung bei der Kommission zu gewährleisten: Erstens das Ziel, das produzierende Gewerbe von einem Teil der Strom- und Energiesteuererhöhungen im Rahmen der ökologischen Steuerreform zu entlasten. Zweitens das Ziel, die Unternehmen des produzierenden Gewerbes entsprechend der Vorgaben aus dem Energiekonzept der Bundesregierung zu verpflichten, einen größeren Beitrag zu Energieeinsparungen zu leisten. In der Umsetzung haben wir nun festgelegt, dass die Gewährung des Spitzenausgleichs nur noch dann möglich ist, wenn die Unternehmen Energiemanagement- oder Umweltmanagementsysteme betreiben und mit diesen nachweisen können, dass sie jährlich festgeschriebene Mindesteffizienzziele einhalten. Gleichzeitig wird der Geltungszeitraum dieser Nachfolgeregelung für den sogenannten Spitzenausgleich ab dem 1. Januar 2013 auf einen Zeitraum von zehn Jahren erweitert, was wir sehr begrüßen. Somit ergibt sich für die betroffenen Unternehmen Planungssicherheit in Bezug auf die Steuerentlastung, aber auch auf die Kosten für Implementierung und Überwachung von Energie- und/oder Umweltmanagementsystemen. Lassen Sie mich in einem kurzen Exkurs noch einmal auf die grundsätzliche Notwendigkeit der Entlastung der Unternehmen des produzierenden Gewerbes von der Energie- und Stromsteuer zurückkommen. Als die Steuer 1999, damals noch Ökosteuer (welch schönes Wort) genannt, von der rot-grünen Regierung eingeführt wurde, hatte diese schon damals ein Einsehen, dass die rund 25 000 energieintensiven Unternehmen in Deutschland eine Befreiung von dieser Steuer benötigen. Schon damals wurde eine Ökosteuerbefreiung bzw. -ermäßigung eingeführt. Wenn Rot, Grün und Links uns heute vorwerfen, die deutsche Industrie würde mit dem Spitzenausgleich subventioniert, so entbehrt das jeder Grundlage. Es geht hier um nicht weniger als um den Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit energieintensiv produzierender Unternehmen in Deutschland. Anders als bei der von Rot-Grün eingeführten Vorgängerregelung werden nun die Unternehmen, die einen Spitzenausgleich haben wollen, stark an die Kandare genommen. Die zu erreichenden Zielwerte der jährlichen Reduzierung des Energieverbrauchs für die Antragsjahre 2015 bis 2017 belaufen sich auf jeweils 1,3 Prozent, danach auf jährlich 1,35 Prozent, was ambitioniert ist und sich von der „alten“ Regelung maßgeblich unterscheidet; denn nun sind die Unternehmen gezwungen, Systeme zur Verbesserung der Energieeffizienz einzuführen und diese entsprechend nachzuweisen. Gleichzeitig sind diese Zielwerte Grundlage für die beihilferechtliche Genehmigung durch die Europäische Kommissio bzw. für die Notifizierung bei der Europäischen Kommission. Abweichend vom Gesetzentwurf der Bundesregierung haben die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP mit dem Änderungsantrag zur Fortschreibung der Zielwerte für die zu erreichende Reduzierung der Energieintensität für die Jahre 2019 bis 2022 diese Zielwerte über das Antragsjahr 2018 hinaus auch für die Antragsjahre 2019 bis 2022 bereits jetzt gesetzlich fixiert. Damit kann die Prüfung für die oben angegebene Genehmigung schon für die gesamte Laufzeit von zehn Jahren erfolgen. Es bleibt jedoch weiterhin bei der Überprüfung der Zielwerte im Jahr 2017 im Rahmen einer Evaluation. Um kleinere und mittlere Unternehmen nicht über Gebühr zu belasten, sollen für diese die Möglichkeit bestehen, alternative, kostengünstigere Systemen zur Verbesserung der Energieeffizienz einführen zu können. Hierzu bedarf es einer praktikablen Lösung für den deutschen Mittelstand, die jedoch hier im Energiesteuer- und Stromsteuergesetz nicht fixiert werden kann. Eine entsprechende, in Arbeit befindliche Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie soll demnächst in Kraft treten; für eine zeitnahe Umsetzung im Sinne des deutschen Mittelstandes mache ich mich hier noch einmal stark. Die kleinen und mittleren Unternehmen müssen bald den Aufwand für die Implemen-tierung und das Betreiben der oben angegebenen Überwachungssysteme berechnen können, um über eine mögliche Inanspruchnahme des Spitzenausgleichs entscheiden zu können. Mit der Branchenlösung, die gerade auch auf die kleinen und mittleren Unternehmen zugeschnitten ist, werden auch die Unternehmen berücksichtigt, die sich – auch aus wirtschaftlichen Gründen – schon in der Vergangenheit um Energieeinsparungen bemüht haben und zum heutigen Zeitpunkt so gut dastehen, dass weitere Energieeffizienzsteigerungen auf absehbare Zeit nicht mehr wirtschaftlich zu stemmen sind. Bei Einzelbetrachtung des Unternehmens könnten sie nicht vom Spitzenausgleich profitieren, da sie die geforderte jährliche Einsparung nicht mehr erbringen; mit der Glockenlösung für ihre Branche sind sie jedoch als Vorreiter in Effi-zienzfragen mit dabei. Mit der Nachfolgeregelung für den Spitzenausgleich wurde ein sinnvoller Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie geschaffen, und die Wettbewerbsfähigkeit auch der kleinen und mittleren Unternehmen kann so gesichert werden. Gerade in meinem Wahlkreis, im Grenzgebiet zu Frankreich gelegen, machen die circa 2 Cent Stromsteuer pro Kilowattstunde zahlen oder nicht zahlen einen großen Unterschied. Eine Zusatzbelastung um diesen Betrag für ein auf deutscher Seite gelegenes Unternehmen, das ein Großverbraucher ist – und um die geht es hier ja –, führt dazu, dass sich dieses dem grenzüberschreitenden Wettbewerb nicht mehr stellen kann. Denn neben den nicht existierenden oder niedrigen Stromsteuern in den Nachbarländern sind gerade in Frankreich die Strompreise deutlich niedriger als bei uns und auch nicht mit einer EEG-Umlage belastet. Aber das ist nicht das heutige Thema, auch wenn es dazu viel zu sagen gäbe. Neben den Regelungen zum „neuen“ Spitzenausgleich haben wir weitere Änderungen am Energiesteuer- und Stromsteuergesetz vorgenommen. Ein wichtiger Punkt ist die Steuerentlastung für die Stromerzeugung und die gekoppelte Erzeugung von Kraft und Wärme, KWK-Anlagen. Die Auszahlung der Steuerentlastung war seit 1. April 2012 eingestellt, da sich die beihilferechtlichen Vorschriften des Unionsrechts geändert hatten und eine Fortführung im vorherigen Maße nicht mehr möglich war. Nach der Neuregelung kann die Auszahlung auch rückwirkend bis April 2012 vorgenommen werden. Die Steuerentlastung kann aber nur bis zum möglichen Auslaufen der Genehmigung durch die Europäische Kommission, die neue Kriterien dafür festlegt, erfolgen. Darüber hinaus wird nun im Gesetzentwurf eine Regelung zur Steuerbefreiung von verflüssigtem Erdgas, liquefied natural gas – LNG, für die gewerbliche Schifffahrt getroffen. Da der Einsatz von verflüssigtem Erdgas als Kraftstoff für die Schifffahrt aufgrund umweltpolitischer Aspekte weltweit an Bedeutung gewinnt – im Vergleich zu herkömmlichem Schweröl lassen sich mit verflüssigtem Erdgas die Schwefel- und Partikel-Emissionen sowie der Stickoxidausstoß signifikant verringern –, wurde der Kreis der Energieerzeugnisse, die steuerfrei in Wasserfahrzeugen für die gewerbliche Schifffahrt verwendet werden dürfen, deshalb auf verflüssigtes Erdgas ausgedehnt. Damit sollen insbesondere Wettbewerbsnachteile gegenüber den bestehenden Versorgungsmöglichkeiten mit steuerfreiem Flüssigerdgas in anderen EU-Mitgliedstaaten vermieden werden. Lassen Sie mich als letzten Punkt noch auf die Erweiterung des Gesetzentwurfes um die Änderungen des Luftverkehrsteuergesetzes eingehen: Natürlich räume ich ein, dass durch die Erweiterung der zu regelnden Tatbestände im Luftverkehrsteuergesetz die Verabschiedung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und Stromsteuergesetzes verzögert worden ist. Da jedoch im Hinblick auf das Inkrafttreten des Luftverkehrsteuergesetzes zum 1. Januar 2013 kein eigenständiger Gesetzentwurf mehr eingebracht werden konnte, war eine Ergänzung des vorliegenden Gesetzentwurfes notwendig geworden. Die Entscheidung der Opposition, ein weiteres Fachgespräch zu verlangen, hat den Gesetzgebungsprozess nun aber auch nicht gerade beschleunigt. Aber sei’s drum, das Ergebnis ist dafür aus meiner Sicht hochgradig zufriedenstellend. Mit der Anpassung des Luftverkehrsteuergesetzes werden die abgesenkten Steuersätze bei der Luftverkehrsteuer, die sich aus der Einbeziehung des Luftverkehrs in den europäischen Emissionshandel ergeben, dauerhaft fortgeführt. Die Anpassung ist deshalb notwendig, da im ersten Halbjahr 2012 keine Versteigerung von CO2-Zertifikaten stattgefunden hat, auf deren Grundlage die Steuersätze berechnet werden können. Damit wurde eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Erhöhung der Gesamtbelastung der Luftfahrtunternehmen vermieden und diese bei etwa 1 Milliarde Euro im Jahr 2013 gedeckelt. Sicherlich lässt sich über den grundsätzlichen Sinn und die Wirkung der Luftverkehrsteuer trefflich streiten, so wie dies auch im Fachgespräch am letzten Montag passiert ist. Dabei ist zu konstatieren, dass die Änderungen den Umweltverbänden nicht weit genug gehen. Ihnen wäre eine höhere Luftverkehrsteuer deutlich lieber, um damit eine größere Steuerungswirkung zu entfalten. Dies wäre im innerdeutschen Bereich der Umstieg auf die Bahn und im internationalen ein möglicher Verzicht auf Flugreisen und damit einhergehend auch eine Reduzierung der Flugbewegungen in Deutschland. Die Luftverkehrsunternehmen fühlen sich durch die Luftverkehrsteuer über Gebühr belastet und plädieren auf eine Reduzierung bzw. Abschaffung. Im Lichte dieser Anhörung und der diametral gegensätzlichen Positionen kann ich nur feststellen: Die Änderungen im Luftverkehrsteuergesetz sind genauso ausgewogen und vernünftig wie die im Energiesteuer- und Stromsteuergesetz. Auch hier stehen die Maßnahmen im Einklang mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundes-regierung und der Europäischen Union, indem sie -Anreize zu einem weniger extensiven Umgang mit Energieressourcen bieten. Und auch hier ist uns ein ausgewogener und gelungener Schritt zum Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit gelungen. Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): Zum Ende einer Legislaturperiode wird im Parlament manches unerfreulich. Die Regierung verabschiedet sich endgültig von all den großen Vorhaben, die sie mal im Koalitionsvertrag vereinbart hatte. Erinnern sich die Koalitionäre noch an den großen Wurf, mit dem sie das Chaos bei den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen beseitigen wollten? Gegen eigene Überzeugungen, sowohl haushalterischer, als auch inhaltlicher Natur werden nun noch ein paar Steuergeschenke gemacht. Diesmal nicht nur an die eigene Klientel als Dankeschön, sondern an möglichst viele Menschen in der Hoffnung, dass dies die ein oder andere Wählerstimme mehr bringt. Aber auch für uns in der Opposition wird es ungemütlich. In der Vergangenheit haben wir uns zwar auch nur über, nicht mit dieser Regierung amüsiert, aber jetzt will sie plötzlich die Versäumnisse der letzten Jahre nachholen und noch schnell ganz ganz viel durchdrücken. Sie wählt dabei Verfahren, die eine ordentliche parlamentarische Prüfung unmöglich machen. Bei dieser Regierung muss man leider inzwischen davon ausgehen, dass sie so etwas auch ausnutzt. Wohl oder übel machen wir in der Opposition das Verfahren mit. Was bleibt uns anderes übrig? Wir könnten beleidigt nicht mehr mitarbeiten. Oder wir können, wie es unsere Aufgabe ist, die inhaltlichen Fehler und die Fehler im System benennen und auf den mündigen Wähler zählen. Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, eine mündige Wählerin, ein mündiger Wähler kann Sie doch nicht mehr ernsthaft wählen. Das Verfahren beim Jahressteuergesetz 2013 und beim Verkehrsteueränderungsgesetz waren schlimm genug, aber hier mit dem Verfahren zum Energiesteuer- und Stromsteuergesetz setzen Sie dem ganzen doch die Krone auf. Oder wollen Sie das etwa in Zukunft noch mal steigern? An Ihrem eigentlichen Gesetzentwurf gab es bereits genug Kritik. Zum Beispiel die, dass er mit dem ersten fachlichen Referentenentwurf aus dem Bundesfinanzministerium nichts mehr gemeinsam hatte. Warum ist dieser erste Entwurf eigentlich verschwunden? Konnten Sie dem Druck der Wirtschaft nicht standhalten? Umso glücklicher war die Wirtschaft bestimmt, als die Bundesregierung ihr vertraglich zugesichert hat, dass es so schlimm nicht werden würde, sondern dass sich die Wirtschaft auf moderate Einsparforderungen verlassen könne und – falls politisch mal anders regiert würde – der Vertrag ja eine gute Basis für Schadenersatzansprüche darstellen würde. Glücklich war die Wirtschaft auch, als die Glockenlösung beschlossen wurde und als klar war, dass die Einsparungen an Energieeffizienz, die mit 1,3 Prozent jährlich erwartet werden, von selbst eintreten würden, ohne eigene Anstrengung der Wirtschaft. Es ist wirklich schade, dass man dem Gesetz als verantwortungsvolle Politikerin einfach nicht zustimmen kann. Den Spitzenausgleich für energieintensive Wirtschaftsunternehmen wollen wir nämlich. Energiemanagementsysteme und Energieeffizienzsteigerung als Gegenleistung für den Spitzenausgleich sind richtig. Die Umsetzung, gemessen an den Energiesparzielen, ist aber mangelhaft bis ungenügend. Aber richtig schlimm wird es dann erst bei den Änderungsanträgen, die uns die Regierungskoalition vorlegt. Dass die Luftverkehrssteueränderung aus Zeitgründen mit ins Gesetz gezogen wird, mag man noch verstehen. Inhaltlich ist der Entwurf jedoch Mist. Die Deckelung der Einnahmen auf 1 Milliarde Euro ist pure Klientelpolitik. Oder machen wir das in anderen Bereichen jetzt auch so? Die Einnahmen aus der Mineralölsteuer könnte man doch auch deckeln, oder? Wenn man das verkürzte Verfahren bei der Luftverkehrsteuer akzeptiert, müsste man das nicht auch bei den Änderungen zur Kraft-Wärme-Koppelung tun? Das Gesetz ist ohne Zweifel eilbedürftig. Der Clou liegt jedoch im Detail. Dass das Gesetz eilbedürftig ist, hat nämlich die schwarz-gelbe Bundesregierung zu verantworten, die sehr spät bei der EU den Antrag auf Verlängerung der Beihilfe gestellt hat. Der EU einen Knochen hinzuhalten und ihr zu sagen: „Nun spring aber bitte jetzt“, funktioniert eben nicht. Die EU prüft in ihrem eigenen Rhythmus, und die Bundesregierung muss das auch wissen. Dass die Steuerbeihilfe für Kraft-Wärme-Koppelung seit März ohne beihilferechtliche Genehmigung im Gesetz steht, ist die Schuld der Bundesregierung. Vor diesem Hintergrund versteht man jetzt natürlich, dass Sie von der Koalition die Neuregelung nach erteilter Beihilfegenehmigung schnellstens auf den Weg bringen wollen. Und man kann Ihnen auch fast verzeihen, dass Sie den Antrag erst in der Woche der Beratung vorlegt. Im Vergleich zur letzten Sitzungswoche, wo über 30 Änderungsanträge erst am Dienstag um 20 Uhr vorlagen und andere erst Minuten vor Beginn der Ausschusssitzung, ist das ja auch fast geruhsam. Nicht nachgesehen werden kann Ihnen aber der Änderungsantrag zur Fortschreibung der Zielwerte. Er wurde am Tag vor der Beratung dem Ausschuss überreicht. Das war nach den Sitzungen der Arbeitsgruppen, die darüber beraten wollen und sollen. In diesem Fall ist das Verfahren aber noch die kleinere Unverschämtheit. Denn es geht Ihnen nicht um zeitliche Eilbedürftigkeit, sondern darum, durch die Hintertür und ohne großes Aufsehen die Wirtschaft noch besser abzusichern. Ich würde, wenn ich nicht per se gegen jede Art von Glücksspiel wäre, Ihnen eine Wette anbieten. Ich würde wetten, dass die Wirtschaft nach dem Fachgespräch zum Energiesteuer- und Stromsteuergesetz noch einmal auf Sie zugekommen ist. Denn wir hatten es in der Anhörung gewagt, die Möglichkeit anzudeuten, dass nach einem Regierungswechsel die Energieeffizienzeinsparungen hinsichtlich der Höhe noch einmal überprüft werden könnten. Das muss wohl so sauer aufgestoßen sein, dass die Wirtschaft die Regierung gebeten hat, sie möge dann doch – Evaluierung 2017 hin oder her – lieber die Steigerungswerte bis 2022 festlegen. Sicher sei sicher. Ich müsste garantiert kein Fortuna-Düsseldorf-T-Shirt anziehen. Die Wette gewänne ich nämlich. Die Evaluierung wird dadurch fast eine solche Farce, wie Ihr gesamtes Gesetzgebungsverfahren es ist. Dr. Birgit Reinemund (FDP): Die EU-beihilferechtliche Genehmigung des Spitzenausgleichs im Energie- und Stromsteuergesetz läuft am 31. Dezember 2012 aus. Um unseren energieintensiven produzierenden Unternehmen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit und damit Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten, besteht dringender Handlungsbedarf, um die Fortführung zum Jahreswechsel zu gewährleisten. Gemäß EU-Kommission ist die beihilferechtliche Genehmigung nur noch in Verbindung mit dem Nachweis von Energieeffizienzsteigerung möglich. Nach langen konstruktiven Gesprächen mit allen Beteiligten beschließen wir heute eine sowohl für unseren Wirtschaftsstandort Deutschland als auch für die Belange der Umwelt gute und praktikable Lösung. Die steuerlichen Regelungen der bisherige Spitzenausgleich, die ja erst 2010 abgesenkt wurden, werden eins zu eins fortgeführt: sowohl der Kreis der Begünstigten als auch das Gesamtentlastungsvolumen in Höhe von rund 2,3 Milliarden Euro bleiben gleich. Damit die beihilferechtlichen Voraussetzungen von der Europäischen Kommission bereits jetzt für insgesamt zehn Jahre abschließend geprüft werden können, schreiben wir die Zielwerttabelle bis 2022 fort. Damit schaffen wir Rechts- und Planungssicherheit für die Unternehmen. Eine eventuelle Verschärfung der Effizienzziele nach der Evaluation 2017 bleibt dennoch jederzeit möglich. Mit diesem Gesetzentwurf werden wir die Wettbewerbsfähigkeit von rund 25 000 energieintensiven Unternehmen in Deutschland sicherstellen und gleichzeitig diesen Unternehmen Anreize geben, ihren Energiebedarf effizient zu gestalten. Solange wir die europaweit und international überdurchschnittlichen Belastungen durch die Ökosteuer haben, so lange brauchen wir die Entlastung durch den Spitzenausgleich. Die Industriestrompreise in Deutschland bewegen sich im internationalen Vergleich am oberen Ende. Zusätzlich wird die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen durch die EEG-Umlage und den Zertifikatenhandel weiter geschwächt. Der durchschnittliche Strompreis im Jahr 2011 lag in Deutschland ohne Berücksichtigung von Abgaben und Steuern um 10 Prozent höher als im Mittel der EU. Unter Mitberücksichtigung von Abgaben und Steuern ist der Strompreis in Deutschland um 38 Prozent höher als im EU-Durchschnitt. Der Industriestrompreis liegt in Deutschland bei 12 Cent pro Kilowattstunde, im Vereinigten Königreich hingegen wurden weniger als 10 Cent pro Kilowattstunde fällig. Noch geringere Kosten haben die Unternehmen in Frankreich, wo der Strompreis bei etwa 8 Cent pro Kilowattstunde beträgt und somit rund ein Drittel unter dem deutschen Strompreis liegt. Die Fortführung des Spitzenausgleiches bei der Stromsteuer ist daher notwendig, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland mit seinen 600 000 direkten Arbeitsplätzen und insgesamt 2,5 Millionen Arbeitsplätzen in der Wertschöpfungskette nicht zu gefährden. Mit der Weiterführung des Spitzenausgleichs handeln wir im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie im Sinne der Unternehmen. Sie ist ein Gebot des sozialen Friedens und der volkswirtschaftlichen Vernunft. Um dem EU-Beihilferecht zu genügen und weil es ökologisch richtig ist, setzen wir Anreize für Unternehmen zu einem effizienten Energieverbrauch. Den Spitzenausgleich gibt es nicht zum Nulltarif. Die betroffenen Unternehmen des Produzierenden Gewerbes müssen – wenn sie vom Spitzenausgleich profitieren wollen – Energie- und Umweltmanagementsysteme nach deutlich anspruchsvollerer DIN-Norm einführen und die Verbesserung der Energieeffizienz nachweisen. Um auch kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit zu eröffnen, vom Spitzenausgleich zu profitieren, werden von ihnen weniger kostenintensive alternative Managementsysteme gefordert. Das war uns Liberalen ein großes Anliegen. Eine Überforderung wäre für viele kleine und mittlere Unternehmen existenzgefährdend. Auch die dreijährige Übergangsfrist ist eine vernünftige Zeitspanne für solche kosten- und arbeitsintensive Einführungsphasen von Energie- oder Umweltmanagementsystemen. Die Übergangsregelung ist auch deshalb notwendig, um die bisher nicht flächendeckend bestehende Infrastruktur für die Bereitstellung der Gutachter sowie die Zertifizierung aufzubauen. Stellen Unternehmen in den Jahren 2013 und 2014 Anträge, um den Spitzenausgleich zu erhalten, müssen sie nachweisen, dass sie mit der Einführung eines Energiemanagementsystems, EMS, begonnen haben. Ab dem Antragsjahr 2015 muss das EMS vollständig implementiert sein. Zusätzlich müssen die Unternehmen ambitionierte Effizienzziele von 1,3 Prozent in 2013 und von 1,35 Prozent pro Jahr ab 2016 erreichen. Wie ambitioniert die definierten Mindesteffizienzziele sind, war durchaus strittig unter den Experten. Ein Gutachten der Energy Environment Forecast Analysis, EEFA, vom April 2012 kommt zum Ergebnis, dass Unternehmen bei den jetzigen Vorgaben ihre Effizienz-anstrengungen künftig verdreifachen müssen. In der Zeit zwischen 2010 und 2020, so das Gutachten, würde die Energieeffizienz der Industrie als Ganzes im „business as usual“-Szenario lediglich mit einer durchschnittlichen Rate von 0,41 Prozent pro anno zunehmen. Den Grünen ist das dennoch nicht genug. So drohte Frau Paus offen im Finanzausschuss, den Spitzenausgleich bei einem eventuellen Regierungswechsel sofort abzuschaffen. Unglaublich! Damit nimmt sie billigend in Kauf, dass deutsche Unternehmen ins Ausland abwandern. Ein solches Risiko für die Arbeitsplätze in diesem Land wollte seinerzeit nicht einmal Herr Trittin eingehen. Ein weiterer Bestandteil des Gesetzentwurfs betrifft die KWK-Anlagen. Die bislang vollständige Steuerentlastung für KWK-Anlagen wurde von der Europäischen Kommission nur bis 31. März 2012 genehmigt. Ausdrücklich begrüße ich, dass es gelungen ist, die steuerliche Förderung von KWK-Anlagen weiter sicherzustellen. Das ist wichtig vor dem Hintergrund, dass im Zuge der Energiewende die Bedeutung der KWK-Anlagen deutlich zugenommen hat. Nach der nun aufgenommenen Regelung können künftig alle KWK-Anlagen unter den bisherigen Voraussetzungen eine Steuerentlastung bis auf die Mindeststeuersätze nach der Energiesteuer-Richtlinie erhalten. Eine vollständige Steuerentlastung bleibt künftig auf diejenigen KWK-Anlagen beschränkt, die zusätzlich das Hocheffizienzkriterium der KWK-Richtlinie erfüllen. Dies wäre auf die Dauer der steuerlichen Absetzung für Abnutzung beschränkt. Mit der Anpassung des Luftverkehrssteuergesetzes schreiben wir die Steuersätze für das Jahr 2013 fort. Natürlich gibt es über die Notwendigkeit dieser Abgabe diametral entgegengesetzte Aussagen. Über Sinn und Unsinn oder Lenkungswirkung einer solchen Abgabe lässt sich grundsätzlich diskutieren. Darum geht es heute jedoch nicht. Die vorgesehene Fortschreibung der Abgabenstaffelung wurde notwendig, da im ersten Halbjahr 2012 keine Einnahmen aus der Einbeziehung der Luftverkehrsteuer in den europäischen Emissionshandel vorhanden waren, auf deren Grundlage die Steuersätze hätten realistisch berechnet werden können. Daher werden die Steuersätze 2013 gedeckelt auf dem Niveau von 2012. Und das ist gut so. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Für die Linke bleibt auch nach der Anhörung festzustellen: Die Fortführung des Spitzenausgleichs über das Jahr 2012 hinaus ist an keine relevante Anstrengung der Industrie geknüpft, die Energieeffizienz zu steigern. Darum lehnen wir sie ab. Der – erst ab dem Jahr 2015 – zu erreichende Zielwert für die Minderung der Energieintensität von 1,3 Prozent pro Jahr entspricht laut Trendprognose der EU exakt der ohnehin erwartbaren Effizienzsteigerung. Das BMU geht in Hauspapieren sogar von 1,6 bis 1,8 Prozent aus! Die Regelung ist also nichts anderes als ein Geschenk an die Wirtschaft. Im Übrigen wurde in der Anhörung ja deutlich, dass bei der Berechnung des Energieeffizienzindikators auch die Energieversorgungsunternehmen einbezogen werden. Das DIW machte klar, dass durch den Ersatz von fossilen und Kernbrennstoffen durch Solar- oder Windenergie statistisch große Effizienzverbesserungen vorgegaukelt werden, ohne dass bei der Industrie tatsächlich etwas passiert. Denn die alten Brennstoffe weisen in der Umwandlung Effizienzverluste von 45 bis 70 Prozent auf, für die Erzeugung von CO2-freiem Ökostrom dagegen wird für diesen Zweck statistisch eine Effizienz von 100 Prozent unterstellt. Zudem werden in der Vorgabe keine individuellen Einzelnachweise der Unternehmen über erzielte Energieeinsparungen verlangt. Das wurde ja auf Druck des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Den Nachweis muss nun nur noch der Wirtschaftszweig insgesamt liefern. Ferner wird das Verfahren nicht vom Gesetzgeber geregelt, sondern über die am 1. August 2012 zwischen Bundesregierung und Industrie abgeschlossene „Effizienzvereinbarung“. Diese läuft am Parlament vorbei über zehn Jahre, in denen der Bundestag dreimal neu gewählt wird. Ohnehin sind die darin festgelegten Verpflichtungen zur Einführung und zum Betrieb von Energiemanagementsystemen bzw. zur Durchführung von Energieaudits bereits europarechtlich vorgeschrieben – die EU-Energieeffizienz-Richtlinie wurde im Juni dieses Jahres verabschiedet! Insofern erfolgt der Spitzenausgleich auch in dieser Hinsicht ohne Gegenleistung, wie auch die Deutsche Umwelthilfe in ihrer lesenswerten Stellungnahme feststellt. Das Ganze erfüllt also den Tatbestand einer reinen Subvention. Nicht zuletzt werden aufgrund der Architektur des Spitzenausgleichs einer bestimmten Gruppe von Unternehmen Vorteile bei der Steuerlast eingeräumt, welche andere Unternehmen hingegen tragen müssen. Dies dürfte eine Wettbewerbsverzerrung darstellen. Das Vorhaben der Bundesregierung, den Spitzenausgleich bis 2022 ohne adäquate umweltpolitische Gegenleistung zu verlängern, ist nur eine Facette unberechtigter Privilegien für die energieintensive Industrie. Weitere gibt es im EEG, bei den Netzentgelten oder beim EU-Emissionshandel, das hat Arepo Consult in seiner Stellungnahme noch einmal deutlich gemacht. In der Summe führen diese Begünstigungen zu enormen Umverteilungen von den privaten Haushalten und kleinen Firmen hin zu energieintensiven Unternehmen sowie zu zusätzlichen Haushaltsbelastungen, wie bereits der Antrag unserer Fraktion „Unberechtigte Privilegien der energieintensiven Industrie abschaffen – Kein Sponsoring der Konzerne durch Stromkunden“ auf der Drucksache 17/8608 feststellte. Wir haben darum heute einen Entschließungsantrag in den Ausschuss eingebracht, der dies erneut thematisiert. Die Bundestagsfraktion Die Linke will nicht leichtfertig Arbeitsplätze auf Spiel setzen. Wir fordern jedoch, Privilegien abzubauen, die mit Standortsicherung nicht das Geringste zu tun haben. Unterstützung soll es künftig nur noch dann geben, wenn Unternehmen ansonsten nachweislich Wettbewerbsnachteile erleiden müssten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Produktionsverlagerungen ins außereuropäische Ausland oder Schließungen führen würden. Zum Nachweis müssen zwei Kriterien gleichzeitig erfüllt sein: Erstens. Sie produzieren trotz einer Produktion nach „Stand der Technik“ technologiebedingt überdurchschnittlich energie- bzw. CO2-intensiv. Zweitens. Sie stehen mit dem Hauptteil dieser Produkte im Wettbewerb mit außereuropäischen Unternehmen, welche keinen adäquaten umweltpolitischen Regelungen unterliegen. Zur Luftverkehrsteuer: Wir befürworten ihre Beibehaltung, allerdings haben wir etliche Kritikpunkte zur derzeitigen Ausgestaltung dieser Steuer. Einige davon wurden auch in dem Fachgespräch am 5. November im Finanzausschuss durch Sachverständige bestätigt. Angesichts der Tatsache, dass der Luftverkehr einer der am meisten subventionierten Verkehrsträger ist – es fällt zum Beispiel keine Kerosinbesteuerung an, auch gilt für internationale Flüge eine Mehrwertsteuerbefreiung –, obwohl der Flugverkehr wesentlich zur Erderwärmung beiträgt, sollten alle Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, dieses Missverhältnis zu reduzieren. Das Umweltbundesamt bezifferte diese fragwürdigen Subventionen auf rund 11,5 Milliarden Euro im Jahr 2010. Daher ist es absolut unverständlich, dass die Einnahmen aus dem Einbezug des Luftverkehrs in den EU-Emissionshandel mit denen aus der Luftverkehrsteuer verrechnet werden und die Gesamteinnahmen insgesamt auf nur 1 Milliarde Euro gedeckelt sind. Die Begrenzung ist paradox. Das bedeutet, je mehr Menschen fliegen, desto mehr müssten die Steuersätze entsprechend gesenkt werden. Das Fliegen würde also tendenziell billiger werden. Das widerspricht der ökologischen Lenkungswirkung, die mit dieser Steuer ja eigentlich erreicht werden soll. Allerdings sind laut Gutachten der TU Chemnitz diese Lenkungswirkungen ohnehin marginal. Daher befürworten wir, eine Erhöhung der Steuersätze vorzunehmen und ebenso eine Steuersatzgestaltung nach Sitzklassen, wie es zum Beispiel auch in Frankreich und Großbritannien gehandhabt wird. Ein höherer Steuersatz insbesondere für Kurzstreckenflüge wäre angebracht, das würde auch der Deutschen Bahn zugutekommen. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bereits seit geraumer Zeit befindet sich das fossile ökonomische System international im Umbruch. Es ist jetzt eine vordringliche politische Aufgabe, die Blockade einer solchen Transformation zu beenden und den Übergang zu beschleunigen. Dies sagt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderung“. Dass der Beirat damit recht hat, wissen oder ahnen mittlerweile alle. Doch die Transformation zu einer emis-sionsarmen und ressourcensparenden Wirtschaftsweise wird nur gelingen, wenn nicht gleichzeitig umweltschädliches Verhalten durch Steuervergünstigungen in Milliardenhöhe gefördert wird. In Deutschland gibt es da noch einiges zu tun. Hier beläuft sich nach Erhebungen des Umweltbundesamtes die Summe der umwelt- und klimaschädlichen Subventionen auf über 48 Milliarden Euro jährlich. Bei der Reform des 2,3 Milliarden Euro teuren Spitzenausgleichs für 23 000 Unternehmen hat die Regierung die Chance vertan, zumindest einen kleinen Teil dieser Subventionen abzubauen. Unternehmen, die weder besonders energieintensiv sind noch im internationalen Wettbewerb stehen, brauchen keine Ausnahmen. Und die Voraussetzungen, die die Bundesregierung nun als Voraussetzung für die weitere Gewährung der Subventionen stellt, sind kein echter Anreiz für einen sparsamen Umgang mit Energie. Das von der Bundesregierung vorgegebene Effizienzziel von 1,3 Prozent ist deutlich zu unambitioniert und unterliegt einer völlig unzureichenden wissenschaftlichen Überprüfung. Bereits in den vergangenen Jahren hat sich die Energieeffizienz der Industrie ohne besondere Anstrengungen bereits um 1,4 Prozent pro Jahr verbessert. In den Ausschussberatungen wurde zudem klar, dass Experten deutlich höhere Einsparziele für möglich halten und der Indikator ungeeignet ist, um zusätzliche Effizienzanstrengungen darzustellen. So werden die ohnehin sehr niedrigen Effizienzzielwerte voraussichtlich allein durch autonome statistische Effekte aufgrund des Ausbaus der erneuerbaren Energien, der Wahl der Basisperiode – Verzerrung der Statistik durch die Wirtschaftskrise 2008/2009 – und der Auswahl der betrachteten Wirtschaftssektoren übererfüllt. Das Berechnungsverfahren ist bislang völlig intransparent und anfällig für politisch motivierte Beeinflussung. Das einheitliche Effizienzziel für das gesamte produzierende Gewerbe, die sogenannte Glockenlösung, ist ein völlig ungeeignetes Verfahren. Damit wird eine Art Gruppenhaftung für Unternehmen eingeführt. Wird das Effizienzziel erreicht, profitieren besonders die Unternehmen, die für die Erreichung des Zieles nichts geleistet haben. Wird das Ziel hingegen nicht erreicht, werden dafür auch die Unternehmen bestraft, die dies überhaupt nicht zu verantworten haben und die aktiv in die Erreichung der Ziele investiert haben. Der Vorschlag des ersten Referentenentwurfs war an diesem Punkt deutlich besser, da er branchenindividuelle Effizienzziele vorgegeben hat, die unternehmensindividuell nachgewiesen werden mussten. Doch dieser erste Entwurf wurde im Gezerre innerhalb der Koalition zerrieben. Am Ende hat sich die FDP – als Anwalt von -alten, überkommenen Strukturen in der Industrie – weitgehend durchgesetzt. Das geht auf Kosten von Energieeffizienz einerseits, aber auch auf Kosten der Teile der Wirtschaft, die die Herausforderungen des Klimaschutzes bereits verstanden haben und entsprechend handeln. Die Pflicht zur Einführung von Energiemanagementsystemen wird durch umfangreiche Ausnahmeregelungen für kleine und mittlere Unternehmen aufgeweicht. Das hat keinen sachlichen Grund, da Energiemanagementsysteme nach DIN ISO 50001 geringere und angemessene Anforderungen an kleine und mittlere Unternehmen stellen als an Großunternehmen. Der Verzicht auf unternehmensindividuelle Effizienznachweise mindert die Anreize, im Rahmen von Energiemanagementprozessen gefundene Einsparpotenziale auch umzusetzen. In letzter Minute haben sich die Lobbyisten der energieintensiven Industrie noch einmal durchgesetzt. Per Änderungsantrag werden die wenig ambitionierten Zielwerte bis 2022 festgeschrieben, unter denen die Bundesregierung 2,3 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen weiter gewährt. Doch keine milliardenschwere Subvention darf für ein Jahrzehnt im Voraus beschlossen werden. Die Industrie sollte nicht davon ausgehen, dass der Gesetzgeber in den nächsten zehn Jahren den Spitzenausgleich nicht mehr antastet. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags im Auftrag meiner Fraktion kommt zu dem klaren Ergebnis, dass eine baldige Änderung des Spitzenausgleichs keinen Bruch des Vertrauensschutzes darstellt. Diese Möglichkeit sollte unbedingt genutzt werden, um diese Gesetzesnovelle so schnell wie möglich durch eine bessere Regelung abzulösen. Wie diese Neuregelung aussehen sollte, legen wir in einem Entschließungsantrag zu diesem Gesetz dar. Mit einer Konzentration der Energie- und Stromsteuersubventionen nur auf solche Unternehmen, die gleichzeitig energieintensiv sind und im internationalen Wettbewerb stehen, können dabei mindestens 2 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen abgebaut werden. Mehrere Gutachten zeigen, dass der Spitzenausgleich auch solchen Unternehmen zugute kommt, denen nicht der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit droht und bei denen es noch erhebliches Effizienzpotenzial gibt. Wir sind deshalb dafür, den Spitzenausgleich abzuschaffen, um ihn durch eine Härtefallregelung zu ersetzen, die nur solche energieintensiven Unternehmen unterstützt, die wirklich von einer Verlagerung in Drittstaaten bedroht sind. Daneben fordern wir eine Abschaffung der allgemeinen Strom- und Energiesteuerrabatte für das produzierende Gewerbe und die Land- und Forstwirtschaft. -Bislang profitieren 100 000 Unternehmen von dieser Subvention. Sie haben stärker von der Reduzierung der Lohnnebenkosten durch die Absenkungen der Rentenbeitragssätze profitiert, als sie durch die Anhebung der Steuersätze auf Strom und Energie belastet wurden. Kaum ein Unternehmen, das diese Rabatte in Anspruch nimmt, ist energieintensiv, da in diesen Unternehmen die Wertschöpfung in hohem Maße durch das Personal geschaffen werden muss. Ungefähr 3 500 energieintensive Unternehmen des produzierenden Gewerbes profitieren heute von der 2006 eingeführten und 1,2 Milliarden Euro teuren Regelung, nach der die Steuern auf Strom, Gas und andere Energieträger vollständig erlassen werden, wenn sie für bestimmte energieintensive Prozesse und Verfahren verwendet werden, etwa bei der Metallherstellung, in der Papierindustrie, in Zementfabriken und der Chemie-industrie. Hier wollen wir das Energie- und Stromsteuerrecht so umgestalten, dass auch eine nach Wettbewerbsintensität differenzierte Besteuerung möglich ist. Ein kleiner Lichtblick in diesem Gesetzgebungsverfahren ist der erste Änderungsantrag der Koalition zu diesem Gesetzentwurf. Hier begrüßt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Änderungen und wird deshalb dem Änderungsantrag zustimmen. Die Aufnahme von bestimmten Additiven in das elektronische EMCS-Verfahren macht Sinn ebenso wie die Steuerbefreiung von Flüssigerdgas für die gewerbliche Schifffahrt. Dies senkt die Hürden, Schiffe mit umweltfreundlichem Erdgas zu betanken. Auch die Neuregelung der Steuerentlastung für die gekoppelte Erzeugung von Kraft und Wärme ist vernünftig, weil dies eine dezentrale und effiziente Art der Energieerzeugung mit fossilen Brennstoffen fördert. Seit Monaten quengelt die Luftfahrtindustrie und fordert von der Regierung die Abschaffung der 2011 eingeführten Luftverkehrsteuer. Dabei war die Verabschiedung des Luftverkehrsteuergesetzes eine der wenigen klugen steuerpolitischen Entscheidungen der schwarz-gelben Koalition in dieser Legislaturperiode. Denn die Luftverkehrsteuer trägt dazu bei, wenigstens einen kleinen Teil der Wettbewerbsverzerrung zwischen den Verkehrsträgern abzubauen. Während Dieselloks, Autos und Busse selbstverständlich versteuerten Kraftstoff tanken, müssen die Fluggesellschaften keine Kerosinsteuer zahlen. Bei Flügen ins Ausland verzichtet der Fiskus auf Einnahmen aus der Mehrwertsteuer. Die Steuerausfälle durch die Subventionierung des Luftverkehrs summieren sich so auf mehrere Milliarden Euro. Trotz der Einführung der Luftverkehrsteuer im letzten Jahr wuchs die Branche um 4,8 Prozent. 2012 werden voraussichtlich nochmal 2,7 Prozent mehr Tickets verkauft. Von einer echten Lenkungswirkung ist also nichts zu spüren; dies wurde bei der Expertenanhörung im -Finanzausschuss sehr deutlich. Trotzdem hat sich die schwarz-gelbe Koalition entschieden, die Luftverkehr-steuern dauerhaft abzusenken. Das ist ein Schritt in die falsche Richtung. Die Bundesregierung wollte mit der Einführung der Luftverkehrsteuer Anreize für umweltgerechtes Verhalten setzen. Wenn sie dieses Ziel ernst nimmt, darf sie die Ticketsteuern nicht senken und muss den Konstruktionsfehler bei der Einnahmedeckelung korrigieren. Laut Gesetz sind die Einnahmen aus der Luftverkehrsteuer bei 1 Milliarde Euro gedeckelt. Die Bundesregierung argumentiert nun, die Steuersätze immer weiter absenken zu müssen, um bei steigenden Steuereinnahmen durch mehr Ticketverkäufe diese Vorgabe zu halten. Dieser perverse Wirkmechanismus gehört abgeschafft, indem der Deckel aus dem Gesetz gestrichen wird. Alles in allem ist dieses Gesetz ein weiterer Beleg dafür, dass die Regierung zwar gerne über die Energiewende spricht, aber wirklich jede Chance auslässt, konkrete Schritte auch umzusetzen. Das ist enttäuschend; denn dieses Gesetz wäre eine sehr gute Gelegenheit gewesen, unsere Wirtschaft energieeffizient und damit fit für die Zukunft zu machen. Wir werden deshalb dieses Gesetz ablehnen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Keine Modernisierung der US-Nuklearwaffen in Europa und Deutschland – Abrüstungschancen nicht ungenutzt verstreichen lassen – Abzug statt Modernisierung der US-Atomwaffen in Deutschland (Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Wir reden heute über zwei Anträge der Opposition, die das außenpolitische Handeln der Bundesrepublik Deutschland infrage stellen oder irritieren würden. Beides ist mehr als unnötig. Worum geht es? Niemand in diesem Hohen Hause wird die Abrüstung ablehnen, und auch die Bundesregierung hat Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung als einen Pfeiler der Außen- und Sicherheitspolitik ihres Handelns beschrieben. Das Kernanliegen der Unionsfraktion ist eine Friedenspolitik, die auf Abrüstung setzt und regionale sowie internationale Sicherheit gewährleistet. Die Bürgerinnen und Bürger der USA haben die Obama-Administration wiedergewählt. Es war auch Barack Obama, der in Prag eine Welt frei von Atomwaffen forderte – eine Forderung, die wir vor 20 Jahren niemals für möglich gehalten hätten. Ich möchte hier betonen, dass Barack Obama mit dieser Forderung nicht allein dasteht. Seit seiner Prag-Rede hat auch ein Umdenken im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und in der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag stattgefunden. Wir müssen aber frei von allen Ideologien in den Fraktionen zur Kenntnis nehmen, dass die Welt nach dem Ende des Kalten Krieges nicht sicherer geworden ist. Auch die nuklearen Gefahren sind nicht kleiner, sondern größer geworden. Gefährdungen des globalen Nichtverbreitungsregimes und der regionalen Stabilität durch Staaten wie Iran und Nordkorea sind weiterhin ernst zu nehmen. Nicht zuletzt hier ist die Vision der Bundesregierung über eine nuklearwaffenfreie Welt begründet. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Bemühungen der Bundesregierung bei ihren Abrüstungsbestrebungen. Wir begrüßen das Inkrafttreten des New-START-Vertrages zwischen den Vereinigten Staaten und Russland. Darüber hinaus setzt sich die Bundesrepublik gemeinsam mit ihren Partnern in der Initiative für Nichtverbreitung und Abrüstung für eine rasche Aufnahme von Verhandlungen über ein Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Waffenzwecke und das Inkrafttreten des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen ein. Uns allen ist klar, dass die taktischen Nuklearwaffen ein Relikt des Kalten Krieges sind und dass sie keinen militärischen Zweck per se erfüllen. Wir werden dieses Problem jedoch nur gemeinsam mit unseren Verbündeten lösen können. Auch die europäische Ebene dürfen wir hier nicht aus den Augen verlieren. Unsere östlichen Nachbarn hegen in dieser Debatte andere Vorstellungen, und sie haben auch andere begründete Sicherheitsinte-ressen, die wir berücksichtigen müssen. Ein Abzug der Nuklearwaffen aus der Bundesrepublik wird eine Diskussion in Polen oder den baltischen Staaten auslösen. Diese Diskussion wiederum wird Russland auf den Plan bringen. Ich warne eindringlich vor diesen Debatten und vor einer Destabilisierung unseres Verhältnisses zu unseren östlichen Nachbarn. Auch die Türkei hat weiterhin ein vitales Interesse an den US-Nuklearwaffen. Wir müssen als Teil des NATO-Bündnisses auf diese Interessen eingehen, und wir dürfen unsere Positionen nicht unnötig schwächen oder gar preisgeben. Nicht zuletzt möchte ich hier in Erinnerung rufen, dass die Modernisierung der US-Nuklearwaffen keinesfalls eine Aufrüstung bedeutet. Nein, es ist eine Anpassung der Bestände an die neuen technischen Voraussetzungen. Unsere Bundesregierung hat einen klugen Weg eingeschlagen. Man macht einen Schritt nach dem nächsten. Es war richtig, dass unsere Bundesregierung die Diskussion über die substrategischen Nuklearwaffen innerhalb des Bündnisses angestoßen hat. Der NATO-Gipfel in Chicago war ein Aufbruch in Richtung Abrüstung. Die NATO setzt massiv auf Abrüstung und hat diese zur entscheidenden Säule der Sicherheitsstrategie erklärt. Daher ist eine Modernisierung und Lebensdauerverlängerung, die mit einer Abrüstung einhergeht, der einzig richtige Weg. Ungeachtet aller Abrüstungsbestrebungen ist die CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Meinung, dass die Bundesrepublik zur Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger vorübergehend und nach wie vor auf eine Abschreckungskomponente angewiesen ist. Auch unsere Wahrnehmung durch unsere Verbündeten darf nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Bundesrepublik muss als NATO-Partner stark bleiben. Ich bin mir ganz sicher, dass die nukleare Teilhabe Deutschlands auch die Qualität und die Ernsthaftigkeit bestimmt, wenn es darum geht, wie die Bundesrepublik als internationaler Akteur wahrgenommen wird. Ihre Anträge schaden den sicherheits- und außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, die ein verlässlicher internationaler Partner ist und bleiben wird. Wir lehnen sie daher ab. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Die SPD macht bei diesem Thema gemeinsame Sache mit der Fraktion Die Linke und wirft der Bundesregierung vor, sich von ihrer Zielsetzung, für weltweite nukleare Abrüstung einzutreten, verabschiedet zu haben. Das Gegenteil ist der Fall. Wie im Jahresabrüstungsbericht 2011 beschrieben, sind Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung wichtige Pfeiler der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Während des letzten Jahres war das deutsche Engagement vor allem auf Postkonfliktszenarien und präventive Krisenpolitik ausgerichtet. So hat Deutschland vor allen Dingen mit seinen aktiven Bemühungen, die Verhandlungen der internationalen Staatengemeinschaft mit dem Iran voranzutreiben, wesentlich dazu beigetragen, dass die Diplomatie in dem Konflikt um das iranische Atomprogramm bislang die Oberhand behalten hat. Nichtsdestoweniger besteht die Gefahr unverändert fort, die von Staaten wie Iran oder Nordkorea ausgeht. Vor diesem Hintergrund ist die CDU/CSU-Fraktion ungeachtet aller Abrüstungsbestrebungen der Ansicht, dass wir zur Gewährleistung der Sicherheit Deutschlands nach wie vor auf eine nukleare Abschreckungskomponente der NATO angewiesen sind. Zu dieser Einschätzung gelangten auch alle NATO-Partner anlässlich der Überprüfung des Verteidigungs- und Abschreckungsdispositivs der NATO. Über Monate hinweg hatten sich während dieses Überprüfungsprozesses dieses Jahr die NATO- Mitgliedstaaten auf unterschiedlichen militärischen und politischen Ebenen intensiv mit der Frage beschäftigt, mit welchen strategischen Mitteln und Fähigkeiten die Sicherheit der Allianz im 21. Jahrhundert am besten gewährleistet werden kann. Als Ergebnis dieses Überprüfungsprozesses sind alle NATO Partner, wie in der Gipfelerklärung von Chicago festgehalten, im Konsens zu dem Ergebnis gelangt, dass dem heutigen Sicherheitsumfeld am besten durch eine vorläufige Beibehaltung der nuklearen Abschreckungskomponente Rechnung getragen werden könne. Wie es in der entsprechenden Erklärung heißt, sind atomare Waffen eine zentrale Komponente aller Kapazitäten und Fähigkeiten, mit denen die NATO die Sicherheit ihrer Mitglieder zu gewährleisten sucht. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion wirft der NATO in ihrem Antrag unter anderem vor, die Bedrohungen, die sie auf dem Gipfel von Chicago definiert hat, nicht mit Nuklearwaffen bekämpfen zu können. Natürlich können Atomwaffen nicht die Antwort auf Cybersicherheit, Terrorismus oder scheiternde Staaten sein. Aber im Falle eines Falles, der hoffentlich nie eintritt, können sie als Abschreckung gegen staatlich unterstützte Cyberkriege, Terrorangriffe oder Gewaltakte korrupter Potentaten dienen. Unserer Meinung nach steht die Allianz gegenwärtig vor einer doppelten Herausforderung. Sie muss sowohl den neuen Sicherheitsrisiken begegnen als auch den herkömmlichen Bedrohungen gewachsen sein. Vor diesem Hintergrund haben sich alle NATO-Partner dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass alle Komponenten der nuklearen Abschreckung der NATO sicher und effektiv bleiben, solange die NATO sich als nukleare Allianz versteht. Exakt in diesem Kontext ist die Modernisierung der US-Nuklearwaffen auf deutschem Boden zu sehen. Es handelt sich hierbei nicht, wie von der Fraktion Die Linke behauptet, um eine „Neustationierung“ von atomaren Waffen, die „einen Wiedereinstieg in eine hoch riskante atomare Aufrüstungspolitik“ darstellt. Es geht hier um eine Modernisierung der atomaren Sprengköpfe und Trägersysteme, die zur Erhaltung der Einsatzfähigkeit der atomaren Waffen dient und somit in unser aller Interesse ist. Unabhängig von dieser Verpflichtung halten die NATO-Mitgliedstaaten, wie in der Erklärung von Chicago vereinbart, weiterhin an ihrem Ziel fest, danach zu streben, geeignete Bedingungen und Optionen für weitere Reduzierungen nuklearer Waffen der NATO zu erwägen. Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass wir an unserem im Koalitionsvertrag verankerten Bekenntnis festhalten, uns im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einzusetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden, sobald die Bedingungen hierfür gegeben sind. Dies ist, wie die Opposition zu Recht bemerkt, eines der übergeordneten Ziele deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, das die außenpolitische Agenda auf absehbare Zeit prägen wird. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 19. Dezember 2011 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend ein Mitteilungsverfahren (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Mit der zweiten und dritten Lesung des Gesetzes zum Fakultativprotokoll können wir das parlamentarische Verfahren zur Ratifikation heute abschließen. Ich freue mich, dass wir über alle Fraktionen dieses Hauses hinweg bei dieser Frage an einem Strang ziehen und somit ein schnelles und reibungsloses Verfahren ermöglichen. Auch die Aussprache im Ausschuss für Familie, Frauen, Senioren und Jugend in dieser Woche hat gezeigt, dass die Bundesregierung mit ihrem Engagement zur besseren Verankerung der Kinderrechte auf internationaler Ebene die volle Rücken-deckung des Deutschen Bundestages hat. Dies ist sehr erfreulich, und dafür bedanke ich mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen des Fachausschusses. Ein Dank gilt gleichzeitig den Vertreterinnen und Vertretern des Bundesrats für ihre kooperative Zusammenarbeit. Mit der Ratifikation senden wir ein starkes Signal zum weltweiten Schutz der Kinder. Dieser Schritt reiht sich ein in eine ganze Reihe von Maßnahmen, die die christlich-liberale Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, um die Stellung der Kinder in unserer Gesellschaft zu verbessern. Ich nenne hier die Rücknahme der Vorbehaltserklärung gegenüber der UN-Kin-der-rechts--konvention genauso wie die Einführung des Kinderschutzgesetzes, die Familienhebammen und die deutliche Verbesserung der rechtlichen Stellung von Kindern bei Lärmstreitigkeiten. Hinzu kommen eine ganze Reihe sozialpolitischer Maßnahmen wie das Bildungs- und Teilhabepaket sowie die Erhöhung des Kindergelds. Insofern können wir heute einen weiteren Erfolg dieser Koalition festhalten. Dies ist umso erfreulicher, da die Bundesregierung zu einer der Initiatoren dieses Vorhabens zählt und der Deutsche Bundestag eines der schnellsten nationalen Parlamente bei der Ratifikation des Fakultativprotokolls ist. Mit der Ratifikation verbinden wir die Hoffnung, dass weltweit möglichst vielen Kindern die Chance eröffnet wird, sich an die Vereinten Nationen zu wenden, wenn der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft ist und dabei keine adäquate Abhilfe geschaffen wurde, um die individuellen Rechte der Kinder zu wahren. Wenn die Kollegin der Linkspartei dann das Wort „Symbolpolitik“ im Munde führt, verkennt sie die Chancen, die in einem solchen Verfahren stecken, um die Rechte der Kinder weltweit zu stärken. Ich empfehle hier einen Blick über den nationalen Tellerrand. Denn ein besonders dringender Bedarf besteht ja insbesondere dort, wo die Kinder nicht schon auf nationaler Ebene ein so hohes Schutzniveau haben wie bei uns in Deutschland. Wenn es beispielsweise darum geht, zukünftig eine bessere internationale Handhabe gegen die unsägliche Praxis des Einsatzes von Kindersoldaten zu haben, oder wenn es darum geht, die systematische sexuelle Ausbeutung von Kindern auch auf individueller Ebene zu bekämpfen, bietet das Fakultativprotokoll neue Chancen. Für die Betroffenen ist dies insofern alles andere als Symbolpolitik. Es gilt daher, nun auf internationaler Ebene für die Ratifikation des Protokolls in möglichst vielen Staaten zu werben. Durch eine breite internationale Akzeptanz wird das Gremium gleichzeitig gestärkt und erhält ein stärkeres Gewicht. Dies ist im Sinne unserer Politik, dies ist im Sinne der Kinder. Aber auch für die nationale Ebene hat die Ratifikation nichts mit Begriffen wie Symbolpolitik zu tun. Denn es handelt sich um die Einrichtung zusätzlicher Schutzmechanismen, die die nationale Gerichtsbarkeit, aber auch exekutives Handeln auf den Prüfstand stellen können und somit staatliches Handeln in Deutschland überprüfbarer machen. Es bleibt festzuhalten: Mit der Ratifikation des Fakultativprotokolls unterstreicht diese Koalition, dass ihr der Schutz der Kinder ein wichtiges Anliegen ist – national wie international. Und sie zeigt, dass sie ganz konkret aktiv ist und vieles angegangen hat, was gerade die rot-grüne Bundesregierung nicht hinbekommen hat. Einige zentrale Beispiele habe ich genannt. Unser Einsatz für die Kinder darf mit diesem Schritt jetzt nicht aufhören. Ich bin zuversichtlich, dass es uns auch in Zukunft gelingen wird, durch konkrete Maßnahmen die Situation von Kindern in Deutschland und in der Welt zu verbessern und zu stärken. Norbert Geis (CDU/CSU): Die Kinderrechtskonvention will den Kindern weltweit zu ihren Rechten verhelfen. In vielen Teilen der Welt haben die Kinder keine Rechte. Sie leben in Armut. Sie müssen ihr tägliches Brot durch schwere Arbeit verdienen. Sie gehen in keine Schule, bekommen keine Bildung, bleiben Analphabeten. Sie werden missbraucht und werden sogar als Kindersoldaten in kriegerischen Auseinandersetzungen eingesetzt. Oft leben sie in der Gosse, schließen sich schon als Kinder zu gewalttätigen Banden zusammen und geraten schon sehr früh in die Kriminalität. Die Kinderrechtskonvention will hier ein Bollwerk aufbauen, einen Beitrag zum Schutz der Kinder leisten. Sicher ist der Einwand richtig, dass dies vor allem für die Entwicklungsländer gilt. Aber auch wir gehören nicht zu den kinderfreundlichsten Ländern. Wir sind ein kinderarmes Land. Wir haben eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt. Familien mit mehr als zwei Kindern tun sich bei der Wohnungssuche schwer. Wenn die Mutter ihre Kleinkinder selbst versorgt, verliert sie den Anschluss im Beruf, hat Nachteile am Arbeitsplatz und erhält obendrein später eine geringere Rente als ihre Kolleginnen, die keine Kinder haben. Die Erziehungsleistung der Eltern für ihre Kinder wird bei uns gering geachtet. Auch wir sind in der Tat kein kinderfreundliches Land. Allerdings sind die Kinder bei uns nicht rechtlos. Sie haben die gleichen Menschenrechte wie die Erwachsenen auch. Durch die Kinderrechtskonvention mit den beiden Fakultativprotokollen sollen den Kindern überall auf der Welt die Menschenrechte zugesprochen werden. Die Konvention fasst diese Rechte in vier Grundsätzen zusammen: das Recht auf Leben und Gesundheit, das Recht auf Entwicklung, das Verbot der Diskriminierung und die Wahrung der Interessen der Kinder sowie das Recht auf Beteiligung und Mitbestimmung. Zu dieser Kinderrechtskonvention mit den zwei Fakultativprotokollen kommt nun ein drittes Fakultativprotokoll hinzu. Dabei geht es darum, dass diese Rechte für die Kinder nicht nur auf dem Papier stehen, sondern die Kinder bzw. ihre Vertreter die Möglichkeit haben, sich direkt an den UNO-Ausschuss zu wenden, um ihre Rechte durchzusetzen, wenn dies im eigenen Staat nicht möglich ist. Voraussetzung ist, dass der nationale Rechtsweg erfolglos war. Dies ist auch anders nicht machbar, weil dies einmal die Achtung vor der Souveränität des jeweiligen Staates gebietet und weil aus praktischen Gründen natürlich eine Vorklärung durch die örtlich zuständigen Gerichte zu erfolgen hat. Allerdings muss in dringenden Fällen der Zugang zum Ausschuss sofort möglich sein. Der Ausschuss kann auch von sich aus, ohne dass eine Beschwerde vorliegt, tätig werden, wenn besonders schwere Verletzungen von Kinderrechten in einem Staat bekannt werden. Der Ausschuss hat nur die Möglichkeit, in Staaten tätig zu werden, die dem Abkommen beigetreten sind. Deutschland ist auf Betreiben unserer Familienministerin einer der ersten Staaten gewesen, die dieses dritte Fakultativprotokoll, das wir heute ratifizieren wollen, unterzeichnet haben. In dieser Kinderrechtskonvention kommt klar zum Ausdruck, dass das Kind nicht nur eine Vorstufe des Erwachsenen ist, sondern auch als Kind Mensch ist, dem die Menschenrechte in vollem Umfang zustehen. Die Kindheit ist eine eigene Lebensphase des Menschen. Das Kind ist nicht ein halber Mensch, nur weil es noch nicht selbstständig und noch unwissend ist, seine Fähigkeiten noch nicht entwickelt hat, noch schwach und unerfahren und ungeschickt ist. Das Kind ist in seiner Kindheit ebenso vollständig Mensch wie der Erwachsene auch. Diese Erkenntnis muss sich erst noch in den Entwicklungsländern durchsetzen, aber auch in der westlichen Welt. Der Mensch tritt, wie alles Lebendige, als Keim ins Dasein und macht verschiedene Phasen der Entwicklung durch. Er beginnt als Embryo. Schon dann hat er Würde und steht unter dem Schutz von Art. 1 und 2 GG. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 25. Februar 1975 festgestellt und in seinem Urteil vom 23. Mai 1993 nochmals bestätigt. Diese Erkenntnis hat sich in den Gesellschaften des Westens noch nicht durchgesetzt. Es ist nicht erforderlich, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Für Kinder gilt das Grundgesetz ebenso wie für jeden Erwachsenen. Sie haben nach Art. 2 GG das Recht auf Freiheit, auf körperliche Unversehrtheit und auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Sie sind durch Art. 5 GG in ihrer Meinungsfreiheit geschützt. Nach Art. 6 GG haben zuerst die Eltern die Pflicht, die Kinder zu pflegen und zu erziehen. Daraus ergibt sich aber auch umgekehrt das Recht der Kinder gegen ihre Eltern auf Pflege und Erziehung. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 1. April 2008 klargestellt. Im Übrigen kann die Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz keine Misshandlung von Kindern verhindern. Zielgenauer kann dies vielmehr durch einfachgesetzliche Maßnahmen geschehen, so zum Beispiel durch das Strafrecht. Im Bildungsbereich haben wir jetzt schon die allgemeine Schulpflicht. Eine allgemeine Kindergartenpflicht für Kinder ab drei Jahren einzuführen, halte ich für übertrieben und entspricht auch nicht dem Kindeswohl. Diese Entscheidung sollten wir den Eltern überlassen. Die Betonung der Rechte der Kinder durch die Kinderrechtskonvention hat in vielerlei Richtung Bedeutung auch für unser Land. Wir haben zu prüfen, wie wir den Anspruch der Kinder gegenüber unserer Gesellschaft auf Einhaltung und Gewährung ihrer Rechte noch besser durchsetzen können. Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Die Stärkung der Kinderrechte war und ist ein besonderes Anliegen der SPD-Bundestagsfraktion, und sie liegt mir als Kinderbeauftragter natürlich besonders am Herzen. Starke Kinderrechte müssen durchsetzbar sein. Wir haben ein Individualbeschwerderecht für Kinder lange gefordert und freuen uns ausdrücklich über die nun anstehende Ratifizierung des entsprechenden Zusatzprotokolls zur UN-Kinderrechtskonvention. Dieses Instrument ist ein Rechtsmittel zur Durchsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Denn Betroffene könnten sich an den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes wenden, um auf die Verletzung ihrer Rechte aufmerksam zu machen. Bei anderen UN-Abkommen wie dem UN-Zivilpakt oder der UN-Frauenrechtskonvention gab es ein solches Beschwerderecht bereits. Endlich gibt es auch zur UNKinderrechtskonvention ein ergänzendes Beschwerdeverfahren. Die Einführung dieses Instrumentes in Deutschland ist weltweit ein wichtiges Signal für starke Kinderrechte. Ein Beschwerderecht hilft dabei, darauf hinzuwirken, dass die Vertragsstaaten ihr Rechtssystem konsequenter den in der Konvention anerkannten Kinderrechten anpassen und auf deren Einhaltung achten. Recht zu haben, reicht alleine nicht aus. Rechte müssen auch durchsetzbar sein. In einem Beschwerdeverfahren kann sich das Kind selbst oder eine Person in seinem Namen an den Ausschuss für die Rechte des Kindes wenden, der die Menschenrechtsverletzung untersucht. Auch wenn die Entscheidung des Ausschusses rechtlich nicht bindend sein wird, kann er auf Abhilfe drängen und für den Kläger gegebenenfalls eine Entschädigung fordern. Wie bei allen internationalen Beschwerdemechanismen muss vorher der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft sein. Was sich bei Erwachsenen mit einem etablierten System von Beschwerdemöglichkeiten bewährt hat, muss für Kinder erst mit Leben erfüllt werden. Auf allen Ebenen brauchen Kinder altersgerechte Möglichkeiten der Partizipation und auch der Beschwerde. So setze ich mich auf Bundesebene für einen unabhängigen Kinderbeauftragten ein. Auf kommunaler Ebene wollen wir Ombudschaftsstellen für Kinder etablieren, um den Kindern da, wo sie leben, beim Vertreten ihrer Interessen direkt beizustehen. Kinderrechte müssen stärker bekannt gemacht werden. Wer nicht um die eigenen Rechte weiß, kann sich bei einem Verstoß gegen diese Rechte auch nicht beschweren. Hier ist noch viel zu tun. Wir hätten uns eine Fortschreibung des nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention gewünscht. Ich hoffe, dass die Bundesregierung die Stärkung der Kinderrechte auch auf einem anderen Gebiet voranbringt. Die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz ist im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention ebenso sinnvoll und geboten wie das Individualbeschwerdeverfahren. Bisher scheiterte die Stärkung der Kinderrechte im Grundgesetz leider am Widerstand der Union. In letzter Zeit habe ich jedoch erfreuliche Signale vernommen. Ich hoffe, dass es uns gemeinsam gelingt, unsere Verfassung im Interesse unserer Kinder zu modernisieren. Kinder sind Rechtssubjekte und sollten als solche auch im Grundgesetz genannt und behandelt werden. Wer Kinderrechte wirklich stärken will, kann sich dieser Forderung nicht verschließen. Miriam Gruß (FDP): Zugegeben, der Name dieses Gesetzes ist ein echter Zungenbrecher. Tatsächlich ist aber heute ein historischer Tag für die Kinderrechte in Deutschland; denn wenn dieses Hohe Haus dem Fakultativprotokoll heute zugestimmt hat und der Bundesrat keine Einwände erhebt, dann gilt es als von Deutschland ratifiziert. Deutschland geht diesen Schritt als drittes Land weltweit nach Thailand und Gabon – sobald sieben weitere Staaten folgen, tritt das Protokoll in Kraft. Dann bekommt die UN-Kinderrechtskonvention endlich, als letztes von allen Menschenrechtsabkommen, ihren eigenen Beschwerdemechanismus. Das Fakultativprotokoll leistet einen wichtigen Beitrag zur besseren Umsetzung der Rechte der Kinder weltweit und bestätigt Kinder in ihrer Eigenschaft als Träger eigener Rechte. Deutschland wird durch seine Rolle in diesem Prozess zu einem echten Vorreiter unter den UN-Mitgliedstaaten. Am 28. Februar 2012 hat Deutschland – vertreten durch die Familienministerin Dr. Kristina Schröder – das Fakultativprotokoll als einer der ersten Staaten überhaupt gezeichnet. Ich war im Februar 2012 bei der Unterzeichnung in Genf dabei. Dort konnte ich live erleben, wie bei den anderen Staaten noch gerungen wurde, ob man unterschreibt oder nicht. Letztendlich haben dann 20 Staaten unterzeichnet – ein großer Erfolg auch für Deutschland und die schwarz-gelbe Regierung. Wir haben es aber nicht nur früh unterzeichnet, sondern auch stark darauf hingewirkt, dass es überhaupt dazu gekommen ist. Ohne Deutschlands Werbung für diese Angelegenheit wäre das Protokoll kaum noch im Jahr 2011 von der UN-Generalversammlung angenommen worden. Daher möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich auch dem Außenminister Dr. Guido Westerwelle für seinen Einsatz danken. Wenn Deutschland noch in diesem Jahr ratifiziert, wäre das die schnellste Zeichnung und Ratifikation eines Menschenrechtsabkommens der UN. Ich hoffe sehr, dass diese Formalität noch in diesem Jahr zu schaffen ist. Die Details des Fakultativprotokolls haben wir bereits vor zwei Wochen diskutiert; ich will mich daher nicht wiederholen. Dennoch möchte ich noch einmal darauf hinweisen: Ohne die FDP an der Regierung wäre es nie dazu gekommen. Ich kämpfe seit langem für die bessere nationale und internationale Durchsetzung von Kinderrechten. Deshalb haben wir Liberalen vor drei Jahren darauf bestanden, das Individualbeschwerdeverfahren in den Koalitionsvertrag aufzunehmen. Diesen Punkt können wir jetzt abhaken. Damit haben wir unsere Regierungsarbeit für Kinderrechte um einen wichtigen Erfolg erweitert. Diana Golze (DIE LINKE): Es steht außer Zweifel: Die Einführung des Rechts auf Individualbeschwerde für Kinder und Jugendliche ist ein weiterer wichtiger Schritt für die bessere Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Es steht auch außer Zweifel, dass das Engagement der Bundesregierung, die sich von Beginn an hinter dieses Zusatzprotokoll gestellt hat und den Prozess der Erarbeitung intensiv begleitet hat, von großer Bedeutung für das Gelingen des Vorhabens war. Und es ist natürlich sehr zu begrüßen, dass das Gesetz zur Ratifizierung den Bundestag so zügig und mit großem Einvernehmen passieren konnte. Schaut man sich aber an, welche Gründe für die Einführung einer Individualbeschwerde für Kinder und Jugendliche auch in Deutschland sprechen, wird schell deutlich, wie viel noch zu tun ist. Kinder müssen als schutzbedürftige Mitglieder unserer Gesellschaft mit allem zur Verfügung Stehenden gefördert werden, das ist zumindest in Talkshows, in Reden und in Interviews wieder und wieder zu hören. In der Umsetzung allerdings muss ich feststellen, dass zum Beispiel Kindern ohne deutschen Pass nach wie vor nicht die gleichen Rechte eingeräumt werden, wie sie deutschen Kindern zur Verfügung stehen. Sie können auch nach der Rücknahme des letzten Vorbehaltes gegen die UN-Kinderrechtskonvention als Minderjährige abgeschoben werden, in Sammelunterkünften untergebracht und zu entwürdigenden Untersuchungsverfahren zur Altersfeststellung gezwungen werden. Für mich ein klarer Fall für die Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention und somit für eine anzustrengende Beschwerde. Noch immer ist in Deutschland der soziale Status der Eltern wie in keiner anderen europäischen Wirtschaftsnation ein entscheidender Faktor für die Schulbiografie von Kindern, für mich eine klare Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention und einer anzustrengenden Beschwerde würdig. Die Kinderarmut ist in einem reichen Land wie Deutschland trauriger Teil des Alltags geworden. Kinder gehen hungrig zur Schule, eine gesunde Ernährung ist vom bestehenden Regelsatz aus meiner Sicht unmöglich, Geld für Schulbücher und -materialien können von den Eltern in komplizierten Antragsverfahren nur zweimal im Jahr extra beantragt werden, obwohl Schule zum Alltag eines jeden Kindes gehört und somit auch alltägliche Kosten verursacht. Jeder weiß das – die Bundesregierung aber ignoriert dies genauso wie die Tatsache, dass Nachhilfe nur schwer über eine Arbeitsvermittlungsagentur vermittelt werden kann. Für mich ist das Ausgrenzung vom Zugang zu Bildung und somit eine eindeutige Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention und somit Grund genug für ein anzustrebendes Beschwerdeverfahren. Ja, ich bin sehr glücklich darüber, dass der Bundestag heute seine Zustimmung zu einem Individualbeschwerdeverfahren für Kinder geben wird. Denn eine solche Möglichkeit für Kinder, ihre Rechte einzuklagen, sorgt am Ende für eine bessere Umsetzung der Kinderrechte. Dazu muss viel getan werden. Wir brauchen mehr Anlaufstellen, um Kinder über ihre Rechte zu informieren und ihnen da Unterstützung anbieten zu können, wo diese verletzt werden. Wir brauchen eine verbesserte Rechtsstellung von Kindern in unserer Gesellschaft, damit eine Individualbeschwerde für Kinder nicht an unüberwindbaren Hürden scheitert. Darum sage ich: Kinder stärken, heißt ihre Rechte stärken. Das Individualbeschwerderecht für Kinder war überfällig. Die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz ist es leider immer noch. Es bleibt also viel zu tun. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir werden heute Abend voraussichtlich einen der seltenen Momente großer Einigkeit zwischen den Fraktionen erleben, da wir alle durch die Bank weg die Einführung des Individualbeschwerdeverfahrens begrüßen und als einen wichtigen Schritt zur Stärkung der Kinderrechte in Deutschland betrachten. Umso bedauerlicher ist es, dass die Bundesregierung ihrem Gesetzentwurf in beiden Lesungen keinen Debattenplatz hier im Bundestag eingeräumt hat, der seiner Bedeutung angemessen gewesen wäre. Das Beschwerdeverfahren zu ratifizieren, ist ein wichtiger Schritt. Aber er muss auch Folgen haben. Die Erfahrungen, die wir mit der ursprünglich von allen Seiten – auch von uns – hochgelobten Rücknahme der Vorbehaltserklärung gemacht haben, lassen mich skeptisch werden. Denn die Rücknahme der Vorbehalte ist bis heute ohne Konsequenzen geblieben, die relevanten Gesetze im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechts wurden nicht geändert, und deshalb hat sich an der konkreten Lebenssituation minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge auch nichts verbessert. Weiterhin können Sechzehnjährige im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt werden, sie können in Sammelunterkünften – auch gemeinsam mit Erwachsenen – untergebracht werden, haben keinen Anspruch auf weitergehende Leistungen aus dem Gesundheitssystem und der Kinder- und Jugendhilfe. Das widerspricht eklatant der UN-Kinderrechtskonvention, die für alle Kinder, alle Minderjährige gilt, und es ist ein echtes Armutszeugnis für die schwarz-gelbe Koalition und für unser gesamtes Land. Die Einführung des Beschwerdeverfahrens muss Folgen haben, und diese notwendigen Folgen müssen beinhalten, dass die Bundesregierung viel mehr dafür tut, dass Kinder ihre Rechte überhaupt kennen. Denn nur wer die eigenen Rechte kennt, kann sich auf diese beziehen und im Zweifelsfall auf das Individualbeschwerdeverfahren zurückgreifen. Vor diesem Hintergrund war es eine grundfalsche Entscheidung der Bundesregierung, den Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland sang- und klanglos auslaufen zu lassen. Hier wäre eine Weiterentwicklung und Fortführung wichtig gewesen, insbesondere mit Blick auf die dringend notwendige Bekanntmachung der Kinderrechte bei den Kindern selbst. Aber auch darüber hinaus darf die Bundesregierung sich jetzt keineswegs einen schlanken Fuß machen. Denn bei der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in unserem eigenen Land sieht es längst nicht so rosig aus, wie Ministerin Schröder es gerne darstellt. Allem voran sollten wir endlich die Kinderrechte im Grundgesetz verankern und deutlich machen, dass bei allem staatlichen Handeln die Interessen der Kinder besonders zu beachten sind. Hier hat der UN-Ausschuss für die Rechte der Kinder der Bundesrepublik bereits mehrfach deutliche Hinweise gegeben, dass diese notwendige Konsequenz der UN-Kinderrechtskonvention endlich angegangen werden sollte. Aber es geht auch um sehr konkrete, schnell umsetzbare Maßnahmen: beispielsweise die Rechte von Kindern inhaftierter Eltern endlich in den Fokus zu nehmen und gemeinsam mit den Ländern die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die Haftbedingungen so gestaltet sind, dass Kinder ihre Eltern regelmäßig besuchen können. Beispielsweise die freiwillige Rekrutierung von Minderjährigen in die Bundeswehr zu beenden und „Straight 18“ umzusetzen. Heute gehen wir gemeinsamen einen wichtigen Schritt. Wir lassen die Regierung aber nicht aus der Verantwortung, ihre weitergehenden Hausaufgaben zu machen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Begleitung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (SEPA-Begleitgesetz) (Tagesordnungspunkt 22) Peter Aumer (CDU/CSU): Heute beraten wir abschließend über das Begleitgesetz zur Umsetzung der SEPA-Verordnung in Deutschland. Mit ihm wird das deutsche Recht an die europäische SEPA-Verordnung angepasst, die den bargeldlosen Zahlungsverkehr innerhalb der EU vereinheitlicht. Die Umsetzung ist eines der wichtigsten Gesetze der letzten Jahre zur Harmonisierung des europäischen Binnenmarkts für Zahlungsdienstleistungen. Die SEPA-Verordnung ist ein essenzieller Bestandteil zur weiteren Integration in der Europäischen Union. Zahlungssysteme sollen damit an die Wirklichkeit grenzübergreifender Zahlungsströme angepasst werden. Einheitliche Regelungen auf europäischer Ebene sind gerade im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung bargeldloser Zahlungen, wie Überweisungen und Lastschriften, sinnvoll. Die Verordnung beendet damit das kostenintensive Nebeneinander von inländischen Zahlungsverkehrsprodukten. SEPA wird zu einer Vereinfachung und Vergünstigung für die Verbraucher und die Industrie führen. Der christlich-liberalen Koalition ist es gelungen, bei der Gestaltung des einheitlichen europäischen Zahlungsverkehrs die deutschen Interessen bestmöglich einzubringen. Der Bundesregierung ist es bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene gelungen, sich mit nahezu allen Forderungen der christlich-liberalen Koalition durchzusetzen. Die Trilog-Verhandlungen haben dabei ebenfalls gezeigt, dass sich kein anderes Mitgliedsland so vehement für die die Verbraucher- und Endnutzerinteressen eingesetzt hat wie Deutschland. Die europäische SEPA-Verordnung ist am 31. März 2012 in Kraft getreten. Sie sieht vor, dass Überweisungen und Lastschriften im europäischen Zahlungsraum ab dem 1. Februar 2014 einheitliche Anforderungen erfüllen müssen. Deshalb müssen auch die in Deutschland gebräuchlichen Überweisungs- und Lastschriftverfahren ab dem 1. Februar 2014 den SEPA-Formaten genügen. Mit dem SEPA-Begleitgesetz bringen wir nun wichtige Regelungen auf den Weg, um eine reibungslose Umstellung der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Wirtschaft und der Kreditinstitute von den vertrauten Zahlverfahren auf die europaweit einheitliche SEPA-Lastschrift und SEPA-Überweisung zu gewährleisten. Mit dem Begleitgesetz machen wir nun von den Übergangsbestimmungen der EU-Verordnung, die aufgrund des Einsatzes der Bundesregierung erreicht werden konnten, Gebrauch. Um den Verbraucherinnen und Verbrauchern ausreichend Zeit zu geben, sich auf die Neuerungen einzustellen, erhalten sie die Möglichkeit, die ihnen geläufige Kontonummer und Bankleitzahl bis zum 1. Februar 2016 weiter zu verwenden. Banken und Sparkassen dürfen für ihre Privatkunden bis zu diesem Zeitpunkt die Kontokennungen bei Inlandszahlungen kostenlos in das neue IBAN-Format umwandeln. Wir erwarten von der Kreditwirtschaft, dass sie die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen frühzeitig über die anstehenden Änderungen informiert und sie bei der Umstellung auf SEPA aktiv unterstützt. Auch das im Handel übliche elektronische Lastschriftverfahren kann aufgrund einer Sonderregelung bis zum 1. Februar 2016 weitergeführt werden. Handel und Kreditwirtschaft sollten diese Übergangsfrist nutzen, um ein praktikables Nachfolgeprodukt für das elektronische Lastschriftverfahren auf Basis der SEPA-Lastschrift zu entwickeln. Von der Übergangsbestimmung sind ebenfalls weitere elektronische Lastschriftverfahren erfasst, die durch anderweitige Verfahren, wie etwa Sign-Pads oder Fingerabdruck, wie sie bereits in einigen Supermärkten und Warenhäusern zu finden sind, initiiert wurden. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens tauchten noch einige Unklarheiten bezüglich der telefonisch erteilten Lastschrift und der Internetlastschrift auf. Die CDU/CSU und FDP haben sich hierzu entscheiden, eine Klarstellung vorzunehmen: Nach der SEPA-Verordnung und nach ihrem Inkrafttreten und auch nach dem SEPA-Begleitgesetz können weiterhin wirksame Lastschriftmandate im Internet erteilt werden. Für die Nutzung der Übergangsregelung gemäß Art. 16 Abs. 4 der SEPA-Verordnung (Nischenprodukte) fehlen nach unserer Auffassung jedoch die rechtlichen Voraussetzungen. In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals an die deutsche Kreditwirtschaft appellieren, moderne vergleichbare Zahlverfahren zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen, die nach Ablauf der Übergangsfrist anstelle des elektronischen Lastschriftverfahrens zum Einsatz kommen können. Darüber hinaus steht vorrangig die deutsche Kreditwirtschaft in der Pflicht, Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen frühzeitig über die anstehenden Änderungen zu informieren und sie bei der Umstellung auf SEPA aktiv zu unterstützen. An das SEPA-Begleitgesetz hängen wir außerdem -einige neue Regelungen für die deutsche Versicherungsbranche. Ursprünglich sollten diese Regelungen im Rahmen des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), mit dem vor allen Dingen die europäische Solvency-II-Richtlinie national umgesetzt werden soll, verabschiedet werden. Nun hat sich die Verabschiedung der Regelungen zu Solvency II auf europäischer Ebene weiterhin verschoben, sodass mit einer Umsetzung dieser Regelungen in nationales Recht nicht mehr in diesem Jahr zu rechnen ist. Wir wollen daher einige Regelungen aus dem Zehnten Gesetz zur Änderung des VAG herauslösen und diese aufgrund ihrer Dringlichkeit bereits jetzt im Rahmen des SEPA-Begleitgesetzes umsetzen. Die vorgezogenen Regelungen betreffen zum einen die Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes zu Unisextarifen. Ab dem 21. Dezember 2012 dürfen die Versicherungsunternehmen bei Prämien und Leistungen ausnahmslos nicht mehr zwischen Männern und Frauen differenzieren. Zum anderen wollen wir dafür sorgen, dass im Bereich der Lebensversicherung angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase in zwei Bereichen noch Änderungen erfolgen werden: Es soll sichergestellt werden, dass Bewertungsreserven auf Kapitalanlagen, die das Versicherungsunternehmen zur Sicherstellung der Garantien an die Versicherungsnehmer erworben hat und weiter benötigt, bei sinkenden Kapitalmarktzinsen im Unternehmen verbleiben können. Des Weiteren soll die bisherige Trennung der Überschussbeteiligung von vor und nach 1994 abgeschlossenen Lebensversicherungsverträgen aufgehoben werden. Damit stärken wir die Leistungsfähigkeit der Lebensversicherungsunternehmen. Wieder einmal hat sich gezeigt, dass sich der Einsatz der Regierungskoalitionen der CDU/CSU und FDP bezahlt gemacht hat. Wir konnten für unsere Bürgerinnen und Bürger sowie für unsere Unternehmen einen deutlichen Erfolg bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene erreichen. Mit SEPA werden Zahlungen in Euro in das europäische Ausland künftig genauso einfach und kostengünstig wie im Inland. Die europäische Integration geht nach der Euro-Bargeldeinführung mit der Vereinheitlichung des bargeldlosen Euro-Zahlungsverkehrs einen weiteren Schritt voran. Die vorzuziehenden Änderungen aus dem VAG enthalten zudem wichtige und notwendige Regelungen für die Versicherungsbranche in Deutschland. Ich bitte Sie daher, dem Gesetz zuzustimmen. Martin Gerster (SPD): Eine der Erfahrungsweisheiten des politischen Geschäfts lautet: Wo Gesetze, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, zu Paketen verschnürt werden, kommt selten das Optimum heraus. Diese Regel gilt auch im Falle des SEPA-Begleitgesetzes. Eigentlich sollte das Werk der Umsetzung der am 31. März 2012 in Kraft getretenen SEPA-Verordnung dienen, mit der ein einheitlicher europäischer Zahlungsraum geschaffen werden soll – eine Idee, die wir grundsätzlich unterstützen. Indem Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der schwarz-gelben Koalition, das Vorhaben aber zum Huckepackgesetz für unausgewogene Änderungen im VAG gemacht haben, ist es uns leider nicht mehr möglich, dem Gesamtwerk zuzustimmen. Bevor ich auf die problematischen Zusatzpunkte eingehe, ein paar Worte zu SEPA. Ein harmonisierter Binnenmarkt für Zahlungsdienste stellt, wie Sie im Bericht zu den Gesetzesberatungen zu Recht unterstreichen, durchaus ein wirtschaftspolitisch sinnvolles Ziel dar. Dies setzt aber voraus, dass er verbraucherfreundlich ausgestaltet und von allen Beteiligten entsprechend getragen wird. Da ist es wenig hilfreich, wenn prominente Unionspolitiker das Gesamtprojekt öffentlich und in höchst polemischer Art und Weise verunglimpfen. Geben Sie mal in einer Internetsuchmaschine „CDU“ und „SEPA“ ein. Sofort stoßen Sie auf Ihren Kollegen Gunther Krichbaum, der als Vorsitzender des Europaausschusses SEPA mit den Worten kommentiert: „Das ist der größte Schwachsinn aller Zeiten“. Um diesen Eindruck aus der Welt zu schaffen, reicht es nicht, SEPA in Plenarreden und Ausschussdruck-sachen demonstrativ zu loben. Im Bericht zum vorliegenden Gesetz betonen Sie, dass SEPA zu einer Vereinfachung und Vergünstigung für die Verbraucher und die Industrie führen dürfte. Bei allem Optimismus sollte man aber auch die Bemerkung des zuständigen Referatsleiters beim BMF berücksichtigten, der bei der zitierten Sitzung des Europaausschusses im Mai 2011 erklärte: „Es ist sicher kein Geheimnis, wenn ich verrate, dass vor allem international tätige Unternehmen, die grenzüberschreitende Überweisungen tätigen, von SEPA profitieren werden.“ Sofern diese Einschätzung zutreffend ist, rückt das Ziel einer wirklich verbraucherorientierten Umsetzung der SEPA-Standards umso mehr in den Vordergrund. Wir alle kennen die zahlreichen Befürchtungen, mit denen wir uns im vergangenen Jahr angesichts der drohenden Komplikationen mit bestehenden Einzugsermächtigungen und der Änderung vertrauter Kontonummern konfrontiert sahen. Auch vor diesem Hintergrund haben wir Sozialdemokraten gemeinsam mit Ihnen die Entschließung vom 12. Mai 2011 mit dem Titel „Europäischen Zahlungsverkehr bürgerfreundlich gestalten“ mitgetragen. Denn es war richtig und wichtig, als deutsches Parlament ein gemeinsames Signal in Richtung Brüssel zu geben und vonseiten der profitierenden Wirtschaftszweige mehr öffentliche Unterstützung für das Projekt SEPA einzufordern. Insgesamt können wir mit den Ergebnissen zufrieden sein. Wir freuen uns, dass gerade mit Blick auf die Umstellung von wiederkehrenden Lastschriftmandaten auf den SEPA-Standard eine Lösung über die AGBs gefunden werden konnte, die alle Zweifel zerstreut haben dürfte. Sicher wäre es schön gewesen, auf dem Verhandlungswege weitere bewährte Instrumente des deutschen Zahlungsverkehrs noch länger zu bewahren. Aber manchmal muss sich Politik auf das Mögliche und Durchsetzbare beschränken. Insofern begrüßen wir es, dass mit dem Gesetz die zeitlichen Spielräume zur Weiternutzung des elektronischen Lastschriftverfahren, ELV, genutzt werden. Auch die befristete Option für Zahlungsdienstleister, kostenlose Konvertierungsdienstleistungen für Kontokennungen zur Verfügung zu stellen, damit Kunden ihre bis-herige Kontokennung für Inlandszahlungen weiterhin nutzen könnten, begrüßen wir ausdrücklich. Wo noch Schwierigkeiten bestehen, wenn es um SEPA-kompatible Nachfolgeprodukte für das ELV und die Nutzung des Internets für die Erteilung von Lastschriften geht, sehen wir vor allem die Marktteilnehmer in der Pflicht. Vor allem die Kreditwirtschaft, die über den European Payments Council, EPC, die treibende Kraft hinter SEPA war, ist aufgefordert, zeitnah entsprechende Produkte und Verfahren zu entwickeln, die auf die Bedürfnisse des Handels, der Industrie sowie speziell der Verbraucherinnen und Verbraucher abgestimmt sind. So viel zu dem, was im Gesetzentwurf in Sachen SEPA umgesetzt wird. Problematischer gestalten sich die mit Blick auf die Versicherungsbranche vorgenommenen Änderungen. Wie wir wissen, verschieben sich die Verhandlungen um Solvency II, die auch die Versicherungsbranche insgesamt krisenfester machen soll, auf europäischer Ebene weit nach hinten. Mittlerweile ist von 2014 die Rede. Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes ist daher in großen Teilen auf Eis gelegt; jedoch sind aus dem Gesetzentwurf einige Aspekte herausgelöst worden oder gehen auf die Stellungnahme des Bundesrates zurück und sind wiederum mit dem SEPA-Begleitgesetz verbunden worden. Die nunmehr aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes herausgelösten Elemente sollen noch dieses Jahr in Kraft treten. Wir begrüßen es, dass die Änderungen in § 8 die Rechtsschutzversicherungen betreffend von den Koalitionsfraktionen zurückgezogen wurden. Offensichtlich gibt es völlig unterschiedliche Interessenlagen einzelner Unternehmen. Vorrang sollte der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher haben, und wir konnten feststellen, dass sich der Status quo durchaus bewährt hat. Unstrittig ist die Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen auch beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, des sogenannten Unisexurteils. Zudem sollen Maßnahmen ergriffen werden, die die Leistungsfähigkeit der deutschen Lebensversicherer in einer Niedrigzinsphase betreffen. Wir haben hierzu am 17. Oktober 2012 ein Fachgespräch geführt, in dem wir viele Punkte kritisch hinterfragt haben. Insgesamt gibt es für uns hier Licht und Schatten im Gesetzentwurf. Die Änderungen im Hinblick auf die Unisexrechtsprechung des EuGH sind für uns in Ordnung und sachgerecht. Die Rahmenbedingungen für eine Umsetzung des Urteils müssen gesetzlich gestaltet werden. Im Hinblick auf die Maßnahmen zur Risikotragfähigkeit der Lebensversicherungsunternehmen blieben bei uns auch nach der Anhörung noch Fragen offen. Es ist auch aus unserer Sicht wichtig, Lösungen zu finden, damit die Versicherungsunternehmen in der aktuellen Niedrigzinsphase die dadurch entstehenden Belastungen bewältigen können. Es ist aber trotz der kürzlich überreichten wei-teren Erläuterungen des Bundesfinanzministeriums vom 26. Oktober für uns nicht nachvollziehbar, dass der Rückgriff auf die Bewertungsreserven und die Trennung bei der Überschussbeteiligung die einzigen Mittel sind, um die aktuellen Probleme der Versicherer zu lösen. Aus unserer Sicht werden in recht einseitiger Weise die Probleme, die im Grunde jedes vorausschauende Versicherungsunternehmen bei Langfristverträgen beachten muss, weil wir stets mit Konjunkturzyklen mit unterschied-lichem Zinsniveau konfrontiert sind, einseitig auf die Versicherten abgewälzt, und eine Kompensation wurde dafür offenbar weder geprüft noch angedacht. Sicherlich ist es eine Tatsache, dass die Versicherungsunternehmen im derzeitigen Kapitalmarktumfeld Probleme haben, die notwendigen Erträge zur Erfüllung ihrer langfristigen Garantien zu erwirtschaften. Das trifft aber auch die Versicherungsnehmer besonders massiv; denn ihre Überschussbeteiligungen gehen spürbar zurück und werden auch in den kommenden Jahren voraussichtlich noch weiter absinken. Wenn sie nun auch noch auf die Beteiligung auf Bewertungsreserven verzichten sollen, geht die aktuelle Kapitalmarktsituation einseitig zu ihren Lasten und insbesondere zulasten langfristig agierender Vorsorgesparer, deren Verträge jetzt fällig werden. Man hätte aus unserer Sicht bedenken können, dass es neben den kapitalmarktabhängigen Gewinnen ja auch kapitalmarktunabhängige Gewinnquellen, wie zum Beispiel Kostengewinne und Risikogewinne, gibt, und daran könnten die Versicherungsnehmer zum Ausgleich für den Verzicht auf einen Teil der Bewertungsreserven zum Beispiel stärker als bislang beteiligt werden. Wenn sich die Versicherungsnehmer vor dem Hintergrund der Kapitalmarktkrise nunmehr mit einer geringeren Beteiligung an den mit ihren Beiträgen geschaffenen Vermögenswerten zugunsten der langfristigen Finanzierbarkeit der Verträge begnügen müssen, sollten auch aus unserer Sicht die Unternehmen ihrerseits einen Beitrag leisten. Das wurde im Gesetz unter anderem nicht beachtet, sodass wir diesem Teil nicht zustimmen können und uns, wie dargelegt, insgesamt enthalten werden. Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke geht nach unserer Auffassung grundsätzlich in die richtige Richtung. Die sehr konkreten Forderungen werden jedoch nicht begründet, mögliche Konsequenzen für die Betroffenen werden nicht analysiert. Dies wäre aber dringend notwendig. Angesichts dessen lehnen wir den Antrag ab. Frank Schäffler (FDP): Wir begleiten mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die SEPA-Verordnung und sorgen für ihre Einpassung in den nationalen Rechtsrahmen. Im Mittelpunkt der Verordnung steht die Schaffung eines einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums. Das ist uns gelungen, der Grundstein ist gelegt. Eigenständiger Platz zum rechtlichen Manövrieren steht uns hier nicht zur Verfügung. Die meisten Fragen sind auf europäischer Ebene von den Regierungen im europäischen Gesetz-gebungsverfahren entschieden worden. Die Bundesregierung hat unsere Vorgaben, die wir mit dem Ihnen bekannten Entschließungsantrag gemacht haben, zu ihrem Verhandlungsauftrag gemacht. Und es freut mich, zu sagen: Die Bundesregierung hat erfolgreich verhandelt. Ausgefüllt wird der durch die Verordnung beschriebene europäische Rechtsrahmen des Weiteren durch untergesetz-liche Standards, die vom SEPA-Rat gesetzt werden. In ihm sind die Nutzer und Anbieter von Zahlungsverkehrslösungen versammelt. Im Gesetzgebungsverfahren hat uns vor allem ein Problem beschäftigt: Das ein wenig unglückliche Zusammenspiel von Verordnung und untergesetzlichen Standards führt zu Problemen bei der Form der SEPA-Mandatserteilung. Wir wollen nämlich Lastschriften ohne schriftlich erteiltes Mandat erhalten. Betroffen sind die telefonisch erteilte und die Internetlastschrift. Sie spielen bedeutende Rollen im deutschen Markt und sind ein günstiges Konkurrenzprodukt zu anderen Zahlungsverfahren. Doch die von uns vorgefundene europäische Rechtslage stellt es nicht ins Ermessen des deutschen Gesetzgebers, an welche qualitativen Voraussetzungen die gültige Erteilung eines SEPA-Mandats geknüpft ist. Diese Entscheidung wird nach unserem Verständnis im SEPA-Rat getroffen. Wir haben sichergestellt, dass ein Verstoß gegen vom SEPA-Rat gesetzte Standards keine Ordnungswidrigkeit ist. Es gibt also keine ordnungswidrigkeitsrechtlichen Konsequenzen, wenn die Standards aus welchen Gründen auch immer nicht eingehalten werden. Deswegen erinnere ich an die Aufgabe des SEPA-Rates. Er soll die Akzeptanz der SEPA-Produkte fördern. Wir vertrauen darauf, dass die Nutzer und die Anbieter von SEPA-Produkten dort entsprechende Lösungen finden, mit denen die Erteilung eines Mandats bei möglichst geringen Transaktionskosten auch weiterhin gewährleistet bleibt. Die im SEPA-Rat vertretenen Nutzer haben dieses Interesse ohnehin. Die Anbieterseite fordern wir ausdrücklich auf, ihre Fachkenntnis einzubringen, um dies zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist weiterhin daran zu erinnern, dass kartellrechtliche Bedenken gegen von den Kartensystemen vorgegebene Interbankenentgelte geltend gemacht worden sind. Die Existenz der elektronischen Lastschrift mit ihren niedrigen Gebühren diente als wichtiges Argument dafür, dass hier bislang kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorgelegen hat. Während des Gesetzgebungsverfahrens haben wir die unproblematischen, aber zeitkritischen Elemente der VAG-Novelle angefügt. Es handelt sich einerseits um die fristgerechte Umsetzung des Unisex-Urteils des Europäischen Gerichtshofs. Das Geschlecht darf danach zukünftig kein Anknüpfungspunkt mehr für tarifliche Diskriminierung sein. Nun sind die Akteure gefordert, neue Tarife zu berechnen. Doch im Vordergrund stehen Maßnahmen zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der deutschen Lebensversicherer. Die Probleme der deutschen Lebensversicherer sind uns nicht verborgen geblieben. Sie leiden unter den aktuellen und voraussichtlich auch zukünftigen Niedrigzinsen. Um es klar zu sagen: Wir haben es hier mit Problemen zu tun, die eine unmittelbare Folge der Euro-Schuldenkrise von Banken und Staaten sind. Die Rettungseuropäer wollen weder Banken- noch Staatspleiten zulassen. Wenn dies die Prämisse allen Denkens und Handelns ist, dann ist eine Politik des billigen Geldes die zwangsläufige Folge. Man könnte auch sagen: Wer -Staaten und Banken rettet, der schadet dem Sparer. Denn wir erleben eine Kollisionslage von Geld- und Fiskalpolitik – die eine lässt die andere nicht unberührt. Die fiskalischen Entscheidungen der Rettungseuropäer können für die Geldpolitik nicht folgenlos bleiben. Trotz aller Lippenbekenntnisse für höheres Wachstum, eine Sparpolitik und für ausgeglichene Haushalte sieht die Lage hier ganz, ganz düster aus. Gestern hat die Kommission ihre Herbstprognose vorgelegt. In diesem Jahr wird das Haushaltsdefizit der Euro-Zone 3,3 Prozent betragen. Die Maastricht-Latte wird kollektiv gerissen. Das ist ein nahezu unglaublicher Vorgang, wenn ganz Europa unter einem angeblichen Spardiktat steht. Die ganze Misere macht der Schuldenstand im Verhältnis zum BIP deutlich. 2012 beträgt die Schuldenquote des Euro-Raums 93 Prozent vom BIP. Nächstes Jahr soll sie 95 Prozent betragen. Der Punkt ohne Wiederkehr soll bei einer Staatsschuldenquote von 90 Prozent liegen. Aber dieses Mal könnte es ja anders sein. Diese ungesunde Fiskalpolitik dominiert die Geldpolitik. Da auch die Europäische Zentralbank den schwarzen Peter nicht haben möchte, sieht sie sich genötigt, niedrige Zinsen und eine Geldmengenausweitung zu verordnen. Das nutzt den verschuldeten Staaten, schädigt aber alle Marktteilnehmer, die auf eine rentierliche Verzinsung ihrer Anlagen angewiesen sind. Es geht also insbesondere um Gläubiger von Geldforderungen. Die Lebensversicherungen als Inhaber von Staatsanleihen sind neben den Sparern am stärksten betroffen. Die Lebensversicherer können die Renditen unter den bislang gültigen Rahmenbedingungen nicht halten. Zehnjährige Bundesanleihen rentieren heute – ich habe nachgeschaut – bei 1,38 Prozent. Der Garantiezins für Neukunden liegt bei 1,75 Prozent. Altverträge versprechen gar 4 Prozent. Unter diesen Bedingungen ist das System gefährdet. Der daraus geborenen Not der Lebensversicherer begegnen wir, indem wir ihnen mehr Gestaltungsfreiheit bei der Verteilung der Bewertungsreserven einräumen. Das kommt letztendlich der Versichertengemeinschaft zugute. Eine echte Lösung der Problematik ist indes auch dies nicht. Wir operieren hier an Symptomen. Krankheitsauslöser ist die staatliche Geld- und Fiskalpolitik. Inzwischen ist klar, dass die Unabhängigkeit der Notenbanken nur noch auf dem Papier besteht. Stattdessen sind sie vor den staatlichen Karren gespannt. In der Krise wird offenbar, dass die rechtliche Unabhängigkeit der Notenbank nicht vor einer politischen Instrumentalisierung schützt. Wenn es überhaupt einen Schutz vor einer solchen -Instrumentalisierung gibt, dann liegt er in einer entsprechenden geldpolitischen Kultur. Es mag sein, dass die Bundesbank stärkere Widerstandskräfte gehabt hätte. Die Europäische Zentralbank hat diese Kultur innerhalb eines eng gesetzten Rechtsrahmens und innerhalb ihres Mandats, zu handeln, jedenfalls nicht. Auch daran haben die Rettungseuropäer eine Teilschuld. Sie haben Recht zur Beliebigkeit verkommen lassen. Regeln werden nach situativem Ermessen gebeugt und ausgelegt. Das begann mit dem kollektiven Rechtsbruch im Frühjahr 2010, als die Nichtbeistandsklausel verletzt wurde, um Griechenlands Gläubigern helfen zu können. Es setzt sich bis heute fort, wenn die Konditionen für Hilfen aus den Rettungsschirmen an die Umstände angepasst werden. Nun zahlen die Kunden von Lebensversicherern einen ersten Preis. Spätestens jetzt kann es jeder wissen: Die Politik der Rettungseuropäer kostet uns nicht nur die Stabilität des Rechts, sondern wir bezahlen auch mit unseren Vermögen. Harald Koch (DIE LINKE): Ich finde es äußerst schade, dass dem SEPA-Begleitgesetz noch einige Regelungen der 10. Novelle des Versicherungsaufsichtsgesetzes, VAG, beigefügt wurden. So werden jedenfalls zwei ganz unterschiedliche Themen miteinander verwurstet, wobei man am Ende aber nur ein einziges Votum abgeben darf. Dies ist umso bedauerlicher, als die Linke zu den jeweiligen Themenkomplexen unterschiedlich abstimmen würde. Wenn das schon so gemacht wird, hätte ich wenigstens erwartet, dass wir ausreichend Raum bekommen, um über diese für Verbraucher wichtigen Neuerungen im Plenum debattieren zu können, und zwar zu einer Tageszeit, zu der die Menschen draußen es mitbekommen können, dass hier auch entscheidende Weichen, die nicht in die richtige Richtung weisen, gestellt werden. Es scheint eher die Absicht der Bundesregierung zu sein, die Aufmerksamkeit der Verbraucher nicht allzu sehr auf die angestrebten Neuregelungen zu richten. Dies kann ich beim SEPA-Begleitgesetz nicht ganz verstehen. Wenn dieses heute allein zur Abstimmung stünde, hätte sich die Linke aufgrund durchaus positiver Entwicklungen enthalten. Es ist nämlich erfreulich, dass einige verbraucherschutzrelevante Regelungen auf dem Weg zu einem einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum umgesetzt wurden. Die bekannte, kurze Kontonummer kann bis 2016 weiter genutzt werden. Diese lange Übergangsfrist ist gut. Nun müssen den Menschen nur noch die Bedenken gegenüber den langen IBAN-Kontokennungen genommen werden. Man muss vermitteln, dass lediglich vier neue Stellen hinzukommen, auch wenn das besonders für ältere Menschen sicher nicht gerade eine Vereinfachung darstellt. Aber Furcht erscheint fehl am Platze. Gut ist auf alle Fälle auch das bedingungslose, gebührenfreie Rückgaberecht für Abbuchungen vom eigenen Konto durch Lastschrift. Dies muss aus unserer Sicht aber weiterhin dauerhaft gewährleistet werden. Es war ebenfalls unbedingt erforderlich, zu regeln, dass Vereine nicht sämtliche Einzugsermächtigungen neu einholen müssen. Sinnvoll ist ferner, dass im deutschen SEPA-Rat Verbraucherschützer, Wohlfahrtsverbände sowie Genossenschaftsbanken oder Sparkassen sitzen. Schließlich unterstützen wir die Einführung von Negativlisten bei Lastschriften: Der Verbraucher soll dem kontoführenden Institut anweisen können, wer auf keinen Fall auf sein Konto zugreifen darf. Zusammenfassend sage ich: Der gesamte Umstellungsprozess muss einfach, transparent und verbraucherfreundlich erfolgen. Dies geschieht aber leider nicht durchgängig. Kritisch sehen wir am SEPA-Begleitgesetz unter anderem dies: Das bewährte kartenbasierte elektronische Lastschriftverfahren hätten wir gerne länger als bis 2016 genutzt. Noch steht in den Sternen, ob für die Zeit danach ein vergleichbares europäisches Produkt angeboten wird und wie dieses ausgestaltet ist. Ich bezweifle stark, dass ein lediglich schwacher Appell an die deutsche Kreditwirtschaft, eine solche Produktentwicklung voranzutreiben (siehe Begründung der Änderung im Zahlungsdienste-aufsichtsgesetz (ZAG) zu § 7c, S.17 SEPA-BegleitG), fruchtet. Es ist einfach nur tragisch, wenn Sinnvolles, Bewährtes und Verbraucherfreundliches „wegharmonisiert“ wird. Des Weiteren sollte eine Pflicht – keine Kann-Regelung – bestehen, dass Kreditinstitute mit Verbraucherkonten Konvertierungsleistungen anbieten müssen. Niemand soll wegen Problemen im anfänglichen Umgang mit SEPA säumig werden müssen, wenn er in der Übergangszeit noch die alten statt der neuen Kontokennungen verwenden muss. Nicht ganz geklärt ist nach wie vor, ob Konvertierungsdienstleistungen für die Kontokennungen den Verbrauchern wirklich ganz kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Ich sage: Weder direkte noch indirekte Gebühren dürfen dafür erhoben werden! Die Linke stimmt mit der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen überein, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, bis zum Ende des Konvertierungszeitraumes sicherstellen muss, dass die Kunden keinerlei Entgelterhöhung ausgesetzt werden. Eine effektive Kontrolle der Kreditwirtschaft ist hier notwendig! Ein großes Problem stellt für uns der Punkt „Benachrichtigungsgebühren“ dar: Bislang dürfen Banken von ihren Kunden keine Gebühr verlangen, wenn sie bei einer Einzugsermächtigung eine Zahlung nicht ausführen und den Kunden hierüber benachrichtigen. So entschied auch der Bundesgerichtshof am 22. Mai 2012 (Az. XI ZR 290/11). Er wies aber zugleich darauf hin, dass nach den neuen Vorschriften zur SEPA-Lastschrift eine solche Gebühr wohl in Zukunft als zulässig angesehen wird; denn es soll sich die Abwicklung von Einzugsermächtigungen ändern. Mit SEPA muss im Gegensatz zur bisherigen Regelung bei Einzugsermächtigungen vorab eine Autorisierung durch den Kunden erfolgen. Kann neuerdings eine Zahlung nicht ausgeführt werden, weil nicht genug Geld auf dem Konto ist, dürfen die Banken dank SEPA nun eine Benachrichtigungsgebühr verlangen. Seit dem 9. Juli gibt es solche Gebühren wieder! Ein Skandal! Meine Damen und Herren von der Regierungsbank, dass Sie hingegen die Aufmerksamkeit der Verbraucher lieber nicht auf den zweiten Regelungskomplex im Rahmen des SEPA-Begleitgesetzes – sprich: Die Neuregelungen im Versicherungsaufsichtsgesetz – lenken wollen, kann ich hingegen voll und ganz nachvollziehen. Hier geht es ja nicht nur um die Umsetzung des Unisex-Urteils des Europäischen Gerichtshofs. Sie wollen Regelungen verabschieden, die Versicherte, die Verbraucher ganz klar benachteiligen! Sie erliegen dem Gejammer der Versicherungsindustrie, unterwerfen sich zum wiederholten Male finanzstarken Lobbyinteressen und betreiben dadurch erneut Klientelpolitik zulasten der ver-sicherten Menschen in diesem Land! Die Linke steht aber an der Seite der Versicherten! An den geplanten Regelungen finden wir vor allem Folgendes bedenklich: Versicherungsnehmer sollen künftig nur noch Anspruch auf bestimmte Teile der Bewertungsreserven aus festverzinslichen Wertpapieren haben. Für alle Verträge im Bestand eines Versicherungsunternehmens, bei denen der Rechnungs- bzw. Garantiezins – dieser beträgt seit Anfang 2012 historisch niedrig 1,75 Prozent, ältere Verträge haben einen höheren Rechnungszins – oberhalb der Umlaufrendite – diese beträgt am heutigen Tag circa 1,08 Prozent – im Zeitpunkt der Berechnung der Bewertungsreserven liegt, soll die Beteiligung ausgeschlossen werden. Ich wiederhole: …soll eine Beteiligung an den Bewertungsreserven ausgeschlossen werden. Sie benutzen einen üblen Taschenspielertrick und verletzen bewusst vertragliche Ansprüche der Versicherten! Dies ist für mich als Verbraucherschützer nicht hinnehmbar! Letztlich zielen Ihre Regelungen darauf ab, die Überschussansprüche insbesondere ausscheidender Altkunden zu reduzieren und möglichst viel von den Bewertungsreserven aus festverzinslichen Papieren zu bunkern, um weniger Nachreservierungen vornehmen zu müssen. Damit will die Branche zulasten der bereits Versicherten, aber auch derjenigen, die einen Vertrag kündigen, das lahmende Neugeschäft stärker ankurbeln. Versicherer können und wollen die Ansprüche der Verbraucher aus bestehenden Verträgen reduzieren, um dafür künftigen Kunden mehr versprechen zu können. Da kann man als Verbraucherschützer doch nicht untätig bleiben! Es werden zudem mit den Änderungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes präventive Regelungen geschaffen, die es Versicherungsunternehmen erlauben, auf noch nicht gutgeschriebene Überschussanteile inklusive der Beteiligung an den Bewertungsreserven zurückgreifen zu können, um im sogenannten Notstand die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens zu sichern (vgl. § 56 b Abs.1 VAG neu). Neben der BaFin müssen unbedingt Verbraucherschutzverbände und andere mit einbezogen werden, um einen – vorher klar zu definierenden – „Notstand“ feststellen zu können. Mit solch einem butterweichen Begriff wird doch sonst der Selbstbedienung der Versicherer Tür und Tor geöffnet. Man muss gewiss die Zahlungsfähigkeit der Versicherungsunternehmen im Auge haben, um massenhafte Insolvenzen zu verhindern, aber es kann nicht angehen, dass die Risikotragfähigkeit der Versicherer absolut einseitig nur dadurch finanziert wird, dass bestehende Ansprüche der Versicherten stetig vermindert werden. Auch hier sieht man: Die Bundesregierung hofiert nur die Versicherungswirtschaft und verringert auf diesem Weg das Eigentum der Versicherten! Die Linke hat deshalb für heute einen Entschließungsantrag zum Versichertenschutz vorgelegt. In dem fordern wir, die Beteiligung der Versicherungsnehmer am gesamten Rohüberschuss, Kapitalanlageergebnis plus Risikoergebnis plus Kosten und sonstiges Ergebnis, auf insgesamt 90 Prozent anzuheben. Die Mindestzuführungsverordnung muss daneben auch so geändert werden, dass eine verbindliche Beteiligung der Versicherten an der freien Rückstellung für Beitragsrückerstattung, RfB, und dem Schlussüberschussanteilsfonds von mindestens 50 Prozent geschaffen wird. Wir werben daher für unsere Vorschläge zum Ver-sichertenschutz und müssen aus genannten Gründen das SEPA-Begleitgesetz – vor allem wegen der Neuregelungen im Versicherungsaufsichtsgesetz – insgesamt ablehnen. Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung den finanziellen Verbraucherschutz endlich ernst nimmt und sich bedingungslos auf die Seite der Versicherten und ihrer Rechte stellt. Wie lange wollen Sie denn noch Spielball der Versicherungslobby bleiben? Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir Grüne haben es stets befürwortet und unterstützt, den europäischen Zahlungsverkehr durch einen einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum, Single Euro Payments Area, SEPA, im Sinne der Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes zu vereinfachen. Gleichzeitig war uns wichtig, dass die Umstellung auf die neuen Zahlungsverfahren rechtssicher und reibungslos, kurzum: so verbraucherfreundlich wie nur möglich, verläuft. Deshalb war es ein Erfolg, dass grüne Kernforderungen zu zentralen Themen wie Verbraucherschutz, Rechtssicherheit und Effizienz in den Verordnungstext aufgenommen werden konnten. Beispielsweise hatten wir uns auf europäischer Ebene dafür eingesetzt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher die ihnen geläufige Kontonummer und Bankleitzahl statt der Zahlungskontonummer IBAN bis zum 1. Februar 2016 weiter verwenden können. Von dieser befristeten Option für -Zahlungsdienstleister, kostenlose Konvertierungsdienstleistungen für Kontokennungen anzubieten, und von anderen Übergangsregelungen macht das SEPA-Begleitgesetz, das wir heute abschließend beraten, Gebrauch. Es ist damit im Großen und Ganzen geeignet, eine verbraucherfreundliche Umstellung der bisherigen nationalen Zahlungsverfahren auf die SEPA-Zahlungsverfahren sicherzustellen. Es kommt nun in den nächsten Monaten darauf an, die Verbraucherinnen und Verbraucher zu informieren und sie nicht mit den bevorstehenden Umstellungen auf SEPA alleinzulassen. Hier sehe ich die deutsche Kreditwirtschaft in der Pflicht. Ich möchte kurz auf das Thema Internetlastschriften eingehen. Im Laufe der Beratungen hatten sich Endnutzer besorgt gezeigt, dass das Lastschriftverfahren im -Internet nach der SEPA-Verordnung mit Ablauf der nationalen Regelungen bereits zum 1. Februar 2014 zu entfallen drohe. Nach Auffassung der Koalitionsfraktionen können allerdings sowohl nach der SEPA-Verordnung als auch nach dem Inkrafttreten des SEPA-Begleitgesetzes wirksame Lastschriftmandate im Internet weiterhin erteilt werden. Die Banken in Deutschland sollten nach Auffassung der Koalitionsfraktionen das Internetlastschriftverfahren ohne Schriftform auf Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen mit ihren Kunden oder in ähnlicher Weise gewährleisten. Verstehen kann ich hier jedoch die Unklarheit und die Unsicherheit aufseiten der Nutzer über die Zukunft der Internetlastschrift vor dem Hintergrund, dass die deutsche Kreditwirtschaft nach Auskunft des Handelsverbandes Deutschland e. V. gemäß ihrer Inkassobedingungen ausschließlich papierhafte Mandate bei der SEPA-Lastschrift akzeptiert. Es bleibt zu hoffen, dass das bei Verbraucherinnen und Verbrauchern beliebte Bezahlen mittels Internetlastschrift nicht durch andere, in der Regel teurere Zahlungsweisen (beispielsweise Kreditkarte) ersetzt werden muss. Und auch mit Blick auf das elek-tronische Lastschriftverfahren möchte ich nochmals -betonen, dass es insbesondere Aufgabe der deutschen Kreditwirtschaft ist, die Entwicklung eines dem elektronischen Lastschriftverfahren vergleichbaren Nachfolgeproduktes aktiv voranzutreiben. Darüber hinaus haben die Koalitionsfraktionen einen sachfremden Änderungsantrag eingebracht, mit dem im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum SEPA-Begleitgesetz Teile der geplanten Novelle des Versicherungsaufsichtsgesetzes vorgezogen werden. Im Wesentlichen handelt es sich dabei zum einen um die Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 1. März 2011 in der Rechtssache C-236/09 (sogenanntes Unisexurteil). Zum anderen handelt es sich um Maßnahmen zur Stärkung der Leistungsfähigkeit der deutschen Lebensversicherer. Diese beinhalten unter anderem eine aufsichtsrechtliche Neuregelung der Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven der Lebensversicherer. Künftig sollen – in Abhängigkeit von der Umlaufrendite – nur noch bestimmte Teile der Bewertungsreserven festverzinslicher Wertpapiere in der Überschussbeteiligung nach § 153 Versicherungsvertragsgesetz in Ansatz kommen. Diesem erheblichen Eingriff in die Ansprüche der Versicherten können wir aus den nachfolgenden Gründen nicht zustimmen: Es ist unbestritten, dass das Niedrigzinsumfeld für die Lebensversicherungsbranche eine große Herausforderung darstellt. Es ist auch richtig, darauf zu reagieren. Nachdem jedoch in den letzten Jahren bereits der Garantiezins gesenkt wurde und Steuererleichterungen in den Jahressteuergesetzen 2010 und 2013 in Bezug auf die Rückstellungen für Beitragsrückerstattung vorgenommen wurden, wird heute zum vierten Mal eine Maßnahme zur Stabilisierung des Lebensversicherungssektors beschlossen, ohne dass konkret dargelegt bzw. quantifiziert wird, welche Maßnahmen warum wirklich notwendig sind und zu wessen Lasten diese Maßnahmen erfolgen. Die Begründung des Bundesfinanzministeriums in einer angeforderten Aufzeichnung, dass aufgrund der -anhaltenden Niedrigzinsphase nicht ausgeschlossen werden könne, dass einzelne Unternehmen künftig in Schwierigkeiten geraten können, ist alles andere als überzeugend. Die in der Aufzeichnung zitierte Studie der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht aus dem Jahr 2011, aus der hervorgeht, dass die Kapital-erträge der Lebensversicherer nicht ausreichen, um die Garantie sowie die Zuführungen zu Zinszusatzreserven zu tragen, berücksichtigt beispielsweise nur Kapital-erträge und weder die anderen Ertragsquellen noch deren Reserven. Festzustellen ist vielmehr, dass die Lebensversicherungsbranche in der Summe immer noch sehr profitabel ist. Stärkere Unternehmen erzielen immer noch Eigenkapitalrenditen von über 25 Prozent. Solange viele Versicherungsunternehmen aber gute Eigenkapitalrenditen, gute Ratings und hohe Ausschüttungen aufweisen und nur Teile der Versicherungsbranche vor wirtschaftlichen Problemen stehen, sollte doch lediglich dort spezifisch eingriffen werden, wo die Probleme tatsächlich liegen. Es ist schwer verständlich, weshalb die Profitabilität des gesamten Sektors zulasten der Versicherten angehoben werden soll, nur um wenige schwache Unternehmen zu schützen. Gleichzeitig ist nicht sichergestellt, dass die Maßnahmen zur Stärkung der Lebensversicherer auch wirklich deren Stabilisierung zugutekommen. Die Parallele zum Bankensektor zeigt doch eins: Mit Blick auf Ausschüttungen und Boni sind Auflagen und zusätzliche Regelungen notwendig. Nach alledem ist derzeit jedenfalls nicht erkennbar, dass der von der Bundesregierung gewählte regulatorische Ansatz der geeignetste ist. Berücksichtigt man nun noch, dass bereits das geltende Recht zur Beteiligung von Versicherten an den Bewertungsreserven bei Lebensversicherungen nicht einmal geeignet ist, Transparenz herzustellen – wie es die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion offen eingesteht –, kann man diese Maßnahme nur ablehnen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 35) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung einen von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes. Konkret geht es um § 52 a UrhG, der die Nutzung geschützter Werke in Wissenschaft und Forschung regelt und eine in der Praxis bedeutsame Schranke des Urheberrechts darstellt. Mit dem Gesetzentwurf erreichen wir zwei wesentliche Dinge: Zum einen erhalten wir vorläufig die für Wissenschaft und Forschung wichtige Geltung des § 52 a UrhG, zum anderen schaffen wir die Voraussetzung für die Einrichtung einer dauerhaften einheitlichen Wissenschaftsschranke im deutschen Urheberrecht. Die Wissenschaft leistet in unserer Gesellschaft einen maßgeblichen Beitrag zur Erweiterung unseres Wissenshorizonts. Dabei sind Wissenschaftler wie Studenten, Lehrer wie Schüler auf die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke angewiesen. Deswegen ist mit den §§ 52 a ff. UrhG eine besondere Schranke für die Bereiche Schule, Studium und Lehre, Wissenschaft und Forschung geschaffen worden. Kleine Teile eines Werkes oder Werke von geringem Umfang sowie Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge können für Unterrichtszwecke vervielfältigt und öffentlich zugänglich gemacht werden. Diese Wissenschaftsschranke wurde seinerzeit jedoch bewusst befristet, da die Anwendung in der Praxis noch nicht absehbar war. Diese Befristung wurde nun bereits zweimal verlängert, und es wurde jedes Mal vorher ein Evaluierungsbericht vorgelegt. Das Bundesjustizministerium ist leider auch in seinem dritten Evaluierungsbericht zu keinem Ergebnis gekommen und hat – außer einer weiteren Befristung der Schranke – ebenso wenig einen Lösungsvorschlag unterbreitet. Deshalb haben wir von CDU und CSU gemeinsam mit der FDP einen Gesetzentwurf eingebracht, der eine erneute Befristung von § 52 a UrhG in § 137 k UrhG bis zum 31. Dezember 2014 vorsieht. Gleichzeitig fordern wir aber die Bundesregierung auf, bis spätestens sechs Monate vor Ablauf dieser Befristung einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den § 52 a UrhG in eine dauerhafte Urheberrechtsschranke überführt wird. Das Ziel sollte es sein, eine neue einheitliche Wissenschaftsschranke zu schaffen. Damit ließe sich endgültig Rechtssicherheit für alle Beteiligten erreichen. Zudem sind viele der Regelungen in §§ 52 a ff. UrhG heute aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung nicht mehr angemessen und teilweise überholt. Das Bundesjustizministerium hätte jedenfalls lange Zeit gehabt – drei Jahre, um genau zu sein –, eine Lösung vorzulegen. Da dies immer noch nicht geschehen ist, haben wir nun aus der Mitte des Parlaments heraus einen Gesetzentwurf eingebracht. Im Bereich der Schulen funktioniert die Anwendung des § 52 a UrhG bereits gut. Probleme gibt es jedoch an den Hochschulen. Es ist fatal, dass seit der Einführung des § 52 a UrhG noch kein einziger Cent seitens der Länder an die am stärksten betroffene Verwertungsgesellschaft, die VG Wort, geflossen ist. Mit der Einrichtung einer dauerhaften Wissenschaftsschranke muss gewährleistet sein, dass die Urheber für die Nutzung ihrer geschützten Werke angemessen vergütet werden. Mit der letztmaligen Erneuerung der Befristung wollen wir die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Vergütung sowie zur Reichweite der Schranke abwarten, damit dann die Erkenntnisse der Rechtsprechung in die Formulierung einer einheitlichen Wissenschaftsschranke einfließen können und die Reichweite der Schranke auf das erforderliche Maß reduziert werden kann. Bis Ende 2014 sollten wir mit einer Entscheidung durch den Bundesgerichtshof rechnen können. Nach diesem Urteil wird sich absehen lassen, wie die Regelung in § 52 a UrhG auf Grundlage der Entscheidung des BGH in den Hochschulen praktisch angewandt wird. Der vorliegende Gesetzentwurf wird nicht nur den Unterricht an Schulen und Hochschulen sowie die wertvolle Arbeit von Wissenschaft und Forschung in unserem Land in den kommenden beiden Jahren sichern. Er ist vor allem eine solide Grundlage für die Einrichtung einer dauerhaften, einheitlichen Wissenschaftsschranke im deutschen Urheberrecht. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag für Lehre und Forschung in Deutschland und schaffen gleichzeitig einen Ausgleich zwischen Urhebern, Werkmittlern und der Wissenschaft. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung debattieren, sieht eine nochmalige Verlängerung des § 52 a UrhG um weitere zwei Jahre, bis zum 31. Dezember 2014, vor. Diese Regelung erlaubt es, kleine Teile eines Werkes, Werke geringen Umfangs und einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften zur Veranschaulichung im Unterricht an Schulen, Hochschulen und weiteren Einrichtungen einem bestimmten abgegrenzten Kreis von Personen für Unterrichtszwecke oder für Forschungszwecke öffentlich zugänglich zu machen. Nach derzeit noch geltendem Recht läuft diese Sonderregelung für den Bildungs- und Wissenschaftsbereich zum 31. Dezember 2012 aus. Mit dieser Gesetzesänderung schaffen wir für weitere zwei Jahre Rechtssicherheit für alle betroffenen Akteure: für Lehrer und Wissenschaftler, für Forscher und Bibliothekare, aber auch für Autoren und Verleger. Wir sind uns jedoch auch bewusst, dass sich die angesprochenen Akteure dauerhafte Rechtssicherheit wünschen. Lassen Sie es mich klar sagen: Auch wir streben eine dauerhafte Lösung an. Jedoch fehlt es derzeit noch an den notwendigen Voraussetzungen für eine langfristige Lösung. Warum ist das so? Zwei wichtige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs stehen noch aus. Die eine betrifft die Höhe der von den Ländern zu entrichtenden Vergütungen an die Verwertungsgesellschaft VG Wort, die andere die Reichweite von § 52 a UrhG. Im ersten Verfahren hat zunächst das OLG München am 24. März 2011 einen Gesamtvertrag zwischen Kultusministerkonferenz und der VG festgesetzt, gegen den beide Parteien Revision eingelegt haben. Nun befasst sich der BGH mit diesem Verfahren. Ein Termin für die Entscheidung steht noch nicht fest. Im zweiten Verfahren, basierend auf einer Entscheidung des OLG Stuttgart vom 4. April 2012, erwarten wir eine Entscheidung über die inhaltliche Reichweite des § 52 a UrhG. Die Nutzung außerhalb des Semesterapparats oder außerhalb der Vorlesung sei von dieser Schranke ausdrücklich nicht erfasst, so das OLG Stuttgart – eine Auffassung, die meines Erachtens zu eng ist. Auch hier steht die Entscheidung des BGH noch aus. Solange wir kein auf Dauer belastbares rechtliches Fundament haben, können wir auch keine langfristigen politischen Richtungsentscheidungen treffen. Wir müssen als Gesetzgeber zunächst wissen, wie § 52 a UrhG auf der Grundlage der Entscheidungen des BGH künftig anzuwenden ist. Aus diesem Grund halten wir eine letztmalige Verlängerung der Befristung für richtig. Deshalb erhält die Bundesregierung in dem heute vorliegenden Gesetzentwurf auch den Auftrag, bis spätestens 30. Juni 2014 – sprich: bis ein halbes Jahr vor dem erneuten Auslaufen der Befristung – einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die befristete Sonderregelung des § 52 a UrhG in eine neu gefasste, dann dauerhafte Wissenschaftsschranke überführt wird. Mit der Verlängerung der bestehenden Sonderregelung haben wir für Schulen und Hochschulen, Bibliotheken und Verlage ein wichtiges Etappenziel erreicht. Unsere Arbeit geht aber weiter. Ziel ist es, bis Ende 2014 die in § 52 a UrhG geregelte Ausnahme zusammen mit anderen urheberrechtlichen Regelungen in den Bereichen Unterricht und Forschung zu einer einheitlichen Wissenschaftsschranke im Urheberrecht zusammenzuführen. Ich werbe dafür, die notwendigen Diskussionen hierzu früh zu beginnen und im nächsten Koalitionsvertrag die Richtung für die nächste Legislaturperiode möglichst präzise festzuschreiben. Das von der CDU/CSU-Fraktion am 26. Juni 2012 veröffentlichte Diskussionspapier „Urheberrecht in der digitalen Gesellschaft“ ist hierzu ein wichtiger erster Schritt. In diesem Papier hat meine Fraktion klarer und weitgehender als alle anderen Fraktionen im Deutschen Bundestag Stellung zu vielfältigen Fragen des Urheberrechts bezogen. Wir sind uns der maßgeblichen Rolle von Bildung und Wissenschaft zur Erweiterung unseres Wissens bewusst. Um diese Aufgabe zu erfüllen, sind Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen auf die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke angewiesen. Als Bildungs- und Wissenschaftspolitiker bin ich überzeugt, dass die Bedeutung von Bildung und Wissenschaft für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft in Zukunft nicht geringer werden wird; ganz im Gegenteil. Deshalb sollten Bildungs- und Forschungseinrichtungen auch in Zukunft im Sinne des jetzigen § 52 a UrhG eine Sonderstellung einnehmen. Ich weiß aus zahlreichen Gesprächen um die Unsicherheiten, die Sorgen und die Probleme, die in vielen Bildungs- und Forschungseinrichtungen im Hinblick auf das Urheberrecht vorherrschen. So hat die mediale Modernisierung dazu geführt, dass § 52 a UrhG in Wissenschaft und Forschung zunehmend als zu eng empfunden wird und auf eine deutliche Ausweitung gedrängt wird. Stark gestiegene Preise und die Bündelung in Daten-banken haben dazu geführt, dass es für die öffentliche Hand immer schwerer wird, wissenschaftliche Werke für Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu lizenzieren. Die Hochschulbibliotheken beschweren sich über Marktversagen und punktuelle Monopolbildung durch wissenschaftliche Großverlage. Die Länder wiederum beklagen enorme Preissteigerungen bei wissenschaftlicher Literatur. Diese und weitere Punkte wurden bereits in der zweiten Anhörung des BMJ zum sogenannten Dritten Korb des UrhG am 13. Juli 2010 sehr deutlich. In den bevorstehenden Verhandlungen zu einer einheitlichen Wissenschaftsschranke gilt es, auch diese Probleme zu berücksichtigen. Dabei muss es uns insbesondere gelingen, der wachsenden Bedeutung der elektronischen Kommunikation für Wissenschaft, Forschung und akademische Lehre Rechnung zu tragen. Nur so können wir ein modernes, zeitgemäßes und nutzerfreundliches Urheberrecht schaffen. René Röspel (SPD): Der hier zu debattierende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen stellt ein weiteres Mal ein Armutszeugnis für Schwarz-Gelb dar: Von Gestaltungswille kann hier keine Rede sein. Der § 52 a des Urheberechtsgesetzes soll nach dem Willen der Koalitionäre ein weiteres Mal um zwei Jahre verlängert werden. Damit vergibt die Bundesregierung – und mit ihr die Koalitionsfraktionen – die Chance, endgültig Rechtssicherheit für die Bildungs- und Wissenschaftslandschaft in Deutschland zu schaffen. Aber warum ist eine solche Regelung im Urheberrecht von solcher Bedeutung für Bildung und Lehre in Deutschland? Die Bedeutung der in § 52 a Urheberrecht kodifizierten Wissenschaftsschranke für den Bildungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland ist nicht zu unterschätzen. Nur durch diese Regelung ist es öffentlichen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland möglich, einen kleinen Teil eines geschützten Werkes zum Zwecke der Lehre einem begrenzten Personenkreis zugänglich zu machen. Der von fast allen Hochschullehrern an deutschen Hochschulen zum Einsatz kommende Semesterapparat – in analoger oder digitaler Form – ist hierfür das beste Beispiel. Aber auch die vereinzelte Kopie eines Fach- oder Zeitungsartikels, die von Lehrern den Schülern als ergänzendes Unterrichtsmaterial zur Verfügung gestellt wird, wird von dieser Regelung erfasst. Selbstverständlich erfolgt dies nicht gänzlich kostenfrei. Vielmehr sieht das Gesetz hierfür eine unbürokratische Lösung in Form der pauschalen Vergütung der Urheber mittels der Verwertungsgesellschaften vor. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, welche zentrale Rolle diese Ausnahmeregelung im Urheberrechtsgesetz für Einrichtungen der Bildung und Lehre hat. Ohne den § 52 a Urheberrechtsgesetz wäre eine effektive und qualitativ hochwertige Lehre in Deutschland kaum denkbar. Umso bedauerlicher ist es, dass den von dieser Regelung profitierenden Einrichtungen nicht dauerhaft Rechtssicherheit durch diese Bundesregierung geboten wird. Denn diese wichtige Regelung steht auf wackeligen Füßen: So wurde sie bei ihrer Einführung 2003 mit einer Befristung versehen, die den Zweck hatte, nach einer angemessenen Frist – von damals drei Jahren – die Regelung zu evaluieren und dann gegebenenfalls anzupassen bzw. zu entfristen. Nach erneuten Befristungen in den Jahren 2006 und 2008, das heißt nach nunmehr fast zehn Jahren, läuft die derzeitige Befristung zum Ende des Jahres aus. Dies hat die SPD-Bundestagsfraktion zum Anlass genommen, um bereits vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen, der eine endgültige Entfristung dieser in der Praxis wohl bewährten Regelung vorsieht. Denn nur auf diese Weise kann für die betroffenen Akteure dauerhaft Rechtssicherheit geschaffen werden. Dabei folgt die SPD-Bundestagsfraktion mit ihrer Forderung nach einer Entfristung nicht nur der Empfehlung der Allianz der Wissenschaftsorganisationen oder dem Bündnis für Urheberrecht. Vielmehr hat sich das Bundesministerium der Justiz bereits bei seiner Evaluation im Jahr 2008 für eine Entfristung der Regelung ausgesprochen. Umso verwunderlicher ist es, dass das gleiche Haus bei seiner dritten Evaluation erstmalig zur Auffassung kommt, von einer Entfristung zugunsten einer weiteren Befristung – es wäre die vierte in Folge – abzusehen, und dass es damit zu einem anderen Ergebnis kommt. Begründet wird diese abweichende Meinung mit der Empfehlung zur weiteren Befristung um zwei Jahre mit dem Hinweis, dass derzeit noch ein Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof anhängig ist, welches die Frage der Höhe der pauschalen Vergütung zwischen Nutzern im Hochschulbereich und den Rechteinhabern bzw. Verwertern endgültig klären soll. Diese Bewertung ist nur schwer nachvollziehbar. Würde man eine solche Begründung zu Ende denken, dann hieße dies, dass der Gesetzgeber in jeder Sach- bzw. Rechtsfrage, die derzeit vor deutschen Gerichten verhandelt wird, für die Dauer des Verfahrens seinen gesetzgeberischen Gestaltungsanspruch aufgibt. Das zuständige Fachressort scheint demnach in dieser Frage der Rechtsprechung Vorrang vor der Rechtsetzung zu geben, mit der Folge, dass das Primat der Politik vor der Judikative zurücktritt. Zwar ist es grundsätzlich begrüßenswert, wenn die Exekutive die verfassungsgemäße Unabhängigkeit der Judikative anerkennt, doch sollte just jenes Haus, welches die gesamte juristische Fachkompetenz der Bundesregierung bündelt, sich darüber im Klaren sein, dass das Richterrecht lediglich dazu dient, Unklarheiten in der Gesetzgebung zu klären – nicht jedoch die tatsächliche Gesetzgebung der Exekutive zu ersetzen. Allerdings ist eher davon auszugehen, dass das zuständige Ministerium sich seiner Kompetenz und Aufgabe bewusst ist. Vielmehr scheint hier die politische Spitze des Fachressorts die Uneinigkeit zwischen Bildungs- und Rechtspolitikern der Koalitionsfraktionen über die künftige Ausgestaltung des Urheberrechts mit fadenscheinigen Begründungen zu decken bzw. den durch Uneinigkeit geschwächten Koalitionsfraktionen mehr Zeit zu verschaffen. Diese Uneinigkeit hat letztlich eine Handlungsunfähigkeit zur Folge, die den Interessen der Bildungs- und Wissenschaftslandschaft in Deutschland nicht gerecht wird. Diese Handlungsunfähigkeit hat etwa dazu geführt, dass der vorliegende Gesetzentwurf nur in allerletzter Minute seinen Weg ins Parlament gefunden hat. Abgesehen von dem Umstand, dass der vorliegende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen den Mitgliedern des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung erst unmittelbar vor Beginn der Ausschusssitzung übermittelt und somit eine inhaltliche Auseinandersetzung im parlamentarischen Raum erheblich erschwert wurde, werden die von der Regelung betroffenen Bildungseinrichtungen im Ungewissen gelassen, auf welcher rechtlichen Basis die Wissensvermittlung ihrer Lehrtätigkeit ab dem 1. Januar 2013 beruht. Zudem birgt diese Vorgehensweise die Gefahr, dass eine mögliche unerwartete Verzögerung im parlamentarischen Verfahrensablauf – man denke an dieser Stelle etwa an die Vorgänge rund um das Be-treuungsgeld – zu unabsehbaren Folgen für den Bildungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland führt. Dies scheint diese Regierungskoalition offenbar billigend in Kauf zu nehmen. Es ist daher mit angemessener Bestürzung festzustellen, mit welcher Leichtfertigkeit diese Regierung und mit ihr die Koalitionsfraktionen das Wohl und Wehe der betroffenen Einrichtungen und der auf sie angewiesenen meist jungen Menschen in Bildungsfragen riskieren. Denn die Betroffenen haben in Fragen, die so grundlegend für ihre Arbeit sind, Anspruch auf Rechtssicherheit, sei sie befristet oder unbefristet. Aber es wird offenbar Prinzip dieser Koalition, selbst in eindeutigen Angelegenheiten so lange zu feilschen, bis Probleme für die Betroffenen entstehen. Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Wie oft will uns die schwarz-gelbe Koalition noch beweisen, dass sie nicht regierungsfähig ist? Die Ergebnisse des letzten Koalitionsausschusses bildeten nur den Auftakt in dieser Woche für die Beweisführung. Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes, die erneuten Befristung des § 52 a, ist ein weiterer Beleg für die Unentschlossenheit von Schwarz-Gelb. Statt eine längst überfällige umfassende Novellierung des Urheberrechtsgesetzes vorzulegen, wird jetzt schnell mit einem Einzelvorhaben reagiert, bevor in zwei Monaten die bisherige Regelung nicht mehr gültig ist. Jetzt müssen wir nur hoffen, dass bis zur zweiten und dritten Lesung des aktuellen Entwurfs nicht noch ein Koali-tionsgipfel ansteht, bei dem einer der Partner Verhandlungsmasse braucht und den eingebrachten Gesetzentwurf wieder infrage stellt. Das haben wir ja bei anderen Vorhaben in den letzten Monaten schon erleben dürfen – ich nenne hier nur das Betreuungsgeld. Im Sinne der Rechtssicherheit für Forschung und Lehre hoffe ich, dass uns wenigstens ein solcher Schildbürgerstreich erspart bleibt. Denn dann müssten unsere Hochschulen im laufenden Semester ihren kompletten Lehrbetrieb über den Haufen werfen. Bildungspolitisch wäre dies ein Fiasko und rechtspolitisch ein endgültiger Todesstoß für diese Koalition. Nach der letzten Bundestagswahl hat Schwarz-Gelb vollmundig angekündigt, dass ab jetzt durchregiert werde, weil endlich die richtigen Partner zusammen seien. Wenn Sie diese Ansage nur in Ansätzen ernst nehmen würden, liebe Kolleginnen und Kollegen von Schwarz-Gelb, dann müsste zumindest der vorliegende Entwurf anders aussehen. Dann würden wir wenigstens über eine dauerhafte Entfristung des § 52 a diskutieren. Dann hätten wir endlich verlässliche und dauerhafte Regelungen für Unterricht, Lehre und Forschung. Einen entsprechenden Gesetzentwurf haben wir bereits im Juni dieses Jahres – Drucksache 17/10087 – eingebracht. Wenn Sie mehr Mumm in den Knochen hätten, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, dann hätten Sie einfach unserem Entwurf zugestimmt. Stattdessen verweigert die Koalition eine dauerhafte Lösung mit der Begründung, dass man noch ausstehende Gerichtsurteile abwarten wolle. Mit solider Gesetzgebung und verlässlichem Regierungshandeln hat das wenig zu tun. Wie dringend notwendig für Schulen und Hochschulen eine dauerhafte verlässliche Regelung ist, zeigt schon die jüngste Evaluierung des Bundesjustizministeriums. Im Vergleich zum Sommersemester 2007 wurden im Sommersemester 2011 doppelt so viele Werke nach Maßgabe von § 52 a Abs. 1 Nr. 1 UrhG genutzt – insgesamt 1 142 939 Werke. 2007 waren es noch 597 400 Werke. In der Auswertung des BMJ wurde auch klar benannt, was passieren würde, wenn § 52 a Abs. 1 Nr. 1 UrhG dauerhaft wegfallen würde: „Nach Mitteilung der KMK für Hochschulen in öffentlicher Trägerschaft werde der Wegfall … zu Einschränkungen bzw. zur Abschaffung des Angebots von elektronischen Internetapparaten und damit zu spürbaren Beeinträchtigungen der Lehre führen“, heißt es dort. Das ist nachzulesen in der Drucksache des Rechtsausschusses Nr. 17(6)201. Dies belegt doch mehr als deutlich, wie dringend wir eine dauerhafte verlässliche Regelung brauchen. Mit einer Entfristung, wie wir sie von der SPD mit unserem Gesetzentwurf fordern, wäre dies gegeben. Bereits vor vier Jahren, damals noch unter anderer Führung, hat das Bundesjustizministerium eine dauerhafte Entfristung empfohlen. Nachzulesen ist das in der Unterrichtung an den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages „Bericht zu den praktischen Auswirkungen des § 52 a des Urheberrechtsgesetzes und Empfehlung zum weiteren Vorgehen“ vom 2. Mai 2008. Die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen hatten sich im September 2009 ebenfalls für eine Entfristung des § 52 a UrhG ausgesprochen. Darin wurde außerdem darauf hingewiesen, dass sich die wiederholte Befristung der Regelung negativ auf den Ausbau netzgestützter Lehr- und Forschungsstrukturen auswirke. Des Weiteren wurde darauf aufmerksam gemacht, dass mit einem Wegfall des § 52 a gerade ältere Literatur nur in einem sehr geringen Umfang auf elektronischen Lehr- und Forschungsplattformen zur Verfügung gestellt werden könnte. In den Reihen der Befürworter für eine Entfristung findet sich außerdem der Deutsche Bibliotheksverband e. V. Bereits 2008 hat er in einem Schreiben an unterschiedlichste politische Akteure dafür geworben. Warum also jetzt wieder eine zeitlich befristete Lösung? Liebe Abgeordnete der sogenannten christlich-liberalen Koalition: Aufgrund zahlreicher interner Querelen waren Sie nicht in der Lage, eine umfassende und zeitgemäße Novellierung des Urheberrechts auf den Weg zu bringen. Leider fehlte Ihnen auch die Größe, unserem Entwurf für die dauerhafte Entfristung des § 52 a zuzustimmen. Ich appelliere daher an Sie: Bringen Sie jetzt wenigstens die Befristung für weitere zwei Jahre schnellstmöglich und ohne weitere Zankereien auf den Weg. Dann können die Akteure im Bereich Unterricht, Lehre und Forschung wenigstens darauf vertrauen, dass im nächsten Jahr eine von der SPD geführte Bundesregierung für mehr Rechtssicherheit sorgen wird. Stephan Thomae (FDP): Das Urheberrecht, dessen Änderung wir heute debattieren, wurde 1965 verabschiedet. Damals wie heute war und ist das Ziel des Urheberrechts, den Urhebern und Inhabern verwandter Schutzrechte eine angemessene Vergütung zu sichern. Dieses Ziel muss insbesondere in Deutschland immer wieder in Erinnerung gerufen werden: Das Urheberrecht soll in erster Linie den Urheber schützen. Wir haben in Deutschland wenige Bodenschätze. Umso mehr sind wir darauf angewiesen, dass die Menschen mit ihren Ideen, mit ihrem geistigen Eigentum ihr Auskommen verdienen können. Deswegen setzt sich die FDP für ein starkes Urheberrecht und einen starken Schutz geistigen Eigentums ein. Eine gute und umfassende (Aus-)Bildung ist für die Menschen von ebenso großer Bedeutung wie der möglichst weitreichende Schutz der Urheber. Bildung lebt davon und ist darauf angewiesen, dass die Menschen Zugang zu Inhalten und Informationen erhalten. An dieser Stelle treffen die beiden Belange des Schutzes des geistigen Eigentums, durch den eine angemessene Vergütung der Urheber gesichert werden soll, und des Zugangs zu Informationen und Inhalten, um eine gute Bildung zu ermöglichen, aufeinander. Der deutsche Gesetzgeber hat durch das erste Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003 den § 52 a UrhG in das deutsche Urheberrecht eingefügt. Ziel der Novellierung war es, beide Interessen in Einklang zu bringen. Die Norm gestattet es, kleine Teile eines Werkes, Werke geringen Umfangs und einzelne Beiträge aus Zeitschriften oder Zeitungen zur Veranschaulichung im Unterricht an Schulen, Hochschulen und weiteren Einrichtungen einem bestimmten abgegrenzten Kreis von Personen öffentlich zugänglich zu machen. Voraussetzungen hierfür sind, dass dies zu Unterrichts- oder Forschungszwecken geschieht, die Maßnahmen zu dem jeweiligen Zweck geboten und zur Verfolgung nichtkommerzieller Zwecke gerechtfertigt sind. Im Zuge der Einfügung der Norm wurden Bedenken laut, die Regelung könne zu nicht hinnehmbaren Beeinträchtigungen der Verlage führen. Hier ist zu berücksichtigen, dass Schrankenregelungen schon begrifflich eine Beschränkung der Urheberrechte darstellen. Vor diesem Hintergrund wurde § 137 k UrhG eingeführt, durch den § 52 a UrhG zunächst bis zum 31. Dezember 2006 befristet wurde. Die Auswirkungen der Norm auf die Praxis sollten anhand einer Evaluierung ermittelt werden. Da eine abschließende Beurteilung bislang nicht möglich war, wurde die Befristung bislang zweimal verlängert. Stand heute würde die Regelung des § 52 a UrhG am 31. Dezember 2012 auslaufen, wenn der Deutsche Bundestag vorher nicht anders entscheidet. Für den Bereich der Schulen sind die Nutzungsbedingungen für die genannten Werke im Rahmen von Gesamtverträgen zwischen den Ländern und den betroffenen Verwertungsgesellschaften geregelt. Auch für die Nutzung an Hochschulen wurden mit nur einer Ausnahme zwischen den Ländern und den Verwertungsgesellschaften Gesamtverträge geschlossen. Einzig die VG Wort verhandelt mit der Kultusministerkonferenz noch über die Höhe und die Berechnungsweise der angemessenen Vergütung. Hierzu ist ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof anhängig. Darin wird auch über die Reichweite der sogenannten Wissenschaftsschranke entschieden werden. Eine Entfristung des § 52 a UrhG zum jetzigen Zeitpunkt, wie es die SPD fordert, wäre daher verfrüht. Denn eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes wird erst für 2013, also nicht vor dem bislang vorgesehenen Auslaufen von § 52 a UrhG, erwartet. Das Urteil des Bundesgerichtshofes sollte abgewartet und anhand dessen geprüft werden, ob der rechtliche Rahmen bereits jetzt ausreicht, um die Interessen von Urhebern und Bildungsanstalten in Einklang zu bringen, oder ob hier gesetzgeberisch nachgebessert werden muss. Aus diesen Gründen ist der Antrag der SPD abzulehnen. Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP schlagen stattdessen eine nochmalige Verlängerung der Befristung von § 52 a UrhG bis zum 31. Dezember 2014 vor. Gleichzeitig wird die Bundesregierung aufgefordert, bis spätestens sechs Monate vor Ablauf der erneuten Befristung einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, mit dem die Norm in eine dauerhafte Urheberrechtsschranke überführt werden kann. Dabei soll der Wissenschaft der digitale Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen durch eine Wissenschaftsschranke für den Fall gesichert werden, dass die Verlage keine Onlineangebote zu angemessenen Bedingungen bereitstellen. Diese Lösung wird den berechtigten Interessen aller Beteiligten gerecht. Wir sind damit auf einem guten Weg, in absehbarer Zeit einen endgültigen Schlussstrich unter die Frage nach der Zukunft von § 52 a UrhG zu ziehen und Rechtssicherheit für alle Parteien zu schaffen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Quasi in letzter Minute wollen die Kolleginnen und Kollegen von CDU, CSU und FDP nun doch noch die Geltungsdauer des § 52 a Urheberrecht um zwei Jahre verlängern. Sollte das nicht noch in diesem Jahr geschehen, wird es 2013 an Schulen, Hochschulen und anderen nichtgewerblichen Bildungsstätten unmöglich sein, beispielsweise Texte, Bilder oder Filmausschnitte für den Unterricht zu vervielfältigen und für Lehr- und Forschungszwecke in digitalisierter Form zur Verfügung zu stellen. Sie bewahren damit, vorausgesetzt der parlamentarische Gang kommt nicht doch noch ins Stolpern, die Bildungseinrichtungen mit einer erneuten Befristungsverlängerung des § 52 a haarscharf davor, nach aktuellem technischen Standard arbeitsunfähig zu werden. Vor fünf Wochen allerdings sah es noch so aus, als ob Sie es genau darauf ankommen lassen wollen. Während mir die Justizministerin Anfang Oktober schriftlich versicherte, sie hätte bereits im Juli eine Fristverlängerung vorschlagen lassen, meldete sich zeitgleich der CDU-Kollege Kretschmer in der Presse mit der Aufforderung an das Justizministerium, endlich etwas vorzulegen. Zu verstehen ist das alles nicht mehr. Selbst einen zaghaften halben Schritt verstolpern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition. Keiner will Verantwortung übernehmen. Warum spreche ich von einem halben Schritt? Weil die neuerliche Befristungsverlängerung von § 52 a das absolute Minimum dessen ist, was unabdingbar notwendig ist, um Wissens- und Informationszugang an Bildungseinrichtungen nicht wieder in die Ära der Kopiergeräte zu beamen. Sie wissen das selbst ganz genau. Warum sonst fordern Sie die Bundesregierung in Ihrem vorliegenden Gesetzentwurf auf, bis Mitte 2014 eine dauerhafte Lösung für die digitale öffentliche Zugänglichmachung von Lehr- und Lerninhalten zu erarbeiten? Mehr noch: Sie wollen sogar prüfen lassen, ob eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht, also besondere Nutzungsfreiheiten für die Wissensgesellschaft, hier die Lösung sein könnte. Genau das hat beispielsweise CDU-Kollege Tankred Schipanski vor wenigen Tagen selbst noch in einer öffentlichen Stellungnahme wieder einmal gefordert. Das begrüße ich sehr; denn im Kern nimmt Kollege Schipanski unsere Forderung, die Forderung der Linken, auf, die wir übrigens in mehreren Anträgen hier bereits vorgestellt haben. Zunächst einmal klingen diese Forderungen, die Ihren Gesetzentwurf begleiten, alle recht mutig und wissensfreundlich. Bei genauerem Hinsehen aber erhärtet sich der Verdacht, dass es sich doch um Verzögerung und Augenwischerei handelt: Wie soll eine neue Bundesregierung, wie von Ihnen gefordert, Mitte 2014, neun Monate nach der Wahl und ungefähr ein halbes Jahr nach Aufnahme der Amtsgeschäfte, ein solch umfassendes Projekt stemmen können, wenn es Ihnen in drei Jahren nicht gelingt? Doch wohl nur, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und FDP nicht mehr beteiligt sind. Oder wie soll ich Ihre Zeitvorgaben verstehen? Eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke lässt sich nicht von heute auf morgen ins Urheberrecht schreiben. Dazu bedarf es nicht zuletzt dank europarechtlicher Vorgaben sehr detailreicher Arbeit. Es wäre also angebracht gewesen, den bestehenden Paragrafen mindestens zu entfristen, um Zeit zu gewinnen für die längst überfälligen Änderungen am Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft. Diese hätten ja – daran will ich Sie erinnern – ursprünglich in einem sogenannten dritten Korb in dieser Legislaturperiode kommen sollen. Die Kolleginnen und Kollegen der SPD waren so freundlich und haben einen entsprechenden Gesetzentwurf bereits im vergangenen Juni eingebracht. Dem müssten Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, nur zustimmen. Eine solche Entfristung wäre zwar immer noch weitaus weniger als eine echte Bildungs- und Wissenschaftsschranke, wie sie uns Linken und Tankred Schipanski vorschwebt, aber sie hätte immerhin Planungssicherheit für die Bildungs- und Forschungspolitik, vor allem aber für unsere Schulen, Hochschulen und Ausbildungsstätten gebracht. Oder meinen Sie all die Lyrik zum vorliegenden Gesetzentwurf gar nicht ernst? Sie verweisen auf die laufenden Rechtsstreitigkeiten rund um § 52 a, die noch abzuwarten sind. Hier klagen Verlage gegen Universitäten auf Grundlage des bestehenden und nun einmal unzureichenden § 52 a, in der Hoffnung auf möglichst restriktive Auslegung dieses Paragrafen, um ihn damit de facto vor Ende der neuen Frist für seine Geltungsdauer für gescheitert erklären zu können. Statt also, wie von Ihnen angedeutet, gegen alle selbstverschuldete Blockiererei eventuell doch noch auf umfassende und notwendige Privilegien für Bildung und Wissenschaft im Urheberrecht zu setzen, können Sie auch einfach die laufenden Klagen abwarten, um dann am Ende sogar den kleinen § 52 a zumindest für die Hochschulen doch wieder abzuschaffen. Auch diese schäbige Option lassen Sie sich mit ihrem vorliegenden Last-Minute-Gesetzchen peinlicherweise offen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben es hier heute allein deshalb mit einer Protokolldebatte zu tun, weil es Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, zutiefst peinlich sein dürfte, was Sie uns vorlegen, und Sie deshalb ganz offensichtlich das Licht der breiteren Öffentlichkeit scheuen. Die Pein, die Sie sich aber auch uns mit dieser Vorlage antun, möchte ich in drei Punkten erläutern. Erstens. So viel Sonnenuntergang war noch nie: Die Schranke des § 52 a Urheberrechtsgesetz trat zwar vor einem knappen Jahrzehnt in Kraft. Sie ist aber eine sogenannte Sunset Clause. Sie wurde bereits dreimal verlängert, ist also noch immer befristet. Höflich ausgedrückt haben wir das, wie es das Bundesministerium der Justiz in seinem Schreiben vom Juli dieses Jahres an den Rechtsausschuss formuliert, „den Befürchtungen insbesondere der wissenschaftlichen Verleger vor unzumutbaren Beeinträchtigungen durch die neue Regelung“ zu verdanken und einer Bundesregierung, die mehr Wert auf Stimmen einzelner Interessensgruppen zu legen scheint, als dass sie Wert darauf legt, dass die von allen sonstigen Akteuren für höchst sinnvoll erachteten Erleichterungen für Wissenschaft und Lehre zumindest endlich entfristet werden. So scheint es leider bis heute noch immer nicht im Bewusstsein der Bundesregierung angekommen zu sein, dass gerade Bildung und Wissenschaft ebenso faire wie praktikable Urheberrechtsregelungen dringend benötigen. Die Bundesregierung hat nicht erkannt, dass gerade § 52 a Urheberrechtsgesetz einen zwingenden und wichtigen Schritt für den Bildungsstandort Deutschland darstellt. Denn er erleichtert die Zugänglichmachung von urheberrechtlich geschützten Inhalten im schulischen und universitären Umfeld. Die um ihre Einnahmen fürchtenden Verlagshäuser waren es, die immer wieder mit entsprechendem Lobbydruck und Drohszenarien die Befristungen plus aufwendige, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler belastende Evaluationen dieser einen Vorschrift erzwungen hatten. Sie haben sich offenbar auch diesmal erneut durchgesetzt. Wir sind mittlerweile bei der dritten Evaluation angelangt. Sie liegt auch bereits vor. Auch diese Evaluation soll aber angeblich keine endgültige Aussage darüber erlauben, ob eine endgültige Entfristung der bereits seit zehn Jahren rechtskräftigen Norm möglich erscheint. Die fadenscheinige Begründung: Zum einen könne man heute noch nicht entfristen, weil noch eine Entscheidung des BGH – von der niemand weiß, wann diese tatsächlich kommen wird – zu einem der umstrittenen materiellrechtlichen Tatbestandsmerkmale der Norm abgewartet werden soll. Zum anderen warte man noch ab, da vermutlich schon 2013 der BGH das Revisionsverfahren gegen den Gesamtvertrag zur Festsetzung einer angemessenen Vergütung entscheiden wird. Angesichts dieser Begründung aber fragt man sich, warum überhaupt jemals Evaluationen durchgeführt wurden, wenn diese für sich ohnehin nicht für wert befunden werden, eine Grundlage für die Entscheidung über die Entfristung zu bilden. Meine Damen und Herren von der Koalition, werte Frau Justizministerin, nahezu sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 52 a Urheberrechtsgesetz sind in einem Hagelsturm aus Klageverfahren von Verwertungsseite streitig gestellt worden. Das zeigt doch: Die Verlage wollen diese Norm eben nicht, weil damit potenzielle Einnahmeverluste einhergehen. Das Vorgehen der Verlage ist, das sage ich hier in aller Deutlichkeit, ihr gutes Recht. Doch wenn wir mit Hinweis auf diese Klagen jetzt jede gesetzgeberische Tätigkeit einstellen, dann werden wir definitiv bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf die Entfristung von § 52 a Urheberrechtsgesetz warten müssen. Das ist inakzeptabel. Noch befremdlicher erscheint das Zuwarten bei der Schlichtung um den Gesamtvertrag. Denn auch die Verwertungsgesellschaften ziehen es derzeit vor, in nahezu allen aktuell auszuhandelnden Fällen der notwendigen Festsetzung einer angemessenen Vergütung den oft jahrelangen Rechtsweg einzuschlagen. Eine Justizministerin aber kann und darf ihre Entscheidungen nicht von der gerichtlichen Streitlust einzelner Beteiligter abhängig machen. Es ist die Aufgabe der Justizministerin, hier endlich eine Entscheidung in der Sache zu treffen und sich inhaltlich zu dieser Wissenschaftsschranke zu bekennen – oder dies eben nicht zu tun. Als grüne Bundestagsfraktion haben wir diese Entscheidung bereits vor längerer Zeit getroffen und einen entsprechenden Antrag inklusive der Aufforderung zur Entfristung des § 52 a schon in der letzten Legislaturperiode gestellt; Bundestagsdrucksache 16/10566. Wir freuen uns, dass sich insbesondere die SPD mittlerweile ebenso positioniert hat. Die Dauerdiskussionen um die Entfristung wirken auch deshalb geradezu grotesk, weil wir in der Sache längst eine viel weiter gehende Debatte um diese Norm führen. Mit guten und von uns geteilten Argumenten fordert etwa die Allianz der Hochschulorganisationen eine Erstreckung des Anwendungsbereichs der Schranke auch auf das weiter an Bedeutung gewinnende E-Learning, also die Verfügbarkeit der Inhalte auch für das Selbststudium oder das unterrichtsbegleitende Studium in digitaler Form. Selbst wer so weit nicht gehen will, muss doch einräumen, dass die gegenwärtige Rechtsunsicherheit hinsichtlich der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 52 a Urheberrechtsgesetz in der Praxis zu Behinderungen der Lehrkräfte beim Einsatz neuer Medien führt. Es ist also eine Rechtsunsicherheit, die Wissenschaft und Bildung behindert und nicht befördert. Daraus ist aber eben gerade nicht zu folgern, dass die Vorschrift des § 52 a Urheberrechtsgesetz abgeschafft gehört, sondern sie ist perspektivisch so zu reformieren, dass sie ihrem Zweck der verbesserten Zugänglichmachung von Inhalten endlich wirklich gerecht wird. Zweitens. Wenn wir den Rahmen der Betrachtung der Peinlichkeiten dieser Bundesregierung in diesem Bereich erweitern, sollten wir uns die Grundhaltung des Justizministeriums zum Bereich Wissenschaft und Urheberrecht insgesamt näher anschauen. Bereits unmittelbar nach Verabschiedung des sogenannten zweiten Reformkorbes wurden in der Wissenschaft konkrete Forderungen nach einem dritten Korb laut. Eine alles in allem moderate Zusammenstellung dieser sorgfältig begründeten Reformforderungen stellen die dazu vorgelegten Papiere der Allianz der Hochschulorganisationen dar. Es war damit von Beginn an klar, dass es sich beim dritten Korb primär um einen „Bildungs- und Wissenschaftskorb“ handeln sollte. Das Ziel einer Urheberrechtsreform im Bereich von Bildung und Wissenschaft muss durch eine verbesserte Zugänglichmachung von Inhalten erreicht werden. Am besten ist dies über eine allgemeine, im Urheberrecht zu verwirklichende Wissenschaftsschranke zu erreichen, die letztlich hilft, die Arbeitsmöglichkeiten für Lehrende und Forschende zu beflügeln. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat von Beginn dieser Legislatur an versucht, den Eindruck zu erwecken, sie teile dieses Anliegen. Sie hat in einem aufwendigen Anhörungsverfahren der interessierten Kreise suggeriert, sie werde konkret liefern. Um die sich seitdem ausbreitende Leere zu überspielen, streute die Justizministerin dann auch noch eine groß angekündigte Urheberrechtsrede ein, die allerdings inhaltlich eher enttäuschte und der zudem eben nichts Konkretes folgte. In ihrem Koalitionsvertrag hieß es noch, man werde zügig die Arbeit am „Dritten Korb“ aufnehmen. Tja, und heute? Es besteht Anlass, zu erwarten, dass von dieser Bundesregierung rein gar nichts mehr zum Wissenschaftskorb kommen wird – außer der heute diskutierten erneuten Befristung des § 52 a Urheberrechtsgesetz. Das ist erbärmlich angesichts des drängenden Reformbedarfs, und zwar bei § 52 b Urheberrechtsgesetz, dessen Beschränkung der Verfügbarmachung von Werken allein an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen vor Ort sowie an den vorhandenen analogen Bestand anachronistisch und wissenschaftsfeindlich wirkt, bei § 53 Urheberrechtsgesetz, der einer effektiven digitalen Langzeitarchivierung völlig unnötige Steine in den Weg legt und damit das kulturelle Gedächtnis der Archive gefährdet, bei § 53 a Urheberrechtsgesetz, der den digitalen Kopienversand mittlerweile eher behindert als befördert und für eine Regelung der Zugänglichmachung verwaister Werke und eines unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrechts. Weil diese Bundesregierung hier nichts zustande bringt, werden wir deshalb dazu selbst weitere konkrete Vorschläge vorlegen. Denn Bildung und Wissenschaft sind auch zukünftig tragende Säulen unserer Wissensgesellschaften. Sie stehen in einem internationalen Wettbewerb der Standorte, und wir drohen durch Ihre Unfähigkeit, Progressives und Zeitgemäßes in diesem wichtigen Bereich auf den Weg zu bringen, einen unserer wertvollsten Wettbewerbsvorteile überhaupt zu verlieren. Drittens. Damit komme ich – ich kann es Ihnen leider nicht ersparen – zu guter Letzt zum Verhältnis dieser Bundesregierung zum Urheberrecht ganz allgemein. Wir alle wissen doch, dass der Kampf um das Urheberrecht mit harten Bandagen gespielt wird. Vermeidungsverhalten seitens der Justizministerin ist da durchaus erklärbar, wobei wir nicht so naiv sind, zu vermuten, dass der wirtschaftsliberale Teil Ihrer Partei hier keine Rolle spielt. Doch diese hasenfüßige Haltung ist alles andere als klug. Sie schadet langfristig den Urheberinnen und Urhebern und wird am Ende auch für die Unterhaltungswirtschaft alles andere als von Vorteil sein. Denn wir wissen gleichzeitig doch auch, dass die aus der Sache selbst folgenden Notwendigkeiten der Reform überhaupt nicht mehr zu übersehen sind. Die Akzeptanz des Urheberrechts in seiner ganzen Kleinteiligkeit und dogmatischen Unübersichtlichkeit droht angesichts der digitalen Revolution verloren zu gehen. Wer meint, mit einem rein repressiven Vorgehen und einem weiter ausufernden Abmahnverfahren die Entwicklung aufhalten zu können, der irrt. Wer glaubt, dass das Recht der Immaterialgüter in erster Linie und vorrangig allein den Urhebern zu dienen habe, der verkennt nicht nur die verfassungsrechtlichen Grundlagen dieses Rechtsgebietes, sondern auch den Kern des Urheberrechts, der längst und über einen langen Zeitraum zu einem komplexen Recht des Ausgleichs einer großen Anzahl unterschiedlicher und zum Teil deutlich gegenläufiger Interessen gewachsen ist. Man mag in vielen Details in der Sache streiten können, doch insgesamt sind die Forderungen nach Reform und weiterer Anpassung an die digitalen Veränderungen unüberhörbar und auch begründet. Die eigens dafür in dieser Legislatur vom Bundestag eingerichtete Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat dies in ihrer Projektgruppe Urheberrecht und den dazu erfolgten Anhörungen von Sachverständigen eindrucksvoll bestätigt. Anstelle weiterer Verschärfungen des Vollzugsapparats des Urheberrechts, die ohnehin nur um den Preis der weitestgehenden Abschaffung der Privatheit zu haben wären, bedarf es innovativer Konzepte, die auf die nicht mehr ganz so neuen Entwicklungen in der Sache Antworten geben. Wenn der private Tausch und Konsum von urheberrechtlich geschützten Inhalten nicht in den Griff zu bekommen sind, dann müssen wir doch über Alternativmodelle nachdenken, die auf anderen Wegen eine angemessene Vergütung der betroffenen Urheberinnen und Urheber sicherstellen. Wenn eine Remix- und Mashup-Kultur entstanden sind, die einen ganz neuen eigenen kreativen Gehalt haben, dann müssen wir doch über Mittel und Wege nachdenken, wie wir diese kreativen neuen Formen ermöglichen, anstatt sie zu unterbinden. Wenn die Einigung über angemessene Vergütungen zwischen Verwertungsgesellschaften und Wirtschaft re-spektive Staat zu scheitern drohen, dann muss doch auf allen Seiten klar sein, dass wir uns in einer Phase des Wandels und des Übergangs befinden, in der starre Maximalpositionen nur zu Stillstand führen, in der also von allen Seiten mehr Beweglichkeit erwartet werden kann. Die Bundesregierung schweigt zu alledem weitgehend. Sie zieht es vor, im Vorwahlkampf vollkommen in die falsche Richtung gehende Weihnachtsgeschenke in Gestalt eines in die Blöcke diktierten Leistungsschutzrechts für einige wenige große Presseverlage zu verteilen. Mit einem solchen Vorgehen beweist sie nur, wie sehr sie noch immer eine Politik verfolgt, die nicht das Gemeinwohl im Blick hat, sondern sich damit begnügt, Partikularinteressen zu bedienen. Statt sich endlich, politisch gestaltend, den drängenden Herausforderungen unserer Zeit zu stellen, beweist die Bundesregierung mit dem Leistungsschutzrecht nur ihre Rückwärtsgewandtheit. Diese wird Veränderungen nicht aufhalten, nicht bremsen und noch nicht einmal abfedern. Darum brauchen wir dringend auch in diesem Bereich einen politischen Neustart. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes; – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: – Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung reduzieren (Tagesordnungspunkt 38) Dieter Stier (CDU/CSU): Mit dem heute vorliegenden Entwurf des 16. Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes sollen Maßnahmen eingeleitet werden, welche den Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung in Zukunft deutlich reduzieren. Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass die Entscheidung über eine Antibiotikavergabe im Stall in hohem Maße von Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein der Verantwortlichen geprägt ist. Ein übermäßiger Einsatz von Antibiotika begünstigt bekanntlich die Entstehung und Verbreitung von Resistenzen. Da solche Resistenzen nicht nur in der Humanmedizin, sondern auch in der Tierhaltung nicht gewünscht sein können, ist es unser aller erklärtes Ziel, einer entsprechenden Entwicklung auf diesem Sektor schnell und wirksam Einhalt zu gebieten. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf hat die Bundesregierung ein Antibiotikaminimierungskonzept vorgelegt, welches eine deutliche Absenkung der Antibiotikaanwendungen in der Tierhaltung verfolgt, sehr viel mehr Transparenz beim Einsatz von Antibiotika bietet und eine konsequente Ahndung von Verstößen ermöglicht. Mit dem vorliegenden Gesetz wird der Weg für eine bundesweite Datenbank freigemacht. Damit soll den Behörden vor Ort die staatliche Befugnis erteilt werden, auffällig gewordenen Tierhaltern Maßnahmen zur Senkung des Antibiotikaverbrauches aufzugeben, wie beispielsweise konkrete Anweisungen zur Haltung der Nutztiere. Durch die amtliche Auswertung auf Basis einer soliden und überbetrieblichen Datengrundlage ist es erstmals auch bundesweit möglich, Vergleichszahlen zur Therapiehäufigkeit vorzulegen. Sobald ein Betrieb signifikant von den bundesweiten Durchschnittswerten abweicht, können die Veterinärämter vor Ort einschreiten und Reduzierungsstrategien auferlegen. Offen ist noch die Frage, ob die meldepflichtigen Daten zur Therapiehäufigkeit in einer behördlichen zentralen Datenbank gespeichert werden sollen oder ob dieses Antibiotikamonitoring über das QS-System – Qualität und Sicherheit GmbH – erfasst werden soll. Das QS-System führt bereits seit dem 1. April 2012 die Antibiotikadatenbank „VetProof“, ein Monitoring- und Reduzierungsprogramm, welches mehr als 25 500 Schweinemast- und über 4000 Geflügelmastanlagen aus dem In- und Ausland in seiner Datenbank führt. Mehr als 420 Tierärzte haben sich für die Teilnahme am QS-Monitoring angemeldet. Jegliche Antibiotikagabe in diesen Mastbetrieben wird von den behandelnden Tierärzten an die QS-Datenbank gemeldet. Nach Auskunft des QS-Systems mit Stand von September 2012 werden bereits jetzt etwa 90 Prozent der Schweinemast und 95 Prozent der Geflügelmast in Deutschland erfasst. Da bisher noch keine staatliche Datenbank existiert und das QS-System das Antibiotikamonitoring offensichtlich recht erfolgreich durchführt, bleibt zu überlegen, ob man im Hinblick auf die Vermeidung unnötiger Bürokratiekosten die Datenerfassung bei QS belassen sollte. Das Nebeneinander zweier Datenbanksysteme halte ich für ineffizient und schlichtweg zu kostenintensiv. Über Zugriffsmöglichkeiten der Überwachungsbehörden auf die QS-Datenbank könnten wir eine zufriedenstellende Lösung finden. Bisher überwacht die QS Qualität und Sicherheit GmbH die stufenweise Überwachung und Rückverfolgbarkeit landwirtschaftlicher Erzeugnisse und der daraus produzierten Lebensmittel. QS-Vertreter haben bereits öffentlich kundgetan, dass sie im Falle einer Übertragung der Antibiotikadatenbank eng mit den Behörden kooperieren werden. Warum sollten wir also zusätzliche Bürokratie schaffen? Ich persönlich favorisiere deshalb die Übertragung des Antibiotikamonitorings auf das QS-System. Die vorliegende 16. AMG-Novelle beinhaltet ebenfalls eine Kontrollverpflichtung für Tierhalter von bestimmten lebensmittelliefernden Tieren ebenso wie für die behandelnden Tierärzte. Betriebe mit auffälliger Therapiehäufigkeit müssen von sich aus initiativ werden und den Antibiotikaeinsatz entsprechend minimieren. Liegt der Verbrauch von Antibiotika höher als die bundesweit ermittelte Kennzahl für den Betriebstyp, muss gemeinsam mit dem behandelnden Tierarzt und der Kontrollbehörde die Therapiehäufigkeit überprüft werden. Mit dem Ziel einer Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes können die Betriebe verpflichtet werden, Maßnahmen zur Verbesserung der hygienischen Bedingungen, der Gesundheitsvorsorge oder der Haltungsbedingungen zu ergreifen. Dabei wissen wir alle: Je gesünder die Tiere sind, umso weniger Medikamenteneinsatz ist notwendig. Die Gesundheit der Tiere steht in direktem Zusammenhang mit den Haltungsbedingungen im Stall. Gleichzeitig werden die Tierärzte per Gesetz dazu verpflichtet, auf Anweisung der Überwachungsbehörden der Bundesländer Daten zur Abgabe und Anwendung von Antibiotika zusammengefasst zu übermitteln. Die Kontrollen für die Überwachung der Betriebe werden somit vereinfacht und beschleunigt. Ich befürworte die im Gesetz festgeschriebene Erweiterung der Befugnisse der zuständigen Kontroll- und Überwachungsbehörden der Bundesländer. Nur mit der engen Zusammenarbeit von Bund und Ländern sowie den Behörden vor Ort erreichen wir die notwendige Kontrolldichte. Durch entsprechende Verordnungsermächtigte sollen zudem die unzulässigen Umwidmungen von Antibiotika eingeschränkt werden, indem zunächst ein „Antibiogramm“ über die Wirksamkeit des betreffenden Antibiotikums erstellt werden muss. Die in der Vergangenheit leichtfertig praktizierte Umwidmung von Medikamenten, indem diese entgegen ihrer ursprünglichen Anwendungsbestimmung verabreicht wurden, birgt die große Gefahr einer Resistenzbildung. Auch angesichts der knapp werdenden Reserveantibiotika, die nur im äußersten Notfall zur Anwendung kommen, müssen Tierhalter und Tierärzte bei Verstößen -gegen arzneimittelrechtliche Vorschriften von den zuständigen Stellen der Tierarzneimittelüberwachung stärker zur Verantwortung gezogen werden. Ich halte es für richtig, die wenigen schwarzen Schafe der Branche schnell ausfindig zu machen und entsprechend zu sanktionieren. Trotz verschärfter Restriktionen und engmaschiger Kontrollen bei der Antibiotikavergabe plädiere ich weiterhin für eine fachgerechte Vergabe der Medikamente, allein beschränkt auf Krankheitsfälle. Es muss weiterhin möglich sein, kranke Tiere entsprechend zu behandeln. Wer als Tierhalter und Tierarzt einen verantwortungsvollen Umgang mit seinen Tieren pflegt, darf schon aus Tierschutzgründen einem behandlungsbedürftigen Tier die ihm zustehende, medizinisch notwendige Behandlung nicht verwehren. Vielfach wird derzeit auch eine prozentuale Reduzierung der Gesamtmenge der verordneten Antibiotika gefordert. Eine solche pauschale Mengenregulierung durch eine fiktiv vorgegebene Prozentzahl halte ich für nicht sachgerecht, weil sie nur an den Symptomen ansetzt und die Ursachen einer übermäßigen Antibiotikaanwendung außer Acht lässt. Eines möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen: Wenn wir uns hier auch mit Antibiotikamissbrauch in der Tierhaltung beschäftigen, dann müssen wir uns immer vergegenwärtigen, dass für die Mehrheit der Nutztierhalter das Wohlergehen und die Gesundheit jedes einzelnen Tieres im Vordergrund stehen. Nur wenn Tiere gesund sind, kann Tierhaltung auch zu entsprechendem wirtschaftlichen Erfolg der Betriebsinhaber führen. Mit der 16. AMG-Novelle wird der rechtliche Rahmen für Vorgaben beim Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin weiterentwickelt. Damit ist eine gute Grundlage geschaffen, um das gemeinsame Ziel, den Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung nachhaltig zu senken, zu erreichen. Ich lade Sie herzlich ein, den mit dem heute in erster Lesung eingebrachten Gesetzentwurf eingeschlagenen Weg gemeinsam zu diskutieren und zu einem guten Ergebnis im Verlauf der parlamentarischen Debatte zu führen. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Endlich hat die Regierung gehandelt. Das wurde auch Zeit; denn noch mehr Zeitverzug können wir uns angesichts der Brisanz des Themas nicht leisten. Schön, dass die Bundesregierung eine Vielzahl der Punkte in den heute vorliegenden Gesetzentwurf aufgenommen hat, die die SPD-Bundestagsfraktion bereits im Dezember 2011 in ihrem Antrag eingefordert hatte. Die SPD-Bundestagsfraktion hat Ihnen die Blaupause für ein effektives Antibiotikaminimierungskonzept auf nationaler Ebene vorgelegt. Die SPD fordert ein Antibiotika-minimierungskonzept mit klaren und eindeutigen Zielvorgaben. Und ich gehe noch weiter; denn ich fordere die Bundesregierung auf, alles zu unternehmen, um in den nächsten zwei Jahren den Antibiotikaverbrauch in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung um 30 Prozent zu senken. Wir brauchen Klarheit und vollständige Transparenz beim Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung. Dazu sollten alle Daten zu den verabreichten Antibiotika für jeden Betrieb und jeden Tierbestand in einer bundeseinheitlich zentralen Datenbank genau erfasst und ausgewertet werden. Nur so lässt sich schnell ermitteln, welche Tierhalter überhöhte Antibiotikamengen einsetzen. Zukünftig sollten Landwirte und ihre betreuenden Tierärzte gesetzlich dazu verpflichtet werden, unmittelbar Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn der Antibiotikaeinsatz in einer Tierhaltung signifikant erhöht ist. Die Experten, Praktiker und ich als Tierarzt wissen doch genau, dass sehr oft der Hygienezustand im Stall darüber entscheidet, welche Mengen an Antibiotika eingesetzt werden. Manch ein Landwirt scheut die erforderlichen Investitionen, etwa in eine bessere Lüftungsanlage, und nimmt dafür Erkrankungen der Tiere bewusst in Kauf. Es ist daher Aufgabe von Landwirt und Tierarzt, gemeinsam ein Konzept zur Verbesserung des Hygiene- und Gesundheitszustandes im betroffenen Tierbestand zu entwickeln. Geschieht das nicht oder bleibt dies ohne Erfolg, müssen in einer zweiten Stufe die amtlichen Kontrollbehörden einen rechtlich verbindlichen Sanierungsplan vorschreiben können. Bleibt auch diese Maßnahme erfolglos, muss die Produktionseinstellung die letzte Konsequenz sein. Von einem effektiven Antibiotikaminimierungskonzept ist diese Bundesregierung meilenweit entfernt. Ihr Gesetzentwurf reicht bei weitem nicht aus, um das Problem des überhöhten Antibiotikaverbrauchs in der landwirtschaftlichen Tierhaltung in den Griff zu bekommen. Überhaupt hat diese Bundesregierung ein grundsätzliches Problem; denn sie will zwar die Anwendung von Antibiotika zukünftig stärker überwachen, aber sie nicht anhand klarer Zielvorgaben senken. Aber mehr als 1 700 Tonnen eingesetzte Antibiotika sind einfach zu viel. Die Bundesregierung vermeidet es, in der Gesetzesvorlage eindeutige Zielvorgaben festzuschreiben, an denen sich die Landwirte und Tierärzte orientieren müssen. Auch an anderer Stelle muss die Bundesregierung nachbessern, damit sich in den nächsten Jahren spürbare Erfolge gegen den Antibiotikamissbrauch einstellen. So sollte sie die Datenbank des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI, ausbauen. Zukünftig sollten Apotheken mit einbezogen und die vollständigen Adressen der Tierärzte und die bezogenen Mengen an Antibiotika erfasst werden. Tierärzte und nicht die Landwirte sollten verpflichtet werden, in die zentrale Datenbank die Daten zur Antibio-tikaanwendung einzustellen. So lässt sich auch über Bundesländergrenzen hinweg ermitteln, welcher Tierarzt für welche Zwecke wann welche Antibiotika verabreicht hat. Ausländische Tierärzte, die auch in Deutschland Tierbestände betreuen, werden von der AMG-Novelle bisher nicht erfasst, was insbesondere in grenznahen Regionen zu Überwachungslücken führt. Die Meldeintervalle der Tierärzte müssen in jedem Fall verkürzt werden. Die Meldung des Antibiotikaeinsatzes an die zentrale Datenbank muss zeitnah erfolgen. Technisch ist das heute überhaupt kein Problem mehr; es ist auch mit keinen zusätzlichen Kosten verbunden, da die Daten auf Grundlage der Abgabe- und Anwendungsbelege bereits erfasst und vorhanden sind. Spätestens sieben Tage nach Abschluss der Behandlung sollten die Daten in der Datenbank verfügbar sein. Es reicht natürlich auch nicht aus, sich nur um die Mastbetriebe und um Masthühner, Puten und Schweine zu kümmern. Wir müssen eine verlässliche Übersicht über alle Antibiotikaverbrauchsmengen in allen landwirtschaftlichen Nutztierhaltungsanlagen erhalten: Milchkühe, Sauen, Legehennen und Fischzuchten müssen in ein novelliertes Arzneimittelgesetz einbezogen werden. Auch halte ich den im Gesetz vorgesehenen Index über die Therapiehäufigkeit für wenig zielführend. Er ermöglicht keine eindeutige Zuordnung, welche Betriebe denn nun wirklich Beratung und Unterstützung benötigen. Zur Luftnummer wird die AMG-Novelle spätestens dann, wenn der Gesetzgeber den auffälligen Betrieben Auflagen machen will. Beispielsweise gibt es keine ausreichende gesetzliche Grundlage, um konkrete Auflagen zur Verbesserung des Startklimas zu machen. Dafür brauchen wir eine verbindliche Rechtsgrundlage. Die bisherige Schweinehaltungshygieneverordnung ist dafür ein untaugliches Instrument. Die aufgeführten Punkte zeigen, wie unausgegoren und lückenhaft der gesamte Gesetzentwurf ist. Das hat der Bundesrat durch 47 Änderungsanträge sehr deutlich gemacht. Die Agrarministerkonferenz kritisiert die AMG-Novelle als nicht ausreichend. Die AMK fordert die lückenlose Verknüpfung der Daten vom Antibiotikahersteller bis zum Stall. Auch die Verbraucherministerkonferenz fordert ein eindeutiges Antibiotikaminimierungskonzept auf Grundlage einer zentralen, bundesein-heitlichen, amtlichen Datenbank mit automatisierten Melde-, Berechnungs- und Informationsprozessen, die auf Betriebs-, Landes- und Bundesebene zeitnahe Auswertungen des Einsatzes von Antibiotika ermöglicht. Wir müssen entlang der gesamten Produktionskette den Einsatz von Antibiotika minimieren, und dazu brauchen wir die Grunddaten. Die Wirtschaft und das QS-System machen uns vor, wie kostengünstig und effektiv die Datenerhebung und -auswertung erfolgen können. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liefern 4 050 Geflügelhalter und mehr als 25 000 Schweinehalter sowie mehr als 800 Tierärzte Daten für das Antibiotikamonitoring im QS-System. Das System liefert bereits heute relevante Daten, anhand deren die Landwirte und Tierärzte Maßnahmen ergreifen müssen. In diesem Zusammenhang gebe ich zu bedenken: Ich halte es für problematisch, wie sich das AMG in den letzten Jahren entwickelt hat. Es ist für den Rechtsbetroffenen kaum noch lesbar. An dieser Stelle appelliere ich an die Bundesregierung, das komplexe AMG lesbarer und damit vollzugsfähig zu gestalten. Nur wer versteht, welche Rechte und Pflichten er hat, kann auch handeln. Ich möchte an dieser Stelle auch die Gelegenheit nutzen und darauf hinweisen, dass der Antibiotikaeinsatz in der landwirtschaftlichen Tierhaltung nicht isoliert betrachtet werden darf. Wir müssen ganzheitlicher denken: Tierhaltungssysteme müssen an die Tiere angepasst werden und nicht die Tiere an die Haltungsbedingungen. Die gesamte landwirtschaftliche Nutztierhaltung in Deutschland muss sich stärker an den gesellschaftlichen Anforderungen ausrichten, wenn sie ihre Akzeptanz nicht verlieren will. Die SPD spricht sich dafür aus, zusammen mit der Wissenschaft und der Wirtschaft die Haltungssysteme weiterzuentwickeln. Seit Jahren blockiert die Koalition die Umsetzung des Tierschutz-TÜVs für serienmäßig hergestellte Stallsysteme. Wir fordern neue Forschungsansätze zu tiergerechten Haltungsformen und für mehr Tierschutz in der Nutztierhaltung. Die Finanzierung muss durch die Umschichtung von Mitteln aus dem Haushalt des BMELV gewährleistet werden. Dazu haben wir in den diesjährigen Haushaltsberatungen entsprechende Anträge vorgelegt. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt in diesem Zusammenhang auch die Deutsche Agrarforschungsallianz, DAFA, die mit ihrer aktuellen Forschungsstrategie einen Weg aufzeigt, um den Dialog zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft voranzutreiben. Die DAFA definiert Forschungsfelder, die dringend bearbeitet werden sollten, damit auf wissenschaftlicher Grundlage der Zustand in der Nutztierhaltung verbessert wird. Die SPD hinterfragt auch die bisherigen Züchtungskonzepte. Beispielsweise belasten eine sehr kurze Mastdauer und hohe tägliche Gewichtszunahmen den Organismus von Mastgeflügel bis an die Grenzen. Hier müssen wir zu anderen Lösungen kommen; denn ein guter Gesundheitsstatus der Tiere senkt den Einsatz von Antibiotika weiter. Bei den vielen Unzulänglichkeiten in der Gesetzesnovelle werden wir in den kommenden Wochen intensiv an Verbesserungen arbeiten müssen. Die SPD-Bundestagsfraktion wird ihre Vorschläge durch Änderungsanträge einbringen. Ich hoffe, dass am Ende etwas Anständiges herauskommen wird, damit wir nicht jene im Regen stehen lassen, die das Gesetz am Ende umsetzen müssen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Erstmalig hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Antibiotikamenge erfasst und veröffentlicht, die in einem Jahr an Tierärzte und Großhandel -abgegeben wurde. Im Jahr 2011 wurden 1 734 Tonnen Antibiotika abgegeben. Selbst angesichts der rund 28,1 Millionen Schweine, 12,5 Millionen Rinder, darunter 4,2 Millionen Milchkühe, und der rund 115 Millionen Hühner und 1 Million Pferde, die laut Statistischem Bundesamt in Deutschland gehalten werden, ist diese Menge hoch. Sie ist deutlich höher, als dies von Experten erwartet worden war. Dass diese Informationen jetzt vorliegen, ist nach meiner Ansicht ein wichtiger Fortschritt. Gemeinsam mit den Untersuchungsergebnissen des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums belegen sie einen hohen Antibiotikaeinsatz in der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Allerdings ist auch festzustellen, dass der Antibiotikaeinsatz in der Humanmedizin mit 816 Tonnen ebenfalls sehr hoch ist. Gut geführte Bestände von gesunden Nutztieren brauchen in der Regel keine oder nur in geringem Umfang Antibiotika. Die Zahlen aus Niedersachsen zeigen jedoch, dass dennoch der Einsatz von Antibiotika in der Mast die Regel und nicht die Ausnahme ist. So wurden in der Kälbermast 92 Prozent der Kälber, bei Puten 84 Prozent, bei Hühnern 76 Prozent und bei Schweinen 68 Prozent der Tiere mit Antibiotika behandelt. Es ist offensichtlich: Die bestehenden, unverbindlichen Leitlinien der Bundestierärztekammer allein haben auf die Anwendung von Antibiotika keinen großen Einfluss gehabt. Um zu einer Verringerung der Anwendung von Antibiotika in der Nutztierhaltung zu kommen, brauchen wir daher weitere Kontroll- und Anreizsysteme. Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln sich in Bakterien spontan. Dies ist unvermeidbar. Je länger und häufiger ein Antibiotikum in Gebrauch ist, desto schneller verbreiten sich Bakterien, die gegen diesen Wirkstoff resistent sind. Insbesondere multiresistente Keime, die unempfindlich gegen mehrere Antibiotika sind, können nur schwer behandelbare Infektionskrankheiten verursachen. Die bekanntesten Beispiele hierfür sind MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) und ESBL-Keime (Extended Spectrum beta-Lactamase). Deswegen sind Antibiotikaresistenzen ein bedeutendes Problem für die öffentliche Gesundheit. Es ist ein Gebot des vorsorgenden Gesundheitsschutzes, Antibiotika sachgerecht, das heißt bei Vorliegen einer bakteriellen Infektion, anzuwenden, um sicherzustellen, dass wirksame Antibiotika im Notfall zur Verfügung stehen. Angesichts der beschriebenen Situation ist eine Überarbeitung des Arzneimittelgesetzes dringend erforderlich. Die niedersächsischen Untersuchungen deuten darauf hin, dass in vielen Tierhaltungen Antibiotika eingesetzt werden, um Mängel in der Haltung der Tiere, im Betriebsmanagement und in der Hygiene zu überdecken. Das kann nicht länger geduldet werden. Die FDP unterstützt im Kern die vorliegende Novelle. Es sollen Kennzahlen erhoben werden, die die im Normalfall erforderlichen Antibiotikagaben beschreiben. Die Kennzahlen verbessern die Möglichkeiten der Eigenkontrolle für Landwirte und schaffen Anreize zur Eigeninitiative. Dabei müssen wir die bereits durch QS privatwirtschaftlich erhobenen Daten einbinden, um unnötige Bürokratie und Belastungen – insbesondere für kleinere Betriebe – zu vermeiden. Werden diese Kennzahlen überschritten, ist der Tierhalter verpflichtet, einen Managementplan vorzulegen, in dem beschrieben wird, in welcher Weise das Hygiene- und Haltungsmanagement verbessert werden soll. Der Plan ist in Zusammenarbeit mit dem betreuenden Tierarzt zu erarbeiten. Die Tierärzte müssen verstärkt durch Beratungsleistungen in das Bestands- und Hygienemanagement eingebunden und dafür angemessen entlohnt werden. Damit wird automatisch der Anreiz sinken, Medikamente zu verkaufen. Gleichzeitig ist die Ressortforschung gefordert, Alternativen zum Antibiotikaeinsatz, wie beispielsweise markergestützte Impfungen, zu erforschen. Der im Gesetz vorgeschlagene Ansatz dient der problemorientierten, nachhaltigen Lösungsfindung. Gut geführte Betriebe geben das Vorbild und nicht am grünen Tisch festgelegte Reduktionsziele. Ein Verbot des Einsatzes von Antibiotika für Tiere lehnt die FDP ab. Ein krankes Tier muss behandelt werden. Ein Verbot begünstigt einen grauen Markt und verhindert damit, dass Haltungsprobleme gelöst werden. Ebenso lehnen wir ein abstraktes Ziel der Mengenreduzierung ab. Solche abstrakten Ziele werden der sehr unterschiedlichen Situation der verschiedenen Tierhaltungen nicht gerecht. Das neue Gesetz erschwert zudem das Umwidmen von Antibiotika und schafft die Möglichkeit, den Einsatz von wichtigen Reserveantibiotika einzuschränken oder zu verbieten. Dies leistet einen wichtigen Beitrag dazu, Resistenzbildungen zu verringern. Die Bundesregierung hat bereits Maßnahmen eingeleitet, um den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung zu vermindern. Auf der Agrarministerkonferenz wurde die Schaffung einer bundeseinheitlichen amtlichen Datenbank beschlossen, die zeitnah die Meldungen des -Antibiotikaeinsatzes bei landwirtschaftlichen Nutztieren erfassen soll. Wir müssen im parlamentarischen Verfahren darauf dringen, die Erfassung der Kennzahlen transparent zu organisieren und zu verhindern, dass parallele Datenbanken geführt werden. Gleichwohl ist schon jetzt klar, dass alle diese Maßnahmen Geld kosten. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich darauf einstellen, in Zukunft mehr Geld für Fleischprodukte zu bezahlen. Erhöhte Standards im Hygiene- und Haltungsmanagement von Nutztieren verursachen höhere Kosten. In der Charta für Landwirtschaft haben wir erfahren, dass in der Gesellschaft höhere Standards erwünscht sind. Wir hoffen, dass die sich daraus ergebenden Konsequenzen der Kostensteigerung ebenfalls getragen werden. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass die Umsetzung der Maßnahmen größeren Betrieben leichter fallen wird als kleineren Betrieben. Deshalb fühlen wir uns verpflichtet, mit Augenmaß die Verringerung der Antibiotikaanwendung zu verfolgen. Dann kann eine für Verbraucherinnen und Verbraucher wie auch die Tierhalter gute Novellierung des Gesetzes gelingen. Hans-Michael Goldmann (FDP): Bei dem Ziel, die Antibiotikaabgabemengen in der Tierhaltung zu reduzieren, sind wir uns doch hier im Bundestag über alle Fraktionen hinweg einig. Das Ziel haben im Übrigen auch alle vernünftigen Tierhalter. Das ist einmal wichtig, festzustellen. Denn Antibiotika kosten viel Geld, und es liegt im ökonomischen Eigeninteresse der Tierhalter, Kosten zu sparen, wenn dies der Tiergesundheit nicht entgegensteht. Die Änderungsanträge des Bundesrates zeigen, dass wir an der einen oder anderen Stelle noch über Anpassungen diskutieren müssen. Das geht jedoch nur im -Dialog mit den Praktikern vor Ort. Denn wir brauchen praktikable Lösungen. Reichen wir also den Tierhaltern die Hand und erkennen sie als konstruktive Partner an, die die Minimierungsziele bei der Antibiotikavergabe ebenso anstreben wie wir hier in Berlin. Was ich aber wirklich strengstens ablehne, ist eine pauschale Verunglimpfung der deutschen Tierhalter, wie es hier nun von mancher Seite als großes Wahlkampf-thema genutzt wird. Natürlich gibt es schwarze Schafe. Die finden wir leider überall. Das ist aber eine Minderheit. Und genau diese Minderheit müssen wir durch eine Novellierung des Arzneimittelgesetzes erreichen und fachlich durch die praktizierenden Tierärzte und mit einem praxistauglichen Minimierungskonzept begleiten. Ich betone aber, nicht als Politiker, sondern als ausgebildeter Tierarzt, dass es eben die praktizierenden Tierärzte sind, die die fachliche Eignung für eine Beurteilung der Antibiotikaverabreichung und der Stallsysteme aufweisen. Diese müssen wir durch die Novellierung stärken und rechtzeitig in die Prozesse einbinden. Ferner müssen wir noch im parlamentarischen Prozess diskutieren, ob es nicht auch sinnvoll ist, den vorgelagerten Bereich, also die Aufzucht, in das Monitoring zu integrieren, um die gesamte Wertschöpfungskette im Blick zu haben. Denn gerade bei den Muttertieren und der Aufzucht ist eine fachliche Beratung von großer Bedeutung, um keine negativen Folgeerscheinungen in die Mast zu verschleppen. Auch hier müssen wir die Tierärzte rechtzeitig einbinden. Aber eines muss auch noch erwähnt werden: Durch das privatwirtschaftliche QS-System erfassen wir bereits seit einiger Zeit Daten. Diese schon existenten Strukturen müssen wir nutzen und integrieren, um Doppelerfassungen und unnötige Kosten zu vermeiden. Halten wir also fest: Die Koalition stellt sich dem wichtigen Thema in der Nutztierhaltung und wird eine gute Basis für die Problemlösung bei der Vergabe von Antibiotikaabgabemengen finden. Dabei wissen wir, dass es viele Tierhalter gibt, die nach der guten fach-lichen Praxis und im Sinne der Tiergesundheit handeln und letztlich ein gutes, qualitativ hochwertiges Lebensmittelprodukt erzeugen. Wir wissen aber auch, dass es einige Problembetriebe gibt. Das wird keiner bestreiten. Genau die wollen wir nun zu Verbesserungen anleiten, ohne dabei einen gesamten Berufsstand mit Unterstellungen in Verruf zu bringen. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): „K. O. den Tierfabriken!“ heißt die aktuelle Kampagne des BUND. Man kann trefflich darüber streiten, was „Tierfabriken“ sind und welchen Beitrag solche Skandalisierungen zur Problemlösung leisten können. Für die Linke sind aber zwei Dinge viel entscheidender: Erstens ist anzuerkennen, dass es in Teilen der Nutztierhaltung Gesundheitsprobleme gibt. Und zweitens können wir die Probleme nur lösen, wenn wir ihre Ursachen und die Verbesserung des Tierwohls in den Mittelpunkt der Debatte rücken. Es muss vor allem um die Qualität der Nutztierhaltung gehen. Das ist weit mehr als nur ein Zählappell im Stall. Oder sind 30 000 Legehennen an einem Standort schon deshalb keine Tierfabrik, weil dort Bioeier produziert werden? Als Gesetzgeber tragen wir dabei eine doppelte Verantwortung. Wir müssen die Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten berücksichtigen, die gesunde und bezahlbare Lebensmittel wollen. Gleichzeitig will die Gesellschaft völlig zu Recht eine Tierhaltung, die tierwohlgerecht ist und die natürlichen Lebensbedingungen nicht unnötig belastet. Zumindest bezüglich der Produktionskosten ist das ein gewisser Interessenkonflikt, solange zum Beispiel die durch Umweltbelastungen verursachten Kosten nicht in die Erzeugungskosten eingerechnet, sondern von der Gesellschaft getragen werden. Ohne soziale und ökologische Marktregeln steigt der Druck, möglichst billig zu produzieren, also möglichst viel und möglichst schnell auf derselben Fläche. Beschleunigt wird diese Entwicklung durch den Trend zur gewerblichen Nutztierhaltung, denn das trennt sie nicht nur von der Landbewirtschaftung, sondern entfremdet sie von landwirtschaftlichen Grundlagen. Multifunktionale Betriebe mit Tier- und Pflanzenproduktion werden immer seltener und weichen einer Agrarstruktur, in der die einen nur noch Marktfrüchte anbauen und die Tierproduktion als Lohnarbeit für Lebensmittelkonzerne stattfindet. Das halte ich für hochproblematisch und betrifft nicht nur die konventionelle Landwirtschaft, sondern zunehmend auch den Ökolandbau. Wenn die Agrarwirtschaft nicht mehr zuallererst als Versorger im Hinblick auf das öffentliche Gut Ernährungssicherung verstanden wird, sondern nur noch als Rohstofflieferant für die Weiterverarbeitung, hat das schwerwiegende Folgen. Denn das entfremdet sie von den natürlichen Produktionsgrundlagen und von den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Unter diesen Rahmenbedingungen erscheint es einfacher, drohende oder bestehende Bestandserkrankungen systematisch mit Antibiotika zu bekämpfen, statt ihre Ursachen zu suchen und zu beseitigen. Das ist das eigentliche Problem, das hinter der Zahl von über 1 700 Tonnen Antibiotika steht, die 2011 in deutschen Nutztierbeständen angewandt wurden. Auch wenn die Zahl selbst noch nicht viel über das Ausmaß des Problems aussagt, ist unstrittig, dass sie für einen teilweise systematischen Missbrauch spricht. Denn Antibiotika sind sowohl in der Human- als auch in der Tiermedizin so wertvoll, dass sie nur im unvermeidlichen Notfall eingesetzt werden dürfen. 1 700 Tonnen Antibiotika sprechen eine andere Sprache. Es ist doch nicht hinnehmbar, wenn 2011 neun von zehn Masthühnern in NRW in ihrem sehr kurzen Leben mit Antibiotika behandelt wurden. Die Untersuchungen aus NRW und Niedersachsen erhärteten den Verdacht, dass Antibiotika zu oft und regelwidrig verabreicht werden, zum Beispiel zur Verhütung von Infektionen, zur ungezielten Steigerung der Tiergesundheit oder auf Verdacht. Das ist unverantwortlich. Stattdessen müssen die Ursachen von erhöhten Infektionsrisiken beseitigt werden. Dazu zählen Mängel beim Stallklima, bei der Stallhygiene, bei der Bestandsbetreuung oder zu große Tierdichten im Stall oder in der Region. Dazu gehört aber auch mangelndes Wissen über sogenannte Faktorenkrankheiten, die neben den klassischen Infektionskrankheiten zunehmend zur wirtschaftlichen Bedrohung in der Tierhaltung werden. Unter anderem deshalb fordere ich schon lange ein epidemiologisches Zentrum; denn diese Fragestellungen sind eine andere wissenschaftliche -Herausforderung als die Grundlagenforschung zu den klassischen Tierseuchen, die am FLI den Schwerpunkt bildet. Aber auch der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber muss dringend handeln. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein erster, aber viel zu zaghafter Schritt. Den -Missbrauch durch eine Datenbank besser zu lokalisieren, reduziert ihn noch nicht, erst recht, wenn die Entdeckung so wenig verbindliche Konsequenzen hat. Die Stellungnahme des Bundesrates weist auf Defizite des Gesetzentwurfs hin und schlägt vernünftige Verbesserungen vor, zum Beispiel die Berücksichtigung der Antibiotika-Leitlinien der Bundestierärztekammer oder die Dokumentation der verabreichten Tagesdosis statt nur der Arzneimittelmenge in der bundesweiten Datenbank. Noch besser hätte es der Novelle getan, wenn noch mehr Vorschläge meiner Fraktion Die Linke berücksichtigt worden wären. Unser Antrag liegt ja bereits seit Januar 2012 auf dem Tisch (Bundestagsdrucksache 17/8348). Dazu ein paar Beispiele: Erstens. Exzessive und unsachgemäße Antibiotika-Anwendungen sind auch deshalb ein Problem, weil sie das Resistenzrisiko erhöhen. Durch Resistenzen wird die Wirksamkeit der Antibiotika reduziert. Das ist insbesondere bei den Wirkstoffen gefährlich, die bei Menschen und Tieren verwendet werden. Deshalb fordern wir, dass Humanantibiotika nicht in Tierställen eingesetzt werden. Zweitens. Eine integrierte veterinärmedizinische Bestandsbetreuung kann zu wesentlich gesünderen Tieren beitragen. Die Tierärzteschaft muss als Verbündete der Tierhalterinnen und Tierhalter sowie der staatlichen -Behörden gestärkt werden. Tierärztinnen und Tierärzte wissen, wie Infektionskrankheiten vermieden werden können. Allerdings muss ihre epidemiologische Aus- und Fortbildung gestärkt werden, und die berufsständischen Vertretungen müssen konsequent gegen schwarze Schafe in der Tierärzteschaft vorgehen. Drittens. Die geplante Beschränkung der bestandsgenauen Dokumentation der Antibiotika-Anwendungen auf den Mastbereich ist unsinnig. Viertens. Die Dokumentation allein ist noch kein Fortschritt, sondern muss zu einer umfassenden Problem-analyse und daraus abgeleiteten effektiven und verbindlichen Kontroll- und Vollzugsmaßnahmen führen. Ziel muss eine risikoorientierte Überwachung als Frühwarnsystem für Bestandserkrankungen bei Nutztieren sein. Fünftens. Die Linke fordert eine tierwohlorientierte Neubewertung aller Haltungssysteme. Maximale Besatzdichten, bezogen auf Stallanlagen, Tierhaltungsstandorte und Regionen, sollten entsprechend der Ergebnisse einer epidemiologischen Bewertung der Infektionsrisiken geregelt werden. Sechstens. Die für Beratung und Überwachung zuständigen Behörden müssen proaktiv agieren und ihre Vollzugsmöglichkeiten deutlich verbessert werden. Siebtens. Es wird qualifiziertes Betreuungspersonal in der Tierhaltung gebraucht. Die Qualifikation muss mindestens per Sachkundenachweis belegt werden. All dies werden wir in der Anhörung am 28. November diskutieren müssen. Leider bleibt nur wenig Zeit zur Debatte. Nachdem sich seitens der Koalition monate-lang nichts getan hat, soll nun der Gesetzentwurf durch das Parlament gepeitscht werden. Anscheinend will Schwarz-Gelb die Antibiotika-Debatte zur Grünen Woche 2013 vom Tisch haben. Aber das wird nicht gelingen, denn es ist bereits wieder eine große agrarpolitische Demo unter dem Motto „Wir haben es satt!“ in Berlin angekündigt. Und das Motto bezieht sich sicher nicht nur auf die Agrarpolitik, sondern auf Schwarz-Gelb insgesamt. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hat NRW-Minister Johannes Remmel seine Studie zum skanda-lösen Antibiotikaeinsatz in der Geflügelhaltung präsentiert – eine Studie, die gezeigt hat, dass der übergroßen Mehrzahl der Tiere teilweise mehrfach Antibiotika verabreicht wurden, eine Studie, die alle Experten noch einmal in ihrer Einschätzung bestätigt hat, dass es ein massives Antibiotikaproblem in deutschen Tierhaltungen gibt, eine Studie, die selbst Sie, Frau Ministerin Aigner, dazu brachte, den Antibiotikaskandal in der Tierhaltung an-zuerkennen. Leider haben Sie, Frau Aigner, die damals geäußerte Betroffenheit wieder einmal nicht in entschlossenes Handeln umgesetzt. Stattdessen haben Sie ein geschlagenes Jahr weiter gebremst, gezögert und verschleppt. Mühsam haben Ihnen die Expertinnen und Experten, die Bundesländer und vor allem die empörte Öffentlichkeit nun einen Gesetzentwurf abgerungen. Bei den darin enthaltenen Maßnahmen geht es jedoch nur darum, den Status quo weiterhin staunend zu betrachten und zu zementieren. Auf massiven Druck der Länder haben Sie nun wenigstens den Gedanken einer zentralen Datenbank aufgenommen. Die Erfassung, die Sie vorsehen, ist jedoch hochkompliziert, intransparent und völlig unpraktikabel. Wir unterstützen daher die Länder, angeführt von NRW, wenn sie sagen: Wir wollen, dass Tierhalter oder Tierärzte ihre Daten unmittelbar in eine zentrale Datenbank eingeben; die Länder sollen sofort Zugriff haben und Raster entwickeln können, um Betriebe mit auffällig hohem Antibiotikaeinsatz herauszufiltern. Ihre Hürden und Hemmnisse für die Landeskon-trollbehörden müssen raus aus dem Gesetz! Wenn Antibiotika prophylaktisch eingesetzt werden, ist das illegal und kriminell, und der Staat muss dementsprechend reagieren. Es kann nicht sein, dass die Täter mit Samthandschuhen angefasst werden. Wer kriminell handelt, muss mit Konsequenzen rechnen. Die Reduk-tionsmaßnahmen, die Sie vorgeben, sind jedoch zahnlose Tiger. Wenn in Ställen ein überdurchschnittlicher Antibiotikaeinsatz festgestellt wurde, sollen die Tierärzte mit den Tierhaltern Reduktionspläne erarbeiten. Ziel ist es, den Einsatz auf den ohnehin skandalös hohen Durchschnittswert zu senken. Gelingt das nicht, sind nicht einmal Sanktionen vorgesehen. Wohin wollen Sie mit diesem Gesetz? Wir müssen den massiven prophylaktischen Antibiotikaeinsatz entschlossen bekämpfen. Mit Ihren Maßnahmen kommen wir diesem Ziel keinen Schritt näher. Wir knipsen nur einige weitere Lichter an, um den Antibiotikaskandal noch besser auszuleuchten, der schon heute offensichtlich ist. Frau Ministerin Aigner, mit Ihrem Agieren seit einem Jahr machen Sie deutlich, dass Ihnen ein Masterplan fehlt. Getrieben von der öffentlichen Debatte, schlagen Sie ein paar Maßnahmen im AMG vor, nur um einen Arbeitsnachweis zu haben. Aber daran werden Sie nicht gemessen. Die Menschen fragen: Was tun Sie, um den massiven Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung zu bekämpfen – laut BVL 1 734 Tonnen im Jahr 2011? Was tun Sie, um der Expansion von Tierfabriken entgegen-zuwirken, für deren Produktion Antibiotika die Schmiermittel sind? Was tun Sie gegen die Ausbreitung von -multiresistenten Keimen und die zunehmende Unwirksamkeit von Antibiotika? Nichts, nichts und noch einmal nichts. Sie erstarren, weil Sie Angst davor haben, Verantwortung zu übernehmen, und regelmäßig vor der Interessenlobby einknicken. Dabei wissen Sie genau, dass wir nur mit Änderungen im System den Antibiotikaeinsatz wirksam senken werden. Wir müssen endlich die Haltungssysteme umbauen. Runter mit den Tierplatzzahlen! Mehr Platz, mehr Auslauf, mehr Außenklimabereiche! Wir müssen raus aus der bedingungslosen Bestandsbehandlung – gerne durch den Begriff Metaphylaxe vernebelt. Was ist Metaphylaxe für ein Rechtsbegriff, Frau Ministerin? Glauben Sie, dass dieser Begriff justiziabel ist? Ich glaube das nicht. Wir brauchen endlich Festpreise für Antibiotika. Die Subventionierung der Autobahntierärzte muss beendet werden. Frau Ministerin Aigner, das sind die zentralen Fragen, die Sie angehen müssten. Leider akzeptieren Sie jedoch ohne Protest den engen Gestaltungsrahmen, den Ihnen die Agrarlobby setzt. Wir werden sehen, ob Sie selbst Ihre Schmalspurmaßnahmen zum AMG am Ende komplett einstampfen, wie Sie es gerade mit dem Tierschutzgesetz gemacht haben, als Ihnen der Lobbydruck aus den eigenen Reihen zu groß wurde. Gut für Sie, dass Sie bald in Bayern sind und hoffentlich mehr politischen Freiraum in der Opposition haben. Noch besser für die Bürgerinnen und Bürger, dass sie 2013 mit ihrer Stimme Schwarz-Gelb abwählen können und Ihnen die Verantwortung entziehen, vor der Sie sich ohnehin immer gedrückt haben. Peter Bleser, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Ich spreche heute zu einem Thema, das mir auch als Landwirt sehr am Herzen liegt. Tiergesundheit ist eine entscheidende Voraussetzung für das Wohlergehen und die Leistung von Tieren. Sichere Lebensmittel können nur von gesunden Tieren gewonnen werden. Den Einsatz von Antibiotika in einigen Arten der Tierhaltung betrachten wir mit Sorge. Dabei ist es eine Selbstverständlichkeit: Der Einsatz von Antibiotika ist auf ein Minimum – nämlich auf das therapeutisch Notwendige – zu beschränken. Bereits heute ist der Einsatz von Antibiotika als Wachstumsförderer verboten. Und der Einsatz von Antibiotika – prophylaktisch, also zur Vorsorge gegen eine mögliche Erkrankung – ist ebenfalls bereits verboten. Damit ist klar: Wer Antibiotika bei Tieren einsetzt, die nicht erkrankt sind, verstößt gegen geltendes Recht. Wir verschließen nicht die Augen vor den bestehenden Problemen. Wir wollen sie lösen. Sowohl die aus den Ländern vorliegenden Erkenntnisse zum Antibiotikaeinsatz vor Ort, als auch die kürzlich veröffentlichte -Gesamtmenge der antimikrobiellen Wirkstoffe in der Tierarztpraxis von 1 734 Tonnen unterstreichen die Bedeutung des Antibiotikaminimierungsprogramms der Bundesregierung. Wir gehen kontinuierlich und entschlossen vor. Der Kampf gegen die Entwicklung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Tierhaltung wurde bereits vor mehr als zehn Jahren aufgenommen und durch strenge Vorgaben im Umgang mit Tierarzneimitteln im AMG festgeschrieben. 2008 hat die Bundesregierung eine Antibiotikaresistenzstrategie beschlossen. Jetzt legen wir einen weiteren Gesetzentwurf zur Minimierung des Antibiotikaeinsatzes vor. Um den Missbrauch von Antibiotika in der Tierhaltung einzudämmen, hat die Bundesregierung einen Entwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vorgelegt. Wir werden den Ländern noch mehr Möglichkeiten geben. Nach meiner Meinung schöpfen die Länder die bereits heute vorhandenen Möglichkeiten nicht aus. Sie werden künftig Ihre Überwachungsaufgaben – noch effektiver – erfüllen können. Wir alle verfolgen in diesem Zusammenhang dasselbe Ziel. Das wird unterstrichen durch den Beschluss des Bundesrates vom 10. Februar 2012 sowie die Beschlüsse der Agrarministerkonferenz vom Januar 2012 und vom April 2012. Wir haben diese Beschlüsse mit dem Entwurf eines 16. Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes zielgerichtet aufgegriffen. Als Kernstück enthält der Gesetzentwurf einen Rechtsrahmen für ein innovatives betriebsgestütztes Antibiotikaminimierungskonzept. Die in den §§ 58 a bis 58 d getroffenen Maßnahmen sind ein ineinandergreifendes System und gezielt darauf ausgerichtet, den Antibiotikaeinsatz im Betrieb transparent und bundesweit vergleichbar zu machen. Ziel ist es, den Einsatz von Antibiotika in Betrieben, die Rinder, Schweine, Huhn und Pute mästen, zu überprüfen und, sofern erforderlich, zu minimieren. Der auf wissenschaftlich-epidemiologischer Grundlage ermittelte Parameter der „Therapiehäufigkeit“ ermöglicht eine Beurteilung des quantitativen Einsatzes von Arzneimitteln auf Betriebsebene. Neben einer betriebsbezogenen Therapiehäufigkeit gibt es auch bundesweite Kennzahlen für die Therapiehäufigkeit. Der Tierhalter muss feststellen, ob die Kennzahl für seinen Betrieb im Vergleich zur bundesweiten Kennzahl überschritten ist. Beim Überschreiten soll er eine Ur-sachenprüfung durchführen sowie die Minimierung des Antibiotikaeinsatzes überprüfen. Der Tierhalter muss gegebenenfalls einen schriftlichen Antibiotikaminimierungsplan erstellen und durchführen. Es macht an dieser Stelle keinen Sinn, konkrete Prozentvorgaben für die Reduktion des Antibiotikaeinsatzes festzulegen. Denn es muss stets möglich sein, dass ein krankes Tier behandelt werden kann. Dies ist aus Tierschutzaspekten der einzig richtige Weg. Insgesamt ermöglicht es das Antibiotikaminimierungskonzept der §§ 58 a bis 58 d, die Überwachungsmaßnahmen risikoorientierter zu planen und somit weiter zu verbessern. Als Weiteres werden Ermächtigungen für neue Regelungen geschaffen. Die Regelungen sollen insgesamt einen wichtigen Beitrag zur Wahrung der Lebensmittel-sicherheit und zur Optimierung der Tierhaltung leisten. Um auf meine Eingangsbemerkung zurückzukommen: Im Zusammenhang mit diesem Thema verfolgen wir alle dasselbe Ziel. Ich freue mich, dass der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 2. November 2012 aus-drücklich den mit dem Gesetzentwurf beabsichtigten Einstieg in ein Antibiotikaminimierungskonzept begrüßt. Er macht deutlich, dass eine schrittweise Umsetzung des Konzeptes, beginnend mit dem Mastbereich, eine intensivere Begleitung der auffälligen Betriebe ermöglicht. Die Bundesregierung bereitet zurzeit die Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates vor. Der Weg der Bundesregierung ist klar: – Wir verschärfen die rechtlichen Bestimmungen, um den Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung auf das absolut notwendige Maß zu beschränken. – Wir erweitern deutlich die Befugnisse der zuständigen Kontroll- und Überwachungsbehörden der Länder. Wir können unser gemeinsames Ziel – die Minimierung des Antibiotikaeinsatzes – nur dann erreichen, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Wir hoffen auf eine zügige Beratung in den Gremien des Bundestages. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des AZR-Gesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 8) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 16. Dezember 2008 entschieden, wie und welche Daten von Bürgern der Europäischen Union, die nicht Bundesbürger sind, im Ausländerzentralregister, AZR, gespeichert und weiter übermittelt werden dürfen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung das Urteil -konsequent in geltendes Recht um. Es wird festgelegt, welche Daten von Unionsbürgern im AZR gespeichert werden und an welche Behörden Daten von Unionsbürgern übermittelt werden dürfen. Schon nach Urteilsverkündung hat die Bundesregierung die für die Führung des AZR zuständigen Behörden angewiesen, die Daten von Unionsbürgern nur noch nach Maßgabe des Urteils zu speichern und zu übermitteln. Die momentane Praxis entspricht somit größtenteils dem vorliegenden Gesetzentwurf und wird durch diesen auf eine solide gesetzliche Grundlage gestellt. Die Wichtigkeit des Ausländerzentralregisters bleibt dabei unbestritten. Es ist wichtige Informationsquelle für mehr als 6 500 Partnerbehörden. Es dient den Verwaltungsbehörden zur Erfüllung von Aufgaben im ausländer- und asylrechtlichen Bereich, hat Unterstützungsfunktion als Instrument der öffentlichen Sicherheit und wird für ausländerpolitische Planungen sowie für die Ermittlung steuerungsrelevanter Daten verwendet. Ohne diese Daten aus dem AZR wäre es zum Beispiel kaum möglich, die Integrationsindikatorenberichte der Bundesregierung zu erstellen und die Lage der Ausländer und Migranten in unserem Land aufgrund einer soliden Datenbasis zu ermitteln und zu beurteilen. Unsere Fraktion begrüßt sehr, dass durch die vorliegenden Änderungen ein weiterer Schritt getan wird, um Unionsbürger und Bundesbürger auf eine gleiche Stufe zu stellen. Aufgrund der Europäischen Einigung ist es zudem geboten, zwischen Bürgern aus anderen EU-Staaten und Bürgern aus Drittstaaten zu differenzieren. Im -Ausländerzentralregister wird daher nun konsequent zwischen Unionsbürgern und Menschen aus Drittstaaten unterschieden. Die Speicherung von personenbezogenen Daten der Unionsbürger soll nun nur noch möglich sein, wenn die Daten zur Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften benötigt werden. Dies ist der Fall, wenn der Unionsbürger zum Beispiel einen Antrag auf Asyl stellen sollte oder gegen ihn aufenthaltsrechtliche Entscheidungen getroffen worden sind oder er zur Festnahme oder zur -Zurückweisung an der Grenze ausgeschrieben ist. In diesen Fällen werden die Daten unbedingt benötigt und im AZR erfasst. Der Sicherheitsaspekt bleibt hier sehr wichtig, damit Kriminelle und Terroristen sich nicht hinter einer möglichen Unionsbürgerschaft verstecken können. Entsprechend der Zielsetzung der Datenerfassung regelt das Änderungsgesetz, dass die Daten nur an solche Behörden und öffentliche Stellen weitergegeben werden dürfen, die mit einem asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Anliegen befasst sind. Nur solche Stellen dürfen entsprechend Suchvermerke verfassen. Dabei gelten diese Regelungen nicht für Unionsbürger, bei denen die Freizügigkeitsrechte nicht bestehen oder die diese verloren haben. Es gilt auch hier der Grundsatz, dass es die Bürgerrechte nur bei Einhaltung der Bürgerpflichten gibt. Wer seine Freizügigkeitsrechte durch kriminelles Handeln verspielt, muss die entsprechenden Konsequenzen tragen. Dank dieser Neuregelung wird es so sein, dass bei einer Polizeikontrolle die Polizei der Länder direkt feststellen kann, ob ein kontrollierter Ausländer aus anderen EU-Staaten seine Freizügigkeitsrechte besitzt oder nicht und dann eventuell gegen Recht und Gesetz verstößt. Sollte alles seine Richtigkeit haben und die Freizügigkeitsrechte vorliegen, zeigt die Datenbank den Polizeibeamten keine persönlichen Daten an, sondern nichts anderes als diese entscheidende Information. Damit wird der Datenschutz auf höchstem Niveau gewahrt. Eine wichtige Gleichstellung zwischen Unionsbürgern im AZR und Bundesbürgern im sonstigen Erfassungswesen ist die Regelung, dass von den Bürgern aus den EU-Staaten nur die sogenannten Grunddaten gespeichert werden dürfen. Also hauptsächlich Name, Anschrift, Geburtsdatum und -ort, Geschlecht und Staats-angehörigkeit. Natürlich ist es weiterhin wichtig, zu wissen, wie viele Ausländer auch aus EU-Ländern in Deutschland -leben und sich hier aufhalten. Daher regelt das Gesetz zum AZR auch ausdrücklich, dass die Daten für statistische Zwecke aufbereitet werden dürfen. Hierzu müssen die Daten anonymisiert werden. In diesem Zusammenhang halte ich die sogenannte Forschungsklausel für wichtig. Sie ist nicht Bestandteil der Urteilsumsetzung des EuGH, sondern Ausdruck der positiven Erfahrung mit Studien, Berichten und Analysen auf wissenschaftlicher Basis zu den in der Bundesrepublik lebenden Ausländern. Zur Durchführung von wissenschaftlichen Studien und für Repräsentativbefragungen dürfen die personenbezogenen Daten, so auch die Anschriften von Ausländern, die nicht freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger sind, aus dem AZR übermittelt werden. Damit der wissenschaftliche Zweck und die Vertraulichkeit der Daten gesichert bleiben, wird diese Vorschrift auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beschränkt, wo dies vollumfänglich durch die Kontrolle der Bundesregierung gewährleistet werden kann. So können wissenschaftliche Forschungsvorhaben durch das BAMF durchgeführt werden. Die Veröffentlichung der Ergebnisse muss selbstverständlich in anonymisierter Form erfolgen. Ich halte solche Studien für sehr wichtig, um eine gute Politik für die in Deutschland lebenden Ausländer machen zu können. Auf Grundlage einer solchen soliden Datenbasis und wissenschaftlichen Betrachtungen kann man als Politiker verantwortungsvoll Entscheidungen treffen. Es reicht eben nicht, sich von emotionalen Einzelschicksalen oder lokalen persönlichen Beobachtungen leiten zu lassen, wie es mancher Kollege der Opposition gerne mal tut – so hat man zumindest häufiger mal den Eindruck. Eine weitere Neuregelung nimmt den Fall auf, dass ein Gerichtsvollzieher Daten über einen Schuldner beim AZR anfragt, ein Umstand, der durchaus realistisch ist. Hier wurde ein wertvoller Hinweis des Bundesrates aufgenommen und in modifizierter Form in das Gesetz eingefügt. Dies wird durch eine Änderung der Zivilprozessordnung erreicht. Ein Gerichtsvollzieher darf nur in Ausnahmefällen eine Anfrage für die personenbezogenen Daten eines Unionsbürgers beim AZR stellen, nämlich dann, wenn er begründete Anhaltspunkte hat, dass bei dem Unionsbürger, der der Schuldner ist, die Freizügigkeitsrechte nicht bestehen oder verloren sind. Auf diese Weise soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Anfrage ausschließlich auf konkrete Veranlassung hin unternommen wird. Da sich ein Gerichtsvollzieher mit dem Schuldenfall und den Gläubigern intensiv auseinandersetzen muss, glaube ich, dass solche Anhaltspunkte realistischerweise sehr schnell auf der Hand liegen können, wenn die Freizügigkeitsrechte tatsächlich nicht bestehen. Dadurch, dass das Bestehen solcher Anhaltspunkte vorausgesetzt wird, werden offensichtlich aussichtslose Anfragen an das AZR vermieden und damit Kosten und Verwaltungsaufwand im erheblichen Umfang eingespart. Die Daten aus dem AZR dürfen dem Gerichtsvollzieher natürlich nur dann übermittelt werden, wenn sich der begründete Verdacht als richtig herausstellt, dass der betroffene Unionsbürger die Freizügigkeitsrechte momentan nicht besitzt. Abschließend möchte ich betonen, dass die christlich-liberale Bundesregierung ein sehr gutes Gesetz vorgelegt hat, das die Vorgaben der europäischen Rechtsprechung konsequent umsetzt und sinnvolle Regelungen zur wissenschaftlichen Forschung, zum Datenschutz und zum Zivilprozessrecht enthält. Die rechtliche Unterscheidung zwischen Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen ist wichtig. Die weitere Angleichung der Stellung von Unionsbürgern und deutschen Staatsangehörigen bedeutet einen weiteren Schritt voran in der Europäischen Einigung und zur Stärkung der Europäischen Nachbarschaft. Rüdiger Veit (SPD): Wie die Bundesregierung einleitend zu ihrem Gesetzesentwurf ausführt, dient der Gesetzentwurf in erster Linie dazu, die deutsche Rechtslage dem Urteil des EuGH vom 16. Dezember 2008 anzu-passen. Der EuGH hatte in seinem Urteil ausgeführt, dass die personenbezogene Speicherung von Daten von Unionsbürgern im AZR nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Aufgrund dieser Vorgabe ist eine Einschränkung der Nutzung und Speicherung von Daten von Unionsbürgern europarechtlich geboten und wird nun in dem vorliegenden Gesetzentwurf von der Bundesregierung vorgenommen. Wir unterstützen das. Und, da die Entscheidung des EuGH schon vier Jahre zurückliegt, ist eine solche Änderung des AZR auch überfällig. In dem Gesetzentwurf will die Bundesregierung allerdings auch eine eigene Ermächtigungsgrundlage zur Verarbeitung personenbezogener Daten für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, schaffen. Diese Ermächtigungsgrundlage soll es dem BAMF ermöglichen, auf Daten des AZR zuzugreifen, um „wissenschaftliche Studien und Repräsentationsbefragungen über in Deutschland lebende Ausländer … durchführen zu können“. Nach dem Gesetzentwurf sind die personenbezogenen Daten des AZR zu diesem Zweck zu pseudonymisieren, allerdings nur, wenn dies „nach dem Forschungszweck möglich ist und keinen im Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck unverhältnismäßigen Aufwand erfordert“. Das ist uns zu weitgehend. Aus Datenschutzgesichtspunkten finden wir eine grundsätzliche Anonymisierung besser als eine Pseudonymisierung; denn bei der Pseudonymisierung ist die Zuordnung der Daten zu einer konkreten Person unter Zuhilfenahme des richtigen Schlüssels weiterhin möglich. Bei der Anonymisierung ist dies nicht mehr der Fall. Als weitere Schutzmaßnahme für die im AZR gespeicherten Daten von Ausländern wäre für uns auch die Zusammenfassung von anonymisierten Datensätzen nach bestimmten Merkmalen denkbar. Diese von uns angeregte Schutzmaßnahmen sollten nicht unter einem derart weiten Vorbehalt stehen, wie es im vorliegenden Gesetzentwurf die Pseudonymisierung betreffend der Fall ist. Wir stehen dem Gesetzentwurf daher insgesamt ablehnend gegenüber. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Durch den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung wird das Ausländerzentralregistergesetz angepasst. Notwendig geworden ist die Anpassung durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, die besagt, dass personenbezogene Daten von Unionsbürgern nur unter bestimmten Voraussetzungen in einem Register wie dem Ausländerzentralregister gespeichert und genutzt werden dürfen. Daten von Unionsbürgern, die nicht Staatsangehörige der Bundesrepublik Deutschland sind, dürfen demnach in einem Register wie dem Ausländerzentralregister nur dann gespeichert und genutzt werden, wenn diese Daten für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften durch die hierfür zuständigen Behörden erforderlich sind und der zentralisierte Charakter des Ausländerzentral-registers eine effizientere Anwendung der aufenthaltsrechtlichen Vorschriften in Bezug auf das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern erlaubt. Auch den entsprechenden Änderungswunsch des Bundesrates hat die Regierungskoalition übernommen: Auf diese Weise soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Anfrage an das Ausländerzentralregister durch den Gerichtsvollzieher bei Unionsbürgern lediglich auf eine konkrete Veranlassung hin unternommen wird. Der Gesetzentwurf schafft so für alle Beteiligten mehr Rechtssicherheit. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Es geht heute um den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausländerzentralregisters, wodurch die Speicherung der Daten von EU-Bürgerinnen und -Bürgern mit dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland eingeschränkt werden soll. Das Ausländerzentralregister ist eine wesentliche Säule der datenmäßigen Totalerfassung von Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland. Es bestehen insgesamt fast 30 Dateien und Zentralregister, in denen diese Gruppe erfasst wird. Hinzu kommen die Dateien und Datensammlungen der kommunalen Ausländerbehörden und der zentralen Ausländerbehörden der Länder. Am laufenden Band kommen neue Dateien hinzu, wie die von der Koalition in dieser Wahlperiode beschlossene Visawarndatei. Diese Datei zeigt ganz deutlich, dass die zentrale Sondererfassung von Ausländerinnen und Ausländern überflüssig ist. Alle Daten sind auch in anderen zentralen Registern und bei den kommunalen Meldebehörden erfasst und verfügbar. Die zentrale Erfassung von Ausländerinnen und Ausländern, viele davon mit dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland, ist eine Diskriminierung dieser Menschen. Die Linke setzt sich deshalb grundsätzlich für die Abschaffung des Ausländerzentralregisters ein. Nun hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem zumindest die Speicherung der Daten von EU-Bürgerinnen und -Bürgern mit dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland eingeschränkt werden soll. Auch diese Einschränkung erfolgt nicht freiwillig. Sie geht zurück auf eine Vorlageentscheidung des Europäischen Gerichtshofs, der vor einigen Jahren die Frage zu klären hatte, ob die generelle Erfassung und Verarbeitung personenbezogener Daten von EU-Bürgerinnen und -Bürgern in einem zentralen Ausländerregister überhaupt mit EU-Recht vereinbar ist. Die Antwort war ganz eindeutig: Es dürfen nur die Daten gespeichert werden, die erforderlich sind, um die Voraussetzungen des Aufenthaltsrechts in Deutschland festzustellen. Diese Daten dürfen auch nur dann weitergegeben werden, wenn die mit dieser Feststellung betrauten Behörden sie abfragen. Diese Beschränkungen werden durch das vorliegende Gesetz weitgehend umgesetzt. Das ist im Sinne der EU-Bürgerinnen und -Bürger sicherlich zu begrüßen. Bei dieser Gelegenheit hätten aber die insgesamt im Ausländerzentralregister gespeicherten Daten und die Zahl der zugriffsberechtigten Behörden stark eingeschränkt werden müssen. Für alle anderen Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland ändert sich durch diesen Gesetzentwurf nichts. Weiterhin sind neben den Angaben zur Person viele weitere Daten enthalten, beispielsweise zum Verdacht auf Straftaten oder zu Verurteilungen, Lichtbilder, sogar sozialrechtliche Daten. Alle diese Daten gibt es bereits bei anderen Behörden, in deren Zuständigkeitsbereich sie fallen: Polizei, Staatsanwaltschaft, Bundesagentur für Arbeit und Meldebehörden. Eine doppelte und dreifache Speicherung dieser Daten ist überflüssig und aus datenschutzrechtlicher Sicht damit auch nicht verhältnismäßig. Die genannten Daten sind von anderen Behörden, beispielsweise der Polizei, in einem automatisierten Verfahren abrufbar. Das bedeutet, dass nicht geprüft wird, ob die abrufende Stelle, also die Polizei oder andere, diese Daten auch wirklich zu ihrer Aufgabenerfüllung benötigt. Im Ausländerzentralregister ist sogar vorgesehen, Gruppenauskünfte zu bestimmten Ausländerinnen und Ausländern abrufbar zu halten. Das ist nichts weniger als die rechtliche und technische Grundlage für Rasterfahndungen. Damit sind Ausländerinnen und Ausländer besonders anfällig für Maßnahmen der Sicherheitsbe-hörden, die weit in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen. Das Ausländerzentralregister ist nichts anderes als Diskriminierung per Gesetz. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird diese Diskriminierung für einen Teil der Betroffenen abgemildert – und damit nur neue Diskriminierung geschaffen. Das ist schlicht Murks und -sicherlich nicht im Sinne der Entscheidung des EuGH. Die Linke lehnt diesen Gesetzentwurf deshalb ab. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir werden uns bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Ausländerzen-tralregisters enthalten. Positiv ist zwar die Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes. Jedoch widersprechen wir der Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten zu Forschungszwecken, die dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, gestattet werden sollen. Der Europäische Gerichtshof hat im Jahr 2008 entschieden, dass personenbezogene Daten von Unionsbürgerinnen und -bürgern nicht für Sicherheits- und Strafverfolgungszwecke im Ausländerzentralregister gespeichert und genutzt werden dürfen. Die Ungleichbehandlung gegenüber Deutschen sei nicht zu rechtfertigen und daher diskriminierend. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung dient im Wesentlichen der Umsetzung dieser Entscheidung des EuGH. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt unseres Erachtens die europäischen Vorgaben sachgerecht um. Das kann man von der Bundesregierung auch erwarten. Schließlich hat sie sich dafür mehr als vier Jahre Zeit gelassen. So wurde insbesondere der Umfang der von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern zu speichernden Daten hinreichend begrenzt. Zum Beispiel sollen keine Lichtbilder mehr gespeichert werden. Außerdem wurde die Weitergabe der Daten an Behörden auf die unmittelbare Durchführung ausländer- und asylrechtlicher Vorschriften begrenzt. Daten dürfen jetzt nicht mehr an den Verfassungsschutz weitergegeben werden. Auch sind für Unionsbürgerinnen und -bürger keine sogenannten Gruppenanfragen mehr möglich. Im Rahmen von Polizeikontrollen wird bei freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern lediglich festgehalten, dass eine Feststellung über das Nichtbestehen bzw. den Verlust des Freizügigkeitsrechts nicht erfolgt ist. Kritisch sehen wir dagegen die Vorschrift über die Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten zu wissenschaftlichen Zwecken nach § 24 a AZR-GE. Diese neue Ermächtigungsgrundlage des BAMF hat nichts mit dem in Rede stehenden Urteil des EuGH zu tun. Sie ist zu weitgehend und lässt viele Fragen offen. So müssen nach dem Vorschlag der Bundesregierung die Daten nicht zwingend anonymisiert oder auch nur pseudonymisiert werden. Die personenbezogenen Daten dürfen schon dann gespeichert und genutzt werden, wenn eine Anonymisierung bzw. Pseudonymisierung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre. Außerdem ergibt sich nicht aus dem Gesetzestext, sondern erst aus der Gesetzesbegründung, dass das BAMF gegebenenfalls zusätzliche Daten erheben soll und zu diesem Zweck die betroffenen Personen anschreiben darf. Offen bleibt, zu welchem Zweck hier welche Daten erhoben werden können. Und wie steht es eigentlich mit der Freiwilligkeit der Datenherausgabe? Das ist jedenfalls kein seriöser Vorschlag, wie der Staat Informationen seiner größten Datenbank der Forschung zugänglich machen will. Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass wir die umfassenden Zugriffsmöglichkeiten von Polizei, Nachrichtendiensten und Ordnungsbehörden auf das AZR insgesamt für sehr problematisch halten und diese eingrenzen möchten. Das Ausländerzentralregister ist mit rund 20,5 Millionen personenbezogenen Datensätzen eine der größten staatlichen Datenbanken in Deutschland. Es dient der Erfüllung von Aufgaben im aufenthalts- und asylrechtlichen Bereich, zusätzlich aber auch Sicherheitszwecken. Im AZR werden Daten von Ausländerinnen und Ausländern gespeichert, die in Deutschland leben bzw. gelebt haben, aber auch Visadaten oder Infor-mationen über Ausweisungen. Polizei und Nachrichtendienste können über Gruppenanfragen die Daten aller Personen mit bestimmten Merkmalen wie etwa Religionszughörigkeit oder Geburtsort abfragen und zur Rasterfahndung nutzen. Anlagen 1Ergebnis Seite 24771 C 2Ergebnis Seite 24783 D 3Ergebnis Seite 24794 D 4Anlage 2 5Anlage 3 6 Anlage 3 7 Anlage 4 8 Anlage 5 9 Anlage 6 10 Anlage 7 11 Anlage 8 12Anlage 8 13Anlage 9 14Anlage 10 15Anlage 11 16Anlage 12 17Anlage 13 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 III Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 25020 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 204. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 8. November 2012 25019