Plenarprotokoll 17/219 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 219. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 31. Januar 2013 I n h a l t : Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Absetzung der Tagesordnungspunkte 8, 22, 33 und 40 g Tagesordnungspunkt 7: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Drucksachen 17/11685, 17/12096) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/12097) Elke Hoff (FDP) Stefan Rebmann (SPD) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bijan Djir-Sarai (FDP) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) Lars Klingbeil (SPD) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Rüstungsexporte als Instrument der Außenpolitik – Exportverbot jetzt durchsetzen (Drucksache 17/10842) b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2011 (Rüstungs-exportbericht 2011) (Drucksache 17/11785) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Barthel, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Frühzeitige Veröffentlichung der Rüstungsexportberichte sicherstellen – Parlamentsrechte über Rüstungsexporte einführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rüstungsexporte kontrollieren – Frieden sichern und Menschenrechte wahren (Drucksachen 17/9188, 17/9412, 17/12098) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) Klaus Barthel (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Stefan Liebich (DIE LINKE) Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Edelgard Bulmahn (SPD) Dr. Rainer Stinner (FDP) Jan van Aken (DIE LINKE) Philipp Mißfelder (CDU/CSU) Erich G. Fritz (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 40: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strukturreform des Gebührenrechts des Bundes (Drucksache 17/10422) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über konjunkturstatistische Erhebungen in bestimmten Dienstleistungsbereichen (Dienstleistungskonjunkturstatistikgesetz – DLKonjStatG) (Drucksache 17/12014) c) Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neustart für ein europäisches Zugsicherungssystem (Drucksache 17/10844) d) Antrag der Abgeordneten Mechthild Rawert, Bärbel Bas, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Rezeptfreiheit von Notfallkontrazeptiva – Pille danach – gewährleisten (Drucksache 17/11039) e) Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Birgitt Bender, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zeitnahes Krankengeld für unständig und kurzfristig Beschäftigte sowie Selbständige (Drucksache 17/12067) f) Antrag der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Dr. Martina Bunge, Cornelia Möhring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Pille danach rezeptfrei machen (Drucksache 17/12102) h) Antrag der Abgeordneten Sevim Da?delen, Diana Golze, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für gleiche Rechte – Einbürgerungen erleichtern (Drucksache 17/12185) Tagesordnungspunkt 41: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 16. Mai 2012 zu den Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des Vertrags von Lissabon (Drucksachen 17/11367, 17/12169) b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes (Drucksachen 17/11368, 17/12216) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Verordnung zur Beschränkung der Verwendung gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung – ElektroStoffV) (Drucksachen 17/11836, 17/11907 Nr. 2, 17/12216) d) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck (Köln), Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine glaubwürdige Außenpolitik gegenüber Usbekistan (Drucksachen 17/6498, 17/7712) e)–q) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 513, 514, 515, 516, 517, 518, 519, 520, 521, 522, 523, 524 und 525 zu Petitionen (Drucksachen 17/12073, 17/12074, 17/12075, 17/12076, 17/12077, 17/12078, 17/12079, 17/12080, 17/12081, 17/12082, 17/12083, 17/12084, 17/12085) Zusatztagesordnungspunkt 2: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 17/11820, 17/12174) Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Johannes Pflug, Dr. Rolf Mützenich, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine kohärente Gesamtstrategie für Pakistan – Für eine aktive Einbindungsdiplomatie, Stärkung der demokratischen Kräfte und eine verlässliche Entwicklungszusammenarbeit (Drucksachen 17/11033, 17/11451) Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) und zur Änderung weiterer Gesetze (Drucksachen 17/7576, 17/8615, 17/8871, 17/12170) Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Ausrüstung der Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen Andrej Hunko (DIE LINKE) Dr. Thomas de Maizière, Bundes- minister BMVg Dr. Rolf Mützenich (SPD) Elke Hoff (FDP) Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bernd Siebert (CDU/CSU) Rainer Arnold (SPD) Christoph Schnurr (FDP) Inge Höger (DIE LINKE) Florian Hahn (CDU/CSU) Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) Karin Strenz (CDU/CSU) Philipp Mißfelder (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 3: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge (Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz – AltvVerbG) (Drucksachen 17/10818, 17/12219) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/12220) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Risiken der Riester-Rente offen legen – Altersvorsorge von Finanzmärkten entkoppeln (Drucksachen 17/9194, 17/12219) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) Petra Hinz (Essen) (SPD) Manfred Grund (CDU/CSU) Petra Hinz (Essen) (SPD) Frank Schäffler (FDP) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) Annette Sawade (SPD) Björn Sänger (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Frank Schäffler (FDP) Karl Holmeier (CDU/CSU) Ingrid Arndt-Brauer (SPD) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Karin Roth (Esslingen), Elvira Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Transparenz für soziale und ökologische Unternehmensverantwortung herstellen – Unternehmerische Pflichten zur -Offenlegung von Arbeits- und Umweltbedingungen auf europäischer Ebene einführen (Drucksachen 17/11319, 17/12110) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Kerstin Andreae, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Drucksache 17/11686) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Pascal Kober (FDP) Jutta Krellmann (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ulrich Lange (CDU/CSU) Wolfgang Tiefensee (SPD) Heinz Golombeck (FDP) Karin Roth (Esslingen) (SPD) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmo- dernisierungsgesetz – 2. KostRMoG) (Drucksache 17/11471) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts (Drucksache 17/11472) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von Kostenhilfe für Drittbetroffene in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR-Kostenhilfegesetz – EGMRKHG) (Drucksache 17/11211) d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe (Prozesskostenhilfebegrenzungsgesetz – PKHBegrenzG) (Drucksache 17/1216) e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beratungshilferechts (Drucksache 17/2164) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Erfolgsbezugs im Gerichtsvollzieherkostenrecht (Drucksache 17/5313) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Josef Philip Winkler, Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN: Kostenrechtsmodernisierung bei Vertretung in Asylverfahren und Übersetzungsleistungen nachbessern (Drucksache 17/12173) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Dr. Angela Kolb, Ministerin (Sachsen-Anhalt) Detlef Seif (CDU/CSU) Jens Petermann (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ute Granold (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Tom Koenigs, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sahel-Region stabilisieren – Humanitäre Katastrophe eindämmen (Drucksachen 17/10792, 17/11431) Marina Schuster (FDP) Christoph Strässer (SPD) Frank Heinrich (CDU/CSU) Christine Buchholz (DIE LINKE) Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung und zur Qualitätssicherung durch klinische Krebsregister (Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz – KFRG) (Drucksachen 17/11267, 17/12221) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) Dr. Marlies Volkmer (SPD) Rudolf Henke (CDU/CSU) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Rudolf Henke (CDU/CSU) Lothar Riebsamen (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die Rolle des Sports in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (Drucksachen 17/9731, 17/11580) Mechthild Heil (CDU/CSU) Dagmar Freitag (SPD) Joachim Günther (Plauen) (FDP) Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) Frank Tempel (DIE LINKE) Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Eberhard Gienger (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern (Drucksachen 17/11048, 17/12198) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses – zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Neuregelung der elterlichen Sorge bei nicht verheirateten Eltern – zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Dr. Diether Dehm, Heidrun Dittrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Neuregelung des Sorgerechts für nicht miteinander verheiratete Eltern – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Ingrid Hönlinger, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsames elterliches Sorgerecht für nicht miteinander verheiratete Eltern (Drucksachen 17/8601, 17/9402, 17/3219, 17/12198) Stephan Thomae (FDP) Burkhard Lischka (SPD) Ute Granold (CDU/CSU) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Norbert Geis (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Tagesordnungspunkt 12: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Roth (Esslingen), Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding (Heidelberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Soziale Sicherung als Motor solidarischer und nachhaltiger Entwicklungspolitik (Drucksachen 17/7358, 17/11429) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aktionsplan Soziale Sicherung – Ein Beitrag zur weltweiten sozialen Wende (Drucksachen 17/11665, 17/11960) Helga Daub (FDP) Karin Roth (Esslingen) (SPD) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) Niema Movassat (DIE LINKE) Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Helmut Heiderich (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts (Drucksachen 17/11127, 17/12101) Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Reisen für alle – Für einen sozialen Tourismus (Drucksache 17/11588) Tagesordnungspunkt 15: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zusätzlichen Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Drucksachen 17/12057, 17/12217) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/12218) Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von den Abgeordneten Markus Kurth, Volker Beck (Köln), Wolfgang Wieland, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Wahlrecht (Drucksache 17/12068) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Gabriele Fograscher (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags (Drucksachen 17/12058, 17/12222) Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (Personenstandsrechts-Änderungsgesetz-PStRÄndG) (Drucksachen 17/10489, 17/12192) Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) Gabriele Fograscher (SPD) Manuel Höferlin (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Dr. Sascha Raabe, Wolfgang Tiefensee, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Transparenz in den Zahlungsflüssen im Rohstoffbereich und keine Nutzung von Konfliktmineralien (Drucksache 17/11876) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Erich G. Fritz (CDU/CSU) Dr. Sascha Raabe (SPD) Klaus Breil (FDP) Ulla Lötzer (DIE LINKE) Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes und zur Neuregelung der Bestands-datenauskunft (Drucksache 17/12034) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) Gisela Piltz (FDP) Jan Korte (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Förderung des ökologischen Landbaus – Wachstumspotentiale in Deutschland für deutsche Produzenten erschließen (Drucksache 17/10862) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft stärken (Drucksachen 17/7186, 17/8954) Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) Heinz Paula (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Alexander Süßmair (DIE LINKE) Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 17/11469, 17/12199) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) Ingo Egloff (SPD) Judith Skudelny (FDP) Harald Weinberg (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Uranmunition ächten (Drucksache 17/11898) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) Robert Hochbaum (CDU/CSU) Uta Zapf (SPD) Christoph Schnurr (FDP) Inge Höger (DIE LINKE) Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des Erbrechts und der Verfahrensbeteiligungsrechte nichtehelicher und einzeladoptierter Kinder im Nachlassverfahren (Drucksachen 17/9427, 17/12212) Ute Granold (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Stephan Thomae (FDP) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 27: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Oliver Krischer, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung der bergrechtlichen Förderabgabe (Drucksachen 17/9390, 17/10182) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie – zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Doris Barnett, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Anpassung des deutschen Bergrechts – zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dorothée Menzner, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Novelle des Bundesberggesetzes und anderer Vorschriften zur bergbaulichen Vorhabengenehmigung – zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Stephan Kühn, Undine Kurth (Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein neues Bergrecht für das 21. Jahr-hundert (Drucksachen 17/9560, 17/9034, 17/8133, 17/10182) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Manfred Todtenhausen (FDP) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters (Drucksache 17/12163) Ute Granold (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Dr. Edgar Franke, Dr. Carola Reimann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Überlebenshilfe in der Drogenpolitik – Situation der Substitution von Opiatabhängigen verbessern und Substitutionsbehandlung im Strafvollzug gewährleisten (Drucksache 17/12181) Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Drucksache 17/12013) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Burkhard Lischka (SPD) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der beruflichen Aus- und Weiterbildung in der Altenpflege (Drucksache 17/12179) Dorothee Bär (CDU/CSU) Erwin Rüddel (CDU/CSU) Petra Crone (SPD) Nicole Bracht-Bendt (FDP) Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Drucksache 17/12036) Tagesordnungspunkt 32: Antrag der Abgeordneten Maria Michalk, Karl Schiewerling, Paul Lehrieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Molitor, Dr. Heinrich L. Kolb, Sebastian Blumenthal, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen (Drucksache 17/12180) Maria Michalk (CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Gabriele Molitor (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln – Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherstellen – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (Drucksache 17/12183) b) Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln – Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherstellen – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (Drucksache 17/12184 (neu)) Kathrin Vogler (DIE LINKE) Jens Ackermann (FDP) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Neuabdruck der Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN) (218. Sitzung, Drucksache 17/12162, Frage 36) Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, Tabea Rößner und Josef Philip Winkler (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Agnes Brugger, Katja Dörner, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Lisa Paus, Ulrich Schneider, Dr. Gerhard Schick und Dorothea Steiner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Omid Nouripour, Marieluise Beck (Bremen), Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Priska Hinz (Herborn), Tom Koenigs, Nicole Maisch, Jerzy Montag, Manuel Sarrazin, Markus Tressel und Daniela Wagner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Anlage 7 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern (Tagesordnungspunkt 11 a) Sylvia Canel (FDP) Thomas Jarzombek (CDU/CSU) Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts (Tagesordnungspunkt 13) Erich G. Fritz (CDU/CSU) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Ulla Lötzer (DIE LINKE) Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Reisen für alle – Für einen sozialen Tourismus (Tagesordnungspunkt 14) Marlene Mortler (CDU/CSU) Ingbert Liebing (CDU/CSU) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Jens Ackermann (FDP) Kornelia Möller (DIE LINKE) Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur zusätzlichen Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Tagesordnungspunkt 15) Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) Norbert Geis (CDU/CSU) Dagmar Ziegler (SPD) Miriam Gruß (FDP) Diana Golze (DIE LINKE) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags (Tagesordnungspunkt 17) Norbert Barthle (CDU/CSU) Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) Dr. Florian Toncar (FDP) Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Wahlrecht (Tagesordnungspunkt 25) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 31) Heike Brehmer (CDU/CSU) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Angelika Krüger-Leißner (SPD) Pascal Kober (FDP) Diana Golze (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Überlebenshilfe in der Drogenpolitik – Situation der Substitution von Opiat-abhängigen verbessern – Substitutionsbehandlung im Strafvollzug gewährleisten (Zusatztagesordnungspunkt 9) Karin Maag (CDU/CSU) Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) Frank Tempel (DIE LINKE) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Human-arzneimitteln – Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherstellen; hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Antrag der Fraktion DIE LINKE: EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln – Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherstellen; hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (Zusatztagesordnungspunkt 10 a und b) Rudolf Henke (CDU/CSU) Stephan Stracke (CDU/CSU) Dr. Marlies Volkmer (SPD) Jens Ackermann (FDP) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Inhaltsverzeichnis 219. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 31. Januar 2013 Beginn: 9.02 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet. (Zurufe von der LINKEN: Guten Morgen, Herr Präsident!) Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer 219. Sitzung. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die -Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Aktuelle Situation in Mali (siehe 218. Sitzung) ZP 2 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes – Drucksache 17/11820 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (5. Ausschuss) – Drucksache 17/12174 – Berichterstattung: Abgeordnete Alois Karl Dr. Eva Högl Joachim Spatz Andrej Hunko Jerzy Montag ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Johannes Pflug, Dr. Rolf Mützenich, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine kohärente Gesamtstrategie für Pakistan – Für eine aktive Einbindungsdiplomatie, Stärkung der demokratischen Kräfte und eine verlässliche Entwicklungszusammenarbeit – Drucksachen 17/11033, 17/11451 – Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Johannes Pflug Bijan Djir-Sarai Jan van Aken Dr. Frithjof Schmidt ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) und zur Änderung weiterer Gesetze – Drucksachen 17/7576, 17/8615, 17/8871, 17/12170 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Ausrüstung der Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Kerstin Andreae, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes – Drucksache 17/11686 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 7 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Erfolgsbezugs im Gerichtsvollzieherkostenrecht – Drucksache 17/5313 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Josef Philip Winkler, Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kostenrechtsmodernisierung bei Vertretung in Asylverfahren und Übersetzungsleistungen nachbessern – Drucksache 17/12173 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Dr. Edgar Franke, Dr. Carola Reimann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Überlebenshilfe in der Drogenpolitik – Situation der Substitution von Opiatabhängigen verbessern und Substitutionsbehandlung im Strafvollzug gewährleisten – Drucksache 17/12181 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Rechtsausschuss ZP 10 a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln – Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherstellen hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-tages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grund-gesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die -Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Drucksache 17/12183 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin Vogler, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln – Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherstellen hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-tages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grund-gesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die -Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Drucksache 17/12184 (neu) – Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. Des Weiteren werden die Tagesordnungspunkte 8, 22, 33 und 40 g abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Hier geht es um die Reihenfolge der Behandlung der vorgesehenen Tagesordnungspunkte. Ich frage Sie, ob Sie mit den vorgeschlagenen Veränderungen einverstanden sind? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: – Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen – Drucksachen 17/11685, 17/12096 – Berichterstattung: Abgeordnete Karl-Georg Wellmann Johannes Pflug Dr. Rainer Stinner Wolfgang Gehrcke Dr. Frithjof Schmidt – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/12097 – Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Klaus Brandner Dr. h. c. Jürgen Koppelin Michael Leutert Sven-Christian Kindler Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Elke Hoff für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Elke Hoff (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beschließen heute erneut über die Fortsetzung eines der längsten und anspruchsvollsten Einsätze der Bundeswehr. Ich möchte diese Gelegenheit nicht nur dazu nutzen, den Soldatinnen und Soldaten zu danken, die in einer hervorragenden Art und Weise diesen Einsatz gemeistert haben, sondern ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich auch der militärischen Führung der Bundeswehr dafür danken, dass sie unsere Soldatinnen und Soldaten in schwierigen Zeiten durch die Klippen und Herausforderungen eines schwierigen Einsatzes manövriert hat. Wir sollten diesen Tag ebenfalls zum Anlass nehmen, derjenigen zu gedenken, die in diesem Einsatz gefallen sind. In diesem Einsatz hat die Bundeswehr zum ersten Mal seit langem wieder tote Soldaten zu tragen. Es gibt viele verwundete Soldatinnen und Soldaten. An dieser Stelle sollten wir alle in diesem Parlament der Soldaten, die verwundet sind, insbesondere auch der Familienangehörigen, gedenken. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir werden mit diesem Mandat unsere Soldatinnen und Soldaten in einen der schwierigsten Einsätze dieser Jahre senden. Wir müssen zum einen die Rückverlegung unserer eigenen Truppen vorbereiten, um diese heil und gesund zurückzubringen, zum anderen sind wir als Führungsnation im Norden des Landes Anlehnungspartner für andere Nationen. Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen in diesem schwierigen Jahr, in dem die Vorbereitungen für ein wichtiges politisches Ereignis in Afghanistan, nämlich die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014, anstehen, also einerseits ihren Auftrag im Rahmen von ISAF erfüllen, aber andererseits auch dafür sorgen, dass eine möglichst gefahrlose Rückverlegung stattfindet. Es ist aber nicht alleine Aufgabe der Bundeswehr, in Afghanistan dafür zu sorgen, dass eine stabile Nation hinterlassen wird. Wir werden in den nächsten Monaten gemeinsam mit unseren Partnern gefordert sein, eine politische Lösung für dieses Land zu finden, die trägt, die die unterschiedlichen Ethnien mit einbezieht und die dieses Land vor allen Dingen in die Lage versetzt, endlich seine Souveränität zu erlangen. Es wird also in hohem Maße auch darauf ankommen, die Nachbarstaaten Afghanistans, die bereits heute in Erwartung, aber auch mit Besorgnis auf die Lage nach 2014 schauen, so weit einzubinden, dass die afghanischen Menschen – das war auch einer der wesentlichen Gründe, warum wir uns militärisch, außenpolitisch und mit den Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit in diesem Land eingesetzt haben – ihr Leben in Frieden und in Sicherheit leben können. Das muss für uns alle weiterhin ein Ansporn sein, das Richtige zu tun und den Männern und Frauen, die dieser Aufgabe verpflichtet sind, die notwendige politische Rückendeckung zu verschaffen. Ich möchte an dieser Stelle einen letzten Satz sagen. Für unser Land besteht an keiner Stelle auch nur der geringste Anlass, sich gegenüber anderen Nationen als ein Land zu fühlen, das nicht genug tut. Wir haben in Afghanistan mit Tausenden von Soldaten – da gab es Opfer und Verwundete –, mit viel Geld und viel Herzblut dafür gesorgt, dass wir unserer Aufgabe in der Weltpolitik gerecht werden. Wann immer jemand der Meinung ist, dieses Land würde zu wenig tun: Treten Sie dem entgegen! Denn das ist falsch. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Stefan Rebmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Stefan Rebmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit wir vor über einem Jahrzehnt die schwierige Entscheidung getroffen haben, uns am ISAF-Einsatz in Afghanistan zu beteiligen, tragen wir eine besondere Verantwortung – eine besondere Verantwortung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz sind, gegenüber den internationalen Helferinnen und Helfern und besonders gegenüber den Menschen in Afghanistan. Angesichts der Situation in Afghanistan müssen wir unser Engagement vor Ort kritisch betrachten und bewerten. In den vergangenen zehn, elf Jahren gab es zahlreiche Rückschläge, es gab aber auch Fortschritte. Wir haben Fortschritte bei der Energie- und Wasserversorgung und bei der wirtschaftlichen Entwicklung. Und für rund 3,5 Millionen Menschen wurde der Zugang zur -Gesundheitsversorgung verbessert. Ein afghanisches Sprichwort sagt: Ein Mensch ohne Bildung ist wie ein Baum ohne Frucht – ein kluges Sprichwort, wie ich meine; denn Bildung und der Zugang zu Bildung sind enorm wichtig für die Entwicklung einer Gesellschaft. Deshalb ist es gut, dass heute mehr als 7 Millionen -Kinder zur Schule gehen, 2,7 Millionen davon sind -Mädchen. Seit 2009 sind mit deutscher Hilfe über 93 000 Lehrkräfte aus- und fortgebildet worden. Das sind alles Fortschritte, die erzielt wurden, und die sollten wir nicht kleinreden. Aber wir dürfen auch nicht verkennen, dass es nach wie vor gravierende Defizite gibt, dass sich die Gesundheitsversorgung und der Bildungsbereich insgesamt, auch von der Qualität her, auf einem sehr niedrigen Niveau bewegen, dass nach wie vor viele Mädchen vom Schulbesuch ausgeschlossen werden, dass es Kinder gibt, die die Schule verlassen, ohne lesen und schreiben zu können, und es in ganzen Regionen keine Schule und keine Krankenstation gibt. Deshalb müssen wir die verbleibenden zwei Jahre gemeinsam mit den Afghanen nutzen, um die Weichen für eine bessere Zukunft in -Afghanistan zu stellen. (Beifall bei der SPD) Es gibt vieles, sehr vieles, was noch unerreicht ist: Die Regierung und die Verwaltung müssen ihre Kapazitäten ausbauen. Wir brauchen gute Regierungsführung. Wir brauchen die Bekämpfung der Korruption. Wir brauchen den Aufbau einer Rechtsstaatlichkeit, die diesen Namen auch verdient. Wir brauchen die Achtung der Menschenrechte und den Aufbau funktionierender, legitimer staatlicher Institutionen. Die wirtschaftliche und die soziale Infrastruktur, die medizinische Versorgung und der Zugang zu Wasser und Energie müssen weiter ausgebaut werden. Und: Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2014 und 2015, die nach demokratischen Standards verlaufen sollen, sind eine Herausforderung, die erst noch bewältigt werden muss. Das alles sind Schlüsselbereiche, die für die weitere Entwicklung des Landes und für das Vertrauen der Menschen in die eigene Regierung von enormer Bedeutung sind. Dabei braucht Afghanistan unsere Unterstützung und die klare Zusage und Botschaft: Wir ziehen uns nicht aus der Verantwortung zurück. Wir lassen Afghanistan und die Menschen nicht allein. Menschenrechte, Kinderrechte und vor allen Dingen auch Frauenrechte sind für uns nicht verhandelbar. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im vergangenen Jahr sind zwei Leiterinnen einer örtlichen Frauenbehörde bei gezielten Anschlägen ums Leben gekommen. Dieses und viele weitere Beispiele -zeigen: Frauen und deren Rechte, auch wenn sie mittlerweile in der Verfassung stehen, sind noch lange nicht ausreichend geschützt. Tief in der Gesellschaft verankerte Wertvorstellungen, aber auch der pure Unwille in so mancher Behörde begünstigen und lassen Gewalt gegen Frauen zu. Das können und werden wir niemals akzeptieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Sorge ist groß, dass mit dem Abzug der Truppen auch viele soziale Errungenschaften zunichte gemacht werden. Die wachsende Unsicherheit und Nervosität der afghanischen Zivilgesellschaft, der internationalen Helfer und der afghanischen Partner machen deutlich: Ein weiteres verlässliches Engagement von deutscher und internationaler Seite über 2014 hinaus ist absolut notwendig. Uns Entwicklungspolitikern liegt sehr an einem gemeinsam erarbeiteten Konzept für die Unterstützung einer nachhaltigen, sozialen, wirtschaftlichen und friedlichen Entwicklung Afghanistans. Deshalb ist es absolut notwendig, dass die Entwicklungspolitik, die Entwicklungszusammenarbeit in den Vordergrund rückt und die verschiedenen Ressorts – Außen- und Verteidigungspolitik, Inneres, Entwicklungspolitik und Menschenrechtspolitik – zusammenarbeiten, um eine umfassende und kohärente Strategie für Afghanistan zu entwickeln. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Andreas Schockenhoff ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Strategiewechsel vor bald drei Jahren können wir nun den konkreten Abzug unserer ISAF-Soldaten ins Auge fassen. Das Mandat sieht eine Absenkung der Obergrenze um 500 Soldatinnen und Soldaten auf 4 400 vor. Ab Mitte 2013 sollen afghanische Kräfte die Hauptverantwortung für die Sicherheit im Land übernehmen. Das müssen wir abwarten. Unter der Voraussetzung, dass sich die Sicherheitslage weiter positiv entwickelt und keine Gefahr für unsere Soldaten entsteht, werden Anfang 2014 weitere 1 100 Soldatinnen und Soldaten nach Hause kommen. Für die CDU/CSU gebietet es der Respekt vor der Leistung unserer Soldatinnen und Soldaten, dass ihr Dienst in Afghanistan die Wertschätzung erfährt, die der Einsatz von Leib und Leben für die Sicherheit Deutschlands verdient, auch und gerade über das Ende des ISAF-Einsatzes hinaus. Ihre Anerkennung als Veteranen ist deshalb so bedeutsam. Wir danken Verteidigungsminister de Maizière, dass er hier Klarheit geschaffen hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Selbstverständlich richtet sich unser Dank auch an die zivilen Helferinnen und Helfer in Afghanistan. Wir können die weitere Reduzierung unseres ISAF-Kontingents verantworten, weil selbsttragende afghanische Sicherheitsstrukturen Gestalt annehmen. Der Transformationsprozess verläuft planmäßig. Schon jetzt tragen in 76 Prozent der Fläche Afghanistans afghanische Kräfte die Hauptverantwortung für die Sicherheitslage, in unserem Einsatzgebiet in vier von fünf Distrikten. Die von Deutschland mit Nachdruck betriebene Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte hat die schrittweise Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch afghanische Kräfte entscheidend mit ermöglicht. Die afghanischen Kräfte werden aber auch über 2014 hinaus Ausbildung, Beratung und Unterstützung brauchen. Wir werden uns nach dem Aufwuchs der afghanischen Kräfte insbesondere um ihr Fähigkeitsprofil kümmern müssen. Zu diesem Zweck plant die NATO eine Folgemission auf Grundlage eines neuen UN-Mandates. Die schwer erarbeitete Sicherheit des Landes und die Selbstständigkeit der afghanischen Kräfte müssen konsolidiert werden. Die CDU/CSU unterstützt deshalb die Planungen für eine neue Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission nach 2014. Die Reduzierung unseres Bundeswehrkontingents birgt aber auch Herausforderungen. Der ISAF-Auftrag, also Stabilisierung und Ausbildung, muss fortgeführt werden. Gleichzeitig läuft die Rückverlegung von Material und Personal. Zudem muss die internationale Nachfolgemission zur kontinuierlichen Ausbildung und Befähigung der afghanischen Sicherheitskräfte vorbereitet werden. Aufgrund dieses breiten Aufgabenspektrums bis zum Ende der Mission muss die militärische Handlungsfähigkeit bis Ende 2014 gewährleistet bleiben, um den Schutz unserer Soldaten nicht zu gefährden. Das ist für die CDU/CSU zentral, und das ist im Mandat sichergestellt. Auch nach dem Ende des ISAF-Einsatzes bleiben wir den Menschen in Afghanistan verpflichtet. Die Transformation eines der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder der Welt ist eine Generationenaufgabe. Unser Engagement wird sich qualitativ verändern, aber es ist und bleibt langfristig und wird sich in der Transformationsdekade von 2014 bis 2024 noch mehr auf die zivile Hilfe konzentrieren. Ohne weitere Entwicklung wird es keine dauerhafte selbsttragende Sicherheit in Afghanistan geben. Verpflichtet fühlen wir uns auch den afghanischen Ortskräften, die viele Jahre einen guten Dienst für unser Engagement geleistet haben. Es ist richtig, dass die Bundesregierung gewissenhaft prüft, ob sie nach dem Ende ihrer Arbeit für die internationale Gemeinschaft unvertretbar bedroht sind und deshalb zu ihrem Schutz nach Deutschland kommen können. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weshalb bedroht? Ich denke, es ist alles sicher!) Die Bundeswehr setzt seit einiger Zeit in Afghanistan von Israel geleaste Drohnen zur Aufklärung ein. Der Vertrag mit Israel läuft 2014 aus. Lieber Herr Kollege Arnold, Sie haben völlig recht, wenn Sie wörtlich sagen: Die Zukunft gehört der Drohnentechnologie. – Deshalb halte ich die Anschaffung eines eigenen Systems von Drohnen für die Bundeswehr, das beispielsweise mit Frankreich und anderen europäischen Partnern entwickelt wird, für richtig und notwendig, (Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!) und zwar nicht nur Aufklärungs-, sondern auch bewaffnete Drohnen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Schwätzer! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Ja, klar! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Killerdrohnen? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Killerdrohnen! – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das ist aber leichtfertig!) Aber ich sage auch: Die technologische Möglichkeit des Einsatzes von Drohnen wird erhebliche Veränderungen für unsere Sicherheitspolitik bedeuten. Ich will nur drei Beispiele nennen: Erstens. Wenn wir in einer spezifischen Situation abschrecken wollen, allerdings keine Kampftruppen oder Kampfflugzeuge einsetzen, aber dennoch auch aus eigenem Sicherheitsinteresse unsere Partner mit eigenen militärischen Beiträgen unterstützen wollen, wären bewaffnete Drogen, (Vereinzelt Lachen) wären bewaffnete Drohnen eine neue Option. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bewaffnete Drogen wollen wir gar nicht! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Seit wann?) – Das Thema ist zu ernst, Herr Kollege Trittin, als dass Sie es in der Ihnen bekannten Art hier abtun sollten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wohl wahr!) Zweitens. Wenn der Kollege Arnold sagt, am liebsten wäre es ihm, wenn es eine gemeinsam verfügbare europäische Fähigkeit bei Drohnen gäbe, dann stellt sich für unsere Partner sehr schnell die Frage nach der Verfügbarkeit und der politischen Verlässlichkeit und damit auch die Frage nach den Auswirkungen auf die Beteiligung des Deutschen Bundestages. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die Drohnen sind später dran!) Drittens. Ich nehme die moralischen Bedenken, die insbesondere von kirchlichen Vertretern geäußert werden, sehr ernst; (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ehrlich?) auch sie gehören in eine Sicherheitsdiskussion, die wir führen müssen. Aber nicht akzeptabel ist, dass zu neuen militärischen Optionen, die es im Übrigen künftig in allen großen Armeen geben wird, gleich grundsätzlich Nein gesagt wird, ohne dass eine sicherheitspolitische Diskussion geführt wird. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sagen erst mal Ja!) Denn das Argument von Verteidigungsminister de Maizière wiegt schwer. Er sagt: Unbemannte, bewaffnete Luftfahrzeuge unterscheiden sich in der Wirkung nicht von bemannten. Immer entscheidet ein Mensch … (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja? Sagen Sie das den Getöteten!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Beispiel in der Diskussion über Drohnen zeigt erneut: Wir brauchen eine regelmäßige Generaldebatte zur sicherheitspolitischen Lage Deutschlands. (Stefan Rebmann [SPD]: Na, dann mal los!) Eine solche Debatte kann und soll unsere Debatten über die jeweiligen Mandate nicht ersetzen. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wollen Sie in Afghanistan Drohnen einsetzen, oder um was geht es jetzt hier?) Aber sie gäbe uns die Möglichkeit, über Mandatsfragen hinausgehende sicherheitspolitische Aspekte grundsätzlich zu debattieren. Hier besteht großer Bedarf. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Da hat Ihnen wohl einer die falsche Rede mitgegeben! – Stefan Rebmann [SPD]: Thema verfehlt!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält der Kollege Paul Schäfer, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Jetzt kommt mal ein guter Redner!) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke lehnt die Fortsetzung des Militäreinsatzes in Afghanistan ab. (Beifall bei der LINKEN) Diese Regierung redet inzwischen gern vom Abzug, handelt aber nicht konsequent in diesem Sinne. Sie zögert und zaudert; der vorliegende Antrag bestätigt das. Gerade einmal 25 Prozent des jetzigen Kontingents sollen das Land am Hindukusch bis Anfang 2014 verlassen haben, und das nur, wenn die Bedingungen es zulassen. Zugleich werden mal eben neue Kampfhubschrauber nach Afghanistan verlegt. Ein wirklicher Truppenabzug sieht anders aus. (Beifall bei der LINKEN) Nötig wäre es, die Bundeswehr vollständig, so rasch wie möglich, ohne Vorbedingungen und ohne eine Hintertür zur Fortsetzung des Krieges zurückzuholen. Das müsste gemacht werden. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, noch schlimmer als der zögerliche Abzug ist, dass die Vorbereitungen und Planungen für das Folgemandat nach 2014 längst im Gange sind. Man darf eigentlich nicht „Folgemandat“ sagen; es soll ja etwas ganz Neues werden. Beschwichtigend heißt es in diesem Zusammenhang: Keine Kampfoperationen mehr. – Ist ernsthaft damit zu rechnen, (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Ja!) dass jegliche militärisch-operative, logistische Unterstützung zur sogenannten Aufstandsbekämpfung eingestellt werden wird? Bestenfalls im Kleingedruckten findet sich der Hinweis, dass die Operationen der US-Spezialkräfte gegen die Terroristen weitergehen werden, also genau die Kampfeinsätze an der afghanisch-pakistanischen Grenze – Drohneneinsatz inklusive –, die das Völkerrecht unterlaufen, die neuen Hass erzeugen und die für das bisherige militärische Versagen stehen. Dieser Ansatz ist gescheitert und damit auch die NATO, die diese Politik getragen hat. Warum also soll man in dieser Weise weitermachen? (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, es ist Zeit für eine klare Zäsur, für einen zivil geprägten Aufbauplan, den die Afghaninnen und Afghanen verantworten und bei dem die Vereinten Nationen endlich an die erste Stelle gerückt werden. Ja, Selbstbestimmung der Afghaninnen und Afghanen statt Fremdbestimmung, das ist ein zentraler Punkt. Nun kann man einwenden, gerade die Linke kritisiere doch besonders scharf die inneren Verhältnisse in Afghanistan. Wie passt das zusammen? Richtig: Der jüngste UNAMA-Bericht zeichnet ein düsteres Bild von der Lage der Gefangenen in Afghanistan. Viele werden misshandelt, ja gefoltert. Vorsichtig verallgemeinert: Es steht in Afghanistan nicht allzu gut um die Menschenrechte, auch nicht um die Frauenrechte. Oder lesen Sie die jüngsten Berichte des UNO-Büros für die Koordination humanitärer Angelegenheiten oder auch des Feinstein International Center. Beiden Quellen zufolge hat sich die humanitäre Lage in Afghanistan in den letzten Jahren verschlechtert. Nur eine Zahl: Die Anzahl der Menschen, die unter akuter Unterernährung leiden, ist zwischen 2008 und 2011 noch einmal gestiegen. In den am meisten leidenden Regionen betraf das 31 Prozent der Bevölkerung. Auch die Zahl der Binnenflüchtlinge ist in diesem Zeitraum noch einmal gestiegen. Last, not least: Korruption und Günstlingswirtschaft prägen nach wie vor die politischen Institutionen und das öffentliche Leben. Es ist der bis heute wirkende Fluch der bösen Tat, dass man vor allem mit denjenigen paktiert hat, denen es um Machterhalt geht. Genau damit hat man die Ursachen von Not und Rückständigkeit perpe-tuiert. Trotz alledem setzen wir unsere Hoffnungen auf die Afghaninnen und Afghanen; denn nur von innen heraus wird eine nachhaltig-demokratische Entwicklung möglich sein. (Beifall bei der LINKEN) Man kann und muss von außen helfen – aber bitte mit den richtigen Konzepten. Gerade deshalb ist es so wichtig, scharf zu analysieren und zu kritisieren, was alles falsch gelaufen ist. Aber ich füge auch eines hinzu: Die Ausgangslage heute – es gibt erste Verhandlungsansätze, Wahlen stehen bevor, und der Truppenabzug ist zumindest eingeleitet worden – bietet durchaus Chancen, die Dinge zum Besseren zu wenden. Was die Bundesregierung jetzt tun könnte, tun müsste, ist erstens energisch mithelfen, dass noch vor den Wahlen 2014/2015 eine Verhandlungslösung erreicht wird. Ein konsequenter Truppenabzug der NATO ist dabei ebenso eine Conditio sine qua non wie eine Beendigung der Militäraktionen unter Enduring Freedom. Zweitens muss sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die Federführung der auswärtigen Hilfe beim Friedens- und Aufbauprozess nicht nur formal, sondern auch materiell unter das Dach der UNO gebracht wird. (Beifall bei der LINKEN) Die Vergangenheit hat gezeigt: Zu viele Köche verderben den Brei. Drittens sollte die Bundesregierung ratgebend und nicht bevormundend auf die Karzai-Regierung einwirken, damit diese versucht, alle gesellschaftlichen und politischen Kräfte des Landes an einen Tisch zu bringen. Ein alle einschließender Friedensplan wird nur gelingen, wenn ein demokratischeres Wahlrecht und eine Verfassungsreform, die den Menschen auf lokaler Ebene mehr Mitwirkungsrechte gibt, vereinbart werden. Das könnte die Basis dafür sein, den bewaffneten Konflikt in einen politischen zu transformieren. Und dieser politische Prozess ist entscheidend – nicht das Militär – bei der Frage, ob Afghanistan wieder im Chaos versinkt oder ob es mit dem Land vorwärtsgeht. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sehr gute Rede!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frithjof Schmidt ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die internationale Gemeinschaft hat sich seit der Londoner Konferenz Anfang 2010 mehrfach dazu bekannt, den ISAF-Einsatz in Afghanistan bis Dezember 2014 zu beenden und die Kampftruppen abzuziehen. Meine Fraktion hat diese Linie unterstützt. Es war und ist richtig, den Abzug im Geleitzug mit unseren Partnern schrittweise umzusetzen. Deshalb haben wir uns deutlich gegen alle Forderungen nach einem schnelleren Abzug gewandt. Da gab es einen Konsens mit den Regierungsfraktionen und der SPD, für den wir öffentlich gemeinsam geworben haben. Das war gut so, gerade auch im Interesse der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, denen unser Dank gebührt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Das Mandat, das Sie uns jetzt vorlegen, ist das erste Mandat, das die Abzugsphase einleitet und – gegebenenfalls – auch den Übergang zu einer Nachfolgemission vorbereitet. Das ist eine neue Qualität, eine neue Aufgabenstellung, und daran muss dieses Mandat gemessen werden. Herr de Maizière, Sie haben vor über einem Jahr hier im Plenum angekündigt, dass Sie 2012 eine Planung für den Abzug der Bundeswehr vorlegen werden. Sie haben gesagt – ich darf zitieren –: Deswegen werden wir im Laufe des nächsten Jahres darüber diskutieren und die Pläne transparent vorlegen. Das, was Sie uns heute präsentieren, erfüllt dieses Versprechen nicht einmal annähernd, im Gegenteil. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Sie möchten die Obergrenze der Stationierung bis zum 1. März 2014 lediglich auf 4 400 Soldatinnen und Soldaten reduzieren. Nur in der Begründung kündigen Sie den Wunsch an, die Truppengröße möglichst auf 3 300 abzusenken, wenn die Umstände es erlauben. Das bedeutet, dass am 1. März 2014 noch mindestens 3 300 Bundeswehrangehörige in Afghanistan stehen werden; es können auch noch mehr sein. Diese Zahlen sind doch viel zu hoch. Dann verbleiben gerade noch neun Monate bis zum Ende von ISAF. Natürlich könnte man technisch in knapp neun Monaten dort auch über 3 000 Soldaten abziehen. Wenn man viel Material einfach stehen lässt, eine überstürzte Optik – um nicht zu sagen: eine fluchtartige Anmutung – nicht scheut, dann geht das vielleicht. Der politische Effekt wäre verheerend und destabilisierend, und deswegen haben Sie das offensichtlich auch nicht vor. Die hohen Zahlen im Mandat sind objektiv darauf ausgelegt, dass die Bundeswehr auch 2015 mit einer deutlich vierstelligen Zahl in Afghanistan im Einsatz bleiben soll. Das verfestigt den Eindruck, dass Sie sich vom Ziel eines vollständigen Abzuges der Kampftruppen schon unausgesprochen verabschiedet haben. Wenn Sie so etwas anstreben, dann sollten Sie das hier und heute auch klar aussprechen. Das gehört nämlich zur Mandatswahrheit und -klarheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Frage ist doch: In welcher Größenordnung strebt die Bundesregierung eine Beteiligung an einer geplanten Ausbildungsmission nach 2014 an? Dass Sie hohe Zahlen anstreben, zeigt Ihre Reaktion auf die Überlegungen in der Obama-Administration hinsichtlich verschiedener Optionen für einen substanziellen Abzug der amerikanischen Truppen 2014. Da gab es scharfe Kritik durch Sprecher der Bundesregierung an den USA, das sei realitätsfern. Das war kein Versehen. Sie präjudizieren mit diesem Mandat, dass auch 2015 eine deutlich vierstellige Zahl von Bundeswehrtruppen in Afghanistan bleibt. Das Mandat schafft politische und militärische Sachzwänge, und das heißt de facto auch vollendete Tatsachen für die Zeit nach 2014. Aber Sie tun gegenüber der Öffentlichkeit so, als wäre da gar nichts. Diese Verwirrspiele mit Zahlen und Absichten erschüttern das Vertrauen der Bevölkerung in die Wahrhaftigkeit der Mandate, die wir hier beschließen. Aus all diesen Gründen wird die große Mehrheit meiner Fraktion diesem Mandat heute nicht zustimmen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Djir-Sarai das Wort. Bitte schön. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bijan Djir-Sarai (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns aus unserer Sicht am Anfang vom Ende eines langen, schwierigen, aber erfolgreichen Weges in Afghanistan. Wir befinden uns im Abschlusskapitel eines langen Einsatzes in diesem Land. Viele unserer Maßnahmen und Initiativen waren erfolgreich, andere wiederum bitter und lehrreich. Herr Kollege Schmidt, ich schätze Sie sehr; das wissen Sie auch aus Gremienarbeit und Ausschusssitzungen. Aber es ist an der Stelle wichtig, zu sagen: Die deutsche Bundesregierung hat immer dafür plädiert, eine verantwortungsvolle Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte zu entwickeln. Diese scheint nun bis Ende 2014 vollzogen werden zu können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Unsere erfolgreiche Operation erlaubt nun eine weitere Reduzierung der Soldatinnen und Soldaten vor Ort. Deswegen wird in dem Antrag die Personalobergrenze von ursprünglich knapp 5 000 Mann auf 4 400 gesenkt. Außerdem wird angestrebt – das haben die Vorredner schon gesagt –, in den nächsten Monaten nochmals 1 100 Soldaten abzuziehen, sofern es die Umstände erlauben. (Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Und wenn nicht?) Die Zahl der Streitkräfte umfasst schon Personal für Rückbau und Logistik. Wir sind daher auf dem richtigen Weg. Die zweite wichtige Änderung in diesem Antrag betrifft die Mandatsdauer. Die Laufzeit des Mandats soll 13 Monate betragen. Dieser zusätzliche Monat gibt den Soldaten Planungssicherheit. Dadurch kann man nämlich nach der Bundestagswahl in Ruhe und mit Sorgfalt ein neues Mandat erarbeiten, ohne dass sich dies mit der Organisation eines neu gewählten Parlaments überschneidet. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Übergabe der Verantwortung an die Afghanen ist weder einem populistischen „Raus aus Afghanistan“ noch Desinteresse geschuldet, sondern sie ist das Ergebnis einer effektiven deutschen Afghanistan-Politik. Wir machen in Afghanistan weiter, aber das ist kein Weiter-so. Die deutsche Afghanistan-Strategie basiert auf zwei Säulen: zum einen auf der Garantie der Sicherheit der afghanischen Bevölkerung durch unsere Soldatinnen und Soldaten, zum anderen auf der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, die den Menschen das Leben erleichtert. Wenn wir uns die erste Säule anschauen, so stellen wir fest: Die Sicherheitslage verbessert sich allgemein von Jahr zu Jahr. Die afghanischen Streitkräfte sind kontinuierlich besser geworden. Unsere Ausbildung fruchtet. Im Norden des Landes agieren bereits heute afghanische Sicherheitskräfte selbstständig, und die ISAF-Kräfte müssen diese nur noch punktuell unterstützen. Ein sicheres Afghanistan stärkt zusätzlich die Sicherheit in der ganzen Region. Leider muss man immer wieder Rückschläge ertragen, wie die jüngsten Vorwürfe von Folter in afghanischen Polizeidienststellen offenbaren. Jegliche Art von Folter ist aufs Schärfste zu verurteilen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Allerdings zeigt die Anordnung Präsident Karzais, diese Schreckenstaten unverzüglich zu untersuchen, den Mentalitätswandel, der vor zehn Jahren in Afghanistan noch undenkbar gewesen wäre. Folter ist unentschuldbar und wird nicht geduldet, sondern bekämpft – auch in Afghanistan. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Freunde, die zweite Säule, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, gibt den Afghanen Hoffnung und hilft ihnen in ihrem alltäglichen Leben. Durch das Ineinandergreifen von Schutz und Fürsorge zeigen wir den Einwohnern, dass sie uns vertrauen können, dass wir für sie da sind. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in den rund 180 Millionen Euro wider, die wir im nächsten Haushalt für Afghanistan bereitstellen. So sind Hilfsleistungen auch in der Zukunft gesichert. Wir werden unsere Soldatinnen und Soldaten Ende 2014 aus dem Land abziehen, aber wir werden dieses Land nicht fallen lassen. Deutschland ist einer der wichtigsten Partner in Afghanistan, und wir werden es auch bleiben – auch nach 2014. Wir werden dieses Land nie mehr alleine lassen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, die deutschen Streitkräfte haben zusammen mit unseren Verbündeten für ein demokratisches Afghanistan gekämpft, für die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Afghanistan, für ein freies und sicheres Land. Dafür möchte ich mich im Namen der FDP-Bundestagsfraktion an dieser Stelle auch bei den Soldatinnen und Soldaten ganz herzlich bedanken. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das war ein sehr guter Schlusssatz, Herr Kollege. Bijan Djir-Sarai (FDP): Ein letzter Satz, Herr Präsident. – Mit der hier zu beschließenden Mandatsverlängerung geben wir unseren Soldaten und der afghanischen Bevölkerung Sicherheit, Stabilität und Selbstbestimmung. Daher bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, für diesen Antrag zu stimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Ströbele das Wort. (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Zwischenrede! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es doch erwartet!) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Ich habe festgestellt, dass der zuständige Minister heute hier offenbar nicht zu diesem Thema reden wird. Es ist Krieg in Afghanistan; Deutschland führt Krieg in Afghanistan. Gegen den Willen der deutschen Bevölkerung führt Deutschland Krieg in Afghanistan, und der zuständige Minister leistet keinen Beitrag dazu, die Kriegslage in Afghanistan hier mit einem Bericht darzulegen. Wie viele Tote gab es seit der letzten Befassung des Deutschen Bundestages im deutschen Bereich in Afghanistan? Wie häufig wurden die Kampfdrohnen eingesetzt, die im deutschen Gebiet seither stationiert worden sind? Wie geht es weiter? Welche Drohnen werden in Zukunft eingesetzt? Sie, Herr Minister, können es offenbar kaum erwarten, dass Deutschland über Kampfdrohnen verfügt und Sie sie auch in Afghanistan einsetzen können. Ich erwarte, dass Sie dazu Stellung nehmen und auch dazu, warum Sie noch vor einem Jahr erklärt haben, dass in Afghanistan auf Verhandlungen gesetzt wird, aber jetzt niemand mehr von Verhandlungen redet. Sie reden nicht von Verhandlungen, niemand redet von Verhandlungen. (Michael Brand [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Ohne Verhandlungen werden wir alle Ende des Jahres 2014 da stehen, wo wir heute stehen, wo wir vor zwei oder fünf Jahren gestanden haben. (Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist unwahr!) Es gibt dann zwei Möglichkeiten, die beide schrecklich sind, die beide schlimmer sind als die jetzige Situation: Entweder es gibt wieder einen fürchterlichen Bürgerkrieg in Afghanistan, oder der Krieg wird verlängert, der NATO-Krieg dauert an. Ich erwarte, Herr Minister, dass Sie zu all diesen Fragen hier im Parlament Stellung nehmen. Ich und die deutsche Bevölkerung erwarten das von Ihnen. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: „Ich und die deutsche Bevölkerung“! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Selbstbewusstsein ist in diesem Hause im Allgemeinen relativ breit entwickelt. – Nun hat zu einer weiteren Kurzintervention der Kollege Schockenhoff das Wort. Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Herr Kollege Ströbele, in der ersten Lesung zu dieser Mandatsverlängerung haben sowohl der Außenminister als auch der Verteidigungsminister ausführlich Stellung genommen. In den Ausschüssen wird regelmäßig unterrichtet. Auch in unserer Fraktion wird regelmäßig über dieses Thema gesprochen. Ich gehe davon aus, dass das auch in Ihrer Fraktion der Fall ist. Weil das Parlament unsere Soldaten entsendet, hat sich die CDU/CSU-Fraktion entschlossen, bei der zweiten Lesung die Redezeit unter den Kolleginnen und Kollegen aus den betroffenen Fachausschüssen zu verteilen. Wenn Sie von Ihrer Fraktion aus gegebenem Anlass keine Redezeit bekommen, bitte ich Sie, das dort zu klären und uns damit nicht hier im Plenum zu belästigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann hätten Sie Ihren Beitrag ja auch streichen müssen, Herr Schockenhoff! – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das ist ja nur noch peinlich: „Ich und die deutsche Bevölkerung“!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Lars Klingbeil (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und wie ich gerade gelernt habe: Liebe Freunde! Große Teile der SPD-Fraktion werden diesem Mandat zustimmen. Dieses Mandat ist ein Meilenstein. Das Mandat steht für den Übergang von einer Kampfhandlung hin zu einem Mandat der Ausbildung. Es steht für die Übergabe der Verantwortung. Dieses Mandat markiert deutlich den beginnenden Abzug deutscher Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan. Ich sage aber auch: Dieses Mandat muss uns alle ermahnen, dass wir unsere Verantwortung, die wir für und in Afghanistan übernommen haben, nicht vergessen, und uns daran erinnern, dass diese Verantwortung noch lange nicht vorbei ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist richtig, dass wir hier im Parlament einen breiten Konsens suchen, wenn es um die Verlängerung von Bundeswehrmandaten geht. Herr Schockenhoff, als ich Ihre Rede gehört habe und Sie von Drohnen gesprochen haben, da dachte ich erst, ich hätte mich auf das falsche Mandat vorbereitet. Ich habe dann noch einmal nachgeschaut und habe gesehen: Sie haben sich auf die falsche Debatte vorbereitet. Über die Drohnen wird an anderer Stelle diskutiert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das war kein hilfreicher Beitrag, um hier im Parlament eine breite Mehrheit für ein solches Mandat zu erzielen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir als Deutscher Bundestag Mehrheiten im Parlament suchen, dann hat das etwas mit Tradition und auch mit der Verantwortung zu tun, die wir gegenüber Soldatinnen und Soldaten, die wir ins Ausland schicken, wahrzunehmen haben. Ich will auch im Namen meiner Fraktion an dieser Stelle all denen danken, die sich in Afghanistan engagiert haben und dies bis 2014 und darüber hinaus noch tun werden. Ihr Einsatz verdient größten Respekt von uns allen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir heute ein Mandat auf den Weg bringen, das für 13 Monate gilt, dann hat auch dies unsere Unterstützung. Der nächste Bundestag, der veränderte Mehrheiten haben wird, hat dadurch Zeit, sich in eine schwierige Problematik, in ein komplexes Thema einzuarbeiten und dann weise Entscheidungen zu fällen. Eine solche Mandatsentscheidung dokumentiert aber auch hier im Parlament immer wieder unsere Verantwortung. Wir alle müssen uns heute, wenn wir abstimmen, fragen, ob wir bis zu diesem Zeitpunkt alles unternommen haben, um die Soldatinnen und Soldaten und Zivilbeschäftigten, die wir ins Ausland schicken, im Hinblick auf die Ausbildung, die Ausrüstung und das Umfeld -ausreichend vorzubereiten. Dann ist es auch egal, ob wir 4 400 Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan -schicken oder ob am Ende dieses Mandates nur noch 3 300 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan sein werden. Ich sage Ihnen: Solange auch nur ein deutscher Soldat in Afghanistan ist, haben wir als Parlament unsere Verantwortung umfassend wahrzunehmen. Wenn wir nach Afghanistan blicken, müssen wir eingestehen, dass es bei weitem nicht nur Erfolgsmeldungen sind, die uns erreichen. Wir alle mussten, glaube ich, in den letzten Jahren lernen, dass es viel schwieriger ist, ein Land aufzubauen, als Terroristen zu vertreiben, dass es schwieriger ist, ein Land aufzubauen, als ein Regime zu stürzen, das Terroristen unterstützt. Diese Lektion mussten wir als Parlament gemeinsam lernen. Wir wissen heute, wie langatmig, wie anstrengend, aber auch wie schmerzlich eine solche Mission sein kann, wenn es um den Wiederaufbau eines Landes geht. In Afghanistan mussten wir diesen Schmerz viel zu häufig ertragen. Die Übergabe in Verantwortung, die wir heute auf den Weg bringen, ist ein Meilenstein. Die Präsidentschaftswahl 2014 wird ein markanter Punkt auf diesem Weg sein. Dann wird sich zeigen, wie stabil Afghanistan ist und wie die inneren Zustände sind. Wir alle hoffen, dass diese Wahl fair verläuft und dass alle Menschen in -Afghanistan beteiligt werden. Aber wir müssen auch wachsam sein, weil gerade die Präsidentschaftswahl ein Zeitpunkt sein kann, an dem die Stimmung in Afgha-nistan kippt. Es war richtig, dass wir einen Korridor für den Abzug definiert haben. Ich will an dieser Stelle erwähnen, dass es die SPD-Bundestagsfraktion war, die mit großen Kongressen und einer Taskforce Afghanistan/Pakistan, die über zweieinhalb Jahre getagt hat, genau diese Forderung früh erhoben hat. Unser damaliger Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat die Definition eines solchen Korridors auf den Weg gebracht. Wir haben den Afghanen das Signal gegeben: Liebe Freunde, wir helfen euch, aber strengt euch an, dass ihr bald die Verantwortung selbst übernehmen könnt. Die Konferenz in London – sie ist bereits genannt worden – und der Gipfel in Chicago waren wichtig, weil wir dort mit unseren Partnern einen gemeinsamen Weg vereinbart haben. Jetzt sehen wir aber, dass der amerikanische Präsident von diesem Weg ein Stück weit abrückt. Ich hätte mir gewünscht, dass der Verteidigungsminister und der Außenminister heute hier im Parlament erklärt hätten, was es eigentlich bedeutet, wenn die Amerikaner frühzeitig auf Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Kräfte umsteigen wollen. Was bedeutet das für das Mandat, das wir heute auf den Weg bringen, und welche Folgen ergeben sich für das deutsche Engagement? Wir wissen, dass wir auch nach 2014 in Afghanistan aktiv sein werden. Die Soldatinnen und Soldaten werden dann in einer völlig neuen Mission unterwegs sein. Ich hätte mir auch hierzu einige Worte des Ministers gewünscht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleiben Fragen offen, die wir hier im Parlament klären müssen. Ich wünsche mir, dass die Opposition dabei eingebunden wird, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir lassen uns nicht einbinden!) damit ein parlamentarischer Konsens erhalten bleibt. Wir alle wissen: In Afghanistan ist noch eine lange Strecke zu gehen. Wir haben als Deutscher Bundestag 2001 Verantwortung in Afghanistan übernommen, die weiterbesteht, auch wenn keine Soldatinnen und Soldaten mehr im Land sind. Wenn weniger Militär da ist, rückt das Zivile in den Vordergrund. Ich ermahne uns alle, dass das nicht dazu führen darf, dass wir im Bereich der zivilen Mittel kürzen. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass unsere Aufmerksamkeit hoch bleiben sollte, wenn es um Auslandseinsätze geht. Wir reden inzwischen auch über Mali. Das hätten wir vor wenigen Monaten nicht gedacht. Deswegen finde ich den mehrfach in der Diskussion angesprochenen Punkt wichtig, dass wir als Parlament die sicherheitspolitische Diskussion befördern müssen, dass wir dafür sorgen müssen, dass hier in der Kernzeit über Mandate diskutiert wird. Ich wünsche mir, dass sich mehr Kolleginnen und Kollegen an dieser sicherheitspolitischen Diskussion beteiligen. Das sind wir denen schuldig, die wir ins Ausland schicken. Vielen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt in voller Überzeugung die Fortsetzung des ISAF-Mandats. Wir möchten hier in aller Klarheit sagen: Dieses Mandat beinhaltet eine ganze Reihe von Chancen. Worin bestehen die Chancen? Zunächst einmal darin, dass wir deutlich machen: Zum Ende des Jahres 2014 werden unsere Truppen dort keinen Kampfauftrag mehr haben. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz sicher?) Die Übergabe in Verantwortung beinhaltet die Übergabe von Vertrauen und auch, zuzulassen, dass die Afghanen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Das heißt für uns, uns schrittweise zurückzunehmen. Wir erleben seit 2011, dass die Afghanen schrittweise die Verantwortung in einzelnen Regionen übernommen haben, mittlerweile in 75 Prozent des Landes. Deshalb, lieber Herr Kollege Schmidt von den Grünen, weise ich Ihren Vorwurf der versteckten Überhöhung und der versteckten Fortsetzung des Kampfauftrags eindeutig zurück. Wir haben in unserer Fraktion darum gerungen – zuletzt im November, als wir einen großen Fraktionskongress zu diesem Thema durchgeführt haben –, ob wir zwei Mandate einholen, eines zum Rückbau und eines zur Fortsetzung des jeweiligen Auftrags. Wir sind vollkommen überzeugt davon, dass man die Verantwortung nicht teilen kann. Es ist wichtig, dass wir mit einer großen Anzahl fähiger Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan sind, weil wir nämlich Leitnation im Norden sind. Das wird immer wieder vergessen. Wir sind Leitnation und damit verantwortlich für den Rückzug und den Rückbau von 18 Partnerstaaten, die uns im Einsatz unterstützen. Auch das gehört zu unserer Verantwortung und zur deutschen Sicherheitspolitik. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte deshalb noch einmal dringend bei Ihnen darum werben: Geben Sie sich einen Ruck! Enthaltung ist kein Bekenntnis. Ich möchte in der verbleibenden Zeit noch ein Zwischenfazit ziehen: Was hat uns dieser Afghanistan-Einsatz nach über zehn Jahren zu sagen? Was bleibt zurück, außer dass wir wissen, dass unser Engagement weitergeht, wenn es auch verstärkt zivilen Charakter haben wird? Ich möchte vier Punkte ansprechen, die mir am Herzen liegen. Erstens. Wenn wir die Situation von vor zehn Jahren mit der heutigen vergleichen, dann sehen wir, wie eng die Entwicklungszusammenarbeit, die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen, die Arbeit der GIZ und der Kreditanstalt für Wiederaufbau, mit der Rolle der Bundeswehr im Rahmen der vernetzten Sicherheit, der Absicherung durch das Militär verwoben ist. Der vernetzte Ansatz ist das, was wir aus den vergangenen zehn Jahren mitnehmen. Zweitens. Wir haben gelernt, einen Einsatz vom Ende her zu denken. Vom Ende her zu denken, heißt, politische Ziele zu setzen. (Unruhe) Präsident Dr. Norbert Lammert: Einen Augenblick, Herr Kollege. – Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, sich noch einen Augenblick zu setzen und den beiden letzten Rednern zu folgen. Es hat noch einen Augenblick Zeit, bis wir zur namentlichen Abstimmung kommen. Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Der Punkt ist, dass wir eine sicherheitspolitische Strategie brauchen, die vernetzt ist, die Entwicklungsaspekte genauso berücksichtigt wie die Konflikttransformation und die Absicherung durch das Militär, wo es geboten ist. Wir denken also Einsätze vom Ende her. Das zeigt auch die aktuelle Debatte über Mali, wo wir gemeinsam mit unseren französischen Partnern aus dem Einsatz eine europäische Mission machen sollten. Drittens. Der regionale Bezug ist ganz entscheidend, weil wir Afghanistan nicht isoliert betrachten können, also ohne Pakistan, Iran oder die Staaten im Norden -Afghanistans. Regionaler Bezug bedeutet, dass wir in der Lage sind, die Gesamtzusammenhänge zu analysieren. Wir müssen mithelfen, dass zum Beispiel Pakistan, das zunehmend mit Instabilität zu kämpfen hat, ein Partner wird. Das heißt, dass wir immer die Nachbarstaaten im Blick haben müssen. Das zeigt sich auch bei der aktuellen Debatte über Mali. Viertens. Wir haben eine neue Tradition in den Streitkräften, die der Minister vor zwei Wochen in Bad Reichenhall angesprochen hat. Es waren bisher rund 300 000 Soldaten in Afghanistan. Einige von ihnen sind mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung nach Hause gekommen. Diese und die allermeisten sind in dem Bewusstsein wiedergekommen, etwas für den Wiederaufbau Afghanistans geleistet zu haben. Es geht um die Anerkennung derjenigen, die die Bundeswehr verlassen haben und im Auslandseinsatz für unser Land Verantwortung übernommen haben. Ich bin sehr dankbar, dass wir Bundeswehrveteranen als Anerkennung für deren Leistung unterstützen und damit eine neue Tradition etablieren. Ich bitte, dass wir uns auch im Parlament einmal darüber unterhalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wichtig ist auch die Diskussion über die Beschaffung von bewaffneten Drohnen. Ich kann Herrn Kollegen Schockenhoff in dieser Hinsicht nur ausdrücklich unterstützen. Aber auch Diskussionen über Mali und die Sicherheitspolitik insgesamt müssen geführt werden. Wir müssen davon wegkommen, ausschließlich über einzelne, isolierte Mandate zu diskutieren; vielmehr müssen wir eine übergreifende Sicherheitspolitik, die sich auf alle Einsatzgebiete erstreckt, entwickeln. Wir müssen dieses Thema transparent und in der Öffentlichkeit debattieren; da gehört es hin. Wir dürfen dabei nicht die Anerkennung für diejenigen vergessen, die die Einsätze durchführen. Hier im Parlament brauchen wir diese sicherheitspolitische Gesamtdebatte. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Letzter Redner ist der Kollege Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren im Moment fast an jedem Sitzungstag über Einsätze der Bundeswehr – gestern Mali, heute -Afghanistan. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Schlimm genug!) So unterschiedlich die Situationen in diesen beiden Ländern auch sein mögen, lässt sich doch an den beiden Debatten unsere Linie einer verlässlichen, berechenbaren Sicherheitspolitik aufzeigen: (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist wahr!) Erstens. Wir sind bereit, Verantwortung für die Sicherheit in der Welt zu übernehmen, und leisten dazu auch unseren Beitrag. Zweitens. Wir schreien nicht sofort Hurra bei jedem möglichen Einsatz, sondern prüfen sorgfältig, in welcher Form wir uns beteiligen und was wir sinnvoll leisten können. Drittens. Wenn die Entscheidung einmal gefallen ist, dass wir uns beteiligen, dann stehen wir auch dazu. Wir leisten unseren Beitrag auch über einen längeren Zeitraum verlässlich gegenüber unseren Bündnispartnern und gegenüber dem Land sowie den Menschen, für die wir Verantwortung übernehmen. Das ist im Kosovo so, und das gilt für das Mandat in Afghanistan, über das wir heute entscheiden. Das bedeutet aber nicht, dass wir zum Beispiel in -Afghanistan auf ewig Hilfe auf dem aktuellen Niveau leisten können; das will auch niemand. Wir haben deswegen schon in 2010 berechenbar und verlässlich mit den Afghanen vereinbart, dass sie die Sicherheitsverantwortung bis 2014 schrittweise in ihrem Land übernehmen und wir den ISAF-Einsatz beenden. Dies war der Wunsch der Afghanen. Auf dieser berechenbaren Linie liegt dieses Mandat. Damit verbunden ist auch die schrittweise Reduzierung der Kräfte, die wir heute beschließen. Meine Damen und Herren, in der Diskussion über -Afghanistan werden oft Probleme, die in dem Land eintreten, mit einem Scheitern des Einsatzes in Verbindung gebracht. Das ist nicht fair. Ausländisches Militär kann die Probleme in Afghanistan nicht lösen. Es kann nur Rahmenbedingungen schaffen. Es kann vielleicht auch Zeit kaufen, damit die politischen, diplomatischen, ökonomischen und sozialen Maßnahmen greifen können. Der Beitrag, den die Bundeswehr gemeinsam mit anderen ISAF-Nationen dazu leisten kann und auch leistet, ist sehr erfolgreich: Der zahlenmäßige, quantitative Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte ist im Prinzip abgeschlossen. Immer mehr Gebiete werden an die Afghanen übergeben. ISAF-Kräfte können dort abgelöst werden und sich im Rahmen ihres Auftrags auf die Verbesserung der Qualität, die Ausbildung und die Beratung der afghanischen Kräfte konzentrieren. Diesen Erfolg der Bundeswehr und des ISAF-Einsatzes sollten wir nicht kleinreden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ob das internationale Engagement in und für Afghanistan insgesamt und nachhaltig erfolgreich sein wird, wird erst in Jahren oder Jahrzehnten abschließend zu beurteilen sein. Die Afghanen bekommen aber durch uns eine echte, eine realistische Chance, ihr Land in eine bessere Zukunft zu führen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich zum Schluss meiner Ausführungen bei all denjenigen bedanken, die das Mandat, das wir gleich beschließen werden, für uns ausführen. Dies sind die Soldaten, zahlreiche Polizisten – der Bundesinnenminister ist gerade anwesend – und auch sehr viele zivile Mitarbeiter, sei es aus den Reihen des Auswärtigen Amts oder anderer Organisationen. Selbst wenn sich die Sicherheitslage in Afghanistan in den letzten Jahren wieder verbessert hat und wir 2012 keinen gefallenen Soldaten zu beklagen hatten, sind der Weg in einen solchen Einsatz und der Einsatz selbst nicht leicht. Es wird auch immer ein gefährlicher Einsatz bleiben. Ich selbst habe in meiner Heimatstadt Ingolstadt vor wenigen Wochen, vor Weihachten, Soldaten in den Einsatz verabschiedet und zahlreiche Gespräche mit ihnen und ihren Angehörigen geführt. Ich wünsche ihnen und allen, die dort unten für uns ihren Dienst leisten, viel Erfolg, Gesundheit an Körper und Seele, das notwendige Glück und vor allem Gottes Segen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf der Drucksache 17/12096 zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf der Drucksache 17/11685 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich darf deshalb die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Ich höre gerade, dass noch Schriftführer an den Urnen fehlen. Wenn sich die Geschäftsführer darum kümmern könnten! – Jetzt sind die Urnen ordentlich besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme gleichwohl nicht abgegeben hat? – Hat jemand jemanden gesehen, der seine Stimme noch nicht abgegeben hat? (Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE]) – Auch der Kollege Ulrich kennt niemanden, der seine Stimme nicht abgegeben hat. – Dann schließe ich hiermit die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich weise darauf hin, dass es eine Reihe von Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung gibt, die wir wie immer dem Protokoll beifügen.1 Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2 Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge, zunächst zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/12186. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 17/12187. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt, wobei es eigentlich ganz schön wäre, wenn diejenigen, die anwesend sind, sich auch an den Abstimmungen beteiligen würden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Es würde die Übersichtlichkeit über die Mehrheitsverhältnisse enorm befördern. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Rüstungsexporte als Instrument der Außenpolitik – Exportverbot jetzt durchsetzen – Drucksache 17/10842 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Federführung strittig b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2011 (Rüstungsexportbericht 2011) – Drucksache 17/11785 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Auswärtiger Ausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Barthel, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Frühzeitige Veröffentlichung der Rüstungsexportberichte sicherstellen – Parlamentsrechte über Rüstungsexporte einführen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rüstungsexporte kontrollieren – Frieden -sichern und Menschenrechte wahren – Drucksachen 17/9188, 17/9412, 17/12098 – Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Widerspruch dazu höre ich nicht. Also können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Waffenexports aus Deutschland ist in Anbetracht unserer Geschichte meines Erachtens eine herausragende Frage. Wir hätten eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg den Schluss ziehen müssen, nie wieder an Kriegen verdienen zu wollen. (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir diesen Schluss gezogen hätten, hätten wir Waffenexporte aus Deutschland gänzlich und für alle Zeiten verboten. Das hätten auch alle Nachbarn verstanden. Interessant ist, was in Deutschland gar nicht diskutiert wird: dass Japan – bekanntlich auch ein Aggressor im Zweiten Weltkrieg – exakt diesen Schluss gezogen hat und bis heute keine Waffenexporte durchführt. (Beifall bei der LINKEN) Die Argumente, dass man dann politisch und ökonomisch kein Gewicht habe, sind doch durch Japan widerlegt. Japan hat großes Gewicht, ohne Waffenexporteur zu sein. In Art. 26 unseres Grundgesetzes ist festgehalten, wie sehr wir Angriffskriege verurteilen. Jedes Jahr sterben weltweit 500 000 Menschen durch Waffengewalt – das ist jede Minute ein Mensch. Auch deutsche Waffen werden dabei benutzt. 2011 hat die Bundesregierung – ich bitte Sie, das weiß kaum jemand in der Öffentlichkeit – Waffenexporte in 125 Länder im Gesamtwert von 10,8 Milliarden Euro genehmigt. Seit 2006 gibt es Exportgenehmigungen von durchschnittlich 8 Milliarden Euro pro Jahr. Bei der Frage von Rüstungsexporten gibt es eine Große Koalition; ich muss das so sagen. Ob Union, SPD, FDP oder Grüne: Sie alle haben immer gemeinsam diese Exporte genehmigt und fortgeführt. Deutschland nimmt auf der Liste der größten Waffenexporteure der Erde den dritten Platz ein. Das heißt, es gibt zwei Länder, die mehr Waffen exportieren als Deutschland. Das sind die USA und Russland. Alle anderen Länder – beispielsweise China, Großbritannien, Frankreich – verkaufen weniger Waffen als Deutschland. Ich sage: Fast jede deutsche Waffe darf in fast jedes Land der Welt verkauft werden. Jetzt nenne ich Ihnen eine Zahl, die die meisten in der Öffentlichkeit überhaupt nicht kennen. Im Jahre 2011 gab es bei dem berühmten Bundessicherheitsrat, der ja zu entscheiden hat, ob ein Rüstungsexport genehmigt wird, 17 586 Anträge auf Genehmigung des Exports von Waffen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Von -Rüstungsgütern!) Wissen Sie, wie viele abgelehnt worden sind? Von 17 586 Anträgen wurden 105 abgelehnt. Das sind gut 0,5 Prozent. Und da wird immer behauptet, Sie behandelten das restriktiv. Sie genehmigen ja fast jeden Antrag. (Beifall bei der LINKEN) Da muss man schon ein riesiges Glück haben, wenn man mal einen Antrag nicht genehmigt bekommt. Interessant ist auch: Was sind eigentlich die 20 Topländer, die die meisten Rüstungsgüter im Jahre 2011 bekommen haben? Ich sage Ihnen: Darunter sind die Vereinigten Arabischen Emirate, sie sind auf Platz drei – eine tolle Demokratie. Irak: Platz sechs – eine tolle Demokratie. Algerien: Platz acht – ein Beispiel für Demokratie. Saudi-Arabien: Platz zwölf. Ein Land der Menschenrechte? Top, kann ich nur sagen. Ägypten, wo wir jetzt all das erleben: Platz 18. Sie liefern überall Waffen hin. Damit macht man doch die eigene Politik völlig unglaubwürdig. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie -vermischen alles!) Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Wir unterstützen doch die Kräfte des – so nennen wir es – arabischen Frühlings, also die Rebellen in den arabischen Ländern. Mit unseren Waffen marschiert Saudi-Arabien in Bahrain ein und schießt die Demonstranten zusammen. Dazu hört man keinen Ton; auch in der Öffentlichkeit wird das fast totgeschwiegen. Ich finde, das ist ein einzigartiger Skandal. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) Mal so und mal so: Damit wird die gesamte Militärpolitik unglaubwürdig. Im Übrigen haben wir erlebt, dass im Konflikt in Libyen beide Seiten deutsche Waffen hatten. Dann hat die Bundesregierung gesagt: Die libysche Regierung hätte die Waffen gar nicht haben dürfen. Daran sieht man aber Folgendes: Wenn man Waffen exportiert, weiß man nie, wo sie letztlich landen. (Beifall bei der LINKEN) Irgendwann wird damit getötet und geschossen, und darüber müssen wir nachdenken. Viele Menschen bei uns glauben, dass es eine Vorschrift gäbe, dass keine Waffen in Krisengebiete und Kriegsgebiete verkauft werden dürfen. Es gibt diesbezüglich gar kein Gesetz. Es gibt nur eine Verabredung, die aber nicht eingehalten wird. Wenn Sie uns schon nicht folgen und Waffenexporte nicht vollständig verbieten, könnte man nicht einmal erste Schritte gehen, wenigstens erste Schritte? Dazu würde zum Beispiel gehören, dass man die Waffenlieferungen in den Nahen Osten komplett einstellt und sagt: Da gehen keine deutschen Waffen mehr hin. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Bijan Djir-Sarai [FDP]) Das wäre doch mal ein Signal; das wäre ein Politikwechsel. Es gibt noch etwas: Sturmgewehre und Maschinenpistolen. Ich wusste es gar nicht, aber diese Waffen sind die eigentlichen Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts: Mit ihnen werden mehr Menschen getötet als mit allen anderen Waffen zusammen. Wäre es nicht wenigstens ein erster Schritt, zu sagen: „Wir verbieten den Verkauf von Sturmgewehren und Maschinenpistolen“? (Beifall bei der LINKEN) Ich will nicht, dass mit deutschen Waffen weltweit getötet wird. Ich habe schon vor kurzem etwas zur Bereitstellung von Patriot-Raketen gesagt; ich halte das wirklich für eine ganz groteske Fehlentscheidung. Sie müssen sich überlegen: Wenn eine Rakete abgeschossen wird, sind wir Konfliktpartei bzw. Kriegspartei im Nahen Osten. Das können wir uns bei unserer Geschichte überhaupt nicht leisten. Ich sage Ihnen auch, was mich bei den Kampfdrohnen stört. Wissen Sie, Kampfdrohnen, die Herr de Maizière einführen, herstellen lassen und kaufen will, haben etwas sehr Übles: Sie können keine Gefangenen nehmen. Kampfdrohnen können nur töten. Aber derjenige, der tötet, ist ja nicht einmal vor Ort; er gefährdet sich gar nicht. (Dr. Karl A. Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]: Warum soll er sich denn gefährden?) Er sitzt irgendwo in Berlin oder Bonn, drückt auf einen Knopf und tötet gezielt Menschen. Ich sage Ihnen: Wenn Sie das völkerrechtlich ungeregelt zulassen, werden eines Tages auch Terroristen solche Kampfdrohnen haben. Wir verschärfen alles nur, (Beifall bei der LINKEN) wenn wir uns immer neue Wege der Rüstung überlegen, statt den umgekehrten Weg zu gehen. Ich gehe zum Schluss darauf ein, dass dieser komische Bundessicherheitsrat im Geheimen tagt; der Bundestag wird nicht einbezogen. Das alles verläuft ohne Transparenz. In den USA verläuft es übrigens mit Transparenz. Damit ist bewiesen, dass es auch mit Transparenz geht. Aber Transparenz allein reicht uns natürlich nicht aus; wir wollen endlich eine Abkehr. Ich möchte gerne, dass Deutschland diesbezüglich eines Tages ein Waffendienstverweigerer ist. Ich würde mich sehr freuen, wenn Deutschland bei den Exporten von Waffen den letzten Platz auf der Erde einnähme, weg von Platz drei. Kehren Sie die Politik um, und sorgen Sie dafür, dass Deutschland nicht länger an Kriegen in dieser Welt verdient. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Rüstungsexport ist ja immer wieder ein Thema in diesem Hause. Ich will zunächst ein paar Zahlen und Fakten nennen. Denn nachdem man die Ausführungen des Kollegen Gysi gehört hat, könnte man in der Tat der Meinung sein, Deutschland würde zuvorderst in der ganzen Welt mit Kriegswaffen hantieren und diese exportieren. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das ist ja auch so! An dritter Stelle!) Das Gegenteil ist natürlich der Fall. Wir hatten in dem Jahr, auf das sich der Rüstungs-exportbericht bezieht, einen steigenden Gesamtwert aller Ausfuhrgenehmigungen zu verzeichnen; es waren 660 Millionen Euro mehr. Wir hatten aber in dem Bereich, von dem Sie gesprochen haben, nämlich bei den Kriegswaffen, keinen Anstieg, sondern einen deutlichen Rückgang zu verzeichnen, nämlich um mehr als 834 Millionen Euro auf rund 1,2 Milliarden Euro in dem entsprechenden Jahr. Ich komme nun auf die Gesamtausfuhren der Rüstungsgüter zu sprechen. Was darunter zu verstehen ist, darauf komme ich nachher zurück. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Er hat -alles durcheinandergebracht!) Sie reden immer von Kriegswaffen, von Panzern, von Gewehren und werfen dabei Äpfel, Birnen, Eier und Kartoffeln in einen Sack und rühren dies alles freudig um. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ist alles zum Töten da!) Das Gegenteil ist natürlich richtig. 58 Prozent der Gesamtexporte, vor allem eben Kriegswaffen, gehen in EU-Staaten und in NATO-Länder: 21 Prozent in die NATO-Länder, 37 Prozent in EU-Staaten. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das macht es doch nicht besser!) Nur 9 Prozent gehen in Entwicklungsländer, in 2011 insbesondere in zwei Länder: in den Irak, wohin Hubschrauber exportiert wurden, und nach Indien, wo es um Sicherheitsausrüstungen ging. 2011 wurden Kriegswaffen in einem Wert von gerade einmal 3,1 Millionen Euro in die ärmsten Länder exportiert. Das sind 0,06 Prozent des gesamten Genehmigungswertes. Im Übrigen sind das 6 448 Prozent weniger, als Rot-Grün im Jahr 2004 in diese Länder exportiert hat. Sie werden sicherlich gleich darauf eingehen, was Sie da alles Tolles veranstalten wollen. Das heißt also, wir sind bei weitem nicht vorne dabei, ganz im Gegenteil. Der Platz drei, den Sie genannt haben, beruht auf den SIPRI-Zahlen, die mehr als fragwürdig sind, weil dort nicht mit den tatsächlichen Genehmigungswerten, sondern mit fiktiven Werten gerechnet wird. Es gibt ganz andere Aufstellungen. Sie haben es erwähnt: In den USA gibt es die wohl transparenteste Aufstellung. Es handelt sich um die Aufstellung des US-amerikanischen Congressional Research Service, CRS. Das neueste Material, das ich in diesem Zusammenhang gefunden habe, stammt von August 2012. Dort wird klargemacht, dass die USA im Zeitraum von 2008 bis 2011 – um nicht nur ein Jahr zu nennen – mit 145 Milliarden US-Dollar an der Spitze lagen, gefolgt von Russland mit 33,5 Milliarden US-Dollar, Frankreich mit 19,6 Milliarden US-Dollar und Deutschland mit 9 Milliarden US-Dollar. Im Jahr 2011 waren es in Deutschland gar nur 1,6 Milliarden US-Dollar, -während die USA Rüstungsgüter für 16,1 Milliarden US-Dollar exportiert haben, gefolgt von Russland, Großbritannien, Israel, Frankreich und Italien. Insofern sind die Zahlen, die Sie vorgetragen haben, von vornherein zu hinterfragen. Ich sage aber auch in aller Deutlichkeit: Sie versuchen hier die Verteidigungs- und die Sicherheitspolitik, zum Teil auch die Rüstungsproduktion, in ein schiefes Licht zu rücken. Ich muss hierzu sagen: Ich halte dies alles überhaupt nicht für verwerflich. Ganz im Gegenteil: Ich bin stolz auf das, was die 80 000 hochqualifizierten Arbeitskräfte, die in der Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie in Deutschland unmittelbar beschäftigt sind, zustande bringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: So spricht die Rüstungslobby!) Hinzu kommen mehrere Hunderttausend Beschäftigte in Zulieferbetrieben. Diese leisten zuvorderst einen Beitrag zur Sicherheit in Deutschland. In diesem Zusammenhang kann ich nur den neuen Chef des SIPRI zitieren, der unlängst sinngemäß gesagt hat: Wenn es mal ein Jahr nicht brennt, dann schafft man auch nicht gleich die Feuerwehr ab. Genau das ist der Hintergrund unserer Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie in Deutschland. Sie produziert Sicherheit in und für Deutschland und für unsere Verbündeten, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Waffen produziert sie!) und sie ermöglicht uns Unabhängigkeit bei Technologien, sodass wir diese nicht importieren müssen. Ich sage ganz klar – denn auch hierzu gibt es Anträge und Aussagen –: Selbstverständlich sind Rüstungs-exporte auch ein Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja? – Klaus Barthel [SPD]: Also doch!) – selbstverständlich sind sie dies –, und zwar nach strengsten Regeln und äußerst restriktiv gehandhabt. Diese Rüstungsexporte tragen nämlich auch zur Friedenssicherung und zum Schutz der Menschenrechte auf dieser Welt bei. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Saudi--Arabien besonders!) Durch Rüstungsexporte kommen wir beispielsweise unseren Bündnispflichten nach. Es gab 38 Ausfuhrgenehmigungen für die kanadischen Streitkräfte, die mit uns in Afghanistan im Einsatz sind. Das Mandat dazu haben wir gerade mit großer Mehrheit – das vermute ich mal; die Auszählung ist noch nicht abgeschlossen – wieder verlängert. Es gab ebenfalls zahlreiche Ausfuhrgenehmigungen für die Vereinten Nationen im Zusammenhang mit UN-Einsätzen, egal ob im Sudan, Südsudan, Kongo oder Angola. Es werden also Menschenrechte geschützt und der Frieden erhalten. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Saudi--Arabien! Katar!) Über welche Rüstungsgüter reden wir eigentlich? Wir reden nicht über Panzer und Kriegswaffen. Ich nenne einige Beispiele: Es geht um gepanzerte, geländegängige Personenkraftwagen. Diese dienen dem Personenschutz unseres diplomatischen Personals in der EU, bei Botschaften oder der UNO. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Mit -Panzern?) Selbstverständlich werden beispielsweise Minensuchgeräte nicht nach Luxemburg exportiert, sondern dorthin geliefert, wo Minen verlegt sind und Menschen gefährden, verstümmeln und umbringen. Sie werden geliefert, um diese Minen zu beseitigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Insofern dienen sie dort auch dem Schutz der Menschenrechte. (Jörg van Essen [FDP]: Insbesondere Kinder schützen sie!) Ein großer Anteil der Rüstungsgüter sind auch Feldkrankenhäuser in geschützten Containern. Hier sind wir führend. Darauf bin ich stolz. Auch das dient dem Menschenrechtsschutz. Hierzu gehört auch die Dekontaminierungsausrüstung für den Zivilschutz. Es gehören dazu auch Boote für den Küstenschutz, die einerseits im Bereich der Piraterie im Einsatz sind und andererseits Fischressourcen schützen. Ich will hier nicht spekulieren, aber ich bin der Meinung, dass wir und unsere Verbündeten in den Ländern, in denen Menschen aus der EU im Einsatz sind – ich denke an Algerien –, den besten Objektschutz und die beste Grenzsicherung haben, die wir uns vorstellen können. Ich weiß nicht, ob es vielleicht möglich gewesen wäre, bei dem letzten Anschlag in Algerien noch mehr Menschen zu schützen, wenn wir noch besseres Material gehabt hätten. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist ja unglaublich, was Sie da sagen!) Deshalb bin ich der Meinung, dass wir diese Exporte selbstverständlich als Instrument einsetzen sollten, wenn es um Objektschutz und den Schutz von Grenzen geht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Abschließend einige Sätze zur Diskussion über das Thema Export, die Beteiligung des Parlaments und Transparenz. Wir haben nun einmal die Trennung zwischen Legislative und Exekutive; ich glaube, damit sind wir gut gefahren. Das möchte ich, ehrlich gesagt, auch nicht ändern und verwischen. Wir haben unzweifelhaft die strengsten Rüstungsexportrichtlinien dieser Welt. Diese wurden 2000 von Rot-Grün verabschiedet. Die Exekutive füllt sie aus. Nach besten Überlegungen und strengsten Gewissensentscheidungen werden diese auch entsprechend umgesetzt. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dann -zeigen Sie es doch!) Nebenbei, weil mein Vorredner betont hat, wie gering die Zahl der abgelehnten Rüstungsexportanträge ist: Viele Anträge zur Erteilung von Exportgenehmigungen werden erst gar nicht gestellt, weil klar ist, dass wir -Exporte in bestimmte Krisengebiete nicht genehmigen. Insofern geht auch dieser Vorwurf ins Leere. Man kann sich aber überlegen, wie man die Situation bezüglich der Beteiligung des Parlaments verbessern könnte. Ich halte nichts davon, dass wir als Parlament das Geschäft der Regierung machen. Wir haben Richtlinien, und die Regierung füllt und führt sie aus. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir kontrollieren sie!) Das halte ich für richtig. Jetzt stellt sich die Frage: Wann werden wir informiert? Im Zeitalter der Social Media, in dem alles sofort präsent ist, ist es vielleicht sinnvoll, die Berichtszeit zu verkürzen. Man sollte nicht einmal im Jahr, sondern vielleicht einmal im Quartal Bericht erstatten, damit man die Situation besser nachvollziehen kann. Aber an der grundsätzlichen Aufteilung würde ich nichts ändern. Ein letzter Gedanke; ich komme zum Ende, Herr Präsident. Wir sind nicht allein auf der Welt. Das sehen wir beispielsweise in Mali. Im Bereich der Rüstungsexporte und der Außen- und Sicherheitspolitik müssen wir uns für eine vertiefendere europäische Integration entscheiden und uns dann überlegen, wie wir uns in Europa insgesamt aufstellen, und sollten nicht unsere nationale Suppe kochen. Deshalb kann ich sagen: Es ist unsere vornehmste Aufgabe, neben den finanz-, haushalts- und wirtschaftspolitischen Fragen zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch zu einheitlichen Rüstungsexportrichtlinien in der Europäischen Union zu kommen, so wie das bei Dual-Use-Gütern, anderen Rüstungsexportgütern und Kriegswaffen bereits der Fall ist. Das halte ich für das richtige Ziel. Wir brauchen keinen Populismus mit falschen Zahlen, womit versucht wird, etwas ins falsche Licht zu rücken bzw. die Menschen hinters Licht zu führen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was ist denn das richtige Licht?) Präsident Dr. Norbert Lammert: Bevor ich dem Kollegen Klaus Barthel als nächstem Redner das Wort erteile, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan bekannt: abgegebene Stimmen 585. Mit Ja haben gestimmt 435, mit Nein haben gestimmt 111, und enthalten haben sich 39 Kolleginnen und Kollegen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 585; davon ja: 435 nein: 111 enthalten: 39 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Gustav Herzog Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Stefan Rebmann Dr. Carola Reimann Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Dr. h. c. Wolfgang Thierse Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Uta Zapf Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen-Damerau Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Hagen Reinhold Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck (Bremen) Cornelia Behm Hans-Josef Fell Priska Hinz (Herborn) Tom Koenigs Nicole Maisch Jerzy Montag Omid Nouripour Krista Sager Manuel Sarrazin Markus Tressel Daniela Wagner Nein CDU/CSU Dr. Peter Gauweiler fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Neškovi? CDU/CSU Norbert Schindler SPD Ingrid Arndt-Brauer Klaus Barthel Bärbel Bas Marco Bülow Dr. Peter Danckert Michael Groß Wolfgang Gunkel Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Daniela Kolbe (Leipzig) Hilde Mattheis Dr. Wilhelm Priesmeier Gerold Reichenbach Werner Schieder (Weiden) Kerstin Tack Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Waltraud Wolff (Wolmirstedt) FDP Dr. h. c. Jürgen Koppelin DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Cornelia Möhring Kornelia Möller Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer (Köln) Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Agnes Brugger Katja Dörner Bettina Herlitzius Dr. Anton Hofreiter Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Memet Kilic Sylvia Kotting-Uhl Agnes Krumwiede Stephan Kühn Monika Lazar Beate Müller-Gemmeke Lisa Paus Dr. Gerhard Schick Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner (Schleswig) Enthalten SPD Burkhard Lischka Sönke Rix Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Sonja Steffen FDP Joachim Günther (Plauen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Birgitt Bender Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Katja Keul Ute Koczy Oliver Krischer Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Tobias Lindner Kerstin Müller (Köln) Dr. Konstantin von Notz Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Dr. Frithjof Schmidt Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Der Kollege Barthel hat nun das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Klaus Barthel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist nicht die erste Debatte zu diesem Thema. Es gab zahllose Anfragen an die Bundesregierung, Ausschussberatungen, Anhörungen zum Rüstungsexportbericht usw. Lassen Sie uns das zum Anlass nehmen, -Bilanz zu ziehen. Die Rüstungsexportpolitik dieser Bundesregierung ist eines von vielen Symbolen für deren unaufrichtige, widersprüchliche und im Ergebnis schädliche Politik. (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Es wird versucht, die Leute für dumm zu verkaufen. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Da kennen Sie sich aus!) Es wird von Lohnuntergrenzen geredet, aber es soll keinen gesetzlichen Mindestlohn geben. Im Ergebnis geht das Ausufern des Niedriglohnsektors weiter. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!) Es soll gegen Altersarmut gekämpft werden, aber man blockiert sich in der Rentenpolitik. Gleichzeitig wird die Rentenkasse geplündert. (Lena Strothmann [CDU/CSU]: Hat denn das etwas mit dem Thema zu tun?) Gebetsmühlenartig – das haben wir eben wieder gehört – wird an der Formulierung einer sogenannten re-striktiven Rüstungsexportpolitik festgehalten. In Wirklichkeit haben wir es mit einem galoppierenden Prozess der Enttabuisierung von Exporten von Großwaffen in Krisenregionen und mit einer ständigen volumenmäßigen Ausweitung von Waffenexportgenehmigungen zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) Die Bundesregierung versucht mühsam, das alles sprachlich zu verschleiern. Aber schon im Koalitionsvertrag gelingt es nicht ganz, weil dort die Rüstungs-exporte immer im Zusammenhang mit Außenwirtschaftspolitik und Beschaffungspolitik der Bundeswehr genannt werden. Allerdings haben sie da gar nichts zu suchen. Im Ergebnis stellen wir heute fest: Das ganze Gerede kann man vergessen. Schauen wir uns die Fakten an. Ja, Sie haben recht: Auch bei früheren Regierungen gab es Rüstungsexporte, die eine oder andere umstrittene Genehmigung, und es gab auch Steigerungen. Aber Fakt ist, dass wir überall neuen Rekorden entgegenstreben: bei den Einzel- und Sammelausfuhrgenehmigungen, den tatsächlichen Rüstungsexporten, dem Anteil der Exporte in Drittstaaten und dem Export in Entwicklungsländer und menschenrechtlich problematische Staaten. Sie müssen nur die Zahlen Jahr für Jahr vergleichen, dann werden Sie eine ganz klare Tendenz feststellen und erkennen, was tatsächlich passiert. Weltweit wurden 2010 für 1,6 Billionen US-Dollar Waffen gekauft, 50 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Ein Zehntel davon floss an deutsche Firmen. Wir liegen damit in der Tat auf dem dritten Platz. Es gab in den letzten zehn Jahren, vor allen Dingen in den letzten Jahren, eine überdurchschnittliche Steigerung. Das ist eine der Haupttriebfedern von Staatsverschuldung, eine Mitursache für die Krise und die Arbeitslosigkeit; denn das, was für Rüstungsimporte ausgegeben wird, kann nicht mehr für andere Ausgaben verwendet werden. Das ist eines der Haupteinfallstore für Korruption. Es wird geschätzt, dass jährlich rund 20 Milliarden Dollar an Korruptionsgeldern fließen. Ja, es ist richtig: Andere Länder exportieren auch. Diesen Hinweis, meine Herren und Damen von der Koalition, können Sie sich aber sparen; sonst hätte man ja mal etwas von Anstrengungen oder Initiativen der Bundesregierung hören müssen, auf internationaler oder wenigstens europäischer Ebene Waffenexporte gemeinsam zu regeln und einzuschränken. Aber nichts davon ist passiert. Stattdessen müssen die europäischen Regeln und die Lücken darin herhalten, wenn es darum geht, die Erhöhung der deutschen Exporte zu rechtfertigen. In Sonntagsreden wird die europäische Gemeinsamkeit bei der Rüstungsbeschaffung und -produktion beschworen. Doch dann erklären Vertreter der Bundesregierung mit Blick auf Europa, man wolle nicht abhängig werden von ausländischen Firmen, auch nicht in Europa. So sagte es Staatssekretär Wolf. In Wirklichkeit unterstützt die Bundesregierung also auf vielen Wegen die deutschen Unternehmen beim Wettlauf um maximale Verkäufe, und das bei minimaler Bedeutung für den deutschen Gesamtexport – 0,2 Prozent – und maximalem Schaden für den Rest der deutschen Exportwirtschaft und die deutschen Außen- und Sicherheitsinteressen. SIPRI kommt zu dem Schluss – ich zitiere –: Wir beobachten in Deutschland eine immer intensivere Unterstützung der Politik, die wegbrechenden Militärausgaben mit mehr Rüstungsexporten zu kompensieren. Die Listen sind lang. Panzer für Saudi-Arabien waren der letzte Schlager. Das ist nur eines von vielen Ländern in der Krisenregion Nahost und Nordafrika, wo ein großer Teil unserer Exporte hingeht. Das ist die Hauptabnehmerregion. Jetzt ist Nordafrika eine Zone gefährlicher Instabilität, permanenter Unruhe und bewaffneter Auseinandersetzungen. In der Tat haben auch frühere deutsche Regierungen Waffen dorthin geliefert. Das muss man kritisch sehen. Zu Saudi-Arabien muss man aber auch sagen: Die mischen in vielen Staaten in der Region mit, in Syrien, in Libyen, in Bahrein oder im Libanon. Und dann faselt die Bundesregierung, Saudi-Arabien sei – Zitat – ein „kon-struktiver Spieler, den wir natürlich einbeziehen müssen“, so ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. (Holger Krestel [FDP]: Recht hat er damit!) Die Doppelbödigkeit dieser Politik der Bundesregierung ist kaum noch zu überbieten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da wird die Kontinuität beschworen und die Behauptung aufgestellt – Zitat; Herr Dr. Pfeiffer, hören Sie zu –: Die deutsche Rüstungsexportpolitik war und ist im Unterschied zu einer Reihe anderer Staaten kein Instrument außenpolitischer Einflussnahme. So sagte es ein Vertreter der Bundesregierung im Auswärtigen Ausschuss. Gleichzeitig sagt die Merkel-Dok-trin – wir haben es gerade von Herrn Dr. Pfeiffer gehört –: Es liegt in unserem Interesse …, wenn wir Partner dazu befähigen, sich für die Bewahrung oder Wiederherstellung von Sicherheit und Frieden in ihren Regionen wirksam einzusetzen. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So ist es! – Jörg van Essen [FDP]: So ist es auch! Völlig richtig!) Gemeint war damit der Rüstungsexport. Also kein Instrument von Außenpolitik? Herr Pfeiffer hat das gerade selbst zugegeben. Es gibt Widersprüche, wohin man schaut. Ein aktuelles Beispiel ist Mali. Hier kämpfen verbündete Soldaten, in diesem Fall die Franzosen, nicht nur gegen die Fehler und Versäumnisse ihrer eigenen kolo-nialen Vergangenheit, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit auch gegen Waffen aus europäischer Produktion. Zitat Bundesregierung, Auswärtiger Ausschuss: Entsprechend den Regelungen des Gemeinsamen Standpunktes der EU werden Genehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern nur erteilt, wenn zuvor der Endverbleib dieser Güter im Empfängerland sichergestellt ist. Deswegen habe ich mir erlaubt, die Bundesregierung zu fragen, woher die Waffen der malischen Aufständischen kommen und ob vielleicht welche aus europäischer und deutscher Produktion dabei sind. Antwort der Bundesregierung: Dazu liegen keine Erkenntnisse vor. Meine vorbeugende Nachfrage, ob man denn dieser Frage im Sinne der eigenen Beteuerungen nachgehen wolle und gegebenenfalls Untersuchungen einleiten wolle, wurde mit dem Hinweis beantwortet, dass diese Frage ausreichend beantwortet sei. Das heißt, es ist ausreichend, nichts zu wissen, und man will auch nichts wissen. So viel zum Thema Endverbleibsklausel. Über all dieses Durcheinander und die Widersprüche in den Parlamentsdebatten der letzten Monate könnten wir jetzt noch stundenlang reden. Man konnte aus den Koalitionsfraktionen nahezu jede Position hören; das wird auch heute so sein. Die einen argumentieren, dass es gut ist, dass die Regierung unsere Rüstungsindustrie unterstützt, zum Beispiel wegen der Technologie. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ja!) Die CSU ist besonders engagiert. Ich zitiere aus dem Bayern-Kurier den Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, Thomas Kreuzer: „Die Bundesregierung müsse ‚die Wirtschaft auf den Exportmärkten nach Kräften unterstützen‘“. Der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt sagte dazu bei dem gleichen Treffen: „Die Industrie kann darauf rechnen, dass wir sie anderen Kunden empfehlen.“ (Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!) Die Politik, besonders die bayerische, will wehrtechnische Exporte gerne unterstützen, versicherte Florian Hahn, Mitglied des Verteidigungsausschusses im Bundestag. Man solle am Wahltag noch einmal daran erinnern. Eines der Highlights in dieser Debatte hat der schon zitierte Staatssekretär Christian Schmidt geliefert. In der Stuttgarter Zeitung vergleicht er den Deutschen Bundestag in seiner sicherheitspolitischen Verantwortung mit dem Finanzamt: Der Bundestag entscheidet auch nicht über Steuerbescheide – wieso soll er dann über Rüstungs-exporte entscheiden? (Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Unsinn! – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: So denken die auch!) Also, die einen verharmlosen und wollen ausweiten, die anderen sagen das genaue Gegenteil: Es soll sich nichts ändern, und es hat sich nichts geändert. Interessant an dem Ganzen war bisher eines – das ist auch heute so –: Mitglieder der Bundesregierung werden zwar ständig in den Medien zitiert oder lassen sich zitieren, auch die Kanzlerin, aber bei keiner der Debatten hier im Parlament zum Thema Rüstungsexporte gab es einen Auftritt eines Mitglieds der Bundesregierung. Ich würde hier vom zuständigen Ressortminister gern etwas über den Vergleich mit dem Steuerbescheid oder auch zu den Erkenntnissen über die Waffen in Mali hören. Aber dieser Regierung fehlt der Mut, hier dazu Stellung zu nehmen. Es gibt ein Riesendurcheinander. Niemand will sich hier hinstellen und sagen, was Sache ist. Wir sagen: Das ist nicht nur eine Missachtung des Parlaments, sondern auch eine Missachtung der interessierten Öffentlichkeit. Die Menschen sind bei dieser Frage zu Recht sensibel. Sie haben recht, wenn sie sagen, dass Rüstungsexporte keine Steuererklärung sind. Mit dieser Mischung aus Geheimnistuerei, Widersprüchen und Nebelkerzenwerfen kommen Sie auf Dauer nicht mehr durch. Wir haben sehr wohl mit Genugtuung wahrgenommen, dass es eine Reihe von Koalitionspolitikern gibt, die unsere Vorschläge ernst nehmen und aufgreifen. Wir haben dazu Herrn Polenz und Herrn Stinner sowie den Kollegen Fritz gehört. Der Kollege Kiesewetter fordert sogar ein Vetorecht des Parlaments. (Beifall der Abg. Edelgard Bulmahn [SPD] und Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Frau Hoff von der FDP plädiert für ein parlamentarisches Gremium zur Kontrolle von Waffenexporten. Das alles sind erfreuliche Töne. Bestimmt habe ich jetzt viele vergessen, die sich auch in diese Richtung geäußert haben; aber Sie können sich ja heute noch outen. (Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD]) Das heißt, Grüne und SPD sind mit ihrer Überzeugungsarbeit gut vorangekommen. Unsere Forderungen finden sich auch in unseren Anträgen, über die hier heute abschließend beraten wird. Zurück zu einer restriktiven Rüstungsexportpolitik, alle Kriterien einschließlich der Menschenrechte ernst nehmen, laufende parlamentarische Kontrolle, zeitnahe Information der Öffentlichkeit und Offenlegung von Firmenspenden aus diesem Bereich – das sind einige unserer Forderungen. 1971, 1982 und 2000 – in diesen Jahren wurden jeweils die Richtlinien für Rüstungsexporte überhaupt geschaffen bzw. weiterentwickelt, immer unter sozialdemokratisch geführten Regierungen. Also spätestens nach einem Regierungswechsel 2013 (Lachen bei Abgeordneten der FDP) werden wir vor dem Hintergrund der Erfahrungen und Debatten, die wir jetzt machen und erleben, die Rüstungsexportpolitik erneut reformieren. Wir danken allen, die uns bis heute dabei unterstützt haben und uns Argumente geliefert haben. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Der Dank ist nicht notwendig!) Die Zustimmung zu den heute vorliegenden Anträgen von Grünen und SPD könnte ein gutes Signal für eine neue Rüstungsexportpolitik sein, und zwar in dem Sinne, wie wir es hier dargestellt haben. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält der Kollege Martin Lindner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es unterirdisch!) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Bevor ich ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur Rüstungsexportpolitik mache und zum Schluss auf die Anträge, das Parlament mehr zu beteiligen, zu sprechen komme, möchte ich gerne ein paar Fakten klarstellen, vor allen Dingen in Richtung des Fraktionsvorsitzenden der Linken. Lieber Kollege Gysi, Sie haben alles miteinander vermischt, als Sie die 17 000 Genehmigungsanträge erwähnt haben. Sie vermischen zum Beispiel Kriegswaffen mit allgemeinen Rüstungsgütern und Dual-Use-Gütern. Das geht bei Ihnen alles durcheinander. Sie schauen sich die Fakten und Zahlen an und weisen darauf hin, dass Deutschland bei Kriegswaffenexporten weltweit an Nummer drei steht. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist aber eine Tatsache!) Das ist natürlich eine Tatsache, genauso wie es eine Tatsache ist, dass Deutschland bei allgemeinen Exporten an Nummer zwei steht. Davon kann man ableiten, dass der Anteil unserer Exporte von Rüstungsgütern und Kriegswaffen im Vergleich zum Anteil der allgemeinen Exporte unterproportional ist. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das macht es nicht besser!) Deutschland ist nun einmal ein starkes Exportland und wird es auch bleiben, weil es keinen Regierungswechsel geben wird und wir weiter dafür sorgen werden, dass wir einen starken Export in Deutschland haben. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist ein tolles Argument! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Unfassbar!) – Wissen Sie: Wenn der Maßstab der politischen Debatte wäre, was Sie fassen können, dann bräuchten wir gar nicht weiter zu diskutieren. Das ist jedenfalls nicht unser Maßstab. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sie können ja aufhören! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo kommt denn Ihre Arroganz her? – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Pure Arroganz, aber keine Argumente!) Wir konzentrieren uns auf die Zahlen und Fakten. Wenn Sie – das gilt natürlich auch für den Kollegen Barthel – immer wieder darauf hinweisen, dass die -Exporte von Kriegswaffen, die Kriegswaffenausfuhren, unter Schwarz-Gelb angeblich dramatisch gestiegen seien, dann möchte ich Sie, zumindest diejenigen, die noch einigermaßen offenen Ohres sind, auch hier auf die entsprechenden Zahlen hinweisen. 1998 lag der Anteil der exportierten Kriegswaffen am Gesamtexport bei 0,14 Prozent. Nach dem letzten Exportbericht, dem für 2009, betrug dieser Anteil 0,17 Prozent. Der Anteil der Kriegswaffenexporte am Gesamtexport hat sich also so gut wie nicht verändert. Es gab ein einziges Ausreißerjahr, in dem der Anteil deutlich größer war; das war das Jahr 2005. Damals lag der Anteil der Kriegswaffenexporte am Gesamtexport bei 0,26 Prozent. Jetzt frage ich Sie, Kollege Barthel: Als Sie gerade sagten, wir müssten zur restriktiven -Exportpolitik von Rot-Grün zurück, meinten Sie damit das Jahr 2005, als ein signifikanter Anstieg zu verzeichnen war? (Klaus Barthel [SPD]: Nein! – Edelgard Bulmahn [SPD]: Der Gesamtexport war eingebrochen!) Das kann man nämlich eindeutig festmachen: Ausschlaggebend dafür waren nicht Entscheidungen, die noch unter Schwarz-Gelb getroffen worden sind, sondern Entscheidungen, die im Bundessicherheitsrat unter Mitwirkung Ihrer Parteimitglieder – von Frau Wieczorek-Zeul und anderen – getroffen worden sind. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das ist ein erhebliches Stück Heuchelei und Verlogenheit, das Sie uns in Ihren Reden zum Thema Rüstungsexporte immer wieder offenbaren. (Holger Krestel [FDP]: Der Barthel will mehr Waffen verkaufen!) Wir halten also fest: An der restriktiven Exportpolitik der Bundesregierung hat sich nichts geändert, auch unter Schwarz-Gelb nicht. Daran wird sich auch nichts ändern. (Klaus Barthel [SPD]: Das wissen aber nicht alle in der Koalition!) Der nächste Punkt, Kollege Gysi. Es war schon abenteuerlich, was Sie zu den Drohnen ausführten. Machen Sie sich einmal kundig, was Drohnen ersetzen. Sie sind doch kein Ersatz für Infanterie oder für Waffen, die am Boden eingesetzt werden. (Klaus Barthel [SPD]: Machen wir dazu doch eine Aktuelle Stunde!) Sie sind ein Ersatz für die Fliegerei, in der fernen Zukunft eventuell auch für die Kampffliegerei. Sie schonen und sichern unsere eigenen Soldaten. (Beifall der Abg. Rita Pawelski [CDU/CSU]) Ich glaube, das Ziel von Rüstungspolitik muss sein, in allererster Linie unsere eigenen Leute zu schützen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wenn Sie den Einsatz von Eurofightern mit dem Einsatz von Drohnen vergleichen, muss man sagen: Mit einer Drohne kommt man wesentlich näher an Ziele heran. Dann kann man wesentlich besser entscheiden, ob beispielsweise Menschen gefährdet sind, die nicht im Kriegseinsatz sind, als man es unter Verwendung von Kampfflugzeugen tun könnte, mit denen man die Ziele aus wesentlich größerer Distanz angreift. Auch hier vermischen Sie die Dinge. Sie machen den Leuten etwas vor. Bei Ihnen gerät alles irgendwie durcheinander. Sie verfolgen ein einziges Ziel: Sie wollen uns schaden, wenn es darum geht, wie wir uns außen- und sicherheitspolitisch positionieren. Ich sage Ihnen: An dieser Stelle wird sich nichts ändern. Diese Regierung wird weiterhin einen restriktiven Kurs fahren. Priorität haben die außen- und sicherheitspolitischen Belange. Aber wir werden uns natürlich immer wieder auch dafür einsetzen, dass die Menschenrechtssituation betrachtet wird. Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Lindner, darf der Kollege Liebich Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Gerne. Stefan Liebich (DIE LINKE): Herr Kollege Lindner, meine Kollegen mögen es immer nicht, wenn ich Ihnen Zwischenfragen stelle, weil Sie dann noch länger reden können; aber ich konnte jetzt wirklich nicht an mich halten. Die These, die Sie hier vertreten – dass der Einsatz von Drohnen deshalb gut sei, weil unsere eigenen Soldaten geschützt werden; das sei ja auch der Zweck von Drohnen –, fordert eine Nachfrage heraus. Wir haben im Auswärtigen Ausschuss gestern über die Volksrepublik China diskutiert. Mitglieder der -Koalitionsfraktionen haben mit Sorge davon gesprochen, dass nun auch in China darüber nachgedacht wird, Drohnen anzuschaffen. Ich frage Sie, ob Sie nicht der Logik folgen würden, dass man mit der Entwicklung einer -völlig neuen Waffengattung, die nicht nur von uns und unseren Verbündeten genutzt wird, sondern auch von der anderen Seite – wie es bei Cyberwar schon passiert ist –, einen verhängnisvollen Weg einschlägt und es -besser wäre, solche neuen Waffengattungen einfach zu ächten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Herr Kollege Liebich, wenn Sie die Entwicklung der Drohnentechnologie weltweit betrachten, dann werden Sie zu dem Ergebnis kommen, dass diese Technologie vorhanden ist und weiter erforscht wird. (Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Technologie wird schon genutzt: für die gezielte Tötung von Menschen!) Diese Technologie wird in erheblichen Teilen die Zukunft nicht nur der militärischen Fliegerei, sondern auch der Frachtfliegerei bestimmen. Das ist übrigens einer der Gründe, warum auch das Bundeswirtschaftsministerium die Entwicklung von Drohnentechnologie unterstützt. Der Einsatz von Drohnen wird sich nicht auf Aufklärung beschränken, sondern in der längeren Perspektive auch Kampfbomber und andere Waffensysteme ersetzen. Diese Technologie wird darüber hinaus auch in der zivilen Fliegerei eine große Rolle spielen. Da können Sie – genau das ist das Problem, Herr Liebich – doch nicht so tun, als könnten wir hier im Deutschen Bundestag oder könnte die Bundesregierung allein entscheiden, welchen Weg die Entwicklung weltweit nimmt. Die Frage ist lediglich, ob man die Entwicklung mitbestimmt und mitgestaltet. Das ist der große -Unterschied zwischen uns – ob es um Rohstoffe geht oder ob es um Rüstungsexporte geht –: Sie tun so, als könnten Sie hier die Welt richten. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Bisher können wir es ja!) Das Problem dabei ist, dass Sie sich selber vom Spielfeld nehmen. Aber wer nicht auf dem Spielfeld ist, der bestimmt auch die Regeln nicht mit – dazu muss man auf dem Spielfeld bleiben. Deswegen ist es richtig, dass wir die Entwicklung dieser Technologie verantwortungsvoll unterstützen und mitgestalten, um dann auch die internationalen Regeln für den Einsatz dieser Waffen mitbestimmen zu können. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN) Das ist Verantwortung. Was Sie betreiben, ist Populismus oder – im besten Falle – eine sehr einseitige und -naive Betrachtung der Dinge. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: EADS lässt grüßen!) Meine Damen und Herren, das führt mich direkt zur Frage der Menschenrechte, zu der der Kollege Pfeiffer wirklich Bemerkenswertes gesagt hat. Auch hier können Sie sagen: Ohne mich! Wir stellen uns daneben und -machen uns nicht schmutzig. – Aber Sie werden dann auch nicht mitgestalten. Der Kollege Gysi hat das -Beispiel Saudi-Arabien angesprochen. Das ist ein gutes Beispiel: Dort wird, auch mithilfe deutscher Wehrtechnologie, eine Grenzsicherung aufgebaut. (Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das bietet im Rahmen der Partnerschaft zusammen mit dem Innenministerium die Gelegenheit, durch Schulungen Einfluss zu nehmen auf die Gestaltung der inneren Führung in einem Land wie Saudi-Arabien. (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht es jetzt darum, die Grenze von Saudi-Arabien zu sichern? – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da haben Sie ja viel erreicht!) Das ist tausendmal besser, als sich an den Rand zu stellen und allen anderen Staaten das Spielfeld zu überlassen. Auch hier haben wir wieder den Unterschied -zwischen Ihnen und uns, zwischen Verantwortung und Populismus, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) zwischen konstruktiven Sicherheitspartnerschaften und einer „Ohne mich!“-Position. Mit Ihrer Position können Sie vielleicht in dem einen oder anderen Zirkel, in dem Sie zu Hause sind, glänzen – mit Verantwortung hat das aber nichts zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Klaus Barthel [SPD]: Die FDP führt die Saudis! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie natürlich nicht!) Ich sage Ihnen auch klar: Wir bekennen uns zur -Rüstungsindustrie in Deutschland. Was wäre denn die Alternative? Dass wir darauf angewiesen wären, entsprechendes Gerät für die Bundeswehr ausschließlich aus dem Ausland zu beschaffen. Dann bestimmen wir gar nichts mehr, dann bestimmen die die Preise und die Technologie, und wir sind draußen. (Zuruf von der LINKEN: Das wäre super, wenn wir draußen wären!) Mit Verantwortung hat das nichts zu tun. Deswegen werden wir die Fragen der Technologie und der Arbeitsplätze mit berücksichtigen. Auch hierzu bekennen wir uns ganz klar. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Sätze zur Frage der Parlamentsbeteiligung sagen. Auch hier besteht – da beziehe ich mich ebenfalls auf den Kollegen Pfeiffer – ein Unterschied zwischen entscheiden und kontrollieren. Die Frage der Parlamentsbeteiligung im Sinne einer effektiveren Kontrolle werden wir uns vornehmen. Wir appellieren an die Bundesregierung, das gemeinsam mit uns zu tun. Ich glaube, da können wir -etwas verbessern, wir könnten schneller und detaillierter informiert werden – aber informiert werden im Sinne -einer Kontrolle, also nachdem das Geschäft getätigt ist. Was ich aber ablehne, ist eine Vermischung von Befugnissen der Exekutive und Befugnissen der Legislative. Eine solche Vermischung gibt es auch in keinem anderen europäischen Land. Das sind sehr komplexe Verfahren, wo sehr viele Interessen und sehr viele Auswertungen mit zu berücksichtigen sind. Da werden wir versuchen, die Kontrolle zu stärken. Damit werden wir auch bei diesem System einen Schritt weiterkommen im Sinne einer vernünftigen, restriktiven, aber auch verantwortungsbewussten Exportpolitik. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das war die Rüstungslobby!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Pfeiffer! Im Jahr 2011 hat Deutschland mehr als doppelt so viele Kriegswaffen an Drittstaaten ausgeliefert wie an EU- und NATO-Staaten. Dabei sollte das Regel-Ausnahme--Verhältnis genau umgekehrt sein. Zu den Hauptabnehmern gehören vor allem die zahlungskräftigen Monarchien der arabischen Halbinsel. Gleichzeitig debattieren wir hier seit Wochen, wie wir Mali im Kampf gegen die islamistischen Terroristen unterstützen sollen. Ich möchte Ihnen hierzu einmal aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 23. Januar vorlesen: Es gibt kaum einen Politologen, der nicht vermutete, dass alle mit der Kaida verbündeten Islamisten der Sahelzone zu einem beträchtlichen, wenn nicht entscheidenden Teil von Saudiarabien und den -Golfemiraten finanziert werden. Deutschland aber hat Saudiarabien letztes Jahr Waffen im Wert von 30 Millionen Euro geliefert, Riad ist an Kampfpanzern der Typen Boxer und Leopard interessiert, Verhandlungen über die Lieferung von ABC-Spürpanzern des Typs Dingo sind im Gang. Ist das nicht etwas seltsam? (Jörg van Essen [FDP]: „Boxer“ ist überhaupt kein Kampfpanzer!) Diese Frage ist meines Erachtens mehr als berechtigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So sieht die schwarz-gelbe Verantwortung aus!) Ob in Syrien oder in Mali: Nur wenn wir ganz fest die Augen verschließen, können wir übersehen, dass islamistische Kämpfer in bewaffneten Konflikten von ihrer Hausmacht auf der arabischen Halbinsel finanziert werden. Dennoch bezeichnet die Kanzlerin die Golfstaaten als strategische Partner, die wir mit deutschen Waffen ertüchtigen wollen. Gleichzeitig schicken wir deutsche Soldaten in die Wüste, um die Scherben der Politik dieser strategischen Partner wieder einzusammeln. Bei dieser Gelegenheit gibt es dann noch ein Wiedersehen der Bundeswehr mit den Waffen, die in früheren Jahren einem anderen strategischen Partner in Libyen geliefert wurden. Was an diesem ganzen Schlamassel strategisch sein soll, verstehen doch nicht einmal mehr die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]) Die Kanzlerin ist der Meinung, die Abgeordneten müssten das auch gar nicht verstehen. Es sei besser, wenn wir uns gar nicht mit diesen strategischen -Entscheidungen beschäftigen, denn das sei alles Kern-bereich der Exekutive und damit streng geheim. So einfach lässt sich parlamentarische Kontrolle aber nicht aushebeln, Frau Merkel. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Da haben Sie Art. 26 Grundgesetz gründlich falsch -verstanden. Dort steht zwar, dass Kriegswaffen nur mit Genehmigung der Bundesregierung exportiert werden dürfen. Die Grundlage für diese Genehmigung regelt -allerdings ein Gesetz, und der Gesetzgeber sind immer noch wir. Man kann zu Recht behaupten, dass der Deutsche Bundestag der Exekutive bislang mit dem Außenwirtschaftsgesetz und dem Kriegswaffenkontrollgesetz zu viel Spielraum gelassen hat. Die freiwillige Selbst-verpflichtung, die unter Rot-Grün in Form der Rüstungs-exportrichtlinie verabschiedet wurde, hat sich als zu schwach erwiesen, sonst wäre Deutschland nicht drittgrößter Waffenexporteur geworden. Deshalb wollen wir Grüne mit dem vorliegenden Antrag die in der Richtlinie genannten Kriterien, wie Menschenrechtslage, Gefahr innerer Repression und bewaffnete Konflikte, endlich als Gesetz verabschieden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Uta Zapf [SPD]) Wir wollen diese Kriterien verbindlich und am Ende auch justiziabel machen. Denn die Exekutive ist an Recht und Gesetz gebunden, und wenn sie dagegen verstößt, ist es Aufgabe der Gerichte, den jeweiligen Einzelfall zu prüfen. Da ein einzelner Bürger nicht klagebefugt ist, wenn es um die Menschenrechtslage in einem anderen Land geht, brauchen wir dazu die Möglichkeit einer Verbandsklage. Bislang funktioniert die Rüstungsexportkontrolle nach dem Motto „Wo kein Kläger, da kein Richter“. Im -Umweltbereich hat sich gezeigt, wie die Wahrnehmung berechtigter Interessen durch Klagerechte von Verbänden funktionieren kann. Warum soll das nicht auch im Bereich der Rüstungsexportkontrolle funktionieren? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Damit -legen Sie das ganze Land lahm!) Solange wir keine gerichtliche Kontrolle haben, ist die parlamentarische umso wichtiger. Wie in jedem anderen Politikbereich auch, hat die Bundesregierung dem Bundestag Rede und Antwort zu stehen und ihre Entscheidungen zu begründen. Wir Parlamentarier können aber nur dann die richtigen Fragen stellen, wenn wir -zunächst einmal informiert werden. Darauf haben wir -einen in Art. 38 Grundgesetz verankerten Anspruch. Der Rüstungsexportbericht ist aufgrund seiner zeitlichen Verzögerung längst nicht mehr geeignet, die parlamentarische Kontrolle zu ermöglichen. Wir wollen -daher regelmäßige Unterrichtungen über sensible -Exporte, insbesondere in Staaten außerhalb von NATO und EU. Und wir wollen diese Unterrichtung auch vor der abschließenden Genehmigung, damit wir zumindest in die Lage versetzt werden, eine Stellungnahme abzugeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Edelgard Bulmahn [SPD]) Selbstverständlich muss dabei nicht jede Information gegenüber dem Plenum erteilt werden. Das ständig -wiederholte Gegenargument, wir würden mit unseren Vorschlägen das Parlament überfordern, ist geradezu -absurd. So, wie der Bundestag sonst auch arbeitsteilig vorgeht, brauchen wir für die Rüstungsexportkontrolle ein parlamentarisches Gremium ähnlich dem bereits existierenden Unterausschuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“. (Beifall der Abg. Edelgard Bulmahn [SPD]) Auch das Letztentscheidungsrecht der Exekutive stellt deswegen noch keiner infrage. Es kann aber nicht sein, dass die Exekutive alles, was mit Rüstungsexporten zu tun hat, pauschal als streng geheimen Kernbereich einstuft. Nur im begründeten Ausnahme- bzw. Einzelfall, wenn unternehmerische Interessen gegenüber dem öffentlichen Interesse überwiegen, ist eine solche Einstufung gerechtfertigt. Dass Rüstungsexporte in der Bevölkerung unpopulär sind, reicht als Geheimhaltungsgrund nicht aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Auch die Lage in den Empfängerländern ist in der -Regel öffentlich nachzulesen, am besten gleich im -Menschenrechtsbericht der Bundesregierung. Die Möglichkeit diplomatischer Verwicklungen ist daher auch kein Geheimhaltungsgrund. Das unternehmerische Interesse dürfte sich überwiegend auf die Geheimhaltung von Kostenkalkulationen und technischen Daten beziehen. Die können dann gerne geheim bleiben. Wir wollen die außen- und sicherheitspolitische Bedeutung solcher Entscheidungen diskutieren, und zwar am liebsten mit den Kolleginnen und Kollegen, die dafür zuständig sind. Das federführende Wirtschaftsministerium hat so gut wie nie Einwendungen gegen beantragte Exportgenehmigungen. Warum auch? Für die Krisenherde dieser Welt sind schließlich andere federführend zuständig. Wir fordern daher mit unserem Antrag, die Zuständigkeit auf das Auswärtige Amt zu übertragen; denn letztlich kann dieses am besten beurteilen, ob im -Empfängerland innere Repressionen drohen oder -Menschenrechte verletzt werden. Die Zuständigkeit ist letztlich keine reine Formsache; sie offenbart die politische Gewichtung der unterschiedlichen Interessen und Kriterien. Im Antrag der Linken finde ich zu all diesen konkreten Vorschlägen leider nichts. Sie beschränken sich -darauf, sämtliche Exporte von Rüstungsgütern aus-zuschließen, also auch die an EU- und NATO-Staaten. Das hieße in der Konsequenz, dass sich alle europäischen Länder eine autonome nationale Rüstungsindustrie für die Ausstattung ihrer Armeen mit den entsprechend hohen staatlichen Subventionen leisten müssten. Das kann doch nicht ihr Ernst sein! (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Im Gegenteil! – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Abrüstung nennt man das!) Oder wollen Sie doch die Bundeswehr abschaffen und aus der NATO austreten? Das wäre dann wenigstens konsequent. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja, das ist eine Idee!) Auch das Beispiel Japan ist leider überholt. Dort hat sich die Regierung nämlich gerade zu einer Kehrtwende entschlossen, (Edelgard Bulmahn [SPD]: Das stimmt!) weil sich das Land schon lange keine autarke Rüstungsindustrie mehr leisten kann. Ich glaube vielmehr, dass Abrüstung in Europa nur durch mehr Zusammenarbeit erfolgen kann. Dazu gehört zwingend auch eine Konsolidierung des europäischen Rüstungsmarktes. Nicht jedes europäische Land braucht sämtliche militärischen Fähigkeiten, und nicht jedes europäische Land braucht seinen eigenen Hersteller für Jagdflugzeuge und Panzer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Klar ist aber auch: Wenn wir den Export von -Rüstungsgütern und Kriegswaffen innerhalb von NATO und EU zulassen, muss die Exportkontrolle an Europas Außengrenzen umso besser funktionieren. Deswegen wollen wir auch den Gemeinsamen Standpunkt der EU zu Rüstungsexporten stärken und in nationales Recht umsetzen. Noch heute Abend werden die Kollegen von der Koalition die Chance dazu ungenutzt verstreichen lassen und das Außenwirtschaftsgesetz ohne Umsetzung dieses Vorschlages beschließen. Schade eigentlich! Die SPD fordert in ihrem Antrag mehr Transparenz und parlamentarische Beteiligung in der Rüstungs-exportkontrolle. Das ist zweifelsfrei unerlässlich, sodass wir diesem Antrag zustimmen werden. Transparenz ist allerdings kein Selbstzweck, sondern ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer restriktiveren Genehmigungspraxis. Genauso wichtig ist es deswegen, den Endverbleib der Waffen tatsächlich zu überprüfen und sich nicht mit einer schriftlichen Endverbleibserklärung zu begnügen. Die Bundesrepublik hat hier gegenüber den staatlichen Empfängern durchaus diplomatische und gegebenenfalls auch rechtliche Möglichkeiten, ihre Entscheidungen durchzusetzen, wenn sie es nur will. Sehr geehrte Damen und Herren, das Versteckspiel der Bundesregierung bei der Waffenausfuhr ist einer -Demokratie unwürdig: unwürdig für die Regierung selbst, da sie sich offensichtlich nicht in der Lage sieht, ihre Entscheidung gegenüber einer kritischen Bevölkerung darzulegen und zu begründen, unwürdig vor allem für uns Parlamentarier, die wir allesamt, egal auf welcher Seite des Parlamentes, von der Regierung in Unwissenheit gelassen werden. Lassen Sie uns diesen unwürdigen Zustand beenden und sowohl das Verfahren als auch die gesetzlichen -Vorgaben beschließen, nach denen die Regierung ihre Entscheidungen auszurichten hat. (Beifall der Abg. Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Stimmen Sie deswegen für ein Rüstungsexportkontrollgesetz! Stimmen Sie unserem grünen Antrag zu! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und -Herren! Im letzten Jahr, im Jahr 2012, haben wir hier in diesem Hause alle acht Wochen über das Thema -„Rüstungskontrolle, Rüstungsexporte“ gesprochen. (Klaus Barthel [SPD]: Gut!) Der Verlauf der heutigen Debatte ist im Prinzip genauso wie bei den sechs Debatten im letzten Jahr. Es gibt nicht ein einziges neues Argument in der Debatte. Die Opposition arbeitet mit unterschwelligen Behauptungen. (Klaus Barthel [SPD]: Da Sie unbelehrbar sind!) – Herr Barthel, zu Ihnen komme ich noch. – Sie täuschen uns über die Tatsachen in Ihrer eigenen Regierungszeit hinweg. Dabei haben Sie heute zumindest erwähnt, dass es auch in der Zeit der rot-grünen Regierung durchaus Diskussionen und Probleme mit dem Thema Rüstungsexport gegeben hat. Es werden hier immer unterschwellig Unterstellungen eingestreut. Nirgendwo haben Sie einen einzigen Beleg für das gebracht, was Sie behauptet haben, Herr Barthel. Aber den Vogel hat natürlich der Kollege Gysi abgeschossen; das muss man einmal klar sagen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wie immer! Dafür ist er ja bekannt!) Mir stellen sich schon alle Nackenhaare auf, wenn ich Ihnen zuhöre, Herr Kollege Gysi. Sie erinnern sich doch noch an die drei Buchstaben SED. Die kennen Sie doch noch. Da haben Sie doch schon damals Verantwortung getragen, Sie waren Mitglied in dieser Partei. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich?) – Nein, der Kollege Gysi. – Diese Partei hat die Kategorisierung der Welt vorangetrieben. (Zuruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]) Es gab gerechte Kriege, und es gab ungerechte Kriege. Wenn dann die SED einen Krieg als „gerechten Krieg“ gekennzeichnet hat, (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wahrscheinlich hat das der Gysi formuliert!) dann hat die SED mit ihren Verbündeten Waffen in ungeahnter Zahl über die Welt verstreut, Herr Gysi: ohne Transparenz, ohne Rüstungsexportbericht, ohne dass überhaupt jemand wusste, wohin diese Waffen gingen, wer diese Waffen hatte und wer diese Waffen weiterverkauft hat. (Zurufe von der LINKEN) Der Gipfel von all dem war – daran können Sie sich erinnern – im Dezember 1989: In der Nähe von Rostock wurden von der Bürgerbewegung mehrere Lagerhallen mit versandfertigen Waffen aufgefunden. Jetzt stellen Sie sich mit Ihrer Vergangenheit hier hin und sagen keinen einzigen Ton dazu, was Sie damals als Mitglied der SED getan haben, und sind jetzt sozusagen der Friedensengel des Deutschen Bundestages. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Blockflöte!) Wissen Sie, das ist schon ein starkes Stück. Mit Blick auf den Rüstungsexportbericht muss ich natürlich sagen: (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Er ist sehr originell!) Auch mir gefällt es nicht, dass wir im Jahre 2013 über den Rüstungsexportbericht des Jahres 2011 diskutieren. (Klaus Barthel [SPD]: Ja, eben!) Wie meine Vorredner bin ich der Auffassung: Hier brauchen wir dringend eine Änderung. Es muss dem Parlament und der Öffentlichkeit zügiger berichtet werden. Darin sind wir uns einig. Daran werden wir weiter arbeiten. Da werden wir gemeinsam mit der Bundesregierung zu Lösungen kommen. Nun muss man sich einmal die Zahlen in dem Rüstungsexportbericht genauer ansehen. Da fällt erstens auf – Herr Barthel, das haben Sie nicht erwähnt –: Die absoluten Summen, die ausgewiesen sind, sagen noch nichts über die Quantität aus; denn die Preissteigerungsraten der letzten Jahre bei den Rüstungssystemen sind sehr hoch. Das spiegelt sich natürlich in der wertmäßigen Summe im Rüstungsexportbericht wider. Hier muss man die Inflationsrate bei Rüstungssystemen einrechnen. Zweitens haben Sie ganz verschwiegen – der Kollege Lindner hat allerdings darauf hingewiesen –, dass der Höchststand bei den Rüstungsexporten 2005 war. Die rot-grüne Bundesregierung hat damals hierfür die Genehmigungen erteilt. Nun will ich Ihnen diese Zahl gar nicht an den Kopf werfen, aber da Sie uns immer unterstellen, die Bundesregierung würde ihre Grundsätze verlassen, die Bundesregierung hätte eine neue Doktrin aufgestellt, (Klaus Barthel [SPD]: Das haben wir uns doch nicht ausgedacht!) sage ich Ihnen: Diese Vorwürfe sind nicht zu belegen. Der Höchststand der Rüstungsexporte war 2005 unter der rot-grünen Regierung. Das müssen Sie doch endlich einmal zur Kenntnis nehmen! Dann will ich Ihnen noch etwas sagen. Als Kronzeugen für Ihre Behauptungen führen Sie immer das SIPRI an. Das SIPRI – der Kollege Lindner hat schon auf die Problematik bei der Ermittlung der Zahlen des SIPRI hingewiesen – weist aus, Herr Barthel, dass der deutsche Marktanteil an den internationalen Rüstungsexporten von 11 auf 9 Prozent rückläufig ist; das können Sie dort nachlesen. Zum Verständnis der Zahlen muss man noch Folgendes wissen – in der Anhörung im Wirtschaftsausschuss, Herr Kollege Barthel, wurde das noch einmal deutlich dargestellt –: Bei großen Waffensystemen wird die wertmäßige Summe dem Land zugerechnet, in dem die Endkontrolle stattfindet. Ich erkläre das: Ein großes System besteht aus vielen Komponenten, die aus verschiedenen Ländern geliefert werden. Letztendlich wird der Gesamtwert dem Land zugeschrieben, in dem das entsprechende System endmontiert wird. Da die deutsche Wehrindustrie für sehr viele Endmontagen zuständig ist, ist aufgrund dessen der wertmäßige Umsatz in Deutschland hoch. Die IG Metall zum Beispiel bescheinigt der wehrtechnischen Industrie in Deutschland, dass sie ein wichtiger Technologiemotor der deutschen Wirtschaft ist. Es gibt also verschiedene Sichtweisen. Insofern sollte man nicht wie Sie dieses Thema so polemisch behandeln und mit Unterstellungen und Halbwahrheiten arbeiten. Man muss sich die Lage genau anschauen. Dann stellt man fest: Deutschland ist kein gewissenloser Waffenhändler, wie vor allen Dingen Sie, Herr Kollege Gysi, das versuchen darzustellen. Sie verkünden Zahlen als Weltneuheiten, die in jedem Bericht nachzulesen sind. Sie sagen immer, dass das, was Sie sagen, eine Sensation sei; dabei ist alles nachzulesen. Das ist eben Teil Ihrer PDS-Show. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Bundesregierung hält sich genau an die Grundsätze, die unter Rot-Grün aufgestellt wurden. Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass wir, die christlich-liberale Koalition und die Bundesregierung, uns genau an das halten, was Sie aufgestellt haben. Davon müssten Sie doch eigentlich begeistert sein und müssten sagen: Es ist sehr gut, dass sich Deutschland solche Regelungen gegeben hat. – Deutschland liefert nicht leichtfertig Waffen in die ganze Welt. Hier gibt es ganz klare Regularien, an die wir uns halten. Schauen wir uns die vorliegenden Anträge an. Zu dem Antrag der Linken hat die Kollegin von den Grünen schon alles gesagt. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Er ist das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht. Das hat bloß Ihren ökologischen Fußabdruck wieder etwas verschlechtert, Herr Kollege Gysi. Sie haben wieder Papier verbraucht. Der Antrag der SPD enthält wieder einige Behauptungen, die so nicht haltbar sind. Das passt aber genau zu dem Bild, das der Kollege Barthel hier gemalt hat. (Klaus Barthel [SPD]: Welche denn? Sagen Sie doch mal, welche!) Klar ist: Wir werden hier im Parlament immer wieder über Rüstungskontrolle und Rüstungsausfuhren diskutieren. Sie können sicher sein, dass wir uns diesem Thema mit großer Verantwortung stellen. Dafür brauchen wir Ihre Belehrungen nicht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Edelgard Bulmahn von der SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Edelgard Bulmahn (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung stellt sich gerne als entschiedene Kämpferin für die Menschenrechte dar, deren Einhaltung sie ohne Rücksicht auf wirtschaftliche oder sonstige Interessen anmahnt und einfordert. Eine Politik, die auch meine Fraktion uneingeschränkt unterstützt. Ich muss aber ein „Aber“ oder ein „Wenn“ einfügen. Wir würden diese Politik uneingeschränkt unterstützen, wenn nicht die Bundesregierung immer dann, wenn es um die Interessen der deutschen Waffenlobby geht, offenkundig andere Prioritäten setzen würde. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!) Deutschland hat sich unter dieser Bundesregierung zur führenden Exportnation bei Kriegswaffen entwickelt. Nur die USA und Russland exportieren noch mehr Kriegsgerät. Man mag das für einen Ausweis deutscher Wettbewerbsfähigkeit halten, die wir – jedenfalls gilt das für meine Fraktion – sicherlich für sehr wichtig halten. Aber, Kollege Lindner, Waffen sind keine x-beliebigen Wirtschaftsgüter. Ganz heimlich hat sich die Bundesregierung von den im Jahr 2000 unter Rot-Grün verankerten politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern verabschiedet. Nach diesen Richtlinien sollten Ausfuhrgenehmigungen für den Export in Staaten außerhalb der NATO und der EU restriktiv und nur im Einzelfall erteilt werden. Das besagen die Richtlinien. Es gibt drei wesentliche Kriterien für die Gewährung bzw. die Versagung einer Exportgenehmigung. Das erste Kriterium ist die strikte Beachtung der Menschenrechte. Jetzt frage ich Sie, Kollegen von der Koalition: Ist die strikte Beachtung von Menschenrechten vereinbar mit Waffenexporten nach Saudi-Arabien oder nach Pakistan? Das zweite Kriterium ist die Beurteilung, ob ein -Export im Empfängerland eine nachhaltige Entwicklung be- oder verhindert. Wenn eine nachhaltige Entwicklung be- oder verhindert wird, dann sollte keine Exportgenehmigung erteilt werden. Ist diesem Kriterium eigentlich bei der Prüfung Genüge getan, wenn wir jetzt beispielsweise Waffen nach Ägypten liefern oder wenn wir sie nach Algerien liefern werden? Das dritte Kriterium lautet: Der Export sollte zum Friedenserhalt und zur Konfliktvermeidung beitragen. Das sind die Kriterien, die angelegt und geprüft werden müssen. Die Bundesregierung betont zwar immer wieder, dass sie an diesen politischen Grundsätzen festhalten würde – das ist auch eben wieder geschehen –, aber wenn es um den Export von möglicherweise mehreren Hundert Panzern nach Saudi-Arabien geht, wird doch schon einmal ein Auge zugedrückt. (Klaus Barthel [SPD]: Mehrere! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Es wird kein Auge zugedrückt, das ist sinnvoll!) Die Bundeskanzlerin hat inzwischen auch öffentlich von einer restriktiven Rüstungsexportpolitik Abstand genommen. In einer denkwürdigen Rede auf der Tagung des zivilen und militärischen Spitzenpersonals der Bundeswehr am 2. Oktober 2012 in Strausberg sprach sie sich, wie die Nachrichtenagentur AFP zu melden wusste, für Rüstungsexporte zur Friedenssicherung aus. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist richtig!) Man höre: Rüstungsexporte zur Friedenssicherung. Und das in die Länder, die ich eben genannt habe. Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien. Ich finde, man muss schon zwischen einer aufgeklärten Politik und einer kaum noch hinnehmbaren Naivität unterscheiden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die sogenannten Schwellenländer, so die Bundeskanzlerin weiter, müssten vor dem Hintergrund ihrer gewachsenen wirtschaftspolitischen Bedeutung mehr sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen, wozu wir, NATO und EU, also auch Deutschland, sie durch den Export von Rüstungsgütern und Ausbildungshilfe ertüchtigen müssten. Ausbildungshilfe ja, wirtschaftliche Entwicklung ja, aber Rüstungsexporte nein. Das ist jedenfalls unsere Position. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Solange ihr in der Opposition seid!) Das, so finde ich, ist das eigentlich Gravierende: Mit dieser Position der Bundeskanzlerin kündigt diese Bundesregierung einen Grundkonsens der gesamten Nachkriegszeit auf, einen Grundkonsens, der von den 50er-Jahren bis heute gegolten hat. Dieser Grundkonsens bestand darin, dass Waffenexporte nur mit äußerster Zurückhaltung zugelassen werden sollten. (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das ist auch falsch, was Sie sagen!) Das ist eine Weichenstellung, die meines Erachtens nicht akzeptabel ist. Die Bundeskanzlerin behauptet zwar, die Beachtung der Menschenrechte bleibe das entscheidende Kriterium und die Waffenexporte sollten nur an vertrauenswürdige Partner gehen. Aber was waren und sind denn vertrauenswürdige Partner? War das Schahregime zum Beispiel ein solcher Partner? Wurde nicht auch der Irak einst vom Westen als Bollwerk gegen die iranischen Ajatollahs hochgerüstet? Gegen welche Feinde sollen denn eigentlich die Panzer in Saudi-Arabien eingesetzt werden? Doch wohl kaum gegen den Iran in den Fluten des Persischen Golfs. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist auch naiv!) Ein Blick in die Nachkriegsgeschichte zeigt in aller Deutlichkeit: Die Lieferung von Waffen in Konfliktregionen, an autokratische Herrscher oder auch in instabile Staaten hat sich sicherheitspolitisch nie ausgezahlt, weil nur allzu oft die Freunde von gestern zu den Gegnern von heute geworden sind und weil nur allzu oft die Waffen nicht zur eigenen Verteidigung, sondern zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung eingesetzt wurden. Aber ungetrübt von all diesen Erfahrungen fördert die Bundesregierung den Rüstungsexport – inzwischen sogar aktiv – in diese Länder. Sie fördert ihn nicht nur durch die Vorführung der Möglichkeiten des Leopard 2 in Saudi-Arabien; als die Kanzlerin in Angola weilte, vergaß sie nicht, darauf hinzuweisen, dass man angesichts der zahlreichen unzureichend geschützten Ölplattformen gerne bei der Ertüchtigung der Marine, etwa durch die Lieferung von Patrouillenbooten, helfen wolle. (Klaus Barthel [SPD]: Hört! Hört!) Das ist meines Erachtens eine falsche Politik. Wer Waffen liefert, fördert regionales Wettrüsten und riskiert letztendlich, dass sie, über einen längeren Zeitraum betrachtet, dem Falschen in die Hände fallen. Wir tun deshalb gut daran, Waffenexporte in Staaten, die nicht Mitglied der NATO oder der EU sind, äußerst restriktiv zu behandeln. Der jetzt von der Bundesregierung eingeschlagene Weg hat mit Friedenssicherung nichts, aber auch gar nichts zu tun. Im Gegenteil: Er ist risikoreich, konfliktschürend und friedensgefährdend. Deshalb sollten wir dem Einhalt gebieten und mit der heutigen Beschlussfassung Sorge dafür tragen, dass die Bundesregierung zu einer restriktiven Genehmigungspraxis zurückkehrt. Das gilt insbesondere für die Rüstungs-exportpolitik gegenüber Drittstaaten. Lassen Sie mich noch einen Hinweis geben. Sie haben vorhin das Jahr 2005 genannt. Wenn Sie sich das einmal ein bisschen genauer an-gucken – ich gehe davon aus, dass Sie das getan haben –, dann werden Sie feststellen, dass die Lieferungen in Drittstaaten im Jahre 2006 einen Anteil von 27,5 Prozent an den gesamten Rüstungsexporten hatten, im Jahre 2011 von 42 Prozent. Das ist genau das Problem. Rüstungsexporte in NATO-Mitgliedstaaten und in die EU sind jedenfalls unserer Auffassung nach nicht das Problem. Das Problem sind die Rüstungsexporte in Drittstaaten, die eben nicht politisch stabil sind, sondern in denen wir genau von den Gefahren ausgehen müssen, die ich gerade beschrieben habe. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das können Sie nicht ignorieren und wegleugnen. Das steht in Ihren eigenen Berichten. Lesen Sie es nach! (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das waren Schießanlagen und Maschinengewehre nach Saudi-Arabien!) Umso wichtiger ist es, dass wir als Parlament uns der Frage der Rüstungsexporte und der Kontrolle der Rüstungsexporte stärker annehmen, als dies bisher der Fall gewesen ist, und zwar gerade deshalb, damit so etwas nicht immer unter dem Tisch geschieht, nicht geheim bleibt, sondern damit wir als Parlament unsere Verantwortung auch tatsächlich wahrnehmen können. Im Augenblick erhält das Parlament die Rüstungs-exportberichte immer erst mit monatelangen Verspätungen, manchmal sogar erst nach Jahren. Darüber haben wir hier schon mehrfach diskutiert. Drei Monate nach Jahresende – so unsere Auffassung – müssen die Rüstungsexportberichte der Bundesregierung dem Parlament vorliegen. Das sollte ein Muss sein und keine Frage von Güte oder Ähnlichem. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir haben noch einen zweiten Vorschlag gemacht, der mir sehr wichtig ist und der sicherlich zu einer Verbesserung der Politik führen wird, nämlich dass wir ein parlamentarisches Gremium damit beauftragen, die Verantwortung des Parlaments auch tatsächlich wahrzunehmen. Sicherlich – das haben einige meiner Vorredner gesagt; das zeigt schon ein Blick in das Grundgesetz – ist eine Genehmigung oder Versagung eines Rüstungs-exportvorhabens eine Sache der Exekutive. Das kann aber nicht heißen, dass das Parlament in die Entscheidungsfindung nicht mit einbezogen wird oder werden könnte und über den Vorgang noch nicht einmal informiert wird, sondern diese Informationen der Presse entnehmen muss. Waffenexporte sind von grundlegender außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung. Deshalb kann sich auch im Parlament niemand von seiner Verantwortung freisprechen. Ich kann überhaupt keinen Grund für eine übertriebene Geheimhaltung sehen. Glaubt denn wirklich jemand allen Ernstes, dass Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien in den Zeiten, in denen wir heute leben, im Verborgenen stattfinden können? Warum kann denn eine Bundesregierung nicht Farbe bekennen und ihre Entscheidungen auch begründet darlegen? Ist es nicht Sache des Parlaments, Entscheidungen der Regierung zu überprüfen und zu kontrollieren und gegebenenfalls auch infrage zu stellen? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Edelgard Bulmahn (SPD): Genau das fordern wir. Deshalb sage ich ganz offen: Ich habe kein Verständnis für die Entscheidung der Mehrheit im Wirtschaftsausschuss, sich genau vor dieser Verantwortung zu drücken. Deshalb appelliere ich an die Kolleginnen und Kollegen, unserem Antrag zuzustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Rainer Stinner. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU]) Dr. Rainer Stinner (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum wiederholten Mal sprechen wir heute dieses Thema an. Die Opposition macht eine saubere Oppositionsarbeit: Sie recycelt ihre alten Anträge und ihre alten Argumente. Die Opposition ist aber leider nicht lernfähig. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Antrag ist brandneu!) Deshalb werden Sie sich heute von unserer Seite ähnliche Argumente anhören müssen wie beim letzten Mal. Frau Keul, ich erinnere mich daran, dass Sie beim letzten Mal bei einigen meiner Argumente richtig heftig genickt haben. Deshalb möchte ich dies einführend noch einmal sagen: Wenn wir über das Thema Rüstungs-exporte sprechen, dann sprechen wir über die Frage: Ist die deutsche wehrtechnische Industrie sinnvoll, und welche Bedeutung hat sie? Deswegen, sehr verehrte liebe Frau Keul, wiederhole ich mein Argument, bei dem Sie das letzte Mal so begeistert genickt haben: Ich stehe dafür, dass wir in Deutschland nach wie vor eine Bundeswehr haben. Nicht alle wollen das; aber wir stehen dafür. Wenn das so ist, dann stehe ich dafür, dass wir die Bundeswehr nicht nur mit Waffen aus Tschechien, Schweden, Amerika und Großbritannien ausrüsten, sondern dass wir sie auch mit deutschen Waffen ausrüsten wollen und müssen. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU]) Wenn das richtig ist, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass niemand von uns in der Lage und bereit ist, den deutschen Wehretat so weit aufzublasen, dass wir dadurch eine veritable leistungsfähige deutsche wehrtechnische Industrie erhalten können. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Exakt!) Wenn auch dieser Satz richtig ist, dann heißt das: Rüstungsexport, Export von wehrtechnischen Produkten kommt natürlich in Betracht. Auch jetzt wiederhole ich mich zum wiederholten Male: Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, wir erwarten nicht, dass bei Ihnen die Argumente verfangen. (Zurufe von der LINKEN) Aber wir lassen Ihnen auch nicht durchgehen, dass Sie hier dauernd alles durcheinanderbringen – das ist ja wie Kraut und Rüben – und alles miteinander vermischen. Der Kollege Pfeiffer hat völlig zu Recht gesagt, dass in den Zahlen, über die wir sprechen, zum Beispiel die Ausrüstung der Krankenhäuser und die Ausrüstung für die Minensuche enthalten sind. Das sind humanitäre -Aspekte, die in die Kategorisierung fallen. Damit tun wir doch etwas Gutes für die Welt. Von daher denken wir gar nicht daran, das so undifferenziert stehen zu lassen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich erwarte auch nicht, dass wir Sie überzeugen. Aber wir sprechen hier im Deutschen Bundestag als Podium für das Volk, für die vielen Journalisten, die hier oben links sitzen, für die vielen Bürgerinnen und Bürger, auch für jene aus Beilstein, die uns heute zuhören, und für die vielen Millionen an den Rundfunkgeräten zu Hause. Deshalb müssen Sie sich die Argumente hier noch einmal anhören. Ich sage also zum wiederholten Male: Es gibt hier im Raum eine Person, die als Ministerin Teil des Bundes-kabinetts war, (Elke Hoff [FDP]: Jawohl!) das Kriegswaffen, das Waffen nach Saudi-Arabien geliefert hat, (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr wahr!) und zwar solche Waffen, die in erster Linie zur Unterdrückung von Aufständischen eingesetzt werden, nämlich Handfeuerwaffen und Maschinenpistolen. Sehr verehrte Frau Bulmahn, da waren Sie im Bundeskabinett! Sie tun jetzt so, als gäbe es eine neue Politik gegenüber Saudi-Arabien. Sie tun so, als entdeckten Sie erst heute, dass Saudi-Arabien kein Rechtsstaat wie Dänemark, Deutschland und Belgien ist; dazu sage ich: Das ist traurig und spricht nicht für Ihre außenpolitische Kompetenz. Medizinisch könnte man sagen: Sie leiden unter retrograder Amnesie, das heißt, Sie haben vergessen, was Sie damals selber gemacht haben. Das müssen wir sehr deutlich sagen. (Beifall bei der FDP – Edelgard Bulmahn [SPD]: Ich ziehe Konsequenzen aus den Entwicklungen! Genau das tun Sie nicht! Sie ziehen keine Konsequenzen aus Entwicklungen!) Meine Damen und Herren, zum Abschluss zu der ersten Frage, die uns jetzt bewegt: Wie gehen wir mit der Situation um, was das Informatorische und den Entscheidungsrhythmus angeht? Es ist schon gesagt worden – da sind wir einer Meinung; ich bin auch zitiert worden; es ist ja richtig, was ich gesagt habe –, dass wir mit der gegenwärtigen Situation natürlich nicht zufrieden sein können. Den Informationsrhythmus haben aber nicht wir eingeführt, den hat nicht diese böse Bundesregierung eingeführt. Wir haben nur das fortgesetzt, was frühere Bundesregierungen getan haben, vor allen Dingen die-jenigen, unter denen viele Waffen nach Saudi-Arabien geliefert worden sind. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Den Rhythmus haben wir beibehalten. Wir sehen jetzt alle gemeinsam, dass es sinnvoll ist, den Rhythmus zu ändern. Deshalb schlagen wir vor, dass wir tatsächlich in einen anderen Rhythmus kommen; das kann zum Beispiel quartalsmäßig sein. Die weitere Frage ist: Wann kann der Bericht veröffentlicht werden? Ich persönlich nehme der Bundesregierung nicht ab – das Argument hat sie bisher immer gebracht –, es sei so schwierig, die Daten zusammenzustellen. Nein, liebe Leute in der Regierung, da müsst ihr euch ein bisschen anstrengen! Das klappt schon! Ich halte die Bundesregierung für fähig, innerhalb von drei Monaten die Zahlen zusammenzustellen. Dann hätten wir einen neuen Rhythmus. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Klaus Barthel [SPD]: Bis wann kriegen wir Ihren Antrag?) Ich gehe davon aus – ich gehöre der Regierung nicht an –, dass wir Initiativen ergreifen werden mit dem Ziel, noch in dieser Legislaturperiode eine Änderung hinzubekommen. Das ist jedenfalls mein Ziel. Ich hoffe, es zu erreichen. Wenn ich es nicht erreiche, bedaure ich es, und dann können Sie mich auch gern kritisieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Abg. Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Stinner, erlauben Sie eine Zwischenfrage? Dr. Rainer Stinner (FDP): Ich habe nur noch 40 Sekunden Redezeit. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das wird nicht angerechnet. Dr. Rainer Stinner (FDP): Ich möchte das aber jetzt im Zusammenhang darlegen. – Ich möchte jetzt zu der nächsten Frage kommen, nämlich zu der Frage: Ist es sinnvoll, ein Gremium zu schaffen, das sich mit Rüstungsexporten beschäftigt? Darüber kann man durchaus nachdenken. Es gibt Pros und Cons. In einigen anderen Ländern – wir haben uns das angeguckt – ist das Parlament tatsächlich beteiligt. Darüber muss man nachdenken, und das werden wir -sicherlich auch gern tun. Die Frage, die wir uns selber stellen müssen, Frau Bulmahn, ist nur: Hilft es dem einzelnen Abgeordneten, wenn es ein Gremium gibt, das mit solchen Fragen befasst ist, aber im Geheimen tagt? Wenn ich als Abgeordneter dem Gremium nicht angehöre, werde ich in der Öffentlichkeit trotzdem für solche Themen in Anspruch genommen, kann mich aber nicht wehren, kann auch nichts sagen. Von daher ist die Frage, wie das Ganze gestaltet werden soll, noch offen. Es ist, glaube ich, zu früh, darüber zu entscheiden. Ich persönlich gehe nicht davon aus – auch das mögen Sie kritisieren –, dass wir das noch in dieser Legislaturperiode schaffen werden. Ich halte das nicht für realistisch. Aber es wird dann ja weitergehen. Wir müssen uns genau überlegen, was wir dort machen. Aber an der exekutiven Aufgabe werden wir nicht rütteln wollen und können. Letztendlich ist die Entscheidung eine Entscheidung der Bundesregierung, der Exekutive. Das wird auch in Zukunft nach meinem Dafürhalten so sein und so sein müssen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege Jan van Aken das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jan van Aken (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht hier heute darum, dass Deutschland Panzer, Gewehre und tausend Arten von Waffen ziemlich hemmungslos in alle Welt exportiert. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: -„Hemmungslos“!) Es geht hier darum, dass Deutschland drittgrößter Waffenexporteur der Welt ist. Das schreibt die Bundesregierung selbst in ihrem Rüstungsexportbericht. Was heißt das eigentlich? Ganz praktisch heißt das, dass da draußen Menschen sterben, weil Sie sich weigern, Waffen-exporte zu verbieten. So einfach ist das, und so brutal ist das. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So einfach ist die Welt von Herrn van Aken!) Jetzt habe ich hier verschiedene Argumente gehört, mit denen Sie Waffenexporte begründen wollen. Das letzte Argument war „humanitär“, weil unter Rüstungsexporte auch Minenräumgeräte fallen. Das ist wirklich das lächerlichste Argument, Herr Stinner, das ich je gehört habe. Im Jahre 2011 hat diese Bundesregierung Rüstungsexporte im Wert von 10,8 Milliarden Euro -genehmigt. Wenn ich Minenräumgeräte und Krankenhäuser herausrechne, sind es mit Sicherheit immer noch 10,7 Milliarden Euro. Das sind 10,7 Milliarden Euro zu viel, Herr Stinner; das wissen Sie auch. (Beifall bei der LINKEN) Das zweite Argument – und da läuft es mir wirklich kalt den Rücken herunter – ist, dass ein massiver Verkauf von Waffen für Sicherheit in der Welt sorgt. Wissen Sie, woran mich das erinnert? An diese widerliche Waffenlobby in den USA. Jedes Mal, wenn es dort einen Amoklauf gibt, wenn wieder tote Kinder im Klassenraum liegen, sagen ihre Vertreter: Wir müssen noch mehr Waffen verkaufen, um damit noch mehr Sicherheit zu schaffen. – Wir wissen doch alle, wie absurd das ist, dass damit nur noch mehr Amokläufe befördert werden, dass es noch mehr Tote gibt. Mit Waffenexporten fördern Sie keine Sicherheit, sondern Unsicherheit und Destabilisierung; das wissen Sie. (Beifall bei der LINKEN) Machen Sie sich keine Illusionen. Jede einzelne dieser Waffen, die Sie jetzt verkaufen wollen, wird irgendwann auch eingesetzt, ganz blutig und ganz brutal. Ich finde, Sie ganz persönlich tragen daran eine Mitschuld. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Erzählen Sie jetzt kein dummes Zeug! Das ist unmöglich, was Sie hier verzapfen!) Das dritte Argument, das ich heute von CDU und FDP gehört habe, ist wirklich der Hammer: dass mit Waffenexporten Menschenrechte geschützt werden. Wissen Sie, in welches Land im Jahre 2012 die meisten Rüstungsexporte – im Wert von über 1,3 Milliarden Euro – genehmigt wurden? Nach Saudi-Arabien. Was glauben Sie denn, wie Sie mit Leopard-Panzern in Saudi-Arabien Menschenrechte schützen? Herr Lindner, Sie wissen ganz genau, dass das Blödsinn ist. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sie erzählen dummes Zeug! Sie wissen genau, dass kein einziger Panzer dabei war! Sie sind ein Schwätzer vor dem Herrn!) Dann höre ich hier das Argument, dass die deutsche Polizei in Saudi-Arabien einen Job im Dienst der Menschenrechte betreibt, weil sie dort die Grenzpolizisten ausbildet und dafür sorgt, dass die Menschen dann menschenrechtskonform festgenommen werden. Glauben Sie denn ganz im Ernst, Herr Lindner, dass der arme Mensch, der heute in Riad im Folterkeller sitzt, der gemartert wird, dankbar dafür ist, mit deutscher Hilfe menschenrechtskonform festgenommen worden zu sein? Dessen Blut klebt auch an Ihren Fingern, Herr Lindner. Ich finde das widerlich, was Sie hier verbreiten. (Beifall bei der LINKEN) Wenn das Ganze nicht so brutal wäre, dann hätte ich mich eigentlich bei der heutigen Debatte das ein oder andere Mal auch amüsiert zurücklehnen und beobachten können, wie Sie sich hier gegenseitig vorwerfen, dass Sie doch alle hemmungslos Waffen in alle Welt verkauft haben. Das stimmt ja auch. Sie alle – SPD, Grüne, CDU, CSU, FDP – haben über viele Jahre und Jahrzehnte hemmungslos Waffen in alle Welt verkauft und werfen sich jetzt gegenseitig Heuchelei vor. Auch das stimmt. Frau Bulmahn, ich finde es wirklich verlogen, dass Sie für die SPD hier Waffenexporte nach Saudi-Arabien kritisieren, aber gleichzeitig keinen einzigen Ton dazu sagen, dass Sie Ministerin waren und die SPD mitregiert hat, als eine ganze Waffenfabrik für Saudi-Arabien genehmigt wurde. Heute sind die Saudis in der Lage, das hochmoderne deutsche G36-Gewehr selbst zu bauen. Die bewerben das schon international zum Verkauf. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie viel Blut in den nächsten Jahrzehnten damit vergossen wird. Und wer hat es gemacht? Sie von der SPD haben es gemacht. Das ist leider so. Sie sagen jetzt hier, Sie hätten gelernt; aber das stimmt nicht. Ich habe mir die Anträge genau durchgelesen. Wenn man alles von dem, was die SPD hier im Moment fordert, umsetzen würde, dann würde sich gar nichts ändern. Keine einzige Ihrer Forderungen würde bei einer Umsetzung auch nur einen einzigen Waffenexport verhindern. Wenn man Ihren Antrag genau durchliest, dann erkennt man: Sie fordern explizit, dass weiterhin Waffen nach Saudi-Arabien, an Diktaturen verkauft werden können. (Klaus Barthel [SPD]: Unsinn! Das ist jetzt politischer Analphabetismus! – Edelgard Bulmahn [SPD]: Das ist doch völlig falsch!) Sie fordern, dass weiterhin Kleinwaffen in alle Welt verkauft werden können. Ich frage mich: Warum eigentlich? Warum sind Sie von der SPD und von den Grünen eigentlich nicht bereit, zu sagen: „Wir müssen wenigstens ein generelles Verbot von Kleinwaffenexporten endlich durchsetzen“? (Beifall bei der LINKEN) Sie wissen genau, dass das die Massenvernichtungswaffen unserer Zeit sind. Sie wissen genau, wie viele Menschenleben wir retten könnten, wenn wir die Kleinwaffenexporte endlich verböten; aber Sie trauen sich nicht. Sie reden über Transparenz; das finde ich gut. Ich möchte auch mehr wissen; ich möchte schneller wissen, welche Waffenexporte die Regierung genehmigt. Aber Sie wissen auch, dass Transparenz allein nicht einen einzigen Waffenverkauf verhindert. Sie haben Ihre eigenen Erfahrungen gesammelt: Die rot-grüne Regierung hat 1999 für mehr Transparenz gesorgt und den Rüstungs-exportbericht eingeführt. Aber Sie haben damit keinen einzigen Waffenexport verhindert. Das Volumen der Waffenexporte ist auch in Ihrer Regierungszeit gestiegen und gestiegen und gestiegen, (Klaus Barthel [SPD]: Das stimmt aber nicht! Das ist objektiv falsch!) und das tun sie bis heute. Wenn man Waffenexporte einschränken will, dann helfen nur klare Verbote ohne jede Ausnahme. Dafür steht die Linke, und zwar nur die Linke. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: In alter Tradition!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Philipp Mißfelder das Wort. (Beifall bei der FDP) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Herr van Aken, ich muss schon ein paar Dinge richtigstellen, die Sie hier aus meiner Sicht falsch dargestellt haben. Sie haben sich wieder auf diese Zahlenspielerei eingelassen – es gibt große Differenzierungen bei der Zählweise: In manchen Statistiken sind wir nicht auf Platz drei, sondern auf Platz sechs – und dabei unter den Tisch fallen lassen, dass das, was die Regierung im Rahmen des Rüstungsexportberichts präsentiert, ein Höchstmaß an Transparenz herstellt. Wir schaffen Transparenz, weil wir in der Tat alles, was im weitesten Sinne mit Rüstung zu tun hat – hier geht es nicht zwangsläufig um Waffen –, in den Bericht aufnehmen. (Klaus Barthel [SPD]: Das haben Sie aber nicht freiwillig gemacht, sondern das ist Rechtslage seit 2000! Da bleibt Ihnen gar nichts anderes übrig!) Das machen nicht alle Länder auf der Welt; aber die Bundesregierung hat es gemacht. Insofern zeugt die Statistik von einem Höchstmaß an Transparenz. (Klaus Barthel [SPD]: Die haben wir -eingeführt!) – Ich lobe gleich noch die SPD. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber nicht zu viel!) Beruhigen Sie sich doch! Ich lobe Sie doch gleich dafür, dass Sie von der SPD zu Zeiten, in denen Sie regiert haben, wenig Probleme damit hatten, in genau dieselben Länder, über die wir in den vergangenen Monaten diskutiert haben, Rüstungsgüter zu exportieren. Es war auch außenpolitisch richtig, es so zu machen. Ich verstehe dann allerdings nicht, dass Ihr Kanzlerkandidat vollmundig ankündigt, den Hebel umzulegen und bei der Rüstungsexportpolitik eine andere Richtung einzuschlagen. Was soll denn das für eine Richtung sein? Soll es die Richtung von Schröder und Fischer sein: noch mehr -Exporte? Oder will man das mit Augenmaß angehen, so wie wir es machen, in der Kontinuität dessen, was wir in der Großen Koalition gemeinsam getan haben? Viele Rüstungsgeschäfte, die sich erst jetzt in der Statistik abbilden, haben wir in der Großen Koalition eingeleitet. Da saßen Sie mit uns zusammen in der Regierung. Deshalb ist das, was die SPD hier heute aufführt, einfach nur gespieltes Theater. Denn die Empörung, die Sie hier nach außen tragen, können Sie nicht wirklich ernst meinen. Helmut Schmidt hat zu Beginn der 80er-Jahre, zwischen 1978 und 1981, in groben Zügen genau die Geheimhaltungsregeln auf den Weg gebracht – er konnte sich am Ende mit den Vorschlägen nicht durchsetzen –, die wir heute haben. Sein damaliger Mitarbeiter im Bundeskanzleramt, Peer Steinbrück – er war zwar nicht unmittelbar daran beteiligt, aber er eifert Helmut Schmidt Zug um Zug nach –, sollte wissen, was der große Mentor und Übervater der SPD zur damaligen Zeit von sich gegeben hat. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gut!) Es wurde im Übrigen auch über Saudi-Arabien geredet. Man hatte damals keine Bedenken, mit Saudi-Arabien Gespräche zu führen – (Klaus Barthel [SPD]: Das wurde ja 1982 gestoppt! Deswegen gab es ja die Richtlinien! Das ist Geschichtsklitterung! Wir haben das 1982 schon geändert!) auch wenn es nachher nicht zu dem Geschäft gekommen ist. Die Empörungskompetenz, die Sie hier heute beweisen, hatten Sie damals nicht; sie erlahmt erstaunlicherweise immer dann, wenn Sie regieren. Insofern ist das, was Sie machen, absolut verantwortungslos. Wir sollten nicht sensibelste Punkte der deutschen Außenpolitik zum Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzung machen. Diesen Konsens lösen Sie zunehmend auf; (Klaus Barthel [SPD]: Ach!) das gilt sowohl für die Grünen als auch für die SPD, meine Damen und Herren. Ich werbe dafür, dass man mit der außenpolitischen Rationalität, mit dem realpolitischen Ansatz, für den wir in der Rüstungsexportpolitik stehen, auch in Zukunft verantwortungsbewusst umgeht. Es macht sich wirklich niemand an dieser Stelle das Leben leicht. Wir haben es gestern bei der Mali-Debatte erlebt; wir haben es bei der Afghanistan-Debatte erlebt. Hier redet doch niemand aus unserer Fraktion oder aus der FDP-Fraktion in Schwarz-Weiß-Bildern. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schwarz-Gelb ist viel schlimmer!) Wir wissen, dass wir es oft mit sehr schwierigen Partnern zu tun haben. Trotzdem hat Deutschland als Industrie-nation, als Exportnation auch Interessen. Zu den deutschen Interessen gehört zum Beispiel, dass wir im Mittleren Osten Stabilität brauchen. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Dazu gehört auch, dass wir in Afrika Partner, auf die wir setzen, stark machen wollen, damit sie sich selbst helfen können. (Klaus Barthel [SPD]: Libyen! Saudi-Arabien! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gaddafi!) Dazu gehört die Ausbildung; dazu gehört aber auch die Bereitstellung von militärischer Unterstützung. Das ist bei Rüstungsgütern nun einmal der Fall. Wenn Sie sich vorstellen, dass in Mali nicht die Franzosen eingreifen müssten, sondern wir es in Mali mit starken ECOWAS-Verbänden zu tun hätten, die vernünftig ausgebildet und auf die Herausforderung vorbereitet gewesen wären, wären die Möglichkeiten größer, dass sich die Europäer und an dieser Stelle die Franzosen zurückhalten könnten. Die Ertüchtigung unserer Partner und Verbündeten nach einem realpolitischen Abwägungsprozess – wir wägen auch nach moralischen und ethischen Kriterien ab – wollen wir vorantreiben. (Klaus Barthel [SPD]: Modell Libyen!) – Zu Libyen hat Ihnen doch gestern schon der Außenminister gesagt: Wer hat denn im Zelt von Gaddafi gesessen? Wer hat denn Herrn Gaddafi den Teppich ausgerollt und es ermöglicht, dass er sein Zelt im Tiergarten aufschlägt? Das war doch nicht die CDU/CSU; das war ein Bundeskanzler, den Sie getragen haben. Dagegen haben Sie nichts gesagt, überhaupt nichts. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb hören Sie doch mit solchen Zwischenrufen auf! Ich sage Ihnen: Es gibt in diesem Zusammenhang keine Entscheidung der Bundesregierung, die mit Jubel oder mit großer Euphorie getragen wird. Vielmehr ist es eine realpolitische nüchterne Abwägung, bei der unsere Interessen und unsere Wertmaßstäbe immer miteinander kollidieren. Das ist bei fast allen Auslandseinsätzen der Bundeswehr so; das ist bei vielen bilateralen Abkommen von der Rohstoffpolitik bis hin zu Verträgen bei anderen wirtschaftlichen Themen, die wir mit schwierigen Partnern beraten, der Fall. Es ist eben nicht alles schwarz und weiß. In der Außenpolitik gibt es vielmehr sehr viele Graubereiche. Da muss man nüchtern und realpolitisch antworten. Ich komme zurück zu Helmut Schmidt. Ich finde, das, was er in seinen Büchern dazu schreibt, was er als Bundeskanzler gesagt und getan hat, sollte Sie ermahnen. Daran sollten Sie sich wirklich mehr orientieren. Demokratie lebt ja vom Wechsel. Nicht dieses Jahr, aber irgendwann wird auch wieder Verantwortung auf Sie zukommen. Ich hoffe, dass Sie dann auch so viel Vernunft aufbringen, dass Sie eine solche außenpolitische Kompetenz zurückgewinnen. Das, was Sie in den letzten Wochen und Monaten von sich gegeben haben, reicht schon jetzt für eine Sammlung, die man an dem Tag einer SPD-Regierungsbeteiligung vortragen kann, an dem Sie sämtlichen Rüstungsexporten wieder zustimmen werden, so wie Sie es auch in der Vergangenheit getan haben. Das ist es, was ich Ihnen vorwerfe: dass Sie überhaupt nicht konsequent sind in Ihrem vergangenen Regierungshandeln und in dem Oppositionsgerede, das Sie heute von sich geben. Ein letzter Punkt zur Rüstungsindustrie in Deutschland insgesamt: Es hängen viele Arbeitsplätze daran. Deshalb kann man diesen wichtigen Wirtschaftszweig auch nicht leichtfertig aburteilen. Wir beteiligen uns zum Beispiel an der Global-Zero-Initiative. Außenminister Westerwelle ist dort seit Jahren aktiv. Wir sind bei vielen Abrüstungsinitiativen weltweit engagiert. Aber wir glauben trotzdem, dass auch Waffen, verbunden mit dem rechtsstaatlichen Gewaltmonopol, zur außenpolitischen Konzeption gehören. Für eine waffenfreie Welt kann man gern sein; man kann sich dafür gern einsetzen. Aber es ist in erster Linie Träumerei. Deshalb sind wir nach der klaren Maßgabe unserer Richtlinien, nach einer strengen Rückkopplung auch hier und einer permanenten öffentlichen Überprüfung der Diskussion – nichts anderes machen wir hier seit anderthalb Jahren; wir diskutieren häufig über die Frage der Rüstungsexporte – der Meinung, dass die Unterstützung des Gewaltmonopols einzelner Staaten auch durch Rüstungsexporte stattfinden kann. Eines noch zu den Arbeitsplätzen: Ich bin der festen Überzeugung, dass die deutsche Rüstungsindustrie weiterhin eine gute Zukunft braucht, nicht nur für die Arbeitsplätze, sondern auch als Technologieträger für ganz andere technologische Entwicklungen. Die Vergangenheit hat doch gezeigt, dass die Rüstungsfirmen in Deutschland zum technologischen Fortschritt beigetragen haben. Hören Sie deshalb mit diesen Diffamierungskampagnen auf! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Erich Fritz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir führen diese Debatte heute zum x-ten Male. Ich kann keine wesentlichen neuen Argumente erkennen. (Klaus Barthel [SPD]: Vielleicht erzählen Sie uns neue!) Bei dem Beitrag von Herrn Gysi hat sich allerdings zum ersten Mal meine Bewunderung für seine sprachlichen Fähigkeiten (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Da fangen Sie aber spät an!) in Mitleid gewandelt. Die Art und Weise, wie Sie sich selbst politikunfähig machen, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ach Gott!) ist schon erstaunlich. Eigentlich mag ich mir das nicht mehr zumuten. Wir sind ungefähr gleich alt. Als Sie den einzigen Überfall eines europäischen Landes in ein Nachbarland noch politisch getragen haben, haben alle Fraktionen, die hier sitzen, schon lange an einer europäischen Friedensordnung gearbeitet, die nie ihresgleichen hatte und die einen Erfolg gezeitigt hat, von dem auch Sie heute profitieren. Dass Sie auf diese Art und Weise verantwortungslos mit den Themen umgehen und durch Weglassen ganz wichtiger Aspekte (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Welche?) dazu beitragen, dass es keine verantwortbare Debatte gibt, nehme ich Ihnen wirklich übel; denn Sie wissen es ja besser. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das war aber auch kein Argument!) – Nein, das war kein Argument. Das war ein Gefühl. Aber das muss auch einmal gesagt werden. Herr Barthel, den ich im Übrigen als freundlichen Herrn Barthel anspreche, hat dann versucht, den kleinen Gysi zu machen, und dadurch nachgewiesen, dass die SPD Opposition am besten kann. Deshalb hat die Erwartung von Philipp Mißfelder, irgendwann könne die SPD wieder in die Regierungsverantwortung kommen, eine sehr lange Perspektive. Er ist aber noch ein sehr junger Abgeordneter. Lieber Herr Barthel, auch Ihnen war das Thema nicht wichtig genug, weil Sie es zumindest teilweise für den bayerischen Landtagswahlkampf genutzt haben. (Klaus Barthel [SPD]: Ich doch nicht!) Warum eigentlich? Warum führen Sie die Debatte im Augenblick so, als wäre das eine Hauptauseinandersetzung zwischen Opposition und Regierung? Das ist doch gar nicht wahr. Sie merken doch ganz genau an den Beiträgen, die sich – das gebe ich zu – in den letzten Jahren gewandelt haben, dass es dem ganzen Haus darum geht, auf einige entscheidende Fragen Antworten zu finden. (Klaus Barthel [SPD]: Schön wär’s!) Diese Fragen müssen vor dem Hintergrund von sicherheits- und außenpolitischen Debatten beantwortet werden. (Klaus Barthel [SPD]: Hab ich ja gesagt!) Ich freue mich, dass Herr Schockenhoff und Herr Kiesewetter heute Morgen in der Afghanistan-Debatte erneut eingefordert haben, dass wir eine solche Debatte brauchen. In diesem Zusammenhang müssen wir über die Zukunft der Bundeswehr, die eine irrsinnige Veränderung vor sich hat, reden und darüber, was das für deren Ausstattung bedeutet. Wir müssen auch über die Veränderung der NATO reden, die ebenfalls Konsequenzen zu erwarten hat. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das muss man dringend überlegen!) Sie aber erfinden und polemisieren den Begriff „Merkel-Doktrin“. Das ist einfach unfair. (Klaus Barthel [SPD]: Habe ich nicht erfunden!) – Nein, aber Sie benutzen ihn als politischen Kampfbegriff. – Was hat sie denn gesagt? Sie hat gesagt, dass Sicherheit nicht nur auf militärische Weise betrachtet werden muss, nicht nur als Konflikt zwischen Staaten, sondern dass die Sicherheit heute bedroht ist durch Drogenwege, durch Menschenhandel, (Klaus Barthel [SPD]: Die Kernbotschaft war, Waffen statt Soldaten hinzuschicken!) durch Schwächen in der Grenzsicherung. Herr Kiesewetter und ich waren vor Weihnachten in Libyen und haben mitbekommen, welche Probleme es gibt, die Grenze, die eigentlich nicht zu sichern ist, vor Drogen, Menschenschmuggel, Waffenschmuggel und Einsickern von Kräften, die man nicht gebrauchen kann, zu schützen. (Klaus Barthel [SPD]: Du musst mal über Geldwäsche reden!) Das sind riesige Probleme. Darüber zu diskutieren, hat doch vordergründig nicht mit Waffenexporten zu tun, sondern mit einer internationalen Gemeinschaft, in der jeder in der Lage ist, am Frieden mitzubauen. Man muss die Debatte so führen, dass die richtigen Wege gefunden werden. Wir müssen sie auf europäischer Ebene finden; aber Deutschland kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nicht immer liegt es an Deutschland, wenn etwas nicht funktioniert. Wir reden seit vielen Jahren darüber, dass wir uns um eine verstärkte europäische Kooperation bemühen müssen. Warum konkurrieren auf der Welt unterschiedliche Jagdflugzeuge miteinander? Liegt das an Deutschland? (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unter anderem! – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ist das das Problem?) – Nein, das ist nicht das Problem. Aber das behindert den Fortschritt, wenn es um die Reduzierung und Konzentration auf die Ausstattung der Bündnisstreitkräfte und der europäischen Streitkräfte geht. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Deshalb ist das ein wichtiger Aspekt, den man nicht -vergessen darf. Ich kann nicht alle Aspekte ansprechen, weil die Zeit so schnell vorbeigeht. Ich möchte mich aber noch an die Kollegin Katja Keul wenden. Sie haben über die Notwendigkeit der europäischen Kooperation gesprochen und haben das, was wir erreicht haben, ein wenig kleingeredet. Nun sind Sie noch nicht so lange im Deutschen Bundestag. Ich dagegen bin schon sehr lange im Bundestag und kann mich deshalb an eine Zeit erinnern, in der es in Europa keine Dual-Use-Verordnung gab, die in Deutschland inzwischen unmittelbares Recht ist. Es gab keinen Gemeinsamen Standpunkt; vielmehr war der Weg zu einem unverbindlichen Kodex noch sehr weit. Es gab keine Europäische Rüstungsagentur, über deren Wirksamkeit und Sinn man im gegenwärtigen Zustand durchaus diskutieren kann. All das zeigt: Wir waren noch ganz am Anfang. Der geltende Rechtsrahmen ist vielleicht nicht ideal. Ich würde auch sagen, dass er wesentliche Anforderungen, zum Beispiel die Endverbleibskontrolle, nach wie vor nicht regelt. Wir können aber nicht so tun, als könnten wir völlig unabhängig ein Konzept entwickeln; denn wenn wir eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Europas wollen, dann muss die Entwicklung in dieser Hinsicht parallel verlaufen. Der geltende Rechtsrahmen verlangt von einigen Partnerstaaten, noch viel höhere Hürden zu überspringen, als sie es bisher bereit waren. Allein das Vorgehen der Franzosen, das letzte Woche einmütig für positiv befunden wurde, macht deutlich, dass es unterschiedliche Ansätze, unterschiedliche -Kulturen in der Sicherheitspolitik gibt. Dem folgt die Ausstattungs- und die Rüstungswirtschaftspolitik, die ein Zusammenkommen nicht so einfach macht. Die anderen werden nicht bereit sein, zu sagen: Nach dem deutschen Wesen soll die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik genesen. Ich schließe mich dem Kollegen Stinner voll an, auch was die Erwartungen, die wir an die Bundesregierung haben, angeht. Ich hoffe, dass wir einen Schritt weiterkommen und dass dieser Schritt dazu beiträgt, dass man das, was man verwirklichen kann, sinnvollerweise gemeinsam tut. Ansonsten befürchte ich, dass aufgrund des üblichen Spiels, das hier betrieben wird, aus grundsätzlichen Erwägungen, die nichts mit der Sache zu tun haben, ein Scheitern in Kauf genommen wird. Ich ermuntere Sie, die Debatte fortzuführen, und zwar in einer Art und Weise, dass man einander zuhört, aufeinander zugeht und die grundsätzlichen Erfordernisse, mit denen wir als großes Land in der Mitte Europas, als wichtiger Bündnispartner und als eine führende Nation in der Europäischen Union konfrontiert sind, nicht aus den Augen verliert. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/10842 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke, also Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der Linken und der Grünen. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, -Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit umgekehrtem Stimmenverhältnis angenommen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage 17/11785 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 17/12098. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9188 mit dem Titel „Frühzeitige Veröffentlichung der Rüstungsexportberichte sicherstellen – Parlamentsrechte über Rüstungsexporte einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der SPD und der Grünen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9412 mit dem Titel „Rüstungsexporte kontrollieren – Frieden sichern und Menschenrechte wahren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – -Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 f und 40 h auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strukturreform des Gebührenrechts des Bundes – Drucksache 17/10422 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über konjunkturstatistische Erhebungen in bestimmten Dienstleistungsbereichen (Dienstleistungskonjunkturstatistikgesetz – DLKonjStatG) – Drucksache 17/12014 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Innenausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Neustart für ein europäisches Zugsicherungssystem – Drucksache 17/10844 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Mechthild Rawert, Bärbel Bas, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Rezeptfreiheit von Notfallkontrazeptiva – Pille danach – gewährleisten – Drucksache 17/11039 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Birgitt Bender, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zeitnahes Krankengeld für unständig und kurzfristig Beschäftigte sowie Selbstständige – Drucksache 17/12067 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Kultur und Medien f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Dr. Martina Bunge, Cornelia Möhring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Pille danach rezeptfrei machen – Drucksache 17/12102 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Da?delen, Diana Golze, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für gleiche Rechte – Einbürgerungen erleichtern – Drucksache 17/12185 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 a bis 41 q sowie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf. Es handelt sich um die -Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 41 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 16. Mai 2012 zu den Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des Vertrags von Lissabon – Drucksache 17/11367 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (21. Ausschuss) – Drucksache 17/12169 – Berichterstattung: Abgeordnete Alois Karl Dr. Eva Högl Joachim Spatz Andrej Hunko Jerzy Montag Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12169, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11367 anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke. Tagesordnungspunkt 41 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Elektro- und Elektronik-gerätegesetzes – Drucksache 17/11368 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) – Drucksache 17/12216 – Berichterstattung: Abgeordnete Michael Brand Gerd Bollmann Horst Meierhofer Ralph Lenkert Dorothea Steiner Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12216, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11368 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist -angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 41 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung Verordnung zur Beschränkung der Verwendung gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung – ElektroStoffV) – Drucksachen 17/11836, 17/11907 Nr. 2, 17/12216 – Berichterstattung: Abgeordnete Michael Brand Gerd Bollmann Horst Meierhofer Ralph Lenkert Dorothea Steiner Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12216, der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksache 17/11836 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen. Tagesordnungspunkt 41 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck (Köln), Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine glaubwürdige Außenpolitik gegenüber Usbekistan – Drucksachen 17/6498, 17/7712 – Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Grund Franz Thönnes Dr. Rainer Stinner Stefan Liebich Viola von Cramon-Taubadel Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7712, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6498 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion. Tagesordnungspunkte 41 e bis 41 q. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 41 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 513 zu Petitionen – Drucksache 17/12073 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 513 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 41 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 514 zu Petitionen – Drucksache 17/12074 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 514 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen. Tagesordnungspunkt 41 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 515 zu Petitionen – Drucksache 17/12075 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 515 ist angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Tagesordnungspunkt 41 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 516 zu Petitionen – Drucksache 17/12076 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 516 ist angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen bei Enthaltung der Linken. Tagesordnungspunkt 41 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 517 zu Petitionen – Drucksache 17/12077 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 517 ist ebenfalls angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen bei Enthaltung der Linken. Tagesordnungspunkt 41 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 518 zu Petitionen – Drucksache 17/12078 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 518 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der -Grünen. Tagesordnungspunkt 41 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 519 zu Petitionen – Drucksache 17/12079 – Wer stimmt dafür? – Sammelübersicht 519 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 41 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 520 zu Petitionen – Drucksache 17/12080 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 520 ist angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke. Tagesordnungspunkt 41 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 521 zu Petitionen – Drucksache 17/12081 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 521 ist angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen bei Gegenstimmen der SPD-Fraktion. Tagesordnungspunkt 41 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 522 zu Petitionen – Drucksache 17/12082 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 522 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen. Tagesordnungspunkt 41 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 523 zu Petitionen – Drucksache 17/12083 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 523 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen von SPD und Grünen. Tagesordnungspunkt 41 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 524 zu Petitionen – Drucksache 17/12084 – Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Sammelübersicht 524 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der Grünen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Linken. Tagesordnungspunkt 41 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 525 zu Petitionen – Drucksache 17/12085 – Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 525 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Jetzt kommen wir zum Zusatzpunkt 2: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes – Drucksache 17/11820 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (5. Ausschuss) – Drucksache 17/12174 – Berichterstattung: Abgeordnete Alois Karl Dr. Eva Högl Joachim Spatz Andrej Hunko Jerzy Montag Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12174, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/11820 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 3: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Johannes Pflug, Dr. Rolf Mützenich, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Dr. Frithjof Schmidt, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine kohärente Gesamtstrategie für Pakistan – Für eine aktive Einbindungsdiplomatie, Stärkung der demokratischen Kräfte und eine verlässliche Entwicklungszusammenarbeit – Drucksachen 17/11033, 17/11451 – Berichterstattung: Abgeordnete Philipp Mißfelder Johannes Pflug Bijan Djir-Sarai Jan van Aken Dr. Frithjof Schmidt Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11451, den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11033 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Jetzt kommen wir zu Zusatzpunkt 4: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes -(Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) und zur Änderung weiterer Gesetze – Drucksachen 17/7576, 17/8615, 17/8871, 17/12170 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 17/12170? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE Ausrüstung der Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende Fraktion das Wort dem Kollegen Andrej Hunko. (Beifall bei der LINKEN) Andrej Hunko (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Letztes Jahr habe ich in meinem Wahlkreis in Aachen die Familie von Samir H. besucht. Der deutsche Staatsangehörige und Aachener Bürger war am 9. März 2012 von einer US-Drohne in Pakistan getötet worden. Der Mutter versprach ich, mich um die Aufklärung zu bemühen. Ich habe mehrere Anfragen an die Bundesregierung gestellt, aber es gab keine akzeptable Aufklärung. Das ist völlig inakzeptabel. (Beifall bei der LINKEN) Der Fall zeigt dreierlei: Erstens. Die Schwellen zum Einsatz von Kampfdrohnen sind derart gesunken, dass oftmals andere Mittel gar nicht mehr ins Auge gefasst werden. Zweitens. Parlamentarische Kontrolle ist hier kaum möglich. Wie etwa deutsche Geheimdienste dem Drohnenpiloten geholfen haben, den Aufenthaltsort von Samir H. in Pakistan zu ermitteln, hält das Bundesinnenministerium unter Verschluss. Drittens. Die Beschaffung und der Einsatz von Kampfdrohnen sind längst zur globalen Realität geworden. Zu den Grundpfeilern der deutschen Außenpolitik sollte allerdings die Abrüstung gehören. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Samir H. ist einer von inzwischen 3 000 bis 4 500 Menschen, die seit 2011 durch den Einsatz von Kampfdrohnen in Pakistan, im Jemen und in Somalia ums Leben gekommen sind, davon etwa 200 Kinder. Das sind die Zahlen einer Studie der britischen Sektion der IPPNW, der renommierten internationalen Ärzteorganisation. In dieser Studie wird auch intensiv auf die psychologischen Folgen des Drohneneinsatzes eingegangen: Das dauerhafte Gefühl, durch Drohnen überwacht und gegebenenfalls auch beschossen werden zu können, hält die überwachte Bevölkerung in einem dauerhaften Zustand der Angst, einem Gefühl, zu keinem Zeitpunkt mehr sicher sein zu können. – Auch das muss diskutiert werden, wenn wir über eine Drohnenstrategie reden. Ich möchte darauf hinweisen, dass in der durch unsere Kleine Anfrage angestoßenen Debatte ein wichtiges Detail verloren gegangen ist: Die Bundesregierung sagt nicht nur, dass sie Kampfdrohnen für die Bundeswehr anschaffen will. Vielmehr sollen auch sogenannte militärische Aufklärungsdrohnen so bestückt werden, dass später Kampfdrohnen daraus gemacht werden können. – Das lehnen wir als Linke entschieden ab. (Beifall bei der LINKEN) Ich halte allerdings auch eine Nutzung rein militärischer Spionagedrohnen für problematisch. Anfang der Woche führte das Verteidigungsministerium der USA eine Kamera mit einer Auflösung von 1,8 Gigapixeln vor, die aus 6 000 Meter Höhe beeindruckend scharfe Aufnahmen zum Beispiel eines Parkplatzes liefern kann. Solche Systeme können im Rahmen von Amtshilfe jederzeit auch im Innern eingesetzt werden. Die neuen, riesigen Euro-Hawk-Drohnen der Bundeswehr etwa auch zur Grenzsicherung oder bei Großeinsätzen zu nutzen, wird ausgerechnet vom Drohnenausrüster EADS empfohlen. Ein anderer führender Drohnenhersteller hat mir kürzlich erklärt, dass seine Drohnen die mexikanisch-amerikanische Grenze überwachen. – Wir möchten nicht, dass künftig auch die europäischen Grenzen mit Drohnen überwacht werden, vielleicht zunächst unbewaffnet und dann in einem zweiten Schritt bewaffnet. Wir möchten auch nicht, dass Großereignisse wie der Gipfel in Heiligendamm künftig von Drohnen überwacht werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Drohnenstrategie der Bundesregierung ist für die europäische Rüstungsindustrie ein Milliardengeschäft. Dies wird von der EU-Kommission ausdrücklich betont, wenn sie dafür wirbt, große Drohnen ab 2016 in den allgemeinen zivilen Luftraum zu integrieren. Im einem Dokument der EU-Kommission vom September 2012 ist ausschließlich von der Notwendigkeit einer Konkurrenzfähigkeit der europäischen Drohnenindustrie die Rede, die den Anschluss an Israel und an die USA halten müsse. Am Ende der Einleitung heißt es: Es ist „imperativ“ für Europa, „jetzt zu handeln“, sprich: drohnenmäßig aufzurüsten. – Auch das lehnen wir deutlich ab. (Beifall bei der LINKEN) Kampfdrohnen sind Killerwaffen. Darüber ethisch zu diskutieren, wie man es jetzt aus der SPD hört, macht keinen Sinn. Die Entwicklung und Beschaffung von Kampfdrohnen wird selbst innerhalb des Militärs kritisiert. Ich fordere die Bundesregierung deshalb mit allem Nachdruck auf, sich international für die Ächtung von Kampfdrohnen einzusetzen. Aber auch die Polizeien des Bundes und der Länder, denen ihre gegenwärtigen fliegenden Kameras zu klein sind, untersuchen auf mehreren Ebenen den Einsatz größerer Drohnen mit hochauflösenden Kameras. Auch das ist hochproblematisch. Größte Zurückhaltung muss deshalb nicht nur bei der Beschaffung militärischer, sondern auch polizeilicher Drohnen walten. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum Ende. Killerdrohnen sind international zu ächten. Sie senken die Hemmschwelle zur Entgrenzung des Krieges und zum Töten per Knopfdruck. Ich fordere die Bundesregierung zudem auf, sich für eine internationale Konvention zu einer streng zivilen Nutzung von Drohnen, etwa im Umweltschutz oder bei der Katastrophenhilfe, einzusetzen. Maßstab hierfür muss der mögliche gesellschaftliche Nutzen und nicht die Interessen der Drohnenindustrie sein. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Fraktion der Linken dankbar für die Aufsetzung dieses Themas; das gibt uns Gelegenheit, im Deutschen Bundestag über das Thema Drohnen zu diskutieren. Ich habe die Diskussion ja letzten Sommer selber eröffnet. Ich will versuchen, in der knappen Zeit in sieben Punkten Gründe vorzutragen, die für die Anschaffung von Drohnen sprechen, und mich mit den Gegenargumenten auseinandersetzen. Zum ersten Punkt. Drohnen bieten technologisch in einer Weise eine kontinuierliche Aufklärung mit einer langen Stehzeit – viel länger, als jeder Pilot wach bleiben kann – und Übertragungsergebnisse, die in Echtzeit, also live, übertragen werden können, wie sie kein Flugzeug leisten kann. Deswegen sind sie technologisch sinnvoll. Sie sind auch nicht so teuer wie Flugzeuge; denn ganz wesentliche Ausgaben für Flugzeuge haben damit zu tun, den Piloten zu schützen, zu Recht; das entfällt bei Drohnen. Zweitens. Die Zukunft der Luftfahrt insgesamt wird ganz wesentlich in den nächsten 20, 30, 40 Jahren von dem Thema „unbemannte Luftfahrzeuge jeder Art“ geprägt sein. Das gilt jedenfalls unterhalb der Ebene der Satelliten, das gilt für das Thema Klimabeobachtung, das gilt für das Thema Verkehrsbeobachtung, das gilt für das Thema Logistik, das gilt für das Thema Luftfracht. Deswegen haben wir auch komplizierte Zulassungsthemen, die wir nur im europäischen Verbund erörtern dürfen. Bei dieser Zukunftstechnologie muss Deutschland dabei sein. Wir können nicht sagen, wir bleiben bei der Postkutsche, während alle anderen die Eisenbahn ent-wickeln. Das geht nicht. Drittens. Die Einführung von Drohnen ist auch taktisch und sicherheitspolitisch sinnvoll. Ich kann dazu viele Beispiele nennen, ich nenne hier nur mal eines. Nehmen wir an, wir schicken eine Patrouille in eine gefährliche Gefechtssituation, oder nehmen wir an, wir haben einen KSK-Einsatz zur Verhaftung von Terroristen oder zur Rettung von Geiseln. Kein anderes Mittel ist so gut geeignet wie eine Drohne, diese Patrouille zu begleiten, aus der Luft zu beobachten, was passiert, und dann, wenn unsere eigenen Soldaten in Gefahr geraten, auch zu kämpfen und den Gegner zu bekämpfen und nicht erst Close Air Support anzufordern, der 10, 15 Minuten später kommt, gar nicht die Präzision hat und das Leben unserer Soldaten gefährdet. Das wollen wir nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Nun zu den kritischen Gegenargumenten: Viertens. Es wird gesagt, Drohnen seien völkerrechtlich problematisch, und das Grundgesetz lasse solche Waffen nicht zu. Ich will dazu sagen: Drohnen und der Einsatz von Drohnen unterscheiden sich zunächst einmal rechtlich in überhaupt keiner Weise von anderen fliegenden Plattformen oder vergleichbaren Waffensystemen. (Beifall bei der SPD – Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: In Pakistan schon!) – Ich komme auf diesen Punkt. – Ob Sie einen Torpedo aus einem U-Boot abschießen, ob Sie eine Lenkrakete vom Boden abfeuern, ob Sie eine Rakete von einem Flugzeug auf den Boden abfeuern oder ob Sie eine Drohne mit Bewaffnung einsetzen und auslösen, es sind immer die gleichen Regeln, auch die gleichen rechtlichen Regeln. Das heißt für Deutschland: Grundlage für jeden militärischen Einsatz einer Drohne, insbesondere wenn sie bewaffnet ist, ist immer unser Grundgesetz, das heißt die verfassungsrechtliche Grundlage zum Einsatz von militärischer Gewalt überhaupt, also Art. 87 a und Art. 24 mit Beschluss der Regierung und Parlamentszustimmung. Ich weiß, dass andere Staaten anders handeln. Ich sage Ihnen aber: Sie können nicht von der Einsatzart und der Einsatzmethode anderer Staaten auf das Einsatzmittel selbst schließen. Für uns gilt unser Recht und unser Grundgesetz, und das würde auch gelten bei dem Einsatz von Drohnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Fünftens. Es wird gesagt, mit Drohnen entsteht eine Art Computerkrieg, es entsteht eine emotionale Distanz zum Kampfgeschehen. Das ist durchaus ein gewichtiges Argument, weil es in der Debatte in der Tat schon den einen oder anderen gibt, der sagt: „Wir haben klinisch reine Kriege. Das machen wir mit dem Skalpell, das ist alles sauber.“ Ich teile diese Auffassung nicht. Es gibt keinen sauberen Krieg; es ist immer bitterernst. Insbesondere der Einsatz von Waffen ist keine Operation medizinischer Art. Es ist das Schwerste, was es zu entscheiden gibt, egal welche Waffe eingesetzt wird. Gemeint ist hier aber, dass dadurch, dass jemand an einem Monitor sitzt, eine neue Qualität entsteht. Meine Damen und Herren, das ist überhaupt nicht der Fall. Auch heute schon wird nahezu bei jeder indirekten Waffe auf einen Monitor geguckt. Der U-Boot-Schütze, der einen Torpedo abschießt, guckt auf einen Monitor. Wer eine Rakete abschießt, eine Cruise-Missile, eine Interkontinentalrakete, eine Patriot-Rakete, guckt natürlich auf einen Monitor. Ich sage Ihnen, dass – ich habe das natürlich auch selbst gesehen – der Blick eines Drohnenpiloten auf einen Monitor sogar viel konkreter ist als die Zielerfassung durch einen Cockpitpiloten in einem Flugzeug. Von daher hat jede Distanzwaffe, jede indirekte Waffe eine technische Überbrückungsmöglichkeit für denjenigen, der sie auslöst. In der Ausbildung muss man natürlich durch viele Dinge dafür sorgen, dass keine emo-tionale Distanz entsteht, aber mit Drohnen hat das nichts zu tun. Sechstens. Sie haben auch gesagt, die Hemmschwelle von Gewalt würde bei Drohnen herabgesetzt. Das ist auch ein gewichtiges Argument, das ich oft höre. Ich habe das in einem Interview schon einmal gesagt: Egal ob man ein Flugzeug oder eine Drohne hat: Immer entscheidet ein Mensch über den Einsatz dieser Waffen. Immer! – Das ist aber, glaube ich, nicht das Hauptgegen-argument. Ihr Argument, hier würde die Hemmschwelle von Gewalt gesenkt, zu Ende gedacht, hieße doch im Umkehrschluss – ich bitte Sie wirklich einmal, das klug zu überlegen –, dass nur der, der das Leben eigener Soldaten besonders intensiv aufs Spiel setzt, sorgsam mit militärischer Gewalt umgeht. Ich sage Ihnen: Das ist zynisch und unerhört. Ich finde dieses Argument unerhört. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist eine böse Unterstellung!) Es ist seit jeher die Aufgabe militärischer und politischer Führung, die eigenen Soldaten zu schützen und nicht dadurch in Gefahr zu bringen, dass man sie sozu-sagen der Tötung durch andere aussetzt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wir wollen keinen Einsatz!) – Ich respektiere, dass Sie keinen Einsatz wollen, aber zu sagen, dass dadurch, dass wir ein unbewaffnetes Flugzeug gegenüber einem bewaffneten Flugzeug haben, die Hemmschwelle gesenkt würde, heißt umgekehrt, dass Sie lieber das Leben eines Piloten gefährden und auf den Einsatz dieser Waffe verzichten wollen. Das finde ich auch ethisch nicht in Ordnung, und das entspricht auch nicht meiner Fürsorgepflicht gegenüber meinen Soldaten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Siebtens und letztens. Es wird gesagt – das ist auch ein gewichtiges Argument –, mit Drohnen werde gezielt getötet. Ich sage Ihnen jetzt einmal eines: Jeder Polizist und jeder Soldat lernt in seiner Grundausbildung, gezielt zu treffen. Der Sinn des Zielens ist, dass man das trifft, was man treffen will, und nicht das, was man nicht treffen will. Wir Deutschen wissen, was Flächenbombardements sind. Wer Kollateralschäden in der Zivilbevölkerung vermeiden will, wer nicht will, dass wir Unbeteiligte gefährden, der muss Waffensysteme entwickeln und einsetzen, die nicht flächig, sondern gezielt wirken. Ich halte das ethisch eher für einen Fortschritt als für einen Nachteil. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ach Gott!) Aus dem Punkt, hier werde gezielt getroffen, einen ethischen oder rechtlichen Vorwurf zu machen, halte ich angesichts der Kriege und der Folgen – auch für die Zivilbevölkerung –, die wir erlebt haben, geradezu für ganz falsch. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jede Statistik sagt etwas anderes!) Ja, wir verlangen von unseren Soldaten, dass sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gezielt wirken und nicht einfach durch die Gegend ballern, und die Drohne wirkt gezielt. Sie haben gesagt, es gebe Opfer von Drohnenein-sätzen. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Unschuldige!) – Auch unschuldige Opfer von Drohneneinsätzen. – Das ist wahr, aber auch das hat nichts mit dem Einsatz der Drohne zu tun. Es gibt Millionen von unschuldigen Opfern von Kriegen. Dass man vorbeizielen und etwas anderes treffen kann, ist klar, aber das hat nichts damit zu tun, dass wir uns bemühen, in modernen Kriegen gezielt und nicht ungezielt Wirkung zu erzielen und zu treffen. Aus der Vermeidung von Flächenwirkung einen ethischen Vorwurf zu machen, halte ich für absurd. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Meine Damen und Herren, aus Zeitgründen will ich jetzt gar nicht auf eine Übergangslösung oder eine deutsch-französische Lösung eingehen. Ich glaube, das können wir an anderer Stelle und in den Ausschüssen noch einmal diskutieren. Ich will zusammenfassend sagen: Ich halte den Einsatz von Drohnen unter Einhaltung unserer bestehenden rechtlichen Regelungen für ethisch in Ordnung, und ich halte die Beschaffung von Drohnen auch für die Bundeswehr für sicherheitspolitisch, bündnispolitisch und technologisch sinnvoll. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Dr. Rolf Mützenich. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Rolf Mützenich (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat ungewöhnlich, dass wir in einer Aktuellen Stunde von Ihnen, Herr Minister, hören, dass Sie der Fraktion Die Linke dankbar dafür sind, dass Sie endlich einmal hier im Deutschen Bundestag über dieses Thema reden können. Das fällt auf Sie zurück. Wir hätten es begrüßt, Sie hätten in den letzten Monaten eine Regierungserklärung angekündigt und auch abgegeben, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) anstatt als Antwort auf die Frage 25 in der Kleinen Anfrage die Öffentlichkeit und den Deutschen Bundestag darüber zu informieren, dass Sie bereit sind, der Bundeswehr Kampfdrohnen zur Verfügung zu stellen und letztlich auch ihren Einsatz zu gewährleisten. Ich halte das für eine grundsätzliche Debatte, die mehr als nur eine Aktuelle Stunde im Bundestag erfordert hätte. Es fällt auf Sie zurück, dass Sie im letzten Sommer gesagt haben: „Ich führe diese Debatte“, aber sich dieser Debatte bisher entzogen haben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Interessant war natürlich auch, dass Sie am Anfang sieben Punkte aufgezählt haben, wovon sich aber vier Punkte auf Drohnen zur Aufklärung bezogen haben. In der Tat muss man natürlich über die Frage der Aufklärung diskutieren. Aber was zurzeit in Deutschland die Öffentlichkeit beschäftigt, ist die Frage: Ist es völkerrechtlich, ist es ethisch, ist es rüstungskontrollpolitisch, ist es sicherheitspolitisch verantwortbar, in dieser Situation und nach den wenigen Jahren der Erfahrung anderer Bündnispartner Kampfdrohnen anzuschaffen, ohne eine sicherheitspolitische und völkerrechtliche Diskussion zu führen? Dieser Diskussion werden Sie sich auch in den nächsten Wochen und Monaten nicht entziehen können. Sie haben wissentlich, glaube ich, die kritischen Positionen hierzu in dieser Aktuellen Stunde hier im Deutschen Bundestag nicht aufgegriffen. Dabei geht es ins-besondere darum, dass die Rüstungstechnologie der Drohnen mittlerweile so weit entwickelt ist, dass wir leider von einer Verselbstständigung dieses Systems ausgehen müssen, weil die Informationen – das wissen Sie doch sogar besser als wir hier im Deutschen Bundestag – so vielfältig und so immens sind, dass Entwickler und teilweise auch Militärs zu der Überzeugung kommen: Das können einzelne Soldatinnen und Soldaten gar nicht mehr verarbeiten. Bestimmte Bewegungsabläufe deuten darauf hin, dass Maschinen den Soldaten die Empfehlung geben, einzugreifen. Über diese wirklich grundsätzlichen Erwägungen müssen wir diskutieren und uns fragen, ob dies ethisch überhaupt angemessen ist. Das fragen Sie auch die Kirchen. Ich bin der festen Überzeugung: Die gesamte Bundesregierung muss sich an dieser Frage beteiligen. Ein anderer Aspekt. Die völkerrechtlichen Fragen sind nicht so einfach zu beantworten, wie Sie das hier getan haben. Es gibt unterschiedliche Auffassungen zum humanitären Völkerrecht, zur Genfer Konvention und auch zu anderen Dingen. Sie müssen den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland sagen, vor welcher Konsequenz wir stehen. Die Völkerrechtler kommen zum Beispiel zu der Auffassung, dass die Kommandozentralen, von denen aus möglicherweise Kampfdrohnen eingesetzt werden, in einem Konflikt legitime Ziele sein werden. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, das den Bundesbürgern zu sagen und auf diese Frage eine ehr-liche Antwort zu geben. Ich finde, darüber gehen Sie leichtfertig hinweg. Das, was Sie noch nicht angesprochen haben, ist die Frage der Verhältnismäßigkeit. Die Drohnen können eben nur, selbst wenn sie von einer Person gelenkt werden, Ja oder Nein sagen; sie können nicht abwägen. Insbesondere die Frage der Informationsbeschaffung, die Sie eben ganz bewusst übergangen haben, ist eine schwere ethische, aber letztlich auch sicherheitspolitische Herausforderung. Ein weiterer Aspekt, von dem ich mir wünsche, dass ihn die Bundesregierung im Zusammenhang mit der internationalen Debatte aufgreifen sollte: Deutschland hat bei Rüstungskontrolle und Abrüstung immer ein Gesicht gehabt und dies in die internationale Diskussion eingebracht. Warum wäre es von Deutschland so abwegig, wenn es so viele Kritikpunkte und so viel Zurückhaltung gibt, mit Partnern darüber zu diskutieren und zu sagen: Wir wollen keine unbemannten Flugobjekte bewaffnen; denn das ist möglicherweise eine Grauzone. Das wäre doch eine wichtige rüstungskontrollpolitische Debatte, die hier im Deutschen Bundestag von der Bundesregierung geführt werden könnte. Ich finde, diesen Dingen entziehen Sie sich ganz einfach dadurch, dass Sie sagen: Das Ganze ist nur ein Instrument. – Es ist eben nicht nur ein Instrument, sondern es wirft vielfältige Fragen auf, die unterschiedliche Themenbereiche in dieser Bundesregierung betreffen. Zum Schluss. Ich habe Ihnen am Anfang gesagt, Sie hätten eine Regierungserklärung zu diesem Thema abgeben können. Wissen Sie, wen ich aus dem Bundeskabinett vermisse, der Verantwortung für Sicherheitspolitik, Völkerrecht, Rüstungskontrolle und, wie er selbst behauptet, ethische Fragen hat? Den Außenminister. Er könnte bei der Beantwortung der hier in Rede stehenden Fragen auch fachverantwortlich eine entscheidende Rolle spielen. Ich mache ihm nicht zum Vorwurf, dass er heute nicht da ist, wohl aber, dass er sich in den letzten Monaten dieser Diskussion entzogen hat. Das lassen wir ihm nicht durchgehen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin Elke Hoff. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Elke Hoff (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Wortbeiträge, die wir bisher gehört haben – ich gehe davon aus, dass wir nachher aus den Fraktionen durchaus unterschiedliche Wortbeiträge hören werden –, zeigen, wie wichtig es ist, dass wir hier im Plenum darüber diskutieren, und dass wir erst am Anfang dieser Debatte stehen. Ich möchte auf den Anlass verweisen, warum wir heute überhaupt über dieses Thema diskutieren. Die Bundesregierung steht vor den Entscheidung, ob sie die Verträge für die geleasten Systeme, die Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron, die in Afghanistan hervorragende, wichtige Arbeit für den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten geleistet haben, verlängern, diese Systeme ersetzen oder kaufen soll und ob diese Drohnen bewaffnet werden sollen oder nicht. Für mich war es im Vorfeld dieser Debatte wichtig – wir haben uns in der Öffentlichkeit schon an der einen oder anderen Stelle dazu geäußert –, eine klare sicherheitspolitische Begründung des Kaufes und des Ein-satzes von bewaffneten unbemannten Flugkörpern zu geben. Warum? Weil die Diskussion aufgrund des Einsatzes solcher Flugkörper durch verbündete Nationen vorbelastet ist. Das sieht man an den teilweise abenteuerlichen Argumenten, die wir seitens der Linksfraktion gehört haben. Sie haben alles vollkommen vermischt. Sie haben alles in einen Topf geworfen – unsere Einsätze und die Einsätze der Amerikaner, insbesondere die der CIA –, umgerührt und dann gefragt, warum die Bundesregierung keine Erklärung dafür abgibt, dass unsere Verbündeten schlimmerweise nicht nur denjenigen, den sie treffen wollten, sondern auch dessen Familie gleich mit umgebracht haben. Das alles ist ein Wust, der in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken muss, dass wir trotz völlig unklarer Bedingungen und ohne befriedigende Erklärung auf dieses Waffensystem setzen. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das ist es doch!) – Einen Moment, langsam! Ich bin noch nicht fertig. Vor diesem Hintergrund, Herr Minister, ist es wichtig, zu sagen, was die Bundeswehr mit diesem Waffensystem tun soll und was nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, dass wir an dieser Stelle klare Äußerungen treffen können. Herr Minister, Sie haben deutlich gemacht – ich fand Ihre Rede sehr klar strukturiert –, dass eine Bewaffnung von unbemannten Flugkörpern in erster Linie dem Schutz der Soldatinnen und Soldaten Rechnung tragen soll. Häufig wird in der Debatte verschwiegen, dass unsere amerikanischen Freunde bereits heutzutage mit unbewaffneten Flugkörpern ihre Soldaten schützen. Es geht also nicht nur um gezieltes Töten im Kampf gegen den Terrorismus. Es gibt sehr viele Situationen – das kann man nachvollziehen –, in denen solche Systeme zum Schutz von Soldatinnen und Sol-daten eingesetzt werden. Wenn wir das wollen, sollten wir das auch sagen. Das haben Sie heute auch getan, Herr Minister. Ich habe Ihrer Rede keine anderen Szenarien für die Bundeswehr entnehmen können. Sie hätten sicherlich auch andere darlegen können, wenn Sie gewollt hätten. Kollege Mützenich, natürlich ist es wichtig, die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen festzulegen. Ich habe mich immer dafür ausgesprochen, dass auf internationaler Ebene ein Rahmenwerk für den Einsatz unbemannter Flugkörper in kriegerischen Auseinandersetzungen erarbeitet wird. Warum? Weil es wichtig ist, klare Regeln zur Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten zu finden. Nur so können wir verhindern, dass wir nolens volens – ich hasse dieses Wort – „Kollateralschäden“ in Kauf nehmen. Wir müssen ganz klar definieren, welches die Rahmenbedingungen sind, unter denen wir international operieren können. Wenn wir in diese Technologie einsteigen, werden wir als Exportnation mit der Beantwortung entsprechender Fragen konfrontiert sein, spätestens dann, wenn es um den Export von Drohnentechnologie zum Zwecke militärischer Einsätze geht. Wir alle sind gut beraten, sehr sorgsam, sehr verantwortungsvoll und sehr klar mit diesem Thema umzugehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie, sehr geehrter Herr Minister, haben ein Stichwort geliefert, zu dem die Bundesregierung eine klare Haltung entwickeln muss, die sie dann auch auf europäischer Ebene umsetzen muss. Wenn wir in die Entwicklung dieser Technologie einsteigen, müssen wir natürlich die Regeln in Europa so gestalten, dass wir diese Technologie hier zur Anwendung bringen können. Noch ist der europäische Luftraum in toto für den Einsatz von unbemannten Flugkörpern gesperrt. Europa ist, glaube ich, gut beraten, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu klären, bevor man in diese Technologie einsteigt; ansonsten sprechen wir uns zwar für eine Technologie aus, können sie aber in Europa im Prinzip nicht zur Anwendung bringen. Ich denke auch an die zivile Nutzung, beispielsweise die Überwachung kritischer Infrastruktur wie Pipelines, die Aufdeckung von Umweltschäden usw. usf. Wir haben in diesem Bereich also noch eine Menge zu tun. Ich möchte deshalb an dieser Stelle festhalten: Wir möchten gerne eine umfassende, klare, sicherheitspolitische Begründung haben. Dann kann man auch den Weg für die Entwicklung einer notwendigen Technologie freimachen, der sich – da sind wir alle einer Meinung – Deutschland nicht verschließen kann. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Agnes Brugger das Wort. Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung ist entschlossen: Sie will so bald wie möglich waffenfähige Drohnen für die Bundeswehr. Für den Verteidigungsminister scheint es zwingend zu sein, bei jeder militärtechnologischen Entwicklung mithalten zu müssen, um bloß nicht den Anschluss zu verpassen. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: So ist es!) Aber es ist keine Zwangsläufigkeit, dass Deutschland bei der Entwicklung und beim Einsatz von jedem neuen Waffensystem dabei sein muss. Herr Minister, Sie wollten hier den Eindruck erwecken, Sie arbeiteten abgeklärt und präzise die ganzen Argumente derjenigen ab, die große Vorbehalte haben, was Drohnen angeht. Ich finde, Sie haben ein ganz entscheidendes Argument offensichtlich nicht verstanden, nämlich dass der Einsatz bewaffneter Drohnen massive -Auswirkungen auf die Kriegsführung hat. Die Hemmschwelle zur Anwendung militärischer Gewalt kann -dadurch drastisch sinken, und die berechtigte Zurückhaltung bei den politischen Entscheidungen über Militäreinsätze wird beeinträchtigt. Davor können Sie nicht einfach die Augen verschließen, auch wenn Sie selbst beteuern, dieser Dynamik der Gewalt widerstehen zu wollen; denn politisches und militärisches Handeln wird nicht nur von Absichten und Interessen, sondern auch von den zur Verfügung stehenden Fähigkeiten bestimmt. Daher ist immer größte Skepsis geboten, wenn es um Aufrüstung geht, und – ja – auch und gerade Skepsis gegenüber sich selbst. Wie schnell so ein Meinungsumschwung vonstatten geht, sieht man sehr gut in den USA. Als Israel im Jahr 2000 während der zweiten Intifada zum ersten Mal durch den Einsatz bewaffneter Drohnen Personen gezielt tötete, hat das die damalige US-Regierung als illegitim verurteilt. Heute dagegen sind gezielte Tötungen durch Drohnenangriffe das Mittel der Wahl für den Friedensnobelpreisträger Obama – im Antiterrorkampf in Pakistan, im Jemen und in Somalia. Die Zahl dieser völkerrechtswidrigen Angriffe, die auch viele zivile Opfer fordern, ist während seiner Präsidentschaft massiv nach oben geschnellt. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: So ist es!) Schnell ist so die kritische Haltung der amerikanischen Politik und der amerikanischen Gesellschaft verraucht. Sehr schnell ist man der Versuchung erlegen, seine Gegner lieber bequem, einfach und anonym auszuschalten – Völkerrecht hin oder her. Die entscheidende Frage lautet doch: Wofür braucht denn die Bundeswehr, die bereits über Aufklärungsdrohnen verfügt, angeblich so dringend bewaffnete Systeme? (Zuruf von der LINKEN: Will mitspielen!) In ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage liefert Schwarz-Gelb darauf eine haarsträubende Antwort. „Zur Abschreckung“, heißt es da ganz allgemein und offiziell. Diese Begründung aus der rhetorischen Mottenkiste des Kalten Krieges ist doch wirklich abstrus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Warum?) – Das erkläre ich Ihnen gerne. – In Wirklichkeit schrecken Drohnenangriffe nicht ab, sondern tragen im Gegenteil massiv zur Eskalation und Radikalisierung in Konflikten bei. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Ursache und -Wirkung umgedreht!) Es gibt Studien renommierter Universitäten, die zeigen, dass durch die von den USA in Afghanistan und Pakistan durchgeführten Drohnenangriffe der Extremismus befeuert und die Rekrutierung neuer Kämpfer stark befördert wird. (Zuruf von der CDU/CSU: Kaffeesatzleserei! – Gegenruf des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Studienleserei! Das kennen Sie nicht!) – Dann lesen Sie einmal die Studien! Ein weiterer Grund, der für die Beschaffung bewaffneter Drohnen aufgeführt wird, ist der Schutz der Bundeswehrangehörigen durch Luft-Boden-Unterstützung. Ich möchte, Herr Minister, an dieser Stelle eines klarstellen: Als Abgeordnete haben wir eine besondere Verantwortung für den größtmöglichen Schutz der Soldatinnen und Soldaten, die wir als Parlament in den Einsatz schicken. (Henning Otte [CDU/CSU]: Genau -deswegen!) Ich finde es unredlich, dass Sie uns das in Abrede stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE] – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Tun wir nicht!) Ich bin aber überhaupt nicht davon überzeugt, dass die Beschaffung bewaffneter Drohnen diesem Zweck dient. Auf unsere Frage, wie oft deutsche Truppen im Auslandseinsatz Unterstützung durch bewaffnete Drohnen von Verbündeten erhielten, nannte die Bundesregierung genau zwei Fälle in Afghanistan. In beiden Fällen wäre auch der Einsatz der bemannten Luftunterstützung möglich gewesen. Da waren auch keine Leben von deutschen Soldaten gefährdet. Bevor die Koalition Gelder für teure militärische Fähigkeiten freigibt, sollten, nein, müssen Sie zuerst die Frage beantworten, an welchen Einsätzen sich die Bundeswehr in Zukunft beteiligen soll. Darauf hat und gibt diese Bundesregierung keine Antwort. Dabei ist es mit Blick auf die gravierenden und uns allen bekannten Auswirkungen auf die Kriegsführung umso wichtiger, eine grundlegende gesellschaftliche und friedenspolitische Debatte über den Einsatz dieser automatischen Waffensysteme zu führen, und zwar vor und nicht nach der Entscheidung über die Beschaffung bewaffneter Drohnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Genau diese Debatte haben wir Grüne in einem eigenen Antrag eingefordert. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben das abgelehnt, und das unter höchst widersprüchlichen Aussagen und ohne eine wirkliche Begründung. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) Heute in der Afghanistan-Debatte habe ich aufgehorcht, als Abgeordnete der CDU/CSU, genauso wie Frau Hoff gerade, dann doch wieder eine Diskussion in Bezug auf die Drohnen gefordert haben. Meine Damen und Herren der Koalition, ich nehme Sie jetzt einmal beim Wort. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wir stehen am Anfang!) Wenn Sie das ernst meinen, dann dürfen Sie jetzt die Beschaffung eines zu Recht hochumstrittenen Waffensystems, das zahlreiche ethische, völkerrechtliche und -rüstungskontrollpolitische Fragen aufwirft, nicht einfach abnicken. Dann müssen Sie auch vom Kurs dieser schwarz-gelben Regierung Abstand nehmen, die sich offensichtlich schon entschieden hat; denn sie blendet die Risiken und Gefahren dieses neuen Waffensystems aus und hechelt dieser technologischen Entwicklung kopflos hinterher. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein, nein, nein! Alles an den Haaren herbeigezogen!) Diese verantwortungslose Politik machen jedenfalls wir Grüne nicht mit und erteilen daher Ihren Plänen, waffenfähige Drohnen zu beschaffen, eine klare Absage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat das Wort der Kollege Bernd Siebert von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Bernd Siebert (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einmal mehr wollen die Linken sinnvollen technologischen Fortschritt ausbremsen. (Lachen bei der LINKEN) Die Erfahrung zeigt jedoch, dass solche Versuche zum Scheitern verurteilt sind. Es werden unnötig Ängste geschürt, und losgelöst von Fakten wird Stimmung gemacht. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das Gegenteil von verantwortungsvoller Politik. Ich plädiere für einen anderen Weg: Lassen Sie uns die Rahmenbedingungen mitgestalten, die zum Einsatz von bewaffneten Drohnen dazugehören! Lassen Sie uns Deutungshoheit über dieses wichtige Thema gewinnen! Denn nur wer sich konstruktiv beteiligt, nimmt Einfluss auf die Entwicklung. Deswegen ist der Ansatz der Kritiker, laut „Nein!“ zu rufen und den Kopf in den Sand zu stecken, nichts anderes als kontraproduktiv. Es muss darüber diskutiert werden, welche Rahmenbedingungen wir uns selbst bei dieser Technologie auferlegen. Daher bin ich Verteidigungsminister de Maizière auch außerordentlich dankbar, dass er heute hier das Wort ergriffen und diese Position am Anfang dieser Diskussion deutlich gemacht hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wegen unseres Antrages!) Im Namen meiner Fraktion lade ich Sie alle dazu ein, diese Diskussion gemeinsam zu führen. Ich bin mir sicher: Dann finden wir auch eine Lösung. Am 30. Juli 2012 hat unser Kollege Rainer Arnold erklärt – ich darf zitieren –: Das ist ein Waffensystem, dem die Zukunft ge-hört … Auf längere Sicht wird an der Anschaffung von bewaffneten Drohnen kein Weg vorbeigehen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Recht hat er. Bevor wir allerdings über die Zukunft sprechen, lohnt ein Blick auf die Gegenwart. Dabei offenbart sich Erstaunliches; denn weder das Thema Drohnen ist neu, noch ist das Nachdenken über die Bewaffnungsoptionen neu. Drohnen sind seit vielen Jahren in der Bundeswehr eingeführt, kleine und inzwischen auch große; es gibt sie übrigens auch bei der Polizei. (Inge Höger [DIE LINKE]: Aber ohne -Waffen!) Auch eine mögliche Bewaffnung hat Verteidigungs-minister de Maizière bereits vor Monaten angesprochen. Schon zu Zeiten der Großen Koalition haben wir über diese Fragen diskutiert. Die neuerliche Empörungswelle, die Sie jetzt anstoßen wollen, ist daher arg konstruiert und hängt sicherlich mit einem Datum im Laufe dieses Jahres zusammen. Derzeit wird die israelische Aufklärungsdrohne -Heron 1 durch die Bundeswehr eingesetzt. (Zuruf von der LINKEN: Schlimm genug!) Sie leistet in Afghanistan wertvolle Dienste und wird dies auch bis zum Abschluss der ISAF-Mission Ende 2014 tun. Dennoch müssen wir über die Zeit nach 2014 nachdenken. Genau das wird getan, und zwar nicht erst seit gestern. Aus beobachtbaren Trends werden Schlussfolgerungen gezogen. Eine davon ist, dass die unbemannte Luftfahrt eine immer größere Rolle spielt und die Bundeswehr als moderne Armee diesen Trend nicht verschlafen sollte. Der technologische Fortschritt in diesem Sektor ist in der Tat enorm. Es wäre also geradezu widersinnig und auch unwirtschaftlich, bei der Entwicklung oder Beschaffung eines Nachfolgemodells für Heron 1 technische Möglichkeiten bewusst auszuklammern. Wenn wir jetzt ein System entwickeln oder beschaffen, das nicht bewaffnet ist, zu einem späteren Zeitpunkt diese Fähigkeit jedoch benötigt wird, dann wird dies – das ist heute schon klar – deutlich teurer, als wenn wir frühzeitig über diese Option nachdenken. Die Bewaffnungsoption – das Wort drückt es bereits aus – sagt auch nichts darüber aus, ob und, wenn ja, wie diese Waffen eingesetzt werden. Hier unterscheiden sich Drohnen im Übrigen nicht von anderen Waffensystemen. Ob und, wenn ja, wann eine Waffe eingesetzt wird, diese Entscheidung trifft ausschließlich ein Mensch – nicht irgendein Computer –, und dieser Mensch trägt die Verantwortung für seine Entscheidung. So ist es in allen Armeen der Welt üblich. Bewaffnete Drohnen ändern daran überhaupt nichts. Das Argument, dass Drohnen militärische Gewalt erleichtern würden, ist ebenfalls falsch. Eine Entscheidung, die ohne eigene Gefährdung getroffen wird, ist objektiver und durchdachter als eine Entscheidung unter persönlicher Bedrohung. Das ist gerade der Vorteil des unbemannten Flugzeugs. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Am besten, man schafft den Menschen ab!) Der Pilot kann ohne diesen Stress eine objektive Entscheidung anhand von Aufklärungsergebnissen treffen. Im Prinzip müssten also gerade die Kritiker die größten Befürworter bewaffneter Drohnen sein; denn unter Stress passieren die meisten Fehler. Wer bedroht wird, schießt auch schneller. Und ist es nicht auch vernünftiger und verantwortungsvoller, eine Maschine statt eines Menschen in eine gefährliche Situation zu bringen? Die Sicherheit unserer Piloten muss bei dieser Debatte jedenfalls für uns auch einen wichtigen Stellenwert haben. Ich komme zum Ende; meine letzte Bemerkung. In Abwägung aller Argumente unterstütze ich deshalb die Überlegungen des Verteidigungsministeriums. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wer hätte das gedacht?) Langfristig ist die unbemannte Luftfahrt ein Zukunftsthema, an dem kein Weg vorbeiführt. Deutschland als Hochtechnologieland ist deshalb gut beraten, an vorderster Stelle präsent zu sein. (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Noch mehr Kriege! Noch mehr Waffen!) Dies lässt sich nur über selbstentwickelte Kompetenzen im europäischen Verbund erreichen. Deshalb ist mein dringendes Petitum, dass eine wie auch immer geartete Nachfolgelösung für Heron 1 eine europäische Eigenentwicklung weder verhindern noch verzögern darf. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ich danke Ihnen nicht!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Rainer Arnold. (Beifall bei der SPD) Rainer Arnold (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer nett, wenn man zitiert wird, Kollege Siebert, aber es gehört noch ein zweiter Teil zu dem Zitat. Ich habe nämlich dazugesagt: Es sind eine Reihe wichtiger Fragen zu diskutieren und zu klären. – Damit das noch einmal festgehalten wird: Die Bundesregierung hat von sich aus überhaupt nichts zur Klärung dieser Fragen beigetragen, sondern das geschah aufgrund der Anträge des Parlaments. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Ach was, Herr Arnold! Das zum Thema Eigenlob!) Meine Fraktion hat schon vor längerer Zeit eine Große Anfrage gestellt. Sobald die Antwort vorliegt, wird es eine breite Gelegenheit geben, zu diskutieren. Heute Morgen hat Ihr Kollege Schockenhoff mit einem völlig falschen Argument die Beschaffung von Kampfdrohnen gefordert, nämlich mit Bezug auf Afghanistan. Das ist falsch. In Afghanistan wird der Kampfauftrag nämlich auf Sicht enden. Um es klar zu sagen: Die Bundeswehr hat keine aktuelle Fähigkeitslücke. Deshalb fragen wir uns schon: Warum diese Eile? Warum sollen noch vor der Bundestagswahl Fakten geschaffen werden? Haben da irgendwelche Leute Sorgen, dass eine neue Regierung vielleicht sorgfältiger an dieses Thema herangeht? (Lachen bei der CDU/CSU – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Die neue wird die alte sein!) Da kann ich Ihnen nur sagen: Diese Befürchtung, falls sie da ist, ist begründet. Je schneller Sie beschaffen wollen, desto genauer werden wir hinschauen müssen. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Ist bei Ihnen schon Wahlkampf?) Lassen Sie mich nun zu den Fragen kommen, die offen sind, Herr Minister. Es war kein guter Aufschlag, zu sagen: Waffen sind per se neutral. (Markus Grübel [CDU/CSU]: Das hat er ja -relativiert, Herr Arnold!) Man kann über bewaffnete Drohnen nicht diskutieren, ohne den Hintergrund der derzeitigen Einsatzrealität einzublenden. Es ist nicht wahr, dass Drohnen in Afghanistan zum Schutz der Soldaten eingesetzt werden. Es ist einfach Fakt, dass bewaffnete Drohnen derzeit, ob von Israel oder von den Vereinigten Staaten, zum gezielten Töten eingesetzt werden. (Elke Hoff [FDP]: Sie werden auch zum Schutz eingesetzt!) Natürlich ist es auch richtig, dass das völkerrechtswidrig ist. Das muss man auch sagen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Genauso ist es richtig, dass ein deutscher Kommandeur, sollte er so einen Befehl geben, strafrechtlich belangt würde und dass jeder deutsche Soldat so einen Befehl nicht nur verweigern dürfte, sondern verweigern müsste. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU]: Verweigern muss!) Dies muss geklärt und gesagt sein. Das Zweite ist – da greife ich auf, dass von der Kollegin Hoff gesagt wurde, es müsse erst operativ Klarheit geschaffen werden –: Sie tun so, als ob eine Drohne einfach ein Flieger ohne Pilot wäre. Aber natürlich verändert sich durch den Einsatz von Drohnen etwas. Es liegt bis zum heutigen Tag keine Konzeption der Luftwaffe vor, in welchen Szenarien Drohnen notwendig sind und mit welchen operativen Fähigkeiten sie eingesetzt werden sollen. (Zurufe von der FDP) Dabei ist zu bedenken. Es ist doch so, dass gerade in asymmetrischen Szenarien die Verhaftung von Aufständischen und Terroristen Vorrang vor dem Töten hat. Besteht dann nicht ein Risiko, dass dieser Vorrang ein Stück weit verschoben wird, wenn bewaffnete Drohnen zur Verfügung stehen? Ist das nicht latent, auch so wie Sie heute diese Frage diskutiert haben? Darüber müssen wir doch reden. Wir wollen dies nicht, und deshalb muss man diese Szenarien präzisieren. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Sind Sie jetzt dafür oder dagegen?) Dritter Punkt. Warum reflektiert diese Koalition überhaupt nicht, dass Drohnen so billig sind? Das ist nicht schön. Dass Drohnen so billig sind, ist ein Problem; das kann, wenn wir uns nicht um Rüstungskontrolle in diesem Bereich kümmern, dazu führen, dass es zu einer massenhaften Verbreitung von Drohnen in der ganzen Welt kommt. Das macht unser Leben nicht sicherer, sondern gefährlicher. Darum müssen wir etwas tun, und das muss man mit diskutieren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vierter Punkt: Thema Einsatzschwelle. Natürlich hat es der Deutsche Bundestag in der Hand; aber dass es eine ernste Diskussion ist, dass sich Einsatzschwellen verändern, sehen wir ganz aktuell am Beispiel von Mali. Die Vereinigten Staaten wollen keine Soldaten dorthin schicken. Aber was schicken Sie in die Region? Kampfdrohnen. Da verändert sich also etwas. Amerika ist nicht irgendjemand; das ist unser Bündnispartner. Insofern sind hier doch Fragen zu klären. Der letzte Punkt ist Ihr Versuch, Herr Minister, Drohnen zu verniedlichen, indem Sie sagten, sie seien wie Flugzeuge. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Stimmt aber! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Fliegt aber!) – Sie tun es gerade auch, Herr Kollege; finde ich eigentlich schade. Man darf doch nicht außer Acht lassen, dass diese Technik zunehmend eine Informationsfülle liefert, die aufzunehmen und zu verarbeiten Menschen gar nicht mehr in der Lage sind. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Aber eher bei der Drohne als bei einem Flugzeug!) Dies heißt, dass zuvor Rechenoperationen durchgeführt werden, bei denen Computer entscheiden und selektieren, und der Mensch am Ende dasitzt. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Das ist bei einem Computer immer so!) Ganz am Ende dieser technischen Entwicklung werden völlig autonome Systeme stehen, die nur noch programmiert werden. Wollen wir das bei den Debatten ausblenden? Um es klar zu sagen: Zu dieser Debatte gehört eine klare völkerrechtliche Ächtung von automatisierten Systemen. Aus diesem Grund müssen wir diese Diskussion führen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wenn wir all diese Diskussionen geführt haben, dürfen und müssen wir am Ende auch über Industriepolitik reden, ja. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Aber erst nach der Wahl, wahrscheinlich!) Ich glaube schon, dass unbemannte Flugzeuge – zivil und militärisch – in der Zukunft eine bestimmte Bedeutung haben werden und ihre Bedeutung steigen wird. Deshalb haben wir ein industriepolitisches Interesse, und deshalb, Herr Minister, wäre es richtig, auch wenn es schwierig ist, geduldig und ohne Eile mit unseren europäischen Partnern zu verhandeln. Dabei muss man respektieren, dass in Frankreich erst ein Weißbuch, eine Reform der Streitkräfte diskutiert werden wird. Am Ende dieser Diskussion wird es vielleicht dazu kommen, dass Europa sich gemeinsam diesem Thema zuwendet, nicht nur in der Entwicklung, sondern vielleicht auch im Sinne der vertieften europäischen Zusammenarbeit, auch im Betrieb. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Das ist rüstungspolitisch aber Quatsch! So funktioniert das nicht!) Solange dies nicht geschehen ist, Herr Minister, wäre es falsch, schnell einmal ein amerikanisches System zu kaufen, das möglicherweise auch die Vision der europäischen Sicherheitspolitik ein Stück weit in die falsche Richtung vorprägt. Nehmen Sie sich deshalb in diesem Bereich die entsprechende Zeit! Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Rainer Arnold (SPD): Ich bin gleich fertig. – Damit wollte ich sagen: Wenn Sie die Einwände nicht wegwischen, sondern der Dialog, der heute begonnen hat, weitergeht, dann kann am Ende eine verantwortungsvolle Entscheidung stehen, die vielleicht eine breite parlamentarische Zustimmung findet. Das geht aber nicht innerhalb weniger Wochen, sondern diese Anstrengung verdient wirklich Sorgfalt vor Eile. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: So wie wir das machen: Sorgfalt vor Eile!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Christoph Schnurr das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christoph Schnurr (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über eine doch recht neue militärische Fähigkeit. Die Kollegin Brugger hat am Anfang ihrer Rede einige offene Fragen angesprochen, die wir uns, glaube ich, alle stellen. Dabei ging es um wichtige Aspekte. Aber dann sagte sie, sie habe das Gefühl, dass CDU/CSU und FDP hier ausschließlich das abnicken wollen, was die Regierung vorhat. Das weise ich mit Entschiedenheit zurück. Denn wir stehen am Anfang der Debatte, von mir aus auch in der Mitte, aber ganz sicher nicht an ihrem Ende. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Arnold, Sie haben gerade ausgeführt, dass die Koalitionsfraktionen momentan keine sorgfältige Debatte führten. Wir treffen aber doch heute überhaupt keine Entscheidung. Dass es heute diesen Tagesordnungspunkt gibt, ist den Linken zu verdanken. Wir befinden uns jedenfalls in der Debatte, und das ist doch mehr als begrüßenswert. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) Zunächst einmal müssen wir insgesamt festhalten, dass die Bundeswehr bereits über Drohnen verfügt, die auch in den Auslandseinsätzen zum Einsatz kommen. Es ist bereits angesprochen worden: Heron 1 wird in Afghanistan eingesetzt und verfügt über keinerlei Bewaffnung, sondern dient vielmehr als reines Aufklärungsmittel. Genauso werden KZO und LUNA in Afghanistan und auch im Kosovo als reine Aufklärungsmittel eingesetzt. (Rainer Arnold [SPD]: Dagegen spricht doch gar nichts!) Wie Sie alle wissen, ist Heron 1 geleast; der Vertrag läuft demnächst aus. Es geht also um die Neubeschaffung einer Drohne und um die Frage, ob diese bewaffnet sein wird. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Einsatz unbewaffneter Drohnen haben gezeigt, dass die Nutzung dieser militärischen Fähigkeit unter anderem in Afghanistan einen erheblichen Mehrwert für die Truppe darstellt, (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wieso das denn? – Weitere Zurufe von der LINKEN: Gerade nicht! – Gezieltes Töten!) angefangen bei den Echtzeitübertragungen, die damit möglich sind. Ich glaube, dass wir in diesem Zusammenhang alle einer Meinung sind und den Mehrwert der bisher vorhandenen Drohnen für die Truppe nicht wirklich als streitig ansehen können. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das weise ich zurück!) Doch wie verhält es sich mit dem Einsatz derselben Technologie, mit Drohnen, wenn sie bewaffnet sind? Es gibt eine Reihe von offenen Fragen und Sorgen. Eine dieser Sorgen ist – sie wurde angesprochen –, dass mit dieser neuen Waffentechnologie die Hemmschwelle für einen Einsatz gesenkt wird, sprich die Hemmschwelle für einen Krieg gesenkt wird. Diese Sorge müssen wir ernst nehmen; darüber müssen wir ganz offen debattieren und diskutieren. Ich jedenfalls bin davon überzeugt, dass die Hemmschwelle für einen Einsatz durch bewaffnete Drohnen nicht gesenkt wird. Denn über die Teilnahme an militärischen Auseinandersetzungen, über die Auslandseinsätze entscheiden immer noch wir hier im Deutschen Bundestag. (Florian Hahn [CDU/CSU]: So ist es!) Es liegt also an uns allen: Es liegt in unserer Verantwortung, dass die Hemmschwelle für einen Einsatz, für eine militärische Auseinandersetzung, möglichst hoch bleibt, auch wenn wir über die militärische Fähigkeit bewaffneter Drohnen verfügen sollten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine weitere Sorge ist, dass bewaffnete Drohnen für gezielte Tötungen eingesetzt werden könnten. Hier ist eine Parallele zu den USA gezogen worden. Auch das halte ich für abwegig. Gezielte Tötungen gehören nicht zu unserer Rechtsordnung. Wir müssen diese Diskussion zwar aufnehmen, aber eines steht doch fest: Wir haben bereits militärische Fähigkeiten für gezielte Tötungen, setzten diese aber nicht ein, weil wir gezielte Tötungen für grundsätzlich falsch halten. Herr Arnold, Sie haben davon gesprochen, dass die USA die entsprechenden Systeme zum großen Teil für gezielte Tötungen verwenden und sie nicht zwangsläufig für den Schutz der eigenen Truppe eingesetzt werden, beispielsweise in Afghanistan. Das ist nicht richtig; das ist nicht korrekt. (Rainer Arnold [SPD]: Doch! Waren Sie mal dort?) Die unbemannten Drohnen, ob mit oder ohne Bewaffnung, dienen im Wesentlichen dem Schutz der eigenen Soldatinnen und Soldaten, auch bei den amerikanischen Verbündeten. Insofern stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob wir uns dieser Technologie wirklich verwehren. Ich glaube, dass eine Reihe von Fragen nach wie vor offen ist. Natürlich müssen wir uns mit diesen Fragen beschäftigen, bevor wir diese Technologie anschaffen. Der Minister hat eine breite öffentliche Diskussion hierüber eingefordert. Ja, wir brauchen eine solche Dis-kussion über bewaffnete Drohnen, und diese sollte ergebnisoffen, sachlich und konstruktiv geführt werden. Zu dieser Diskussion gehört es meiner Meinung nach auch, dass die Bundesregierung uns Parlamentarier und die Öffentlichkeit über ihre Vorstellungen von möglichen Einsatzszenarien informiert und dass sie uns eine sicherheitspolitische Begründung für die Notwendigkeit einer solchen Beschaffung klar darlegt, nicht zuletzt aus dem Grund, dass die Systeme nicht besonders günstig sind. Im Zusammenhang mit den Sparzwängen müssen wir auch hier über die Finanzierbarkeit sprechen. Meine Damen und Herren, es gibt offene Fragen. Die Diskussion muss geführt werden. Die technologischen, finanziellen, sicherheitspolitischen und ethischen, aber natürlich auch die rechtlichen Aspekte müssen wir offen diskutieren. Wir befinden uns mitten in dieser Diskussion und nicht am Ende. Ich glaube, dass die Diskussion noch ein bisschen Zeit braucht. Nehmen wir uns diese! Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin Inge Höger das Wort. (Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Und das auf leeren Magen!) Inge Höger (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bewaffnete Drohnen werden gebaut, um Menschen zu töten. Da beißt die Maus keinen Faden ab. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Ja, ist eben eine Waffe!) Diese schrecklichen Mordwaffen will nun auch die Bundesregierung anschaffen. Das lehnt die Linke entschieden ab. (Beifall bei der LINKEN) Bei angeblichen Antiterroreinsätzen in Afghanistan und Pakistan, im Jemen, in Somalia und in den Palästinensergebieten führen Israel und die USA immer wieder „gezielte Tötungen“ gegen vermeintliche Terroristen durch. Gezielte Tötungen sind völkerrechtswidrig. Das wurde hier von verschiedenen Rednern bestätigt. Bei diesen Aktionen kommen regelmäßig Zivilistinnen und Zivilisten ums Leben. Ganze Hochzeitsgesellschaften wurden schon durch diese unbemannten Flugzeuge angegriffen und viele Menschen getötet. Später heißt es dann lakonisch, das seien Kollateralschäden. Herr de Maizière, Sie haben sich gerade für gezielte Tötungen ausgesprochen. Das finde ich zynisch. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Er hat das erklärt! Und Sie machen eine Polemik hier, mein Gott im Himmel!) – Er hat angesprochen, dass er das für sinnvoll hält. (Michael Brand [CDU/CSU]: Sie sind auf -einem Auge blind!) Daran, dass nach Angaben der britischen Initiative „Bureau of Investigative Journalism“ allein in Pakistan zwischen 475 und 890 Zivilistinnen und Zivilisten durch US-Drohnen getötet wurden, (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Sie sind Teilnehmer asymmetrischer Kriegsführung, Frau Höger! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Vielleicht ist sie ja auch eine Drohne!) sieht man genau, was das Ergebnis dieser Kriegsführung ist in einem Land, das nicht am Krieg beteiligt ist. Nun plant die Bundesregierung die Anschaffung solcher Killerwaffen. Das wird die Linke nicht akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Es ist alles so schlicht!) Die Regierung behauptet, der Einsatz von Kampfdrohnen würde die Kriegsführung optimieren. Es würde eine neue Dimension der militärischen Auseinandersetzung geschaffen. Davor kann jeder vernünftige Mensch nur warnen. (Beifall bei der LINKEN) Herr de Maizière, Sie behaupten, Kampfdrohnen seien ethisch neutral oder sogar ethisch von Vorteil, weil kein Soldat drin sitzt, der beim Einsatz umkommen könnte. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie haben die Hälfte von dem vergessen, was er dazu gesagt hat!) Das ist skandalös. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Soldaten ist skandalös!) Die Zeit titelte kürzlich: Der Präsident hakt das Ziel ab, der Pilot am Bildschirm drückt auf den Knopf. Nun will auch die Bundeswehr Kampfdrohnen einsetzen. Hier wird die Illusion von einem sauberen Krieg geschaffen, bei dem die Soldatin oder der Soldat zu Hause vom Home Office aus mal eben ein paar Ziele bombardiert. (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: „Mal eben bombardiert“ – das ist eine Unverschämtheit, so etwas zu sagen!) Zwischendurch wird vielleicht ein Computerspiel gespielt oder das Baby gewickelt. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was malen Sie denn für ein Bild von unseren Soldatinnen und Soldaten? Am „Home Office“? Frau Höger, schämen Sie sich!) Zynischer geht es kaum, ganz genau. Krieg ist immer schmutzig. Hinter den Angriffszielen befinden sich immer auch Menschen, die getötet werden können. In einer Studie der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung heißt es: Der Drohneneinsatz provoziert … asymmetrische Reaktionen… Je stärker sich aber die Soldaten der überlegenen Seite dem Schlachtfeld entziehen und Maschinen ihren Platz einnehmen lassen, umso mehr wächst für die unterlegene Seite der Anreiz, den Konflikt in das Herkunftsland der Truppen zu tragen. Terrorexperten sehen deshalb die Gefahr, dass die Anzahl der Angriffe auf zivile Ziele in westlichen Staaten steigen wird, je mehr die Automatisierung des Krieges voranschreitet. (Ernst-Reinhard Beck [Reutlingen] [CDU/CSU]: Frau Höger, das ist alles Unsinn! – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Da sind Sie ja selber Expertin! Sie kennen sich ja aus mit Terror, Terror gegen Israel!) Die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung hat das gesagt. Die Drohnenpläne der Bundesregierung erhöhen also die Terrorgefahr bei uns in Deutschland. Das ist unverantwortlich. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke und die Friedensbewegung fürchten, dass die Hemmschwelle für den Einsatz militärischer Gewalt sinken wird, (Michael Brand [CDU/CSU]: Hören Sie auf, unsere Soldaten zu diffamieren!) wenn dabei keine eigenen Soldatinnen und Soldaten getötet werden können. Ich sage: Das beste Mittel gegen tote Soldatinnen und Soldaten ist, gar nicht erst Krieg zu führen. (Beifall bei der LINKEN – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Danke für den Hinweis! Ganz toll!) Aus den USA sind inzwischen die ersten Fälle von Soldatinnen und Soldaten bekannt, die an ihrem Computerabschussplatz für scharfe Waffen an Posttraumatischer Belastungsstörung erkrankten. Offenbar ist das, was sie per Mausklick am anderen Ende der Welt anrichten, doch nicht so ethisch unbedenklich, wie hier behauptet wird. Die Linke fordert deshalb: Kein Einsatz und keine Beschaffung von Drohnen! Wir wollen einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag, der Drohnen umfassend ächtet, der die Produktion, den Erwerb und den Einsatz von Drohnen wirksam verbietet. (Beifall bei der LINKEN) Nein zu Kampfdrohnen! Kein Krieg, nirgendwo! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege Florian Hahn. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Florian Hahn (CDU/CSU): Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Manche Wortmeldungen hier im Parlament machen einen fast sprachlos. – So viel zu meiner Vorrednerin. Ich komme noch einmal darauf zurück. Unbemannte, autonome Hightechsysteme sind zivil und militärisch Zukunftstechnologien. (Inge Höger [DIE LINKE]: Es geht um den Einsatz bewaffneter Drohnen!) Die Bundeswehr benutzt bereits diese Technologien, und zwar sehr erfolgreich. Deshalb ist es richtig, uns zu überlegen, mit welcher Technik wir zukünftig die unbemannten Kampfmittel unserer Streitkräfte ausrüsten wollen. Das löst auch eine Diskussion über die Frage aus, ob wir diese bewaffnen wollen oder nicht. Für unsere Soldaten ist die Antwort darauf klar; denn Kampfdrohnen reduzieren die Gefahr im Einsatz deutlich. Der Vorsitzende des Deutschen BundeswehrVerbandes sagt dazu: Jede Soldatin, jeder Soldat, der nicht unmittelbar im Gefecht stehen muss, ist natürlich wünschenswert. Lassen Sie mich auf einige Kritikpunkte eingehen, die von der Opposition genannt wurden. Es geht beispielsweise darum, ob durch bewaffnete Drohnen die Hemmschwelle zum Töten sinkt. Indirekt bedeutet diese Kritik: Man ist nicht einverstanden damit, dass es für unsere Soldaten einen risikoarmen Einsatz gibt. Es ist sozusagen nicht fair, dass unsere Soldaten nicht der gleichen Gefahr ausgesetzt sind wie ihre Gegner. Das ist zynisch, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Einsätze belasten unsere Soldaten enorm. Es ist doch nicht nachteilig, wenn sie weniger in direkte Kampfhandlungen verwickelt werden. Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass unsere Gegner Terroristen sind, deren Hemmschwelle ohnehin ungemein niedriger ist als die unserer Soldaten. (Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für eine Argumentation?) Diese Terroristen machen mit ihrer hinterhältigen, unberechenbaren Guerillataktik den Einsatz der Drohnen erst sinnvoll. Das zweite Argument, das immer wieder genannt wird, ist: Beim Einsatz von unbemannten Drohnen sei die Zurechenbarkeit zu einem verantwortlichen Akteur nicht mehr möglich. – Auch was herkömmliche Flugzeuge angeht, ist es so: Es entscheidet nicht der Pilot, sondern der Einsatzführer. Der Pilot liefert lediglich die Waffenwirkung, die meist von den Bodentruppen angefordert wird. In Afghanistan muss sogar jeder Schießbefehl vom Hauptquartier freigegeben werden. So unterscheiden sich unbemannte, bewaffnete Luftfahrzeuge in ihrer Wirkung nicht von bemannten. Am Schluss der Befehlskette entscheidet ein Mensch, eine Rakete abzuschießen. In beiden Fällen ist es nicht der Pilot. Ein drittes Argument, das schon der Kollege Schnurr dankenswerterweise richtiggestellt hat, bezieht sich auf den Vorwurf: Durch die neue Fähigkeit wird es mehr Auslandseinsätze geben. – Ob dies der Fall sein wird, ist nicht allein von einer Fähigkeit abhängig, sondern davon, welche Gefahren uns in Zukunft drohen. Die Entscheidung wird außerdem weiterhin hier in diesem Parlament getroffen. Es kommt also auf uns an und nicht auf eine Fähigkeit. Der Bundeswehr, Frau Höger, zu unterstellen, sie würde durch eine neue technische Fähigkeit Gefahr laufen, moralisch und ethisch zu verkommen, ist eine Unverschämtheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Bundeswehr hat gerade in den vergangenen und den aktuellen Einsätzen immer wieder bewiesen, dass wir uns besonders an Regeln halten. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: So wie in -Kunduz!) Das ist im Übrigen auch der Grund, warum wir ein hohes Ansehen bei unseren Bündnispartnern und in den Einsätzen genießen. Manche Einlassungen – im Vorfeld der heutigen Debatte, aber auch jetzt während der Debatte – verwirren mich ein bisschen, (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das merkt man!) vor allem die vonseiten der SPD. Heute im Morgen-magazin sagte der Kollege Arnold von der SPD: Keine Beschaffung bewaffneter Drohnen vor der Wahl. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber hinterher!) Man habe große ethische Bedenken. Man brauche noch lange Diskussionen, aber nach der Wahl sei eine Beschaffung in Deutschland selbstverständlich denkbar. – Was ist denn nun? (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Genau!) Ich fürchte, Sie wollen dieses Thema lediglich im Wahlkampf nutzen und ausschlachten. Das geht aber zulasten unserer Soldatinnen und Soldaten. Das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Meine Meinung zu diesem Thema ist: Ja, langfristig sollte die Bundeswehr über bewaffnete unbemannte Systeme verfügen. Ja, die Bundeswehr wird auch mit dieser Fähigkeit angemessen umgehen und sich an dieselben Regeln halten wie bisher. Und ja, wir sollten in Deutschland und Europa die technische Fähigkeit zum Bau solcher Systeme schaffen, um nicht von anderen abhängig zu sein. Damit sichern wir im Übrigen auch mehrere Hundert Arbeitsplätze. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Mehrere -Hundert?) Ich habe heute in einem Blog, verlinkt mit Welt.de, folgenden Kommentar gelesen: Welche Alternativen gäbe es denn? … Mediatoren einzusetzen gegen Al Kaida, wie es die Partei der Linken fordert? Etwa der Verzicht auf die Panzerung bei Panzern, weil sie den Krieger schützt und damit den Krieg „leichter“ machen könnte? (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Verzicht auf den Krieg!) Darüber sollten Sie sich Gedanken machen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels hat das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Dafür und dagegen, in einer Person!) Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Warum kommt plötzlich so eine Hektik in die Debatte über die Anschaffung neuer Drohnen für die Bundeswehr? Warum soll vor der Bundestagswahl noch eine Kaufentscheidung über drei – drei! – bewaffnungsfähige UAVs getroffen werden? (Michael Brand [CDU/CSU]: Was spricht -dagegen?) Glaubt die Koalition ernsthaft, dass das Thema „Kampfdrohnen – ja oder nein?“ ein gutes Mobilisierungsthema ist, (Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie wollen es nutzen im Wahlkampf! – Michael Brand [CDU/CSU]: Was spricht denn dagegen?) nach dem Motto: „Hier die Hardlinerparteien, dort die Wattebauschparteien“? Viel Vergnügen mit dieser Pappkameradeninszenierung, Kollege Hahn! Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie das Tempo raus, und klären Sie erst einmal die Fragen, von denen Sie gestern noch selbst der Meinung waren, dass sie geklärt werden müssen, Herr Minister! (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wie ist die Haltung der Bundesregierung zur amerikanischen Kampfdrohnenpraxis in Pakistan und anderswo? (Elke Hoff [FDP]: Was hat das mit der -Beschaffung zu tun? Herrgott!) Was sagen Sie den Amerikanern? Ist das Einzige, was Sie ihnen sagen: „Wir wollen auch solche Maschinen haben, aber wir wollen sie natürlich ganz anders einsetzen als ihr“? Klären Sie Ihre Position, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht nicht um Banalitäten. Selbst wenn diese Automaten in erklärten, bewaffneten Konflikten, vielleicht sogar unter UNO-Mandat, eingesetzt werden, ist doch längst nicht alles business as usual. Uns liegt ein Bericht des Bundestagsbüros für Technikfolgenabschätzung vor. Dort heißt es: Mit den Trends zur Depersonalisierung und Automatisierung des Schlachtfelds sind auch dringliche ethische Fragen bezüglich technischer Systeme als „moralisch Handelnde“ aufgeworfen. Es geht um die Frage – ich zitiere weiter –, ob und inwiefern menschliche Entscheidungsträger im Zusammenspiel mit technischen, zunehmend auch autonomen Systemen ihrer Verantwortung gerecht werden können … Ihre Aussage, die Drohnentechnik sei ethisch neutral, wollen Sie bitte nicht ernst gemeint haben, Herr Minister. Das amerikanische Beispiel der gezielten Tötungen von Verdächtigen aus der Luft ist kein Vorbild für uns. Aber auch das Szenario, das dem deutschen Verteidigungsminister vorschwebt, gewissermaßen Close Air Support im Gefecht einzelner Heerespatrouillen, ist nicht banal. Feuern wir zum Beispiel – nehmen wir das Szenario Afghanistan; es wird nicht so kommen, weil die Drohnen gar nicht vorhanden sind; aber wenn es so wäre – auf erkannte Kämpfer, wenn sie sich aus dem Gefecht lösen und fliehen? Sollen sie dann aus der Luft vernichtet werden? Auf wessen Befehl: des Zugführers vor Ort oder des Drohnenführers, der irgendwo in einem Container sitzt? Die NATO verfolgt in Afghanistan spätestens seit 2009 nicht das Ziel, möglichst viele gegnerische Kämpfer zur Strecke zu bringen. Erinnern wir uns an den Kunduz-Vorfall und an den Untersuchungsausschuss. Ich zitiere aus einem Tagesbefehl des damaligen COMISAF General McChrystal: In der üblichen Wahrnehmung bleiben, wenn aus einer Gruppe von zehn Aufständischen zwei getötet werden, acht übrig; zehn minus zwei gleich acht. Vom Standpunkt der Aufständischen sind die beiden Getöteten aber wahrscheinlich verwandt mit vielen anderen, die Rache üben werden. Wenn es zivile Opfer gibt, wird diese Zahl noch größer sein. Der Tod von Zweien bringt deshalb etliche zusätzliche Rekruten hervor: 10 minus 2 gleich 20. – Das ist ein Teil der Begründung dafür, dass, so McChrystal damals, acht Jahre im Einzelfall erfolgreicher Waffeneinsätze am Ende zu mehr Gewalt geführt haben. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Sind die Amerikaner jetzt die Guten oder die Bösen?) Das sagt der NATO-Oberbefehlshaber in Afghanistan nach dem von uns gewollten Strategiewechsel in Afghanistan. Diese Einschätzung teilen wir. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Und jetzt zurück zur Drohne!) Kampfdrohnen sind nicht die Lösung. Sie sind nicht die richtige, angepasste Militärtechnik für Counter-Insurgency, falls man das im Kopf haben sollte. Zu den drei bewaffnungsfähigen Drohnen, die ab 2016 in Jagel stationiert werden könnten: Was ist deren militärischer Beitrag zur Lösung welcher Konflikte? Was kann die Bundeswehr dann besser als heute? Was kann sie dann, was sie jetzt nicht kann? Ich empfehle uns: Lassen Sie uns die Zeit nehmen, um eine vernünftige, abgewogene Diskussion zu führen! Dabei kann die Option der Bewaffnungsfähigkeit eine Rolle spielen. Wir brauchen aber keine ideologische und keine auf den Wahlkampf ausgerichtete Diskussion. (Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie machen doch Wahlkampf!) Ich glaube übrigens nicht, dass die Zeit der bewaffneten Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber vorbei ist. Wir sind uns einig, was die Anschaffung von großen UAVs zur Aufklärung angeht. Aber dann machen Sie mal Druck, Herr Minister, damit die Probleme des Euro-Hawk in Manching gelöst werden. Davon brauchen wir insgesamt fünf für die SIGINT-Aufklärung – die alten Bréguet Atlantique sind längst außer Dienst gestellt –, plus fünf Euro-Hawk in der IMINT-Version: Optik, -Infrarot, Radar. Oder haben Sie das Projekt schon aufgegeben? (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nee, nee!) Unsere künftige mittlere Drohne, von der Sie langfristig weniger als 20 Stück einplanen, sollte ein deutsch-französisches Projekt sein, vielleicht unter Beteiligung anderer Nationen. Ob sie auch bewaffnungsfähig sein soll, müssen wir dann klären. Es sollte jetzt aber keine Vorfestlegungen geben. Wenn Sie ein Projekt suchen, bei dem Sie jetzt schnell entscheiden sollten, am besten noch vor der Bundeswahl: Das ist die Beschaffung eines neuen Marinehubschraubers. Diese Entscheidung ist seit sieben Jahren überfällig. Schönen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Karin Strenz hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Karin Strenz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man zu den letzten Rednern in einer Debatte gehört, fragt man sich im Verlauf natürlich, ob nicht schon alles gesagt worden ist. Da ich heute die Chance habe, zu reden, möchte ich darüber sprechen, was mir am Herzen liegt. Es ist völlig richtig, dass wir intensiv debattieren und nach der besten Lösung suchen. Es ist grundsätzlich in Ordnung, wenn man Bedenken äußert, Nachfragen und Zweifel hat. Wenn am Ende die richtigen Antworten gefunden werden – nur dann stehen Entscheidungen auf einem stabilen parlamentarischen Fundament. Seit ich dem Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages angehöre, beeindruckt mich genau das sehr: Niemand hat sich eine Entscheidung je leicht gemacht. Das ist genau das, was die Truppe an uns schätzt, die breite Basis bei sachlichen Entscheidungen; denn sie hat als Parlamentsarmee am Ende die Entscheidungen umzusetzen. Wir befassen uns heute mit einer Fähigkeitserweiterung, die ich persönlich für sinnvoll halte. Ich bin der Meinung, im Gegensatz zum Kollegen Arnold, dass es eine Fähigkeitslücke gibt, die es zu schließen gilt. Auseinandersetzungen wie in Afghanistan, asymmetrische Kriegsführung, Hinterhalte, Heckenschützen, Terroristen, organisierte Schwerstkriminelle, die nicht nach Regeln kämpfen und möglicherweise künftige Einsätze – all das erfordert doch förmlich ein Instrument, welches per se abschreckt, exzellent aufklärt und gegebenenfalls präzise wirken kann oder gar muss, gerade um Kollateralschäden zu minimieren und bestenfalls auszuschließen. Die Kollegen der Sozialdemokraten waren zur Zeit der Großen Koalition hinsichtlich ihrer Meinungsbildung offener und fortschrittlicher. Deshalb ist es nicht fair, Herr Kollege Arnold, heute einfach so zu tun, als müsse man das Thema neu erfinden und leidenschaftlich in eine andere Richtung diskutieren. Sie fordern – das finde ich beachtlich –: Wenn überhaupt, dann soll es eine europäische Lösung sein. An dieser Stelle haben Sie alle gemeinsam meine Sympathie; denn wenn wir mehr Verantwortung übernehmen wollen und auch müssen, kann es natürlich nicht schaden, aus den Kinderschuhen der europäischen Verteidigungspolitik herauszuwachsen, gerade im internationalen Kontext, und sich zu emanzipieren. Die Grünen warnen – das haben wir heute wieder erlebt – mantraartig vor dem drastischen Sinken der Hemmschwelle. (Andrej Hunko [DIE LINKE]: Zu Recht!) Wie kann man nur? Da sinkt sie glatt bei mir: Welche Charaktere und Reflexe unterstellen Sie eigentlich unseren Soldatinnen und Soldaten, (Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe von den politischen Entscheidungsträgern geredet! Vielleicht hätten Sie mal zuhören sollen!) die aus tiefster Überzeugung, mit Idealen und nach hervorragender Ausbildung Deutschland dienen? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie erwecken hier ja indirekt und stellenweise sogar direkt den Eindruck, als säßen 13-jährige Kids in Flecktarn vor einem Computerspiel, an der Steuerungstechnik einer Drohne, aus Spaß am Spiel, aus spontaner Eigen-initiative reagierend und operierend und bei gescheiterter Mission beliebig oft auf den Wiederholen-Button drückend. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Güte, sind Sie weltfremd!) Mein Gott, wo sind wir hier? (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das frage ich mich auch!) Da Truppe nicht klagt, weil Truppe nämlich nicht klagt, klage ich stellvertretend: Ich verwehre mich dagegen, dass Sie so etwas unterstellen. (Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich auch gar nicht gemacht!) Wie muss sich die Truppe fühlen? Wir reden über Mütter, Familienväter, Töchter, Söhne, Schwestern und Brüder, Bürger in Uniform, die verantwortungsvoll ihren Dienst tun. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die entscheiden doch gar nicht darüber!) Es sind im Übrigen genau dieselben, denen Sie hier immer vollmundig – in der Hoffnung auf Applaus – für ihren Dienst danken. Diesen Soldaten unterstellt man hin und wieder – ganz besonders von links – unkontrolliertes und nervenschwaches Verhalten bei der Ausübung der Arbeit. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist populistisch!) Allein das Abschreckungspotenzial einer bewaffneten Drohne überzeugt mich. Denken wir doch einmal an die quälende Debatte, als die Panzerhaubitze 2000 nach -Afghanistan sollte: zu schwer, zu groß, zu sperrig, alles sinnlos. Als sie da war, hat sie gewirkt. Heute beklagt sich niemand mehr über Angriffe oder Beschuss in -Kunduz. Ich denke, das sollte man erwähnen. Ich sehe dieses zu entwickelnde moderne System als zusätzliche Schutzkomponente für unsere Soldaten im Einsatz. Die Fachleute zur Bedienung der Systeme sind schon da. Wichtiger noch ist, dass sie natürlich von den Werten der Inneren Führung geleitet sind. Sie halten sich an Einsatzregeln, können die Lage einschätzen, beherrschen Befehlsketten und sind mit militärischen Vorgängen vertraut. Wer das ignoriert oder ihnen gar abspricht, verhält sich zynisch, nur der. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Nun zu den Linken. Wenn mir bei Ihren Ansichten zur internationalen Sicherheitspolitik auch das Blut in den Adern stockt: Sie bleiben sich doch wenigstens treu. Sie wollen keine Bundeswehr und demzufolge auch keinen Schutz für die Soldaten. Aber wie fatal! Welche Verantwortungslosigkeit und welche Schuld laden Sie da auf sich? (Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) Ich möchte mit Ihnen nicht tauschen. Ein bisschen tun Sie mir auch leid. Denn am Ende des Tages bleibt Ihnen nicht einmal das Beten. Ganz besonders leid tut mir – das kann ich an dieser Stelle sagen – ein Kollege von Ihnen. Sie werden sich wundern: Es gibt einen Kollegen in Ihrer Fraktion, den ich sehr schätze. Das ist der Kollege Schäfer. Ich glaube, dass er es besser weiß und nur aus Parteizwängen schweigt. (Elke Hoff [FDP]: Genau! – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Er hat mit mir zusammen die Anfragen gemacht!) Herr Kollege, wie stark muss Ihr körperlicher Schmerz gewesen sein, als Genosse Gysi bei anderer Gelegenheit mit Blick auf die Anfrage des NATO-Partners Türkei zwecks Hilfe durch Patriot-Raketen vom Einmarsch der Bundeswehr in den Nahen Osten sprach? (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Skandal!) Mit Verlaub, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, es nährt sich der Verdacht, dass diese Sprüche das Licht der Welt in illegitimen Cannabis-Klubs erblicken. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rainer Arnold [SPD]: Sie tun dem Anliegen Ihres Ministers keinen Gefallen! – Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist geschmacklos! Aber so was von! Das ist eine ernste Frage!) Reden Sie nicht nur darüber, sondern lassen Sie zu, dass unsere Parlamentsarmee in Zukunft über die bestmögliche Ausstattung verfügen wird, über ein System, das wirkungsvoll, innovativ und unabhängig ist. Lassen Sie uns selbstverständlich an anderer Stelle auch über Ethik, sittliche Normen und Verantwortung debattieren, aber, bitte schön, glaubwürdig und tiefschürfend und nicht nur für eine Schlagzeile mit einem Haltbarkeitswert von 24 Stunden. Ich danke dem Minister für seine klaren Worte, und ich danke auch – das tun Sie sonst immer; heute haben Sie das ausgelassen – dem Wehrbeauftragten, der im Übrigen für den Schutz der Soldaten bewaffnete Drohnen gefordert hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich komme zum Ende. – Herr Mützenich, Sie haben gefragt, was die deutsche Bevölkerung wirklich interessiert. Ich glaube, es zu wissen: Sie will eine Antwort haben auf eine Frage. Diese Frage stelle ich nun Ihnen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Karin Strenz (CDU/CSU): Was sind Ihnen die Gesundheit und das Leben unserer Soldaten wert? Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rainer Arnold [SPD]: So blöd sind die Soldaten nicht, wie Sie glauben!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion. Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich dem, was meine Kollegin Strenz gesagt hat, vollkommen anschließen. Frau Kollegin Strenz hatte ja vor allem die Linkspartei und die SPD kritisiert. Frau Brugger, ich möchte jetzt Sie direkt ansprechen, weil Sie ja grundsätzlich etwas über die modernen Waffensysteme gesagt haben. Ich bin der Meinung, dass die Bundeswehr und die Soldatinnen und Soldaten die bestmöglichen technischen Möglichkeiten zur Verfügung haben sollten. Hier geht es auch um den Schutz. Es geht ferner darum, wie ernst zu nehmend und wie attraktiv der Einsatz bei der Bundeswehr überhaupt sein soll. (Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, es geht um die Frage, welche Einsätze wir führen!) Der Minister hat davon gesprochen, dass Sie den Eindruck erwecken, als wollten Sie weiter mit der Postkutsche fahren, statt einen technologischen Sprung zu vollziehen und die Eisenbahn zu nutzen. Es ist ja die Frage gestellt worden: Warum zum jetzigen Zeitpunkt? Die Antwort ist offensichtlich: weil die technologische Entwicklung schneller ist als unsere Wahlzyklen. Deshalb gibt es auch keinen Grund, bis zur Bundestagswahl zu warten. Wenn es die technischen Möglichkeiten gibt, wenn die Regierung in Deutschland sich veranlasst fühlt, Maßnahmen in dieser Richtung zu prüfen und diese politisch von uns gedeckt werden, dann gibt es sehr wohl einen guten Grund, diese Diskussion offensiv zu führen. Hier im Hause wird diese Diskussion übrigens sehr, sehr unehrlich geführt. Das Einzige, was man der Linkspartei im Zweifel zugutehalten kann, ist, dass sie wirklich alles, was mit der Bundeswehr, mit der Sicherheit, mit der Verteidigung unseres Landes zu tun hat, ablehnt. Wie konsequent das am Ende ist, möchte ich dahingestellt sein lassen. Aber Sie sind sich Ihrer Linie zumindest treu geblieben. (Inge Höger [DIE LINKE]: Genau!) Von Herrn Arnold kann man das nicht sagen. Herr Arnold, in der Frankfurter Rundschau – sie ist ja ein der SPD nahestehendes Blatt – (Florian Hahn [CDU/CSU]: Ach so! Deswegen ist die Zeitung bankrott!) werden Sie wie folgt zitiert: „Das ist ein Waffensystem, dem die Zukunft gehört.“ (Rainer Arnold [SPD]: Ja, ja! Das wurde heute schon dreimal zitiert! Das geht aber weiter!) Ich frage Sie: Was haben Sie denn gerade für eine Rede gehalten? Hat man Sie in Ihrer Fraktion dazu verdonnert, hier den Sprechzettel der Fraktion vorzulesen, oder war das Ihre Meinung? (Rainer Arnold [SPD]: Lesen Sie das doch mal ganz vor!) Denn das, was Sie der Zeitung gesagt haben, entspricht überhaupt nicht dem, was Sie gerade in Ihrer Rede gesagt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn die Fraktionsdisziplin bei Ihnen so weit geht, dass Sie hier nicht Ihre eigene Meinung sagen, dann hätten Sie Ihre Redezeit besser an jemand anderen abgetreten. (Zuruf des Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD]) – Was haben Sie gesagt? Haben Sie „Kaderpartei“ gesagt? Das ist relativ weitreichend. Ich würde die SPD nicht als Kaderpartei bezeichnen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielleicht habe ich den Zwischenruf auch falsch verstanden. Auf jeden Fall fiel dieses Wort. (Rainer Arnold [SPD]: Jetzt lesen Sie den nächsten Satz doch auch mal vor!) Meine Damen und Herren, Kriege und Kriegsführung insgesamt verändern sich. Mittlerweile gibt es nicht mehr nur Konflikte zwischen Staaten, sondern auch zwischen Staaten und organisierten kriminellen Gruppierungen, die armeegleich agieren. Zwei Dinge sind wichtig, um ihnen entgegenzutreten: Aufklärung und moderne Waffensysteme. Im Bereich der Aufklärung leisten unsere Dienste wirklich hervorragende Arbeit, gerade in Zusammenarbeit mit den Diensten befreundeter Länder. Vor diesem Hintergrund ist es aber auch wichtig, dass wir uns an der technologischen Entwicklung neuer Waffensysteme beteiligen. Wenn neue Technologien aufkommen, dürfen wir in Deutschland nicht sagen: „Wir warten erst einmal ab, bis alle anderen diese Technologien entwickelt und angeschafft haben; wenn sie sinnvoll sind, beteiligen wir uns vielleicht später daran“, sondern wir müssen an solch wichtigen Projekten teilhaben. Wir müssen uns -engagieren. Ich finde, dass diese Debatte zum genau richtigen Zeitpunkt geführt wird. Ich glaube, dass wir mit diesem Waffensystem letztendlich dafür sorgen können, dass die Soldatinnen und Soldaten besser ausgerüstet und auf die neuen Konfliktszenarien in den Einsätzen besser vorbereitet sein werden, sodass sie – besser geschützt und gut ausgebildet – verantwortungsbewusst mit den Herausforderungen, die sich ihnen stellen, werden umgehen können. Insofern unterstützt meine Fraktion diese Diskussion, und wir werden sie öffentlich und transparent führen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge (Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz – AltvVerbG) – Drucksache 17/10818 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/12219 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Mathias Middelberg Petra Hinz (Essen) Frank Schäffler Dr. Barbara Höll Dr. Gerhard Schick – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/12220 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Petra Merkel (Berlin) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Risiken der Riester-Rente offenlegen – Altersvorsorge von Finanzmärkten entkoppeln – Drucksachen 17/9194, 17/12219 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Mathias Middelberg Petra Hinz (Essen) Frank Schäffler Dr. Barbara Höll Dr. Gerhard Schick Verabredet ist, hierzu eineinhalb Stunden zu debattieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Der Kollege Dr. Mathias Middelberg hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Ganz herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Viele Menschen haben Sorge, ob sie im Alter ausreichend versorgt sind. Deswegen ist das Thema, das wir heute debattieren, das Thema Altersvorsorge, ein wichtiges und ernstes Thema. Ich möchte vorweg, weil er mit debattiert wird, auf den Antrag der Linken eingehen. Die Linken treten hier mit der sehr naiven Vorstellung an, man könne die Altersvorsorge bzw. die Rentenversicherung so organisieren, dass sie von den Märkten entkoppelt wäre. Mit solchen Vorstellungen anzutreten, ist ziemlich dümmlich; denn man kann keine Altersvorsorge organisieren, die vom wirtschaftlichen Geschehen völlig abgekoppelt wäre. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aber von den Finanzmärkten!) – Auch nicht von den Finanzmärkten; (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch!) denn die Finanzmärkte bilden letzten Endes auch das reale wirtschaftliche Geschehen ab. Da gibt es immer die eine oder andere Fehlentwicklung; aber zum Schluss ist jede Altersvorsorge nur so stark wie die Volkswirtschaft, die hinter ihr steht. Entscheidend ist – ich zitiere einen erfahrenen Politiker –: Wenn man sich die Rentenversicherungssystematik insgesamt ansieht, weiß man: Das Wichtigste, was man tun kann, ist, für Arbeit zu sorgen. Die spätere Entwicklung hängt vor allem davon ab, wie die Arbeitslosigkeit sich entwickelt. – Das ist eine Aussage Ihres früheren Arbeits- und Sozialministers Franz Müntefering, und diese Aussage ist absolut richtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Franz Müntefering hat diese Aussage im Jahr 2006 getroffen, als in Deutschland noch 5 Millionen Menschen arbeitslos waren. Heute sind es 2,7 Millionen. Wir sind genau der Vorgabe von Franz Müntefering gefolgt und haben das Wichtigste getan, was man tun kann, um die Altersvorsorge zu stabilisieren, nämlich mehr Menschen in Arbeit gebracht. Das ist die Leistung dieser Bundes-regierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 2006 waren in Deutschland 26 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Heute sind es 29 Millionen. 3 Millionen Menschen mehr, die in das Rentenversicherungssystem und in die übrigen Sozialversicherungssysteme einzahlen, das ist der beste und vernünftigste Beitrag, den man leisten kann für eine stabile Altersvorsorge. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Gleichwohl – davor dürfen wir die Augen nicht verschließen – wird die Problematik der Altersvorsorge natürlich schwieriger. Das liegt einfach an der demografischen Entwicklung: Es wird in der Zukunft mehr Rentner geben und weniger Einzahler, ihr Verhältnis zueinander wird sich dramatisch verändern. Deswegen werden die zusätzlichen Säulen der Altersvorsorge – die betriebliche Altersvorsorge und die private Zusatzvorsorge – wichtiger werden. Die private -Zusatzvorsorge ist das, worüber wir heute sprechen. Riester-Rente und Rürup-Rente – von SPD und Grünen installiert – sind grundsätzlich die richtigen Konzepte. Ich will an dieser Stelle ganz besonders betonen: Trotz aller Studien, die dieses und jenes – zum Teil zu Recht – kritisieren, ist das Riester-Sparen immer noch eine hervorragende Möglichkeit – gerade für Geringverdiener –, fürs Alter vorzusorgen. Eine Familie – Mann, Frau, zwei Kinder –, die ein relativ geringes Jahreseinkommen von etwa 25 000 Euro hat, bekommt, wenn sie im Jahr 267 Euro in eine Riester-Rente einzahlt, staatliche Zulagen von insgesamt 793 Euro. Das ist eine Förderquote von 75 Prozent – besser kann es eigentlich nicht gehen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und was kommt hinten raus?) Das zeigt auch, dass die Riester-Rente ein ganz besonders sozial gerechtes und sozial stabilisierendes System der Altersvorsorge ist, von dem gerade Geringverdiener profitieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Vielen Dank für den Applaus auch vonseiten der Sozialdemokratie. (Bernd Scheelen [SPD]: Das haben Sie aber damals alles ganz anders gesehen!) Allerdings – das ist auch zu Recht festgestellt worden – könnten die Renditen vernünftiger ausfallen, und es versickert viel zu viel Geld im System der Vermittler und bei Provisionen. Deswegen sind wir darangegangen, die Dinge jetzt effizienter und transparenter zu gestalten, die Preise vergleichbarer zu machen und die Verbraucherrechte zu stärken. Ganz konkret erhöhen wir den förderfähigen Sparbeitrag bei der Rürup-Rente, und, was ganz wichtig ist, wir installieren ein Produktinformationsblatt. Diese Produktinformationsblätter – ich zeige Ihnen hier einmal eines – sind, wie ich finde, absolut überschaubar, übersichtlich, (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Kann jeder sehen!) sodass sich die Kunden sehr schön orientieren können. Das Wichtigste ist oben das Feld mit den drei Kennwerten „Effektivkosten“, „Risikoklasse“ und „Mittlere -Rendite-Erwartung“. Da ist für jeden Kunden über alle Produktgruppen und über alle Produkttypen hinweg klar erkennbar, wie effizient die Produkte sind. Er kann sich auf dieser Grundlage ein klares Bild machen und klar entscheiden, welches für ihn das günstigste und effizienteste Produkt ist. Ich glaube, das ist in diesem Gesetzentwurf der wichtigste Beitrag zu mehr Verbraucherschutz, mehr Transparenz und geringeren Kosten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dazu haben wir das Ganze mit einem zweijährigen Rücktrittsrecht ausgestattet. Das heißt, wenn ein Anbieter, eine Versicherung, ein Fondsanbieter oder wer auch immer, in diesem Produktinformationsblatt fehlerhafte Angaben macht, hat der Kunde demnächst die Möglichkeit, innerhalb von zwei Jahren vom Vertrag zurück-zutreten. Das ist ein ganz scharfes Schwert für den Verbraucher. Wenn irgendetwas falsch gelaufen ist, hat er in diesem Zeitraum die Möglichkeit, den gesamten Vertrag rückabzuwickeln, ohne dass er dabei irgendeinen Schaden nimmt. Wir haben die Kosten bei einem Anbieterwechsel – auch das ist vielfach angesprochen worden – reduziert. Der bisherige Anbieter kann bei einem Wechsel höchstens noch 150 Euro berechnen, der neue Anbieter kann für seine Provision maximal 50 Prozent des Kapitals zugrunde legen. Wir verbessern den Erwerbsminderungs- und Berufsunfähigkeitsschutz, und wir machen vor allem den „Wohn-Riester“ flexibler. Dazu werden nachher die -Kollegen noch präzisere Ausführungen machen. Wir sehen schon jetzt, dass auch die unabhängigen Organisationen diesen Gesetzentwurf ausdrücklich -loben. Die Verbraucherzentrale lobt vor allen Dingen das Produktinformationsblatt. Dadurch wird die Sache künftig einfacher, klarer und besser. Die Zeitschrift Finanztest, die sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzt, lobt ebenfalls vor allem das Produktinformationsblatt. Sie lobt auch die Flexibilisierung beim „Wohn-Riester“, und sie nennt beispielsweise die Möglichkeit, in Zukunft Riester-Kapital für einen altersgerechten Umbau der -eigenen Wohnung zu entnehmen, was den Wünschen vieler Menschen entspricht. Das nennt sie ausdrücklich eine sehr vernünftige Idee. Mit solchen Urteilen über diesen Gesetzentwurf können wir sehr gut leben. Angesichts dessen bin ich – das sage ich ganz deutlich – ziemlich enttäuscht über die -Ablehnung durch die Opposition, die wir gestern im -Finanzausschuss erleben durften. Ich kann das nicht verstehen. Man kann bei dem einen oder anderen Punkt sagen, man wolle zusätzlich diese oder jene Regelung. Auch wir arbeiten ja an dem Thema einer generellen Kostengrenze. Aber wie man angesichts dieser Regelungen, die eine glasklare Verbesserung in Bezug auf mehr Markttransparenz, mehr Verbraucherrechte und Kostensenkungen darstellen, noch Nein sagen kann, ist für mich unverständlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich will Ihnen abschließend sagen: Wenn wir Ihre steuerpolitischen Vorstellungen umsetzen – Sie verkaufen sie immer mit dem Argument, Sie wollten mehr -Gerechtigkeit schaffen –, dann wird das letzten Endes so laufen: Der Spitzensteuersatz wird erhöht; die Abgeltungsteuer trifft jeden Sparer; mit der Vermögensteuer werden Sie die mittelständischen Betriebe treffen. Sie machen letztendlich die Konjunktur kaputt, Sie machen die Wirtschaft kaputt, Sie gefährden dadurch Arbeitsplätze. Vor allem aber nehmen Sie den Leuten das Geld, das sie benötigen, um Eigenvorsorge zu leisten. Dieses Geld brauchen sie, um in Riester und Rürup einzuzahlen. Das halte ich für absolut inkorrekt. So funktioniert es nicht: erst den Leuten über Steuern das Geld aus der -Tasche ziehen, um es nachher großzügig als Riester--Zuschuss oder als Zuschuss zur betrieblichen Altersvorsorge zurückzugeben. Dann sollten Sie den Menschen konsequenterweise gleich das Geld lassen, damit sie selbst Eigenvorsorge leisten können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vor diesem Hintergrund halte ich es vor allem für -kritikwürdig, dass Sie die Anpassungen bei der Steuerprogression im Bundesrat blockiert haben und weiterhin blockieren werden; denn damit schädigen Sie gerade die Gering- und Kleinverdiener, denen dann die Mittel fehlen werden, diese private Eigenvorsorge für das Alter zu leisten. Das ist eine Sache, die man nur aufs Schärfste kritisieren kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!) Wir möchten den Menschen die Chance und auch die Mittel geben, selbst für ihr Alter vorzusorgen, und damit einen anderen Weg beschreiten, als Sie das tun. Wir -haben hierzu – ich habe es eben gesagt – konkrete -Vorschläge vorgelegt: für mehr Markttransparenz, für wesentlich bessere Verbraucherrechte und für eine konsequente Senkung zum Beispiel der Kosten und Vermittlerprovisionen bei Riester, damit wir Riester wirklich -effizienter und renditestärker für die einzelnen Kunden machen. Vor diesem Hintergrund kann ich nur schärfstens an Sie appellieren, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen und den Kunden nicht weiter die Verbesserungen vorzuenthalten, die wir bei Riester und Rürup dringend installieren müssen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Petra Hinz hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Petra Hinz (Essen) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war sehr gut, lieber Kollege, (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Fand ich auch!) dass Sie Ihre Rede mit einem Zitat des ehemaligen Arbeitsministers Franz Müntefering begonnen haben. Franz Müntefering hat recht mit dem, was er gesagt hat. Da wir heute anscheinend in der Phase der Aufarbeitung sind – einige Geschichten werden wir heute sicherlich auch noch von anderen Kollegen hören –, möchte ich gerne einmal darstellen, wo wir 1998 standen. 3 Millionen Arbeitslose und 2 Millionen Sozialhilfeempfänger sind zusammengeführt worden. Das sind additiv -unter dem Strich – hier gebe ich Ihnen recht – 5 Millionen. Ich frage Sie jetzt: Wer war denn vor 1998 16 Jahre lang an der Regierung? Rot? Nein! Schwarz-Gelb! (Max Straubinger [CDU/CSU]: Die sind doch erst unter Rot-Grün entstanden!) Wir haben in unserer Regierungszeit eine ganze Menge aufgearbeitet. Wenn Sie meinen, Sie könnten heute durch die Lande gehen und sagen, es gebe jetzt nur noch 3 Millionen Arbeitslose und das sei Ihr Verdienst, dann kann ich nur sagen: Nichts haben Sie in dieser Zeit getan. Sie haben nicht dazu beigetragen, dass die Menschen faire Löhne bekommen. Schauen Sie sich doch an, mit welchen Tarifverträgen und Löhnen diejenigen, die in Arbeit gekommen sind, letzten Endes auskommen müssen. Nicht umsonst verweigern Sie gemeinsam mit Ihrem Koalitionspartner permanent das Thema Mindestlöhne. Da nützt es auch nichts, wenn Sie auf Ihren Parteitagen nur mit Überschriften wie „Mindesteinkünfte“ arbeiten. Verdummen Sie die Menschen doch nicht! Die wissen doch ganz genau, dass Sie das Thema Mindestlöhne in Ihrer Regierungszeit nicht angehen werden. Ich gebe Ihnen insofern völlig recht: Nur wer einen fairen, gerechten und auskömmlichen Lohn erhält, kann auch für sein Alter vorsorgen. (Beifall bei der SPD) Sie haben auch recht, mein lieber Kollege, wenn Sie darüber reden, dass die private Altersvorsorge wichtig ist. Wir haben uns 1989, 2000 und 2001 mit dem Thema Alterseinkünftegesetz beschäftigt, weil Sie sich seit 1980 nicht um dieses Thema gekümmert haben. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Grund würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das? Petra Hinz (Essen) (SPD): Nein, vielen Dank, ich möchte ganz gerne in meiner Rede fortfahren. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) – Ihr Bedauern trifft mich sehr. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Aber immer bei der Wahrheit bleiben!) – Ich hoffe, Sie wissen, was die Wahrheit ist. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Auch beim Mindestlohn!) Weiter zum Alterseinkünftegesetz: 1980 hat uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben, die Besteuerung der Beamtenpensionen und der Renten auf den Weg zu bringen. Sie haben in Ihrer Regierungsphase nichts -gemacht. Wir sind das Thema angegangen, und dies mündete unter anderem in die Riester- und die Rürup-Rente. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bleiben Sie also bei der tatsächlichen Chronologie und bei dem, was Sie in 16 Jahren schwarz-gelber Regierung einfach -ausgesessen und versäumt haben. Andere Regierungen, unsere rot-grüne und nachher auch – ich gestehe – die Große Koalition, haben hier einiges auf den Weg gebracht. Allein der Titel „Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz“ verspricht viel. Was hält er? Ich sage: Sehr wenig. Schauen wir einmal ins Kleingedruckte. In der Öffentlichkeit behaupten Sie gerade, Riester werde einfacher. Sie haben eben auch gesagt, Riester sei eigentlich ein sehr gutes Produkt. Darauf kommen wir gleich noch. Sie sagen, das Produktinformationsblatt für Verbraucher führe zu mehr Transparenz. Da gebe ich Ihnen allerdings recht. Das Produktinformationsblatt ist ein wichtiger und richtiger Schritt in die richtige Richtung. Allerdings haben Sie – auch im Zuge der Änderungs-anträge – den richtigen Weg wieder verlassen. Auch -darauf komme ich gleich noch. Zur FDP. Ich denke, wir werden hier gleich die stereotype FDP-Rhetorik hören, nämlich: mehr Flexibilität, mehr Wahlfreiheit. (Beifall der Abg. Dr. Birgit Reinemund [FDP]) Was für den Einzelnen dahintersteckt, ist eine ganz andere Frage. Dazu kommen wir gleich aber auch noch. Ich komme zum Thema „Mehr Transparenz in Produktinformationsblättern“. Ja, ich gebe Ihnen recht: Da gab es ein großes Defizit; mehr Klarheit und mehr Transparenz müssen unbedingt eingeführt werden. Wir haben es in der Finanz- und Wirtschaftskrise gesehen. Viele Menschen haben gerade in dieser Zeit versucht, das, was sie für ihr Alter angespart haben, besonders günstig, spekulativ anzulegen, und haben gar nicht verstanden, welche Produkte sie letztendlich gekauft haben. Aber bei Riester und Rürup ist ganz klar: Es geht hier nicht um Spekulation, sondern es geht um eine konservative Anlage. Insofern ist die Einführung dieses Produktinformationsblattes sehr wichtig. Es ist ein richtiger Schritt, aber er geht nicht weit genug. Hier wurde vorhin die Zeitschrift Finanztest zitiert. Auch ich war in der Anhörung und habe mitbekommen, was der Vertreter von Finanztest dort gesagt hat. Sie -haben nicht vollständig zitiert. Ich will hier jetzt auch andere zitieren. Der Sachverständige Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg sagt: Ja, das Produktinformationsblatt hilft und ist ein richtiger Schritt; aber es hilft nur denjenigen Verbrauchern, die dieses Informationsblatt tatsächlich verstehen. Alle anderen, die es nicht verstehen, laufen Gefahr, eine -falsche Entscheidung zu treffen. Dr. Christian Pfarr von der Universität Bayreuth hat ganz deutlich gesagt: Dieses Informationsblatt ist ein erster und richtiger Schritt; aber dieser Schritt ist noch nicht ausreichend, da ein Produktinformationsblatt nur die Produktdarstellung betrifft, nicht aber an der Fähigkeit der Menschen ansetzt, diese Information tatsächlich zu verstehen. Ich komme zu einem anderen Punkt. Sie und auch wir haben in der letzten Zeit mit Vertretern der Versicherungswirtschaft gesprochen. Sie haben aber nicht mit den Verbraucherschützern gesprochen. Das kreiden wir Ihnen an und sagen: All das, was Sie, auch gestern im Finanzausschuss, an Änderungsanträgen eingebracht haben, hat nur zu einer Verbesserung für die Finanzwirtschaft geführt, aber nicht für die Kunden, nicht für die Versicherungsnehmer. Insofern: Ja, es ist ein richtiger Schritt, aber er geht nicht weit genug. Ich denke, auf die Frage der Kostentransparenz werden der Kollege von den Grünen und meine Kollegin von der SPD eingehen. Auch zu den Vergleichszahlen konnten Sie sich gestern nicht abschließend äußern. Das Gutachten, das dazu auf den Weg gebracht werden soll, wird uns irgendwann, möglicherweise nach dem Oktober 2013, vorliegen. Das ist viel zu spät. Kommen wir zu einem anderen Punkt, dem Thema „Wohn-Riester“. Von Ihnen wird es immer so dargestellt: Alle Menschen, die Eigentum kaufen, sorgen damit für ihr Alter vor. – Diejenigen, die es sich leisten können – da gebe ich Ihnen recht –, haben damit tatsächlich Vorsorge für ihr Alter getroffen. Sie suggerieren aber auch den vielen anderen, mit einem Eigenheim würden sie eine Altersvorsorge schaffen. Das schaffen sie eben nicht; (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Kommen Sie mal zu mir in den Wahlkreis!) denn die nachgelagerten Kosten, die dafür entstehen, die Rücklagen, die gebildet werden müssen, die Instandhaltungskosten, die zu zahlenden Steuern und anderes, all das sind Dinge, die die Menschen, die Eigentum erworben haben, ebenfalls finanzieren müssen. Insofern sage ich Ihnen: In Bezug auf diejenigen, auf die dieses Produkt passt, ist das, was Sie gesagt haben, richtig. Allen anderen streuen Sie Sand in die Augen und führen sie in die Irre. Nun kommen wir zum Thema Basisrente im Alter. In diesem Bereich fördern Sie einseitig diejenigen, die -Rürup-Verträge abschließen. Ich sage Ihnen: Es ist gut – hier soll kein falscher Eindruck entstehen – für die Selbstständigen und für diejenigen, die ihr Geld in -Rürup anlegen wollen, dass Sie das Abzugsvolumen von 20 000 auf 24 000 Euro erhöhen wollen. Das geschieht zwar ohne Not, aber gut. Ich weiß, dass es hier um Beitragsbemessungsgrundlagen geht. Herr Schäffler, bevor Sie mir nachher eine kleine Belehrung hierzu geben, sage ich Ihnen, dass ich diese Grundlagen kenne und weiß, wie sie sich zusammensetzen. Aber wenn die Riester-Rente so gut und so toll ist, dann frage ich Sie: Warum haben Sie nicht auch hier die Fördergrenze hochgesetzt? Reden wir doch einmal -darüber, wie viele die einzelnen Produkte nutzen. Wir -reden über 10 000 Menschen, die von dieser Anhebung bei Rürup profitieren können, und wir reden über 16 Millionen Menschen, die Riester in Anspruch nehmen. Bei Riester belassen Sie den Höchstbetrag zur Förderung bei 2 100 Euro, obwohl die Gutachter im Rahmen der Anhörung deutlich gemacht haben, dass gerade diese Grenze angehoben werden muss. Ich frage Sie: Für wen machen Sie dieses Gesetz? Machen Sie es für die 16 Millionen Menschen mit Riester-Verträgen, oder machen Sie es für einen kleinen Teil, für die Versicherungswirtschaft und für die wenigen, die davon profitieren können? Ich komme zum Schluss und fasse zusammen, was ich gesagt habe. Es ist festzuhalten, dass das Gesetz keine Lenkungswirkung entfaltet. Das Gesetz bietet keine zielgerichteten Instrumente für Geringverdiener. Das aber war der Ursprung von Riester. (Beifall bei der SPD) Das Gesetz führt nicht zu mehr Akzeptanz, im Gegenteil. Die Bundesregierung zeigt keinerlei Ansätze, den hier bestehenden Reformbedarf anzugehen. Wir von der SPD sehen natürlich ebenfalls Handlungsbedarf. Aber die Lösung besteht nicht in dem, was Sie uns hier vorgelegt haben. Sie sind gar nicht daran interessiert, den einzelnen Riester-Vertragsnehmer in den Genuss bestimmter Vergünstigungen kommen zu lassen. Ich habe im Dezember danach gefragt, wie hoch die Steuermindereinnahmen wären, wenn die Grenze für die in einen Riester-Vertrag maximal einzuzahlenden Beträge von 2 100 auf 2 500 bzw. 2 600 Euro angehoben würde, wie es die Sachverständigen vorschlagen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Petra Hinz (Essen) (SPD): Ich habe einmal gefragt. Ich habe zweimal gefragt. Ich habe noch gestern im Ausschuss nachgefragt. Sie haben noch nicht einmal entsprechende Berechnungen vorgenommen. Verkaufen Sie also die Menschen nicht für dumm! Ihr Geschenk enthält nur heiße Luft, auch wenn es von außen schön aussieht. Ich kann allen nur raten, gut zuzuhören, wenn Sie von Wahlfreiheit reden. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Manfred Grund. Manfred Grund (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Kollegin Hinz hat zu Beginn ihrer Rede in Richtung FDP und CDU/CSU gesagt: Sie haben in all Ihren Regierungsjahren nichts für die Einführung von Mindestlöhnen getan. – Zurzeit gelten bundesweit in zwölf Tarifbranchen Mindestlöhne, die durch den Gesetzgeber als allgemeinverbindlich erklärt wurden. Diese Mindestlöhne schützen mehr als 4 Millionen Arbeitnehmer. Alle diese zwölf gesetzlichen Mindestlöhne sind nicht gegen FDP und CDU/CSU, sondern durch FDP und CDU/CSU in Kraft gesetzt worden. In den sieben Jahren, in denen Sie von Rot-Grün regiert haben, ist nicht ein Mindestlohn für allgemeinverbindlich erklärt worden. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Zweite ist: 1998, bei der Regierungsübernahme, konnten Sie eine ziemlich gut geordnete Rentenkasse und ein Gesetz über einen demografischen Faktor in der Rentenversicherung übernehmen. Sie haben gegen diesen demografischen Faktor Wahlkampf geführt und ihn dann nach der Wahl als Erstes außer Kraft gesetzt, ohne mit Blick auf die demografische Entwicklung für einen entsprechenden Ausgleich zu sorgen. Dann ist die Rentensituation derart aus dem Ruder gelaufen, dass ganz schnell Notmaßnahmen getroffen werden mussten. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Denken Sie mal an die kommunale Lage damals!) Der einzige Ausweg, den Sie gefunden haben, bestand in der Absenkung des Rentenniveaus auf weit unter 50 Prozent und in Riester-Verträgen. Das alles nutzte der privaten Versicherungswirtschaft durchaus mehr als den Versicherten. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Diese Ein-Parameter-Betrachtungen sind wirklich sehr armselig!) – Sie können ja Ihren Teil zur Wahrheit beitragen. Sie haben also den demografischen Faktor außer Kraft gesetzt und das Rentenniveau auf weit unter 50 Prozent gesenkt. Diejenigen, die dann Verantwortung übernommen haben, haben mit dem Reparaturkoffer hinterherlaufen müssen, um das wieder in Ordnung zu bringen, was Sie hinterlassen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bernd Scheelen [SPD]: So ein Unsinn!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Hinz, bitte, zur Erwiderung. Petra Hinz (Essen) (SPD): Vielen Dank, dass Sie mir zusätzliche Redezeit geben, Herr Grund. Gerne greife ich das auf, was Sie zu den Mindestlöhnen ausgeführt haben. – Hier geht es um die Umsetzung von Tarifverträgen. Das hat nichts mit gesetzlichen Mindestlöhnen zu tun. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Natürlich! Das sind zwölf gesetzliche Mindestlöhne!) Alles, was in diesem Zusammenhang eingeführt wurde, ist in unserer Regierungszeit auf den Weg gebracht worden. Ich kann Ihnen sagen, was wir 1998 vorgefunden haben: Die Kassen waren leer, und es gab 3 Millionen Arbeitslose und 2 Millionen Sozialhilfeempfänger. Das können Sie nicht bestreiten; denn es können nicht über Nacht 5 Millionen Menschen vom Himmel gefallen sein. Das mögen Sie nicht hören, aber die Politik, die Sie 16 Jahre betrieben haben, hat dazu geführt, dass die Kassen, die über Jahrzehnte gut gefüllt waren, geleert wurden und dass das System nicht mehr gut funktionierte. Die Tatsache, dass wir Mindestlöhne in zwölf Branchen haben, wirft für mich die Frage auf: Warum können wir nicht generell einen Mindestlohn einführen? Warum sträuben Sie sich dagegen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darum geht es. Wenn das so gut ist, was Sie auf den Weg gebracht haben, dann machen Sie es doch noch besser. Führen Sie doch generell einen Mindestlohn ein. Sie können mir doch nicht erklären, dass Mindestlöhne keinen Sinn machen, wenn wir auf der anderen Seite bereit sind, 12 Milliarden Euro für Aufstocker auszugeben. Ich würde lieber mehr Geld in den Bereich Mindestlöhne investieren, damit wir weniger in die Aufstocker investieren müssen. Was könnten wir mit 4 Milliarden Euro mehr alles auf den Weg bringen! Ihre Vorschläge waren konzeptionslos. Sie haben in die Irre geführt. Sie haben alles ausgesessen während Ihrer Regierungszeit. Sie haben nichts auf den Weg gebracht, und darum sind Sie 1998 auch abgewählt worden. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Frank Schäffler für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frank Schäffler (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Hinz, das, was Sie gerade für Ihre Fraktion darzustellen versucht haben, (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie können für Ihre Fraktion ja nichts darstellen! Das ist klar!) hätten Sie aus meiner Sicht etwas positiver machen sollen. Sie sollten eigentlich stolz auf das sein, was Sie in der Vergangenheit mit der Riester-Rente und der Rürup-Rente geschaffen haben. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Deswegen stimmen wir auch nicht zu: Wir wollen das nicht kaputtmachen!) 16 Millionen Riester-Verträge, 1,6 Millionen Rürup-Verträge – das ist doch eine stolze Bilanz, zu der auch Sie beigetragen haben. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!) Wir verbessern dieses Gesetz jetzt, weil es Schwächen hat; im Verlauf der Jahre hat sich gezeigt, dass es an der einen oder anderen Stelle sinnvoll nachjustiert werden muss. Insofern: Zeigen Sie ein bisschen mehr Selbstbewusstsein! Ich würde mir wünschen, Sie würden sich einen Ruck geben und dazu beitragen, dass Ihre Vorstellungen in dieses Gesetzgebungsverfahren einfließen. Aber die Änderungsanträge, die Sie im Finanzausschuss gestellt haben, waren ehrlich gesagt relativ substanzlos. Zu sagen, dass das Wohnförderkonto auf dem Niveau von 2 Prozent weiter verzinst werden muss, ist schon ziemlich mager. Wenn das der einzige Vorschlag der Sozialdemokratie ist, der ihr in diesem Gesetzgebungsverfahren einfällt, dann ist das wirklich lächerlich; schließlich haben Sie das ganze Gesetzespaket ursprünglich auf den Weg gebracht. Eines müssen wir sehen: Der Immobilienmarkt boomt natürlich in einigen Regionen, in Düsseldorf, Berlin, München, Frankfurt und Stuttgart. Es gibt aber weite Regionen in Deutschland, in denen die Wohnimmobilienpreise sinken. Deshalb ist es nicht richtig, die Wohn-immobilien mit 2 Prozent hoch zu verzinsen; denn damit steigt die Steuerlast für den Anleger später entsprechend. Vielmehr ist es sinnvoll, den Zinssatz auf 1 Prozent zu reduzieren und nicht das hohe Niveau beizubehalten. Das ist ein vernünftiger und auch pragmatischer Vorschlag, den wir gemacht haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist auch sinnvoll, dass wir innerhalb der Riester-Rente und der Basisrente, also der Rürup-Rente, die Elemente der Berufsunfähigkeitsversicherung stärken. Es waren ja Sie, die 2001 die Berufsunfähigkeitsversicherung innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung abgeschafft haben. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen in diesem Land keinen Berufsunfähigkeitsschutz mehr haben bzw. sich diesen nicht leisten können. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Befolgen Sie den Rat Ihres Kollegen: Bleiben Sie bei der Wahrheit!) Deshalb ist es doch schlau, Anreize dafür zu schaffen, dass Menschen selbst vorsorgen und dieses existenzielle Risiko für sich absichern. Das ist doch notwendig, wenn Sie den Berufsunfähigkeitsschutz in der gesetzlichen Rentenversicherung abschaffen. Es muss Anreize geben, damit private Vorsorge stattfindet. Was in der gesetzlichen Rentenversicherung übrig geblieben ist, ist der Erwerbsminderungsschutz. Dieser beträgt bei denjenigen, die Erwerbsminderungsrenten bekommen, im Durchschnitt für Frauen 570 Euro und für Männer 620 Euro. Das ist nicht allzu viel. Wer das privat aufstocken kann, der sorgt rechtzeitig vor und schützt damit auch die Solidargemeinschaft und die Sozialkassen. Es ist also durchaus sinnvoll, wenn es uns gelingt, mehr Menschen dazu zu bringen, vorzusorgen und das existenzielle Risiko der Berufsunfähigkeit durch Krankheit und durch Unfall abzusichern. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es hilft vor allem den Berufsgruppen, die besonders durch Berufsunfähigkeit gefährdet sind. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, denen gerade nicht!) Das sind im Wesentlichen die Handwerks- und die Arbeiterberufe. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Was ist mit den chronisch Kranken, die gar nicht versichert werden?) Inzwischen bestehen die Rentenzahlungen beispielsweise der Gerüstbauer zu 52 Prozent aus Erwerbsunfähigkeitsrenten. Daran sieht man das erhöhte Risiko. Bei den Dachdeckern sind es 51 Prozent und bei den Bergleuten 50 Prozent. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das muss in der gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert werden!) Bei den Pflasterern sind es 41 Prozent. Und so weiter. Das ist ein existenzielles Risiko. Wenn man in der geförderten Altersvorsorge bei der Basisrente den Berufsunfähigkeitsschutz tatsächlich absichern kann – wir machen dies so –, dann ist das doch eine hervorragende Sache. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!) Dann sollten Sie das mit Blick auf die beruflichen Hintergründe Ihres Klientels in Ihrem eigenen Interesse entsprechend berücksichtigen. Sie tun das ja auch. Sie tun das auch in den Papieren, die Sie veröffentlichen. Die SPD hat ein Rentenkonzept mit dem Titel „Die SPD-Rentenpolitik: Arbeit muss sich lohnen!“ veröffentlicht. Darin stehen viele tolle Sachen: (Annette Sawade [SPD]: Ja, stimmt!) Vor allem schwere körperliche Arbeit und Schichtarbeit zwingen schon heute Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dazu, vor dem 65. Lebensjahr auszuscheiden und entsprechende Abschläge bei der Rente hinzunehmen. Ja, das ist so. Das ist Faktum. Das ist die demografische Entwicklung. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Was wollen Sie jetzt damit sagen?) Das ist die arbeitsteilige Wirtschaft, die wir in der Industrie zurzeit erleben. Aber die Folge ist dann doch, dass man die Menschen in die Lage versetzt, vorzusorgen, und zwar, wie sie persönlich es wollen, und nicht, wie Sie es vorschreiben wollen. Das ist das Entscheidende. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Ihre Wahlfreiheit ist für manche keine Wahlfreiheit!) Sie haben auch hineingeschrieben, dass die Erwerbsminderungsrente für Sie ein wichtiges Thema ist. Das können Sie jetzt in diesem Gesetzgebungsverfahren umsetzen. Aber die Maßnahmen, die Sie in der Vergangenheit ergriffen haben, haben teilweise das Gegenteil erreicht. Das, was Sie bei der betrieblichen Altersvorsorge in der Vergangenheit, beispielsweise 2004, gemacht haben, hat nämlich dazu geführt, dass die Menschen heutzutage weniger in der Tasche haben. Sie haben die betriebliche Altersvorsorge im Alter zusätzlich krankenversicherungspflichtig gemacht. Wir Abgeordnete bekommen noch heute Briefe von vielen Anlegern, die sagen: Es ist letztendlich eine Vergackeierung unserer Lebensleistung, dass das Erwerbseinkommen und die Rentenleistung faktisch zweimal verbeitragt werden. Sie müssten eigentlich das größte Interesse daran haben, dass wir an der Stelle jetzt mehr Spielraum schaffen. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Sie wissen gar nicht, worüber Sie reden!) Sie müssten vor allem ein großes Interesse daran haben, dass Sie am Ende auch gegenüber Ihren Wählern so auftreten können, dass Sie gut dastehen. Sie haben jetzt Verantwortung im Bundesrat. Das hat der Wähler so entschieden. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Im September entscheidet er noch mal!) Aber mit dieser Verantwortung dürfen Sie nicht wie Ihr ehemaliger Parteivorsitzender Oskar Lafontaine umgehen, sondern Sie müssen verantwortungsvoll damit umgehen. Hier geht es nämlich um Einkünfte und um das, was Menschen tatsächlich bewegt. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das weiß die FDP, was die Menschen bewegt!) Deshalb fordere ich Sie auf, Ihre Blockadehaltung auch im Bundesrat aufzugeben und dafür zu sorgen, dass wir noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz bekommen, das den Menschen tatsächlich hilft und nicht am Ende Ihrer kleinkarierten parteipolitischen Art dient. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Petra Hinz [Essen] [SPD]: „Kleinkariert“! Und das aus dem Mund der FDP! Ich glaube es ja nicht! Wie Sie mit Ihrem Vorsitzenden umgehen!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Matthias Birkwald hat das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rede des Kollegen Schäffler hat deutlich gemacht, dass die FDP das Problem gar nicht erkannt hat. Aber immerhin: Teile der Bundesregierung haben ein großes Problem erkannt. Unsere Bundesministerin für Arbeit und Soziales hat nämlich gesagt, dass eine gigantische Welle neuer Altersarmut lauttosend auf uns zurase. Leider hat sie da recht. Aber was tun CDU/CSU und die FDP dagegen? Sie spielen Dick und Doof in wechselnder Besetzung: Stan piekst Olli. Olli haut Stan. Aber beide zusammen bekommen bei der Rente und bei der Bekämpfung der Altersarmut nichts, aber auch gar nichts auf die Reihe. Ich sage: Das ist nicht unterhaltsam, das ist auch nicht langweilig, das ist einfach nur bitter. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Heute tagt Ihr Koalitionsausschuss. Hören Sie endlich auf mit Ihrer missratenen rentenpolitischen Comedy! Dazu ist das Thema viel zu ernst! (Beifall bei der LINKEN) Ihre verhuschten Renten-Slapsticks gehen nämlich auf Kosten der Armen in dieser Gesellschaft. Wie wir wissen, gibt es schon heute über 1 Million arme Menschen im Rentenalter, und das ist überhaupt nicht lustig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als die Bundesregierung aus SPD und Grünen die Riester-Rente vor mehr als zehn Jahren einführte, sollte diese eine Vorsorgelücke schließen. Heute wissen wir längst: Das wird nicht funktionieren. Allerorten finden sich Belege dafür. Doch im Rentenversicherungsbericht 2012 behauptet die Bundesregierung abermals, dass das Gesamtversorgungsniveau langfristig aufrechterhalten bzw. sogar leicht gesteigert werde. Ich sage hier klar und deutlich: Herr Staatssekretär Brauksiepe, Sie wissen es besser. Sie sagen es nicht. Deswegen sage ich Ihnen: Hören Sie endlich damit auf, die Leute hinter die Riester-Fichte zu führen! (Beifall bei der LINKEN) Die private Riester-Vorsorge ist top für die Versicherungsunternehmen, aber sie ist ein Flop für die Versicherten. Den Versicherungsunternehmen bringt sie einen wahren Geldsegen – Milliarden! – und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nur mickrige Erträge. Davon, was hinten herauskommt, Herr Schäffler und Herr Dr. Middelberg, haben Sie eben überhaupt nicht gesprochen. Gegen Altersarmut hilft Riester nicht! (Beifall bei der LINKEN) Heute ist klar: Ob mit oder ohne Riester, die Rentenlücke lässt sich so nicht schließen; denn viele Menschen mit geringem Haushaltseinkommen können sich die private Vorsorge einfach nicht leisten, auch wenn Sie sich das nicht vorstellen können. Vielen anderen, die einen Riester-Vertrag abgeschlossen haben, nützt Riester nichts; denn die Erträge sind viel zu gering, um die Vor-sorgelücke schließen zu können. Deswegen fordere ich Sie auf, Herr Dr. Middelberg und Herr Schäffler: Sagen Sie bitte einmal, was hinten herauskommt! Der Kollege Jens Spahn behauptet ja auch immer wieder: Mit 5 Euro sind Sie dabei, und dann kommen die ganzen tollen Zulagen. – Ja, super! Und was kommt hinten heraus? Die Leute können doch rechnen! Wenn man 5 Euro einzahlt und die Zulagen bekommt, dann hat man im Jahr Beiträge von etwas über 200 Euro. Das sind keine 20 Euro im Monat. Gucken Sie doch einmal, was hinterher dabei herauskommt! Das ist in jedem Fall weniger als das, was es braucht, um die Lücke zu schließen, die durch die Absenkung des Rentenniveaus – das wurde ja vorher gekürzt – entstanden ist, und das ist unerträglich. (Beifall bei der LINKEN) Riester funktioniert nicht. Das liegt an der Unsicherheit der Finanzmärkte, und das liegt übrigens auch an dem Geschäftsgebaren der Versicherungswirtschaft. Deswegen sagen wir: Die Risiken der privaten Vorsorge müssen endlich klar und deutlich offengelegt werden. Denn Riester floppt, und die Vorsorgelücke bleibt, und daran ändert auch das von CDU/CSU und FDP vorgelegte Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz mit den nun beschlossenen etlichen Änderungen leider nichts. Riester ein bisschen aufhübschen reicht nicht. Es kann und muss wirklich etwas getan werden. Deswegen sagt die Linke: Riester muss abgebaut werden. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, wer heute schon einen Riester-Vertrag hat, soll die bisher angesparten Gelder auf sein persönliches Rentenkonto bei der Deutschen Rentenversicherung einzahlen können, aber nur freiwillig und zu geringen Kosten. Das ist unser Vorschlag. Die dafür notwendigen Änderungen im Renten- und Steuerrecht sind überschaubar. Also ist das auch machbar. Die Milliarden an Steuermitteln, mit denen die Riester-Verträge bisher subventioniert worden sind, müssen ebenfalls in die Rentenkasse fließen. Damit könnten dann dringend notwendige Verbesserungen für Erwerbsgeminderte, Herr Schäffler, für Langzeiterwerbslose oder für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren worden sind, zumindest zum Teil finanziert werden. Um es klar zu sagen: Die Linke will echte Vorsorge statt Roulettespiel. Wir wollen Erwartungssicherheit statt Zitterpartien. Kurzum: Wir wollen Sicherheit statt Riester. (Beifall bei der LINKEN) Aber, meine Damen und Herren, ohne ein deutlich höheres Rentenniveau wird das kaum gehen, und deswegen sagen wir Linken: Die Vorsorgelücke soll genau dort geschlossen werden, wo sie gerissen worden war, nämlich in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die gesetzliche Rente soll wieder den einmal erreichten Lebensstandard sichern. Wer dann immer noch privat vorsorgen will und kann, möge das tun; aber niemand soll weiterhin darauf angewiesen sein, um seinen Lebensstandard sichern zu können und vor Altersarmut geschützt zu sein. Private und betriebliche Vorsorge wären dann wirklich zusätzlich, aber sie wären nicht mehr zwingend notwendig, und darum geht es. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Das Kind mit dem Bade ausschütten“ ist genau die Redewendung, die zur Position der Linkspartei passt. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: -Genau!) Es ist ja richtig, dass es im Bereich der privaten Altersvorsorge Probleme und Fehler gibt. Wir können sie auch genau diagnostizieren. Wir können genau sehen, wo die Rendite bleibt, nämlich bei Kostenkategorien, die man auch absenken kann. Aber die Tatsache, dass sich Menschen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit für ihre Altersvorsorge beteiligen, ist im Grunde nicht falsch. Deswegen wäre es falsch, wegen der Fehler, die wir bei Riester sehen, gleich das ganze Konzept der privaten, ergänzenden Altersvorsorge abzuschaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]) Es gibt hier in der Debatte sachliche Beiträge; Herr Middelberg ist ja eigentlich ein sehr sachlicher Redner. Aber irgendwann, Herr Middelberg, hat dann doch die Abteilung Agitation durchgeschlagen, als Sie meinten, sagen zu müssen, dass Sie ja eigentlich wollten, dass die Geringverdiener hier in Deutschland entlastet werden und wir das blockieren würden. Das ist doch genau falsch herum. (Björn Sänger [FDP]: Das ist richtig!) Bei der Anhebung des Grundfreibetrags, der wichtig für die geringverdienenden Menschen ist, sind wir dabei. Bei einer Entlastung der Menschen mit höherem Einkommen sind wir nicht dabei, weil wir diese Schieflage nicht wollen. Das sollten Sie bitte auch ehrlich sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Sagen Sie bitte auch einmal ehrlich, was Ihr Gesetz vorsieht: Für 1 Prozent der Menschen, nämlich für die Höchstverdienenden, soll die Förderung angehoben werden und für 99 Prozent nicht. (Zuruf des Abg. Dr. Daniel Volk [FDP]) Ich finde, auch dazu sollten Sie stehen und die soziale Schieflage auch in diesem Gesetz deutlich ansprechen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich will aber im Kern begründen, wie wir zu unserem Votum kommen. Es ist ja so: Bei der privaten Altersvorsorge versuchen Menschen, etwas für ihr Alter zur Seite zu legen. Das ist sinnvoll, und wir legen als Staat noch einmal etwas drauf. Was wir aber beobachten können, ist, dass es mit dem Versuch, etwas zur Seite zu legen, so ähnlich ist wie mit dem Versuch, mit einem löcherigen Eimer Wasser zu transportieren: Es rinnt unten raus. Und wo kommt es an? Im Vertrieb von Finanzprodukten. Deswegen ist das Entscheidende, das Loch im Eimer zu stopfen. Wir haben uns jetzt die Frage gestellt: Gelingt Ihnen das, oder gelingt es Ihnen nicht? Dazu muss man sagen: Es gibt ein paar einzelne Verbesserungen. Die will ich auch gerne nennen. Man soll das, was richtig ist, auch als richtig bezeichnen. Aber im Kern gelingt es Ihnen nicht, den Fehler zu korrigieren, dass ein Großteil der Rendite dadurch verloren geht, dass Kosten des Finanzvertriebs, den wir mit Geldern der Steuerzahler nicht pampern sollten, zulasten der Kunden abgerechnet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Konkret: Die Einführung des Produktinformationsblattes ist sinnvoll. Es ist auch sinnvoll, dass in der Studie, die Sie in diesem Zusammenhang in Auftrag gegeben haben, aufgegriffen wurde, dass in anderen Ländern konkrete Vorgaben gemacht werden, damit die Anbieter dieses Produktinformationsblatt nicht nach ihrem Gusto gestalten können, sodass das Angebot leichter vergleichbar ist. Das Problem ist aber, dass eine Kostenangabe nun wieder nicht vorgeschrieben ist: die der Abschluss-, Vertriebs- und Verwaltungskosten. Damit wird keine volle Kostentransparenz erreicht, und wir müssen befürchten, dass für die Kunden nur eine Pseudotransparenz besteht und sie eine bestimmte Kostenkategorie wieder nicht erkennen können. Wir müssen befürchten, dass genau da wieder die größten Punkte abgezogen werden. Wir haben im Ausschuss auch klar angesprochen, dass die Gefahr besteht, dass der Versuch des Vergleichs schiefgeht und die Kunden in eine falsche Richtung gelenkt werden. Ich habe es im Ausschuss schon gesagt und will es auch hier noch einmal deutlich machen: Es besteht die Gefahr, dass der Kunde beim Vergleich zweier Angebote, die von der Laufzeit ein bisschen unterschiedlich sind, bei einem Produkt eine günstigere Kennziffer – „Reduction in Yield“ in der Fachsprache – sieht, obwohl das Produkt Mehrkosten beinhaltet. Das darf nicht sein. Sie wollten unseren Änderungsvorschlag nicht aufgreifen. Wir wollen aber, dass eine wirkliche Vergleichbarkeit sichergestellt ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Des Weiteren muss man sehen, dass es beim Vertragswechsel immer noch nicht gelingt, die Wechselkosten wirklich zu dämpfen. Man sollte nicht nur die Kosten begrenzen, die bei dem Unternehmen anfallen, das man verlässt; beim Abschluss eines neuen Vertrags kann immer noch die Hälfte des gesamten angesparten Kapitals für die Abschlusskostenberechnung herangezogen werden. Da geht viel zu viel Geld verloren. Unsere Vorstellung ist, dass die Abschluss- und Vertriebskosten inklusive der Provisionen über die gesamte Laufzeit verteilt werden, damit die Problematik, dass anfangs zu viel Geld im Vertrieb hängen bleibt, ein für alle mal überwunden wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zudem stellt sich die Frage: Warum führen wir eigentlich keinen Kostendeckel ein? Wir haben im Ausschuss darüber diskutiert, und es wäre wirklich richtig, ihn einzuführen. Nun stelle ich fest, dass es da eine gewisse Bewegung gab: Sie haben jetzt gesagt, dass Sie ein entsprechendes Gutachten in Auftrag geben wollen. Dazu muss man aber sagen: Wenn man fast vier Jahre an der Regierung ist, dann kommt jetzt ein Gutachten vielleicht ein wenig spät. Man muss sich dann fragen, ob Sie das nur in die nächste Legislaturperiode verschieben wollen. Vor allem aber hätte man einen solchen Kostendeckel zügig erarbeiten können. Wir haben gesagt: Wir sind dabei, wenn er noch in dieser Legislaturperiode eingeführt wird. Was aber nicht geht, ist, jetzt so zu tun, als gäbe es einen Kostendeckel, obwohl es nichts anderes als eine vage Ankündigung gibt. Wir meinen, man hätte schon in dieser Legislaturperiode eine klare Kostendeckelung vornehmen können, damit von dem, was die Menschen zur Seite legen, im Alter wirklich viel ankommt und nicht so viel im Vertrieb hängen bleibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schließlich ist die Frage: Wie reagieren wir denn darauf, dass zehn Jahre nach Einführung der Riester-Rente zwar 15,4 Millionen Verträge geschlossen wurden, aber die Menschen bei weitem nicht in der Breite erreicht wurden? Das konnte man am Anfang nicht wissen; man muss sich nach ein paar Jahren anschauen, wie es sich entwickelt. Unsere Reaktion ist, zu sagen: Es wäre eigentlich richtig, den Menschen von staatlicher Seite ein einfaches, kostengünstiges, transparentes Produkt bereitzustellen; in Schweden wird das erfolgreich gemacht. Denn sie finden es einfach schwierig, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, und haben Bedenken, sich damit auseinanderzusetzen – das zeigen viele Umfragen und die Gespräche, die wir mit Bürgerinnen und Bürgern oder mit Freunden und Nachbarn führen –, weil sie das Gefühl haben, sie könnten über den Tisch gezogen werden. Warum machen wir so ein einfaches Produkt nicht in Deutschland, damit wir die Menschen in der Breite erreichen und sie nicht in einen Vertrieb jagen, der hohe Kosten verursacht? Dann kann sich immer noch jeder in voller Wahlfreiheit für andere Varianten entscheiden; so ist das auch in Schweden. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe, die Altersvorsorge für die Menschen von staat-licher Seite so einfach wie möglich zu machen, damit sie im Alter wirklich versorgt sind. Wir sollten sie nicht weiter mit sehr komplexen Produkten und intransparenten Kostenstrukturen alleinlassen. Insofern ist unsere Bewertung: Ja, es gibt einzelne Punkte, bei denen Sie auf dem richtigen Weg sind; aber insgesamt werden die Fehler, die erkennbar sind, im Kern nicht überwunden. Deswegen lehnen wir dieses Gesetz ab. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus-Peter Flosbach für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man ist ja nie vor Überraschungen geschützt; aber was hier gerade Herr Schick und Kollegin Hinz vorgelegt haben, war Folgendes: Sie haben ihr eigenes Riester-Gesetz zerlegt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben dargelegt, welch einen Mist sie vor zehn Jahren gemacht haben, als sie die Riester-Rente eingeführt haben. Wer die Entwicklung in diesen Jahren einigermaßen aufmerksam begleitet hat, der erinnert sich noch, dass dieses Produkt in den Jahren 2001, 2002 und 2003, als es auf den Markt kam, überhaupt nicht funktioniert hat, dass es vom Markt überhaupt nicht angenommen wurde, weil es so kompliziert war. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das damals alles schon gewusst, oder was?) Wir haben hier immer gesagt: Warum machen Sie ein Produkt, das so kompliziert ist? Herr Schick sprach gerade von Vertriebskosten. Das Produkt hat am Markt erst funktioniert, nachdem die Vertriebskosten unter Rot-Grün erhöht wurden, als der Zeitraum, in dem diese Kosten erhoben werden können, von zehn Jahren auf fünf Jahre verkürzt wurde. Und heute werfen Sie uns vor, dass wir dieses Gesetz verbessern, weil wir glauben: Private Altersvorsorge ist zwingend notwendig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Schick, Sie haben hier so schön von einem löcherigen Eimer gesprochen. Meine Damen und Herren, Sie können ja Kritik an Ihrem eigenen Gesetz äußern – das ist in Ordnung –, aber Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht Angst vor der betrieblichen oder privaten Altersvorsorge schüren. Sie entmutigen die Menschen, etwas für die Altersvorsorge zu tun. Das hat eine fatale Auswirkung auf die Bereitschaft, für das Alter zu sparen. Wenn man nichts tut, dann schließt man die Rentenlücke nicht. Wir haben heute 20,5 Millionen Rentner und wissen ganz genau, dass in der nächsten Zeit jedes Jahr im Durchschnitt 500 000 Rentner hinzukommen werden, dass wir im Jahre 2030 wahrscheinlich die 30-Millionen-Grenze überschreiten. Das wird nicht allein mit der gesetzlichen Rentenversicherung gehen. Wir brauchen die bewährten drei Säulen: die gesetzliche Rentenversicherung, die betriebliche Altersvorsorge und die private Vorsorge. Nur so können wir die Probleme bei der Altersversorgung bewältigen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir sind doch froh, dass insgesamt 17 Millionen -Bürger auch eine betriebliche Altersvorsorge haben. Wir -haben die Riester-Rente immer kritisiert. Aber wir halten es für richtig, an dem Produkt festzuhalten, und sind froh, dass es fast 16 Millionen Bürger sind, die inzwischen eine Riester-Rente abgeschlossen haben. Der Kollege Middelberg hat eben ein schönes -Beispiel gebracht; es geht ja auch um die geringeren -Einkünfte. Auch die Verbraucherzentralen werben, wenn sie für Riester werben, mit dem Beispiel eines Alleinstehenden oder einer Alleinstehenden mit zwei kleinen Kindern. Sie oder er zahlt beispielsweise 5 Euro monatlich ein und bekommt im Jahr 754 Euro Zulagen; das sind 62 Euro im Monat. Hier zu sagen, es gäbe keine systematische Förderung von Beziehern kleiner Einkommen, ist doch falsch. Wir haben gerade über die Tarifentlastung gesprochen. Wir hätten noch viel mehr für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen tun können, wenn nicht das diesbezügliche Gesetz von Ihnen im Bundesrat blockiert worden wäre. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die Bezieher hoher Einkommen sorgen Sie!) Wir haben die Riester-Gesetzgebung in der Großen Koalition verbessert. Wir in der Union halten sehr viel davon, und wir wissen, dass Entsprechendes in der Bevölkerung zu 80 Prozent gewünscht wird. Da gibt es den Wunsch nach einer eigenen Wohnung, nach einem eigenen Haus. In meiner Heimatregion im Oberbergischen Kreis gibt es eine Wohneigentumsquote von weit über 50 Prozent. Die Menschen wohnen in kleinen Häusern, nicht in riesigen Palästen. Das stabilisiert die Altersvorsorge. Im Zusammenhang mit einer gesetzlichen Rente und einer betrieblichen Altersversorgung ist das genau der richtige Weg, der den Menschen ein sorgenfreies -Alter beschert, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Förderung gerade bei geringen Einkommen ist in der Großen Koalition von uns vorgeschlagen worden, indem wir für Kinder, die nach 2008 geboren wurden, einen höheren Fördersatz, eine Förderung von 300 Euro, gewähren. Das ist genau der richtige Weg. Die Zeitschrift Finanztest wurde angesprochen. Die Stiftung Warentest hat gerade eine Sonderausgabe -herausgegeben und erläutert auf sage und schreibe 114 Seiten, was man alles tun kann. Das zeigt, wie kompliziert die Materie ist. In der Tat gibt es vier verschiedene Wege und Hunderte von Anbietern. Aber Altersvorsorge ist kein Gegenstand einer kurzfristigen Betrachtung. Altersvorsorge ist immer eine langfristige Sache. Man kann natürlich kritisieren, dass die Renditen, die in diesem Bereich derzeit erzielt werden, schlecht sind. Aber auch der Zinssatz bei langfristigen Anleihen liegt heutzutage teilweise bei 1,5 Prozent. Vor 10 Jahren lag er bei 4 Prozent, vor 20 Jahren waren es 6 Prozent. Einige wissen vielleicht, dass es vor 30 Jahren sogar einen Anlagezins von durchschnittlich 8 Prozent gab. Das waren ganz andere Zeiten. Wenn Sie die Erhöhung der Lebenserwartung allein in den letzten 20 Jahren betrachten, wenn Sie die Garantien berücksichtigen, die in einem Produkt angelegt sein müssen – es muss immer das Kapital erhalten bleiben; das kostet ja Geld –, und natürlich die Kosten, dann darf man sich nicht wundern, dass die Renditen in diesen Tagen nicht so hoch sind, wenn wir den heutigen Zinssatz unterstellen. Aber genau da setzen wir an. Ich glaube, es hat keinen Sinn, ein Verbot für solche Produkte auszusprechen; vielmehr müssen wir die -Fehler angehen, die in diesen Produkten stecken. Das machen wir mit dem Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz. Auch bei denen, die das Gesetz zunächst ein Stück weit kritisieren, ist das, was wir vorgeschlagen haben, nur auf positive Resonanz gestoßen. Alle haben gesagt: Das ist genau der richtige Weg, nämlich den Rahmen zu verbessern, den Schutz der Verbraucher zu erhöhen und vor allem die Kosten zu begrenzen. Ein Punkt ist – Herr Middelberg hat das vorgestellt – das Produktinformationsblatt. Das ist sicherlich kein Beipackzettel, wie wir ihn von Medikamenten kennen. Es ist aber ein überschaubarer Beipackzettel, der wesentliche Daten enthält, weil wir wissen, dass kaum jemand diese 114 Seiten in der Zeitschrift Finanztest lesen wird, geschweige denn die ganzen Unterlagen, die zu einem Vertrag gehören. Ich denke nur an das Versicherungs-vermittlergesetz. Danach muss man heute aus rechtlichen Gründen 100 Seiten oder eine CD zur Verfügung stellen, damit ein Produkt rechtlich einwandfrei ist. Nein, ich glaube, das ist der richtige Weg. Die wichtigsten Daten müssen in einem Produktinformationsblatt enthalten sein. Es muss standardisiert sein. Es müssen gewisse Vergleichszahlen enthalten sein. Uns geht es darum, dass damit Vergleichbarkeit hergestellt wird, damit der Einzelne auch ohne tiefsten Sachverstand an dieses Thema herangehen kann und auf der Basis dieses Produktinformationsblattes verschiedene Angebote einholen kann. Nur dadurch sieht er, welche unterschiedlichen Produkte es gibt. Unser Ziel ist: Wir wollen den Wettbewerb erhöhen. Nur über Wettbewerb schaffen wir es, dass die Spreu vom Weizen getrennt wird, dass die schlechten Anbieter herausfallen; denn es gibt schlechte Anbieter. Es gibt aber auch Untersuchungen, wie viele gute Anbieter es auch in der heutigen Zeit der schlechten Renditen gibt. Ich meine, es ist der richtige Weg, den Wettbewerb hier zu verbessern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kosten spielen eine große Rolle. Das wird in der derzeitigen Situation niedriger Zinsen besonders bemerkbar. Ich glaube, es ist der richtige Weg, einen Kostendeckel einzuziehen. Heute gibt es eine ganze Reihe unzufriedener Riester-Sparer. Es muss die Chance gegeben sein, zu einem anderen Produkt zu wechseln und nicht abgeworben zu werden. Es dürfen auch keine -Stornokosten in besonderer Höhe entstehen. Wir haben vorgesehen, dass eine Höhe von maximal 150 Euro angesetzt werden kann. Das ist der richtige Weg. Die Wohnförderung spielt heute eine sehr große Rolle. Wir haben festgestellt, dass es nicht richtig ist, dass man Kapital aus einem Wohnförderkonto nur zu Beginn der Altersrente entnehmen darf. Wir halten es für richtig, dass man, wenn man Geld angespart hat, jederzeit in der Lage ist, die Zinszahlungen für sein Haus zu senken, indem man auf das Konto zugreifen kann. Es gibt viele, die im Alter, dann, wenn sie in Rente gehen, wenig angespart haben und möglicherweise nur dieses Wohnförderkonto haben. Es kann doch nicht sein, dass ich dieses Geld nicht für einen Umbau zur Herstellung von Barrierefreiheit verwenden kann. Deshalb haben wir gesagt: Wenn das Geld für die selbstgenutzte Immobilie verwendet wird, muss dies nach wie vor möglich sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich muss leider zum Ende kommen; die Redezeit ist für mich abgelaufen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Altersvorsorge und vor allen Dingen auch die Berufsunfähigkeitsabsicherung zu verstärken. Nachdem die Berufsunfähigkeitsrente in der klassischen Form verändert wurde – es gab nur noch die Erwerbsminderungsrente, die zu einem ganz geringen Einkommen führte –, gibt es über diese Neuerungen jetzt die Möglichkeit, die persönliche Berufsunfähigkeit abzusichern. Das ist der richtige Weg. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Wir in der Koalition stehen für stabile Einkommen. Wir wollen den zukünftigen Rentnern vor allen Dingen ein stabiles Einkommen gewährleisten. Dazu brauchen wir die gesetzliche, die betriebliche und die private -Rentenversicherung. Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass ich so lange reden durfte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich wollte Sie nur an Ihre eigenen Worte erinnern. Annette Sawade hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Annette Sawade (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ein richtiger Ansatz macht noch lange kein gutes Gesetz; denn leider hat sich trotz Beratung und einer Anhörung Ende vergangenen Jahres nichts Entscheidendes an dem Entwurf eines Altersvorsorge-Verbesserungsgesetzes verbessert. (Beifall der Abg. Ingrid Arndt-Brauer [SPD]) Die Hoffnung, dass aus der richtigen Richtung auch ein konsequentes, substanziell verbessertes Gesetz wird, ist verflogen. Wir sind enttäuscht und wieder einmal ernüchtert. Aber wir haben ja gerade gehört: Die Zeit ist bald abgelaufen. Dann können wir alle Chancen der Welt nutzen, um das Gesetz richtig zu machen. (Beifall bei der SPD) Ich zitiere aus den Reihen der Koalitionsfraktionen, wohlgemerkt aus der ersten Lesung zu diesem Gesetz: Es ist vielleicht kein ganz großer Wurf; aber es sind technisch ganz wichtige Punkte, an denen wir ansetzen … Ist das ein engagierter, verantwortungsvoller Umgang mit gesetzgeberischer Kompetenz? Es geht nicht darum, ein Konzeptpapier an einem Runden Tisch zu diskutieren. Nein, es geht um verbindliches Recht, um ein verbindliches Recht, das, soweit man der Überschrift glauben schenken mag, eine Verbesserung für die Bürgerinnen und Bürger des Landes bringen soll. Ich bezweifle, werte Kolleginnen und Kollegen, dass sich die Betroffenen wirklich ernst genommen fühlen, wenn ihnen im -Klartext vermittelt wird: Okay, zugegeben, es ist kein großer Wurf; aber immerhin haben wir etwas auf den Weg gebracht. (Beifall bei der SPD) Altersvorsorge ist eines der Themen, das uns allen unter den Nägeln brennt, begründet zum einen durch die demografische Entwicklung und zum anderen durch die enorme Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse. Diese Fakten erfordern, das Thema Alter und Rente wahrlich anders anzupacken als nur mit gesetzestechnischen -Verbesserungen. Denn es gibt keine flächendeckende Verbreitung der staatlich geförderten Altersversorgung. Knapp 70 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigen im Alter zwischen 25 und 65 Jahren haben einen Anspruch darauf. Gerade Geringverdiener haben oft nicht die Möglichkeit, die Absenkung des Renten-niveaus entsprechend auszugleichen. In Zahlen ausgedrückt heißt das: Von den Beschäftigten mit Bruttolöhnen unter 1 500 Euro im Monat sind 42 Prozent ohne zusätzliche Altersvorsorge. Von den derzeit 15,6 Millionen Riester-Verträgen sind 20 Prozent – das sind circa 3 Millionen – ruhend, werden also nicht bespart. Die Gründe sind uns bekannt. Sie liegen an den zunehmend prekären Beschäftigungsverhältnissen. Diese Leute haben überhaupt kein Geld mehr, in die private Vorsorge einzuzahlen. Deshalb begrüßen wir es, wenn der Verbraucherschutz in Form eines verbindlichen Produktinforma-tionsblattes gestärkt wird. So wird es hoffentlich mehr Transparenz und mehr Vertrauen in die Riester-Rente -geben, sodass mehr Beschäftigte zusätzlich vorsorgen, wenn sie es denn können. Aber wie aus den Beratungen hervorgeht, ist noch vieles zu klären, was Inhalt und Bewertung der in den Informationsblättern enthaltenen Kennzahlen betrifft. Vor allen Dingen – es wurde bereits gesagt – ist das alles immer noch viel zu kompliziert. Machen wir uns nichts vor: Wir wissen alle, dass die strukturellen Probleme durch diese Vorlage nicht gelöst werden, und wir haben ein strukturelles Problem bei der Altersvorsorge in Deutschland. Das Drei-Säulen-Modell der Altersvorsorge wackelt nämlich, und jeder einigermaßen technisch Begabte weiß, dass ein Bau wackelt, wenn die Säulen nicht gleichmäßig stark sind. (Beifall bei der SPD – Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Das ist doch auch Ihr Modell!) Im Klartext heißt das, dass es nicht allein um die Förderung der privaten Vorsorge gehen darf. Die tragende Säule bleibt die der gesetzlichen Rente, und die folgt einer ganz simplen Regel: Nur aus guten Löhnen werden gute Renten. (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das haben wir geschafft!) – Das ist die Frage. – Wir als Politikerinnen und Politiker in diesem Land können es nicht verantworten, über das Alter zu reden, zu beraten und zu entscheiden, ohne gesamtheitlich zu denken und vor allem zu handeln. Wenn wir hier über die Altersvorsorge debattieren, dann auch, weil wir die Gefahr der zunehmenden Altersarmut sehen. Altersarmut kommt aber nicht einfach so. Erwerbsarmut, das heißt schlecht bezahlte Arbeit, führt zu Altersarmut. Hier müssen wir ansetzen. (Beifall bei der SPD) Wir als SPD fordern immer wieder – ich wiederhole es erneut; meine Kollegin hat es vorhin schon gesagt –: Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Wir brauchen gleichen Lohn für gleiche -Arbeit, das gilt ganz besonders für unsere Frauen. Wir wollen, dass jeder Mensch, der in Vollzeit arbeitet, von dieser Arbeit leben und sein Alter in Würde verbringen kann. (Beifall bei der SPD) Einige Zahlen zur sozialen Kluft in Deutschland habe ich bereits genannt. Verschiedene Sachverständige haben es in ihren Stellungnahmen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf unterstrichen: Verlierer dieser Debatte sind leider wie so oft die Geringqualifizierten und die Geringverdiener. In einem Gutachten des Sozialbeirates zum Alterssicherungsbericht 2012 heißt es: Armuts-bekämpfung ist eine Aufgabe der Allgemeinheit. – Damit sind die Arbeitgeber – das sage ich sehr deutlich – aber nicht aus der Verantwortung, gerecht zu entlohnen. In einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und -Berufsforschung aus dem September 2012 heißt es – ich zitiere –: Unsere Ergebnisse zeigen, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit große Bedeutung für den Aufbau von privatem Vorsorgekapital hat. Daher ist zu konstatieren, dass die kapitalgedeckte private Altersvorsorge derzeit insgesamt nur sehr begrenztes Potenzial bietet, die Risiken künftiger Altersarmut zu verringern – trotz Riester-Förderung. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, vor diesen Tatsachen sollten Sie Ihre Augen nicht verschließen. Sie können jetzt nicht verkünden, Sie würden mit diesem Gesetz die Altersvorsorge substanziell verbessern, wenn wiederum nur ein Teil der Betroffenen tangiert wird. Dies gilt umso mehr, wenn man auch noch die steuerliche Förderung von Immobilieneigentum mit einbezieht; denn Eigentum haben laut IAB-Angaben nur 9 Prozent der ALG-II-Empfänger, 43 Prozent der Niedrigeinkommensbezieher außerhalb der Grundsicherung, aber 82 Prozent der Personen, deren Einkommen im oberen Einkommensfünftel liegt. (Beifall bei der SPD) Wir als SPD wollen uns nicht aus der Solidargemeinschaft verabschieden. Eines müssen wir um jeden Preis verhindern: dass Altern in Würde und Wohlstand künftig zum Privileg bestimmter gesellschaftlicher Gruppen wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ja, einer trage des anderen Last; aber die Last dieses Gesetzentwurfes tragen wir nicht mit. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Björn Sänger hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Björn Sänger (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Gesetz trägt zu Recht den Namen Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz; denn es enthält entscheidende Verbesserungen in der dritten Säule der Altersvorsorge, der privaten Altersvorsorge. Es ist richtig und wichtig, dass diese Verbesserungen durchgeführt werden, weil die dritte und auch die zweite Säule zunehmend wichtiger werden. Frau Kollegin Sawade, es ist völlig richtig, dass die erste Säule eine sehr starke Säule ist. Es ist auch völlig richtig, dass aus guten Löhnen gute Beiträge erwachsen; aufgrund der guten konjunkturellen Lage erleben wir das gerade. Allerdings muss es auch eine ausreichende Zahl von Köpfen geben, die in das System entsprechend einzahlen. Wenn ich mir die demografische Entwicklung anschaue, dann kann ich nur sagen: Die Arbeitnehmer, die heute noch nicht geboren sind, können in dieses System schlichtweg nicht einzahlen. Insofern ist es geradezu geboten, die private Vorsorge zu stärken. Daher ist es richtig, mehr Flexibilität zu schaffen. Diesbezüglich hat die Kollegin Hinz völlig recht. Sie haben vorausgesehen, dass ich hier heute über die Flexibilität sprechen werde. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Ich kenne Ihre -Rituale!) Die Menschen sind unterschiedlich. Weil wir erkannt haben, dass die Menschen unterschiedlich sind – das steckt uns sozusagen im Blut –, wissen wir auch, dass wir individuelle Regelungen brauchen. Wir möchten, dass die Menschen entscheiden, was für sie gut ist. Wir wollen nicht für die Menschen entscheiden, was für sie gut ist. Diese Kompetenz möchte ich mir gar nicht anmaßen. Ich halte sie für menschenverachtend. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Dann ziehen Sie Ihr Gesetz zurück!) Die Riester-Produkte stehen in der Diskussion. Es ist richtig, dass auch wir in der Vergangenheit nicht immer die größten Freunde davon waren. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Sie haben dagegen gestimmt!) Aber, wie der Kollege Flosbach schon sagte, jetzt ist das System nun einmal da. Jetzt müssen wir damit leben und schauen, wie wir damit hinsichtlich Rendite, Kosten und Provisionen am besten umgehen. Wir haben die einheitlichen Produktinformationsblätter geschaffen, die es den Verbrauchern ermöglichen, die Produkte zu vergleichen. Wir haben einheitliche Kostenregelungen für den Fall geschaffen, dass man den Anbieter wechseln möchte. Aus unserer Sicht ganz entscheidend sind die Flexi-bilisierungen beim Wohn-Riester. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das ist Ihr Steckenpferd!) Es ist in der Tat so – sofern Sie nicht mit der Vermögensteuer dazwischenkommen –, dass derjenige, der im eigenen Heim wohnt, schlichtweg keine Miete zahlt. (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Aber der hat viel höhere Nebenkosten! Alles Illusion!) Er muss sich nicht mit steigenden Mieten herumschlagen. Diesbezüglich sind – das muss ich sagen – gute Anreize gesetzt worden: Ein Anreiz ist die Möglichkeit, jederzeit das Vermögen zu entnehmen – das hat der Kollege Flosbach schon gesagt –, um zum Beispiel die Entschuldung voranzutreiben. Wir haben die Flexibilisierung des Entnahmebetrags – zwischen 75 und 100 Prozent – herbeigeführt. Der Geförderte kann jetzt frei entscheiden, wann er die Einmalbesteuerung des Wohnförderkontos vornehmen möchte. Wir haben den altersgerechten Umbau einbezogen. Auch das ist etwas, was mit den individuellen Lebenssituationen von Menschen zu tun hat, die man bei Abschluss des Vertrages möglicherweise noch gar nicht absehen kann. Daher haben wir den behindertengerechten bzw. altersgerechten Umbau einbezogen. Wir haben in diesem Zusammenhang eine weitere Flexibilisierung vorgenommen: Der Handwerker kann beratend tätig werden, und es muss nicht ein entsprechender Gutachter herangezogen werden. Wir haben eine Flexibilisierung beim Reinvestitionszeitraum vorgenommen: von zwei auf fünf Jahre. Wenn man eine einmal geförderte Immobilie verkaufen möchte, weil man sich vielleicht verkleinern möchte, weil man sich zum Beispiel in eine andere Wohnform einkaufen möchte, dann kann man sich dafür Zeit nehmen. Was unglaublich wichtig ist – das sage ich als Vertreter des ländlichen Raums –, ist die Absenkung der jährlichen Erhöhung der in das Wohnförderkonto eingestellten Beträge von 2 auf 1 Prozent; denn die Masse der Menschen, die sich Eigentum gekauft hat, lebt eben nicht in Frankfurt, München oder Berlin-Mitte, wo möglicherweise mit steigenden Immobilienpreisen zu rechnen ist (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch!) – aber auch –, sondern auch und gerade auf dem flachen Land, wo man möglicherweise mit einer negativen Verzinsung rechnen muss. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU]) Unterm Strich haben wir eine Fülle von Maßnahmen, die das Angebot verbessern. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Haben Sie „verbessern“ oder „verwässern“ gesagt?) Ich finde es unglaublich beschämend, dass Sie diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Er ist schlichtweg sinnvoll und gut. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sinnvoll und gut wäre es, die gesetzlichen Renten zu stärken!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Dr. Barbara Höll das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sänger, manchmal kommt es einem wirklich so vor, als ob Sie in einem Paralleluniversum leben. (Björn Sänger [FDP]: Nee! Sie! Sie wohnen dort!) Zunächst möchte ich klipp und klar sagen: Alle Menschen, die Monat für Monat ihren Beitrag in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen, sind zwar dazu verpflichtet, aber sie sorgen dadurch privat vor. Schon Ihre Wortwahl ist irreführend. Sie tun so, als ob die private Vorsorge etwas ganz anderes wäre, als ob die, die nur in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen, nicht privat vorsorgen würden. Das ist einfach Blödsinn. (Beifall bei der LINKEN) Der Unterschied ist, (Björn Sänger [FDP]: Erklären Sie den mal!) dass die gesetzliche Rentenversicherung ein umlagefinanziertes System ist, dass also de facto das, was heute eingezahlt wird, morgen ausgezahlt wird. Das andere System ist kapitalgedeckt. Das heißt, das Geld, das heute eingezahlt wird, wird irgendwo in den Kapitalmärkten angelegt. Was in 10, 15, 20 oder 30 Jahren dabei herauskommt, das wissen wir nicht. Das ist das große Risiko dabei. (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau das ist das Problem!) Die Fragen, vor denen wir stehen, sind: Wie ist der demografische Wandel tatsächlich zu bewältigen? Welches System ist besser geeignet, die Risiken im Alter abzudecken? Um diese Fragen zu beantworten, muss man das kapitalgedeckte und das umlagefinanzierte System vergleichen. Wenn man diese Systeme einmal sachlich vergleicht, zeigt sich, dass das umlagefinanzierte System wesentlich besser ist. (Beifall bei der LINKEN – Björn Sänger [FDP]: In welcher Parallelwelt leben Sie denn? – Max Straubinger [CDU/CSU]: Stimmt nicht!) – Doch, das stimmt. – In beiden Systemen muss es natürlich einen Produktivitätszuwachs geben. In beide Systeme muss erst einmal etwas eingezahlt werden. Das ist die Voraussetzung. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, wenn eingezahlt wurde, ist die Frage: In welchem System kann man ein stabiles Rentenniveau gewährleisten? Dies kann ich nur in der gesetzlichen Rentenversicherung gewährleisten. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das ist doch Augenwischerei!) Sie sagen: Private Vorsorge – ich meine das in Anführungszeichen –, also das kapitalgedeckte System, würde höhere Renditen erwirtschaften. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der Witz ist gut!) Hallo? Wo sind denn die höheren Renditen? Sie gehen bei Ihrer Vorhersage von 4 Prozent aus. Das wird doch real schon jetzt nicht mehr erreicht. Wir haben schon jetzt einen Rückgang der Rendite bei der Riester-Rente auf ein Drittel, von 3,75 auf 1,75 Prozent. 4 Prozent waren nie erreicht. Also stimmt auch dieses Argument nicht. Das ist unrealistisch. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! Sie schimpfen doch immer über die Kapitalanleger, die würden zu viel verdienen!) Schauen wir uns einmal an, was geschehen ist. Das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung ist um etwa 4 Prozent gesenkt worden. Dazu kommt die Deckelung des Rentenversicherungsbeitrags: bis 2020 maximal 20 Prozent, bis 2030 maximal 22 Prozent. Sie sagen: Wenn da eine Lücke entsteht – sie ist da –, dann solle jeder für sich vorsorgen, indem er mit seiner privaten Altersvorsorge an die Kapitalmärkte geht. Wer bleibt bei Ihrem System auf der Strecke? Sie pumpen Milliarden in das System. Die konkreten Angaben dazu haben Sie uns noch nicht geliefert; auch das muss man sagen. Deswegen haben wir dazu einen Antrag eingebracht. Zwischen 36 und 45 Milliarden Euro sind bisher schon in das System der kapitalgedeckten Altersvorsorge gepumpt worden. Aber wer hat denn etwas davon? Die, die jetzt einzahlen, die zukünftigen Rentnerinnen und Rentner, bleiben auf der Strecke; denn der Großteil dieses Geldes ist bei den Versicherungsunternehmen gelandet. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – -Zuruf von der SPD: Blödsinn!) Das muss man sich einmal überlegen. Diese Versicherungsunternehmen haben Bürokratie- bzw. Verwaltungskosten von bis zu 20 Prozent. In der gesetzlichen Rentenversicherung sind es 1,4 Prozent. Auch das ist ein gravierender Unterschied. Die ganze Richtung ist also grundverkehrt. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie jetzt versuchen, ein bisschen nachzubessern und das System verbraucherfreundlicher zu machen, klingt das zwar wunderbar, aber in Wirklichkeit bringt es nichts. Vorhin wurde das Produktinformationsblatt hochgehalten. Na klasse! Wer von Ihnen kann überhaupt noch all die Finanzprodukte, die es auf der Welt gibt, bewerten? Das können Sie auch nicht auf einem Produktinformationsblatt darstellen. Zudem soll die geplante Produktinformationsstelle eine private Stelle sein. Wie soll diese transparent arbeiten? Auch da gibt es keine Transparenz. Es wird wieder so sein, dass damit letztendlich die Versicherungswirtschaft noch mehr Einfluss gewinnt. Da wird doch das Leben ganz irdisch. Es gibt relativ wenige Versicherungsmathematiker. Sie werden bestimmt versuchen, viele von diesen für die Arbeit in der Produktinforma-tionsstelle zu gewinnen. Sie sollen dann auf einmal gegen die Versicherungsunternehmen, bei denen sie vorher waren, arbeiten? Sie öffnen also dem Einfluss der Versicherungsunternehmen hier weiter Tür und Tor. Diese können dann auch auf die Methodik, wie etwas erfasst wird, Einfluss nehmen. Das lässt sich nachweisen, unter anderem an der Verarbeitung der Sterbetafeln bzw. daran, wie die Biometriekosten berechnet werden. Das kann man hier und jetzt allerdings nicht erklären; das würde dann nämlich wirklich keiner mehr verstehen. Aber prinzipiell wird der Entwicklung, dass die Versicherungsunternehmen weiteren Einfluss bekommen, Tür und Tor geöffnet. Sie sagen, Sie würden mit Ihrem Gesetz die Höhe der Wechselkosten, die anfallen, wenn man von einem Anbieter zu einem anderen wechselt, wirksam begrenzen. Das ist doch pure Augenwischerei. Sie haben die Neuabschlusskosten auf maximal die Hälfte des bis dahin angesparten Kapitals begrenzt. Das heißt, im Prinzip gibt es keine Deckelung. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!) Jetzt zum Wohn-Riester. Der Wohn-Riester ist wirklich völlig absurd. Erstens ist er so ausgestaltet, dass kaum jemand diese Möglichkeit nutzen wird; das ist auch in den Beratungen im Ausschuss ganz klar herausgekommen. Zweitens ist es doch eine Mär, dass der Erwerb von Wohneigentum eine sichere Form der Altersvorsorge ist. Eine Form der Vorsorge ist dies natürlich. Wenn man tatsächlich zu einem Pflegefall wird und in ein gutes Altenpflegeheim möchte, hat man zur Not die Möglichkeit, sein Wohneigentum zu verkaufen und von diesem Geld zu leben. Um keine Miete zahlen zu müssen bzw. kostenfrei wohnen zu können, muss man das Wohneigentum aber erst einmal abbezahlt haben. Außerdem hat derjenige, der Wohneigentum besitzt, meistens wesentlich höhere Nebenkosten und muss da und dort Reparaturen durchführen. Es ist doch nicht per se so, dass man, wenn man über Wohneigentum verfügt, im Alter kostenfrei wohnt. Das ist eine Mär. Über dieses Thema muss man anders nachdenken und auch anders reden. Wenn Sie in diesem Bereich etwas hätten machen wollen, dann hätten Sie die verschiedenen Formen des Wohneigentums – ich denke auch an genossenschaftliches Eigentum – zielgerichtet fördern können. Es gab ja einmal eine Eigenheimzulage, die zumindest relativ vernünftig ausgestaltet war. Etwas Ähnliches könnte man wieder auf den Weg bringen. Ein Wohn-Riester in dieser Form löst die Probleme aber nicht. (Beifall bei der LINKEN) Zu der jetzt eröffneten Möglichkeit, sich gegen Risiken der Erwerbsminderung abzusichern, sage ich Ihnen klipp und klar: Das ist eine Aufgabe, die die gesetzliche Rentenversicherung erfüllen muss. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Höll? Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Das ist – mein letzter Satz – gesetzlich zugegebenermaßen schlecht geregelt. Diejenigen, die es sich leisten können, können sich besser absichern. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Höll! Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Diejenigen, die es sich nicht leisten können, haben Pech gehabt. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir finden den Risikomix aus Umlageverfahren als grundlegender Basisversorgung plus Kapitaldeckung richtig. (Beifall der Abg. Dr. Birgit Reinemund [FDP]) Der Schritt, den wir vor zehn Jahren gemacht haben, war ein richtiger Schritt. Aber jetzt, zehn Jahre später, wissen wir, dass es viele Riester-Produkte gibt, die sich nur deswegen rechnen, weil wir sie staatlich subventionieren. An dieser Stelle müssen wir ansetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Abschaffung der Riester-Rente ist keine Lösung. Vielmehr brauchen wir eine grundlegende Reform, damit das Drei-Säulen-Modell tatsächlich trägt. Das fängt bei der gesetzlichen Rente an. Die kapitalgedeckte Säule darf nicht auf Sand gebaut werden, sondern sie braucht ein stabiles Fundament. Wenn wir auf eine Rente unterhalb des Grundsicherungsniveaus noch eine kapitalgedeckte Säule bauen, dann nützt das nichts. Wir brauchen eine Garantierente, die ein Mindestniveau absichert. Da kann dann die kapitalgedeckte Säule obendrauf, damit sich die Eigenvorsorge tatsächlich lohnt und sie nicht komplett bei der Grundsicherung angerechnet wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ingrid Arndt-Brauer [SPD]) Ein weiterer Punkt, an dem wir nach zehn Jahren feststellen, dass es da eine Lücke gibt, betrifft insbesondere die Menschen mit geringem Einkommen, die nicht in dem Ausmaß riestern, wie es eigentlich sinnvoll wäre. Auch an dieser Stelle müssen wir ansetzen. Das heißt nicht unbedingt, mehr Geld in das System zu pumpen; da haben Sie völlig recht. Es ist ja relativ großzügig ausgestaltet, auch was den unteren Einkommensbereich betrifft. Es ist wichtig, die Strukturen zu verändern und Barrieren abzubauen, damit Menschen leichter an ein Riester-Produkt herankommen. Wir brauchen ein einfaches, kostengünstiges und transparentes Produkt. Über die Idee, als Standard ein Basisprodukt zu entwickeln, sollten wir unbedingt diskutieren und diese Idee gründlich prüfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen schauen, dass die Fördermittel insbesondere im unteren Einkommensbereich zielgenau ankommen. An dieser Stelle ist der vorliegende Gesetzentwurf kontraproduktiv und geht in die völlig falsche Richtung. Das fängt an mit der Anhebung der Förderhöchstgrenze von 20 000 Euro auf 24 000 Euro. Liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU/CSU, es gibt viele Menschen in diesem Land, die verdienen im Jahr nicht einmal so viel. Wenn Sie die Förderhöchstgrenze anheben, ist das wieder eine Subventionierung Ihrer Klientel; denn davon profitiert insbesondere die Klientel der FDP: die Besserverdienenden und Bestverdienenden. Besonders fördern müsste man eigentlich die Geringverdienenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäffler zulassen? Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, gerne. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön. Frank Schäffler (FDP): Herr Kollege, Sie haben uns gerade vorgeworfen, wir würden jetzt die Förderhöchstgrenzen für die Basisrente anheben. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Sie diese Grenze von 20 000 Euro eingeführt haben. Wenn Sie jetzt behaupten, wir würden diese Grenze im Verhältnis zur Riester-Rente überproportional anheben, dann müssen Sie aber auch eingestehen, dass Rot-Grün diese Förderhöchstgrenze von 20 000 Euro – bzw. 40 000 für Verheiratete – eingeführt hat. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch argumentiert! Es geht um die Anhebung!) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das geht völlig am Thema vorbei. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die Förderhöchstgrenze von 24 000 Euro gilt insgesamt für die Riester-Förderung. (Frank Schäffler [FDP]: Entschuldigung, das ist nicht die Riester-Rente, das ist die Rürup-Rente! Sie haben gar keine Ahnung vom Thema!) Wenn man die Förderhöchstgrenze anhebt, profitieren davon die Besserverdienenden und nicht die Gering-verdienenden. Das ist der zentrale Punkt. (Frank Schäffler [FDP]: Es geht nicht um die Riester-Rente, es geht um die Rürup-Rente!) Das Gleiche gilt für den Wohn-Riester: Auch davon profitieren die Besserverdienenden, auch das ist eine Subventionierung Ihrer Klientel. (Frank Schäffler [FDP]: Sie haben diese -Förderhöchstgrenze eingeführt!) Das Gleiche passiert bei der Erwerbsminderungsrente, die so ausgestaltet ist, dass auch sie sich für die Geringverdienenden gar nicht lohnt, weil die Prämien viel zu hoch sind und gerade Menschen mit hohem Risiko die entsprechenden Prämien überhaupt nicht bezahlen können. (Frank Schäffler [FDP]: Sie haben die doch eingeführt!) All das sind Maßnahmen, die nur Ihrer Klientel dienen – damit versuchen Sie sich über die 5-Prozent-Hürde zu retten. (Lachen bei der FDP) Wir haben ganz andere Vorstellungen davon, wie das gestaltet werden sollte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Frank Schäffler [FDP]: Es gibt einen Unterschied zwischen Riester-Rente und Rürup-Rente!) Der dritte Punkt, an dem man ansetzen muss – der Kollege Schick hat es ausführlich dargestellt –: Wir müssen dafür sorgen, dass die Renditen und das Geld, das wir in die Riester-Rente stecken, tatsächlich bei den -Bürgerinnen und Bürgern ankommt und nicht aus einem löchrigen Eimer herausläuft und zu den Anbietern fließt. Unser Fazit ist: Schwarz-Gelb hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der, auch wenn er in Teilen durchaus in die richtige Richtung geht, in großen Teilen Klientel-politik ist und am Kernproblem definitiv vorbeigeht. Deswegen gilt auch an dieser Stelle: Die Alternative ist grün. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Karl Holmeier für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Karl Holmeier (CDU/CSU): Sehr verehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über 15 Millionen Riester-Verträge und davon fast 1 Million Wohn-Riester-Verträge – oder, besser gesagt, Eigenheimrentenverträge –, ich glaube, die bisherige -Bilanz der staatlichen Vorsorgeförderung kann sich sehen lassen. Als Baupolitiker und Vertreter des ländlichen Raums freut es mich vor allem, dass sich die Eigenheimrente so positiv entwickelt hat. Auch wenn manche das ein bisschen anders sehen, hat Wohneigentum für viele Menschen einen hohen Stellenwert: in ökonomischer, in gesellschaftlicher, vor allem aber in familienpolitischer Hinsicht. Gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten ist Wohneigentum für viele eine sichere Geldanlage. Wer ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung hat, ist außerdem unabhängig vom Mietwohnungsmarkt. Damit ist er auch vor steigenden Zinsen geschützt. (Beifall des Abg. Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]) Der Verband der Privaten Bausparkassen hat in diesem Zusammenhang erst jüngst darauf hingewiesen, dass die eigenen vier Wände der beste Schutz vor Mieterhöhungen sind. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Und die anderen Kosten?) Zudem wird durch jedes neue Eigenheim eine Mietwohnung frei – was zur Entlastung der angespannten Lage auf dem Mietwohnungsmarkt beiträgt. Wohneigentum, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat aber auch eine hohe familienpolitische Bedeutung. Wo wachsen denn Kinder glücklicher und behüteter auf als in einem Einfamilienhaus mit eigenem Garten? (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Was ist denn das für ein Stigma?) Letztlich ist die Schaffung von Wohneigentum von hoher Bedeutung für die private Altersvorsorge. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Eigenheim und Betreuungsgeld, das ist das Riester der CSU!) Die christlich-liberale Koalition hat daher im Koalitionsvertrag vereinbart, die staatliche Förderung in diesem Bereich zu verbessern und das Modell der Eigenheimrente, das noch unter Rot-Grün eingeführt wurde, zu vereinfachen. Genau das tun wir mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurf. Der Name ist übrigens Programm: Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Wie Betreuungsgeld!) Die Schwachpunkte des Eigenheimrentengesetzes von 2008 werden korrigiert, und das Modell wird dadurch noch attraktiver, auch wenn Sie es nicht glauben wollen. (Beifall bei der CDU/CSU – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Ich weiß das!) Dass wir in der Koalition mit dieser Meinung nicht alleine dastehen, hat die Anhörung im November letzten Jahres eindrucksvoll bestätigt. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Wo waren Sie denn da?) Den einen oder anderen Kritikpunkt haben wir im parlamentarischen Verfahren noch aufgegriffen und können nun zu Recht behaupten, heute ein Gesetz zu beschließen, das seinen Namen auch verdient. Mit diesem Gesetzentwurf ist es uns gelungen, die Möglichkeiten der privaten Altersvorsorge so flexibel auszugestalten, dass für jeden Sparer etwas dabei ist. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das stimmt nicht!) Für junge Leute und Familien bietet ein Eigenheimrentenvertrag die attraktive Möglichkeit, mithilfe staatlicher Förderung ein Darlehen für den Bau oder für den Kauf des eigenen Hauses oder der eigenen Wohnung aufzunehmen und dieses Darlehen dann sehr flexibel zu bedienen. Nachdem es kein Baukindergeld und auch keine -Eigenheimzulage mehr gibt, kann die Eigenheimrente die entstandene Lücke im staatlichen Fördersystem -wieder etwas schließen. Davon profitieren aber nicht nur junge Leute, sondern wir kommen auch noch dem Wunsch nach, die Eigenheimrente – auch dies wurde bereits angesprochen – für den barrierefreien Umbau im Alter und natürlich auch für den behindertengerechten Umbau verwenden zu können. Die Baupolitiker der Koalition haben dafür gesorgt, dass diese Förderung auch eine sehr attraktive Ergänzung zu den bereits bestehenden Programmen darstellen wird. Es ist gelungen, das Mindestinvestitionsvolumen von ursprünglich vorgesehenen 30 000 Euro auf jetzt 20 000 Euro zu reduzieren. Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass die Kontrolle darüber, ob die Voraussetzungen für die Förderung vorliegen, nicht zu bürokratisch ist. Es war geplant, dass nur ein Architekt die Verwendungskontrolle durchführen darf. Wir haben erreicht, dass dies künftig auch ein Handwerker machen kann. Abschließend, meine sehr verehrten Damen und -Herren, möchte ich noch auf ein immer wieder vorgetragenes Vorurteil hinweisen. Auch das wurde bereits von unseren Kollegen angesprochen. Angeblich ist Riester-Sparen nichts für Menschen mit einem geringen -Einkommen. Das ist, mit Verlaub, meine Damen und Herren, Blödsinn. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie haben immer noch nicht gesagt, was hinten rauskommt! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Sie haben es immer noch nicht begriffen!) Alle, die das behaupten, sollten einfach mal bei der Stiftung Warentest nachschauen und sich dort informieren. Die Stiftung Warentest, bekanntlich eine Art Bibel für den deutschen Verbraucher, lobt unseren Gesetzentwurf – hören Sie: lobt unseren Gesetzentwurf – in den höchsten Tönen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! In der Anhörung hat es sich anders angehört!) Sie hat auch Berechnungen darüber angestellt, wie attraktiv die Riester-Rente, die Riester-Produkte gerade für Menschen mit geringerem Einkommen sind. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Für die tun Sie gerade nichts!) Es wurde „12 mal 5 Euro“ angesprochen. Ich sage: einmal 60 Euro im Jahr. Eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 20 000 Euro zahlt lediglich 60 Euro im Jahr, um die volle Riester-Förderung und -damit Zulagen in Höhe von 754 Euro zu erhalten. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie machen es nicht! Und man muss darüber nachdenken, warum sie das nicht machen, woran das liegt!) – Kapieren Sie das endlich einmal! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen kapieren, dass das nichts nützt!) Das zeigt: Auch für Geringverdiener lohnt sich die private Altersvorsorge. Es lohnt sich mit dem heute zu beschließenden Gesetz noch viel mehr, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Für Rürup, aber nicht für Riester!) Das beweisen die zahlreichen positiven Stellungnahmen zu diesem Gesetzentwurf. Nicht nur die Stiftung Warentest ist voll des Lobes, sondern auch viele andere Verbände sind es. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Sie waren doch gar nicht in der Anhörung!) Besonders begrüßt wird die Einbeziehung des altersgerechten und des behindertengerechten Umbaus. Die gute Bilanz wird sich also in Zukunft weiter verbessern. Der Name ist eben Programm. Ich wiederhole es: Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Eine Mogel-packung ist das!) Ich bitte daher auch Sie, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir halten an Riester fest. Aufseiten der Opposition, die damals Riester eingeführt hat, sehe ich so manchen Zweifel. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! 90 Minuten Debatte über den Entwurf eines Altersvorsorge--Verbesserungsgesetzes! Informierte Bürger, die heute irgendwann einmal Nachrichten gehört haben, könnten jetzt denken: Warum brauchen die heute Nachmittag eine Sitzung des Koalitionsausschusses unter anderem zum Thema Rente, wenn sie das jetzt abhandeln? Genau umgekehrt wird aber ein Schuh daraus: Weil wir heute die Probleme in der Rentenversicherung nicht lösen, brauchen wir nicht nur den Koalitionsausschuss, sondern werden wir auch eine andere Regierung brauchen. Deswegen wird uns das alles wieder auf die Füße fallen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich habe mir einmal den Koalitionsvertrag zum Thema Rente angeguckt, weil ich wissen wollte, ob wir hier heute Nachmittag irgendein Problem lösen. Im Koalitionsvertrag steht als Ziel eine Verbesserung bei der Anrechnung von Kindererziehungszeiten. Das hat Schäuble beerdigt. Das ist tot; das kommt nicht. Der nächste Punkt, der im Koalitionsvertrag steht, ist der Kampf gegen Altersarmut. Die sogenannte von der Leyen’sche Zuschussrente kommt auch nicht. Sie ist ebenfalls tot und beerdigt. Der nächste Punkt ist die Rentenangleichung Ost/West. Sie wurde vor der Geburt beerdigt und kommt auch nicht. Damit bleibt noch eine Sache, nämlich die Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge. Das liegt heute auf unserem Tisch und wird nach unserer Debatte und der Verabschiedung ins Koma geraten. Ich werde noch erklären, warum. (Beifall bei der SPD) Die erste Lesung hierzu hatten wir vor einigen -Wochen. Damals habe ich den Gesetzentwurf, eineinhalb Seiten mit fünf Zielen, einmal hochgehalten. Ich habe gehofft und meiner Hoffnung auch Ausdruck verliehen, dass nach dem Struck’schen Gesetz, dass nichts so aus dem Parlament herauskommt, wie es hineingegangen ist, Verbesserungen erzielt werden. Zwischendurch war ich guter Hoffnung. Es gab elf Änderungsanträge, und ich habe gedacht: Die machen noch etwas daraus. Die elf Änderungsanträge waren aber wirklich Makulatur, und es ist nicht besser geworden. Das Oberziel, die Förderung zu verbessern, ist nicht erreicht worden. Ich gehe noch einmal zurück auf Anfang: Wir haben ein Drei-Säulen-Modell, aber nicht deshalb, weil wir nichts anderes erschaffen wollten, sondern weil die gesetzliche Rente nicht mehr ausreicht. Deswegen brauchen wir zusätzliche Säulen. (Zuruf von der LINKEN: Warum reicht sie denn nicht?) – Warum sie nicht ausreicht, haben wir Ihnen schon hundertmal erklärt. Es reicht halt nicht mehr. Es gibt die betriebliche Säule, aber leider nicht für alle. Einige Vorredner, auch der Koalition, haben es schon gesagt: 17 Millionen Menschen habe eine -Betriebsrente, 12 Millionen leider nicht. Auch um sie müssen wir uns kümmern. Deswegen brauchen wir zusätzlich auch eine private Vorsorge; das ist völlig unstrittig. Wir haben allerdings das Problem, dass 4,2 Millionen Beschäftigte weniger als 1 500 Euro Einkommen haben. Diese haben leider keine private Vorsorge. Für sie -brauchen wir eine Lösung; die haben Sie heute nicht -geliefert. Diese Beschäftigten werden von Altersarmut bedroht, die mit diesem Gesetzentwurf nicht beseitigt wird; das habe ich vorhin schon erzählt. Wir haben damals bei der Einführung der Riester-Rente einen Fehler gemacht, indem wir sie nicht verbindlich gemacht haben. Das müssen wir uns vorwerfen. Deswegen gibt es nur 16 Millionen Verträge. Wir bräuchten aber eine viel größere Anzahl. Das war ein Fehler. Wir hätten es verbindlich machen und bei der BfA ansiedeln sollen. (Bernd Scheelen [SPD]: Das haben CDU und CSU ja verhindert!) 80 000 Selbstständige konnten sich nur mit einer Petition an Frau von der Leyen helfen und haben gesagt: Die Rürup-Rente muss eine Pflichtversicherung sein. Leider haben Sie die Stimmen nicht erhört, sondern Sie sagen: Wir erhöhen die Förderhöchstgrenze bei der Rürup-Rente von 20 000 auf 24 000 Euro, dann ist das Problem erledigt. – Das Problem ist damit überhaupt nicht erledigt; das wissen Sie selber. (Beifall bei der SPD) Ich komme jetzt noch einmal zu den fünf mickrigen Zielen des Gesetzentwurfes: Das erste Ziel, die Stärkung der kapitalgedeckten -Altersvorsorge, ist nicht erreicht worden; das habe ich schon gesagt. Das zweite Ziel ist die Vereinfachung der Eigenheimrente. Wohn-Riester ist ja eben hochgejubelt worden, aber Sie dürfen doch nicht den Eindruck erwecken, dass jemand, der in einem Haus wohnt, keine Kosten hat. Das ist doch Blödsinn. Nicht alle können sich Häuser leisten, und nicht alle wohnen in ihrem Haus völlig entgeltfrei. Von daher ist das nicht für alle eine Lösung. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: In der Wohnung haben Sie auch Nebenkosten! Als Mieter müssen Sie die Kaltmiete bezahlen!) Für die paar, für die das eine Lösung ist, ist das okay, aber das ist nicht die Revolution, als die das hier dargestellt worden ist. Das dritte Ziel ist die Verbesserung des Erwerbs-minderungsschutzes. Hier versprechen Sie mehr, als der Inhalt hält. Das vierte Ziel ist die Stärkung der Verbraucher im Markt, also der Verbraucherschutz. Ein Produktinformationsblatt ist hier nicht das Allheilmittel. Wollen Sie bei 100 Anbietern 100 Produktinformationsblätter neben-einander legen? Das kann es auch nicht sein. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist ja Blödsinn!) Das fünfte Ziel ist die Verbesserung des Anlegerschutzes. Diese angebliche Verbesserung ist gar keine, wenn Sie, wie vorgesehen, die Fristen für den Einspruch von drei Jahren auf zwei Jahre senken. Auch das ist nicht sinnvoll. Nach der ersten Lesung war ich für Enthaltung bei der Abstimmung. Jetzt hat mich meine Fraktion überzeugt, dass wir solche Luftnummern nicht noch durch eine Enthaltung aufwerten können. Deswegen sage ich jetzt: Solche Luftnummern können wir leider nicht mitmachen. Wir stimmen deswegen gegen diesen Gesetzentwurf. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das versteht kein Mensch!) Es ist schade, dass wir nach der Wahl im September auch dieses Problem lösen müssen. Ich weiß gar nicht, womit wir anfangen sollen. Aber ich bin guter Dinge, dass wir es besser können als Sie. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Peter Weiß hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt einmal eine Lanze für die umlagefinanzierte Rente brechen!) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sicherheit im Alter: Das ist etwas, was sich jeder und jede wünscht. Selbstverständlich ist die gesetzliche Rentenversicherung heute, aber auch in Zukunft die wesentliche Säule einer verlässlichen Alterssicherung in Deutschland. Aber schon immer haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland gewusst, dass es sinnvoll ist, zusätzlich zur gesetzlichen Rente für eine private Altersvorsorge zu sparen. Viele haben das auch gemacht. Im Jahr 2001 hat die damalige rot-grüne Koalition beschlossen: Wir wollen diese zusätzliche Altersvorsorge staatlich unterstützen, indem wir jedem, der einen sogenannten Riester-Vertrag abschließt, einen Zuschuss von 154 Euro geben. Wenn er Kinder hat, bekommt er für jedes Kind eine Kinderzulage. In der Großen Koalition haben CDU/CSU und SPD gemeinsam beschlossen, pro Kind pro Jahr 300 Euro dazuzugeben. Mittlerweile sparen knapp 16 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger einen solchen Vertrag an. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, es gibt so viele Verträge, es sind nicht so viele Bürger!) Sie haben inzwischen rund 37 Milliarden Euro auf ihren Altersvorsorgekonten liegen. Ich hätte erwartet, dass sich in dieser Debatte die Rednerinnen und Redner von der SPD und den Grünen, die dieses Gesetz damals initiiert haben, wenigstens einmal bei diesen Sparerinnen und Sparern in Deutschland bedanken und sagen: Jawohl, ihr habt es richtig gemacht! Zusätzliche Altersvorsorge ist vernünftig! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Sie fördern doch nur Rürup!) In den letzten Jahren ist uns immer mehr bewusst geworden, dass diese Riester-Regelung einige Macken, einige Fehler hat. Nachdem über elf Jahre lang Sozialdemokraten das Bundesfinanzministerium geleitet haben und über elf Jahre lang Sozialdemokraten das Bundesarbeitsministerium geleitet haben, also für das Thema Altersvorsorge zuständig waren, macht sich jetzt die Koalition aus CDU/CSU und FDP daran, einige dieser Fehler zu korrigieren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) In dieser Situation finde ich es äußerst schäbig, dass sich diejenigen, die das Gesetz mit seinen Fehlern einst initiiert haben, aus dem Staub machen und hier nicht zustimmen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Petra Hinz [Essen] [SPD]: Die Verschlechterung machen wir nicht mit! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gespieltes Theater!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wer sich so aus der Verantwortung stiehlt, der taugt nicht zum Regieren! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Petra Ernstberger [SPD]: Das entscheidet der Wähler!) Wir schaffen Wesentliches. Das Erste ist: Viele Bürgerinnen und Bürger sagen: Ich blicke nicht durch. Was soll ich machen? – Deshalb wäre es übrigens schon 2001 richtig gewesen, ein allgemeines Informationsblatt einzuführen, in dem mit einem Blick die wesentlichen Daten der angebotenen Verträge überblickt werden können. Wir schaffen jetzt dieses Produktinformationsblatt. Deswegen könnte man ein Ja zu diesem Produktinformationsblatt auch von SPD und Grünen erwarten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Das Zweite ist: Kostenbegrenzung. Wir sind die Ersten, die Elemente der Kostenbegrenzung ins Gesetz aufnehmen. Auch dazu hätte man ein Ja von SPD und Grünen erwarten können. Drittens. Wir sorgen für mehr Flexibilität. Ich habe vor allen Dingen die hier vorgetragene Polemik gegen Wohn-Riester nicht verstanden. Über 80 Prozent der Mitbürgerinnen und Mitbürger erklären in Umfragen, dass für sie Wohneigentum – ein eigenes Haus oder eine Eigentumswohnung – ein wichtiges Element im Hinblick auf die Alterssicherung ist. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht im Emsland!) Wir sollten diese Bereitschaft und Einsicht unserer Bürgerinnen und Bürger politisch unterstützen und nicht Politik gegen die Bürgerinnen und Bürger machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass eine Gruppe von Altersarmut besonders bedroht ist. Das sind die Bezieher von Erwerbsminderungsrenten, also Menschen, die leider wegen Krankheit oder eines Unfalls vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden mussten und Erwerbsminderungsrente beantragt haben. Knapp 10 Prozent dieser Personengruppe sind schon heute auf staatliche Unterstützung in Form der Grundsicherung angewiesen. Wir von der Koalition sind entschlossen, zu handeln, und wollen (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente!) die Leistungen für Erwerbsminderungsrentner in der gesetzlichen Rentenversicherung verbessern, und zwar ohne Wenn und Aber. Wenn aber die damalige Begründung von Rot-Grün zum Gesetz zur Einführung der Riester-Rente stimmt, dass neben die gesetzliche Rente ergänzend die betriebliche Altersvorsorge und die private, kapitalgedeckte Altersvorsorge treten müssen, dann frage ich mich: Warum soll im Erwerbsminderungsfall, also dann, wenn die Betreffenden es besonders nötig haben, finanziell unterstützt zu werden, nur die gesetzliche Rentenversicherung etwas leisten, nicht aber die betriebliche und die private, kapitalgedeckte? (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss man es richtig machen und nicht so wie Sie! Das wissen Sie doch auch!) Es ist vor diesem Hintergrund richtig, dass wir auch in der privaten, kapitalgedeckten Altersvorsorge, also in der Riester-Rente, die Bedingungen verbessern und den Erwerbsminderungsschutz mit absichern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade die Geringverdiener werden dadurch nicht erreicht!) Zu den Geringverdienern. Es ist richtig, dass Geringverdiener es besonders schwer haben, zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben. Allerdings werden die Statistiken ständig verfälscht dargestellt. Den höchsten Anteil an Riester-Sparerinnen und -Sparern weisen die Einkommensgruppen unter 1 500 Euro pro Monat auf. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Das war ja auch der Sinn!) Dass in anderen Einkommensgruppen die zusätzliche Altersvorsorge höher ist, liegt daran, dass Gutverdiener oft eine sehr gute zusätzliche Betriebsrente haben; das liegt aber nicht an Riester. (Petra Hinz [Essen] [SPD]: Eine Verdrehung der Tatsachen!) Gerade weil Niedrigverdiener oft in Bereichen arbeiten, in denen es gar keine Betriebsrente gibt, ist für sie eine zusätzliche Altersvorsorge umso wichtiger, um im Alter nicht von Armut betroffen zu sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zusammenfassend kann man sagen: Heute ist ein guter Tag für die Altersvorsorge in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD) Wir machen mit dem Altersvorsorge-Verbesserungs-gesetz einen wesentlichen Schritt und sorgen dafür, dass die private Altersvorsorge transparenter und kalkulierbarer wird. Wir sorgen so dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen haben, das Richtige zu tun, wenn sie neben der gesetzlichen Rente zusätzlich privat vorsorgen. Dazu sollten wir sie nachdrücklich ermuntern. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12219, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/10818 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 3 b. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Risiken der Riester-Rente offen legen – Altersvorsorge von Finanzmärkten entkoppeln“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12219, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9194 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 sowie den Zusatzpunkt 6 auf: 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Karin Roth (Esslingen), Elvira Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und Fraktion der SPD Transparenz für soziale und ökologische Unternehmensverantwortung herstellen – Unternehmerische Pflichten zur Offenlegung von Arbeits- und Umweltbedingungen auf europäischer Ebene einführen – Drucksachen 17/11319, 17/12110 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Johann Wadephul ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Kerstin Andreae, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes – Drucksache 17/11686 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon aus stimmlichen Gründen kann ich an die Rede des Kollegen Weiß nicht ganz anknüpfen. (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Entschuldigung! – Anette Kramme [SPD]: Das kann, glaube ich, niemand!) Wer jetzt enttäuscht ist, den muss ich bitten, sich in Geduld zu üben; denn die Unionsfraktion hat den Kollegen Weiß erneut als Redner in dieser Debatte aufzubieten. Insofern werden Sie sein rhetorisches Feuerwerk hier gleich noch einmal erleben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir haben schon im Ausschuss über diesen Punkt miteinander diskutiert. Es geht um ökologische und soziale Verantwortung von Unternehmen. Die sozialdemokratische Fraktion fordert insbesondere umfängliche Initiativen der Bundesregierung auf europäischer und internationaler Ebene und, wie wir das oftmals von Ihrer Fraktion erleben, hier und da auch wieder gesetzliche Normierungen. Sie knüpfen an die Leitprinzipien für Menschenrechte und Wirtschaft der Vereinten Nationen an, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die ILO-Kernarbeitsnormen, also die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf. Das sind international anerkannte Instrumente der Corporate Social Responsibility, wie man das interna-tional nennt und wie das in den Anträgen aufgeführt wird, also kurz CSR. Sie werden in Ihrem Antrag, Frau Hiller-Ohm, lediglich aufgezählt – das muss ich bemängeln – und zum Teil auch unsystematisch und falsch eingeordnet; denn die UN-Leitprinzipien – dies nur am Rande bemerkt – fordern, anders als Sie es in Ihrem Antrag darlegen, beispielsweise gar keine obligatorische gesetzliche Nachhaltigkeitsberichterstattung. Auch in den OECD-Leitsätzen steht lediglich – ich zitiere wörtlich – „gegebenenfalls einschließlich Umwelt- und So-zialinformationen“. Nun wollen wir die Fragestellung an sich, die dahinter steht, nämlich die der ökologischen und insbesondere der sozialen Verantwortung von Unternehmern und Unternehmen, überhaupt nicht geringschätzen; vielmehr können wir dabei in Deutschland schon auf eine lange Tradition zurückblicken. Es hat über die Jahrhunderte hinweg, seit dem Mittelalter, seit dem Zeitalter des Humanismus, immer Unternehmerinnen und Unternehmer gegeben, die sich engagiert haben, auch in ihrer Heimatstadt. Frau Hiller-Ohm, denken Sie nur an heute tätige Stiftungen international tätiger Unternehmen wie die Possehl-Stiftung oder die Dräger-Stiftung, die sich ohne irgendeine gesetzliche Regelung dem Sozialen, aber auch der Nachhaltigkeit und dem Umweltschutz verpflichtet fühlen. Damit hier nicht der Eindruck entsteht, Deutschland stünde in dieser Frage schlecht da, möchte ich an dieser Stelle einfach einmal allen Unternehmern und Unternehmen sehr herzlich danken, die sich diesen Grundsätzen verpflichtet fühlen, ohne dass es derartige gesetzliche Regelungen gibt, wie die Sozialdemokraten sie hier fordern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich nenne beispielhaft nur die Volkswagen AG, die uns erst in den letzten Tagen wieder informiert hat und die zahlreiche Projekte und Initiativen, beispielsweise in Südafrika – dies ist auch einer größeren Öffentlichkeit in Deutschland bekannt –, in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheit und Sport befördert. Hier geht es insbesondere um das Ziel, die Chancengleichheit zu fördern und sozial schwache Kommunen einzubinden. Ich denke an die Deutsche Post AG, die 2005 nicht ganz zu Unrecht als das sozialste Unternehmen Deutschlands eingruppiert wurde, bei der die Integration von Behinderten und die Weiterbildung für Ältere eine vorbildlich große Rolle spielen, die sich aber auch international, beispielsweise über ihre Tochter, nämlich die DHL, in Shanghai sogar mit einer eigenen Firmenuniversität engagiert, an der auch sozial Schwache eine Chance haben. Ich nenne die BASF AG, die ihre sechs Grundwerte Sicherheit, Gesundheit, Umweltschutz, gegenseitiger Respekt, offener Dialog und Integrität jeden Tag in ihrem Unternehmen vorlebt, die insbesondere ausländische Führungskräfte und Frauen durch die Schaffung besserer Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in das Unternehmen integriert, die hohe Umweltziele verfolgt und ein großes humanitäres Engagement, beispielsweise in Südostasien, aber auch in Afrika, zur Malariabekämpfung und zu vielem anderen zeigt. All das, meine sehr verehrten Damen und Herren, findet tagtäglich in Deutschland unter Nutzung der Gewinne statt, die die Unternehmen erwirtschaftet haben und die ihnen durch gesetzliche Vorschriften oder die Abschöpfung, die der Staat vornimmt, indem er etwa Steuern erhebt, nicht genommen werden. Nachdem ich mich mit Ihrem Antrag auseinandergesetzt habe, muss ich sagen: Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion, bemängeln selbst, dass es eine handelsgesetzliche Vorschrift gibt, die nach Ihrer Meinung bislang ohne Bedeutung geblieben ist. Ich frage Sie: Warum soll dann eine gesetzliche Offenlegungspflicht, die Sie jetzt für alle Unternehmen schaffen wollen, also nicht nur für diejenigen, die schon bisher davon betroffen sind, eigentlich eine Verbesserung des Status quo bringen? Das müssten Sie einmal erläutern. Weder in den Ausschussberatungen noch in dem Antrag selbst gab bzw. gibt es hierzu irgendeinen Satz der Begründung. Die gesetzliche Verpflichtung zur Offenlegung und Einhaltung sozialer und ökologischer Standards wäre im Übrigen – das wissen wir alle – nur auf der Grundlage von internationalen Übereinkommen möglich. Sie müssen wissen: Das bedeutet langwierige Verfahren, und zusätzlich ist die Umsetzung internationaler Abkommen in jeweils nationales Recht erforderlich. All das würde viel Zeit in Anspruch nehmen, die wir gar nicht haben – dies würde auch niemandem helfen –, und wichtige Kräfte insgesamt binden. Insgesamt muss man sagen: Wir haben wieder einmal ein Beispiel dafür, dass Sie den Menschen nicht trauen, dass Sie den Unternehmern nicht trauen, die Verantwortung tragen, dass Sie den Gewerkschaften nicht trauen, die durch die Mitbestimmung sowohl tarifvertraglich als auch im Rahmen der Betriebsverfassung beteiligt sind, dass sie von sich aus allein die richtigen sozialen, ökologischen und nachhaltigen Entscheidungen für ihr Unternehmen, aber auch darüber hinaus treffen. Nein, Sie meinen wieder einmal: Es bedarf der staatlichen Aufsicht. Es bedarf einer staatlichen Regulierung. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Staatliche Gängelung!) Für jede staatliche Regulierung wollen Sie noch einen extra Aufpasser einsetzen. Das ist ein hoher bürokratischer Aufwand und verursacht unnötige Kosten. Ein gutes Ziel, eine gute Intention und wichtige Unternehmensziele, die hier in Deutschland schon glaubwürdig von den Unternehmen vorgelebt werden, machen Sie mit der Intention Ihres Antrags eher kaputt. Deswegen lehnen wir ihn ab. Wir vertrauen den Unternehmern und darauf, dass sie von allein richtig entscheiden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Hiller-Ohm für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kommen Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung nach? Kümmern sie sich ausreichend um Arbeitsbedingungen, Arbeitsschutz und soziale Standards auch in ihren Zulieferbetrieben? Wir sagen im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Wadephul, und Ihrer Union: Nein. Würden sie es nämlich tun, dann gäbe es nicht immer wieder diese schrecklichen Nachrichten von Katastrophen, Arbeitsunfällen sowie Ausbeutung von Kindern und Arbeitern. Das wollen wir ändern, und deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt. (Beifall bei der SPD) Als wir Anfang November den Antrag eingebracht haben, beklagten wir die 250 Opfer der verheerenden Brandkatastrophe in einer Textilfabrik in Pakistan: 250 vor allem junge Näherinnen, die auch für den deutschen Textildiscounter KiK gearbeitet haben. Sie mussten ihr Leben lassen, weil es keine Arbeitsschutzmaßnahmen, keine Notausgänge, sondern nur vergitterte Fenster und versperrte Fluchtwege gab. Eine unglaubliche Tragödie! Kurz danach folgte die nächste Katastrophe, dieses Mal in einer Fabrik in Bangladesch, in der auch Pullover für C&A produziert wurden. Über 100 junge Arbeiterinnen kamen ums Leben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen auf erschütternde Weise: Die Bedingungen, unter denen auch deutsche Firmen weltweit produzieren lassen, sind oft katastrophal. Solche Missstände müssen verhindert werden. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Bundesregierung könnte dies ändern und Unternehmen gesetzlich verpflichten, offenzulegen, ob ihre Produkte unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und ökologisch vertretbar hergestellt werden. Dies muss natürlich auch die Lieferketten mit einbeziehen. Lieber Herr Kollege Wadephul, die Bundesregierung hätte jetzt eine gute Gelegenheit, sich auf europäischer Ebene in diesem Sinne zu engagieren. EU-Kommissar Michel Barnier will in Kürze einen Vorschlag zur -Reform der Modernisierungsrichtlinie vorlegen. Der – übrigens konservative – Binnenmarktkommissar will verbindliche Transparenzregeln bei der Unternehmensverantwortung. Wir begrüßen das. Damit gäbe es gleiche Regeln für alle europäischen Unternehmen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Und was macht die Bundesregierung? Schwarz-Gelb gibt in Brüssel den größten Bremsklotz für diese fortschrittliche Initiative! (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Kein Wunder! In Sachen Transparenz ist Deutschland im EU-Vergleich eher ein Entwicklungsland. (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Wohl wahr!) Deutsche Konzerne müssen ihren Aktionären zwar umfassend über ihre Finanzlage Bericht erstatten, wie sich die Geschäftstätigkeit auf Arbeitsbedingungen und Umwelt auswirkt, fällt dagegen – aufgrund lascher Berichtspflichten – weitgehend unter den Tisch. (Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Meinen Sie, dass das etwa in England besser ist?) Pakistan, Bangladesch – was muss noch passieren, damit die Bundesregierung endlich handelt? Wir wollen die Bundesregierung antreiben, den Schleier zu lüften, unter dem schlimme Arbeitsbedingungen weltweit unentdeckt bleiben. Der Schleier muss endlich verschwinden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die Wirtschaft in die Pflicht nehmen, ihrer Verantwortung für humane Arbeitsbedingungen und den Schutz der Umwelt nachzukommen. Die Basis dafür ist, Transparenz darüber zu schaffen, unter welchen Bedingungen Firmen weltweit ihre Waren produzieren. Die SPD will Unternehmen deshalb verpflichten, auch nichtfinanzielle Informationen offenzulegen, und zwar nach einheitlichen Standards, wahrheitsgemäß und vollständig. Es muss öffentlich werden, ob Hungerlöhne gezahlt werden, Arbeitsunfälle an der Tagesordnung sind, Betriebsräte behindert oder sogar verhindert werden, Kinderarbeit stattfindet oder die Umwelt ruiniert wird. Der Druck von Gewerkschaften, Hilfsorganisationen, Verbraucherinnen und Verbrauchern, Medien, aber auch Wettbewerbern und Investoren wird dann Wirkung zeigen. Klar ist: Verantwortungsvolle Unternehmen profitieren davon, wenn die Konkurrenz sie nicht durch Lohndumping und schlechte Arbeitsbedingungen vom Markt drängen kann. Wir sorgen also mit mehr Transparenz für fairen Wettbewerb. Den brauchen wir dringend. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ich lese in der Beschlussempfehlung zu unserem SPD-Antrag, dass Sie „mit den Zielen des Antrags“ übereinstimmen und Ihnen das Thema wichtig ist. Meine Damen und Herren von der Union, daher frage ich mich, warum Sie unseren Antrag ablehnen wollen. Beweisen Sie doch einmal Rückgrat, und schließen Sie sich unserer Initiative an. Sie würden damit etwas wirklich Gutes tun. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Pascal Kober das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Pascal Kober (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage, unter welchen Bedingungen die Waren, die wir täglich kaufen, hergestellt werden, gewinnt immer mehr an Bedeutung und spielt glücklicherweise auch bei den Kaufentscheidungen der Menschen eine immer größere Rolle, weshalb Unternehmen zunehmend auf die Produktionsbedingungen achten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu muss es aber transparent sein!) So, wie viele Menschen bereits darauf achten, ob die Nahrungsmittel, die sie kaufen, bio sind, also gewissen ökologischen Standards entsprechen, steigt auch die Zahl der Menschen, die beispielsweise ganz bewusst fair gehandelte Kleidung kaufen und auch darauf achten, dass die Arbeitsbedingungen in den Fertigungsstätten in Ordnung sind. Die Öffentlichkeit achtet vermehrt darauf, wie die Arbeitsbedingungen bei der Produktion im Ausland sind, Medien berichten zunehmend, und die Nichtregierungsorganisationen sind aktiver denn je. So wurde von deutschen Medien auch – Frau Hiller-Ohm hat es angesprochen – über die schreckliche Brandkatastrophe in einer Textilwerkstatt in Bangladesch im Dezember letzten Jahres berichtet. Es wurde auch berichtet, welche deutschen Unternehmen dort produzieren lassen. Dies ist für die jeweiligen Unternehmen mit einem erheblichen Imageschaden verbunden, sodass es schon aus diesem Grund zu Veränderungen kommt und auch zunehmend kommen wird. Wir dürfen aber bei dieser ganzen Debatte nicht vergessen und übersehen, dass Auslandsinvestitionen deutscher und multinationaler Unternehmen einen wichtigen Beitrag zum wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritt in den entsprechenden Zielländern leisten. Diese positiven Effekte wollen wir, und diese positiven Effekte sollten wir fördern und zu stärken versuchen. Ich fürchte aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass die in Ihrem Antrag geforderte Einführung einer gesetzlichen Berichterstattungspflicht über nichtfinanzielle Unternehmensdaten und die Überprüfung der Informationen durch unabhängige Prüfgesellschaften der falsche Weg ist. Denn bevor wir als Gesetzgeber solche Forderungen erheben, müssen wir prüfen, ob die Forderungen, die wir den Unternehmen stellen, überhaupt von diesen erfüllbar sind. In der vergangenen Sitzungswoche hatte ich zu diesem Thema ein Gespräch mit Vertretern eines großen, namhaften deutschen Unternehmens. Das Unternehmen hat weltweit eine fünfstellige Zahl an Zulieferern. In -dieser Zahl sind die Zulieferer der Zulieferer noch nicht mit eingerechnet. Eine hundertprozentige Kontrolle der kompletten Zulieferkette ist für das Unternehmen schlicht unmöglich. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nicht unser Diskussionsthema!) Ein weiterer Punkt, den es zu berücksichtigen gilt, ist die Beinahemonopolstellung mancher Zulieferer. So gibt es Bereiche, in denen es nur sehr wenige Zulieferer gibt. Hier sind selbst Großunternehmen in einer schwierigen Lage, menschenrechtliche Forderungen durchzusetzen, da die Zulieferer eine überaus machtvolle Stellung am Markt haben. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Was heißt das denn? Was ist das für eine politische Auffassung als Theologe?) Darüber hinaus gibt es auch noch den umgekehrten Fall. Vor allem mittelständische Unternehmer benötigen in großen Wertschöpfungsketten regelmäßig nur sehr geringe Mengen von einem Produkt. Als Abnehmer geringer Liefermengen sind diese Unternehmen häufig auch nicht in der Position, Forderungen an Zulieferbetriebe zu stellen. Wir müssen uns fragen, ob die Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag erheben, wirklich von den Unternehmen erfüllt werden können. (Beifall bei der FDP) Vor allem aber müssen wir uns auch fragen, ob der bessere Weg nicht die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Welt ist. Denn in Ihrem Antrag fordern Sie etwas, was Sie sich in Deutschland verbitten würden: dass Arbeitnehmerrechte nicht auf einem staatlich garantierten Rechtsanspruch gründen, sondern quasi privatisiert werden. In der Frage der Verbreitung und Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit, auch der Arbeitnehmerrechte weltweit, agiert die Bundesregierung, insbesondere Bundesminister Dirk Niebel, vorbildlich und so engagiert wie nie zuvor. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Wie denn?) In Zusammenarbeit mit der GIZ und den politischen Stiftungen – übrigens auch der Friedrich-Ebert-Stiftung – -engagiert sich Deutschland weltweit für den Zugang aller Bürgerinnen und Bürger zum Recht. Insbesondere die benachteiligten und marginalisierten Bevölkerungsgruppen werden dabei berücksichtigt. Ein Schwerpunkt ist dabei das jeweilige Arbeitsrecht in den verschiedenen Ländern. (Beifall bei der FDP) Erstmalig, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, unterliegt die eigene Entwicklungszusammenarbeit einem ganzheitlichen Menschenrechtskonzept. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das ist auch gelogen; aber das macht ja nichts!) Das war unter der SPD-Ministerin Wieczorek-Zeul elf Jahre lang noch nicht so. (Beifall bei der FDP) Zudem hat die Bundesregierung den Aktionsplan CSR beschlossen. Hierin sind Ziele benannt und Wege auf-gezeigt, die zu mehr Corporate Social Responsibility führen. So gibt es unter anderem ein CSR-Coachingprogramm für kleinere und mittlere Unternehmen. Wir müssen unsere Unternehmen begleiten, stärken und beraten; wir dürfen sie nicht gängeln und hindern. Auch ist diese Bundesregierung derzeit durchaus an der Entwicklung einer europäischen CSR-Strategie beteiligt. Insofern kommen wir unserer Verantwortung auch auf europäischer Ebene nach. Der richtige Weg ist es, an mehreren Stellschrauben zu drehen und Verbesserungen zu erreichen. Wir müssen die Unternehmen mit einbeziehen, dürfen sie aber auch nicht überfordern, indem wir etwas verlangen, was sie gar nicht erfüllen können. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Anette Kramme [SPD]: Sie schämen sich nicht?) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Jutta Krellmann das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute über CSR. Das ist keine technische Bezeichnung aus der Elektroindustrie. Es geht um Leitlinien von Unternehmen zur sozialen und ökologischen Verantwortung. In Deutschland ist die Veröffentlichung solcher Leitlinien für Unternehmen freiwillig. Viele Unternehmen haben sich schon für solche Leitlinien entschieden. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Oft geht es um Imagepflege, damit sich die Produkte besser verkaufen lassen. Manchmal geht es darum, Mitarbeiter für das eigene Unternehmen zu akquirieren. Häufig geht es auch darum, öffentliche Kritik vom Unternehmen fernzuhalten. Große Unternehmen nutzen solche freiwilligen Selbstverpflichtungen auch und vor allem als ein Mittel, um auf politische Diskussionen Einfluss zu nehmen. Damit wird der Forderung nach gesetzlichen Regulierungen der Wind aus den Segeln genommen, nach dem Motto: Neue Gesetze zum Arbeits- oder Umweltschutz sind überflüssig; denn wir kümmern uns schon darum. Die Bundesregierung fördert die Praxis der freiwilligen Selbstverpflichtung von Unternehmen. Sie verleiht Preise an Unternehmen, von denen sie glaubt, dass sie sozial und ökologisch verantwortungsvoll handeln. Sie betreibt unter dem Stichwort CSR vor allem eine Werbe- und Wohlfühlkampagne für deutsche Unternehmen. Irgendwelche bindenden Verpflichtungen für Unternehmen ergeben sich daraus nicht. Alles soll auf freiwilliger Basis bleiben. Es geht hier vor allem um schöne Worte und nicht um Taten. (Beifall bei der LINKEN) Ich nenne ein aktuelles Beispiel, das Herr Wadephul schon angeführt hat; aber ich betrachte es aus einem -anderen Blickwinkel. Es geht um die soziale Verant-wortung der Deutschen Telekom. In der Broschüre „CSR – Made in Germany“ der Bundesregierung wird die Deutsche Telekom für faire Arbeitsstandards gelobt. Die Telekom will nach eigenen Angaben „weltweit Vorreiter“ im Bereich der sozialen Unternehmensführung werden. Sie nennt „Integrität und Wertschätzung“ der Beschäftigten als eines der obersten Leitprinzipien. Aber bei der Telekom folgen den Worten nicht die entsprechenden Taten. (Beifall bei der LINKEN) Die Telekom-Tochter T-Mobile betreibt in den USA ein Callcenter. Hier herrschen entwürdigende Bedingungen für die Beschäftigten. Mitarbeiter mussten bei ihrer Arbeit Eselskappen aufsetzen, wenn sie die geforderten Leistungen nicht erbracht haben – wie im Kindergarten. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das lehnen wir auch im Kindergarten ab! – Otto Fricke [FDP]: Das ist auch im Kindergarten verboten! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müsste hier die ganze Koalition Eselskappen tragen!) Sie mussten Aufsätze zum Thema „Warum mich T-Mobile weiter beschäftigen soll“ schreiben. Beschäftigte wurden entlassen, weil sie sich für Tarifverträge eingesetzt hatten. Gewerkschafter werden unter Druck gesetzt und benachteiligt. T-Mobile verletzt in den USA systematisch die Menschenwürde der Beschäftigten. Hier zeigt sich, wie ernst es der Telekom tatsächlich mit der sozialen Verantwortung ist, die landauf und landab, auch von der Bundesregierung, gelobt wird. – Die Leitlinien der Telekom zur Unternehmensverantwortung sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Aber die Bundesregierung fährt fort, gerade für dieses Unternehmen Werbung zu machen. Dieser Form des Etikettenschwindels, wie er bei der Telekom betrieben wird, will die SPD nun einen Riegel vorschieben. Sie will Unternehmen verpflichten, genauer Auskunft über ihre internationalen Geschäftstätigkeiten und deren soziale und ökologische Auswirkungen zu geben. Wir unterstützen die Forderung des SPD-Antrags nach mehr Transparenz. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, von solchen Vorgängen bei T-Mobile USA zu erfahren; denn der Bund ist Anteilseigner der Telekom, im Grunde ist es unser Unternehmen. Ich muss gestehen: Ich möchte nicht, dass in einem Unternehmen, das uns gemeinsam gehört, solche Dinge passieren. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir glauben aber, dass die SPD mit ihrem Antrag zu kurz greift. Mehr Transparenz allein wird Unternehmen nicht zu verantwortungsvollem Handeln bringen. Ethische Richtlinien zur verantwortungsvollen Unternehmensführung bleiben wirkungslos, und Informationspflichten für sich allein genommen bleiben unwirksam. Informationspflichten bedeuten nämlich nicht, dass die kritisierten Praktiken nicht mehr erlaubt wären. Der Grundgedanke der SPD ist, dass verantwortungslose Unternehmensführung durch Transparenz am Markt zurückgedrängt wird und dass dadurch der Handel und Investitionen auf soziale und ökologische Ziele ausgerichtet werden. Dieser Gedanke ist naiv, solange Handel und Investitionen durch die privaten Interessen von Kapitaleignern bestimmt werden. Sozial verantwortungsloses Handeln von einzelnen Unternehmen ist heute vor allem die Folge des gnadenlosen Marktwettbewerbs. Dieser Wettbewerb zwingt jedes einzelne Unternehmen ständig, Kosten zu senken. Wenn soziale und ökologische Verantwortung Geld kostet, dann gibt es immer betriebswirtschaftliche Gründe, darauf zu verzichten: Dann werden in Bangladesch – um dieses Beispiel der SPD aufzugreifen – Brandschutzmaßnahmen unterlassen, weil es billiger ist. Dann werden in den USA Gewerkschaftsrechte behindert, weil es hilft, an den Löhnen zu sparen. Dann werden ökologische Auflagen umgangen, weil es Geld spart. Diese Probleme kann man nur lösen, wenn man dem Profitstreben der einzelnen Unternehmen durch Gesetze Schranken setzt. (Beifall bei der LINKEN) Wenn die Geschäftspraxis einzelner Unternehmen grundlegende gesellschaftliche Bedürfnisse verletzt, muss sie gesetzlich verboten werden. Das gilt in Deutschland -genauso wie international. Dazu will die Linke den Betroffenen auch in anderen Ländern in erster Linie einklagbare Rechte geben gegen verantwortungslose Unternehmen und gesetzliche Mindeststandards verstärken. Damit wäre mehr gewonnen als mit Dutzenden von Papieren über soziale Unternehmensführung, die oftmals das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt sind. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Volker Beck das Wort. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da klatscht gar keiner!) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei uns muss man sich den Applaus verdienen, Herr Kolb. Meine Damen und Herren! Wie wir wirtschaften, wie wir handeln und wie wir konsumieren, beeinflusst die Menschenrechtslage in vielen Ländern auf dieser Welt stärker als das, was wir in der Außenpolitik versuchen können zu unternehmen, um Menschenrechte durchzusetzen. Deshalb ist das Thema dieser Debatte für die Durchsetzung von Menschenrechten von ganz zentraler Bedeutung. Wir reden hier nicht über Kinkerlitzchen, wie ich den Eindruck bei Ihren Reden hatte, nach dem Motto „Schöner arbeiten“. Wir reden über Themen wie Sklavenarbeit und mangelnden Arbeitsschutz, der in Kauf nimmt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Brände oder durch Gifte, die freigesetzt werden, ums Leben kommen. Wir reden auch über die Zerstörung der Lebensgrundlagen ganzer Völker, wie es gestern in den Niederlanden bei dem Thema „Shell und Nigerdelta“ zur Sprache kam. Wir müssen uns diesen Fragen intensiver annehmen. Das, was Sie gesagt haben, geht an der Realität der Unternehmen vorbei. Wir müssen doch faire Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen schaffen, die sich die Mühe machen, nicht billiger einzukaufen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) weil die Hersteller und Lieferanten Menschenrechte und ökologische Standards mit Füßen treten. Wir verzerren den Wettbewerb, wenn wir nicht genau hinschauen. Es ist richtig: Viele Verbraucherinnen und Verbraucher wären durchaus bereit, ein bisschen mehr zu zahlen – obwohl das für manche aufgrund ihres niedrigen Einkommens schwierig ist –, wenn sie wüssten, dass keine Kinderarbeit, keine Sklavenarbeit, keine Vernichtung von Lebensgrundlagen mit den Produkten verbunden sind. Sie können es aber nicht wissen, weil die Freiwilligkeit eben nicht zu Transparenz führt. Das möchte ich Ihnen vorführen. Sie haben hier gesagt, deutsche Unternehmen seien mustergültig, da gebe es überhaupt keine Probleme, und den fürchterlichen Brand in Dhaka, Bangladesch, angesprochen, bei dem Arbeiterinnen und Arbeiter umgekommen sind, weil sie ihren Arbeitsplatz bei Ausbruch des Brandes nicht verlassen konnten. Nach Angaben von medico international wurde dort für C&A und KiK für den deutschen und -österreichischen Markt produziert. Es gibt also ein Problem. Was ist Ihre Antwort darauf? Einfach Nichtstun. (Pascal Kober [FDP]: Das ist falsch! Sie haben nicht zugehört!) Ein anderes Thema. Es gab im Jahr 2012 im ZDF Berichte über die Herstellung von Textilien in Südindien nach dem Sumangali-Prinzip. Sumangali ist indisch und heißt Braut. Dieses Sumangali-Prinzip verpflichtet junge Frauen, Mädchen, drei Jahre in einer Textilfirma zu arbeiten. Sie bekommen ein kleines Taschengeld und dürfen das Gelände des Unternehmens nicht verlassen. Den Lohn ihrer dreijährigen Arbeit bekommen sie nur dann, wenn sie bis zum letzten Tag dableiben. Die Zahl der Todesfälle und Suizide aufgrund der Arbeitsbedingungen ist dramatisch. Trotzdem lassen wir dort produzieren. – Das ZDF hat uns die Lieferlisten gegeben. Darauf stehen viele deutsche Firmen, Handelsketten, deren Filialen Sie an der Friedrichstraße besuchen können. Ich habe die Bundesregierung gefragt, ob sie aufgrund der vielen schönen freiwilligen Regelungen weiß, welche deutschen Firmen diese Textilien importieren oder dort produzieren lassen. Sie antwortet: „Es besteht keine rechtliche Verpflichtung der deutschen Unternehmen, ihre Bezugsquellen anzugeben. (Anette Kramme [SPD]: Das ist doch wunderbar!) Der Bundesregierung liegen daher keine diesbezüg-lichen Informationen vor.“ Da liegt der Hund begraben. Daran muss man etwas ändern, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) notfalls auch durch eine nationale und nicht durch eine europäische Gesetzgebung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Ich finde, wir tragen hier als wirtschaftlich größtes und stärkstes Land in Europa eine besondere Verantwortung. Wir wollen diese Regelungen in deutsches Recht umsetzen. Von daher unterstützen wir natürlich Ihren Antrag, die Bundesregierung zu einer europäischen Initiative aufzufordern. Man kann also zusammenfassen: Die Bundesregierung sieht nichts, hört nichts und weiß nichts. Sie weiß noch nicht einmal das, was den Journalistinnen und Journalisten in Deutschland bekannt ist, was sie recherchiert und publiziert haben. Das ist ein Offenbarungseid ihrer Freiwilligkeitsstrategie. Das Thema „Wirtschaft und Menschenrechte“ umfasst noch weitere Aspekte. Deshalb haben wir heute -einen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes vorgelegt. Wir wollen die Unternehmensverantwortung neu definieren. Heute ist die Rechtssituation im Prinzip so: Handelt ein Unternehmensvorstand menschenrechtskonform und schmälert damit den Gewinn des Unternehmens, kann er theoretisch für diesen Schaden am Vermögen und Einkommen seiner Aktionäre von den Aktionären in Anspruch genommen werden. Wir wollen klarstellen, dass die Einhaltung von menschenrechtlichen und ökologischen Kriterien einem Unternehmensvorstand nicht vorgeworfen werden kann. Wir halten es für seine Pflicht, sich beim Wirtschaften auch dann an diese Standards zu halten, wenn der Konkurrent sie ignoriert und der Unternehmer damit seine Position am Markt womöglich vorübergehend schädigt. Mit diesem Gesetz wollen wir den Unternehmern signalisieren: Es wird niemand pönalisiert. Wir stellen lediglich klar: Wenn ihr euch an die Menschenrechte haltet, dann habt ihr das Recht in Deutschland auf eurer Seite, und dazu wollen wir euch ermutigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Das ist für uns nur ein erster Schritt. Die Entscheidung in Bezug auf Shell und die Ogoni zeigt, dass das ein grundsätzliches Problem ist, das wir mit unserem Vorhaben allein nicht lösen werden. Ich kündige daher an, dass wir noch in dieser Legislaturperiode weitere Initiativen ergreifen wollen. Wir wollen dafür sorgen, dass sich Opfer von Menschenrechtsverletzungen in Afrika, Asien oder Südamerika durch Tochtergesellschaften deutscher oder europäischer Unternehmen mit Aussicht auf Erfolg an deutsche bzw. europäische Gerichte wenden und gegebenenfalls ihren Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld durchzusetzen können. In der Regel scheitert das schon an der Verjährungsfrist; denn die betroffenen Menschen haben einfach keinen Zugang zu unseren Gerichten, und sie wären gelackmeiert, wenn sie das in ihren Heimatländern versuchen würden. Wir müssen dafür sorgen – nach dem Gerichtsurteil gestern haftet die Muttergesellschaft nicht –, dass Unternehmensmütter für ihre Tochtergesellschaften haften müssen. Ein beliebtes Prinzip ist nämlich, die lokale Tochter pleitegehen zu lassen oder sie ganz schnell zu verkaufen, wenn etwas schiefgegangen ist bei der Erdölförderung oder dergleichen; denn dann ist man als Mutterkonzern fein raus, und die Opfer dieser Menschenrechtsverletzungen gucken in die Röhre. Die örtlichen Gesellschaften und die Lokalherren, die das zugelassen haben, haben aber daran verdient. Davor können wir die Augen nicht verschließen. Wenn wir wirklich verantwortlich wirtschaften, handeln und konsumieren wollen, dann brauchen wir eine stärkere Kodifizierung im Bereich „Wirtschaft und Menschenrechte“. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist kein Vorwurf an die Mehrheit der verantwortlich handelnden deutschen Unternehmen. Wir wollen jene stärken, die sich fair und ordentlich am Markt verhalten, und das ist die Mehrheit in Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion hat der Kollege Ulrich Lange das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ulrich Lange (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns in diesem Hause sehr wohl einig, dass es hier um ein wichtiges und wesentliches Thema geht. Herr Kollege Beck, es geht definitiv nicht um Kinkerlitzchen. Unser Aktionsplan 2010 zeigt, dass wir etwas unternommen und in die Wege geleitet haben und dies nicht als Kinkerlitzchen, sondern als ernste Herausforderung ansehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Eigentlich halte ich Sie juristisch für durchaus versiert. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie Ihre Ausführungen ernst gemeint haben. Ich habe gerade eine Sachbeschädigung begangen, indem ich aus dem Grundgesetz die erste Seite herausgerissen habe, (Zuruf von der SPD: Was? – Weitere Zurufe von der SPD) weil ich dem Kollegen Beck etwas vorlesen muss. Ich bin nämlich überrascht, dass er das Aktienrecht und die Menschenrechte in einen Topf wirft. – Lieber Kollege Beck, Ihnen dürfte Art. 1 unseres Grundgesetzes – darauf sind unsere Gesetzgebung und unsere Rechtsprechung aufgebaut – bekannt sein: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, und die Grundrechte sind unverletzlich und unveräußerbar – (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Das weiß man doch auswendig!) auch im Zusammenhang mit dem Aktienrecht. Für den Fall, dass Sie hier judikable Probleme sehen, verweise ich auf den Ordre public; denn hier spiegeln sich die Gedanken wider, wenn es zu einer Rechtskollision zwischen unserem Recht und dem Recht anderer kommt. – Herr Kollege Beck, das war ganz schwach. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Fand ich gar nicht!) – Doch. Der von uns vorgelegte Aktionsplan und seine Ziele zeigen schon heute erste Wirkung. Es wird anerkannt, dass wir inzwischen deutlich mehr Transparenz haben. Dies zahlt sich auch in der Wertschöpfungskette dauerhaft aus. Ja, die Firmen, die sich an CSR halten, sind im Vorteil; denn CSR ist ein Markenzeichen. Das wird gerade jetzt deutlich. In dem Moment, in dem von diesen Bränden und Arbeitsbedingungen berichtet wird, sehen wir ganz genau, wie die Bevölkerung reagiert. Ich glaube, die Reaktion der Bevölkerung ist die stärkste aller möglichen Reaktionen. Das ist sicherlich besser und sinnvoller, als schon wieder neue Gesetze auf den Weg zu bringen. Damit sind wir an dem Punkt, an dem deutlich wird, dass wir uns von der SPD wesentlich unterscheiden: Wir glauben nicht, dass neuerlicher gesetzlicher Zwang, neuerliche Bürokratie, neuerliche Überprüfungsstellen zur Bewusstseinsbildung beitragen. Ich glaube, dass wir mit Kampagnen und über das Verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher am meisten erreichen können. Wir setzen weiterhin bei der Freiwilligkeit an. Wir glauben, das ist der richtige Ansatz. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Voraussetzung für einen guten und profitablen Umsatz ist in Deutschland immer noch ein guter Ruf, ein hohes Prestige. Jedes Unternehmen weiß, was auf dem Spiel steht, wenn es durch einen Skandal mitgerissen wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Skandal in Deutschland oder im Ausland festgestellt wird. Ich gebe zu, dass die Presse in den letzten Monaten und Jahren diesbezüglich eine durchaus positive Rolle gespielt hat. Sie hat das eine oder andere aufgedeckt, was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, mit nationalen Gesetzen mit Sicherheit nicht in den Griff bekommen hätten. Deutsche Unternehmen wissen also, dass sie verantwortlich sind, und sie wissen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher sehr allergisch auf Verstöße reagieren. Das ist in unseren Augen das Beste, was passieren kann. Grundsätzlich begrüßen wir die Initiative der Europäischen Kommission für eine neue europäische CSR-Strategie aus dem Oktober 2011. Wir setzen auf das Primat der Freiwilligkeit. Wir unterstreichen die Bemühungen des BMAS bei den Gesprächen mit der Europäischen Kommission über die Umsetzung der CSR-Strategie. Wir sind guter Dinge, dass wir, nachdem im Dezember des vergangenen Jahres eine viel beachtete Veranstaltung in Brüssel stattgefunden hat – es gab gute und informative Beispiele –, einen konkreten Regelungsentwurf der EU-Kommission bekommen werden. Auf der Basis dieses Entwurfs für ganz Europa, den wir gemeinsam abwarten sollten, sollten wir weiterarbeiten und gemeinsam die richtigen Schlüsse ziehen, im Sinne aller Beschäftigten weltweit. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Lange – das gilt natürlich für alle Kolleginnen und Kollegen –, vorsorglich weise ich darauf hin, dass, sollten in den nächsten Reden weitere Zitate aus dem Grundgesetz vorgetragen werden, das Präsidium mit einem Exemplar des Grundgesetzes aushelfen könnte. Sie müssen also keine weiteren Sachbeschädigungen vornehmen und keine Seiten aus dem Grundgesetz herausreißen. (Beifall bei der LINKEN – Ulrich Lange [CDU/CSU]: Ich lege die Seite wieder ein!) – Gut. Nun hat der Kollege Wolfgang Tiefensee für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Wolfgang Tiefensee (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lange, ich darf mich am Anfang meiner Rede direkt an Sie wenden, ohne die erste Seite des Grundgesetzes herauszureißen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das weiß man auswendig!) Die Kernfrage, die wir im Zusammenhang mit diesem Thema diskutieren, ist die folgende, Herr Lange: Nehmen wir in Deutschland, nehmen wir in Europa die Verantwortung auch für diejenigen wahr, die außerhalb Europas, in anderen Erdteilen, produzieren und unseren Wohlstand ermöglichen? Fühlen wir uns verantwortlich für eine Welt oder nur für Deutschland und Europa? Die Sozialdemokratie wird im Mai dieses Jahres 150 Jahre alt sein. Sie ist wesentlich verwurzelt mit dem Thema, Menschen zu bilden und dafür zu sorgen, dass faire und soziale Arbeitsbedingungen in Deutschland Einzug halten. So ist die SPD groß geworden. Wir stellten uns im 20. Jahrhundert die Aufgabe, das in Deutschland durchzusetzen und in Europa auf den Weg zu bringen. Im 21. Jahrhundert ist die Frage, ob es uns gelingt, diese Standards über Deutschland und Europa hinaus international durchzusetzen. Dafür müssen wir arbeiten, und zwar vehement. (Beifall bei der SPD) Sie sagen, Sie seien bei der Formulierung der Ziele mit uns einig. Das ist gut. Aber Sie tun nichts dafür, diese Ziele durchzusetzen, sondern Sie erweisen sich als Bremser. Darf ich Ihnen als Beispiel die Arbeits- und Sozialstandards für Deutschland nennen? Wenn diese nicht gesetzlich verankert wären, dann wären wir nicht so weit, auch nicht bei der Mitbestimmung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darf ich Ihnen als Beispiel die Standards in der Ökologie nennen? Was war denn mit den freiwilligen Standards in der Fahrzeugindustrie bezüglich des CO2-Ausstoßes? Erst die gesetzlichen Festlegungen haben dazu geführt, dass einheitliche ökologische Standards auf europäischer Ebene eingeführt worden sind. Genau diesen Weg wollen wir jetzt bei der Transparenz unternehmerischen Handelns in Bezug auf ökologische und soziale Standards einschlagen. Der Hauptunterschied zwischen Ihnen und uns ist: Sie wollen keine gesetzlichen Regelungen. Wir hingegen glauben, dass wir Standards, dass wir Zertifikate auf europäischer und internationaler Ebene brauchen – dafür setzen wir uns ein –, um auf der einen Seite die Arbeitsbedingungen in den jeweiligen Zulieferländern zu verbessern und auf der anderen Seite den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Möglichkeit zu geben, sich verantwortungsbewusst zu verhalten. Meine Aufgabe als Wirtschaftspolitiker ist es, die Balance zwischen einerseits diesem Anspruch und andererseits dem, was auf die Unternehmen zukommt, herzustellen. Herr Wadephul, Herr Kober, Herr Lange, Sie haben den Antrag nicht gründlich genug gelesen. Wir wollen diese Balance herstellen, und zwar wie folgt: Erstens. Wir wollen dafür sorgen, dass es einen fairen Wettbewerb in Deutschland gibt. Das hat gar nichts mit den Arbeitsbedingungen vor Ort zu tun. (Beifall bei der SPD) Wir wollen, dass die Unternehmen belohnt werden, die sich richtig verhalten, und diejenigen unter Druck geraten, die sich beispielsweise durch billige Zulieferer, durch Kinderarbeit oder durch unmögliche Arbeitsbedingungen einen Vorteil verschaffen. Das ist gut für die Unternehmen. Zweitens. Wir wollen, dass die Prüfergebnisse durch eine neutrale Prüfinstanz evaluiert werden. Sie werden so veröffentlicht, dass das Ergebnis und die relevanten Informationen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Das heißt, wir haben uns auch über den Datenschutz Gedanken gemacht. Nicht jeder soll die Wertschöpfungskette eines jeden Wettbewerbers kennen. Drittens. Wir wollen zunächst die großen Unternehmen, die weltweit verflochten sind, in den Blick nehmen und erst in einer zweiten Phase die kleinen und mittelständischen Unternehmen einbeziehen. Viertens. Es geht darum, dass wir Regelungen, Standards und Zertifikate einführen, die auf der internationalen Ebene vergleichbar sind. Auch im europäischen Maßstab können wir so bessere Wettbewerbsbedingungen herstellen. Das machen wir vor folgendem Hintergrund: In Deutschland gibt es einige wenige schwarze Schafe; viele verhalten sich vorbildlich. Damit wir die schwarzen Schafe finden, damit wir die Wettbewerbsbedingungen für diejenigen verbessern, die sich ordentlich verhalten, damit wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Möglichkeit geben, sich vernünftig zu informieren und zu entscheiden, und vor allen Dingen um dafür zu sorgen, dass sich weltweit Schritt für Schritt Standards durchsetzen, brauchen wir diese fest vereinbarten Regelungen. Die Leitsätze der OECD für multinationale Unternehmen sind für uns Richtschnur; sie sind das Geländer, an dem entlang wir uns bewegen. Insbesondere mit Blick auf die weltweite Verantwortung der Christlich Demokratischen Union und die Ansprüche einer Fraktion, die sich angeblich um den fairen Wettbewerb in Deutschland kümmert, fordere ich Sie auf, unserem Antrag zuzustimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Heinz Golombeck das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heinz Golombeck (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir wesentliche Forderungen, die dem vorliegenden Antrag zugrunde liegen, umsetzen würden, könnte man wohl nicht mehr von einer freiwilligen gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung sprechen; denn eines der Kernelemente von CSR stellt die Freiwilligkeit dar. CSR ist per Definition, so das gemeinsame Verständnis dieser Regierungskoalition und des Nationalen CSR-Forums, freiwillig und geht über gesetzliche Vorgaben hinaus. (Beifall bei der FDP) Unternehmen, die CSR praktizieren, gehen freiwillig über ihre gesetzlichen Verpflichtungen hinaus, weil sie der Auffassung sind, dass dies in ihrem langfristigen Interesse liegt. Die hier geforderten Gesetzesinitiativen für eine verpflichtende nichtwirtschaftliche Berichterstattung von Unternehmen sehen wir skeptisch. Das vielfältige gesellschaftliche Engagement der Unternehmen darf nicht durch eine Verpflichtung zur Berichterstattung durchkreuzt werden. Freiwillig Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt zu übernehmen, das sind die Grundpfeiler von CSR. Grundsätzlich stimmen wir allerdings mit den Zielen des Antrags überein. Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen gewinnt national wie international zunehmend an Bedeutung. Diese Regierungskoalition ist dabei, einen breiten Dialog auf diesem Gebiet fortzuführen und die Bedeutung der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen in Wirtschaft und Gesellschaft zu verbreiten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist wichtig, dass wir Rahmenbestimmungen vorgeben. Die Standards dann auch durchzusetzen, gelingt nur durch das verantwortliche Handeln von Unternehmen. Schon zu Beginn dieser Legislaturperiode, im Oktober 2010, haben wir eine „Nationale Strategie zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen“ – als Aktionsplan CSR – beschlossen. Damit ist ein Meilenstein unserer CSR-Politik erreicht. Das ist aber nur ein Beispiel. Die Forderungen des hier diskutierten Antrags lauten, einen breiten Dialog durch die Stärkung des Nationalen CSR-Forums und die Beteiligung der Zivilgesellschaft zu führen. Dies hat längst stattgefunden. Laufende bundesweite CSR-Preisausschreiben, -Studien und -Förderprogramme steigern die öffentliche Anerkennung von CSR-Aktivitäten. So wird die Kommunikation zwischen Menschen und Institutionen gefördert, Ideen werden weiterentwickelt. Vor wenigen Wochen erst fand ein Expertendialog zur europäischen CSR-Debatte gemeinsam mit dem Nationalen CSR-Forum in Brüssel statt. Viele Ziele und Maßnahmen unseres Aktionsplans CSR spiegeln sich in den Aktionsplänen anderer Mitgliedstaaten und auch in der Mitteilung der Europäischen Kommission wider. Wir begrüßen die Bemühungen der Europäischen Kommission, ihre eigene CSR-Strategie fortzuentwickeln. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Abzuwarten bleibt, wie die EU-Kommission den angekündigten Entwurf zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen konkret regeln wird. Die Bekanntmachung und weitere Verbreitung internationaler Standards sind wichtig, um freiwillige Selbstorganisa-tionsprozesse von Unternehmen und Branchen zu fördern. Von besonderer Bedeutung sind für uns die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und der UN Global Compact. Diese können Unternehmen maßgebliche Orientierung geben, wo es an weltweit verbindlichen Regelungen mangelt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Regierungskoalition ist auf einem guten Weg, die Weiterentwicklung und Modernisierung von CSR in Europa und den Mitgliedstaaten zu einer Zukunftsaufgabe zu machen. Nur im Zusammenspiel von Politik und den Kräften der Gesellschaft kann diese Aufgabe bewältigt werden. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Karin Roth für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Karin Roth (Esslingen) (SPD): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Beim Thema „ökologische und soziale Unternehmensverantwortung“ geht es um Unternehmen. Aber es geht auch um Menschen, nicht nur um Menschen bei uns, sondern in der ganzen Welt. Da wir die Eigenschaft haben, weltweit einzukaufen – nicht wir, sondern die Unternehmen –, haben wir auch die Verantwortung, darauf zu achten, ob das, was in anderen Ländern mit Arbeitskräften passiert, den Menschenrechten entspricht. Herr Kober erzählt so wunderbar, dass sein Minister Niebel eine menschenrechtsbasierte Entwicklungspolitik betreibt. Abgesehen davon – aber das ist erst einmal nicht so wichtig –, dass weder bei der CDU/CSU noch bei der FDP Entwicklungspolitiker anwesend sind, muss daran erinnert werden, dass die menschenrechtsbasierte Politik nicht von Ihnen erfunden worden ist. Eingeführt hat sie Rot-Grün. (Pascal Kober [FDP]: Es geht hier nicht um Menschenrechte! Was haben Sie eigentlich jahrelang gemacht?) Das Schlimmste ist, dass Sie einfach nur ein Papier machen und sich nicht fragen: Wirkt das? – Die Wirksamkeit ist doch entscheidend. Sie erklären uns, dass es natürlich in Bangladesch und in anderen Ländern Arbeitsunfälle und andere Vorkommnisse gab. Aber was schließen Sie daraus? Gar nichts. Sie schauen zu und sagen: Wir warten auf die Europäische Union. (Pascal Kober [FDP]: Das stimmt nicht! Wir haben eine eigene Strategie!) Das kann so nicht weitergehen. Deshalb bin ich sehr froh, dass die SPD-Fraktion hier deutlich sagt, was wir wollen; denn Freiwilligkeit ist kein Rezept, weder national noch international. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie sähe es in Deutschland aus, wenn es in den Unternehmen keine gesetzliche Mitbestimmung gäbe? Wie sähe es in Deutschland aus, wenn es keine Tarifverträge gäbe? Wie sähe es in Deutschland aus, wenn es keine sozialen Sicherungssysteme wie die Rentenversicherung gäbe? Düster sähe es aus. Eine Freiwilligkeit kann also nicht das zentrale Thema sein. Das Primat der Politik ist heute gefragt, national wie international. Dazu gehört die Verantwortung der Unternehmen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auf der Welt – nicht in Deutschland, aber in den Ländern, über die wir heute reden: Usbekistan, Indien, Bangladesch und vielen anderen Ländern, auch China – arbeiten 215 Millionen Kinder in sklavenähnlichen Verhältnissen. Das heißt doch, dass wir uns im Rahmen unserer Verantwortung darum kümmern müssen, wie in diesen Ländern produziert wird. Wir können nicht einfach sagen: Wir wissen nichts; also haben wir damit auch nichts zu tun. – Nein, die Verantwortung ist nicht teilbar, sie ist wahrzunehmen von uns allen: von den Verbraucherinnen und Verbrauchern, aber auch von den Unternehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Textilindustrie ist doch nur die Spitze des Eisbergs. Es geht nicht nur um Billigprodukte, es geht auch um Luxusprodukte. Eigentlich wissen wir das auch. Das Schlimmste ist: Jetzt, wo die Europäische Kommission bereit ist, verpflichtende Regelungen einzuführen, blockiert und bremst die Bundesregierung, obwohl bei diesem Thema in Europa schon ein Konsens hergestellt war. Wie kommen Sie eigentlich dazu, das europäische Sozialmodell nicht zu akzeptieren? (Pascal Kober [FDP]: Weil es nicht gut ist!) Wie kommen Sie eigentlich dazu, die Initiativen der Europäischen Union nicht zu unterstützen? Bundesarbeitsministerin von der Leyen versteckt sich hinter Herrn Rösler. Von Herrn Rösler erwarten wir nichts; das ist klar. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber von Frau von der Leyen würden wir erwarten, dass sie ihre Aufgabe wahrnimmt und im Rahmen der Verhandlungen des Ministerrats der Europäischen Union die Position zumindest so formuliert, dass wir in die Lage versetzt werden, unseren Aufgaben gerecht zu werden. Ich sage Ihnen: Bei den OECD-Leitsätzen haben Sie gebremst; sie kamen trotzdem. ILO-Kernarbeitsnormen gibt es schon seit dreißig Jahren. Sie jetzt umzusetzen, das ist unsere Verantwortung, und dafür kämpfen wir. (Pascal Kober [FDP]: Dazu hatten Sie eine Menge Zeit, und zwar sieben Jahre! Kinderarbeit gab es schon zu Ihrer Regierungszeit!) Unser Vorschlag lautet deshalb: Verbindlichkeit, Transparenz und Vergleichbarkeit. Wenn Sie das alles nicht wollen, ist es, glaube ich, an der Zeit, dass wir Sie ablösen. Sonst wird es mit der Welt und dem, was wir brauchen, nichts. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Europa sich auf den Weg macht, die Arbeitsbedingungen – – Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Roth, Sie haben im Eifer der Rede offensichtlich das Signal übersehen; aber Sie müssten bitte zum Schluss kommen. (Zuruf von der FDP: Ich denke auch, das reicht! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Es wird immer besser!) Karin Roth (Esslingen) (SPD): – Ich kann mir vorstellen, dass Sie das nicht hören mögen. Petra Pau (DIE LINKE): Das müssen Sie jetzt wirklich an einem anderen Ort weiter klären. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Ich sage Ihnen: Das, was notwendig ist, wird kommen, auch ohne Sie. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Peter Weiß hat jetzt für die Unionsfraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass bis zum heutigen Tag in manchen Regionen dieser Welt katastrophale Arbeitsverhältnisse herrschen, grundlegende Arbeitnehmerrechte nicht geachtet werden, Menschen in Schuldknechtschaft ausgebeutet werden, Kinder nicht in die Schule können, sondern unter unwürdigen Produktionsverhältnissen in Fabriken geschickt werden, das ist ein Skandal, den wir als Deutscher Bundestag zu Recht anprangern. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Dann stimmen Sie unserem Antrag zu!) Wer aber nach der Lösung fragt, der sollte die Verantwortungen klar und eindeutig benennen. Es gibt sicher eine Verantwortung der Unternehmen. Nehmen wir zum Beispiel die sogenannten Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation. Durch die Ratifizierung dieser Konventionen werden diese unmittelbar geltendes nationales Recht. Das gilt auch für Deutschland, das gilt aber auch für jedes andere Land dieser Welt. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist zuallererst die Pflicht von Unternehmen in den jeweiligen Ländern, sich an Recht und Gesetz zu halten, und es ist zuallererst die Zuständigkeit der dortigen nationalen Regierungen, dafür zu sorgen, dass Recht und Gesetz in ihren Ländern auch durchgesetzt werden. Da liegt die erste Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aus dieser ersten Verantwortung können wir die Regierenden der Staaten dieser Welt nicht entlassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das reicht aber nicht!) Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind gerade wir Deutsche mit unseren Instrumenten der internationalen Zusammenarbeit dabei, Regierungen, die schwach sind, die diese Rechte und Gesetze nicht durchsetzen können, zu unterstützen. Das geschieht durch mehrere Programme der Regierungsberatung, zum Beispiel durch den Aufbau funktionierender Umweltministerien und Umweltverwaltungen. Das ist ein großes Projekt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Wir sind auch unterwegs zum Beispiel mit unseren politischen Stiftungen. Hier darf ich namentlich die Friedrich-Ebert-Stiftung nennen, die dabei ist, mit ihrem Gewerkschaftsprogramm Gewerkschaftsbildung überall in den Ländern dieser Welt zu unterstützen, weil funktionierende Gewerkschaften ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung sozialer Arbeitsbedingungen sind. (Beifall bei der CDU/CSU – Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das kann doch nicht die Aufgabe der Unternehmen ersetzen!) Also: Zuallererst – ich glaube, da kann man der deutschen internationalen Zusammenarbeit nichts vorwerfen; da sind wir vorbildlich – kommt es darauf an, dass die Länder dieser Welt selber dafür sorgen, dass soziale und ökologische Standards, dass das geltende Recht in diesen Ländern – Indien hat eine moderne Arbeitsgesetzgebung; sie wird nur nicht eingehalten –, dass eine solche moderne Gesetzgebung eingehalten, kontrolliert und durchgesetzt wird. Das ist das Allererste, da liegt die erste Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Zweite ist: Zu Recht appellieren wir an die Verantwortung auch der Unternehmen, übrigens auch der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich glaube, auch dafür können wir gute Beispiele nennen. Denken Sie an das Thema Kinderarbeit beim Knüpfen von Teppichen. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Niebel, wollten Sie sagen!) – Langsam. – Wir waren es, die zum Beispiel mit deutscher Hilfe finanziell geholfen haben, ein Siegel wie Rugmark einzuführen, damit Verbraucherinnen und Verbraucher sehen: Dieses ist okay und jenes ist nicht okay. – So sind wir auch in vielen anderen Bereichen bereit und in der Lage, mit deutscher Hilfe solche Siegel mit zu begründen und mit zu unterstützen, die eine Unterscheidung möglich machen. Sie sollten nicht verschweigen, dass wir in der letzten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages das Vergaberecht verändert haben. Heute können bei öffentlichen Ausschreibungen ökologische und soziale Standards hineingeschrieben werden. Das ist eine große Veränderung und eine wichtige Reform, die wir in der letzten Legislaturperiode miteinander beschlossen haben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei der Strategie, verantwortungsbewusste Unternehmensführung unter dem Kürzel CSR überall zu etablieren, geht es bei uns in Deutschland und in Europa darum, dass Unternehmen zusätzliches Engagement erbringen für die Gesellschaft, für soziale Standards, für Ökologie. Dass sich Unternehmen bei uns an Gesetze halten, ist für uns eine Selbstverständlichkeit. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt aber nicht!) Sie sollen mehr leisten. Deswegen ist die CSR-Strategie sowohl national als auch europäisch darauf ausgerichtet, dass Unternehmen freiwillig mehr tun und selbstverständlich auch für sich und ihre Produkte werben können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Keine Tarifverträge, keine Betriebsräte!) Die Bundesregierung hat den CSR-Preis, der demnächst in vier unterschiedlichen Kategorien verliehen wird, ausgeschrieben, damit sich Unternehmen bewerben und zeigen können: Jawohl, wir machen freiwillig mehr. – Mit diesem Preis werden gute Beispiele herausgestellt; denn nichts wirkt besser als gute Beispiele. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Deswegen machen es auch so viele nicht!) Hier ist zu Recht die Verantwortung der großen international tätigen Unternehmen angesprochen worden. Es geht aber natürlich genauso um die Unternehmen kleinerer Struktur. Deswegen ist es ein wichtiger Bestandteil der CSR-Strategie in Deutschland, dass wir gerade mittlere und kleinere Unternehmen durch Qualifizierungsmaßnahmen unterstützen, damit auch sie Konzepte für verantwortliche Unternehmensführung in ihren Betrieben einführen können. Es wird nun gefordert, wir sollten Berichtspflichten im Hinblick auf soziale und ökologische Standards durch europäische Gesetzgebung verbindlich vorschreiben. Hier muss man sich allerdings die Frage stellen, was unsere bisherige Erfahrung ist. Wenn wir ehrlich sind, dann ist unsere bisherige Erfahrung mit internationalen und europäischen Vorschriften dieser Art, dass letztlich Mindeststandards definiert werden. Ich sehe die große Gefahr, dass das zusätzliche freiwillige Engagement, dass wir jetzt schon ausgelöst haben, kaputtgemacht wird, wenn sich alle nur noch an Mindeststandards à la Europa oder internationalen Mindeststandards ausrichten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das ist doch lächerlich! – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsinn sondergleichen!) Deswegen muss man sich ehrlich die Frage stellen, ob das nicht ein Schuss in den Ofen wäre, wodurch das, was wir durch die CSR-Strategie national in Gang gesetzt haben, zu einem guten Teil wieder ad acta gelegt werden würde, weil man sich nur noch an die Berichtspflichten hält, die in einer europäischen Richtlinie stehen, während der Rest vergessen wird. (Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]: Ich würde einmal die Kirche fragen! – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum sind Sie auch gegen den Mindestlohn! Das weiß ich schon!) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin deshalb der Überzeugung, dass wir mit unserem Weg der nationalen CSR-Strategie, auf dem wir verantwortungsbewusste Unternehmensführung in Unternehmen bei uns in Deutschland und international befördern, auf dem wir kleinen und mittleren Unternehmen Qualifizierungsangebote machen, damit sie ebenfalls an dieser Strategie teilhaben und sie bei sich umsetzen können, und auf dem wir gute Beispiele öffentlich belobigen und herausstellen, international wie national mehr Erfolg haben werden als durch kleinkarierte Vorschriften, weil durch verantwortungsbewusste Unternehmensführung mehr für Ökologie, mehr für die Gesellschaft, mehr für die sozialen Verhältnisse und mehr für die soziale Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer getan wird. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Transparenz für soziale und ökologische Unternehmensverantwortung herstellen – Unternehmerische Pflichten zur Offenlegung von Arbeits- und Umweltbedingungen auf europäischer Ebene einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12110, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11319 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Zusatzpunkt 6. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/11686 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 e sowie die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: 5 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG) – Drucksache 17/11471 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts – Drucksache 17/11472 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von Kostenhilfe für Drittbetroffene in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR-Kostenhilfegesetz – EGMRKHG) – Drucksache 17/11211 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe (Prozesskostenhilfebegrenzungsgesetz – PKHBegrenzG) – Drucksache 17/1216 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Beratungshilferechts – Drucksache 17/2164 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ZP 7 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Erfolgsbezugs im Gerichtsvollzieherkostenrecht – Drucksache 17/5313 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Josef Philip Winkler, Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kostenrechtsmodernisierung bei Vertretung in Asylverfahren und Übersetzungsleistungen nachbessern – Drucksache 17/12173 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. (Beifall bei der FDP) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein bezahlbarer Zugang zum Recht für die Bürgerinnen und Bürger und eine gut funktionierende Justiz sind wesentliche Standortvorteile für Deutschland. Diese müssen wir auch in Zukunft erhalten. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Detlef Seif [CDU/CSU]) Mit dem Ihnen heute zur Beratung vorliegenden Gesetzentwurf soll die in ihren Grundzügen noch aus dem Jahr 1936 stammende Kostenordnung endlich durch ein modernes Gerichts- und Notarkostengesetz ersetzt werden. Ebenso werden die Vorschriften der Justizverwaltungskosten zeitgemäß neu geregelt und die alten Normierungen von 1940 abgelöst. Das neue Gerichts- und Notarkostengesetz – es regelt zum Beispiel die Gebühren in Grundbuch- und Nachlasssachen – wird moderner, einfacher, transparenter. Die Regelungen werden an die veränderten europäischen Anforderungen und die Entwicklung im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung angepasst. Also: Wir schaffen auch mehr Rechtssicherheit. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Detlef Seif [CDU/CSU]) Im Bereich der Gerichtskosten werden die derzeit über die gesamte Kostenordnung verteilten Wertregelungen zusammengeführt und systematisiert. Wir wollen damit Schwierigkeiten bei der Streitwertbestimmung minimieren, und wir hoffen, dass sie entfallen. In gerichtlichen Streitsachen sollen die Gerichtsgebühren um durchschnittlich 12 Prozent steigen, gleichmäßig über die Instanzen. Berufungen werden nicht zusätzlich verteuert. Auch das neue Notarkostenrecht wird transparenter. Zum Beispiel entsteht bei jedem Beurkundungsvorgang künftig nur eine Verfahrensgebühr. Zur Modernisierung des Kostenrechts gehört auch die Anpassung der Gebühren, Honorare und Entschädigungen in allen Justizkostengesetzen. Dazu gehören auch die Anwaltsgebühren. Seit über acht Jahren sind die Vergütungen für Anwälte unverändert geblieben. Linear wurden sie zuletzt 1994 angehoben. Bei den Notaren liegt das inzwischen 25 Jahre zurück. Die Vergütungen werden nun der wirtschaftlichen Entwicklung angepasst. Die Honorare der Sachverständigen und Dolmetscher richten sich zukünftig nach den Marktpreisen. Auf der Grundlage einer umfassenden Marktanalyse sollen in diesen Bereichen die Honorare, orientiert an der aktuellen Marktsituation, neu festgesetzt werden. Das gilt auch für die Übersetzer, für die sich Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag verwenden und die wir nicht anders als die übrigen Gruppen behandeln. Die Erwartungshaltung ist, dass sich damit jährliche Mehreinnahmen der Länder von geschätzten 177 Millionen Euro netto ergeben werden. Insgesamt geht es bei diesem nüchternen Thema, bei dem wir uns mit vielen Zahlen befassen, darum, mehrere berechtigte Anliegen zu einem vernünftigen Kompromiss zusammenzuführen, nämlich dem berechtigten Anliegen der Bürgerinnen und Bürger, dass für sie Justiz bezahlbar bleibt und sie den Zugang zum Recht haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber genauso – wir haben darüber intensiv Gespräche geführt – werden auch die Anliegen der Landesjustizverwaltungen, der Länderjustizministerinnen und -minister berücksichtigt, die immer auch die Kosten der Justiz im Blick haben müssen, die zwar natürlich nicht ganz, aber in einem gewissen Umfang durch die Gebühren gedeckt werden. Wir müssen sehen, dass die, die wichtige Beratungsaufgaben wahrnehmen, auch als Organ der Rechtspflege, in diesem Paket entsprechend berücksichtigt werden. Ich glaube, wir haben einen guten Vorschlag gemacht, der hoffentlich mit Ihrer Unterstützung den Bundestag passiert und dann natürlich in Abstimmung mit den Vertretern der Länder auch im Bundesrat auf Zustimmung stößt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christoph Strässer [SPD]: So nicht!) Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wir beraten heute in erster Lesung noch über einen zweiten Gesetzentwurf, nämlich den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts. Damit soll sichergestellt werden, dass die – hierauf haben die Länder seit vielen Jahren immer wieder hingewiesen – eher begrenzten staatlichen Mittel denjenigen zukommen, die sie wirklich benötigen. Um eine Größenordnung zu nennen: Aktuell beläuft sich die Prozesskostenhilfe auf ungefähr 500 Millionen Euro jährlich. Die Prozesskostenhilfe ist eine wichtige soziale Errungenschaft. Natürlich muss sie erhalten bleiben. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung einen etwas anderen Ansatz gewählt, als wir ihn im Bundesratsentwurf finden. Ich verstehe die Länder, dass sie ihren Blick auf die Länderjustizhaushalte richten. Wir haben einen etwas anderen Zugang gewählt. Wir sagen im Regierungsentwurf ausdrücklich – eine missverständliche und falsche Berichterstattung ist hier klar zu korrigieren –: Für sozial Schwächere, also für Menschen, die Hartz IV oder Sozialhilfe beziehen, wird es keine Änderungen geben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie werden auch künftig ratenfreie Prozesskostenhilfe erhalten, wenn dafür die Voraussetzungen vorliegen. Der Entwurf lässt den Freibetrag für den Antragsteller, der 10 Prozent über dem höchsten Sozialhilferegelsatz liegt, völlig unangetastet. Wer dagegen wirtschaftlich in der Lage ist, einen Beitrag zur Rückzahlung der gewährten Prozesskostenhilfe zu leisten, soll dies künftig in einem etwas größeren Umfang tun als nach geltendem Recht; denn durch die Prozesskostenhilfe soll derjenige, der es nötig hat, dem Durchschnittsverdiener gleichgestellt, aber nicht bessergestellt werden. Das ist übrigens ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Wer zur Finanzierung eines Prozesses beitragen kann, der soll das Prozessrisiko im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit tragen und nicht vollständig auf den Staat abwälzen können. Unter diesem Gesichtspunkt enthält der Gesetzentwurf eine Reihe von Änderungen, die die Gerichte besser als bisher in die Lage versetzen sollen, die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Antragstellers zu überprüfen. Außerdem soll der zusätzliche Freibetrag für Erwerbstätige – darauf beziehen sich die Änderungen, nicht auf die Antragsteller, die Hartz IV oder Sozialhilfe beziehen – von 50 auf 25 Prozent des höchsten Regelsatzes nach SGB XII gesenkt werden. Die Absenkung des Freibetrags – daran entzündet sich die Diskussion – führt dazu, dass es ab einem bestimmten Einkommensniveau häufiger dazu kommen kann, dass die gewährte Prozesskostenhilfe in Raten zurückzuzahlen ist, vielleicht auch nur teilweise. Wir begrenzen – anders als im Bundesratsentwurf – die Ratenzahlungshöchstdauer auf insgesamt 72 Monate. Wir wollen nicht, dass ein Empfänger von Prozesskostenhilfe lebenslang rückzahlungspflichtig bleibt. Das ginge uns in diesem Zusammenhang zu weit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben auch nicht die Regelung übernommen, wonach ein Empfänger von Prozesskostenhilfe erstrittenen Unterhalt, wenn er also Ansprüche durchgesetzt hat, nicht zur Sicherung seines Existenzminimums, sondern vorrangig zur Rückzahlung der Prozesskostenhilfe aufwenden müsste. Das sehen wir nicht vor, weil wir gerade wollen, dass jemand, der eine Leistung zu Recht erstritten hat, diese für die Verbesserung seines Existenzminimums verwenden kann. Es gibt also einige Unterschiede im Vergleich zum Bundesratsentwurf, aber auch viele Übereinstimmungen. Es ist eben ein etwas anderes Herangehen, das wir vonseiten der Bundesregierung gewählt haben. Ich halte das für vertretbar und angemessen und freue mich auf eine engagierte Debatte dieser beiden komplexen Gesetzgebungsvorhaben. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Ministerin für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. Angela Kolb. (Beifall bei der SPD) Dr. Angela Kolb, Ministerin (Sachsen-Anhalt): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin der Justiz! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wir sind uns alle einig: Was wäre unsere Demokratie ohne einen funktionierenden Rechtsstaat? – Was brauchen wir dafür? Eine gut ausgestattete, eine funktionsfähige Justiz. Rechtsgewährleistungsanspruch heißt für die Bürger natürlich Zugang zum Recht, bedeutet aber auch kurze Verfahrensdauern. Was brauchen wir, um im Sinne der Bürger möglichst kurze Verfahrensdauern zu gewährleisten? Wir brauchen eine angemessene Personalausstattung. Wenn man sich den Personalkörper der Justiz in den einzelnen Bundesländern anschaut, stellt man fest, dass eine angemessene Personalausstattung schon heute nicht überall vorhanden ist. Die Länder sind nicht untätig. Wir haben in den letzten Jahren viel investiert, um den Bürgerinnen und Bürgern moderne Dienstleistungen auch im Bereich der Justiz anbieten zu können. Das Handelsregister funktioniert nur noch elektronisch, wir haben ein elektronisches Mahnverfahren, elektronische Postfächer, und wir haben den Beschluss gefasst, bis zum Jahr 2020 einen umfassenden elektronischen Rechtsverkehr umzusetzen. Wie wir das hinbekommen, wissen wir heute noch nicht; denn woher das Geld dafür kommen soll, steht in den Sternen. Angesichts der Situation der Länderhaushalte, auch vor dem Hintergrund der beschlossenen Schuldenbremse, steht Geld nun einmal nur beschränkt zur Verfügung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es bedarf also keiner großen Debatte darüber, ob eine Kostenrechtsmodernisierung notwendig ist. Sie ist dringend notwendig. Leider bleibt der Entwurf der Bundesregierung in einigen Punkten hinter den Erwartungen der Länder zurück. Wir haben ernsthaft Sorge, ob uns auch zukünftig die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen, um auch dann den Justizgewährleistungsanspruch in hoher Qualität erfüllen zu können. (Beifall bei der SPD) Das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz soll ja einen langen Prozess abschließen, der 2001 begonnen hat. Ziel war die Vereinfachung und mehr Transparenz. Ich glaube, dieses Ziel ist in großen Teilen auch erreicht worden. In diesem letzten großen Komplex geht es jetzt um sehr schwierige Fragen. Das hat die Bundesministerin völlig zu Recht angeführt. Es geht im Wesentlichen um die Erhöhung der Anwaltsgebühren und der Gerichtsgebühren. Es geht richtigerweise zunächst einmal um die Frage, inwieweit ein Inflationsausgleich notwendig ist. Die Anwaltsgebühren sind seit 1994 nicht linear erhöht worden. Wenn man sich demgegenüber die Kostensteigerungen bei Personal, Energie und Mieten anschaut, ist aus unserer Sicht eine Erhöhung notwendig. Anwälte sind ein essenzieller Bestandteil des Rechtsstaates. Sie gewährleisten den Zugang des Bürgers zum Recht. Daher haben sich die Länder für eine Gebührenerhöhung ausgesprochen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Jens Petermann [DIE LINKE]) Im Hinblick auf den zweiten Teil, die Erhöhung der Gerichtsgebühren, sehen wir die Entwicklung etwas anders als die Bundesministerin der Justiz. Wir haben versucht, nachzuvollziehen, wie man auf die geschätzte Erhöhung um 177 Millionen Euro auf der Einnahmeseite kommt. Wir sehen das anders. Wir haben die Befürchtung, dass nach Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, sofern es in dieser Form in Kraft treten sollte, die Ausgaben für die Justiz steigen. Das heißt, dass sich der Kostendeckungsgrad der Justiz weiter verschlechtern wird. Der Kostendeckungsgrad der Justiz hat sich in den letzten Jahren von ursprünglich 48 Prozent auf ungefähr 44 Prozent verschlechtert. Länder wie Sachsen-Anhalt liegen schon bei 33 Prozent. Das zeigt, dass uns immer weniger Geld für die Justiz zur Verfügung steht. Wir sind der Meinung, dass die Gebührenerhöhung, die für die Anwälte zu Recht mit diesem Gesetzentwurf umgesetzt werden soll, auch für die Gerichte gelten muss. Wir sind nicht der Meinung, dass das dazu führt, dass die Bürgerinnen und Bürger in Zukunft keinen Zugang mehr zum Recht haben. Wenn man unterstellen würde, dass das der Fall wäre, müsste man annehmen, dass bereits vor 1994, also vor der letzten Änderung der Wertgebühren, ein verfassungswidriger Zustand bestanden hätte, weil wir nur den Ausgleich im Hinblick auf die Inflation, auf die tatsächlich erhöhten Kosten fordern. Insoweit appelliere ich an dieser Stelle nochmals, dafür Sorge zu tragen, dass das, was zu Recht für die Anwälte gelten soll, auch für die Justiz gilt. Die Länder fordern eine Steigerung der Gerichtsgebühren im GKG und im FamGKG um 20 Prozent. Das entspricht gerade einmal einem angemessenen Infla-tionsausgleich, versetzt uns in die Lage, auch in Zukunft qualitativ hochwertige Justizdienstleistungen anzubieten, und bietet die Gewähr, dass sich die Personalausstattung in den einzelnen Ländern in Zukunft nicht weiter verschlechtert. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass sich die Justizministerinnen und Justizminister der Länder schon einige Jahre mit dem Thema „Kostendeckungsgrad der Justiz“ beschäftigen. Wir haben im Rahmen der Justizministerkonferenz im Jahre 2010 einen Beschluss gefasst, der die Sorge zum Ausdruck bringt, dass sich der Kostendeckungsgrad immer weiter verschlechtert. Unsere Erwartungen, die aus unserer Sicht auch berechtigt sind, werden mit diesem Gesetzentwurf deutlich verfehlt. Lassen Sie mich abschließend noch auf eine Besonderheit hinweisen, die zu einer zusätzlichen Verschlechterung der Situation in den strukturschwachen Ländern führt. Die Gebührenerhöhungen, beispielsweise in wertträchtigen Grundbuch- und Nachlasssachen, schlagen hier kaum zu Buche, weil die Gegenstandswerte weit unter dem Bundesdurchschnitt liegen und auch die Anzahl der entsprechenden Verfahren insgesamt tendenziell rückläufig ist, sodass wir in diesem Bereich kaum wertträchtige Verfahren haben. Mit Blick auf die Schuldenbremse in den Länderhaushalten dürfen die berechtigten Forderungen der Länder nach einer deutlichen Verbesserung des Kosten-deckungsgrades nicht ignoriert werden. Ich möchte deshalb heute auch hier im Bundestag die Gelegenheit nutzen, diesen Appell zu erneuern. Dieses Thema hat nicht an Aktualität verloren. Ich möchte Sie an dieser Stelle ermutigen, im Sinne der Stellungnahme des Bundesrates über Nachbesserungen zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung nachzudenken. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Detlef Seif für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Detlef Seif (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz verfolgt im Wesentlichen drei Ziele: erstens Vereinfachung und Ver-besserung des Kostenrechts; zweitens Anpassung der Vorschriften, die sich mit Entschädigungen und Vergütungen beschäftigen, insbesondere bei Rechtsanwälten, Notaren, Sachverständigen, Dolmetschern und Übersetzern; und drittens die Sicherstellung eines ausreichenden Kostendeckungsgrades. Im Einzelnen: Die neue Regelung soll die Gerichte entlasten und eine einheitliche Rechtsanwendung sicherstellen. Dabei bilden die Modernisierung des Gerichtskostenrechts für die freiwillige Gerichtsbarkeit und die Modernisierung des Notarkostenrechts den Schwerpunkt. Die bisherige Kostenordnung – die Ministerin hat es erwähnt – ist wirklich in die Jahre gekommen und muss neu gestaltet werden. Die Gesetzesnovelle berücksichtigt die Anforderungen des zusammenwachsenden Europas und der elektronischen Datenverarbeitung. Die Kostenordnung wird durch das Gerichts- und Notarkostengesetz abgelöst. Die Regelungen für Gerichte und Notare werden jetzt deutlich voneinander getrennt; sie waren vorher total ineinander verwoben. Gleiches gilt für Gebühren- und Auslagentatbestände. Die Gebührenstruktur hinsichtlich der Notarkosten wird vereinfacht. Zahlreiche neue Geschäftswertvorschriften, die zum Teil aus der Kostenrechtsprechung resultieren, die sehr umfangreich war und die Gerichte teilweise extrem belastet hat, werden in dem Gesetz aufgeführt. Zugleich werden Auffangtatbestände beseitigt und die Gebührenregelungen leistungsorientierter ausgestaltet. Auch das Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz wird angepasst. Insbesondere wird die Sachgebietsliste zur Eingruppierung der Sachverständigen eindeutiger gefasst. In der gerichtlichen Praxis traten auch hier bislang erhebliche Abgrenzungsprobleme auf. Meine Damen und Herren, wer gute Arbeit leistet, sollte zumindest im Regelfall auch eine angemessene Vergütung dafür erhalten. (Beifall des Abg. Stefan Rebmann [SPD] – Burkhard Lischka [SPD]: Das gilt in vielen Bereichen!) – Bitte, Sie können gern applaudieren. – Deshalb ist natürlich nachvollziehbar, dass sich auch die betroffenen Berufsgruppen sehr intensiv an unserem Gesetzgebungsprozess beteiligen. Die vorgesehenen Änderungen im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz wurden kritisch begleitet von der Anwaltschaft, insbesondere von der Bundesrechtsanwalts-kammer und dem Deutschen Anwaltverein, die ihre Kritikpunkte in einer gemeinsamen Stellungnahme sehr ausführlich dargelegt haben. Beispielsweise führt die Einführung weiterer Streitwertstufen zu niedrigeren Gebühren als bisher, auch wenn wir eigentlich eine Erhöhung anstreben. Die zusätzliche Gebühr für umfangreiche Beweisaufnahmen dagegen spielt in der Praxis kaum eine Rolle, weil sie erst ab dem dritten Termin gegeben werden soll, Prozesse normalerweise allerdings kaum mehr als zwei Termine haben. Auch von Sachverständigen kommt Kritik. Dadurch, dass die Sachgebietsliste klarer und enger gefasst wird, kann es im Einzelfall dazu kommen, dass Sachverständige weniger Honorar einnehmen als vorher. Das liegt aber nicht daran, dass der Gesetzentwurf falsch ist, sondern daran, dass bisher eine Eingruppierung in eine Honorarstufe erfolgte, die nach den Marktpreisen eigentlich nicht berechtigt war. Fast alle Beteiligten sehen im Ergebnis das vorliegende Gesamtpaket positiv und drängen auf eine schnelle Verabschiedung. Die letzte echte Gebührenerhöhung – das haben wir schon gehört – war im Jahr 1994. Es folgte im Jahr 2004 eine strukturelle Veränderung des Gesetzes. Sie hat in den meisten Fällen, aber nicht in allen Fällen zu höheren Gebühren geführt. Der durchschnittliche Überschuss eines Einzelanwalts pro Monat liegt zurzeit bei 3 300 Euro. Zieht man die Beiträge für das Versorgungswerk, die Krankenversicherungsbeiträge und die Steuern ab, landet man bei einem monatlichen Nettobetrag von ungefähr 1 700 Euro. Die Zahl spricht für sich selbst. Nach neun Jahren ist es an der Zeit, eine Erhöhung auf den Weg zu bringen, die letztlich mehr als einen reinen Inflationsausgleich darstellt. Meine Damen und Herren, an dieser Stelle noch etwas zum Stichwort „kalte Progression“. Der durchschnittliche Rechtsanwalt rutscht aufgrund des progressiven Steuertarifs in eine höhere Stufe, sodass ihm noch nicht einmal der volle Inflationsausgleich verbleibt, wenn wir den Gesetzentwurf so verabschieden wie jetzt angedacht. Die Koalitionsfraktionen haben auch an der Stelle kein Verständnis dafür, dass der Bundesrat das Gesetz zum Abbau dieser nachteiligen Folge, also der kalten Progression, verhindert hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Burkhard Lischka [SPD]: Jetzt haben Sie das auch noch untergebracht!) – Es kommt noch etwas anderes. – Betroffen sind nicht nur Arbeiter und Angestellte, sondern auch, wie Sie hier sehen, Selbstständige mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Meine Damen und Herren, auch wenn der vorliegende Gesetzentwurf im Wesentlichen in Ordnung ist und eine gute Kompromisslösung darstellt, so ist mir doch eines aufgefallen: Beim Honorar für die Übersetzer ist noch ein deutliches Missverhältnis gegeben. Das erkennt man, wenn man vergleicht, was am Markt erzielbar ist und was wir vorsehen. Ich denke, bis zur zweiten Lesung sollten wir hier noch an einer Stellschraube drehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz wird zu einer Erhöhung des Kostendeckungsgrades führen. Dieser ist in den vergangenen Jahren – das haben wir gehört; das stimmt – unter 50 Prozent gerutscht. Jetzt hat die Bundesregierung auf der Grundlage von Datenmaterial gerechnet, das die Länder zur Verfügung gestellt haben, und ist im Ergebnis zu einem Deckungsgrad von über 51 Prozent gekommen. Deshalb kann ich die Argumentation Ihrer Rede, Frau Dr. Kolb, nicht nachvollziehen. Höhere Gerichtskosten, wie vom Bundesrat gefordert, in einem zusätzlichen Volumen von 230 Millionen Euro erschweren nicht nur den Zugang zur Justiz und zum Recht; sie würden auch die Belastung für Bürger und Wirtschaft gegenüber dem, was der Regierungsentwurf vorsieht, fast verdoppeln. Man muss sich eines verdeutlichen: Wir leben in einem föderalen Staat. Es gibt Finanzierungsaufgaben und Querfinanzierung. Es ist selbstverständlich, dass die Länder, die für die Justiz zuständig sind, auch für die Finanzierung aufzukommen haben. (Beifall der Abg. Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]) Der volle Betrag ist nur durch einen Teilbetrag abgedeckt, um den Zugang zum Recht nicht zu erschweren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, wenn ich das Feilschen -einiger Bundesländer – ich habe die Signale ja schon wieder verstanden – um eine weitere Anhebung der -Gerichtskosten sehe, kann ich mir am Schluss meiner Rede nicht verkneifen, auch auf das vom Bundesrat verhinderte Besteuerungsabkommen mit der Schweiz zu verweisen. Das habe ich jetzt auch noch eingebunden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kollege, Sie machen Ihre Rede ganz kaputt! Das wollen wir nicht hören! – Burkhard Lischka [SPD]: Die Linke macht das immer mit Hartz IV!) Zum Jahreswechsel, am 31. Dezember 2012, sind Steuerforderungen des Staates in einer Größenordnung von 1 Milliarde Euro verjährt. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wir haben die Steuerkriminellen im Visier!) Wir hätten durch das Besteuerungsabkommen 10 Milliarden Euro generiert, die wir den Ländern zur Verfügung gestellt hätten. (Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: So ist es!) Das hätte ausgereicht, um den Mehrbetrag von 230 Millionen Euro, den sie jetzt fordern, ohne Zins und Zinseszins für 43 Jahre – ich betone: 43 Jahre – abzudecken. (Stefan Rebmann [SPD]: Sie machen einen Sonderrabatt für Steuerkriminelle!) Mein dringender Appell an Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, und an die Mitglieder des Bundesrates: Wir haben in diesem Jahr zwar -Bundestagswahl, aber die Kostenrechtsmodernisierung ist zu wichtig. Sie darf keinem wahltaktischen Kalkül zum Opfer fallen (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ich dachte, keinem Steuerkriminellen!) wie bereits das Gesetz zur kalten Progression, die steuerliche Entlastung bei der energetischen Sanierung und das Besteuerungsabkommen mit der Schweiz. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Da kann man nur laut lachen! – Burkhard Lischka [SPD]: Originelle Rede!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Jens Petermann für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jens Petermann (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit den heute zu beratenden Gesetzentwürfen wird der justizpolitische Endspurt der Legislatur eingeläutet. Neben einigen Verbesserungen planen Sie aber auch Regelungen, die wieder einmal zu erheblichen Nachteilen für Bürgerinnen und Bürger führen können. Die Zeit ist knapp bemessen. Deswegen will ich mich auf ein paar kritische Punkte beschränken. Mit den geplanten Änderungen im Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferecht wollen Sie eine angeblich weitverbreitete, missbräuchliche Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe verhindern. (Marco Buschmann [FDP]: Das sagen auch die Länder, wenn sie beteiligt sind! – Stefan Rebmann [SPD]: Ein Fall von Steuerhinterziehung!) Denken Sie bitte daran, dass Prozesskostenhilfe von Menschen benötigt wird, die mit ihrem kärglichen -Einkommen kaum über die Runden kommen und sich deshalb die Kosten eines Gerichtsverfahrens nur allzu häufig nicht leisten können. Betroffen sind Menschen, die gezwungen sind, für Hungerlöhne zu arbeiten, und vor allem Bezieher von Leistungen nach dem SGB II. Das sind Menschen, die unter der mangelhaften Hartz-IV-Gesetzgebung schon genug zu leiden haben. Frau Ministerin, Sie sagten, dass diese Menschen gerade nicht betroffen sein sollen. (Zuruf der Abg. Mechthild Dyckmans [FDP]) Daran habe ich erhebliche Zweifel. Wir haben aus den Entwürfen etwas anderes herausgelesen. Ich denke, dass wir an der Stelle noch einmal diskutieren müssen. Sie verfolgen aus unserer Sicht eine andere Zielrichtung: Je weniger Prozesskostenhilfe, umso weniger Klagen und Verfahren, vor allem vor den überlasteten Sozialgerichten, und desto weniger Personalbedarf bei den Gerichten. Sie machen hier letzten Endes den Job der Landes-finanzminister. Kostenersparnis für die Landeshaushalte ist das Ziel. So steht es jedenfalls schwarz auf weiß in Ihrem Gesetzentwurf. Sie begründen Ihren Entwurf mit den Initiativen aus dem Bundesrat und gestiegenen Aufwendungen für Prozesskostenhilfe in den Jahren 2003 bis 2005. Eine Einschränkung der Leistungen, die sich schon am verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaß bewegen, stößt jedenfalls auf unseren entschiedenen Widerspruch. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Linke tritt vielmehr dafür ein, den Sparkurs bei der Justiz zu beenden. Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe müssen deshalb ausgebaut und dürfen nicht weiter eingeschränkt werden. (Beifall bei der LINKEN) Wenn Sie sich endlich einmal um einen existenz-sichernden Mindestlohn kümmern würden, (Christoph Strässer [SPD]: Nicht nur für -Anwälte!) könnten viel mehr Menschen die Kosten eines Ver-fahrens aufbringen, und die Staatskasse wäre deutlich entlastet. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Es kann also nicht nur um ein Mindestgebühreneinkommen für Rechtsanwälte gehen. Es muss letzten Endes auch um einen existenzsichernden Mindestlohn gehen. Das muss man immer mitdenken. Im Einzelnen sollen die Freibeträge abgesenkt, die Ratenzahlungshöchstdauer verlängert und die Prozesskostenhilferaten neu berechnet werden, um die Hilfe-suchenden stärker an der Finanzierung der Prozesskosten zu beteiligen. Ich sehe hier die Gefahr, dass Geringverdienern oder speziell auf Transferleistungen angewiesenen Menschen der Weg zu einem gericht-lichen Rechtsschutz deutlich erschwert wird. Der Zugang zum Recht und zu den Gerichten ist grundgesetzlich garantiert und darf nicht an der Größe des Geldbeutels scheitern. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das wäre der Weg in eine verfassungswidrige Zweiklassenjustiz. Leider ist der Entwurf nicht nur unsozial, sondern auch handwerklich mangelhaft. So fehlt es bei der Definition der Mutwilligkeit an klaren Kriterien, wann die Inanspruchnahme als mutwillig anzusehen ist. Es bleibt damit der durchaus schale Beigeschmack eines neoliberalen Murksentwurfes, der übrigens selbst in Ihren eigenen Reihen umstritten ist. Das Beste für diesen Entwurf wäre also eine stillschweigende Beerdigung. (Beifall bei der LINKEN) Zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz. Hier -planen Sie unter anderem die schon lange überfällige Erhöhung der Vergütung von Rechtsanwälten. Dazu ist -bereits einiges gesagt worden; das ist so weit in Ordnung. Gleichzeitig wollen Sie den rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürgern, auch denen, die auf Prozesskostenhilfe angewiesen sind, aber auch in die Tasche greifen. Der erhöhte Bearbeitungsaufwand bei der Prüfung von Anträgen auf Prozesskostenhilfe und die steigenden Anwaltsvergütungen machen die im Rahmen der Prozesskostenhilfereform geplanten Einsparungen in den Landesjustizhaushalten offensichtlich wieder zunichte. Da passt einiges nicht zusammen. Ein schlüssiges Gesamtkonzept sieht anders aus, verehrte Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Auf der Grundlage eines 588 Seiten umfassenden Gesetzentwurfs sollen die Kostenregelungen einfacher gestaltet und an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst werden. Dabei handelt es sich um einen Rundumschlag, der nahezu alle Bereiche der Rechtspflege, gerichtlich wie außergerichtlich, erfasst. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, uns alle erreichten in unseren Büros seit der Veröffentlichung der Entwürfe viele Briefe betroffener Bürgerinnen und Bürger sowie ablehnende Stellungnahmen von Sozialverbänden, den Verbänden der Anwälte, der Vermessungsingenieure, der Dolmetscher und aus der Richterschaft. Dort wird viel Kritik geäußert, und nicht jeder sieht dieses Gesetz als goldenen Wurf. So kritisieren zum Beispiel die Dolmetscher und Übersetzer, dass ihr Honorar für die Übersetzung schwerer Texte reduziert werden soll. Das Honorar beträgt zum Teil nur noch ein Drittel der Sätze von 1994, als es die letzte Änderung in diesem -Bereich gab; Sie haben es bereits angesprochen, Herr Kollege. Rechtsanwälte sollen mehr bekommen, Übersetzer indes weniger und sich am freien Markt orientieren? Wo ist da die innere Logik? Auch hier passt einiges nicht zusammen. Selbst die Rechtsanwaltschaft sieht trotz finanzieller Verbesserungen für ihren Stand noch Änderungsbedarf. So kommt es durch eine Änderung bei der Staffelung der Streitwerttabelle bei niedrigen Streitwerten in Einzel-fällen zu geringeren Gebühren für den Anwalt. Die neuen Regelungen vermögen es auch nicht, in den Bereichen Sozialrecht und Strafrecht eine ausreichende Kostendeckelung zu erzielen, sodass auch hier Gebühren- oder Vergütungsvereinbarungen notwendig sind. Verbesserungen im Kostenhilferecht gibt es hinsichtlich Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dass das eine positive Regelung ist, möchte ich Ihnen, Frau Ministerin, an dieser Stelle ausdrücklich attestieren. (Beifall der Abg. Christoph Strässer [SPD] und Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich begrüße, dass es zukünftig eine Kostenhilfe für drittbetroffene Personen in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geben soll. Wenn sich eine betroffene Person an dem Prozess beteiligen will und sich die Kosten der Rechtsvertretung nicht leisten kann, muss sie einen Antrag beim Gerichtshof stellen. Aufgrund der komplexen Anforderungen benötigt sie aber bereits für die Antragstellung anwaltliche Unterstützung. Wozu dieses komplizierte Verfahren? Hier muss noch deutlich nachgebessert werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung geht lediglich von einigen -Anträgen pro Jahr aus. Zwar haben Sie eine abstrakt--generelle Regelung aufgeschrieben, sodass man hier nicht von Einzelfallgesetzgebung sprechen kann. Aber es ist schon etwas merkwürdig: Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte will die Bundesregierung glänzen und für eine Handvoll Anträge ein neues Gesetz einführen; aber 126 000 Geringverdienern will sie die Beihilfe zu den Kosten des Rechtsstreits vor deutschen Gerichten kürzen und damit den Zugang zum Recht einschränken. Das ist weder schlüssig noch gerecht. Soziale Gerechtigkeit darf jedenfalls nicht an der Gerichtspforte enden. (Beifall bei der LINKEN) Darüber werden wir in den nachfolgenden Anhörungen reden. Gestatten Sie mir einen Satz zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Der Vorschlag, die Vergütungen für Anwälte in Asylverfahren mit den Vergütungen in ausländerrechtlichen Verwaltungsstreitverfahren in Einklang zu bringen, ist ebenso zu begrüßen wie der Vorschlag zu den Honorarsätzen der Übersetzerinnen und Übersetzer; das unterstützen wir, und hier können Sie auf uns zählen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Edgar Franke [SPD] und Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Ingrid Hönlinger für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Hohen Hause besteht mit Sicherheit großer Konsens darüber, dass der Zugang zum Recht zur demokratischen Grundversorgung jeder Bürgerin und jedes Bürgers gehört. Um den Zugang zum Recht zu gewährleisten, muss es eine funktionsfähige Justiz geben. Diese bereitzustellen, und zwar für alle Mitbürgerinnen und Mitbürger, das ist Aufgabe des Staates. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir debattieren heute über sechs Gesetzentwürfe, bei denen es, kurz gesagt, um Kosten und um Finanzierung geht. Ihre Umsetzung soll dazu führen, dass die Länder aufgrund der Neugestaltung der Gerichtskosten 177 Millionen Euro und aufgrund der Erhöhung der Gerichtsvollziehergebühren weitere 53 Millionen Euro Mehreinnahmen erzielen. Diese Erhöhungen orientieren sich an der Steigerung der allgemeinen Lebenshaltungskosten. Das ist vernünftig. Deshalb kann ich hier mit meiner Fraktion gern zustimmen. (Beifall des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nun kommt aus dem Bundesrat zusätzlich der Vorschlag, dass eine neue Gebühr für Gerichtsvollzieher eingeführt wird, eine sogenannte Erfolgsgebühr. Meine Damen und Herren, Gerichtsvollzieherinnen und -Gerichtsvollzieher führen die staatliche Aufgabe der Zwangsvollstreckung aus. Sie dürfen Wohnungen betreten und unter Umständen sogar körperliche Gewalt anwenden. Zu dieser hoheitlichen Aufgabe passen Erfolgsgebühren nicht. Sie könnten den Eindruck vermitteln, dass die Gerichtsvollziehergebühren im Vordergrund stehen und nicht die Durchsetzung einer gerichtlich festgestellten Forderung. Mit diesem Vorschlag können wir Grüne uns deshalb nicht einverstanden erklären. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mit einem weiteren Gesetz, über das wir heute auch debattieren, sollen die Gebühren der Rechtsanwältinnen und -anwälte, der Notare und Notarinnen sowie die Honorare der Sachverständigen und der Dolmetscher und Übersetzerinnen an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst werden. Die Notargebühren wurden im Jahr 1986 zuletzt erhöht. Die Anwaltsgebühren wurden zuletzt im Jahr 2004 verändert. Es ist deshalb angemessen, auch diese Gebühren neu zu regeln. Einige Berufsgruppen werden aber in Ihrem Gesetz nicht ausreichend berücksichtigt. Die Vergütung der Übersetzerinnen und der Sachverständigen sollte noch einmal überdacht werden. Auch sollten die Gebührenstreitwerte im Asylverfahren den Werten im Ausländerrecht angepasst werden. Bei beiden Verfahrensarten ist der Arbeitsaufwand der gleiche. Es geht um den Aufenthalt von Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland und damit um schwierige menschliche Schicksale. Es gibt keinen sachlichen oder juristischen Grund, hier mit zweierlei Maß zu messen, meine Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Jetzt komme ich zu den Gesetzentwürfen, die die -Änderungen im Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferecht betreffen. Frau Kollegin Voßhoff, das ist bestimmt auch interessant für Ihre Fraktion. Denn eines ist klar: Ein Gerichtsverfahren kostet Geld. Wer sich einen Anwalt oder ein Gerichtsverfahren finanziell nicht leisten kann, muss staatliche Hilfe in Anspruch nehmen können. Wir gewährleisten das mit der Beratungshilfe und mit der Prozesskostenhilfe. Doch während die Lebens-haltungskosten im Bundesgebiet steigen, wollen die Bundesregierung und der Bundesrat die Prozesskostenhilfe und die Beratungshilfe einschränken. Durch Ihre Vorschläge, meine Damen und Herren, wird der Zugang zum Recht erheblich erschwert. Ich nenne Ihnen hierfür drei ganz einfache, aber zentrale Gründe. Erstens. Rechtsuchende, deren Einkommen über den Sozialleistungen liegt, sollen mehr Geld für rechtlichen Beistand bezahlen. Wen trifft diese Neuregelung? – Sie betrifft vor allem alleinerziehende Frauen, prekär -Beschäftigte oder Erwerbslose. Das thematisieren die Gewerkschaft Verdi und eine Petition an den Bundestag zu Recht. Wer wenig Einkommen hat, wird sich dann dreimal überlegen, ob er oder sie unter diesen Bedingungen einen Prozess riskiert. Das, meine Damen und -Herren, schreckt Rechtsuchende davon ab, ihr Recht in Anspruch zu nehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zweitens. Das Gericht soll eine einmal bewilligte Prozesskostenhilfe aufheben können, soweit ein Antrag auf Beweiserhebung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das verstößt gegen den Grundsatz der nicht vorwegzunehmenden Beweiswürdigung im Zivil-prozess. Genau das ist nicht vorgesehen im Zivilprozess. Auch dieser Vorschlag von Ihnen verschlechtert die Prozesschancen der finanziell schlechtergestellten Partei. Drittens. Prozesskostenhilfe wird vor allem in den Bereichen Familienrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht beantragt. Hier geht es um Unterhalt, die Arbeitsstelle oder Sozialleistungen. Gerade für Menschen mit geringem Einkommen ist es wichtig, sich auch in diesen elementaren Bereichen verteidigen zu können. Die geplante Einschränkung der Prozesskostenhilfe verschiebt aber die Chancen der Rechtsverfolgung zugunsten des finanziell Bessergestellten. Mit diesem Gesetzesvorhaben erschweren Sie, meine Damen und Herren von Bundesregierung und von Bundesrat, finanziell schwächeren Bürgerinnen und Bürgern das Recht auf rechtliche Vertretung. Wir Grünen lehnen das ab. Mit uns Grünen gibt es nur eine Rechts- und Justizpolitik mit sozialem Augenmaß. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jens Petermann [DIE LINKE]: Da sind wir uns einig, Frau Kollegin!) Um die Justizhaushalte wirklich zu entlasten, ist es sinnvoller, die außergerichtliche Streitbeilegung zu stärken. Mit den Stimmen aller Fraktionen hier im Bundestag haben wir in dieser Legislaturperiode das Media-tionsgesetz verabschiedet. Darin haben wir vorgesehen, dass Bund und Länder erforschen können, wie die Länder mit Mediation die Gerichte auch finanziell entlasten können. Deshalb sollten sich möglichst schnell möglichst viele Bundesländer an den Forschungsvorhaben beteiligen. Das wäre wirklich innovativ. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Rechte, meine Damen und Herren, sind nur dann wirkungsvoll, wenn die Bürgerinnen und Bürger sie auch durchsetzen können. Dazu brauchen sie im Einzelfall anwaltliche oder gerichtliche Hilfe. Mit dem Gesetz zur Prozesskosten- und Beratungshilfe schaffen Sie eine Zweiklassenjustiz. Wir Grünen können das nicht akzeptieren. Nach unserer Überzeugung muss der Zugang zum Recht allen Menschen offenstehen, unabhängig von ihrem Einkommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Ute Granold für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ute Granold (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Hönlinger, der Zugang zum Recht wird auch mit diesem Gesetz jedem Bürger möglich sein, unabhängig von seinem Einkommen. Wir hätten uns sehr gewünscht, dass die Debatte, die erforderlich und dringend notwendig ist, etwas sachlicher geführt wird. Das geht an Ihre Adresse, aber auch an die des Kollegen Petermann. Ängste bei Menschen zu schüren, die auf Prozesskosten- bzw. Beratungshilfe angewiesen sind, indem Sie sagen, dass das nicht mehr bezahlt werden kann, ist einfach ein Stück weit unseriös. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich beschränke mich auf die Prozesskostenhilfe, die Verfahrenskostenhilfe und Beratungshilfe. Die anderen Themen hat der Kollege Seif für die Union schon ausgeführt. Wir haben in der ZPO eine Regelung für die Prozesskostenhilfe, im FamFG eine Regelung für die Verfahrenskostenhilfe. Ganz wesentlich belasten die Länder Verfahren im Rahmen der familiengerichtlichen Auseinandersetzung. Im Beratungshilfegesetz wird eine staatliche Sozialleistung für eine außergerichtliche Beratung und eine Vertretung gewährt. Verfassungsrechtlich geschützt ist der Zugang zum Recht durch den Gleichheitsgrundsatz, das Rechtsstaatsprinzip und den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, die im Grundgesetz niedergelegt sind. Dieser Maßstab ist für uns unabdingbar und steht nicht zur Disposition. Das wird auch nach wie vor gewährleistet. Alles andere ist einfach nur Ängsteschüren. Warum ist die Reform auf den Weg gebracht worden? Warum debattieren wir das Thema heute? Der Bundesrat hat sich bereits in der letzten Wahlperiode mit dem Thema befasst – Sie haben das ausgeführt –, und auch in dieser Wahlperiode befasst er sich damit. Wir haben die Vorgaben des Bundesrates bewusst nicht aufgegriffen, sondern die Regierung hat einen eigenen Gesetzentwurf gemacht, von dem wir meinen, dass er besser ist und weitaus weniger Einschnitte für die Menschen gerade im Bereich der Verfahrenskosten- und Prozesskostenhilfe bringt. Darauf werde ich gleich noch einmal eingehen. Sie haben völlig zu Recht die Kostenlast der Länder angesprochen. Ich darf die Kosten für die Prozesskostenhilfe nennen: bundesweit 2005  495 Millionen Euro; im Jahr 2010 waren es bereits 509 Millionen Euro. Davon sind die Rückflüsse an den Staat abzuziehen. Das sind etwa 20 Prozent der Kosten, die verausgabt werden. Bei der Beratungshilfe ist es weitaus mehr: Um die Jahrstausendwende hatten wir Kosten unterhalb von 20 Millionen Euro. Seit 2002 sind die Kosten kontinuierlich angestiegen. Heute haben wir einen Betrag von 80 Millionen Euro. Das belastet die Länderhaushalte. Weil diese Last nicht mehr getragen werden kann, müssen wir über eine Reform nachdenken. Deshalb debattieren wir heute dieses Thema. Das sollten wir mit Augenmaß und auch seriös machen. Im Koalitionsvertrag haben wir festgeschrieben, dass wir eine Reform auf den Weg bringen wollen. Dabei sollen die sozial Schwächeren bewusst außen vor gelassen werden. Das heißt, für all die, die Hilfe nach dem SGB II oder dem SGB XII erhalten, wird sich nichts am Freibetrag ändern. Sie erhalten, genauso wie früher, Verfahrens-kosten-, Beratungs- und Prozesskostenhilfe ohne eine finanzielle Beteiligung. Wer anderes sagt, sagt bewusst die Unwahrheit. Das ist das Unseriöse, das ich hier anspreche. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Freibeträge – die Ministerin hat es angesprochen – liegen sogar um 10 Prozent über dem in der BRD höchsten Satz des SGB XII. Unsere Aufgabe ist es nun auf der einen Seite, einen Mittelweg zwischen einem Missbrauch der Prozesskosten-, Beratungs- und Verfahrens-kostenhilfe zu finden – das wurde übrigens von den Ländern vorgetragen, um es klar und deutlich zu sagen, Herr Kollege Petermann –, und auf der anderen Seite müssen wir dafür Sorge tragen, dass jeder, der sein Recht vor Gericht erstreiten möchte, auch die Möglichkeit dazu erhält. Lassen Sie mich einige konkrete Beispiele anführen. Herr Kollege Petermann, ich gebe Ihnen recht: Über den Begriff der Mutwilligkeit sollten wir noch einmal nachdenken. Das betrifft sowohl die Prozesskostenhilfe als auch die Beratungshilfe. Was die Verschärfung des Begriffs der Mutwilligkeit und die Frage angeht, ob das noch verfassungskonform ist, was jetzt in den Gesetzentwurf hineingeschrieben wurde, darüber besteht Beratungsbedarf. Wir werden das in den anschließenden Beratungen und auch in der Anhörung klären. Man sollte darüber nachdenken, ob über die Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrens- bzw. Prozesskostenhilfe vorliegen, in einer mündlichen Verhandlung entschieden werden sollte; denn es geht nicht darum, Bürokratie aufzubauen, weil das Mehrkosten verursacht; vielmehr geht es darum, Bürokratie abzubauen. Wir meinen: Wenn die Gerichte eine Erledigungsfrist setzen, innerhalb derer Auskunft erteilt werden soll, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrens- oder Prozesskostenhilfe vorliegen, sollte nach Ablauf dieser Frist eine Entscheidung herbeigeführt werden. Das ist heute schon der Fall. Es besteht also kein Grund, das zu ändern. Auch darüber wird zu reden sein. Es geht in diesem Zusammenhang auch darum, dass Auskünfte bei Dritten eingeholt werden. Dem Antragsteller sollte die Möglichkeit gegeben werden, innerhalb einer Frist zu belegen, dass er die Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfüllt. Wenn aber diese Frist abgelaufen ist, soll das Gericht entscheiden. Wir haben Bedenken, dass bei Sozialversicherungsträgern, bei Banken und Finanzämtern ohne Einwilligung des Betroffenen Auskünfte eingeholt werden. Und um zur Verfahrensoptimierung beizutragen: Wer einen Bescheid nach SGB II oder SGB XII vorlegt, hat per se einen Anspruch auf Verfahrens- und Prozesskostenhilfe. In diesem Fall bedarf es keiner weiteren Prüfung. Eine stärkere finanzielle Beteiligung derjenigen – die Frau Ministerin hat es angesprochen –, die im Berufsleben stehen, ist für uns selbstverständlich. Hier hat der Bundesrat im Übrigen eine Entfristung in Bezug auf unbeschränkte Rückforderungsmöglichkeiten vorgeschlagen. Wir haben uns für eine Deckelung auf 72 Monate ausgesprochen. Das halten wir für ausgewogen. Deshalb sind wir auch in diesem Punkt mit der Bundesratsinitiative nicht einverstanden. Mit der Absenkung der Freibeträge und der Neuberechnung der PK-Raten sind wir einverstanden. Ganz wichtig ist uns das bei Familiensachen, einem Bereich, in dem Verfahrenskostenhilfe in großem Umfang beantragt und bewilligt wird. Zum staatlichen Rückgriff auf erlangtes Vermögen: Unterhaltsnachzahlungen dürfen nicht angetastet werden, weil sie zur Gewährleistung des Lebensstandards und zur Finanzierung des Lebensunterhalts beitragen. Teilweise wird das über Dritte finanziert. Anders verhält es sich mit dem Vermögensausgleich – darüber können wir uns unterhalten –, aber der Unterhalt sollte unangetastet bleiben. Auch die Anwaltsbeiordnung in Scheidungsverfahren sollten wir noch einmal überdenken. Ich mache das seit 30 Jahren: Nach meinem Dafürhalten gibt es kein einfaches Scheidungsverfahren. Wenn der Antragsteller die Scheidung beantragt, besteht Anwaltszwang. Die andere Partei sollte schon aus Gründen der Waffengleichheit ebenfalls einen Anwalt haben können; denn es könnte sein, dass der Antragsteller sagt: Ich ziehe den Scheidungsantrag zurück. – Damit erledigt sich die Scheidung, wenn kein eigener Scheidungsantrag gestellt wurde, und der muss nun einmal über einen Anwalt gestellt werden. Wir wissen, welche Folgen daran geknüpft sind: Stichtage für den Versorgungsausgleich, die Berechnung für das eheliche Güterrecht und vieles andere mehr. Gerade was den Versorgungsausgleich angeht, der sich nach der Reform in der letzten Wahlperiode in der Praxis als sehr gut erwiesen hat, braucht man anwaltliche Hilfe. Die Anwaltsbeiordnung – hier geht es um das Prinzip der Waffengleichheit – sollten wir auch im Hinblick auf die arbeitsgerichtlichen Verfahren noch einmal überdenken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Im Bereich der Beratungshilfe soll ein Erinnerungsrecht für die Staatskasse eingeführt werden; das ist eine gute Entscheidung. Aber auch hier sollten wir über den Begriff der Mutwilligkeit – liegt Mutwilligkeit vor, ist keine Voraussetzung für die Beratungshilfe gegeben – nachdenken. Einen nachträglichen Antrag auf Beratungshilfe auszuschließen – ein Wunsch des Bundesrates –, halten wir für nicht akzeptabel. Eine Prüfung im Vorfeld, also vor der Antragstellung, halten wir auch nicht für akzeptabel, weil Fristen oft laufen und sich erst durch eine Beratung beim Anwalt herausstellt, dass hier eine schwierige Materie zu bearbeiten ist. Deshalb meinen wir, dass es möglich sein muss, jederzeit einen entsprechenden Antrag zu stellen. Wir weiten sogar die Beratungshilfen entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf steuerliche Angelegenheiten aus. Das soll an dieser Stelle auch einmal gesagt werden: Es handelt sich um eine Ausweitung. Damit wird der Kreis derer, die neben Rechtsanwälten, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und anderen Beratung leisten dürfen, ausgeweitet. Das ist ein guter Ausblick. Ein Satz noch zu Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte; Sie haben das angesprochen. Hier soll, um Waffengleichheit herzustellen, Prozesskostenhilfe auch für Dritte möglich werden. Bisher ist das bei Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof nicht zugelassen. In Umgangsverfahren zum Beispiel sind oft Dritte beteiligt. Der Vater strengt das Verfahren an, die Mutter und das Kind sind beteiligt. Demzufolge muss wegen des Prinzips der Waffengleichheit auch die Möglichkeit bestehen, dass die Drittbeteiligten Verfahrenskostenhilfe erhalten. Das geht im europäischen Recht bisher nicht. Dafür ist auch kein Geld da. Deshalb sagen wir: Das wollen wir im nationalen Recht verankern. Wer im nationalen Recht die Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Verfahrenskostenhilfe erfüllt, dem muss diese Hilfe auch in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zuteilwerden. Es geht darum, dass Menschen einen Anspruch auf finanzielle Unterstützung haben, damit sie ihre Rechte vor Gericht wahrnehmen können, wenn sie selbst dazu nicht in der Lage sind. Ich hoffe sehr, dass wir in den Beratungen im Rechtsausschuss und bei der Anhörung das eine oder andere nachjustieren können und zu einem Ergebnis kommen, das für das ganze Haus tragbar ist und den Menschen draußen hilft. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Sonja Steffen für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Sonja Steffen (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten heute über mehrere Gesetzentwürfe. Alle beschäftigen sich mit den Kosten in Rechtsangelegenheiten. Ich möchte in meiner Rede zunächst auf den Gesetzentwurf eingehen, der sich mit der Beratungshilfe und der Prozesskostenhilfe beschäftigt. Über die Prozesskostenhilfe kann einkommensschwachen Personen eine finanzielle Unterstützung zur Durchführung von Gerichtsverfahren gewährt werden. Im Leben kann es immer wieder zu Situationen kommen, in denen man einen Prozess führen muss. Oft ist es so, dass bei einem solchen Verfahren erhebliche Kosten entstehen. Nicht jeder ist in der Lage, diese Kosten aus eigenen Mitteln zu tragen, und nicht alle Bürgerinnen und Bürger haben eine entsprechende Rechtsschutzversicherung. Die Prozesskostenhilfe wurde daher für diejenigen entwickelt – früher hieß sie übrigens Armenrecht –, die nicht in der Lage sind, Prozesse aus eigenem Einkommen und Vermögen zu finanzieren. Sinn der Prozesskostenhilfe ist also zum einen, dem Gleichheitsgrundsatz gerecht zu werden. Auch Bürger mit geringem Einkommen oder Vermögen – das ist schon gesagt worden – sollen einen Rechtsstreit führen können. Des Weiteren ermöglicht die Prozesskostenhilfe eine gewisse Waffengleichheit. Wenn Juristen von Waffengleichheit reden, dann meinen sie nicht Pistolen oder Gewehre, sondern die Waffengleichheit vor Gericht, das heißt, dass der Rechtsuchende sich einen Anwalt nehmen darf, wenn die Gegenseite auch juristischen Sachverstand zur Seite hat. Hier setzt unsere erste Kritik an dem Entwurf an; sie betrifft die Ehescheidungsangelegenheiten. Die Kollegin von der CDU hat das schon gesagt. Ich hoffe, dass wir diesbezüglich eine konsensuale Entscheidung finden werden. Es ist vorgesehen, dass der Antragsgegner zukünftig nur noch dann eine Verfahrenskostenhilfe erhält, wenn die Beiordnung eines Anwalts wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage erforderlich erscheint. Für alle Nichtjuristen unter uns: Was heißt das im Klartext? Wenn sich Herr und Frau Müller scheiden lassen wollen, dann ist, wenn beide einkommensschwach sind, ganz entscheidend, wer den ersten Gang zum Anwalt unternimmt; denn nur derjenige, der als Erstes zum Anwalt geht, wird vom Richter oder der Richterin eine Verfahrenskostenhilfe erhalten. Wenn dann der Ehepartner ebenfalls einen Anwalt in Anspruch nehmen möchte, dann kann der Richter sagen: „Wir haben einen einfach gelagerten Fall“, und deshalb wird die Verfahrenskostenhilfe dem Antragsgegner verweigert. Wir haben vorhin schon gehört, dass es eigentlich in jedem Ehescheidungsverfahren Probleme gibt, sei es, dass man sich um das Kaffeeservice streitet, sei es, dass man sich um Unterhalt, Sorgerecht oder Umgangsrecht streitet. Insofern sollten, denke ich, alle Beteiligten die Möglichkeit einer anwaltlichen Beratung haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich hoffe, dass wir hier eine bessere Regelung finden werden. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Beratungshilfe, also die staatliche Hilfe bei der rechtlichen außergerichtlichen Beratung. Zukünftig soll ein Rechtspfleger über diesen Antrag auf Beratungshilfe vorab entscheiden. Diese Pflicht zur vorherigen Antragstellung erscheint uns praxisfern; denn häufig ist ein sofortiges Tätigwerden des Rechtsanwalts notwendig, weil beispielsweise Fristen abzulaufen drohen. Oft stellt sich auch erst im Beratungsgespräch selbst heraus, dass der Mandant beratungshilfeberechtigt ist. Der Anwalt muss darauf hinweisen; denn er kann von einem Mandanten, der einkommens- und vermögenslos ist, nicht die Begleichung einer Rechnung verlangen. Eine rechtzeitige und gute Beratung führt übrigens oft genug dazu, dass ein aufwendiges und teures Gerichtsverfahren vermieden wird. Es gibt ein weiteres Problem, das vor allem in Flächenwahlkreisen besteht. Ich nehme ein Beispiel aus meinem Wahlkreis: Wenn ein Rechtsuchender, der auf der Insel Hiddensee wohnt, zukünftig einen Beratungshilfeschein beantragen muss, bevor er den Anwalt aufsuchen kann, dann ist er erst einmal einen Tag lang unterwegs, um diesen Beratungshilfeschein beim zuständigen Amtsgericht zu erwerben. Dann muss er sich am nächsten Tag, wenn er ihn in der Hand hat, einen Anwalt suchen, der ihn in dieser Angelegenheit vertritt. Damit sind erstens zwei Tage weg, und zweitens ist es gerade bei einkommensschwachen Personen so, dass sie sich diese Reisen gar nicht leisten können. Dann wird es so kommen – der Kollege Petermann hat das schon gesagt –, dass viele einkommensschwache Rechtsuchende am Ende möglicherweise den Anwalt gar nicht mehr in Anspruch nehmen werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jens Petermann [DIE LINKE]) Auch der vorgesehene Vorrang der Selbstvertretung in Beratungshilfeangelegenheiten ist unserer Meinung nach abzulehnen. Wenn zukünftig eine Beratungshilfe nicht mehr erforderlich sein soll, weil der Fall nach Ansicht des Rechtspflegers einfach gelagert oder unbedeutend ist, dann ist das Gebot der Waffengleichheit damit außer Kraft gesetzt. Denn es geht doch oft genug gerade in diesen Beratungshilfefällen um Probleme mit dem Nachbarn, um Probleme mit dem Arbeitgeber oder um ungeklärte Internetrechnungen, also um Fälle, die finanziell gut oder sehr gut situierte Menschen vielleicht als Kleinigkeiten bezeichnen, die aber für die Betroffenen oft von großer Bedeutung sind. Ich will abschließend noch eine Anmerkung zur Kostenrechtsmodernisierung machen. Uns ist aufgefallen, dass im Sozialrecht die Terminsgebühr grundsätzlich wegfallen soll, wenn durch Gerichtsbescheid verhandelt wird. Das klingt vielleicht im ersten Moment plausibel; jedoch befürchten wir, dass dadurch die Zahl der Anwälte, die sozialrechtliche Verfahren vertreten, zukünftig noch weiter zurückgehen wird, weil es einfach nicht lukrativ ist. Damit wäre wiederum eine Bevölkerungsschicht betroffen, der unser besonderer Schutz gilt, nämlich mehrheitlich die Empfänger von Leistungen nach SGB II und SGB XII und die Erwerbsunfähigen. Ich hoffe also, dass der Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts im Laufe des Verfahrens noch gründlich überarbeitet wird. Auch der Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts bedarf einiger Änderungen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegen außergewöhnlich umfangreiche Gesetzentwürfe vor. Deswegen wollen wir uns ausreichend Zeit nehmen, sie zu beraten und gegebenenfalls Änderungen vorzunehmen. Insbesondere der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts enthält einige wesentliche Änderungen, beispielsweise die Einführung eines neuen Gerichts- und Notarkostengesetzes und eines neuen Justizverwaltungskostengesetzes. Er enthält auch eine Fülle von kleineren Änderungen und Anpassungen, die im Detail große Auswirkungen haben können. Diese große Bedeutung resultiert im Ergebnis daraus, dass nahezu alle Berufsgruppen in der Justiz mittelbar oder unmittelbar davon betroffen sein werden und dass natürlich die vitalen Interessen der Länder berührt sind. Es sind schließlich die Länder, die im Wesentlichen die Verantwortung für die Bereitstellung einer funktionsfähigen Justiz tragen. Der Gesetzentwurf enthält eine Reihe von Verbesserungen für die Rechtsanwender, insbesondere deutlich übersichtlichere Gesetzeswerke. Natürlich sind auch eine Reihe von Erhöhungen vorgesehen: Dies betrifft die Gerichtsgebühren, die Justizverwaltungsgebühren, die Gerichtsvollziehergebühren, die Vergütungen für Rechtsanwälte und Notare und auch die Vergütungssätze für Dolmetscher, Sachverständige und Übersetzer. Diese im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Veränderungen sollen im Wesentlichen einen Infla-tionsausgleich ermöglichen. Aber – dies ist schon festgestellt worden – selbst das wird nicht überall erreicht, sicherlich nicht bei allen Berufsgruppen und auch nicht bei den Gerichtskosten. Es darf durchaus darüber diskutiert werden, dass der Gesetzentwurf hier deutlich hinter den zumindest rechnerisch möglichen Werten zurückbleibt, vor allem wenn man berücksichtigt, wann zum letzten Mal ein Infla-tionsausgleich bei den Gerichtskosten vorgenommen worden ist: Das ist mittlerweile fast 20 Jahre her. Von daher kann ich die Forderung der Länder durchaus nachvollziehen, die Gerichtsgebühren zusätzlich zu erhöhen. Denn so, wie es bisher vorgesehen ist, würde sich der Kostendeckungsgrad wohl nur minimal verbessern. Wenn es unser Anspruch ist, eine funktionsfähige Justiz zu gewährleisten, dann setzt das natürlich voraus, dass wir auch die nötigen Mittel bereitstellen. Allerdings ist das nicht allein eine Sache von Gebührentatbeständen, und die Mittel können auch nicht allein aus dem allgemeinen Steueraufkommen bereitgestellt werden. Auch in Zukunft müssen die Verursacher der Kosten in zumutbarem Umfang dazu herangezogen werden, die Kosten zu tragen. Dies steht den Gesichtspunkten der Sozialverträglichkeit und der Bezahlbarkeit zivilrechtlicher Rechtsstreitigkeiten für Bürger und Unternehmen nicht grundsätzlich entgegen. Wir verfügen in Deutschland mit den Möglichkeiten der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe über Instrumente, die den Zugang zur Justiz sicherstellen. Es gilt aber auch in Zukunft, einen Missbrauch dieser Instrumente zu verhindern. Daher hat aus meiner Sicht das Erfordernis, dass die Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheinen darf, schon seinen Sinn. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den vergangenen Monaten haben uns zahlreiche Berufsgruppen, die von diesen Gesetzentwürfen unmittelbar betroffen sind, angesprochen und uns ihre Anliegen mit auf den Weg gegeben. Wir werden uns damit sehr ernsthaft auseinandersetzen und sie im Detail beraten. Die Übersetzer – darauf ist schon hingewiesen worden – machen geltend, dass bei den vorgesehenen Vergütungssätzen die bisherige hohe Qualität der Übersetzungsleistungen künftig nicht mehr sichergestellt werden könne; die Sachverständigen haben ähnliche Sorgen vorgetragen. Damit werden wir uns, auch was die Berechnungen angeht, noch im Detail beschäftigen müssen. Ein zweites konkretes Anliegen, das ich ansprechen möchte, ist die vorgesehene Streichung des § 70 Gerichtskostengesetz. Danach haben die Rechtspfleger künftig nicht mehr die Möglichkeit, als Rechnungsbeamte tätig zu werden – etwas, was nicht nur von den Rechtspflegern selbst, sondern auch von den Bundesländern kritisiert wird. Ich würde mir wünschen, Frau Bundesministerin, dass wir auch darüber noch einmal nachdenken; denn in der Praxis gibt es wohl ein Bedürfnis, dass Rechtspfleger als Rechnungsbeamte tätig werden können. Schließlich kommt diese Arbeit den Verfahrensbeteiligten und damit den Bürgern zugute, sodass ich mir schon vorstellen könnte, dass wir hier die nötige Flexibilität für eine unterschiedliche Praxis in den Bundesländern einräumen sollten. Schließlich haben Rechtsanwälte beispielsweise vorgeschlagen, eine zusätzliche Terminsgebühr für die Wahrnehmung von Beweisterminen einzuführen; auch hier werden wir prüfen, inwieweit dies aufgrund eines spezifischen Mehraufwands in einzelnen Rechtsgebieten gerechtfertigt ist. Allerdings, meine Damen und Herren, werden wir einen uns scherzhaft zugetragenen Vorschlag nicht verwirklichen: Auch künftig werden wir die Vergütung von Rechtsanwälten nicht nach dem Gewicht der Schriftsätze in Gramm pro Kubikmeter bemessen können. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Vielzahl der vorgetragenen Einzelanliegen verdeutlicht einerseits die Komplexität der Materie, andererseits eben aber auch die Notwendigkeit, genau hinzuschauen und intensiv zu prüfen, welche Auswirkungen die Regelungen auf einzelne Berufsgruppen haben. Die Messlatte, auf die wir uns gemeinsam verständigen sollten, muss sein, dass wir eine funktionsfähige Justiz in unserem Land erhalten wollen, die hohen Qualitätsstandards gerecht wird und die für alle Bürgerinnen und Bürger den Zugang zum Recht gewährleistet. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/11471, 17/11472, 17/11211, 17/1216, 17/2164, 17/5313 und 17/12173 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Tom Koenigs, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sahel-Region stabilisieren – Humanitäre Katastrophe eindämmen – Drucksachen 17/10792, 17/11431 – Berichterstattung: Abgeordnete Frank Heinrich Christoph Strässer Marina Schuster Annette Groth Tom Koenigs Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann haben wir das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Marina Schuster für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Marina Schuster (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Stabilisierung der Sahelzone ist ein wichtiges Thema. Ich begrüße ausdrücklich, dass wir gestern hier im Hohen Haus eine Aktuelle Stunde zur Situation in Mali durchgeführt haben, aber auch, dass wir heute im Rahmen dieser Debatte einen etwas weiteren Blick auf die Region werfen können. Ich möchte zunächst einmal feststellen, dass sich verschiedene Ausschüsse des Deutschen Bundestages – der Menschenrechtsausschuss, auch der Auswärtige Ausschuss – schon eingehend mit diesem Thema beschäftigt haben. Ich kann von unserer Reise zum UN-Menschenrechtsrat in Genf berichten. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, António Guterres, hat uns bereits im Frühjahr letzten Jahres auf die humanitäre Situation in der Sahelregion hingewiesen und uns vor der Gefahr einer weiteren Eskalation gewarnt. Damit möchte ich dem Eindruck entgegenwirken, der hier gestern in der Aktuellen Stunde bei einigen Reden entstanden ist: dass sich das Hohe Haus mit dieser Region zum ersten Mal beschäftige. Das ist sicherlich falsch. Die Grünen beschreiben in ihrem Antrag sehr richtig die dramatische Situation der Bevölkerung: 18 Millionen Menschen in neun Ländern sind von Ernährungsunsicherheiten bedroht. – Diese Zahlen und auch die Zahlen zur humanitären Lage zeigen ganz deutlich die Dimension der Probleme. Das UN-OCHA beziffert den Bedarf an Mitteln für humanitäre Hilfe auf 1,6 Milliarden US-Dollar. Insofern greifen die Grünen mit ihrem Antrag ein wichtiges Thema auf. Sowohl im Feststellungsteil, noch mehr aber im Forderungsteil kommt allerdings zu kurz, was die Bundesregierung bisher schon geleistet hat. Das kann man natürlich so machen; aber ich finde, da fehlt es ein bisschen an Fakten. Sie erwähnen zum Beispiel nicht, dass das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ein Zehn-Punkte-Programm für ländliche Entwicklung und Ernährungssicherung aufgelegt hat. Das war eine Forderung aus unserem Koalitionsvertrag. Wir haben nämlich festgestellt, das gerade dieser Bereich in den letzten Jahren vernachlässigt worden ist. Ich denke, dem muss man, wenn man einen solchen Antrag verfasst, Rechnung tragen. Die Bundesregierung hat auf die Nahrungsmittelkrise schnell reagiert: Seit Ende 2011 sind an humanitärer Hilfe für die Region über 55 Millionen Euro bereitgestellt worden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Erika Steinbach [CDU/CSU]) Die Mittel gingen an das World Food Programme, an UNHCR, an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz – das wir mit dem Menschenrechtsausschuss regelmäßig in Genf besuchen –, an NGOs wie Help oder Care. Ich danke den Hilfsorganisationen für ihren Dienst ganz herzlich. Sie haben in einem schwierigen Umfeld beachtliche Leistungen erbracht: Von der Nahrungsmittelkrise sind – das dürfen wir nicht vergessen – 1 Million Kinder betroffen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte – das ist ja auch ein Punkt in dem Antrag der Grünen – noch ganz kurz die Situation in Mali erwähnen. Die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, hat von schwersten Menschenrechtsverletzungen berichtet: von Hinrichtungen, von Vergewaltigungen, von Folter – und auch von der Rekrutierung von Kindersoldaten. Ich glaube, Sie erlauben mir, wenn ich in diesem Zusammenhang kurz von dem Antrag abweiche. Wir haben heute mit der Kinderkommission zusammen den Red Hand Day hier im Deutschen Bundestag begangen, um ein Zeichen zu setzen gegen den Einsatz von Kindersoldaten. Wir unterstützen diese Aktion sehr, würden uns aber – ich glaube, da kann ich im Namen aller in diesem Hohen Haus sprechen – noch mehr freuen, wenn dieser Aktionstag nicht mehr notwendig wäre, weil keine Kindersoldaten mehr rekrutiert würden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich wiederhole an dieser Stelle meine Forderung von gestern: Straflosigkeit darf es nicht geben. Wir unterstützen da die Bemühungen der Vereinten Nationen und des Internationalen Strafgerichtshofs. Zum letzten Punkt, der mir auch ganz wichtig ist. Die Grünen erwähnen in ihrem Antrag zu Recht die Kapazitäten der AU und der ECOWAS. Wir arbeiten seit vielen Jahren daran, die afrikanischen Kapazitäten – von AU und ECOWAS – für Ausbildung und Training zu stärken. Die afrikanischen Kapazitäten zu stärken, ist, denke ich, der richtige Weg; denn es liegt auf der Hand, dass die Probleme in den Ländern vor Ort gelöst werden müssen. Das wird nicht gelingen, ohne die Länder vor Ort – gerade die Nachbarländer Algerien und Libyen – stärker einzubinden. Insofern ist es wichtig, diese Länder ganz besonders in den Blick zu nehmen. Entscheidend ist auch der politische Prozess. Es gibt jetzt eine Roadmap; aber es wird, denke ich, notwendig bleiben, dass man sie Schritt für Schritt umsetzt und auch eine regionale Komponente vorsieht. Das eine ist die Situation in Mali, das andere sind die Probleme, die mit den Nachbarländern nach wie vor bestehen. Da werden wir die Bundesregierung bei ihren Bemühungen weiter unterstützen; das ist der richtige Weg. Im Feststellungsteil des Antrags der Grünen steht vieles, was richtig ist. Wir werden dem Antrag trotzdem nicht zustimmen können. (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade eigentlich!) Gleichwohl begrüße ich, dass wir diese Debatte hier noch einmal führen, auch im Anschluss an die Aktuelle Stunde von gestern. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun hat Christoph Strässer für die SPD-Fraktion das Wort. Christoph Strässer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ebenso wie Frau Kollegin Schuster der Meinung, dass es ganz wichtig und erforderlich ist, dass wir uns heute bereits zum zweiten Male in dieser Woche mit dem Thema Mali und Sahelregion beschäftigen. Es ist gut, dass eine Region in den Fokus der Öffentlichkeit gerät, die dort ansonsten nur sehr wenig zu finden ist. Es ist gut, weil die Menschen, die in dieser Region in einem ständigen Überlebenskampf stehen, unsere Aufmerksamkeit und unsere solidarische Unterstützung verdient haben. Deshalb finde ich es gut, dass wir uns heute mit diesem Antrag auseinandersetzen. Auf der anderen Seite aber ist dies auch, wie ich finde, ein schlechtes, ein alarmierendes Signal; denn das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass es um mehr geht als um die alltäglichen Katastrophen, an die man sich ja fast schon gewöhnt hat, so zynisch das gegenüber den Menschen in dieser Region klingt. In der Tat: Die Situation ist dramatischer, als sie es gemeinhin schon ist; sie hat sich auch verändert, nachdem der Antrag, über den wir heute reden, auf den Weg gebracht worden ist. Die militärische Konfrontation in Mali, ausgelöst durch den Vormarsch islamistischer Milizen aus Nord-Mali nach Süden, aktuell beantwortet durch französische Interventionstruppen, sowie die Vorbereitung eines UN-mandatierten Einsatzes von Truppen der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS beherrschen die Schlagzeilen und die politischen Debatten. Deshalb ist es gut, dass wir uns heute mit einem Antrag befassen können, der die Kernprobleme der genannten Sahelzone anspricht, und das sind Probleme, die sich allein durch eine militärische Intervention nicht nachhaltig werden lösen lassen können. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Angesichts der sich dramatisch verschlechternden humanitären Bedingungen im Norden Malis, angesichts gravierender Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch besonders brutale Exekution des Scharia-Rechts durch die islamistischen Terroristen von AQMI und MUJAO war eine solche Reaktion, wie es sie jetzt gab, wohl unausweichlich. Wir werden diesen Prozess im Rahmen der Mandatierung eines unterstützenden Bundeswehrmandats auch konstruktiv begleiten. Aber damit darf es natürlich kein Bewenden haben. Ich erinnere mich immer an einige Sätze von Willy Brandt aus der Zeit, als er der Nord-Süd-Kommission vorstand. Ich zitiere: Not ist Konflikt. Wo Hunger herrscht, ist auf Dauer kein Frieden. … Wir werden uns entschließen müssen, mit ritualisierten Traditionen zu brechen: Wer den Krieg ächten will, muss auch den Hunger ächten. Ich glaube, das ist eine nach wie vor richtige Bemerkung. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich hoffe, dass dieser Konflikt, so bitter er im Moment auch ist, Chancen bietet, die eigentlichen Ursachen des Konflikts in dieser Region zu erkennen und umfassende politische, soziale, wirtschaftliche und ökologische Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten und umzu-setzen. Ich finde, der Antrag der Grünen, über den wir heute diskutieren, bietet eine Menge an richtigen Ansätzen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Erkenntnis, dass eine nachhaltige Entwicklungsperspektive nur unter Einbeziehung von Vertretern aller Bevölkerungsgruppen erfolgversprechend ist. Weder die Forderungen der MNLA nach Selbstbestimmung und einem eigenen Staat noch die Einführung der Scharia finden bei großen Teilen der Bevölkerung Unterstützung. Auch Ansar Dine wie deren Abspaltung MIA, die dem Terror abgeschworen haben, werden überwiegend mit Skepsis betrachtet. Deshalb ist die vielleicht wichtigste politische Forderung, den anstehenden politischen Prozess keinesfalls exklusiv mit den aktuellen Konfliktakteuren zu führen. Für eine tragfähige und nachhaltige politische Lösung ist die Einbeziehung von Vertretern gemäßigter Tuareg sowie anderer Volksgruppen von essenzieller Bedeutung, wie es auch im Antrag gefordert wird. (Beifall der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD] und Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Von zentraler Bedeutung ist auch die entsprechende Ausbildung des malischen Militärs, Aufklärung und Prävention, im Idealfall zusammen mit den Truppen von ECOWAS; denn das Schlimmste, was nach einer formalen Stabilisierung durch das malische Militär passieren könnte, wäre, dass „alte Rechnungen beglichen“ werden und rassistische Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung zunehmen, wie wir das in den letzten Wochen und Monaten leider schon haben feststellen müssen. Hier könnte auch Deutschland eine verantwortungsvolle Rolle übernehmen. Aber all dies wird nur dann erfolgversprechend sein können, wenn vor Ort existierende zivilgesellschaftliche Strukturen genutzt werden. Es sollten, wie es auch im Antrag steht, malische Menschenrechtsgruppen gezielt gefördert und gestärkt werden. Sie verfügen bereits jetzt über Elemente zur Durchführung eines Monitorings, dessen Ergebnisse national wie international breit publiziert und diskutiert werden müssen. Der Zugang für humanitäre Hilfsorganisationen – Frau Schuster hat es gesagt – gestaltet sich nicht erst seit dem Eingreifen der Franzosen als sehr schwierig. Vor den Kämpfen sind laut Aussage des UNHCR inzwischen 400 000 Menschen geflohen, davon gut die Hälfte ins Ausland nach Mauretanien, Niger, Algerien und Burkina Faso. UNHCR und das World Food Programme veranschlagen einen Bedarf von 153 bzw. 273 Millionen US-Dollar bis Ende des Jahres allein für das sich täglich ausweitende Flüchtlingsproblem im Inland und in den Nachbarstaaten. Der Bedarf ist aber erst, wie wir gehört haben, zu 22,7 Prozent gedeckt. In dieser Lage ist es von zentraler Bedeutung, dass Europa und Deutschland auch die Mittel für humanitäre Hilfe verstetigen und im Zweifel ausbauen. Bei all den notwendigen Diskussionen über Truppenstellung, Ausrüstungsunterstützung und finanzielle Mittel für den Militäreinsatz kommt nach meiner Einschätzung der Blick auf die Ursachen für diese Eskalation zu kurz. Die Sahelregion ist eines der ärmsten Gebiete der Welt. In den Ländern dieser Region kommt es durch Dürren und Misswirtschaft seit Jahren immer wieder zu Lebensmittelkrisen. Ursache hierfür ist unter anderem die verantwortungslose Spekulation auf die Verteuerung von Lebensmitteln. Gerade auch, um hier nachhaltig zu Lösungen zu kommen, werbe ich nachdrücklich für ein international koordiniertes wirkungsvolles Verbot solcher ethisch verwerflichen Geschäfte. Daran müssen wir wirklich arbeiten. (Beifall bei der SPD) Von großer Bedeutung ist es auch, die Umsetzung der umfassenden Sahelstrategie des Generalsekretärs der Vereinten Nationen personell und finanziell zu unterstützen. Wir brauchen eine effiziente und bedarfsorientierte humanitäre Nothilfe in enger Absprache mit internationalen Partnern und nationalen Regierungen. An dieser Stelle muss ich – vielleicht etwas unerwartet – das Auswärtige Amt einmal ausdrücklich für die Vorlage der Neuausrichtung der Strategie zur humanitären Hilfe loben, die uns gestern im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe präsentiert worden ist. Ich finde, das ist ein Gebot der Fairness. (Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist anständig von Ihnen!) Darin stehen gute Dinge, und ich hoffe, wir werden das gemeinsam überprüfen und dafür sorgen, dass diese Strategie auch umgesetzt werden kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, das ist in der Tat eine der Aufgaben, die vor uns liegen. Wir brauchen politische Aktivitäten, die daran orientiert sind, die Lebensbedingungen überall dort langfristig zu verbessern, wo Armut und Hunger dominieren und wo es keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu einer zumindest die Grundbedürfnisse befriedigenden Gesundheitsversorgung gibt. Kurz: Wir brauchen die Verstetigung der humanitären Hilfe mit einem präventiven Ansatz. Wir brauchen verstärkte Anstrengungen, auch gemeinsam mit den betroffenen Ländern, um – jetzt kommt der kritische Teil – dafür zu sorgen, dass Deutschland und die EU ihren Beitrag zur Erreichung der Millennium Development Goals bis 2015 leisten. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verhinderung von solchen Krisen, wie wir sie jetzt beklagen. Wir finden, dass der Antrag der Grünen ziemlich gut ist. Wenn wir ihn geschrieben hätten, wäre er noch besser. Er ist aber gut genug, dass wir ihm zustimmen können. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Frank Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion. Frank Heinrich (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hätte die Debatte über den Antrag mit dem Titel „Sahel-Region stabilisieren – Humanitäre Katastrophe eindämmen“ zeitlich fast nicht besser einplanen können und vielleicht auch nicht wollen. Deshalb danke auch ich, wie Frau Schuster, den Antragstellern. Wir hätten noch im September, als wir an dieser Stelle das erste Mal darüber diskutiert haben, nicht zu fürchten gewagt, was daraus wird. Seit wir damals darüber debattiert haben, haben sich die Ereignisse überschlagen. Das ist auch einer der Gründe dafür, dass inzwischen auf eine Vielzahl der 20 Forderungen reagiert wurde. Vieles von dem, was Sie gefordert haben, ist inzwischen in die Wege geleitet worden, weil die Lage, insbesondere in Mali – das ist ja ein Kernpunkt Ihres Antrages –, eskaliert ist. Mali ist so etwas wie das Epizentrum des Erdbebens, das gerade in der Sahelzone stattfindet. Es hätte auch an einer anderen Stelle liegen können, aber jetzt ist es dort ausgebrochen. Frankreich drängt die Islamisten inzwischen zurück. Deutschland leistet humanitäre und logistische Hilfe. Ich will kurz auf den Aufschrei einiger NGOs – „Ärzte ohne Grenzen“ und „Ärzte der Welt“ – von gestern eingehen, die sagten, dass Herr Westerwelle die humanitären und militärischen Aufgaben miteinander vermischen würde. Diese beiden Organisationen haben natürlich wichtige Stimmen, die von uns gehört werden müssen; denn nur Neutralität an dieser Stelle sichert die Lage dieser Hilfsorganisationen. Dennoch ist das ein immer wiederkehrendes Dilemma in Konflikten dieser Art. Ein gutes Beispiel dafür wurde uns vorgestern von UNICEF – einige Kollege waren anwesend – gegeben. Dort wurde uns geschildert – wir haben heute Morgen ja über die Verlängerung des Afghanistan-Mandats abgestimmt –, dass sich 84 Prozent der Frauen in Afghanistan wünschen, dass das Militär nicht abzieht – natürlich waren die Aussagen differenzierter als nur Ja oder Nein –, weil das ihre rechtliche und humanitäre Lage verschlimmern würde. Darum ist es wichtig, dass der Auswärtige Ausschuss, der Verteidigungsausschuss und auch der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union den Antrag mit beraten und dass die Hilfe für Mali in Euro- und Dollarbeträgen steigt. Ich möchte Herrn Westerwelle, der an dieser Stelle kritisiert wurde, aus seiner Rede von vorgestern zitieren: Deutschland steht zu seiner Verantwortung. Wir werden die Aktivitäten zur Befreiung Malis unterstützen: finanziell, logistisch, humanitär sowie mit Ausrüstung und Know-how zur Ausbildung der malischen Armee. Mit unserer Hilfe tragen wir dazu bei, dass der Einsatz nun mehr und mehr ein afrikanisches Gesicht bekommt. Damit legen wir die Grundlage dafür, dass die islamistischen Extremisten in Mali besiegt werden können. Bei aller Richtigkeit des militärischen Einsatzes müssen wir aber auch weiter mit Nachdruck darauf hinarbeiten, dass in Mali ein ernsthafter Verhandlungsprozess in Gang kommt. Denn langfristig kann es nur eine politische Lösung geben. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich finde, darüber besteht Konsens in diesem Hause. Ich weiß nicht, welche Stelle daraus zur Begründung der angeblichen Vermengung von Aufgaben herangezogen werden kann. Es wird deutlich, wo die Priorität liegt. Hilfe findet nie im luftleeren Raum statt. Deshalb ist dies auch eine Debatte des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe bzw. des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Deutschland leistet seit Dezember 2011 umfangreiche finanzielle und humanitäre Hilfe an Mali; die Zahlen sind vorhin von der Kollegin Schuster genannt worden. Die EU beteiligt sich ebenfalls mit großen Summen. Die Sahelzone – darauf zielt der Antrag allgemein ab – ist weit mehr als Mali, doch möchte ich noch einen Moment bei Mali bleiben. In ungefähr der Hälfte der Begründung geht es auch um Mali. Timbuktu ist – das beschäftigt mich persönlich umso mehr – schon seit 1976 die Partnerstadt meines Wahlkreises Chemnitz. (Michael Brand [CDU/CSU]: Wow! Sehr gut!) Es ist eine Kulturhochburg wegen der Mausoleen der Sufis und wegen der Schriften. Ich habe selber einige dieser Schriften in den Händen gehalten – sie gehören zum Weltkulturerbe –; denn durch die Partnerschaft hatte die Stadtbibliothek in Chemnitz einige Malier zu Gast, die diese Schriften mitgebracht haben. Der Auslöser der Eskalation in Mali erinnert mich an den ersten Auslöser damals in Afghanistan: Das Erste, was wirklich geschmerzt hat, war, dass die Buddha-Statuen in Bamiyan, die ebenfalls zum Weltkulturerbe gehören, im März 2001, also vor den Anschlägen und vor den Begründungen für die Angriffe, zerstört wurden. Sie waren in den Fels gehauen; eine war 53 Meter hoch. Die Erkenntnis daraus ist: Humanitäre Hilfe muss Minderheiten – in diesem Fall die Sufis – und Kultur als Ausdruck von Humanität und Zivilisation besonders schützen. Daher brauchen wir neben militärischer, logistischer Unterstützung und humanitärer Hilfe Programme zum Austausch und zur Zusammenarbeit. Das dürfen keine Einzelprogramme sein, so gut sie auch seien, sondern diese Programme müssen zusammengefügt werden. Jetzt zur Sahelregion. Bereits am 1. August letzten Jahres schilderten Vertreter von „Save the children“ und „World Vision“ – das war in der Süddeutschen Zeitung zu lesen –, dass diesen Organisationen zufolge 1 Million Menschen – wir haben das gerade gehört – akut vom Hungertod bedroht und 18 Millionen Menschen von Unterernährung betroffen sind. Laut UNICEF waren und sind wahrscheinlich 1 Million Kinder in der Sahelzone in akuter Lebensgefahr. Die Lage hat sich massiv verändert, und zwar durch die politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen und Verwerfungen. Aber dazwischen gab es auch eine bessere Ernte, als man erwartet hat. Das heißt, man kann jetzt nicht einfach wieder die gleichen Argumente hervorholen. Man muss wirklich differenziert an diese Situation herangehen. Wie sieht das Leben dieser Menschen konkret aus? Der grüne Kollege Hoppe und ich waren nach der humanitären Katastrophe am Horn von Afrika und haben dort die Flüchtlingslager besucht. Wir haben die Situation vor Ort unter die Lupe genommen, sowohl hinsichtlich der Organisationen als auch hinsichtlich der Menschen in den entsprechenden Ländern: die Politik, die Gesichter, die Geschichten. Für mich ist der Begriff „humanitäre Katastrophe“ nicht mehr ein Fachbegriff, den ich neutral nutzen kann. Wir haben Essensausgaben in den Flüchtlingslagern gesehen und Menschen, die nicht mehr wissen, wohin sie gehören. Kenia und Äthiopien verfolgen unterschiedliche Strategien, was die Resilienz gegen Hunger angeht, von Somalia ganz zu schweigen. Nun zu der großen Warnung, die Sie in Ihrem Antrag aufgreifen. Es gab Early Warning, also eine frühe Warnung. Aber Early Action hat nicht funktioniert. Die Warnung für die Sahelzone gibt es schon lange. Auch hier ist die Situation im Kontext von Politik und Kriegshandlungen, was Somalia und die Grenze zu Äthiopien angeht, zu sehen. Man erzählte uns in dem Zeltlager, in dem wir übernachtet haben, dass nachts Panzer vorbeigefahren sind. Es gab Wahlen, die bestimmte Dinge unmöglich machten, und menschenrechtliche Dramen, die teilweise das genaue Gegenteil der Resilienz darstellten. Äthiopien verfolgt eine gute Strategie, wenn es um Resilienz geht. Aber gleichzeitig sind die menschenrechtlichen Bedingungen – darüber möchte ich am liebsten nicht reden, weil mir sonst schlecht wird – furchtbar. Was ist tatsächlich zu tun? Die Einzelpunkte dürfen nicht wie bei einem Puzzle zusammengesetzt werden. Eine bestmögliche Koordinierung der Hilfen ist erforderlich. Dies geschieht auf der Ebene der Vereinten Nationen durch das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen, UN-OCHA – wir haben uns davon Bericht erstatten lassen –, das VN-Kinderhilfswerk, UNICEF, und das VN-Flüchtlingshilfswerk, UNHCR. Auf dieser Ebene ist dringend geboten, eine dauerhafte Konferenz zur humanitären Lage in der Sahelzone zu installieren. Herr Strässer, Sie haben bereits darauf hingewiesen: Man muss dauerhaft – nicht nur, wenn unter politischen Gesichtspunkten etwas auffällig ist – an diesem Thema dranbleiben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Inzwischen, seit es diesen Antrag gibt, ist eine Roadmap entstanden, die Ziele vorgibt und quasi Slalomstangen setzt. Das kann nun angegangen werden. Neben der aktuellen Abstimmung der Maßnahmen bedarf es der Entwicklung eines Frühwarnsystems für Subsahara-Afrika insgesamt. Zu begrüßen ist, dass auf EU-Ebene bereits im Juni letzten Jahres eine neue Partnerschaft der Geberländer, die Initiative mit dem Namen AGIR Sahel, Alliance Globale pour l’Initiative Resilience, ins Leben gerufen wurde und die Mittel für die humanitäre Hilfe der EU um 40 Millionen auf 337 Millionen Euro aufgestockt wurden, und zwar zusätzlich zu den 208 Millionen Euro für die Projekte der Ernährungssicherheit. Vertreter der EU-Mitgliedstaaten, der USA, Norwegens, Brasiliens, der Vereinten Nationen, der Weltbank, der Afrikanischen Entwicklungsbank und anderer Organisationen sind zu AGIR eingeladen. Der EU-Entwicklungskommissar Andris Piebalgs erklärte zu AGIR – ich zitiere –: In der heutigen Zeit ist es schwierig, zu akzeptieren, dass manche Menschen nicht genug zu essen haben. Dies kann verhindert werden, indem mit den Sahelländern und internationalen Partnern zusammengearbeitet wird, um tragfähige landwirtschaftliche Systeme aufzubauen und somit künftige Krisen zu vermeiden. Allerdings kann eine solche Widerstandsfähigkeit nicht über Nacht entwickelt werden. Die Initiative AGIR Sahel wird alle wichtigen Akteure auf diesem Gebiet zusammenbringen und den Menschen in der Region auf lange Sicht Hoffnung auf eine stabilere Zukunft geben. Die EU wird ihren Teil leisten und in den kommenden Jahren die Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit in den Mittelpunkt ihrer Unterstützung stellen. Damit wird eine fundamentale Grundlage geschaffen, um auf nachhaltiges und breitenwirksames Wachstum hinzuarbeiten. Das ist genau das, worauf Sie vorhin hingewiesen haben. Ich kann Herrn Piebalgs nur ausdrücklich zustimmen, insbesondere nach den Erlebnissen und Begegnungen am Horn von Afrika, von denen ich gerade erzählt habe. Natürlich engagiert sich die Bundesregierung in der Sahelregion. Sie ist drittgrößter bilateraler Geber des Welternährungsprogramms. Das BMZ und das Auswärtige Amt stehen in ständigem Kontakt mit den Partnern in Europa. Die Notwendigkeit einer Aufstockung der Hilfe wird jederzeit im Blick behalten. In welche Richtung muss die Hilfe nun weisen? Es ist sicherlich ein ganzes Bündel von Maßnahmen nötig. Von weitreichenden politischen Initiativen, zu denen auch militärische Interventionen, wie wir sie jetzt erleben, gehören können, bis hin zu schneller humanitärer Hilfe muss das Portfolio der Instrumente reichen. In dem Antrag werden deshalb 20 verschiedene Forderungen an die Bundesregierung gestellt. Ich finde allerdings, man verzettelt sich und schadet dem gutgemeinten Anliegen. Wir sehen, wie schnell die Lage sich verändert; auf der einen Seite haben wir die gute Ernte, auf der anderen Seite die politische Instabilität. Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab. Das haben Sie wahrscheinlich nicht anders erwartet. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Wir unterstützen aber insbesondere das Anliegen einer koordinierten Gesamtstrategie. Ich bitte an dieser Stelle um weitere konstruktive Zusammenarbeit, was Mali, aber auch die Sahelregion insgesamt betrifft. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Christine Buchholz für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Christine Buchholz (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem vorliegenden Antrag werden einzelne Forderungen erhoben, die wir durchaus unterstützen, etwa die Erhöhung der Mittel für entwicklungspolitische Maßnahmen, die auf eine nachhaltige Ernährungssicherung in der Sahelregion abzielen. Ja, die Bekämpfung dieser humanitären Katastrophe muss endlich im Zentrum der Arbeit der Bundesregierung stehen. (Beifall bei der LINKEN) Das Problem ist nur, dass die Grünen erneut die Forderung nach entwicklungspolitischen Maßnahmen mit der Forderung nach militärischen Maßnahmen verknüpfen. Da befinden sie sich in trauter Einigkeit mit der SPD und der Bundesregierung. Dieser Ansatz der sogenannten vernetzten Sicherheit ist schon in Afghanistan gescheitert. (Michael Brand [CDU/CSU]: Jetzt muss ich aber die Grünen in Schutz nehmen!) Das Schlimmste aber ist: Er behindert die humanitäre Hilfe. In einem offenen Brief haben die Hilfsorganisationen „Ärzte ohne Grenzen“ und „Ärzte der Welt“ genau das mit Bezug auf Mali kritisiert. Sie schreiben an Außenminister Westerwelle, er missbrauche – ich zitiere – „das Ansehen der humanitären Hilfe, um eine militärische Intervention unter Beteiligung der Bundesregierung politisch annehmbarer zu machen“. Der Bundeswehreinsatz trägt zur Eskalation der Gewalt bei, die zivile Helfer zum Angriffsziel macht. Das ist ein Grund, warum wir ihn ablehnen. (Beifall bei der LINKEN) Der Krieg in Mali löst keines der sozialen und politischen Probleme, die zu der humanitären Katastrophe geführt haben. Er löst keines der Probleme, die zur Abspaltung des Nordens geführt haben. Im Gegenteil: Der Krieg hat schon jetzt zu einer erheblichen Steigerung der ethnischen Spannungen geführt. Die französische Zeitung Le Monde zitiert einen Bewohner der Stadt Mopti nach der Rückeroberung durch die malische Armee. Er sagt: In Mopti wird Jagd auf Menschen gemacht. Die Armee verfügt über eine Einheit, die Ermittlungen durchführt. Bestimmte Leute werden verhaftet und erschossen. – Das war abzusehen. Ein weiteres Thema ist das Anwachsen der Flüchtlingsströme durch den Krieg. Der UNHCR warnt, dass es in naher Zukunft 300 000 zusätzliche Vertriebene innerhalb von Mali sowie mindestens 400 000 weitere Flüchtlinge in den Nachbarländern geben könnte. Das sind doppelt so viele, wie vor der französischen Intervention auf der Flucht waren. Es ist nicht so, dass es in Mali niemanden gäbe, der diese Entwicklung stoppen will. Bürgerrechtsgruppen planen seit Wochen eine Bürgerkarawane für den Frieden zwischen den Städten Segou und Mopti. Ziel dieser Karawane war es, für einen Dialog zwischen den Bevölkerungsgruppen zu mobilisieren. Doch die französische Armee hat die vorgesehene Straße nicht freigegeben. Man sieht: Krieg behindert nicht nur die Arbeit der humanitären Helfer, sondern auch die von zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich für zivile Lösungen der Probleme einsetzen. Frankreich hat in den vergangenen vier Jahrzehnten in vielen afrikanischen Staaten militärisch eingegriffen. Nie ging es wirklich um die humanitäre Situation; immer ging es darum, die Interessen von Firmen wie dem Ölkonzern Total oder dem Atomkonzern Areva zu schützen. Auch im Sand von Mali sucht Total nach Öl. Es geht auch um die riesigen Vorkommen von Uran in Niger, die größten auf dem afrikanischen Kontinent. Vor wenigen Tagen haben wir die Nachricht gelesen, dass Frankreich nun auch die Uranminen im benachbarten Niger militärisch schützen möchte. (Michael Brand [CDU/CSU]: Geht es vielleicht auch um Terrorismus?) In Afrika findet ein Wettlauf um Rohstoffe statt. Deutschland will in diesem Spiel mitspielen. Das lehnen wir ab. (Beifall bei der LINKEN) Wir unterstützen jede humanitäre und zivile Maßnahme, die zur Verbesserung der Lebenssituation der Menschen in der Sahelregion führt. Der Ansatz der Grünen allerdings schafft nur ein dürftiges Deckmäntelchen für die Unterstützung Deutschlands in dem Krieg. Deswegen lehnen wir diesen Antrag genauso ab, wie wir die Entsendung von Transall-Maschinen und die Unterstützung der Luftbetankung der französischen Kriegsmaschinen ablehnen. Deshalb sagen wir Nein zu diesem Antrag. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich Kollegin Katja Keul das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Spätestens Ende 2011 war absehbar, dass Mali ein Kollateralschaden des Libyen-Einsatzes werden würde. Mit dem heute vorliegenden Antrag wollten wir bereits im Februar 2012 auf eine Konfliktprävention hinwirken. Doch während der Erarbeitung überschlugen sich die Ereignisse. Als wir den Antrag schließlich einbrachten, erfuhr er immerhin eine deutliche Zustimmung vonseiten der Entwicklungspolitikerinnen und -politiker. Dennoch wurde er in den Ausschüssen von der Mehrheit abgelehnt. Da hilft es auch nicht, dass Sie diese Woche eine Aktuelle Stunde anmelden. Das Thema ist schon lange aktuell. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) In Mali drohte 2011 wieder einmal eine Hunger-katastrophe. Die Armee dieses zwar demokratischen, aber bitterarmen Staates war angesichts der schwerbewaffneten Tuareg-Heimkehrer aus Libyen völlig überfordert. Im Januar 2012 wurden 100 malische Soldaten im Norden Malis brutal massakriert. Die Armee weigerte sich letztlich, sich weiter verheizen zu lassen, und zog schließlich am 21. März nach Bamako, wo sich die Regierung ohne weiteren Widerstand zurückzog. Spätestens jetzt hätte der deutsche Außenminister zivile -Krisenprävention betreiben können. Aber es kam wie immer: Erst als die militärische Option auf dem Tisch lag, haben Sie begonnen, sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Dabei hätten frühzeitige international koordinierte Verhandlungen eine gute Aussicht auf Erfolg gehabt, da die islamistischen Gruppen keinerlei Rückhalt in der Bevölkerung haben. Selbst die Tuareg, die ursprünglich mit ihrem Unabhängigkeitsbestreben eine Ursache der Eskalation setzten, haben sich größtenteils von den Islamisten distanziert und sind bereit, sich wieder in den malischen Staat integrieren zu lassen. Die Situation im Land ist daher in keiner Weise mit Afghanistan vergleichbar, wo die fundamentale Glaubensausrichtung der Taliban fest in der paschtunischen Bevölkerung verankert ist. Trotz dieser positiven Ausgangslage ist weitere Zeit verloren worden, sodass der Vorstoß der Islamisten nach Süden eine militärische Intervention notwendig machte. Ja, ich sage in der Tat „notwendig“ und bezichtige die Franzosen an dieser Stelle auch nicht der üblichen postkolonialen Interessenverfolgung. Nachdem Mali bereits zwei Drittel seines Territoriums verloren hat, hätte der weitere Durchmarsch der Islamisten nach Bamako das Ende des malischen Staates bedeutet. Der von uns so dringend geforderte politische Prozess hätte keinen Anknüpfungspunkt mehr gehabt. Auch der treffende Hinweis darauf, dass die Franzosen schließlich auf das Uran aus der Region angewiesen sind, um ihre Atomkraftwerke zu betreiben, reicht nicht aus, um die Motivation der Regierung Hollande an dieser Stelle zu diskreditieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die neue französische Regierung hat glaubwürdig eine Abkehr von der bisherigen Politik Sarkozys, von Franç-afrique, eingeleitet. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Offensichtlich nicht!) Die Franzosen waren jedoch die Einzigen, die nach wie vor in der Region militärisch präsent und einsatzbereit waren, als sie das Hilfeersuchen der Malier erreichte. Dadurch ist ihnen eine Rolle zugekommen, die sie eigentlich nicht mehr spielen wollten. Das ist eine große Herausforderung für die französische, aber auch für die europäische Außenpolitik. Wer den Zustand der Beziehungen zwischen Frankreich und Algerien kennt, weiß, was es bedeutet, wenn in der aktuellen Situation selbst die Algerier den Franzosen Überflugrechte gewähren. Wichtig ist in der jetzigen Lage vor allem, dass nicht wieder der Blick auf den politischen Prozess durch die einseitige Konzentration auf das Militärische verloren geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Nach der Vertreibung der Terroristen aus den Städten in Nord-Mali können jetzt endlich die notwendigen Wahlen so durchgeführt werden, dass alle Malier teilnehmen können. Das muss jetzt größte Priorität haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Außerdem muss die eingefrorene Entwicklungszusammenarbeit wieder aufgenommen werden; denn ohne -finanzielle Mittel kann die Regierung weder Wahlen durchführen noch staatliche Strukturen stabilisieren. Das größte Risiko des Militäreinsatzes sehe ich derzeit darin, dass zivile Opfer und Racheakte am Ende doch noch zu Allianzen und Solidarisierungen führen, die Verhandlungen deutlich erschweren könnten. Darauf zu achten, ist nicht nur die Verantwortung der Franzosen, sondern der Europäischen Union insgesamt und damit auch der Bundesregierung. Diese Verantwortung wahrzunehmen, ist letztlich entscheidender als die Bereitstellung von Transall-Flugzeugen und die Unterstützung der Luftbetankung. Werden Sie dieser Verantwortung endlich gerecht! Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Sahel-Region stabilisieren – Humanitäre Katastrophe eindämmen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11431, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/10792 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und Linken gegen die Stimmen von SPD und Grünen angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 9 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung und zur Qualitätssicherung durch klinische Krebsregister (Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz – KFRG) – Drucksache 17/11267 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – Drucksache 17/12221 – Berichterstattung: Abgeordneter Jens Ackermann Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Christine Aschenberg-Dugnus für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland verfügt über ein hochent-wickeltes Gesundheitssystem, um das uns viele andere Nationen zu Recht beneiden. Wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten grundlegende Verbesserungen und Fortschritte in der Krebsfrüherkennung und Krebsbehandlung erzielen können. Dennoch – es ist eine traurige Wahrheit –, Krebs ist immer noch die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Fest steht: Die Krebsfrüherkennung ist in der Krebsbekämpfung eine unserer wichtigsten Säulen. Gerade die Früherkennungsangebote werden von den Bürgern aber leider nur unzureichend genutzt. Deshalb müssen wir hier besser werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Mit persönlichen Einladungen zur Krebsfrüherkennung werden wir die Menschen künftig besser erreichen. Das gilt nicht nur, aber gerade auch für Menschen aus bildungsferneren Schichten. Damit die Bürger diese Einladungen auch annehmen, werden wir die Informationen über die Krebsfrüherkennung verbessern. Die Menschen müssen ganz klar über Nutzen, aber auch Grenzen der Krebsfrüherkennung informiert werden. Tatsache ist: Je besser die Menschen informiert sind, meine Damen und Herren, umso verantwortungsbewusster und auch umso selbstbestimmter gehen sie mit dieser Einladung zur Krebsfrüherkennung um. Weiterhin führen wir eine konsequente Qualitäts-sicherung und Erfolgskontrolle der Früherkennungsprogramme ein. Damit können wir nicht nur Nutzen und Grenzen der Programme noch besser analysieren, sondern wir sind auch in der Lage, sie noch weiter zu verbessern. Mit dieser Vorgehensweise steigern wir aber nicht nur die Qualität; wir gewinnen auch das Vertrauen der Menschen. Dass Vertrauen an dieser Stelle wichtig ist, zeigen auch entsprechende Studien, die uns das Ministerium vorgelegt hat. Danach wollen 90 Prozent der Frauen, die am Mammografie-Screening teilgenommen haben, einer neuerlichen Einladung in jedem Fall nachkommen, weil sie sich über Nutzen und Grenzen des Mammografie-Screenings ausreichend informiert fühlten. Information ist an dieser Stelle also ganz besonders wichtig. Daher sind diese Studien für mich ein eindeutiger Beleg dafür, dass wir mit unseren Maßnahmen zur Verbesserung der Krebsfrüherkennung genau richtig liegen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Diagnose Krebs ist für die Betroffenen immer eine erschütternde Nachricht. Deshalb ist es wichtig, dass sich die anschließende Behandlung auf einem sehr hohen Niveau bewegt. Diese Qualität werden wir für die erkrankten Menschen künftig noch besser gewährleisten können. Mit der flächendeckenden Einführung von klinischen Krebsregistern werden wir bald in der Lage sein, die Qualität der onkologischen Versorgung sektorenübergreifend darzustellen, die Qualität zu bewerten und sie schlussendlich auch zu verbessern. Damit bin ich beim zweiten Schwerpunkt unseres Gesetzes. Für uns war es wichtig, dass wir ein gemeinsames Konzept vorlegen können, das zwischen Bund, Ländern und Deutscher Krebshilfe abgestimmt ist. Das ist uns mit diesem Gesetz gelungen. Wir haben uns auf eine einheitliche Gestaltung der flächendeckenden onkologischen Krebsregistrierung geeinigt. Die einheitlichen Maßstäbe sorgen für eine Qualitätssicherung in der onkologischen Versorgung mit einem konkreten Nutzen für die Patienten. Wichtig ist aber auch, dass die Deutsche Krebshilfe circa 90 Prozent der Kosten in Höhe von insgesamt 8 Millionen Euro für den Aufbau des Krebsregisters übernimmt. Lediglich die restlichen 10 Prozent liegen in der Verantwortung der Länder. Die Betriebskosten werden überwiegend aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert. Mit dem Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz verbessern wir spürbar die Krebsfrüherkennung und die Qualität der onkologischen Versorgung. Die damit einhergehenden Maßnahmen verbinde ich mit einer Botschaft an die vielen Menschen, die jedes Jahr an Krebs erkranken: Eine Krebserkrankung bedeutet nicht Hoffnungslosigkeit, sondern eine Herausforderung, der wir gemeinsam erfolgreich begegnen können. Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich noch auf zwei Themen zu sprechen kommen, die in den letzten Wochen häufig und heftig debattiert wurden. Erstens: Korruption und Bestechlichkeit bei Ärzten. Das dürfen wir auf gar keinen Fall durchgehen lassen; da sind wir uns alle einig. Das muss geahndet werden. Wir wollen die Ärzteschaft aber auch nicht unter Generalverdacht stellen. Deshalb haben wir mit Augenmaß gehandelt. Die KVen sind jetzt befugt, den notwendigen Datenabgleich mit den Kammern vorzunehmen. Das ist die Voraussetzung dafür, im Rahmen des Berufsrechtes Korruption zu sanktionieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens: Chefarztboni. Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine weitere Regelung zur Verbesserung der Qualität der Versorgung auf den Weg zu bringen. Zukünftig wird es im Einvernehmen mit der Bundesärztekammer Empfeh-lungen der DKG geben, wie leistungsbezogene Zielvereinbarungen auszusehen haben. Diese Empfehlungen schließen Zielvereinbarungen aus, die auf finanzielle Anreize bei einzelnen Leistungen abstellen. Damit soll und wird die Unabhängigkeit medizinischer Leistungen gesichert werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Alle Krankenhäuser, die sich nicht an diese Empfehlungen halten, müssen das künftig offenlegen. Damit schaffen wir die notwendige Transparenz. Der Patient kann schwarz auf weiß nachlesen, wie das in seinem Krankenhaus vor Ort gehandhabt wird. Denn für die Patienten ist doch wirklich nur eines wichtig: die fachliche Unabhängigkeit der medizinischen Entscheidung, auf deren Grundlage der Patient gegebenenfalls operiert wird. Dass dies gewährleistet ist, haben wir im Rahmen des vorgelegten Gesetzentwurfs erreicht. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Marlies Volkmer für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Marlies Volkmer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition hat zunächst einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Empfehlungen des Nationalen Krebsplanes und zur Einführung klinischer Krebsregister vorgelegt. Dann hat sie zwei sachfremde Änderungsanträge angeschlossen. Diese haben das Ziel, zu verhindern, dass wegen Chefarztboni unnötige Operationen in Krankenhäusern durchgeführt werden. Hier sah sich die Koalition in Zugzwang. Denn als wir das Patientenrechtegesetz beraten haben, haben Sie, meine Damen und Herren von der -Koalition, dieses Thema ausgeklammert. Dabei ist es natürlich zweifellos so, dass es ein ganz wichtiges Patientenrecht ist, dass sich Patienten darauf verlassen können müssen, dass sie nur dann operiert werden, wenn es auch nötig ist, (Beifall bei der SPD) und nicht, wenn vielleicht in einer Abteilung noch einige Operationen fehlen, damit dann der Chefarztbonus gezahlt werden kann. (Sibylle Laurischk [FDP]: Das wollen wir ja alle nicht! – Heinz Lanfermann [FDP]: Das ist ein sehr gequälter Zusammenhang!) Ich komme zunächst einmal zurück zum Gesetz mit dem sperrigen Namen „Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz“. Dieser Name führt auch dazu, dass sich niemand außerhalb der Fachwelt für dieses Gesetz interessiert – eigentlich zu Unrecht, weil es ein wichtiges Gesetz ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dieses Gesetz fußt auf dem Nationalen Krebsplan, der noch zur Regierungszeit der SPD aufgestellt worden ist. Ganz wichtig ist, dass Krebs mithilfe von organisierten, qualitätsgesicherten Früherkennungsuntersuchungen frühzeitig erkannt werden soll. Vorbild für diese Früherkennungsuntersuchungen ist das Mammografie-Screening-Programm. Die Länder werden zur Einrichtung klinischer Krebsregister verpflichtet. Klinische Krebsregister erheben die Daten aller krebskranken Patientinnen und Patienten einer Region, von der Diagnosestellung über die Behandlung bis zum gesamten Verlauf. Diese Daten werden mit den vorliegenden Daten der epidemiologischen Krebsregister verknüpft, die das Auftreten und das Vorkommen von Krebserkrankungen in einer Region aufzeigen. Mithilfe dieser beiden Register und ihrer Verknüpfung werden wir zukünftig erstmalig in Deutschland erkennen, welche Therapie unter welchen Bedingungen die besten Ergebnisse liefert. Wir werden auch den Nutzen von Früherkennungsuntersuchungen bewerten können, die zum Beispiel im Rahmen des Mammografie-Screenings oder des geplanten Darmkrebs-Screenings durchgeführt werden. Auch für die Versorgungsforschung sind diese Daten von großer Bedeutung. Insgesamt muss man sagen, dass sich die Qualität der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Krebs dadurch deutlich verbessern wird. Die Deutsche Krebshilfe übernimmt die Anschub-finanzierung für den Aufbau der klinischen Krebsregister. Hierfür sei der Deutschen Krebshilfe ausdrücklich gedankt. (Beifall bei der SPD) Das Engagement der Krebshilfe zeigt aber auch auf, welch hohe Erwartungen sie hinsichtlich einer Verbesserung der Versorgungsqualität durch die Krebsregister hat. Seit Wochen wird nun in der Öffentlichkeit darüber diskutiert, ob in deutschen Krankenhäusern unnötige Operationen durchgeführt werden, weil es leistungsbezogene finanzielle Zuwendungen insbesondere für Chefärzte gibt. Es ist richtig, dass der Gesetzgeber hier handeln muss. Aber was Sie uns hier vorgelegt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, wird der Problematik in keiner Form gerecht. Wie so oft erwecken Sie hier den Eindruck des Tätigwerdens, wohl wissend, dass alles so bleibt, wie es ist. Sie sagen, Sie wollen keine Bonusverträge im Krankenhausbereich zulassen, die Zielvereinbarungen im Hinblick auf bestimmte Leistungen enthalten. Aber Sie machen den Bock zum Gärtner; denn gerade die Deutsche Krankenhausgesellschaft soll sich bis zum 30. April dieses Jahres mit der Ärztekammer auf Empfehlungen einigen, wie denn Chefarztverträge aussehen sollen. (Lars Lindemann [FDP]: Wer denn sonst?) Sie wissen doch selbst, dass die Deutsche Krankenhausgesellschaft mehrfach betont hat, dass sie gar keinen Handlungsbedarf sehe, (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Die Ärzte schon!) dass es solche detaillierten Verträge überhaupt nicht gebe und alles viel subtiler sei. Was ist denn nun eigentlich, wenn solche Empfehlungen bis zum 30. April nicht zustande kommen? Dann können Sie nur „Du, du, du!“ sagen; da werden sich die Krankenhäuser aber fürchten. Sie haben keinerlei Ersatzvornahme vorgesehen. Einmal angenommen, es käme zu solchen Empfehlungen und die Krankenhäuser hielten sie nicht ein, was passiert denn dann, was sind die Konsequenzen? (Zuruf von der FDP: Das steht in der Zeitung!) Es gibt keine Konsequenzen. Sie sagen nur, die Krankenhäuser müssten dann in ihren Qualitätsberichten auf Bonusverträge hinweisen. Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich schon einmal näher mit Qualitätsberichten von Krankenhäusern beschäftigt hat. Solch ein Qualitätsbericht ist ungefähr so umfangreich wie ein örtliches Telefonbuch. (Lars Lindemann [FDP]: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil!) Der Qualitätsbericht der Charité hat ungefähr 1 000 Seiten. Darin sind so viele Zahlen enthalten wie in den Gelben Seiten für Berlin. Diese Berichte sind für Laien nicht verständlich; sie schaffen keinerlei Transparenz für Patientinnen und Patienten. (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das sehen wir aber ganz anders!) Gerade kam von Ihnen der Zuruf: „Das steht in der Zeitung!“ Ja, ganz genau; Sie haben im Ausschuss gesagt, was Sie wollen: Sie verlassen sich darauf, dass zum Beispiel die Medien die Informationen aufbereiten und in verständlicher Form allen Menschen zur Verfügung stellen; (Lars Lindemann [FDP]: Wir können davon ein Lied singen! – Heinz Lanfermann [FDP]: Trauen Sie denen denn gar nichts zu?) die Patienten würden dann Kliniken ohne solche Verträge den Vorzug geben. Doch was machen denn zum Beispiel Patienten, die wegen eines Notfalls aufgenommen werden, oder Patienten, die keine Wahlmöglichkeit haben? Die können dann höchstens nachträglich zur Kenntnis nehmen, dass ihr Krankenhaus solche Bonusverträge hat. Vielleicht nehmen sie es auch zur Kenntnis, wenn sie noch im Krankenhaus liegen, und sind dann verunsichert. Aber sie können dann im Grunde genommen nichts tun. Ich sage Ihnen eines: Ihre Regelung zur Bekämpfung der Mengenausweitung von Leistungen aufgrund von Bonusverträgen ist ein Papiertiger. Er jagt niemandem Angst ein. Er wird in diesem Bereich nichts verändern. Aufgrund dieser Regelung werden wir dem vorliegenden Gesetz nicht zustimmen. Wir werden uns der Stimme enthalten, auch wenn wir dem Teil der Krebs-registrierung und der Krebsfrüherkennung zustimmen würden. Insgesamt enthalten wir uns bei diesem Gesetz der Stimme. (Beifall bei der SPD – Heinz Lanfermann [FDP]: Dabei hatten wir das im Ausschuss so ausführlich erklärt! – Gegenruf von der FDP: Da waren ja nicht alle da!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Rudolf Henke für die CDU/CSU-Fraktion. Rudolf Henke (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Volkmer, vielleicht darf ich zunächst etwas zu der Funktion und der Bedeutung der von Ihnen angesprochenen Qualitätssicherungsberichte sagen. Ich glaube, Sie lassen völlig außer Acht, welche Funktion diese Qualitätssicherungsberichte nicht nur in dem von Ihnen genannten Punkt, sondern auch in vielen anderen Punkten haben. Wann sind denn diese Qualitätssicherungsberichte als Pflichtvorgabe für die Krankenhäuser in dieser Form beschlossen worden? Das ist 2005 gewesen, da ist die SPD mit in der Regierung gewesen. Sie haben doch die Regelungen und damit die Telefonbücher, wie Sie die Berichte jetzt genannt haben, beschlossen. Diese Regelungen haben Sie ins Gesetz gebracht. Wenn wir diese Telefonbücher jetzt dazu nutzen, weitere Telefonnummern beizufügen, dann bedeutet das, dass man damit jemanden adressieren kann. (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Aber doch nicht die Patientinnen und Patienten!) Nun kann das natürlich nicht jeder, etwa wenn er kein Telefon zur Verfügung hat oder nicht wählen kann. Aber das ist kein Problem; denn diese Qualitätssicherungsberichte werden überall dazu benutzt, Transparenz herzustellen, zum Beispiel durch die gesetzlichen Krankenkassen, durch die ärztlichen Körperschaften und durch die Öffentlichkeit. Deswegen, verehrte Frau Kollegin Volkmer, hauen Sie sich doch selbst ins Gesicht, wenn Sie die von Ihnen beschlossenen Qualitätssicherungsberichte jetzt in dieser Weise als einen Beitrag zur Intransparenz oder wie auch immer werten. Da wäre ich für etwas mehr historische Genauigkeit tief dankbar. Deswegen, finde ich, ist das kein Einwand. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jetzt zu der zweiten Frage: Was ist denn das Ziel? Ja, Sie haben natürlich recht: Das Thema Mengenentwicklung kann nicht allein über Boni für Chefärzte und deren Vergütung im Zusammenhang mit einer Mengenanbindung gelöst werden. Aber unsere Koalition hat schon beschlossen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen den Arbeitsauftrag zu erteilen, ein Gutachten in Auftrag zu geben. Ich höre aus dem Spitzenverband, dass man jetzt so weit sei, die Ausschreibung für dieses Gutachten in Gang zu bringen. Daraus soll ja dann eine Gesamtkonzeption werden. Aber wenn wir das wollen, müssen wir an Stellen, wo wir handeln können, auch handeln. Ich finde die Formulierung, die wir gestern im Gesundheitsausschuss beschlossen haben, sogar noch ein Stück weit besser als die, die wir beschlossen hätten, wenn wir uns zu dem Zeitpunkt verständigt hätten, als über das Patientenrechtegesetz diskutiert wurde. Denn die Formulierung ist jetzt klarer und eindeutiger. Sie beruht ja auch auf einem Formulierungsvorschlag der Bundesärztekammer und nicht der Deutschen Krankenhausgesellschaft. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Deswegen meine ich, dass es nicht in Ordnung ist, wenn Sie das hier als weiße Salbe apostrophieren. (Heinz Lanfermann [FDP]: Auch Salbe kann helfen!) Natürlich kann man nicht immer alles in einem einzigen Gesetz regeln. Ich glaube, dass wir drittens auch Klarheit darüber haben müssen, dass wir mit diesem Gesetz natürlich nicht alle Aufgaben, die im Zusammenhang mit der Prävention von Krebserkrankungen von Bedeutung sind, erfüllen können. In meiner Wahrnehmung ist in den Industrie-ländern die häufigste Ursache für Krebserkrankungen der Konsum von Tabak. Das ist vermeidbar. Auf Zigaretten zu verzichten und auf seine Gesundheit zu achten, erfordert aber Wissen und vor allem Eigenverantwortung. Deswegen ist der Aufklärungsansatz in der Primärprävention, immer wieder Handlungserfordernisse zu betonen, richtig. Gleichwohl ist es auch richtig, in diesem Gesetz die Früherkennung zu regeln. Ich betone das deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen aus der grünen Fraktion, weil ich an Ihrem Entschließungsantrag vieles aus Sicht der Opposition verstehe. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie zu! Er ist gut!) Eines verstehe ich aber überhaupt nicht, und das ist folgender Satz, den Sie in Ihrem Entschließungsantrag schreiben: Appelle an die Eigenverantwortung und über Ärztinnen/Ärzte zu vermittelnde Individualprävention laufen ins Leere und gehören der präventionspolitischen Steinzeit an. Wenn das so wäre, dann müssen Sie aus einer Zeit stammen, die vor der Steinzeit liegt; denn gegenüber Ihrer Kenntnislage wäre das ein Fortschritt. Insofern muss ich sagen: Sie bringen bei der Prävention Etliches durcheinander. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Abg. Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Gestatten Sie eine Frage? Rudolf Henke (CDU/CSU): Ich gestatte. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Verehrter Kollege Henke, Sie haben sicherlich schon davon gehört, dass Prävention im Setting stattfinden muss, dass man gerade diejenigen erreichen muss, die nicht hochgebildet und mit gutem Einkommen versehen sind und wesentlich weniger Möglichkeiten haben, ihre Verhaltensweisen zu ändern. Sie tun es sicher nicht deswegen, weil der Arzt sagt: Es wäre gut, mit dem Rauchen aufzuhören. – Damit erreicht man gebildete Leute, die es ohnehin schon wissen. Man muss aber doch die anderen erreichen. Ist Ihnen das wirklich nicht bekannt? Rudolf Henke (CDU/CSU): Selbstverständlich ist mir das bekannt. Es ist auch richtig, das zu tun. Deswegen ist der Setting-Ansatz, wenn Sie etwa an die betriebliche Gesundheitsförderung oder die Gesundheitsförderung in Bildungseinrichtungen, Schulen oder auch Altenheimen denken, eines der Kernelemente der Bundesregierung für den zurzeit diskutierten Referentenentwurf zum Thema Prävention. Ich bin sehr neugierig, was Sie tun werden, wenn es um diesen Gesetzentwurf geht und er den Bundesrat passieren soll. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Verfolgen Sie dann die Strategie von Frau Ferner, diesen Gesetzentwurf der Diskontinuität anheimfallen zu lassen, weil Sie sagen: „Wir spielen ein Machtspiel; diese Ansätze der Prävention wollen wir über den Bundesrat verhindern“? Ich werde sehr genau darauf achten, ob die einzige grüne Gesundheitsministerin dieses Spiel der SPD, das Frau Ferner angekündigt hat, mitmachen wird. Da können Sie Ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. Ich wünsche Ihnen sehr, dass Sie dann aus der Zeit vor der Steinzeit in die Moderne finden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der entscheidende Punkt, der mit diesem Gesetz verbunden ist, ist, dass wir die Therapien transparenter bewerten können. Ich glaube, dass wir mit den Krebsregistern eine Möglichkeit schaffen, mehr Transparenz als bisher darüber herzustellen, wie qualifiziert Behandlungen ablaufen. Das ist ein angemessenes Instrument bei einer Krankheit, die so sehr in das eigene Leben einschneidet, wie es bei Krebs der Fall ist. Dort die zusätzliche Sicherheit zu schaffen, dass alle erreichbaren und verfügbaren Daten miteinander verbunden werden und zum Gegenstand von Versorgungsforschung und zum Gegenstand der Weiterentwicklung von Therapiestrategien werden, ist der gute Teil an diesen Krebsregistern. Deswegen bin ich darüber froh, dass wir uns in der Koalition aufgrund des Vortrags der Sachverständigen aus dem Bereich der Krebsregister in der Anhörung dazu entschieden haben, den Betrag für die Krebsregisterpauschale, der in dem ursprünglichen Entwurf vorgesehen war, zu korrigieren. Wir haben erkannt, dass die Höhe der Kosten, die Prognos ermittelt hatte, zu gering war; denn die Register, die von Prognos geprüft wurden, konnten den Aufgabenstand nicht komplett erfüllen, den wir im Gesetz normieren. Deswegen ist die Entscheidung, die Pauschale von 94 Euro auf 119 Euro zu erhöhen, eine richtige Entscheidung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gestern im Ausschuss war die wesentliche Kritik an der Früherkennung die, dass der Gemeinsame Bundesausschuss nicht genügend Flexibilität gegenüber den Vorgaben aus Richtlinien hat, die von der Europäischen Kommission publiziert werden. Dazu muss man einfach einen Blick ins Gesetz werfen. Drei Jahre hat der Gemeinsame Bundesausschuss Zeit, um festzustellen, ob eine Maßnahme überhaupt von der gesetzlichen Krankenkasse zu bezahlen ist. Drei Jahre hat er Zeit, um festzustellen, in welcher Form sie in Deutschland implementiert werden soll. Wenn dann sachliche Zweifel bestehen, ist noch einmal ein Zeitraum von fünf Jahren vorgesehen, in dem dafür gesorgt wird, dass zusätzliche Erkenntnisse gewonnen werden, die dann auf die Gestaltung der Früherkennungsprogramme Einfluss nehmen. Ich weiß, dass ein Teil der Beobachter der Meinung ist, dass dieser Zeitraum eher zu lang ist. Es kann auch keine Rede davon sein, dass der Gemeinsame Bundesausschuss von den Entscheidungen ausgeschlossen wäre und gewissermaßen eine Brüsseler Kommandomedizin zu verfolgen hätte. Er behält alle Freiheiten, das Vorgehen in Deutschland den hier verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen anzupassen. Ich will meine Rede wie gestern damit schließen, Sie sehr zu bitten, keine parteipolitische Konfrontation aufzumachen, die nicht notwendig ist, und in Bezug auf die Teile, die Sie kritisieren, anzuerkennen, dass auch aus Ihrer Warte das Glas mindestens halb voll ist. Es ist doch besser, ein halb volles Glas zu nutzen, als das Glas auszuschütten und anschließend zu sagen: Jetzt ist gar nichts mehr drin. Ich bitte Sie herzlich, sich nicht nur, wie gestern im Ausschuss, zu enthalten, sondern unserem Gesetzentwurf doch noch zuzustimmen. Ich halte das auch für ein gutes Signal gegenüber dem Bundesrat. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Martina Bunge für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Linksfraktion möchte ich bekunden: Wir sind froh, dass der Bundestag heute, fast auf den Tag genau am 60. Gründungstag des DDR-Krebsregisters, endlich ein Gesetz für ein flächendeckendes Krebsregister in der gesamten Bundesrepublik beschließen will. (Beifall bei der LINKEN) Ich bin froh, dass auch die Finanzierung dafür geregelt ist und aufgrund von Einwänden sogar noch verbessert wurde. Ich kann mich noch allzu gut an die Klimmzüge erinnern, die wir Ende der 90er-Jahre in der Gesundheits-ministerkonferenz gemacht haben, um das Gemeinsame Krebsregister der ostdeutschen Länder als Fortführung des DDR-Registers zu retten. Ich denke, es ist nicht schlecht, dass wir das haben. Nun zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf. Leider sind Sie nicht konsequent genug gewesen. Das Ziel, alle Tumorarten zu erfassen und die Qualität der Versorgung, aber auch die regionalen Differenzierungen zu erforschen, wird nicht hinreichend zu verwirklichen sein. Davon sind wir überzeugt. Dass beispielsweise Privatversicherte nicht verpflichtend einbezogen werden, schwächt die Datenbasis. Hinzu kommt, dass eine zentrale Stelle fehlt, die die Daten sammelt und auswertet, um optimale Erkenntnisse und Ergebnisse zu erzielen. Schade ist auch, dass Sie mit dem Gesetzentwurf nicht der Forderung nach einer vollständigen Kopplung der Daten der Früherkennung mit den Daten der Krebserkrankungen nachgekommen sind. So werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Nutzen der Früherkennung nicht voll ermitteln können. Bei der Krebsfrüherkennung weiten Sie die organisierten Programme aus, beispielsweise die Einladungen in Zentren. Diese Methode – sie ist umstritten, weil der Nutzen noch nicht erwiesen ist –, ohne Not gewachsene Strukturen der Krebsfrüherkennung infrage zu stellen, bedeutet, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Warum installieren Sie das Einladungssystem nicht vorerst ergänzend? (Beifall bei der LINKEN) Die wackligen Füße, auf denen das Gesetz in vielen Bereichen steht, machen es uns schwer, Kollege Henke, ihm einfach zuzustimmen. (Beifall bei der LINKEN) Nun haben Sie zum Gesetzentwurf noch Änderungsanträge gepackt, die auf aktuelle Probleme aufmerksam machen und bei Missständen Abhilfe schaffen sollen. Ich nenne als Beispiel die sogenannten Chefarztboni oder korruptives Verhalten. Aber damit – ich möchte es zusammenfassen – streuen Sie nur den Medien und der Bevölkerung Sand in die Augen. Gelöst wird nichts. Dem ernsthaften Problem, dass aufgrund von Bonuszahlungen für Chefärzte, Oberärztinnen und -ärzte nicht nur mehr Operationen, sondern leider auch unnötige durchgeführt werden, mit Empfehlungen und Qualitätsberichten begegnen zu wollen, ist abstrus. (Beifall bei der LINKEN) Nach unserer Meinung gehört jeder Anreiz, der Patientenwohl gefährden könnte, abgeschafft. (Beifall bei der LINKEN) Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Grundgesetz die Gesundheit der Bevölkerung nicht besser schützt als die Vertragsfreiheit der Ärztinnen und Ärzte. Hier käme es auf die Nagelprobe an. (Heinz Lanfermann [FDP]: So simpel kann man das doch nicht sehen!) Ähnlich ist Ihr Vorgehen bei korruptivem Verhalten von Ärztinnen und Ärzten. Diesem Interessenkonflikt nur mit einer besseren Datenübermittlung innerhalb des Selbstverwaltungssystems begegnen zu wollen, ist wie eine Filmkulisse: vorne Pappe, hinten nichts. (Beifall bei der LINKEN) Schade, dass Sie mit den Änderungsanträgen den insgesamt guten Ansatz des Gesetzentwurfs so vermurkst haben; aber das sind wir ja mittlerweile von Ihnen gewohnt. Weil das Ganze aber insgesamt ein gutes Anliegen ist, werden wir uns enthalten. Ich danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Birgitt Bender für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um eine Formulierung von Ihnen, Herr Kollege Henke, aufzunehmen: Das Glas ist bei diesem Gesetzentwurf nur zu einem Viertel voll, und das reicht uns eben nicht. (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Das stimmt!) Ja, es gibt positive Punkte. Wir begrüßen die flächendeckende Einführung klinischer Krebsregister, die erhöhten Qualitätsanforderungen für Krebsfrüherkennungsprogramme und auch die bessere Berücksichtigung neuer medizinischer und epidemiologischer Erkenntnisse durch Kompetenzübertragung auf den Gemeinsamen Bundesausschuss. Was wir kritisieren – das ist wichtig, Herr Kollege Henke –, ist die Fixierung in diesem Gesetzentwurf auf die Früherkennung als angeblich wirksame Maßnahme zur Bekämpfung von Krebserkrankungen. Das leistet die Früherkennung nicht. An dieser Stelle lohnt sich ein genauerer Blick. In 30 Jahren Mammografie-Screening in den USA kam es zu insgesamt 1,5 Millionen zusätzlichen Brustkrebsdia-gnosen in frühen Stadien. Das hört sich erst einmal gut an. Andererseits ist die Anzahl der Diagnosen in Spätstadien aber kaum gesunken. Der Harvard-Professor -Gilbert Welch hat daraus abgeleitet, dass es mehr als 1 Million Überdiagnosen gab. Anders formuliert: 1 Million Frauen mit Brustkrebsdiagnose nach dem Screening wären niemals krank geworden. Nach dem Screening allerdings bekamen die meisten von ihnen eine Operation, eine Chemotherapie oder eine Bestrahlung. Solche Ergebnisse sind keinesfalls neu. Viele Studien in den USA und in Europa haben gezeigt, dass das Mammografie--Screening nur einen sehr begrenzten Einfluss auf die Mortalität, also die Sterblichkeit, hat. Angesichts dieser Erfahrungen müsste das Einladungswesen zur Früherkennungsuntersuchung eher auf den Prüfstand, als auf weitere Krebsarten ausgeweitet zu werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch dazu soll mit diesem Gesetzentwurf das organisierte Darmkrebs- und Gebärmutterkrebs-Screening ohne vorherige Prüfung des Nutzen-Schaden-Verhältnisses eingeführt werden. Ein evidenzbasiertes Vorgehen, wie wir es in der Gesundheitspolitik eigentlich alle wollen, sieht anders aus. Umso wichtiger ist es, dass die Menschen wahrheitsgemäß informiert werden, dass der Nutzen deutlich geringer ist, als gemeinhin angenommen wird, und der Schaden von Früherkennungsuntersuchungen deutlich größer ist, als man bisher gedacht hat. Die aktuellen Einladungsschreiben zum Mammografie-Screening erwecken aber einen ganz anderen Eindruck. Fatal wäre es, wenn die Menschen für ihre informierte Entscheidung gegen eine Teilnahme am Screening auch noch bestraft würden, wie es im Jahr 2007 die Große Koalition mit der Sanktionsregel des § 62 SGB V gewollt und beschlossen hat. Die Abschaffung dieser Sanktionsregel ist eine zu begrüßende Klarstellung. Immerhin hatte der Gemeinsame Bundesausschuss schon dafür gesorgt, dass sie erheblich abgeschwächt wurde. Wir begrüßen auch, dass Sie jetzt zu der Entscheidung gekommen sind, die Bestrafung von nichttherapiegerechtem Verhalten – auch dies wurde von der Großen Koalition eingeführt – abzuschaffen. Dies hatte auch keine Praxisrelevanz, weil alle Ärzte wussten, dass man auf diese Weise ein Arzt-Patienten-Verhältnis beschädigt. Ich kann jetzt an die Adresse der schwarz-gelben Koalition nur sagen: Wenn Sie sich in dieser Legislatur-periode noch einen Dienst erweisen wollen, dann sollten Sie auch die übrigen Sanktionen in § 62 SGB V abschaffen; denn alle Vorsorgeuntersuchungen haben Risiken und können daher immer nur freiwillig sein, und deren Nichtinanspruchnahme darf nicht mit Sanktionen belegt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aufgrund dieser Schwächen und Inkonsequenzen werden wir uns bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf enthalten. Ich will dazu sagen, dass er durch die Änderungsanträge zum Thema Krankenhaus nicht besser geworden ist. Hier wird nicht konsequent gegen die Boni vorgegangen. Es hätte eine Lösung geben können, Herr Henke, wie etwa bei den Boni für die Banker. Da haben Sie sehr wohl in privatrechtliche Verträge eingegriffen. Hier war das angeblich nicht möglich. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, wollen Sie Ihre Redezeit, die Sie schon deutlich überschritten haben, durch eine Zwischenfrage des Kollegen Henke verlängern? Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, gerne. Rudolf Henke (CDU/CSU): Ich bekomme hier gerade gesagt, dass mich das Sympathiepunkte kostet. – Liebe Frau Kollegin Bender, Sie haben ja ausgeführt, dass sich die Koalition dazu entschieden hat, diese Sanktionen für die Nichtteilnahme an Früherkennungsuntersuchungen zu beseitigen. Wir haben dies im Ausschuss gestern dadurch ergänzt, dass wir eine ähnlich gerichtete Sanktion im Zusammenhang mit allen anderen Früherkennungsuntersuchungen beseitigt haben. Wenn Sie sagen, dass die Teilnahme an der Früherkennungsuntersuchung freiwillig sein muss und aus der Entscheidung der betreffenden Person resultieren muss, es also im informierten Einverständnis erfolgt – dies halte ich für richtig –, dann sind wir doch mit diesem Gesetzentwurf in seiner geänderten Fassung diesem Ziel näher als vorher. Ich verstehe nicht, warum Sie dem nicht die Zustimmung erteilen. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist näher als vorher, das ist richtig, aber es ist eben noch nicht weit genug. – Im Übrigen möchte ich Ihnen unseren Entschließungsantrag ans Herz legen. Im Entschließungsantrag steht nicht nur der Satz, der Ihnen nicht gefällt, werter Herr Kollege – dieser Satz ist richtig –, sondern auch vieles, das aufzeigt, wo es bei der Krebsbekämpfung tatsächlich hingehen müsste. Ich kann Sie nur dazu einladen, dem zuzustimmen. Danke. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Lothar Riebsamen für die CDU/CSU-Fraktion. Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden wollen, machen wir einen großen Fortschritt in einer Angelegenheit, die für die Menschen in unserem Land sehr wichtig ist. Es geht um die Bekämpfung einer bedrohlichen und sehr verbreiteten Volkskrankheit, nämlich Krebs. Wir beseitigen einen Flickenteppich von Krebs-registern, den wir bisher hatten, jedenfalls dort, wo es überhaupt welche gab. Wir werden bei der Früherkennung von Krebserkrankungen eine bessere Organisation haben. Wir werden durch die Einführung der flächendeckenden Krebsregister eine bessere Qualitätssicherung haben. In diesen sollen Daten über das Auftreten der Krankheit, die Behandlung und den Verlauf im ambulanten und im stationären Bereich landesweit konsequent erfasst werden. Wir werden durch diese Dokumentation Rückschlüsse auf die Prozess- und Ergebnisqualität ziehen können. Das ist wichtig. Deswegen war dieses Gesetz überfällig. Bei einem anderen Thema bewegen wir uns nicht auf dieser Makroebene, sondern ganz konkret im betriebswirtschaftlichen Bereich. Dies ist – so muss man es nennen – ein wunder Punkt. Es geht um die Fehlentwicklung bei der Gestaltung von Verträgen von Chefärzten und leitenden Ärzten. In den letzten Monaten wurden diverse Studien veröffentlicht, die belegen, dass es Mehrmengen gibt, die nicht durch zusätzliche Morbidität begründet werden können. Es gibt aber auch Studien, die das genaue Gegenteil besagen. Ich war im vergangenen Jahr an der Einstellung eines leitenden Arztes beteiligt, der im Einstellungsgespräch gesagt hat, er komme deswegen gerne zu uns, weil er es leid ist, dass sein Einkommen von der Zahl der Knie-OPs und Hüft-OPs, die er durchführt, abhängig ist; diese Erfahrung habe ich als Aufsichtsrat gemacht. Insofern bin ich überzeugt, dass es hier – völlig unabhängig von den unterschiedlichen Studienergebnissen – ein ganz konkretes Problem gibt, das wir mit diesem Gesetz beseitigen werden. Dabei sage ich aber auch klar, dass ich dem Grunde nach nichts gegen Zielvereinbarungen habe. Zielvereinbarungen sind ein zeitgemäßes Mittel der Unternehmensführung und des kreativen Managements; das ist auch im Krankenhaus wichtig – nicht nur das Schielen auf die Erhöhung des Landesbasisfallwertes im nächsten Jahr. Wir brauchen Zielvereinbarungen, um dafür zu sorgen, dass im Krankenhaus schonend mit Ressourcen umgegangen wird. Wir brauchen Zielvereinbarungen, um Hygienestandards und die Qualität zu verbessern und um sicherzustellen, dass das einzelne Krankenhaus seinen Versorgungsauftrag erfüllen kann. Dies alles sind unsere Anliegen. Aber an einer wesentlichen Stelle unterscheidet sich die Betriebsführung eines Krankenhauses von der eines normalen Dienstleistungsbetriebes: Ein normaler Dienstleistungsbetrieb ist darauf ausgelegt, nicht nur Leistungen nachzuahmen, sondern auch neue zu kreieren – ob sie die Menschheit braucht oder nicht – und sie mit Unterstützung der Werbung zu verkaufen. Genau darum geht es im Krankenhausbereich eben nicht. Hier geht es um Eingriffe in die Unversehrtheit des Körpers und um eine solidarische Finanzierung. Die Leistungen werden nicht von den Einzelnen, sondern von der Solidargemeinschaft bezahlt. Allerdings verstehe ich Verwaltungsleiter von Krankenhäusern, dass sie sich – wenn sie in der Situation sind, dass im Umkreis von 50 Kilometern 100 andere Krankenhäuser sind, die die gleiche Leistung anbieten können – etwas einfallen lassen müssen, um am Markt zu bestehen. Ich verstehe diese Verwaltungsleiter auch dann, wenn sie sagen: Ich brauche einen hohen Case Mix, um höhere Entgelte zu erzielen. – Nur: Das ist nicht die Aufgabe von Krankenhäusern und Verwaltungsleitern. Dafür zu sorgen, dass wir eine geordnete Krankenhauslandschaft haben, ist Sache der Länder. Deswegen appelliere ich entschieden an die Länder, ihrer Hauptaufgabe in diesem Bereich, nämlich der Krankenhausbedarfsplanung, endlich wieder nachzukommen und die Entscheidung, ob es zu viele oder zu wenige Betten und Krankenhäuser an einem Standort gibt, nicht dem Markt zu überlassen. Die Koalition hat bereits an anderer Stelle Maßnahmen getroffen – sie wurden erwähnt –: Von der Deutschen Krankenhausgesellschaft sind zusammen mit dem GKV-Spitzenverband Studien in Auftrag zu geben, um herauszufinden, wie die Mengenregelung in den Griff zu bekommen ist. Ich bin davon überzeugt, dass die Maßnahmen, die wir mit diesem Gesetz treffen, ein richtiger Weg sind. Die Krankenhäuser werden nämlich mehr oder weniger dazu gezwungen, darzulegen, ob sie die Vorgaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Ärztekammer einhalten oder nicht. Jedes Krankenhaus wird sich hüten, als ein Haus, das diese Vorgaben nicht einhält, identifiziert zu werden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Lothar Riebsamen (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. – Dafür werden die Kassen, wird die Presse und werden die Patienten sorgen. Insofern führt dieses Gesetz an zwei Stellen zu einem deutlichen Fortschritt: bei der Bekämpfung der Volkskrankheit Krebs in unserem Land und was die Fehlentwicklungen bei Chefarztboni in Krankenhäusern angeht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung und zur Qualitätssicherung durch klinische Krebsregister. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12221, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11267 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12223. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Rolle des Sports in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik – Drucksachen 17/9731, 17/11580 – Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Martin Gerster Dr. Lutz Knopek Katrin Kunert Viola von Cramon-Taubadel Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Es gibt dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Mechthild Heil für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mechthild Heil (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD stellt in ihrem Antrag fest, dass dem Sport im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik eine unverzichtbare Rolle zukommt, weil er soziale, sprachliche und kulturelle Barrieren überwindet. (Dagmar Freitag [SPD]: Ja! Die ist uns nicht neu, Frau Kollegin!) Meine sehr geehrten Kollegen, vielen Dank für diese Erkenntnisse – nur wissen wir das schon seit einem halben Jahrhundert. Wir wissen es nicht nur, wir setzen dies auch in Politik um. Seit 1961 legt die Union in der Auswärtigen Politik besonderes Augenmerk auf die Sportförderung. Wir wollen vor allem langfristigen interkulturellen Dialog und Partnerschaften. Dabei sind wir nicht allein: Wir haben starke Partner an unserer Seite, darunter – um einige Beispiele zu nennen – den Deutschen Olympischen Sportbund, den Deutschen Behindertensportverband, die Deutsche Sporthochschule Köln und die Universitäten Leipzig und Mainz. Gemeinsam betreuen wir Projekte, bieten internationale Fortbildungen an und senden Experten in die ganze Welt, die vor Ort Projekte begleiten und Netzwerke aufbauen. Mehr als 1 400 Projekte haben wir in den verschiedenen Sportarten durchgeführt. Was sind diese Projekte? Von der Kooperation zwischen Basketballvereinen aus Deutschland und Namibia – bei der ganz nebenbei Sportstrukturen in namibischen Schulen aufgebaut werden – über Wüstenläufe in Ägypten mit Teilnehmern aus aller Welt bis hin zu internationalen Fußballturnieren in Afrika ist alles dabei. Mit Spaß und fast nebenbei fördern wir dadurch den Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen und vermitteln den Zugang zur deutschen Sprache, zur deutschen Kultur und unserer Geschichte. Dadurch prägen wir ein Bild von Deutschland als faires, ambitioniertes, aber auch tolerantes Land, das sich für andere Länder engagiert. Der Sport steht für einen friedlichen Wettkampf, aber auch für Kooperation und Teamgeist. Für diese Gefühle müssen die Sportler nicht derselben Religionsgemeinschaft angehören, sie müssen noch nicht einmal dieselbe Sprache sprechen. Das Motto der Sportförderung des Auswärtigen Amtes drückt dies wunderbar aus: „Menschen bewegen – Grenzen überwinden“. Grenzen wurden zum Beispiel mit dem ARABIA Cup 2010 überwunden: Im Nahen Osten wurde ein Fußballturnier nur für junge Frauen ausgerichtet. Die Teilnehmerinnen aus Nordafrika haben diesen Cup gewonnen. Als Preis bekamen sie die Möglichkeit, nach Deutschland zu reisen. Sie haben unter anderem den Bundestag besucht, und sie hatten Gelegenheit, die FIFA-Referentinnen und -Expertinnen zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen. So werden über den Sport hinaus Themen wie das Recht der Frauen auf Chancengleichheit und auf Selbstverwirklichung transportiert. Nebenbei lernen die Teilnehmerinnen Deutschland als ein weltoffenes Land kennen. Sie knüpfen Kontakte und nehmen diese Erfahrungen mit nach Hause. Was noch viel wichtiger ist: Sie teilen diese Erfahrungen dann mit ihren Familien und mit ihren Freunden und Bekannten zu Hause. Dadurch multiplizieren sich die Erfolge dieser manchmal wirklich kleinen Projekte um ein Vielfaches. Also: Die Sportförderung ist ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur- und Bildungspolitik. Das ist uns auch etwas wert. Wir geben jedes Jahr mehr für Kultur- und Bildungspolitik aus. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Wer ist „wir“?) Im Jahr 2004 waren es 560 000 Euro, und letztes Jahr waren es 785 000 Euro, weil wir wissen, wie wichtig der internationale Austausch zum Beispiel auch für die Konfliktprävention und die Konfliktbewältigung ist, schlicht: weil Menschen, die gute Erfahrungen im Betreiben von Sport gemacht haben, einander weniger bekämpfen. (Zuruf der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]) – Vielleicht sollten Sie auch mal Sport treiben, dann würde vielleicht auch Ihr Aggressionspegel ein wenig sinken. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Sind Sie die Sprecherin des Auswärtigen Amtes, oder was?) Der aktuelle Bericht der Bundesregierung belegt: Wir fördern den Dialog zwischen den Ländern durch sport-liche und kulturelle Begegnungen erfolgreich, (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wir schlafen eigentlich gerade alle ein! Aber dagegen hilft Sport auch!) und unsere Sportförderung wirkt. Wir engagieren uns besonders in den Entwicklungsländern. Dabei gibt es tolle Erfolge. Ein Beispiel ist die Geschichte von Pitso Mosimane. Das ist eine wahre Erfolgsgeschichte. Pitso Mosimane wuchs in Südafrika in ärmlichsten Verhältnissen auf, ohne Zukunftsperspektive. Im Rahmen eines Kurzzeitprojektes des Auswärtigen Amts konnte er einen Trainerschein beim Deutschen Fußball-Bund machen. Das Ergebnis? Heute ist er Cotrainer der südafrikanischen Fußballnationalmannschaft. Durch dieses Projekt hat sich nicht nur das Leben von ihm total verändert. Seine Geschichte zeigt vielmehr das Potenzial, das in diesen Projekten steckt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es muss nun nicht jeder immer direkt in einem Nationalkader landen oder dahin aufsteigen. Nein, darum geht es uns bei weitem nicht. Aber alle Teilnehmer an diesen Projekten wirken als Multiplikatoren. Sie tragen ihre Erfahrungen und ihr Wissen in ihre Heimatländer. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ist nachhaltige Auswärtige Kulturpolitik und sinnvolle Sportförderung. Wir helfen vor Ort. Unsere Kultur- und Bildungspolitik ist erfolgreich. Die Projekte der CDU/CSU und der FDP, die wir anstoßen, können sich international sehen lassen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Liebe Frau Kollegin, ich muss da irgendwas verpasst haben von wegen Aggressionspegel. Wir sind doch in diesem Hause durchaus anderes gewöhnt. (Mechthild Heil [CDU/CSU]: Meine Kollegin war ziemlich aggressiv!) Wenn es mal temperamentvolle Zwischenrufe gibt, dann ist das noch nicht Aggression. Da gibt es einen feinen Unterschied. (Mechthild Heil [CDU/CSU]: Sie hat ziemlich viel gesprochen!) Ich erteile das Wort Kollegin Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dagmar Freitag (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, ich danke Ihnen für den Hinweis. Wir werden später statt „Aggression“ im Protokoll sicher den Vermerk „Heiterkeit bei der SPD“ vorfinden. Also, liebe Frau Kollegin Heil, von Aggression kann hier keine Rede sein. Dazu müssen Sie wahrscheinlich ein etwas schwereres Geschütz auffahren. Sie haben hier mit wohlgesetzten Worten Ihre Verdienste um die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, hier insbesondere im Bereich Sport, unter Beweis zu stellen versucht. Wir debattieren heute allerdings nicht nur, weil wir den Sport loben wollen, sondern weil wir aufzeigen wollen, dass er unter Schwarz-Gelb massiv an Bedeutung verloren hat. Das, Frau Kollegin, lassen wir weder Ihnen noch der Regierung durchgehen. (Beifall bei der SPD – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Das schlechteste Beispiel war Joschka! Joschka war am schlechtesten!) Der Sport ist ein vergleichsweise kleiner Bestandteil in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Aus unserer Sicht hat er aber eine besondere Bedeutung. Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass Deutschland seit vielen Jahren ausgesprochen erfolgreiche Projekte, Kurzzeit- wie Langzeitprojekte, in Entwicklungsländern durchführt. An dieser Stelle möchte ich einen ausdrücklichen Dank meiner Fraktion an unsere Experten im Ausland und an die Vertreterinnen und Vertreter im Deutschen Olympischen Sportbund aussprechen, die sich mit großer Hingabe und mit großem Engagement diesen Projekten widmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dass der Sport Brücken zwischen Menschen unterschiedlichster Herkunft und unterschiedlichster sozialer Schichten baut, auch dass er Mittler zwischen Menschen mit und ohne Behinderung sein kann: All das wissen wir. Gerade im Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist das alles aber umso wichtiger. Frau Kollegin Heil, ich muss Ihnen sagen: Bislang bin ich davon ausgegangen, dass die Bedeutung des Sports im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik über die Fraktionsgrenzen hinaus Konsens ist. Im Laufe dieser Wahlperiode und gerade einmal mehr mussten wir aber Folgendes erkennen: Bei Ihnen passen Worte und Handeln eben nicht zusammen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE] – Klaus Riegert [CDU/CSU]: Bedeutend mehr als unter Rot-Grün!) – Herr Kollege, wenn Sie eine Zwischenfrage haben, dann können Sie sie gerne stellen. Ich würde Ihnen dann etwas dazu sagen. (Klaus Riegert [CDU/CSU]: Nein!) – Er möchte nicht; das ist ja zu schade. Ich verweise insbesondere auf das Positionspapier der Bundesregierung zur Konzeption der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik vom September 2011 und möchte noch einmal betonen: Eine solche Konzeption legt die zukünftigen Leitlinien der Bundesregierung für diesen Bereich fest. – Was mussten wir nach der Durchsicht feststellen? Der Sport kam nicht mit einem einzigen Wort vor. Frau Kollegin, ich fürchte fast, Sie haben diese Konzeption nie gelesen. (Dieter Stier [CDU/CSU]: Das ist aber nur eine Vermutung!) Erst nach heftigen Protesten nicht nur aus meiner Fraktion, sondern ausdrücklich auch von den Sportverbänden, die die Partner für die Umsetzung der Projekte sind, wurde nachgebessert. In dem 14-seitigen Bericht wurde ein bemerkenswerter Halbsatz eingeführt – ich zitiere –: Kulturdialogprojekte, Hochschulpartnerschaften, Stipendien, aber auch Kooperationsprojekte im Sportbereich können wichtige Impulse für Stabilisierung, demokratische Entwicklung … setzen. Frau Staatsministerin, das kann ich Ihnen nicht ersparen: Das Auswärtige Amt hat dem Kapitel „Internationale Sportförderung“ damit fünf Wörter gewidmet – mehr nicht. Das – das muss ich Ihnen auch sagen – wird der Bedeutung der jahrzehntelangen Tradition der internationalen Sportförderung einfach nicht gerecht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aus unserer Sicht zeigt das eine nicht nachvollziehbare Gleichgültigkeit gegenüber den Hilfsprojekten für die Menschen in den Entwicklungsländern, aber auch eine Geringschätzung unserer Kooperationspartner, den Verantwortlichen im Deutschen Olympischen Sportbund und den Sportverbänden. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, erkennen die erfolgreiche Arbeit unserer Auslandsexperten ausdrücklich an und haben diesen Antrag aus diesem Grunde eben auch ins Parlament eingebracht. Es gibt aber noch andere Gründe dafür: Leider mussten wir in Ihrer Regierungszeit Entwicklungen feststellen, die die Arbeit dieser Experten erschweren und dazu führen, dass die bis zu Ihrem Regierungsantritt in der Tat sehr erfolgreiche internationale Sportförderung aus dem Tritt gebracht wird; denn die Mittel für die Sportförderung wurden durch Schwarz-Gelb auch für das Jahr 2013 erneut gekürzt. Bei dieser Gelegenheit darf ich Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen: Es war der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zu neuer Stärke und Bedeutung verholfen hat und damit eine Trendwende einleitete. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Verehrte Frau Staatssekretärin, ich muss Ihnen leider bescheinigen: Ihr Haus hat die Bedeutung des Sports als eine wesentliche Säule der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik offenbar nicht verstanden – und das, obwohl allgemein bekannt ist, dass mit diesen vergleichsweise geringen Mitteln sehr viel Gutes für die Menschen vor Ort erreicht werden kann. Unsere Experten – ich könnte sie auch „vorbildliche Botschafter“ nennen – erfreuen sich in den Ländern, in denen sie unter verdammt schwierigen Bedingungen arbeiten, höchster Wertschätzung. Was für eine fantas-tische Werbung für unser Land! (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Viele derjenigen aus den Partnerländern, die durch unsere Projekte ausgebildet wurden – sei es durch die Trainerausbildung in Leipzig oder Mainz, sei es in den Ländern selbst –, gehen einen beeindruckenden Weg. Wir finden diese Menschen heute oftmals in sehr verantwortlichen Positionen in den Sportorganisationen oder den Regierungen ihrer Länder. Gibt es bessere Belege für die Sinnhaftigkeit dieser Projekte? Ich denke, nein. Statt diesen Bereich aber finanziell angemessen zu berücksichtigen, trickst Ihr Haus. Sie begründen in den Haushaltsberatungen zum Einzelplan 05 die Kürzungen Jahr für Jahr wie folgt: Die Verantwortlichen im Sport schaffen es ja nicht, das Geld auszugeben. – So geht es nicht, Frau Staatsministerin. Kein Wunder, wenn Ihr Haus, um nur ein Beispiel aus dem Jahr 2012 zu nennen, den Verantwortlichen im Sport am 20. November des Jahres 2012 mitteilt, sie könnten noch 500 000 Euro abrufen, aber nur bis zum 27. November. Ich bitte Sie: Was ist das für eine Planung? Jeder weiß, dass es völlig unmöglich ist, innerhalb einer Woche ein Projekt in einem Entwicklungsland auf die Beine zu stellen. (Beifall des Abg. Martin Gerster [SPD]) Wer mit einer solch ausgesprochen fadenscheinigen Begründung für Mittelkürzungen argumentiert, handelt auf zweierlei Art und Weise unverantwortlich: gegenüber unseren Partnern im Sport, vor allem aber gegenüber denjenigen, die dringend auf unsere Unterstützung hoffen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sollten Sie, Frau Staatsministerin, aufgrund der berechtigten massiven Kritik beabsichtigen, zu einer verträglichen Förderung zurückzukehren, würden Sie dafür unsere volle Unterstützung bekommen. Unser Antrag enthält eine Fülle von Punkten, die einzig dem Ziel dienen, dem Sport in der Kultur- und Bildungspolitik seine frühere Bedeutung zurückzugeben. Aus diesem Grund werbe ich noch einmal herzlich um Ihre Unterstützung für unseren Antrag. Ich bedanke mich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Dagmar Freitag. – Nächster Redner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Joachim Günther. Bitte schön, Kollege Joachim Günther. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Joachim Günther (Plauen) (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Da wird es einiges zu dem Statement von Kollegin Freitag zu sagen geben. (Dagmar Freitag [SPD]: Das hoffe ich doch!) Es ist unumstritten, dass die bestehende Internationale Sportförderung des Auswärtigen Amtes seit 50 Jahren ein fester Bestandteil der Kultur- und Bildungspolitik unseres Landes ist; darüber sind wir uns alle einig. Sie ist insgesamt ein wichtiger Beitrag zur Friedenspolitik; denn sie eignet sich dazu, Vorurteile abzubauen, Minderheiten zu integrieren; auch darüber sind wir uns einig. (Dagmar Freitag [SPD]: Deshalb kürzen Sie?) Das Ziel Ihres Antrags ist noch verständlich, aber dann muss man einmal in die Details gehen. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, wo Schwarz-Gelb schlechter ist, als es Rot-Grün in diesem Zusammenhang je gewesen ist. Deshalb möchte ich einige Punkte aufgreifen. Zahlreiche Projekte – man muss sie einmal beim Namen nennen, damit wir wissen, worüber wir insgesamt diskutieren – der Internationalen Sportförderung werden gemeinsam mit dem DOSB durchgeführt. In acht Langzeitprogrammen mit einer Laufzeit von mehr als zwei Jahren wurden zum Beispiel Sportexperten im Fußball nach Honduras, Mosambik, Namibia und Südafrika entsandt. In Paraguay und Uganda sind deutsche Experten für den Bereich Leichtathletik tätig. Vier Langzeitprojekte in Laos, Mali, Tansania und Vietnam wurden -erfolgreich zu Ende geführt. Insgesamt 40 wichtige Kurzzeitprojekte, von Fußball bis Basketball und Rollstuhlbasketball, setzen wir im Ausland um. Im Rahmen der Fortbildung und Qualifizierung von Trainerinnen und Trainern wird an der Universität Leipzig – das wurde genannt –, an der Sportschule Hennef und an der Auslandstrainerschule in Mainz ausgebildet. Das betrifft sehr viele Sportarten, nicht bloß den Fußball, der besonders hervorgehoben wird. Nein, es gibt den Behindertensport, Tischtennis, Volleyball, Kunstturnen, um nur einmal Sportarten zu nennen, die hier sonst überhaupt nicht zur Diskussion stehen. Die vom AA geförderten internationalen Trainerkurse für Teilnehmer aus den Entwicklungsländern sind aus meiner Sicht inzwischen zu einem Dauerbrenner geworden. Die Internationale Sportförderung ist seit 35 Jahren aktiv und sehr erfolgreich. Die Absolventen dieser Förderung sind später häufig wichtige Entscheidungsträger in ihren Ländern. Sie sind dadurch mit Deutschland -positiv verbunden und bringen unsere Beziehungen sehr stark voran. Sie wirken als Multiplikatoren, und das ist wichtig. Ergänzt werden diese Maßnahmen durch zahlreiche Sachmittelspenden wie Trikots, Sportgeräte, auch für Behindertensportarten, für bedürftige Sportvereine, für engagierte Gruppen in diesen Ländern. Man muss auch sagen: Es wird nicht nur vom AA gefördert; das wäre zu kurz gesprungen. Vom BMZ wird zum Beispiel der Aufbau von Bolzplätzen in den Ländern Afrikas und in anderen Entwicklungsländern gefördert. Als Fußballbegeisterter möchte ich ein Wort zu dieser Sportart sagen. 2012 unterstützte das AA in Kooperation mit dem DFB zum dritten Mal das Turnier „Vier Länder für Frieden“ mit gemischten Mädchen- und Jungenmannschaften aus Uganda, Ruanda, Burundi und der Demokratischen Republik Kongo. Dieses Turnier in einem komplizierten Gebiet in Afrika trägt dazu bei, dass -ehemals verfeindete Parteien im Prinzip spielerisch -Kontakte haben, sich besser kennenlernen oder sogar Freundschaften schließen. Sie können also kulturelle und politische Grenzen damit überschreiten. Das ist ein wichtiger Beitrag unserer auswärtigen Politik zur Friedenspolitik unseres Landes. 2011 übernahm unser Bundesaußenminister die Schirmherrschaft für das Turnier. Der uns allen bekannte Willi Lemke ist im Auftrag des Auswärtigen Amtes ständig bei solchen Turnieren dabei. Es gibt das Projekt „Kicken statt kämpfen – Bolzen für Toleranz“, das das Auswärtige Amt in Zusammen-arbeit mit der Freien Universität Berlin und anderen Partnern realisiert. 16 palästinensische Trainerinnen und Trainer wurden hier unter Berücksichtigung einer besonderen psychosozialen Komponente fortgebildet. In einem Gebiet, in dem viel Gewalt herrscht, ist es wichtig, Kinder und Jugendliche davon abzuhalten, Frustrationen sinnlos abzubauen, und den Gedanken von Fairplay voranzubringen. Einen weiteren Höhepunkt – darauf hat die Kollegin Heil schon hingewiesen – stellt der Aufbau landesweiter Strukturen im Basketballsport in Namibia dar. All das sind Projekte, die dazu beitragen, selbstständige Sportsysteme in den jeweiligen Ländern auf die Beine zu stellen. Auch im Behindertensport werden wichtige Akzente gesetzt. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Rollstuhl-Sportverband wurde mit einem Workshop in Uganda der Grundstein für den Aufbau eines nationalen Rollstuhlbasketballprogramms gelegt. Ich finde, das ist ein guter Ansatz. Noch zwei, drei Anmerkungen zu dem Antrag der SPD. Sie fordern die Erhöhung der Mittel für die Internationale Sportförderung auf das Niveau von 2009; so steht es wörtlich in Ihrem Antrag. Haben Sie einmal nachgeschaut, wie das früher war? Die Mittel zu Zeiten der Großen Koalition betrugen 2,6 Millionen Euro. Unter Joschka Fischer war es noch weniger. In unserer Regierungszeit wurden sie auf 4,5 Millionen Euro mit geringfügigen jährlichen Schwankungen heraufgefahren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nur 2012 erfolgte die eben gescholtene verspätete Auszahlung der Mittel. War es eine verspätete Auszahlung der Mittel? Vonseiten des DOSB waren bis zu diesem Zeitpunkt keine Umsetzungsmöglichkeiten gemeldet. Vizepräsident Eduard Oswald: Kollege Joachim Günther, gestatten Sie eine Zwischenfrage unserer Kollegin Ulla Schmidt? Joachim Günther (Plauen) (FDP): Ja. Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie erzählen begeistert, dass geradezu ausufernde Mittelerhöhungen im Sportbereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik auf den Weg gebracht wurden. Ich habe eine Frage: Der Haushalt 2012 ist im Unterausschuss „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“ fraktionsübergreifend abgelehnt worden, weil in bestimmten Bereichen gekürzt wird. Man kann natürlich mit wenig Geld viel erreichen, aber auch mit Kürzungen in Höhe von 100 000 Euro vieles beschränken. Der Haushalt 2013 hat im Unterausschuss ebenfalls keine Mehrheit gefunden. Wir haben darüber fraktionsübergreifend diskutiert und sind der Auffassung – nicht nur die Opposition –, dass dieser Haushalt dem, was zum Beispiel zu Zeiten der Großen Koalition in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik auf den Weg gebracht wurde, nicht gerecht wird und dass Verbesserungen notwendig sind. Manchmal gibt es Mittelsteigerungen, weil bestimmte Kosten steigen. Dadurch lassen sich aber nicht mehr Projekte fördern und lässt sich der Austausch nicht intensivieren. Wenn irgendwo 100 000 Euro gekürzt werden, dann muss es bei irgendwelchen Projekten Einschnitte geben. Kennen Sie andere, vielleicht bessere Gründe als den der Kürzungen, warum Ihre Kollegen diesen Haushalt nicht unterstützt haben? Joachim Günther (Plauen) (FDP): Nein, verehrte Kollegin, ich kenne keine anderen Gründe. Ich kann Ihnen das auch nicht erläutern, weil ich an der betreffenden Ausschusssitzung nicht teilgenommen habe. (Dagmar Freitag [SPD]: Reden Sie nicht mit Ihren Kollegen?) – Ich kann nicht jede Zahl des Haushalts auswendig kennen. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich mit den Gesamtmitteln in Höhe von 4,5 Millionen Euro sehr viel im Ausland bewegen lässt. Es geht nicht allein darum, ob die Mittel für ein Programm um 100 000 Euro erhöht oder gekürzt wurden. Insgesamt ist das Niveau dieser Position in den letzten Jahren deutlich aufgewachsen. Das ist die Grundvoraussetzung, um hier etwas zu erreichen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der zweite Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass der DOSB bereits jetzt ein Schreiben bekommen hat, dass er seine Projekte für dieses Jahr schon auf den Weg bringen kann. Es ist also nicht so, dass die Projekte erst im Herbst stattfinden. Somit kann das Programm rechtzeitig in diesem Jahr umgesetzt werden. Wenn man diese Beispiele insgesamt sieht, muss man zu dem Schluss kommen, dass sich Ihr Antrag im Prinzip erledigt hat. Wir sind heute schon besser, als Sie jemals waren. Das ist auch unser Ziel. Danke schön. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dagmar Freitag [SPD]: Das ist eine sehr selektive Wahrnehmung!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Joachim Günther. – Nächster Redner für die Fraktion Die Linke ist unser Kollege Frank Tempel. Bitte schön, Kollege Frank Tempel. (Beifall bei der LINKEN) Frank Tempel (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorurteile abbauen, Minderheiten integrieren, Werte vermitteln – so beschrieb Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle vor einiger Zeit die Ziele der auswärtigen Sportförderung. Die Bedeutung dieser Ziele wird, so denke ich, niemand hier infrage stellen. So dürfte in dieser Debatte schon einmal eine gemeinsame Ausgangslage vorhanden sein. Die Frage aber, die wir klären müssen, ist: In welchem Maß und mit welchem Volumen wollen wir für dieses Ziel mit dem Mittel der auswärtigen Sportförderung arbeiten? Wenn wir diese Frage beantworten wollen, dann geht es natürlich um Haushaltsmittel, dann geht es auch um den Umgang mit den Menschen, die in diesen Projekten arbeiten, und dann geht es auch um Planungssicherheit, um Qualität und um die Vielfalt dieser geförderten Projekte. Allgemein wird bei einem hohen Aufwand die Frage nach dem Nutzen gestellt. Bei der auswärtigen Sportförderung reden wir von Präventionsarbeit. Als Kriminalist kenne ich dieses Phänomen zum Beispiel aus der Jugendkriminalität. Wenn ich mich um problematische Kinder frühzeitig kümmere, kann mir niemand sagen, welches von diesen eventuell später straffällig geworden wäre. Ich weiß aber ganz genau, dass ich diese Gefahr erheblich verringern kann. Ganz nebenbei bemerkt: Ausreichend ist auch das bei uns noch nicht gesichert. Vorurteile, Ausgrenzung und Unwissenheit sind die Basis von Leid, von schwersten Konflikten und von Krisen, welche ganze Regionen für lange Zeit belasten. Das Problem der Prävention ist, dass sich ein Erfolg zwar erkennen, aber nicht unmittelbar messen lässt. Das heißt, keiner wird bei einem nachlassenden Engagement kurzfristig sagen können, wie viel weniger Vorurteile abgebaut oder Werte vermittelt worden sind. Auf keinen Fall darf das aber zu falscher Sparsamkeit führen. Prävention wirkt langfristig und ist langfristig angelegt. (Beifall bei der LINKEN) Auswärtige Sportförderung ist aktive Friedenspolitik, ist Kampf für Menschenrechte. Herr Günther, da sind wir uns offensichtlich ganz einig. Es wird Menschen frühzeitig geholfen, und die Gefahr von Konflikten wird zumindest verringert. Wenn wir die Vielzahl und die Vielfalt der heutigen Konflikte wie zum Beispiel aktuell in Mali sehen, muss es doch ein Anliegen aller sein, diese aufbauende Präventionsarbeit noch mehr zu forcieren und nicht ein bisschen hier und ein bisschen da nachzulassen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch hier im Hause wird schnell davon gesprochen, dass es sehr solidarisch sei, wenn man bei internationalen Konflikten Waffen, Militär oder Polizei schickt. Die Linke ist davon überzeugt, dass es solidarisch ist, zu helfen, dass solche Konflikte gar nicht erst ausbrechen oder gar eskalieren. Die Linke ist auch davon überzeugt, dass die Förderung von Sportprojekten ein sehr geeignetes Mittel in dieser Präventionsarbeit ist. Wenn Kinder -unterschiedlicher ethnischer Gruppen gemeinsam mit-einander Fußball spielen, können sie auch lernen, -untereinander Freundschaften zu schließen. Wenn muslimische Mädchen über den Sport Selbstvertrauen und gesellschaftliche Anerkennung finden, wird sich das in ihrem Umfeld auswirken. Weil das so wichtig ist, unterstützt die Linke den Antrag der SPD, die Mittel für die Internationale Sportförderung, Herr Günther, wieder zu erhöhen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Martin Gerster [SPD]: Genau darum geht es!) Natürlich besteht dann auch die Verpflichtung, die Rahmenbedingungen für diejenigen zu verbessern, die diese Projekte vor Ort umsetzen. Da geht es um die Ausbildung vor dem Einsatz in solchen Projekten, es geht um die bessere Beratung während eines solchen Einsatzes, wie zum Beispiel im Antrag benannt. So sind steuerrechtliche Fragen völlig richtig aufgeführt. Die Linke hält es auch für erforderlich, den Helfern Perspektiven für die Zeit nach dieser Art von Auslandseinsätzen zu bieten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Der Dank für das Engagement für solche Einsätze kann am Ende nicht Hartz IV bedeuten. Das heißt, wir brauchen adäquate Hilfs- und Eingliederungsprogramme, um die zeitweilige Arbeit in solchen internationalen Sportprojekten nicht zu einem persönlichen Zukunftsrisiko zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Linke stimmt diesem SPD-Antrag – das soll nicht zur Gewohnheit werden – voll und ganz zu. Sehr geehrte Kollegen der Regierungskoalition, das können auch Sie. Bitte bauen Sie die auswärtige Sportförderung wieder aus, und suchen Sie nicht gerade dort Einsparungsmöglichkeiten; denn bei der Prävention zu sparen, kann Menschen und Gesellschaft später wesentlich teurer kommen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Martin Gerster [SPD]: Gute Rede!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Frank Tempel. – Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Frau Viola von Cramon-Taubadel. Bitte schön, Frau Kollegin. Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich möchte jetzt nicht noch einmal auf die ganze Geschichte der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik eingehen, die schon von verschiedenen Seiten vorgetragen wurde. Gegen den von der SPD vorgelegten Antrag ist aus unserer Sicht nichts einzuwenden. Ich sage einmal: Er schadet nicht. Im Gegenteil: Wir werden uns ihm anschließen. Herr Tempel hat dies gerade erwähnt. Wir hatten vor knapp zwei Jahren die Möglichkeit, uns gemeinsam mit einem Teil der deutschen Auslandstrainerinnen und Auslandstrainer intensiver auszutauschen. Genau dieser Austausch hat gezeigt, dass es für diese Gruppe viele ungeklärte Fragen gibt, dass vor allem aber viel Unzufriedenheit bei Versicherung und Bezahlung herrscht. All das versucht die SPD in ihrem Antrag zu beheben. Dabei können und wollen wir sie unterstützen. Allerdings sollten wir es dabei nicht bei der oberflächlichen und technischen Betrachtung für die Mittelvergabe belassen. Es lohnt sich aus meiner Sicht, -genauer hinzuschauen, ob und in welcher Form die Bundesregierung ihrem Anspruch gerecht wird, den Sport als Instrument der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik sinnvoll und effektiv einzusetzen. Dabei hilft es zum Beispiel, finde ich, wenn der NDR in einer Zapp-Kolumne am 9. Februar 2011 von Frau Piepers Engagement für den Frauenfußball berichtet; denn sage und schreibe 91 558 Euro wurden aus dem Budget für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik für ein Werbefilmchen für den Frauenfußball eingesetzt. Hier – und nicht nur hier – kommt der Verdacht auf, dass das Engagement für den Sport im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik vielleicht eher dazu dient, den Sponsor oder die Sponsorin in Szene zu setzen oder auf dem Trittbrett der Sportprojekte die eigene Reputation zu erhöhen, anstatt tatkräftig langjährige Aufbauhilfe vor Ort zu leisten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Günther hat es erwähnt. Dieses Instrument sollte ein wichtiger Beitrag zur Friedenspolitik sein. Das sehen wir ganz genauso, liebe Kolleginnen und Kollegen. Auch wir wissen, dass sich mit einigen 100 000 Euro keine Konfliktherde für immer befrieden lassen. Allerdings wäre es wünschenswert, eine langfristige und nachhaltige Strategie für Krisenprävention, Krisennachbereitung oder möglicherweise sogar Demokratisierung auch in der Sportförderung als Ziel anzulegen. Im 16. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik macht der Sport aber genau eine einzige Seite aus und beschränkt sich lediglich auf die Auflistung einzelner Projekte, die teilweise doch sehr willkürlich anmuten. Das heißt, es gibt keinen echten kohärenten Ansatz, wie man mit Projekten aus der klassischen Entwicklungszusammenarbeit in der Sportförderung umgeht. Ebenso fehlt eine Strategie, wie man die Sportförderung im Ausland tatsächlich für die Nachbereitung von sportlichen Großereignissen nutzen will. Auch so etwas ist dem Bericht nicht zu entnehmen. Einmal abgesehen davon – auch das hat die SPD erwähnt –, dass die Sportförderung des Auswärtigen -Amtes sehr fußballlastig ist, könnte diese Förderung wenigstens dazu dienen, einen Beitrag zur Verstetigung der Impulse durch sportliche Megaevents zu leisten. Deshalb wäre es umso wichtiger, auch im Nachgang von Sportgroßveranstaltungen mit lokalen Initiativen und Organisationen im Austragungsland intensiver zusammenzuarbeiten. Am Beispiel Südafrika sieht man, dass die Hoffnungen an die Fußball-WM 2010 absolut überhöht waren und dass der Aspekt der Nachbereitung dieser Weltmeisterschaft von der Bundesregierung in ihrer Förderung gar nicht aufgegriffen wurde. Unser Antrag mit der Überschrift „Vergabekriterien für Sportgroßveranstaltungen fortentwickeln – Menschen- und Bürgerrechte bei Sportgroßveranstaltungen stärker berücksichtigen“ widmet sich gerade diesem Punkt. Noch immer täuscht der Glanz von Sportereignissen häufig über die wahren Zustände hinweg. Die Arbeitslosigkeit in Südafrika ist nach wie vor hoch. Der versprochene langfristige Aufschwung hat nicht stattgefunden. Im Schatten der überdimensionierten Fußballtempel bemühen sich allerdings oft ehrenamtliche Aktivistinnen und Aktivisten, Netzwerke zu schaffen und durch den Sport eine nachhaltige Struktur der Kultur- und Bildungsarbeit zu entwickeln. Ich befürchte, die Debatte um die Rolle des Sports in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik werden wir wieder führen, wenn es darum geht, in Brasilien die Folgen der Fußball-WM und der Olympischen Spiele 2016 zu bewältigen. Wir haben mit verschiedenen Aktivisten aus Brasilien gesprochen, um zu erfahren, wie es dort im Vorfeld der WM-Vorbereitungen um Zwangsräumungen, Vertreibungen und polizeiliche Gewaltübergriffe steht. Wenn der jetzige Trend, Mittel zu kürzen, ohne ausgleichende strukturelle Veränderungen vorzunehmen, sich fortsetzt, wird es nicht nur dort zu massiven Engpässen in der Bildungsarbeit kommen. Kulturpartnerschaften, wie sie über das Thema Sport vergleichsweise leicht zustande kommen könnten, wären damit nicht mehr möglich. Die jetzt geplante Kürzung der Mittel kann damit aus meiner Sicht, aus unserer Sicht kein ernsthafter Ansatz sein, selbst unter der Prämisse der Haushaltskonsolidierung nicht. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege Eberhard Gienger. Bitte schön, Kollege Eberhard Gienger. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eberhard Gienger (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein wichtiger Baustein der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik der Bundesregierung ist der Sport. Wir haben heute in den Reden der Kolleginnen und Kollegen schon mehrfach gehört, dass die internationale Sportförderung der Bundesregierung bereits seit 1961 – das sind über 50 Jahre – ein fester Bestandteil unserer Politik ist, nicht nur einzelner Parteien, sondern aller Parteien im Deutschen Bundestag. Dabei werden Werte wie Fairness, Toleranz und Weltoffenheit gelebt und vermittelt. Damit wird von unserer Seite auch ein großer Beitrag zur Völkerverständigung geleistet. Wir haben es gehört: Über 1 400 Lang- und Kurzzeitprojekte wurden in diesen über 50 Jahren im Sportbereich bereits durchgeführt. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass dies von uns allen sehr erfolgreich betrieben wurde. Wir führen diese erfolgreichen und partnerschaftlichen Projekte zusammen mit vielen Partnern durch. Der Deutsche Olympische Sportbund ist erwähnt worden. Der Deutsche Behindertensportverband wurde erwähnt. Ebenso zu nennen sind Universitäten wie Leipzig oder auch Mainz. Die vielen Langzeitprojekte, die durchgeführt wurden, sprechen ihre eigene Sprache. In den letzten zwei Jahren wurden immerhin vier solcher Langzeitprojekte abgeschlossen. 40 Kurzzeitprojekte kommen hinzu. Dieses Engagement der Bundesregierung drückt sich seit 2008 in einer hohen bundespolitischen Förderung aus. In dem uns vorliegenden Antrag der SPD können wir lesen, dass die Mittel für die internationale Sportförderung gekürzt wurden, was den sportbezogenen Maßnahmen Schaden zugefügt hat. (Martin Gerster [SPD]: Das stimmt ja auch!) – Das stimmt eben nicht in dem Maße. Wir sollten an dieser Stelle vielleicht einmal festhalten: Der Ansatz beim Titel für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik im Bundeshaushalt wurde erhöht (Dagmar Freitag [SPD]: Aber nicht für den Sport!) – wir kommen zum Sport zurück –, nämlich von 714 Millionen Euro auf 787 Millionen Euro. Im Vergleich zu 2013 war der Haushaltsansatz im Jahr 2009 um 41 Millionen Euro geringer. Wenn wir nun auf den Sport schauen, dann kommen wir zu der Überzeugung, dass unter Rot-Grün (Martin Gerster [SPD]: Ach!) die Mittel geringer waren. Das hat Joachim Günther sehr deutlich gesagt; das ist sehr klar zur Sprache gekommen. 2005 waren es 2,66 Millionen Euro. Im Vergleich dazu waren es im Jahr 2012 4,6 Millionen Euro. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Das ist keine Kürzung, sondern eine erhebliche Erhöhung. (Lachen des Abg. Martin Gerster [SPD]) Und Sie machen hier so einen Aufstand wegen 100 000 Euro! Ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass dies in einem nichtolympischen Jahr oder in einem Jahr, in dem keine Fußballweltmeisterschaft durchgeführt wird, nicht so ist. Frau Kollegin Freitag, Sie haben davon gesprochen, das Auswärtige Amt habe dem Kapitel „Internationale Sportförderung“ nur fünf Worte gewidmet. Da kann man doch sagen, dass pro Wort ungefähr 1 Million Euro durchkommt. Das ist, finde ich, eine recht ordentliche Summe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hat bei uns, bei der CDU/CSU, also einen hohen Stellenwert. Das werden wir auch in Zukunft so sehen. Wir werden der Rolle des Sports Unterstützung zuteilwerden lassen. Lassen Sie mich noch auf einen weiteren Punkt in Ihrem Antrag zu sprechen kommen. Sie kritisieren, dass das Auswärtige Amt bereits beschlossene Mittel bis kurz vor dem jeweiligen Jahresende zurückhalten würde. Das hört sich ja fast so an, als würde sich das Auswärtige Amt befleißigen, die vom Bundestag zugesprochenen Mittel zurückzuhalten und nicht ausgeben zu wollen. (Dagmar Freitag [SPD]: So ist es! – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Die Auffassung aller Fraktionen!) Die Wahrheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aber eine andere. (Dagmar Freitag [SPD]: Jetzt sind wir -gespannt!) Denn das Auswärtige Amt kann ja nicht nach Gutdünken eigene Projekte beginnen und Gelder ausgeben. Erst wenn die Höhe der für ein Jahr zur Verfügung stehenden Mittel bekannt ist, können von den Zuwendungsempfängern Anträge gestellt werden. Danach entscheidet das Auswärtige Amt, welche Projekte gefördert werden. Dieser Prozess bedarf einer sorgfältigen Auswahl, Planung und Durchführung. Ich halte die Praxis des Auswärtigen Amtes hier für durchaus sinnvoll und die pauschale Kritik an diesem Vorgehen für falsch. Wir haben gerade auch die pauschale Verurteilung gehört, dass hier Fußballlastigkeit vorherrschen soll. Es ist etwas ganz Normales, dass in bestimmten Ländern Fußball einfach zur sportlichen Kultur gehört. Ich war selber in Südafrika dabei. Dort können Sie beim besten Willen keine Skisprungschanze oder Turngeräte hinstellen, sondern da ist es relativ einfach, mit einem Ball, einem guten Trainer und einem Fußballexperten etwas zu tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Michael Brand [CDU/CSU]: Mit Fußball haben die Sozis es nicht so!) Deswegen bin ich der Auffassung, dass die CDU/CSU Ihrem Antrag nicht zustimmen kann und nicht zustimmen wird. Denn die geforderten Maßnahmen sind nicht so zielführend, wie Sie es für sich in Anspruch nehmen. Wir sind der Meinung, dass die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen die richtigen sind, und werden uns auch in Zukunft dafür einsetzen, dass Sport einen wesentlichen Anteil an der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik hat. Ich darf mich vielmals für Ihr Interesse bedanken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Wir danken Ihnen, Kollege Eberhard Gienger. Sie waren der letzte Redner in dieser Aussprache, die ich damit nun schließe. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Die Rolle des Sports in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11580, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9731 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Fraktion der Sozialdemokraten, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Linksfraktion. Enthaltungen? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme nun zu den Tagesordnungspunkten 11 a und 11 b: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht mit-einander verheirateter Eltern – Drucksache 17/11048 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/12198 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jan-Marco Luczak Burkhard Lischka Stephan Thomae Jörn Wunderlich Ingrid Hönlinger b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – zu dem Antrag der Fraktion der SPD Neuregelung der elterlichen Sorge bei nicht verheirateten Eltern – zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Dr. Diether Dehm, Heidrun Dittrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Neuregelung des Sorgerechts für nicht miteinander verheiratete Eltern – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Ingrid Hönlinger, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gemeinsames elterliches Sorgerecht für nicht miteinander verheiratete Eltern – Drucksachen 17/8601, 17/9402, 17/3219, 17/12198 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jan-Marco Luczak Burkhard Lischka Stephan Thomae Jörn Wunderlich Ingrid Hönlinger Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind alle damit einverstanden? – Dann haben wir das so gemeinsam beschlossen. Ich eröffne nun die Aussprache. Erster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Stephan Thomae. Bitte schön, Kollege Stephan Thomae. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stephan Thomae (FDP): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen, verehrte Kollegen! Meine Damen und Herren! Ist es für ein Kind nicht das Schönste, wenn beide Eltern in gemeinsamer Verantwortung die Sorge für es wahrnehmen? Kindeswohl, Verantwortung, gemeinsam: Das sind die Stichworte, die in dieser Beratung eine ganz zentrale Rolle gespielt haben – und das zu Recht. Die Wirklichkeit sieht häufig leider anders aus. Es gibt nicht immer ein Happy End, wenn Eltern sich streiten. Die Leidtragenden sind fast immer die Kinder; sie zahlen den Preis. Nun können wir als Gesetzgeber, auch wenn wir es gerne wollen, leider nicht den Feenstab zücken und Glück und Harmonie herbeizaubern, allen Zwist, allen Streit beiseiteräumen. Ein Drittel aller Kinder in Deutschland wird bereits nichtehelich geboren. Immerhin wird für ungefähr 50 Prozent dieser Kinder von den Eltern eine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben; sie können sich also über das Sorgerecht einigen. Für alle anderen Fälle aber muss der Gesetzgeber ein Verfahren finden. Zwei Entscheidungen, eine des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2009 und eine des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2010, haben uns den Auftrag erteilt, die elterliche Sorge für nichtehelich geborene Kinder neu zu regeln. Zugleich wurde eine Übergangsregelung geschaffen, die uns die Möglichkeit gegeben hat, ausgiebig und in aller Ruhe über dieses sehr schwierige und wichtige Thema zu diskutieren. Nun unkt die Opposition bisweilen, dass die Koalition sehr lange gebraucht hat, hier eine gesetzliche Regelung zu finden. Wenn es schneller gegangen wäre, hätte sie uns vermutlich vorgehalten, wir hätten etwas durch das Parlament gepeitscht. Wie man es auch macht, macht man es falsch. Ich persönlich finde es in Ordnung, dass wir uns Zeit gelassen haben, Erfahrungen gesammelt haben und diesen wichtigen Gesetzentwurf in aller Ruhe, ohne allzu großen Druck, beraten haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) In den Beratungen ging es den einen um die Mütterrechte, den anderen um die Väterrechte, wieder anderen um das richtige Familienbild. Man darf aber eines nicht vergessen: Es geht hier darum, die beste Lösung für die Kinder zu finden. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU] – Burkhard Lischka [SPD]: Genau!) Die einen sagen: Das Jugendamt muss immer einbezogen werden, und das Gericht muss ein volles Verfahren durchführen, um jede Kindeswohlgefährdung auszuschließen. Unser Ansatz ist, zu sagen: Zuerst einmal sind doch die Eltern in der Verantwortung. Auch in der Ehe schaffen sie es in aller Regel, die beste Lösung für ihre Kinder zu finden. Man muss sich vor Augen halten, dass es beim Sorgerecht nicht um die tägliche Erziehung geht, nicht um das Recht der Kinder auf Umgang mit dem Elternteil, bei dem sie nicht leben, sondern um wenige, aber wichtige Schlüsselentscheidungen im Leben eines Kindes, beispielsweise um die Schulwahl oder um wichtige medizinische Eingriffe. Da ist es doch gut, wenn sich der Vater in der Verantwortung sieht, wenn er bei der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung mitwirken will. Das ist doch genau das, was wir eigentlich wollen sollten. Es sollte normal sein, dass Väter mitentscheiden wollen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deswegen hätte ich ganz gut ohne eine obligatorische gerichtliche Beteiligung, ohne ein obligatorisches gerichtliches Antragsverfahren auskommen können. Das hätte die Justiz entlastet. Aber man muss eben sehen, dass es hier unterschiedliche Annäherungsweisen gibt. Deswegen gab es eine intensive Diskussion über die Rolle der Gerichte in diesem Verfahren. Das Ergebnis, das wir heute beschließen werden, ist: Wenn die Eltern nicht ohnehin eine gemeinsame elterliche Sorgeerklärung abgeben, kann der Vater bei Gericht einen Antrag auf Erteilung der gemeinsamen elterlichen Sorge stellen. Wenn die Mutter innerhalb einer Frist, die frühestens sechs Wochen nach der Geburt des Kindes endet, keine kindeswohlrelevanten Einwände gegen die gemeinsame elterliche Sorge vorträgt, dann soll das Gericht die gemeinsame elterliche Sorge in einem vereinfachten und beschleunigten Verfahren erteilen. Wenn aber das Gericht Hinweise darauf erhält, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl widersprechen könnte, dann soll ein normales Verfahren durchgeführt werden. Das halte ich für eine sachgerechte Lösung. Die Quintessenz ist, dass die Schwelle für die Väter nicht allzu hoch sein soll, wenn es darum geht, zu einer gemeinsamen elterlichen Sorge zu gelangen, andererseits aber für die Mütter keine unnötig hohen Hürden errichtet werden sollen, wenn es darum geht, in ein normales Gerichtsverfahren einzutreten. Das ist doch eine ausbalancierte Lösung, die den berechtigten Anliegen beider Seiten, der Mütter und der Väter, Rechnung trägt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Diskussion um das Sorgerecht ist teilweise von ganz erbitterten Auseinandersetzungen geprägt. Beim Streit um das Kind bleibt leider oft viel Verbitterung zurück. Jeder von uns kennt tragische Fälle. Oft ist es schwierig, diese Gefühle zu überwinden und auf eine sachliche Diskussionsebene zu kommen. Das ist uns aber, wie ich meine, in den parlamentarischen Beratungen gelungen. Deswegen möchte ich ausdrücklich allen Kolleginnen und Kollegen Mitberichterstatterinnen und -erstattern, dem Haus sowie dem Justizministerium, der Ministerin und dem Staatssekretär, meinen Dank aussprechen. Wir haben ungefähr drei Jahre lang sehr intensiv an diesem schwierigen, emotionalen Thema gearbeitet. In unsere Lösung sind viele Anregungen eingeflossen. Ich würde mir wünschen, dass das Gesetz unaufgeregt angewandt wird und die Chance zur Bewährung erhält, dass das Kindeswohl in den Mittelpunkt rückt und Befindlichkeiten der Eltern dahinter zurückstehen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Stephan Thomae. – Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Burkhard Lischka. Bitte schön, Kollege Lischka. (Beifall bei der SPD) Burkhard Lischka (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fassen wir einmal nach dieser dreijährigen Diskussion über das Sorgerecht nicht verheirateter Eltern kurz zusammen, was gut und was schlecht ist an dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung: (Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Nur -Gutes!) Erstens. Gut ist, dass künftig nicht mehr ein Wink der Mutter ausreicht, um den Vater des gemeinsamen Kindes von Wickelkommode und Schulhof zu verbannen. Ein bloßes Nein der Mutter wird nicht mehr ausreichen, um ein gemeinsames Sorgerecht zu verhindern. Das ist gut, das ist ein echter Fortschritt. Darüber sind wir uns alle einig. Denn jedes Kind hat ein Recht auf Papa und Mama, auch das nichteheliche. Aber dieser Fortschritt, lieber Kollege Thomae, ist nicht unbedingt ein Verdienst dieser Bundesregierung, sondern aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Deshalb sehen Sie es mir nach, dass ich Ihnen dafür heute keine Lorbeerkränze binde. (Beifall bei der SPD) Zweitens. Gut ist, dass zwei Drittel der nicht verheirateten Eltern dieses Gesetz gar nicht brauchen. Diese geben nämlich schon heute eine gemeinsame Sorgeerklärung ab, häufig unmittelbar nach der Geburt. Diesen Eltern möchte ich heute an dieser Stelle ganz einfach Danke sagen; denn ihre Kinder brauchen beide Elternteile – bei verlorenen Kuscheltieren ganz genauso wie bei überstrengen Grundschullehrern oder beim ersten Liebeskummer. Damit komme ich drittens zu der Minderheit der nicht verheirateten Eltern, die sich nicht dazu durchringen können, eine gemeinsame Sorgeerklärung abzugeben und ihre Verantwortung für das gemeinsame Kind zu teilen. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe, und jeder Fall ist anders. Aber eines haben alle diese Fälle -gemeinsam: Es geht um das Sorgerecht, und beim Sorgerecht geht es um das Kindeswohl. Das Kindeswohl ist aber keine Nebensache, über die man in einem Verfahren nach Aktenlage entscheiden kann. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Das ist auch der Grund, warum die gerichtliche Praxis diese Sorgerechtsreform ganz einhellig missbilligt – ich sage, zu Recht. Denn über das Kindeswohl entscheidet man nicht in einem Hopplahopp-Verfahren. Sie missbrauchen hier den Familienrichter als eine Art Verwaltungsbehörde. Er liest den schriftlichen Antrag des Vaters, er liest die schriftliche Antwort der Mutter, und dann soll er den Daumen heben oder senken, ohne jemals mit den Betroffenen ein Wort gewechselt zu haben. Wer so mit dem Kindeswohl in unserem Land umgeht, der stellt hier falsche Weichen. Deshalb lehnen wir Sozialdemokraten diesen Gesetzentwurf ab. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wichtig ist doch, wie es den betroffenen Kindern am Ende des Verfahrens geht. In dieser Hinsicht löst dieses beschleunigte Verfahren überhaupt nichts. Wenn sich die Eltern beispielsweise in Feindschaft verbissen haben, dann sollte man sie an einen Tisch holen, mit ihnen sprechen und mit ihnen überlegen, was die beste Lösung für das gemeinsame Kind ist. Denn eines ist dem Kindeswohl ganz sicher nicht förderlich: sich streitende Eltern. Aber diese gemeinsame Suche nach guten Lösungen sieht Ihr Gesetzentwurf gerade nicht vor. Sie favorisieren im Regelfall ein beschleunigtes Verfahren, in dem über die Köpfe der betroffenen Eltern und Kinder hinweg entschieden wird. (Stephan Thomae [FDP]: Wenn keine Einwände erhoben werden!) Das ist praxisfern, das ist schlecht. Dieser Gesetzentwurf ist ein lauer Kompromiss. Er ist vielleicht gut gedacht, aber nicht gut gemacht. Insofern hat diese Bundesregierung auch im Bereich des Sorgerechts mal wieder eine Chance vertan. Recht herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Burkhard Lischka. – Nächste Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU ist unsere Kollegin Ute Granold. Bitte schön, Frau Kollegin. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ute Granold (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein wichtiger Tag. Wir entscheiden nach langer Beratung über ein ganz wichtiges Thema: die gemeinsame Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern. Es liegen einige Anträge der Fraktionen vor. Wir haben dieses Thema in diesem Haus lange debattiert. Das zeigt, wie wichtig es uns allen ist. Deshalb wären wir froh, wenn wir heute zu einem Ergebnis kämen, das von allen getragen wird. Darum haben wir uns in der langen Zeit der Beratungen bemüht. Kollege Thomae hat bereits ausgeführt, dass etwa 55 bis 60 Prozent der nicht verheirateten Eltern schon heute eine gemeinsame Sorgeerklärung beim Jugendamt abgeben. Wir haben jetzt eine Regelung für diejenigen zu treffen, die das nicht machen. Eine Erhebung hat ergeben, dass in der Regel sachfremde Erwägungen vorgetragen wurden, warum die gemeinsame Sorge nicht erklärt wurde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht haben entschieden, dass es dem Vater ermöglicht werden muss, eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, wenn die Mutter einer gemeinsamen Sorge entgegensteht. Wir hätten es bei der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts belassen können; denn ab diesem Zeitpunkt bestand die Möglichkeit, eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Wir hätten keine gesetzliche Regelung vornehmen müssen; aber wir haben es getan. Im Laufe der Zeit wurde nämlich quer durch die Republik recht unterschiedlich von den Familiengerichten entschieden, aber auch in zweiter Instanz. Deshalb haben wir eine Regelung angestrebt. Es gab drei Möglichkeiten, die wir debattiert haben, immer mit Blick auf das Kindeswohl. Bei Feststellung oder Anerkennung der Vaterschaft gilt per Gesetz die gemeinsame elterliche Sorge. In diesem Fall besteht das Problem, dass der Vater zu einem Sorgerecht genötigt werden kann. Es gibt Fälle, wo der Vater das aber gar nicht möchte. Er möchte vielleicht den Umgang, aber kein Sorgerecht. Deshalb soll das nicht der Regelfall sein. Wir sagen: Die Antragslösung ist der Mittelweg. Der Vater stellt bei Gericht den Antrag auf Erteilung des Rechts auf Mitsorge, Alleinsorge oder Teilsorge. All das ist möglich, wenn es dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das ist ein ganz schneller und niederschwelliger Weg für eine gemeinsame elterliche Sorge. Dies muss immer vor dem Hintergrund gesehen werden, dass es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes möglich gewesen wäre, per Gesetz eine elterliche Sorge festzulegen. Insofern verstehe ich die Einwände nicht, dass im beschleunigten bzw. vereinfachten Verfahren über die Köpfe der Eltern hinweg entschieden wird. So ist es nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie mich noch etwas zum Verfahren sagen. Es wurde auch eine dritte Möglichkeit diskutiert. Danach sollte der Vater einen Antrag auf gemeinsame Sorge stellen, und wenn die Mutter nicht binnen einer bestimmten Frist widerspricht, gilt die gemeinsame Sorge. Für uns ist das keine Lösung. Es wäre auch ein systemfremder Verfahrensweg; wir kennen so etwas im Familienrecht nicht. Wir meinen, dass die Antragslösung ein guter Mittelweg ist. Wir haben das in der Fraktion und in der Koalition lange diskutiert. Der Kollege Thomae sagte gerade, er könne auch mit einer gesetzlichen Regelung ab Geburt leben. Verschiedene in unserer Fraktion waren ebenfalls dieser Meinung. Auch die SPD-Fraktion hat sich lange damit auseinandergesetzt. Aber dann wurde dieser Kompromiss geschlossen. Wir wollen eine niederschwellige, das heißt negative Kindeswohlprüfung. Ein Kind braucht Mutter und Vater für eine gedeihliche Entwicklung. Warum soll der Vater ausgeschlossen sein oder vortragen, dass er ein guter Vater ist? Wir sind der Auffassung, dass das dem Kindeswohl entspricht, dass ein Kind Mutter und Vater braucht. Die Mutter müsste im Verfahren vortragen, dass es Gründe gibt, die einer gemeinsamen Sorge widersprechen. Das müssen keine Schriftsätze, keine Rechtsausführungen sein. Sie kann in einfachen Worten sagen: „Ich habe Probleme mit einer gemeinsamen Sorge, weil …“. Dann geht man automatisch von dem vereinfachten schriftlichen Verfahren in das beschleunigte Verfahren. Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot ist die Neuerung, die wir damals im FamFG festgelegt haben. Dieses Verfahren soll binnen vier Wochen terminiert werden. Das ist zumutbar. Zu den Fristen: Im Gespräch war zum einen die Frist per Gesetz, also sofort, ab Geburt, zum anderen eine Frist von 16 Wochen. Das ist eine lange Zeit. Wir bleiben bei den sechs Wochen; wir halten das für angemessen. Die Mutter hat sechs Wochen Zeit, sich Gedanken zu machen und sich zu äußern. Ich muss dazusagen – ich habe es in diesem Haus schon einmal gesagt –: Die Schwangerschaft fällt ja nicht vom Himmel. Die Frau ist neun Monate schwanger und weiß, dass sie nicht verheiratet ist und das Thema der gemeinsamen Sorge ansteht. Ich meine, dass die Mutter nicht unter Druck gesetzt wird, wenn sie nach sechs Wochen eine Entscheidung treffen soll und das Gericht dann entscheidet. In der Anhörung wurde ein breites Spektrum an Möglichkeiten für eine Regelung aufgezeigt, die die Verbände bis heute Nachmittag nochmals vorgetragen haben. Auch die Sachverständigen waren unterschiedlicher Meinung, was das Verfahren angeht. Das Gericht soll im schriftlichen vereinfachten Verfahren auf Antrag des Vaters über die gemeinsame elterliche Sorge entscheiden. Dieses Verfahren soll schnell erfolgen. Es beinhaltet eine Regelung, die jederzeit in das beschleunigte Verfahren übergehen kann. Zuerst hatten wir eine Mussvorschrift vorgesehen. Das heißt, es war vorgesehen, dass im schriftlichen vereinfachten Verfahren entschieden werden muss. Das haben wir nach der Anhörung geändert. Nun soll im schriftlichen Verfahren entschieden werden. Dadurch besteht für das Gericht in besonderen Fällen die Möglichkeit, in anderer Weise, nämlich im Vorrang- und Beschleunigungsverfahren, zu entscheiden. Nach wie vor besteht die Möglichkeit, dass schon mit der Geburt per einstweiliger Anordnung eine Entscheidung herbeigeführt wird, also auch innerhalb der sogenannten Karenzzeit von sechs Wochen. Wir denken dabei an den Fall der Beschneidung am achten Tag. Wir denken dabei an einen Streit über eine Operation, über die Namensgebung, über die Religionszugehörigkeit. Für den Vater muss die Möglichkeit bestehen, bei wichtigen Fragen per einstweiliger Anordnung eine Entscheidung herbeizuführen. Nach wie vor besteht auch die Möglichkeit, dass man die gemeinsame Sorgeerklärung außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens beim Jugendamt abgibt. Das ist uns natürlich am liebsten; denn es ist immer besser, wenn es gar nicht erst zu einem gerichtlichen Verfahren kommt. Wenn es aber doch dazu kommt, soll es für den Vater niederschwellig möglich sein, die gemeinsame elterliche Sorge zu erlangen, weil das Kind sowohl Mutter als auch Vater braucht. Wir sind der Meinung, dass diese Lösung dem Kindeswohl am ehesten entspricht. Es ist eine gute Lösung. Sie stellt einen Mittelweg dar. Wir werben dafür, dass Sie diesen Weg mit uns gehen. Wir werden natürlich im Laufe der Zeit überprüfen, ob die getroffenen Regelungen fruchten, ob sie einen guten Weg darstellen oder ob man in dem einen oder anderen Fall, beispielsweise was Fristen oder Verfahren angeht, Korrekturen vornehmen muss. Zunächst sind wir der Auffassung, mit der Niedrigschwelligkeit im materiellen Recht und der Beschleunigung im Verfahrensrecht eine tragbare Lösung gefunden zu haben. Ich freue mich, dass nach den Berichterstattergesprächen, aber auch den informellen Gesprächen, Bündnis 90/Die Grünen bereit sind, zuzustimmen und diesen Weg mitzugehen. Dafür bedanke ich mich. Wir werden heute über eine gute Regelung abstimmen. Dafür bedanke ich mich. Dies ist im Interesse der Kinder, der Eltern und insbesondere der Väter, um die es heute im Wesentlichen geht. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Jörn Wunderlich. Bitte schön, Kollege Jörn Wunderlich. (Beifall bei der LINKEN) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Art. 6 Abs. 2 GG heißt es wörtlich: Pflege und Erziehung der Kinder sind das natür-liche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Die Rede ist von Eltern; von verheirateten Eltern steht hier nichts. Das war vielleicht auch mit der Grund, warum der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte vor über drei Jahren entschieden hat, dass hier in Deutschland das Sorgerecht von nicht verheirateten Eltern zu regeln ist und nicht, wie der Kollege Lischka schon gesagt hat, mit einem einfachen Nein der Mutter die Sorge des Vaters verhindert werden kann. Heute wird dies endlich neu geregelt; lange genug hat es gedauert. Es ist intensiv beraten worden. In der ersten Lesung zum vorliegenden Gesetzentwurf bzw. zu der Problematik als solcher ist bereits darauf hingewiesen worden, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, das Sorgerecht neu zu regeln: die Antragslösung, die Widerspruchslösung, die sogenannte große Lösung, also elterliche Sorge kraft Gesetz. Man muss sich fragen: Was ist für Kinder das Beste? Ich denke, wir sind uns alle einig, dass die gemeinsame Sorge der Eltern per se nicht das Schlechteste ist. Vier von den acht Sachverständigen in der Anhörung haben sich für die große Lösung ausgesprochen, also die elterliche Sorge beider Elternteile kraft Gesetz. Nun ist es so: Keiner der Anträge verfolgt im Ergebnis die große Lösung, obschon es etliche Abgeordnete, ohne Ansehen der Fraktion, gibt, die diese Lösung präferieren. Im Antrag meiner Fraktion, der Linken, heißt es unter anderem: Eltern erhalten, unabhängig von ihrem eherecht-lichen Status, mit der Anerkennung der Vaterschaft ein gemeinsames Sorgerecht, sofern der Vater die Übernahme der gemeinsamen Sorge erklärt. Es handelt sich also um eine elterliche Sorge kraft Gesetz, verbunden mit einer Erklärung des Vaters, dass er die Sorge auch übernehmen will. Insoweit wurde im Rahmen der Anhörung der Antrag der Linken von einigen Sachverständigen als leicht abgewandelter Automatismus ausdrücklich als der weitestgehende und geeignetste Vorschlag angesehen. Konkrete Gründe, die gegen unseren Antrag sprechen, sind mir bis heute nicht genannt worden. Ich denke, letztlich würde nur dieser Automatismus – frei von anachronistischen Rollenbildern und Klischees – einer modernen, gleichberechtigten Gesellschaft entsprechen. (Beifall bei der LINKEN) Nach wie vor lautet die Frage – die Frage bleibt einfach –: Warum muss ein Vater, wenn er seiner grundrechtlich auferlegten Pflicht, sich um sein Kind zu kümmern, für sein Kind zu sorgen, nachkommen will, erst einen Antrag bei Gericht stellen? Oder: Warum müssen Eltern, die die faktische Sorge ausüben, möglicherweise einen Antrag bei Gericht stellen? Nun gut, es gab verschiedene Möglichkeiten. Wir haben verschiedene Anträge aus allen Fraktionen vorliegen. Der Gesetzentwurf setzt letztlich die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um – jetzt ist aber die Uhr gesprungen –; – Vizepräsident Eduard Oswald: Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe eine eigene Uhr. Es geht alles in Ordnung. Ich habe es fest im Griff. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): – die Umsetzung aber ist minimalistisch und halbherzig, nicht zukunftsweisend. Immerhin ist ein Kritikpunkt, der in der Anhörung zur Sprache kam – das ist hier schon angesprochen worden –, leicht verbessert worden: das Schnellverfahren ohne Anhörung der Beteiligten, nach Aktenlage. Es geht hier um das Sorgerecht. Es geht um Kinder. Es geht um wirklich richtungsweisende Entscheidungen. Aus der sogenannten Istvorschrift ist eine Sollvorschrift geworden. Das ist eine minimale Verbesserung. Nun kann man natürlich sagen: Mein Gott, warum regt sich die Linke darüber auf, dass man nach Aktenlage entscheidet, wenn gleichzeitig der Automatismus im Sorgerecht präferiert wird? (Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Eben! Ja, genau! Antwort?) Darin besteht aber kein Widerspruch. Wenn die gemeinsame elterliche Sorge besteht, kraft Gesetz, möglicherweise durch die Zusatzerklärung des Vaters, kann jeder Elternteil, wenn sich die Eltern trennen oder über das Sorgerecht streiten, nach § 1671 BGB, wie Eheleute auch, die elterliche Sorge für sich allein oder Teile der elterlichen Sorge beantragen. Das geht eben nicht ausschließlich in einem Schnellverfahren. Sobald die Gerichte damit befasst sind – am besten wäre es, sie müssten sich gar nicht damit befassen; das sollten die Eltern eigentlich schiedlich-friedlich miteinander klären –, darf nicht nach Aktenlage im Schnellverfahren entschieden werden. Zu dem Antrag der Grünen muss man sagen: Er ist nicht falsch, er ist aber der bürokratischste. Der Antrag von der SPD ist auch nicht falsch, unser ist aber weiter gehend. Zu dem Entschließungsantrag der Grünen, der jetzt noch vorgelegt wurde, nach dem evaluiert werden soll, sage ich: Das muss man mal sehen. (Stephan Thomae [FDP]: Unser ist auch nicht falsch!) Ich sage es einmal so: Da wurden mal schnell drei Punkte formuliert; das reicht nicht aus. Man kann sich aber bei allen Anträgen positiv enthalten. Vizepräsident Eduard Oswald: Herr Kollege, jetzt ist die Uhr gesprungen. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Okay. – Letzter Satz: Die Zukunft wird zeigen, wie sich das Sorgerecht zum Wohle der betroffenen Kinder weiterentwickelt; denn diese müssen im Zentrum all unserer Überlegungen stehen. Wir sind noch nicht am Ende der Überlegungen. Oder, um es mit Oscar Wilde zu sagen: Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Katja Dörner. Bitte schön, Frau Kollegin Katja Dörner. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist Ihnen aus den Beratungen in den Ausschüssen schon bekannt: Wir werden dem Gesetzentwurf heute Abend zustimmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir tun das, weil wir der Ansicht sind, dass die darin -getroffenen Regelungen ein vernünftiger Kompromiss sind. Aus unserer Sicht werden die Interessen und die Rechte der Kinder, der Mütter und der Väter in einen tatsächlich gut ausgewogenen Ausgleich zueinander gebracht. Ich bin auch der Meinung, dass sich dieses Thema nicht für irgendwelche parteipolitischen Profilierungen eignet. Man sollte auch nicht versuchen, das berühmte Haar in der Suppe zu finden, zumal wir alle, die wir hier sitzen und darüber diskutieren – ich glaube, das ist auch in der Debatte heute Abend deutlich geworden –, wissen, dass in allen Fraktionen die gleichen Argumente vorgebracht wurden und sie vor dem Hintergrund unterschiedlicher Perspektiven abgewogen wurden. Es fällt uns natürlich auch deshalb leicht, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, weil sich der Vorschlag der Bundesregierung weitgehend mit den Eckpunkten der Grünen deckt, die wir schon im Herbst 2010 vorgelegt haben. Ich bleibe dabei, wenn auch mit einem kleinen Augenzwinkern, dass ein dezenter Hinweis auf unser Copyright bei den Regelungen im Gesetzentwurf an der einen oder anderen Stelle durchaus angemessen gewesen wäre. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Kein Copyright bei Gesetzentwürfen!) Es ist allerdings nicht nachvollziehbar – das muss ich sagen; das ist aus meiner Sicht auch keine Unkerei –, dass es so lange gedauert hat, bis Schwarz-Gelb überhaupt einen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts wäre es angemessen und sicherlich auch möglich gewesen, einen Gesetzentwurf schneller auf den Weg zu bringen. Ich erinnere mich auch an die Aussagen der Justizministerin, die ursprünglich einen Gesetzentwurf für den Herbst 2010 angekündigt hatte. Jetzt ist es 2013. Im Sinne der Kinder und der betroffenen Eltern wäre aus unserer Sicht sicherlich ein schnelleres Verfahren wünschenswert gewesen. Aber ich sage an dieser Stelle: Schwamm drüber. Es geht uns ja gemeinsam um die Sache, nämlich darum, dass unverheiratete Väter zukünftig auf einem einfachen Weg, in einem wirklich niedrigschwelligen Verfahren das Sorgerecht für ihre Kinder bekommen können. Das wird mit den nun vorgeschlagenen Regelungen möglich. Wir begrüßen das. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Anhörung im Rechtsausschuss hat aber auch gezeigt, dass bei einigen Aspekten im Gesetzentwurf ein Fragezeichen durchaus angebracht wäre. Deshalb haben wir heute Abend unseren Entschließungsantrag vorgelegt. In diesem fordern wir die Bundesregierung auf, bei der sowieso geplanten Evaluierung des Gesetzentwurfs auf bestimmte Aspekte ein besonderes Augenmerk zu richten. Dabei handelt es sich aus unserer Sicht vorrangig um die Frage, ob das Familiengericht tatsächlich der richtige Ort ist, an dem der Vater den Antrag auf Sorgerecht stellt, oder ob das nicht doch eine etwas zu hohe Hürde ist und das Jugendamt nicht eher geeignet wäre. Der zweite aus unserer Sicht wichtige Punkt ist die Frage der Frist für einen möglichen Widerspruch der Mutter. Der dritte für uns sehr wichtige Punkt ist die Frage, ob die Beratungs- und Mediationsangebote tatsächlich bereitgestellt und genutzt werden bzw. was man in diesem Zusammenhang im Sinne einer frühzeitigen Konfliktvermeidung oder Konfliktlösung zwischen den Elternteilen noch tun könnte. Wir würden uns über Zustimmung zu unserem Entschließungsantrag sehr freuen. Es ist sicherlich sachgerecht, bei einem derart neuen Verfahren beim Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern ganz genau auf die Konsequenzen zu achten, zumal wir alle wissen, dass wir es zum Teil mit höchst konfliktträchtigen Konstellationen zu tun haben. Alles in allem machen wir heute im Sinne der Kinder und auch im Sinne der Eltern einen echten Schritt nach vorne. Darüber freuen wir uns als Grüne. Wir stimmen – dies ist eine eher untypische Konstellation – diesem Gesetzentwurf zu. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Norbert Geis. Bitte schön, Kollege Norbert Geis. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne Zweifel ist es eine der vordringlichsten und wichtigsten Aufgaben beider Elternteile, die Kinder zu erziehen, für sie Sorge zu tragen und für die Kinder da zu sein. Durch die liebende Zuwendung, durch die sorgende Zuwendung der Eltern entstehen in den Kindern Geborgenheit und Vertrauen, das Urvertrauen, das, wie uns die Sachverständigen sagen, für die Erlernung der Daseinskompetenz in jüngsten Jahren unbedingt erforderlich ist. Es besteht auch kein Zweifel – das möchte ich hier betonen –, dass diese Voraussetzungen am ehesten in der Familie geschaffen werden können. Wenn Vater und Mutter in der Ehe zusammenleben und die Familie bilden, ist am ehesten die Voraussetzung gegeben, dass diese Daseinskompetenz entsteht. Deswegen geht unsere Rechtsordnung auch davon aus, dass Vater und Mutter unmittelbar bei Geburt, wenn sie in Ehe vereint sind, wenn sie verheiratet sind, das Sorgerecht bekommen. Das ist nicht so, wenn Vater und Mutter getrennt leben, wenn sie zumindest nicht eine Ehe eingegangen sind, wenn sie vielleicht sogar im Streit miteinander sind. Für solch einen Fall haben wir in diesem Gesetzentwurf vorgesehen – das war auch schon bei der großen Kindschaftsrechtsreform Ende der 90er-Jahre so –, dass dann zunächst die Mutter das Sorgerecht hat. Das hat seinen Grund in der ganz natürlichen Gegebenheit, dass die Mutter zuerst das engste Verhältnis mit dem Kind hat. Die Erziehung beginnt ja schon in der Schwangerschaft. Viele Psychologen und Sachverständige haben dargelegt, dass Mütter schon in der Schwangerschaft mit ihrem Kind sprechen und durch dieses Sprechen eine Verbindung zum Kind entsteht. Das ist, glaube ich, eine wichtige Feststellung. Bei der großen Kindschaftsrechtsreform Ende der 90er-Jahre wurde entschieden, dass zunächst die Mutter das alleinige Sorgerecht haben soll. Mittlerweile wurde auch entschieden, dass die Mutter das alleinige Sorgerecht behalten soll, wenn sie dem Antrag bzw. dem Willen des Vaters, auch das Sorgerecht zu erhalten, widerspricht. Wenn sie das tut, hat der Vater keine Chance mehr. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat erklärt, dass diese Regelung gegen die Menschenrechte verstößt. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil aus dem Jahre 2010 erklärt, dass diese Regelung verfassungswidrig ist, weil sie gegen Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes verstößt. Insofern sind wir veranlasst, eine Regelung zu finden. Dazu sind wir aber nicht nur deswegen aufgefordert, weil diese Regelung verfassungswidrig ist, sondern auch – das will ich dazusagen –, weil die Zahl der Kinder, die nicht in einer Ehe geboren werden, im Laufe der Zeit immer mehr zugenommen hat. Heutzutage kommen schon ein Drittel aller Kinder nicht unter den Rahmenbedingungen, die ich vorhin genannt habe, zur Welt. (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Welt dreht sich trotzdem weiter, Herr Geis!) Das hat die Politik zu berücksichtigen. An diesem Faktum kann und darf die Politik nicht vorbeigehen. All denjenigen, die diesen Gesetzentwurf kritisieren, weil sie meinen, er gehe zu weit, möchte ich sagen: Wir sind dazu da, Regelungen zu finden, die vom Volk insgesamt akzeptiert werden können. Ich meine, dass dieser Gesetzentwurf dieses Ziel erreicht. Sicherlich kann man darüber streiten, wie das funktionieren soll, wenn ein Vater einen entsprechenden Antrag stellt und die Mutter widerspricht. In diesem Fall wird es eine streitige Auseinandersetzung geben. Dann kann der Richter einschreiten. Er kann Vater und Mutter anhören – er kann meinetwegen auch das Jugendamt anhören –, und er kann vielleicht sogar dazu beitragen, dass das herauskommt, was Herr Lischka erwähnt hat: dass die Eltern, wie in zwei Drittel aller Fälle, das gemeinsame Sorgerecht haben, auch wenn sie nicht in einer Ehe zusammenleben. Wenn das aber nicht der Fall ist, wenn es also zu einer heftigen Auseinandersetzung kommt, dann muss der Richter entscheiden. Entscheidend ist dabei allein das Kindeswohl. Allerdings kann man darüber nachdenken, ob die negative Feststellung des Kindeswohls ausreicht. Man könnte, wenn es einem wirklich um das Kindeswohl geht, überlegen, ob es, wenn Vater und Mutter verbissen gegeneinander vorgehen, nicht besser wäre, eine positive Feststellung vorzunehmen: dass das Sorgerecht des Vaters dem Wohl des Kindes nicht entgegensteht, sondern dass das Sorgerecht des Vaters für das Wohl des Kindes förderlich ist. Eine solche Regelung ist in diesem Gesetzentwurf aber nicht enthalten. Dennoch meine ich, dass die gefundene Regelung auch so hinnehmbar ist. Des Weiteren möchte ich sagen: Darüber, ob die Sechswochenfrist, über die wir ja lange gestritten haben, ausreicht, muss die Praxis entscheiden. Die Praxis muss auch darüber entscheiden, ob es richtig ist, dass der Richter ganz automatisch, nur weil eine gesetzliche Vermutung dafürspricht, entscheiden muss, dass der Vater das Sorgerecht bekommt, wenn sich die Mutter bis zum Ablauf der Sechswochenfrist nicht dagegen gewehrt hat. Ob das so ganz richtig ist, ist die Frage. Darüber muss, wie gesagt, die Praxis entscheiden. Gegen diese Regelung gibt es Bedenken. Diese Bedenken kann man teilen, Herr Lischka und Herr Wunderlich. Aber ich glaube, wir sollten es versuchen. Warten wir ab, wie die Praxis entscheidet und ob sich die getroffene Regelung in der Praxis bewährt. Ich glaube, dass wir dann durchaus eine Korrektur vornehmen könnten. Weil dieser Gesetzentwurf wichtig ist, schließe ich mich der Bitte von Frau Granold an: Versuchen wir doch, hier eine gemeinsame Entscheidung zu treffen! Ich jedenfalls bin sehr für diesen Gesetzentwurf. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Norbert Geis. – Für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Sonja Steffen. Bitte schön, Frau Kollegin Sonja Steffen. (Beifall bei der SPD) Sonja Steffen (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Fast könnte man meinen, die klassische Familie mit einem verheirateten Elternpaar sei ein Auslaufmodell; denn immer mehr Kinder in Deutschland wachsen bei Alleinerziehenden oder bei Paaren ohne Trauschein auf. Im Osten der Republik sind übrigens nicht ein Drittel der Eltern, sondern fast die Hälfte der Eltern nicht verheiratet. In den neuen Bundesländern leben also nur in circa jeder zweiten Familie die Eltern mit Trauschein zusammen. Die Rechtsprechung hat – das wissen wir alle – mit diesem neuen Familienbild viel zu tun, insbesondere was das Sorgerecht angeht. Nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts musste eine angemessene Regelung der elterlichen Sorge für ein Kind nicht miteinander verheirateter Eltern gefunden werden. Das ist zugegebenermaßen keine leichte Entscheidung, zumal die gesellschaftliche Bedeutung, wie gesagt, sehr groß ist. Die Palette der Beziehungen der Eltern zueinander reicht von einer flüchtigen Bekanntschaft – möglicherweise nur einer Nacht – bis hin zu einer langjährigen eheähnlichen Beziehung. Entgegen ersten Ankündigungen einer raschen Umsetzung der gerichtlichen Entscheidungen – wir haben schon gehört, dass das Gesetz ursprünglich schon im Herbst 2010 angedacht war – hat sich die Regierungs-koalition für die Reform des Sorgerechts ungewöhnlich viel Zeit gelassen. (Anton Schaaf [SPD]: So ist das!) Dies lag wohl zu einem großen Teil an den unterschiedlichen Familienbildern, die die Mitglieder der Koalition schlecht unter einen Hut bringen konnten. (Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Ich finde, es ist doch gut geworden!) Was dabei herausgekommen ist, überzeugt die Fraktion der SPD nicht, auch nicht nach der Debatte. Ich sage Ihnen auch, warum dies so ist: Sie wollen für Sorgerechtsanträge der Väter ein Schnellverfahren einführen – mein Kollege Lischka hat es, glaube ich, Hopplahopp-Verfahren genannt –: Wenn die Mutter das gemeinsame Sorgerecht nicht will, dann kann der Vater wählen, ob er zunächst über das Jugendamt eine Einigung mit der Mutter anstrebt oder ob er sich direkt an das Familiengericht wendet. Ist die Begründung der Mutter in diesem fami-liengerichtlichen Verfahren nicht überzeugend oder verpasst sie die Sechswochenfrist, dann kann das Gericht nach Aktenlage über ein gemeinsames Sorgerecht entscheiden. Diese Sechswochenfrist endet für die Mutter übrigens frühestens sechs Wochen nach der Geburt. Ich habe schon in der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes gesagt: Ich halte diese Frist für viel zu kurz. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU]: Was ist mit den neun Monaten davor?) Der Kollege Geiß hatte vorhin auch schon seine Zweifel. Erinnern wir uns daran – gerade die von uns, die Mütter sind, aber auch die, die Väter sind –, wie aufregend die Zeit nach der Geburt ist! Eine Frist von sechs Wochen – und das, wenn die Mutter alleinerziehend ist, der Vater ihr nicht zur Seite steht, man im Streit ist – halte ich gerade in dieser Zeit nach der Geburt für erheblich zu kurz, um sich mit Sorgerechtsdingen zu beschäftigen, sich einen Anwalt zu suchen und dafür zu sorgen, dass ein vernünftiger Schriftsatz aufgesetzt wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) In dem Fall, dass die Mutter die Frist verpasst oder die Begründung dem Gericht nicht ausreicht, kann der Richter zukünftig tatsächlich wie eine Art Verwaltungsbehörde ohne persönliche Anhörung der Eltern – ohne sie jemals zu Gesicht bekommen zu haben – und ohne Anhörung des Jugendamtes nach Aktenlage entscheiden. (Stephan Thomae [FDP]: Dann gibt es den -Beschwerdeweg!) Konfliktbelasteten Beziehungen, um die es bei diesen Entscheidungen eigentlich immer geht, wird diese Regelung nicht gerecht. Wenn das Gericht entscheidet, ohne die Eltern gesehen zu haben, wird der Streit unter den Parteien vielleicht eher noch heftiger werden. Im Gerichtssaal der Familiengerichte – das wissen alle Familienrechtler unter uns – wird versucht, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Da sitzen die Parteien nebeneinander, da ist das Jugendamt vertreten, da ist inzwischen auch ein Verfahrensbeistand zugegen, und man sucht gemeinsam nach einer Lösung, überlegt vielleicht, ob man die Eltern zu einer Elternberatung schickt, um zu erreichen, dass das Sorgerecht gemeinsam ausgeübt wird. Wir halten diese Lösung für notwendig. Deshalb ist eine echte Einzelfallprüfung unbedingt erforderlich. (Beifall bei der SPD) Auch in der öffentlichen Anhörung – das wissen Sie – haben viele Sachverständige starke Kritik an dem ursprünglichen Gesetzentwurf geäußert. In dem betreffenden Paragrafen soll nun das Wort „hat“ durch „soll“ ersetzt werden. Ich meine, dass wir damit nichts erreichen; denn „soll“ heißt in der Regel doch „muss“. In unserem Fall bedeutet das, dass das Gericht regelmäßig nach Aktenlage entscheiden kann. Wir können diesem Gesetz also – bei allem Verständnis für die oft schwierige Situation der Eltern – nicht zustimmen. Wir wollen einzig und allein das Kindeswohl in den Vordergrund stellen. Sie haben nun die Wahl, meine Damen und Herren: Bitte entscheiden Sie sich für das Kindeswohl und damit für unseren Antrag. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich schließe nun die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12198, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11048 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt -dagegen? – Fraktion der Sozialdemokraten. Enthaltungen? – Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Fraktion Sozialdemokraten. Enthaltungen? – Fraktion Die Linke. Abstimmungsergebnis wie vorhin. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12224. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das sind die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Sozialdemokraten. Gegenprobe! – Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Linksfraktion. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 17/12198 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8601 mit dem Titel „Neuregelung der elterlichen Sorge bei nicht verheirateten Eltern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! – Sozialdemokraten. Enthaltungen? – Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9402 mit dem Titel „Neuregelung des Sorgerechts für nicht miteinander verheiratete Eltern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Koalitionsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen und Sozialdemokraten. Gegenprobe! – Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/3219 mit dem Titel „Gemeinsames elterliches Sorgerecht für nicht miteinander verheiratete Eltern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Sozialdemokraten. Gegenprobe! – Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Fraktion Die Linke. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen mir noch zwei persönliche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung von Frau Kollegin Sylvia Canel und vom Kollegen Thomas Jarzombek vor. Diese werden zu Protokoll genommen.3 Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Roth (Esslingen), Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding (Heidelberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Soziale Sicherung als Motor solidarischer und nachhaltiger Entwicklungspolitik – Drucksachen 17/7358, 17/11429 – Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Weiss (Wesel I) Karin Roth (Esslingen) Harald Leibrecht Niema Movassat Uwe Kekeritz b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aktionsplan Soziale Sicherung – Ein Beitrag zur weltweiten sozialen Wende – Drucksachen 17/11665, 17/11960 – Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Weiss (Wesel I) Karin Roth (Esslingen) Helga Daub Niema Movassat Uwe Kekeritz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Sie sind alle damit einverstanden. Dann haben wir das so beschlossen. Ich eröffne nun die Aussprache. Erste Rednerin für die Fraktion der FDP ist unsere Kollegin Frau Helga Daub. Bitte schön, Frau Kollegin Helga Daub. (Beifall bei der FDP) Helga Daub (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Den Aufbau sozialer Sicherungssysteme unterstützen: Wer wollte das nicht? Das gilt gerade für uns hier in Deutschland und in Europa, die wir eine breite soziale Sicherung haben, und das soll natürlich auch in den Entwicklungsländern erreicht werden. Was unsere Vorstellungen von den Anträgen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen unterscheidet, ist der Weg, auf dem dieses Ziel erreicht werden soll. Hinzu kommt, dass wir es natürlich mit völlig unterschiedlichen Entwicklungsstadien in diesen Staaten zu tun haben, was Sie ja auch in Ihren Anträgen ausführen. Es geht vom Schwellenland bis hin zum fragilen Staat. Das wird von Ihnen ja auch richtig bemerkt, und Sie sagen völlig zu Recht, dass es bei der sozialen Sicherung nicht um Almosen geht. Vielmehr müssen wir die Menschen in den Entwicklungspartnerländern ihrerseits in die Lage versetzen, Finanzierungssysteme aufzubauen. Ich weiß, das klingt jetzt sehr theoretisch und sehr abgehoben, und wir alle wissen, dass das nicht von selbst kommen kann. Zur nachhaltigen Finanzierung bedarf es eines transparenten Steuersystems und einer Mischung aus nationalem Beitragsaufkommen und der Unterstützung der -Geberländer. Wie aber ist das nationale Beitragsaufkommen zu erreichen? Vor allem die Regierungen der sehr armen Partnerländer werden kaum in der Lage sein, ihrerseits eine soziale Grundsicherung zu gewährleisten. Was man seitens der Geberländer sehr wohl tun kann, ist, auch Hilfe beim Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft zu leisten. Warum? Diese schafft Arbeitsplätze, Arbeitsplätze bedeuten Lohn, und wer Lohn erhält, kann auch Steuern zahlen und zumindest im kleinen Umfang Kosten zum Erhalt der eigenen Gesundheit tragen. Hier ist aber auch die WHO gefordert. Wir alle wissen natürlich, dass sich die WHO in einem Prozess der Umorganisation befindet. Herr Kekeritz, aus dem Ausschuss habe ich aber zumindest mitgenommen, dass wir die WHO bei diesem Vorhaben fraktionsübergreifend unterstützen. Die in Ihrem Antrag geforderte globale Gesundheitsstrategie ist bereits Teil der Politik der Bundesregierung. Wie eingangs schon erwähnt: Die soziale Sicherung ist keine Sache von Almosen, zumindest nicht, wenn wir eine nachhaltige Sicherung erreichen wollen. Deshalb unterstützt und ermutigt die Bundesregierung die Wirtschaft, sich in Entwicklungsländern zu engagieren und sich dort noch stärker zu engagieren, wo sie dies bereits tut, selbstverständlich unter Beachtung der ILO-Normen. In Ihren Anträgen wird aber natürlich ein weiteres Mal die Budgethilfe als Mittel des Heils angesehen. Gute Regierungsführung und Bekämpfung von Korruption erreicht man sicher nicht mit Budgethilfe. Die Bundesregierung lehnt sie übrigens überhaupt nicht generell ab. Es gibt sie konditioniert, in Tranchen ausgezahlt – wir haben heute ja auch über Ruanda gesprochen –, und es gibt auch die sektorale Budgethilfe, die im Gesundheitswesen sicherlich durchaus wirkungsvoll sein kann. Generell setzt sie aber vor allen Dingen gute Regierungsführung voraus, und wir wissen, dass das leider oft genug nicht die Realität ist. Hier als Geberland mit der allgemeinen Budgethilfe einspringen zu wollen, hieße, den sozialen Standard der Herrschenden und ihrer Großfamilien üppig zu sichern. Wir haben leider Gottes oft genug traurige Beispiele erlebt. Meine Damen und Herren von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, in Ihren Anträgen schreiben Sie, es fehle ein Haushaltstitel „Soziale Sicherung“. Warum? Weil diese Bundesregierung der Meinung ist, dass jedes Politikfeld und jedes Engagement der sozialen Sicherung zu dienen hat, vor allem die Bereiche Bildung und Ausbildung. Aber das ist ja fast selbstredend und selbsterklärend. Betrachten wir zum Beispiel die Einnahmen aus dem Rohstoffhandel. Gerade Rohstoffe sind vor allen Dingen in den Entwicklungsländern häufig zu finden. Wenn die Gewinne daraus in mehr Bildung, in Soziales und in die Umwelt investiert werden, dann dient das sehr wohl auch der sozialen Sicherung. Lassen Sie mich aber auch noch ein ganz anderes Beispiel nennen: Der Haushaltstitel „Ländliche Entwicklung“ dient selbstverständlich auch der sozialen Sicherung. (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Die Mittel hierfür sind wieder aufgestockt worden, nachdem sie unter der Vorgängerin von Minister Niebel zurückgefahren wurden. Selbstverständlich ist die Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen ein wichtiger Pfeiler bei dieser Sicherung. An dieser Stelle erwähne ich die Organisation Plan, eines der großen Kinderhilfswerke, die sich vor allen Dingen in der Geburtenregistrierung sehr stark engagiert; denn ohne diese Registrierung gibt es keinen Zugang zu sozialen Sicherungssystemen. Wir lehnen Ihren Antrag ab, weil, wie gesagt, die Budgethilfe ein weiteres Mal das Allheilmittel sein soll. Wir wollen auch keinen gesonderten Haushaltstitel „Soziale Sicherung“, weil dann eben die Gefahr besteht, dass viele Projekte ineffektiv nebeneinander herlaufen. Wir wollen Effektivität in der Entwicklungspolitik. Danke. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unsere Kollegin Frau Karin Roth. Bitte schön, Frau Kollegin Karin Roth. (Beifall bei der SPD) Karin Roth (Esslingen) (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn man Sie, Frau Daub, so hört, hat man fast den Eindruck, man könnte sich an vielen Stellen einigen. Aber leider ist das offensichtlich doch nicht möglich. (Helga Daub [FDP]: Aber an manchen Stellen doch!) 80 Prozent der Weltbevölkerung – das sind rund 5,7 Milliarden Menschen – leben ohne jeglichen Ver-sicherungsschutz vor Risiken wie Krankheit und Arbeitslosigkeit. Auch im Alter haben sie die Risiken zu tragen. 100 Millionen Menschen verarmen jährlich weltweit nur deswegen, weil sie die Kosten für den Arztbesuch oder Medikamente aus eigener Tasche bezahlen müssen. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation müssen 215 Millionen Kinder Tag für Tag arbeiten, um das Überleben der eigenen Familie zu sichern, über 100 Millionen von ihnen unter gefährlichen und ausbeuterischen Bedingungen. Um es konkret zu sagen: Diese Kinder arbeiten in Steinbrüchen, als Drogenschmuggler, als Prostituierte und als Kindersoldaten; das wissen wir alle. Die Hälfte dieser Kinder ist jünger als 14 Jahre. Das muss sich ändern. Die Ursache für diese erschreckenden Zahlen ist die Armut in diesen Ländern. Alles, was dazu dient, die wirtschaftliche Lage und die soziale Sicherung zu verbessern, müssen wir tun. Es gibt in diesem Zusammenhang, Frau Daub, überhaupt keinen Meinungsunterschied zwischen uns. Wir beide sind der -Meinung: Je mehr reguläre Arbeitsplätze in den Entwicklungsländern vorhanden sind, desto eher ist soziale Sicherung möglich. (Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) Aber um das zu erreichen, müssen wir die Arbeitsbedingungen im informellen Sektor – dieser umfasst in den Entwicklungsländern 90 Prozent der erwerbstätigen Menschen – ins Blickfeld unserer Überlegungen nehmen. Für diese 90 Prozent Selbstständigen, die ohne eine Sicherung des Existenzminimums leben, müssen wir Regelungen finden, nicht nur für den formellen Sektor. Das scheint mir jetzt wirklich wichtig zu sein. (Beifall bei der SPD) Diese Bereiche kann man nicht auseinanderdividieren. Vielmehr muss man sich die Frage stellen: Was können die Entwicklungsländer tun, um die Situation zu verbessern? Diese Frage ist richtig. Die andere Frage ist: Was können wir tun, um diese Situation zu verbessern? Die wichtigsten internationalen Organisationen, wie die Vereinten Nationen, allen voran die Internationale Arbeitsorganisation, die WHO, G 20 und G 8 und die Europäische Union, haben erkannt, dass dieses Konzept eines sozialen Basisschutzes genau die richtige Antwort ist. Jetzt frage ich mich: Warum kann man das nicht unterstützen? Was hindert die Bundesregierung daran, diese international vereinbarten Konzepte, die auf einem gemeinsamen Konsens beruhen – das ist nicht allein eine sozialdemokratische Idee –, umzusetzen? Ich habe den Eindruck, dass man hier wirklich vorangehen kann. Vor kurzem hat der EU-Entwicklungskommissar -Andris Piebalgs einen Vorschlag vorgelegt, in dem deutlich gemacht wird, dass zur Armutsbekämpfung Einkommenssicherung, Bildung, Gesundheitsvorsorge und wirtschaftliche Entwicklung im Mittelpunkt stehen und deshalb auch das Thema soziale Sicherung eine wichtige Rolle spielt. Er hat auf einer Fachveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brüssel gesagt – ich darf zitieren –: Soziale Sicherung stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Und: Soziale Sicherung trägt zur Stabilität der Partnerländer bei und ist die Voraussetzung für deren weitere Entwicklung. Deshalb sollten wir damit weitermachen, bei unseren Partnern für ein Modell zu werben, das das Kernstück des europäischen Sozialmodells ist und uns in Europa stark gemacht hat. Das heißt, es ist nicht umstritten in Europa. Aber von der schwarz-gelben Bundesregierung kommt leider nichts. Wir in Deutschland wissen, wie notwendig und hilfreich bei uns die Einführung des Kindergeldes war; auch das ist unumstritten. Das hat für Chancengleichheit gesorgt. Ebenfalls klar ist, dass die Wiedereinführung der Sozialhilfe 1962 wichtig war, um das Existenzminimum zu gewährleisten. Im Übrigen haben wir das zuerst in der Weimarer Republik eingeführt. (Gisela Piltz [FDP]: Was war das denn jetzt?) – Das war die Antwort auf die Frage, wann die Sozialhilfe eingeführt wurde. Das geschah zuerst in der Weimarer Republik. Wiedereingeführt wurde sie 1962. Es ist doch in Ordnung, das erst einmal festzustellen. (Gisela Piltz [FDP]: Sie haben auf eine Frage geantwortet, die überhaupt nicht gestellt wurde!) Das Konzept eines Social Protection Floor, also eines sozialen Basisschutzes, stellt meiner Meinung nach eine gute Basis dar. In Lateinamerika, Asien und Afrika gibt es zahlreiche positive Beispiele dafür, dass Länder erfolgreich einen solchen Basisschutz oder zumindest einige Elemente davon eingeführt haben. Es geht also voran. Ich will an dieser Stelle Brasilien, Mosambik, Vietnam, El Salvador und – aktuell – Indonesien und China nennen. Die sogenannten Schwellenländer zeigen eindrucksvoll, wie soziale Sicherung, wenn sie systematisch und vor allen Dingen staatlich organisiert wird, funktionieren kann. Ein ausgezeichnetes Beispiel ist Brasilien. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das dortige Sozialprogramm Bolsa Familia bietet rund 16 Millionen armen Haushalten mit schätzungsweise 72 Millionen Personen, darunter 29 Millionen erwerbstätige Erwachsene und Jugendliche, ein Sicherheitsnetz über Sozialtransfers. Das ist die richtige Richtung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die anspruchsberechtigten Familien erhalten eine Unterstützung zu ihrem Familieneinkommen und müssen dafür bestimmte Bedingungen – Frau Daub, das ist gar kein Thema – einhalten. Beispielsweise verpflichten sie sich, ihre Kinder zur Schule zu schicken und Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge durchführen zu lassen. Bolsa Familia konnte damit einen großen Beitrag zur Verbesserung der Bildung und der Gesundheit leisten und damit auch – man höre und staune! – die Dynamik des wirtschaftlichen Wachstums erhöhen. Alles geht in der Praxis Hand in Hand. Soziale Sicherung setzt ökonomische Potenziale frei, die dazu dienen, den Hunger zu bekämpfen. Wir sollten versuchen, zusammen mit den Partnern in den Entwicklungsländern den Weg zu gehen. Natürlich liegt die Hauptverantwortung für die längerfristige Finanzierung des sozialen Sicherungssystems bei den Partnerländern selbst. Dafür sind zusätzliche Steuereinnahmen zu erzielen. Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn Gelder aus dem Rohstoffhandel in diesen Bereich fließen. Auch die Länder selber müssen etwas tun. Darüber herrscht bei uns Konsens, wie unser Antrag zeigt. (Beifall bei der SPD) Natürlich ist es wichtig, die Länder, die es können, dazu zu veranlassen, soziale Sicherungssysteme aufzubauen. Aber die Länder, die es nicht können, weil ihnen die entsprechenden Mittel fehlen, müssen unterstützt werden, beispielsweise durch Budgethilfe. Voraussetzung ist natürlich, dass die Kriterien der guten Regierungsführung eingehalten werden; denn sonst funktioniert das ganze System gar nicht. Die Budgethilfe ist ein wichtiges Mittel, um kurz- oder mittelfristig zu helfen, solche Systeme einzuführen und damit eine tragfähige Basis zu schaffen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es stimmt nicht, wie Sie suggerieren, dass die Budgethilfe ohne Auflagen gewährt werden soll. Das wäre Unsinn. Sie wissen aufgrund der Debatten im AwZ ganz genau, dass ich immer betone, dass die Strukturpolitik unterstützt werden muss, dass aber die Budgethilfe nur dann ausgezahlt werden darf, wenn es entsprechende Sicherungen gibt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich verwahre mich dagegen, dass hier so getan wird, als ob das eine Erfindung der SPD und der Grünen wäre. Der EU-Entwicklungsministerrat hat im Oktober letzten Jahres zu Recht festgestellt, dass fehlende Sozialschutzsysteme eine Ursache für weltweite Armut sind und die Europäische Union den Aufbau solcher Systeme unterstützen will. Allerdings hält sich das Entwicklungsministerium nicht an die Beschlüsse, die es selbst mitgetragen hat. Das heißt, es verfährt nach dem Motto: Brüssel ist weit weg, es wird schon keiner merken. – Das kann nicht sein, das ist nicht fair. Es ist auch nicht gegenüber den Ländern fair, wenn wir so tun, als würden wir im Ministerrat das, was sogar Teil der EU-Strategie ist, in Brüssel unterstützen, im deutschen Parlament aber gegen die Budgethilfe und dieses Konzept gewettert wird nach dem Motto: In Brüssel ist es in Ordnung, aber in Berlin findet das nicht statt. Ich halte das für eine falsche -Strategie. Im Übrigen muss ich, an die CDU/CSU gerichtet, -sagen: In der Großen Koalition haben Sie damals mit uns gemeinsam im Zusammenhang mit einer eigenständigen sozialen Sicherung eine Zielgröße für neue Projekte -beschlossen. Ich habe mich sehr gewundert, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, dass Sie an diesem Punkt nicht mehr gebohrt haben und sich nicht gegen Herrn Niebel durchgesetzt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das wäre in unserem Sinne gewesen. Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende, oder wollen Sie noch eine Zwischenfrage zulassen? Karin Roth (Esslingen) (SPD): Gerne. Vizepräsident Eduard Oswald: Sie gestatten die Zwischenfrage. Das ist wunderbar. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Ich dachte, der Präsident gestattet die Zwischenfragen!) Karin Roth (Esslingen) (SPD): Aber auch ich muss zustimmen, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön, Frau Kollegin Pfeiffer. Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Ich möchte Sie, werte Frau Kollegin, nur darauf hinweisen, dass tatsächlich dieser Antrag während der -Großen Koalition gestellt wurde, und zwar unter Federführung unseres allseits geschätzten Kollegen Walter Riester. Ich glaube, er wurde sogar von den Grünen unterstützt. Die Einzige, die diesen Antrag völlig ignorierte – sehr zum Leidwesen und Ärger des lieben Kollegen Walter Riester –, war die damalige Ministerin. Ich kenne diese Diskussion, die drei Jahre dauerte. Ich weiß, dass sie lautstark zwischen Walter Riester und der Ministerin geführt worden ist. Das wollte ich nur zur Erläuterung sagen. Also: Gut gebrüllt, Löwe, aber zum falschen -Zeitpunkt. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Frau Kollegin Pfeiffer, Sie wissen ganz genau, dass der Antrag von dem Kollegen Walter Riester gestellt wurde und er von den Grünen und auch der CDU/CSU unterstützt wurde, von der SPD natürlich auch. Die -Projekte wurden gefördert, und es gab im Haushalt eine eigenständige Zielgröße „Soziale Sicherung“, die von Herrn Niebel und der FDP abgeschafft wurde. So viel zum Thema Brüllen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Es war nicht so!) Vizepräsident Eduard Oswald: Jetzt darf ich Sie bitten, gleich zum Ende zu kommen. Karin Roth (Esslingen) (SPD): Ja, Herr Präsident. – Es ist klar, dass wir eine Chance haben, die Armut zu bekämpfen. Es ist auch klar, dass die Bundesregierung diese Chance zurzeit wirklich -vertut. (Beifall bei der SPD – Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Na, na!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU unsere Kollegin Frau Sabine Weiss. Bitte schön, Frau Kollegin Sabine Weiss. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Schönen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Ich glaube – das zur Einleitung –, zwischen uns allen hier, unter allen Entwicklungspolitikern herrscht Einigkeit, dass der Aufbau sozialer Sicherungssysteme ein zentraler Punkt der Armutsbekämpfung ist. Daher werde ich jetzt nicht noch einmal ausführen, welche Bedeutung eine funktionierende soziale Sicherung für das Leben der einzelnen Menschen, aber auch für ganze Volkswirtschaften hat. Ich bin froh, liebe Kollegin Roth, dass soziale Sicherheit eben doch als entscheidendes Instrument und Querschnittsthema im BMZ fest verankert ist. Derzeit fördert das BMZ soziale Sicherungssysteme in rund 20 Ländern und zusätzlich noch in regionalen und globalen Vorhaben. Mit geförderten Projekten in Höhe von 150 Millionen Euro ist das Engagement unseres Ministeriums -damit so hoch wie nie zuvor. Ziel unserer Politik ist es, die Absicherung aller Bevölkerungsschichten, insbesondere der armen und benachteiligten Gruppen, sicherzustellen. Daher lassen wir uns nicht vorwerfen, dass wir das Thema „Soziale Sicherung“ vernachlässigen; denn das ist schlicht und einfach falsch. Es ist seit langer Zeit bekannt, wie wichtig der Aufbau sozialer Sicherungssysteme für die Armutsbekämpfung und die nachhaltige Entwicklung ist. Allein mit den vorhandenen Studien von unterschiedlichster Seite zur Bedeutung der sozialen Sicherung kann man mittlerweile ganze Bibliotheken füllen. Es ist also ein altes Thema und ein wichtiges Thema. Sie, verehrte Damen und Herren von der Opposition, haben die Bedeutung von sozialen Sicherungssystemen durch Ihre Anträge also nicht erfunden – das haben Sie ja zugegeben, Frau Kollegin Roth –, auch wenn man beim Lesen Ihrer Anträge manchmal zu einem anderen Schluss kommen könnte. (Beifall des Abg. Helmut Heiderich [CDU/CSU]) Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen und Instrumente, wie soziale Sicherung in Entwicklungsländern erfolgreich sein kann. Ich finde – da spreche ich auch im Namen meiner Fraktion –, dass die Maßnahmen und Projekte des BMZ in den Bereichen Absicherung im Krankheitsfall, Grundsicherung, Alterssicherung, Mikroversicherung und auch systemische Beratung ein guter und erfolgversprechender Weg sind. Was die Forderungen in Ihrem Antrag angeht, verehrte Frau Kollegin Roth, so gibt es sicherlich eine Menge Punkte, denen ich inhaltlich zustimme, aber eben auch, weil sie bereits Regierungshandeln sind. So sind Frauen, Kinder, alte Menschen und Menschen mit -Behinderungen bereits Hauptzielgruppe des deutschen Engagements, um nur ein Beispiel zu nennen. Bei der Budgethilfe, deren Ausweitung Sie fordern, sind wir nun einmal anderer Meinung. Aber das muss ich jetzt nicht zum wiederholten Male ausführen. (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) Mein grundsätzliches Problem mit dem Antrag ist, dass, wie ich finde, hier einfach an vielen Stellen das Pferd von hinten aufgezäumt wird. Da wird in zig Forderungen mehr oder weniger postuliert, dass die Bundes-regierung für die Einführung sozialer Sicherungssysteme in allen Entwicklungsländern sorgen soll. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Ja, richtig! Das soll passieren!) Deutschland allein soll also die Welt retten. So einfach, wie sich das in Ihren Anträgen liest, fragt man sich manchmal ernsthaft, warum vorher noch keiner auf die Idee gekommen ist. Dabei handelt es sich doch tatsächlich um Jahrhundert- und Mammutprojekte, die wir als Deutschland gar nicht alleine stemmen können. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das sagt auch keiner!) Die Machbarkeit dieser Jahrhundert- und Mammutprojekte wird anhand von ILO-Studien belegt. Diese Studien besagen, sozialer Basisschutz für alle Bevölkerungsgruppen sei finanzierbar. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ja, eben!) Dazu braucht man aber ein transparentes Steuersystem, Beitragsaufkommen, nationale Steuermittel und internationale Geberunterstützung. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das steht auch alles in dem Antrag!) Ich füge jetzt noch hinzu: Dafür bedarf es allerdings auch: Geburtenregister, funktionierendes Ausweissystem, Korruptionsbekämpfung, leistungsfähige Büro-kratie, und zwar bis in das entlegenste Dorf hinein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Sehr geehrte Damen und Herren von der Opposition, ich weiß nicht, in welchen Entwicklungsländern Sie sich vor Ort einen Blick verschafft haben. Ich gestehe – ich denke, auch da spreche ich für die Kolleginnen und -Kollegen –, dass ich bisher kaum oder vielleicht sogar gar kein Entwicklungsland kennengelernt habe, das diese Grundkriterien, Grundvoraussetzungen alle erfüllt. Wir dürfen also nicht den zweiten Schritt (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ich habe -gerade sechs genannt!) – ich habe von Entwicklungsländern gesprochen – vor dem ersten machen. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Vietnam? -Mosambik?) Ohne funktionierende Bürokratie, Geburtenregister und ein transparentes, faires Steuersystem wird die Einführung von, wie Sie fordern, flächendeckenden sozialen Sicherungssystem keinen Erfolg haben. Soziale Sicherungssysteme haben nur dann eine Chance, wenn die Bevölkerung auch Vertrauen in das Versicherungsprinzip hat. Sonst wird sie nämlich gar nicht bereit sein, Zahlungen in eine unsichere Zukunft hinein zu leisten. (Beifall der Abg. Helga Daub [FDP]) Bevor wir den flächendeckenden, teilweise beitragsfinanzierten Aufbau von sozialen Sicherungssystemen für alle Bevölkerungsgruppen mit Solidarausgleich in Angriff nehmen, müssen wir also zuerst die Rahmenbedingungen dafür schaffen, und das tun wir in vielen Dingen. Schon das ist in vielen Ländern, wie wir alle wissen, eine Herkulesaufgabe, die nur mit gewaltiger Kraft-anstrengung der Regierungen vor Ort zu lösen ist. Ein transparentes Steuersystem, ein funktionierendes Geburtenregister, eine Verwaltung – so etwas stampft man in den meisten Entwicklungsländern nicht mal so eben aus dem Boden. Auch sollten Sie ehrlich sein: All das, was Sie da fordern, wird zig Milliarden kosten und Jahrzehnte dauern. Sie fordern hier mal eben 100 Millionen Euro pro Jahr, um all das Wirklichkeit werden zu lassen. Heruntergerechnet ist das 1 Euro für jeden – Sie haben es gerade erwähnt, Frau Roth –, der aufgrund von medizinischen Behandlungskosten jedes Jahr neu in Armut fällt. Ich frage Sie: Wem wollen Sie das denn allen Ernstes verkaufen? Der Aufbau sozialer Sicherungssysteme ist zentraler Bestandteil unserer Politik, den wir auch konsequent weiterverfolgen werden. Wir machen aber – im Gegensatz zu Ihnen – nicht den zweiten Schritt vor dem ersten, (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Sie streichen -Mittel!) und wir tun auch nicht so, als wäre diese Mammutaufgabe einfach mal so zu bewältigen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ihre Anträge lehnen wir daher ab. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner für die Fraktion Die Linke unser Kollege Niema Movassat. Bitte schön, Kollege Niema Movassat. (Beifall bei der LINKEN) Niema Movassat (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute das Thema der sozialen Sicherung in Entwicklungsländern. Um es klar zu sagen: Soziale Sicherung, soziale Gerechtigkeit wird es ohne eine gerechte Verteilung des weltweiten Wohlstandes nicht geben. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) 10 Prozent der Weltbevölkerung besitzen 85 Prozent des weltweiten Vermögens. 50 Prozent der Menschheit besitzen zusammengenommen gerade mal 1 Prozent des Weltvermögens. Übertragen wir die Struktur der weltweiten Vermögensverteilung auf eine Gruppe von zehn Menschen, die sich einen Kuchen teilen, dann müssen wir uns einen Herrn vorstellen, der nahezu den gesamten Kuchen alleine aufisst, während sich die übrigen neun Menschen die Krümel teilen dürfen, und das ist asozial. (Beifall bei der LINKEN) Etwa 1,4 Milliarden Menschen leben weltweit in Armut. Sie können sich keinen Arzt leisten, ihre Kinder nicht zur Schule schicken und müssen oftmals hungern. Statt wie die Bundesregierung auf die Wohltätigkeit von Bill Gates zu setzen, würde ich lieber 75 Prozent Steuern auf sein Vermögen erheben. Danach wäre er immer noch stinkreich, aber viele Menschen könnten dauerhaft aus der Armut befreit werden. Das wäre der bessere Weg, besser, als sich auf das Wohlwollen eines einzelnen Menschen zu verlassen. (Beifall bei der LINKEN) Die Entwicklungsorganisation Oxfam hat errechnet, dass sich mit 60 Milliarden Dollar die Armut in der Welt besiegen ließe. Die 100 reichsten Menschen haben im letzten Jahr insgesamt etwa 240 Milliarden Dollar -verdient. Würden wir ihre Einkünfte nur mit 25 Prozent besteuern, könnten wir zumindest aus rein finanzieller Sicht die weltweite Armut jetzt beenden. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen also eine deutliche Umverteilung von oben nach unten. Dennoch: Soziale Sicherungssysteme wie Sozialhilfe, Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sind ein notwendiger und wichtiger Schritt zur Verbesserung der Lebensumstände von Milliarden von Menschen. Heute haben etwa 80 Prozent der Menschen auf der Erde diesen Schutz nicht. Und in Europa und Deutschland werden die sozialen Sicherungssysteme immer weiter eingeschränkt. Rot-Grün hat seinerzeit mit der Agenda 2010 den Startschuss gegeben. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Sagen Sie doch einmal etwas zum Antrag!) Heute sind alle – von der FDP über die Union, die -Grünen bis hin zur SPD – mitverantwortlich für die Zerstörung der Sozialsysteme im Süden Europas. Auch in Deutschland nimmt die soziale Sicherheit immer weiter ab. Seit 1997 ist die Mittelschicht um 5,5 Millionen Menschen geschrumpft. Immer mehr Menschen leben hierzulande in Armut. Das macht die Anträge von SPD und Grünen wenig authentisch. (Beifall bei der LINKEN) Die Grünen stellen immerhin richtig fest, dass die -soziale Kluft zwischen Arm und Reich in fast allen -Ländern der Erde zusehends größer wird. Eine weltweite soziale Wende fordern die Grünen. Das klingt fast nach unserem Parteiprogramm, und das unterstützen wir selbstverständlich. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Und auch der Ansatz, den Aufbau sozialer Sicherungssysteme zum Schwerpunkt der Entwicklungszusammenarbeit zu machen, ist richtig. Genauso richtig ist es, die Zusammenarbeit der Länder des Südens zu fördern, wie es die Linke seit Jahren fordert und was sich im Antrag der Grünen wiederfindet. Doch bevor jetzt zu viel Harmonie aufkommt: (Heiterkeit bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja auch unglaubwürdig!) In der entscheidenden Frage, warum wir soziale Sicherungssysteme fördern wollen, unterscheiden wir uns -gravierend von den Antragstellern. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Oh toll!) Denn der Linken geht es nicht darum, durch ein bisschen soziale Sicherung Verteilungskonflikte abzumildern, wie die Grünen schreiben. Wir sind der Ansicht, dass soziale Kämpfe um eine gerechte Vermögensverteilung berechtigt sind. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wer immer weiter von unten nach oben umverteilt, darf sich nicht wundern, wenn die immer größer werdende Masse von verarmten Menschen sich dagegen wehrt. In der Menschheitsgeschichte mussten soziale Rechte stets in harten Auseinandersetzungen erkämpft werden. Das wird auch dann so bleiben, wenn sich die Entwicklungszusammenarbeit in Zukunft verstärkt auf den Aufbau sozialer Sicherungssysteme konzentriert. Trotzdem wäre eine solche Konzentration natürlich wünschenswert. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Niema Movassat. – Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unser Kollege Uwe Kekeritz. Bitte schön, Kollege Kekeritz. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Jetzt mache ich einen Fehler. Ich weiche nämlich von meinem Manuskript ab und gehe einmal kurz auf die Kollegin Weiss ein. (Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Schön!) Was mich total irritiert hat, ist, dass Sie, Frau Weiss, die Forderung aufstellen, dass erst einmal das Startsystem richtig funktionieren muss, bevor wir ein soziales System etablieren können. Sie müssen doch einfach einmal an die europäische Geschichte und insbesondere an die deutsche Geschichte zurückdenken. Das ist parallel erfolgt. Ich kann Ihnen sagen: Eine wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, damals Deutsches Reich, hätte es nie gegeben, wenn nicht um 1880 die Grundlagen für die sozialen Sicherungssysteme gelegt worden wären. (Beifall der Abg. Karin Roth [Esslingen] [SPD]) Wirtschaftliche Entwicklung und soziale Entwicklung müssen parallel laufen, sonst funktioniert beides nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Roth [Esslingen] [SPD]) Wir verfolgen seit Jahren die explosive Situation in der MENA-Region, die viele Ursachen hat, aber immer zentral mit den kollabierenden Sozialsystemen dieser Länder zusammenhängt. Der Umsturz in Tunesien, in Libyen, Mubaraks Sturz und die gefährliche Instabilität vieler Länder stehen in einem direkten Zusammenhang mit maroden oder nicht vorhandenen Sozialsystemen. Fehlende soziale Sicherheit ist die Basis für Failed States und der Baustein, der einigen wenigen unendlichen Reichtum beschert und gleichzeitig die Massen in Armut zurücklässt. Soziale Sicherheit ist inzwischen weltweit für Familien und Individuen zur entscheidenden Größe geworden. Sie ist aber auch die volkswirtschaftliche Basis für inklusive Entwicklung und eine zentrale Voraussetzung für die Identifikation der Menschen mit ihrem Staat. Daran wird deutlich, wie weitsichtig die UN 1966 war, als sie den Sozialpakt verabschiedet hat, und wie kurzsichtig heute Minister Niebel agiert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Er schaffte – das ist schon angesprochen worden – die 2008 eingeführte selbstständige Zielgröße „Soziale Sicherung“ ab. In diesem Punkt unterscheiden wir uns im Aufbau gedanklich sehr stark von den sozialen Sicherungssystemen. Niebel hätschelt lieber die privaten Versicherungskonzerne, die in den Entwicklungsländern und Schwellenländern immer mehr das lukrative Feld der sozialen Sicherheit abgrasen. Und auch, weil der Aufbau sozialer Sicherungssysteme immer mehr zur Frage von Staatsstabilität wird, können wir nicht mehr länger warten. Wir Grüne haben deshalb einen konkreten Aktionsplan mit klaren Vorschlägen vorgelegt, die unmittelbar umsetzbar sind. Wir wollen öffentliche, solidarische Sicherungssysteme. Wie schaut dagegen ein zweigeteilter Versicherungsmarkt à la FDP aus? Die privaten Versicherer greifen vom Mittelstand nach oben den sozialen Markt ab, und der Staat soll sich um die Massen der Mittellosen kümmern. So kann Sicherung selbstverständlich nicht funktionieren. Soziale Sicherung ist entweder solidarisch oder sie ist keine Sicherung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Uns ist auch, werte Kollegin Daub, bilaterale Zusammenarbeit stets wichtig. Im Bereich der sozialen Sicherung wollen wir aber vor allem eine explizit europäische und globale Perspektive. Alleine schaffen wir das selbstverständlich nicht. Die BMZ-Führung setzt aber in diesem Bereich nach wie vor auf einen vollkommen überflüssigen und falschen Bilateralismus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Roth [Esslingen] [SPD]) Wir wollen gemeinsame Programme der EU-Mitgliedsländer bündeln, die durch die EU ergänzt werden. Nur so kann Intransparenz vermieden und europäische Kohärenz hergestellt werden. Zur globalen Ebene. Wir diskutieren derzeit intensiv über die Nach-MDG-Zeit. Das Thema „Soziale Sicherung“ muss innerhalb der neuen Development Goals ein starker Ast werden. Unser Ansatz beschreibt dabei gleichzeitig ein breites, neues Gesellschafts- und Entwicklungskonzept und enthält ganz konkrete Handlungsanweisungen, um Entwicklung voranzubringen. Soziale Sicherungssysteme sind ein wichtiger Baustein, um die globale soziale Wende voranzutreiben. Aber wir brauchen mehr: Die soziale Spaltung lässt sich nur überwinden, indem wir zum Beispiel die internationale Unternehmensverantwortung ernst nehmen. Es geht nicht an, dass internationale Konzerne von Hungerlöhnen und Sozialdumping in Entwicklungsländern profitieren. Wir müssen gegen Steuerhinterziehung und -vermeidung hier in Deutschland und in Europa vorgehen, damit sich Despoten und Konzerne nicht weiter aus der sozialen Verantwortung stehlen, während die Massen in bitterer Armut bleiben. Nur so gehen wir die globalen sozialen Probleme tatsächlich an. Da Union und FDP keine eigenen Vorschläge, geschweige denn Visionen haben, ist mein Angebot an Sie: Bedienen Sie sich doch in unserem Antrag und reduzieren Sie so die Zahl weiterer Fehlentscheidungen in der Entwicklungspolitik. Das wäre zwar etwas völlig Neues, aber man könnte es doch mal probieren. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU: unser Kollege Helmut Heiderich. Bitte schön, Kollege Helmut Heiderich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Helmut Heiderich (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße auch die Gäste, die einzeln begrüßt werden könnten. Vizepräsident Eduard Oswald: Im Internet und vor den Bildschirmen schauen viel mehr zu. (Heiterkeit) Helmut Heiderich (CDU/CSU): Danke für den Hinweis. – „SPD scheitert mit Initiative zur sozialen Grundsicherung in Entwicklungsländern“, hieß es Ende Oktober 2012 im Informationsdienst des Deutschen Bundestages. Ähnlich hieß es im Dezember: „Grüne scheitern mit Initiative zum Aufbau sozialer Grundsicherung in Entwicklungsländern“. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Das sagt ja noch gar nichts!) Der flüchtige Leser könnte meinen, diese Regierungs-koalition sei ein Gegner sozialer Grundsicherung in den Entwicklungsländern. (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist sie! Ist sie! Ist sie!) Aber vielleicht ist das ja auch genau das, was SPD und Grüne mit ihren Anträgen bewirken wollten. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Ach was, Herr Heiderich!) Denn Ihre Initiative, verehrte Frau Kollegin Roth, ist ja nun weder neu noch besonders konkret. So will ich gerne das Angebot von Herrn Kekeritz annehmen und mich etwas näher mit Ihren Anträgen beschäftigen. (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Sie müssen einfach die ILO-Empfehlungen lesen!) Ein Beispiel aus dem SPD-Antrag – ich zitiere –: Es … muss insbesondere der Auf- und Ausbau diskriminierungsfreier, effizienter, ganzheitlicher und solidarischer, also durch Steuern wie auch Beiträge finanzierter, Gesundheitssysteme vorangetrieben werden. Etwas verständlicher gefasst, heißt es an anderer Stelle, die Bundesregierung werde aufgefordert, … den Aufbau von Good-Governance-Strukturen in den Partnerländern zu fördern und diese bei der Bekämpfung der Korruption zu unterstützen; (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Alles gesagt! – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schreiben Sie in anderen Anträgen auch!) bzw. … die Partnerländer beim Aufbau transparenter, effizienter und nachhaltiger Verwaltungs- und Steuersysteme … zu unterstützen; oder sich … auf europäischer Ebene –  das spielte eben schon eine Rolle – für eine bessere Kohärenz und Koordinierung der Entwicklungszusammenarbeit … einzusetzen … (Beifall des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten, was ist daran eigentlich neu? Daran arbeitet die Regierung doch seit Jahren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Sie arbeiten nicht daran!) Ich hoffe, dass wir mit Ihrer Unterstützung genau das erreichen, was ich eben vorgetragen habe. Lassen Sie mich nun auch ein wenig aus dem Antrag der Grünen zitieren. Demnach soll … neben der Förderung von bedarfsgeprüften und konditionierten Sozialtransfersystemen in Entwicklungs- und Schwellenländern auch die Förderung von Modellprojekten zu bedingungslosen und universellen Sozialtransfers … geprüft werden. Ich hoffe, so weit ist alles klar. Dabei sei … primär die Überwindung der Fragmentierung der Sicherungssysteme, die Ausweitung des Leistungskataloges und die Erhöhung des Deckungsgrades mit dem Ziel universeller Absicherung zu unterstützen … (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Bravo!) Ich nehme an, alle Gäste wissen jetzt genau, worum es geht. (Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: So ist es!) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, auch wenn das alles sehr bedeutend klingt, gilt doch: Wir in der Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP, vertreten durch die Bundesregierung und das BMZ, haben seit langem Maßnahmen zur sozialen Sicherung in Entwicklungsländern im Blickfeld, nicht nur als Spezialziel, sondern als übergreifendes Ziel unserer gesamten Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Grund [CDU/CSU]: Eine Herzensangelegenheit!) Unser Handeln in vielen Partnerländern sorgt bereits in breitem Umfang dafür, dass diese Unterstützung Frauen und Benachteiligten, armen und armutsgefährdeten Sozialgruppen besonders zugutekommt. Diese Initiativen zum Aufbau von sozialen Sicherungssystemen müssen aber – darin unterscheiden wir uns, glaube ich – immer von dem jeweiligen Partnerland getragen oder mitgetragen werden. Wir haben nicht das Ziel, europäische Modelle der sozialen Sicherung auf Entwicklungsländer zu übertragen oder dorthin zu exportieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!) Wir wollen auch nicht – das ist auch ein wesentlicher Grund für die Ablehnung Ihrer Anträge – einfach nur -Finanzmittel in Form von Budgethilfe an dortige Regierungen geben. Vielmehr wollen wir Partner der Entwicklung sein und bleiben. Dabei kommt es uns ganz besonders darauf an, dass die Empfängerregierungen die Menschenrechte beachten, dass sie eine transparente Regierungsführung zeigen und dass ihre Leistungen insbesondere den Ärmsten zugutekommen. Das ist unser Ansatz für Sozialpolitik in der Entwicklungspolitik. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reicht nicht aus!) Zur Verdeutlichung möchte ich jetzt aus dem Programm der Bundesregierung zitieren. Darin heißt es wörtlich: Armut verhindern, Existenzminimum sichern: Soziale Sicherung bewirkt Entwicklung. Das steht nicht erst seit heute, sondern seit Jahren im Sektorkonzept des BMZ. Sie sehen, wir sind längst ein Stück weiter als das, was Sie mit Ihren Anträgen bewerkstelligen wollen. Wir gehen längst konkreter und gezielter vor, als wie es von Ihnen gefordert wird. Deswegen – mein letzter Satz – muss die Quintessenz der heutigen Debatte richtigerweise lauten: Diese Koalition fördert den Aufbau sozialer Grundsicherung bereits in vielen Entwicklungsländern. Das werden wir gemeinsam gezielt, transparent und erfolgreich fortsetzen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Kollege. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Soziale Sicherung als Motor solidarischer und nachhaltiger Entwicklungspolitik“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11429, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7358 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Aktionsplan Soziale Sicherung – Ein Beitrag zur weltweiten sozialen Wende“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner -Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11960, den -Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11665 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts – Drucksache 17/11127 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/12101 – Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12188 vor. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.4 – Alle sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12101, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11127 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Enthaltungen? – Fraktion der Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? – Die Sozialdemokraten. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12188. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das sind die Fraktion der Sozialdemokraten und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Keine. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Reisen für alle – Für einen sozialen Tourismus – Drucksache 17/11588 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist eigentlich nicht schlecht!) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.5 – Alle sind damit einverstanden. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11588 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Alle sind damit einverstanden? – Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen. Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 15 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur zusätzlichen Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege – Drucksache 17/12057 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – Drucksache 17/12217 – Berichterstattung: Abgeordnete Marcus Weinberg (Hamburg) Caren Marks Miriam Gruß Jörn Wunderlich Katja Dörner – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/12218 – Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Mattfeldt Rolf Schwanitz Dr. Florian Toncar Roland Claus Priska Hinz (Herborn) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.6 – Alle sind damit einverstanden, sodass wir gleich zur Abstimmung kommen können. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12217, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/12057 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ein Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD], an die LINKE gewandt: Was macht ihr? – Gegenruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir warten die dritte Frage ab!) Enthaltungen? – Jetzt ist die Fraktion Die Linke auch dabei: Sie hat sich enthalten. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Es erhebt sich niemand. Enthaltungen? – Die Linksfraktion erhebt sich. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Markus Kurth, Volker Beck (Köln), Wolfgang Wieland, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Wahlrecht – Drucksache 17/12068 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Niemand widerspricht. Dann haben wir das gemeinsam so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Markus Kurth. Bitte schön, Kollege Markus Kurth. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat.“ So klar und deutlich steht es in Art. 38 des Grundgesetzes. Das aktive und passive Wahlrecht steht also grundsätzlich jeder Bürgerin und jedem Bürger zu. (Beifall der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]) Jedoch: Die Bundeswahlordnung und die Europawahlordnung setzen diese Bestimmung des Grundgesetzes nicht um. Sie schließen bestimmte Personengruppen im Zusammenhang mit ihrer Behinderung vom Wahlrecht aus. Dies sind vor allem Menschen, für die eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet wurde. Ich möchte etwas konkreter erklären, was das bedeutet. Im Prozess der Erarbeitung unseres Gesetzentwurfes wurde mir berichtet, dass sich vor jeder Wahl Eltern behinderter Kinder wundern, warum ihr Kind – obwohl mittlerweile volljährig – keine Wahlbenachrichtigung erhalten hat. Wenn sie dann erfahren, dass ihr Kind nicht wählen darf, da eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet ist, sind sie meist erstaunt und verärgert. Das finde ich verständlich. Im gesamten Verfahren zur Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten wird nämlich die Frage der Wahlfähigkeit weder geprüft noch erwähnt. An dieser Stelle wundert man sich über die Antwort des Bundesinnenministers Friedrich auf einen Brief, den die Kollegin Ulla Schmidt geschrieben hat. Dort heißt es – ich zitiere aus dem Schreiben –: Deshalb ist ein Ausschluss vom Wahlrecht immer dann geboten, wenn eine Person aufgrund ihres gegenwärtigen individuellen körperlichen oder geistigen Zustandes unzweifelhaft keinerlei Einsichtsfähigkeit oder Verständnis dafür hat, worum es bei einer Wahl geht. Das offenbart zweierlei. Zum einen haben Sie nicht verstanden, dass das prüfungsabhängig ist. Die Prüfung findet aber gar nicht statt. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Gibt es gar nicht in dem Gesetz! – Zuruf von der FDP) – Reden Sie nicht dazwischen! Hören Sie zu! Zum Zweiten zeigt es, dass Sie offensichtlich davon ausgehen, dass jemand, für den eine Betreuung in allen Angelegenheiten bestellt ist, keinerlei Einsichtsfähigkeit oder Politikverständnis hat. Das finde ich allerdings ziemlich übel. Setzen Sie sich doch einmal mit solchen Personen auseinander! Die können das nämlich bewerten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist eine Frage der Kommunikation und der Zeit, die man für die politische Meinungsbildung von Personen mit sogenannter geistiger Behinderung aufbringen muss. Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert eine inklusive, partizipative und nichtdiskriminierende Ausgestaltung des Rechts auf politische Teilhabe. Der pauschale Wahlrechtsausschluss, den ich eben beschrieben habe, steht dazu in klarem Widerspruch. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Bereits im Sommer letzten Jahres habe ich gemeinsam mit meiner Kollegin Ingrid Hönlinger in einem offenen Brief an alle parlamentarischen Geschäftsführer dazu aufgefordert, den Wahlrechtsausschluss im Zusammenhang mit einer Behinderung im interfraktionellen Dialog abzuschaffen. Wir haben bereits damals auf die widersinnigen Ergebnisse hingewiesen, die nach geltendem Recht möglich sind. So kann es nämlich sein, dass Menschen, die zur Entscheidung für eine politische Partei durchaus in der Lage sind, von der Wahl ausgeschlossen werden. Gleichzeitig bleibt für Personen etwa im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz, wenn diese zuvor eine Vorsorgevollmacht erteilt haben und kein Betreuer bestellt ist, das Wahlrecht erhalten. In diesem Vergleich wird der diskriminierende Aspekt des pauschalen Wahlrechtsausschlusses überdeutlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Leider ist im parlamentarischen Prozess, auch bei der Erarbeitung des neuen Wahlrechts, nach unserem Brief nicht viel passiert. Wir möchten nun mit unserem Gesetzentwurf die Debatte weiter vorantreiben. Wir verstehen unseren Entwurf explizit als Vorschlag, an dem wir gerne gemeinsam mit Ihnen, den anderen Fraktionen, arbeiten wollen. Ich weiß, dass es in allen Fraktionen Kolleginnen und Kollegen gibt, die den Wahlrechtsausschluss im Zusammenhang mit einer Behinderung für nicht gerechtfertigt halten. Darum freue ich mich auf die parlamentarische Auseinandersetzung, in der wir hoffentlich noch bestehende Vorbehalte ausräumen und das Wahlrecht den Standards anpassen können, wie sie das internationale Recht der Behindertenrechtskonvention, die die Bundesrepublik ja ratifiziert hat, fordert. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Reinhard Grindel für die CDU/CSU-Fraktion. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Kreis der Berichterstatter zum Wahlrecht zwischen allen Fraktionen verabredet, das sehr sensible Thema des Wahlrechts für Menschen mit Behinderungen nicht mehr in dieser Legislaturperiode anzupacken, weil wir zunächst Studien im Rahmen des Nationalen Aktionsplans abwarten wollten, gerade auch unter Berücksichtigung des Betreuungsrechts. Wir wollen die Ergebnisse auch im internationalen Rahmen betrachten. 2014 wird diese Studie vorliegen. Es ist sehr bezeichnend, Herr Kurth, dass der Berichterstatter der grünen Bundestagsfraktion für das Wahlrecht, nämlich der Kollege Wieland, heute nicht einmal anwesend ist. Das ist sehr bezeichnend; denn ich glaube, dass er Ihren Vorstoß genauso klar beurteilt wie unsere Fraktion. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er steht auf dem Gesetzentwurf drauf!) Entgegen unserer Verabredung haben die Grünen im Alleingang einen Gesetzentwurf zur Änderung des Wahlrechts eingebracht. Ich finde es wichtig – das war bisher immer Konsens –, dass wir in Wahlrechtsangelegenheiten versuchen, eine gemeinsame Linie aller Fraktionen zu finden. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich ja angeboten!) Was mich allerdings noch wesentlich mehr stört, ist die Art und Weise, wie Sie heute Abend hier vorgetragen haben. Bei der Diskussion über die Stellung von Menschen mit Behinderungen im Wahlrecht tun Sie von den Grünen so, als ob die Menschen kein ausreichendes Wahlrecht hätten, weil sie behindert sind. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe das genau beschrieben! Erzählen Sie doch nichts!) Das ist falsch. Es ist sehr naheliegend, dass Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf aus rein wahlkampftaktischen Gründen vorpreschen, um bei sozialen Organisationen, bei Menschen mit Behinderungen und deren Angehörigen zu punkten. Das ist stillos, unkollegial und angesichts der Ernsthaftigkeit des Themas im Grunde unerträglich, Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Unverschämtheit! Jetzt reicht es aber! Frechheit! Unkollegial? Was werfen Sie mir überhaupt vor? Sie verzerren hier die Sachen! Das ist ja unverschämt!) – Betroffene Hunde bellen umso lauter. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen!) Der Kollege Wieland war bei unseren Besprechungen dabei; die anderen Kollegen werden das bestätigen. Wir haben gesagt, dass es gerade im Lichte des Bundestagswahlkampfes wenig Sinn macht, dieses sensible Thema in der Weise zu behandeln, wie Sie das gemacht haben. Sie werden dem Anliegen nicht gerecht. Ich wiederhole: Sie brechen die Verabredung, die wir im Kreise der Berichterstatter getroffen haben; um das ganz klar festzuhalten. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Wahrheit ist: Menschen mit Behinderungen haben natürlich das aktive und passive Wahlrecht, wie jeder andere Bundesbürger auch. (Zuruf von der SPD: Und jetzt kommt das Aber!) Der Gesetzgeber diskriminiert sie nicht. Es geht im Bundeswahlgesetz nicht darum, Menschen mit Behinderungen vom Wahlrecht auszuschließen, sondern darum, klare Rahmenbedingungen zu schaffen und festzulegen, wer gar nicht wählen kann. Eigentlich müssten wir uns doch wohl auf einen Grundsatz verständigen können: Die selbstbestimmte Wahrnehmung des Wahlrechts setzt voraus, dass die Möglichkeit zur Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorgan in hinreichendem Maße besteht. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb gerade in ständiger Rechtsprechung betont, dass es das nach Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz unantastbare demokratische Prinzip im Kern verletzen würde, wenn das Wahlrecht Personen zustünde, die an diesem Kommunikationsprozess nicht teilnehmen können. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Wer entscheidet das denn?) – Frau Schmidt, wir haben uns ja gerade in einem anderen Kreis unterhalten. Das Wahlrecht ist kein Mittel der Inklusion. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Sagen Sie einmal, wer das entscheidet!) Ich finde Ihre Arbeit bei der Lebenshilfe und alle Maßnahmen zum Thema Inklusion sehr wichtig. Aber die Frage, ob das Wahlrecht an dieser Stelle ein geeignetes Instrument ist, müssten wir im Lichte der von mir angesprochenen wissenschaftlichen Studie intensiv diskutieren. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Doch! Das hat mit der Würde der Menschen zu tun!) Der Gesetzentwurf der Grünen eignet sich nicht als Grundlage, auf der wir hier über dieses Thema diskutieren könnten. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das Wahlrecht wird willkürlich eingeschränkt!) Ein Ausschluss vom Wahlrecht ist nicht nur zulässig, sondern nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer dann geradezu geboten, wenn eine Person aufgrund ihres gegenwärtigen individuellen körperlichen oder geistigen Zustands unzweifelhaft keinerlei Einsichtsfähigkeit oder Verständnis dafür hat, worum es bei einer Wahl geht. Das ist der Maßstab. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das muss doch geprüft werden!) Insofern ist das, was der Bundesinnenminister Ihnen, Frau Schmidt, geschrieben hat, gar nicht seine persönliche Meinung, sondern gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, an der doch gerade der Verfassungsminister nicht vorbei kann. Deshalb besagt § 13 Abs. 2 des Bundeswahlgesetzes, dass Menschen, für die auf Dauer ein Betreuer in allen Angelegenheiten bestellt ist, und solche, die sich infolge einer richterlichen Anordnung in einer psychiatrischen Klinik aufhalten müssen, weil sie eine Straftat begangen haben und von ihnen aufgrund ihrer Krankheit weitere rechtswidrige Taten zu erwarten sind, vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Aber wenn sie keine Straftat begangen haben, dürfen sie wählen!) Dies betrifft übrigens nur eine überschaubare Zahl von Betroffenen. Die Grünen wissen natürlich auch, dass das Prinzip der Demokratie im Kern verletzt wäre, wenn wir hier zu einer anderen wesentlichen Entscheidung kämen. Ihre Motive sind in meinen Augen durchschaubar und wenig ehrenhaft; (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist echt so eine Unverschämtheit! Eine Unverschämtheit nach der anderen!) denn die Wahrheit ist, dass die große Mehrzahl der Menschen mit Behinderungen – das muss man den Betroffenen und ihren Angehörigen sagen – natürlich das Wahlrecht hat. Das Betreuungsrecht ist gerade darauf ausgerichtet, die Selbstbestimmung Betroffener so weit wie möglich zu erhalten. Demzufolge wird den Menschen mit teilweiser Betreuung das Wahlrecht gewährt. Jemand, dem anderweitig ein Betreuer zugeordnet ist, weil er aus psychischen oder körperlichen Gründen seine Angelegenheiten nicht allein besorgen kann, ist davon nicht betroffen. Selbst wenn sich die Betreuung auf alle Lebensbereiche erstreckt, aber nicht auf Dauer besteht, sondern auf einer einstweiligen Anordnung beruht, gibt es keinen Ausschluss von der Wahl. Das heißt, selbst Komapatienten, bei denen keine Anordnung einer Betreuung auf Dauer vorliegt, zum Beispiel aufgrund von Heilungschancen, sind nach unserem Recht wahlberechtigt. Zudem behalten Menschen, für die nur für bestimmte Aufgabenkreise ein Betreuer bestellt worden ist, ihr uneingeschränktes Wahlrecht. Schließlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie dieses auch selbstbestimmt wahrnehmen können. Das haben Sie, Herr Kurth, zu Recht erwähnt. Somit nimmt das geltende Recht sogar in Kauf, dass Menschen, die im Grunde zu einer Wahlentscheidung nicht mehr in der Lage sind, dennoch wahlberechtigt bleiben. Es gilt der Grundsatz: Lieber jemanden, der nicht wählen kann, als Wahlberechtigten zulassen, als jemandem, der trotz Beeinträchtigung durchaus noch eine Wahlentscheidung treffen kann, diese zu verwehren. Die Regelungen sind entgegen dem Eindruck, den Sie hier gerade vermittelt haben, sehr großzügig zugunsten der Selbstbestimmung der Bürger. Eine weitere Einschränkung wird es auch mit der Union nicht geben. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Darüber reden wir heute: über eine Verbesserung!) Das Betreuungsrecht ist darauf ausgerichtet, dass die Selbstbestimmung der Betroffenen so weit wie möglich erhalten bleibt. Es geht nicht um Entmündigung, sondern – im Gegenteil – um Hilfe zur Wahrnehmung der Mündigkeit. Die geltende Regelung des Bundeswahlgesetzes hält den Kreis der Betroffenen ohne Wahlrecht bewusst sehr klein und erhält das Wahlrecht von Menschen mit psychischer Krankheit oder körperlicher oder geistiger Behinderung so lange wie nur möglich. Ein Wahlrechtsausschluss erfolgt bewusst nicht aufgrund generalisierender Anhaltspunkte; stattdessen gibt es ein rechtsstaatliches Verfahren mit einer gültigen richterlichen Entscheidung, die auf den individuellen Fall des Betroffenen fußt. Diskriminierung sähe ganz anders aus, Herr Kurth. Weil Sie die Bundeswahlordnung angesprochen -haben, will ich darauf hinweisen, dass dort viele Möglichkeiten verankert sind, wie Menschen mit Beeinträchtigungen ihr Wahlrecht tatsächlich wahrnehmen können. Man kann eine Hilfsperson benennen, um bei dem praktischen Vorgang der Wahl – Lesen und Kennzeichnen des Wahlzettels und Einwurf in die Urne – zu assistieren. Sehbehinderte Wähler können eine Schablone benutzen, um das Kreuz zu machen. Ebenso gelten solche Hilfsbestimmungen für die Briefwahl. Wahllokale sollen möglichst barrierefrei sein. Die Wahlberechtigten werden im Voraus darüber informiert, wo es keine Mobilitätseinschränkungen gibt. Das Bundesinnenministerium hat zugesichert, auf diese Regelungen der Bundeswahlordnung einen aufmerksamen Blick zu haben und zu schauen, ob sich noch weitere Verbesserungen hinzufügen lassen können. Deswegen sage ich Ihnen vor dem Hintergrund Ihres Vortrages hier: Hören Sie endlich auf, der Bundesregierung gegenüber Menschen mit Behinderungen eine feindselige Einstellung zu unterstellen! Das ist abwegig. Die Menschen im Land wissen, dass es nicht so ist, und sehen, dass die Bundesregierung alles tut, Menschen mit Behinderungen vor Diskriminierung zu schützen und ihnen eine gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben zu ermöglichen. Herr Kurth, Sie sollten die Bürger hier nicht für dumm verkaufen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ebenso ist es falsch, zu unterstellen – das haben Sie getan –, dass unsere christlich-liberale Koalition sich weigert, die UN-Behindertenrechtskonvention voll umzusetzen. In Art. 29 der UN-Konvention wird Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am politischen Leben verlangt. Die Vertragsstaaten sind dabei sehr wohl berechtigt, objektive und angemessene Wahlausschlussgründe durch Gesetz festzulegen. Das bezieht sich auch auf Gründe bei geistiger oder psychischer Behinderung, die eine politische Willensbildung und -äußerung -unmöglich machen. Dies war auch bei der Verabschiedung der Konvention unter den Vertragsstaaten allgemeiner Konsens und ist bis heute völkerrechtlich anerkannt. Aus Urteilen des Bundesverfassungsgerichts geht hervor, dass das Wahlrecht nicht nur den reinen Wahlakt in der Wahlkabine umfasst, sondern eben auch eine aktive Teilnahme am politischen Kommunikationsprozess voraussetzt. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention spricht im maßgeblichen Art. 29 von der freien Willensäußerung der Menschen mit Behinderungen. Wo die Willensbildung und -äußerung allein durch die Krankheit oder die Behinderung unmöglich gemacht werden, kann das staatliche Recht diese nicht einfach voraussetzen. Politische Willensbildung ist eine Grundvoraussetzung für eine demokratische Wahl. Daran kommen wir auch als Deutscher Bundestag nicht vorbei. Insofern sage ich Ihnen zum Schluss: Ich bin zutiefst der Auffassung, dass unsere jetzige Regelung in der Bundeswahlordnung und im Bundeswahlgesetz im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention steht. Sie schließt niemanden aufgrund von Behinderungen von der Wahl aus. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Doch!) Vielmehr geht es um die Frage der durch das Demokratieprinzip geforderten Teilhabe am Kommunikationsprozess. Das ist das Entscheidende. Der Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist weder sinnvoll noch hilfreich, wenn es um die Belange von Menschen mit Behinderungen in unserem Land geht. Er ist im Kern demokratiewidrig. Daher werden wir ihn ablehnen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Markus Kurth. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Grindel, Sie haben mir unkollegiales Verhalten und den Bruch von Absprachen vorgeworfen. Ich finde es im Gegenteil eher unkollegial, dass Sie mir jetzt vorwerfen, interne Absprachen, die Sie angeblich mit dem Kollegen Wieland getroffen haben, gebrochen zu haben, indem dieser Gesetzentwurf eingebracht wird. Ich habe mit Ihnen keine einzige Absprache getroffen. (Otto Fricke [FDP]: Ihre Fraktion!) Der Kollege Wolfgang Wieland steht auf diesem Gesetzentwurf bei der Liste der ihn einbringenden Personen an dritter Stelle. Es war vielmehr so, dass im Zuge der Neuordnung des Wahlrechts – hier ging es um Regelungen für Überhangmandate und Ausgleichsmandate – gesagt wurde, dass dies nicht mit der Frage des uneingeschränkten Wahlrechts für Menschen mit Behinderungen und für solche, die unter Betreuung in allen Angelegenheiten stehen, vermengt werden sollte. (Otto Fricke [FDP]: Wer wollte das?) Aber das heißt doch nicht im Gegenzug, dass man vollständig auf die Behandlung dieses Themas und der Frage der Nichtdiskriminierung beim Wahlrecht verzichtet. Ich habe gerade ganz in Ruhe in meinem Wortbeitrag erklärt, dass die Kollegin Hönlinger und ich bereits vor gut einem Jahr an alle Parlamentarischen Geschäftsführer geschrieben haben. Daher finde ich es unkollegial, dass Sie mir den Bruch von Absprachen unterstellen. Zweitens finde ich es auch nicht in Ordnung, dass Sie in Ihrer Argumentation behaupten, ich würde unlautere Absichten verfolgen und mein Süppchen sozusagen auf Kosten der Menschen mit Behinderungen kochen. – Da nicken Sie auch noch. – Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass dieser Gesetzentwurf sorgfältig ausgearbeitet wurde. Er enthält eine mehrseitige Begründung, über die wir uns wirklich Gedanken gemacht haben. Ich finde Ihren Vorwurf daher unkollegial und nicht in Ordnung; so etwas muss man nach 21 Uhr nicht mehr machen. Wir haben ja sonst nicht so viele Berührungspunkte. Wenn Sie wüssten, wie sehr ich mich beim Thema Behindertenpolitik in den letzten zehn Jahren engagiert habe, würden Sie einsehen: Es ist einfach nicht in Ordnung, mir so etwas zu unterstellen. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Stimmt! Das macht man nur, wenn man ein schlechtes Gewissen hat!) Der letzte Punkt. Sie verweisen immer auf die Studie. In dieser Studie – das hat Ole Schröder in Beantwortung einer Frage von mir gesagt – wollen Sie die aktive und passive Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an Wahlen untersuchen. Ja, aber wie wollen Sie das denn machen, wenn für eine bestimmte Gruppe von vornhe-rein ein Wahlrechtsausschluss besteht? Das ist aus meiner Sicht widersinnig. Das ist weiße Salbe bzw. ein Placebo, das dazu dienen soll, das Ganze hinauszuzögern, um nichts unternehmen zu müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Grindel. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Herr Kollege Kurth, Sie haben gesagt, dass wir in der Vergangenheit wenige Berührungspunkte hatten. Das ist richtig; denn ich bin Innenpolitiker, und Sie sind Sozialpolitiker. Ich muss Ihnen leider sagen: Das Wahlrecht ressortiert bei den Innenpolitikern. Wir Innenpolitiker haben uns nicht nur über die Frage der Überhang- und Ausgleichsmandate unterhalten, sondern wir haben uns auch über das Wahlrecht für Auslandsdeutsche unterhalten. Außerdem hatten wir das Europawahlrecht und das Wahlstatistikgesetz auf der Tagesordnung. Im Rahmen vielfältiger Berichterstattergespräche, bei denen in der Tat nicht Sozialpolitiker, die nicht zuständig sind, sondern Innenpolitiker, die zuständig sind, vertreten waren, (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Wie bitte? Sagen Sie das mal vor Behinderten! Da werden Sie aber ausgepfiffen!) haben wir mit Herrn Wieland und anderen Mitgliedern der grünen Fraktion auch über dieses Thema gesprochen. Vorhin haben Sie in Ihrem Vortrag gesagt, das Problem bei der Anordnung sei insbesondere, dass eine mögliche teilweise Wahrnehmungsfähigkeit in Bezug auf das Wahlrecht gar nicht überprüft werde. Aber das ist ja gerade Gegenstand der Studie. Im Rahmen der Studie soll geprüft werden, ob bei der Anordnung einer vollständigen Betreuung der Aspekt, ob eine – ich nenne es einmal so – Teilkommunikationsfähigkeit im Hinblick auf das Wahlrecht möglich ist, nicht doch mit einbezogen werden kann bzw. ob man sich das vorstellen kann. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: „Wahlfähigkeitsprüfung“ heißt das auf Neudeutsch!) Gerade das ist ja der Sinn der Studie. Es soll genau das überprüft werden, was Sie hier eingefordert haben. Ich bleibe dabei: In dieser Studie soll überprüft werden, liebe Frau Schmidt, ob die von Ihnen erwähnten 11 000 Personen nicht möglicherweise doch ein Wahlrecht bekommen. Allerdings liegt diese Studie, weil ihre Ergebnisse genau und gründlich ausgewertet werden, erst 2014 vor. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Ach was! Es gibt sie doch schon, die Studie!) Wie gesagt – ich wiederhole das –, der hier nicht anwesende Kollege Wieland, der zuständig ist, hat sich mit dem vereinbarten Vorgehen einverstanden erklärt. Wenn Sie hier vorsprechen, dann mag das Ausdruck eines besonderen behindertenrechtlichen Engagements sein. Aber ich bleibe dabei: Ich glaube, dass der Hintergrund dieses Engagements eher der Versuch ist, sich bei dieser Community einen weißen Fuß zu machen, um vor der Bundestagswahl auch bei den entsprechenden Podiumsdiskussionen sprachfähig zu sein. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch gar nicht nötig!) Das ist unredlich und nicht in Ordnung. Ich bleibe dabei, dass ich das kritisiere. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Gabriele Fograscher für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gabriele Fograscher (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Alleingänge beim Wahlrecht haben selten Erfolg. Das haben Sie von der Regierungskoalition bei Ihrer Neufassung des Bundeswahlgesetzes im letzten Jahr erlebt. Auch Ihr Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ist in der jetzt vorliegenden Fassung nicht mehrheitsfähig. Das Wahlrecht ist die Legitimation jedes einzelnen Abgeordneten hier im Haus. Es ist Grundlage der Demokratie und ein Grundrecht aller Bürgerinnen und Bürger. Deshalb ist es sinnvoll und zielführend, Wahlrechtsänderungen unter Beteiligung aller Fraktionen zu verhandeln und mit breiter Mehrheit zu beschließen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Ganze ist uns sowohl bei der Neuregelung der Sitzzuteilung als auch bei der Neuregelung des Wahlrechts für Auslandsdeutsche gelungen. Ein Ausschluss vom Wahlrecht – also die Aberkennung eines Grundrechts – bedarf einer besonders fundierten Begründung. Der § 13 des Bundeswahlgesetzes genügt diesem Anspruch nicht. In § 13 Bundeswahlgesetz ist geregelt, dass Menschen mit Behinderungen, für die eine Betreuung zur Besorgung aller Angelegenheiten bestellt wird oder die aufgrund einer Anordnung nach dem Strafgesetzbuch in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, vom Wahlrecht bei Bundes- und Europawahlen ausgeschlossen sind. Dies bedarf dringend einer politischen Neubewertung. Nach den geltenden Menschenrechtsstandards sind diese Ausschlusstatbestände nicht zu rechtfertigen, sie widersprechen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Nach geltendem Recht werden Menschen in vergleichbarer Situation oder mit ähnlich schwerer Behinderung unterschiedlich behandelt: Derjenige, für den eine Betreuung zur Besorgung aller Angelegenheiten bestellt wird, verliert automatisch das Wahlrecht – wer dagegen selbst per Vorsorgevollmacht entscheidet, wer seine Angelegenheiten in Zukunft regeln soll, behält das Wahlrecht. Ähnliches gilt für Menschen, die in einer Psychiatrie untergebracht sind: Straftäter, die während der Begehung der Tat schuldunfähig waren, bekommen das Wahlrecht entzogen – Menschen mit einem ähnlichen Krankheitsbild, die ebenfalls in einer Psychiatrie untergebracht sind, aber keine Straftat begangen haben, verlieren ihr Wahlrecht nicht. Unserer Ansicht nach besteht dringender Handlungsbedarf. Leider ist die Regierung Merkel untätig. Im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hat die Bundesregierung erklärt, sie wolle eine Studie zur tatsächlichen Situation behinderter Menschen bei der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts in Auftrag geben. Als Laufzeit war dafür das Jahr 2012 vorgesehen. Auf eine schriftliche Frage von mir zu dieser Studie erhielt ich die Antwort: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erarbeitet zurzeit in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium des Innern eine Leistungsbeschreibung für die Ausschreibung der Studie. Erste Ergebnisse werden wahrscheinlich 2014 vorliegen. – Diese Antwort zeigt, dass die Regierung Merkel es nicht wirklich ernst nimmt, ein diskriminierungsfreies, inklusives Wahlrecht zu schaffen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb werden wir als SPD-Bundestagsfraktion einen Antrag in den Deutschen Bundestag einbringen, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, die im -Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beschlossene Studie zur aktiven und passiven Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an Wahlen unverzüglich zum Abschluss zu bringen und die von ihr angekündigten Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Partizipation vorzulegen. Wir schließen uns damit einer Initiative des Bundes-landes Rheinland-Pfalz an, das einen entsprechenden Antrag in den Bundesrat eingebracht hat. Eine Gruppe von Menschen haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, in Ihrem Gesetzentwurf gar nicht berücksichtigt, nämlich Menschen mit Lese-Rechtschreib-Schwäche. In Deutschland leben etwa 7,5 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter, die von funktionalem Analphabetismus betroffen sind. Davon können 2 Millionen nur einzelne Wörter lesen und schreiben – eine erschreckend hohe Zahl. Diese Menschen haben zwar das Wahlrecht, können es aber ohne fremde Hilfe nicht eigenständig ausüben. Ihnen das Wählen zu erleichtern, gehört auch zu einem inklusiven Wahlrecht und zur Umsetzung der UN-Konvention. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das Thema Analphabetismus ist in unserer Gesellschaft immer noch mit Angst und Scham besetzt. Die Betroffenen haben sich deshalb Strategien zur Tarnung angeeignet. Diese Strategien führen dazu, dass die Betroffenen aus Angst, „entdeckt“ zu werden, ein Leben am Rande der Gesellschaft, ein Leben mit geringer Teilhabe führen. Es müssen Angebote geschaffen werden, um den Zugang zu Wahlen und Wahlinformationen auch für diesen Personenkreis zu vereinfachen. Untersuchungen des Deutschen Volkshochschul-Verbandes zeigen, dass viele Analphabetinnen und Analphabeten auf dem Stimmzettel zum ersten Mal mit dem komplett ausgeschriebenen Namen der Parteien konfrontiert werden. Ohne weitere Visualisierung ist es für viele schwierig, den Wahlzettel in kurzer Zeit zu verstehen. Deshalb wollen wir, dass Wahlinformationen in Zukunft in einfacher Sprache gehalten werden. Zudem sollen die Wahlzettel durch ein Foto der Kandidatin oder des Kandidaten und durch Parteisymbole ergänzt werden. Nur so können wir es -Menschen mit einer Lese- und Rechtschreibschwäche ermöglichen, gleichberechtigt an Bundestags- und Europawahlen teilzunehmen. Wir wollen im Wahlrecht die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung verwirklichen, aber wir wollen auch ein geordnetes Verfahren mit Berichterstattergesprächen, Sachverständigenanhörung und schließlich einen mehrheitsfähigen Gesetzentwurf. Meine Fraktion und ich sind jederzeit zu Gesprächen bereit. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Stefan Ruppert für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Stefan Ruppert (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst zur Sache sprechen. Die heute vor uns liegende Materie ist in der Tat nicht ganz einfach. Es gibt Fachstimmen, die sagen, wir sollten die ganze Materie im Betreuungsrecht regeln. Das überzeugt, offen gesagt, in weiten Teilen auch mich. Bei den Menschen, die in allen Angelegenheiten unter Betreuung stehen, ist es allerdings meiner Meinung nach eine Idee, zu sagen: Wir fordern in der richterlichen Entscheidung darüber, ob wir in allen Angelegenheiten die Betreuung zulassen, eine explizite Feststellung, dass diesen Menschen auch das Wahlrecht aberkannt wird; denn nur weil jemand beim Umgang mit seinem eigenen Geld oder bei anderen Angelegenheiten nicht in der Lage ist, adäquat zu handeln, ist es nicht selbstverständlich, dass man ihm auch das Wahlrecht abspricht. Deswegen glaube ich, es ist sehr sinnvoll und richtig, darüber nachzudenken, wie man das regelt. Meine Präferenz geht dahin, das im Betreuungsrecht zu tun. (Beifall bei der FDP) Gegen eine Regelung im Betreuungsrecht spricht aber, dass es viele Menschen gibt, die nicht in allen Angelegenheiten unter Betreuung stehen, etwa weil ihre Eltern sich um sie kümmern, die aber gegebenenfalls in der gleichen Situation sind wie Menschen, die in allen Angelegenheiten unter Betreuung stehen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schmidt? Dr. Stefan Ruppert (FDP): Gerne. Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Herr Kollege, habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass Sie in unsere Rechtsordnung einen neuen Tatbestand einfügen wollen, nämlich eine Wahlfähigkeitsprüfung? Bisher haben wir so etwas nicht. Wir haben in Deutschland ein allgemeines Wahlrecht für alle. Wir haben auch keine Wahlpflicht, von der jemand, der an einer Wahl nicht mehr teilnehmen kann, durch ein Gericht entbunden werden könnte. Das könnte nur in Ländern erfolgen, in denen es eine Wahlpflicht gibt. Nun wollen Sie im Betreuungsrecht eine Wahlfähigkeitsprüfung einführen, mit der darüber entschieden wird, ob jemand noch in der Lage ist, verantwortlich zu wählen, oder nicht. Habe ich das richtig verstanden, dass die FDP darüber nachdenkt? Dr. Stefan Ruppert (FDP): Nein. Ich habe den auch von Ihren Landesregierungen unterstützten Vorschlag übernommen, zu sagen: Es reicht nicht, zu entscheiden, dass jemand in allen Angelegenheiten unter Betreuung gestellt wird, sondern man kann positiv davon abweichen, indem festgelegt wird: Jemand wird zwar unter Betreuung gestellt; es ist aber durchaus im Einzelfall möglich, ihm das Wahlrecht zuzuerkennen, wie es übrigens viele Fachleute, die dieses Thema diskutieren, fordern. (Zuruf der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]) Ich glaube, wir reden in der Sache gar nicht aneinander vorbei. Es geht mir nur darum: Wenn jemand in allen Angelegenheiten unter Betreuung gestellt wird, finde ich den Automatismus, dass er damit ausdrücklich automatisch auch sein Wahlrecht verliert, nicht unbedingt angemessen, sondern man könnte auch zu der Entscheidung kommen, dass er sein Wahlrecht trotz einer Betreuung in allen drei Angelegenheiten behält. Das ist ja auch das Anliegen des Grünen-Antrags, wenn auch aus einer anderen Systematik heraus. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Aber im Unterschied zur CDU, zu Herrn Grindel!) Ich glaube also, in dieser Sache sind wir nicht weit auseinander. Jetzt kann man überlegen, ob diese Regelungstechnik allein im Betreuungsrecht richtig ist oder ob wir nicht im Wahlrecht bleiben müssten. Auch dafür gibt es viele gute Argumente. Man könnte auch zu einer anderen Regelung kommen und etwa den § 13 des Bundeswahlge-setzes neu fassen, um zu einer inklusiveren und mehr Partizipation und politische Teilhabe ermöglichenden Wahlordnung zu kommen. Auch dafür sind wir ausdrücklich offen. Nun komme ich zu dem, was mich ärgert. Ich bin jetzt schon einige Jahre hier, und ich glaube von mir sagen zu können, dass ich nicht zu den Scharfmachern oder zu denjenigen gehöre, die immer den parteipolitischen Streit um seiner selbst willen suchen. (Dagmar Freitag [SPD]: Sehr gut!) Aber ich habe in der Vergangenheit schon an vielen Sitzungen zum Wahlrecht teilgenommen. Wir haben Vorschläge gemacht. Unter anderem habe ich für meine Fraktion schon zweimal eine Regelung im Betreuungsrecht vorgeschlagen, habe in Sitzungen, die Herr Grindel geleitet hat, darum gebeten, das auf die Tagesordnung zu nehmen. Die Kollegin Wawzyniak, der Kollege Wiefelspütz und der Kollege Wieland haben sich dem gegenüber skeptisch gezeigt, (Otto Fricke [FDP]: Ach nein!) nicht – ich will die Kollegen jetzt gar nicht frontal angreifen – weil sie das nicht wollten, sondern weil leider in relativ kurzer Zeit eine Fülle von Regelungen zu treffen waren. Wir mussten uns um das allgemeine Wahlrecht und um die Frage kümmern, wie im Ausland lebende Deutsche wählen dürfen. Deshalb wurde gesagt: Wir warten die Studie ab; bis dahin wollen wir erst einmal keine Regelung treffen. Ich habe Herrn Grindel dann erneut gebeten, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Es kam zu einem Gespräch in der Sache, in dem von Ihren Fraktionen auch zu den inhaltlichen Punkten erhebliche Skepsis geäußert worden ist, (Otto Fricke [FDP]: Das ist ja interessant!) die ich in Teilen durchaus nachvollziehen kann. Sie sagten, das liege Ihnen in der Sache doch nicht so nahe, weil Sie die Differenzierung zwischen denjenigen, die ihr Wahlrecht vielleicht gerade noch selbst ausüben können, und denjenigen, für die das nicht gilt – gerade wegen der Frage, ob man wirklich eine Art Wahltaug-lichkeitsprüfung einführen soll –, im Einzelfall sehr schwierig finden. Man kann also aus guten Gründen zu einer sachgerechten Lösung mit einer stärkeren Nuancierung im Sinne des geltenden Rechts kommen. Meine Kollegin Molitor und ich sind jedoch eher zu der Auffassung gekommen, dass wir im Betreuungsrecht zu einer gewissen Modifikation kommen müssen. Dafür stehen wir auch ein. In den vergangenen drei Jahren habe ich es allerdings noch nicht erlebt, dass laufende Gespräche, obwohl die eigene Fraktion skeptisch ist, torpediert werden – völlig unabgesprochen –, weil man hier einen Gesetzentwurf vorlegt. Ich glaube, hier ist die Anregung von Herrn Grindel richtig: Sie müssen sich fragen lassen, ob Sie für die Menschen in der Sache etwas erreichen wollten, ob Sie eine graduelle Verbesserung dieser Situation erreichen wollten oder ob Sie in der bevorstehenden Auseinandersetzung vor der Bundestagswahl schlicht den Organisationen auf ihre auch mich vielfach erreichenden Briefe eine parteipolitisch in Ihrem Sinne befriedigende Antwort geben wollten. Ich glaube, mit der heutigen Initiative haben Sie dem Betreuungsrecht sowie den Menschen mit Behinderung und ihrer politischen Teilhabe keinen Gefallen getan. Ich hoffe trotzdem, dass wir dieses Thema weiter auf der Tagesordnung behalten, weil wir glauben, hier etwas ändern zu müssen. Eine so billige parteipolitische Münze, wie Sie sie heute gespielt haben, (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch jetzt schäbig! Das ist unverschämt!) ist meiner Meinung nach in der Sache überhaupt nicht angemessen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Setzen Sie sich! Unmöglich! – Gegenruf des Abg. Otto Fricke [FDP]: Das ist doch so!) – Herr Kurth, ich verstehe, dass Menschen, die meinen, von einer höheren moralischen Warte gegenüber einem liberalen Verständnis zu argumentieren, immer den Eindruck haben, sie seien moralisch überlegen. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie jetzt nicht nötig!) Das kennzeichnet viele Ihrer parteipolitischen Äußerungen – nicht Ihrer persönlichen, aber von Ihrer Partei. Ich glaube, Sie haben den Menschen mit Behinderung heute keinen Gefallen getan, weil Sie uns von einer sachgerechten Lösung dieses Problems eher entfernt als uns ihr näher gebracht haben. Sie können sich ja vielleicht einmal mit Ihren Kollegen darüber unterhalten, wie sie sich uns gegenüber in den Gremiensitzungen -geäußert haben. Ich glaube, es gibt genügend Zeugen – auch hier im Raum –, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!) die meine Position bestätigen können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Ilja Seifert hat seine Rede zu Protokoll gegeben.7 Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12068 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags – Drucksache 17/12058 – Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) – Drucksache 17/12222 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Johannes Kahrs Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.8 – Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12222, den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/12058 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und Grünen gegen die Stimmen von SPD und Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (Personenstandsrechts-Änderungsgesetz-PStRÄndG) – Drucksache 17/10489 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/12192 – Berichterstattung: Abgeordnete Helmut Brandt Gabriele Fograscher Manuel Höferlin Ulla Jelpke Dr. Konstantin von Notz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Es gibt keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache und erteile Stefanie Vogelsang für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Es ist 21.40 Uhr, und wir beraten ein Gesetz mit dem Namen „Gesetz zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften (Personenstandsrechts-Änderungsgesetz)“. Das hört sich zunächst einmal sehr technisch und sehr bürokratisch an. Es hört sich an, als ob es im täg-lichen Leben und auch in den Moral- und Wertvorstellungen von einzelnen Bürgern nur am Rande etwas zu suchen hätte. Seit 1937 gibt es das Personenstandsgesetz. 1957 ist es reformiert worden. Im Jahre 2007 hat die Große Koalition dieses Gesetz den Erfordernissen der neuen Welt, der technischen Entwicklung und den elektronischen Neuheiten angepasst. Jetzt, sechs Jahre später, gehen wir mit diesem Personenstandsrechts-Änderungsgesetz an die Punkte heran, bei denen man an der einen oder anderen Stelle nachjustieren, etwas verbessern und einzelne Lücken schließen muss. Im Großen und Ganzen passt dieser Gesetzentwurf – wir haben ihn im Innenausschuss beraten – das Personenstandsrecht, wie es seit 2007 gilt, in Einzelheiten den Erfordernissen an. Aber dieser Gesetzentwurf enthält noch viel mehr. Ich bin dem Kollegen Brandt und dem Kollegen Uhl vom Innenausschuss äußerst dankbar, dass sie mich heute Abend zu diesem Tagesordnungspunkt reden lassen. Ausgangspunkt für die Debatte war für mich eine Petition, die von einem engagierten Ehepaar, das oben auf der Tribüne Platz genommen hat, eingebracht worden ist. Dieses Ehepaar hat viele Tausend Unterschriften gesammelt und in den Deutschen Bundestag eine Petition des Inhalts eingereicht, dass in Zukunft juristisch diejenigen, die mit einem Gewicht von unter 500 Gramm leider tot zur Welt kommen, als Menschen, als Personen behandelt werden und nicht mehr als Sache oder gar als Klinikmüll. (Beifall im ganzen Hause) Wir haben uns in den Ministerien als Abgeordnete über die Parteigrenzen hinweg mit Bürokratismus auseinandergesetzt. Wir haben diese Petition immer wieder zu den Beamten in die entsprechenden Häuser geschickt und gesagt: Nein, eure ablehnende Stellungnahme können wir nicht akzeptieren. Es geht hier nicht nur um bürokratische Vorschriften, sondern es geht darum, Leben als Leben zu bezeichnen und den Menschen, die ein Kind verloren haben, sei es auch noch so klein und winzig, die Möglichkeit zu geben, dass dieses Kind offiziell zu ihrer Familie gehört, dass sie offiziell um dieses Kind trauern dürfen, dass sie dieses Kind bestatten dürfen, dass es im Kreißsaal des Krankenhauses als Kind behandelt wird, dass die Krankenhäuser mit diesem menschlichen Leben würdevoll umgehen. Ich glaube, dass diese Regelung sehr wichtig ist, auch wenn sie in der Debatte über das Personenstandsrechts-Änderungsgesetz um 21.40 Uhr nur versteckt als kleines statistisches Detail auftaucht. Ich finde es erstaunlich, wie viele Menschen sich der Petition angeschlossen haben. Ich finde es erstaunlich, dass jetzt – diese Information habe ich gerade bekommen – über den Livestream des Bundestages etliche Hundert, vielleicht sogar über tausend Menschen diese Debatte verfolgen. Sie und auch die Menschen an den Fernsehgeräten warten darauf, dass wir das, was in diesem Entwurf steht, zum Gesetz machen. Dann können sie in Zukunft zu den Standesämtern gehen, um eine Bescheinigung zu bekommen, mit der – das ist der parlamentarischen Beratung über den Gesetzentwurf der -Regierung zu verdanken – das Leben eines Kindes festgestellt wird, auch wenn es gestorben ist, eine Bescheinigung, in der nicht mehr von einer Fehlgeburt oder von Leibesfrucht die Rede ist. Es geht auch darum, dem Kind einen Namen zu geben und ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Familie entstehen zu lassen. Ich bin denjenigen, die die Petition eingereicht haben, ausgesprochen dankbar, genauso wie denjenigen – namentlich Frau Fischbach und Ministerin Schröder –, die diese Petition unterstützt haben. Ich freue mich darüber, dass wir über diesen Gesetzentwurf noch im Detail -debattieren können. Ich freue mich vor allen Dingen darauf, wenn dieser Gesetzentwurf in Kraft tritt und wir dann sagen können: Wir haben etwas Gutes getan und für menschliche Wärme gesorgt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Gabriele Fograscher für die SPD-Fraktion. Gabriele Fograscher (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es geht bei diesem Gesetzentwurf, über den wir nun abschließend beraten, um technische und redaktionelle Änderungen aufgrund der Evaluierung des 2007 in Kraft getretenen Gesetzes. Diese Änderungen sind notwendig und sinnvoll. Deshalb tragen wir als SPD-Fraktion sie mit. Neben diesen formalen und bürokratischen Änderungen hat die heutige Novellierung des Personenstandsrechts konkrete Auswirkungen auf das Leben von Bürgerinnen und Bürgern. Ich will drei Änderungen gesondert hervorheben. Diese betreffen die weißen Karteikarten, die Sternenkinder – von denen hat Frau Vogelsang gerade gesprochen – und intersexuelle Menschen. Der Umgang mit den weißen Karteikarten ist nach langen Verhandlungen nun endlich geregelt. Auf diesen Karteikarten sind Informationen über nichteheliche und adoptierte Kinder der Geburtsjahrgänge 1970 bis 2009 gesammelt. Wichtig ist, dass die Nachlassgerichte von nichtehelichen und einzeladoptierten Kindern eines Verstorbenen Kenntnis erhalten. Die Länder hatten vorgeschlagen, diese Karten an die Bundesnotarkammer zu überführen. Diese sollte dann eine entsprechende Datei einrichten und die Nachlassgerichte unterrichten. Diesen Vorschlag hat die Bundesregierung abgelehnt, obwohl die Gefahr bestand, dass aufgrund fehlender Informationen falsche Erbscheine ausgestellt würden. Auch auf -unsere Kleine Anfrage haben wir nur hinhaltende Antworten erhalten. Umso erfreulicher ist es, dass die Bundesregierung sich nun mit den Bundesländern geeinigt hat. Nun sollen die weißen Karteikarten an die Bundesnotarkammer übermittelt und dort verwaltet werden. Die dafür anfallenden Kosten haben die Länder zu tragen. Die laufenden Betriebskosten übernimmt der Bund. Wir hätten uns zwar auch eine personenstandsrechtliche Lösung vorstellen können. Aber das Entscheidende für uns ist, dass diese Informationen nicht verloren gehen und Schutz im Erbrecht garantiert wird. Ich freue mich, dass die Bundesregierung sich hier im Interesse der Betroffenen bewegt hat. (Beifall des Abg. Rainer Erdel [FDP]) Die Eintragung von sogenannten Sternenkindern war ein großes Anliegen vieler Eltern. Deshalb wurde damit auch der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages befasst. Der Eingabe lagen 8 428 Mitzeichnungen, mehrere sachgleiche Petitionen, über 11 000 eingereichte Unterschriften sowie 19 484 Onlineunterschriften zugrunde, eine beachtliche Zahl an Menschen, die dieses Thema bewegt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir begrüßen es ausdrücklich, dass die sogenannten Sternenkinder, also Kinder, die mit einem Gewicht von weniger als 500 Gramm tot zur Welt kommen, nun endlich personenstandsrechtlich registriert werden können. Es ist auch gut, dass auf der Bescheinigung für die Eltern von Sternenkindern nicht mehr solche Worte wie „Leibesfrucht“ oder „Fehlgeburt“ auftauchen. Für die betroffenen Eltern war es nämlich keine Leibesfrucht, sondern ihr Kind. Deshalb ist es richtig, dass nun in der Bescheinigung „Kind“ steht. (Beifall im ganzen Hause) Für uns als SPD-Bundestagsfraktion ist es wichtig, dass die Eintragung von Sternenkindern nicht erst ab Inkrafttreten des Gesetzes möglich ist, sondern auch rückwirkend gilt. (Beifall der Abg. Kirsten Lühmann [SPD] und Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]) Uns wurde vom Bundesinnenministerium versichert, dass geprüft wurde, dass die nun vorgesehene rechtliche Regelung eine rückwirkende Eintragung ermöglicht. Wir hoffen, dass das Bundesinnenministerium diese Ansicht auch gegenüber den Behörden vertritt. Die Gesetzesänderung zeigt, dass Petitionen von Bürgerinnen und Bürgern erfolgreich sein können. Ich danke allen, die ihr Anliegen auf diesem Weg an uns herangetragen haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Im ursprünglichen Entwurf zum Personenstandsrecht war kein Wort zu der Situation intersexueller Menschen zu finden, und das, obwohl der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme eine Lösung angemahnt hat. Außer Verzögerungen durch Hinweise auf die Komplexität des Problems und auf das fortgeschrittene Gesetzgebungsverfahren war weder bei der Bundesregierung noch bei den Koalitionsfraktionen eine Bereitschaft zu erkennen, sich bei diesem Thema zu bewegen. Umso mehr freut es meine Fraktion und mich, dass die Koalitionsfraktionen offenbar meine Ausführungen in der ersten Lesung aufmerksam gelesen, sie sich zu Herzen genommen und sich mit dem Thema befasst haben. Wir begrüßen es deshalb ausdrücklich, dass die Koalitionsfraktionen nun einen Änderungsantrag vorgelegt haben, in dem es heißt: (3) Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen. Diese Regelung hatte die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte in einem Fachgespräch des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Oktober letzten Jahres als Minimallösung bezeichnet. Es ist trotzdem gut und richtig, dass es hier nun eine neue Regelung gibt. Ich hoffe, dass wir diese Lösung für Intersexuelle zum Anlass nehmen, endlich auch etwas für Transsexuelle zu tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Es liegen zahlreiche Urteile des Bundesverfassungsgerichts vor, die das Transsexuellengesetz von 1980 in weiten Teilen als verfassungswidrig einstufen. Dieses Gesetz entspricht auch nicht mehr dem heutigen Stand der Wissenschaft. Auch hier bestünde akuter Handlungsbedarf. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Alles in allem halten wir dieses Gesetz für richtig, vor allem durch die Ergänzungen aufgrund des Änderungsantrags, der im Innenausschuss vorgelegt wurde. Wir werden dem Gesetzentwurf in der veränderten Form zustimmen. Danke sehr. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Manuel Höferlin (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Personenstandsrecht ist sonst eher eine -trockene Materie. Heute ändern wir einige ganz wesentliche Punkte im Gesetz. Lassen Sie mich kurz einige vorstellen. Ein zentraler Punkt – das ist schon gesagt worden; deswegen fasse ich mich, obwohl das sehr wichtig ist, etwas kürzer – ist der Umgang mit den Sternenkindern. Es kommt immer wieder vor, dass Kinder geboren werden, die noch nicht 500 Gramm wiegen. Das ist eine große Tragödie für Eltern und Geschwister, die zum Teil schon eine persönliche Bindung zu dem ungeborenen Kind aufgebaut und ihm einen Namen gegeben haben. Das ist auch ein Problem im aktuellen Personenstandsrecht. Denn bisher wurden die Kinder nicht erfasst; für den Staat haben diese Kinder rechtlich quasi nicht existiert. In der Vergangenheit war die Konsequenz daraus manchmal, dass diesen Kindern eine Bestattung verweigert wurde. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen – da sind wir uns alle einig –, ist nicht hinnehmbar. (Beifall im ganzen Hause) Eltern müssen ein Recht auf Anerkennung ihrer -Elternschaft haben. Sie müssen das Recht bekommen, angemessen um ihr Kind zu trauern. Sie müssen die Möglichkeit haben, seiner anständig gedenken zu können. Die Petition einer Familie aus Hessen – sie sitzt auf der Besuchertribüne – hat viel bewegt. Ich bin froh darüber, dass wir jetzt die Möglichkeit schaffen, dass sich künftig Eltern unabhängig vom Gewicht ihres Kindes ihre Elternschaft anerkennen lassen können. (Beifall im ganzen Hause) Es gibt auch noch andere Änderungen im Personenstandsrecht. Wir haben zum Beispiel gesetzlich geregelt, dass, wenn bei der Geburt eines Kindes das Geschlecht nicht eindeutig festgestellt werden kann, künftig der Eintrag im Personenstandsregister offengelassen werden kann, ohne Frist. In Deutschland kommen Menschen zur Welt, die biologisch nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können. Die Festlegung auf ein Geschlecht ist für die Betroffenen oftmals unpassend und sehr problematisch; denn wenn sich dieses später als das „falsche“ Geschlecht für sie herausstellt, ist das in der Folge ein großes Problem. Das hat auch der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme erkannt. Liebe Frau Fograscher, glauben Sie mir: Wir haben das schon vor der ersten Lesung auf dem Schirm gehabt und auch bereits besprochen. Aber ich glaube, es ist richtig, dass man Dinge, auf die man sich noch nicht geeinigt hat, hier noch nicht groß diskutiert. Die FDP hat sich eingebracht, weil wir wollten, dass das im Gesetz steht. Ich glaube, es ist für die Intersexuellen eine Verbesserung, wenn der Eintrag offenbleibt. Das ist sachgerecht und praxisnah. Damit wird das Leben für die Intersexuellen ein Stück leichter. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Koalition hat noch weitere Verbesserungen in das Gesetz eingebracht. Dazu gehört die Möglichkeit, -Todesfälle im Ausland von den Auslandsvertretungen beurkunden zu lassen. Viele Deutsche halten sich im Ausland auf. Sie gehen als Entwicklungshelfer, als Katastrophenschützer, als Freiwillige im Entwicklungsdienst ins Ausland. Sie dienen als Bundeswehrsoldaten oder als Polizisten. Sie berichten als Korrespondenten aus Krisengebieten, oder sie machen schlicht Urlaub. Dabei kommt es leider immer wieder zu tragischen Todesfällen – durch einen Sprengsatz, einen bewaffneten Raubüberfall, einen Verkehrs- oder einen Badeunfall. Die Hinterbliebenen stehen vor großen Problemen. Sie haben nicht nur einen schmerzhaften persönlichen Verlust erlitten, sondern sie müssen sich zusätzlich noch darum kümmern, dass ihre Angehörigen nach Deutschland zurückkommen. Zudem entsteht für sie derzeit noch der Aufwand, dass sie bei ihrem örtlichen Standesamt die Sterbeurkunde des Angehörigen ausfertigen lassen müssen. Dass Menschen in einer solch schwierigen Situation auch noch mit bürokratischem Ärger behelligt werden oder Probleme bekommen, weil wichtige Dokumente fehlen, kann nicht länger hingenommen werden. Daher passen wir im neuen Personenstandsgesetz auch in diesem Fall die Verwaltungsarbeit an die Realität an. Zukünftig können Auslandsbehörden die Ausstellung der Sterbeurkunde in Auftrag geben und die Angehörigen so entlasten. Ich glaube, das ist eine klare Verbesserung der Rechtslage. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine weitere Änderung im Gesetz sorgt dafür, dass zukünftig die zusätzliche Angabe des Geschlechts in personenstandsrechtlichen Urkunden, wie beispielsweise Eheurkunden, erforderlich wird. Dies, sehr geehrte Frau Kollegin Fograscher, ist sehr wohl auch für Transsexuelle hilfreich; denn wenn ihr rechtliches Geschlecht erfasst wird, ist das unter Umständen für sie ein Vorteil. Gleichzeitig stärken wir den Offenbarungsschutz für Transsexuelle, indem ihr früheres Geschlecht nicht offenbart wird. Ich gebe zu: Das ist lediglich ein erster Schritt, aber für die Transsexuellen ist es ein wichtiger Schritt. Wir wünschen uns, dass da noch mehr folgt. Darüber hinaus werden wir noch eine Reihe technischer Anpassungen im Gesetz vornehmen, um das Personenstandswesen zeitgemäßer, moderner zu machen und es an die Lebensrealitäten der Bürgerinnen und Bürger anzupassen. Insgesamt kann man sagen: Das Gesetz ist ein gutes Gesetz für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Wir stärken die Rechtspositionen, die Entscheidungsfreiheit und den Schutz ihrer Privatsphäre. Ich freue mich ausgesprochen über die breite – nicht ganz uneingeschränkte – Zustimmung (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Abwarten!) zum Personenstandsrechts-Änderungsgesetz. Aber ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, dass auch der Rest des Hauses dem Gesetzentwurf am Ende zustimmen wird. Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke wird diesem Gesetzentwurf zustimmen, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auch wenn ich ein paar Kritikpunkte habe, Herr Kollege Höferlin. Der vorliegende Gesetzentwurf hat sich zur Aufgabe gemacht, Schlussfolgerungen aus den praktischen Erfahrungen zu ziehen. In letzter Minute hat der Innenausschuss noch eine Änderung am ursprünglichen Gesetzentwurf der Regierung vorgenommen. Darauf gehe ich gleich ein. Auch die Linke hat sich dafür eingesetzt, dass die Möglichkeit besteht, dass Eltern von totgeborenen Kindern bzw. Sternenkindern diese im Personenstandsregister eintragen lassen können. Das ist für uns seit langem eine Selbstverständlichkeit. (Beifall bei der LINKEN) Nachdem die Koalitionsfraktionen noch einen Änderungsantrag eingebracht haben, wonach ein neugeborenes Kind ohne eindeutige Geschlechtszugehörigkeit nun auch ohne Geschlechtsangabe in das Geburtenregister eingetragen werden kann, meinen wir, dass das in der Tat den Druck von den Eltern nimmt, schon bald nach der Geburt geschlechtsangleichende Operationen an ihrem Kind vornehmen zu lassen. Wir wissen, dass das Kind dies in der Regel nur selbst entscheiden kann, wenn es erwachsen ist. Wir wissen, dass gerade solche Kinder sehr depressiv sind. Es gibt überdurchschnittlich viele Selbstmorde und Ähnliches. Ich will hier etwas ganz deutlich sagen; das ist nämlich nicht ganz richtig wiedergegeben worden. Der Deutsche Ethikrat hat vor einem Jahr eine Stellungnahme zum Thema Intersexualität abgegeben, auf die sich nun die Koalition mit ihrem Vorschlag beruft. Allerdings hat der Ethikrat sehr viel weiter gehende Forderungen aufgestellt, die sich im vorliegenden Gesetzentwurf leider nicht wiederfinden. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Schade! Chance vertan!) Die Möglichkeit, in der Kategorie „Geschlecht“ neben „männlich“ oder „weiblich“ eine neue Kategorie, nämlich „anderes“, einzuführen, die es übrigens in einigen Ländern gibt – Australien, Belgien usw. –, ist leider nicht aufgegriffen worden. (Manuel Höferlin [FDP]: Das ist richtig so!) – Das geht meines Erachtens sehr wohl. Das Entscheidende ist, Herr Kollege: Im Grunde genommen ist die jetzige Lösung halbherzig; denn die Eltern und die Betroffenen werden durch eine Nichteintragung immer wieder in Erklärungsnöte gebracht. Wenn sie auf irgendeiner Behörde sind, werden sie gefragt: Warum steht da nicht „männlich“ oder „weiblich“? Was sind Sie eigentlich? Meine Kollegin Gabriele Fograscher hat hier bereits erwähnt, dass für transsexuelle Menschen im vorliegenden Gesetz keine Lösungen gefunden wurden. Es gibt sehr hohe Hürden, insbesondere im Transsexuellen-gesetz. Wir finden es sehr problematisch, dass Betroffene beispielsweise ihre Vornamen immer noch nicht eigenständig verändern können; sie können da nicht einfach zur Behörde gehen. Sie müssen immer noch zwingend psychiatrische Begutachtungen über sich ergehen lassen, die übrigens – das nur ganz nebenbei – teuer sind, wenn sie eine Änderung ihres Vornamens vornehmen wollen. Deswegen fordern wir hier ganz klar unbürokratische Herangehensweisen, sodass diejenigen, die ihren Vornamen ändern wollen, ihn auch ändern können, wenn sie sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Insofern stimmen wir zwar zu, aber melden noch einigen Nachbesserungsbedarf an; Nachbesserungen werden wir weiterhin fordern. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nun hat Konstantin von Notz das Wort. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir freuen uns, verehrte Kolleginnen und Kollegen der -Koalition, nach der kontroversen Debatte, die dieser -Debatte vorausgegangen ist, zur Abwechslung auch einmal gemeinsam mit Ihnen ein Gesetz verabschieden zu können. Dieser Gesetzentwurf, den wir hier heute diskutieren, umfasst vor allem klarstellende und redaktionelle Änderungen, die wir allesamt mittragen. Besonders hervorzuheben ist die neu geschaffene Möglichkeit der Anzeige jeder Fehlgeburt gegenüber dem Standesamt und die Erlangung einer amtlichen Bescheinigung hierüber; viele haben es hier schon angesprochen. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt; das hat auch die erfolgreiche Petition zu diesem Thema gezeigt. Auch ich danke Ihnen im Namen meiner Fraktion für Ihr Engagement in dieser -Sache, liebe Vertreterinnen und Vertreter des Sternenkinder e. V. (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Die wesentliche Reform des Personenstandswesens erfolgte in der letzten Legislaturperiode. Die schwarz-rote Koalition war in der glücklichen Lage, im Wesentlichen auf die gute Vorarbeit der rot-grünen Koalition zu diesem komplexen Thema zurückgreifen zu können. (Manuel Höferlin [FDP]: Heiterkeit bei der FDP-Fraktion!) Im Ergebnis wurden insbesondere die Beurkundung in elektronischen Personenstandsregistern und der standardisierte elektronische Informationsaustausch zwischen den Standesämtern gesetzlich geregelt. Bei der Umsetzung wurden eine fünfjährige Übergangsperiode und die Evaluierung der Erfahrungen durch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe vereinbart. Die Ergebnisse dieser Evaluierung liegen im Wesentlichen der vorgelegten Initiative zugrunde. Bedauerlich war – das kann man an dieser Stelle ruhig noch einmal sagen –, dass die Bundesregierung im Rahmen dieser Reform ursprünglich keine Bereitschaft zeigte, auf die auch vom Bundesrat unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates angeratene Berücksichtigung von Intersexuellen einzugehen. Meine Fraktion und ich haben dazu in einem eigenen Antrag und in Übereinstimmung mit dem Ethikrat eine eigene Berücksichtigung Intersexueller im Personenstandsrecht eingefordert bzw. eine Überprüfung der Notwendigkeit der Eintragung bzw. Ausdifferenzierung des Geschlechts. Umso mehr freut es uns heute, dass jetzt im nochmals überarbeiteten Antrag der Koalitionsfraktionen eine Änderung des § 22 Personenstandsgesetz vorgeschlagen wird, wonach bei Geburt eines intersexuellen Kindes der Personenstandsfall ohne Angabe zum Geschlecht in das Geburtenregister einzutragen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit setzt die Koalition auch unsere Forderung um, das Personenstandsrecht so zu ändern, dass ein Eintrag des Geschlechts in der Geburtsurkunde auch der Existenz von intersexuellen Menschen angemessen Rechnung trägt. Ebenfalls begrüßenswert ist – der Kollege Höferlin hat es angesprochen – die nunmehr veranlasste Änderung bezüglich transsexueller Menschen. Die Koalition hat endlich eingesehen, dass nach der Ermöglichung gleichgeschlechtlicher Ehen im Rahmen des Transsexuellenrechts von 2009 das Geschlecht der Ehegatten bzw. Lebenspartnerinnen und Lebenspartner nicht selbstverständlich ist und im Ehe- bzw. Lebenspartnerschafts-register deshalb gesondert ausgewiesen werden sollte. Gleichzeitig wird mit der beabsichtigten Regelung der bisher nur für Geburtsurkunden bestehende Offen-barungsschutz auch auf die Erteilung von Ehe- und -Lebenspartnerschaftsurkunden erweitert. (Manuel Höferlin [FDP]: So ist es!) Das Personenstandswesen wird in dem Maße im Umbruch bleiben, wie der gesellschaftliche Wandel Veränderungen von Ehe, Familie oder auch individuellen Identitäten nach sich zieht. Gerade bei der von uns maßgeblich erstrittenen Lebenspartnerschaft werden wir weiter darauf hinwirken, dass die Gleichbehandlung auch im Rahmen des Personenstandsrechts umgesetzt wird und gewahrt bleibt. Gleichzeitig werden wir im Sinne des Datenschutzes aufmerksam darauf achten, dass im Personenstandsrecht die Einhaltung des Erforderlichkeitsgrundsatzes und die Beschränkung der Erfassung von personenbezogenen Daten auf das zur Zweckerreichung unbedingt Erforderliche von ganz zentraler Bedeutung bleibt. Ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Letzter Redner in der Debatte ist Peter Tauber für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn ein Fraktionskollege mich dankenswerterweise darauf hingewiesen hat, dass ich als letzter Redner rechtlich nicht verpflichtet bin, meine Redezeit voll auszuschöpfen, (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Jawohl! So ist es! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Guter Hinweis!) möchte ich doch zu zwei oder drei Dingen etwas sagen. Zunächst möchte ich sagen, dass ich mich sehr freue. Ich freue mich, dass wir heute das Gesetz zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften verabschieden. Der Name des Gesetzes lässt auf eine sehr technische Änderung schließen. An vielen Stellen dieses Gesetzes ist das auch so. Mit dem Gesetzentwurf wird das am 1. Januar 2009 in Kraft getretene neue Personenstandsrecht punktuell verbessert, mit klarstellenden Änderungen versehen und an die Anforderungen eines modernen Beurkundungswesens angepasst. Das ist ein Grund, sich richtig zu freuen. – Na ja, vielleicht nicht so ganz. Ich freue mich zunächst einmal, dass wir dieses Gesetz heute offensichtlich einstimmig beschließen werden. (Gabriele Fograscher [SPD]: Das kommt vor!) Darüber kann man sich gemeinsam freuen. Ich freue mich auch – man soll sich nicht selber loben; aber es spricht ja nichts dagegen, dass ich einmal alle anderen Kolleginnen und Kollegen, die daran mitgearbeitet -haben, lobe –, dass an ganz vielen Stellen – ich bin Mitglied im Familienausschuss – mit ganz viel Engagement und auch fraktionsübergreifend an zwei, drei Stellen -gearbeitet wurde. Die Kollegin Vogelsang, die vor mir gesprochen hat, kann man an dieser Stelle, glaube ich, ganz besonders erwähnen, weil sie sich sehr engagiert hat, bei dem Thema Sternenkinder sogar so sehr, dass sich die österreichischen Kolleginnen und Kollegen das inzwischen zum Vorbild genommen haben und jetzt überlegen, ein ähnliches Gesetz auf den Weg zu bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich persönlich freue mich über einen anderen Punkt ein bisschen intensiver. Ich habe für meine Fraktion im November 2011 hier zum allerersten Male in einer Debatte sprechen dürfen, die sich mit dem Thema Intersexualität beschäftigt hat. Das war das allererste Mal, dass der Deutsche Bundestag überhaupt über dieses Thema diskutiert hat. Ganz ehrlich: Wenn man mit Besuchergruppen aus dem Wahlkreis, vielleicht auch mit dem einen oder anderen Kollegen darüber gesprochen hat, dann hat man zumindest in fragende Augen geschaut: Intersexualität, was ist das? Wir haben damals den Ethikrat -beauftragt, uns eine Stellungnahme an die Hand zu geben, die uns helfen soll, uns den Herausforderungen und Problemen, denen intersexuelle Menschen in unserer Gesellschaft gegenüberstehen, zu nähern und sie zu verstehen. Wie sehr wir an diesem Thema noch arbeiten müssen, erkennt man auch an der Ungenauigkeit der Zahlen – ich habe es schon in meiner letzten Rede erwähnt –: Jedes Jahr werden zwischen 150 und 340 Kinder geboren, die in die Kategorie „intersexuell“ fallen. In einem Land, in dem wir die Statistik perfektioniert haben, ist eine solche Bandbreite, wie ich finde, atemberaubend. Das zeigt eben, dass wir über dieses Thema noch nicht wirklich viel wissen, dass wir uns dem Thema auch hier im Parlament erst nähern. Es mag deswegen richtig sein, dass wir nicht alles, was uns der Ethikrat vorschlägt, heute beschließen; das können wir auch gar nicht, weil die Vorschläge ganz viele Politikfelder betreffen, nicht nur das Personenstandsrecht. Die Kollegen im Gesundheitsausschuss sind aufgerufen, sich damit zu befassen. Die Kollegen im Familienausschuss werden über das Thema reden müssen. Wir müssen schauen, ob wir uns mit dem Geld, das wir in den Haushalt eingestellt haben, noch einmal fachlich und wissenschaftlich beraten lassen können, um zu sehen, was da in den nächsten Jahren noch getan werden kann. Das Thema ist nicht nur zum ersten Mal im Deutschen Bundestag diskutiert worden; wir haben nun auch – das ist das Schöne; ich freue mich darüber – ein Ergebnis: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Künftig wird es nicht mehr notwendig sein, dass sich die Eltern von intersexuellen Kindern gegenüber dem Standesamt auf ein Geschlecht festlegen. Vielmehr kann diese Kategorie offenbleiben, bis eine Entscheidung -getroffen werden kann: Entweder entscheidet sich ein betroffener Mensch für das eine bzw. das andere Geschlecht – das tun viele intersexuelle Menschen –, oder er entscheidet sich für den Lebensentwurf, zu sagen: Nein, ich bin nun einmal intersexuell. – Auch das bildet das neue Personenstandsrecht ab. Mein Dank gilt hier dem Staatssekretär im Innenministerium, dem Kollegen Schröder, der sich ebenfalls dafür eingesetzt hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Von denjenigen, die dieser Debatte, ob aus Schlaf-losigkeit oder aus großem Interesse, zu später Stunde folgen, wird sich der eine oder andere immer noch die Frage stellen: Was sind denn intersexuelle Menschen? Intersexuelle Menschen sind Menschen, die nicht in das medizinische und rechtliche Konstrukt zweier abgrenzbarer Geschlechter passen, die also weder klar männlich noch klar weiblich sind. Gerade weil diese Menschen unseren gängigen Normen und Geschlechterkategorien nicht entsprechen und wir sie ihnen auch nicht zuordnen können, kann sich jeder vorstellen, welchen Herausforderungen sich diese Menschen und vor allem auch die Eltern von intersexuellen Kindern gegenübersehen. Ich glaube, wir tun gut daran, heute einen wichtigen Schritt zu gehen und diesen Menschen, auch wenn sie eine ganz kleine Gruppe bilden, zu signalisieren: Wir haben verstanden, dass wir uns um sie kümmern müssen. Wir müssen ihnen aber auch sagen: Wir werden uns jetzt nicht zurücklehnen; das Thema ist damit nicht erledigt. Es gibt ganz viele Stellen, an denen wir das Thema in den unterschiedlichen Fachausschüssen weiter begleiten werden. Ich freue mich darauf, dass wir das im Familienausschuss tun, und ich freue mich über das Gesetz, das wir heute verabschieden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12192, den Gesetzentwurf der Bundes-regierung auf Drucksache 17/10489 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem -Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen -wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Manuel Höferlin [FDP] und Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Dr. Sascha Raabe, Wolfgang Tiefensee, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Transparenz in den Zahlungsflüssen im Rohstoffbereich und keine Nutzung von Konfliktmineralien – Drucksache 17/11876 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Hier liegt uns ein grundsätzlich gut gemeinter Antrag der SPD-Fraktion vor. Ich befürchte nur, gut gemeint ist nicht gut gemacht. Das Bemühen um mehr Transparenz und die Sanktionierung von Konfliktmineralien sind prinzipiell zu begrüßen. Aber setzen wir dabei auf die richtigen und verhältnismäßigen Instrumente? Oder sind Forderungen aus dem vorliegenden Antrag bereits erfüllt? So setzt sich die Bundesregierung bereits im Rahmen der G 8 und G 20 für eine breite internationale Unterstützung für EITI ein und ermuntert Unternehmen, sich an dieser freiwilligen Initiative zu beteiligen. Diese Schwerpunkte sind auch bereits in der Rohstoffstrategie der Bundesregierung vom Herbst 2010 festgelegt. Der Antrag nennt die Entwicklungen in den USA, insbesondere einige Aspekte des Dodd-Frank Act, als positives Beispiel für Bemühungen um mehr Transparenz. Allerdings ist die Situation in den USA nicht so eindeutig, wie im Antrag aufgeführt. Die Ausführungsbestimmungen der US-Börsenaufsicht ESC für Jahresabschlüsse im Sinne des Dodd-Frank Act werden -gerade juristisch angefochten; der entsprechende Rechtsstreit dauert noch an. Außerdem ist in den Ausführungsbestimmungen der US-Börsenaufsicht, entgegen der Darstellung im Antrag, nicht festgelegt, wie ein Projekt definiert wird. Da gibt es unterschiedliche Ansichten. Sie hat vielmehr verschiedene Projektdefinitionen dargestellt und manche ausgeschlossen. Vor einer Eins-zu-eins-Übernahme sollten wir eine Evaluation des Dodd-Frank Act abwarten. Dazu sind Studien in Arbeit. Möglicherweise meiden Bergbauunternehmen künftig Konfliktregionen aus Sorge vor möglichen Sanktionen oder Rechtsunsicherheit generell. Dies könnte den existierenden, legalen Bergbau gefährden und kriminellen Marktakteuren Vorteile verschaffen sowie für weitere politische Instabilität sorgen. Weiterhin sind Wettbewerbsnachteile und zusätzliche Bürokratiekosten für deutsche und europäische Unternehmen zu befürchten. Nachteile, die andere internationale Akteure nicht haben und die unsere Unternehmen in Entwicklungsländern verdrängen. Leider geht der Antrag nicht auf das Instrument der Rohstoffpartnerschaften ein. Rohstoffpartnerschaften sind ein zentrales Instrument der deutschen Rohstoffpolitik. Sie dienen einerseits der Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft, aber andererseits auch des Technologie- und Know-how-Transfers in die Partnerländer. Dies betrifft auch die Etablierung von Umwelt- und Sozialstandards sowie die Implementierung von Transparenz- und Antikorruptionsregeln. Deutschland fördert bereits, auch im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit, die Etablierung von Good-Governance-Standards. Beispielhaft für das Engagement Deutschlands im Bereich der Rohstoffpartnerschaft ist die Zusammenarbeit mit der Mongolei. Dort kooperieren im Rahmen der Integrated Mineral Ressource Initiative, IMRI, deutsche Durchführungsorganisationen eng mit der internationalen, deutschen und lokalen Privatwirtschaft. Mit diesen Partnerschaften ist sicher mehr für Transparenz und gute Regierungsförderung zu erreichen als mit Schaufensteranträgen oder der Denunziation der Rohstoffpartnerschaften als neokoloniale Ausbeutungsregime. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, führt bereits ein G-8-Pilotprojekt zur Zertifizierung von Handelsketten für mineralische Rohstoffe in Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo, DRC, durch. Weiterhin wurde ein belastbares, standardisiertes Verfahren für den Herkunftsnachweis von Coltan und ein Konzept für dessen umfassende internationale Verankerung entwickelt. Beide Verfahren tragen nun zum Aufbau eines Zertifizierungssystems in der Region der Großen Seen in Afrika bei. Deutschland unterstützt diese Maßnahmen im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Deutschland setzt sich also bereits aktiv für mehr Transparenz auf den internationalen Rohstoffmärkten ein. Mit der Rohstoffpartnerschaft haben wir bereits ein positives Model für Entwicklungsländer entwickelt, welches Unterstützung verdient. Weiterer Anträge zu diesem Thema bedarf es nicht. Erich G. Fritz (CDU/CSU): Sowohl in Bezug auf Zahlungsströme als auch auf die Anforderungen zur Nutzung von Mineralien aus Konfliktregionen unterstütze ich international abgestimmte Forderungen nach Transparenz im Rohstoffbereich. Viele weltweit tätige deutsche Unternehmen orientieren sich seit geraumer Zeit mit Erfolg an den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, mit denen Standards für unternehmerisches Handeln unter anderem im Hinblick auf Menschenrechte, Umwelt und Korruptionsbekämpfung gesetzt wurden. Auch die freiwilligen Verhaltensleitlinien des Global Compact der Vereinten Nationen stoßen bei der heimischen Industrie auf großen Anklang. Wieso ist das der Fall? Wir haben einerseits das Angebot, das sich im Rohstoffsektor bisher nicht immer auf eindeutige Herkunftskonturen zurückführen ließ. Auf der anderen Seite besteht eine große Nachfrage nach Rohstoffen aus ordnungsgemäßer Herkunft, sowohl unter Menschenrechts-, Umwelt- als auch Korruptionsgesichtspunkten. Insofern erhöht sich auch der Druck auf Zwischenhändler, die nun bemüht sind, eben solche nachhaltigen Produkte zu liefern. Ein Angebotsüberschuss an Konfliktmineralien ist demnach schlecht für den Verkauf; ein Nachfrageüberschuss an nachhaltigen Produkten ist schlecht für den Anbieter. Aufgrund dieser simplen Ökonomie bin ich der Meinung, dass hier marktwirtschaftliche Gesetze positiv wirken und die richtigen Leitplanken gesetzt werden können. Anders als im vorliegenden SPD-Antrag argumentationslos beschrieben, denke ich, dass freiwillige Maßnahmen ausreichen können. Was macht mich da so sicher? In Ihrem Antrag, sehr geehrte Damen und Herren der SPD, erwähnen Sie Art. 1502 des geplanten amerikanischen Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act, kurz Dodd-Frank Act. Demnach sollen Unternehmen erstmalig 2014 für das vorangegangene Kalenderjahr dokumentieren, ob in ihren Produkten Rohstoffe enthalten sind, die aus der Demokratischen Republik Kongo und angrenzenden Ge-bieten gewonnen wurden, und Auskunft über ihre -Herkunft geben. Als Rohstoffe werden hier die sogenannten 3TG geführt, die in diversen Projekten gefördert werden: Tantal, Wolfram – englisch Tungsten –, Zinn – englisch Tin – und Gold. Bereits jetzt wirkt sich das Gesetz auch auf deutsche Unternehmen aus, die mit Tochterunternehmen an der US-Börse gelistet sind oder die an der US-Börse gelistete Unternehmen beliefern: Die Anforderung eines Herkunftsnachweises wird an die Zulieferer weitergegeben. Mischschmelz- und Veredelungsprozesse können jedoch dazu führen, dass sich eine Herkunft nicht mehr eindeutig nachweisen lässt. Das so umgegossene oder veredelte Endprodukt aus einem unbedenklichen Drittland, das möglicherweise Konfliktrohstoffe beinhalten kann, entzieht sich den geforderten Ausfuhrbestimmungen. Ein eindeutiger Herkunftsnachweis ist somit kaum zu realisieren. Da Unternehmer und Zulieferer nun Klage gegen die US-Börsenaufsicht SEC eingereicht haben – begründet durch die bürokratische Mehrbelastung sowie wettbewerbsverzerrende Auflagen für einen Handel auf dem Weltmarkt durch den Dodd-Frank Act –, bleibt die tatsächliche Umsetzung dieses staatlichen Zwangs fraglich. Man baut nicht auf eine nachhaltige, unternehmerische Einsicht – auch wenn sie in manchen Fällen nur profitorientiert sein mag – seitens Anbieter und Nachfrager für soziale, ökologische und transparente Rohstoffe und Zahlungsströme, sondern verabreicht offenbar, wie dem vollständigen Namen dieser Gesetzesinitiative – Wall Street Reform and Consumer Protection Act – schon zu entnehmen ist, eine Beruhigungspille für weltweite Finanzmärkte und nationale Investoren, die vom Reformwillen nach der weltweiten Finanzkrise überzeugt werden wollen. Die Europäische Union sieht das anscheinend ähnlich: So ist das Europäische Parlament aufgrund eines Kommissionsvorschlages von seinen sehr weitreichenden Forderungen vom September 2012 bereits teilweise abgerückt. Der vorliegende Entschließungsantrag der SPD gibt daher nicht den aktuellsten Sachstand wieder. Bedauerlich finde ich, dass in dieser internationalen Diskussion der Erfolg des Kimberley-Prozesses von Anfang 2003 vergessen wird: Dieser Selbstregulierungsmechanismus beinhaltet die Einigung von Diamantenindustrie sowie Diamanten importierenden und exportierenden Ländern auf staatliche Herkunftszertifikate, mit dem Ziel, den Schmuggel sogenannter Blut-diamanten zu verhindern. Die Konfliktdiamanten dienten hauptsächlich der Finanzierung regionaler, meist äußerst brutaler Bürgerkriege. Kurz zuvor entschied sich die Europäische Union dazu, diesen Selbstregulierungsprozess mit der Verordnung (EG) Nr. 2368/2002 des Rates vom 20. Dezember 2002 zur Umsetzung des Zertifikationssystems des Kimberley-Prozesses für den internationalen Handel mit Rohdiamanten zu unterstützen. Als Folge davon sehen Sie heutzutage nur noch Entsetzen im Gesicht eines Juweliers, wenn Sie sich nach Blutdiamanten erkundigen. Sogleich werden Ihnen Zertifikate vorgelegt, die einen konfliktfreien Abbau bestätigen. Zugegebenermaßen kann man Zertifikate fälschen und eine Herkunft verschleiern. Genau das ist das aktuelle Problem der deutschen, aber auch internationalen rohstoffverarbeitenden Industrie: Wie eingangs beschrieben, lässt sich nach dem Schmelzprozess nicht mehr eindeutig nachweisen, woher die einzelnen Rohstoffbestandteile stammen, wenn das veredelte Endprodukt auf dem Weltmarkt angeboten wird. Um hier die bürokratischen Belastungen so gering wie möglich zu halten, befürworte ich die Pilotprojekte der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, zur Zertifizierung von Handelsketten für mineralische Rohstoffe in Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo, DRC. Meines Erachtens ist das der bessere Weg zu mehr Transparenz. Ein standardisiertes Verfahren für den Herkunftsnachweis von Coltan und ein Konzept für dessen breite internationale Verankerung wurden von der BGR entwickelt. Beide Instrumente haben Eingang gefunden in den Aufbau eines Zertifizierungssystems in der DRC sowie in der Region der Großen Seen Afrikas. Diese Projekte will die Bundesregierung auch weiterhin unterstützen. Problematisch sehe ich aber die sich bereits abzeichnenden Folgen der bestehenden Regulierungs- und Zertifizierungsideen: Das Ziel, den Vertrieb von Konfliktmineralen aus dem Ostkongo, deren Abbau in der Hand bewaffneter Gruppen ist, zu verhindern oder zumindest zu erschweren, klingt zunächst plausibel und moralisch richtig. Doch leider bewirkt es den Rückzug der dort aktiven Unternehmen aus der gesamten Region, weil der Herkunftsnachweis zu aufwendig und die Unsicherheit über die genauen Ausführungsbestimmungen noch zu groß ist. Wie die Bloggerin Claire Grauer eindrucksvoll berichtet, kommt es so schlussendlich zu einem selbst auferlegten Handelsverbot, dessen großer Verlierer die arme Bevölkerung ist. Die einzige Erwerbs- und Existenzgrundlage, die Tätigkeit in den Bergbaubetrieben, bricht weg und fördert so die Rekrutierung dieser Menschen durch Rebellengruppen. Ebenso beschreibt die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Laura Seay in einem Arbeitspapier des Center for Global Development „What’s wrong with Dott-Frank 1502?“, dass die bisherigen De-facto-Handelsverbote keineswegs zu Frieden und Menschenrechten im Kongo geführt haben. Bis zu 2 Millionen Menschen haben nun keinerlei Arbeit in den Minen mehr. Die Arbeitsbedingungen in den Minen waren und sind ohne Zweifel bedauerlich; allerdings sind es regional oft die einzigen Einkommensmöglichkeiten für die Menschen. Neben der fehlenden Kaufkraft für die lokale Mikrowirtschaft, so Seay, fehlt es nun Familien an Geld für die Schule der Kinder oder Medikamente. Zeitgleich verstärkt sich der Schmuggel in die für einen Herkunftsnachweis vermeintlich unbedenklichen Nachbarstaaten. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir zusätzlich zu Zertifizierungsmaßnahmen weitere Instrumente ins Spiel bringen: Wichtig ist es, auch auf die Regierungen derjenigen Rohstoffländer einzuwirken, die sich noch nicht an freiwilligen Transparenzinitiativen beteiligen. Der Offenlegung der Zahlungen durch Unternehmen sollte die Offenlegung der Einnahmen durch die Regierungen der Rohstoffländer gegenüberstehen. Es muss uns weiterhin ein dringliches Anliegen sein, Entwicklungsländer dabei zu unterstützen, Einnahmen aus dem Rohstoffsektor gezielt für die soziale, ökologische und ökonomische Entwicklung dieser Länder zu nutzen. Dieses Mehr an Transparenz und Good Governance kann zu einer nachhaltigen Rohstoffgewinnung beitragen. Beides unterstütze ich, und beides ist fester Bestandteil der Rohstoffstrategie von 2010, die diese christlich-liberale Regierung verabschiedet hat. Da die Probleme von der Industrie erkannt und -sogar durch Selbstverpflichtungen bekämpft werden, zudem bisherige Zertifizierungsvorhaben wie die der BGR durch die Bundesregierung bereits aktiv unterstützt werden und geplante, internationale Maßnahmen meines Erachtens gänzlich über das Ziel hinausschießen oder sogar zur Konfliktverschärfung beitragen können, lehne ich den vorliegenden Antrag der SPD ab. Dr. Sascha Raabe (SPD): Uns alle, die wir uns in der Entwicklungspolitik -engagieren, eint ein gemeinsames Ziel: Wir wollen Hunger und Armut bekämpfen. Wir wollen gerade den jungen Menschen in den Entwicklungsländern Perspektiven eröffnen, sie darin unterstützen, dass sie sich ein besseres Leben aufbauen können. In vielen Ländern, mit denen wir uns hier beschäftigten, wäre das auch möglich. Es wäre möglich, wenn die arme Bevölkerung am Reichtum ihres Landes teilhaben könnte. Und uns alle eint wohl ebenso der Ärger darüber, dass das nicht funktioniert. Korrupte Regierungen und Eliten und multinationale Konzerne füllen sich skrupellos die Taschen, während die einfache Bevölkerung weiterhin in bitterer Armut lebt. Menschen leiden Hunger, obwohl der Außenhandel ihres Landes boomt; denn Einnahmen, die aus Rohstoffgewinnung und -Bodenschätzen stammen, versickern allzu oft in dunklen Kanälen, als dass sie etwa in ein funktionierendes Gesundheits- und Bildungssystem gesteckt werden. Noch schlimmer: Nicht nur, dass die Bevölkerung am Reichtum nicht teilhaben kann, zum Teil – etwa im Falle der sogenannten Konfliktmineralien – dienen die Einnahmen sogar dazu, Krieg und Gewalt zu finanzieren. Schlechtestes Beispiel hierfür ist die Demokratische Republik Kongo. Hier kurbelt der illegale Handel mit Rohstoffen die Kriegsökonomie kräftig an. Zig Millionen Dollar haben Rebellen und Armee durch die Kontrolle von Minen und Handelsrouten eingenommen. Ohne dieses Geld wäre es kaum möglich gewesen, die kriegerischen Auseinandersetzungen so lange fortzuführen. Hier ist der Rohstoffreichtum mehr Fluch als Segen, und man muss es in dieser Deutlichkeit sagen: Wer in diesem Handel mitmischt, der hat Blut an den Händen. Wir wollen das nicht länger hinnehmen. Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, sich gegen diese Ungerechtigkeit zu wehren. Grundvoraussetzung dafür ist die Transparenz von Zahlungsflüssen im weltweiten Rohstoffhandel. Nur wenn die Öffentlichkeit, die Zivilgesellschaft in den betroffenen Ländern nachvollziehen kann, wer was an wen und wofür gezahlt hat, kann sich für eine gerechtere Verteilung der Einnahmen einsetzen. Das System der Verschleierung, das Korruption, halbseidene Geschäfte und eben auch Gewalt fördert, muss endlich aufgebrochen werden. Es ist bedauerlich, aber an diesem Punkt hört die Einigkeit hier im Hause leider auf. Über den Weg, wie wir mehr Transparenz erreichen können, haben wir ja schon mehrfach gestritten. Die Bundesregierung steht in dieser Frage auf der Bremse und will weiterhin auf die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft -setzen. Wir wollen verbindliche Regelungen; denn wir sagen: Wer allein auf guten Willen und Einsicht setzt, der unterschätzt den Glanz des Goldes und wird dem Problem in keiner Weise gerecht. Das zeigt die Erfahrung. Mit unserem Antrag legen wir nun konkrete Vorschläge vor, wie solche verbindlichen Regelungen ausgestaltet werden sollten. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich meinem Kollegen Rolf Hempelmann für die gute Zusammenarbeit danken, der diesen Antrag mit auf den Weg gebracht hat. Was also wollen wir? Zunächst geht es uns um eine größtmögliche Offenlegung der Zahlungsströme. Umfassende Transparenz in diesem Sinne muss dabei die Offenlegung sowohl auf Länderebene, das Country--by-Country-Reporting, als auch auf Projektebene, also Project-by-Project, beinhalten. Außerdem muss eine eindeutige Projektdefinition festgelegt werden, die sich auf den Vertrag bezieht, aus dem sich die Zahlungsverpflichtungen ergeben. Und es muss klar sein, dass es keine Ausnahmeregelungen geben kann. Das sogenannte Tyrannenveto als Schlupfloch muss ausgeschlossen sein. Ansonsten wäre jede Regelungsnorm nichts als heiße Luft. Wir konkretisieren unsere -Vorschläge sogar so weit, dass wir eine Offenlegungsuntergrenze festschreiben. Wir wollen hier eine Untergrenze von 80 000 Euro einziehen. Das alles sind keine neuen Ideen, und wir wollen uns hier auch gar nicht mit fremdem Lorbeer schmücken. Wir beziehen uns lediglich auf Initiativen, die es bereits gibt, sowohl auf europäischer Ebene als auch in den USA. Ich möchte es an dieser Stelle schon noch einmal betonen: Die USA waren es, die uns mit dem Dodd-Frank Act in der Frage der Transparenz gezeigt haben, wie es gehen kann. Sie haben dankenswerterweise den ersten Schritt gemacht, die EU-Kommission ist inzwischen nachgezogen, und auch wir in Deutschland sollten diesen Weg mitgehen. Wer dazu nicht bereit ist, dem muss man vorwerfen, der Korruption mit all ihren Folgen Tür und Tor zu öffnen. Deutschland war seinerzeit die treibende Kraft, als es darum ging, die Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirtschaft EITI zu starten. Wir dürfen jetzt beim nächsten Schritt nicht der Bremser in Europa sein. Wenn es die Bundesregierung wirklich ernst meint mit ihren Appellen zu Good Governance in den Entwicklungsländern, dann darf sie die Bemühungen um mehr Transparenz nicht blockieren. Die Offenlegung von Zahlungsflüssen ist das eine, der Handel mit den oben erwähnten Konfliktmineralien das andere. Wir wollen die beteiligten Unternehmen dazu verpflichten, einen möglichst lückenlosen Herkunftsnachweis liefern zu müssen, wenn sie etwa mit Rohstoffen aus der Region der afrikanischen -Großen Seen Handel treiben. Insbesondere sind hier wohl Zinn, Tantal, Wolfram und Gold zu nennen. Das Ziel ist klar: Es gilt, den Konflikten in der Demokratischen Republik Kongo und den angrenzenden Staaten die finanzielle Grundlage zu entziehen, damit das Sterben dort endlich ein Ende hat. Auch hier dient wieder der Dodd-Frank Act als Vorbild. Dabei ist uns durchaus bewusst, dass ein solcher Nachweis oft schwer zu führen ist und Unternehmen abschrecken könnte, überhaupt noch in den Problemländern aktiv zu werden. Es wird daher darauf ankommen ein sinnvolles Zertifizierungssystem für Rohstoffe von der Mine an zu entwickeln, das international akzeptierte Transparenzregelungen beinhaltet und die Überprüfung der Einhaltung ökologischer, menschenrechtlicher und sozialer Mindeststandards wie der ILO-Kernarbeitsnormen ermöglicht. Die Bestrebungen der EU, den Handel mit Konfliktmineralien zu unterbinden und strenge Herkunftsnachweise einzufordern, stoßen bereits auf großen Widerstand in der Wirtschaft. Ich habe erst letzte Woche ein entsprechendes Schreiben des BDI erhalten. Dem möchte ich entgegenhalten, dass sogar der UN-Sicherheitsrat in den letzten Jahren die Regierungen der -Mitgliedstaaten mehrfach dazu aufgefordert hat, sicherzustellen, dass Unternehmen keine illegalen Rohstoffe aus Konfliktregionen verarbeiten. Dieser Aufforderung wollen wir nachkommen. Am Ende werden einheitliche Regelungen, wie wir sie hier vorschlagen, im Übrigen auch im Sinne der deutschen Wirtschaft sein. Denn schon jetzt müssen sich deutsche Unternehmen, die in die USA liefern, den Vorgaben des Dodd-Frank Act unterwerfen. Deutsche Zulieferer werden bei Geschäften in den USA künftig gefragt werden, woher sie ihre Rohstoffe beziehen. Ist ein Nachweis nicht möglich, gibt es keinen -Abschluss. Es macht also absolut Sinn, jetzt zügig für einheitliche Transparenzstandards zu sorgen. Man mag sich kaum ausmalen, welches Chaos im internationalen und insbesondere im transatlantischen -Handel entstehen wird, wenn wir damit noch länger warten. Wie Sie sehen, nützt unser Antrag also nicht nur den Menschen in den rohstofffördernden Entwicklungsländern, sondern ebenso unserer Wirtschaft, die von -klaren Regeln profitieren wird. Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen. Sorgen Sie dafür, dass die Bundesregierung endlich den Fuß von der Bremse nehmen muss und Vollgas gibt für mehr Transparenz. Klaus Breil (FDP): Die SPD greift in dem vorliegenden Antrag auf ihre zwei Lieblingsvokabeln „Regulierung“ und „Zertifizierung“ zurück, dieses Mal in Verbindung mit dem Import von Steinkohle. Dabei verfolgen die Genossen mit ihrem Antrag eigentlich ganz andere Ziele: Sie wollen durch zusätzliche Bürokratie den Import von Steinkohle erschweren. Damit wollen sie erstens die 2018 auslaufende Steinkohleförderung, so wie sie die schwarz-gelbe Bundesregierung beschlossen hat, hi-nauszögern. Zum Zweiten wollen sie damit die Verstromung von Braunkohle als letztem verbleibenden heimischen Energieträger zementieren. Das ist rote Klientelpolitik. Wir Liberale haben nichts gegen die Braunkohle, im Gegenteil: Wenn sie sich auf dem Markt gegen die zu importierende Steinkohle oder das zu importierende Erdgas durchsetzt, ist ihr Einsatz geboten. Den bekannten Argumenten der Neinsager von der Linken und den Grünen halte ich folgendes entgegen: Die Renaturierung der Abbaugebiete wird durch die Energieversorger bzw. Abbaugesellschaften finanziert. Den externen Effekten, wie der Emission von CO2, wird durch den Emissionshandel Rechnung getragen. Mit dem Einsatz der CCS-Technologie, die in Deutschland trotz Verbot in den Ländern durch Rot und Grün von deutschen Ingenieuren weiterentwickelt wird, behält die Braunkohle für uns auch weiter ihre Bedeutung. Was den Kern des Antrages angeht, so ist es für mich nur schwer nachvollziehbar, wie die SPD es sich vorstellt, fungiblen Commodities, deren globaler Handel über organisierte Warenterminbörsen abgewickelt wird, einen Fußabdruck anzuheften. Das ist schlichtweg nicht möglich und auch nicht nötig. Dazu will ich Ihnen aus der Praxis der Finanzierung rohstofffördernder Unternehmen berichten. Die milliardenschweren Unternehmen aus dem Bereich der Rohstoffförderung sind schon durch ihre Eigentümerstrukturen gezwungen, die von Ihnen geforderten Standards einzuhalten. Kapitalsammelstellen, wie zum Beispiel das California Public Employees’ Retirement System, CalPERS, bekennen sich zu strengen sozialen und ökologischen Selbstverpflichtungen. Gemäß derer entscheiden sie über Veräußerung oder Akquise von Beteiligungen in Milliardenhöhe. Nachhaltigkeit ist damit für Unternehmen nicht nur eine schöne Worthülse für den CRS-Bericht. Nachhaltigkeit führt über sozialen Frieden und einen wachsenden Wohlstand in den Förderregionen zu einer besseren Verlässlichkeit von Lieferungen, und die ist im Interesse aller. Dabei kann die Rolle des Staates allenfalls eine flankierende sein: Es gibt weltweit eine Vielzahl von Initiativen und Abkommen, die der Verbesserung der Transparenz sowie von Umwelt- und Sozialstandards dienen. Deutschland ist in vielen Fällen als aktiver Partner eingebunden. Deutschland unterstützt die Initiative zur Verbesserung der Transparenz in der Rohstoffindustrie, EITI, politisch und finanziell. Sie ist derzeit sogar Mitglied im internationalen Aufsichtsgremium. Zahlreiche Staaten habe die formulierten Standards anerkannt, ebenso eine Vielzahl von Unternehmen. In Deutschland zählen zum Beispiel RWE und die KfW dazu – eigeninitiativ, ohne gesetzlichen Zwang. Die im Antrag genannten Lieferländer sind Mitgliedstaaten der International Labour Organization, ILO. Sie haben die ILO-Konvention 169 bereits ratifiziert. Die Überwachung der Einhaltung obliegt den Kontrollorganen der ILO. Die betreffenden Länder sind verpflichtet, regelmäßig Berichte über die Umsetzung des Abkommens zu veröffentlichen. Verstößt ein Unterzeichnerstaat gegen Vorgaben der Konvention, können Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen Klagen und Beschwerden einreichen. Damit sind die im Antrag erhobenen Forderungen entweder unnötig oder bereits erfüllt. Die Notwendigkeit für eine gesetzliche Regelung besteht nicht. Tatsächlich aber können einzelne Länder bei der Umsetzung von Richtlinien und Konventionen abweichende Auffassungen vertreten. Ohne Zweifel kann auch die zeitliche Abfolge differieren. Die Bundesregierung unterstützt die betreffenden Länder mit ihrer Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. Sie wirkt damit schon heute auf die Anerkennung und Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards hin. Über die nationale Souveränität einzelner Staaten können wir uns aber nicht hinwegsetzen. Die von Ihnen gern bemühte Kavallerie werden wir nicht zur Sicherung sozialer und ökologischer Standards ins Ausland entsenden. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Verseuchung von Landstrichen, Zwangsumsiedlungen für neue Minenprojekte, Kinderarbeit oder gewaltsames Vorgehen gegen Gewerkschaften: Viele deutsche Rohstoffimporteure, aber auch Stahl- und Automobilfirmen wissen um die Situation in vielen Bergwerken und Tagebauen im Süden, aber sie tun nichts. Sie übernehmen keine Mitverantwortung für die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten -sowie Umweltstandards entlang der Produktions- und Lieferkette. Was zählt, ist der Rohstoffpreis und der freie Marktzugang. Hierzu lesen wir jeden Tag die Forderungen der Unternehmensverbände an die Bundesregierung. Während Konsumenten von Kaffee oder Textilien auf Zertifizierungen zurückgreifen können und so mit ihrem Kaufverhalten Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden etwas entgegensetzen können, sind wir beim Kauf von Heizöl, Autos oder Baumaterialien noch weit von gekennzeichneten sozialen Mindeststandards oder ökologischen Zertifikaten entfernt. Die Linke begrüßt deshalb den Ansatz des amerikanischen Dodd-Frank Act, schon am Beginn der -Lieferkette anzusetzen und negative Auswirkungen des Abbaus mineralischer und fossiler Rohstoffe zu mindern, indem Unternehmen zukünftig Zahlungen an die Regierungen für jede Mine und jedes andere Projekt offenlegen müssen. Das soll es den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort ermöglichen, Rechenschaft von ihren Regierungen über die Höhe sowie insbesondere über die Verwendung der Einnahmen einzufordern. Diese Regelungen für US-börsennotierte Unternehmen sollen jetzt zumindest für Öl-, Gas-, Bergbau- und Forstunternehmen in EU-Recht übernommen werden. Die Richtlinienentwürfe zu Transparenz- und Offen-legungspflichten für Rohstoffunternehmen wären – wenn sie denn den Konflikt mit den Unternehmen -suchen würden – ein erster und großer Schritt, um weltweit die Abhängigkeit von Rohstoffexporterlösen zu reduzieren, Korruption zu bekämpfen und die -Abhängigkeit von Entwicklungshilfe zu reduzieren. Aber wie zu erwarten, blockiert die Bundesregierung, unterstützt von den Brüsseler Lobbyabteilungen der Öl- und Bergbaumultis. In den Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten und dem Ministerrat sind wesentliche Forderungen des Europäischen Parlaments – so weit wir im Bundestag das nachvollziehen können – bereits verwässert -worden, und zwar mit expliziter Unterstützung der Bundesregierung. Das Europäische Parlament hatte gefordert, die -Offenlegungspflichten auch auf Banken, den Telekommunikationssektor und den Infrastrukturbereich anzuwenden, um der wachsenden Bedeutung dieser Sektoren für Entwicklungsländer gerecht zu werden. Das wurde von den Mitgliedstaaten in eine Revisionsklausel verbannt. Eine Ausweitung auf Agrobusinesskonzerne wurde nur von NGOs gefordert. Ein großes Schlupfloch wurde geöffnet, da keine Angaben zu Subunternehmen gemacht werden müssen. Drittens wurde die sogenannte Wesentlichkeitsschwelle auf Zahlungen in Höhe von 100 000 Euro festgesetzt. Das ist schon einmal ein großer Fortschritt gegenüber der skandalösen Forderung des Minister-rates, erst Zahlungen ab einer halben Million Euro angeben zu müssen. Diese hohe Schwelle widerspricht aber immer noch eindeutig dem Ziel und auch dem -Namen der Transparenzrichtlinie. Offengelegte und vergleichbare Zahlungen an Regierungen sollen der Zivilgesellschaft vor Ort Einblick in die Geschäftspraktiken der Rohstoffunternehmen geben. Entwicklungsorganisationen hatten aufgrund ihrer Erfahrungen darauf hingewiesen, dass auch kleine Zahlungen von Bedeutung für lokale Gemeinschaften sind, die von der Ressourcenausbeutung betroffen sind, und hatten eine Schwelle von höchstens 15 000 Euro vorgeschlagen. Die Bundesregierung lehnt es viertens weiter ab, bezahlte Strafen für Verletzungen von Umwelt- bzw. Altlastensanierungsgesetzen in die Offenlegungspflicht einzubeziehen, und beschränkt die Richtlinie auch darauf, nur die Anzahl der vor Ort Beschäftigten veröffentlichungspflichtig zu machen. Damit sind wir bei den Grenzen eines Ansatzes, der die Probleme der Rohstoffausbeutung alleine über die Offenlegung von Zahlungen an Regierungsstellen angehen will. Bleibt man bei dieser Forderung stehen, wird die Verantwortung von den Konzernen weg auf die staatlichen Stellen vor Ort verlagert, die oft an einem schwachen Hebel sitzen. Die Zivilgesellschaft und NGOs vor Ort werden überfordert. Notwendige Spielräume bei der sozial-ökologischen Regulierung in den Entwicklungsländern werden -häufig durch multilaterale und bilaterale Verträge eingeschränkt. Deshalb müssen zukünftig Menschenrechte, Arbeitsrechte und Umweltschutz Vorrang bei allen Handels-, Investitions- und Rohstoffabkommen bekommen. Wenn wir aber mit dem Ressourcenfluch und mit der umweltzerstörenden und oft sozial verheerenden neuen Jagd nach Rohstoffen Schluss machen wollen, müssen wir hier in den Industrieländern beginnen, unseren Wohlstand vom Verbrauch von Öl, Gas, Kohle und Metallen zu entkoppeln. Ein fundamentaler Politikwechsel hin zu einer zukunftsfähigen Rohstoffpolitik muss deshalb in sehr viel stärkerem Umfang als bisher auf eine absolute Senkung des Rohstoff-verbrauchs abzielen. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Situation im Nigerdelta ist unerträglich: Die Region leidet unter einer der schlimmsten Umwelt-katastrophen weltweit. Im drittgrößten Feuchtgebiet der Welt hat die rücksichtslose Ölförderung die Umwelt massiv geschädigt, die Menschen vor Ort sind gezwungen, mit vergiftetem Grundwasser, verseuchten Fischgründen und starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu leben. Gestern wurde Shell Nigeria in den Niederlanden zu Schadenersatz für die massiven Umweltschäden im nigerianischen Ogoniland verurteilt. Damit ist ein Teilerfolg errungen. Bäuerinnen und Bauern, Fischerinnen und Fischer aus dem Nigerdelta sowie eine niederländische Umwelt-NGO hatten Shell verklagt. Das eigentliche Ziel und der damit erhoffte internationale Präzedenzfall blieb jedoch leider aus: Das Gericht hat geurteilt, dass nicht der Mutterkonzern Royal Dutch Shell, sondern die Tochter Shell -Nigeria verantwortlich sei. Dennoch zwingt zum ersten Mal ein Gericht Shell dazu, Schadenersatz zu leisten für verursachte Schäden. Die Klägerinnen und Kläger der abgewiesenen vier Klagen werden jetzt in Berufung gehen und Verantwortung von Shell einfordern. Auf diesem Weg müssen wir sie unterstützen, parlamentarisch und medial. Es braucht ein Bewusstsein für die Straftaten, die von transnationalen Konzernen -begangen werden. Genau darum geht es: Wir müssen Rohstoffunternehmen dazu bringen, Rechenschaft abzulegen, und sie müssen zur Verantwortung gezogen werden können. Dafür ist Transparenz eine entscheidende Voraussetzung. Nur wenn wir mehr Licht in die Rohstoffgeschäfte bringen, kann überprüft werden, ob Standards eingehalten werden oder nicht, ob Gewinne ins Ausland abgezogen werden oder nicht, ob die Bevölkerung angemessen an den Rohstoffeinnahmen beteiligt wird oder nicht und wie es um die Einhaltung der Menschenrechte sowie von Umwelt- und Sozialstandards bestellt ist. Deshalb sind die Transparenzregelungen, die aktuell auf EU-Ebene verhandelt werden, so wichtig: -Bereits vor über einem Jahr haben wir Grüne die Bundesregierung mit unserem Antrag zu Rohstofftransparenz, Bundestagsdrucksache 17/8354, nachdrücklich dazu aufgefordert, sich für substanzielle Offenlegungspflichten im Rohstoffsektor einzusetzen. Insofern -begrüßen wir die erneute Aufforderung durch den vorliegenden Antrag der SPD. Denn wir wissen aus -Brüssel, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung trotz aller Beteuerungen umfassende Transparenzverpflichtungen blockiert, wo sie nur kann. Ich möchte Sie daran erinnern, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP: Bevor die US-amerikanische Börsenaufsicht im Sommer ihre -Regelungen für die Ausgestaltung von Dodd-Frank Sektion 1504, also die projektbasierte Offenlegung, vorgelegt hat, haben Sie im Ausschuss darauf beharrt, dass es keine divergierenden Standards zwischen der EU und den USA geben dürfe. Folgen Sie also Ihrer Argumentation und setzten Sie sich für eine umfassende -Regelung ein. Wir haben auf EU-Ebene jetzt die große Chance, mehr Transparenz im Rohstoffsektor zu verankern. Die dürfen wir nicht verspielen. Heute erfahren wir von einer neu eingerichteten BMZ-Task-Force, die die Themen nachhaltige Rohstoffwirtschaft, transparente Finanzströme sowie soziale und ökologische Mindeststandards bündeln soll. Ich weiß, das BMZ hat im Rohstoffsektor gute Konzepte und engagiert sich an vielen Stellen. Aber das bleibt für mich nichts als ein Feigenblatt, solange Sie die Entwicklungsinteressen nicht mit Verve in die -Rohstoffpolitik der Bundesregierung einbringen – und das tun sie nicht. Schwarz-gelbe Rohstoffpolitik ist und bleibt kurzsichtig und nationalbezogen. Die Rohstoffsicherung für die deutsche Wirtschaft ist bei Ihnen das Maß aller Dinge. Alles Weitere, insbesondere die entwicklungspolitischen Interessen, wird zur Nebensache. Aktuellstes Beispiel ist die am Wochenende auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel vereinbarte Rohstoffpartnerschaft mit Chile. In der gemeinsamen deutsch--chilenischen Absichtserklärung zur Zusammenarbeit beim Bergbau und bei mineralischen Rohstoffen können laut Text Wirtschaftsverbände und Unternehmen „gezielt eingeladen werden“. Die Zivilgesellschaft bleibt hier in guter schwarz-gelber Tradition außen vor. Eine entwicklungsförderliche Rohstoffpolitik sieht anders aus. Noch ein paar Worte zur Zertifizierung und zu Konfliktmineralien, auf die Sie, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in Ihrem Antrag auch eingehen: Wir müssen uns hier intensiv mit den Bedingungen für eine erfolgreiche Zertifizierung auseinandersetzen. Zertifizierung im Rohstoffsektor wird aus meiner Sicht nur dann ein erfolgreiches Steuerungsinstrument, wenn wir die komplexen Zusammenhänge berücksichtigen und mit angehen. Ganz abgesehen von den technischen Voraussetzungen: Ich sehe nicht, wie Zertifizierung zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo nachhaltig funktionieren kann, ohne gleichzeitig auch die Entmilitarisierung der Minenregionen und Reformen im Sicherheits- und Justizsektor anzugehen. Wenn das Ziel ein einheitliches und übergreifendes Zertifizierungssystem ist, dann müssen wir auch die großen Abnehmer, die Technologiekonzerne, dazu bringen, sich zu beteiligen. Umwelt- und Sozialstandards müssen mit einbezogen werden. Vor allem ist eine erfolgreiche Zertifizierung nicht möglich, ohne eine umfassende Einbindung der lokalen Zivilgesellschaft. Die Menschen vor Ort können kontrollieren, ob bewaffnete Gruppen mitmischen oder nicht. Gleichzeitig müssen Kleinschürferinnen und Kleinschürfer und kleine -Kooperativen vor Ausbeutung geschützt werden. Hier müssen wir ansetzen. Wir Grüne fordern verbindliche Maßnahmen für eine entwicklungsförderliche und faire internationale Rohstoffpolitik. Dazu gehört, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nicht nur der Hinweis, dass Deutschland abhängig von Rohstoffimporten ist. Denn genau hier beginnt unsere Verantwortung: Wir müssen unsere Art, zu wirtschaften, radikal vom Rohstoff-verbrauch entkoppeln. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11876 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann haben wir das so beschlossen. Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes und zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft – Drucksache 17/12034 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Kultur und Medien Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Ermittler können in Deutschland sogenannte -Bestandsdaten bei Telekommunikationsanbietern abfragen, wenn sie diese zur Verfolgung von Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder zur Gefahrenabwehr benötigen. Unter dem eher trockenen Begriff „Bestandsdaten“ verstehen wir Kundendaten wie Telefonnummern und die dazugehörigen Namen und Adressen, EMail-Adressen oder andere sogenannte Anschluss-erkennungen. Beispiel: In einer Mordermittlung stellt die Polizei fest, dass beim Opfer zuletzt Anrufe mit drei verschiedenen Telefonnummern eingegangen sind. Die Anrufer könnten wichtige Zeugen, aber auch Verdächtige sein. In jedem Fall müssen die Ermittler diesen Spuren nachgehen. Die zur Nummer zugehörigen -Namen erfahren sie vom Telefonanbieter. Der ist schon heute dazu verpflichtet, diese Kundendaten an bestimmte Bundes- und Landesbehörden herauszugeben. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 24. Januar 2012 diese Auskunftspflicht grundsätzlich als unbedenklich beurteilt. Allerdings wurden die bisherigen Regelungen im Telekommunikationsgesetz, insbesondere in § 113, von den Karlsruher Richtern kassiert, dürfen aber noch übergangsweise bis Ende Juni 2013 angewandt werden. Damit haben die -Richter ganz überwiegend die Bedeutung der Bestandsdatenauskunft für die Arbeit von Behörden -bestätigt. Moniert hat das Gericht drei Punkte: Erstens kann § 113 TKG nicht für die Abfrage von Inhabern dynamischer IP-Adressen herangezogen werden. Zweitens. Für die Auskunft über Zugangsdaten zu -mobilen Endgeräten, also PINS, PUKs und Passwörter, müssen die rechtlichen Voraussetzungen konkretisiert werden. Drittens. Letztlich fordert das Gericht ein sogenanntes Doppeltürprinzip: Es bedürfe sowohl -einer Norm zur Datenübermittlung als auch einer -Abrufnorm. Heute bringt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf ein, der diese Vorgaben des Verfassungsgerichts umsetzt. Eine darüber hinaus gehende Neuerung ist die elektronische Schnittstelle, die für große Provider verpflichtend vorgesehen ist. Das geforderte Doppeltürprinzip ist umgesetzt, indem sich im Telekommunikationsgesetz die Regelungen zur Datenübermittlung finden; das ist die erste Tür. In den Fachgesetzen wird die Abrufnorm verankert; das ist die zweite Tür. Das TKG beschreibt laut Entwurf die Speicherpflichten der Anbieter und die -datenschutzrechtlichen Voraussetzungen zur Übermittlung von Daten. Alle weiteren Regelungen, insbesondere was die Bedingungen der Abfrage von Bestandsdaten betrifft, finden sich in den Fachgesetzen, also beispielsweise in der Strafprozessordnung, im BKA-Gesetz, im Bundespolizeigesetz. Die Länder werden vergleichbare Normen auch in ihren Fach-gesetzen zu verankern haben. Damit Ermittler auch in Zukunft noch die Inhaber dynamischer IP-Adressen zu einem bestimmten Zeitpunkt abfragen können, ist die entsprechende Norm in den Fachgesetzen vorgesehen. Karlsruhe hatte ja nicht grundsätzlich Bedenken gegenüber der Zuordnung, sondern hat lediglich betont, dass der alte § 113 diese Abfrage nicht abdecke. Mit der Verankerung in den Fachgesetzen wäre dieser Einwand hinfällig. Ins-besondere für die Behörden der Strafverfolgung und für die Nachrichtendienste brauchen wir diese Befugnis. Gerade bei Straftaten im Internet, die in den -letzten Jahren immens zugenommen haben, ist die Zuordnung von IP-Adressen meist der einzige erfolgversprechende Ansatz. Passwörter, PINs und PUKs für mobile Endgeräte dürfen in Zukunft nur noch dann abgefragt werden, wenn auch die rechtlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind, dass auf die Daten der Endgeräte zugegriffen werden darf. Diese rechtliche Klarstellung hatte der erste Senat gefordert. Gemeint ist: Erlangt man die Zugangsdaten zum Beispiel zu einem Mobiltelefon, so hat man, insbesondere bei Smartphones, Zugriff auf eine Reihe sensibler Daten. Zu Recht fordert das Gericht hier, dass die Abfrage nur dann erlaubt ist, wenn die Voraussetzungen für den Zugriff auf diese Daten gegeben sind. Das Gericht hat uns einige wenige Änderungen und Konkretisierungen auferlegt: Es hat aber nicht grundsätzlich die Bestandsdatenauskunft als verfassungswidrig abgelehnt. Wir begrüßen diese Entscheidung, weil wir ein großes Interesse daran haben, dass Ermittler bei Bund und Ländern Bestandsdatenabfragen vornehmen können und so auch weiterhin erfolgreich polizeiliche Gefahrenabwehr und Aufklärungsarbeit leisten können. Deshalb hat das BMI jetzt diesen -Entwurf vorgelegt, den wir nun parlamentarisch beraten können. Auf diesen Diskurs bin ich gespannt. Ich möchte Sie aber davor warnen, einseitig über angebliche Sammel- und Kontrollwut zu klagen. Wir haben hier ein immens wichtiges, unverzichtbares Instrument der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, das es zu -erhalten gilt. Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Auf den letzten Metern befassen wir uns nun endlich mit einem weiteren Sicherheitsgesetz: Bis Juni dieses Jahres bleibt uns noch Zeit, um unser Telekommunikationsgesetz verfassungsfest zu machen. Diese Aufgabe wurde uns vom Bundesverfassungsgericht bereits im Januar 2012 gestellt. Erst jetzt liegt uns bei einem komplizierten, weit und tief in die Bürgerrechte -eingreifenden Paragrafenwerk ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Es droht der Koalition also erneut eine Peinlichkeit, vergleichbar dem Streit um das Wahlrecht 2011. Hier wie dort blockierten sich die Koalitionspartner, anstatt Lösungen vorzulegen. Hier wie dort versuchen sie auf den letzten Drücker, ein Gesetzgebungswerk anzu-stoßen. Eine aufmerksame und kritische Öffentlichkeit wird sich des Themas – völlig zu Recht – bemächtigen. Eine qualifizierte und seriöse Anhörung wird nötig sein; die Auswertung dieser wird folgen müssen – und schließlich: Auch dieses Mal wird die Koalition wie bei jedem Sicherheitsgesetz streiten und streiten und streiten. Dabei läuft der Sand weiter durch die Uhr. Die SPD-Fraktion weiß um die Erforderlichkeit -eines Gesetzes zur Regelung der Eingriffe in die -Telekommunikationsbeziehungen. Deshalb sagen wir nicht grundsätzlich und von vorneherein Nein zu einer -Neuregelung. Allerdings verlangen wir solide Beratungen. Und nicht nur das: Was heute Vorlage ist, wird keinesfalls unsere Zustimmung erhalten. Denn so sehr, wie das Bundesverfassungsgericht – übrigens vergleichbar mit dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung – grundsätzlich Maßnahmen zur Bestandsdatenauskunft bejaht, so sehr verlangt es saubere und klare Vorschriften. Angesichts der Eingriffstiefe der Maßnahmen ist dies auch nur zu gut zu verstehen. Wir wollen weder aufgeregte ideologische Debatten um den Staat als indiskrete Datenkrake, noch Sicherheitslücken für unsere Bevölkerung. Gemessen an -dieser Vorgabe ist der Entwurf unzureichend. Denn weder ist die Anzahl der abfragenden Stellen überschaubar, noch wird der Zugriff auf sogenannte -Bestandsdaten, PIN-Nummern und Passwörter sowie dynamische IP-Adressen auf befriedigende Weise gelöst. Wir werden jedenfalls keiner Regelung zustimmen, die Maßnahmen ohne Richtervorbehalt vorsieht, keine Benachrichtigungspflichten definiert und die einschlägigen Delikte nicht begrenzt. All das sieht der Regierungsentwurf aber vor. Wie kann das sein? Wo ist da die Stimme von Frau Leutheusser-Schnarrenberger? War ihr Haus nicht beteiligt? Oder sind die sonst ach so großen Sorgen und Bedenken um die Bürgerrechte hier nicht vorhanden? Fragen über Fragen. Niemand wird sie so recht beantworten können. Bei der inneren Sicherheit ist diese -Regierung ein noch größeres Rätsel als in allen anderen Bereichen. Regierungskunst oder handwerkliche Gründlichkeit erwartet da ohnehin niemand mehr. -Jedoch haben die Sicherheitsbehörden ebenso wie die kritische Öffentlichkeit den Anspruch darauf, wenigstens nicht veralbert zu werden. Wir werden auch bei diesem Gesetz auf Seriosität und Solidität achten, wie beim Wahlrecht und der Einrichtung einer Datei gegen Rechtsextremisten. Gisela Piltz (FDP): Die Änderung des Telekommunikationsgesetzes und verschiedener Sicherheitsgesetze des Bundes wie auch die noch zusätzlich erforderlichen Änderungen, die die Länder in ihren Sicherheitsgesetzen werden vornehmen müssen, ist notwendig, weil die von Rot-Grün beschlossene Regelung verfassungswidrig war und vom Bundesverfassungsgericht daher für nichtig erklärt wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 30. Juni 2013 eingeräumt, bis zu der das alte – verfassungswidrige – Gesetz noch angewandt werden darf. Nun hat die Bundesregierung einen Entwurf vorgelegt, von dem ich für die FDP-Fraktion schon heute sagen kann, dass dieser in den nun anstehenden parlamentarischen Beratungen noch verändert werden muss. Richtig hat die Bundesregierung erkannt, dass es nach dem Bundesverfassungsgericht ausdrücklich verfassungswidrig ist, im Telekommunikationsgesetz, also einem Gesetz des Bundes, die prozessualen oder polizeirechtlichen Vorgaben zu verankern, die die Rechtmäßigkeit des Auskunftverlangens absichern sollen, weil damit gegen das Föderalismusprinzip verstoßen wird. Unter welchen rechtsstaatlichen Voraussetzungen – also beispielsweise Richtervorbehalte – die Landespolizei auf Bestandsdaten zugreifen darf, muss im Land geregelt werden. Für den Bund gilt das aber genauso. Auch hier muss in den jeweiligen Sicherheitsgesetzen – also im BKA-Gesetz, im Bundespolizeigesetz, in den Gesetzen der Nachrichtendienste des Bundes – geregelt werden, ob und wann auf Bestandsdaten zugegriffen werden darf. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich vorgegeben, dass sich die Abfrage von Bestandsdaten nicht schlicht auf die polizeilichen Generalklauseln stützen dürfe. Hier hat die Bundesregierung Vorschläge unterbreitet, die noch intensiver und gründlicher Prüfung bedürfen, ob und inwieweit hier die verfassungsrechtlichen Vorgaben erfüllt sind. Denn wir sprechen bei der Bestandsdatenabfrage ja nicht nur von einfachen Bestandsdatenauskünften, wie sie in jedem Telefonbuch zu finden sind, sondern wir reden auch über grundrechtsintensive Eingriffe wie die Abfrage von Zugangssicherungscodes, sprich PINs, PUKs oder Passwörtern, und nicht zuletzt von der Zuordnung dynamischer IPs zu einer Person, also einem Eingriff in den Schutzbereich von Art. 10 Grundgesetz. Es geht – um das an dieser Stelle einmal deutlich zu machen – aber nicht, wie verschiedentlich behauptet, um Telekommunikationsverkehrsdaten oder um Telekommunikationsverbindungsdaten. Es geht um Bestandsdaten, also zum Beispiel: Wer ist Inhaber einer Telefonnummer? Was derjenige mit der Telefonnummer gemacht hat, also ob er darüber telefoniert hat oder mit wem oder wie lange, das ist kein Bestandsdatum – und darum auch nicht von dem Gesetz erfasst. Dennoch reden wir nicht über eine Lappalie. Man muss das eigentlich nicht noch gesondert sagen, aber um hier gleich Missverständnissen vorzubeugen: Bestandsdaten genießen selbstverständlich Schutz aufgrund des Grundgesetzes: einmal aufgrund des mit ihrer Erhebung verbundenen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder im Falle der Erhebung einer Zuordnung einer dynamischen IP des mit ihrer Erhebung verbundenen Eingriffs in Art. 10 Grundgesetz. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ist in allen zu ändernden Sicherheitsgesetzen vorgesehen, dass die Abfrage von Zugangssicherungscodes nur dann möglich sein soll, wenn auch deren Nutzung durch die jeweilige Sicherheitsbehörde rechtmäßig wäre. Unabhängig davon, dass in aller Regel solche Daten wie PINs, PUKs oder Passwörter gar nicht abgefragt werden können, weil schon der faktische Zugriff des Providers nicht gegeben ist, muss für alle Fälle, in denen ein Zugriff doch faktisch möglich wäre, also von der Sicherheitsbehörde, die die Daten haben will, geprüft werden, ob die Voraussetzungen – materiell wie prozessual – erfüllt sind, um diese auch nutzen zu dürfen. Bräuchte also zum Beispiel das BKA einen Zugangssicherungscode, um eine Telekommunikationsüberwachung durchzuführen, müsste die geplante Telekommunikationsüberwachung rechtmäßig sein. Hier müsste also zum Beispiel im strafprozessualen Bereich zuerst einmal eine Straftat aus dem Straftatenkatalog von § 100 a StPO vorliegen und zudem eine richterliche Genehmigung für die Telekommunikationsüberwachung. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, dürfte nach der neu einzufügenden Norm im BKA-Gesetz eine Abfrage beim Provider stattfinden. In diesem Beispielsfall sind mithin die rechtsstaatlichen Hürden bereits ausgestaltet. Doch die von der Bundesregierung vorgeschlagene Norm begrenzt die Abfragebefugnis nicht auf solche Nutzungstatbestände, die mit hohen rechtsstaatlichen Hürden ausgestattet sind. Hier muss also nachgearbeitet werden, um sicherzustellen, dass für jeden Zugriff auf Zugangs-sicherungscodes entsprechende rechtsstaatliche Sicherungen vorgesehen sind. Bei die Abfrage der Zuordnung dynamischer IP--Adressen besteht ebenfalls Verbesserungsbedarf. Hier sprechen wir über einen Eingriff in Art. 10 Grundgesetz, sodass hier Benachrichtigungspflichten das Mindeste sind, was erforderlich ist, um rechtsstaatlichen Vorgaben zu genügen. Zudem ist ein Eingriff in das Telekommunikationsgrundrecht ohne Richtervorbehalt ausgesprochen weitgehend und unter dem Gesichtspunkt der rechtsstaatlichen Sicherungen fragwürdig. Diese Punkte werden im nun anstehenden parlamentarischen Verfahren zu beraten sein. Die FDP-Fraktion freut sich auf konstruktive Gespräche mit den anderen Fraktionen. Es muss dem Bundestag ein Anliegen sein, hier mit der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils in den Sicherheitsgesetzen des Bundes ein gutes Beispiel zu setzen. Es wäre wünschenswert, wenn diesem dann auch die Länder folgen könnten; denn die weit überwiegende Zahl der Bestandsdatenabfragen wird von den Landesbehörden vorgenommen – und diese richten sich nach Landesrecht, welches ja nun auch noch von den Landtagen anzupassen sein wird. Jan Korte (DIE LINKE): Wir reden hier heute über die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Änderungen am Telekommunikationsgesetz, genauer über die Bestandsdatenauskunft. Die Bundesregierung hat diesen Entwurf vorgelegt, weil sie mal wieder vom Verfassungsgericht zu einer Korrektur gezwungen worden ist. Das ist ja mittlerweile zu einer schlechten Tradition der letzten Bundesregierungen geworden, mit in die Bürgerrechte eingreifenden Gesetzen bis über die Grenzen des verfassungsmäßig Erlaubten zu gehen, um sich dann vom Verfassungsgericht in die Schranken weisen zu lassen. Das sagt dann, was eigentlich verfassungsmäßig machbar ist und was nicht. So auch in diesem Fall. Diese Entwicklung halte ich für demokratisch nicht hinnehmbar, und sie ist ein Missbrauch dieser Institution. Das Bundesverfassungsgericht ist keine ausgelagerte Rechtsabteilung der Bundesregierung, und das sollte auch respektiert werden. Klar ist: Eine an den Bürgerrechten orientierte Politik bräuchte das Bundesverfassungsgericht als Korrektiv nicht. Nicht alles, was verfassungsrechtlich erlaubt ist, wenn es wie hier um Überwachungs- und Kontrollbefugnisse geht, muss man machen. Das scheinen Union und FDP mal wieder vergessen zu -haben. Mit dem heute vorliegenden Entwurf will Schwarz-Gelb die Abfrage von Kundendaten der Telekommunikationsdienstleister durch Sicherheitsbehörden und Geheimdienste sichern. Es geht zum einen um die Namen und Adressen von Kommunikationsteilnehmern, zum anderen um Handy-PINs und E-Mail-Passwörter, oder darum, welche Internetnutzer zu welcher Zeit eine bestimmte dynamische IP genutzt haben. Die Verfassungsrichterinnen und -richter haben zu Recht festgestellt, dass die Behörden nur solche Daten abfragen sollten, die sie auch verwenden dürfen. Das ist bei Ihnen in der Bundesregierung offenbar vorher niemandem aufgefallen. Diese und andere Kritikpunkte haben Sie nun in einem Entwurf auszuräumen versucht, der so schwammig und intransparent ist, das es einem nur so graust. Ein Beispiel: Aus der nun geschaffenen neuen Ermächtigungsgrundlage in § 100 j Strafprozessordnung geht nicht eindeutig hervor, unter welchen materiellen Voraussetzungen die Strafverfolgungsbehörden auf Zugangscodes, wie PIN und PUK bei Handys, zugreifen dürfen. In Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift findet man nur die Formulierung, dass die Auskunft nur verlangt werden darf, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten vorliegen. Sehr interessant. Nachvollziehbar wäre es jetzt gewesen, diese Vorschriften dann auch zu zitieren, wie beispielsweise den § 98 Strafprozessordnung beim Code zum Auslesen eines beschlagnahmten Mobiltelefons oder den § 100 a und b Strafprozessordnung bei Nutzung eines Zugangs-codes für eine Onlinedurchsuchung oder zur Überwachung eines noch nicht abgeschlossenen Telekommunikationsvorgangs. So herrscht weder für den Normanwender und erst recht nicht für den Normbetroffenen Klarheit. Das birgt ein enormes Fehler- und Missbrauchspotenzial. Dasselbe gilt übrigens für die von Schwarz-Gelb hier vorgeschlagenen Änderungen der Sicherheitsgesetze und den Gesetzen der Nachrichtendienste: Im neuen § 8 d Bundesverfassungsschutzgesetz wird die vom Bundesverfassungsgericht geforderte konkrete Gefahr als Voraussetzung für eine Datenabfrage bei den Telekommunikationsanbietern überhaupt nicht aufgeführt. Dies ist bei den sensiblen Daten und den intensiven Grundrechtseingriffen, um die es hier geht, nicht -akzeptabel, schon gar nicht bei einer völlig aus dem Ruder laufenden Institution wie dem Verfassungsschutz. Dass die Bundesregierung hier jede Menge Verwirrung stiftet, ist ihr offenbar selber aufgefallen. In § 113 Abs. 5 des Telekommunikationsgesetzes wird geregelt, dass eine Fachkraft des Telekommunikationsanbieters die Voraussetzungen für die Herausgabe von Daten prüfen muss. Also nicht an Gewinnspielanbieter, Privatpersonen oder irgendwen – wir reden hier von staatlichen Sicherheitsbehörden, die diese Daten haben wollen, die von privaten Unternehmen kontrolliert werden sollen, ob sie denn das Richtige tun. Als Kunde finde ich das gut, kein Zweifel, wenn mein Telefonanbieter erst einmal guckt, ob ein Auskunftsersuchen rechtmäßig ist. Aber für Sie als Bundesregierung ist das ein Armutszeugnis, weil Sie eingestehen: Ihre Gesetze sind so grenzwertig, so schlecht formuliert und so wenig nachvollziehbar, dass Sie den eigenen Behörden nicht zutrauen, danach handeln zu können. Wenn Sie Fehler und Missbrauch auf so einem sensiblen Gebiet riskieren – wir sprechen hier immerhin von Eingriffen in Grundrechte nach Art. 2 und 10 unseres Grund-gesetzes –, dann ist das schlichtweg fahrlässig. Ich komme noch einmal auf die Voraussetzungen zum Abruf von Bestandsdaten und den Respekt vor den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger zurück. Statt auf die diversen Rechtsgrundlagen von abrufberechtigten Behörden zu verweisen, hätte die Bundes-regierung hier auch die Chance gehabt, hohe Hürden für die Bestandsdatenauskunft zu formulieren. Das wäre nicht nur transparenter und nachvollziehbarer gewesen, sondern hätte zum Beispiel verhindert, dass -Sicherheitsbehörden bei geringstem Anlass fleißig -Daten sammeln. Das wäre im Sinne der Bürgerrechte gewesen. Stattdessen will die Union wieder einmal das Maximum des verfassungsmäßig Erlaubten heraus-holen, mit freundlicher Unterstützung der FDP, die dann eine vom Verfassungsgericht erzwungene -Korrektur als Gewinn für Rechtstaat und Demokratie zu verkaufen versucht. Das nimmt ihr zum Glück -niemand mehr ab. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Denk ich an das Fernmeldegeheimnis in der Nacht, so bin ich nicht nur um den Schlaf gebracht, sondern regelmäßig befällt mich helles Entsetzen angesichts dieser innen- wie gesellschaftspolitischen Groß-baustelle. Hier geht es um die Grundlagen unserer -Demokratie. Eines der Merkmale, das demokratische Systeme von autoritären und totalitären Systemen unterscheidet, ist der effektive Schutz verfassungsrechtlich garantierter Bürger- und Freiheitsrechte. Hierzu zählt auch die Verlässlichkeit der Vertraulichkeit der Kommunikation, die sich heute so stark wie niemals zuvor über die neuen Medien vollzieht. Der Schutz der Kommunikation vor willkürlicher Erfassung durch den Staat, zum Beispiel durch eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung oder einen verfassungsrechtlich höchst fragwürdigen Einsatz der Onlinedurchsuchung, aber eben auch durch eine weitgehende Erfassung vertraulicher Kommunikation durch privatwirtschaftliche Unternehmen, ist und bleibt aus bürgerrechtlicher Sicht eine unserer elementarsten Aufgaben. Das haben auch die insbesondere im Bundesland Sachsen, aber auch andernorts um sich greifenden massenhaften, ja millionenfachen Funkzellenüberwachungen, also das Erfassen von Handystandortdaten in Ermittlungsfällen von allenfalls mittlerer Kriminalität, einmal mehr gezeigt. Aber auch angesichts der durch diese Bundesregierung weitgehend verschleppten und bis heute nicht möglichen Aufklärung des Trojanerskandals, der ein erschreckendes Ausmaß an Naivität und hemdsärmeliger Gleichgültigkeit aufseiten der Sicherheitsbehörden im staatlichen Umgang mit hochkomplexer Schad-software zur Quellentelekommunikationsüberwachung und Onlinedurchsuchung offenbart hat, stellen sich weiterhin zahlreiche drängende Fragen: Was können die von Sicherheitsbehörden eingesetzten Programme tatsächlich? Wurden die sogenannten Nachladefunktionen tatsächlich nur genutzt, um auf Softwareupdates auf Zielcomputern reagieren zu können? Warum hat man entsprechende Programme eingesetzt, ohne einen Einblick in den Quellcode zu nehmen, wodurch die Überprüfung der Einhaltung äußerst enger gerichtlicher und verfassungsrechtlicher Vorgaben gar nicht möglich war und bis heute nicht möglich ist? Woran liegt es wohl, dass sich das Bundeskriminalamt bis heute nicht in der Lage sieht, entsprechende -Programme selbst zu bauen? Wie kann es sein, dass stattdessen Programme von Anbietern gekauft werden, von denen wir zweifelsfrei Wissen, dass sie die – wohlgemerkt, mit öffentlichen Mitteln entwickelten – Programme ohne Hemmungen weiter in alle Welt verkaufen und dabei auch nicht eine Zusammenarbeit mit Despoten scheuen? Dass sich einerseits Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle öffentlich hinstellen und die demokratisierende Wirkung der neuen Medien als ihren Verdienst verkaufen, andererseits aber zusehen, wie entsprechende Programme in autoritären Staaten dazu genutzt werden, oppositionellen und demokratischen Protest zu unterbinden und Menschen zu verfolgen, zu inhaftieren und zu unterdrücken, spricht schon für sich. Dass diese Bundesregierung wiederholt eine bessere Kontrolle der Ausfuhr entsprechender -Programme mit Hinweis auf bürokratische Hürden zu verhindern versucht hat, ebenso. Dass nun aber, wo man aufgrund höchster verfassungsrechtlicher Hürden selbst an der Programmierung solcher grundsätzlich fragwürdigen Programme scheitert, erneut und weiterhin ohne Kenntnis des Quellcodes auf die Programme ebendieser Hersteller zurückgreifen will, um die eigene Bevölkerung zu überwachen, setzt dem ganzen die Krone auf. Schließlich möchte ich in diesem Zusammenhang auch die Vorratsdatenspeicherung nicht unerwähnt lassen. Sie hängt weiter wie ein Damoklesschwert über den Kommunikationsfreiheiten der Bürgerinnen und Bürger. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, Sie lassen ja weiter keine Gelegenheit aus, um populistisch die sofortige Wiedereinführung dieses höchst umstrittenen Instruments zu fordern. Sie tun dies trotz der Tatsache, dass längst nachgewiesen ist, dass der Effekt für die Strafverfolgung hart gegen null geht, es sich nach höchster bundesdeutscher Rechtsprechung gleichzeitig aber um einen „besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt“, handelt und die bloße Existenz -einer Vorratsdatenspeicherung bereits ein „diffus -bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorrufen“ und eine „unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen“ kann. Auch die EU-Kommission verhedderte sich an diesem Thema leider in höchst peinliche Widersprüche beim Versuch, die vermeintlichen Erfolge dieser Maßnahme nachzuweisen. Jetzt hat man das Problem vertagt, und wir müssen auf ein kluges Urteil des EuGH zu diesem Instrument der Totalerfassung warten. Die Chance, für die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und gegen eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung in Brüssel zu streiten, haben Sie, obwohl wir Sie hierzu in einem Antrag explizit aufgefordert -haben, vertan. Mit Vorratsdatenspeicherung, Funkzellenüberwachung und Onlinedurchsuchung habe ich gleichsam nur die Oberfläche, also das vom tagespolitischen miterfasste Geschehen im Drama um den anhaltenden Grundrechteabbau beim Telekommunikationsgeheimnis, beschrieben. Dabei beschäftigt uns die Gesamtfrage doch bereits seit Jahren: Wie können wir es im Digitalzeitalter angesichts einer proliferierenden Vielfalt von Kommunikationsmöglichkeiten wie E-Mail, Chat, sozialen Netzwerken usw., aber auch angesichts neuer Erhebungsformen sowie mittelbarer Austauschmöglichkeiten via Cloud Computing, Internet usw. sicherstellen, dass ein zeitgemäßer und wirksamer Grundrechtsschutz rund um die Nutzung all dieser neuen Formen erhalten bleibt? Es wäre Ihre Aufgabe, sich endlich dieser Frage mit aller Entschlossenheit zuzuwenden. Sie tun es nicht. Stattdessen hintertreiben Sie die dringend benötigte EU-Datenschutzreform und helfen denen, die den Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger – statt gestärkt – lieber weiter abgebaut sehen würden. Wir Grünen sind fest davon überzeugt, dass wir die Freiheit der Kommunikation nur durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen werden erhalten können. Man wird deshalb um eine Erweiterung des Grundgesetzes nicht herumkommen. Dabei sollte an einer Fortentwicklung des Fernmeldegeheimnisses hin zu einem übergreifenden Telekommunikations- und Mediennutzungsgeheimnis gearbeitet werden. Wir werden auch nicht umhin können, die insbesondere im zurückliegenden Jahrzehnt – ja, leider zum Teil auch schon unter Rot-Grün – durchgeführten Ausweitungen der Aufgaben und Befugnisse von -Sicherheitbehörden ernsthaft auf den Prüfstand zu stellen. Bis heute fehlen die in den einschlägigen Gesetzen festgehaltenen Evaluationen. Darauf hat auch gerade der Bundebeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, noch einmal nachdrücklich hingewiesen. Weitere offenkundige Baustellen, wie etwa die nach wie vor offene Frage eines wirksamen Kernbereichsschutzes bei Telekommunikationsüberwachungen, oder die nach gesetzgeberischer Klarstellung rufende Abgrenzung der Reichweite von Art. 10 GG im -Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 GG im Falle der E-Mail-Überwachung, ließen sich aufzählen, und die Reihe ließe sich mühelos fortsetzen. Was, frage ich mich, hat die ehemalige Bürgerrechtspartei FDP und ihre Vorzeigeministerin im Justizministerium angesichts dieser Entwicklung in den letzten Jahren getan? Dem heute vorgelegten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Bestandsdatenzugriffes merkt man die -beschriebenen Umbrüche und den fundamentalen Wandel jedenfalls nicht an. Im Gegenteil: Die Bundesregierung liefert eine wachsweiche, ja nahezu ignorant indifferente Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom Januar vergangen Jahres zur Bestandsdatenerfassung. Zum Teil mag das dem Urteil des Gerichts selbst zuzuschreiben sein. Denn es hat sich teilweise wenig klar ausgedrückt und insgesamt weniger Leidenschaft für die Grundrechte zum Ausdruck gebracht, als es die dahinterliegenden Fragen wohl erforderlich gemacht oder wir es uns zumindest erhofft hätten. So erweckt der Gesetzentwurf der Bundesregierung den Eindruck, dass es sich beim Schutz von Bestandsdaten um eine Art „kleiner Münze“ des Verfassungsrechts handelte. Diesen Eindruck mag vielleicht gewinnen, wer allein die klassische Trias von Inhaltsdaten, Verkehrsdaten und Bestandsdaten vor Augen hat. Lediglich die Inhaltsdaten und Verkehrsdaten genießen nach der Rechtsprechung die hohen Schutzschwellen des Fernmeldegeheimnisses, während die Bestandsdaten „nur“ dem Schutz durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unterfallen. Diese seien von geringer Aussagekraft und deshalb weniger schützenswert, weil zumeist bloße -Adressdaten. Doch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Bestandsdaten zeigt selbst auf, dass diese „heile Welt“ der drei Schutzstufen heute kaum mehr trägt. Das Gericht verdeutlicht selbst, dass auch Bestandsdaten dann dem Schutz von Art. 10 GG unterfallen können, wenn für deren Ermittlung zwingend zuerst auf dynamische IP-Adressdaten zurückgegriffen -werden muss, und zum anderen betont es die Veränderlichkeit seiner Gesamtbewertung für die Zukunft angesichts der Entwicklung des neuen Adressvergabestandards Ipv6. Denn in dem Maße, wie statische Adressvergaben üblich werden, wird mit dem Zugriff auf das vermeintliche Bestandsdatum auch der gesamte Verkehrdsdatenkontext einer Person erschließbar. Wann aber ist rein faktisch quantitativ die Schwelle überschritten, bei der der Gesetzgeber schützend einschreiten soll? Einen dritten problematischen Fall benennt das -Gericht mit den Zugangssicherungscodes wie Passwörtern, PINs oder PUKs. Hier kommt das Gericht ebenfalls zum Ergebnis, dass zusätzlicher Schutz vor behördlichen Zugriffen angezeigt ist. Eine Beauskunftung auf Vorrat scheidet aus, konkrete Voraussetzungen für einen jeweiligen Zugriff müssen vorliegen. Der Koalitionsentwurf bleibt auf diese grundrechtlichen Probleme bedauerlicherweise alle Antworten schuldig. Insbesondere fehlt es an einer differenzierenden Regelung zwischen reinen Bestandsdatenzugriffen und solchen, bei denen auf nach Art. 10 GG geschützte Daten zugegriffen werden muss. Das Mindeste wären engere Zugriffsvoraussetzungen und die Benachrichtigungspflicht gegenüber den Betroffenen. Der Zugriff nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz auf diese Daten dürfte unverhältnismäßig und deshalb auszuschließen sein. Ebenfalls untragbar erscheint die Regelung für Zugriffe auf Zugangssicherungscodes, weil hier gegen die gleichwohl etwas schräg formulierten Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts geregelt wurde. Angesichts der sich eröffnenden umfassenden Zugriffsmöglichkeit durch Kenntnis dieser Daten braucht es eine normenklare und hinreichend bestimmte Formulierung, die fachgesetzlich eine Rückbindung an einen konkreten Tatverdacht oder eine konkrete Gefahr zum Zeitpunkt der Anfrage sicherstellt. Hier sollte auch über den Richtervorbehalt nachgedacht werden. Auch an einer Benachrichtigungspflicht darf es dann nicht fehlen. Generell sollte eine Beauskunftung nach § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG nur für den Einzelfall zugelassen werden, um den entsprechenden konkreten Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil angemessen Rechnung zu tragen. Aus Anlass einer Bestandsdatenzugriffsregelung sollten bereits jetzt die Empfehlungen des deutschen Ipv6-Rates sowie die Entschließungen nationaler wie auch internationaler Datenschutzkonferenzen beachtet werden. Ziel muss es unter anderem sein, die Endnutzer über die Möglichkeiten von Ipv6 aufzuklären und ihnen die Wahl zu belassen, ob sie statisch oder dynamisch unterwegs sein wollen. Gerätehersteller sollten die Privacy Extensions bei Endkundengeräten standardmäßig aktivieren und dazu gesetzlich verpflichtet werden. Ebenfalls anlässlich dieser Regelung sollte erneut geprüft werden, auf welche Weise der Gesetzgeber sicherstellen kann, dass die Speicherdauer von IP-Daten zu den unterschiedlichen bislang anerkannten unternehmerischen Zwecken auf das absolut Erforderliche beschränkt werden kann. Wie stets sollte in diesem grundrechtssensiblen Bereich per Statistik die Abfragerealität der Behörden differenziert erfasst und eine Evaluation der Neuregelung angestrebt werden. Lassen Sie mich noch sagen, dass ich es außerordentlich bedauere, dass einzelne Innenministerien aus Anlass dieses Entwurfes über den Bundesrat versuchen, eine Verschärfung dahin gehend zu bewirken, dass durch die Hintertür eine Identifizierungspflicht für Prepaid-Kunden geschaffen werden soll. Dieser Streit begleitet uns nun seit gut 20 Jahren, und Neues wurde auch diesmal nicht vorgetragen. Es ist meine Grundüberzeugung, dass sich weder damit noch mit einem allgemeinen Namenszwang die realen Risiken als auch fantasierten Risiken der TK-Nutzung bekämpfen lassen. Vielmehr würde ein Stück selbstverständliche Freiheit, wie sie uns aus dem analogen Leben so geläufig ist, für immer verloren gehen, nämlich die unbefangene Nutzung des Kommunikationsraums TK und des Internets. Erlauben Sie mir an dieser Stelle doch abschließend bei aller notwendigen Kritik auch ein kleines Lob an die Bundesregierung im Detail. Zutreffenderweise sieht Ihr Entwurf in § 113 Abs. 5 eine formelle Prüfpflicht der Provider im Hinblick auf Anfragen vor. Im Aufsichtsbereich sowie im Schrifttum wird dies bereits länger vertreten, um die teilweise erschreckende -Realität unzulänglicher behördlicher Anfragen – oft per E-Mail, ohne Unterschrift etc. – eindämmen zu können. Meine Fraktion und ich freuen uns auf die weiteren intensiven Beratungen dieser Initiative in den Fachausschüssen und die Plenardebatte zur zweiten und dritten Lesung, der Sie angesichts der Bedeutung des Themas sicherlich einen prominenten Platz auf der Tagesordnung einräumen werden. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Mit dem Gesetzentwurf zur Bestandsdatenauskunft setzen wir die Anforderungen um, die das Bundesverfassungsgericht im letzten Jahr für die manuelle Bestandsdatenauskunft nach § 113 TKG angemahnt hatte. Am Anfang von Ermittlungen steht oftmals nur eine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse eines Verdächtigen, eines Zeugen oder einer hilfsbedürftigen Person. Ist aufgrund eines Hinweises oder einer Anzeige eine sogenannte Anschlusskennung bekannt, so darf die Polizei erfragen, wem dieser Anschluss gehört. Dabei geht es um sehr unterschiedliche Fälle, zum Beispiel um eine Bombendrohung zurückzuverfolgen oder, weitaus häufiger, einen angekündigten Suizid zu verhindern. Die entsprechende Befugnis ist bisher im TKG in den §§ 112 und 113 geregelt. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelung im Grundsatz für verfassungsrechtlich unbedenklich befunden. Gleichwohl hat das Gericht drei Änderungen der sogenannten manuellen Bestandsdatenauskunft nach § 113 TKG angemahnt, die eher formelle Aspekte betreffen und die mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf neu geregelt werden sollen. Erstens. Nach dem vom BVerfG entwickelten Doppeltürenmodell kann im TKG nur die Befugnis bzw. Verpflichtung der Provider, die Auskunft zu erteilen, geregelt werden. Die Befugnis für die Behörden, die Auskunft auch zu verlangen, muss in allen Fachgesetzen ausdrücklich geregelt werden. Dies hat das BVerfG besonders hervorgehoben. Denn der Bundesgesetz-geber hat keine Kompetenz, im TKG auch die Befugnis für Landesbehörden vorzusehen, über Bestandsdaten Auskunft zu verlangen. Dabei genügen die allgemeinen Datenerhebungsvorschriften nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht; vielmehr muss sich die Befugnis ausdrücklich auf die Erhebung von Bestandsdaten im Sinne des § 113 TKG beziehen. Zweitens. Anders als Telefonnummern werden IP-Adressen in den meisten Fällen nicht fest einem Kunden zugeordnet, sondern bei jeder Einwahl neu vergeben; wir sprechen von sogenannten dynamischen IP-Adressen. Die Bestandsdaten, also Name und Anschrift des Inhabers solch einer dynamisch vergebenen IP-Adresse, kann ein Provider daher nur beauskunften, wenn er die bei ihm anfallenden Verkehrsdaten einsieht. Das Gesetz wird daher klarer als bislang regeln, dass und unter welchen Umständen ein Provider dies darf. Da die Verkehrsdaten dem Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses aus Art. 10 GG unterfallen, muss auch das grundgesetzliche Zitiergebot beachtet werden – auch wenn die staatliche Stelle selbst keine Verkehrsdaten erhält. Drittens. Auf Zugangssicherungscodes wie Passwörter und PINs darf nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nur dann zugegriffen werden, wenn auch die rechtlichen Voraussetzungen für die Beschlagnahme der durch sie geschützten Daten vorliegen. Wenn die Behörde auf die geschützten Daten ohnehin nicht zugreifen dürfte, benötigt sie natürlich auch nicht die entsprechende PIN. Wenn durch einen Zugangssicherungscode auch der Zugriff auf sensiblere Daten geschützt wird, müssen auch die entsprechend höheren Zugriffsvoraussetzungen für diese Daten erfüllt werden. Zugangssicherungscodes wie Passwörter und PINs gehören dabei nur dann zu den Bestandsdaten, wenn der Provider auch tatsächlich über diese verfügt. In der Praxis ist dies in erster Linie bei PIN und PUK der Handy-SIM-Karte der Fall. Andere Passwörter, die der Kunde selbst festlegen kann, werden nicht vom Provider vorgehalten und sind daher von der Regelung auch nicht umfasst. Diese drei Punkte sollen nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung einerseits in § 113 TKG, ande-rerseits in den jeweiligen Fachgesetzen geregelt werden. § 113 TKG schafft dabei die Befugnis der Provider, die entsprechende Auskunft zu erteilen. Zudem enthält § 113 TKG die verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen für die Auskunftserteilung: Die Auskunft ist aufgrund einer Anfrage in Textform unverzüglich, richtig und vollständig zu erteilen. Für die Befugnisse der zuständigen Behörden, eine solche Auskunft zu verlangen, dient die Vorschrift des neu eingeführten § 100 j StPO als „Muster“, das in den jeweiligen Fachgesetzen der Polizei- und Sicherheitsbehörden des Bundes nachgebildet wird. § 100 j StPO normiert entsprechend dem vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Dreiklang die „normale“ Bestandsdatenauskunft, die Bestandsdatenauskunft zu IP-Adressen und die Beauskunftung von Zugangs-sicherungscodes für Zwecke der Strafverfolgung. Mit diesem Gesetzentwurf werden weder neue Befugnisse für Strafverfolgungs- oder Sicherheitsbehörden geschaffen noch der Kreis der zugriffsberechtigten Behörden erweitert. Wir beschränken uns vielmehr auf die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Das kann der Bund allerdings nicht allein. Wir können nur die Vorschriften regeln, für die der Bund die Gesetzgebungskompetenz hat. Damit die Bestandsdatenauskunft auch für die nach dem bisherigen § 113 TKG befugten Landesbehörden, die keine Strafverfolgungsbehörden sind, Bestand hat, müssen die entsprechenden Landesgesetze, insbesondere die Polizeigesetze der Länder, auch angepasst werden, sofern sie nicht schon ausdrücklich auf Bestandsdaten bezogene und den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts genügende Befugnisnormen enthalten. Ich möchte daher mit einem Appell schließen, bei dieser zwar eher kleinen, aber dennoch für die öffentliche Sicherheit in Deutschland äußerst wichtigen Angelegenheit zügig zu einem Ergebnis zu kommen. Denn die bisher geltenden Regelungen sind nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nur noch bis zum 30. Juni 2013 anwendbar. Bis dahin müssen sowohl diese Novelle als auch die vermutlich in den Landesgesetzen erforderlich werdenden Änderungen in Kraft treten. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12034 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann haben wir so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Förderung des ökologischen Landbaus – Wachstumspotentiale in Deutschland für deutsche Produzenten erschließen – Drucksache 17/10862 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft stärken – Drucksachen 17/7186, 17/8954 – Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Georg von der Marwitz Heinz Paula Dr. Christel Happach-Kasan Alexander Süßmair Cornelia Behm Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden auch hier die Reden zu Protokoll genommen. Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU): Ökologischer Landbau ist zweifelsohne eine nachhaltige und umweltschonende Form der Landwirtschaft. Die Opposition zitiert in ihrem Antrag den Indikatorenbericht 2012 des Statistischen Bundesamtes zur nachhaltigen Entwicklung in Deutschland: „Ökologischer Landbau ist besonders auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Er erhält und schont die natürlichen Ressourcen in besonderem Maße, hat vielfältige positive Auswirkungen auf Natur und Umwelt …“ Richtige Punkte, die ich genauso sehe, allerdings verschweigen Sie das Ende des Absatzes: „Ökonomisch betrachtet werden die geringeren Produktionsmengen je Flächeneinheit teilweise durch höhere Preise für Ökoprodukte und durch Agrarumweltzahlungen aufgefangen.“ Der Anteil ökologisch bewirtschafteter Fläche ist von 1994 bis 2010 von 1,6 Prozent auf 5,9 Prozent gestiegen. Das Ziel, 20 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf Ökolandbau umzustellen, so wie es in der Nachhaltigkeitsstrategie formuliert wurde, liegt in weiter Ferne. Es ist unrealistisch, den Ökoanteil in den verbleibenden sieben Jahren zu verdreifachen. Aus der Nachhaltigkeitsstrategie ziehe ich andere Schlüsse und Handlungsalternativen als die Oppositionsparteien. Ist es nötig und sinnvoll, eine dynamisch verlaufende Entwicklung im Ökolandbau so zu intensivieren, dass das Ziel im Jahr 2020 erreicht wird? Wir müssen uns bewusst sein, dass solche Zielvorgaben nur durch ein Mehr an staatlicher Subventionierung machbar wären und diese vor allem wettbewerbsverzerrend wirken. Subventionierung entkräftet die marktwirtschaftlichen Mechanismen auf dem europäischen- und auf dem Weltmarkt. Der grenzübergreifende Handel ermöglicht es uns, Ökoprodukte kostengünstiger aus anderen Ländern zu importieren und heimischen Verbrauchern die Produkte zu günstigeren Preisen anzubieten. Eine fortlaufende Subventionierung schafft keine nachhaltige Selbstständigkeit, auch nicht in der Ökobranche. Ganz im Gegenteil, es werden Abhängigkeiten geschaffen, die zu ineffizienter und subventionsoptimierter Wirtschaftsweise führen. Vor zwei Wochen war ich mir mit manch einem aus den Reihen der Opposition einig, dass pauschale Direktzahlungen in der ersten Säule nicht das Mittel der Wahl für eine zukunftsorientierte EU-Agrarpolitik sein können. Der aktuelle Antrag der SPD fordert „eine Verstetigung und die Attraktivität der Umstellungsprämien von konventioneller zu ökologischer Landwirtschaft sicherzustellen“. Mit ihrem Antrag wird zum einen der Abbau von Subventionen konterkariert; zum anderen gibt sich die SPD der populistischen Positionierung der Grünen hin, Ökoproduktion sei die einzig zukunftsfähige Form der Landwirtschaft. Eine solche Stigmatisierung des konventionellen Landbaus ist nicht hinnehmbar, insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Produktionsstandards in Deutschland. Auch wenn die Verbraucher zunehmend ökologische Produkte nachfragen: Die bescheidenen Zahlen sprechen für sich. Der Anteil von Ökoprodukten am deutschen Lebensmittelmarkt lag 2011 laut der Statistik des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft, BÖLW, bei lediglich 3,7 Prozent. Das subventionsinduzierte Wachstum ist in Brandenburg bereits an seine Grenzen gestoßen. In Brandenburg werden über 10 Prozent der landwirtschaft-lichen Fläche ökologisch bewirtschaftet. Es ist damit das Bundesland mit dem größten Anteil an Ökoflächen in Deutschland. Dennoch hat Brandenburg die Umstellungsförderung gestoppt. Es konnte die Kofinanzierung nicht mehr aufbringen. Die fallenden Preise für Ökorohware haben die Ertragskraft vieler Betriebe nachhaltig geschwächt. Viel wichtiger als die Förderung des ökologischen Landbaus wäre es, regionale Veredelungs- und Vermarktungsstrukturen aufzubauen, um die heimisch produzierten Produkte auch für den Verbraucher, zum Beispiel in Berlin, nutzbar zu machen. Der Faktor „Regionalität der Agrarprodukte“ ist in Bezug auf Umwelt- und Verbraucherinteressen gewichtiger als die Frage nach ökologischer oder konventioneller Produktion. Viele Produkte sind lediglich für den Export bestimmt, eine Veredlung vor Ort findet selten statt und der Bedarf im Ballungsraum Berlin wird durch Produzenten von außerhalb bedient. Die großen Ökostrukturen Brandenburgs gleichen sich den Handels- und Vermarktungswegen der konventionellen Landwirtschaft an. Am Ende muss man sich fragen, ob eine bedingungslose Ökoförderung wirklich nachhaltige und lokale Strukturen begünstigt. Im Rahmen der zweiten Säule der EU-Agrarpolitik halte ich eine Umstellungsförderung zugunsten des Ökolandbaus als Anreizsystem für gerechtfertigt. Des Weiteren sollten die Vorzüge des Ökolandbaus an -sensiblen Umweltstandorten honoriert werden. Die wissenschaftsbasierte Forschung in der ökologischen Produktion ist zu unterstützen, um die Effizienz und Produktivität zu erhöhen. Insoweit teile ich die Meinung der SPD. Eine bevorzugte Dauerförderung allerdings lehne ich ab. Der Ökolandbau ist eine wichtige Säule der Agrarwirtschaft, aber nicht die einzige. Deshalb versuche ich, einen Weg der Gemeinsamkeiten zu suchen, und vermeide, die eine Form der Bewirtschaftung gegen die andere auszuspielen. Fehlentwicklungen gilt es allerdings zu erkennen und zu benennen. Bioprodukte müssen sich über kurz oder lang am Markt behaupten. Dabei gilt es, solche Strukturen zu fördern, die den Ökolandbau aus eigenem Antrieb als rentable Wirtschaftsform für sich entdecken. Die Diskussion um die GAP-Reform bietet eine Plattform, den neuen Förderzeitraum von 2014 bis 2020 zu nutzen, um die Landwirtschaftsbetriebe zu fördern und zu fordern, die den größtmöglichen volkswirtschaftlichen Nutzen garantieren. Meiner Meinung nach sind das die regionalen Landwirte, die in ihrer Heimat verwurzelt sind, die, ob ökologisch oder konventionell wirtschaftend, verantwortungsbewusst im Stall und auf dem Feld ihre Höfe generationsübergreifend führen. Diese Betriebe müssen wir im nächsten Förderzeitraum im Fokus haben. Allerdings muss die Zeit genutzt werden, um Betriebe vom Subventionstropf der ersten Säule unabhängig zu machen. Die zweite Säule wird auch weiterhin für die strukturschwachen und benachteiligten Regionen unseres Landes gebraucht werden. Von diesen Förderungen können gerade die Betriebe auf Grenzstandorten profitieren, die ihre Erträge durch zusätzliche Leistungen für die Gesellschaft sichern. Da sehe auch ich eine Möglichkeit, den Ökolandbau regional zu fördern. Heinz Paula (SPD): Manche Zeitenwende kann man spüren. Vor wenigen Wochen gingen über 25 000 Menschen in Berlin auf die Straßen. Unter dem Motto „Wir haben Agrarindustrie satt!“ sprechen sie aus, was viele in unserem Land denken: Wir brauchen ökologische und soziale Reformen in der Landwirtschaft. Wir reden dabei nicht über ein gesellschaftliches Randphänomen vermeintlich naiver Großstädter, die noch nie einen Stall von innen gesehen haben, wie es so oft vonseiten der Union und der FDP spöttisch -dargestellt wird. Es geht vielmehr um die Mitte der Gesellschaft. Bürger, Familien, Anwohner, Landwirte, Kommunalvertreter, Kirchen, Nichtregierungsorganisationen – sie haben erkannt: So kann es nicht weitergehen. Die derzeitige Form der landwirtschaftlichen Intensivtierhaltung geht auf Kosten ökologischer, sozialer und ethischer Aspekte. Sie führt zu immensen Problemen vom Tier- und Artenschutz, über Antibiotikamissbrauch bis hin zum Klimawandel. Insbesondere in den Zentren der intensiven Tierhaltung befürchten die Menschen gesundheitliche Schäden und negative Auswirkungen auf den Boden und das Grundwasser. Millionen von Tieren werden weiterhin gequält, auf viel zu engem Raum gehalten, tagelang durch Deutschland gekarrt. Es werden weiterhin millionenfach Schnäbel gekürzt, Hörner geschliffen und Ferkel betäubungslos kastriert. In deutschen Schlachthöfen herrschen weiterhin verheerende Zustände für Mensch und Tier. Deutschland verkommt zum Billigland für Schlachtungen und Fleischproduktion. Der bäuerliche Mittelstand und über Jahrhunderte gewachsene landwirtschaftliche Strukturen werden verdrängt. Auch in Bayern und gerade in den ländlichen Regionen betrifft uns das unmittelbar. Man kann wie die Regierungskoalition die Augen davor schließen und sie als reines Akzeptanzproblem abtun, oder aber man tut etwas dagegen. Denn so kann es nicht weitergehen. Der ökologische Landbau ist Teil der erwähnten Wende der Ernährungswirtschaft, die unser Land erfasst. Er kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die genannten Probleme zu lösen. Das sehen nicht nur die SPD-Bundestagsfraktion, sondern auch die Autoren des Weltagrarberichts so. Ökologische Landwirtschaft nimmt eine bedeutende Rolle ein, die drängenden Herausforderungen in der Landwirtschafts-, Umwelt- und Ernährungspolitik zu meistern. Sie ist seit mehr als 20 Jahren ein Erfolgsmodell und hat sich gerade in dieser Zeit als krisenfeste betriebswirtschaftliche Alternative zur konventionellen Landwirtschaft entwickelt. Sie schützt und bewahrt gesellschaftlich bedeutsame Güter, leistet einen wichtigen Beitrag zum Klima- und Artenschutz und trägt insbesondere zur Erhaltung der Boden- und Wasserqualität bei. Auch vom Arbeitsmarkt sind die ökologische Landwirtschaft und die ökologische Lebensmittelwirtschaft nicht mehr wegzudenken. Insgesamt sind in der deutschen Biobranche knapp 180 000 Menschen vor allem in den ländlichen Regionen beschäftigt. Das alles -müssen auch vonseiten der Politik endlich alle anerkennen. Die Potenziale müssen endlich weiter ausgeschöpft und die Leistungen der Biolandwirte verlässlich honoriert werden. Wir müssen den Ökolandbau stützen und fördern. Bisher hat sich Deutschland mit seiner nationalen Nachhaltigkeitsstrategie nur hehre Ziele gesetzt. So legt der Nachhaltigkeitsindikator für ökologische Landwirtschaft fest, dass 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in den nächsten Jahren ökologisch bewirtschaftet werden sollen. Auch wenn diese Maßgabe auf den ersten Blick sehr bodenständig wirkt, zumal noch nicht einmal ein Zieldatum definiert ist, sind wir immer noch weit von ihrer Verwirklichung entfernt. Denn trotz der jährlichen Zuwächse für den ökologischen Landbau wurden im Jahr 2011 nur magere 6,1 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche tatsächlich ökologisch genutzt. Doch statt nun zu sagen: „Dann muss eben mehr für den Biolandbau getan werden“, greift man tief in die statistische Trickkiste. So verzögert die schwarz-gelbe Bundesregierung den Ausbau weiter, indem sie ohne Grund das Bundesprogramm Ökologischer Landbau auf andere Formen Landwirtschaft erweitert und damit die ursprüngliche Zweckbestimmung konterkariert. Gerade hier wird deutlich: Dieser Bundesregierung fehlt eine einheitliche und auf Dauer angelegte systematische Zielförderung der ökologischen Landwirtschaft. Bisher gibt es ein unkoordiniertes Nebeneinander von Direktzahlungen aus Brüssel und freiwillige Agrarumweltmaßnahmen auf Länderebene. Obwohl viele punktuelle Initiativen zeigen, wie sich Landwirtschaft mit Klima-, Natur-, Arten- und vor allem -Tierschutz unter wirtschaftlichen Maßgaben zusammenbringen lässt, vermisst man bei dieser Bundes-regierung jede Strategie, damit mehr Landwirte auf ökologische Produktionsweisen umstellen. Nicht erst seit 2010 zeichnet sich stets dasselbe Schema ab: Bundesministerin Aigner verkündet treuherzig Verbesserungen, kürzt hinterrücks dann aber die Mittel. Ich möchte daran erinnern, dass die jetzige Bundesregierung noch 2010 rigoros Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 3,3 Millionen Euro für den Ökolandbau gestrichen hat. Statt in langfristige, notwendige Projekte floss das Geld in die Exportförderung für die Überproduktion in der Intensivlandwirtschaft. Es reicht auch nicht, wenn Bundesministerin Aigner noch vor wenigen Wochen Investitionsförderung für Stallbauten mit besonders artgerechter Tierhaltung ankündigt, dann aber bei den entsprechenden Verhandlungen zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ kein Wort dazu verliert und die Finanzmittel bis zur Unkenntlichkeit kürzt. Es reicht ebenso nicht, dass hier und da neue Regionallabels oder Onlineportale eingeführt werden. Um wirklich etwas zu bewegen, könnte beispielsweise ganz konkret in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie das Ziel zur Umstellung auf Ökolandbau auf 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche bis zum Jahr 2020 festlegt werden. Ebenso ließe sich das öffentliche Beschaffungsprogramm zur Förderung ökologischer Landwirtschaft nutzen. Wir müssen auch endlich die sozialen Aspekte der Landwirtschaft erkennen und dementsprechend handeln: Lassen Sie uns einen flächendeckenden Mindestlohn festlegen. Wir brauchen ein Umsteuern, um gesunde Ernährung, Bodenschutz und artgerechte Tierhaltung zu ermöglichen. Hier sind wir aufgefordert, die nationalen, internationalen und besonders europäischen Rahmenbedingungen zu verbessern. Wir brauchen weiterhin die Unterstützung der Europäischen Union für die Landwirtschaft, zugleich dürfen die europäischen -Agrarmittel nicht an historischen Ansprüchen, sondern müssen am Erstellen öffentlicher Güter orientiert werden. Die Zahlungen müssen für die Zukunftsfähigkeit einer bäuerlichen, für Umwelt, Tier, Natur und Landschaft verträglichen Landwirtschaft eingesetzt werden. Ökolandbau weist einen deutlich kleineren ökologischen Fußabdruck auf, ist weniger abhängig von künftig knappen Ressourcen, integriert ethische Anliegen wie das Tierwohl und erhöht die Wertschöpfung in ländlichen Räumen. Er baut dabei stark auf bäuerliches Wissen, muss aber auch darüber hinaus weiter erforscht werden. In unseren Haushaltsentwurf für 2013 hat die SPD-Bundestagsfraktion daher zusätzliche Mittel für Forschung, Technologieentwicklung und -transfer gefordert, zum Beispiel für eine Effizienzsteigerung der ressourcenschonenden ökologischen Anbausysteme. Seit Jahren verzeichnet der deutsche Biomarkt ein stetiges Umsatzwachstum. Trotzdem übersteigt die Nachfrage nach heimischen, ökologischen Lebensmitteln das derzeitige Angebot. Diese Schere wird immer noch durch Importe gedeckt. Doch ohne Förderung fehlt unseren Landwirten der Ausgleich für die Kosten der Umstellung und für die zusätzlichen gesellschaftlichen Leistungen, die sie erbringen. Es brodelt in der Gesellschaft. Die Menschen gehen auf die Straße und wollen Veränderungen sehen. Wir brauchen eine Ernährungswende, die ökologische und ethische Aspekte praktikabel umsetzt. Stellen Sie die Landwirtschaft endlich auf die Zukunft ein. Dazu gehört insbesondere die Unterstützung der ökologischen Landwirtschaft bei uns in Deutschland. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die beiden Anträge sind ein bisschen in die Jahre gekommen und in ihren rückwärtsgerichteten Forderungen völlig überholt. Der Ökolandbau muss, wie -andere Formen der Landwirtschaft, auf die Zukunft ausgerichtet werden und darf nicht in alten Denkschablonen verharren. Dafür bieten die beiden Anträge keine Ansätze. Alte Bewirtschaftungsmethoden sind nicht per se gut, nur weil sie alt sind. Bei Autos weiß das bei uns jeder; bei der Landwirtschaft dagegen gibt es noch immer eine Rückwärtsorientierung. Im Jahr 2013 den sogenannten Weltagrarbericht aus dem Jahr 2008 zu unterzeichnen heißt, die Entwicklungen der letzten fünf Jahre auszublenden. Der Bericht der britischen Regierung „The Future of Food and Farming“ aus dem Jahr 2011 ist deutlich aktueller. Seine Vorstellungen von effizienter Landwirtschaft sind besser geeignet, die Herausforderungen zu bewältigen, die eine wachsende Weltbevölkerung und der Klimawandel an die Landwirtschaft stellen. Es ist reine Klientelpolitik, eine höhere Förderung für Biobetriebe zu fordern. Schon jetzt werden Ökobetriebe zusätzlich zu den Direktzahlungen der EU von den Bundesländern mit zwischen 150 und 204 Euro pro Hektar Ackerland, 255 bis 360 Euro pro Hektar Gemüse und in der Größenordnung von 700 Euro pro Hektar Dauerkulturen gefördert. In die gleiche Richtung geht die Forderung, die Öffnung des Förderprogramms Ökologischer Landbau zurückzudrehen. Das hieße, Neulandbetriebe auszuschließen, also Betriebe, die sich einer besonders tierschonenden Tierhaltung verpflichtet haben, oder ebenfalls die von der DLG als besonders nachhaltig wirtschaftend anerkannten Betriebe auszugrenzen. Das ist keine Zukunftsstrategie. Die Forderung berücksichtigt nicht, dass Öko-bauern für ihre Produkte bereits jetzt über den Markt höhere Preise erwirtschaften als konventionell wirtschaftende Betriebe. Die deutlich geringeren Erträge der Biobauern werden ausgeglichen durch höhere Erlöse für ihre Produkte. Für das Wirtschaftsjahr 2010/11 zeigten die Auswertungen der Bundesregierung, dass im Durchschnitt die Gewinne dieser Betriebe ge-genüber dem Vorjahr um knapp 30 Prozent auf 60 736 Euro zugenommen haben. Damit waren ihre Gewinne größer als im Durchschnitt der konventionell wirtschaftenden Haupterwerbsbetriebe mit 54 730 Euro. Wer vor diesem Hintergrund eine noch höhere Förderung des Ökolandbaus aus Haushaltsmitteln fordert, handelt unverantwortlich. Es ist doch vielmehr an der Zeit, dass die unterschiedlichen Formen der Landbewirtschaftung voneinander lernen, ohne ihr eigenes Profil aufzugeben, und sich von ihren Dogmen trennen. Das wäre zu beiderseitigem Nutzen und würde die Nachhaltigkeit der Nahrungsmittelproduktion, die Effizienz der Flächennutzung, die Schonung der Böden und den Erhalt der Biodiversität unterstützen. Wir wissen, dass die Herausforderungen immens sind, die global an die Landwirtschaft aufgrund von Klimawandel, Bevölkerungswachstum und Mehrung des Wohlstands in den Schwellenländern gestellt werden. Um diesen Ansprüchen gerecht werden zu können, benötigen wir eine nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft, um zu einer Effizienzsteigerung zu -gelangen. Dafür muss die Landwirtschaft insgesamt besser werden: Die moderne Landwirtschaft muss -beispielsweise die Nitratausträge mindern, der Ökolandbau seine Erträge wesentlich steigern. Wir können nicht damit zufrieden sein, dass seine Erträge im Vergleich zur modernen Landwirtschaft teilweise nur bei 50 Prozent liegen. Der Ökolandbau ist in der Pflicht, seine Produktionssysteme den modernen Anforderungen entsprechend weiterzuentwickeln. Forschung kann dabei nur helfen, wenn die Anbaurichtlinien der Verbände für moderne Methoden geöffnet werden. Aus Sicht der FDP sollte der Ökolandbau auch seine Haltung zu gentechnisch veränderten Pflanzen überprüfen, die gegenüber Schadorganismen resistent sind. Das Gleiche gilt für Hybridpflanzensorten, die durch den Heterosiseffekt höhere Erträge ermöglichen. Nur weil zu Zeiten von Steiner diese Methoden noch nicht bekannt waren, sollten sie nicht fundamentalistisch abgelehnt werden. Wir brauchen eine nüchterne und wissenschaftlich fundierte Betrachtung des Ökolandbaus, die den Ressourceneinsatz in Bezug auf die erzeugte Menge des landwirtschaftlichen Produkts misst. Denn Landwirtschaft dient der Erzeugung von Weizen, Fleisch oder Eiern. Die Produktmenge muss zum Vergleich verschiedener Produktionssysteme herangezogen werden; die Fläche ist die falsche Bezugsgröße. Die Biobetriebe haben sich sehr erfolgreich ein eigenes Marktsegment erschlossen. Die unternehmerische moderne Landwirtschaft hat von Ökobetrieben gelernt. Zusätzliche Dienstleistungen wie Selbstvermarktung, Bildungsangebote für Schulen, Erlebnis-gastronomie oder Urlaub auf dem Bauernhof bieten moderne landwirtschaftliche Betriebe genauso wie Ökobetriebe. Es wäre gut, dies bliebe keine Einbahnstraße; denn moderne Betriebe wirtschaften zumeist effizienter als Ökobetriebe. Zum Anspruch, gesunde Lebensmittel bei geringer Beeinträchtigung der Natur zu produzieren, gehört auch die Vermeidung des Einsatzes von Kupfer im Weinbau und in der Obst- und Hopfenerzeugung. Böden mit Schwermetallen zu belasten ist keine echte ökologische Alternative zur Nutzung moderner Fungizide. Das UBA hat wissenschaftlich nachgewiesen, dass es chemische Fungizide gibt, die die Natur weniger beeinträchtigen als der Kupfereinsatz. Es ist daher überfällig, dass das Dogma der Ablehnung synthetischer Pflanzenschutzmittel fällt. In der modernen wie der ökologischen Landwirtschaft besteht noch viel Potenzial für Verbesserungen. Es wäre an der Zeit, dass beide Seiten voneinander lernen: die Ökolandwirte von den modern wirtschaftenden Landwirten und umgekehrt die modernen Landwirte von den Ökolandwirten. Es ist an der Zeit, dass Gesellschaft und Politik dafür Impulse setzen. Alexander Süßmair (DIE LINKE): Wir debattieren heute zwei Anträge der SPD zur Förderung des ökologischen Landbaus. Lebensmittel aus ökologischer Produktion erfreuen sich stetig steigender Beliebtheit in Deutschland. Inzwischen werden über 1 Million Hektar in Deutschland ökologisch bewirtschaftet. Das sind rund 6 Prozent der Agrarfläche in Deutschland. Ziel des Ökolandbaus ist nachhaltiges Wirtschaften, das den Boden sowie natürliche Ressourcen schont, umweltfreundlich und tiergerecht ist. Dazu werden geschlossene Betriebskreisläufe angestrebt, bei denen die notwendigen Futtermittel und Nährstoffe für den Anbau von Pflanzen und zur Tierhaltung möglichst aus dem eigenen Betrieb stammen. Zugekaufte Betriebsmittel müssen grundsätzlich auch aus ökologischem Anbau stammen. Deutschland strebt in seiner Nachhaltigkeitsstrategie an, dass 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ökologisch bewirtschaftet werden. Allerdings gibt es kein Zieldatum dafür. Vor wenigen Tagen hat der Bund für ökologische Lebensmittelwirtschaft, BÖLW, ein Thesenpapier verabschiedet. Darin fordert der BÖLW unter anderem Folgendes: Nachhaltige Ernährung: Die Fächer Ernährungslehre, Kochen, Hauswirtschaft müssen in allen allgemeinbildenden Schulen eingeführt werden, ausgerichtet an einem nachhaltigen Ernährungsstil. Öffentliche Kantinen sollen auf eine ökologische Kost umgestellt werden. Artgerechte Tierhaltung: Staatliche Investitionszuschüsse für Stallneu- und -umbauten dürfen in allen Bundesländern nur noch für artgerechte Tierhaltungssysteme gewährt werden, die über dem gesetzlichen Mindeststandard liegen. Eine Strategie muss kommen, mit der alle Betriebe in einer bestimmten Übergangsfrist auf artgerechte Tierhaltung umstellen müssen. Kreislaufwirtschaft: Durch die Produktion bedingte Umwelt- und sonstige gesellschaftliche Kosten müssen den Verursachern zugeordnet werden. Eine ökosoziale Marktwirtschaft. Das heißt, die Wirtschaftsleistung ist mittelfristig mit dem Nationalen Wohlfahrtsindex, NWI, anstelle des Bruttosozial-produkts zu messen. Diese Forderungen unterstützen auch wir von der Linken. Nun, wenden wir uns den Anträgen der SPD zu. Sie wollen den ökologischen Landbau stärken. Welche Maßnahmen schlagen sie vor, damit dieses Ziel erreicht werden kann? Der erste Antrag ist vom September 2011. Diesen beraten wir heute abschießend. Im Ausschuss Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz haben wir darüber bereits beraten. Was fordert die SPD darin? Hier vier Beispiele: Erstens. Ökolandbau soll in der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik eine wichtigere Rolle spielen. Zweitens. Die Forschung zur ökologischen Landwirtschaft soll verstärkt werden. Drittens. Die Öffnung des Bundesprogramms -Ökolandbau für konventionelle Produktionsverfahren soll ohne finanzielle Kürzungen rückgängig gemacht werden. Viertens. Die Bundesregierung soll endlich den Weltagrarbericht von 2008 unterzeichnen. Alles nicht falsch – alles nicht neu. Aber leider auch nicht sehr konkret. Deshalb enthält sich die Linke zu diesem Antrag. Meine Damen und Herren von der SPD, das ist einfach zu wenig. Interessanter ist da schon der zweite, umfassendere Antrag vom September 2012. Darin fordert die SPD: einen flächendeckenden Mindestlohn, auch in der Landwirtschaft; ein Weiterbildungsprogramm für die ökologische Landwirtschaft bei der Bundesagentur für Arbeit; eine Ökologisierung der gesamten landwirtschaftlichen Forschung, Lehre und Ausbildung; das öffentliche Beschaffungswesen zur Verbreitung ökologisch erzeugter Lebensmittel zu nutzen. Kantinen können hier eine Vorreiterrolle übernehmen. Die bundesweite Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung, die vom Bundesinnenministerium ins Leben gerufen wurde, muss mit Leben erfüllt werden. Bundesweit müssen auch ökologische Kriterien bei der Vergabe und Beschaffung berücksichtigt werden. Denn nur ökologisch nachhaltige Angebote sind auch wirtschaftlich. Nicht zuletzt: die Ökologisierung der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz, GAK. Diese Forderungen können wir unterstützen, und sie finden sich zum Teil auch so in Anträgen, die die Linke bereits in den Bundestag eingebracht hat. Klar ist: Kreislaufwirtschaft, Wachstumskritik, nachhaltige Ernährung, Recht auf Nahrung und artgerechte Tierhaltung gehören zusammen! Welthandelspolitik, Tierschutzpolitik, Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik sind Facetten derselben Medaille. Das hat sogar unsere Bundeslandwirtschaftsministerin beim Charta-Prozess begriffen. Nur CDU/CSU und FDP pflegen weiter ihre Träume vom Weltmarkt auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt. Alle anderen haben das satt! Ich hoffe, dass wir diesen Antrag konstruktiv im Ausschuss beraten werden. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Ökolandbau ist nun einmal die nachhaltigste Form der Landbewirtschaftung. Er schont Boden, Wasser und Luft sowie Flora und Fauna nicht nur dadurch, dass er auf Mineraldünger und chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel verzichtet. Den Nutztieren wird ein weitestgehend artgerechtes Leben ermöglicht. Der Ökolandbau stellt hinsichtlich der Landnutzung ein völlig anderes System dar als der aktuell praktizierte sogenannte konventionelle Landbau. Die Nachfrage nach Produkten aus dem Ökolandbau steigt seit Jahren, während sie aus heimischer Produktion immer weniger gedeckt werden kann. Nicht etwa, weil Ökobetriebe weniger produzieren als vergleichbare konventionelle Betriebe auf der gleichen Fläche, sondern weil immer weniger Betriebe umstellen. Soweit die unumstößlichen Fakten. Aus diesen Gründen sollte das Ziel einer gleichermaßen ökologisch wie ökonomisch ausgerichteten -Agrarpolitik eigentlich den Ökolandbau zum Leitbild der Agrarproduktion machen, das heißt schrittweise Ökologisierung der Landnutzung bis zu 100 Prozent Ökolandbau. Doch die Regierungskoalition konnte sich aus parteiideologischen Gründen nicht einmal dazu überwinden, das 20-Prozent-Ziel in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie mit einem zeitlichen Ziel zu versehen. Die entsprechende Empfehlung des Nachhaltigkeitsrates wurde schlichtweg ignoriert. Durch die Öffnung des Bundesprogramms Ökologischer Landbau für sogenannte andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft verzögert die schwarz-gelbe Bundesregierung den Umbau weiter. Schlimmer noch: Selbst das europäische Minimalziel, 7 Prozent der Anbauflächen als ökologische Vorrangflächen auszuweisen, wird zur Chefinsache erklärt und mit allen Mitteln zu verhindern versucht. Diese Fehler werden wir nach einem Regierungswechsel korrigieren. Denn dass die Verbraucherinnen und Verbraucher einen Wechsel in der Agrarpolitik hin zu mehr Nachhaltigkeit und Tierschutz wollen, wurde nicht nur auf der „Wir haben es satt!“-Demo am 19. Januar von 25 000 Menschen auf den Straßen des Regierungsviertels deutlich artikuliert. In Niedersachsen wurde an den Wahlurnen ganz eindeutig für eine andere Haltung abgestimmt. Wir Grüne wollen dem Ökolandbau wieder mehr Schub geben. Wir wollen seine ökologischen und gesellschaftlichen Leistungen angemessen honorieren. Denn die konventionelle, zunehmend industrialisierte Landwirtschaft produziert nur scheinbar „billige“ Lebensmittel. Die externen Kosten, die beispielsweise durch die Belastung von Böden und Gewässern oder die Flächeninanspruchnahme in Drittländern für das Mastfutter auf Basis von importiertem Soja entstehen, werden nicht im Produkt abgebildet. Viel zu oft gehen billige tierische Produkte auf Kosten der Nutztiere, die ihr kurzes Leben ohne Licht, Luft und Sonne in engen Ställen fristen müssen. Um dies zu ändern, muss die Höhe von Umstellungs- und Ökoprämien im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ angepasst werden. Ökolandbau ist keine Spielwiese für naturverliebte Träumer, sondern volkswirtschaftlich sinnvoll: Die Regionen profitieren durch eine höhere Wertschöpfung von der ökologischen Landbewirtschaftung, da sie im Vergleich der Systeme bis zu 30 Prozent mehr Arbeitsplätze bietet und oftmals auch eine größere betriebliche Gewinnmarge zu verzeichnen hat. Der Ökolandbau geht Hand in Hand mit zwei großen gesellschaftlichen Trends, die für die Entwicklung ländlicher Räume sehr große Potenziale bieten: mit dem naturnahen Tourismus und mit der Regionalität von Lebensmitteln. Wir können es uns angesichts der Herausforderungen für die ländlichen Räume nicht leisten, diese Potenziale zu verspielen. Wir brauchen eine finanziell starke zweite Säule sowie höhere EU-Kofinanzierungssätze für die Unterstützung des ökologischen Landbaus. Die exportorientierte intensive Produktion, die in der vergangenen Woche auf der Internationalen Grünen Woche gefeiert wurde, hilft weder dem ländlichen Raum, wo immer mehr Mastställe aus dem Boden schießen, noch den Verbraucherinnen und Verbrauchern, die keine Gentechnik auf dem Teller haben möchten, noch den Menschen in ärmeren Teilen der Welt, deren lokalen Wertschöpfungsketten durch industrielle Massenware zerstört werden. Deutschland wurde viel zu lange in eine agrarpolitische Sackgasse manövriert. Aus der kommen wir nur mit einer Kehrtwende heraus. Deshalb stimmen wir den Anträgen der SPD-Fraktion zu, selbst wenn sie uns im Detail nicht immer ausreichen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/10862 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann haben wir so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 21 b. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner -Empfehlung auf Drucksache 17/8954, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7186 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften – Drucksache 17/11469 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/12199 – Berichterstattung: Abgeordnete Marco Wanderwitz Ingo Egloff Judith Skudelny Halina Wawzyniak Ingrid Hönlinger Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, sind die -Reden zu Protokoll genommen worden. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Mit der grundlegenden Novellierung des rund 100 Jahre alten Versicherungsvertragsgesetzes haben wir in der letzten Legislaturperiode einen zeitgemäßen gerechteren Interessenausgleich zwischen Versicherten und Versicherern geschaffen. In zweiter und dritter Lesung beraten wir heute ein Änderungsgesetz, mit dem wir die getroffenen Regelungen an erforderlichen Stellen nachjustieren. Schwerpunkt des Gesetzentwurfs ist die nachhaltige Stärkung der Rechte von Versicherten in der privaten Krankenversicherung und in der Kfz-Haftpflichtversicherung. Hierzu haben wir für die Verfahren bei der Übernahme und für die Regulierung von Versicherungsfällen die Transparenz erhöht. Die christlich--liberale Bundesregierung ergänzt damit das in dieser Wahlperiode bereits geschnürte umfassende Verbraucherschutzpaket. Bereits heute hat ein privat Krankenversicherter nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gegenüber seiner Versicherung den Anspruch, zu erfahren, ob der abgeschlossene Versicherungsvertrag die Übernahme der wahrscheinlichen Kosten einer Behandlung vorsieht bzw. ob die beabsichtigte Heilbehandlung eine notwendige Heilbehandlung im Sinne des § 192 Abs. 1 VVG ist. Dieser Auskunftsanspruch wird nun klarstellend gesetzlich normiert. Er besteht, sofern die Heilbehandlung voraussichtlich mehr als 2 000 Euro kosten wird. Die Auskunft hat in dringenden Fällen unverzüglich zu erfolgen, also spätestens nach zwei Wochen, ansonsten nach vier Wochen. Positiv für den Versicherten: Unterbleibt die Antwort des Versicherers innerhalb der Frist, wird bis zum Beweis des Gegenteils durch den Versicherer vermutet, dass die beabsichtigte medizinische Heilbehandlung notwendig ist. Wir stärken zudem die Informationsmöglichkeiten der Versicherten. So können diese künftig ohne Anwalt die Einsicht in die zur Prüfung der Leistungspflicht und der Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung durch den Versicherer herangezogenen Unterlagen höchstpersönlich verlangen. Im Bereich der Kündigungsfristen einer privaten Krankenversicherung wegen einer Erhöhung der -Beiträge schaffen wir einen großen Puffer, der beiden Seiten insbesondere beim Abschluss eines neuen Vertrages zugutekommt. Künftig hat der Versicherungsnehmer nun zwei Monate statt wie bisher nur einen Monat Zeit. Diese Änderung ist insofern wichtig, als eine Kündigung nur möglich ist, wenn der Versicherte einen neuen Vertrag abschließt. Innerhalb der bisherigen recht kurzen Kündigungsfrist nach § 205 Abs. 4 VVG war der vom neuen Versicherer regelmäßig geforderte umfassende Gesundheitstest häufig nicht durchzuführen, woran ein kurzfristiger Wechsel scheiterte. Hiermit erhöhen wir die Plan-barkeit für alle -Seiten. Stichwort „Selbstbehalt“: Versicherungsnehmer können auch im Basistarif bei einer Mindestlaufzeit von drei Jahren einen Selbstbehalt vereinbaren. Die Praxis hat gezeigt, dass bei hohen Beiträgen im Basistarif, teilweise sogar bei Höchstbeträgen, dieser Selbstbehalt nicht immer zu einer Beitragsermäßigung führt, sondern sich oberhalb des Höchstbetrages -vollzieht. Ein hiervon betroffener Versicherter kann den Selbstbehalt nun jederzeit kündigen, indem eine Umstellung des Vertrages in den Basistarif ohne Selbstbehalt verlangt werden kann. Zudem werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Widerrufsregelungen der Fernabsatz-Richtlinie, Richtlinie 2002/65/EG, auch im Bereich des Versicherungswesens umgesetzt. Künftig ist der Versicherte im Falle der Kündigung seines Versicherungsvertrages nicht mehr an einen mit diesem zusammenhängenden Vertrag gebunden. Ein solcher zusammenhängender Vertrag liegt vor, wenn er einen Bezug zu dem widerrufenen Vertrag aufweist und eine Dienstleistung des Versicherers oder eines Dritten auf der Grundlage -einer Vereinbarung zwischen dem Dritten und dem Versicherer betrifft. Da die in Umsetzung der Richtlinie ins Bürgerliche Gesetzbuch übernommenen -Regelungen des § 312 b Abs. 3 Nr. 3 BGB nicht für -Versicherungsverträge gelten, wird hierzu nun das VVG erweitert. Die Besonderheit: Die Regelungen im Versicherungsbereich sind nicht auf den Fernabsatz beschränkt. Einen besonderen verbraucherschützenden Charakter erhält die Regelung dadurch, dass der Schutz dem Versicherten nicht aufgezwungen wird, sondern optional ist. Er kann den zusammenhängenden Vertrag auch weiterlaufen lassen, sofern dieser ohne den widerrufenen Vertrag eigenständig fortgeführt werden kann. Im Rahmen der Kfz-Haftpflicht wird der Versichertenschutz im Falle der Insolvenz des Versicherers gestärkt. Während in einem solchen Ausnahmefall grundsätzlich die Verkehrsopferhilfe für entstandene Schäden eintritt, kann es unter Umständen auch den Versicherten selber treffen, der den Verkehrsunfall -verursacht hat. Da es für einen ordnungsgemäß Versicherten unbillig wäre, ihn mit den Kosten alleinzulassen, wird seine Haftung auf 2 500 Euro beschränkt. Ingo Egloff (SPD): Wir beraten heute eine Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes, die die Rechte der Versicherten stärken und für Rechtsklarheit sorgen soll. Beides ist positiv und wird von der SPD-Bundestagsfraktion unterstützt. Die Verbesserung der Einsichtsrechte für die Kranken in die Unterlagen, die sie selbst betreffen, ohne einen Anwalt oder Arzt bemühen zu müssen, ist zeitgerecht und richtig. In Zeiten, in denen Transparenz in vielen Bereichen gefordert und beschlossen wird bis hin zu Verwaltungsverfahren, die bisher der Öffentlichkeit entzogen waren, ist es recht und billig, Auskunft zu erhalten in Sachen, die den höchsten persönlichen Bereich betreffen, die Gesundheit und körperliche Inte-grität. Gerechtfertigt sind hier auch die Einschränkungen, wenn klar eine enge Grenze definiert ist. Auch die Tatsache, dass die Vereinbarung eines Selbstbehaltes in jedem Falle zu einer Beitragsreduzierung führen muss, ist im Interesse des Versicherten zu begrüßen. Dies gilt auch für die Verlängerung der Kündigungsfrist bei Tarifwechsel von einem Monat auf zwei Monate. Der Versicherungsnehmer erhält damit mehr Zeit, den Markt zu prüfen, zu sondieren und diese eventuell weitreichende Entscheidung zu treffen. Denn der Versichererwechsel ist ja gegebenenfalls mit veränderten Leistungen und Prämien verbunden, die sich für den Laien nicht unbedingt auf den ersten Blick erschließen. Insofern ist eine verlängerte Frist, die es ermöglicht, entsprechende Angebote einzuholen, zu begrüßen. Wichtig ist der Punkt, dass der Versicherte bei Behandlungen, deren Kosten voraussichtlich 2 000 Euro überschreiten, schriftlich Auskunft über den Versicherungsschutz erhalten kann, dass hierfür eine Frist gesetzt ist und bei Überschreiten und Nichtreaktion des Versicherers die gesetzliche Fiktion eintritt, die Behandlung sei genehmigt. Die Möglichkeit für den Versicherer, nach Ablauf der Frist das Gegenteil zu beweisen, dürfte in normalen Fällen eher theoretischer Natur sein, es sei denn, es lag aufseiten des Versicherungsnehmers eine betrügerische Handlung vor. Aber dann ist meines Erachtens auch die gesetzliche Regelung gerechtfertigt. Im Normalfall wird sich der Versicherer, wenn der Patient sich im Vertrauen auf den Fristablauf behandeln ließ, gegen diesen Vertrauenstatbestand, den er geschaffen hat, kaum auf diese Regelung berufen können. Denn dann würde die ganze Regelung, die ja Rechtssicherheit geben soll, ad absurdum geführt werden. Dies würde, da bin ich mir aufgrund meiner beruflichen Kenntnis über die versicherungsrechtliche Rechtsprechung sicher, kein Gericht überzeugen, zumal die Tendenz der Rechtsprechung in den letzten Jahren zunehmend im Interesse der Versicherungsnehmer liegt. Zum Schluss: Dass die Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes über Unisex-Tarife zu erfolgen hat, ist völlig klar. Mein Fazit: Ein vernünftiger Entwurf, den die SPD-Fraktion unterstützt. Judith Skudelny (FDP): Wir sind uns ja alle einig, dass mit dem Gesetz zur Änderung versicherungsrechtlicher Vorschriften die Rechte von Versicherten in der privaten Krankenver-sicherung und in der Kfz-Haftpflichtversicherung deutlich gestärkt werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf können privat Krankenversicherte künftig von ihrer Versicherung im Vorfeld eine Auskunft darüber verlangen, ob diese die Kosten einer Behandlung übernimmt. Wie Ihnen bekannt ist, müssen privat Versicherte für die Kosten einer Behandlung zunächst in Vorleistung treten und wissen in vielen Fällen nicht, ob sie diese Kosten von ihrer Versicherung auch erstattet bekommen. Gerade bei kostenintensiven größeren Behandlungen ist diese Auskunft für die Versicherten eine entscheidende -Verbesserung; denn dadurch erhalten sie frühzeitig Gewissheit und können sich auf die Situation einstellen. Im Gesetzentwurf ist ausdrücklich geregelt, dass diese Auskunft in dringenden Fällen unverzüglich – spätestens nach zwei Wochen – und in nicht dringenden Fällen nach vier Wochen zu erfolgen hat. Wir erinnern uns, dass diese Änderung durch eine Petition aus dem Deutschen Bundestag angeregt wurde. Daran zeigt sich, dass die Betroffenen selbst ein starkes Interesse daran haben, dass in diesem -Bereich verbindliche Regelungen geschaffen werden. An dem heutigen Gesetzentwurf zeigt sich aber auch, dass die Bundesregierung eine Politik des Gehörtwerdens betreibt und die Anregungen der Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt und umsetzt. Wir sind als Regierungsfraktionen diesem Wunsch nachgekommen und stärken mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Rechte der Versicherten, indem wir im Bereich der Übernahme und Regulierung von Versicherungsfällen Klarheit und Rechtssicherheit schaffen. Schön finde ich, dass dieser Gesetzentwurf von fast allen Fraktionen getragen wird. Einzig die Grünen konnten sich gestern im Ausschuss nicht zu einer Zustimmung durchringen. Dabei konnten mich die vorgetragenen Bedenken wenig überzeugen. Die Grünen fordern, das Wort „verbindlich“ in dem Gesetzentwurf zu verankern. Dabei verkennen sie die Tatsache, dass die Deckungszusage einer Versicherung, der alle wichtigen Tatsachen vorliegen, bereits verbindlich ist. Nimmt man dieses Wort jedoch mit in den Gesetz-entwurf auf, verlängert man die Prüfung der Versicherungen, mit dem Ergebnis, dass diese rechtlich nicht mehr dazu gezwungen werden könnten, eine schnelle Antwort zu geben. Aus diesem Grund kann die Streichung des Wortes „verbindlich“ wohl kaum zu einer Schlechterstellung der Versicherten führen. Sie haben es selber in der Hand, durch die vollständige Vorlage aller Unterlagen eine verbindliche Auskunft zu erhalten. Wenn sie keine oder unvollständige Unterlagen vorlegen, kann daraus auch keine verbindliche Auskunft folgen – ein fairer Ausgleich zwischen den berechtigten Anliegen der -Versicherungen und den Interessen der Patienten. Wie bei jedem Gesetz müssen sich auch hier Kosten und Nutzen die Waage halten. Aus diesem Grund -haben wir einen Schwellenwert für die Kosten der -Behandlung von 2 000 Euro eingeführt. Dadurch lässt sich der bürokratische Mehraufwand für die Versicherungen auf besonders kostenintensive Fälle begrenzen, bei denen das Interesse des Versicherten an einer Auskunft besonders hoch ist. Zudem wird dadurch Rechtssicherheit geschaffen, da anhand des Schwellenwertes nun klar ersichtlich ist, ob es sich um eine größere Heilbehandlung handelt oder nicht. Auch im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung wird nun Klarheit geschaffen. Für die Fälle, in denen der Versicherer insolvent wird und die nicht von der Verkehrsopferhilfe übernommen werden, wird die -Haftung auf 2 500 Euro beschränkt. Das schafft Rechtssicherheit für die betroffenen Bürger. Mit der Entfristung durch Art. 5 des Gesetzentwurfs wird deutlich, dass sich die bisherigen Regelungen bewährt haben und nicht mehr befristest werden müssen. Abschließend möchte ich sagen, dass ich mich sehr freue, dass die gelb-schwarze Koalition mal wieder -einen Gesetzentwurf vorlegen konnte, dem sich die überwältigende Mehrheit des Hauses angeschlossen hat. Vielen Dank an alle Mitwirkenden. Harald Weinberg (DIE LINKE): Vorweg: Dieser Gesetzentwurf enthält eine ganze Reihe von größeren und kleineren Regelungen, von denen viele positiv sind. Deswegen werden wir in der Summe auch zustimmen, wenngleich es auch Regelungen gibt, die wir als problematisch ansehen, dazu später. Ich will daher mit dem Positiven beginnen: Eine Änderung begrüßen wir besonders. Das ist eine Regelung, die auf den unermüdlichen Bürger Horst Glanzer zurückzuführen ist, der auch in meinem Büro schon viele Arbeitsstunden für sein Anliegen in Anspruch genommen hat. Aber der Mann hat völlig recht. Wenn ein privat Krankenversicherter eine ernste Krankheit hat und deshalb bei seiner Krankenversicherung nachfragt, ob sie die Kosten übernimmt, dann hatte diese bisher die Möglichkeit, ihn an der langen Hand verhungern zu lassen. Sie hat einfach nicht geantwortet. In Folge haben der Arzt oder das Krankenhaus nicht behandelt, weil die Finanzierung nicht gesichert war. Offenbar gab es Versicherungen, die darauf spekuliert haben, dass sich diese schwere Krankheit und die damit verbundenen finanziellen Verpflichtungen aus biologischen Gründen lösen werden. Deshalb ist es völlig richtig, dass nun klargestellt wird, dass die Versicherung in dringenden Fällen unverzüglich, spätestens nach zwei Wochen, sonst spätestens innerhalb vier Wochen zu entscheiden hat. Reagiert sie nicht, dann gilt das als Zustimmung. Schlecht an dieser Änderung ist, dass es eine sogenannte Bagatellgrenze von 2 000 Euro gibt. Denn für viele Menschen, auch für viele privat Krankenversicherte, sind 1 950 Euro keine Bagatelle. Besser wäre es gewesen, hätten Union, SPD, FDP und Grüne unserem Änderungsantrag zum GKV-Änderungsgesetz im Juni 2010 zugestimmt, den wir damals schon auf Horst Glanzers Initiative hin vorgelegt haben. Dann hätten wir schon seit über zwei Jahren eine bessere Regelung als die, die wir jetzt bekommen, die auch ohne Bagatellgrenze auskommt. Aber im Großen und Ganzen ist es gut, dass die Bundesregierung unser Anliegen nun aufgegriffen hat. Mit diesem Gesetzentwurf zurrt die Bundesregierung aber auch die Unisex-Tarife bei Versicherungen fest. Und hier beginnt das Schlechte. Die Art und Weise, wie die europäischen Vorgaben, dass keiner aufgrund seines Geschlechts bei Versicherungen benachteiligt werden darf, umgesetzt werden, finde ich empörend. Erstens hat die Bundesregierung mit dieser Regelung gewartet bis zur letzten Sekunde. Eigentlich gelten diese Regelungen, die auf eine zehn Jahre alte EU-Initiative zurückgehen, schon seit 2007. Die Bundesregierung wollte jedoch weiterhin Frauen in der Krankenversicherung und Männer in der Lebensversicherung benachteiligen. Sie hat uns noch vor zweieinhalb Jahren in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage erklärt, dass sie an dieser Diskriminierung festhalten will, sich nicht um Grundsätze der Gleichstellung der Geschlechter schert und europäische Richtlinien, die das fordern, ihr letztlich egal sind. Ein Dreivierteljahr später, im März 2011, hat der Europäische Gerichtshof der Bundesregierung die Leviten gelesen und eine Einführung bis spätestens 21. Dezember 2012 gefordert. Keinen Tag früher wurde diese Regelung in Deutschland umgesetzt. Zweitens – und das ist noch schlimmer – hat die Bundesregierung eine Minimalumsetzung betrieben. Sie hat die Unisex-Tarife nur für Neukunden durchgesetzt. Das ist besonders desaströs in der privaten Krankenversicherung. Denn die Bundesregierung hat damit die Rahmenbedingungen für die Krankenver-sicherungskonzerne so gesetzt, dass die Frauen, die schon versichert sind, weiterhin zu viel bezahlen müssen. Nun könnte man denken, dass die Frauen nun von ihrem gesetzlichen Wechselrecht Gebrauch machen können und in Neutarife wechseln. Radio Eriwan lässt grüßen: Im Prinzip können sie schon wechseln, aber dann wird’s noch teurer. Das hat ein Analysehaus gerade vor wenigen Tagen festgestellt: Die neuen Tarife für Frauen sind rund 3 Prozent teurer als die alten. Woran liegt das? Es gibt nun zwei Versicherungswelten, die alte ohne, die neue mit Unisex. Die Männer wollen bei der Krankenversicherung in die alte Welt – das verbietet nun dieses Gesetz –, und die Frauen wollen aus der alten in die neue Welt – dazu haben sie das gesetzliche Recht. Wenn nun aber viele Frauen von dem Wechselrecht Gebrauch machen würden, gäbe es überdurchschnittlich viele Frauen in der neuen Welt. Dann müssten die Versicherer die Tarife mit den teureren Frauen entsprechend teurer kalkulieren und Sicherheitsmargen einfügen. Denn im Nachhinein dürfen sie richtigerweise aufgrund falscher Kalkulation zu niedrig berechnete Beiträge nicht mehr erhöhen. Die Versicherer wissen aber nicht, wie viele Frauen tatsächlich wechseln würden, und wie groß dieser Effekt ist, und damit können sie ihre Tarife nicht sauber kalkulieren. Also greifen sie in die Trickkiste, und senken den Rechnungszins nur für Neuverträge, was dort das gesamte Beitragsniveau derart erhöht, dass es sich selbst für Frauen der alten Welt nicht mehr lohnt, zu wechseln. Wechselrecht ausgehöhlt, keine Probleme mehr mit einem Frauenüberhang, Kalkulation geht einfacher, Kunden zahlen drauf: Dieses denkbar schlechteste Szenario für die Einführung der Unisex-Tarife ist jetzt aber Realität. Die Bundesregierung hätte Unisex auch für Bestandskunden einführen müssen. Das wäre gerechter und günstiger gewesen. Dann hätten in allen Tarifen Männer und Frauen gleich viel zu zahlen, und für -Neuversicherte wäre es nicht teurer geworden. Nun aber haben sich die Neutarife für Männer um 17 bis 150 Euro im Monat, durchschnittlich um 70 Euro, verteuert. Und sogar Frauen, die eigentlich profitieren sollten, legen nun durchschnittlich acht Euro drauf. Für die Linke ist klar: Auch bei Versicherungen muss Geschlechtergerechtigkeit herrschen, und die Bundesregierung sollte beginnen, Politik für die Ver-sicherten und nicht für die Versicherungskonzerne zu machen. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir debattieren heute über einen ganzen Strauß von neuen Vorschriften im Bereich des Versicherungsrechts. Diese Neuregelungen sollen den Versicherten mehr Rechte verleihen. Das begrüßen wir Grünen. Wenn eine Kfz-Haftpflichtversicherung sich in der Insolvenz befindet, sollen Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer besser vor existenzbedrohenden Schadensersatzansprüchen nach einem Unfall geschützt werden. Krankenversicherte sollen selbst – und nicht nur über den Rechtsanwalt oder die Ärztin – bei ihrer privaten Krankenkasse Einsicht in Gutachten oder Stellungnahmen nehmen können, wenn die -Notwendigkeit einer Heilbehandlung geprüft wird. Zusätzlich haben privat Versicherte mehr Zeit, ihre -Krankenversicherung zu kündigen, wenn die Beiträge erhöht werden. Versicherungen tragen dazu bei, finanzielle Lebensrisiken für den Einzelnen und die Einzelne abzusichern. Das ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Besonders gut ist das Verhältnis zwischen Versicherung und Versicherten dann, wenn es ausgewogen ist. Deshalb ist es wichtig, dass beide Seiten starke Rechtspositionen haben und diese Rechte auch effektiv durchsetzen können. Hier weist der Regierungsentwurf eine empfindliche Schwäche auf: Die Bundesregierung will einen -Auskunftsanspruch der privat Versicherten gegenüber ihren Krankenversicherungen einführen. Privat -Versicherte sollen bei größeren Heilbehandlungen von ihrer Versicherung im Vorhinein Auskunft darüber verlangen dürfen, ob diese die Kosten der Behandlung übernimmt. In dringenden Fällen hat die Versicherung unverzüglich die Auskunft zu erteilen. Die Regelung dieses Auskunftsanspruchs ist erforderlich, weil es immer wieder Fälle gibt, in denen -Versicherungsnehmer so lange auf die Antwort ihrer Versicherung warten müssen, dass die Behandlung schon fast zu spät erfolgt. Im schlimmsten Fall tragen die Betroffenen dann irreparable Schäden davon. Der Haken am neuen Auskunftsanspruch ist aber, dass der Gesetzentwurf der Regierung keine verbindliche Auskunft der Versicherung vorsieht. Das heißt, der Versicherte bekommt eine Auskunft des Versicherungsunternehmens über die Kostenübernahme, kann sich aber nicht darauf verlassen, dass die Versicherung die Kosten anschließend tatsächlich übernimmt. Und das ist nicht nur meine Einschätzung. Diese Interpretation teilt auch der Bundesrat. Die Bundesregierung gibt zwar an, dass die Zusage der Versicherung verbindlich sei, wenn diese eine -abschließende Bewertung anhand aller Unterlagen vorgenommen habe. Aber das schreibt sie nicht ins -Gesetz. Der Vorgängerentwurf, der Referentenentwurf, hatte die Verbindlichkeit noch ausdrücklich beinhaltet. Und auch in der Gesetzesbegründung steht nicht, dass eine Zusage verbindlich ist. Ich zitiere Seite 13 des -Gesetzentwurfs: „Legt der Versicherungsnehmer Unterlagen vor, muss der Versicherer in seiner Antwort im Sinne einer gesteigerten Darlegungslast auf die Unterlagen eingehen; die Antwort erlangt einen höheren Grad an Verbindlichkeit.“ Da frage ich mich: Was ist ein höherer oder niedrigerer Grad an Verbindlichkeit? Hier gibt es nur ein Entweder-oder: Entweder ist eine Auskunft verbindlich, oder sie ist es nicht. Und es kommt noch schlimmer: Bleibt der Gesetzestext so, wie er jetzt ist, wäre es letztendlich für den -Versicherten besser, er erhielte gar keine Antwort von seiner Versicherung. In diesem Fall greift nämlich nach Ablauf der Frist zur Antwort die gesetzliche Vermutung ein. Das bedeutet, es wird vermutet, dass die beabsichtigte Heilbehandlung notwendig ist und damit die Krankenversicherung die Kosten übernehmen muss. Um diese Vermutung zu widerlegen, muss dann die Versicherung beweisen, dass die Behandlung nicht notwendig war. Im Klartext heißt das: Der Versicherte, der von seiner Versicherung keine Auskunft erhalten hat, hat im Prozess eine stärkere Position als der Versicherte, der eine unverbindliche Auskunft bekommen hat. Bei der unverbindlichen Auskunft trägt nämlich der Versicherte die Beweislast dafür, dass seine Versicherung zur Zahlung der Behandlungskosten verpflichtet ist. Rechtsstreitigkeiten über die Verbindlichkeit einer Auskunft der Krankenversicherung sind damit vorprogrammiert. Das aber muss eine solide Rechtspolitik vermeiden. Ihr Anspruch muss sein, Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen, nicht aber, sie erst zu verursachen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12199, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11469 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Stimmenthaltung der Grünen und Zustimmung aller anderen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Mehrheitsverhältnis wie zuvor angenommen. Tagesordnungspunkt 23: Beratung des Antrags der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Uranmunition ächten – Drucksache 17/11898 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Verteidigungsausschuss Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, sind die -Reden zu Protokoll genommen worden. Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Um es gleich vorwegzunehmen: Die Bundeswehr verfügt über keine Munition mit abgereichertem Uran und plant auch nicht, diese in Zukunft zu beschaffen. Im Mittelpunkt des Antrages der Fraktion Die Linke steht deshalb auch nicht der bundeswehrinterne -Umgang mit DU-Munition – Depleted-Uranium-Munition –, sondern der weltweite Stopp des Einsatzes dieser Munition. Zwar macht die Bundeswehr keinen -Gebrauch von DU-Munition, aber andere Nationen nutzen sie. Hierzu gehören beispielsweise auch die USA, Frankreich oder Großbritannien. Ich wundere mich, ehrlich gesagt, wieso gerade jetzt ein derartiger Antrag der Fraktion Die Linke kommt. Die Haltung des Bundesverteidigungsministeriums zum Einsatz von DU-Munition, die wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion teilen, hat sich nicht geändert. Zum letzten Mal ausführlich dargestellt wurde sie in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im -November 2010. Die Forderung verschiedenster Organisationen nach einem Verbot von Munition mit abgereichertem Uran ist nach heutigem Stand der wissenschaftlichen Untersuchungen nicht abgesichert. Die Studien, die unter anderem durch NATO, IAEA, WHO oder durch die Europäische Kommission durchgeführt wurden, haben keine Hinweise auf eine relevante Gefährdung von Mensch und Umwelt durch DU-Munition ergeben. Insbesondere konnte kein wissenschaftlich nachweisbarer Zusammenhang zwischen der Munition und den mit ihr in Verbindung gebrachten Krankheiten fest-gestellt werden. Dies ging schon aus der bereits erwähnten Antwort der Bundesregierung hervor. Ohne eine fundierte wissenschaftliche Begründung für die Risiken von DU-Munition ist ein Moratorium oder ein Verbot des Einsatzes nicht durchsetzbar. Zuständig für medizinische Fragen hinsichtlich -ionisierender Strahlung ist das Institut für Radiobio-logie der Bundeswehr. Zu dessen Aufgaben gehört es, die wissenschaftliche Fachliteratur zur Wirkung von DU-Munition fortwährend auszuwerten. Auf meine Nachfrage hin hat das Bundesverteidigungsministerium mir mitgeteilt, dass auch in den vergangenen zwei Jahren keine seriöse Untersuchung zu einem anderen Ergebnis gekommen sei. Am Sachstand hat sich demnach nichts geändert. Ich halte die Entscheidung der Bundeswehr, selbst keine Munition mit abgereichertem Uran einzusetzen, für richtig. Ein völkerrechtliches Verbot von Munition, die abgereichertes Uran enthält, gibt es jedoch nicht. Unsere Verbündeten und ihre Streitkräfte entscheiden eigenmächtig und eigenverantwortlich darüber, ob sie DU-Munition einsetzen oder nicht. Dies trifft übrigens auch im Rahmen multilateraler Einsätze zu. Unser -Fokus im Parlament und im Speziellen im Verteidigungsausschuss sollte der Bundeswehr gelten, für die sich in diesem Fall jedoch keine primären Verpflichtungen ableiten lassen. Den Antrag der Fraktion Die Linke lehne ich deshalb ab. Robert Hochbaum (CDU/CSU): Wir beraten heute über einen Antrag der Fraktion Die Linke, Uranmunition zu ächten. Um eins vorweg klar zu sagen: Uranmunition spielt innerhalb unserer Bundeswehr keine Rolle. Grundsätzlich möchte ich aber auch feststellen, dass Uranmunition nicht in einer Reihe mit Streumunition oder etwa bestimmten Formen von Minen zu sehen ist. Ein einseitiger Entschluss Deutschlands, Uranmunition zu ächten, würde diese auf keinen Fall von dieser Welt verschwinden lassen. Das müsste eigentlich auch der Linken einleuchten. Sie, die Linke, weisen in Ihrem Antrag selbst darauf hin, welche und wie viele Länder weltweit Uranmunition vorhalten bzw. in Konflikten einsetzen. Wenn also an dieser Situation etwas geändert werden soll, wenn Uranmunition weltweit abgeschafft werden soll, ist es wenig hilfreich, wenn sich ein Land wie Deutschland, welches nicht einmal über Uranmunition verfügt, einseitig dagegen erklärt. Ich schlage Ihnen vor, wenn Sie es für so wichtig erachten, andere Länder, vor allem solche, die über Uranmunition verfügen, von Ihrem Anliegen zu überzeugen. Deutschland hat sich richtigerweise dafür entschieden, gegen den Einsatz von Streumunition vorzugehen. Seit dem 1. August 2010 gilt das Übereinkommen über Streumunition, welchem 111 Staaten beigetreten sind. Deutschland wird die Vorgaben aus diesem Übereinkommen eher erreichen als vorgesehen. Bis 2015 werden alle Bestände der Bundeswehr an Streumunition vernichtet, und damit drei Jahre früher als im Übereinkommen festgelegt. Um dieses Ziel zu erreichen, werden bzw. wurden von der Bundesregierung für den Zeitraum 2000 bis 2015  59 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Auch wenn bis zur weltweiten Ächtung von Streumunition noch ein weiter Weg zu gehen ist, so war dieses Vorgehen für Deutschland ein folgerichtiger und wesentlicher Schritt. Was aber das Thema Uranmunition betrifft, so möchte ich Ihnen zwei Dinge zu bedenken geben. Gegenwärtig gibt es keine valide Untersuchung, die einen wissenschaftlich nachweisbaren Zusammenhang zwischen Uranmunition und den damit in Verbindung gebrachten Krankheiten herstellt. Sogar das Internationale Rote Kreuz, IKRK, sieht aufgrund der unbestätigten Fakten keinen Anlass, die Forderung nach einem Moratorium für DU-Munition aufzumachen. Da vertraue ich auch auf unsere Fachärzte in der Bundeswehr. Das Institut für Radiobiologie der Bundeswehr zum Beispiel wertet regelmäßig neue und neueste Fachliteratur und Studien zum Thema abgereicherte Uranmunition aus. Sollten sich da neue belastbare Erkenntnisse ergeben, können Sie darauf vertrauen, dass gehandelt wird. Des Weiteren existieren keine Anhaltspunkte, dass der Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran gegen das Völkerrecht verstößt. Ein solcher Einsatz ist, wie im Übrigen der Einsatz anderer konventioneller Waffen auch, den allgemeinen Bedingungen des humanitären Völkerrechts unterworfen. Und diese haben ja – wie sie wissen sollten – den Zweck, die Bevölkerung zu schützen. Die von der Linken gewählte Methode, über Anträge Entscheidungen zu erzwingen, ist hier kontraproduktiv. Betroffene Staaten könnten sich von einem einseitigen Entschluss vor den Kopf gestoßen fühlen, worunter eine eventuelle Kompromiss- und Verhandlungsbereitschaft leiden könnte. Aus diesem Grund ist der Antrag der Linken abzulehnen. Mir erscheint es sowieso, als ob die Linken dieses Thema nur aufgrund des politischen Rampenlichts gewählt haben. Um in diesem zu erscheinen, nehmen sie selbst einen Misserfolg in der Sache in Kauf. Dabei zeigt sich überdeutlich, dass wir uns bereits im Wahljahr befinden. Aufgrund der guten und erfolgreichen Regierungsarbeit scheinen Teilen der Opposition die Themen auszugehen, und sie klammern sich an jeden sich bietenden Strohhalm, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Das hilft nicht in der Sache und ist schlussendlich leicht zu durchschauen. Uta Zapf (SPD): Am 6. April 2011 hat sich der Unterausschuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ mit dem Thema Uranmunition befasst, nicht zum ersten Mal. DU, Depleted Uranium Ammunition, also Munition mit abgereichertem Uran, wurde 1991 im Golfkrieg, 2003 im Irakkrieg und im Jugoslawienkrieg eingesetzt. Abgereichertes Uran ist ein Abfallprodukt der Urananreicherung zur Herstellung von Brennelementen. Es ist besonders hart und wird zur Herstellung von panzerbrechender Munition benutzt. Im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg gab es schon 1999 in Deutschland eine Diskussion über Gesundheitsgefährdung durch DU-Munition. Die Diskussion tobt bis heute. In der letzten Expertenanhörung im Unterausschuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ waren wir mit zwei divergierenden Meinungen konfrontiert. Diese Kontroverse gibt es seit Jahren. Die kontroverse Diskussion fand einen ersten Höhepunkt im Jahr 2000/2001. So warnten 2001 die USA ihre Soldaten in Deutschland auf einer Internetseite vor Strahlengefahren durch DU-Munition; SZ vom 11. Januar 2001. Im Golfkrieg, so hieß es dort, hätten DU-Geschosse zahlreiche Soldaten verletzt und sie einer gefährlichen Strahlung ausgesetzt. Die Soldaten sollten daher Schutzmasken tragen und ihre Haut abdecken, wenn sie sich in der Nähe von Fahrzeugen aufhielten, die mit DU beschossen wurden. Schon am 1. Juli 1999 veröffentlichten die Joint Chiefs of Staff der US-Armee eine Warnung vor den Risiken von DU-Munition. Alle verbündeten Soldaten sollten besondere Vorsicht walten lassen beim Betreten von Gebieten im Kosovo, die mit DU-Munition beschossen worden waren. Die Menschen sollten die Reste der Munition nicht berühren und Schutzmaßnahmen einhalten. Deutschland, Frankreich und andere Länder gaben die Warnungen an ihre Soldaten weiter. Am 11. Januar 2001 berichtete die „Frankfurter Rundschau“ über einen internen Bericht des britischen Verteidigungsministeriums von 1997, der vor Gesundheitsgefahren beim Umgang mit diesen Geschossen warnt. Der Bericht warnt davor, dass das Einatmen von Uranstaub langfristige Risiken mit sich bringt. Der Staub erhöhe die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von Lungen-, Lymphknoten- oder Gehirnkrebs. Obwohl der chemische Giftgehalt gering sei, könnten Strahlenschäden in der Lunge auftreten, die zu Krebs führen können. Auch das Golfkriegssyndrom bei US-Soldaten wurde auf Exposition von DU-Munition zurückgeführt. Tatsache ist, dass bei der Verwendung der DU-Munition die selbstentzündlichen Uranmetalle verbrennen und DU-Partikel als Aerosole bilden, die über die Atemwege in den Körper gelangen. Der Staub kontaminiert auch die getroffenen Panzer, ebenso Luft und Boden der Umgebung. Es liegt mittlerweile eine Reihe von Studien über die Gesundheitsgefährdung durch DU-Munition vor. Im Jahr 2001 wertete der Wissenschaftliche Dienst sechs Studien aus, die alle auf potenzielle Risiken hinwiesen, aber im Endeffekt eine gesundheitliche Schädigung für eher unwahrscheinlich halten. Für uns ist dies ein -Dilemma, weil diese Studien immer für die Unbedenklichkeit der Munition herangezogen werden. Andere Untersuchungen werden übergangen, diffamiert oder als unprofessionell abgetan. Wissenschaftliche Belege zeigen allerdings die schädliche Wirkung von DU-Waffen auf die menschliche Gesundheit. Anzuführen wären die Ergebnisse von Tier- und Zellexperimenten, das hohe Vorkommen von Chromosomenaberrationen durch erhöhte Strahlen-belastung in Blutproben von Golfkriegsveteranen, ebenso vermehrte Krankheitsfälle in dieser Gruppe. In Basra im Südirak führen Ärzte viele Krankheitsfälle auf DU-Munition zurück. Die Generalversammlung der UNO befasste sich wiederholt mit dem Thema der Auswirkung von DU. In den Jahren 2007 und 2008 wurden die Staaten aufgefordert, dem Generalsekretär Berichte über ihre -Erfahrungen und Erkenntnisse vorzulegen, der Generalsekretär sollte darüber einen Bericht an die Generalversammlung vorlegen. Im Jahre 2011 wurde die Resolution 65/55 beschlossen, in der die Aufforderung an die Staaten erneuert wurde, ihre Berichte abzuliefern. Die Resolution stellte fest, dass bisherige Studien zur Wirkung von DU, wie die der IAEA, der UNO-Umweltorganisation UNDEP und Weltgesundheitsorganisation WHO, keine hinreichend detaillierten Erkenntnisse zu Wirkung und möglichen Langzeiteffekten auf Mensch und Umwelt erbracht hätten. Die Resolution fordert neue Studien und Forschungen ein. Deutschland hat dieser Resolution zugestimmt. Der neue Bericht des Generalsekretärs liegt vor. Darin referiert der Generalsekretär die eingegangenen Berichte der Staaten. Die Niederlande fordern zusätzliche Forschungen ein. Die Niederlande wenden keine DU-Munition an, sind aber besorgt um die -Sicherheit ihrer Soldaten in internationalen Einsätzen. Besonders interessant ist der Bericht Serbiens. Vranje, Bujanovac und Presevo waren betroffene Orte. Serbien geht davon aus, dass es radioaktive Kontamination gegeben hat, die menschliches Leben, Fauna und Flora bedroht – nicht nur unmittelbar am Ort des Beschusses, sondern auch weiter entfernt. Wie in anderen Untersuchungen auch werden die entstehenden Aerosole als besonders gefährlich betrachtet. Abgereichertes Uran wurde noch bei der Dekontaminierung des betroffenen Bodens in der Luft gemessen. In Serbien gehen die Langzeitstudien weiter. Die Häufung bösartiger Erkrankungen, besonders in Südserbien, wird auf DU zurückgeführt. Ein steiles Ansteigen von angeborenen Missbildungen nach den Luftangriffen wird berichtet und eine eklatante Häufung angeborener Bluterkrankungen. Der Bericht beklagt, dass manche Untersuchungen mangels adäquater medizinischer Ausrüstung nicht möglich gewesen seien. Ein irakischer Bericht von 2003 beschreibt ein dramatisches Ansteigen von Krebs bei Kindern, Leukämie und Missbildungen. Diese Missbildungen seien in Gegenden aufgetreten, wo DU-Beschuss vorgekommen ist. Es ist zu befürchten, dass viele der Bedenken gegen DU-Munition, die es auch in den USA gegeben hat, unterdrückt werden. Die Aussagen von Dough Rokke, früherer Direktor des Depleted Uranium Project der US-Armee sind interessant. Er betreute 100 US-Soldaten, die irakische Tanks, die mit DU-Munition beschossen worden waren, aufräumten und untersuchten. Rokke sagte, dass „zu viele“ dieser Soldaten gestorben seien, aber er schrecke davor zurück, genaue Zahlen zu nennen, weil der Zusammenhang mit DU-Munition schwer zu beweisen sei. Aus all dem folgt für mich: Es muss ein sofortiges Moratorium für jeglichen Einsatz dieser Munition geben. Das hat die SPD im Übrigen schon 2001 im Bundestag gefordert. DU-Munition wird in Deutschland weder hergestellt, noch ist sie in den Beständen der Bundeswehr enthalten. Es gibt auch den Entwurf einer Verbotskonvention für Uranmunition. Die bisher aufgezeigten Verdachtsmomente sollten genügen, Initiativen zum Verbot dieser Munition weiterzuverfolgen. Es gibt Alternativen zu DU, zum Beispiel mit Wolfram oder Tungsten gehärtete Munition. Diese ist teurer. Sollte das Grund zum Ignorieren der Risiken durch Uranmunition sein? Christoph Schnurr (FDP): Das Thema DU-Munition beschäftigt den Bundestag seit mindestens 15 Jahren. Vor allem nach dem Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan gab es heftige Debatten über mögliche Gesundheitsgefährdungen von Soldaten und der Zivilbevölkerung durch den Einsatz von Geschossen aus abgereichertem Uran. Der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping erklärte seinerzeit die Munition für unbedenklich und stützte sich dabei auf eine Untersuchung der Gesellschaft für Strahlenforschung. Wegen der verbleibenden Unsicherheiten gab es in der Folge eine Reihe weiterer Studien im internationalen Maßstab, um dem Verdacht der Gesundheitsgefährdung wissenschaftlich nachzugehen. Zwei dieser Untersuchungen werden auch im vorliegenden Antrag der Linken erwähnt: die der Weltgesundheitsorganisation, WHO, und die des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, UNEP. Allerdings werden die Ergebnisse sehr einseitig dargestellt. -Gleiches gilt für den Bezug auf die VN-Resolution zu -DU-Munition, die für sich genommen natürlich kein Beweis und auch kein Indiz für die gesundheitliche Bedenklichkeit von abgereichertem Uran ist. Einen solchen Beweis gibt es auch nicht. Belegen können die Gegner von DU-Munition deren vermeintliche Schädlichkeit für Mensch oder Umwelt nämlich nicht. Aus dieser Erkenntnis heraus haben sie eine einfache Forderung entwickelt: Die Beweislast soll umgekehrt werden. Wer DU-Munition einsetzen will, soll nachweisen, dass diese für Mensch und Umwelt ungefährlich ist. Bis dahin soll gelten: Sie ist gefährlich. Nur so ist auch der Verweis auf die vermeintliche Völkerrechtswidrigkeit der Munition zu verstehen. Nicht jeder kann sich dieser Logik anschließen. So konnte zum Beispiel das Internationale Komitee des Roten Kreuzes bisher keinen Verstoß gegen das Völkerrecht erkennen und sah wegen der unbestätigten Faktenlage auch keinen Anlass, ein Verbot der Munition zu fordern. Dafür spricht auch das, was die Linke bei dem Verweis auf die Untersuchungen von WHO und UNEP nicht erwähnt. Beide Studien wecken Zweifel an einer Gesundheitsgefährdung durch abgereichertes Uran. Laut WHO ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Zivilbevölkerung und die Soldaten einer unnatürlich hohen Strahlung ausgesetzt werden. SCHER, ein wissenschaftlicher Ausschuss der Europäischen Kommission, kam zu den gleichen Ergebnissen. Einen wissenschaftlich nachweisbaren ursächlichen Zusammenhang zwischen DU-Munition und den verschiedentlich damit in Verbindung gebrachten Krankheiten gibt es also nicht. Im besten Fall lässt sich also den Gegnern von -DU-Munition zugutehalten, dass weder das eine noch das andere lückenlos zu belegen ist. Da die Bundesrepublik selbst aber keine DU-Munition besitzt und wohl auch nie vorsätzlich zum Einsatz gebracht hat, besteht für Deutschland auf nationaler Ebene kein unmittelbarer Handlungsbedarf. In den letzten zehn Jahren hat es auch international keinen bestätigten Einsatz von abgereichertem Uran mehr gegeben. Zudem lässt sich derzeit innerhalb der VN noch nicht einmal ein Konsens zu der bereits erwähnten Resolution herstellen, und das, obwohl hier sehr viel weniger als ein Verbot oder ein Moratorium von DU gefordert wird. Maximalforderungen bringen daher niemanden weiter. Man sollte das Thema auch nicht emotional aufladen und DU-Munition in die Nähe von Atomwaffen rücken. Stattdessen empfiehlt sich, das zu tun, was dem Stand unseres Wissens entspricht: Transparenz, Aufklärung und Vorsichtsmaßnahmen. Inge Höger (DIE LINKE): Krieg verursacht nicht nur unzähliges menschliches Leid. Krieg führt auch immer wieder zu verheerender Umweltzerstörung. Beides kommt zum Beispiel dann vor, wenn Waffen mit abgereichertem Uran eingesetzt werden. Viele wissenschaftliche Arbeiten lassen keinen Zweifel an den schweren gesundheitlichen Schäden durch Uranmunition. Sie treffen sowohl die beteiligten Soldatinnen und Soldaten als auch die Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten. Dennoch behauptet die Bundesregierung hartnäckig, dass eine Gefährdung durch abgereichertes Uran nur spekulativ sei. Sie setzt sich deshalb nicht eindeutig für eine weltweite Ächtung dieser Waffen ein. Hier ist ein Umdenken -angesagt. Die Linke unterstützt die Anti-Uranwaffen-Kampagne, die die deutsche Sektion der International Coalition to Ban Uranium Weapons, ICBUW, gemeinsam mit der IPPNW – Internationale Ärzte für die -Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung – initiiert hat. Ein erster Schritt in die richtige Richtung war im Dezember die Zustimmung der Bundesregierung zum indonesischen Resolutionsentwurf in der Vollversammlung der Vereinten Nationen. Die Resolution macht sich für das Vorsorgeprinzip stark: Staaten, die Uranmunition einsetzen, müssten nach diesem Prinzip beweisen, dass dadurch keine nachhaltigen Schäden für Zivilbevölkerung und Umwelt entstehen. Dies zu beweisen, dürfte ziemlich schwierig werden. Leider sind Beschlüsse der UN-Vollversammlung nicht völkerrechtlich bindend. Deshalb ist es notwendig, dass die Bundesregierung sich nun auch für eine internationale Konvention zur Ächtung von Uranwaffen einsetzt. Sie hätte dabei Zivilgerichte in Schottland und Italien auf ihrer Seite. Mitte Oktober wurde erneut Uranmunition als Todesursache für einen im Jahr 2000 an Leukämie verstorbenen italienischen Soldaten anerkannt. Ungeachtet der bekannten Risiken halten eine Reihe von Staaten an der Verwendung von abgereichertem Uran in ihrer Munition fest, zum Beispiel die USA, Großbritannien, Russland, China, Türkei, Israel, Pakistan, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Kuwait. Gerüchte über einen Uraneinsatz der USA 2011 in Libyen konnten bislang nicht entkräftet werden. Zudem gibt es den Vorwurf an die französische Regierung, sie setze derzeit im Mali-Krieg Uranmunition ein. Dafür gibt es momentan keine Beweise; meistens kann der Uraneinsatz erst Jahre später zweifelsfrei festgestellt werden. Ein Uranmunitionseinsatz Frankreichs in Mali wäre besonders zynisch, weil der billige Zugang zu den Uranvorkommen in der Sahelzone einer der Hauptgründe für den französischen Militäreinsatz ist. Man würde also abgereichertes Uran einsetzen, um weiterhin Uran abbauen zu können, was man dann wieder abgereichert im nächsten Krieg einsetzen kann. Ein Teufelskreis, der schnell unterbrochen werden muss! Die Linke fordert die Bundesregierung auf, sich für den sofortigen Stopp des Einsatzes von Uranmunition einzusetzen, gestützt auf das Vorsorgeprinzip, Precautionary Approach. Herstellung, Besitz, Einsatz, Verkauf und Lieferung von Waffen, die abgereichertes Uran enthalten, müssen in Deutschland untersagt werden. Auch auf die in Deutschland stationierten Streitkräfte der NATO-Verbündeten ist einzuwirken, keine Munition mit abgereichertem Uran in Deutschland einzusetzen, zu lagern oder über Deutschland weiter zu transportieren. Die Münchener Sicherheitskonferenz wäre die nächste Gelegenheit, den Abzug aller Uranwaffen zu fordern. Das wäre eine sinnvollere -Beschäftigung für Minister Westerwelle als in München, wie jedes Jahr, weitere Kriegseinsätze zu besprechen. Allerdings reicht es nicht, auf einen Beschluss der NATO zu hoffen. Deutschland kann auch von sich aus Druck gegen den Einsatz dieser furchtbaren -Waffen machen. Was wir für Streumunition fordern, gilt auch für Waffen mit abgereichertem Uran. Die finanzielle Unterstützung von Herstellern dieser Waffen durch deutsche Banken oder Investitionsfonds gehört verboten. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich im -Rahmen der Vereinten Nationen für die weltweite Ächtung von Uranmunition einzusetzen. Eine internationale Konvention ist notwendig. Außerdem halten wir die Einsetzung eines UN-Sonderbeauftragten mit ausreichenden Kompetenzen für sinnvoll. Die Gebiete, in denen Uranmunition eingesetzt worden ist, müssen ausgewiesen und die Bevölkerung muss über die Risiken informiert werden. Medizinische und finanzielle Unterstützung für die Opfer muss -bereitgestellt und Projekte zur Dekontaminierung müssen initiiert werden. Die Finanzierung kann durch die Gründung einer entsprechenden Stiftung sicher-gestellt werden. Deutschland setzt seit einigen Jahren keine Uranmunition mehr ein. Ich bin allerdings auch nicht blind gegenüber der Tatsache, dass die Bundeswehr in -Afghanistan und anderswo Wolfram zum Panzer--brechen benutzt. Auch das Schwermetall Wolfram kann schlimme Schäden für die Umwelt und die -Zivilbevölkerung in den Einsatzgebieten anrichten. Deswegen ist für die Linke die Ächtung von Uranmunition nur der erste Schritt hin zur Ächtung aller Kriegswaffen. Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die langfristigen Risiken und gesundheitsgefährdenden Folgen des Einsatzes von Munition aus ab-gereichertem Uran sind seit langem Gegenstand abrüstungspolitischer Diskussionen. Auch wenn die Bundeswehr selbst keine Uranmunition einsetzt, dürfen wir die mit dem Einsatz solcher Munition verbundenen gesundheitlichen Risiken und Schäden für die Umwelt nicht ignorieren. Einer möglichen Gefährdung sind sowohl die Zivilbevölkerung als auch viele Entwicklungshelferinnen und -helfer, die sich in den betroffenen Gebieten gerade nach dem Ende der Kampfhandlungen aufhalten, ausgesetzt. Das gilt aber auch für Angehörige der Bundeswehr, wenn sie sich im Einsatz mit Verbündeten, die Uranmunition einsetzen, befinden oder in Gebieten stationiert sind, in denen Uranmunition benutzt wurde. Immerhin erhalten die deutschen Soldatinnen und Soldaten ja auch im Einsatz vorsorglich genaue Anweisungen zum Schutz vor Überresten von Uranmunition, und das aus gutem Grund; denn das Gesundheitsrisiko kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Die angebliche Unkenntnis der Bundesregierung darüber, ob, wann und wo unsere Verbündeten Uranmunition verwenden oder verwendet haben, macht jedoch eine gewissenhafte Vorsorge unmöglich. Trotzdem hält sie es nicht für nötig, Informationen darüber einzuholen, in welchen Gebieten Verbündete Uran-munition eingesetzt haben. Ich zitiere dazu eine Antwort aus unserer Kleinen Anfrage vom November 2010: „Die Bundeswehr ermittelt keine Informationen über die Verwendung von DU-Munition durch Verbündete. Ferner werden keine Listen über Staaten, die DU-Munition produzieren, besitzen oder einsetzen, geführt.“ Das ist fahrlässig und ignorant, geht es doch um Menschen, deren Einsatz der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung verantworten. Diese Unsicherheit muss endlich aufhören. Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die für ein umfassendes Gefahrenbild nötigen Informationen von unseren Partnern in der Europäischen Union und in der NATO über den Einsatz von Uranmunition zur Verfügung stehen. Wir brauchen außerdem weitere Untersuchungen zu den mittel- und langfristigen Folgen und Gefahren für Mensch und Umwelt. Die bisher veröffentlichten Studien und Gutachten, beispielsweise der Weltgesundheitsorganisation, des Umweltprogramms der Vereinten Nationen sowie der Internationalen Atomenergie-Organisation, weisen in unterschiedliche, teils gegensätzliche Richtungen. Manche verweisen ausdrücklich auf schwerwiegende toxische Schädigungen und ein erhöhtes Leukämie- und Krebsrisiko, während andere einen kausalen Zusammenhang verneinen. Eine Forderung nach einem Verbot schießt angesichts der wissenschaftlichen Unklarheit über das Ziel hinaus. Aber soll man den Einsatz solange hinnehmen, bis gesundheitliche Schädigungen bei einer wissenschaftlich hinreichend großen Anzahl von Menschen eindeutig und zweifelsfrei nachgewiesen worden sind? Das kann niemand verantworten. Wir Grüne fordern deshalb ein Moratorium für den Einsatz von Uranmunition, bis Gewissheit über das gesundheitsgefährdende Potenzial dieser Munitionsart herrscht. Wir brauchen eine verlässliche Langzeitforschung auf internationaler Ebene, die stichhaltige Aussagen über den Zusammenhang von gesundheitlichen Beeinträchtigungen und dem Einsatz von Uranmunition liefert. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung im Rahmen der Vereinten Nationen für die Anwendung des Vorsorgeprinzips in Bezug auf Uranmunition gestimmt hat. Jetzt geht es darum, diese Entscheidung auch konsequent umzusetzen. Dazu gehört vor allem auch eine umfassende Bestandsaufnahme, wo genau weltweit Uranmunition zur Anwendung kam, damit die mit Rückständen verseuchten Gebiete dekontaminiert werden können. Ich fordere die Bundesregierung deshalb auf, sich mit Nachdruck für die allgemeine Beachtung des Vorsorgeansatzes einzusetzen und vor diesem Hintergrund auf ein effektives internationales Moratorium für Uranmunition hinzuwirken. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11898 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung soll jedoch abweichend von der Tagesordnung beim Auswärtigen Ausschuss liegen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des Erbrechts und der Verfahrensbeteiligungsrechte nichtehelicher und einzeladoptierter Kinder im Nachlassverfahren – Drucksache 17/9427 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/12212 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jan-Marco Luczak Sonja Steffen Stephan Thomae Jörn Wunderlich Ingrid Hönlinger Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, sind die -Reden zu Protokoll genommen worden. Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute abschließend über den Gesetzentwurf zum Schutz des Erbrechts und der Verfahrensbeteiligungsrechte nichtehelicher und einzeladoptierter Kinder im Nachlassverfahren. Mit dem Gesetz möchten wir die Überführung der von 1970 bis 2009 bei den Standesämtern geführten sogenannten weißen Karteikarten in das Zentrale Testamentsregister der Bundesnotarkammer sicherstellen. Wir möchten dadurch die erbrechtlichen Ansprüche nichtehelicher und einzeladoptierter Kinder schützen, die seit 2010 bestehende Gesetzeslücke schließen und die Erteilung unrichtiger Erbscheine verhindern. Hintergrund ist, dass nichtehelichen und einzel-adoptierten Kindern ebenso wie ehelichen Kindern seit 1998 ein gesetzliches Erbrecht zusteht. Dennoch wurde beim Standesamt bis Ende 2008 bei der Eintragung der Geburt eines Kindes zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern unterschieden. Im Gegensatz zu ehelichen Kindern, die in das Familienbuch der Eltern eingetragen wurden, wurden für nichteheliche oder einzeladoptierte Kinder sogenannte weiße -Karteikarten angelegt, die anschließend mit dem Geburtseintrag der Eltern verknüpft wurden. Folglich ordneten die Geburtsstandesämter mit den weißen Karteikarten nichteheliche und einzeladoptierte Kinder ihren Eltern zu und sicherten im Erbfall ihre Beteiligung, indem sie nach dem Tod eines Elternteils von Amts wegen das Nachlassgericht informierten. Das Verfahren zur Benachrichtigung wurde durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundes zum Personenstandsgesetz geregelt. Es handelt sich dabei um eine Dienstanweisung für die Standesbeamten und ihre Aufsichtsbehörden vom 27. Juli 2000, die sicherstellte, dass im Falle des Todes eines Elternteils das zuständige Nachlassgericht vom Vorhandensein eines nichtehelichen Kindes informiert wird. Für die Mitteilung an den Geburtseintrag der Eltern wurden die weißen Karteikarten in die bereits bei den Standesämtern bestehende Testamentskartei integriert, die zuvor nur Mitteilungen über das Vorliegen von Verwahrungsnachrichten, sogenannte gelbe Karteikarten, enthielt. Mit dieser Vorgehensweise wurde sichergestellt, dass das zuständige Nachlassgericht nach dem Tod eines Elternteils automatisch von der Existenz eines nichtehelichen oder einzeladoptierten Kindes erfuhr, und es wurde gleichzeitig gewährleistet, dass die Betroffenen die Möglichkeit hatten, ihre Rechte effektiv wahrzunehmen. Durch das am 1. Januar 2009 in Kraft getretene neue Personenstandsgesetz, PStG, wurde unter anderem das standesamtliche Mitteilungsverfahren bei Geburt eines Kindes geändert. Seitdem wird die Geburt jedes Kindes beim Geburtseintrag jedes Elternteils vermerkt, unabhängig davon, ob die Eltern miteinander verheiratet sind oder nicht. Seitdem werden also keine neuen weißen Karteikarten mehr angelegt. Im Rahmen dieser gesetzlichen Neuregelung wurde durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz, PStG-VwV, die zuvor erwähnte Dienstanweisung aufgehoben. Eine vergleichbare Regelung konnte in die neue Verwaltungsvorschrift nicht aufgenommen werden, da das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur Regelungen zum Mitteilungswesen für Verwahrungsnachrichten – die sogenannten gelben Karteikarten – enthält. Folglich fehlt seit 2010 eine gesetzliche Grundlage für die Benachrichtigung in Bezug auf die noch existierenden weißen Karteikarten. Es besteht daher ein dringender gesetzlicher Handlungsbedarf; denn schon heute droht mangels Informationsweitergabe die Erteilung unrichtiger Erbscheine. Um diese Lücke zu schließen, ist vorgesehen, die weißen Karteikarten in das von der Bundesnotarkammer geführte Zentrale Testamentsregister für Deutschland, das seit dem 1. Januar 2012 in Betrieb ist, zu überführen. Mit Einführung des Zentralen Testamentsregisters wurde das Benachrichtigungswesen für amtlich verwahrte Testamente und Erbverträge modernisiert. Es enthält die Verwahrangaben zu sämtlichen erbfolgerelevanten Urkunden, die vom Notar errichtet werden oder in gerichtliche Verwahrung gelangen. Das Register wird in jedem Sterbefall von Amts wegen auf vorhandene Testamente und andere erbfolgerelevante Urkunden geprüft. Die Bundesnotarkammer informiert daraufhin das zuständige Nachlassgericht, ob und welche Verfügungen von Todes wegen zu beachten sind. Dadurch wird der letzte Wille des Erblassers gesichert, und Nachlassverfahren können schneller und effizienter durchgeführt werden. Bereits im Sommer 2012 hat die Bundesnotarkammer mit der Überführung der Verwahrungsnachrichten – gelbe Karteikarten – in das Zentrale Testamentsregister begonnen. Da die weißen Karteikarten und Verwahrungsnachrichten, die denselben Erblasser betreffen, durch Heftung miteinander verbunden sind, ist es zweckmäßig und ökonomisch sinnvoll, in einem Arbeitsgang auch die weißen Karteikarten in das Zentrale Testamentsregister zu überführen, dort elektronisch zu erfassen und weiter zu bearbeiten. Wenn dann künftig ein Elternteil eines Kindes stirbt, erfolgt eine Benachrichtigung der Registerbehörde an das zuständige Nachlassgericht. Dadurch kann die funktionierende Verknüpfung zwischen gelben und weißen Karteikarten wiederhergestellt werden. Schließlich vertrauen betroffene Kinder und Elternteile darauf, dass die auf den weißen Karteikarten gesammelten Informationen auch künftig ihrem Zweck entsprechend von Amts wegen erhalten bleiben. Denn im Unterschied zu ehelichen Kindern kann man bei nichtehelichen Kindern nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass sie Kontakt mit beiden Elternteilen haben, vom Tod der Eltern erfahren und sich von sich aus beim Nachlassgericht melden. Dies ist empirisch belegt. Deshalb muss gewährleistet sein, dass nichteheliche Kinder auch künftig von Amts wegen informiert werden. Die Teilung der Kosten für die Überführung der weißen Karteikarten in das Zentrale Testamentsregister entspricht der Vorgabe des Art. 104 a Abs. 1 Grundgesetz, nach der Bund und Länder gesondert die Ausgaben aus der Wahrnehmung ihrer Tätigkeit tragen. Abschließend möchte ich noch einmal die zentralen Gründe, die für eine Übertragung der weißen Karteikarten sprechen, zusammenfassen: Schon beim bisherigen Benachrichtigungswesen in Nachlassverfahren waren die Verwahrungsnachrichten mit den weißen Karteikarten verknüpft. Die körperliche Trennung der zusammengehefteten erblasserbezogenen Verwahrungsnachrichten und weißen Karteikarten durch die Standesämter kann entfallen. Die Weiterführung der weißen Karteikarten in Papierform ist nicht zeitgemäß. Benachrichtigungswege, die zum Betrieb des Zentralen Testamentsregisters ohnehin eingerichtet werden müssen, und technische Einrichtungen, die benötigt werden, können genutzt werden. Bei einer Überführung der Daten auf den weißen Karteikarten in das Zentrale Testamentsregister wird künftig die Registerbehörde die Benachrichtigung der zuständigen Gerichte übernehmen, wodurch die Standesämter entlastet würden. Bei gleichzeitiger Überführung und Integration der Daten können die Kosten für die Erfassung der weißen Karteikarten gering gehalten werden. Eine dauerhafte manuelle Weiterbearbeitung durch die Standesämter wäre teurer. Zusammenfassend lässt sich demnach festhalten, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen guten und vor allem auch kostengünstigen Weg gefunden haben, die erbrechtlichen Ansprüche von nichtehelichen und einzeladoptierten Kindern zu sichern. Ich hoffe daher heute auf eine breite Zustimmung. Sonja Steffen (SPD): Durch das Anfang 2011 verabschiedete Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder sind wir einen großen Schritt vorangekommen, um das Erbrecht der betroffenen Kinder zu schützen. Jedoch nützt dies unter Umständen wenig, wenn die Kinder über den Tod des Elternteils nicht informiert und die Nachlassgerichte über die Existenz weiterer Erben nicht unterrichtet sind. Das kann zur Ausstellung falscher Erbscheine führen. Die Datenerfassung ist bei nichtehelichen und -einzeladoptierten Kindern sehr unterschiedlich erfolgt. Erst seit dem 1. Januar 2009 wird einheitlich am Geburtseintrag beider Eltern ein Hinweis auf alle -Kinder mit den Kindesdaten angebracht, ob ehelich oder nichtehelich. Zuvor wurden seit 1970 – bzw. 1990 in den neuen Bundesländern – die Kindsdaten auf sogenannten weißen Karteikarten in der Testamentskartei der Eltern notiert. Im Personenstandsregister der -Eltern wurde lediglich ein Hinweis auf die Testamentskartei angebracht. Nun werden die Testamentsverzeichnisse jedoch seit 2012 zentral geführt und nicht mehr, wie bisher, bei den Standesämtern. Die Dienstanweisung, die für eine Information der Nachlassgerichte über die weißen Karteikarten sorgte, wurde aufgehoben. Seitdem gibt es keine rechtliche Grundlage mehr für die Benachrichtigung. Ich denke, es sind mehrere Möglichkeiten denkbar, wie sichergestellt werden kann, dass die auf den -weißen Karteikarten gespeicherten Informationen erhalten und den Nachlassgerichten zugänglich bleiben. Wichtig ist nur, dass endlich ein Weg gegangen wird, um weitere fehlerhafte Erbscheine zu vermeiden und die Rechtsunsicherheit zu beenden. Es besteht jetzt die Gefahr, dass Informationen verloren gehen. Die Karteikarten können von den Standesämtern auch vernichtet werden. Dies hat uns die Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage hin bestätigt und hat dabei – reichlich spät – angekündigt, sich um diese Problematik zu kümmern. Im Gegensatz zur Bundesregierung hat der Bundesrat gehandelt und im vorliegenden Entwurf vorgeschlagen, die Informationen der weißen Karteikarten an die Bundesnotarkammer zu übermitteln, die dann für eine Information der Nachlassgerichte sorgt. Die mit den weißen Karteikarten in der Testamentskartei verbundenen gelben Karteikarten, die auf Testamente, Erbverträge oder ähnliche Schriftstücke hinweisen, werden ohnehin an das Zentrale Testamentsverzeichnis der Bundesnotarkammer übermittelt und dort digital erfasst. Die Bundesregierung hat den Entwurf des Bundesrates zunächst abgelehnt. In der vergangenen Woche haben sich Bundesrat und Bundesregierung nun doch, mit einigen Änderungen vor allem bezüglich der -Kostenübernahme und der Konkretisierung des Vorgehens, auf die vom Bundesrat vorgeschlagene Variante geeinigt. Ich bin sehr froh, dass endlich ein Kompromiss gefunden wurde. Die gefundene Lösung scheint vor allem auch kurzfristig machbar und kostengünstig zu sein. Es ist wichtig, hier schnell zu handeln, um den Verlust der Informationen über die nichtehelichen und einzeladoptierten Kinder zu vermeiden. Stephan Thomae (FDP): In Deutschland haben alle Kinder ein gleichwertiges Erbrecht, unabhängig davon, ob sie aus einer Ehe hervorgegangen, adoptiert sind oder unehelich geboren wurden. Allerdings wurde dieser – aus heutiger Sicht – selbstverständliche Zustand erst vor nicht allzu langer Zeit erreicht. Erst seit 1998 sind nichteheliche Kinder mit Blick auf die Erbfolge nach ihrem Vater mit ehelichen Kindern gleichgestellt. Für nichteheliche Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 geboren wurden, gilt dies sogar erst seit dem Jahr 2011. Es war ein wichtiger Schritt, dass für alle Nachkommen grundsätzlich gleiche Erbrechte geschaffen wurden, unabhängig von der Frage, welchen Familien-verhältnissen die Kinder entstammen. Allerdings ist dieses Recht nur dann von Nutzen, wenn die Betroffenen auch die notwendigen Informationen und Kenntnisse über ihnen zustehende Ansprüche haben. Dies ist in der Praxis jedoch nicht automatisch gewährleistet. Die von der Justizministerkonferenz eingesetzte Arbeitsgruppe „Zentrales Testamentsregister“ hat im Zuge des Gesetzgebungsprozesses zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Benachrichtigungswesens in Nachlasssachen durch Schaffung des Zentralen Testamentsregisters bei der Bundesnotarkammer, Bundestagsdrucksache 17/2583, hierzu eine Umfrage durchgeführt. An dieser haben über 100 Nachlassgerichte teilgenommen. Aus der Umfrage geht hervor, dass nichteheliche Kinder oft nicht zu beiden Elternteilen Kontakt haben; zum Teil ist dem Kind sein Vater nicht einmal bekannt. Hinzu kommt, dass bis Ende 2008 in Standesämtern bei der Geburt eines Kindes zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern unterschieden wurde. Ehelich geborene Kinder wurden in das Familienbuch der Eltern eingetragen, das zur Eheschließung angelegt wurde. Für nichteheliche oder einzeladoptierte Kinder wurden hingegen lediglich sogenannte weiße Karteikarten angelegt, die mit dem Geburtsregistereintrag der Eltern verknüpft waren. Damit nun die vor 2009 nichtehelich geborenen Kinder ihre erbrechtlichen Ansprüche wahrnehmen konnten, informierte das Geburtsstandesamt nach dem Tod eines Elternteils von Amts wegen das Nachlassgericht über die Existenz des Kindes, wenn eine weiße Karteikarte vorhanden war. Der Bund hatte zu diesem Zweck eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift erlassen. Diese Dienstanweisung wurde im März 2010 aufgehoben, ohne dass bislang eine entsprechende Neuregelung erfolgt ist. Dem bislang funktionierenden geschilderten Benachrichtigungswesen fehlt somit die Rechtsgrundlage. Dadurch ist es denkbar, dass Erbberechtigte nicht erfahren, dass der Erblasser verstorben und dadurch der erbrechtliche Anspruch entstanden ist. Diese Entwicklung ist jedoch in der Bevölkerung weitestgehend unbekannt. Vielmehr vertrauen nichtehelich geborene und einzeladoptierte Kinder sowie deren Eltern weiter darauf, dass die auf den weißen Karteikarten vorhandenen Informationen auch künftig an die Nachlassgerichte weitergeleitet werden. Dieses Vertrauen muss geschützt werden. Folglich besteht hier Handlungsbedarf. Die Inhalte der weißen Karteikarten sollen in das bei der Bundesnotarkammer eingerichtete Zentrale Testamentsregister überführt werden. Die Überführung soll im Zuge eines anderen, bereits eingeleiteten Prozesses erfolgen. Der Deutsche Bundestag hat am 2. Dezember 2010 den Gesetzentwurf zur Modernisierung des Benachrichtigungswesens in Nachlasssachen durch Schaffung des Zentralen Testamentsregisters bei der Bundesnotarkammer, Bundestagsdrucksache 17/2583, verabschiedet. Darin ist geregelt, dass erbfolgerelevante Urkunden in ein zentrales Testamentsregister übertragen werden sollen, das bei der Bundesnotarkammer eingerichtet wird. Hierdurch soll der Informationsfluss in Erbschaftssachen optimiert werden. Die Übertragung dieser Daten wird von der Bundesnotarkammer durchgeführt. Im Zuge dieses Prozesses soll die Bundesnotarkammer nun auch die auf den weißen Karteikarten gespeicherten Daten zusammentragen und in das Zentrale Testamentsregister übernehmen. Dadurch wird gewährleistet, dass die zuständigen Nachlassgerichte auch in Zukunft von der Existenz unehelicher und einzeladoptierter Kinder erfahren. Gleichzeitig können die Kosten des erforderlichen Datentransfers gesenkt werden, wenn die weißen Karteikarten und erbfolgerelevante Unterlagen in einer gebündelten Aktion durch die Bundesnotarkammer in das Zentrale Testamentsregister übertragen werden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 des neuen Testamentsverzeichnis-Überführungsgesetzes ist es grundsätzlich die Aufgabe der Länder, der Registerbehörde die erforderlichen Daten zur Verfügung zu stellen. Allerdings sieht § 9 Abs. 1 Satz 3 TVÜG-E vor, dass die Länder die Bundesnotarkammer damit betrauen können, die Daten zu erfassen und der Registerbehörde zur Verfügung zu stellen. Nehmen die Länder diese Möglichkeit war, müssen sie die dadurch entstehenden Kosten tragen, § 9 Abs. 1 Satz 4 TVÜG-E. Der FDP-Bundestagsfraktion ist es ein wesentliches Anliegen, dass Nachkommen nicht nur im Erbrecht grundsätzlich gleichbehandelt werden, unabhängig von den Familienverhältnissen, denen sie entstammen. Gleichzeitig müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass die entsprechenden Rechte in der Praxis angewendet werden können. Dafür wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gesorgt. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung für dieses Anliegen. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Bis 1998 waren nichteheliche Kinder erbrechtlich ehelichen Kindern nicht gleichgestellt. Sie hatten kein Erbrecht im Hinblick auf das Erbe des Vaters; es gab eine Krückenkonstruktion über einen Erbersatzanspruch. Erst mit dem Erbrechtsgleichstellungsgesetz vom 1. April 1998 wurden nichteheliche Kinder ehe-lichen Kindern gleichgestellt. Natürlich hat eine derartige gesetzliche Regelung – und überhaupt die frühere Differenzierung zwischen nichtehelichen und ehelichen Kindern – auch erheb-lichen Einfluss auf die Verwaltungspraxis. Und so kommt es, dass die Standesämter verschiedene Register geführt haben: Nichteheliche und adoptierte Kinder landeten in einem speziellen Register – weiße Karteikarten –, während eheliche Kinder im Familienbuch mit den Eltern verewigt wurden. Die weißen Karten wurden lediglich mit Referenzen zu den Registerein-trägen der Eltern verknüpft. Über allgemeine Verwaltungsanweisungen wurde sichergestellt, dass Nachlassgerichte bei Tod eines Elternteils auch über Kinder in weißen Karten informiert wurden. Diese Verwaltungsanweisung ist nun weggefallen, sodass die Nachlassgerichte – bei ehelichen Kindern reicht ja der Blick ins Familienbuch – keine entsprechenden Informationen mehr über nichteheliche Erben erhalten. Seit 1. Januar 2012 gibt es – geführt durch die Bundesnotarkammer – das Zentrale Testamentsregister, das sämtliche erbfolgerelevanten Informationen digital abrufbar verwahrt. Die Bundesländer schlagen nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf vor, sämtliche weiße Karteikarten in das Zentrale Testamentsregister zu überführen und somit die Benachrichtigung der Nachlassgerichte über erbfolgerelevante Tatsachen sicherzustellen. Dazu werden die entsprechenden Vorschriften in der Bundesnotarordnung und dem Testamentsverzeichnis-Überführungsgesetz erweitert. Treffend führt die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu diesem – einstimmig – im Bundesrat beschlossenen Vorschlag zunächst aus, dass es eine gute Regelung sei und grundsätzlich alles zu unterstützen ist, was die Gleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern sicherstellt. Bedenken gab es aber hinsichtlich der Kosten, da die Überführung der Karten etwa 1,5 Millionen Euro Kosten verursachen, welche vom Bund zu tragen wären, da das Zentrale Testamentsregister durch die Bundesnotarkammer in bundeseigener Verwaltung geführt werde. Da aber die Länder verantwortlich für die Ausführung des Benachrichtigungswesens im Personenstandswesen und Nachlasswesen sind, müssten sie eigentlich die Kosten tragen. Eine Überführung ins Zentrale Testamentsregister ist nicht zwingend erforderlich. Es würde genügen, die weggefallene Verwaltungsanweisung erneut zu erlassen und damit Aufbewahrung und Benachrichtigung wiederherzustellen. Die Notwendigkeit für eine Überführung ins Testamentsregister an sich ist nicht zwingend in dem Gesetz dargetan. Dennoch kann die Linke das Anliegen unterstützen. So heißt es zutreffend auf der Seite des Zentralen Testamentsregisters – ich zitiere –: „Das Zentrale Testamentsregister der Bundesnotarkammer steht im Mittelpunkt des deutschen Benachrichtigungswesens in Nachlasssachen für Testamente, Erbverträge und sonstige erbfolgerelevante Urkunden. Es flankiert die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Erbrechts und der Testierfreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Fall 2 GG) in verfahrensrechtlicher Hinsicht.“ Damit ist der auch verfassungsrechtliche Auftrag klar definiert, und nur eine Überführung ins Testamentsregister kann letztlich die Wahrung der Rechte nichtehelicher Kinder wirklich sicherstellen. Wenn man weiterhin bedenkt, dass der Bund, der die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis zum Erbrecht hat, die Lage letztlich selbst herbeigeführt hat, ist es nur angemessen, wenn er sich am Ausbaden der Situation gegebenenfalls auch finanziell beteiligt. Das Kostenargument hat die Koalition durch ihren Änderungsantrag entkräftet. Die Länder müssen die Daten nun dem Register zur Verfügung stellen, die Kosten der Erfassung tragen und für die Aufbewahrung in den Standesämtern so lange weiter Sorge tragen, bis der Vorgang der Erfassung abgeschlossen ist. Sie können dies allein oder unter Inanspruchnahme der Bundesnotarkammer tun. Nun bleibt noch abzuwarten, ob die Länder im Bundesrat sich jetzt immer noch stark für die Gleichstellung der nichtehelichen und ehelichen Kinder einsetzen, wenn sie für eigene Versäumnisse zahlen müssen, wobei die Kosten jedoch überschaubar sein dürften. Die Linke jedenfalls stimmt diesem Gesetzentwurf zu. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gesetzentwurf zum Schutz des Erbrechts und der Verfahrensbeteiligungsrechte nichtehelicher und einzeladoptierter Kinder im Nachlassverfahren, über den wir heute beraten, liest sich in Teilen wie ein Stück deutscher Geschichte. Lange Zeit über wurden nichteheliche Kinder wie Kinder zweiter Klasse behandelt. Glücklicherweise sind nichteheliche Kinder, die nach dem 1. Juli 1949 geboren sind, seit 2011 den ehelichen Kindern auch im Erbrecht gleichgestellt. Bis hierhin war es ein weiter Weg. Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, trägt nun dazu bei, dass nichteheliche und adoptierte Kinder ihre Erbansprüche auch durchsetzen können. Warum ist das notwendig? Aufgrund einer Gesetzeslücke ist derzeit nicht sichergestellt, dass die Nachlassgerichte von den nichtehelichen Kindern eines Erb-lassers erfahren. Es droht die Ausstellung unrichtiger Erbscheine. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Ehe-liche Kinder werden in das Familienbuch ihrer ver-heirateten Eltern eingetragen. Für nichteheliche und auch adoptierte Kinder wurden bisher sogenannte weiße Karteikarten erstellt. Im Falle des Todes einer Person, deren Erbe das nichteheliche oder adoptierte Kind war, wurden die weißen Karteikarten an das zuständige Nachlassgericht weitergegeben. Grundlage war Verwaltungsvorschrift. Die ist im Jahr 2010 weggefallen. Seitdem fehlt es an einer Rechtsgrundlage dafür, dass das Geburtsstandesamt eines Kindes das Nachlassgericht automatisch über die Existenz eines nichtehelichen oder adoptierten Kindes unterrichtet. Diese Lücke im Verfahren müssen wir schnellstmöglich schließen. Jeder Erbin und jedem Erben soll ihr bzw. sein Erbrecht gewährleistet werden. Der Gesetzentwurf, über den wir heute debattieren, schlägt folgenden Weg vor: 2010 wurde die Einführung eines Zentralen Testamentsregisters bei der Bundesnotarkammer beschlossen. Die Bundesnotarkammer überführt nun Verwahrungsnachrichten aus den Standesämtern in das Zentrale Testamentsregister und erfasst sie elektronisch. Dieser Überführungsprozess soll nun auch für die Überführung der Daten genutzt werden, die auf den sogenannten weißen Karteikarten niedergelegt sind. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Daten von den weißen Karteikarten aus den Standesämtern in das Zentrale Testamentsregister der Bundesnotarkammer überführt werden. Stirbt ein Elternteil eines dort registrierten Kindes, soll die Registerbehörde dann das zuständige Nachlassgericht benachrichtigen. Dieses vom Bundesrat vorgeschlagene Verfahren halten auch wir Grünen für geboten und angemessen. Mit den Änderungen, die im Änderungsantrag der Koalition vorgesehen sind, wird der Ansatz des Bundesrates konsequent weiterentwickelt: Durch einen Verweis auf die Testamentsregister-Verordnung wird bestimmt, welche Daten zu überführen sind und der untechnische Begriff der weißen Karteikarten vermieden. Außerdem wird klargestellt, dass die Übergabe der Daten grundsätzlich in landeseigener Verwaltung zu erfolgen hat. Die Bundesnotarkammer kann aber von den Ländern und auf deren Kosten im Wege der Organleihe mit dieser Aufgabe betraut werden. Wir dürfen hier nicht noch mehr Zeit verstreichen lassen. Schon seit 2010 kann es vorkommen, dass Kinder eines Erblassers unberücksichtigt bleiben. Nicht in allen Fällen haben Kinder Kontakt zum Erblasser und melden sich dann im Falle dessen Todes beim zuständigen Nachlassgericht. Die genauen Abläufe zwischen Standesamt und Nachlassgericht und die Verfahrensänderungen sind in der Bevölkerung so gut wie unbekannt. Dennoch verlassen sich alle Kinder, Väter und Mütter darauf, dass im Erbfall die Behörden untereinander vernetzt sind und die relevanten Informationen an das Nachlassgericht weitergeben. Dies gilt für alle Familien, unabhängig davon, ob die Erben ehelich oder nichtehelich geboren oder adoptiert sind. Die im Gesetzentwurf und im Änderungsantrag vorgeschlagene Lösung halten wir Grünen für sinnvoll. Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-sache 17/12212, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/9427 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitte ich, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Oliver Krischer, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung der bergrechtlichen Förderabgabe – Drucksache 17/9390 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/10182 – Berichterstattung: Abgeordneter Manfred Todtenhausen b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Doris Barnett, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Anpassung des deutschen Bergrechts – zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dorothée Menzner, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Novelle des Bundesberggesetzes und anderer Vorschriften zur bergbaulichen Vorhabengenehmigung – zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Stephan Kühn, Undine Kurth (Quedlinburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein neues Bergrecht für das 21. Jahrhundert – Drucksachen 17/9560, 17/9034, 17/8133, 17/10182 – Berichterstattung: Abgeordneter Manfred Todtenhausen Auch hier ist vorgesehen, die Reden zu Protokoll zu nehmen. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Im vergangenen Jahr haben wir sehr intensiv über die Themen Rohstoffversorgung und Bergrecht diskutiert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat dazu Kongresse und Fachgespräche organisiert. Aber auch hier im Plenum und im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie gab es zahlreiche Anlässe zu Diskussionen. Leider verkennen die Initiativen der Opposition beim Bergrecht den Kontext der Rohstoffpolitik. Erstens. Deutschland ist umfassend von Rohstoff-importen abhängig, verfügt aber auch über vielfältige eigene Rohstoffvorkommen. Die christlich-liberale Koalition hat daher in dieser Legislaturperiode eine umfassende Rohstoffstrategie vorgelegt. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Rohstoffstrategie ist die Diversifizierung der Rohstoffbezugsquellen. So werden Abhängigkeiten vermieden oder reduziert und die Versorgungssicherheit kann erhöht werden. Zweitens. Zur Diversifizierung zählt auch die Nutzung heimischer Rohstoffe. Damit kann Deutschland Rohstoffimporte vermeiden, Vermögens- und Kaufkrafttransfers ins Ausland verhindern und Wertschöpfungsketten im Land erhalten. Drittens. Neben diesem ökonomischen Aspekt sind auch ökologische und soziale Aspekte zu beachten. Wir haben in Deutschland bereits hohe Standards an Umweltauflagen für den Bergbau. Dies gilt auch für den Arbeitsschutz. Fände Bergbau nicht mehr in Deutschland statt, müsste der Bedarf ausschließlich durch den Abbau in anderen Weltregionen gedeckt werden. Wir alle wissen, dass die ökologischen und sozialen Standards in den meisten Ländern viel niedriger sind als bei uns. Eine Verlagerung des Bergbaus aus Deutschland steigert die Nachfrage nach importierten -Rohstoffen, die unter niedrigeren bis nicht vorhandenen ökologischen und sozialen Standards abgebaut wurden. Viertens. Das Motto „Kein Bergbau bei uns – kein Problem“ ist kurzsichtig und verantwortungslos. Das sollten Sie auch gegenüber Ihren Anhängern erklären. Fünftens. Der zweite grundlegende Punkt betrifft die Energiepolitik. Fast alle Mitglieder des Deutschen Bundestages haben im Sommer 2011 die Energiewende beschlossen. Wir haben also gemeinsam acht grundlastfähige Kernkraftwerke vom Netz genommen und wollen schrittweise bis zum Jahr 2022 komplett auf die Kernenergie verzichten. Bis der erforderliche Ausbau der erneuerbaren Energien und insbesondere die begleitende Infrastruktur realisiert ist – ich gebe nur „Netze“ und „Speicher“ als Stichworte –, werden wir in Deutschland verstärkt fossile Energieträger nutzen müssen. Dazu gehören neben überwiegend importiertem Erdgas und Erdöl auch die heimischen Energieträger Stein- und Braunkohle. Folglich müssen wir in der Lage sein, die erforderlichen Rohstoffe auch in Deutschland abzubauen. Die Anhörung im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie am 23. Mai 2012 bestätigte dann auch die Kritik an den vorliegenden Anträgen, die ich bereits in den zahlreichen Debatten des letzen Jahres geäußert hatte. Das Bergrecht wurde seit seinem Inkrafttreten 1982 ständig an umweltrechtliche Vorgaben, insbesondere denen des EU-Rechts, angepasst. Auch in der ständigen Rechtsprechung der Gerichte wurden keine Differenzen zwischen dem Bergrecht und bestehenden umwelt- oder verfahrensrechtlichen Regelungen angemahnt. Das Bergrecht hat selbstverständlich den Zweck, die Rohstoffgewinnung zu ermöglichen. Aber dies geschieht natürlich unter Abwägung mit den Interessen Dritter, primär der ansässigen Bevölkerung und der Natur. So ist seit 1990 für größere Vorhaben die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens inklusive Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung obligatorisch. Speziell für den -Braunkohlenbergbau ist noch das raumordnerische Braunkohlenplanverfahren vorgesehen, welches mehrere Jahre in Anspruch nimmt und unter Durchführung von Umweltprüfungen, Öffentlichkeitsbeteiligung und auf Basis von zahlreichen Gutachten die gesamtheit-liche Abwägung der Braunkohlengewinnung im Tagebau mit allen anderen berührten Belangen vollzieht. Die Wiedernutzbarmachung der Erdoberfläche nach erfolgtem Abbau in Deutschland ist ein weltweit einmaliger Bestandteil eines Bergrechts. Das geltende Bergrecht erfüllt seinen Zweck: Es schafft bereits Ausgleich zwischen den Interessen der Menschen, der Natur und der Rohstoffgewinnung. Viele der Forderungen sind daher überflüssig. 98 Prozent aller Umsiedlungsfälle werden gütlich geregelt, und Grundabtretungsverfahren werden vermieden. Die Forderungen nach befristeten Rahmenbetriebsplänen auf 10 bis 15 Jahre bieten weder den Bergbaubetroffenen Rechtssicherheit, noch erlauben sie einen betriebswirtschaftlichen Bergbaubetrieb. Bergwerke sind kapitalintensive Vorhaben, die Planungs- und Investitionssicherheit benötigen. Die Abschaffung der bergfreien Bodenschätze würde eine effiziente Nutzung von Lagerstätten verhindern sowie Planungs- und Investitionssicherheit gefährden. Das ist also ein klassischer Bergbauverhinderungsvorschlag. Ich will auch noch zum Punkt Förderabgabe kommen. In der Anhörung hat keiner der von der Opposition benannten Sachverständigen die juristischen Einwände gegen die Vereinheitlichung der Förderabgabe diskutiert, vielmehr wurde sehr knapp und allgemein die Notwendigkeit einer Vereinheitlichung der Förderabgabe betont. Die Anhörung thematisierte aber anschaulich die verfassungsrechtlichen Probleme einer Förderabgabe als Eingriff in die Freiheit des Eigentums und die damit verbundenen Voraussetzungen für eine Gesetzesänderung, die von Ihrer Gesetzesbegründung nicht aufgegriffen werden. Gleiches gilt für die Rechtslage bei den Bergbaurechten in Ostdeutschland. Wichtig ist auch der betriebswirtschaftliche Aspekt einer solchen Förderabgabe. Die Abgabe bezieht sich auf den Marktwert des Rohstoffes, nicht auf den Gewinn des Unternehmens. Eine Förderabgabe auf alte Rechte würde also die Kosten bestehender Bergbauprojekte immens erhöhen und Kalkulationen durcheinanderbringen. Jeder, der einmal ein Bergbauprojekt besichtigt hat, weiß, mit welch großem Kapital- und Personaleinsatz da gearbeitet wird. Diese Investitionen erfordern Planungs- und Rechtssicherheit. Deswegen zweifle ich an den edlen Motiven des Gesetzentwurfs und vermute einen weiteren Angriff auf die Möglichkeit, überhaupt noch Bergbau in Deutschland betreiben zu können. Auch beim kontroversen Thema Fracking war die Ansicht der Sachverständigen klar: In Trinkwasserschutzgebieten ist es bereits verboten, und auch in -anderen Bereichen ist für die Zulassung das Einvernehmen mit der zuständigen Wasserschutzbehörde notwendig. Wir brauchen Bergbau zur Gewährleistung der Rohstoffversorgung und zur Sicherung des Know-how in Deutschland. Das geltende Bergrecht berücksichtigt dabei auch die Interessen anderer Beteiligter. Jeder, der seinen Arbeitsplatz im Bergbau oder dessen Umfeld hat, sollte also wissen, wo er bei der Wahl zum Deutschen Bundestag im Herbst sein Kreuz machen sollte. Erneut empfehle ich Ihnen Urlaub in Sachsen. Dort können Sie in der Lausitz beobachten, wie aus alten Braunkohletagebauen touristische Destinationen entstehen und sich die Natur vom Raubbau der Planwirtschaft erholt. Oder fahren Sie ins Erzgebirge und lassen Sie sich zeigen, wie die Menschen vor Ort mit Stolz die Tradition des Bergbaus pflegen und die Folgen der Zerstörung einer Landschaft wegen eines fehlenden Bergrechts fast nicht mehr zu finden sind. Ich empfehle daher die Ablehnung des Gesetzentwurfs und die Annahme der Beschlussempfehlung des Ausschusses. Rolf Hempelmann (SPD): Deutschland ist ein Industrieland und für die deutsche Industrie ist die Versorgung mit Rohstoffen von großer Bedeutung. Und: Deutschland gehört zu den größten Rohstoffverbrauchern der Welt. Entgegen der landläufigen Meinung ist Deutschland jedoch nicht rohstoffarm. Jährlich werden große Mengen von -Sanden, Erden, Tonen oder Kohle in unserem Land abgebaut. Während wir bei den Energierohstoffen und bei den metallischen Primärrohstoffen von Importen abhängig sind, decken wir bei den nichtmetallischen Rohstoffen, wie zum Beispiel Steine, Erden, Kali- und Steinsalz, den größten Teil unseres Bedarfs aus heimischer Produktion. Die heimische Rohstoffgewinnung macht uns insgesamt unabhängiger von Importen. Die Aufsuchung, die Erschließung, die Gewinnung und die Aufbereitung von Rohstoffen, aber auch die Rekultivierung der ausgebeuteten Tagebaue sind im Bundesberggesetz geregelt. Die historische Bedeutung des deutschen Bergrechts für die enorme Beschäftigungsentwicklung, für den Aufschwung der Bergbauregionen und für den schnellen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg habe ich zur ersten Lesung schon betont. In der Anhörung des Wirtschaftsausschusses wurde deutlich, dass in Deutschland nicht nur die Bergbaugroßindustrie – Kohle, Gas, Kali und Salze – tätig ist, sondern dass eine Vielzahl von mittelständischen Unternehmen in Deutschland Bergbau betreiben. Circa 200 000 Arbeitsplätze gibt es allein in der unmittelbar fördernden Industrie. Mit der Zulieferindustrie erhöht sich der Anteil um ein Vielfaches. Es geht also bei der Diskussion um den Bergbau auch um Beschäftigung. Durch Bergbau unter und über Tage wird in die Umwelt eingegriffen. Durch das Bundesberggesetz und die entsprechenden Verordnungen wird ein Ausgleich der zum Teil entgegenstehenden Interessen angestrebt: Die Rohstoffbranche hat großes Interesse an Vertrags- und Investitionssicherheit; denn die Erschließung und die Ausbeutung der ortsgebundenen Lagerstätten sind zeitaufwendig und kostenintensiv. Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger in den Abbauregionen möchten, dass hohe Umweltschutzstandards eingehalten werden und dass in ihre Wohn- und Lebensumgebung geringstmöglich eingegriffen wird. Der Staat hat ein Interesse an angemessenen Steuern und Abgaben aus dem Bergbau sowie an Rechtsfrieden in den Abbauregionen. Das historisch gewachsene Bergrecht genügt trotz mancher Anpassungen nicht mehr den neuen Anforderungen einer modernen, aufgeklärten und an Teilhabe interessierten Gesellschaft. Außerdem reicht der ursprüngliche Interessenausgleich nicht mehr aus. Die SPD-Bundestagsfraktion sieht einigen Bedarf an einer Weiterentwicklung des Bergrechts, ohne es abschaffen zu wollen. In unserem Antrag plädieren wir für eine Überprüfung und Anpassung des Bergrechts. Insbesondere möchten wir das Bundesberggesetz und die Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben, UVP-V Bergbau, derart -reformieren, dass die Beteiligung der Öffentlichkeit, von Gemeinden, von Umwelt- und Wasserbehörden sowie die Transparenz im gesamten Verfahren deutlich erhöht werden. Wichtig ist uns dabei eine frühzeitig -beginnende Bürgerbeteiligung. Aus unserer Sicht wird dadurch die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und -Bürgern verbessert. Die Regelungen des Bundesberggesetzes finden -unter anderem auch Anwendung auf das Einbringen von Bergversatz, die Geothermie oder die Errichtung unterirdischer Speicher. Die unterschiedlichen -Nutzungen des Bodens und des Untergrundes können untereinander in Konkurrenz stehen. Weitere Nutzungskonkurrenzen für die heimische Rohstoffindus-trie und die vorgenannten Nutzungen ergeben sich außerdem aus dem Natur- und Bodenschutz. Weder die Bundesraumordnungsplanung noch die Landes- oder Regionalplanung berücksichtigen diese Nutzungskonkurrenzen und setzen sie in einen bundesweiten Kontext. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich für eine unterirdische Raumordnung in Abstimmung mit den Ländern ein, um diese Nutzungskonkurrenzen aufzulösen, indem die verschiedenen Nutzungen bewertet, priorisiert und aufeinander abstimmt werden. Dieser -Vorschlag wurde von den Sachverständigen in den Anhörungen positiv bewertet. Leider verschlafen Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen die notwendige Modernisierung der Rechtslage und versuchen, sich die nächsten acht Monate bis zu Wahl zu retten. Die SPD-Bundestagsfraktion sieht Handlungs-bedarf beim Bergrecht. Das gesamte Verfahren muss transparenter und nachvollziehbarer für die Bürgerinnen und Bürger gestaltet werden, denn nur das erzeugt Akzeptanz. Für die SPD ist in der gesamten Diskussion auch klar: Es muss und wird weiter Bergbau in Deutschland geben. Manfred Todtenhausen (FDP): Ich brauche wohl nicht erneut zu betonen, dass die deutsche Wirtschaft auf die Nutzung heimischer Rohstoffe und Bodenschätze angewiesen ist. Wachstum und Wohlstand entstehen durch industrielle Wertschöpfung. Aber dieser Zusammenhang ist leider nicht jedem bewusst, oder er verträgt sich offensichtlich nicht mit bestimmten politischen Zielsetzungen und ideologischen Konzepten. Die Opposition, insbesondere die Grünen, blenden offenbar die Notwendigkeit der heimischen Rohstoffgewinnung weitestgehend aus und damit die dadurch initiierten positiven Effekte: eine Erhöhung der Versorgungssicherheit, die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Impulse zur Entwicklung strukturschwacher Regionen. Dabei ist gerade die verstärkte Nutzung heimischer Ressourcen zur ortsnahen Versorgung ein nachhaltiger Ansatz der Rohstoffpolitik – ein Grundsatz, den die Grünen für unsere Obstteller doch ständig fordern. Klassische Bergbauprojekte verlaufen immer in Etappen, beginnend mit der Erkundung, gefolgt von einer wirtschaftlichen Bewertung und erst anschließend einer möglichen Gewinnungsplanung. Hierfür bedarf es eines flexiblen Konzessionssystems, wie es im Bergrecht verankert ist. Zwangsläufig greifen Bergbauvorhaben auch in die Umwelt ein. Die Bedürfnisse der Menschen, Tiere und Pflanzen sowie der Wasser-, Boden-, Luft- und Lärmschutz sind jedoch bereits ebenso in das Bergrecht integriert wie das allgemeine Umweltrecht. In der Regel gelten die gleichen Standards und Anforderungen wie für andere industrielle Großprojekte. In den letzten Jahren wurde kein größeres Vorhaben ohne vorhergehende Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens mit Umweltverträglichkeitsprüfung genehmigt. In einigen Fällen sind zudem weitere individuelle Landesvorgaben zu beachten wie etwa das raumordnerische Braunkohlenplanverfahren in Brandenburg. Insgesamt gilt somit für die heimische Gewinnung von Rohstoffen ein deutlich höheres Umweltschutz-niveau, als es in vielen anderen Regionen der Welt der Fall ist. Die im Abschlussbetriebsplan vorgeschriebene Wiedernutzbarmachung der beanspruchten Flächen führt nicht selten sogar zu einer Verbesserung der regionalen Biodiversität. Auch diese Aspekte sind abzuwägen. Eine reine Verhinderungspolitik nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ wird auch der Verantwortung für unsere Umwelt nicht gerecht. Obwohl die Rohstoffgewinnung in Deutschland auf Basis des Bundesberggesetzes sachgerecht und im Einklang mit allen anderen relevanten Rechtsgrundlagen genehmigt und vollzogen wird, schlagen die Antragsteller umfassende und weitreichende Anpassungen des Rechtsrahmens vor. Zusätzliche Belastungen und politisch induzierte Kosten werden aber weder den -Interessen der Mehrheit der Bürger unseres Landes noch der erforderlichen Planungs-, Investitions- und Rechtssicherheit der Bergbaubetreibenden gerecht. Würde man die eingebrachten Forderungen aufgreifen, ergäben sich daraus bei neuen Bergbauprojekten und technischen Entwicklungen hohe Unsicherheiten für Investoren. Dies stünde einer Entscheidung für den Standort Deutschland entgegen. Daher ist es auch nicht zielführend, wenn neben den zwingenden umweltrechtlichen Versagensgründen weiter gehende Blockadespielräume in das Bergrecht eingefügt würden – außer man verfolgt eben diese Blockade als Ziel, und hierum geht es wohl eigentlich. Auch wenn ich mich an dieser Stelle wiederhole: Eine Aufgabe der Politik ist es, durch zweckmäßige und verantwortungsvolle Rahmenbedingungen den Zugang zu Rohstoffen zu gewährleisten und stetig zu verbessern. Selbstverständlich bedingt dies auch eine regelmäßige Weiterentwicklung des Rechtsrahmens. Forderungen, die tendenziell Bergbauaktivitäten unterbinden sollen, lehnen wir jedoch auch in Zukunft entschieden ab. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Erstmalig seit Jahrzehnten wurde im Wirtschaftsausschuss des Bundestages ausführlich und öffentlich über die Defizite des deutschen Bergrechts diskutiert. Anlass waren die Anträge von Linken und Grünen sowie – wenn auch etwas zaghaft – der SPD zur Novellierung des Bundesberggesetzes und anderer bergrechtlicher Vorschriften. Nun, die Mehrheit in diesem Haus wird alle Anträge abschmettern, die man unter http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a09/anhoerungen/Archiv_der_ Anhoerungen/12_Oeffentliche_Anhoerung/index.html findet. Ich meine jedoch, allein die Anhörung, die man sich übrigens unter der Adresse http://dbtg.tv/cvid/1713867 im Internet ansehen kann, war die ganze Arbeit wert. Denn sie machte die irrwitzigen Defizite des geltenden Bergrechts deutlich. Und sie machte Alternativen öffentlich. Sicher, das Sächsische Oberbergamt oder die Bergbaugewerkschaft IG BCE haben das geltende Recht erwartungsgemäß kritiklos verteidigt. Rechtsanwälte dagegen, die unter anderem Bergbaubetroffene, Kommunen und Umweltverbände in bergrechtlichen Konflikten vertreten, werteten das Regelwerk als völlig überholt. Es sei nicht geeignet für Konfliktlösungen, die auch die Rechte von Anwohnern und Umwelt adäquat berücksichtigten. Die Anträge von den Linken und Grünen unterscheiden sich deutlich voneinander; sie haben jeweils eine etwas andere Philosophie. Ich meine, unserer ist konsequenter, aber darüber können wir sicherlich streiten. Gemeinsam ist beiden jedoch die Kernforderung, den automatischen Vorrang des Abbaus von Rohstoffen vor allen anderen Interessen zu beenden. Dafür soll unter anderem künftig ein Planfeststellungsverfahren mit UVP anstelle der bisherigen Verfahren treten. Zudem soll das vorgelagerte Bergwerkseigentum abgeschafft werden. Abbaurechte sollen erst dann an Unternehmen verliehen werden, wenn ein Abbau in einem demokratischen Verfahren beschlossen wurde, und zwar unter Abwägung aller Interessen und nach einer sorgfältigen Umweltverträglichkeitsprüfung – und keinen Tag vorher. Ebenfalls gemeinsam ist den Anträgen die Forderung nach mehr Transparenz und mehr Beteiligungs- und Klagemöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger sowie für Verbände und Kommunen. Beide Anträge wollen auch, dass in Haftungs- und Entschädigungsfragen künftig die Position der Anwohnerinnen und Anwohner deutlich gestärkt wird. Im Unterschied zu den Grünen will die Linke jedoch, dass künftig sämtliche Bodenschätze dem BBergG unterliegen, also nicht nur Kohle, Gas, Erze oder Salz, sondern auch Kiese, Sande und Natursteine. Alle Bodenschätze würden dann als bergfrei definiert. Dies hätte zwei Folgen: Zum einen würden alle Bodenschätze Gemeineigentum sein. Das halten wir für angemessen, denn für den Rohstoff unter seinem Hintern hat ein Grundstückseigentümer nichts getan. Zum anderen hätte dies die Folge, den Abbau jeglicher Bodenschätze einem Planfeststellungsverfahren mit UVP zu unterwerfen. Intelligent und zeitgemäß finden wir auch die Forderung, die nur im Antrag der Linken steht, Genehmigungsvoraussetzung für einen Abbau unter besiedeltem Gebiet an streng nachzuweisende Ausnahmetatbestände zu knüpfen. Der Vorhabenträger müsste dann nachweisen, dass ein unabweisbarer volkswirtschaft-licher Bedarf für den Rohstoff besteht und der Abbau alternativlos ist. Dieser Nachweis dürfte beispielsweise für viele Braunkohlevorhaben, die gegenwärtig diskutiert werden – und die bis weit nach Mitte des Jahrhunderts laufen würden –, kaum zu erbringen sein. Denn glücklicherweise wachsen die erneuerbaren Energien rasant. Darum braucht diese klimaschäd-liche Kohle spätestens ab 2040 – wahrscheinlich schon weit früher – niemand mehr. Mit den Anträgen von den Linken und Grünen hätten die Bürgerinnen und Bürger zudem erstmals realistische Chancen, Abbauvorhaben gerichtlich überprüfen zu lassen. Wir setzen uns auch dafür ein, dass Gemeinden, Interessenvertretungen von betroffenen Anwohnern und Umweltverbänden der Klageweg offensteht, und zwar auch dann, wenn es um die Fragen der Bedarfsfeststellung oder der Umweltauswirkungen insgesamt geht. Anerkannte Umweltorganisationen beispielsweise sollten sich also im Verfahren nicht nur um den reinen Naturschutz streiten können, sondern auch um den Wasserhaushalt oder den Klimaschutz. Das alles und noch mehr war unser Plan. Er wird heute mit den Stimmen von Union und FDP vorerst beerdigt. Damit ist er aber längst nicht aus der Welt. Neue Bundesregierungen werden sich mit dem Thema beschäftigen müssen; denn der Widerstand vor Ort gegen neue Abbauvorhaben wächst. Er wächst mit jedem Quadratmeter zusätzlich zerstörter Natur und Heimat. Und er wächst mit jeder Kilowattstunde Ökostrom, die mehr durch unsere Netze fließt, womit die Kohleverstromung zunehmend überflüssiger wird. Ich hoffe und erwarte, dass die Abbauunternehmen nicht mehr lange Wildwest spielen können. Der Widerstand gegen die CCS-Technologie war nur ein Vorgeschmack auf künftige bergbauliche Konflikte. Darum ist jede neue Regierung gut beraten, sich des Themas der Reform des Bergrechts ernsthaft anzunehmen. Nur dann können Konflikte so gelöst werden, dass nicht nur die Interessen der Wirtschaft Berücksichtigung finden, sondern genauso stark die der ansässiges Bevölkerung und der Umwelt. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das deutsche Bergrecht ist antiquiert und nicht mehr zeitgemäß. Es ist geprägt von einem starren Über- und Unterordnungssystem. Das heißt, dem Interesse des Bergbaus wird weitgehend Vorrang vor -anderen Belangen, Interessen und Rechten, insbesondere denen Privater, eingeräumt. Eine gleichwertige Interessenabwägung in der Planungs- und Genehmigungsphase findet faktisch nicht statt. Die Anforderungen an das deutsche Bergrecht werden weiter zunehmen, je stärker auch heimische Bodenschätze durch steigende Weltmarktpreise wieder in den Fokus der bergbautreibenden Unternehmen rücken. Darüber hinaus werden immer mehr Anforderungen durch neue Technologien wie das Fracking, die Nutzung der -Geothermie oder die Errichtung großer Erdgasspeicher an den Untergrund gestellt werden. Dafür ist das Gesetz in seiner derzeit gültigen Fassung jedoch überhaupt nicht ausgelegt. Nach unserer Auffassung steht das deutsche Bergrecht daher zurzeit von mehreren Seiten unter Druck, und eine Anpassung an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts erscheint dringend -erforderlich. Unser Antrag macht dazu konkrete Vorschläge und benennt die Defizite ganz klar. Dieser Reformbedarf wurde in der öffentlichen Anhörung am 23. Mai 2012 von den anwesenden Experten auch klar bestätigt. Doch Schwarz-Gelb stellt sich auf beiden Augen blind. In den zahlreichen Debatten, welche wir in den vergangenen Monaten und Jahren über das Bundesberggesetz allgemein oder auch über das Thema Fracking geführt haben, hieß es von der Koalition: Es ist alles in Ordnung, und alles soll so bleiben, wie es ist. Bergbau ist gut, und darum sollen die Unternehmen ohne Rücksicht auf Verluste alles aus der Erde holen, was der Bagger irgendwie zu fassen kriegt. Das ist keine -zeitgemäße Politik; das ist Raubbau auf Kosten von Mensch und Natur und muss dringend geändert -werden. Ich weise deutlich darauf hin, dass dies auch in -vielen Landtagsfraktionen der Union so gesehen wird. So fordert die Landtagsfraktion in NRW explizit die Beweislastumkehr beim Tagebau. Aber hier im Bund wollen die Fraktionen der Koalition von alldem nicht wissen und wollen so weitermachen wie bisher. Ich betone: Unsere Forderungen bedeuten nicht, dass Bündnis 90/Die Grünen in Deutschland keinen Bergbau mehr haben wollen: In Deutschland gibt es eine lange Bergbautradition. Ohne den Bergbau wäre in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrzehnten die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands so nicht möglich gewesen. Auch wenn der Bergbau heute nicht mehr die wirtschaftliche Rolle spielt, wird der Abbau von Bodenschätzen auch in Zukunft in Deutschland ein wesentlicher Bestandteil der Ökonomie sein und sein müssen. Doch die dafür geltende Rechtsgrundlage ist nicht mehr zeitgemäß. Sie ist in Teilen regelrecht aus der Zeit gefallen. Moderne Bürgerbeteiligung, Transparenz, Interessenabwägung sind beinahe Fremdworte bei der Genehmigung von Bergbauvorhaben und deren Umsetzung. Speziell möchte ich an dieser Stelle noch einmal das Thema Förderabgabe hervorheben, zu dem ein konkreter Gesetzentwurf vorliegt. Es ist nicht nachvollziehbar, dass in Deutschland nur Unternehmen eine -Förderabgabe entrichten müssen, die ihre Lizenz nach dem Jahr 1982 erworben haben. Dies ist eine Ungleichbehandlung, welche unbedingt behoben werden muss. Allein dem Land NRW gehen dadurch Einnahmen von circa 150 Millionen Euro jährlich verloren; in der Lausitz wären es knapp 80 Millionen Euro pro Jahr. Es ist den Bürgerinnen und Bürger nicht zu vermitteln, warum Bergbauunternehmen ganze Landschaften abbaggern können und mit der gewonnenen Braunkohle Milliardengewinne machen, aber keinen Cent dafür an den Staat zahlen müssen. Die massiven Belastungen des Abbaus etwa durch Lärm, Staub, -Umsiedlungen ganzer Dörfer und zerstörte Landschaften sowie von größtenteils unkalkulierbaren Altlasten und Ewigkeitskosten lassen eine Förderabgabe ebenfalls als notwendig und richtig erscheinen. Gerade in diesen Tagen erleben wir mit der großflächigen Verunreinigung der Spree durch Eisen und Sulfat, was für Langzeitauswirkungen der Tagebau für Mensch und Natur haben kann. Zu den vorliegenden Anträgen von SPD und Linken möchte ich noch Folgendes sagen: Wir stimmen dem Antrag der Linken zu, weil wir bis auf einige Detail-fragen viele Übereinstimmungen mit unserer Position sehen. Die Linke konnte uns im Laufe der Beratungen allerdings nicht erklären, warum sie hier die Umsiedlung von Menschen im Rahmen bergbaulicher Vorhaben nahezu komplett verbieten möchte, während ihre Parteigenossen in Brandenburg eifrig daran arbeiten, neue Tagebaue für den Braunkohleabbau zu genehmigen, und dabei auch mit Umsiedlungen offenbar -keinerlei Probleme haben. Wir enthalten uns zum Antrag der SPD, weil wir zwar auch hier Übereinstimmungen sehen, aber auch Differenzen. So beschränkt sich die SPD bei der Beweislastumkehr auf einen Prüfauftrag und ist offenbar auch nicht bereit, den Bestand der „Alten Rechte“ zeitlich zu begrenzen. Abschließend möchte ich Sie nochmals um Zustimmung zu unseren Initiativen bitten; denn nur mit diesen Maßnahmen lassen sich die massiven Konflikte im Bergbau befrieden und es wird endlich Waffengleichheit zwischen den Interessen der Bergbauunternehmen einerseits und denen Privater und des Naturschutzes andererseits hergestellt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Vereinheitlichung der bergrechtlichen Förderabgabe. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10182, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9390 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Linken und Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 27 b. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 17/10182. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9560 mit dem Titel „Anpassung des deutschen Bergrechts“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung von Linken und Grünen angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9034 mit dem Titel „Novelle des Bundesberggesetzes und anderer Vorschriften zur bergbaulichen Vorhabengenehmigung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Linken und Grünen angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-be d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8133 mit dem Titel „Ein neues Bergrecht für das 21. Jahrhundert“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters – Drucksache 17/12163 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung über das Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht recht-lichen Vaters. Nach der derzeitigen Rechtslage steht dem leiblichen Vater eines Kindes, der mit der Mutter nicht verheiratet ist und auch die Vaterschaft nicht anerkannt hat, nur dann ein Umgangsrecht zu, wenn er eine enge Bezugsperson des Kindes ist, für das Kind tatsächlich Verantwortung trägt oder getragen hat und der Umgang dem Kindeswohl dient. Wenn dem leiblichen Vater zum Beispiel die rechtlichen Eltern den Kontakt mit dem Kind verweigern und er trotz Interesse dadurch keine Möglichkeit hat, eine Beziehung zu seinem Kind aufzubauen, bleibt ihm bislang der Kontakt verwehrt, ohne dass er rechtlich dagegen vorgehen könnte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2010 und 2011 festgestellt, dass es nicht mit Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist, den leiblichen – biologischen – Vater, der keine Bezugsperson des Kindes ist, vom Umgang mit seinem Kind und vom Recht auf Auskunft über dessen persönliche Verhältnisse auszuschließen. Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf sollen in konventionskonformer Weise die Rechte des biologischen Vaters, der einen Umgang mit seinen Kindern wünscht, gestärkt werden, indem die Möglichkeit, Umgang mit dem Kind zu erhalten, erweitert wird. Dabei geht es nicht um „Besitzrechte“ des Vaters, sondern um das Wohl des Kindes. Der Entwurf stärkt die Rechte des biologischen Vaters in zweierlei Hinsicht: Zum einen soll es für das Umgangsrecht künftig nicht mehr darauf ankommen, ob bereits eine enge Beziehung zwischen dem Kind und seinem leiblichen Vater besteht, sondern vielmehr, ob dieser ein nachhaltiges Interesse an seinem Kind gezeigt hat und ob der Umgang dem Kindeswohl dient. Eine konkrete Aufzählung, was alles unter einem nachhaltigen Interesse zu verstehen ist, ist nicht angezeigt. Es gibt unterschiedliche Situationen, wie zum Beispiel die räumliche Nähe zum Kind, ob die Kontaktaufnahme überhaupt versucht wurde etc., durch die sich das nachhaltige Interesse manifestieren kann. Durch die gewählte „offene“ Formulierung soll den Gerichten ermöglicht werden, im Einzelfall genau zu prüfen, ob ein nachhaltiges Interesse gegeben ist oder nicht. Im Weiteren wird dem leiblichen Vater die Möglichkeit eingeräumt, Auskunft über die persönlichen -Verhältnisse und die Entwicklung seines Kindes zu erhalten. Voraussetzung ist auch hier, dass er ein nachhaltiges Interesse an seinem Kind gezeigt hat und dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Aktuell steht der Auskunftsanspruch nach § 1686 BGB nur den Eltern im rechtlichen Sinne zu. Die konkrete gesetzliche Ausgestaltung soll – auch um zu verdeutlichen, dass für den biologischen Vater Sonderregeln gelten – durch die Einführung eines neuen § 1686 a in das Bürgerliche Gesetzbuch erfolgen. In diesem wird künftig das Umgangs- und Auskunftsrecht des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters geregelt sein. Von dieser Vorschrift sollen aber nur die Fälle erfasst werden, in denen das Kind bereits einen rechtlichen Vater hat. In allen anderen Fällen ist der biologische Vater auf die Erlangung der rechtlichen Vaterstellung zu verweisen, wodurch er die Rechte gemäß §§ 1684 und 1686 BGB erlangt, aber auch die entsprechenden Pflichten eines rechtlichen Vaters. Weiterhin wird das Umgangs- und Auskunftsrecht des vermeintlichen biologischen Vaters an die Bedingung geknüpft, dass der Antragsteller auch wirklich der biologische Vater ist. Dies bedeutet zugleich, dass er die Möglichkeit haben muss, seine biologische Vaterschaft klären zu lassen, ohne dass die Mutter dies vereiteln kann. Der Gesetzentwurf sieht daher die inzidente Klärung der Vaterschaft im Rahmen des Umgangs- und Auskunftsverfahrens vor. Alternativen zu der vorgelegten gesetzlichen Neuregelung sehen wir nicht: Die Möglichkeit, auch den biologischen Vater in den Kreis der nach § 1598 a BGB klärungsberechtigten Personen aufzunehmen, ist keine für die soziale Familie schonendere Option. Denn dadurch bestünde die Gefahr, dass auch biologische Väter, denen es nur um die Klärung der Abstammung geht und die kein Interesse an Umgang oder Auskunft haben, ein gerichtliches Verfahren anstrengen. Das Verfahren könnte sogar dazu missbraucht werden, lediglich Unfrieden in die soziale Familie zu tragen. Dass dies nicht dem Kindeswohl dient, liegt auf der Hand. Die Einführung einer Anfechtungsmöglichkeit für den biologischen Vater trotz sozial-familiärer Beziehung des Kindes zu seinem rechtlichen Vater ist ebenfalls abzulehnen. Denn dies hätte zur Folge, dass der vermeintlich biologische Vater nach Klärung der Abstammung durch Anfechtung die Stellung des rechtlichen Vaters einnehmen könnte. In diesem Fall stünde ihm dann auch ein Umgangsrecht nach § 1684 BGB zu. Diese Lösung wäre zu weitgehend und ebenfalls nachteilig für das Kind. Aus den vorgenannten Gründen haben wir uns für eine eigenständige gesetzliche Regelung in Bezug auf das Umgangs- und Auskunftsrecht des leiblichen -Vaters entschieden. Diese wird von entsprechenden flankierenden verfahrensrechtlichen Regelungen unterstützt. Konkret ist im Verfahrensrecht als Zulässigkeitsvoraussetzung zur Erlangung eines Umgangs- und Auskunftsrechts in dem neu einzufügenden § 167 a Familienverfahrensgesetz die eidesstattliche Versicherung der Beiwohnung vorgesehen. Dies soll Mutter, Kind und rechtlichen Vater – nach dem Vorbild des § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB – vor willkürlichen, voreiligen oder unüberlegten Umgangs- und Auskunftsverfahren schützen. Dadurch wird auch verhindert, dass ein Mann, der durch künstliche Befruchtung mittels heterologer Samenspende biologischer Vater geworden ist, ein Umgangs- oder Auskunftsrecht herleiten kann. Darüber hinaus regelt die Vorschrift, unter welchen Voraussetzungen Untersuchungen zur Klärung der leiblichen Vaterschaft zu dulden sind. Zusammenfassend lässt sich demnach festhalten, dass wir mit dem Gesetzentwurf einen guten Weg gefunden haben, das berechtigte Interesse des leiblichen Vaters an einem Umgangs- und Auskunftsrecht in einen angemessenen Ausgleich mit den Interessen der sozialen Familie an einem ungestörten Familienleben zu bringen. Das Kindeswohl steht dabei immer an erster Stelle. Darüber hinaus wird der Gesetzentwurf auch den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gerecht. Sonja Steffen (SPD): Dreiecksbeziehungen sind nie einfach. Besonders schwierig werden sie, wenn aus ihnen ein Kind hervorgeht, ob durch den einmaligen Ausrutscher, die später doch noch überstandene Ehekrise oder den bis dahin nicht erfüllten Wunsch nach einem eigenen Kind. Schätzungen gehen davon aus, dass bei 5 bis 10 Prozent aller Kinder der in der Geburtsurkunde eingetragene Vater nicht der biologische ist. In solchen Fällen die Interessen und Bedürfnisse aller Beteiligten unter einen Hut zu bekommen und dabei das von den Eltern oftmals sehr subjektiv ausgelegte Wohl des Kindes im Blick zu behalten, ist schwierig. Unser Familienrecht geht grundsätzlich davon aus, dass der Ehemann der Mutter auch der Vater des Kindes ist. Dies kann dazu führen, dass der Ehemann zwar automatisch rechtlicher Vater wird, gleichzeitig aber nicht biologischer Vater des Kindes ist. Bisher hat die Gruppe der leiblichen, aber nicht rechtlichen Väter in Fällen, in denen der rechtliche Vater in einer sozial-familiären Beziehung zu dem Kind steht und sie selbst keine enge Bezugsperson sind, keinerlei Möglichkeit, die Vaterschaft anzufechten oder ein Umgangs- oder Auskunftsrecht einzufordern. Abgesehen davon, dass meiner Meinung nach jedes Kind ein Recht auf Kenntnis seiner eigenen Herkunft und Abstammung hat, entspricht ein Kontaktverbot zwischen dem biologischem Vater und dem Kind nicht in jedem Fall dem Kindeswohl. Dies hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, in zwei Urteilen kritisiert und eine Verletzung von Art. 8 EMRK, dem Recht des biologischen Vaters auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, festgestellt. Im Gegensatz zur derzeitigen gerichtlichen Praxis in Deutschland fordert der EGMR, dass geprüft werden müsse, ob der Umgang mit dem biologischen Vater im Einzelfall dem Wohl des Kindes dient. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht zur Stärkung der Rechte der leiblichen Väter die Einführung eines Umgangs- und eines Auskunftsrechts ohne eine Ausweitung der Anfechtungsmöglichkeiten vor. Voraussetzung für das Umgangsrecht sind ein nachhaltiges Interesse des Vaters und dass der Kontakt dem Kindeswohl dient. Das Auskunftsrecht über die persönlichen Verhältnisse des Kindes dürfen dem Kindeswohl nicht widersprechen. Im Rahmen des Umgangs- und Auskunftsverfahrens wird die Möglichkeit zur inzidenten Klärung der Vaterschaft geschaffen. Die Reaktionen von Vereinen und Verbänden auf den Gesetzentwurf sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von „Die eingeräumten Rechte gehen viel zu weit“ bis hin zu „Gesetzentwurf geht definitiv nicht weit genug“. Unsere Aufgabe wird es sein, im parlamentarischen Verfahren den Gesetzentwurf auf seine Praktikabilität hin zu überprüfen und einige Detailfragen zu klären. Dabei muss zwischen den Interessen einer sozial intakten Familie und den Rechten des leiblichen Vaters abgewogen werden. Als erste Frage wird oft aufgeworfen, ob die Stärkung der Rechte des biologischen Vaters ohne die Übertragung von Pflichten vorgenommen werden sollte. In diesem Zusammenhang muss zum Beispiel geprüft werden, ob die Möglichkeit, über den neuen § 1686 a BGB ein Umgangs- und Auskunftsrecht zu erhalten, auch sinnvoll ist, wenn ein Recht auf Anfechtung der Vaterschaft nach § 1600 BGB besteht und dieses bisher nicht ausgeschöpft wurde. Nicht ganz unproblematisch ist die Voraussetzung, dass der biologische Vater ein „nachhaltiges Interesse an dem Kind gezeigt haben muss“, um für sich ein Umgangs- und Auskunftsrecht in Anspruch zu nehmen. Dies stellt den biologischen Vater oft vor eine unlösbare Aufgabe, insbesondere wenn jeglicher Kontakt seitens der Kindesmutter verweigert wird. Wichtig ist uns in diesem Gesetzgebungsverfahren vor allem, dass die Interessen des Kindes im Vordergrund stehen und die notwendigen Änderungen nicht allein durch die Sicht der Eltern geprägt werden. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Das Umgangsrecht, strikt zu trennen vom Sorgerecht, ist in den §§ 1684 ff. BGB geregelt. Nach § 1684 BGB haben Kinder ein Recht auf Umgang mit ihren Eltern und umgekehrt. Gemeint sind damit jedoch die rechtlichen Eltern, nicht die biologischen Eltern. Jedoch muss ein biologischer Elternteil nicht unbedingt der rechtliche Elternteil sein, wobei dies im Regelfall den Vater trifft. Nach geltendem Recht kann der biologische Vater gegebenenfalls nur sonstige Bezugsperson im Sinne des § 1685 BGB sein. Für ein Umgangsrecht muss dann aber eine sozial-familiäre Beziehung bestehen, welche der Vater möglicherweise bis zur Geltendmachung des Umgangsanspruchs nicht herstellen konnte, weil die rechtlichen Eltern dies zu verhindern wussten. Der Gesetzentwurf geht auf ein Urteil des EGMR vom 21. Dezember 2010 zurück, welcher in seiner Entscheidung gerade diese fehlende sozial-familiäre Beziehung nennt, gleichzeitig jedoch feststellt, dass nicht die Konstellation bedacht ist, in welcher dem biologischen Vater verwehrt war, eine solche herzustellen, er gleichwohl im Einzelfall ein berechtigtes Interesse am Umgang mit seinem Kind habe. Nun stellt sich die Frage, wie das „nachhaltige Interesse“ des Vaters nachgewiesen werden soll, und offen bleibt ebenso, wie festzustellen sein soll, dass es dem Kindeswohl dient. Sofern Einvernehmen zwischen den unterschiedlichen Eltern besteht, bedarf es keiner Regelung. Es sind folglich nur streitige Verfahren bei dieser Frage in Betracht zu ziehen. Kann es dem Kindeswohl dienen, wenn der leibliche Vater in das Familienleben des Kindes, welches möglicherweise schon seit Jahren besteht, hineingrätscht? Bei Kleinstkindern mag dies möglicherweise noch relativ unproblematisch sein. Wie verhält es sich aber bei größeren Kindern, bei denen auf einmal der leibliche Vater neben dem Papa auftaucht und großes Interesse zeigt. Psychologische Schwierigkeiten, eine Störung des bis dato intakten Familienlebens können auftreten, die mit der Erkenntnis verbunden sind, nicht das leibliche Kind des rechtlichen Vaters zu sein. Andererseits besteht natürlich auch das Recht des Kindes auf Wissen seiner Herkunft. Dies darf nicht vergessen werden. Diese Gesamtproblematik ist vielfach im Zusammenhang mit Adoptivkindern thematisiert worden. Es ist in jedem Fall höchst problematisch. Der EGMR erwartet eine Regelung seit 2010. Aber der Entwurf der Bundesregierung lässt gegenwärtig immer noch zu viele Fragen offen. Insoweit hoffe ich, dass im Rahmen des erweiterten Berichterstattergesprächs unter Einbeziehung von Sachverständigen eine Regelung gefunden werden kann, welche konkret genug ist, den Anforderungen des EGMR zu entsprechen und keine Fragen offen lässt. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Noch immer ist das deutsche Familienrecht auf das traditionelle klassisch-konservative Familienbild ausgerichtet. Aber nach und nach, angestoßen auch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, setzt sich, auch bei der Regierung, die Erkenntnis durch, dass es nicht nur ein einziges Familienbild gibt. Ausgangspunkt unserer heutigen Debatte sind zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus den Jahren 2010 und 2011. Konkret geht es um Väter, die ihr Kind zwar gezeugt haben, aber nicht über die rechtliche Vaterstellung verfügen. Grund hierfür kann sein, dass die Vaterschaft des biologischen Vaters rechtlich nicht festgestellt ist. Grund hierfür kann auch sein, dass das Kind in eine Ehe hi-neingeboren wurde, in der die Mutter des Kindes mit einem anderen Mann lebt und dieser rechtlich als Vater des Kindes gilt. Nach jetzigem deutschen Recht ist der biologische Vater, der keine enge Bezugsperson seines Kindes ist, kategorisch und ohne Prüfung des Kindeswohls vom Umgang mit seinem Kind ausgeschlossen. Das gilt auch dann, wenn ihm der Umstand, dass eine sozial-familiäre Beziehung zwischen Vater und Kind bisher nicht aufgebaut wurde, nicht zuzurechnen ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat festgestellt, dass die Bundesrepublik mit dieser Gesetzeslage gegen Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt. In seinen Entscheidungen hat der Gerichtshof einerseits die Rechte des biologischen Vaters gestärkt, andererseits aber auch festgestellt, dass die sozial-familiären Beziehungen, in denen das Kind lebt, schützenswert sein können. Es müsse immer genau geprüft werden, in welchem Verhältnis das Auskunfts- und Umgangsrecht des Vaters und das Wohl seines Kindes zueinander stehen. Mit seiner Rechtsprechung hat uns der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine nicht ganz einfache Aufgabe aufgetragen: Das deutsche Recht muss gewährleisten, dass leibliche Väter, die nicht gleichzeitig auch rechtliche Väter sind, eine Beziehung zu ihren Kindern aufbauen können. Dennoch soll dabei kein Automatismus etabliert werden, sondern die Betrachtung des Einzelfalls im Vordergrund stehen. Der Gesetzentwurf, über den wir heute debattieren, will die Rechtsstellung des biologischen Vaters stärken. Dem Vater werden unter bestimmten Umständen ein Umgangsrecht und ein Auskunftsrecht über die persönlichen Verhältnisse seines Kindes eingeräumt. Zusätzlich wird für diese Fälle ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren eröffnet. Damit ist die Bundesregierung auf dem richtigen Weg. Unter Berücksichtigung des Kindeswohles muss das deutsche Recht gewährleisten, dass auch außenstehende biologische Väter eine Beziehung zu ihren Kindern aufbauen können. Im Vordergrund muss in allen Fällen das Kindeswohl stehen. Ob und inwiefern die Regelungen des Gesetzentwurfs angemessen sind, werden wir im weiteren Gesetzgebungsverfahren, an dem wir uns konstruktiv betei-ligen werden, zu beurteilen haben. Nach derzeitigem Stand stellen sich noch viele Fragen zu den Einzelheiten. Die unbestimmten Formulierungen im Gesetzentwurf sollen zwar der Berücksichtigung des Einzelfalles dienen; sie können aber auch zu Rechtsunsicherheit führen. Auch bin ich mir nicht sicher, ob die Neuregelungen sich in das Gesamtgefüge der familienrechtlichen Regelungen einfügen, ohne neue Widersprüche aufzuwerfen. Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung freuen wir Grünen uns aber noch aus einem anderen Grund auf die Diskussion über den Gesetzentwurf: Die Formen familiären Zusammenlebens haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Mehrelternkon-stellationen gibt es nicht nur in den Fällen, in denen es einen biologischen und einen rechtlichen Vater gibt. In einer kontinuierlich wachsenden Anzahl von Familien wachsen Kinder mit mehreren Eltern auf. In Patchwork- oder Regenbogenfamilien mit biologischen und sozialen Elternteilen haben Kinder regelmäßig mehr als zwei Elternteile. Einen ausreichenden rechtlichen Rahmen gibt es für diese Familienbeziehungen bisher nicht. Dies stellt viele Familien vor ganz praktische Probleme. Heute haben wir hier im Bundestag die Reform des Sorgerechts für nicht miteinander verheiratete Eltern beschlossen. Väter, die nicht mit der Mutter ihres Kindes verheiratet sind, können jetzt niedrigschwellig einen Antrag auf Mitübertragung der elterlichen Sorge stellen. Das ist eine Reform, die längst überfällig war. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte des leib-lichen, nicht rechtlichen Vaters machen wir den nächsten Schritt hin zu einem moderneren Familienrecht. Damit passen wir das Recht ein kleines Stück mehr an die gesellschaftlichen Realitäten an. Weitere Schritte müssen folgen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Für Kinder ist es wichtig, dass ihnen die Familie ein stabiles, sicheres Umfeld bietet. Aus Sicht des Kindes bedeutet die soziale Familie, in der es lebt, vor allem das Gefühl der Zugehörigkeit, das Gefühl von Geborgenheit und Schutz. Mutter und Vater, das sind diejenigen Menschen, die tatsächlich die Verantwortung tragen. Für ein Kind kann es eine Bereicherung sein, denjenigen zu kennen, von dem es biologisch abstammt. Gibt es neben dem rechtlichen Vater einen weiteren Mann, der leiblicher, aber nicht rechtlicher Vater des Kindes ist, so kann es für das Kind gut und wichtig sein, auch mit diesem Kontakt zu haben. Dieser Aspekt – so hat es der EGMR in zwei Urteilen entschieden – kommt in unserem Recht zu kurz. Der leibliche Vater kann nach geltendem Recht nur dann ein Recht auf Umgang mit seinem Kind haben, wenn er eine sogenannte enge Bezugsperson des Kindes ist, wenn er also für das Kind bereits tatsächliche Verantwortung trägt, § 1685 Abs. 2 BGB. Ist dies nicht der Fall, so ist ein Umgang kategorisch ausgeschlossen – ohne Rücksicht darauf, ob der leibliche Vater überhaupt eine Chance hatte, Verantwortung für das Kind zu tragen, und ohne Rücksicht darauf, was für das Kind am besten wäre. Diese Rechtslage wird weder dem Interesse des leiblichen Vaters noch dem Interesse des Kindes gerecht. Häufig möchte ein leiblicher Vater, der zum Beispiel mit einer verheirateten Frau ein Kind gezeugt hat, Kontakt zu seinem Kind aufnehmen, sich kümmern und Verantwortung übernehmen, auch wenn das Kind nicht ihm, sondern dem Ehemann der Frau rechtlich zugeordnet ist. Wenn aber die rechtlichen Eltern sich weigern, den Kontakt zwischen leiblichem Vater und Kind zuzulassen, hat der leibliche Vater hierzu bisher keine Chance. Es hängt zunächst einmal vom Verhalten der rechtlichen Eltern ab, ob eine Beziehung zwischen dem Kind und dem leiblichen Vater zustande kommen kann. Diese Rechtslage, so auch der EGMR, verletzt den leiblichen Vater in seinem Recht auf Achtung seines Privatlebens. Auch den Interessen des Kindes wird dabei nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen. Nicht immer ist die Weigerung der rechtlichen Eltern, den leiblichen Vater ins Leben des Kindes zu lassen, auch zum Besten des Kindes. Wir wissen heute, dass es für Kinder zwar einerseits sehr wichtig ist, ein stabiles familiäres Bezugssystem zu haben, dass aber andererseits die Suche nach der eigenen biologischen Herkunft für Kinder eine große Bedeutung haben kann und gerade vor diesem Hintergrund auch dem Umgang mit dem leiblichen Vater besonderer Stellenwert zukommen kann. Es ist daher wichtig, dass diese Frage – die Frage, ob ein Umgang mit dem leiblichen Vater dem Kindeswohl dient – in jedem Einzelfall konkret gestellt und geklärt wird. An dieser Stelle setzt der heute diskutierte Gesetzentwurf an, und zwar – das halte ich für sehr entscheidend – in einer vorsichtigen und zurückhaltenden Weise: Wenn es dem Kindeswohl dient, soll künftig ein Umgang zwischen Kind und leiblichem Vater möglich sein. Im Zentrum steht mithin die Frage, ob der Umgang dem Kindeswohl dient. Damit das Kind und die rechtlich-soziale Familie nicht unnötig verunsichert werden, sind weitere Hürden eingebaut: Der leibliche Vater muss an Eides statt versichern, der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben, und er muss ein echtes, nachhaltiges Interesse an dem Kind gezeigt haben. Dadurch, dass ein Umgangsrecht nur für solche leibliche Väter in Betracht kommt, die ein nachhaltiges Interesse am Kind gezeigt haben, wird ganz klargestellt: Hinter dem Antrag auf Umgang muss ein echtes, ein nicht nur vorübergehendes, sondern nachhaltiges Interesse am Kind stecken. Es dürfen nicht andere Motive des leiblichen Vaters ausschlaggebend für seinen Antrag sein – zum Beispiel der Wunsch, sich an der Mutter zu rächen, oder die bloße Neugier darauf, das Kind kurz einmal kennenzulernen. Bei der Frage, ob der leibliche Vater ein nachhaltiges Interesse am Kind gezeigt hat, wird es ganz entscheidend auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommen. Wenn die rechtlichen Eltern dem leiblichen Vater jede Kontaktaufnahme verbieten und bei Zuwiderhandlung Konsequenzen androhen, wird man vom leiblichen Vater nicht verlangen können, dass er täglich anruft. Wenn ein leiblicher Vater aber jahrelang überhaupt keinen Kontakt sucht, oder wenn sein Interesse am Kind bereits nach sehr kurzer Zeit wieder verloren geht, so wird zweifelhaft sein, ob diese Voraussetzung für ein Umgangsrecht tatsächlich erfüllt ist. Die Gerichte haben wegen des bewusst offen gewählten Tatbestandsmerkmals die Möglichkeit, die Umstände des Einzelfalls angemessen zu berücksichtigen. Im Mittelpunkt aller Überlegungen steht das Kindeswohl; ein Umgangsrecht wird nur dann gewährt, wenn es dem Wohl des Kindes dient. Auch ein Auskunftsrecht des leiblichen Vaters kommt nur in Betracht, wenn das Kindeswohl dadurch nicht gefährdet wird. Der Entwurf nimmt das Bedürfnis des Kindes, mit seinen rechtlichen Eltern in einem stabilen Umfeld aufwachsen zu können, sehr ernst. Er will verhindern, dass ein Kind in seinem – für sich so wichtigen – Zugehörigkeitsgefühl zur rechtlichen Familie unnötig verunsichert wird. Als seinerzeit der Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Untersuchung zur Klärung der leiblichen Abstammung, § 1598 a BGB, eingeführt wurde, wurde der biologische Vater bewusst nicht in den Kreis der Klärungsberechtigten einbezogen. Entsprechend hat sich auch der heute zu beratende Entwurf – ganz bewusst – dagegen entschieden, dem leiblichen Vater die Klärungsmöglichkeit nach § 1598 a BGB zu geben. Denn dann würde auch derjenige mutmaßliche leibliche Vater Rechte anmelden, der gar keinen Umgang mit dem Kind will, sondern lediglich Klarheit über die Frage erlangen möchte, ob das Kind biologisch von ihm abstammt. Ziel des Klärungsverfahrens soll es jedoch nicht sein, unabhängig vom Bestehen einer rechtlichen Verbindung das bloße Interesse an der biologischen Abstammung zu befriedigen. Ich bitte Sie deshalb um Unterstützung für den Entwurf in der Ihnen heute vorliegenden Fassung: Er behält die bestehende Systematik bei und justiert – unter größtmöglichem Schutz für die rechtlich-soziale Familie – da nach, wo es mit Blick auf das Kindeswohl und die berechtigten Interessen leiblicher Väter nötig ist. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12163 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Es gibt keine anderweitigen Vorschläge. – Dann haben wir die Überweisung so beschlossen. Zusatzpunkt 9: Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Dr. Edgar Franke, Dr. Carola Reimann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Überlebenshilfe in der Drogenpolitik – Situation der Substitution von Opiatabhängigen verbessern und Substitutionsbehandlung im Strafvollzug gewährleisten – Drucksache 17/12181 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Rechtsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.9 – Sie sind damit einverstanden. Ebenso interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12181 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind einverstanden? – Dann verfahren wir so. Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes – Drucksache 17/12013 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Kultur und Medien Auch hier werden, wie vorgesehen, die Reden zu Protokoll genommen. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Leistungsschutzrechte sind dieser Tage in aller Munde. Und es ist verwunderlich, wie teilweise hoch- emotional dieses Thema – insbesondere in Verbindung mit der geplanten Einführung eines Leistungsschutzrechtes für Presseverleger – in der Diskussion vorkommt. Auch in dem vorliegenden von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes, den wir heute in erster Lesung beraten, geht es – neben der Harmonisierung der Schutzdauer von Musikkompositionen mit Text – im Wesentlichen um Leistungsschutzrechte, und zwar im Bereich Musik. Leistungsschutzrechte gibt es nicht erst seit dem Koalitionsvertrag der christlich-liberalen Bundesregierung. Sie bestehen bereits länger als unser heutiges Urheberrecht. Leistungsschutzrechte sind als sogenannte verwandte Schutzrechte im Urheberrechtsgesetz ab § 70 geregelt und beinhalten die technisch-organisatorische Komponente der Urheberleistung. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Richtlinie 2011/77/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2011 über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte umgesetzt werden. Diese Richtlinie ergänzt die Richtlinie 2006/77/EU und soll ein Schutzniveau für ausübende Künstler schaffen, das ihrer kreativen Arbeit gerecht wird. Schließlich sollen die Urheber während ihres gesamten Lebens auf Einnahmen aus den ausschließlichen Rechten ihrer Werke zurückgreifen können. Der Entwurf des neuen Gesetzes und damit die Umsetzung der Richtlinie enthält zwei wesentliche Punkte: Zum einen wird die Schutzdauer für Musikkompositionen mit Text innerhalb der EU harmonisiert. Zum anderen soll die Schutzdauer von Rechten ausübender Künstler und Tonträgerhersteller von 50 auf 70 Jahre verlängert werden. Das deutsche Recht muss dahin gehend angepasst werden, dass es bisher keine Regelungen zu dieser geänderten Schutzdauer enthält: Dies betrifft ein Kündigungsrecht sowie Ansprüche auf zusätzliche Vergütung für ausübende Künstler. Die Schutzdauer für Musikkompositionen mit Text knüpft an eine vergleichbare Bestimmung zu Film- und audiovisuellen Werken an. Die EU-Richtlinie legt die Schutzdauer auf 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers, also des Textverfassers oder des Komponisten, fest. Sie verlängert zudem die Schutzdauer für Rechte von ausübenden Künstlern und von Tonträgerherstellern. Bisher erloschen die Rechte des ausübenden Künstlers 50 Jahre nach Erscheinen des Tonträgers bzw. seiner ersten öffentlichen Wiedergabe. Nun wird diese Frist auch hier auf 70 Jahre verlängert. Mit der Umsetzung der Richtlinie, die bis zum 1. November 2013 erfolgt sein muss, leisten wir also einen wichtigen Beitrag zur Stärkung von im Musikbereich tätigen Künstlern und Urhebern. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gab es eine große Diskussion über das damals eingeführte Leistungsschutzrecht für Tonträgerhersteller mit der Begründung, Konzert- und Theatersäle könnten dadurch leer bleiben. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts können wir wohl heute sagen, dass sich diese Befürchtung nicht bewahrheitet hat. Das sollten wir uns vielleicht vor Augen halten, wenn wir bei der Diskussion um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage an so mancher Stelle ebenfalls erleben, dass die maximale Orchestrierung gewählt wird, um Widerstand gegen die Einräumung eines solchen Rechts zu erzeugen. An den tatsächlichen Wirkungen von Schutzrechten wird dabei leider oftmals vorbeiargumentiert. Denn die EU-Richtlinie für eine verlängerte Schutzdauer für Musikleistungsschutzrechte, die wir nun in deutsches Recht umsetzen, zeigt, dass es um eine sinnvolle Ergänzung bestehender verwandter Schutzrechte im Urheberrecht geht, um das Schutzniveau für die Urheber entsprechend ihrer Leistungen auszugestalten. Burkhard Lischka (SPD): Wir beraten heute einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die Schutzdauer für die Rechte an -Musikaufnahmen von 50 auf 70 Jahre verlängern soll. Der Entwurf setzt eine EU-Richtlinie um. Dabei geht es um die sogenannten verwandten Schutzrechte der Tonträgerhersteller, also der Plattenfirmen, und die der ausübenden Künstlerinnen und Künstler, die nicht gleichzeitig als Texter oder Komponist Miturheber des Musikwerkes sind, das heißt um die an der Aufnahme beteiligten Studiomusiker. Es geht also nicht um eine Verlängerung urheberrechtlicher Schutzfristen insgesamt. Grundsätzlich dienen Schutzfristen im Urheberrecht der sozialen Absicherung der Kreativen – und haben damit prinzipiell ihre Berechtigung. Das Ziel, die soziale Situation ausübender Künstlerinnen und Künstler zu verbessern, verfolgte auch die Europäische Kommission, als sie im Juli 2008 einen Richtlinienvorschlag vorlegte, mit dem die Schutzfrist für die Rechte an Musikaufnahmen von bislang 50 Jahren auf 95 Jahre verlängert werden sollte. Die ursprünglich geplante – realitätsferne – Verlängerung um 45 Jahre wurde zu Recht einmütig kritisiert, vom Europäischen Parlament ebenso wie vonseiten des Bundestages, der 2009 eine maximale Verlängerung auf 70 Jahre angemahnt hatte. Für die SPD-Bundestagsfraktion stellt sich im Kern eine Frage: Können die Künstlerinnen und Künstler nun auf eine Verbesserung ihrer Einkommenssituation im Alter hoffen, oder werden hauptsächlich andere von der Verlängerung der Schutzdauer profitieren? Viele Urheberrechtsexperten bezweifeln, dass die längeren Fristen den Künstlerinnen und Künstlern helfen werden. Viele glauben, dass sich die Einnahmen für ausübende Künstler durch die Schutzfristverlängerung nicht nennenswert erhöhen werden. Wahrscheinlicher sei, dass die Musikindustrie, vor allem die großen Plattenlabels, davon am meisten profitieren werde. Warum? Bisher erloschen die Rechte an Aufzeichnungen und Darbietungen ausübender Künstlerinnen und Künstler 50 Jahre nach ihrer Veröffentlichung. Dieser Schutz verlängert sich jetzt um 20 Jahre. An den -Zusatzeinnahmen, die die Plattenfirmen in dieser Zeit erzielen, sollen die Künstlerinnen und Künstler zu -einem Fünftel beteiligt werden – allerdings erst an Einnahmen, die 50 Jahre nach Erscheinen des Ton-trägers erzielt wurden. Wir wissen jedoch, dass die meisten Künstlerinnen und Künstler ihre Rechte umfassend an ihre Plattenfirmen abtreten und dafür in der Regel lediglich eine -einmalige Pauschale erhalten. Die Gründe sind uns bekannt: Aufgrund des wirtschaftlichen Ungleichgewichts von Künstlern auf der einen und Plattenfirmen auf der anderen Seite finden Vertragsverhandlungen selten auf Augenhöhe statt. Vor allem Studiomusiker können wegen ihrer schwachen Verhandlungsposition so gut wie nie eine wiederkehrende Vergütung vereinbaren. Das Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum hat deshalb in einer Stellungnahme zum Richtlinienentwurf kritisiert, dass die Verlängerung der Schutzfrist den Künstlern nichts bringe und die „Unzulänglichkeiten des heutigen Systems“ unberührt lasse. Beschnitten werden auch die Rechte der Allgemeinheit, indem der Zugang zu Tonaufnahmen von Musik, vor allem aus den 50er- und 60er-Jahren, die bereits gemeinfrei ist, weiter beschränkt bleibt. Ob Schutzfristverlängerungen ein geeignetes Mittel sind, um die soziale Situation von Künstlerinnen und Künstlern zu verbessern, kann daher zumindest bezweifelt werden. Dieser Frage werden wir uns in den anstehenden Beratungen im Rechtsausschuss genauer widmen müssen. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Sie hatten sich ja in Sachen Urheberrecht eine Menge vorgenommen, einen ganzen „Dritten Korb“ von Gesetzesreformen. Aber aus einem Zweitveröffentlichungsrecht für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist ebenso wenig geworden wie aus einer allgemeinen Wissenschaftsschranke, einer gesetzlichen Regelung für Mashups, einer Erlaubnis für den privaten Weiterverkauf von heruntergeladenen Musikdateien oder auch nur einer Eindämmung des Abmahnwahns. Sie haben viele große Töne gespuckt und am Ende nichts getan. Nichts – das meine ich wörtlich. Aber -damit die Bilanz Ihrer Legislaturperiode in Sachen Urheberrecht nicht ganz so düster aussieht, wollen Sie jetzt kurz vor Ihrer Abwahl noch die Verlängerung der Schutzfristen für Tonträgerhersteller durchdrücken. Na toll! Sie kommen mit einem „Körbchen“ um die Ecke, in das Sie ein faules Ei gelegt haben. Worum geht es? Darum, dass Musikaufnahmen zukünftig nicht mehr nur 50, sondern 70 Jahre lang geschützt sein sollen, wobei wir nicht vom Urheberrecht reden, also nicht von den Rechten der Komponisten und Textschreiberinnen, sondern von den Leistungsschutzrechten. Geht es also um die Interessen der ausübenden Künstler, wie Sie behaupten? Keineswegs. Es geht einzig und allein um die Partikularinteressen der drei großen Major Labels. Warum? Weil nur sehr wenige Werke 50 Jahre nach Erscheinen überhaupt noch kommerziell verwertet werden, nämlich die großen Hits. Die meisten anderen werfen schon nach einem Jahr keine nennenswerten Einnahmen mehr ab, erst recht jedoch nicht nach 50 oder gar 70 Jahren. Die angeblichen Mehreinnahmen werden einigen wenigen Stars und ihren Plattenfirmen zugutekommen. Und dafür nehmen Sie achselzuckend in Kauf, dass auch der ganze Rest fortan 20 Jahre länger hinter Schloss und Riegel bleibt. Wenn es Ihnen tatsächlich um Mehreinnahmen für die Künstler gegangen wäre, hätten Sie in Europa, als die EU über diese Richtlinie beraten hat, vorschlagen können, dass die Rechte an den Aufnahmen nach -spätestens 50 Jahren an die Künstler zurückgegeben werden sollen. Stattdessen steht drin, dass bereits bestehende Verträge sich automatisch auf die neue Schutzdauer von 70 Jahren verlängern. Wer also als Künstler seine Rechte abgetreten hat, ist sie jetzt automatisch für weitere 20 Jahre los, und er hat lediglich einen Anspruch darauf, in Höhe von 20 Prozent an den potenziellen Einnahmen beteiligt zu werden. Anders gesagt: Sie verlängern der Künstler und Künstlerinnen Rechte um 20 Jahre, um sie ihnen sogleich wieder zu entziehen, um sie den Major Labels zuzuschustern. Die Künstlerinnen und Künstler aber werden mit einer Beteiligung von 20 Prozent abgespeist, die dann erstmals nach 50 Jahren gezahlt werden muss. Sie sind wirklich tolle Kämpfer für die Rechte der Kreativen! Um von den Rechten der Nutzerinnen und Nutzer gar nicht erst zu reden, die jetzt 20 weitere Jahre lang keine Samples aus älteren Musikstücken für kreative Remixes verwenden dürfen. Zahlreiche Experten haben sich auf europäischer Ebene gegen diese Richtlinie ausgesprochen. Zugegeben, Sie haben in Deutschland jetzt keine Wahl, die Richtlinie muss in nationales Recht umgesetzt werden. Aber es ist auffällig, dass Sie es besonders eilig damit haben. Sie haben keine einzige Urheberrechtsreform umgesetzt, wollen aber schnell noch dieses Gesetz durchdrücken, bevor Sie abgewählt werden. Nach dem Motto „Lieber noch schnell eine schlechte Reform als gar nichts auf die Reihe bekommen“. Warten wir ab, ob die Wählerinnen und Wähler das auch so sehen. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf den ersten Blick bringt der vorliegende Gesetzentwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Ur-heberrechtsgesetzes wenig Aufregendes. Die Vorgaben der Europäischen Richtlinie 2011/77/EU vom 27. September 2011 ändern lediglich die Schutzfristen--Richtlinie 2006/116/EG und fordern von den Mitgliedstaaten eine entsprechende Anpassung nationalen -Urheberrechts. Europarechtlich ist dies ein gewollter und aus den Europäischen Verträgen resultierender Vorgang der fortschreitenden Vereinheitlichung der Europäischen Union. Wenden wir uns aber den Inhalten und den Änderungen im Urheberrecht zu, wird die Sache ungleich komplizierter. Die Schutznormen des Urheberrechts schützen das Persönlichkeitsrecht und das Verwertungsrecht der Kreativen, die Rechte der geistig schaffenden -Menschen an den von ihnen geschaffenen geistigen Werken. Insoweit ist das Urheberrecht dem Eigentumsrecht am Sach- und Rechtseigentum ähnlich und steht wie dieses in seinem Kern unter der Grundrechts-garantie von Art. 14 GG. Dabei geht es um nicht weniger als um die soziale Frage, ob Kreative das Recht haben sollen, von ihrer Arbeit zu leben, auch indem sie bestimmen, ob und unter welchen Bedingungen ihre Werke gehört, gesehen oder gelesen werden. Auch internationale Verträge, denen Deutschland schon vor Jahrzehnten beigetreten ist, und auch das Europäische Recht schützen das Urheberrecht der Urheberinnen und Urheber. Geistige Werke der Literatur und der Musik gehören aber auch und mit gleichem Anspruch auf Achtung zum geistigen Erbe von Kultur- und Sprachgemeinschaften, ohne dass einzelne Rechteinhaber dies reglementieren oder lizensieren dürften. Die Welt der -Kultur sähe arm aus, wenn Werke von Goethe oder Mozart nicht der Allgemeinheit gehören würden, wenn sie nicht gemeinfrei wären. Im Grundsatz weiß das Urheberrecht mit diesem Widerspruch umzugehen, indem es den Urheberrechtsschutz zeitlich beschränkt. Politisch strittig sind -deshalb weniger diese Schutzfristen als solche als vielmehr ihre genaue Dauer. Hierbei gilt es, zu beachten, dass verschiedene Schutzfristen durchaus unterschiedlich lange gelten und dass sie sich im Laufe der Zeit auch immer wieder erheblich geändert – meistens -verlängert – haben. Ein Urheberrecht, das den Urheberinnen und -Urhebern wie den ausübenden Künstlern zu ihren Lebzeiten fortlaufende Einnahmen aus der Verwertung -ihrer Werke sichert, findet unsere volle Zustimmung. Da jedoch in den meisten Fällen die Verwertung nicht von den Urhebern selbst vorgenommen, sondern an professionelle Verwerter übertragen wird, ist die Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen zwischen Urhebern und Verwertern von entscheidender Bedeutung für die Frage, ob die Schutzfristen wirklich den Urhebern oder vielmehr und ausschließlich nur den Verwertern nutzen. Schutzfristen über den Tod hinaus werden viel kritischer gesehen. Sie haben einerseits eine soziale Absicherungsfunktion gegenüber den Familienmitgliedern der Urheber und bilden oft den Hauptinhalt des Erbes, welches zweifelsohne unter gesetzlichem Schutz steht. Andererseits schwindet nach dem Tod der personale Bezug zwischen dem Urheber und seinem Werk, weshalb besonders Fristverlängerungen post mortem -problematisch sind. Bei alledem darf nicht übersehen werden, dass alle Schutzfristverlängerungen der Gemeinfreiheit neue Grenzen setzen, diese aber in Wissensgesellschaften von integraler Bedeutung ist. Schließlich wird die Durchsetzung der Urheberrechte in der Zeit einer fortschreitenden Digitalisierung und Globalisierung immer schwieriger und kollidiert mit datenschutzrechtlichen sowie bürgerrechtlichen Vorgaben. Deshalb sollte sich die parlamentarische Debatte des vorliegenden Gesetzentwurfs nicht auf den Umsetzungsaspekt europäischer Vorgaben beschränken. Wir sind der Gesetzgeber und müssen die von uns zu erlassenden Gesetze verantworten. Ich will nur zu bedenken geben, dass die Änderungen der Schutzfristenrichtlinie – worüber wir heute reden – auf Initiativen derjenigen -zurückgehen, die die Rechte an den Beatles-Liedern halten. Deshalb habe ich beim vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung vermisst, dass keine Ausführungen zu der Frage gemacht werden, wem konkret und in welchem Umfang die vorzunehmenden gesetz-lichen Änderungen nutzen und welche möglichen Schäden dem gegenüberstehen. Beim vorliegenden Gesetzentwurf geht es um die Dauer der Rechte an Musikkompositionen mit Text, die Dauer der Rechte ausübender Künstler an ihren auf Tonträger aufgenommenen Darbietungen und die Dauer der Verwertungsrechte der Hersteller von -Tonträgern. Zum ersten Punkt. Bisher erloschen die Rechte der Musiker und Texter unabhängig voneinander 70 Jahre nach dem Tod. Nunmehr wird die Regelung derjenigen für Miturheber und bei Filmwerken angeglichen; die Rechte erlöschen 70 Jahre nach dem Tod des Längst-lebenden. Zum zweiten Punkt. Bisher erloschen die Rechte ausübender Künstler auf Aufnahme, Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe ihrer Werke 50 Jahre nach dem ersten Erscheinen. Diese Frist wird um 20 Jahre verlängert; allerdings nur für Ton- und nicht für Bildaufnahmen. Einen Umsetzungsspielraum sehe ich insoweit nicht. Ob die unterschiedliche Behandlung von Ton- und Bildaufnahmen sinnvoll ist, müssen wir in den Beratungen noch diskutieren. Zum dritten und brisantesten Punkt. Das geltende Recht sichert den Herstellern von Tonträgern ein eigenständiges Leistungsschutzrecht zur Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Zugänglichmachung der Tonträger zu. Dieses Recht erlischt nach 50 Jahren; nun soll es um 20 Jahre verlängert werden. Ich will nicht verhehlen, dass mir diese Änderung richtig gegen den Strich geht und dass mich die neuen -Regeln zur Partizipation der Urheber an den Gewinnen der Tonträgerhersteller aus dieser Verlängerung nur schwer mit einem solchen Geschenk an die Ton-trägerindustrie zu versöhnen vermögen. Positiv ist -sicherlich, dass den Urhebern ein neues Kündigungsrecht zugestanden wird, auf welches die Urheber auch nicht verzichten können. Urheber brauchen solche unabdingbaren Schutznormen, weil sie in Verhandlungen meist in der wirtschaftlich schwächeren Position sind. Ich will zum Schluss auf einen möglicherweise problematischen Punkt hinweisen. Bei Aufzeichnungen von Darbietungen mehrerer ausübender Künstler, also bei Orchester-, Chor- oder Bandeinspielungen, bestimmt sich die Kündigung nach nationalem Recht. Wir werden prüfen müssen, ob dieses sich für Kündigungen eignet, die 50 Jahre nach der Einspielung auszusprechen ist. Eventuell werden wir hier noch Änderungsvorschläge zur Abstimmung vorlegen. Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Das Urheberrecht ist in aller Munde. Es wird gewöhnlich breit in der Öffentlichkeit diskutiert – und das meistens sehr kontrovers. Denn in den Debatten werden in der Regel sehr unterschiedliche Positionen vertreten, und die Aufgabe der Rechtspolitik ist, die unterschiedlichen Interessenlagen auszuloten und die Interessenskonflikte in Ausgleich zu bringen. Die Debatte im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf, den wir heute zu beraten haben, gab bisher wenig Anlass zu solch kontroversen Diskussionen. Denn mit dem vorliegenden Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2011 über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte in deutsches Recht umgesetzt werden soll. Die Umsetzung der Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber ist zwingend. Die gesetzgebe-rischen Spielräume sind dabei marginal. Der Regierungsentwurf beschränkt sich auf diejenigen gesetz-lichen Regelungen, die zur Umsetzung der Richtlinie zwingend erforderlich sind. Im Wesentlichen verlängert der Gesetzentwurf die Schutzdauer von Rechten der ausübenden Künstler und der Tonträgerhersteller. Ausübende Künstler und Hersteller von Tonträgern sollen aus folgenden Gründen einen längeren Schutz für ihre Leistungen erhalten: Ausübende Künstler beginnen ihre Laufbahn im Allgemeinen relativ jung, sodass ihre Darbietungen bei der derzeitigen Schutzdauer von 50 Jahren für Aufzeichnungen von Darbietungen gegen Ende ihres Lebens häufig nicht mehr geschützt sind. Gerade dann sind sie aber darauf angewiesen, noch Einkünfte aus der Verwertung ihrer Leistungen zu erzielen. Zukünftig wird sich die Schutzdauer daher an dem Schutz für Urheber orientieren. Entsprechend den Richtlinienvorgaben wird die Schutzdauer künftig 70 statt wie bisher 50 Jahre betragen. Die Richtlinie und ihr folgend der Regierungsentwurf beschränken sich jedoch nicht auf eine bloße Verlängerung der Schutzdauer. Denn mit der verlängerten Schutzdauer für Tonträger ist es den Tonträgerher-stellern länger als bisher möglich, die Tonträger kommerziell zu verwerten. Sie können also zusätzliche -Einnahmen generieren. Die Richtlinie und der Regierungsentwurf stellen sicher, dass die ausübenden Künstler an diesen zusätzlichen Einnahmen partizipieren, die Tonträgerhersteller wegen der verlängerten Schutzdauer zukünftig erwirtschaften werden. Dazu räumt der Regierungsentwurf dem ausübenden Künstler, der seine Rechte gegen eine Pauschalvergütung dem Tonträgerhersteller eingeräumt oder übertragen hat, für den Zeitraum der verlängerten Schutzdauer, das heißt für die Jahre 51 bis 70, einen zusätzlichen Vergütungsanspruch in Höhe von 20 Prozent der Einnahmen des Tonträgerherstellers ein. Dieser Vergütungsanspruch ist im Interesse des ausübenden Künstlers unverzichtbar und kann nur über eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden. Auch für den Fall, dass ein Übertragungsvertrag eine laufende Beteiligung des ausübenden Künstlers vorsieht, stellt der Regierungsentwurf die Teilhabe an den generierten Mehreinnahmen des Tonträgerher-stellers sicher: Für den Zeitraum der verlängerten Schutzdauer – das heißt für die Jahre 51 bis 70 – dürfen dann keine Abzüge von der Vergütung des ausübenden Künstlers vorgenommen werden. Der ausübende Künstler wird dadurch geschützt, dass der Regierungsentwurf ihm ein Kündigungsrecht einräumt für den Fall, dass der Tonträgerhersteller die Aufzeichnung seiner Darbietung während der verlängerten Schutzdauer nicht verwertet. Die Rechte fallen dann an den ausübenden Künstler zurück, und er kann diese anderen Verwertern anbieten oder selbst verwerten. Mit der Verlängerung der Schutzdauer leistet der Regierungsentwurf so einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Absicherung ausübender Künstlerinnen und Künstler. Künftig stehen ihnen die Einnahmen aus ihrer Arbeit für insgesamt 70 Jahre zur Verfügung. Ein weiterer wesentlicher Gegenstand der Umsetzung betrifft die Schutzdauer für Musikkompositionen mit Text. Die Richtlinie setzt für diese eine europaweit einheit-liche Schutzdauer von 70 Jahren fest. Dies setzt der Regierungsentwurf ebenfalls um. Die Richtlinie muss bis zum 1. November 2013 umgesetzt werden. Das parlamentarische Verfahren muss also noch vor der Sommerpause 2013 abgeschlossen werden, weil sonst Schadensersatzansprüche drohen. Der Bundesrat hat keinerlei Einwendungen gegen den Regierungsentwurf erhoben. Dies bestätigt für mich, dass die Bundesregierung einen rundum gelungenen Entwurf vorgelegt hat. Ich würde mich freuen, wenn dies von Ihnen genauso gesehen würde. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12013 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine anderweitigen Vorschläge. Dann verfahren wir so. Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der beruflichen Aus- und Weiterbildung in der Altenpflege – Drucksache 17/12179 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Haushaltsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Auch hier werden, wie vorgesehen, die Reden zu Protokoll genommen. Dorothee Bär (CDU/CSU): Die Lebenserwartung der Menschen in unserem Lande verlängert sich stetig und hat einen historischen Höchststand erreicht. Diese erfreuliche Entwicklung wird aber auch dazu führen, dass immer mehr Menschen im hohen Alter auf Pflege angewiesen sind. Heute sind es circa 2,4 Millionen, im Jahr 2030 werden es über 3,3 Millionen Menschen sein, die professionelle Pflege benötigen. Daher ist es eine der gesellschaftspolitisch wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre, dafür zu sorgen, dass ausreichend motivierte Fachkräfte für die Altenpflege gewonnen werden. Schon heute gehört die Altenpflege nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zu den Berufen mit dem größten Mangel an Fachkräften: Derzeit bewerben sich auf 100 offene Stellen nur noch 35 als Arbeit suchend gemeldete Altenpflegerinnen und Altenpfleger. Hier müssen wir entschieden gegensteuern und allen an der Altenpflegeausbildung Interessierten deutlich machen, dass die Altenpflege ein stark wachsender Dienstleistungssektor mit hervorragenden beruflichen Perspektiven ist. Zu diesem Zweck haben sich rund 30 Partner aus Bund, Ländern und Verbänden zusammengefunden und die „Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege“ auf den Weg gebracht. Zu den Partnern gehören neben der Bundesregierung die Länder und Kommunen, die Wohlfahrtsverbände, die Fach- und Berufsverbände der Altenpflege, die Bundesagentur für Arbeit, die Kostenträger und die Gewerkschaften. Ziel der Initiative ist es, die Ausbildungszahlen in der Altenpflege stufenweise bis zum Jahr 2015 um mehr als 30 Prozent zu steigern. Ziel ist es aber auch, Altenpflegefachkräfte im Beruf zu halten und die Attraktivität dieses Berufs zu steigern durch Verbesserung der beruflichen Rahmenbedingungen der Pflegekräfte in stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen. Zu den in der Initiative vereinbarten Maßnahmen gehören unter anderem die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Altenpflege, -attraktivere Arbeitsbedingungen – wozu auch die -Zahlung einer angemessenen Ausbildungsvergütung gehört –, die Förderung der gesellschaftlichen Bedeutung des Berufsfeldes durch Öffentlichkeitsarbeit sowie die bessere Nutzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union. Umgesetzt wurden bereits zwei Maßnahmen: Das beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben eingerichtete Beratungsteam Altenpflegeausbildung hat seine Arbeit aufgenommen und berät vor Ort in allen Regionen Deutschlands Pflegeeinrichtungen, Altenpflegeschulen sowie alle an der Altenpflegeausbildung Interessierten. Darüber hinaus organisiert es Ausbildungsverbünde und Netzwerke. Das Informationsportal www.altenpflegeausbildung.net informiert Interessierte über die Altenpflege. Mit dem heute vorgelegten Gesetzentwurf bringen wir zwei weitere Maßnahmen auf den Weg: Wir stärken erstens die bereits bestehenden Möglichkeiten zur Ausbildungsverkürzung und führen zweitens die Vollfinanzierung von nicht verkürzbaren Weiterbildungen zur Altenpflegekraft für eine befristete Zeit wieder ein. Zu 1: Bereits nach der geltenden gesetzlichen Regelung in § 7 Abs. 1 und 2 Altenpflegegesetz kann bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Ausbildungsdauer für den Beruf der Altenpflegerin oder des Altenpflegers verkürzt werden. Mit der nun vorgelegten Neuregelung wird bei Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung die Möglichkeit einer positiven Ver-kürzungsentscheidung gestärkt für im Berufsfeld -erfahrene Personen, wie zum Beispiel Altenpflegehelferinnen und Altenpflegehelfer sowie Krankenpflegehelferinnen und Krankenpflegehelfer. Die Verkürzung ist nur unter bestimmten Voraussetzungen – Gutachten durch den berufspsychologischen Service der Bundesagentur für Arbeit – möglich und erfolgt nur dann, wenn „die Durchführung der Ausbildung und die Erreichung des Ausbildungsziels“ nicht gefährdet wird. Zu 2: Umschulungen zur Altenpflegerin oder zum Altenpfleger sind eine wichtige Säule der Fachkräftesicherung in der Altenpflege. So können auch ältere und lebenserfahrene Menschen aus anderen Berufen für einen Beruf in der Altenpflege gewonnen werden. Viele Frauen, die sich nach der Familienphase neu orientieren, können sich eine Beschäftigung in der Pflege vorstellen. Daher ist es erfolgversprechend, verstärkt Menschen für die Altenpflege zu gewinnen, die sich wegen Arbeitslosigkeit oder aus anderen Gründen beruflich neu orientieren müssen und Interesse an diesem Berufsbild mitbringen. Mit den vorgelegten Änderungen im SGB II und SGB III werden die Bundesagentur für Arbeit oder das Jobcenter Umschulungen zur Altenpflegerin oder zum Altenpfleger, die zwischen dem 1. April 2013 und den 31. März 2016 beginnen, wieder für drei Jahre finanzieren: Neben den Weiterbildungskosten werden BA und Jobcenter auch das Arbeitslosengeld bzw. die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Bereich der Grundsicherung tragen. Nachdem am 13. Dezember 2012 mit der Unterzeichnung der „Ausbildungs- und Qualifizierungs-offensive Altenpflege“ der erste bundesweite Ausbildungspakt für den Bereich der Altenpflege gestartet wurde, leisten wir mit der Einbringung des vorliegenden Gesetzentwurfs einen weiteren wesentlichen -Beitrag zur Fachkräftesicherung in der Altenpflege. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen werden wir den Fehlbedarf an Pflegekräften deutlich reduzieren. Die Koalitionsfraktionen werden den Gesetzentwurf schnell verabschieden, damit für an einer Ausbildung oder Umschulung Interessierte Planungssicherheit geschaffen wird. Erwin Rüddel (CDU/CSU): Es ist ein Grund zur Freude, dass dank der gestiegenen Lebenserwartung die Chance auf ein langes Leben heute so hoch wie nie zuvor in der menschlichen Geschichte ist. Dies gilt auch für die Menschen in Deutschland. In der Folge werden allerdings auch immer mehr von ihnen im Alter auf Pflege angewiesen sein. Bis 2030 wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland voraussichtlich um 40 Prozent auf dann 3,4 Millionen anwachsen. Bereits heute fehlen in den Pflegeberufen Fachkräfte. Auf 100 offene Stellen im Pflegebereich kamen zuletzt nur 37 Fachkräfte, die eine entsprechende Tätigkeit suchten. Die Bundesagentur für Arbeit hat soeben neue Zahlen zum Fachkräftemangel in den Gesundheits- und Pflegeberufen vorgelegt. Danach hat sich die Lage vor allem in der Altenpflege in den vergangenen Monaten sogar verschlechtert: Freie Stellen bleiben danach im Bundesdurchschnitt 124 Tage unbesetzt, und auf 100 gemeldete Stellen kommen nur noch rund 35 Arbeitslose. Betroffen von dieser Entwicklung sind alle Bundesländer. Dieser gefährlichen Tendenz tritt die Bundesregierung jetzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Stärkung der beruflichen Aus- und Weiterbildung in der Altenpflege wirksam entgegen. Sie setzt damit eine wesentliche Maßnahme im Rahmen der „Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive“ um, auf die sich im Dezember vier Bundesministerien, die Bundesländer sowie die Bundesagentur für Arbeit und zahlreiche Verbände und Organisationen verständigt haben. Ein besonderes Verdienst beim Zustandekommen dieser Initiative zur Sicherung des Fachkräftebedarfs in der Altenpflege kommt der hierbei federführend zuständigen Frau Bundesministerin Schröder zu, der ich namens meiner Fraktion für ihre geduldigen und beharrlichen Bemühungen ausdrücklich danken möchte. Ich denke, wir alle hier in diesem Hause sind uns einig, wenn ich feststelle: Wir brauchen mehr Altenpflegerinnen und Altenpfleger! Und: Unser Ziel sind gut ausgebildete und motivierte Fachkräfte! Mit dem Startschuss für die „Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege“ und dem vorliegenden Gesetzentwurf unternehmen wir einen entscheidenden Schritt, um dem wachsenden Bedarf an guten Fachkräften in den kommenden Jahren gerecht zu werden: Wir wollen bis 2015 die Ausbildungszahlen stu-fenweise um jährlich 10 Prozent steigern und bis zu 4 000 Pflegehelferinnen und Pflegehelfer nachqualifizieren. Die dreijährige Umschulungsförderung durch die Bundesagentur für Arbeit wird befristet wieder eingeführt. Bei entsprechenden Vorkenntnissen ist auch eine verkürzte Ausbildungszeit möglich, das heißt, bereits erworbene Qualifikationen oder Berufserfahrungen können auf eine Aus- und Weiterbildung angerechnet werden. Mit dem Start der neuen Offensive geht eine intensive Information und Beratung vor Ort in Pflegeeinrichtungen und Altenpflegeschulen in allen Regionen Deutschlands einher. Parallel dazu wurde bereits das neue Informationsportal www.altenpflegeausbildung.net freigeschaltet. Der Gesetzentwurf soll zügig umgesetzt werden, damit die Regelungen noch vor dem neuen Ausbildungsjahr in Kraft treten können. Zu den notwendigen Maßnahmen gehören auch die verbesserte Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen im Pflegebereich und die Wahrnehmung der Chancen, die sich aufgrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU bieten. Ich füge ausdrücklich hinzu: Die hohen Qualitätsanforderungen an die Ausbildung in einem Gesundheitsfachberuf bleiben selbstverständlich auch künftig gewahrt. Ganz wichtig für den Erfolg des gesamten Vorhabens ist natürlich, dass die Bundesländer künftig ausreichend Schulungsplätze zur Verfügung stellen. Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften wird angesichts der sich abzeichnenden demografischen Entwicklung weiter zunehmen. Das bedeutet andererseits aber auch, dass die Altenpflege ein stark wachsender Dienstleistungssektor ist, der hervorragende und sichere berufliche Perspektiven bietet. Das breite Bündnis für eine bundesweite Offensive im Bereich der Altenpflege macht nun den Weg frei für Zehntausende von neuen Auszubildenden und Umschülern. Das gibt uns die Zuversicht, dass wir dem drohenden Mangel an Pflegekräften wirksam werden begegnen können. Jetzt geht es darum, die vorgesehenen Schritte rasch umzusetzen, aber auch darum, die Pflege durch gute Bezahlung und gesellschaftliche Achtung noch attraktiver zu machen. Das Thema Pflege ist mit Sicherheit eine der größten gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen der kommenden Jahre. Der vorliegende Gesetzentwurf weist deshalb die Richtung. Denn gute Pflege benötigt vor allem gut ausgebildete und motivierte Fachkräfte. Petra Crone (SPD): Der Anteil der Hochaltrigen in Deutschland wird größer. Zur Bewältigung der ambulanten und stationären Nachfrage benötigen wir gut ausgebildetes, motiviertes und engagiertes Pflegepersonal. Um den Beruf des Altenpflegers bzw. der Altenpflegerin generell für Männer und Frauen attraktiver zu gestalten, sind angemessene Arbeitsbedingungen für eine körperlich und seelisch kräftezehrende Arbeit absolut notwendig: Altenpflegerinnen und Altenpfleger sollten flexibler als bisher zwischen ambulanter und stationärer Beschäftigung wechseln können. Eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine alters- und -alternsgerechte Arbeitsumgebung ist dabei ebenso überfällig wie die grundsätzliche Finanzierung von drei Umschulungsjahren durch die Bundesagentur für Arbeit. Ich begrüße daher die nun vereinbarte Übernahme der kompletten Umschulungskosten durch die Bundesagentur für Arbeit. Zur Gewinnung von mehr Fachkräften ist die Finanzierung von drei Umschulungsjahren durch die Bundesagentur für Arbeit ein wichtiger Baustein. Denn die Menschen brauchen eine verlässliche, nachvollziehbare und zukunftssichere Bezahlung. Seit Jahren machen wir Sozialdemokraten daher Werbung für eine generelle Finanzierung der Umschulung durch die BA. Umso mehr freuen wir uns über die Bereitschaft der Bundesregierung, unsere Forderung umzusetzen. In der nun vereinbarten Befristung dieser dreijährigen Finanzierung bis Ende 2015 und der Vorgabe, dass Vorkenntnisse zu einer Verminderung der regulären Ausbildung auf zwei Jahre führen, sehe ich allerdings die Gefahr einer Qualitätseinbuße. Hier wird eine gemeinsame Kraftanstrengung weiterhin nötig sein, um eine solche zu verhindern. Daher stimme ich der Vorwegnahme im Gesetzentwurf zu, die Verkürzung nur nach einer mindestens zweijährigen Berufserfahrung im Bereich Pflege und Betreuung und nach einer zusätzlichen Kompetenzprüfung zuzulassen. Bund, Länder und Gemeinden haben sich zusammengeschlossen, mit der „Ausbildungs- und Qualitäts-offensive Altenpflege“ möglichst schnell einem drohenden Fachkräftemangel entgegenzutreten. Sie wollen die Zahl der Auszubildenden um 10 Prozent pro Jahr steigern. Dem kann ich mich nur anschließen; daran arbeiten wir gemeinsam. Die Zeichen zur Berufsanerkennungsrichtlinie aus Brüssel sind eindeutig positiv zu werten. Denn einer Zusammenlegung der Pflegeausbildungen im Bereich Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege steht nun deutlich weniger im Wege. Auch künftig – und völlig zu Recht – sind Abgänger von Haupt- und Realschulen willkommen als Auszubildende im Pflegesektor. Dennoch blieb die Bundesregierung bislang eine Antwort schuldig, wie sie eine weitere Abwertung der Altenpflege verhindern will. Der seit vielen Monaten angekündigte Gesetzentwurf zur Zusammenlegung der drei Pflegeausbildungen in eine neue generalisierte Ausbildung liegt noch nicht vor. Zusätzlich sollten ausbildende Einrichtungen den Mehraufwand einer Ausbildung nicht allein tragen müssen. Nicht ausbildende Einrichtungen sollten an der Finanzierung der Ausbildung und Ausbildungsvergütung beteiligt werden. Einige Länder haben hier bereits gute Lösungen erarbeitet. Alle Punkte zusammen unterstützen das Image der Altenpflege. Das Geld für das dritte Umschulungsjahr ist gut angelegt. Die BA ist zudem derzeit durch eigene Überschüsse in der Lage, diesen Bedarf zu decken. Nicole Bracht-Bendt (FDP): Durch den Anstieg der Zahl Älterer und Hochbetagter und die Zunahme der Zahl Pflegebedürftiger haben sich auch die Erwartungen und Bedingungen auf dem Pflegemarkt verändert. Die Altenpflege hat an Bedeutung zugenommen. Der hohe Bedarf an qualifizierten Altenpflegern und Altenpflegerinnen geht jedoch einher mit einem Mangel an qualifiziertem und motiviertem Personal; denn Altenpflege gilt als ein besonders belastendes Berufsfeld. Gute Pflege kann aber nicht ohne eine ausreichende Zahl qualifizierter und motivierter Pflegekräfte gewährleistet werden. Bis 2030 wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland voraussichtlich um 40 Prozent ansteigen. In Zahlen ausgedrückt heißt das, 3,4 Millionen Menschen werden auf Pflege angewiesen sein. Wir müssen die Herausforderungen des demografischen Wandels annehmen. Deshalb bin ich froh, dass wir die Offensive als Bund gemeinsam mit den -Ländern, verschiedenen Verbänden und Kostenträgern gestaltet haben. Dem Gesetzentwurf der Koalition liegt, wie Sie wissen, eine Vereinbarung zur „Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege“ -zugrunde, die von rund 30 Partnern aus Bund, Ländern und Verbänden unterzeichnet wurde. Dass die Pflege von alten und kranken Menschen nicht nur körperlich anstrengend ist, sondern auch psychisch, können wir nicht ändern. Wir können wohl aber Männer und Frauen, die in der Pflege ihren Beruf – und vielleicht auch ihre Berufung – sehen, unterstützen. Und darauf zielt der Gesetzentwurf. Mit der Qualifizierungsoffensive wollen wir die Ausbildungszahlen im Bereich Altenpflege in den nächsten drei Jahren um 30 Prozent steigern. Die -Koalition sichert mit den Maßnahmen des Gesetzentwurfs die Aus- und Weiterbildungsförderung in der -Altenpflege – und das auf hohem Niveau. Unser Ziel ist es, die Ausbildungszeit zu verkürzen und gleichzeitig die Vollfinanzierung des dritten -Weiterbildungsjahres zur Altenpflegerin oder zum -Altenpfleger durch die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter zu sichern. Dies kommt berufserfahrenen und älteren Menschen zugute, die umschulen möchten, aber auch den rund 4 000 Altenpflegehelferinnen und -helfern, die sich zur Fachkraft weiterbilden wollen. Das ist eine großartige Sache. Deshalb ist die Offensive für mehr Pflegekräfte nicht nur eine Verbesserung für die Pflegebedürftigen. Sie ist auch eine Chance für Frauen und Männer, die beruflich noch einmal durchstarten wollen. Die Offensive zur Sicherung der Fachkräfte in der Altenpflege ist zugleich eine gute Chance, den qualifizierten und motivierten Altenpflegerinnen und Altenpflegern im gesellschaftlichen Ansehen mehr Würdigung ihrer Arbeit zukommen zu lassen. Dies kann der Staat allerdings nicht per Gesetz verordnen. Hier ist die Gesellschaft insgesamt gefordert. Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Der heute in erster Lesung debattierte Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der beruflichen Aus- und Weiterbildung der Altenpflege setzt zwei Punkte der kürzlich beschlossenen Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege um. Die Linke begrüßt diese Offensive ausdrücklich, auch wenn sie reichlich spät auf den Weg gebracht wurde, gemessen an der Dringlichkeit, welche uns der hausgemachte Fachkräftemangel in der Altenpflege auferlegt. Zum einen werden mit dem Gesetz die Möglichkeiten der Ausbildungsverkürzung im Rahmen der beruflichen Weiterbildung festgeschrieben. Zum anderen soll endlich die Finanzierung des dritten Umschulungsjahres in der Altenpflege wieder durch die Bundesagentur für Arbeit übernommen werden. Schnell wird also klar, dass es sich hierbei nur um den Startschuss der Bundesregierung im Kampf gegen den Fachkräftemangel in der Altenpflege handeln kann, ja, handeln darf. Die Linke hat immer wieder darauf gedrängt, dass die Finanzierung des dritten Umschulungsjahres erneut von der Bundesagentur finanziert wird, und deshalb sind wir auch froh, dass sich die Bundesregierung hier endlich bewegt. Doch es bleibt fragwürdig, weshalb die Befristung nur auf magere drei Jahre festgesetzt wird. Das ist zu wenig, auch wenn arbeitsmarktpolitische Aktivitäten kein dauerhaftes Instrument sein sollten und im Bereich der Altenpflegeausbildung insbesondere auch Aktivitäten der Bundesländer gefragt sind. Hat denn die christlich-liberale Koalition keine Lehren aus der zeitlichen Begrenzung gezogen? Bereits mit dem Konjunkturpaket II wurde, für zwei Jahre befristet, die Umschulung in der Kranken- und Altenpflege über die gesamte Ausbildungsdauer von drei Jahren gefördert. Das Ergebnis: Nachdem im Förderzeitraum die Umschulungen im Bereich der Altenpflege einen beachtlichen Umfang angenommen hatten, nahm deren Zahl mit dem Auslaufen der Finanzierung wieder deutlich ab. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen zudem, dass weder eine verlässliche Finanzierung der Altenpflegeausbildung landesweit auf den Weg gebracht wurde, noch die Förderung des dritten Umschulungsjahres dauerhaft gesichert werden konnte. Da also auch in den kommenden drei Jahren nicht zu erwarten ist, dass die Finanzierung der Altenpflegeausbildung bzw. des dritten Umschulungsjahres auf ein langfristig tragfähiges Fundament gestellt werden, muss diese Maßnahme nach Auffassung der Linken so lange entfristet werden, bis eine vernünftige Finanzierungsgrundlage gefunden ist. Zumindest aber sollte die Befristung wenigstens deutlich verlängert werden. In der Gesamtschau zum Thema Pflegeausbildung ist es ohnehin ein trauriger Befund, dass das von der schwarz-gelben Regierungskoalition versprochene neue Pflegeberufegesetz noch immer auf sich warten lässt. Bereits vor drei Jahren wurde hierfür eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe durch die Bundesregierung ins Leben gerufen. Diese legte ein Eckpunktepapier Anfang März 2012 vor, und seitdem ruht still der See. Der Knackpunkt ist auch hier die Finanzierung, und deshalb kann mit einer Umsetzung in dieser Legislatur definitiv nicht mehr gerechnet werden. Mein Befund: Versprechen gebrochen! Bereits im Sommer 2011 hat die Linke dagegen die Koordinaten für eine Reform der Pflegeausbildung auf den Tisch gelegt. Eine gute Pflegeausbildung allein bringt wenig; denn ohne attraktive Pflegeberufe mit guten Arbeitsbedingungen und einer attraktiven -Bezahlung wird sich niemand für die beste Pflegeausbildung der Welt interessieren. Für eine gute Pflegeausbildung setzt die Linke auf die Integration der Pflegeberufe. Wir wollen eine dreijährige duale Berufsausbildung mit einer zweijährigen einheitlichen Grundausbildung und einer anschließenden einjährigen Schwerpunktsetzung in allgemeiner Pflege, Kinderkrankenpflege oder Altenpflege mit gleichwertigen Berufsabschlüssen. Die Wechselmöglichkeit während der Ausbildung muss gegeben sein. Schmalspurpflegeausbildungen erteilt die Linke eine Absage. Zentraler Bestandteil des linken Pflegeausbildungskonzepts ist es, die Durchlässigkeit im Bildungssystem zu gewährleisten. Einschlägige Pflegestudiengänge müssen ohne zusätzliche Hochschulzugangsberechtigung auf der Grundlage der bewährten dreijährigen Berufsausbildung möglich sein. Für Sicherheit und Qualität der integrierten Pflegeausbildung sorgt die Verankerung im Berufsbildungsgesetz. Darüber hinaus gibt es noch reichlich zu tun, um den Fachkräftemangel in der Altenpflege zu bewältigen und die pflegerische Versorgung in Zukunft zu -sichern. Hierzu gehört neben einer verlässlichen -Finanzierung der Pflegeausbildung über eine Ausbildungsplatzumlage beispielsweise auch die grund-sätzliche Etablierung eines bundeseinheitlichen Personalbemessungsinstruments, welches sich am tatsächlichen pflegerischen Bedarf orientiert. Die Linke wird jedenfalls das Engagement der Bundesregierung im Rahmen der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive und darüber hinaus weiter wachsam und kritisch und über die Bundestagswahl 2013 hinaus begleiten und, wenn nötig, der Bundesregierung gehörig auf die Finger klopfen, damit Pflege in Deutschland eine sichere Zukunft hat. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf diesen Gesetzentwurf haben wir lange warten müssen, sehr lange. Wir begrüßen es, dass die Bundesagentur für Arbeit ab April nun wenigstens für drei Jahre wieder die vollständige Finanzierung von nicht verkürzbaren Weiterbildungen zur Altenpflegefachkraft übernimmt. Vielleicht verrät uns die Bundesregierung bei dieser Gelegenheit aber einmal, warum sie für diesen unaufwendigen Gesetzentwurf so lange gebraucht hat? Im letzten Sommer – und schon das war viel zu spät – wurde uns dieses Gesetz versprochen. Jetzt erst legen Sie es vor. Ab April soll die Regelung gelten. Ein Dreivierteljahr vergeht also vom Versprechen bis zur Umsetzung. Die schwarz-gelbe Koalition hat aber nicht nur dieses Dreivierteljahr tatenlos verplempert. Das gesamte Jahr 2011 und das Jahr 2012 sind für die Umschulung zur Altenpflegekraft vollständig verloren gegangen. Entsprechend ist die Zahl der Weiterbildungsmaßnahmen in dieser Zeit im Schnitt um etwa 40 Prozent zurückgegangen. Die Bundesregierung sollte sich jetzt also mit allzu viel Eigenlob zurückhalten. Sie tut gerade das, was nötig ist – nicht mehr. Und sie tut es viel zu spät. Außerdem sollte Schwarz-Gelb die Kirche im Dorf lassen. Die Aussage, die wir am Dienstag in einer Pressemitteilung der CDU/CSU-Fraktion lesen durften – „Wir sorgen für genügend Fachkräfte in der Altenpflege“ – ist doch reichlich übertrieben. In der Pressemitteilung heißt es weiter, die Koalition wolle die Ausbildungszahlen in den nächsten drei Jahren um 30 Prozent steigern. Zum einen bleibt das erst einmal abzuwarten. Zum anderen dürfte wohl allen klar sein, dass auch das viel zu wenig ist, um dem schon bestehenden Fachkräftemangel in der Altenpflege auch nur ansatzweise zu begegnen. Es gibt Schätzungen, die den Bedarf schon heute auf etwa 30 000 Fachkräfte schätzen. Das Statistische Bundesamt gibt an, dass wir bis zum Jahr 2025 110 000 zusätzliche Vollzeitstellen in der Pflege besetzen müssen. Angesichts dessen liegt es nahe, dass die Förderung der Umschulung ein richtiger Schritt, aber sicherlich nicht die Lösung des gesamten Problems ist. Nun werden die Kolleginnen und Kollegen der -Koalitionsfraktionen einwenden, es sei doch aber im letzten Dezember die gemeinsame „Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege“ von Bund, Ländern und Verbänden vereinbart worden. Das ist richtig. In der Offensive steht durchaus vieles, was wichtig wäre. So ist es gut, dass alle Bundesländer die Einrichtung einer Ausbildungsumlage prüfen wollen. Zu prüfen heißt natürlich noch lange nicht, dass es auch gemacht wird. Auch ist es richtig, dass endlich Modellprojekte zur Übertragung heilkundlicher Aufgaben auf Pflegekräfte gestartet werden sollen. Es gäbe noch weitere Beispiele. Nur, bisher existiert diese Offensive erst einmal nur auf dem Papier. Absichtserklärungen sind noch keine Taten. Des Weiteren fällt auf, dass die Bundesregierung sich in der gesamten Offensive doch sehr vornehm mit eigenen Aktivitäten zurückhält. Das beschränkt sich vor allem auf Kampagnen und die Aushändigung von Informationsmaterial. Ja, Sie legen nun dieses Gesetz vor, in Ordnung. Doch ansonsten: außer Spesen nichts gewesen. Fakt ist, diese Bundesregierung erledigt in der Pflegepolitik ihren Job nicht. Sie hat schlicht versagt. Und dieses Gesetz reißt es bestimmt nicht raus. Schwarz-Gelb hat vieles angekündigt, so auch einen neuen Pflegebegriff. Nichts haben Sie dazu auf die Reihe bekommen. Ein neuer Pflegebegriff ist auch für die Pflegekräfte wichtig; denn damit wollen wir doch wegkommen von der sogenannten Minutenpflege, unter der nicht nur die Pflegebedürftigen, sondern auch die Beschäftigten leiden. Mit Ihrer kümmerlichen Pflegereform – dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz, kurz: PNG – richten Sie gar nichts neu aus, sondern nur eine Menge an, auch für das Pflegepersonal. Schwarz-Gelb redet großspurig von der Attraktivitätssteigerung der Pflegeberufe. Was aber haben Sie mit dem PNG gemacht? Sie haben die Kopplung der Zulassung von Pflegeeinrichtungen an die „ortsübliche Vergütung“ abgeschafft. Das gefährdet die Lohnstruktur in der Altenpflege und droht zu einem Wettbewerb der Billigheimer nach unten zu führen. Familienministerin Kristina Schröder hat ihr Familienpflegezeitgesetz auf den Weg gebracht. Ein einziger Reinfall, wie erste Zahlen, die in den Medien gelandet sind, belegen: Keine 200 Personen haben die Familienpflegezeit bisher in Anspruch genommen. Ohne Rechtsanspruch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann das auch nicht funktionieren – so auch nicht für Beschäftigte in der Pflegebranche. Was die Pflegekräfte bzw. Einrichtungen brauchen, ist ein Personalbemessungsinstrument, um die Personalsituation in den Einrichtungen objektiv bewertbar zu machen und auf dieser Basis dann dauerhaft verbessern zu können. Sie müssen von unnötiger, zeitraubender Bürokratie entlastet werden. Die Pflege braucht insgesamt ein durchlässiges Ausbildungssystem, das allen Karrierechancen eröffnet – von der Hilfskraft bis hin zur Leitungsperson oder Fachkraft mit Hochschulausbildung. Nichts von alledem ist passiert oder auch nur angeschoben worden. Das ist schwarz-gelbe Pflegepolitik. Von Verbesserungen für die Pflegekräfte – geschweige denn für die Pflegebedürftigen – nicht der Hauch einer Spur. Abschließend noch ein kritisches Wort zum Gesetzesinhalt an sich. Auch für Personen, die eine zweijährige Vollzeitbeschäftigung in einer Pflegeeinrichtung vorzuweisen, aber keine Ausbildung haben, soll die Weiterbildung verkürzt werden können. Durch ein „Kompetenzfeststellungsverfahren“ soll festgestellt werden, ob diese Vorerfahrungen ausreichen, um die Ausbildung um bis zu ein Jahr zu verkürzen. Die Bundesländer sollen diese Verfahren ausgestalten. Immerhin wird dieses Verfahren dazwischengeschaltet. Ansonsten hätte man doch sehr stark den Verdacht hegen müssen, dass hier auf Kosten der Qualität vor allem Geld gespart werden soll. Dennoch öffnet sich hier ein Fenster, auch nicht geeignete und/oder nicht ausreichend vorqualifizierte Personen im Eiltempo durch die Umschulung zu schleusen. Wir können nur hoffen, dass die Länder der Qualität der Ausbildung absolute Priorität einräumen. Es bleibt allerdings unklar, wie und durch wen genau diese Verfahren ausgestaltet werden und inwieweit dabei auf pflegefachliche Expertise zurückgegriffen wird. Zum anderen sollten die Verfahren möglichst zwischen den Ländern abgestimmt werden, damit nicht jedes Land nach anderen Kriterien vorgeht. Wir werden dies sehr genau beobachten. Kurzum: Dieses Gesetz ist überfällig. Schwarz-Gelb sollte sich jedoch nicht allzu viel darauf einbilden. Es wird bei weitem nicht ausreichen, einige Menschen mehr von einer Aus- bzw. Weiterbildung zu überzeugen, um die Altenpflege aus ihrer Fachkräftemisere zu befreien. Der Pflegeberuf muss insgesamt attraktiver werden. Dafür aber tut Schwarz-Gelb nichts. Das pflegepolitische Versagen dieser Koalition wird durch dieses Gesetz sicherlich nicht ausgewetzt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/12179 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Es gibt keine anderweitigen Vorschläge. Dann verfahren wir so. Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Drucksache 17/12036 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Interfraktionell ist vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.10 – Sie sind damit einverstanden. Es wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/12036 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Anderweitige Vorschläge gibt es nicht. Dann verfahren wir so. Tagesordnungspunkt 32: Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria Michalk, Karl Schiewerling, Paul Lehrieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Molitor, Dr. Heinrich L. Kolb, Sebastian Blumenthal, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen – Drucksache 17/12180 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Haushaltsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll gegeben. Maria Michalk (CDU/CSU): Es gibt in unserem Land zunehmend mehr Arbeitgeber, die sich mit der Erwartung auseinandersetzen, Menschen mit Behinderung auf dem regulären Arbeitsmarkt einzustellen. Das geschieht vielleicht aus persönlicher Betroffenheit, weil sie die verzweifelte Suche eines schwerbehinderten Arbeitsuchenden nach einem Job in der Familie oder im Umfeld erleben. Das -geschieht auch aus sozialer Verantwortung; denn die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist ein Wert an sich und gehört zu unserer freiheitlichen Grundordnung. Das geschieht vielleicht auch aus der wettbewerbsrechtlichen Notwendigkeit, einfache Arbeiten aus Kostengründen nicht von hoch spezialisierten Fachkräften erledigen zu lassen. Das geschieht vielleicht auch aus der Erkenntnis, dass durch die Herausforderung des drohenden Fachkräftemangels die bisherige Denkweise abgelegt werden muss. Es gibt wirklich bereits viele, viele positive Beispiele auf dem Weg zu einer inklusiven Arbeitswelt. Ja, selbst die Tatsache, dass viele Menschen mit einer -Behinderung ihren eigenen Betrieb gegründet haben, -Arbeitskräfte einstellen und so selbst als Unternehmer ein Beispiel von uneingeschränkter Qualitätsarbeit, Termintreue, Flexibilität, Leistungsfähigkeit und Kreativität sind, bleibt in der öffentlichen Wahrnehmung verborgen. Was jedoch immer wieder thematisiert wird, ist das sogenannte Freikaufen der Unternehmen durch Zahlung der gesetzlichen Ausgleichsabgabe. Und weil die angebotenen Arbeitsplätze nicht ausreichend sind – das beweist die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten –, ist die Forderung nach mehr Sanktionen und einer höheren Ausgleichsabgabe nicht zu überhören. Die Frage aber ist doch, ob mit einer stärkeren Sanktionierung einer nicht eingetretenen Erwartung die Einstellung und die Grundhaltung der Unternehmen hinsichtlich einer stärkeren Einstellungspraxis von Schwerbehinderten verändert wird. Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion glauben das eher nicht, sondern setzen auf Anreize, auf Gespräche, auch auf Inklusionsvereinbarungen in den Betrieben, auf mehr gegenseitiges Verständnis und auf verantwortungsvolle Personalentscheidungen durch mehr Sensibilität. Vertrauen – Zutrauen – Getrauen: So hat ein Unternehmer seine Einstellung zu diesem Thema beschrieben. Ich finde, das ist eine vorbildliche Haltung. Solche positiven Beispiele sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es noch viel zu tun gibt. Das Thema ist aufzugreifen. Dazu dient der Antrag der -Koalitionsfraktionen. Wir zeigen darin auf, welche Unterstützungsmöglichkeiten für eine erfolgreiche Teilhabe am Arbeitsleben es bereits gibt. Es sind nicht nur die technischen Hilfen am Arbeitsplatz, die Beratungsleistungen der Integrationsfachdienste, die Rehabilitationsmöglichkeiten bzw. Weiterbildungsangebote der Bundesagentur für Arbeit, das Instrument der unterstützten Beschäftigung oder die sozialpädagogische Begleitung zur Unterstützung während der Einarbeitungsphase, sondern auch die modellhafte Erprobung von Maßnahmen, wie das „Budget für Arbeit“ oder das Modellprojekt „Inklusion“. Die Zahl schwerbehinderter Menschen wird in den kommenden Jahren infolge des demografischen Wandels zunehmen. Und nicht zu verkennen ist die Tatsache, dass auch während eines Arbeitslebens durch eine schicksalhafte Erkrankung oder einen Unfall aus dem bisherigen Arbeitnehmer ein schwerbehinderter Mitarbeiter wird. Hier gilt es, auch ihm die Arbeitsbedingungen und die Rehabilitation bzw. Wiedereingliederung so zu gestalten, dass Teilhabe am Arbeitsleben möglich bleibt. Es geht also sowohl um Weiterbeschäftigung eines Mitarbeiters mit einer Behinderung als auch um Neueinstellungen. Das Bewusstsein dafür müssen noch viel stärker als bisher die Unternehmen mit ihren Personalabteilungen, der Einzelunternehmer, aber ebenso auch die Mitarbeiterschaft und die Kolleginnen und Kollegen des jeweils betroffenen Menschen mit einer Behinderung entwickeln. Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert in Art. 27 eine gleichberechtigte Teilhabe. Der Arbeitsmarkt muss Menschen mit Behinderung offen stehen und ihnen individuelle Möglichkeiten bieten, ihre beruflichen Ziele selbstbestimmt verfolgen zu können. Der Arbeitsmarkt ist aber kein anonymes Gebilde, -sondern wird bestimmt von Personen, die sich für die Sache einsetzen oder auch nicht. Um das Letztere zu vermeiden, setzen wir uns nicht für einen gesetzgeberischen Aktionismus ein, sondern werben für die Einsicht, auf diesem Feld noch mehr zu tun, ohne sich bedrängt zu fühlen. Wenn es nicht zur Herzenssache vieler Unternehmungen wird, wird auch eine erhöhte Ausgleichsabgabe die Einstellung nicht ändern. Trotzdem macht es Sinn, hin und wieder die bestehenden Instrumente auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Gleichwohl betonen wir in unserem Antrag auch, dass es immer Situationen und Einzelschicksale durch bestimmte Erkrankungen bzw. Mehrfachbehinderungen geben wird, die auch in Zukunft das Vorhalten von geschützten Räumen zum Arbeiten und Wohnen notwendig machen. Das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderung zwischen einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen und alternativen Leistungserbringern ist und bleibt ein zentrales Anliegen. Diese Möglichkeiten, Außenarbeitsplätze in -Betrieben zu schaffen oder Betriebspraktika zu gewähren, um den Sprung aus der Werkstatt auf den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen, sind noch nicht ausgeschöpft. Deshalb macht es Sinn, differenzierte Daten zur -Situation von Menschen mit Behinderung auf dem -Arbeitsmarkt vorzulegen. Es fehlen uns als Beispiel aussagekräftige Daten zur unterschiedlichen Situation von Männern und Frauen. Wir möchten, dass viel stärker als bisher bereits in der Phase der Berufsorientierung in den Förderschulen die Möglichkeiten auf dem ersten Arbeitsplatz zur Sprache kommen und genutzt werden. Viel konsequenter als bisher muss das Persönliche Budget für die berufliche Bildung genutzt werden. Flexible Sachleistungen für Leistungsempfänger mit hohem Unterstützungsbedarf sind angesagt; denn es geht jeweils um eine sehr individuelle konkrete -Situation. Deshalb ist die Einbeziehung der Schwerbehindertenvertrauenspersonen kein Element für Inflexibilität, vielmehr ein Zeichen von Vertrauen und Verständnis füreinander, um die jeweils beste Lösung zu finden. Mit guten Beispiel vorangehen, miteinander in Erfahrungsaustausch treten, Vorurteile ablegen und mutig auch mal neue Wege gehen: Das ist die Botschaft, die von diesem Antrag ausgehen soll. Wir brauchen die Bereitschaft aller, sich aufeinander einzulassen. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Trotz Euro-Krise ist die Arbeitslosenzahl in Deutschland im Jahr 2012 auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung gesunken. Bei der Beschäftigungsquote konnte trotz eines schwierigen wirtschaftlichen Umfelds ein Rekordstand verzeichnet werden. Doch bei weitem nicht alle Menschen in unserem Land konnten von dieser erfreulichen Entwicklung profitieren. Zwar wissen mittlerweile viele Unternehmen, dass Menschen mit Behinderungen hochmotivierte und leistungsfähige Arbeitnehmer sind, und profitieren von ihren Fähigkeiten; aber dennoch finden viele von ihnen ohne zusätzliche Hilfe keine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt. Der Ihnen vorliegende Antrag „Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen“ ist auf Initiative von Maria Michalk – der Beauftragten für Menschen mit Behinderungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion – in enger Abstimmung mit unserem Koalitionspartner FDP und Hubert Hüppe – dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen – erarbeitet worden. Er nimmt Menschen mit Behinderungen in den Blick und möchte ihnen den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt erleichtern und ermöglichen. Gerade in Anbetracht des drohenden Fachkräftemangels müssen wir dafür Sorge tragen, die Vorbehalte und Barrieren in den Köpfen der Arbeitgeber abzubauen, um behinderten Menschen eine Chance zu geben. Qualifizierte Arbeitskraft wird immer mehr zu einem kostbaren Gut. Trotzdem sind viele der aktuell arbeitslosen Behinderten in diesem Land trotz ihrer fachlichen Qualifikation und Fähigkeiten zum Teil schon lange arbeitslos. Oftmals mangelt es potenziellen Arbeitgebern an Informationen hinsichtlich der Kompetenzen und Qualifikationen von Arbeitnehmern mit Behinderung; Fördermöglichkeiten zur beruflichen Eingliederung sind ihnen meist nicht hinreichend bekannt. Doch die Zeit arbeitet für die Menschen mit Behinderungen in unserem Land; der Fachkräftemangel ist heute schon evident. Ihre Berufschancen steigen, je mehr Fachkräfte fehlen. Wobei es meines Erachtens ein Armutszeugnis ist, dass bei vielen Betrieben erst der Fachkräftemangel dazu führt, sich ernsthaft mit dem Beschäftigungspotenzial behinderter Arbeitnehmer auseinanderzusetzen. Leider ist es immer noch so, dass sich häufig sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitskollegen schwertun, sich behinderte Menschen als Mitarbeiter bzw. Kollegen vorzustellen. Hier brauchen wir dringend einen Mentalitätswechsel. Dieser notwendige Prozess des Umdenkens ist durchaus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir können und wollen auf die Qualifikationen von Menschen mit Behinderungen nicht verzichten. Es sollte selbstverständlich werden, dass Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten. Unternehmen schaffen die Arbeitsplätze; doch für die Rahmenbedingungen ist die Politik zuständig. Unser Antrag „Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen“ macht unmissverständlich klar, dass behinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt gebraucht werden. Sie haben einen rechtlichen Anspruch auf gesellschaftliche Partizipation und Teilhabe am Arbeitsleben, angefangen beim Grundgesetz, das über das sogenannte Gleichstellungsgebot explizit Benachteiligungen für Menschen mit Behinderung verhindern soll, bis hin zu den Regelungen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft über das SGB IX und den Regelungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im SGB III. Das Neunte Buch Sozialgesetzbuch – SGB IX – ist bereits vor über elf Jahren, nämlich am 1. Juli 2001, in Kraft getreten. Es regelt die selbstbestimmte Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben und hilft dabei, Hindernisse, die der Chancengleichheit entgegenstehen, zu beseitigen. So enthält es zum Beispiel verpflichtende Sonderregelungen für Arbeitgeber, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Erst gestern haben wir im Reichstag im Rahmen des Kongresses „Die Einstellung zählt: Wie sich die Arbeitswelt für Menschen mit Behinderungen öffnet“ diskutiert, welche Teilhabemöglichkeiten sich heute für Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt und der Gesellschaft bieten. Wir alle wissen, dass eine dauerhafte Teilhabe am Arbeitsleben eine der Hauptgrundlagen für eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung und Grundvoraussetzung für die Entfaltung der Persönlichkeit ist. Das gilt für behinderte und nichtbehinderte Menschen gleichermaßen. Arbeit zu haben, bedeutet wirtschaftliche Unabhängigkeit und aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Für Menschen mit Behinderung gibt es in vielen Bereichen des ersten Arbeitsmarktes Arbeit. Den Wett-bewerb können sie jedoch nur dann bestehen, wenn sie gut ausgebildet sind. Wirksame Maßnahmen und Konzepte sind also gefragt, um einerseits behinderte Menschen für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu qualifizieren und andererseits potenzielle Arbeitgeber umfassend zu informieren, um die Beschäftigungsfähigkeit fördern zu können. Ein nahtloser Wechsel in die betriebliche Ausbildung und auf den ersten Arbeitsmarkt stellt für viele Menschen mit Behinderung noch die Ausnahme dar. Daher sind für einen erfolgreichen Übergang von der Schule in die Berufsausbildung und die betriebliche Übernahme die Rahmenbedingungen entscheidend. Unser Ziel ist es, die Rahmenbedingungen in allen Lebensbezügen so zu gestalten, dass behinderte Menschen ohne Ausgrenzung teilhaben können. Dies setzt ein Umdenken und gezieltes Handeln der Gesellschaft voraus. Menschen mit Behinderungen müssen nicht nur bei der Arbeitssuche immer noch gegen Vorurteile ankämpfen. Um eine vollständige Teilhabe an allen Bereichen des Lebens zu ermöglichen, gilt es, diese hartnäckigen Vorbehalte auf lange Sicht endgültig auszuräumen. Daran werden wir auch weiterhin arbeiten. Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Es ist begrüßenswert, dass die Koalition zum Ende dieser Legislatur offenbar doch noch erkannt hat, wie wichtig die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben ist. Der vorliegende Antrag greift die Probleme zum Teil auf und bietet Lösungen an, wie man das Fachkräftepotenzial heben kann, das bei den aktuell 180 000 arbeitslosen schwerbehinderten Menschen vorhanden ist. Leider bedient der Antrag nur einen Ausschnitt des gesamten vorhandenen Potenzials, kratzt an der Oberfläche und lässt wichtige und für den Arbeitsmarkt grundlegende Bereiche außen vor. Hier wären unter anderem inklusive Bildung und Ausbildung, Reform der Ausgleichsabgabe und der daraus finanzierten Nachteilsausgleiche, Weiterentwicklung und Struktur der Werkstätten sowie die Reform der Eingliederungshilfe zu nennen. Das sind keine Details, die man mit einer einfachen Forderung abspeisen kann. So wie Sie es hier formulieren, entsteht einmal mehr der Eindruck, dass es sich um reine Lippenbekenntnisse handelt. Diese Fragen sind wichtig, wenn man wirklich etwas für die Beschäftigung behinderter –  nicht nur schwerbehinderter – Menschen tun möchte, und das müssen wir tun. Denn Menschen mit Behinderung haben ohne Unterstützung keine Chance auf unserem allgemeinen Arbeitsmarkt. Es ist unsere Aufgabe, Anreize für Beschäftigung zu schaffen und nicht nur gut auf die Arbeitgeber einzureden. Die wollen wissen, warum sie einen schwerbehinderten Menschen einstellen sollen und ob sich das für sie rechnet. Da hilft es keinem weiter, wenn man – wie Sie es tun – der Regierung einen Merkzettel schreibt, was sie alles noch tun könnte; man muss konkret werden. Der Antrag ist gut gemeint, zeugt aber leider wie die gesamte Leistung dieser Regierung und der Koalitionsparteien in der Behindertenpolitik von Rat- und Mutlosigkeit. Nehmen wir einmal die Beschäftigungszahlen: Sie stellen es so dar, als wenn immer mehr Unternehmen Menschen mit Behinderung beschäftigen und das ein Fortschritt sei. In Wahrheit hat sich die Beschäftigungsquote der privaten Wirtschaft zwischen 2003 und 2010 nur um 0,4 Prozent nach oben bewegt. Die öffentlichen Arbeitgeber machen das wett. Aber auch hier gibt es noch Potenzial, denn immerhin 5 400 öffentliche Arbeitgeber erfüllten die Fünfprozentquote im Jahr 2010 nicht. Durch die Flexibilisierung am -Arbeitsmarkt werden heute viele Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft gar nicht mehr mitgezählt. Insofern ist die eigentliche bereinigte Quote wahrscheinlich sogar noch geringer. Diesem Effekt könnte man mit einer Reform des Berechnungsmodus der Pflichtquote begegnen, zum Beispiel indem man zukünftig Arbeitsverhältnisse unter 18 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit grundsätzlich mitzählt. Die Zahl der beschäftigten schwerbehinderten Menschen hat sich zwischen 2005 und 2010 sogar verringert. Waren 2005 bundesweit noch 142 700 Schwerbehinderte in Arbeit, waren dies 2010 nur noch 138 300. Gleichzeitig hat sich die Zahl derjenigen, die als sogenannte voll erwerbsgeminderte Menschen die Werkstätten besuchen, fast verdoppelt. Die Zahl der Firmen, die 2 Prozent und weniger schwerbehinderte Menschen beschäftigen, hat sich im selben Zeitraum aber kaum verändert. Das heißt, dass sich die Bereitschaft zur Einstellung im privaten Sektor kaum verbessert hat und Alternativen zur Werkstatt -offenbar fehlen oder nicht attraktiv genug sind. Ich bin mir nicht sicher, ob man dieses Gesamtbild als „Fortschritt“ bezeichnen kann, so wie Sie es in Ihrem Antrag tun. Hier müssen endlich konkrete Vorschläge auf den Tisch, und das haben wir mit unserem Antrag „Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen“, Drucksache 17/9931, getan. Wir fordern eine Wiedererhöhung der Pflichtquote auf 6 Prozent und die Erhöhung der Ausgleichsab-gabebeträge, besonders für die Unternehmen, die anhaltend eine geringe Quote unter 2 Prozent aufweisen, eine deutliche Erhöhung der Beträge von 290 auf 750 Euro pro nicht besetztem Pflichtarbeitsplatz. Den Arbeitgebern gut zuzureden, hilft offenbar auch nicht weiter. Das muss man nach zehn Jahren einfach mal feststellen und seine Schlüsse daraus ziehen. Deshalb müssen Verstöße gegen die Beschäftigungspflicht als Ordnungswidrigkeiten konsequent verfolgt und die Nichterfüllung der Mindestbeschäftigung geahndet werden. Als weitere Maßnahme schlagen wir vor, die institutionelle Förderung in Höhe von derzeit circa 40 Millionen Euro jährlich aus Mitteln der Ausgleichsabgabe zukünftig nicht mehr für Werkstätten und Wohnheime, sondern für die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt zu verwenden. Das ist wichtig; denn nur so bekommen wir eine Trendwende von der Werkstatt zur Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hin. Die Integrationsunternehmen leiden momentan nicht darunter, dass es zu wenige tragfähige Geschäftsideen oder zu wenig geeignetes Personal gäbe, sondern vor allem darunter, dass das Aufkommen der Ausgleichsabgabe in einigen Ländern begrenzt ist und daraus keine neuen Förderungen erfolgen können. Die Aufteilung des Aufkommens der Ausgleichsabgabe muss deshalb auch so neu geregelt werden, dass mehr Mittel für die Förderung von Integrationsunternehmen bereitstehen. Auch die Rücklagemittel im Ausgleichsfonds des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – nach unseren Informationen fast 300 Millionen Euro – sind für eine neue Beschäftigungsinitiative für schwerbehinderte Arbeitslose zu verwenden. Die „Initiative Inklusion“ ist gut und schön, aber sie reicht bei weitem nicht aus. Frau Dr. Arnade von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben e. V. hat es in einer Anhörung hier im Deutschen Bundestag einmal richtig formuliert: „Die ,Initiative Inklusion‘ wird von Mitteln bezahlt, die sowieso schon den Menschen mit Behinderung zustehen.“ Nehmen Sie also endlich richtiges Geld in die Hand und fördern Sie die Eingliederung aktiv und mit Nachdruck! Schöpfen Sie einmal dieses Potenzial aus! Dann stimmt auch ihre Feststellung: „Der erste Arbeitsmarkt muss das Beschäftigungsziel von Menschen mit Behinderung sein. Davon profitieren alle.“ Die Integrationsunternehmen könnten in Jahresfrist mehrere Tausend neuer sozialversicherungspflichtiger Jobs auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt schaffen. Wenn Sie diese Chance nicht nutzen, dann bleibt dieser Antrag wieder nur ein leeres Versprechen. Gabriele Molitor (FDP): „Inklusion heißt: Zusammen Pause machen.“ Mit diesem Slogan wirbt die Aktion Mensch für die -Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben. Nicht nur in gemeinsamen Pausen, sondern vor allem in gemeinsamen Arbeitsprozessen erleben Menschen mit und ohne Behinderung ein selbstverständliches Miteinander. Die Eingliederung von -Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt ist eine wichtige Voraussetzung, damit Inklusion insgesamt gelingt. Denn Arbeit ist sinnstiftend und gibt das Gefühl, gebraucht zu werden. Menschen mit Behinderung und Arbeiten wird oft gedanklich sofort mit der Werkstatt für Menschen mit Behinderung verknüpft. Doch das Potenzial von -Menschen mit Behinderung ist viel größer. Wir haben es in vielen Branchen schon jetzt mit einem Fachkräftemangel zu tun. Für Menschen mit Behinderung kann das neue Chancen eröffnen. Das ist auch Ansatz des gemeinsamen Koalitionsantrages, der die Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung voll ausschöpfen will. Damit verbunden ist ein verändertes Verständnis von Menschen mit Behinderung, das von Wertschätzung und dem Gedanken, ihnen etwas zuzutrauen, geprägt ist. Noch stellen zu wenig Unternehmen Menschen mit Behinderung ein. Vorbehalte und Barrieren erschweren die Integration schwerbehinderter Menschen in den ersten Arbeitsmarkt. Noch sind das Miteinander und ein gemeinsamer Arbeitsalltag von behinderten und nichtbehinderten Kollegen nicht selbstverständlich. Damit sich das ändert, setzen wir uns für inklusive Modelle im Arbeitsleben ein. So fordert es auch Art. 27 der UN-Behindertenrechtskonvention, der die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben betont. Mit dem Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und mit der „Initiative Inklusion“ sind wir auf einem guten Weg, Teilhabechancen zu erhöhen. Vor allem ältere und junge Menschen mit Behinderung profitieren von der „Initiative Inklusion“. Die Inklusionskompetenzen bei den Kammern zu fördern, schwerbehinderten Jugendlichen den Zugang zu Ausbildung und Beschäftigung zu erleichtern und ältere Menschen mit Behinderung wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sind genau die Schritte, die notwendig sind. Hierbei sind auch die Länder aufgerufen, die „Initiative Inklusion“ zu unterstützen und so umzusetzen, dass mehr Menschen einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen. Ferner müssen wir die „Initiative Inklusion“ regelmäßig auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen. Bei der Debatte sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nicht allein durch Gesetze gesichert werden kann. Entscheidend ist ein Wandel in der Gesellschaft. Dabei nehmen Betriebe, die Menschen mit Behinderungen schon seit langem erfolgreich beschäftigen, eine Vorbildfunktion ein. Deshalb ist es erfreulich, dass bereits ein breites Spektrum an Aktionen, Wettbewerben und Preisen existiert. Der Hamburger Integrationspreis, der rheinland-pfälzische Landespreis für Firmen, die schwerbehinderte Menschen beschäftigen oder das LVR-Prädikat „Behindertenfreundlicher Arbeitgeber“ des Landschaftsverbandes Rheinland sind nur einige Beispiele. Und es werden mehr. Der Inklusionspreis „Unternehmen fördern Inklusion“ zeigt, dass die Wirtschaft inklusive Prozesse auf dem Arbeitsmarkt unterstützt. Die Initiative geht auf das UnternehmensForum -zurück. Unter dem Motto „Inklusion – so geht’s“ wurden auf einer Fachtagung im letzten Jahr Inklusionskompetenzen vermittelt. Es wird vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sehr deutlich, dass Unternehmen großes Interesse daran haben, Menschen mit Behinderung in das Wirtschaftsleben zu integrieren. Die Unternehmer in verschiedensten Branchen haben längst erkannt, dass sie gerade in Zeiten des Fachkräftemangels auf Menschen mit Behinderung angewiesen sind. So sagt Olaf Guttzeit, Vorstandsvorsitzender des UnternehmensForums, zu Recht, dass die Wirtschaft Menschen mit Behinderung braucht. Modelle wie das Persönliche Budget, die Arbeitsassistenz und die Unterstützte Beschäftigung sind zu fördern und bekannter zu machen. Für uns ist der erste Arbeitsmarkt das Beschäftigungsziel von Menschen mit Behinderungen. Doch nicht alle Menschen mit -Behinderung können auf dem ersten Arbeitsmarkt -arbeiten. Oft wird gerade in der Diskussion um Integration auf dem Arbeitsmarkt vergessen, dass manche Menschen mit Beeinträchtigungen auf dem ersten -Arbeitsmarkt überfordert sind. Für Menschen mit schweren geistigen Behinderungen oder Mehrfachbehinderungen ist die Werkstatt für behinderte Menschen, WfbM, die einzige Möglichkeit, zu arbeiten. Aber auch viele Menschen mit psychischer Behinderung wie Angststörungen, Depressionen und Suchterkrankungen brauchen einen geschützten Ort. Ein wichtiger Punkt ist dabei das Wunsch- und -Wahlrecht zwischen einer WfbM und alternativen -Leistungserbringern. Die Wahlmöglichkeiten müssen ausgebaut werden, damit sich Menschen mit Behinderungen auch wirklich entscheiden können. Dafür -müssen auch Unterstützungsinstrumente vereinfacht werden. Für mich ist auch das Stichwort Durchlässigkeit sehr wichtig. Die Erwerbsbiografien verlaufen heute nur noch selten linear. Viele Menschen werden erst im Laufe ihres Lebens behindert oder chronisch krank. Daher ist es wichtig, dass der Unterstützungsbedarf von Menschen mit Behinderung der jeweiligen Situation angepasst wird. Zum Beispiel kann es für einen Menschen mit -psychischer Behinderung wichtig sein, zwei oder drei Jahre in einer Werkstatt zu arbeiten. Im Anschluss -daran muss der Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt offen sein. Ein Rückkehrrecht in die WfbM ermutigt dazu, den Schritt in den ersten Arbeitsmarkt zu wagen. Aber auch Menschen mit geistigen Behinderungen können in ausgelagerten Werkstattplätzen arbeiten, wie Best-Practice-Beispiele eindrücklich veranschaulichen. Ein Mann mit Autismus arbeitet erfolgreich in einer Kölner Jugendherberge. Durch die Unterstützung von Arbeitstrainern des Integrationsunternehmens Füngeling Router ist er zu einem anerkannten und ehrgeizigen Mitarbeiter geworden. Inklusion gilt es für alle zu ermöglichen. Deshalb ist es wichtig, dass Leistungen im Förderbereich nicht zwangsläufig an eine WfbM gekoppelt sind. Andere Leistungsanbieter bieten Menschen mit Behinderungen Alternativen. Die soziale Absicherung muss auch bei ihnen gewährleistet sein. Ziel ist es, den Automatismus von Förderschule und Werkstatt zu durchbrechen. Denn viele Menschen mit Behinderung wollen keine Sonderwelten, sondern auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten. Daher fördern wir den uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und sprechen uns dafür aus, Nachteilsausgleiche auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Der FDP ist es ein weiteres grundlegendes Anliegen, auch die Existenzgründung für schwerbehinderte Menschen zu berücksichtigen. Als Selbstständiger zu arbeiten, gibt vielen Menschen mit Schwerbehinderung mehr Freiräume im Berufsleben. Von Februar 2004 bis Ende Juni 2012 haben sich in Berlin mehr als 210 Menschen mit Schwerbehinderung selbstständig gemacht. Unterstützt wurden sie durch spezielle Beratungsangebote für Menschen mit Schwerbehinderung, „enterability“. Beratungs- und Informationsangebote für gründungswillige Menschen mit Schwerbehinderung gilt es deshalb auszubauen. Ein Gedanke ist mir abschließend wichtig. Mit Druck, Zwang und Sanktionen oder mit der Erhöhung der Ausgleichsabgabe werden wir Betriebe und Unternehmen nicht ermuntern, mehr Menschen mit Behinderung einzustellen. Deshalb müssen wir genau hin-sehen, ob scharfe Sanktionen wirklich zu mehr inklusiven Arbeitsplätzen führen oder Inklusion eher erschweren. Das Unternehmen Füngeling Router hat ein Modell konzipiert, das zeigt, wie sinnvoll es ist, wenn alle an einem Strang ziehen. Ausgelagerte Werkstattplätze, eine individuelle betriebliche Einstiegsqualifizierung und intensives Jobcoaching sind die Instrumente, die schwerbehinderten Menschen Arbeit in einem Unternehmen verschaffen. Das Modell von Füngeling Router ist ein Modell, das Mut macht und zur Nachahmung anregt. Wenn Menschen die für sie notwendige Unterstützung und Assistenz bekommen, und wenn es sich die Gesellschaft zur Aufgabe macht, Bedingungen zu schaffen, die Menschen mit Behinderung ein gleichberechtigtes und selbstverständliches Miteinander ermöglichen, wird Inklusion gelingen. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Dieser Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, kommt sehr spät und greift viel zu kurz. Seit Jahren stehen wir vor der gleichen Situation: Menschen mit Behinderung sind überdurchschnittlich oft arbeitslos. Die Arbeitslosenquote ist mehr als doppelt so hoch wie unter Menschen ohne Behinderung. Die Schere in allen Arbeitsmarktkennziffern zwischen Menschen mit und ohne Behinderung klafft immer weiter auseinander. Diese Tatsache liegt seit der Finanzkrise so deutlich auf der Straße, dass sie in den Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung hineingehört hätte. Trotz gewerkschaftlicher Kritik geschah dies nicht. 18 Monate später nun greift die Koalitionsfraktion die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung endlich auf. Die Linke legte jedoch bereits im Mai 2012 Vorschläge im Antrag „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung“ auf den Tisch, Drucksache 17/9758. Diese entstanden in engem Dialog mit Betroffenen und Wissenschaftlern. Im Juni folgte die SPD mit einem Antrag zur Ausgleichsabgabe. Die Opposition war sich einig, dazu eine öffentliche Anhörung zu erwirken. Im Oktober präzisierten Betroffene viele Ideen während der Veranstaltung „Menschen mit Behinderung im Deutschen Bundestag“. Inzwischen legten alle Sozialverbände eigene Positionen vor, um Menschen mit Behinderung entsprechend Art. 27 der UN-Behindertenrechtskonvention die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Als hätte es diese vielfältigen Diskussionen nicht gegeben, legen Sie nun einen Antrag vor, der nur einen Bruchteil der bereits öffentlich diskutierten Fragen aufgreift. Kein Wort über skandalöse Werkstattentgelte, kein Wort über notwendige Gesetzesänderungen, kein Wort über barrierefreie Arbeitsplätze und ihre Festschreibung in der Arbeitsstättenverordnung, kein Wort über größere Rechte von Interessenvertretungen und kein Wort über Beschäftigungsquote und Ausgleichsabgabe. Sie schauen zu wenig aus der Perspektive der Betroffenen. Sie schauen wie ein Arbeitgeber, der die „Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung ausschöpfen“ kann. Hier, so suggeriert der Antrag, liegt ein Potenzial brach, das Gewinn verspricht. Sie, Herr Unternehmer, sollten es nutzen; denn der demografische Wandel verschärft die Situation, nicht ge-nügend Fachkräfte zu finden. Da ist sie wieder, die Nützlichkeitstheorie oder das „Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Leistung“, dessen Streichung aus dem Gesetz schon lange im Raum steht. Das sind keine Menschenrechtskriterien. Das sind reine Profitkriterien. Welche Motivation hat ein Arbeitgeber, einen Menschen mit Behinderung einzustellen? Auf der CDU-Veranstaltung am 30. Januar im Bundestag formulierte ein Unternehmer das so: „Warum sollte ich einfache und Hilfsarbeiten nach Asien auslagern?“ Ergänzt, könnte es heißen: „ … wenn ich die billigen Arbeitskräfte vor der Tür finde“. Deshalb ist es gut, dass der Antrag davon spricht, Menschen mit Behinderung seien „in der Regel gut ausgebildet und hochmotiviert“. Aber meinen Sie wirklich, der demografische Wandel sorgt für qualifizierte Beschäftigung? Glauben Sie wirklich, es ginge ohne gesetzliche Änderungen? Ohne veränderte Beschäftigungspflicht? Ohne die restriktive Förderpolitik zurückzunehmen? Ohne Weiterentwicklung der gesetzlichen Förder- und Unterstützungsinstrumente? Ohne Abbau der Bürokratie in der Leistungserbringung? Ohne die Stärkung der betrieblichen Ausbildung für Jugendliche mit Behinderung? „Das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderung zwischen einer WfbM und alternativen Leistungserbringern ist ein zentrales Anliegen“, heißt es im Antrag. Ich verstehe das so, dass Betreuungs- und Förderangebote auch außerhalb der Werkstatt bestehen sollen. Das unterstützen wir. Doch was bedeutet „das Eingangsverfahren … für andere Anbieter zu öffnen“? Soll im Eingangsverfahren auch entschieden werden, ob ein Arbeitsplatz außerhalb der Werkstatt angenommen werden kann? Wenn ja, zu welchen Konditionen? Bleibt der Betroffene Angehöriger der Werkstatt mit dem entsprechend niedrigen Entgelt? Wie schon jetzt auf vielen Außenarbeitsplätzen? Die Linke fordert jedoch Mindestlohn und gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Ich frage mich, warum der Antrag zu diesen brisanten sozialen Tatsachen schweigt. Auch deshalb wird er an der bestehenden Ausgrenzung und ihren Ursachen nichts ändern. Um die „Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung ausschöpfen“ zu können, muss Mensch seine Potenziale doch erst einmal einbringen dürfen. Das bleibt das Hauptproblem. Der Antrag schweigt dazu, wie zu ändern ist, dass von drei Menschen mit Behinderung zwei arbeitslos sind und dauerhaft bleiben. Dazu bedarf es Strukturveränderungen in der ganzen Arbeitswelt. Im Antrag jedoch soll vor allem geprüft, gesprochen, eingeschätzt, „Sorge getragen“, flexibilisiert und vereinfacht werden. Es ist das Weiter-so, das uns schon in der Denkschrift der Bundesregierung zur Diskussion der UN-Behindertenrechtskonvention 2008 begegnete. Es ist die Selbstgefälligkeit einer Politik, die sich nach der Anzahl ihrer Einzelprojekte bemisst und nicht nach deren Wirkung für ein besseres Leben der Betroffenen. Es ist die Arroganz gegenüber anderen europäischen Erfahrungen. Es ist die Verlegenheit einer Regierung, etwas tun zu müssen, weil die Opposition dazu treibt. Es ist das Interesse der Macht, sich im Wahlkampf sozial zu präsentieren, ohne sozial zu sein. Selbst das, was wir unterschreiben könnten, ist zu wenig. Ohne strukturelle Veränderungen wird es keine gute Arbeit für Menschen mit Behinderung geben. Keine Arbeitswelt, in der wirklich „die Möglichkeit“ besteht, „den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, inklusiven und zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt und angenommen wird“. Das besagt Art. 27 der UN-Behindertenrechtskonvention. Das ist der Maßstab der Fraktion Die Linke, und das sollte auch für Sie die Messlatte sein. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Damit Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Chancen haben wie nichtbehinderte Menschen, ist noch viel zu tun. Insofern freue ich mich, dass die Koalitionsfraktionen diesen Antrag vorgelegt haben. Ganz richtig bemerken sie, dass sich bereits eine Reihe von Personen seit Jahren sehr dafür stark macht, echte Teilhabemöglichkeiten für behinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Doch die Möglichkeiten zur individuellen und dauerhaften Unterstützung jenseits großer Institutionen sind nur ungenügend ausgebaut und für viele Menschen zu unübersichtlich. Ich möchte hier nur auf drei Aspekte näher eingehen. Integrationsfachdienste beraten und unterstützen schwerbehinderte Menschen und Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Sie begleiten Menschen mit Behinderungen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt, bereiten auf die Arbeit dort vor und stehen auch weiterhin als Ansprechpartner für -Arbeitgeberinnen und Beschäftigte zur Verfügung. Erst 2011 hat ein von der Bundesregierung neu eingeführtes Ausschreibungsverfahren dazu geführt, dass häufig nicht mehr diejenigen den Zuschlag bekamen, die über Jahre eine hohe Kompetenz und gute Kontakte aufgebaut hatten, sondern vollkommen unerfahrene Anbieter. Die Qualität der Integrationsfachdienste besteht gerade darin, Leistungen aus einer Hand anzubieten. Von vielen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern habe ich gehört, wie sehr sie es schätzen, bei einem Ansprechpartner gut aufgehoben zu sein. Die verfehlte Politik dieser Regierung hat dazu geführt, dass ein gutes Instrument beschädigt wurde. Vorausschauende Politik, die Menschen mit Behinderungen mehr Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt bietet, sieht anders aus. Zum Zweiten möchte ich eine kleine Unstimmigkeit hervorheben: Es war und ist eines der zentralen Ziele der Reform der Eingliederungshilfe, Möglichkeiten für Arbeitsplätze jenseits der Werkstätten für behinderte Menschen zu schaffen. Mit Blick auf Stoßrichtung und Ziele, die hier im Antrag genannt werden, würde man also annehmen, Union und FDP hätte in dieser Legislaturperiode viel daran gelegen, den Reformprozess zügig und transparent voranzutreiben. Damit hat sich die Koalition nun wirklich nicht hervorgetan. Abschließend ein Kommentar zur ersten Forderung des Antrags: Die Koalitionsfraktionen fordern die Bundesregierung dazu auf, zeitnah differenzierte Daten zur Situation von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt vorzulegen. Insbesondere an geschlechterdifferenzierten Daten mangele es. Ich kann den Kolleginnen und Kollegen nur zustimmen; schon seit Jahren fordere ich, diese Daten zu erheben. Für Ministerin von der Leyen wäre es ein Leichtes, die Bundesagentur für Arbeit zu verpflichten, geschlechterdifferenzierte Daten zur Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderungen zu veröffentlichen. Ein wenig verwunderlich, dass sie von ihrer Fraktion offenbar nicht auf anderem Weg dazu aufgefordert werden kann. Aber ich freue mich, wenn wir zeitnah mit diesen Daten arbeiten können. Der Antrag enthält einige sinnvolle Vorschläge und ich würde mich freuen, wenn das positive Effekte für Arbeit suchende Menschen mit Behinderungen hätte. Wenn ich mir die Politik dieser Koalition in den letzten Jahren angucke, beschleicht mich allerdings der Verdacht, dass es mit dem Antrag in erster Linie darum geht, ein paar schöne Absichtserklärungen zu Papier zu bringen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12180 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind einverstanden. Also geschieht es so. Wir kommen zu den Zusatzpunkten 10 a und 10 b: a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln – Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherstellen hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Drucksache 17/12183 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kathrin Vogler, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln – Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherstellen hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes-tages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grund-gesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die -Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Drucksache 17/12184 (neu) – Fünf Redner haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.11 Nur die Kollegin Kathrin Vogler möchte für die Fraktion Die Linke das Wort ergreifen. – Bitte schön. (Beifall bei der LINKEN) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, tut mir leid, wir müssen reden. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: „Wir“ ist falsch! Sie! – Manuel Höferlin [FDP]: Nein, wir müssen zuhören!) – Sie müssen zuhören, das ist ja noch besser. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht so!) Wir sprechen heute über zwei Anträge zum Schutz von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Medikamentenstudien der EU. Wir sind uns quer durch alle Fraktionen dieses Hauses einig, dass insbesondere Kinder und nicht einwilligungsfähige Menschen besonderen Schutz benötigen. Eine Aufweichung der Schutzstandards, wie sie in der neuen EU-Richtlinie vorgesehen ist, wollen wir alle nicht. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wie gesagt, wir sind uns da vollkommen einig. Ich möchte mich ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen des Gesundheitsausschusses und unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken, die es ermöglicht hat, in sehr kurzer Zeit einen detaillierten und wirklich guten Forderungskatalog zu entwickeln. (Beifall bei der LINKEN) Das hätte heute wirklich eine Sternstunde des Parlaments werden können. (Manuel Höferlin [FDP]: Nein, eine -Hohnstunde!) Dass wir aber dennoch zwei Anträge vorliegen haben, ist leider dem steinzeitlichen Demokratieverständnis der Führung der Unionsfraktion geschuldet; denn da hat man offensichtlich noch nicht so ganz gemerkt, dass der Kalte Krieg längst zu Ende ist. (Otto Fricke [FDP]: Oh!) Was da passiert ist, ist ein politisches Narrenstück, eine Schmierenkomödie in drei Akten. Erster Akt. Union und FDP legen einen Antragsentwurf vor und laden die Oppositionsfraktionen ein, diesen gemeinsam einzubringen. (Otto Fricke [FDP]: Sie haben den Prolog -vergessen!) Zweiter Akt. Die Oppositionsfraktionen schlagen einige Änderungen vor, die weitgehend aufgenommen werden. Ein gemeinsam abgestimmter Antragstext, dem alle zustimmen können, wird am Montag dieser Woche an die vier Fraktionsvorstände weitergeleitet, um am Dienstag in den Fraktionen beschlossen zu werden. Dritter Akt. Der Vorstand der CDU/CSU-Fraktion erklärt, dass er den Antrag nur zulässt, wenn meine Fraktion, Die Linke, von der gemeinsamen Einbringung des Antrags ausgeschlossen wird. (Stephan Stracke [CDU/CSU]: Sehr richtig so! – Gegenruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Buh! Undemokratisch!) Dieses Schauspiel ist ein Armutszeugnis für die Demokratie. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) Sie grenzen damit fast 12 Prozent aller Wählerinnen und Wähler dieser Republik bei einem gemeinsamen Anliegen aus. (Beifall bei der LINKEN) Sie erweisen den schutzbedürftigen Studienteilnehmern, für die wir uns gemeinsam starkmachen wollten, einen Bärendienst. Sie sorgen für Politikverdrossenheit, weil Sie kleinkarierte Ideologie über die Interessen der Menschen stellen. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ich lach mich tot! Ausgerechnet von Ihnen! Haben Sie eigentlich etwas zur Sache zu sagen?) Ich will noch etwas anderes anmerken. Die Fraktionen SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen sind auch dieses Mal wieder vor der Erpressungsstrategie von Kauder und Hasselfeldt eingeknickt. Jedes Mal sagen Sie, dass Sie diese Ausgrenzerei blöd und unpolitisch finden, dass Sie das eigentlich nicht wollen; aber Sie machen trotzdem jedes Mal wieder mit. Eigentlich müssten Sie hier mit knallroten Köpfen sitzen, wenn Sie noch einen Funken politischen Anstand hätten. (Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie haben es gerade nötig! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Die Einzige, die hier mit knallrotem Kopf stehen müsste, sind Sie!) Wir haben uns entschieden, den Antrag, den wir alle gemeinsam erarbeitet haben, wortgleich als Antrag der Linksfraktion einzubringen. Wir haben zugestimmt, über beide Anträge heute gemeinsam abstimmen zu lassen. Damit geben wir Ihnen jetzt die Gelegenheit, unserem Antrag zuzustimmen, ohne mit Ihren Fraktionsführungen in Konflikt zu geraten. Wir hatten sowieso vor, zu beiden Anträgen Ja zu sagen; denn wir finden, dass unser gemeinsames Anliegen, der Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wichtig ist. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, wollen Sie noch eine Zwischenfrage zulassen? Das verlängert Ihre Redezeit. Zu dieser Stunde ist das ein großzügiges Angebot. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Ja, Kollege Ackermann, gerne. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Aber machen Sie es kurz. (Heiterkeit – Manuel Höferlin [FDP]: Ich stelle auch gleich noch eine! – Weiterer Zuruf von der FDP: Herr Präsident!) Jens Ackermann (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Vielen Dank, Frau Kollegin Vogler, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich denke, dieses Thema eignet sich nicht, um politische Schlachten zu schlagen. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Hört! Hört! (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach! Dann lassen Sie es doch! – Gegenruf des Abg. Otto Fricke [FDP]: Erst einmal zuhören!) Jens Ackermann (FDP): Wir sind uns einig, dass der Schutz der Probanden ganz oben anzusiedeln ist. Wenn die Kollegen der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments sagen, dass sie klinische Prüfungen auch ohne Einsatz einer Ethikkommission zulassen wollen, so lehnen das alle Fraktionen in diesem Hause ab und sagen: Wir können klinische Prüfungen nur zulassen, wenn wir vorher eine unabhängige Ethikkommission eingesetzt haben. Ich möchte Sie aber fragen: Wie konnte es die Vorgängerorganisation Ihrer Partei in der ehemaligen DDR zulassen, dass Pharmaindustrie und Pharmahersteller im Osten an unbeteiligten Patienten Versuche durchgeführt haben, ohne dass die Patienten davon wussten? Die SED hat damit Devisen beschafft. Wie beurteilen Sie das im Zusammenhang mit dem, was Sie jetzt vor uns hier aufführen? (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Herr Ackermann, legen Sie Ihre Hand dafür ins Feuer, dass es im Westen keine solchen Versuche gab?) Ist es nicht auch unethisch, zu sagen: „Wir wollen klinische Prüfungen ohne Beteiligung der Patienten durchführen“? Ich denke, Sie sollten auch dazu eine Stellungnahme abgeben, weil Sie in der Nachfolge dieser Staatspartei stehen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ein Unsinn, was Sie da erzählen!) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Herr Ackermann, Sie reden sich um Kopf und Kragen. Wollen Sie es nicht langsam gut sein lassen? – Sehr geehrter Herr Kollege, ich muss etwas, was ich vorhin gesagt habe, revidieren. Ich habe die These aufgestellt, dass lediglich bei der Union der Kalte Krieg noch nicht beendet ist. Ich muss das erweitern: Offensichtlich ist auch bei der FDP noch nicht angekommen, dass wir den Kalten Krieg inzwischen beendet haben. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) Es muss Ihnen doch bewusst sein, dass wir vor 25 Jahren auch in der Bundesrepublik und den westlichen Demokratien längst nicht den Schutz hatten, den wir heute haben, (Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Das ist doch eine Lüge!) und auch Länder, die durchaus demokratisch sind, nicht unbedingt die Schutzkriterien und ethischen Kriterien anlegen, die wir hier gemeinsam anlegen. (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Das wissen Sie doch ganz genau, dass das eine Lüge ist! – Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Das haben Sie auf der Kaderschule gelernt, was Sie hier vortragen! Unerträglich!) – Ist klar. – Wissen Sie was? Das ist doch wirklich peinlich. Wir haben inhaltlich gut zusammengearbeitet, an einem Punkt, bei dem es um ethische Fragen geht, bei dem es um die Gesundheit von Menschen geht. Es geht um die Frage, wie wir mit Probandinnen und Probanden umgehen, die sich selbst nicht aktiv für die Teilnahme an der Studie entscheiden können. Das sind wirklich wichtige ethische Fragen. Bisher war es in diesem Haus gute Tradition, dass in ethischen Fragen solche parteipolitischen Spielchen, solche Kalter-Krieg-Nummern keine Rolle spielen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Kalter Krieg?) Nichtsdestotrotz geben wir Ihnen die Gelegenheit, unserem Antrag zuzustimmen, ohne mit Ihren Fraktionsführungen in Konflikt zu geraten. Wir sind weiter zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit, aber ein so absurdes Theater, wie Sie es im Zusammenhang mit diesen beiden Anträgen aufgeführt haben, werden wir uns von Ihnen nicht mehr bieten lassen. (Beifall bei der LINKEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Was passiert denn jetzt?) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Kollege Birkwald, weil Sie dazwischengerufen haben, es sei undemokratisch, dass Parteien bzw. Fraktionen sich unterschiedlich verhalten und entscheiden können, ob sie etwas zusammen tun oder nicht, sage ich: Das ist nicht undemokratisch. Sie mögen das kritisieren; aber das ist nicht undemokratisch. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Im Übrigen will ich darauf hinweisen, dass vereinbart ist, über beide Anträge gemeinsam abzustimmen. Auch das sollten Sie dabei berücksichtigen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12183 mit dem Titel „EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln – Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherstellen. Hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union“ sowie über den gleichlautenden Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/12184 (neu). Es ist vereinbart, dass über die gleichlautenden und inhaltsgleichen Anträge der Fraktionen, die ich genannt habe, gemeinsam abgestimmt werden soll. – Ich sehe, dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann verfahren wir so. Wir stimmen daher jetzt ab über die Anträge auf den Drucksachen 17/12183 und 17/12184 (neu). Wer stimmt für diese Anträge? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Anträge sind damit angenommen. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 1. Februar 2013, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen eine ruhige Nacht. (Schluss: 22.34 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Brase, Willi SPD 31.01.2013 Canel, Sylvia FDP 31.01.2013 Dittrich, Heidrun DIE LINKE 31.01.2013 Heil, Hubertus SPD 31.01.2013 Dr. Hendricks, Barbara SPD 31.01.2013 Humme, Christel SPD 31.01.2013 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 31.01.2013 Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 31.01.2013 Kudla, Bettina CDU/CSU 31.01.2013 Menzner, Dorothée DIE LINKE 31.01.2013 Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 31.01.2013 Remmers, Ingrid DIE LINKE 31.01.2013 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 31.01.2013 Schlecht, Michael DIE LINKE 31.01.2013 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 31.01.2013 Schreiner, Ottmar SPD 31.01.2013 Sendker, Reinhold CDU/CSU 31.01.2013 Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 31.01.2013 Thönnes, Franz SPD 31.01.2013 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 31.01.2013 Widmann-Mauz, Annette CDU/CSU 31.01.2013 Ziegler, Dagmar SPD 31.01.2013 Anlage 2 Neuabdruck der Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (218. Sitzung) (Drucksache 17/12162, Frage 36): Wann wird die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag den nach § 3 des Energieleitungsausbaugesetzes, EnLAG, seit dem 1. Oktober 2012 fälligen Fortschrittsbericht zum Ausbau der Höchstspannungsnetze vorlegen, vor dem Hintergrund, dass die Bundesnetzagentur die Prüfung des Netzentwicklungsplans inzwischen abgeschlossen hat, was die Bundesregierung in ihrer Antwort auf meine mündliche Frage 79, Plenarprotokoll 17/210, als Grund für die Verzögerung angegeben hat, und was sind die Gründe für die weitere Verspätung? Der Bericht wurde mit Schreiben vom 4. Dezember 2012 an den Deutschen Bundestag übersandt. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Entscheidung des Parlamentes über den Einsatz von Soldatinnen und Soldaten in Krisengebieten und bei kriegerischen Auseinandersetzungen übertragen jedem Abgeordneten eine besonders hohe Verantwortung. Denn mit dieser Entscheidung ist unmittelbar eine Entscheidung über Menschenleben verbunden. Nach sehr gründlicher Abwägung zu den Zielen, den Risiken und der geplanten Vorgehensweise dieses Einsatzes habe ich mich entschieden, mich bei der Entscheidung zu einer Fortsetzung des ISAF-Mandates zu enthalten. Einerseits stimme ich den genannten Zielen des Einsatzes zu einer Befriedung Afghanistans ausdrücklich zu. Und ich weiß, dass nach jahrelangen kriegerischen Auseinandersetzungen der Aufbau einer Zivilgesellschaft viel Einsatz, auch Risikoübernahme und vor allem Zeit erfordert. An dieser Stelle sage ich ausdrücklich Dank den Soldatinnen und Soldaten, die bereit sind, die mit dem Einsatz in Afghanistan verbundenen erheblichen Risiken zu tragen. Aber der Einsatz hat sich auch gelohnt. Es gab beim zivilen Aufbau erkennbare Fortschritte. Schulen wurden errichtet, Brunnen angelegt, Straßen gebaut. Die Zivilgesellschaft und vor allem Frauen genießen heute in vielen Regionen einen ganz anderen Schutz und haben ganz andere Möglichkeiten, als sie es unter der Herrschaft von Extremisten erfahren haben und erwarten könnten. Unter militärischem Schutz gerade auch der Bundeswehr arbeiten demokratische Nichtregierungsorganisation am Aufbau demokratischer Strukturen in Afghanistan. Ohne diesen Schutz ausländischer Streitkräfte hätten diese Projekte nicht umgesetzt werden können. Und wir wissen, ein schneller und ungeordneter Abzug dieser Truppen würde zivile Helfer im Land gefährden und potenziell das Engagement dieser Menschen vor Ort unmöglich machen. Andererseits haben die ausländischen Truppen und auch die Bundeswehr bzw. die Bundesregierung sich nie wirklich klar und unmissverständlich allein diesen Zielen des zivilen Aufbaus verpflichtet und alle Maßnahmen und Aktionen strikt an diesen Zielen ausgerichtet. Dabei geht es mir nicht um die bloße Anzahl der nach Afghanistan gesandten Soldatinnen und Soldaten. Es geht mir um die Umsetzung konkreter Ziele. Der vorliegende Antrag der Bundesregierung enthält nur wenig Konkretes zur zivilen Zukunft des Landes. Die Bundesregierung müsste klar benennen, welche Projekte sie im Zuge der Entwicklungszusammenarbeit fördern will, und sie muss ihre Zusagen aus der Geberkonferenz 2012 in Tokio einhalten. Es fehlen ein klares Bekenntnis der Bundesregierung, sich gegenüber den ISAF-Partnern für eine Beendigung von nicht mit dem Völkerrecht vereinbaren gezielten Tötungen einzusetzen, und die unmissverständliche Aussage, dass sich die Bundeswehr nicht an solchen Aktionen beteiligt. Bei jedem militärischen Einsatz ist die klare Ausrichtung der Maßnahmen auf einen zivilen Aufbau unabdingbar, im Prinzip erfüllt der vorgelegte Antrag der Bundesregierung diese Anforderungen nicht. Mit meiner Enthaltung zum vorliegenden Antrag der Bundesregierung will ich meine Zustimmung zu den Zielen, zu vielen Projekten und der Vorgehensweise der Bundeswehr ausdrücken, gleichzeitig aber meiner Kritik an der Nichteinhaltung von unabdingbaren Voraussetzungen für eine Entsendung von Einsatztruppen Ausdruck verleihen. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit diesem Mandat will die Bundesregierung den Abzug der ISAF-Truppen aus Afghanistan bis Ende 2014 vorbereiten. Damit tritt das deutsche Engagement in eine neue Phase ein. Ich werde mich zu diesem Mandat enthalten, das ich aus vielen Gründen für nicht zustimmungsfähig halte. So kritisiere ich, dass keine konzipierte und glaubhafte Abzugsplanung vorliegt, dass immer noch keine unabhängige Evaluation des deutschen Engagements in Afghanistan stattfindet und es bis heute keine Agenda bis 2014 und danach gibt. Die schwierigste Situation erleben jedoch jetzt die Menschen in Afghanistan. Niemand kann vorhersehen, wie die verschiedenen Akteure in Afghanistan und der Region auf einen Truppenabzug reagieren werden. Die Sicherheitslage bleibt schwierig, die regierungsfeindlichen Kräfte bleiben gefährlich und bedrohen die Bevölkerung, vielfach tödlich. Mir ist daher mit meinem -Votum das politische Signal wichtig, dass es weiterhin eine internationale Verantwortung gibt, den Menschen in Afghanistan nach den langen Jahren des Krieges den Weg zu einer Entwicklung in Frieden zu ermöglichen. Der Einsatz in Afghanistan ist immer noch großen Gefahren ausgesetzt. Ich möchte an dieser Stelle meinen Dank und meine Wertschätzung ausdrücken für all diejenigen, die als zivile Helferinnen und Helfer, als Soldatinnen und Soldaten, in Verbindung mit ihren Familienangehörigen, Aufgaben in Afghanistan erfüllen. Dieses Mandat fordert in Afghanistan mitunter den höchsten Einsatz, und das darf nie vergessen werden. In Afghanistan findet eine Zeitenwende statt. Die kommenden zwei Jahre sind eine Phase des Übergangs, in der die Beendigung des ISAF-Engagements vollzogen werden soll. Ziel ist es, dass die afghanische Regierung in der Lage ist, die Sicherheitsverantwortung landesweit und so vollständig wie möglich wahrzunehmen. Daher verändert sich auch das Mandat für Afghanistan, wenn die deutschen Truppen verringert werden. Unglaubwürdig ist jedoch, dass bis zum 28. Februar 2014 immer noch mindestens 3 300 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan stationiert sein werden. Zweifel, dass ein wirklicher Abzug mit dieser großen Zahl bis Ende 2014 damit möglich wird, sind begründet. Die Transition ist für Afghanistan ein extremes Risiko, aber hoffentlich auch mit Chancen verbunden. Der damit verbundene Abzug stellt jedoch auch die internationale Gemeinschaft und Deutschland vor komplexe Aufgaben. Auch schwinden mit einer abnehmenden Zahl an Soldatinnen und Soldaten die mediale Aufmerksamkeit und die politische Bereitschaft, sich den weiter bestehenden Problemen intensiv zu widmen. Wir dürfen die Menschen in Afghanistan aber nicht alleinlassen. In Deutschland muss energisch dafür eingetreten werden, dass die angekündigte langfristige Unterstützung im zivilen und im entwicklungspolitischen Bereich tatsächlich verwirklicht wird. Deutschland muss zu seinen Versprechen und seiner Verantwortung für Afghanistan stehen. Daher ist es ein fatales Signal, wenn die Bundesregierung die Mittel für den zivilen Aufbau um 10 Millionen Euro für 2013 gekürzt hat. Dabei hatte sie noch auf der Tokio-Konferenz 2012 versprochen, 430 Millionen Euro bis 2015 jährlich bereitzustellen. Hier zeigt sich die Brüchigkeit der geleisteten Versprechen auf internationaler Ebene. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Den Antrag zum Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan lehne ich ab. Seit mehr als elf Jahren führt Deutschland inzwischen Krieg in Afghanistan. Zehntausende Menschen, ganz überwiegend Zivilisten, sind getötet und verletzt worden. Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung lehnen den Krieg ab. Er ist nicht zu gewinnen. Trotzdem soll er fortgesetzt werden, zunächst bis März nächsten Jahres mit bis zu 4 400 Soldaten. Dann soll das Mandat erneut verlängert werden, mindestens bis Ende 2014. Tausende Menschen werden wieder Opfer sein, meist afghanische Zivilisten, Polizisten und Soldaten, aber auch Nato-Soldaten. Die Versicherungen der Bundesregierung bezüglich einer fortschreitenden Verbesserung der Sicherheitslage der Bevölkerung sind trügerisch. Aktuelle Auswertungen internationaler Organisationen zeichnen ein anderes Bild. Sie gehen davon aus, dass die afghanischen Sicherheitskräfte überfordert und unvorbereitet auf den Übergang sind. Dafür spricht auch die hohe Zahl der im letzten Jahr getöteten afghanischen Sicherheitskräfte, über 3 000. Und die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist im letzten halben Jahr wieder gestiegen. Weiter Krieg führen, ist der falsche Weg. Die offensive Aufstandsbekämpfung durch die ISAF-Truppen führt unweigerlich zu weiterer Eskalation. Wertvolle Zeit wird vertan. Anstatt Kommandounternehmen und gezielte Tötungen einzustellen und mit den Aufständischen über Waffenstillstand und die Erhaltung des bisher Erreichten zu verhandeln, wird weitergemacht bis zum bitteren Ende in der Hoffnung, es werde noch alles gut und sicher in Afghanistan. Völkerrechtswidrige gezielte Tötungen von „feindlichen Kämpfern“ durch Spezialeinheiten oder bewaffnete Drohnen werden intensiviert. Im deutschen Verantwortungsbereich wurden Kampfdrohnen mit Tötungsauftrag stationiert. Aufgrund welcher Informationen die Todeslisten erstellt werden, ist undurchsichtig und nicht überprüfbar. Den gezielten Tötungen fallen häufig am Krieg völlig Unbeteiligte oder zu Unrecht Denunzierte zum Opfer. Die Bundesregierung behauptet, die Bundeswehr beteilige sich nicht an solchen Tötungen. Sie hat aber eingeräumt, sie könne nicht ausschließen, dass Informationen, die sie für Aktionen zur Gefangennahme liefert, nicht doch zum Auffüllen der Tötungslisten für Drohnen oder Special Forces der Alliierten genutzt werden. Die Folge sind immer neuer Hass, Gewalt und Krieg, und Verhandlungen kommen nicht zustande. Ohne Verhandlungen, Vereinbarungen und Waffenstillstandsabkommen mit den Aufständischen wird es nichts mit mehr Sicherheit, auch nicht bis Ende 2014. Und viel schlimmer noch: Als Konsequenz für die Zeit danach droht erneut ein fürchterlicher Bürgerkrieg – oder doch die Verlängerung des NATO-Kampfeinsatzes und Krieges. Dann wird es ein neues „Schutzmandat“ mit Kampfauftrag geben. Auch das ISAF-Mandat war ursprünglich lediglich ein Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Regierung in Kabul – anders als das Mandat Enduring Freedom. Es wurde zum Kriegsmandat von heute umgedeutet. Ein Weiter-so darf es nicht geben. Der Krieg in Afghanistan muss unverzüglich beendet werden. Die Alternativen sind Verhandlungen mit allen Beteiligten, auch den Aufständischen, und Waffenstillstandsabkommen, vielleicht zunächst regionale wie in dem Verantwortungsbereich der Bundeswehr. Deshalb stimme ich mit Nein. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, Tabea Rößner und Josef Philip Winkler (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Auf der Londoner Afghanistan-Konferenz 2010 haben die an ISAF beteiligten Nationen die Beendigung des Einsatzes bis Ende 2014 beschlossen. Die afghanischen Sicherheitskräfte sollen dazu befähigt werden, selbst für die Sicherheit in Afghanistan zu sorgen. Wir wollen, dass Deutschland bis dahin weiterhin einen Beitrag dazu leistet, die afghanischen Sicherheitskräfte auszubilden. Die Entscheidung, den ISAF-Militäreinsatz zu beenden, ist richtig. Mit seinem Ende wird dem politischen Prozess endlich Vorrang gegeben. Denn nur politisches und ziviles Engagement kann der afghanischen Bevölkerung eine wahrhaft nachhaltige Perspektive bieten. Nur zivile Aufbauhilfe kann zum Aufbau von Verwaltungsstrukturen, eines Justiz-, Bildungs- oder auch Gesundheitssystems beitragen. Nur durch die zivilen -Anstrengungen kann sich eine nachhaltige Wirtschaftsperspektive entwickeln. Die zivile Aufbaustrategie darf militärischen Zielsetzungen nicht untergeordnet werden. Unsere Erwartung in ein neues ISAF-Mandat ist, dass es einen eindeutigen und entschlossenen Weg in Richtung der Beendigung des Einsatzes Ende 2014 darlegt. Der nun vorgelegte Antrag der Bundesregierung wird diesem Anspruch jedoch nicht gerecht. Im Besonderen betrifft dies die Mandatsobergrenze, die auf 4 400 Soldatinnen und Soldaten festgelegt wurde. In der Begründung wird bis zum Mandatsende eine Reduktion der Truppenzahl auf 3 300 in Aussicht gestellt. Wenn am 1. März 2014 noch mehr als 3 000 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan stehen, scheint uns ein vollständiger Abzug der Bundeswehr bis Ende 2014 nur schwer durchführbar. Zur geplanten Folgemission ab 2015 fehlen konkrete Informationen. In der Begründung des Mandats wird lediglich darauf hingewiesen, dass eine Folgemission mit deutlich geringerem Personalansatz geplant werde. Was dies genau bedeutet, ist jedoch unklar. Mit der durch die Bundesregierung vorgelegten Entwicklung der Kontingentgröße ist zu befürchten, dass auch ab 2015 eine vierstellige Zahl von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan verbleiben soll. Aus unserer Sicht erzeugt das vorgelegte Mandat eine Pfadabhängigkeit für die Folgemission, die wir nicht mittragen wollen. Gleichzeitig sehen wir, dass Deutschland durch seinen Einsatz in Afghanistan eine Schutzverantwortung für die afghanische Bevölkerung übernommen hat. Dieser Verantwortung müssen wir sowohl mit unserem zivilen als auch militärischen Engagement weiter gerecht werden. Unser Ziel ist es, das militärische Engagement rasch und entschlossen zu reduzieren. Ein sofortiger Abzug würde aus unserer Sicht nicht nur bereits Erreichtes, sondern auch die Zukunft der afghanischen Kinder, Frauen und Männer in existenzieller Art und Weise gefährden. Wir haben uns in der Summe dazu entschieden, uns bei der Abstimmung über die Fortsetzung des ISAF-Mandates der Bundeswehr zu enthalten. Dies ist eine Gewissensentscheidung. Der Entschließungsantrag unserer Fraktion findet unsere Unterstützung und legt unsere Position im Hinblick auf den Afghanistan-Einsatz näher dar. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Agnes Brugger, Katja Dörner, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Lisa Paus, Ulrich Schneider, Dr. Gerhard Schick und Dorothea Steiner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender -Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen haben, und fordert wie kaum eine andere das Gewissen und Herz der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Dem Engagement der in Afghanistan eingesetzten zivilen Helferinnen und Helfer, Soldatinnen und Soldaten sowie ihren Familienangehörigen gilt unser großer Dank und unsere Wertschätzung. Das vorliegende Mandat versagt dabei, den vollständigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan vorzubereiten. Die Politik der Bundesregierung und das ISAF-Mandat schreiben das Primat des Militärischen vor dem Zivilen weiter fort. Nach wie vor finden in Afghanistan durch ISAF-Nationen verübte gezielte Tötungen durch Kommandoaktionen und Drohnenangriffe statt, die eine Verhandlungslösung konterkarieren. Wir stimmen gegen einen solchen Militäreinsatz, der zur Gewalteskalation beiträgt und kontraproduktiv für die Schaffung von Frieden in Afghanistan ist. Strategie der Aufstandsbekämpfung schmälert Chancen auf Frieden: Seit über einem Jahrzehnt beteiligt sich die Bundeswehr am ISAF-Einsatz in Afghanistan. Noch immer ist die Sicherheitslage sehr angespannt, unberechenbar und besorgniserregend. Die vergangenen Jahre waren geprägt von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen ISAF-Truppen und afghanischen Sicherheitskräften auf der einen Seite und Taliban und anderen -Aufständischen auf der anderen. Für die meisten zivilen Opfer sind die Anschläge der Aufständischen verantwortlich. Aber auch die Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung durch die ISAF-Truppen hat zu einer zunehmenden Eskalation beigetragen. Die vor allem von den USA und anderen ISAF-Nationen weiter durch-geführten massiven gezielten Tötungen mit zahlreichen zivilen Opfern in Afghanistan und Pakistan tragen nach wie vor maßgeblich zur Eskalation der Gewalt bei. Der Einsatz von bewaffneten Drohnen fordert zahlreiche -zivile Opfer, zerstört den Rückhalt in der afghanischen Bevölkerung und fördert die Radikalisierung und den Zulauf bei den Aufständischen. So werden die Bemühungen um eine Verhandlungslösung, die Stabilisierung der Sicherheitslage und der Erfolg des Transitions-prozesses in Afghanistan massiv konterkariert. Die Strategie, mit militärischen Mitteln den Frieden in Afghanistan erzwingen zu wollen, ist gescheitert. Keine glaubwürdige Abzugsplanung: Das vorliegende Mandat ist weit davon entfernt, die Voraussetzungen für einen geordneten und glaubwürdigen Abzug der Bundeswehr bis 2014 aus Afghanistan zu schaffen. Es sieht weiterhin eine Obergrenze von 4 400 Soldatinnen und Soldaten vor und stellt selbst bei positiver Entwicklung der Sicherheitslage bis März 2014 immer noch 3 300 deutsche Einsatzkräfte zur Verfügung. Mit einem Abzugsmandat hat eine solche Kontingentplanung nichts zu tun. Die Bundesregierung stellt damit den selbst -angekündigten und international vereinbarten Abzug infrage, der unter diesen Bedingungen nur noch schwer durchführbar scheint. In der NATO beteiligt sich die Bundesregierung bereits an der Planung einer ISAF-Nachfolgemission. Weder über den geplanten Umfang einer möglichen deutschen militärischen Beteiligung noch über die Strategie und die völkerrechtliche Grundlage eines solchen Einsatzes gibt es vonseiten der Bundesregierung Aufklärung. Wenn wir wollen, dass die Bundeswehr bis 2014 abzieht, brauchen wir hierzu bereits jetzt ein Mandat, das die Voraussetzungen für einen geordneten Abzugsprozess im nächsten Mandatszeitraum schafft. Es steht aber im Gegenteil zu befürchten, dass die Pläne der Bundesregierung darauf angelegt sind, Vorfestlegungen in Bezug auf eine Nachfolgemission zu schaffen und eine vierstellige Zahl von Bundeswehrangehörigen auch nach 2014 in Afghanistan zu stationieren. Dieses Verfahren ist nicht nur intransparent, sondern hat mit Mandatswahrheit und -klarheit gegenüber Parlament und Öffentlichkeit nichts zu tun. Versöhnung und Wiederaufbau verlässlich unterstützen: Für einen nachhaltigen Frieden in Afghanistan muss ein breiter Versöhnungsprozess stattfinden und der wirtschaftliche und institutionelle Wiederaufbau des Landes vorangetrieben werden. Menschenrechtsverletzungen, ungeachtet von welcher Seite, müssen aufgedeckt und aufgearbeitet werden. Nur so gibt es eine Chance, dass der Versöhnungsprozess in der nach wie vor traumatisierten und zerrissenen afghanischen Gesellschaft gelingen kann. Ein Waffenstillstand alleine reicht nicht aus, um Frieden zu schaffen. Auch wenn dies im von Krieg und Gewaltherrschaft geprägten Afghanistan schwierig ist und schmerzhafte Kompromisse abverlangt, müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um ein größtmögliches Maß an Gerechtigkeit walten zu lassen. Diese mit einem echten Versöhnungsprozess verbundenen Herausforderungen werden von dem vorliegenden Mandat und der Afghanistan-Politik der Bundesregierung nicht angegangen. Wiederaufbau und Versöhnung gehören ins Zentrum der Afghanistan-Politik. Doch die Unterstützung bei der Entwicklung grundlegender Staatsstrukturen und einer funktionierenden Verwaltung wird weiterhin vernachlässigt. Darüber hinaus fehlt es an einem Gesamtkonzept und einer sinnvollen Schwerpunktlegung für die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans. Diese muss sich an den Bedürfnissen der afghanischen Bevölkerung und den Gegebenheiten vor Ort orientieren. Der für die afghanische Wirtschaft zentrale landwirtschaftliche Sektor und die Modernisierung des afghanischen Bildungssystems müssen dabei im Vordergrund stehen. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus ist die Stärkung der Zivilgesellschaft. Der Weg zu einem nachhaltigen Frieden in Afghanistan ist noch lang und steinig und erfordert eine langfristige und verlässliche Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Das vorliegende Mandat bleibt eine Antwort auf die Frage schuldig, wie das deutsche Engagement für den Aufbau in Afghanistan in einem angemessenen Umfang fortgesetzt werden kann und lässt anders als das Vorgängermandat die Höhe der Mittel für den zivilen Wiederaufbau offen. Die Bundesregierung hat ihre Versprechen diesbezüglich schon gebrochen: Nur ein halbes Jahr nach ihren Zusagen auf der Geberkonferenz in Tokio wurden die Mittel des Afghanistan-Stabilitätspakts um 10 Millionen gekürzt. Dem zukünftigen deutschen Engagement fehlt eine überzeugende und umfassende Gesamtstrategie für den Aufbau Afghanistans. Wir lehnen die Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung und die weiter fortgesetzten völkerrechtswidrigen gezielten Tötungen ab. Sie stehen einer friedlichen Lösung des Konfliktes durch Verhandlungen entgegen. Wir fordern Mandatswahrheit und -klarheit in der Frage des Abzugs und sagen Nein zu einem Mandat, das sich einer realistischen und geordneten Abzugsplanung bis Ende 2014 verweigert. Unser Votum richtet sich nicht gegen die in Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten, sondern gegen die falsche Afghanistan-Politik der Bundesregierung. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Omid Nouripour, Marieluise Beck (Bremen), Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Priska Hinz (Herborn), Tom Koenigs, Nicole Maisch, Jerzy Montag, Manuel Sarrazin, Markus Tressel und Daniela Wagner (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 7) Nur eine politische Lösung kann verhindern, dass Afghanistan nach dem Abzug der internationalen Truppen in einen neuen, blutigen Bürgerkrieg zurückfällt. Die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft müssen daher ihre Anstrengungen erhöhen, um den Verhandlungs- und Reintegrationsprozess in Afghanistan zu unterstützen und eine Friedenslösung unter Einbeziehung der beteiligten Nachbarstaaten zu erzielen. Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die erreichten Fortschritte insbesondere bei Menschenrechten insbesondere für Frauen und Mädchen im Rahmen der Verhandlungen nicht ausgehöhlt werden. Der zivile Aufbau in Afghanistan erfordert ein langfristiges Engagement der internationalen Gemeinschaft und verlässliche Zusagen für Hilfen und Unterstützungsleistungen auch über das Jahr 2014 hinaus. Hierzu gehört, die im Juli 2012 auf der Geberkonferenz in Tokio gemachte Zusage einzuhalten, bis einschließlich 2015 jährlich 430 Millionen Euro für den zivilen Aufbau bereitzustellen. Die Bundesregierung belässt es jedoch bei vagen Zusagen und hat sich im Rahmen der letzten Haushaltsverhandlungen von verbindlichen Mittelzusagen für Afghanistan verabschiedet. Dies ist ein herber Rückschlag für die afghanische Zivilbevölkerung. Um der Verantwortung Deutschlands für die Menschen in Afghanistan endlich gerecht zu werden, muss die Bundesregierung bindende Verpflichtungen aussprechen. Darüber hinaus braucht es vor allem eine umfassende Agenda für den zivilen Aufbau, die das deutsche Engagement im politischen und entwicklungspolitischen Bereich für die Zeit nach 2014 für Afghanistan verlässlich festlegt. Dies ist auch erforderlich, da in Afghanistan die Befürchtung zunimmt, dass mit dem militärischen Abzug auch die meisten Aufbauhelferinnen und helfer das Land verlassen werden. Im militärischen Engagement setzen Partnernationen weiter auf kontraproduktive „gezielte Tötungen“. Die Bundesregierung muss sich im Rahmen von ISAF und gegenüber den Partnern dafür einsetzen, dass dieses falsche Vorgehen beendet wird. Sie muss außerdem sicherstellen, dass sich die Bundeswehr nicht an solchen Ak-tionen beteiligt. Es ist zu kritisieren, dass die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Abzugsplanung im Ungefähren bleibt. Die enormen logistischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen müssen endlich nachvollziehbar ausbuchstabiert werden, um verlässlich und transparent darzulegen, wie der zugesagte Abzug sämtlicher Truppen mit einem Kampfauftrag bis Ende 2014 in verantwortbarer Art und Weise realisiert werden soll. Die Bundesregierung muss sich in diesem Zusammenhang auch dafür einsetzen, dass die afghanischen Ortskräfte, die für die Bundeswehr unter anderem als Dolmetscher, Fahrer und Arbeiter tätig waren und nun Repressalien durch die Taliban befürchten, nicht ihrem Schicksal überlassen werden, und sie muss ihnen ein großzügiges Aufnahmeangebot machen. Trotz unserer Kritik an der unzureichenden und teilweise fehlgeleiteten Afghanistan-Strategie der Bundesregierung stimmen wir dem Mandat zur Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr bis zum 28. Februar 2014 zu. Dies ist eine schwere Gewissensentscheidung. Mit dem Engagement der internationalen Gemeinschaft haben wir eine Schutzverantwortung für die -Menschen in Afghanistan übernommen. Wir fühlen uns weiterhin verpflichtet, sie nicht alleine zu lassen. Zustimmung bedeutet auch, dass wir Mitverantwortung übernehmen für den schwierigen, oft lebensgefährlichen Einsatz der Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Aufbauhelferinnen und Aufbauhelfer. Ein sofortiger militärischer Abzug würde die Menschen in Afghanistan in einem neu eskalierenden Bürgerkrieg alleine zurücklassen und die gesamte Region destabilisieren. Die Polizei und die Armee Afghanistans sind noch nicht in der Lage, verlässlich für die Sicherheit im Land zu sorgen. Expertinnen und Experten sowie Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft aus Afghanistan machen immer wieder deutlich, dass deswegen eine – wenn auch befristete – militärische Präsenz internationaler Truppen notwendig ist. Anlage 7 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern (Tagesordnungspunkt 11 a) Sylvia Canel (FDP): Eheliche und nichteheliche Kinder haben einen Anspruch darauf, dass ihre Väter und Mütter gleichermaßen Verantwortung über ihr Leben übernehmen. Deshalb sollen die bisher geltenden Rechte von ledigen Vätern deutlich verbessert werden. Das ist nicht nur meine persönliche Auffassung, sondern auch die klare politische Haltung der FDP-Bundestagsfraktion. Die Stärkung des Sorgerechts insbesondere bei außerehelich geborenen Kindern ist aus meiner Sicht bereits von Geburt an sicherzustellen. Denn beide Elternteile, unabhängig von dem Familienstand, sind dazu verpflichtet, im Sinne des Kindeswohls zu handeln. Dies kann nur gewährleistet werden, wenn künftig die Väter das Recht bekommen, ihre Fürsorge und Sorgepflicht bereits von Geburt an ausüben zu können. Bereits 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Sorgerechtsregelungen, die in Deutschland vorherrschen, als menschenrechtswidrig deklariert. Die Begründung beruft sich auf die Unterscheidung zwischen ehelichen und nichtehelichen Neugeborenen. Demzufolge werden Neugeborene von nicht verheirateten Paaren deutlich benachteiligt, da es keine klare Regelung des gemeinsamen Sorgerechts gibt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erstellte jedoch einen klaren Forderungskatalog bezüglich der Neuregelung des gemeinsamen Sorgerechts bei nicht verheirateten Elternpaaren. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang auch auf die UN-Kinderrechtskonvention verwiesen. Hier heißt es, dass alle Kinder das Recht besitzen, von beiden Elternteilen gleichermaßen erzogen zu werden, unabhängig von dem Familienstand der Eltern. Die Neuregelung des gemeinsamen Sorgerechts von nichtehelichen Neugeborenen wird durch den vorliegenden Gesetzentwurf vereinfacht und nimmt Rücksicht auf die moderne Form der Beziehung. Dementsprechend soll ein Vater, der seine Vaterschaft bereits anerkennt, auch das Recht bekommen, sich um sein Kind zu sorgen und zu kümmern. Sollte es zum Streit der Elternteile kommen, wird ein Gericht im Sinne des Kindeswohls entscheiden. Jedoch sollte meiner Ansicht nach der Vater dieses Recht bereits mit der Geburt des Kindes erhalten. Einen anderen Weg erachte ich als eine Diskriminierung des Kindsvaters. Vor diesem Hintergrund soll die Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern weiter vorangebracht werden und um einen Punkt erweitert werden. Väter sollen bereits von Geburt das Recht erhalten, sich ihrer Verantwortung zu stellen und sich gleichermaßen um das Kind zu kümmern. Diese Forderung ist zum Wohle des Kindes. Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Bei der heutigen Abstimmung des Bundestages zum Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern – Bundestagsdrucksache 17/11048 – stimme ich heute mit Nein. Es ist richtig, die Rechte der Väter zu stärken; insofern ist der heute vorliegende Gesetzentwurf eine Verbesserung in der Sache. Dennoch halte ich dabei die zwangsweise Einschaltung eines Gerichtes, um auch Vätern das Sorgerecht zuzusprechen, für falsch. Art. 3 des Grundgesetzes lautet wie folgt: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Dieser zentrale Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes muss auch beim Sorgerecht gelten. So halte ich es für geboten, dass Mutter und Vater das gemeinsame Sorgerecht bei der Geburt eines Kindes erhalten, unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder nicht. Ein Verfahren, bei dem der Vater seine Rechte erst beantragen und einen Gerichtsbeschluss herbeiführen muss, halte ich für falsch. Dies gilt umso mehr, wenn dies zu einer möglicherweise sehr schwierigen familienrechtlichen Auseinandersetzung und Entscheidung führt. Das häufig vorgetragene Argument von Kollegen, dieses Gesetz würde ohnehin nur in – wenigen – strittigen Fällen greifen, halte ich für ein sehr schwaches Argument. Denn gerade für die problematischen und strittigen Fälle ist das Gesetz ja da; bei einem Einvernehmen wird es ohnehin nicht zum Tragen kommen. Aus Sicht des Kindes halte ich es für wichtig, dass sowohl Mutter wie auch Vater Verantwortung übernehmen – das erwarte ich von beiden Elternteilen – und dass diese dazu auch tragfähige gemeinsame Lösungen entwickeln. Es gibt darüber hinaus Fälle, in denen eine Ausnahme angezeigt ist, insbesondere wenn Gewalt ausgeübt wird oder wurde oder das Kindeswohl beeinträchtigt werden könnte. Hierfür wäre eine entsprechende Regelung wünschenswert; ansonsten sollte das Gesetz von einem gemeinsamen Sorgerecht ausgehen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts (Tagesordnungspunkt 13) Erich G. Fritz (CDU/CSU): In zweiter und dritter Lesung beraten wir heute eine Novelle des Außenwirtschaftsgesetzes. Sie führt zu einer erheblichen Vereinfachung und Entschlackung des aus dem Jahre 1962 stammenden deutschen Außenwirtschaftsrechts. Mit der vorliegenden Überarbeitung erfüllen wir eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag vom 26. Oktober 2009. Ich freue mich, dass in den abschließenden Ausschussberatungen eine sehr weitgehende Übereinstimmung zwischen den Fraktionen zu erkennen war und dass die Notwendigkeit und die Art der Überarbeitung viel Zustimmung gefunden hat. Ich habe es bereits in meiner letzten Rede versichert und wiederhole es gerne: Das Außenwirtschaftsgesetz genießt weltweit einen hervorragenden Ruf und wird -daher seine bewährten Grundstrukturen, insbesondere den Grundsatz der Außenwirtschaftsfreiheit, beibehalten. Doch es wurde Zeit für eine Modernisierung. Das Außenwirtschaftsgesetz ist vor 50 Jahren in Kraft getreten. Seither hat sich, wie wir alle wissen, im Rechtsrahmen der Außenwirtschaft national, europäisch und international einiges geändert, und die Kontroll- und Genehmigungspraxis in Deutschland wurde immer weiter entwickelt. Die Europäische Union hat Zuständigkeiten im Außenhandel übernommen und in ihrem Zuständigkeitsbereich einen gemeinsamen Exportkon-trollmechanismus aufgebaut. Auch deshalb sind das Außenwirtschaftsgesetz, AWG, und die Außenwirtschaftsverordnung, AWV, häufig geändert worden. AWG und AWV glichen bisher einem Flickenteppich. Sie waren unübersichtlich und wenig nutzerfreundlich. Selbst Juristen und Experten haben teilweise Schwierigkeiten, sich in diesem Dschungel von 50 Paragrafen noch zurechtzufinden. Nach der Novelle sollen es nur noch 28 Bestimmungen sein. Im Interesse der Exporteure, insbesondere der kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland, die oft nicht über eine eigene Rechtsabteilung verfügen, müssen die Regelungen gestrafft und verständlicher formuliert werden, auch für Nicht-Juristen. Die Neufassung ist also eine notwendige Anpassung, und ich gratuliere der Bundesregierung zu ihrer Entscheidung, das Außenwirtschaftsrecht zu novellieren. Um es noch einmal plastisch zusammenzufassen: Das AWG stammt aus einer Zeit vor dem Binnenmarkt, natürlich auch vor dem Lissabon-Vertrag. Das BAFA hat sich in dieser Zeit ebenso entwickelt wie die Expertise der Unternehmen im Umgang mit den nötigen Verfahren. Die Hauptzollämter haben ihre Fähigkeiten enorm entwickelt. Die Compliance-Regeln in den Unternehmen haben den Grad innerbetrieblicher Selbstkontrolle erheblich ausgeweitet. Fahndungsmöglichkeiten wurden unter anderem durch Aufbau und Entwicklung des Zollkriminalinstitutes ausgebaut. Die Dual-Use-Verordnung der Europäischen Union ist heute unmittelbar geltendes Recht in Deutschland. Der Gemeinsame Standpunkt der EU wie die fortgeschriebenen Exportrichtlinien der Bundesregierung binden Regierungshandeln. Wir haben ein sehr hohes Niveau der Ausfuhrkontrolle erreicht, das seine Wirkung entfalten kann. Dual-Use-Güter sind im normalen Handelsverkehr unter Kontrolle. Der Staat kommt seiner Verpflichtung nach, und die Exporteure können damit umgehen. Wir dürfen aber auch den Güterhandel nicht nur unter dem Gesichtspunkt der doppelt verwendbaren Güter betrachten, sondern müssen auch an die Millionen von Produkten denken, die das Verfahren durchlaufen, ohne jemals in die Gefahr zu geraten, im weitesten Sinne militärisch verwendet zu werden. Deshalb war ein Anspruch an die Überarbeitung auch, die Regelungen klar, überschaubar und eindeutig zu machen. Solche Ansprüche wurden auch von der Rechtsprechung immer wieder an den Gesetzgeber gestellt. Die dafür notwendigen Veränderungen liefern auch modernere Definitionen für ein besseres sprachliches Verständnis. Das AWG wird an die moderne Terminologie angepasst. Es erhält so eine zeitgemäße Sprache und wird mit den europarechtlich etablierten Begriffen in Einklang gebracht. Da das nationale und das europäische Recht eng verzahnt sind, werden so Widersprüche beseitigt. Viele Begrifflichkeiten waren schlicht veraltet. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man sich vor Augen führt, dass viele der Definitionen aus der Zeit vor der Wiedervereinigung und vor der Dual-Use-Verordnung – erstmaliges Inkrafttreten 1994, grundlegende Überarbeitung 2009 – stammen. Es ist also an der Zeit, den Definitionskatalog zu überarbeiten. Einige Begriffe entfallen ganz, und einige werden sprachlich vereinfacht. „Fremde Wirtschaftsgebiete“, um ein Beispiel zu nennen, hat der Teilung Deutschlands Rechnung getragen. Künftig sollen die Begriffe „In- und Ausland“ verwendet werden. Auch sollen AWG und AWV besser und übersicht-licher strukturiert werden. Ein Beispiel: Die außenwirtschaftsrechtlichen Einfuhrverfahrensvorschriften finden sich derzeit sowohl im AWG als auch in der AWV. Im Interesse der Übersichtlichkeit werden sie nunmehr einheitlich in der AWV geregelt und damit an die Ausfuhrverfahrensvorschriften angeglichen. Sie sehen, es geht hier nicht um eine grundlegende Änderung der Inhalte, etwa um laxere Ausfuhrbestimmungen, wie teils fälschlicherweise in der Presse behauptet und skandalisiert, sondern vor allem um eine Anpassung an die moderne Begrifflichkeit und eine schlankere Fassung der Bestimmungen, die gleichzeitig eine Präzisierung ist, weil viele Rechtsvorschriften nicht mehr mühsam aus jeweils anderen Gesetzen abgeleitet werden müssen, sondern sich eindeutig im AWG finden. Vergleicht man Außenwirtschaftsgesetz alt und neu, so wird klar, dass sich in der Sache nur wenig ändert. Ich war sehr enttäuscht, dass Teile der Opposition absichtlich, zumindest aber durch Nachlässigkeit falsche Behauptungen über laxere Rüstungskontrollen durch das neue AWG verbreitet haben, die explizit nicht vorgesehen sind. Denn das AWG geht weit über Rüstung hinaus, und der Bereich Rüstung innerhalb des AWG bleibt völlig unberührt von der Überarbeitung. Ich sage es noch einmal: Die Überarbeitung des Außenwirtschaftsrechts sieht keinerlei Erleichterungen für den Export von Rüstungsgütern vor. Insofern ist es gelinde gesagt verwunderlich, wenn das Magazin Der Spiegel in seiner Ausgabe vom 16. Juli 2012, Ausgabe 29/2012, Seite 16, mit dem irreführenden Titel „Rüstungsexporte: Deutsche Waffen für die Welt“ behauptet, die Bundesregierung wolle mit der Gesetzesnovellierung „den Export von Waffen und Rüstungsgütern vereinfachen“. Davon kann keine Rede sein. Kriegswaffenkontrollgesetz, Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung und der Gemeinsame Standpunkt verändern sich nicht. Es bleibt zu hoffen, dass man sich zwischenzeitlich ernsthaft mit dem Inhalt des Entwurfs vertraut gemacht hat. Denn die Inhalte der bestehenden Verbote und Genehmigungsinhalte bleiben dieselben. Die vorliegende Gesetzesmodernisierung führt nicht dazu, dass sich Rüstungsgüter aus Deutschland leichter exportieren lassen. Was in der Tat entfällt, sind überholte Ermächtigungsgrundlagen, die seit Inkrafttreten des Gesetzes schlicht nie genutzt wurden. Gerne gebe ich Ihnen ein Beispiel: Nach § 17 AWG können Rechtsgeschäfte über die Verbreitung ausländischer Filme und anderer audiovisueller Werke beschränkt werden, um die deutsche Filmwirtschaft zu schützen. Die Beschränkungen hatten keinen außenwirtschaftsrechtlichen, sondern einen industrie-politischen Hintergrund. Von der Ermächtigungsgrundlage wurde noch nie Gebrauch gemacht. Sie ist auch nicht nötig. Wichtige Grundlagen, wie beispielsweise der sogenannte Einzeleingriff, §§ 6, 7 AWG-Novelle, bleiben erhalten. Nach wie vor können also Lieferungen, die nach dem geltenden Recht legal wären, durch einen Einzeleingriff gemäß § 6, ehemals § 2 Abs. 2 AWG, untersagt werden, um bestimmte Gefahren abzuwenden, zum Beispiel für die auswärtigen Beziehungen Deutschlands. Die Voraussetzungen einer solchen Ausfuhrbeschränkung in Form eines Verwaltungsakts soll durch die Gesetzesnovelle auch für den Seeverkehr außerhalb des deutschen Küstenmeers konkretisiert werden, § 7 AWG-Novelle. Zusätzlich zu der Anpassung an die moderne Terminologie sind einige inhaltliche Änderungen im Bereich der Straf- und Bußgeldbewehrungen vorgesehen, die ich Ihnen gerne noch einmal erläutere: Bislang fiel es schwer, zwischen dem Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit und dem einer Straftat zu unterscheiden. Die bisherigen Straf- und Bußgeldbewehrungen sind schwer verständlich, weil sie an unbestimmte Rechtsbegriffe anknüpfen. Verstöße gegen bestimmte Genehmigungserfordernisse werden zu Straftaten, wenn sie geeignet sind, die „auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland“ erheblich zu gefährden, § 34 Abs. 2 AWG Dies ist eine schwammige Formulierung. Die Rechtsprechung hat die Bestimmungen aus gutem Grund kritisiert: Es sei für den Adressaten schwer erkennbar, wann er sich strafbar machen könne, weil nicht immer klar sei, in welchen Fällen das Auswärtige Amt diesen Tatbestand bescheinige. Deshalb seien die geltenden Straf- und Bußgeldbewehrungen „am Rande der Verfassungswidrigkeit“. Ich halte es daher für richtig, dass die Novelle auf unbestimmte Rechtsbegriffe in der Zukunft verzichten soll. Die Straf- und Bußgeldbewehrungen werden in der Novelle klarer als bisher am Grad der Vorwerfbarkeit ausgerichtet. Mit anderen Worten, vorsätzliche Verstöße gegen bestimmte Verbote und Genehmigungserfordernisse, die bisher als Ordnungswidrigkeiten behandelt werden, sollen zukünftig als Straftaten bewertet werden. Auch hier bietet sich ein kurzes Beispiel zum besseren Verständnis an: Die ungenehmigte Ausfuhr von Waffen wird als Straftat geahndet. Das ist bisher so, und das wird auch so bleiben. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf wird aber auch die ungenehmigte Ausfuhr ziviler Güter, die für militärische Zwecke missbraucht werden können, eine Straftat, wenn der Täter vorsätzlich handelt, § 18 AWG-Novelle. Damit ist die klare Botschaft verbunden: Wer sich bewusst über das Außenwirtschaftsrecht hinwegsetzt, handelt nicht nur ordnungswidrig, er macht sich vielmehr strafbar. Eine Ahndung von Ordnungswidrigkeiten als Straf-taten soll hingegen nicht mehr möglich sein. Der Ge-setzentwurf – mit Ausnahme von Verstößen gegen Waffenembargos – verzichtet auf eine Strafbewehrung fahrlässigen Handelns, das heißt von Verstößen gegen die erforderliche Sorgfalt. Der Grund hierfür ist einleuchtend: Mitarbeiter exportierender Unternehmen sollen nicht kriminalisiert werden, wenn sie sich rechtstreu verhalten wollen, ihnen aber versehentlich ein Arbeitsfehler unterläuft. Gerade bei Unternehmen, die automatisierte Kontrollverfahren eingerichtet haben, kann es zu versehentlichen Verstößen im Bereich der Ordnungswidrigkeiten kommen. In diesen Fällen ist die Verhängung eines Bußgeldes gegen das Unternehmen die angemessene Sanktion. Nach dem Struck‘schen Gesetz, dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es ihn erreicht hat, wurde auch diese Vorlage der Bundesregierung im Wirtschaftsausschuss verändert. Wir haben im § 22 einen Absatz 4 eingefügt, der die Möglichkeit eröffnet, von der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit abzusehen, wenn ein Verstoß im Wege der Eigenkontrolle aufgedeckt und der zuständigen Behörde angezeigt wurde sowie angemessene Maßnahmen zur Verhinderung eines Verstoßes aus gleichem Grund getroffen werden. Für Unternehmen entsteht so der Anreiz, durch firmeninterne Compliance-Maßnahmen und freiwillige Meldungen an die Behörden zur Aufdeckung und Behebung von Verstößen beizutragen. Wir waren dabei natürlich der Meinung, dass genau dieser Sachverhalt von den Behörden überprüft werden kann. Gerade für kleinere Unternehmen kann diese Regelung aber vereinfachend wirken und dabei das Kon-trollniveau sogar erhöhen. Nicht unerwähnt bleiben sollte auch, dass Verstöße gegen Waffenembargos verschärft werden. Eine Lieferung von Rüstungsgütern in ein Embargoland, oder die Vermittlung eines solchen Geschäfts wird als Verbrechen bestraft. Festzuhalten ist: Die Strafbewehrungen für vorsätzliche Verstöße gegen das Außenwirtschaftsrecht werden deutlich verschärft. Erlauben Sie mir, auch kurz auf den Bereich der Gesetzesnovelle einzugehen, der die Überarbeitung der AWV betrifft. Ich meine die Genehmigungserfordernisse für Güter mit doppeltem Verwendungszweck, den sogenannten Dual-Use-Bereich. Gemeint sind damit Exportgüter, die für zivile, gegebenenfalls aber auch für militärische Zwecke eingesetzt werden können. Meine Damen und Herren, sehr verehrte Kollegen von der Opposition, es handelt sich um deutsche Sondervorschriften aus einer Zeit, als es noch keine vergleichbaren Bestimmungen im europäischen Recht gab. Mittlerweile sind sie durch korrespondierende europäische Vorschriften überlagert. Das Nebeneinander der europäischen und deutschen Genehmigungserfordernisse mit weitgehend identischem Regelungsgehalt führt nicht zu einer verbesserten Exportkontrolle, sondern nur zu einer bürokratischen Belastung der Unternehmen und zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber ihren europäischen Konkurrenten. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben: Welche Dual-Use-Güter gelistet sind, ist im deutschen Recht in der Ausfuhrliste geregelt. Diese erfasst neben den europaweit gelisteten Gütern auch Güter, die nur in Deutschland gelistet sind – sogenannte 900er-Listenpositionen –: Häufig sind die nationalen Listungen auf Einzelfallentscheidungen – durch Einzeleingriff gemäß § 2 Abs. 2 AWG – zurückzuführen. Viele dieser gelisteten Güter sind veraltet bzw. haben ihre Praxisrelevanz verloren. Aus diesem Grund wird die deutsche Güterliste gekürzt. Zudem wird auf die Wiedergabe der Güter der Dual-Use-Verordnung verzichtet; denn diese Güter sind ohnehin von der vorrangig geltenden EG-Dual-Use-Güter-VO erfasst. Sie sehen also, dass die vorliegende Novelle deutlich in die Klasse der Weiterentwicklung effizienten Regierens in Deutschland einzuordnen ist. Dies hat im Übrigen auch deutlich die überwiegend positive Resonanz von Fachleuten aus Wirtschaft und Wissenschaft während der öffentlichen Anhörung des Wirtschaftsausschusses am 10. Dezember ergeben. Auch Fachmagazine finden positive Worte für die Novelle: So lobt der DIHK die Erleichterung für deutsche Unternehmen. Die AW-Prax spricht von „über-sicht-licheren und für den Nutzer freundlicheren“ Vorschriften, die jedoch „keineswegs dazu führen, dass sich insbesondere Rüstungsexporte einfacher gestalten als bisher“ – vergleiche AW-Prax, August 2012, Seite 255. Im Gegenteil, mit der AWG-Novelle sorgt die Bundesregierung für klare Regeln sowie fairen Wettbewerb für die exportorientierte deutsche Wirtschaft, die ich gerne zu unterstützen bereit bin. Ich bedanke mich bei den Mitberichterstattern, den Mitarbeitern des BMWi sowie bei den Sachverständigen, die durch ihre Beiträge und Diskussionen wesentlich zu einem gemeinsamen Verständnis und einem guten Ergebnis beigetragen haben. Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Die Novelle des Außenwirtschaftsgesetzes, AWG, ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung des Exportstandortes Deutschland, insbesondere für unsere kleineren und mittleren Unternehmen. Um es gleich vorwegzunehmen: Es geht nicht um die Lockerung der Regeln für Rüstungsexporte. Dies ist eine unseriöse Behauptung. Die Novelle sieht keinerlei Erleichterungen für den Export von Rüstungsgütern vor. Die unter Rot-Grün beschlossenen „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ aus dem Jahr 2000 gelten unverändert. Wir aktualisieren heute ein Gesetz aus dem Jahr 1962. Das AWG und die Außenwirtschaftsverordnung, AWV, wurden in den vergangenen Jahrzehnten sehr häufig geändert und gleichen einem Flickenteppich; eine separate Überarbeitung der AWV erfolgt noch. Wir führen das bewährte deutsche Außenwirtschaftsrecht fort, es ist aber ein zentrales Anliegen der christlich-liberalen Koalition: das Außenwirtschaftsrecht vereinfachen, Rechtssicherheit für Anwender gewährleisten und deutsche Sondervorschriften aufheben, um deutsche Exporteure gegenüber ihren europäischen Konkurrenten nicht zu benachteiligen, Stichwort „level playing field“. Der Grundsatz der Außenwirtschaftsfreiheit bleibt erhalten. In der Anhörung des Wirtschaftsausschusses bescheinigten alle Experten dem neuen Gesetz, ein sehr modernes und praktikables zu sein. Es geht also um eine Vereinfachung und eine übersichtlichere Gestaltung des AWG. Wir nehmen eine Neustrukturierung und Verschlankung vor, heben überholte Vorschriften auf, neben der Anpassung an europarechtliche Vorgaben ist die sprachliche Vereinfachung ein wesentliches Ziel. Die Anzahl der Paragrafen wird fast halbiert. Insbesondere im EU-Recht ist eine Anpassung an die Entwicklung seit 1962 (!) dringend geboten. In dieser Zeit hat die EU beträchtliche Kompetenzen gewonnen, die Stichworte lauten „Binnenmarkt“, „Kapitalmarkt“, „gemeinsame Handelspolitik“ etc. Wir nehmen eine Vereinfachung und Abschaffung bestimmter Begriffe vor. So ist beispielsweise der Begriff „fremde Wirtschaftsgebiete“ als Bezeichnung für die ehemalige DDR nicht mehr notwendig. Aus „Datenverarbeitungsprogrammen“ wird der gängige Begriff „Software“. Die Stellungnahme der Nationalen Normenkontrollrates, NKR, gibt uns recht: „Gleichwohl leistet das Regelungsvorhaben einen wichtigen Beitrag zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung. Im Rahmen seines gesetzlichen Prüfauftrags begrüßt der Nationale Normenkontrollrat das Regelungsvorhaben.“ Weiterhin fassen wir die Straf- und Bußgeldvorschriften neu. Vorsätzliche Verstöße, zum Beispiel gegen Waffenembargos sollen künftig härter geahndet werden. Andere fahrlässige Verstöße sollen dagegen nicht mehr als Straftat, sondern nur noch als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Nationale Sondervorschriften zu den Dual-Use-Gütern schaffen wir ab. Sie sind unnötig, da hier bereits eine Regelung im EU-Recht existiert. Die bisherigen Bestimmungen sehen – in anderen EU-Ländern nicht geltende – zusätzliche Genehmigungserfordernisse für Dual-Use-Güter innerhalb der EU vor. Sie stammen aus einer Zeit, als es noch keine einheitlichen europäischen Regelungen gab. Die inzwischen eingeführte EG-Dual-Use-Verordnung regelt nunmehr die einheitliche und umfassende Kontrolle von Dual-Use-Gütern durch alle EU-Mitgliedstaaten. Damit haben die deutschen Sondervorschriften ihre Bedeutung verloren, zumal sie einen nicht unerheblichen bürokratischen Aufwand für die betroffenen Unternehmen verursachen und damit einen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen europäischen Unternehmen darstellten. Ein wesentliches Ergebnis der parlamentarischen Beratung ist die Neuregelung der Selbstanzeige. Es gibt künftig die Möglichkeit einer „Selbstanzeige“ von Unternehmen bei einem fahrlässigen Verstoß gegen Meldepflichten bei Ausfuhren in § 22 Abs. 4 (neu) AWG. In diesem Fall finden keine weiteren Sanktionen im Ordnungswidrigkeitenrecht statt, die nicht bei Straftatbeständen gilt. Voraussetzungen sind einfach. Der Verstoß muss im Wege der Eigenkontrolle innerhalb des Unternehmens aufgedeckt und der Behörde angezeigt werden. Es sind Maßnahmen zur Verhinderung eines weiteren Verstoßes aus dem gleichem Grund zu treffen. Beim Status quo in der Verwaltungspraxis könnten bereits kleine Formfehler, die im Zuge des firmeninternen Compliance-Managements aufgedeckt und gemeldet werden, Anlass für weitreichende Prüfungen und langwierige, potenziell kostenträchtige Verfahren – drohende Ordnungsgelder von bis zu 500 000 Euro pro Verstoß – sein. Dies widerspricht zunehmenden Compliance-Bestrebungen, die gerade einen Anreiz für die Unternehmen schaffen sollen, durch firmeninterne Maßnahmen und freiwillige Meldungen an die Behörden zur Aufdeckung und Behebung von Fehlern beizutragen. Dadurch werden auch die staatlichen Stellen entlastet, und wir setzen gezielte Anreize für die Selbstkontrolle innerhalb der Unternehmen. Ich komme also zu dem Fazit, dass wir hier beträchtliche Erleichterungen gerade für kleinere und mittlere Unternehmen beschließen, die über keine eigene Rechtsabteilung verfügen oder teure Anwaltskanzleien bezahlen können. Dies wurde auch in der Anhörung des Wirtschaftsausschusses bestätigt. Wir erreichen eine -Entschlackung und Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts. Wir schaffen Erleichterungen und Rechtssicherheit gerade für den Mittelstand. Die Neufassung der Außenwirtschaftsverordnung muss nun zügig erfolgen, um das Gesetzeswerk zu komplettieren Diesem Gesetz kann man nur zustimmen. Rolf Hempelmann (SPD): Die Bundesregierung hat uns einen Gesetzentwurf zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts vorgelegt, mit welchem sie das Außenwirtschaftsgesetz vereinfachen und vor allem modernisieren will. Unbenommen, die Anzahl der Vorschriften wurde verringert, die Grundstruktur blieb. Wie die Sachverständigenanhörung zum Außenwirtschaftsrecht Anfang Dezember ergab, ist jedoch die Handhabung des Gesetzes nicht verbessert worden. Das Außenwirtschaftsgesetz bleibt nach Aussage der Wirtschaft hinreichend kompliziert, und die Erwartungen der Wirtschaft sind daher eher gedämpft. Grundsätzlich eröffnet eine Modernisierung des Außenwirtschaftsgesetzes die Chance, die Vorgaben aus dem EU-Verhaltenskodex und der gemeinsamen Position in deutsches Recht zu übernehmen und so das Gesetz an zivilgesellschaftliche und europäische Entwicklungen anzupassen. Hierbei geht es insbesondere um die Kriterien aus den „Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ und aus dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern. Zwar gelten diese Kriterien schon jetzt verbindlich, sind aber nicht gesetzlich geregelt. Ihr eigener Sachverständiger sagte in der Anhörung, „unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit gesehen …, hätte das dann vielleicht einen höheren Stellenwert“, und bezog sich auf die Einbeziehung dieser Kriterien. Kriterien wie zum Beispiel die Beachtung von Menschenrechten in Empfängerländern deutscher Rüstungsgüter sowie die Förderung von Frieden und Freiheit in der Welt hätten Gesetzesrang. Und in anderen europäischen Ländern ist es kein Problem, die Regelungen aus dem Gemeinsamen Standpunkt in innerstaatliche Gesetze aufzunehmen. Bisher lehnten die Bundesregierung und die sie stützenden Koalitionsfraktionen die Aufnahme der Vorgaben aus den Politischen Grundsätzen und dem Gemeinsamen Standpunkt mit der Begründung ab, dies würde das Außenwirtschaftsgesetz überfrachten. Die SPD hat im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie einen Vorschlag gemacht, wie die Kriterien aus den Politischen Grundsätzen und dem Gemeinsamen Standpunkt in das Außenwirtschaftsgesetz integriert werden könnten. Diesen Änderungsvorschlag haben Sie mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen aus fadenscheinigen Gründen abgelehnt: Die Kriterien würden ja schon verbindlich gelten, war ein Argument. Außerdem würde ein solcher Verweis – so verstehe ich Ihre Anmerkungen im Wirtschaftsausschuss – für alle Güter, die unter das Außenwirtschaftsgesetz fallen, gelten. Sie haben sich nicht -ausreichend mit unserer Intention und der Gesetzessystematik beschäftigt. Das Außenwirtschaftsrecht gilt für alle Außenwirtschaftsgüter, die keine Kriegswaffen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz sind, somit auch für andere Rüstungsgüter und Dual-Use-Güter. Auf diese Güter kann und sollte ein solcher Verweis beschränkt werden. Einen anderen Vorschlag, wie die Kriterien ins Gesetz aufgenommen werden könnten, sind Sie bislang schuldig geblieben. Wir fordern Sie jetzt noch einmal auf – das können Sie auch in unserem Entschließungsantrag lesen –, diese Kriterien in das Außenwirtschaftsgesetz aufzunehmen. Kommen wir zu einem weiteren Punkt: Einzelne Rüstungsexportentscheidungen der Bundesregierung haben in der vergangenen Zeit wiederholt Diskussionen und Kritik ausgelöst. Dabei zeigt sich auch, dass es an einer entsprechenden parlamentarischen Beteiligung und Transparenz fehlt, die gerade der Bedeutung und Brisanz der Entscheidungen angemessen wäre. Darüber hinaus werden Rüstungsexportberichte verspätet vorgelegt, der Bericht für 2010 zum Beispiel lag erst circa zwei Jahre später vor. Dies ist nicht haltbar. Die SPD fordert eine feste Frist zur Vorlage des Rüstungsexportberichts. Diese Forderung ist nicht neu. Anfang 2012 hat die SPD-Bundestagsfraktion diese Forderung mit anderen in einen Antrag gegossen. Bei der Erarbeitung der Novelle zum Außenwirtschaftsgesetz hätte man durchaus darauf stoßen können. Darüber hinaus fordern wir inhaltliche Vorgaben für den Rüstungsexportbericht im Gesetz. Im Gegensatz zu Deutschland ist das woanders in Europa, wie zum Beispiel in Spanien, durchaus üblich. Kommen wir zu den tatsächlichen Ausfuhren: Bei Exporten wird vermerkt, dass und welche Exportgenehmigung vorliegt. Es besteht derzeit aber keine Übersicht über die Höhe der real getätigten Exporte. Dabei geht es um das Ausschöpfen von Exportgenehmigungen. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert daher eine gesetzlich verankerte Informationspflicht der Unternehmen über getätigte Exporte, welche es der Bundesregierung ermöglicht, für alle Rüstungsgüter Zahlen über tatsächliche Ausfuhren vorzulegen. Eine solche Erhebung vorzunehmen, ist auf europäischer Ebene schon angeregt worden und wird zum Beispiel in Schweden seit Jahren praktiziert. Schließlich sind der Entschlackung die deutschen Sondervorschriften zur Ausfuhr von Dual-Use-Gütern zum Opfer gefallen. Begründet wird diese Aufhebung mit der Geltung der europäischen Dual-Use-Verordnung, dem bürokratischen Aufwand für die betroffenen Unternehmen und dem Wettbewerbsnachteil gegenüber Wettbewerbern aus anderen Mitgliedstaaten. Nur, warum bleiben sie aber auf europäischer Ebene untätig? Die SPD-Bundestagsfraktion sieht eine große Aufgabe darin, in Europa auf politischer und operationeller Ebene verstärkt und innereuropäisch zusammenzuarbeiten. Sie nutzen Europa nur als Grund zur Aufhebung der Sondervorschriften und bleiben ansonsten untätig. Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen Entschließungsantrag eingebracht. Darin fordern wir die Bundesregierung auf, ihren Gesetzentwurf zum Außenwirtschaftsrecht noch einmal zu überarbeiten. Die wichtigsten Gründe habe ich schon genannt. Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem Gesetzentwurf, so wie er derzeit vorliegt, nicht zustimmen. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Würde es im vorliegenden Gesetzentwurf zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts allein um die „Entschlackung“ und sprachliche Verbesserungen sowie die Anpassung an europäische Entwicklungen gehen, könnten wir dem Entwurf möglicherweise zustimmen. Aber wie oft steckt der Teufel im Detail. Zwar hat die die Fülle der Änderungen nicht die Grundstruktur des Außenwirtschaftsgesetzes, AWG, geändert. Aber hier liegt das Problem und setzt unsere Kritik an. Denn wie bislang wird der Export von Dual-Use-Gütern und Rüstungs- und Kriegswaffen nicht ausreichend reguliert, begrenzt und damit verhindert. Uns ist klar, dass das AWG einen viel breiteren Geltungsbereich als Rüstungsexporte und Dual-Use-Güter umfasst. Fakt ist jedoch auch, dass das AWG und seine zugehörige Verordnung sowie das Kriegswaffenkontrollgesetz die zentralen Gesetze sind, die deutsche Rüstungsexporte im weiteren Sinne maßgeblich ermöglichen. Der vorgelegte Gesetzentwurf erleichtert in der Summe nun sogar den Export von Rüstungs- und Dual-Use-Gütern. Bisher gültige Restriktionen, die nach deutschem Recht vorgeschrieben waren, aber nach europäischem Recht nicht sind, entfallen. Beispielsweise kann laut altem AWG die Ausfuhr von Gütern beschränkt werden, die für die Entwicklung, Erzeugung oder den Einsatz von Waffen, Munitionen oder Kriegsgerät nützlich sind. Künftig soll dies nur noch für Güter gelten, die ausdrücklich für die Entwicklung, Erzeugung oder den Einsatz von Waffen, Munitionen und Rüstungsgütern vorgesehen sind. Das heißt, die Güter müssen explizit für diese Zwecke bestimmt sein. Damit wird zum einen eine deutlich größere Bandbreite von Gütern abgedeckt. Zum anderen wird der Exporteur aus der Verantwortung für die spätere Verwendung seiner Güter schlicht entlassen. Ebenso sollen nach der Novelle des AWG die ohnehin weitreichenden und intransparenten Genehmigungen ohne Befristung erteilt werden. Die Befristung wäre zwar auch nach neuem Recht noch möglich, aber eben nicht länger zwingend notwendig. Entsprechend könnten Lieferungen für transnationale Rüstungskoproduktionen nun ohne zeitliches Limit genehmigt werden. Die Folge wäre ein maßgeblicher Kontrollverlust bei der Ausfuhr der betroffenen Güter. Schließlich sieht der Gesetzentwurf bei den Straf- und Bußgeldvorschriften zwar einige Verschärfungen, aber zugleich auch Erleichterungen vor. So muss etwa einem Exporteur von Rüstungsgütern künftig nachgewiesen werden, dass er vorsätzlich gegen die geltenden Gesetze gehandelt hat. Fahrlässige Verstöße gegen das AWG werden nur noch als Ordnungswidrigkeiten geahndet. Lediglich leichtfertige Verstöße gegen ein Waffen-embargo werden noch strafbewehrt. Im Gegenzug hat es die Koalition völlig versäumt, in die Novelle des AWG dringend notwendige Grenzen für den Export von Rüstungsgütern mit aufzunehmen. Im Entschließungsantrag der SPD wird in diesem Sinne die Aufnahme der „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ angemahnt. Aber wie schon in der Debatte im Wirtschaftsausschuss angemerkt, würde dies nicht zur wirklichen Reduktion oder zu dem Stopp der Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete führen. Machen wir uns nichts vor: Die politischen Grundsätze sind allesamt unverbindliche Absichtserklärungen ohne praktische Konsequenz. Nach wie vor erhalten deshalb Diktaturen und Regierungen, die schwere Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben, relativ problemlos Rüstungs-güter aus deutscher Produktion, wenn es denn dem außenpolitischen Interesse entspricht. Und so erreicht der Export dieser Güter jedes Jahr ein neues Hoch. Deutsche Waffen und zugehörige Güter finden sich weltweit in steigenden Größenordnungen in allen Kriegs- und Krisengebieten. Die Interessen der deutschen Rüstungsindustrie auf dem schwer umkämpften Markt geben den Takt vor, nicht die Menschenrechte, insbesondere der Erhalt von Frieden. Daran werden auch die leider zahmen Forderungen der SPD nichts ändern, sollten sie ins AWG aufgenommen werden. Sie sind politische Kosmetik und dem schlechten Gewissen geschuldet – nicht mehr und nicht weniger. Aus diesen Gründen lehnen wir den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung ab und können den -Entschließungsantrag der SPD ebenso wenig mittragen. Von beiden Seiten wurde explizit versäumt, über klare Verbote des Exports von Rüstungsexporten und entsprechende Dual-Use-Güter die bisher für unzählige Menschen tödliche deutsche Genehmigungspraxis bei Waffenausfuhren nachdrücklich und wirksam zu unterbinden. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute Morgen haben wir noch darüber diskutiert, was man -alles bei Rüstungsexporten ändern muss, und schon am gleichen Abend bietet sich eine Gelegenheit, die neu gewonnenen Erkenntnisse in Taten umzusetzen. Wir sollten den Gesetzentwurf an den Ausschuss zurücküberweisen und gründlich überarbeiten. Das würde dann auch zu den Verlautbarungen passen, mit denen einige Abgeordnete der Koalition neuerdings öffentlich von sich reden machen. Neben den Kollegen Stinner, Polenz und Kiesewetter hat nun auch der Kollege Djir-Sarai von der FDP -Reformbedarf und mehr Transparenz bei der Rüstungsexportkontrolle gefordert. Er kündigt noch in dieser -Legislaturperiode einen Vorstoß für mehr Transparenz an. Hier wäre jetzt die Gelegenheit. Komisch nur, dass davon in diesem Gesetzentwurf nichts zu finden ist. Dabei wäre das Außenwirtschaftsgesetz die richtige Stelle, um transparente Verfahren gesetzlich zu verankern. Zeitnahe Unterrichtung über Rüstungsexporte? Einbindung des Bundestages bei sensiblen Exporten? Oder gar eine gesetzliche Bindung an menschenrechtliche Kriterien? Von alldem keine Spur. Nichts davon findet sich in Ihrem Gesetzentwurf. Einen Änderungsantrag, der darauf abzielte, den „Gemeinsamen Standpunkt der EU zu Rüstungsexporten“ in das Gesetz zu integrieren, haben Sie mit Ihrer Mehrheit im Ausschuss abgeschmettert. Wie passt ein solches Verhalten mit Ihren öffentlichen Äußerungen zusammen? Sie versprechen etwas und tun dann das genaue Gegenteil. Die Österreicher -haben es uns gerade vorgemacht und den Gemeinsamen Standpunkt der EU in Sachen Rüstungsexporte in ihr -nationales Außenwirtschaftsgesetz übernommen. Die formaljuristischen Bedenken aus dem deutschen Wirtschaftsministerium sind nicht wirklich überzeugend. Warum soll bei uns nicht möglich sein, was in anderen europäischen Ländern längst gemacht wird? Dem Entschließungsantrag der SPD stimmen wir daher gerne zu. Wir wollen, dass Parlament und Öffentlichkeit künftig vierteljährlich umfassend unterrichtet werden. Endverbleibskontrolle soll bei uns auch tatsächliche Kontrolle vor Ort bedeuten und nicht nur ein Ehrenwort des Verkäufers umfassen. Neben dem Gemeinsamen Standpunkt muss auch die Rüstungsexportrichtlinie gesetzlich -verankert werden. Menschenrechtskriterien sollen so künftig verbindlich bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Die Bundesregierung macht sich offensichtlich nur Sorgen um die Nöte der Rüstungsindustrie und möchte daher bewusst keine transparenten Verfahren. Deren Strukturprobleme sind virulent: Die Staatsverschuldung steigt, und die Einkaufslisten der westlichen Verteidigungsminister werden kürzer. Die Interessenten der -Rüstungsindustrie kommen daher zunehmend aus Nicht-NATO- oder Nicht-EU-Staaten. Allein mit den eigenen Mitteln aus den westlichen Verteidigungsbudgets könnte die europäische Rüstungsindustrie niemals ausgelastet werden. Auch 20 Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts sind die Überkapazitäten viel zu groß. Um die heimische Rüstungsindustrie trotz knapper Kassen am Leben erhalten zu können, werden daher Exportwünsche der Firmen immer großzügiger beschieden. Dabei ist auch das wieder einmal eine denkbar kurzsichtige Politik – nicht nur aus friedenspolitischer Sicht, sondern auch aus der Perspektive der exportierenden -Industrie. Es führt kein Weg daran vorbei, die europäische – und mit ihr die deutsche – Rüstungsindustrie umfassend -umzubauen. Es muss nicht jeder Staat die ganze Fertigungskette von militärischem Equipment vorhalten. Solch ein antiquiertes Souveränitätsverständnis muss endlich überwunden werden. Brauchen wir wirklich schon allein in Deutschland zwei große Hersteller für gepanzerte Fahrzeuge? Wir brauchen stattdessen eine europäische Definition von Kernfähigkeiten, das heißt, wir müssen definieren, was militärisch gebraucht wird und was davon auch tatsächlich selbst entwickelt und her-gestellt werden muss. Wenn das geklärt ist, gilt es, den übrigen Betreibern konsequent Hilfestellung beim -Umbau auf eine zivile Produktion zu leisten. Viele der jetzigen Rüstungsbetriebe verfügen bereits über zivile Sparten, die sie ausbauen könnten. Selbst Gewerkschaften wie die IG Metall haben sich hierüber bereits differenzierte Gedanken gemacht. Die 80 000 betroffenen Arbeitnehmer müssen deswegen noch lange nicht auf der Straße stehen. Indem die Bundesregierung aber stattdessen weiterhin auf großzügige Exportgenehmigungen setzt und sich einer restriktiven Genehmigungspraxis verweigert, gibt sie der Rüstungsindustrie falsche Anreize. Das Problem Ihres Gesetzes ist weniger das, was darin steht, als das, was nicht darin steht. Die Konkretisierung der Straftatbestände ist zwar durchaus begrüßenswert, die eigentliche Chance der Gesetzesnovellierung ist damit allerdings nicht genutzt worden. Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Mit der -Novellierung des Außenwirtschaftsrechts wird eine wichtige Zusage aus dem Koalitionsvertrag eingelöst. Unser Außenwirtschaftsrecht wird besser, indem die ausgesprochen komplexen Vorschriften vereinfacht werden. Dabei bleibt das hohe Kontrollniveau unangetastet. Deutschland ist eine Exportnation, und deshalb ist das Außenwirtschaftsrecht für uns so bedeutsam. Wir sind weltweit drittgrößter Exporteur von Waren. Deshalb stehen wir in einer besonderen Verantwortung: Kritische Güter dürfen nicht in falsche Hände gelangen. Eine effektive Exportkontrolle setzt aber auch voraus, dass die Vorschriften verständlich sind. Wir dürfen unsere -Exportunternehmen nicht mit unnötig komplizierten Vorschriften belasten, sondern wir müssen dafür sorgen, dass unsere hohen Standards in einen möglichst verständlichen Rechtsrahmen gefasst werden. Warum brauchen wir diese Novelle? Unser Außenwirtschaftsrecht ist bereits 1961 in Kraft getreten. -Seitdem hat sich Europa kontinuierlich verändert. Die EU-Mitgliedstaaten haben ein gemeinsames EU-Exportkontrollrecht geschaffen. Aufgrund der Kompetenzverteilung zwischen der -Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten müssen unsere exportierenden Unternehmen daher sowohl europäisches als auch nationales Recht beachten. Das trägt zur Komplexität der Materie bei. Zu einer effektiven -Exportkontrolle gehört auch, dass das Exportkontrollsystem bei Bedarf an neue außen- und sicherheitspolitische Gefährdungen angepasst wird. Das war und ist ein besonderes Anliegen des deutschen Gesetzgebers. Deshalb wurde das Außenwirtschaftsgesetz seit 1961 etwa 60-mal geändert. Diese stetigen Überarbeitungen hatten ihren Preis: Unser Außenwirtschaftsrecht ist besonders unübersichtlich und schwer verständlich geworden. Das ändert sich jetzt. Mit der Novelle wird das AWG vereinfacht und übersichtlicher gestaltet. Die Experten haben dies in der Anhörung am 10. Dezember letzten Jahres bestätigt: Dieses Ziel erreichen wir, ohne die -hohen Standards anzutasten. Worin besteht also diese Vereinfachung? Nach dem Entwurf wird das AWG massiv gekürzt. Es entfallen einige Beschränkungsmöglichkeiten, die ausschließlich industriepolitisch motiviert waren. Es bleibt bei den klassischen außenwirtschaftsrechtlichen Beschränkungen. Diese bleiben unangetastet. Die Novelle führt daher nicht zu einer Vereinfachung beim Export von Rüstungsgütern. Das spricht auch gegen den Entschließungs-antrag der SPD-Fraktion. Dieser würde das Gesetz nur unangemessen aufblähen und neue bürokratische Anforderungen einführen. Mit den Zielen der Novelle, ein einfaches Außenwirtschaftsrecht zu schaffen, hat das nichts zu tun. Zudem wird die Achtung der Menschenrechte schon nach geltendem Recht bei der Genehmigungs-erteilung zwingend geprüft. Weiter wird das gesamte Außenwirtschaftsrecht sprachlich überarbeitet. Es werden Wertungswidersprüche zwischen dem europäischen Recht und dem deutschen Außenwirtschaftsrecht beseitigt. Schließlich möchte ich noch auf wichtige materiell-rechtliche Änderungen hinweisen. Mit der Novelle -werden auch alle Straf- und Bußgeldbewehrungen überarbeitet. Es bestehen Zweifel, ob die Strafbewehrungen nach dem geltenden AWG hinreichend bestimmt sind. Das hat die Rechtsprechung kritisiert. Zudem ist die -Abgrenzung zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sehr schwierig. Der Gesetzentwurf differenziert hier klar nach dem Grad der Vorwerfbarkeit: Vorsätzliche Verstöße gegen wesentliche Genehmigungserfordernisse oder Verbote sind immer Straftaten. Fahrlässig begangene Verstöße sind mit wenigen Ausnahmen Ordnungswidrigkeiten. Mit dieser Anpassung ist eine klare Botschaft verbunden: Wer sich bewusst über das Außenwirtschaftsrecht hinwegsetzt, wird bestraft. Das führt bei Vorsatztaten zu einer Strafverschärfung im Vergleich zum Status quo. Bei fahrlässigen Verstößen sieht der Entwurf dagegen eine Erleichterung vor: Wenn dem Mitarbeiter eines -exportierenden Unternehmens versehentlich ein Fehler unterläuft, wird er nicht kriminalisiert. Solche Mitarbeiter wollen sich eigentlich rechtstreu verhalten. In diesen Fällen ist ein Bußgeld die angemessene Sanktion. Lassen Sie mich zusammenfassen. Der Schwerpunkt der Novelle liegt auf der Rechtsbereinigung und Vereinfachung. Zudem gibt es eine deutliche Abgrenzung -zwischen strafbarem und ordnungswidrigem Verhalten. Damit tragen wir zur Klarheit und Übersichtlichkeit des Gesetzes bei – im Interesse unserer Exportunternehmen und damit im Interesse Deutschlands. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Reisen für alle – Für einen sozialen Tourismus (Tagesordnungspunkt 14) Marlene Mortler (CDU/CSU): Ihr Antrag weist zu Recht darauf hin, dass die Teilhabe aller Bevölkerungskreise am Tourismus erklärtes Ziel der Bundesregierung ist. In den Tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregierung vom Dezember 2008 heißt es: „Auch Menschen mit gesundheitlichen, sozialen oder finanziellen Einschränkungen sollen reisen können“. Das ist auch unser erklärtes Ziel. Es stimmt auch, dass die Bundesrepublik sich grundsätzlich für einen nachhaltigen sozialen Tourismus im Sinne der UNWTO-Menschenrechtskonvention einsetzt, die das Recht auf direkten und persön-lichen Zugang zur Entdeckung und zu dem Genuss der Ressourcen des Planeten für alle Bewohner der Welt gewährleisten soll. Hier ist aber eher die Reisefreiheit gemeint. Ich gebe Ihnen recht, dass vielen Menschen das Geld fürs Reisen fehlt. Das beste Mittel dagegen ist eine vernünftige Wirtschaftspolitik, damit genügend Geld im Lohnbeutel ist. Wir sind auf gutem Weg: Gestern ging über den Ticker: Tarifgehälter 2012 deutlich um 2,7 Prozent gestiegen. So weit so gut. Ehrlich gesagt fühle ich mich allerdings ein wenig wie vor 14 Tagen: Damals haben wir an eben dieser Stelle einen Antrag Ihrer Fraktion zum Thema Schulspeisung für alle debattiert. Der Dissens zwischen uns von damals ist der von heute. Sie tischen munter wünschenswerte Wohltaten auf. Der Bund soll zahlen und koordinieren. Wir müssen uns aber nicht nur fragen, was wünschenswert ist, sondern auch: Was ist machbar? Und vor allem: Was leistet unsere Bundesregierung auf diesem Gebiet bereits? Einiges! Und das, obwohl sie nach dem Grundgesetz nur den Rahmen festlegen darf. Denn, wie Sie wissen bzw. wissen sollten, fällt der Tourismus in die Zuständigkeiten der Bundesländer. Deshalb richten sich Ihre Forderungen an die falsche Adresse. Zunächst zu Ihrer Forderung, die Bundesregierung solle Mitglied in der Internationalen Organisation für Sozialtourismus, IOST, werden und dort aktiv mitarbeiten: Die Forderung von Ihnen ist nicht neu. Wir haben Sie bereits am 24. Februar 2011 hier an dieser Stelle debattiert. Damals wie heute lehne ich sie ab. Warum? Erstens. Ein möglicher Nutzen einer Mitgliedschaft Deutschlands in der bisher relativ unbekannten Internationalen Organisation für Sozialtourismus ist nur schwer erkennbar. So sind zum Beispiel Praxisbeispiele anderer Staaten oder Perspektiven des Sozialtourismus auf europäischer Ebene schon Gegenstand des Projektes Calypso der Europäischen Kommission, auf das auch ausdrücklich auf der Internetseite der IOST hingewiesen wird. In dieser Studie konnte nicht belegt werden, wie die dargestellten Praktiken oder daraus abgeleitete mögliche europäische Programme sich wirtschaftlich auswirken. Die geplante Ausgestaltung von Calypso lässt die Entstehung eines Subventionswettlaufs zwischen den Mitgliedstaaten befürchten mit der Gefahr, dass sich fi-nanziell selbst tragende Angebotsstrukturen zugunsten subventionsabhängiger Strukturen verdrängt würden. Eine solche mögliche Entwicklung lehnen wir ab. Zweitens. Die Bundesregierung hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich auch haushaltspolitisch nicht rechtfertigen ließe, mit staatlichen Mitteln den Urlaub bestimmter Bevölkerungsgruppen in anderen Mitgliedstaaten zu finanzieren. Drittens. In der Mitgliederliste der IOST finden sich keine Regierungen, lediglich Ministerien einzelner Länder. Aus Deutschland ist das Bundes Forum Kinder- und Jugendreisen dabei, das mit Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes gefördert wird. Sie fordern Reisezuschüsse für Hartz-IV-Empfänger. Es ist bekannt, dass Hartz-IV-Empfänger nach der Erreichbarkeits-Anordnung keinen Anspruch auf Urlaub haben. Diese dürfen nur verreisen, wenn die Arbeitsagentur zustimmt; denn Arbeitslose müssen für kurzfristige Jobangebote zur Verfügung stehen. Zuschüsse zum Urlaub stehen Hartz-IV-Empfängern nicht zu. Kinder von Hartz-IV-Empfängern brauchen allerdings auf Klassenfahrten nicht zu verzichten. Grundsätzlich ist die -Unterstützung von Klassenfahrten Sache der Schulträger; aber nach einer Reihe von Vorschriften wie SGB II, SGB III, BKGG, AsylbLG und auch für Familien mit geringem Einkommen gibt es Zuschüsse für mehrtätige Klassenfahrten. Die Bundesregierung fördert zudem in erheblichem Umfang den Bau und die Einrichtung von Familienferienstätten, Jugendbildungs- und Begegnungsstätten, Jugendherbergen, die internationale Jugendarbeit im Rahmen des Kinder- und Jugendplans des Bundes sowie zum Beispiel den gezielten bilateralen Jugendaustausch über das Deutsch-Französische Jugendwerk und das Deutsch-Polnische Jugendwerk. Es ist sogar vorgesehen, das Budget für das DFJW für dieses Jahr um 1 Million Euro zu erhöhen. Darüber hinaus fördert der Bund Projekte der Nationalen Koordinierungsstelle Tourismus für Alle, NatKo, und der Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien, abm. Hier möchte ich gern auf das Projekt „Zukunfts-projekt Kinder- und Jugendtourismus in Deutschland“ hinweisen. Dieses wurde auf Initiative der christlich--liberalen Bundestagsfraktionen auf Betreiben des Bundeswirtschaftsministeriums gerade auf den Weg gebracht. Auch die Länder engagieren sich: Sie unterstützen geringverdienende Familien bei der Finanzierung gemeinsamer Ferien zum Beispiel in gemeinnützigen Familienferienstätten durch Individualzuschüsse. Ich verweise an dieser Stelle auf neue vorbildliche Programme der Länder Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sowie „Familienbegegnung mit Bildung“, die Ferien für Familien, Sozialhilfeempfänger anbieten, die nur sehr wenig oder nichts kosten und in die auch Hartz-IV-Empfänger einbezogen werden. Auf lokaler Ebene gibt es weitere Programme zur Kinder- und Jugenderholung zum Beispiel in Ferien-lagern, die über Jugendämter aus öffentlichen Mitteln -finanziert werden, Unterstützung gibt es auch von freien Trägern und den Kirchen. Reisen lässt sich nicht von oben nach unten diktieren. Welche Möglichkeiten gibt es, preisgünstiges Reisen weiter zu fördern? Wir müssen uns nicht nur um mehr Zuschüsse kümmern, sondern sollten dafür sorgen, dass das Angebot für günstige Quartiere und Reisen erweitert wird. Auch das ist aber Landessache bzw. eine kommunale Angelegenheit: An diese Stelle appelliere ich, den Investoren preisgünstig Grundstücke oder vernünftige Liegenschaften zur Verfügung zu stellen oder eigene Grundstücke fürs Campen, wie zum Beispiel in Frankreich. Kommunen müssen Angebote vorhalten. Ich weiß, dass es zurzeit mehrere private Investoren gibt, die Platz zum Bauen von Hotels suchen. Dazu gehört aber ebenso die Bereitschaft des einheimischen Gast- und Hotelgewerbes, neue Hotels zuzulassen. Ich kenne aus der Praxis in Bayern durchaus Beispiele, wo neue Investoren bei den Einheimischen auf Granit gebissen haben. Was Ihre Forderung nach der Erhebung von statistischen Reisedaten zum Sozialtourismus betrifft, bin ich der Ansicht: Man sollte Daten erheben, die nicht nur den Sozialtourismus, sondern die gesamte demografische Entwicklung mit Blick auf das Reiseverhalten insgesamt im Fokus haben und die von Ihnen genannten Personengruppen um die der Migranten erweitern. Aus den oben genannten Gründen ist Ihr Antrag insgesamt abzulehnen. Ingbert Liebing (CDU/CSU): Der vorliegende Antrag kritisiert die Bundesregierung für die mangelnde Förderung eines sozialen Tourismus’ in Deutschland. Die Fraktion der Linken fordert, dass sich die Bundesregierung in diesem Bereich mehr engagiert und ein Programm zur Durchsetzung eines sozialen Tourismus’ vorlegt. Für die CDU/CSU-Fraktion ist die Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen am Tourismus ein wichtiges Thema. Dies bezieht sich unter anderem auf Menschen aller Altersgruppen, Personen mit geringem Einkommen oder Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Für all diese Gruppen bietet Tourismus einen wichtigen Zugang zu Erholung, Bildung und dem Kennenlernen anderer Umgebungen. Dies ist uns durchaus bewusst, und so ist die umfassende Teilhabe aller Menschen an touristischen Angeboten erklärtes Ziel der Bundesregierung. Und zu diesem Ziel stehen auch wir als CDU/CSU-Fraktion. Mit ihrem Antrag verliert die Linke dagegen aus den Augen, wie vielfältig „Tourismus für alle“ in Deutschland bereits durch die Bundesregierung gefördert wird. Zunächst möchte ich auf eine generelle inhaltliche Schwäche des Antrags eingehen. Die Linke fordert die „Stärkung von Verantwortung und Kompetenzen des Bundes für einen sozialen Tourismus“. Gesetzlich ist aber festgelegt, dass Tourismusförderung primär eine Kompetenz der Länder ist. Ebenso wird die Wiederaufnahme der Landesförderung für Familienreisen gefordert. Hier ist die Bundesregierung jedoch klar der falsche Adressat. Die Fraktion der Linken sollte sich zunächst einmal über die Kompetenzaufteilung der Bundesrepublik informieren, bevor sie solche Forderungen stellt. Eine weitere konkrete Forderung bezieht sich auf die Bereitstellung von Mitteln im Rahmen der Regelbedarfssätze. Die Regelsätze im SGB II sind jedoch rechtssicher ausgestattet, vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Darüber hinausgehende Wohltaten zu versprechen, mag für die Linken attraktiv sein – verantwortungsvoll ist das nicht angesichts der notwendigen Haushaltskonsolidierung, der Schuldenbremse, aber auch angesichts des Gebots sozialer Gerechtigkeit. Je mehr wir für SGB-II--Bezieher bieten, umso mehr empfinden dies die Geringverdiener, die knapp über der Einkommensgrenze liegen, also sozial ungerecht. Zudem wird der Kinder- und Jugendtourismus bereits in umfassender Weise durch die Bundesregierung unterstützt. Das Jahr 2013 steht im Zeichen des von der Deutschen Zentrale für Tourismus ausgerufenen Themenjahres „Junges Reiseland Deutschland“. Für 2013 wird allein die DZT mit 28,275 Millionen Euro durch die Bundesregierung gefördert. Denn gerade für Kinder und Jugendliche haben Reisen eine große soziale und pädagogische Bedeutung. So werden viele Projekte gefördert: Für Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätten stehen auch in diesem Jahr wieder 3 Millionen Euro zur Verfügung. Im Rahmen des Kinder- und Jugendplans stellt die Bundesregierung für die Internationale Jugendarbeit 17,9 Millionen Euro bereit. Ebenso erhält das Deutsch-Französische Jugendwerk im Jahr 2013 Fördermittel in der Höhe von 11,226 Millionen Euro. Auch im 2012 begonnenen „Zukunftsprojekt Kinder- und Jugendtourismus in Deutschland“, dessen Trägerschaft das Deutsche Jugendherbergswerk innehat, fördert das BMWi die Angebote sowohl gemeinnütziger als auch kommerzieller Anbieter. Hier liegt das Gesamtbudget bei 325 000 Euro, Eigenanteil DJH 32 500 Euro. Positives Beispiel für die Förderung gemeinsamer -Urlaube mit der gesamten Familie ist auch die Bundes-arbeitsgemeinschaft Familienerholung. Seit den 50er-Jahren werden in rund 120 Familienerholungsstätten in ganz Deutschland kostengünstige Urlaubsangebote gemacht. Dabei richtet sich die Förderung unter anderem auch an alleinerziehende Elternteile, kinderreiche Familien oder solche mit behinderten oder pflegebedürftigen Angehörigen. Diese gehören unter anderem zu den Bevölkerungskreisen, deren Förderung die Linke im vorliegenden Antrag fordert. Doch auch außerhalb des Kinder- und Jugendtourismus’ setzt sich die Bundesregierung für eine verbesserte Teilhabe an touristischen Angeboten ein. Besonders durch barrierefreie Angebote können große Teile der Bevölkerung profitieren. Obwohl es hier schon viele positive Beispiele gibt, müssen die Angebote noch ausgeweitet und verbessert werden. Dies geschieht zum Beispiel durch das Projekt „Tourismus für alle: Entwicklungen und Vermarktung barrierefreier Angebote und Dienstleistungen in Deutschland“, welches die Bundesregierung mit fast 500 000 Euro unterstützt. Zentrales Anliegen dieses Projektes ist es, den barrierefreien Tourismus zu erleichtern und die Teilhabe von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen zu verbessern. Dies soll etwa durch einheitliche Qualitätsmerkmale oder die Sensibilisierung von Mitarbeitern geschehen. Zuletzt möchte ich auch auf die vielfältigen Urlaubsformen hinweisen, die außerhalb der direkten Förderung der Bundesregierung günstigen, aber attraktiven Urlaub ermöglichen. Gerade in ländlichen Räumen werden besonders Familien, aber auch Senioren, Geringverdienern oder Menschen mit körperlichen Einschränkungen hervorragende Urlaubsangebote gemacht. Ein letzter Punkt, der gegen diesen Antrag spricht und den ich besonders hervorheben möchte, betrifft die erneut geforderte Mitgliedschaft in der International Organisation of Social Tourism. Dieses Thema hatten wir erst vor zwei Jahren im Plenum auf der Tagesordnung und haben es sowohl hier als auch in den Ausschüssen intensiv diskutiert. Schließlich wurde der dazugehörige Antrag aus gutem Grund abgelehnt. Neben allgemeinen formalen Bedenken, nach denen die Beteiligung der Bundesrepublik in einer vornehmlich von Nichtregierungsorganisationen geprägten Organisation eher fragwürdig ist, sprach vor allem die umfassende Förderung, die die Bundesregierung in diesem Bereich schon vornimmt, gegen die Mitgliedschaft. Diese wäre nicht zielführend gewesen. Warum die Linke diesen bereits intensiv diskutierten Punkt innerhalb so kurzer Zeit erneut auf die Tagesordnung setzt, ist mir nicht klar. Er spricht klar gegen den vorliegenden Antrag. Es ist offensichtlich, dass der vorliegende Antrag der Fraktion der Linken wenig hilfreich ist. Nicht nur, dass der Antrag die gesetzlich festgelegte Kompetenzaufteilung von Bund und Ländern ignoriert; auch kommende Generationen werden uns dankbar sein, dass wir langfristig die Belastung durch einen ausgeglichenen Haushalt gering halten, anstatt diesen durch Urlaubsförderung weiter hinauszuschieben. Die vielfältigen Angebote und Projekte, die die Bundesregierung mit initiiert hat und fördert, zeigen deutlich, wie sehr sie sich für den umfassenden Zugang aller Bevölkerungskreise zu touristischen Angeboten einsetzt. Dieses Engagement wird zusätzlich von einer großen Zahl an Initiativen der Länder und Kommunen komplementiert. Eine letze Anmerkung möchte ich aber gerade an die Adresse der Antragssteller der Fraktion Die Linke anfügen: Sie schreiben von einem Recht auf Tourismus. Als direkte Nachfolger der SED ist dies eine unglaubliche Dreistigkeit. Sie stehen in der Tradition derer, die ihr Volk in der damaligen DDR mit Mauer und Stacheldraht eingesperrt haben, in einem Land, in dem es kein Recht auf Tourismus und kein freies Reisen gab. Und Sie reden heute von einem solchen „Recht auf Tourismus“? Mit dieser Vergangenheit ist die Fraktion der Linken die allerletzte, die solche Forderungen stellen darf. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Wir haben heute erneut die Gelegenheit, über ein wichtiges Thema zu sprechen. Sind Reisen und Urlaub für alle erschwinglich? Dabei geht es um die zentrale Frage, ob alle Menschen Chancen auf Teilhabe in unserer Gesellschaft erhalten. So bitter wie es ist: Dass wir in dieser Frage von der Regierung und den Koalitionsfraktionen keine Initiative erwarten können, dürfte in diesem Hause niemanden mehr überraschen. Erst gestern hat das Kabinett entschieden, den vierten Armuts- und Reichtumsbericht, auf den wir seit etlichen Monaten vergeblich warten, noch weiter hinauszuzögern und – ich nehme an – den Bericht noch stärker zu verwässern. Schwarz-Gelb will offensichtlich keine offene Debatte über die Entwicklung von Arm und Reich in diesem Land. Beschämend ist das. Die Fraktion die Linke hat uns einen Antrag vorgelegt, der besagt: Alle Menschen sollen am Tourismus teilhaben können. Dafür setzt sich die SPD seit langem ein. Wir haben 2009 in den Tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregierung festgelegt: „Auch Menschen mit gesundheitlichen, sozialen und finanziellen Einschränkungen sollen reisen können.“ Die SPD-Fraktion hat in dieser Wahlperiode mehrere Initiativen für die Teilhabe am Tourismus ins Parlament gebracht. Vor allem Menschen mit Behinderungen finden noch viele Barrieren vor, die ihnen das Reisen unmöglich machen. Das müssen wir gemeinsam mit den Ländern und Kommunen ändern. Weg mit den Barrieren – reißen wir sie ein! Wir haben 2011 einen umfangreichen Maßnahmenkatalog für barrierefreien Tourismus in Deutschland vorgelegt. Schwarz-Gelb hat diesen leider abgelehnt. Teilhabe am Tourismus ist aber auch eine Frage von Arm oder Reich. Fest steht: Wir sind weit davon entfernt, dass sich jede Familie, Alleinerziehende mit Kindern und jeder Rentner eine Urlaubsreise leisten kann. Deshalb ist es richtig, Menschen, die aus eigener Tasche keinen Urlaub stemmen können, zu unterstützen. Wir wissen alle: Besonders Kinder und Heranwachsende profitieren von Reisen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Für Familien, die besonders wenig zum Leben -haben und auf Arbeitslosengeld I oder Sozialhilfe angewiesen sind, springt der Staat für mehrtägige Klassenfahrten der Kinder und Jugendlichen ein. So ist gesichert, dass die Kinder nicht außen vor bleiben, wenn ihre Klasse verreist. Die SPD hat in den Hartz-IV-Verhandlungen Anfang 2011 erreicht, dass auch eintägige Schulausflüge finanziert werden. Ebenso haben wir uns im Vermittlungsausschuss erfolgreich dafür eingesetzt, dass vom Bildungs- und Teilhabepaket auch Kinder aus Familien profitieren, die Kinderzuschlag und Wohngeld beziehen. Dadurch haben rund 500 000 Kinder und Jugendliche zusätzlich Anspruch auf die monatlichen 10 Euro, die auch für Ferienfreizeiten angespart werden können. CDU/CSU und FDP wollten das verhindern. Gut, dass Schwarz-Gelb im Bundesrat nicht mehr an der SPD vorbeikommt, schon gar nicht mehr nach dem tollen Wahlsieg von Stephan Weil in Niedersachsen. Wir haben auch die Berechnung der Regelsätze von Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe und Grundsicherung im Alter kritisiert. Frau von der Leyen rechnet zum Beispiel bei der dem Regelsatz zugrunde liegenden Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe die Ausgaben für Beherbergungskosten einfach heraus. Auch durch andere „Tricks“ vermindert die Sozialministerin den Regelsatz künstlich. Verstecken, Tricksen, Aussitzen – so sieht das Programm der Regierung Merkel aus. Die Linke spricht in ihrem Antrag die Finanzierung von Familienerholung und damit eine traurige Bilanz an: Mittlerweile haben sechs der sechzehn Bundesländer die Zuschüsse eingestellt. Dies sind vor allem Länder, wo Schwarz-Gelb noch regiert oder bis vor kurzem in Verantwortung war. 2011 haben CDU und FDP die Landeszuschüsse auch in meinem Bundesland, Schleswig-Holstein, gestrichen. Nun führt die SPD die Regierung im schönen Norden. Ich hoffe, dass sich der Wind damit zwischen Nord- und Ostsee dreht und Reisen für Familien mit geringem Einkommen wieder vom Land unterstützt werden. Die Debatte zeigt aber auch: Es muss genügend preiswerte Urlaubsangebote geben. Diese stellen zum Beispiel das Jugendherbergswerk, die Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung, Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen, Naturfreunde und viele andere Einrichtungen bereit. Die Linke fordert hier zu Recht mehr Investitionen. Denn viele Unterkünfte leiden unter einem Renovierungsstau. Dieser verstärkt sich noch, wenn die staatliche Förderung, so wie jetzt, zurückgefahren wird. Sehr geehrte Mitglieder der Regierungskoalition, genau das haben Sie zu verantworten. Sie haben im Haushalt 2013 die Mittel für Jugendherbergen, Jugendbildungs- und Begegnungsstätten um 1,5 Millionen Euro auf nur noch 3 Millionen Euro gekürzt. Damit brechen in vielen Häusern weitere Mittel weg. Sanierungen, Erweiterungen, Neubauten müssen damit verschoben werden oder bleiben ganz auf der Strecke. Die SPD hat sich im Haushaltsausschuss mit einem Antrag gegen die Kürzungen gestellt. Den haben CDU/CSU und FDP abgebügelt – zulasten der Jugendherbergen und anderer Einrichtungen. Das ist der falsche Weg. Der Antrag der Fraktion Die Linke geht dagegen in die richtige Richtung. Einige der Forderungen sind allerdings fragwürdig. Sie fordern, das Thema Sozialtourismus in alle touristischen Aus- und Weiterbildungen aufzunehmen. Ich glaube nicht, dass dies unbedingt in den Lehrplan angehender Köche oder Restaurantfachfrauen gehören muss. Auch Ihre erneute Forderung, dass deutsche Behörden in der Internationalen Organisation für Sozialtourismus, kurz ISTO, mitarbeiten sollen, halten wir nicht für stichhaltig, da kaum andere staatliche Stellen Mitglied der ISTO sind. Zudem ist Deutschland mit dem BundesForum Kinder- und Jugendreisen bereits gut vertreten. Alle Menschen müssen sich einen Urlaub leisten können. Das muss unser Anspruch sein. Das Kernproblem, das diese Regierung nicht löst, ist doch, dass die Einkommen der Menschen zu niedrig sind. Wir brauchen endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und eine höhere Tarifbindung, indem die Tarifverträge leichter allgemeinverbindlich werden können. Das sichert gute Löhne. Davon will Schwarz-Gelb aber nichts wissen. CDU/CSU und FDP haben kein Interesse, allen Bürgerinnen und Bürgern Teilhabechancen zu gewähren. Das müssen die Menschen wissen, wenn Sie am 22. September 2013 zur Wahl gehen. Jens Ackermann (FDP): Reisen für alle; für einen sozialen Tourismus. – Wer da nicht sofort an 40 Jahre FDGB-Heime und Ernteeinsätze unter dem Deckmantel der netten Feriengestaltung denkt, der hat die DDR nicht erlebt oder verdrängt. In ihrem Antrag fordern die Linken dann auch, wie man es von ihnen gewohnt ist, eine ganze Reihe von Maßnahmen auf nationaler, europäischer und gar internationaler Ebene – egal ob es realistisch ist oder einfach nur schön klingt. Natürlich sei es jedem Bürger unseres Landes vergönnt, zu reisen oder in den Urlaub zu fahren. Doch jeder, vor allem jede junge Familie weiß, dass Urlaub nun mal nicht alltäglich, sondern etwas Besonderes ist. Auch Familien aus der sogenannten Mittelschicht können nicht jederzeit in den Urlaub reisen; denn auch sie haben zuerst andere, wichtigere – grundlegendere – finanzielle Verpflichtungen. Dann stellt sich mir auch noch die Frage, wo für die Linken Urlaub oder Reisen anfängt. Reicht es nicht manchmal, mit der S-Bahn raus an den Müggelsee zu fahren? Muss man denn immer die Ferne als das einzige Reiseerlebnis anpreisen? Ich glaube jedes Kind erinnert sich mehr an die lustigen und schönen Momente mit lieben Menschen – egal wo diese stattfanden. Für mich und meine Fraktion steht es aber natürlich außer Frage, dass den Menschen die Möglichkeit gegeben werden sollte, frei zu entscheiden, was sie mit ihrer Freizeit anfangen wollen. Dazu haben wir auch bis heute einen sehr wichtigen Beitrag geleistet. 2012 waren so viele Menschen in Deutschland erwerbstätig wie noch nie zuvor. Mit durchschnittlich 416 000 mehr Erwerbstätigen als 2011 konnte der Rekord aus dem vorangegangenen Jahr nochmals gebrochen werden. Zudem gab es im vergangenen Jahr mit durchschnittlich 2,897 Millionen so wenige Arbeitslose wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Die teilweise verheerende Arbeitsmarktsituation in vergleichbaren europäischen Ländern zeigt, wie robust der deutsche Arbeitsmarkt mittlerweile ist. Nur so kann Teilhabe für alle geschaffen werden. So werden die Rentenkassen aufgefüllt und am Ende haben alle etwas davon. Wir wollen keine Fördermittel oder Geldgeschenke mit der Gießkanne verteilen. Wir möchten, dass alle Menschen in unserem Land in Lohn und Brot stehen und sich damit ihre Freizeit selbst so gestalten, wie sie es gerne möchten und für richtig halten. Es soll auch tatsächlich Bürgerinnen und Bürger geben, die nicht gerne reisen. Dass noch in diesem Jahr alle mehr im Geldbeutel haben werden und sich dafür vielleicht auch so etwas wie einen Ausflug oder eine kleine Reise leisten können, darauf sind wir stolz. So haben wir als christlich-liberale Koalition beschlossen, den steuerlichen Grundfreibetrag in zwei Stufen 2013 und 2014 um insgesamt 350 Euro anzuheben. Parallel dazu soll die kalte Progression abgemildert werden, indem der Tarifverlauf so angepasst wird, dass die Steuersätze erst bei einem höheren -Einkommen greifen. Damit hat unsere Koalition Entlastungen von 6,1 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Dieses Projekt wird leider zulasten der kleineren und mittleren Einkommen von Rot-Grün im Bundesrat -blockiert. Die Praxisgebühr wurde abgeschafft. Die Patienten und damit genau jene Familien werden im Jahr um bis zu 160 Euro entlastet. Das Arbeitslosengeld II steigt. Der Regelbedarf steigt auf 382 Euro. Das alles sind Schritte, um soziale Annäherung zu schaffen – nicht die Forderung nach einem sozialen Tourismus. Den brauchen wir dann nämlich nicht. Wir blicken trotz der Krisenmeldungen aus Europa und der Welt auf eine positive Entwicklung in Deutschland und so soll es unserer Meinung nach auch weitergehen. Ich möchte jetzt noch auf eine der Forderungen aus ihrem Forderungskatalog eingehen, liebe Linksfraktion. Es gibt seit 2011 das Bildungs- und Teilhabepaket, das schon jetzt ein- oder mehrtägige Klassenreisen von Kindern unterstützt, sodass es zukünftig nahezu jedem Kind möglich sein sollte, an einer Klassenfahrt teilzunehmen. Im Übrigen hatte die Linke zehn Legislaturperioden Zeit, all diese Maßnahmen vorzubereiten. Leider hat sie diese Zeit, wie so oft, nicht genutzt, um Wohlstand und Freiheit zu mehren – ganz im Gegenteil. Kornelia Möller (DIE LINKE): Unser Antrag ist ein Plädoyer für mehr Solidarität im Tourismus, und zwar national wie auch international. Der aktuelle EU-Sozialbericht gibt erneut Anlass, das Thema Solidarität ganz oben auf die Agenda der Politik zu setzen. In Europa driften arme und reiche Länder immer weiter auseinander, und die Krisenbewältigungspolitik der Bundesregierung reißt diese Kluft noch weiter auf. Und auch im eigenen Land besteht ein großes Solidaritätsdefizit. Deswegen musste der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung auch weichgespült werden. Im Tourismus vertieft und verfestigt sich eine Zweiklassengesellschaft als Folge des Auseinanderdriftens der Einkommen. Diese Entwicklung wollen wir nicht hinnehmen. Die Tourismuspolitik der Koalition ist gekennzeichnet durch einseitige ökonomische und Gewinnausrichtung, durch Marktgläubigkeit, durch Entsolidarisierung, durch schlechte Arbeits- und Einkommensbedingungen für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Branche und eine tiefe soziale Spaltung des inländischen touristischen Kundenpotenzials. Die vorliegenden Fakten sprechen eine klare Sprache: In Deutschland ist ein großer Teil der Bevölkerung vom Tourismus ausgeschlossen. Die Tourismuspolitik der Bundesregierung ist europafeindlich, vor allem, wenn es um sozialen Tourismus geht. Das zeigte bereits die Debatte zum Antrag der Linksfraktion zur Mitarbeit im Rahmen der Internationalen Sozialtouristik-Organisation, ISTO. Bei Merkel und Co. dominierten nationaler Egoismus, wenn sie die Mitarbeit im Rahmen der EU-Initiative Calypso strikt ablehnen, wenn sie das zweifellos erhebliche touristische -Potenzial der Bundesrepublik und die Erfahrungen auf diesem Gebiet nicht in den Dienst der Verbesserung des europäischen Sozialtourismus stellen wollen. Die Argumente sind teilweise haarsträubend: Frau Mortler, Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktionsarbeitsgruppe Tourismus, wollte zum Beispiel verhindern, „dass deutsche Steuerzahler den Urlaub beispielsweise dänischer Rentner in Spanien finanzieren“. Das ist völlig aus der Luft gegriffener Unsinn. Da werden Gespenster an die Wand gemalt, um Solidarität zu verhindern. Noch abenteuerlicher ist das Argument, dass es sich bei einem öffentlich geförderten Urlauberaustausch über Ländergrenzen hinweg „um Ausgrenzung“ handelt und sich die „betroffenen Menschen als Reisende zweiter Klasse fühlen müssten“. Liebe Frau Mortler, was glauben Sie, wie sich jene Menschen in unserem Land fühlen, denen jegliches Reisen, Urlaub überhaupt, aufgrund ihrer sozialen Situation verwehrt sind? Bei solcher Geisteshaltung ist es nicht verwunderlich, dass dem Vorschlag des EU-Industriekommissars Tajani von 2012, zwecks besserer Auslastung von Urlaubsunterkünften in der Nebensaison Reisen für Seniorinnen und Senioren mit öffentlichen Mitteln zu subventionieren, von deutscher Seite sofort eine Abfuhr erteilt wurde, und dies, obwohl Tajanis Vorstoß in erster Linie auf höhere Steuereinnahmen zielte. Wir meinen: Bei allen großen und wichtigen europäischen Sozialtourismusinitiativen sollte Deutschland mit seinem Potenzial nicht länger abseits stehen. Und ist es nicht ein Armutszeugnis, wenn die deutsche Reisebranche zwölf Jahre brauchte, um den Globalen Ethik-Kodex der Welttourismusorganisation zu unterschreiben, der die Förderung des Sozialtourismus ausdrücklich fordert? Solidarität darf kein Lippenbekenntnis sein. Notwendig sind konkrete politische Weichenstellungen. Genau darauf zielt unser Antrag. Er beinhaltet einen ganzen Komplex von Maßnahmen für einen sozialen und solidarischen Tourismus und bildet deshalb ein scharfes -Kontrastprogramm zur gegenwärtigen schwarz-gelben Tourismuspolitik. Wir erinnern Sie von den Regierungsparteien damit an ihre eigenen tourismuspolitischen Leitlinien, an den Vorsatz, dass auch Menschen mit gesundheitlichen, sozialen und finanziellen Einschränkungen reisen können sollen – ein Versprechen, das Sie bisher nicht eingelöst haben. Die Linksfraktion fordert ein ausreichendes Budget für Erholungsurlaub für Bedarfsgemeinschaften und Familien mit Kindern im Rahmen der Regelbedarfssätze des SGB II sowie des SGB XII und die Aufstockung von öffentlichen Mitteln für die Finanzierung von Projekten des sozialen Tourismus. Das ist überfällig. Einen Schwerpunkt sehen wir in der verstärkten öffentlichen Förderung des Familienurlaubs sowie von Reisen Alleinerziehender mit Kindern. Das Niveau vergangener Jahre muss wieder erreicht werden. Denn die Reiseintensität von Familien ist innerhalb von 20 Jahren um 11 Prozent zurückgegangen. 2010 verreiste nur noch gut jede zweite Familie für mindestens fünf Tage. Wir halten die Wiederaufnahme und Erweiterung der -Landesförderung für Familienreisen in verschiedenen Bundesländern für dringend notwendig und plädieren auch dafür, den Zugang zu diesen Reisen zu vereinfachen, zu entbürokratisieren und weitgehend zu vereinheitlichen. Vielfach scheitert gefördertes Reisen an bürokratischen Barrieren. Mit der stärkeren Förderung von Familienreisen wird unsere Gesellschaft nicht nur kinderfreundlicher. Auch der Umsatz der Branche mit der touristischen Kernzielgruppe Familien kann wieder erhöht werden. In vielen Fällen bringt mehr Solidarität im Tourismus der Branche und auch den Kommunen einen Zuwachs an Einnahmen und sichert vor allem Arbeitsplätze. Das belegen auch Fakten aus dem internationalen Sozialtourismus. Vielfältige Erfahrungen besitzt unser Land im geförderten Kinder- und Jugendtourismus. Aber die Möglichkeiten sind bei weitem nicht ausgeschöpft. Deshalb -begrüßen wir das von der Regierung geförderte „Zukunftsprojekt Kinder- und Jugendtourismus in Deutschland“. Aber noch ist nicht erkennbar, ob gerade jenen Gruppen damit eine besondere Förderung zuteil wird, die bisher außen vor geblieben sind. Dabei muss ins -Bewusstsein gerufen werden, dass noch vor drei Jahren Urlaubsreisen für mehr als ein Fünftel der Haushalte mit Kindern unter 14 Jahren finanziell unerschwinglich waren. Aktuellere Zahlen kann ich Ihnen hierzu leider nicht präsentieren, weil der Aufbau einer soliden Statistik zur sozialen Struktur des Tourismus leider bisher versäumt wurde – vielleicht sogar bewusst? Wir setzen uns mit unserem Antrag dafür ein, auch dieses Versäumnis aus der Welt zu schaffen. Tourismus hat eine wichtige soziale Dimension, und für staatliche Entscheidungen auf diesem Gebiet, die das Leben von Millionen bestimmen, braucht man seriöse Fakten. Ökologische und soziale Nachhaltigkeit im Tourismus – eingeschlossen auch weitere Fortschritte bei der Barrierefreiheit – kann, wie wir wissen, nicht dem Markt überlassen bleiben, sondern braucht politische Gestaltung. Und als Teil einer solchen politischen Gestaltung betrachten wir das von der Linksfraktion vorgeschlagene Fünfjahresprogramm für sozialen Tourismus, das die Bundesregierung dem Bundestag vorlegen soll. Wohl-bemerkt: Die Bundesregierung soll dieses Programm vorlegen. Damit dürfte wohl ausgeschlossen sein, dass es sich um die Rückkehr zu FDGB-Reisen handelt, wie es in einigen gehässigen Kommentaren bereits hieß – obgleich Frau Merkel die positiven Auswirkungen der FDGB-Reisen kennen sollte. Für alle anderen möchte ich hier auf einen großen -Unterschied im Vergleich zwischen FDGB-Feriendienst und den heutigen kümmerlichen Ansätzen eines Sozialtourismus in der Bundesrepublik hinweisen: Weil soziale Gerechtigkeit, Erholung, Bildung, Reproduktion des -Arbeitsvermögens als oberste Prinzipien der Ferienpolitik des FDGB galten und die Reisen erschwinglich und preislich stabil waren – und deshalb so begehrt und von Millionen Menschen genutzt –, hat ihre Bereitstellung die damaligen ökonomischen Möglichkeiten überschritten. Die heutige Bundesrepublik als ein reiches Land -besitzt diese ökonomischen Möglichkeiten; trotzdem sind Millionen Menschen, darunter ein Drittel Kinder, von Urlaubsreisen ausgeschlossen. Diesen fundamentalen Unterschied kann man auch mit Diffamierungen nicht überdecken. Ich hätte mir als Kind eine FDGB-Reise gewünscht. Dazu kam es aber nicht, weil ich im Westen geboren und aufgewachsen bin. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben heute wieder ein außerordentlich wichtiges Thema auf der Tagesordnung, den Sozialtourismus. Tourismus an sich hat ja viele, auch soziale, Aufgaben, die man ihm auf den ersten Blick nicht immer direkt zuschreibt. Deswegen ist es gut und richtig, dass wir dieses Thema heute noch einmal intensiv beleuchten. Für uns Deutsche hat das Reisen bekanntermaßen einen hohen Stellenwert, und gerade in Zeiten steigenden Stresses – wir haben ja zuletzt in dieser Woche zur Kenntnis nehmen müssen, dass Stress und Burnout sich immer weiter verbreiten – ist es wichtig, dass Erholung, Abstand vom Alltag und auch Naturerlebnis nicht zu weit in den Hintergrund geraten. Dennoch geht auch in diesem Bereich die Schere zwischen denjenigen, die sich das leisten können, und denjenigen, die keine Chance darauf haben, immer weiter auf. Für viele Menschen ist Tourismus, das heißt das Verreisen und das Abschalten in einer anderen als der gewohnten Atmosphäre nur ein unerreichbarer Wunschtraum. Meines Erachtens brauchen wir deshalb nicht nur aus -sozialen, sondern auch aus ökonomischen und gesundheitspolitischen Gründen in diesem Land eine Debatte über einen Bereich des Tourismus, der bisher in Deutschland ein Schattendasein führte, ganz im Gegenteil zu anderen europäischen Nachbarstaaten. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat am 13./14. September 2006 eine Stellungnahme zum „Sozialtourismus in Europa“ beschlossen. Darin finden sich einige äußerst interessante Ansätze; zwei davon möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal hervorheben und zitieren. Ich habe die gleichen Punkte schon einmal angesprochen, als wir über den Beitritt der Bundesrepublik zur OITS, der Sozialtourismusorganisation, debattiert haben. Erstens. Unter Punkt 4.2.2.1 wird die Agence Nationale pour les Chèques-Vacances, ANCV, mit einem Geschäftsvolumen von circa 1 Milliarde Euro beschrieben. Dieses Beispiel sollte uns ein Vorbild sein. Weiter heißt es – daraus möchte ich direkt zitieren –: „Sozial und wirtschaftlich ist das Programm eindeutig rentabel, denn einerseits konnten dadurch viele ältere Menschen erstmals in Urlaub fahren, andere Städte und Gegebenheiten kennenlernen, gleichberechtigte soziale Kontakte knüpfen und ihren körperlichen Zustand verbessern, wobei eine vernünftige Qualität und die Akzeptanz durch die Nutzer gewährleistet ist; und andererseits werden für jeden in das Programm investierten Euro 1,70 Euro wieder eingenommen.“ Zweitens. Es heißt in den Empfehlungen unter Punkt 9.3: „Den Touristikunternehmen sei empfohlen, sich entschlossen an den Sozialtourismusaktivitäten zu beteiligen. Der Sozialtourismus vertritt Werte, die mit einer korrekten Unternehmensführung, mit Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität vereinbar sind …“. Ich glaube, dass diese Stellungnahme deutlich macht, dass wir hier eben nicht über ein Randthema sprechen. Und ein Bereich, der uns dabei ganz besonders am Herzen liegen muss, ist der Kinder- und Jugendtourismus. Reisen bildet, und Reisen trägt zu einer positiven Persönlichkeitsentwicklung bei. Für Kinder und Jugend-liche gilt das besonders. Hier eine Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten, muss unser Ziel sein. Wir können es uns nicht mehr erlauben, ganze gesellschaftliche Gruppen bzw. deren Kinder davon auszuschließen. Für circa 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche besteht die Gefahr, aus sozialen Gründen nicht an Reisen, Klassenfahrten, Freizeiten und anderen Angeboten teilnehmen zu können. Es gibt in Deutschland zwar mit 82,2 Prozent eine auch im internationalen Vergleich hohe Urlaubsreiseintensität bei Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren. Jugendliche aus einkommensschwachen Familien nehmen mit 70,4 Prozent allerdings deutlich weniger am Tourismus teil. Das größte Problem dabei: Öffentlich geförderte Kinder- und Jugendreisen sind dabei sowohl im Kontext von Kinder- und Jugenderholung als auch bezogen auf die internationale Jugendarbeit seit den 90er-Jahren rückläufig. Der Staat zieht sich dabei sukzessive aus der Verantwortung: Staatliche Förderungen im Kinder- und Jugendreisebereich sind um bis zu 30 Prozent gesunken. Die Zahl der Kinder- und Jugenderholungen hat sich in den Jahren 2000 bis 2004 um 23 Prozent reduziert. So besteht nicht nur die Gefahr, dass Kinder- und Jugendreisen teurer werden. Nein, es besteht auch die Gefahr, dass sich die soziale Schere weiter öffnet. Deshalb muss sich die öffentliche Hand wieder stärker engagieren, gerade bei den geförderten Kinder- und Jugenderholungen. Ein schöner Nebeneffekt davon könnte sein, dass man auch die innerdeutsche Reiseaktivität von Jugendlichen steigern könnte. Nicht nur unter sozialen Aspekten wäre es deshalb sinnvoll, durchaus auch einmal die eigene Region oder das europäische Umfeld in den Blick zu nehmen. Ich weiß, dass nicht alles, was wünschenswert wäre, auch immer ad hoc durchsetzbar ist. Dennoch müssen wir den Weg beschreiten, hier endlich Bewegung auch in Richtung des Sozialtourismus zu bekommen. Wir müssen endlich aus sozialen, gesundheitspolitischen und am Ende auch ökonomischen Gründen den Menschen ein Angebot zur Erholung machen, die das normalerweise nicht so einfach finanziell bewerkstelligen können. Dafür brauchen wir einen gesellschaftlichen Wandel und auch die Bereitschaft, das Notwendige zu erkennen. Die Debatte hat jetzt erst begonnen. Ich hoffe, wir können sie unaufgeregt und vor allem zielorientiert führen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur zusätzlichen Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Tagesordnungspunkt 15) Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Die Tatsache, dass wir in Windeseile das heute zu debattierende Gesetz einbringen und behandeln müssen, verdanken wir Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, und das, obwohl eben nicht der Bund für den Kitaausbau zuständig ist, sondern Länder und Kommunen. Ihre Blockade im Bundesrat erstaunt mich zutiefst, da es bereits, das wissen sie genau, eine Einigung darüber gab, dass der Bund erneut weiteres Geld für den Kitaausbau und die Bewirtschaftungskosten bereitgestellt hat. Denn bei unserer christlich-liberalen Koalition hat gerade die Schaffung von Kitaplätzen und die damit verbundene Unterstützung der Kommunen besondere Priorität. Als Kaufmann habe ich einmal gelernt: Verträge müssen eingehalten werden. Doch für Sie von Rot-Grün scheint Vertragstreue anscheinend nicht zu gelten, und ich frage mich: Wo ist die Verlässlichkeit Ihrer großen Volkspartei geblieben? Sie sagen mit Ihrer Blockade des Fiskalvertragsgesetzes im Bundesrat Nein zum Kinderbetreuungsausbau, Sie sagen Nein zur Entlastung der Kommunen und Nein zur Unterstützung für Eltern mit kleinen Kindern! Respekt, meine Damen und Herren! Eine derartige Haltung erfordert durchaus Charakter. Sie haben für mich mit dieser Blockadehaltung einmal mehr Ihr wahres Gesicht gezeigt. Sie haben damit einmal mehr gezeigt, worum es Ihnen wirklich geht – nämlich darum, Politik auf dem Rücken der Familien und damit gegen Familien zu machen. Es geht Ihnen nicht darum, den gemeinsam vereinbarten Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kinder unter drei Jahren umzusetzen. Es geht Ihnen nicht darum, die Kommunen zu entlasten. Es geht Ihnen nicht darum, die Eltern mit kleinen Kindern zu unterstützen. Nein, es geht Ihnen einzig und allein darum, zu blockieren. Dafür habe ich kein Verständnis, und dafür haben auch die Menschen in unserem Land kein Verständnis. Die heutige Debatte zeigt, dass ihre Blockadehaltung im Bundesrat ja nun nichts Neues ist, und wir haben diese schon vor der Landtagswahl in Niedersachsen erleben dürfen. Wenn es das ist, was wir und die Menschen in Deutschland in den kommenden Monaten von Rot-Grün erwarten dürfen, dann kann ich nur sagen: So macht man keine seriöse Politik. Wir, die christlich-liberale Koalition, machen konstruktive Politik für die Menschen, für die Kommunen und für die Eltern mit kleinen Kindern, die eben einen Betreuungsplatz dringend brauchen. Deshalb hat das Familienministerium von Kristina Schröder unter Hochdruck einen Gesetzentwurf erarbeitet, damit wir den verein-barten Ausbau der Kindertagesbetreuung trotz Ihrer -Blockade umsetzen können. Wir lassen uns durch Ihre taktischen Spielchen nicht vom richtigen Weg abbringen. Wir sind überzeugt davon, dass wir die Kommunen in diesem Bereich entlasten müssen, und deshalb stellt der Bund zusätzlich zu den schon 2007 zugesagten 4 Milliarden Euro für Kitabau und Betriebskosten weitere 580,5 Millionen Euro für Investitionskosten sowie weitere 75 Millionen Euro jährlich für Betriebskosten zur Verfügung. Sie sehen, wir reden nicht nur – so wie Sie, verehrte Kollegen von den Dagegen-Parteien –, sondern wir handeln und geben das Geld. Man kann schon fast den Eindruck haben, wir tragen den Ländern das Geld geradezu noch hinterher, damit diejenigen Eltern, die ihr Kind in einer Einrichtung betreuen lassen wollen, ab August dieses Jahres auch die Möglichkeit dazu haben. Rot-Grün blockiert ja nicht nur den Kitaausbau, nein, Sie blockieren auch das Steuerabkommen mit der Schweiz und die Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Anpassungen der Steuerprogression. Sie stellen sich so offen gegen die Arbeitnehmerschaft in diesem Land. Offensichtlich ist Ihnen Ihre -Blockadehaltung so viel wert, dass Sie im Fall des Steuerabkommens mit der Schweiz freiwillig auf Milliardeneinnahmen verzichten wollen. Aberwitzig ist allerdings, dass Sie sich sogleich auf die Fahnen schreiben, dass der Haushalt konsolidiert werden muss. Lustiger und unglaubwürdiger geht’s nimmer. Mit Ihrer Blockade dieses Gesetzes demonstrieren Sie einmal mehr, dass Sie nicht mit Geld umgehen können. Die Menschen erwarten keine taktischen Spielchen, sondern sie erwarten von uns zu Recht Problemlösungen, und die bieten wir von der christlich-liberalen Koalition den Menschen in unserem Land. Wir sind diejenigen, die die Kommunen entlasten und ihnen dadurch Spielräume für Investitionen, wie zum Beispiel in Freibäder, Bibliotheken oder Schulen, geben. Wir sind die-jenigen, die den Eltern eine Wahlfreiheit in der Kinderbetreuung ermöglichen. Wir sind diejenigen, die Eltern einen Betreuungsplatz für ihre kleinen Kinder bieten. Damit sind wir diejenigen, bei denen es zuerst um die Menschen in unserem Land – nicht wie bei Ihnen ausschließlich um die Partei – geht. Norbert Geis (CDU/CSU): Bund, Länder und Kommunen hatten sich auf dem Krippengipfel 2007 auf 750 000 Kitaplätze geeinigt. Dies entspricht einem durchschnittlichen Versorgungsgrad von 35 Prozent. Durchschnittlich heißt, dass es in den Städten einen höheren Bedarf geben kann als auf dem Land. Einigkeit bestand aber damals darin, dass im Durchschnitt dieser Versorgungsgrad von 35 Prozent zur Erfüllung des Bedarfs ausreichen wird. Damals wurde weiter vereinbart, dass dieses Ziel von 750 000 Kitaplätzen bis zum 1. August 2013 erreicht sein soll. Einig war man sich auch darüber, dass Bund, Länder und Gemeinden zu je einem Drittel die Kosten für den bedarfsgerechten Ausbau zu übernehmen haben. Diese Kosten für den Ausbau wurden damals mit 12 Milliarden Euro kalkuliert. Also entfielen auf den Bund 4 Milliarden Euro, die er auch unverzüglich zur Verfügung gestellt hat. Bereits 2007 hat der Bund das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ aufgelegt. In einer Verwaltungsvereinbarung wurde geregelt, dass das Geld des Bundes an das einzelne Land in Höhe der jeweiligen Quote weitergeleitet wird. Die Länder sollten dann das Geld des Bundes zusammen mit dem von ihnen zu erbringenden Anteil an die Kommunen aufteilen. Es besteht kein Zweifel, dass der Bund keine verfassungsmäßige Verpflichtung hat, sich an dem bedarfsgerechten Ausbau der Kita zu beteiligen. Der Bund sah sich jedoch aufgrund des gesamten politischen Interesses am Ausbau der Kita verpflichtet, seinen Eindrittelanteil für den Ausbau der Tageseinrichtungen und Kindertagespflege zu erbringen. Gerade in der jetzt ansetzenden Diskussion, in der man versucht, dem Bund für Säumnisse der Länder die Schuld in die Schuhe zu schieben, ist es gut, festzuhalten, dass alle drei Partner aufgrund von damaligen Erhebungen auf dem Kindergipfel der Auffassung waren, der Ausbau von Kindertagesplätzen für 35 Prozent der Kinder vom 1. bis zum 3. Lebensjahr sei ausreichend. Auch der Stichtag 1. August 2013 wurde einvernehmlich festgelegt. Wahr ist schließlich auch, dass die Länder trotz dieses Stichtages nur sehr zögerlich ans Werk gegangen sind. Die Ausnahme bildet Bayern. Bayern hat die Betreuungsquote in den letzten fünf Jahren verdreifacht. Dies war möglich, weil Bayern sofort aus Landesmitteln 680 Millionen Euro bereitgestellt hat. Kein Bundesland hat bisher in einem derart hohen Umfang eigene Landesmittel investiert. Das Gesamtvolumen bis 2013 wird auf 1,2 Milliarden Euro geschätzt, zwei Drittel vom Land, ein Drittel vom Bund. Die Vervielfachung der Quote war natürlich auch deshalb möglich, weil die bayerischen Kommunen eine hervorragende Arbeit geleistet haben. Der Vorwurf also, der Bund habe nicht alles getan, um den Bedarf zu sichern, entbehrt jeder Grundlage. Es sind die Länder und teilweise wohl auch die Kommunen, die bisher ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind. Jede Stadt, jede Gemeinde muss selbst ermitteln, wie hoch der Bedarf an U-3-Plätzen ist. Die Kommunen müssen die Plätze zur Verfügung stellen, doch nicht der Bund. Der Bund ist am Ende nur Zahlmeister. Er kann doch den Kommunen nicht vorschreiben, wie viele Plätze bereitzustellen sind. Dazu ist der Bund aus verfassungsrechtlichen, aber auch aus praktischen Gründen nicht in der Lage, weil die Gemeinden viel eher die Erhebungen dafür machen können als der Bund. Dieses Versäumnis von einem großen Teil der Kommunen ist auch der Grund dafür, dass bislang keine Transparenz herrscht, wie viele Plätze wirklich gebraucht werden. Die Erhebungen hätten längst gemacht und der Bedarf hätte längst festgestellt werden müssen. Auf einmal regt sich nun die Besorgnis, dass 750 000 Plätze nicht ausreichen könnten. Auch den Durchschnittsbedarf von 35 Prozent, von dem 2007 noch ausgegangen werden konnte, hat man auf 39 Prozent nach oben korrigiert. Deshalb haben die Länder und der Bund ja auch vereinbart, für weitere 30 000 Plätze Geld bereitzustellen. Wiederum hat der Bund sofort reagiert. Er hat sofort 580 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Jetzt hätte man eigentlich erwarten dürfen, dass die Länder nicht lange fackeln, sondern zugreifen. Weit gefehlt. Die Länder haben mit der Ablehnung des Fiskalvertragsumsetzungsgesetzes im Bundesrat die Auszahlung der 580 Millionen Euro gestoppt. Statt sich an die eigene Brust zu klopfen, wird nun dem Bund wieder die Schuld in die Schuhe geschoben. Der Bund aber hat wiederum sehr schnell gehandelt. Durch den besonderen Einsatz der Ministerin ist es gelungen, in kürzester Frist diesen Gesetzentwurf zur zusätzlichen Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege vorzulegen und damit die 50 Millionen Euro bereitzustellen. Wertvolle Zeit durch das Verhalten der Länder wurde zwar vergeudet, aber es ist immer noch Zeit genug. Diese christliche-liberale Koalition hat alles getan, um den Rechtsanspruch zum 1. August 2013 zu erfüllen. Gelingt dies da und dort nicht, liegt es nicht am Bund, sondern an den Ländern und Kommunen. Wo es Ausbauhemmnisse gibt, hilft der Bund. Er kann sich aber nicht über die Länderhoheit und die kommunale Planungshoheit und die örtliche Zuständigkeit der Kommunen hinwegsetzen. Am Geld wird jedenfalls der rechtzeitige Ausbau nicht scheitern. Zu den 580 Millionen Euro kommt für die Kommunen und die Träger der Kitas ein Programm der KfW für verbilligte Kredite für den Kitaausbau. Hinzu kommen das Programm Kindertagespflege und das neue Programm zur Förderung betrieblicher Kindesbetreuung. Dazu kommt die Erhöhung des Betriebskostenzuschusses von 75 Millionen jährlich für die zusätzlichen 30 000 Kitaplätze. Wer angesichts dieser Anstrengungen der Koalition und der Familienministerin dem Bund Versäumnisse vorwirft, der muss sich selbst den Vorwurf der Polemik gefallen lassen. Dagmar Ziegler (SPD): Heute beraten wir einen Gesetzentwurf, der Ländern und Kommunen beim Kitaausbau zusätzlich unter die Arme greift. Das ist höchste Zeit. Die Bundesregierung hat den Kitaausbau in den letzten Jahren blockiert. Der Gesetzentwurf kommt nicht wegen, sondern trotz unserer Bundesregierung. Über Jahre haben Länder und Kommunen laut und vernehmlich um Hilfe gerufen. Denn ihnen stand und steht immer noch das Wasser bis zum Hals. Die Annahmen, die den Beschlüssen des Krippengipfels von 2007 zugrunde lagen, sind von der Wirklichkeit überholt worden. Noch mehr Eltern als damals angenommen, wollen für ihr Kind einen Kitaplatz bekommen. Das hat der 14. Kinder- und Jugendbericht gestern nochmal deutlich belegt. Deshalb brauchen Länder und Kommunen zusätzliche Unterstützung durch den Bund. Sie können die gewaltige Kraftanstrengung des Kitaausbaus und der Erfüllung des Rechtanspruchs ab August dieses Jahres allein nicht bewältigen. Doch all diese Hilferufe haben sowohl die zuständige Ministerin Schröder als auch Bundeskanzlerin Merkel geflissentlich überhört. Die Bundesregierung hat ihre Zeit lieber damit vertan, eine wirkungsvolle Quote für Frauen zu verhindern und das bildungsfeindliche und rückwärtsgewandte Betreuungsgeld einzuführen. Ohne das Engagement der Länder würde der Bund immer noch blockieren. Es ist nur den SPD-Ministerpräsidenten Kurt Beck und Olaf Scholz zu verdanken, dass wir heute zusätzliche Kitamittel beschließen können. Sie haben einen zusätzlichen Bundeszuschuss bei den Fiskalpaktverhandlungen im letzten Jahr zum Thema gemacht, und sie haben ihre Zustimmung zum Fiskalpakt davon abhängig gemacht, dass der Bund beim Ausbau der Betreuungsinfrastruktur noch mal eine Schippe oben draufpackt. Der Gesetzentwurf, den wir heute beschließen wollen, setzt nun diese Vereinbarung zwischen Ländern und Bund um. Und selbst die haben Sie noch zu hintertreiben versucht. Die Bundesregierung hat den Ländern bei den Fiskalpaktverhandlungen eine unbürokratische und schnelle Umsetzung versprochen und sich nicht daran gehalten. Mit kleinlichen Nachforderungen haben Sie, Ministerin Schröder, die Umsetzung um weitere Monate verzögert. Jetzt müssen Sie endlich dafür sorgen, dass das Geld dort ankommt, wo es am dringendsten gebraucht wird, nämlich vor Ort. Wir erwarten von der Bundesregierung jetzt endlich zügiges und professionelles Handeln. Kein Verschleppen und Verzögern mehr! Werden Sie Ihrer Verantwortung für den Kitaausbau endlich mal gerecht! Aber Geld ist bekanntlich nicht alles im Leben. Es gibt noch viele andere Maßnahmen, die Sie auch an-packen müssten – es aber nicht tun: Überall in Deutschland werden die Klagen über fehlende pädagogische Fachkräfte immer lauter. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert schon seit Jahren, dass sich die Bundesregierung mit Ländern und Kommunen in einem Krippengipfel an einen Tisch setzt und konkrete Schritte zur Forcierung des Krippenausbaus vereinbart. Und wir fordern – ebenfalls seit Jahren – eine Fachkräfteoffensive, um zusätzliche Menschen für den Beruf der Erzieherin oder des Erziehers zu gewinnen und zu begeistern. Die Zeit drängt. Die Bundesregierung muss jetzt in enger Zusammenarbeit mit Ländern, Kommunen und Trägern eine bundesweite Fachkräfteinitiative starten, um den steigenden Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern zu decken. Außerdem wird der wachsende Fachkräftebedarf nur zu decken sein, wenn die Arbeitsbedingungen im Erzieherberuf verbessert werden. SPD-geführte Länder machen vor, wie es geht: Hamburg ist es gelungen, den Rechtsanspruch für Kinder unter drei Jahren bereits um ein Jahr vorzuziehen. Er wirkt dort schon seit dem 1. August 2012. Nordrhein-Westfalen hat nach der Regierungsübernahme durch Hannelore Kraft schnell einen Krippengipfel einberufen, nachdem die CDU-geführte Vorgängerregierung den Krippenausbau verschlafen hatte. Das rot-grün geführte Land unterstützt gezielt notleidende Kommunen, damit auch sie den Ausbau schaffen. In Niedersachsen hingegen sieht es hier im wahrsten Sinne des Wortes schwarz aus. Selbst CDU-Bürgermeister beklagen die mangelnde finanzielle Beteiligung des Landes beim Krippenausbau. Das wird sich unter dem neuen Ministerpräsidenten Stefan Weil jetzt endlich und zügig ändern. In der letzten Legislaturperiode hat die SPD durch-gesetzt, dass Finanzhilfen in Milliardenhöhe für den Krippenausbau bereitgestellt werden. Denn wir haben gesehen, dass der Ausbau von Bildung und Betreuung eine entscheidende gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt. Ob für unsere Kinder und Jugendlichen gute Kita- und Ganztagsschulplätze vorhanden sind, entscheidet über ihre Zukunft. Denn gute Kitas und Ganztagsschulen eröffnen bessere Bildungschancen, sind Orte der Integration und ermöglichen Eltern, Beruf und Familie zu vereinbaren und deshalb selbst für sich zu sorgen. Sie sind die beste Armutsprävention und außerdem die Bildungsinstitutionen, in denen die Fachkräfte entwickelt werden, die auch die deutsche Wirtschaft doch so dringend braucht. Ohne den damaligen Bundesfinanzminister Steinbrück wäre der Krippenausbau nicht möglich gewesen. Es war Peer Steinbrück, der 2007 4 Milliarden Euro in ein Sondervermögen für den Krippenausbau überführt und für einen jährlichen Bundeszuschuss zu den laufenden Kosten des Kitabetriebs vor Ort gesorgt hat. Diesen Weg werden wir in Regierungsverantwortung konsequent fortsetzen. Wir werden Ihr bildungsfeind-liches Betreuungsgeld sofort abschaffen und die dadurch frei werdenden Mittel vollständig in den Kitausbau stecken. Damit sollen die Kommunen noch mehr Plätze schaffen können, die Öffnungszeiten der Einrichtungen verlängern und für eine bessere Betreuungsqualität sorgen können. Denn nur gute Kitas sind in der Lage, unsere Kinder optimal zu fördern und ihre Talente zu entdecken und zu fördern. Die 16. Legislaturperiode war die Zeit des quantitativen Kitaausbaus unter Finanzminister Peer Steinbrück. Die 17. Legislaturperiode ist die Zeit des Nichtstuns unter Bundeskanzlerin Merkel. Die 18. Legislaturperiode wird die Zeit der Qualitäts-offensive unter Bundeskanzler Peer Steinbrück werden. Eine SPD-regierte Bundesregierung wird das Thema Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen aus der Abstellkammer holen, wohin Schwarz-Gelb es verdammt hat. Bei uns wird der Ausbau der Bildungsinfrastruktur ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Denn wir haben uns ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Wir wollen, dass jedes Kind und jeder Jugendliche ab 2020 einen Rechtsanspruch auf Ganztagskitas und Ganztagsschulen hat, damit alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland gleiche Bildungschancen haben und auch die Benachteiligten wieder berechtigte Hoffnung auf sozialen Aufstieg bekommen. Dafür lohnt es sich zu kämpfen. Und genau das werden wir in den nächsten Monaten tun. Ich freue mich auf die Auseinandersetzung um die beste Zukunft für unser Land. Miriam Gruß (FDP): Für den benötigten Ausbau der Infrastruktur der Kinderbetreuung wurde bisher von keiner anderen Bundesregierung so viel investiert. Bund, Länder und Kommunen haben sich geeinigt: Es werden 12 Milliarden Euro für dieses wichtige, gesamtgesellschaftliche Ziel ausgegeben. 4 Milliarden Euro davon werden vom Bund getragen. Mit dem heutigen Gesetzentwurf werden nun nochmals 580,5 Millionen Euro vom Bund nachgelegt. Zu unserem Teil der Verantwortung stehen wir, wie auch zu dem Rechtsanspruch auf Betreuung für unter dreijährige Kinder, der am 1. August 2013 in Kraft treten wird. Dazu stehen wir; denn wir wissen: Eine gute und verlässliche Familienpolitik ermutigt Paare dazu, Kinder zu bekommen. Dafür bedarf es dreier Komponenten: Die erste Komponente besteht aus den Rahmenbedingungen. Das sind sowohl die rechtlichen, wie beispielsweise der Rechtsanspruch, als auch die Infrastruktur-bedingungen, zum Beispiel Kitas, Horte, Tagesmütter und Tagesväter. Die zweite Komponente besteht aus den finanziellen Unterstützungen. Deutschland liegt hier laut internationalen Vergleichen in der weltweiten Spitzengruppe. Schließlich die dritte Komponente: Das ist das, was die Ministerin „Zeit für Familie“ genannt hat. Hier sind die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ein verlässliches Umfeld und ein sicherer Arbeitsplatz besonders wichtig. Denn uns allen ist bewusst, dass Unsicherheit über den Arbeitsplatz oft zur Folge hat, dass viele -Menschen mit dem Kinderwunsch warten. Einige davon warten dann zu lange. Meiner Meinung nach kann niemand bestreiten, dass die gute Konjunkturlage der letzten drei Jahre unter Schwarz-Gelb zu mehr Verlässlichkeit und Sicherheit am Arbeitsmarkt und dadurch zu mehr -Sicherheit für Familienplanungen geführt hat. Heute geht es um die zusätzlichen 580,5 Millionen Euro, die der Bund bereitstellt, und um die Frage, warum wir dieses schon beschlossene Finanzpaket heute noch einmal in den Bundestag einbringen müssen. Die -Antwort darauf lautet: Wir müssen das tun, weil die Bundesländer nur langsam und schleppend ihren Teil der Verantwortung wahrgenommen haben. Es hat sich -herausgestellt, dass einige Länder die 4 Milliarden Euro nur äußerst zögerlich abgerufen haben. Auch hat sich -gezeigt, dass diese mit der Umsetzung des Kitabauprogramms und den dafür vorgegebenen zeitlichen Vorgaben nicht Schritt halten. In diesem Zusammenhang darf man schon einmal darauf hinweisen, dass das grün-rote Baden-Württemberg mit 61,7 Prozent, Stand 6. Dezember 2012, das Schlusslicht beim Mittelabruf bildet. Der Bund steht zu seinem Teil der Verantwortung. Wir fordern hier die rot-grünen Regierungen dieser Länder ausdrücklich dazu auf, auch ihren Teil beizutragen. Der Fiskalpakt wurde von den Ländern abgelehnt. Dieser beinhaltete auch die zusätzlichen 580,5 Millionen Euro für den Kitaausbau. Deswegen müssen wir heute den Ländern das Geld quasi hinterhertragen. Diese fehlende Wahrnehmung der beim Krippengipfel 2007 einstimmig beschlossenen Strategie ärgert mich umso mehr, als die Länder äußerst genau darauf achten, dass der Bund sich nicht in ihre Kompetenzen einmischt. Wenn etwa ein Vorschlag für schärfere Berichtspflichten gemacht wird, gibt es einen lauten Aufschrei. Aber die -Eltern der Kinder erwarten von den Landesfürsten keine taktischen Spielchen, sondern die Umsetzung dessen, was sie selbst mit beschlossen haben. Dass wir das vereinbarte Ziel von 750 000 Plätzen für Kinder unter drei Jahren noch nicht erreicht haben, ist uns bewusst. Wir haben aufgrund des ermittelten Bedarfs trotzdem 30 000 Plätze zusätzlich vorgesehen und wissen doch auch, dass in einigen Regionen auch das nicht ausreichen wird. Es bedarf deshalb auch noch in den nächsten Jahren erheblicher Anstrengungen, um hier eine Wahlfreiheit zwischen den verschiedenen Möglichkeiten zu erreichen. Es ärgert mich, dass von einigen Ländervertretern und der Opposition Zahlen von 100 000 oder 150 000 noch fehlenden Plätzen in den Raum geworfen werden. Es ist wahr: Wir haben alle zusammen die Bedarfsquote noch nicht erfüllt; aber jeder – Bund, Länder und Kommunen – muss sich selbst die Frage stellen: Was tue ich, um den Ausbau zu beschleunigen? Hier vermisse ich beispielsweise von der Landesregierung Initiativen zur Entrümpelung der Landesbauordnungen, damit der Ausbau nicht durch überzogene -Standards bei der Höhe von Kleiderhaken und Toilettenbecken verzögert wird. Auch fehlen mir hier Initiativen der Landesregierungen, die es ermöglichen, die EU--Hygieneverordnungen in der Tagespflege großzügig auszulegen. Die Länder besitzen hier einen großen Spielraum, welchen sie auch nutzen sollten. Mit unserem -Antrag zur Stärkung der Tagespflege haben wir unseren Beitrag geleistet, aber auch hier liegt vieles in der Zuständigkeit der Länder. Es ist die Aufgabe der Länder, hier aktiv zu werden. Eines kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung versichern: Die Eltern wollen nicht hören, wessen Schuld es ist, wenn der Ausbau der Betreuungskapazität in ihrer Kommune noch nicht ausreichend ist, sondern sie möchten wissen, was von Bund, Ländern und Kommunen -getan wird, um eine Lösung dafür zu finden. Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden vom Bund gesetzt; er gibt auch das Geld, sie auszufüllen. Die Länder und Kommunen sind in der Pflicht, die Umsetzung vor Ort zu organisieren. Diana Golze (DIE LINKE): Seit Jahren geistert das Wort „Wahlfreiheit“ umher, wenn das Thema Kindertagesbetreuung auf der Tagesordnung steht. Für einen Teil dieser „Wahlfreiheit“ hat sich die Bundesregierung über Monate hinweg eine Schlammschlacht geliefert und vorbei an der mehrheitlichen Meinung in der Bevölkerung, der Fachwelt und entgegen des derzeitigen Standes der frühkindlichen Forschung eine „Kitafernhalteprämie“ beschlossen. Milliarden wurden in die Hand genommen und Lieblingsprojekte einzelner Kabinettsmitglieder zur Verhandlungsmasse gemacht, nur um zu erhalten, was kaum noch jemand möchte: ein Familienbild, dass Kindererziehung zur Privatsache macht und die öffentliche Verantwortung hierfür auf die Zahlung eines Taschengeldes reduziert. Die Rede ist natürlich von der hitzigen Debatte um die Einführung des Betreuungsgeldes – der Leistung, die für die größte Mogelpackung in Sachen moderner Familienpolitik steht. Seit Jahren umstritten und trotzdem mit einer Verbissenheit umgesetzt, die man sich auch bei der anderen Seite dieser „Wahlfreiheit“ – der Kinderbetreuung in öffentlicher Verantwortung – immer noch nur wünschen kann. Hier treibt das Engagement der Bundesregierung indes andere Blüten. Neue Unwörter wie „Kitaplatz- Sharing“ und „Erzieheraustausch“ machen klar, in welchem Dilemma wir in Sachen Kindertagesbetreuung bis heute stecken. Alte Vorurteile halten sich beharrlich, und wo sie nicht mehr zu halten sind, werden sie mit -Kampfreden einer ansonsten schweigenden Ministerin Schröder kleingeredet. Statt endlich das zu tun, was ihr eigentlicher Job ist, wird immer und immer wieder der gleiche Sprechzettel hervorgeholt, nämlich dass der Bund seinen Beitrag in Form des einmal zur Verfügung gestellten Sondervermögens für den Kitaausbau bereits geleistet hat, dass nun alle anderen dran seien in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung. Ich sage Ihnen, Frau Ministerin: Das Maß an Ignoranz der Verantwortung des Bundes ist voll. Seit Jahren wird das viel zu schleppend verlaufende Ausbautempo schöngeredet, das Fehlen einer Bedarfsplanung ist an der Tagesordnung und an den daraus resultierenden falschen Ausbauzielen wird festgehalten. Hilferufe der kommunalen Spitzenverbände werden so lange in die Schublade gelegt, bis man die Diskussion endlich da hat, wo man sie schon immer haben wollte: fernab von einer Debatte um die Qualität von Kindertagesbetreuung, von dem bestehenden Fachkräftemangel und von den schwierigen Arbeitsbedingungen in der Kindertagespflege. Das, was uns nun erneut in Form eines Gesetzentwurfes vorgelegt wurde, überbietet jede bisher da gewesene Augenwischerei. Die durch Ihren Vorschlag zu schaffenden 30 000 Plätze reichen nicht im Ansatz aus, um in die Nähe der 220 000 fehlenden Plätze zu kommen – von der Erfüllung eines Rechtsanspruches ganz zu schweigen. Sie liefern auch diesmal keine Lösung dafür, dass trotz dieser Aufstockung und langfristigen Beteiligung des Bundes an den Gesamtkosten der überwiegende Teil der dauerhaften Kosten an den Kommunen hängen bleibt. Es kann nicht sein, dass die Erfüllung eines vom Bund geschaffenen Rechtsanspruches und damit der qualitative und quantitative Ausbau der Kinderbetreuung davon abhängen soll, wie voll oder wie leer die Kasse der jeweiligen Kommune ist. Die Linke bleibt darum bei ihrer Forderung nach einem Spitzentreffen zwischen den verantwortlichen Akteuren aus Bund, Ländern und Kommunen unter Beteiligung der wissenschaftlichen Fachwelt. Ein solcher Krippengipfel ist dringend nötig, um den tatsächlichen Stand des Betreuungsausbaus und des Ausbaubedarfes zu ermitteln und endlich ehrlich sofortige Maßnahmen zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu verabreden. Wenn Sie, Frau Ministerin, daraus auch noch ein regelmäßig tagendes Gremium mit dem Auftrag, die Umsetzung des Ausbaus zu begleiten und im Bedarfsfall umgehend notwendige Lösungsvorschläge zu erarbeiten, schaffen würden, dann können Sie auch wieder davon reden, dass der Bund seine Verantwortung wahrnimmt. So aber ist auch dieser Gesetzentwurf ein Tropfen auf den heißen Stein, der mit unnötig repressiven Fristen den Ländern und Kommunen einmal mehr die Pistole auf die Brust setzt und damit für uns nicht zustimmungsfähig ist. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute stimmen wir über einen Gesetzentwurf ab, der Finanzmittel in Höhe von 580 Millionen Euro für 30 000 zusätzliche U-3-Plätze bringen wird. Die Beratungen in den Ausschüssen haben es uns schon verraten: Dieser Gesetzentwurf wird eine breite Mehrheit finden. Und auch im Bundesrat – der morgen über den Gesetzentwurf beschließt – ist nicht mit Widerstand zu rechnen. Denn jetzt darf es nur noch ein Ziel geben: Die zusätzlichen Mittel müssen so schnell wie möglich dahin, wo sie benötigt werden: in die Kommunen, in die Kitas. Dass dieses Geld erst jetzt auf den Weg gebracht wird, dass wertvolle Zeit mit Blick auf den Rechtsanspruch auf einen U-3-Platz, der ab dem 1. August besteht, verplempert wurde, ist keinem parteitaktischen Kalkül der Bundesländer im Bundesrat zu verdanken. Das wollen uns zwar die Koalitionsfraktionen weismachen, aber Fakt ist, dass die Verantwortung einzig und allein bei der Bundesregierung liegt. Bis Dezember letzten Jahres waren die Regelungen über die zusätzlichen Kitamittel Bestandteil des Gesetzentwurfs zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags. Der Bundesrat hat dem Gesetzentwurf zur Umsetzung des Fiskalvertrags nicht zugestimmt, weil die Bundesregierung sich nicht an die Zusage gehalten hat, die sie den Ländern zur Neufestlegung der Entflechtungsmittel gegeben hat. Mit dem Kitaausbau hat die Kritik der Bundesländer überhaupt nichts zu tun. Dasselbe Schwarze-Peter-Spiel hat Ministerin Schröder übrigens auch bei den zusätzlichen Kitamillionen versucht. Einigungen, die im August zwischen dem Familienministerium und den Ländern erzielt wurden, fanden keinen Niederschlag in dem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung im Oktober vorgelegt hat. Erst hat Ministerin Schröder versucht, die Länder mit monatlichen Berichtspflichten über die Verwendung der Mittel zu drangsalieren. Dann hat sie viel zu lange eine Einigung über die Auszahlung der zugesagten Betriebsmittel in Höhe von 75 Millionen Euro jährlich blockiert, und das, nachdem sie selbst seit Jahren keinen müden Cent zusätzlich für den Kitaausbau beim Finanzminister ausverhandeln konnte. Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen von den -Koalitionsfraktionen, hören Sie endlich auf, den Bundesländern oder gar der Opposition die Schuld für die verzögerte Auszahlung der Mittel in die Schuhe zu schieben. Das ist der Sache nicht dienlich und interessiert die Eltern, die einen Kitaplatz für ihr Kind brauchen, sowieso nicht. Die zusätzlichen Mittel sind ein wichtiger Schritt und für viele Kommunen sicherlich der letzte Rettungsanker. Aber auch mit diesen zusätzlichen 580 Millionen Euro kann die Erfüllung des Rechtsanspruchs nicht überall sichergestellt werden. In vielen Kommunen, die in den letzten Jahren in den U-3-Ausbau investiert, aber einen deutlich höheren Bedarf als die ursprünglich avisierten 35 bzw. jetzt 39 Prozent haben, werden Eltern mit ihrem Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf trotzdem keinen Kitaplatz finden. Deshalb halten wir Grünen ein Sonderprogramm, das sich gerade an Kommunen mit besonders hohen Bedarfen richtet, für dringend geboten. Die Kommunen fordern nicht nur die Beteiligung des Bundes und der Länder an eventuellen Schadenersatzansprüchen, die Eltern wohl aufgrund fehlender Kitaplätze einklagen könnten. Ich halte diese Forderung für nicht zielführend, weil wir jetzt in den Ausbau und nicht später in den Schadenersatz für nicht erfolgten Ausbau investieren müssen. Die Kommunen rechnen aber auch damit, dass die Anzahl der Kinder in den Gruppen erhöht und damit zentrale Qualitätsstandards gesenkt werden. Das darf auf keinen Fall passieren. Es reicht nicht, wie wir es von der Ministerin kennen, auf die Bedeutung hoher Qualitätsstandards hinzuweisen. Der Bund muss auch handeln. Er ist auch bei der Frage der Qualität in der Pflicht und sollte sich seiner Verantwortung endlich stellen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags (Tagesordnungspunkt 17) Norbert Barthle (CDU/CSU): Wir verabschieden heute im Bundestag zum zweiten Mal das Fiskalvertragsumsetzungsgesetz. Es ist äußerst ärgerlich, dass der Bundesrat dem Gesetz im ersten Anlauf nicht zugestimmt hat. Ich möchte daran erinnern: Auch die Länder haben im vergangenen Sommer den Fiskalvertrag ratifiziert. Auch die Länder haben daher die gesamtstaatliche Verantwortung, die durch die Ratifizierung notwendig gewordenen Folgerechtsänderungen mitzutragen. Es ist manchmal schon schwer erträglich, wie die Ländermehrheit derzeit immer wieder Rosinenpickerei betreibt. Ich gehe davon aus, dass das Gesetz für die zusätzlichen Mittel für den Kitaausbau ohne Probleme den Bundesrat passieren wird. Dann aber das Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags als Faustpfand für taktische Spielchen im Bundesrat zu nutzen, wäre mehr als unangemessen. Das werden auch die -Bürgerinnen und Bürger im Land so sehen. Ich bin daher sehr gespannt auf die erneute Entscheidung des Bundesrates zu diesem Gesetz. Der Fiskalvertrag ist das zentrale Instrument, um dem Prinzip der Solidität europaweit zu besserer Geltung zu verhelfen. Die Bedeutung der Verpflichtung für die Unterzeichnerstaaten, Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild umzusetzen und ihre Einhaltung zu kontrollieren, kann gar nicht stark genug gewürdigt werden. Deutschland hat mit der im Zuge der Föderalismusreform II eingeführten deutschen Schuldenbremse und der parallelen Einrichtung des Stabilitätsrats zentrale Vorgaben des Fiskalvertrags bereits jetzt erfüllt. Mit dem -Fiskalvertragsumsetzungsgesetz regeln wir die zusätzlich notwendigen rechtlichen Ergänzungen zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags und des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakts. So wird die zulässige Obergrenze für das strukturelle gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit von maximal 0,5 Prozent des BIP im Haushaltsgrundsätzegesetz festgeschrieben. Mit der Änderung des Sanktionszahlungs-Aufteilungsgesetzes wird die innerstaatliche Aufteilung der mit der -Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts neu eingeführten Sanktionen zur Sicherung der Haushaltsdisziplin geregelt. Der Stabilitätsrat wird zudem damit beauftragt, die Einhaltung der strukturellen gesamtstaatlichen Defizit-obergrenze zu überwachen. Zur Unterstützung des Stabilitätsrates bei dieser Aufgabe wird ein unabhängiger -Beirat eingerichtet. Mit der Überwachung der gesamtstaatlichen Regeln durch den Stabilitätsrat und seinen unabhängigen Beirat trägt Deutschland den Anforderungen des Fiskalvertrags und der von der Europäischen Kommission vorgelegten gemeinsamen Grundsätze – auch hinsichtlich der darin geforderten starken Rolle unabhängiger Institutionen – vollständig Rechnung. Durch die Kombination von Stabilitätsrat und unabhängigem Beirat wird ein optimales Institutionengefüge zur Überwachung der Einhaltung der Vorgaben des Fiskalvertrags geschaffen. Im Rahmen des heute zu verabschiedenden Gesetzes schreiben wir auch fest, dass das Guthaben auf dem sogenannten Kontrollkonto der Schuldenregel am Ende des Jahres 2015 auf null gesetzt wird. Die Koalition hat immer gesagt, dass die Überschüsse im Kontrollkonto nicht über die Dauer des Übergangszeitraumes hinaus Wirkung entfalten sollen. Sobald die Schuldenbremse ab 2016 in den Regelbetrieb übergeht, starten wir daher nun mit einem sauberen Kontrollkonto. Dies ist ein sehr wichtiges Signal insbesondere gegenüber den europäischen Partnern, die ähnliche Schuldenbremsen national verankern müssen. Und auch den Bundesländern sollte diese Regelung ein Ansporn sein, selbst rechtzeitig für eine wasserdichte Umsetzung der grundgesetzlichen Verpflichtungen zu sorgen. Da liegt in manchen Ländern noch einiges im Argen. Das Fiskalvertragsumsetzungsgesetz ist ein wichtiges Gesetz. Wir erleben derzeit in Europa, dass Vertrauen langsam, aber sicher zurückkehrt. Gerade jetzt dürfen wir mit unseren Anstrengungen zu Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und einer Stärkung des institutionellen Rahmens der Währungsunion nicht nachlassen. Wir sind in einer kritischen Phase der -Krisenbewältigung, nämlich in der Phase, zu beweisen, dass wir es nicht nur kurzfristig, sondern auch dauerhaft ernst meinen mit allen Reformzusagen. Deutschland muss dabei mit gutem Beispiel vorangehen, um den Umsetzungsdruck auch in allen anderen Ländern aufrechtzuerhalten. Der Fiskalvertrag ist seit 1. Januar 2013 in Kraft. Wir müssen nun schleunigst alle notwendigen gesetzlichen Anpassungen verabschieden. Wir riskieren sonst nicht nur eine große Blamage gegenüber unseren Partnern. Wir riskieren auch den Verlust von Glaubwürdigkeit, die in dieser Phase der Stabilisierung und Konsolidierung im Euro-Raum so dringend notwendig ist. Ich appelliere an alle, sich dieser gesamtstaatlichen und europäischen Verantwortung bewusst zu sein. Das Fiskalvertragsumsetzungsgesetz ist kein Gesetz für politische Spielchen. Ich bitte daher um eine breite Zustimmung des Deutschen Bundestages. Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Nach der verfassungsrechtlichen Verankerung der Schuldenbremse und der Schaffung des Stabilitätsrats gehen wir mit dem Fiskalpakt den nächsten Schritt hin zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik und zu tragfähigen Staatsfinanzen. Mit dem Fiskalvertragsumsetzungsgesetz werden die darüber hinaus notwendigen rechtlichen Ergänzungen zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags und des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakts geregelt. Bereits in diesem Jahr wird der Bund trotz Fälligwerdens zweier weiterer ESM-Raten die erst ab 2016 durch die Schuldenbremse vorgegebene Grenze für die strukturelle Neuverschuldung von 0,35 Prozent des Brutto-inlandsprodukts unterschreiten. Das ist drei Jahre früher als verfassungsrechtlich vorgeschrieben. Wir sind damit für die europäische Schuldenregel gut aufgestellt. Um Deutschland zukunftsfest zu machen, müssen wir den Weg der wachstumsorientierten Haushaltskonsolidierung konsequent fortsetzen. Nur nachhaltiges Wachstum schafft Vertrauen und Verlässlichkeit. Wachstum ist dann stabil und zukunftsgerichtet, wenn es auf solide -Finanzen aufbaut. Denn diese geben uns und den nachkommenden Generationen die notwendigen Handlungsspielräume für eine gute Zukunft Deutschlands. Die -Herausforderungen liegen auf der Hand: Haushaltskonsolidierung, Stärkung der Infrastrukturinvestitionen und Verbesserung der Finanzkraft der Kommunen. Trotz steigender Einnahmen haben wir im Bundeshaushalt 2013 die Ausgabenseite begrenzt. Gegenüber dem Beginn der Legislaturperiode konnten wir die Ausgaben nominal absenken. Damit kommt auch der für 2014 angestrebte strukturelle Haushaltsausgleich in greifbare Nähe. Diese konsequente Konsolidierung wird auch wieder mehr Spielräume schaffen zur Gestaltung freier Zukunft. Konsolidierung heißt Zukunftssicherung. Deutschland braucht eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur. Ausreichende und qualitativ hochwertige Verkehrswege sind die Lebensadern unserer Volkswirtschaft und sichern ein Höchstmaß an gesellschaftlicher Mobilität. Um die Leistungsfähigkeit unserer Verkehrswege zu sichern und das weiter ansteigende Verkehrsaufkommen bewältigen zu können, sind erhebliche Investitionen notwendig. Zwar konnten im aktuellen Bundeshaushalt Gesamtinvestitionen für die Verkehrswege von jährlich über 10 Milliarden Euro und damit über dem Niveau der Vorjahre verankert werden. Diese Mittel reichen aber immer noch nicht, um alle Projekte in unserem Land zu finanzieren, die dringend realisiert werden müssten. Auch die Zusatzmilliarde aus dem „Infrastrukturbeschleunigungsprogramm“ von Anfang 2012 sowie die zusätzliche Dreiviertelmilliarde Euro für den Bundeshaushalt 2013 versetzt den Bund allenfalls in die Lage, einen Teil des gewaltigen Finanzierungsbedarfs zu decken. Wir müssen mehr Finanzmittel für den Erhalt und die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur bereitstellen. Zu einer überzeugenden Haushaltskonsolidierung gehört auch, die Kommunen zu unterstützen, damit sie ihre Aufgaben erfüllen und ihre Haushalte ebenfalls konsolidieren können. Die christlich-liberale Koalition hat Anfang November den Weg für die größte finanzielle Entlastung der Kommunen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland freigemacht. Durch die Übernahme der Nettoausgaben der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung entlastet der Bund die Kommunen allein im Zeitraum 2012 bis 2016 um rund 18,5 Milliarden Euro. Wir müssen die Kommunen aber noch weiter entlasten. Eine alternde Gesellschaft mit einem stetig wachsenden Anteil an Menschen mit Behinderung überfordert die kommunal finanzierten Daseinsvorsorgeleistungen. Die bevorstehenden Herausforderungen haben sich zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe entwickelt. Behinderung ist ein Lebensrisiko, das jeden Menschen jederzeit treffen kann. Wir müssen die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung zu einer zeitgemäßen und zukunftsorientierten Hilfe weiterentwickeln, die den behinderten Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt und ihn in die Gesellschaft gut inte-griert. Die Umsetzung der Eingliederungshilfereform sollte in einem eigenen Bundesleistungsgesetz erfolgen, um Menschen mit Behinderung aus dem „Fürsorgesystem“ herauszuführen. Ich begrüße die im Rahmen der innerstaatlichen Umsetzung der neuen Vorgaben des Fiskalvertrages erzielte Einigung zwischen Bund und Ländern, die Vorschriften zur Eingliederungshilfe durch ein Bundesleistungsgesetz abzulösen. Als gesamtgesellschaftliche Aufgabe muss sich der Bund künftig an den Kosten für die Eingliederungshilfe angemessen beteiligen. Die dafür notwendigen finanziellen Spielräume müssen wir im Rahmen der Haushaltskonsolidierung erarbeiten. Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Erst vor zwei Monaten haben wir über den gleichen Entwurf dieses Gesetzes zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags gesprochen. Das Gesetz hat kurz vor Weihnachten – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit – keine Zustimmung im Bundesrat gefunden, und auch die SPD-Bundestagsfraktion hat das Gesetz damals abgelehnt. Mit dem Gesetz sollen in Deutschland die Voraussetzungen für die nationale Anwendung des Fiskalvertrages geschaffen werden. Man muss daran erinnern, dass Finanzminister Schäuble und auch die Bundeskanzlerin noch vor einem Jahr, nach der Aushandlung des Vertrages, erzählt haben, Deutschland sei quasi das Vorbild für diesen Vertrag und erfülle mit seiner Schuldenbremse bereits alle Vorgaben. Dass das nicht zutreffend ist, sehen wir an diesem Umsetzungsgesetz. Es gibt aber auch noch ein anderes Problem. Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion wurde als völkerrechtlicher Vertrag geschlossen. Wenn schon eine Einigung im Wege der Primärrechtsänderung nicht möglich gewesen ist, wäre doch wenigstens eine Regelung im Rahmen des europäischen Sekundärrechts deutlich besser gewesen. Einerseits ist der Vertrag in seiner jetzigen Konstruktion weniger wirkungsvoll, da lediglich die Einführung von nationalen Schuldenregeln vorgeschrieben wird, die Einhaltung dieser selbstgewählten nationalen Regeln durch den Vertrag ist aber nicht sichergestellt. Auch das Zustandekommen des Vertrages aus nationaler Perspektive ist ein Problem. Wie beim ESM hat auch bei dieser Vereinbarung die Bundesregierung es versäumt, die nationalen Gesetzgeber rechtzeitig und umfassend einzubeziehen. Schließlich konterkariert die Vorgabe des Vertrages unsere verfassungsrechtliche Schuldenregel. Während durch das Ergebnis der Föderalismuskommission II eine Schuldenregel in Höhe von 0,35 Prozent/BIP für den Bund ab 2016 und eine Nullverschuldungsregel für die Länder ab 2020 eingeführt wurde, entsteht nun durch den neuen Vertrag eine gesamtstaatliche Begrenzung des strukturellen Defizits in Höhe von 0,5 Prozent des BIP bereits ab 2013. Wenn die Bundesregierung solche weitreichenden Vertragsverhandlungen auf zwischenstaatlicher Ebene führt, muss sie die nationalen Haushaltsgesetzgeber nicht nur informieren, sondern in die Verhandlungen mit einbeziehen. Das hat die Bundesregierung unterlassen und damit in eklatanter Weise gegen das Grundgesetz verstoßen, wie ihr das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 19. Juni 2012 bescheinigt hat. Warum brauchen wir nun also ein Umsetzungsgesetz, bzw. welche Defizite weist die deutsche Schuldenregel gegenüber den Vorgaben des Fiskalvertrages auf? Die EU-Kommission hat für eine möglichst einheitliche Einführung der Schuldenregeln in den Teilnehmerstaaten des Fiskalvertrages am 20. Juni 2012 gemeinsame Grundsätze veröffentlicht. Dabei gilt ein wesentlicher Grundsatz der Rolle und Unabhängigkeit der für die Überwachung zuständigen Institutionen. Die Kommission hält darin fest, dass für die Glaubwürdigkeit und Transparenz der Schuldenregeln – „Korrekturmechanismen“, wie sie technisch genannt werden – wesentlich ist, dass die Überwachung durch unabhängige oder funktional autonome Stellen erfolgt. Für diese Stellen müssen nationale Rechtsvorschriften erlassen werden, die ihnen ein hohes Maß an funktionaler Autonomie gewähren, einschließlich eines gesetzlich verankerten Status’, der die Freiheit von Einflussnahme sichert, die Benennungsverfahren festlegt und angemessene Ressourcen und einen zur Erfüllung ihres Auftrags angemessenen Zugang zu Informationen garantiert. Die Kommission verfolgt hiermit ein Modell, das in den vergangenen Jahren in vielen Ländern innerhalb und außerhalb Europas in der einen oder anderen Form umgesetzt worden ist – oft als „Fiscal Council“ bezeichnet – und das in der ökonomischen Literatur und in internationalen Organisationen wie der OECD viele Befürworter hat. Deutschland als entschiedener Befürworter der Einführung und Überwachung einer Fiskal- bzw. Schuldenregel sollte sich dieser Entwicklung nicht verschließen. Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalpaktes keine neue Institution schaffen, sondern die Rolle des Stabilitätsrates stärken und ihm einen sogenannten Unabhängigen Beirat beistellen. Dieser Vorschlag genügt den Anforderungen nicht, und auch andere Länder sind in diesem Bereich viel weiter. Dies hat auch die Anhörung gezeigt, die der Haushaltausschuss anlässlich der Beratungen zum ersten Gesetzentwurf am 19. November letzten Jahres unter Beteiligung internationaler Experten durchgeführt hat. So haben Schweden und die Niederlande inzwischen renommierte Institutionen etabliert, die eine unabhängige Beratung und objektive Betrachtung der Fiskalpolitik sicherstellen. Die USA haben das Congressional Budget Office sogar schon 1975 geschaffen. In Großbritannien hat die aktuelle Regierungskoalition aus Konservativen und Liberalen ein solches Fiscal Council eingerichtet, nur in Deutschland verweigert sich die Regierungskoalition diesen Fortschritten. Auch in einem aktuellen Bericht des Internationalen Währungsfonds vom November 2012 über die Ausgestaltungen nationaler Fiskalregeln wird deutlich, dass Deutschland nicht über unabhängige Einrichtungen zur Überwachung der Einhaltung der eigenen Schuldenbremse verfügt. Von „funktioneller Eigenständigkeit gegenüber den Haushaltsbehörden des Mitgliedstaates“ kann beim Stabilitätsrat nicht ernsthaft die Rede sein. Denn dem Stabilitätsrat gehören die Länderfinanzminister und der Bundesfinanzminister an. Eine Institution, die aus den für die Haushaltsbehörden verantwortlichen Ministern besteht, kann nicht glaubwürdig für sich eine funktionale Eigenständigkeit gegenüber eben diesen Haushaltsbehörden behaupten. Die von der Bundesregierung als Argument angeführten gesetzlichen Regelungen über die Beschlussfassung können diesen Konstruktionsmangel ebenso wenig heilen wie die Beigabe eines unabhängigen Beirats. Ein unabhängiges Beratergremium macht aus einer abhängigen keine unabhängige Institution. Auch ist der Vorschlag der Koalitionsfraktion nicht in Einklang zu bringen mit dem bereits auf europäischer Ebene bestehenden Gesetzespaket „Sixpack“ und dem gerade in der Verhandlung steckendem „Twopack“. Beide setzen voraus – ich zitiere –, dass die europäischen Mitgliedstaaten über „einen unabhängigen Rat für Finanzpolitik“ verfügen, „dessen funktionelle Eigenständigkeit gegenüber den Haushaltsbehörden des Mitgliedstaats gegeben und dessen Aufgabe es ist, die Umsetzung der nationalen Haushaltsregeln zu überwachen“. Es gibt keinerlei Regelung zu Amtszeit, Ernennung und Entlassung oder Amtsausstattung. In dem Beirat sind lediglich die drei Mitglieder, die von Bundesbank, Sachverständigenrat und Forschungsinstitutsverbund der Gemeinschaftsdiagnose benannt werden, als unabhängig zu bezeichnen; die anderen sechs Mitglieder werden von den Vertretern der staatlichen Ebenen und Sozialver-sicherungen benannt, deren Haushaltsgebaren kontrolliert werden soll. Bei diesem Verhältnis von 3 : 6 von einem unabhängigen Beirat zu sprechen, ist ein Witz. Eine solche Regelung würde Deutschland einem anderen Land in Europa nicht durchgehen lassen. Mit diesen wesentlichen Abweichungen von den verbindlichen Grundsätzen der EU-Kommission zur Ausgestaltung der nationalen Schuldenregeln tragen deshalb auch die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen das Klagerisiko vor dem EuGH. Die SPD ist der festen Überzeugung, dass weder der Stabilitätsrat noch ein sogenannter unabhängiger Beirat als Gremium dienen kann, um die Finanzpolitik der Regierung auszuwerten. Dazu braucht es eine andere Regelung, und deshalb schlagen wir die Einrichtung eines Nationalen Rates für Haushalts- und Finanzpolitik vor. Wir haben dafür einen ausführlichen Änderungsantrag in die Beratungen eingebracht. Gleichzeitig entstünde durch die Einrichtung dieses nationalen Rates mit einem entsprechenden Sekretariat, organisiert als Arbeitsstab beim Deutschen Bundestag, auch die notwendige Verbesserung der Ausstattung des Parlamentes um den gestiegenen Anforderungen, nicht zuletzt durch die seit 2008 anhaltende Finanzkrise, -sowie den neuen gesetzlichen Beteiligungsrechten und -pflichten, die teilweise nach höchstrichterlicher Rechtsprechung verankert wurden, gerecht werden zu können. Die öffentliche Anhörung des Haushaltsausschusses hat zu dieser Frage den Nachholbedarf des Bundestages gegenüber den Parlamenten anderer westlicher Demokratien deutlich belegt. Wir begrüßen dagegen, dass die Koalitionsfraktionen mit einer Ergänzung in dem heute vorliegenden Gesetzentwurf inzwischen den durch einen willkürlich gewählten Ausgangspunkt für den Abbaupfad des strukturellen Defizits im Bundeshaushalt entstandenen Positivsaldo auf dem Kontrollkonto der Schuldenbremse löschen wollen. Schließlich würde durch eine mögliche Inanspruchnahme dieses Saldos in Form von zusätzlichen Verschuldungsmöglichkeiten, die sich nach Berechnungen der Bundesbank bis zum Jahr 2015 auf 50 Milliarden Euro summieren werden, die Glaubwürdigkeit der noch jungen verfassungsrechtlichen Schuldenregel gefährdet. Mit dieser Änderung der Koalitionsfraktionen wird nun endlich auf die anhaltende Kritik der SPD-Bundestags-fraktion seit mehr als zwei Jahren, die aber auch von Sachverständigenrat, der Bundesbank, und dem Bundesrechnungshof unterstützt wurde, eingegangen. Gleichwohl wird durch diese Änderung nicht die Ursache, nämlich der willkürlich gewählte Abbaupfad, korrigiert. Damit hält sich die Koalition eine Hintertür für die unterjährige Nutzung dieser Verschuldungsspielräume im Haushaltsvollzug oder auch bei Nachtragshaushalten offen, wie auch die Bundesbank in ihrer Stellungnahme zur schon genannten Anhörung kritisiert. Politisches Wunschdenken darf keinen Einfluss mehr auf unsere Finanz- und Haushaltsplanung haben. In Richtung der Regierungskoalition sage ich dazu: Das muss man aber auch wollen. Leider bekomme ich immer mehr den Eindruck, dass Sie sich nicht trauen, ihre Politik unabhängiger und ehrlicher Analysen auszusetzen. Weil Sie sich unserem Vorschlag für eine Verbesserung der Arbeitsfähigkeit des Bundestages gerade im Haushaltsausschuss offenbar aus Angst vor der Unbill der Exekutive verweigern – obwohl Sie dem Anliegen nach eigenem Bekunden bei den Beratungen grundsätzlich zustimmen –, lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. Dr. Florian Toncar (FDP): Wenn wir heute das Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags verabschieden, lohnt sich ein Rückblick auf das Jahr 2009, in dem eine der wichtigsten Reformen in Deutschland, das Einfügen der Schuldenbremse in das Grundgesetz, im Deutschen Bundestag beschlossen wurde. Das war mitten in der Finanzkrise mutig. Ich glaube, das ist nicht nur Anlass, stolz auf unser Land zu sein, sondern durchaus auch Anlass, stolz auf das politische System in Deutschland zu sein, das früher als viele andere erkannt hat, dass zu viele Schulden eine Gefahr für Staaten und für Gesellschaften darstellen können. Wir können stolz darauf sein, dass Deutschland sich früher als andere Länder dafür entschieden hat, etwas dagegen zu tun. Die christlich-liberale Koalition hat seit dem Jahr 2010 gewaltige Anstrengungen unternommen, um den Haushalt zu konsolidieren. In der Krise stand eher das Geldausgeben im Vordergrund. Damals sind immerhin 80 Milliarden Euro für Konjunkturprogramme ausgegeben worden. Es hat sich gezeigt, dass viele dieser Ausgaben durchaus richtig waren; dennoch mussten die dadurch entstandenen Schulden in den Folgejahren wieder ausgeglichen werden, um die Haushalte zu konsolidieren. Eine der politischen Leistungen der christlich-liberalen Koalition ist es, intelligent gespart zu haben; denn Einsparen ist immer schwerer als Ausgeben. Einsparen und gleichzeitig in die Zukunft zu investieren, ist dabei die eigentliche politische Leistung. Die haben wir als Koalition erbracht. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Bereits im abgelaufenen Jahr 2012 wurde die Zielmarke der Schuldenbremse in Deutschland eingehalten: 0,32 Prozent Neuverschuldung beim Bund. Dieses Ziel haben wir vier Jahre früher erreicht, als das Grundgesetz es von uns verlangt. Darauf sind wir stolz. Ich glaube, vor drei, vier Jahren hätte es niemand für möglich gehalten, dass wir das bereits im Jahr 2012 erreichen würden. Das ist eine gute Nachricht, insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Das haben wir geschafft, obwohl wir neue Schwerpunkte gesetzt und investiert haben – im Bereich Bildung und Forschung beispielsweise haben wir 12 Milliarden Euro mehr ausgegeben –, obwohl wir die Kommunen um annähernd 20 Milliarden Euro entlastet haben und obwohl wir mit dem ESM infolge der Staatsschuldenkrise eine Verpflichtung übernommen haben, die uns bisher 17 Milliarden Euro gekostet hat. Trotz all dieser Sonderbelastungen haben wir es geschafft, den Haushalt weitgehend zu konsolidieren. Jedenfalls sind wir auf einem sehr guten Weg. Das Volumen, um das wir die Neuverschuldung schneller gesenkt haben, als es das Grundgesetz von uns verlangt, wurde auf einem sogenannten Kontrollkonto gebucht: Wenn der Bund in einem Jahr weniger Schulden macht als erlaubt, darf er in den folgenden Jahren etwas mehr Schulden machen. Ein Vorwurf der Opposition lautete immer, die Koalition würde sich so eine „Kriegskasse“ für das Wahljahr 2013 anlegen, um dann noch einmal richtig Geld auszugeben, um Wahlprogramme finanzieren zu können. Angekommen im Jahr 2013, muss die Opposition nun einräumen, dass die Ausgaben konstant geblieben sind und die Schulden weiter abgebaut werden. Wenn dieser Gesetzentwurf heute nun beschlossen wird, dann wird das Kontrollkonto, das die Opposition für eine Wahlkampfkasse gehalten hat, vollständig gelöscht. Unsere Sparerfolge dürfen also in den kommenden Jahren nicht durch neue Ausgaben zu-nichtegemacht werden. Das ist eine sinnvolle Regelung und zeigt auch, dass Verschwörungstheorien oft einfach nur Verschwörungstheorien sind. Mit dem Fiskalpakt hat die christlich-liberale Bundesregierung es geschafft, diese Politik der Konsolidierung und der finanziellen Stabilität auf Europa zu übertragen. Lange galt eine Neuverschuldungsgrenze von 3 Prozent in Europa, die mit dem Maastricht-Vertrag festgelegt wurde. Es war eine rot-grüne Bundesregierung, die diese europaweite Verschuldungsgrenze maßgeblich mit eingerissen hat, indem sie sich selber nicht daran gehalten hat. Das musste repariert werden. Die christlich-liberale Koalition ist das angegangen. Das Wort „Fiskalpakt“ ist letzten Endes nur ein Begriff dafür, dass es uns, dieser Regierung, zusammen mit unseren europäischen Partnern gelungen ist, die Fehlentscheidungen von damals zu korrigieren und in Europa wieder strenge Regeln gegen Verschuldung einzuführen, damit Staaten nicht wieder in die Situation kommen, in der sich einige Länder Europas zurzeit befinden. Dieser Fiskalpakt ist ein großer europapolitischer Erfolg der Bundesregierung. Er enthält strenge Regeln, klare Sanktionen und auch ein Bekenntnis zum Abbau der bestehenden Staatsverschuldung. Das wird jetzt mit diesem Gesetz ins deutsche Recht umgesetzt, sofern das erforderlich ist. Im Haushaltsgrundsätzegesetz wird noch einmal klargestellt, dass neben der Schuldenobergrenze von 0,35 Prozent die etwas anders berechnete Grenze nach dem Fiskalpakt gilt, nämlich 0,5 Prozent. Der sogenannte Stabilitätsrat überwacht die Einhaltung des Fiskalpakts, damit das transparent und unabhängig geschieht. Ein besonders wichtiger Punkt sind die Strafzahlungen der Länder. Der Bund hat sich im Rahmen eines Kompromisses – um einen für Deutschland und Europa elementar wichtigen Beitrag zur Krisenbewältigung, nämlich den Fiskalpakt, zu retten – auch den Ländern gegenüber verpflichtet, deren Strafzahlungen mit zu übernehmen, wenn sie dazu beitragen, dass Deutschland gegen den Fiskalpakt verstößt. Das war meines Erachtens eine sehr großzügige Geste des Bundes, mit der er noch einmal gezeigt hat, dass ihm außenpolitische und europapolitische Interessen sowie finanzielle Stabilität wichtiger sind als das Klein-Klein um Zuständigkeiten in unserem Föderalismus und die parteitaktischen Scharmützel von Rot-Grün. Dafür muss man denen, die das verhandelt haben, ein großes Kompliment machen. Wenn der Fiskalpakt daran gescheitert wäre, wäre das für Deutschland und Europa unverantwortlich gewesen. Ich fasse zusammen: Europa denkt um – solide Finanzen statt Strohfeuer, ausgeglichene Haushalte als bindendes Ziel für alle. Das ist ein Beitrag zur Lösung dieser Krise und auch ein Beitrag für eine stabile Währungsunion in der Zukunft. Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes sorgt Deutschland für noch mehr finanzielle Solidität. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP haben erneut einen -Gesetzentwurf zur innerstaatlichen Umsetzung des -Fiskalvertrags vorgelegt. Dieser entspricht im Kern dem Gesetzentwurf der Bundesregierung Drucksache 17/10976. Die Linke, die SPD und der Bundesrat haben im Dezember 2012 ihre Zustimmung verweigert. Wir sind der Auffassung, dass der Fiskalvertrag nicht zur Stabilisierung des Euro führt. Der Vertrag soll vielmehr genutzt werden, um die Kosten der Finanzkrise auf die Bürgerinnen und Bürger abzuwälzen. Das lehnen wir ab. Im März 2012 haben 25 EU-Regierungen den Fiskalvertrag unterzeichnet. In diesem Vertrag ist eine Obergrenze für das jährliche strukturelle Defizit von höchstens 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts festgelegt. Das ist auch der wichtigste Punkt des neuen Entwurfes zur Umsetzung des Fiskalvertrages. Diese Regelung -lehnen wir ab. Sie ist ökonomischer Unsinn. Sie schränkt die Handlungsfähigkeit der EU-Staaten dramatisch ein. Griechenland ist ein trauriges Beispiel dafür, dass -Kürzungspolitik nicht der Ausweg aus der Krise ist. Ferner ist vorgesehen, dass der Stabilitätsrat damit -beauftragt wird, die Einhaltung dieser Defizitgrenze zu überwachen. Zur Unterstützung des Stabilitätsrates soll ein unabhängiger Beirat eingerichtet werden. Meine -Erfahrung mit unabhängigen Beiräten ist, dass sie in der Regel nicht unabhängig sind. Zudem soll mit der Änderung des Sanktionszahlungs-Aufteilungsgesetzes die innerstaatliche Aufteilung der Sanktionen zur „Sicherung der Haushaltsdisziplin“ geregelt werden. Jeder, der es wissen will, weiß, dass das Problem nicht die fehlende Haushaltsdisziplin der -Regierungen ist. Der Fiskalvertrag soll die EU angeblich in eine Stabilitätsunion umwandeln und auf diese Weise dazu beitragen, die Euro-Krise zu überwinden. Dies wird jedoch nicht gelingen: Die Euro-Krise wurde nicht dadurch ausgelöst, dass die Staaten über ihre Verhältnisse gelebt bzw. eine zu laxe Ausgabenpolitik betrieben hätten. Die hohe Verschuldung einiger Mitgliedstaaten ist vielmehr auf die Finanzkrise zurückzuführen, in der die Staaten Banken, die sich verspekuliert hatten, mit Milliardensummen gerettet haben. Zur Abwehr der darauffolgenden Wirtschaftskrise mussten weitere Milliarden aufgebracht werden. Allein in Deutschland wurden über 335 Milliarden Euro aufgewandt, um die Krisenauswirkungen zu bekämpfen. Anstatt nun endlich die Finanzmärkte wirksam zu -regulieren, werden mit dem Fiskalvertrag die Vertragsstaaten „diszipliniert“, das heißt zu einer strikten -Kürzungspolitik gezwungen. Dies löst die Euro-Krise nicht, sondern verschärft sie. Der Finanzsektor hat bis heute noch keinen substanziellen Beitrag dazu geleistet, seinen Anteil an der Verschuldung zu finanzieren. Selbst die geplante Finanztransaktionsteuer wird in keiner Weise die Schäden, die die Banken verursacht haben, -decken können. Wir brauchen eine Zwangsanleihe auf große Vermögen, wie es das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vorgeschlagen hat. Die Einnahmen aus dieser Anleihe würden den Fiskalvertrag sofort überflüssig machen. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ein weiteres Mal diskutieren wir heute über ein Gesetz zur Umsetzung des Fiskalvertrags. Dabei könnte längst alles klar sein: Der Bundestag hatte ein entsprechendes Gesetz ja bereits Ende 2012 beschlossen. Die Länder haben das Gesetz im Bundesrat allerdings blockiert. Das war leider folgerichtig, weil die Bundesregierung ihre eigenen Zusagen nicht eingehalten hat. Bis Jahresende wurde keine Neuregelung der sogenannten Entflechtungsmittel auf den Weg gebracht, wie es die Bundesregierung den Ländern versprochen hatte. Die Bundesregierung hat hoch gepokert und verloren, weil sich die Länder das zu Recht nicht haben bieten lassen. Gesetzesverabschiedung im Schnelldurchlauf: Es ist schon verwunderlich, wie eilig es die Bundesregierung letztes Jahr hatte, das vorliegende Gesetz zu verabschieden. Für die abschließende Beratung gab es nicht einmal eine eigene Debatte, das Gesetz wurde hier im Bundestag zusammen mit dem Haushalt für 2013 behandelt. Es konnte gar nicht schnell genug gehen, weil die Fiskalvertragsumsetzung noch im selben Jahr festgezurrt werden sollte, im Bundestag wie im Bundesrat. Budget Office wurde wegen Zeitdruck nicht diskutiert. Etwas mehr Zeit hätte den Beratungen allerdings gutgetan. Im Raum stand beispielsweise der Vorschlag, das unabhängige Kontrollgremium, das laut Fiskalvertrag die Einhaltung der Fiskalregeln überwachen soll, zur Einführung einer Institution wie dem Budget Office in den USA zu nutzen. So eine Institution wäre nicht nur unabhängiger als ein Beirat für den bestehenden Stabilitätsrat; sie könnte durch wissenschaftliche Expertise und unabhängige Beratung auch die Rolle des Parlaments stärken. Für diese Idee sollte es auch in den Reihen der Koalition Sympathien geben. Umso ärgerlicher, dass wir durch das damalige hastige Verfahren nicht wirklich darüber beraten konnten. Ich würde mir im Interesse des gesamten Hauses wünschen, dass wir an diesem Punkt vielleicht doch noch zusammenfinden. Forderungen der Länder ernst nehmen: Das Fiskalvertragsumsetzungsgesetz werden wir heute ein zweites Mal beschließen, und ich hoffe, dass die Koalition aus der letzten Panne gelernt hat. Noch ist das Gesetz für die Entflechtungsmittel nicht in den Bundestag eingebracht worden. Wünschenswert wäre jetzt ein paralleles Verfahren gewesen, um weitere Konflikte zwischen Bundesregierung und Ländern zu vermeiden. Wir werden sehen, ob diese Beschlussfassung von Erfolg gekrönt ist oder ob eine dritte Runde notwendig wird. Ich hoffe, diese Peinlichkeit bleibt uns erspart. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Wahlrecht (Tagesordnungspunkt 25) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Der vorliegende Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist eine gute Grundlage für erfolgversprechende Beratungen in den Ausschüssen und ein Ergebnis, das pauschalen Wahlrechtsausschluss beendet. Momentan haben wir einen Diskriminierungstatbestand, der eines der grundlegendsten Bürgerrechte – das Wahlrecht – betrifft. Ich meine: Er muss noch vor der diesjährigen Bundestagswahl beseitigt werden. Die Behindertenbewegung fordert das seit Monaten. Initiiert von der Monitoringstelle des Deutschen Institutes für Menschenrechte sprachen sich 22 Verbände über den Deutschen Behindertenrat für die sofortige Streichung von Abs. 2 und 3 in § 13 Wahlgesetz aus. Die Koalition aus CDU, CSU und FDP hat eine große Chance vertan, bei der Änderung des Bundeswahlgesetzes diese Verbändeposition aufzugreifen. Damit vergab sie auch eine Chance, die Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderungen als Partner und politische Mitgestalter auf Augenhöhe öffentlich zu würdigen. Das widerspricht ihrer Selbstverpflichtung aus der Ratifizierung der UN-Konvention, Art. 4, Abs. a: „Die Vertragsstaaten verpflichten sich … alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen.“ Zu diesen anerkannten Rechten gehört nach Art. 29 ausdrücklich die Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben. Bis heute fehlen verlässliche Zahlen, wie viele Menschen nicht wählen dürfen, weil eine Betreuung „in allen Angelegenheiten“ bestellt wurde. Von 1,2 Millionen Menschen in Betreuung sollen es, geschätzt, zwischen 15 000 und 20 000 sein. Doch geht es weniger um die Zahl der Betroffenen. Schon ein Einziger genügte, um das Grundsatzproblem aufzuwerfen: Dürfen Gesetze oder Richter, Menschen mit Behinderungen zu Nichtstaatsbürgern erklären – ihnen das Wahlrecht entziehen –, obgleich im Betreuungsrecht ihre Staatsbürgerlichkeit ausdrücklich vorausgesetzt ist? Bleibt das Wahlrecht allgemein, wenn es pauschal eingeschränkt werden darf, ohne dass eine individuelle Straftat vorliegt, die zum Entzug aller staatsbürgerlichen Rechte führt? Wir haben die absurde Situation, dass Straftäter ohne Behinderung in Deutschland wählen dürfen, soweit ihnen das Wahlrecht nicht per Richterspruch aberkannt wurde, während Straftätern mit Behinderung, untergebracht in der forensischen Psychiatrie, das Wahlrecht entzogen ist. Das ist ein Diskriminierungstatbestand, der sofort aufzuheben ist. Ich erinnere noch einmal an die Forderung der Fraktion Die Linke, endlich die Antidiskriminierungsricht-linie der Europäischen Union zu ratifizieren. Fast ein Viertel der Anfragen in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes kommen von Menschen, die sich wegen einer Behinderung benachteiligt fühlen. Jeder fünfte Deutsche verbindet nach einer Forsa-Umfrage mit dem Wort „Behinderung“ auch die Tatbestände „Benachteiligung“ und „Diskriminierung“. Das muss alarmieren. Gestern gedachten wir der Opfer der „Euthanasie“-Morde. Die Vorstufe zu diesen menschenverachtenden Morden war die gewohnheitsmäßige und gesetzliche Diskriminierung. Wer „Euthanasie“ unumkehrbar unmöglich machen will, muss sorgsam jede noch so kleine Diskriminierung infolge einer Behinderung ahnden und gesellschaftlich ächten. Deshalb plädiere ich auch energisch für eine Aufhebung des Wahlrechtsausschlusses innerhalb des Wahlrechtes und nicht im Betreuungsrecht, wie es von einigen Kollegen ins Gespräch gebracht wurde. Das deutsche Betreuungsrecht berührt zu Recht das Wahlrecht bisher nicht. Das Wahlrecht als Staatsbürgerrecht schlechthin gehört nicht in einen Rechtskreis, der ausdrücklich vom Defizit eines Menschen ausgeht. Das Hohe Haus wird sich sehr bald mit dem Betreuungsrecht im Lichte der UN-Konvention befassen müssen. Dann geht es aber um die volle Handlungs- und Geschäftsfähigkeit jedes Menschen. Davon ist unser dem Vormundschaftsgedanken nach wie vor verpflichtetes Betreuungsrecht noch weit entfernt. Es entspricht nicht dem Behinderungsbegriff der UN-Behindertenrechtskonvention. Dieser Konvention entspräche ein umfassendes Assistenzrecht, das den Anspruch jedes Menschen mit Behinderung auf bedarfsgerechte Assistenz einkommens- und vermögensunabhängig regelt und zugleich den Beruf des Assistenten gesetzlich bestimmt. Das Vorsorgerecht geht da in die richtige Richtung. Auch die Bundeswahlordnung schreibt den Anspruch der Unterstützung bei der Wahl schon heute fest. Wir sind auch deshalb gegen eine Regelung des Wahlrechtsausschlusses innerhalb des Betreuungsrechtes, weil dieses im Sinne des BGB auf die „natürliche Einsichtsfähigkeit“ abstellt. Praktisch wird jedoch schon jetzt nicht von dieser natürlichen Einsichtsfähigkeit ausgegangen. Menschen mit Vorsorgevollmacht dürfen sich bei der Wahl vertreten lassen, selbst wenn sie dement sind. Aber Demente ohne Vorsorgevollmacht dürfen nicht wählen. Jede Wählerin und jeder Wähler müsste eigentlich überprüft werden, ob er natürlich einsichtsfähig ist oder nicht. Es geht beim Wahlrecht eben nicht um ein natürlich-physiologisches Vermögen. Es geht um politische Meinung, selbst als Ahnung oder als Gefühl oder aus früherer Gewohnheit. Diese kann jeder Mensch entwickeln, auch wenn er viele Lebensangelegenheiten nicht selbst regeln kann. Energisch spricht sich die Linke gegen den Vorschlag aus Koalitionskreisen aus, dass ein Richter, eine Richterin über die Aberkennung des Wahlrechts entscheiden soll. Herr Minister Friedrich stellt dabei auf die „richterliche Überzeugungsbildung“ ab. Ob ein Mensch jedoch seine staatsbürgerlichen Rechte wahrnehmen kann, ist eine praktische Frage. Erst wenn der Wahlakt ausgeübt wurde, wird sich erwiesen haben, welche Politik ein Wähler, eine Wählerin für sich einsichtig fand. Wer den Wahlakt nicht mehr bewältigt, wählt eben nicht. Wer den Wahlakt nicht versteht, gibt eben eine ungültige Stimme ab. Nichtwahl und ungültige Wahl lässt das Wahlrecht ausdrücklich zu, egal ob ich mit oder ohne Behinderung nicht oder ungültig wähle. Es geht um die Allgemeinheit der Wahl. Der Staatsbürger will das Recht nicht als Privileg, meinte einst Hegel. Nach unserem Verständnis des Staatsbürgerrechts könnte der § 13 des Bundeswahlgesetzes sogar komplett entfallen. Wird nicht von der Einsichtsfähigkeit ausgegangen, wäre es juristisch sogar konsequent, das Wahlrecht an keine Altersgrenze zu koppeln, also jegliche Altersbegrenzung aufzuheben. Doch diese Debatte würde die dringliche – jetzt mögliche – Gesetzesänderung nur verzögern. Deshalb werde ich meiner Fraktion empfehlen, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Auch im Interesse einer breiten öffentlichen Debatte über notwendige Anforderungen für die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung im Bundestagswahljahr. Menschen mit Behinderungen brauchen barrierefreie Wahllokale, Wahlunterlagen in leichter Sprache, Wahlschablonen und andere Leitsysteme – und eine Wahlwerbung, die für jeden Menschen mit Beeinträchtigung zugänglich und verständlich ist. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 31) Heike Brehmer (CDU/CSU): Zwei Jahre Bildungs- und Teilhabepaket bedeuten zwei Jahre „Mitmachen möglich machen“. Das Bildungs- und Teilhabepaket bietet Kindern und Jugendlichen aus Geringverdienerfamilien seit zwei Jahren eine Chance, an Bildungsangeboten und Aktivitäten mit Gleichaltrigen teilzunehmen. Dazu gehören Angebote aus den Bereichen Sport, Musik und Kultur ebenso wie das warme Mittagessen in der Schule, der Kita oder im Hort. Mit dem Bildungs- und Teilhabepaket haben wir erstmals seit der Einführung der Hartz-IV-Gesetze im Jahr 2005 bedürftigen Kindern und Jugendlichen eine Chance gegeben, an Bildungs- und Freizeitangeboten teilzunehmen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dies haben Sie versäumt, als Sie seinerzeit in der Regierungsverantwortung waren und die Hartz-IV-Gesetze auf den Weg gebracht haben. Der CDU/CSU liegt das Thema Bildung besonders am Herzen; denn Bildung ist der Schlüssel zum Eintritt ins spätere Erwerbsleben, zu beruflichem Erfolg und Wohlstand. Vor rund einem Jahr, im März 2012, habe ich in diesem Hohen Hause ebenfalls zum Thema Bildungs- und Teilhabepaket gesprochen. Damals habe ich aus den Erfahrungen in meinem Wahlkreis Harz berichtet. In meinem Wahlkreis wird das Bildungs- und Teilhabepaket sehr gut von den betroffenen Familien angenommen. Inzwischen ist ein weiteres Jahr in der Umsetzung des Teilhabepakets vergangen. Die Praxis der vergangenen zwei Jahre hat gezeigt: Das Bildungspaket wird gut angenommen, die derzeitigen Regelungen führten aber an einigen Stellen zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand. Das liegt zum Teil daran, dass wir es beim Bildungs- und Teilhabepaket mit Sachleistungen zu tun haben. Sachleistungen erfordern oftmals einen höheren Verwaltungsaufwand als Geldleistungen. Als wir 2011 das Bildungs- und Teilhabepaket eingeführt haben, haben wir uns ganz bewusst für das Sachleistungsprinzip entschieden. Die Leistungen sollen dort ankommen, wo sie hingehören: zu den Kindern und Jugendlichen aus den bedürftigen Familien. Nach zwei Jahren Praxiserfahrung wollen wir für die betroffenen Familien auf der einen Seite und für Träger und Leistungserbringer auf der anderen Seite die Umsetzung des Teilhabepakets erleichtern. Wir wollen Bürokratie abbauen und die Inanspruchnahme erleichtern. Darauf haben sich die Vertreter von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden im Vorfeld des vierten Runden Tisches zum Bildungs- und Teilhabepaket im Herbst 2012 verständigt. Im Anschluss daran hat die Bund-Länder-AG „Bildung und Teilhabe“ einen Vorschlag erarbeitet, den die Arbeits- und Sozialminister auf ihrer gemeinsamen Konferenz im November 2012 aufgegriffen haben. Die Länder haben sich einstimmig auf die folgenden Punkte zur Verwaltungsvereinfachung geeinigt: Verauslagte Geldmittel sollen im Nachhinein erstattet werden können, wenn Leistungen nicht rechtzeitig erbracht werden konnten, wie zum Beispiel vor einem Klassenausflug. Bei der Teilhabe soll es die Möglichkeit geben, Mittel für Teilhabeangebote im Bewilligungszeitraum anzusparen, auch rückwirkend. Bei der Schülerbeförderung soll der Eigenanteil künftig in der Regel bei 5 Euro angesetzt werden. Die Möglichkeit einer Geldleistung für anstehende Klassenfahrten bedeutet keine grundlegende Abkehr vom Sachleistungsprinzip. Unter bestimmten Voraussetzungen soll es möglich sein, die Teilhabeleistung von 10 Euro pro Monat nicht nur für die Bereiche Sport, Musik, Kultur usw., sondern in Ausnahmefällen auch für Ausrüstungsgegenstände in diesen Bereichen verwenden zu können. Es soll in Zukunft möglich sein, dass die Träger mit den Leistungserbringern auch im SGB XII pauschal abrechnen können. Nach den anfänglichen Anlaufschwierigkeiten des Bildungs- und Teilhabepakets hat unsere Ministerin Frau Dr. von der Leyen reagiert und die Runden Tische ins Leben gerufen, welche seitdem regelmäßig stattfinden. Sie bieten den politischen und gesellschaftlichen Akteuren die Möglichkeit, ihre Erfahrungen rund ums Bildungspaket auszutauschen. Dieser Austausch ist wichtig; denn die kommunalen Träger vor Ort sind es, die das Bildungs- und Teilhabepaket vor Ort umsetzen. Jobcenter und Arbeitsagenturen leisten ebenso wie Landkreise und kreisfreie Städte eine hervorragende Arbeit, so auch in meinem Wahlkreis Harz. Hier ist das örtliche Jobcenter – die Kommunale Beschäftigungsagentur KoBa – zuständig. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der KoBa zeigen sich bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets sehr engagiert und leisten eine hervorragende Arbeit. Das Jobcenter leistet einen großen Beitrag im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation im Landkreis Harz und ist ein zuverlässiger Ansprechpartner für die Betroffenen. Auch die Vereine aus den Bereichen Sport, Kultur und weiteren Freizeitangeboten profitieren vom Bildungs- und Teilhabepaket. In dieser Woche verlieh der Deutsche Olympische Sportbund gemeinsam mit dem Bundespräsidenten die Auszeichnung „Sterne des Sports“ an engagierte Sportvereine in ganz Deutschland. Der Präsident des Kreissportbundes Harz, Herr Rühe, berichtete mir, dass das Bildungs- und Teilhabepaket nach wie vor sehr gut angenommen wird. Viele Sportvereine im Harz profitieren von den Möglichkeiten der Vereinsmitgliedschaft für Kinder aus sozial schwächeren Familien. Das bereichert die Gemeinschaft unter den Kindern, aber auch die Vereinslandschaft. Wir in der christlich-liberalen Koalition wollen allen Kindern und Jugendlichen aus bedürftigen Familien auch in Zukunft eine Chance auf Bildung und Teilhabe ermöglichen. Aus diesem Grund begrüßen wir die Vorschläge von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden, den Verwaltungsaufwand beim Bildungspaket zu vereinfachen. Wir wollen die Inanspruchnahme des Bildungspakets für Eltern und Kinder erleichtern. Wir wollen die kommunalen Träger und Leistungserbringer von unnötigem bürokratischem Aufwand entlasten. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich appelliere an Sie, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, welchen die Bund-Länder-AG im konstruktiven Miteinander vorbereitet haben. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Ich denke, wir sind uns alle einig, dass Kinder unsere Zukunft sind, der Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Sie kennzeichnen den Weg, den unsere Gesellschaft künftig gehen wird. Wohin dieser Weg führt, hängt entscheidend davon ab, welche Chancen wir jungen Menschen eröffnen und welche Möglichkeiten wir ihnen bieten. Was gibt es Schlimmeres für Kinder, als nicht mit ihren Klassenkameraden am Schulausflug teilnehmen zu können, weil den Eltern hierzu schlichtweg die finanziellen Mittel fehlen? Die unionsgeführte Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass Kinder die schmerzliche Erfahrung, nicht dabei sein zu können, künftig nicht mehr machen müssen. Das Bildungs- und Teilhabepaket wurde durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch eingeführt. Die Änderungen sind am 1. April 2011 rückwirkend zum 1. Januar 2011 in Kraft getreten. Neben der infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 9. Februar 2010 notwendig gewordenen Neubemessung der Regelleistungen für Kinder und Jugendliche verfolgt das Gesetz das Ziel, ein gleichberechtigtes Maß an Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und den gleichberechtigten Zugang zu Bildung im schulischen und außerschulischen Bereich für Kinder aus besonders förderungsbedürftigen Haushalten sicherzustellen. Das Bildungspaket gibt 2,5 Millionen bedürftigen Kindern aus Geringverdienerfamilien bessere Zukunftschancen. Das Bildungspaket leistet einen wichtigen Beitrag, damit Kinder aus ärmeren Familien am gesellschaftlichen Leben teilhaben können und bessere Bildungschancen haben. Eltern, die auf Hartz IV oder Wohngeld angewiesen sind, können für ihre Kinder ein staatlich subventioniertes Mittagessen in der Schule, einen monatlichen Zuschuss für den Sportverein oder Nachhilfe beantragen. Ganze 1,6 Milliarden Euro wurden hierfür vom Bund bereitgestellt. Neben dem Mittagessen, dem Zuschuss zum Sportverein sowie der Lernförderung gehören auch die Teilnahme an Ausflügen, Schulbedarf sowie Schülerbeförderung zum breiten Leistungsspektrum des Bildungspakets. Nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten ist das Bildungs- und Teilhabepaket – entgegen der weitläufigen Meinung – nunmehr auch sehr gut angenommen worden. Zwar ist die Antragsquote von 62 Prozent aus dem März des vergangenen Jahres noch nicht ausreichend und durchaus noch ausbaufähig – jedoch schon ein beachtlicher Schritt. Die aktuellen Zahlen müssen jetzt abgewartet und entsprechend bewertet werden. In meinem Wahlkreis Würzburg beispielsweise sind die Ausgaben im SGB-II-Bereich 2012 gegenüber dem Vorjahr um etwa 50 Prozent gestiegen. Insbesondere bei den Leistungen für eine notwendige Lernförderung und der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft waren sogar Steigerungen von über 100 Prozent zu verzeichnen. Man kann also mit Recht behaupten, dass sich das Bildungs- und Teilhabepaket in Würzburg etabliert hat, was aber auch an der guten Informationsweitergabe der Schulen und Kindertageseinrichtungen hin zu den Eltern liegt. Wir machen auch keinen Hehl daraus, dass die Vergabe der Mittel aus dem Bildungspaket noch nicht reibungslos verläuft. So wird beispielsweise der enorme Verwaltungsaufwand vielfach als eine der Haupthürden für die Inanspruchnahme angeführt. Daher begrüßen wir die vom Bundesrat durch den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze eingebrachten Änderungen. Diese sind auch das Ergebnis der sogenannten Runden Tische mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden, die in regelmäßigen Abständen tagen, das Programm bewerten und begleiten und damit schnell auf Beschwerden und Schwierigkeiten eingehen können. In Anbetracht der Erfahrungen bei der Anwendung des Bildungs- und Teilhabepaketes sollen einige Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, die zu Vereinfachungen auf Verwaltungsebene führen, um die Inanspruchnahme des Paketes zu erleichtern. Einigkeit konnte demnach auf folgende Verwaltungsvereinfachungen erzielt werden: So wird beispielsweise der Eigenanteil im Rahmen der Schülerbeförderung künftig in der Regel auf 5 Euro festgesetzt; eine abweichende Festsetzung bleibt jedoch möglich. Zudem wird unter bestimmten Voraussetzungen die Teilhabeleistung von bis zu 10 Euro im Monat nicht nur für Verwendungszwecke im Bereich Sport, Spiel, Kultur und Freizeit, sondern in Ausnahmefällen auch für benötigte Ausrüstungsgegenstände verwendet werden können. Den kommunalen Trägern soll die Möglichkeit eingeräumt werden, Mittel für Klassenfahrten auch als für den unmittelbaren Zweck nachgewiesene Geldleistungen zu erbringen. Ungeachtet des Sach- und Dienstleistungsprinzips sollen verauslagte Geldmittel auch nachträglich erstattet werden können, wenn Leistungen zum Beispiel vor einem Klassenausflug nicht rechtzeitig erbracht werden konnten. Im Bereich der Teilhabe soll es ermöglicht werden, Mittel für Freizeiten und andere Teilhabeangebote im Bewilligungszeitraum auch rückwirkend anzusparen. Schließlich sollen die Träger mit den Leistungsanbietern auch im SGB XII pauschal abrechnen können. Ich bin überzeugt, dass der vorliegende Gesetzentwurf einen wesentlichen Beitrag zur Vereinfachung und gezielten Optimierung des Verwaltungsaufwands beim Bildungs- und Teilhabepaket leisten wird und die Inanspruchnahme sowie Akzeptanz noch weiter steigern wird. Angelika Krüger-Leißner (SPD): Wir sind uns einig, dass alle Kinder und Jugendliche in unserem Land das Recht auf Bildung und soziokulturelle Teilhabe haben. Dieses Recht ist uns Verpflichtung und Ansporn zugleich. Die finanziellen Möglichkeiten der Eltern dürfen nicht ausschlaggebend dafür sein, in welchem Umfang die Kinder und Jugendlichen dieses Recht wahrnehmen können. Mit dem Urteil vom 9. Februar 2010 hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber verpflichtet, die Regelbedarfe neu zu bemessen. Dabei hat uns das Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben, die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums und die Teilhabe an Bildung für alle Kinder in unserem Land ins Augenmerk zu nehmen. Im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe vom 24. März 2011 und den langen sowie umfangreichen Verhandlungen wurde rückwirkend zum 1. Januar 2011 das Bildungs- und Teilhabepaket eingeführt. Die gesetzlichen Regelungen sehen vor, dass die Leistungen zur Deckung der genannten Bedarfe fast ausschließlich durch Sach- und Dienstleistungen erbracht werden. Die Bundesregierung hat sich seinerzeit dagegen entschieden, die Bedarfe unbürokratisch über eine Anpassung der Regelsätze zu decken. Dies wurde und wird zu Recht durch Expertinnen und Experten sowie Verbände kritisiert. Schon zu Beginn war klar, dass das Bildungs- und Teilhabepaket zwar gut gemeint war, aber zu einem erheblichen sowie unberechtigten Verwaltungsaufwand führen wird. Darauf hatten auch Vertreter der Praxis und der Länder verwiesen. Die Umsetzung hat die örtlichen Akteure und Träger enorm belastet und unnötig Ressourcen gebunden. Die geringe Inanspruchnahme der Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket untermauert diese Einschätzung. Wenngleich sich in 2012 der Mittelabfluss gegenüber 2011 verbessert hat, kann uns das Ergebnis bei weitem nicht zufriedenstellen; es bleibt hinter den Erwartungen zurück. Die hohen bürokratischen Hürden stellen eine erhebliche Hemmschwelle dar, schrecken viele Anspruchsberechtigte ab und haben die Teilhabechancen der Kinder und Jugendlichen in unserem Land nicht wesentlich verbessert. Dass der Bund eine erhebliche Summe Geld für die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an Bildung und am gesellschaftlichen Leben, im sportlichen wie kreativen Bereich, zur Verfügung stellt, aber viel zu wenig bei den Kindern ankommt, darf uns nicht ruhen lassen, nach besseren Lösungen zu suchen. Die Probleme wurden von vielen Seiten angesprochen und erkannt. Es freut mich, dass sich der Bund und die Länder mit den kommunalen Spitzenverbänden auf einen Verbesserungskatalog einigten und den nun vorliegenden Gesetzentwurf entwickelt haben. Die vorliegenden Verbesserungen sind unstrittig sowie kostenneutral und betreffen einige zentrale Leistungen im Bildungs- und Teilhabepaket. Lassen Sie mich drei der Verbesserungen besonders betonen: Erstens die Schülerbeförderung. Die Praxis hat gezeigt, dass die Ermittlung des durch die Schülerinnen und Schüler zu tragenden zumutbaren Eigenanteils an der Schülerbeförderung äußerst kompliziert war. Daher ist es ein Gebot der verwaltungspraktischen Handhabbarkeit, für den Regelfall einen Wert ansetzen zu können, der eine gleichmäßige und rechtssichere Handhabung ermöglicht. Aus der Erfahrung der Verwaltungspraxis der kommunalen Träger ergibt sich dabei ein Durchschnittswert von 5 Euro monatlich. Dennoch bleibt für Fälle, die aufgrund persönlicher oder örtlicher Verhältnisse von der Regel abweichen, die Möglichkeit gegeben, den Eigenanteil individuell zu ermitteln. Zweitens Unterstützung für Sport und Kultur. Die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft wird derzeit in der Gestalt gefördert, dass für Angebote im Bereich Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit die Zahlung eines Mitgliedsbeitrags übernommen wird. Gleiches gilt für Angebote im kreativen und künstlerischen Bereich, bei dem derzeit nur die Vergütung für die pädagogische Leistung zu übernehmen ist. Oftmals scheitert die Teilnahme an diesen Angeboten aber nicht an den Honorarkosten für den Unterricht oder an den Mitgliedsbeiträgen, da diese Angebote häufig ehrenamtlich organisiert sind und zum Teil kostenlos zur Verfügung stehen. Oftmals führt das Fehlen benötigter Ausrüstung, wie zum Beispiel Musikinstrumente oder sportbezogene Schutzkleidung, dazu, dass Kindern und Jugendlichen die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben verwehrt ist. Mit der vorgeschlagenen Verbesserung, auch die eben angesprochene Ausrüstung nun zu fördern, wird die Unterstützung für Kinder und Jugendliche im kulturellen und sportlichen Bereich praxisnaher gestaltet und die Teilhabe somit deutlich erleichtert. Das dritte Beispiel betrifft die Unterstützung für Schul- und Kitafahrten: Für Schul- und Kitafahrten sowie für Ausflüge ist alternativ neben der Sach- und Dienstleistung nun auch die Geldleistung möglich, wie es nach früherer Praxis in der Sozialhilfe möglich war. Ich bin mir sicher, dass für die Unterstützung bei Schul- und Kitafahrten die kommunalen Träger von der Möglichkeit der Geldleistung zukünftig regen Gebrauch machen werden, weil diese verwaltungstechnisch viel weniger umständlich ist. Diese drei Beispiele zeigen sehr deutlich, wie man bisher mit komplizierten bürokratischen Regelungen Anspruchsberechtigte abgeschreckt und von der Inanspruchnahme der Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket abgehalten hat. Mit den angesprochenen Änderungen wird sich das nun merklich verbessern. Der vorliegende Gesetzentwurf bringt viele Verbesserungen. Dennoch kann er nicht darüber hinwegtäuschen, dass weiterer Verbesserungsbedarf besteht, um ein gleichberechtigtes Maß an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Viele Vertreter aus der Praxis und einige Ländervertreter haben weitere Schritte aufgezeigt. Dieses Bildungs- und Teilhabepaket und die damit unnötigerweise einhergehende Bürokratie wären überhaupt nicht nötig, wenn die Gewährleistung der soziokulturellen Teilhabe für Kinder und Jugendliche über die Anpassung der Regelsätze erfolgt wäre. Wir können die Chancengleichheit der Kinder und Jugendlichen in unserem Land mit dieser gesetzlichen Regelung lediglich ein Stück verbessern. Das unterschreiben wir dann auch. Wir würden aber gerne mehr tun. Unsere Vorschläge zum Ausbau der Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur liegen auf dem Tisch. Sie sollen den Kindern und Jugendlichen echte Zukunftschancen und mehr Bildungsgerechtigkeit geben. Wir werden sie umsetzen, wenn nicht jetzt, dann im Herbst dieses Jahres. Pascal Kober (FDP): Dem vorausgegangen war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die rot-grüne Gesetzgebung als verfassungswidrig beurteilt hatte und den Gesetzgeber aufgefordert hatte, die Regelsätze für Kinder und Jugendliche erstmals eigenständig zu berechnen. Diese christlich-liberale Bundesregierung hatte sich dann dazu entschlossen, die Leistungen für Bildung und Teilhabe von Kindern zentral durch die Jobcenter administrieren zu lassen. Dem hat sich die Opposition im Bundesrat verweigert, und so wurde im Vermittlungsverfahren auf Druck von SPD und Grünen festgelegt, dass die Leistungen von den Kommunen erbracht werden sollen. Dies hatten auch die Kommunen begrüßt. Es hätte der Opposition schon damals klar sein müssen, dass dies zu einer sehr unterschiedlichen Umsetzung des Bildungspakets vor Ort führt. Die Kommunen waren unterschiedlich gut auf diese neue Aufgabe vorbereitet. Die Grünen haben sich dann am Ende dem Kompromiss verweigert und nicht zugestimmt. Das hatte aber nichts mit dem Bildungs- und Teilhabepaket zu tun. Denn am 21. Februar 2011 haben sie einen einstimmigen Beschluss in ihrem Parteirat getroffen. Darin heißt es: „Gleichwohl haben wir in den langen Verhandlungen bis zum gestrigen Abend wichtige Änderungen erreicht: Das Bildungs- und Teilhabepaket wird von den Kommunen organisiert und nicht von den Jobcentern, wie sich dies die Arbeitsministerin vorstellte. Hier haben wir überbordende Bürokratie verhindert. … Und die Kommunen haben eine hohe Gestaltungsmöglichkeit bei der konkreten Umsetzung der Leistungen vor Ort.“ Das, was sie in den vergangenen Monaten immer wieder am Bildungspaket kritisieren, die Bürokratie und den hohen Verwaltungsaufwand, das haben sie selbst mit verursacht. Dies halte ich bei der derzeitigen Betrachtung des Bildungspakets für wichtig zu erwähnen. Diese christlich-liberale Bundesregierung hat sich beim Thema Bildungspaket nicht auf die Position zurückgezogen, dass die Kommunen sich jetzt um alles Weitere kümmern müssten. Ministerin von der Leyen hat schon sehr bald nach Inkrafttreten des Gesetzes begonnen, durch runde Tische, an denen Bund, Länder und Kommunen beteiligt waren, Startschwierigkeiten zu beheben und insgesamt Verbesserungen vorzunehmen. Ergebnis dieser Gespräche, bei denen es nicht um ideologische Fragen, sondern ganz konkret um Verbesserungen am Bildungs- und Teilhabepaket ging, damit die Kinder und Jugendlichen noch mehr davon profitieren können, ist der heute zu beratende Gesetzentwurf. Es ist eine große Leistung dieser Ministerin und der Regierungskoalition, die sehr unterschiedlichen Interessen der Länder im Rahmen der Gespräche zu diesem von allen getragenen Gesetzentwurf vereint zu haben. So wird nun klargestellt, dass mit den 10 Euro monatlich, die für Mitgliedsbeiträge verwendet werden können, auch Ausrüstungsgegenstände bezahlt werden können. Zudem wird es nach dem Gesetzentwurf möglich sein, in begründeten Fällen bereits vom Berechtigten verauslagte Mittel nachträglich zu erstatten. Dies macht das Verfahren deutlich einfacher. Um die Teilnahme an Klassenfahrten weiter zu erleichtern, wird zudem die Möglichkeit geschaffen, hierfür auch Geldleistungen zur Verfügung zu stellen. Bei Schülerfahrkarten, die auch privat genutzt werden, haben wir uns darauf verständigt, dass ein Eigenanteil von mindestens 5 Euro erbracht werden muss. Dieser begründet sich aus der Auswertung von empirischen Daten zum Mobilitätsverhalten von Schülerinnen und Schülern. Wir haben mit dem Bildungs- und Teilhabepaket einen neuen Weg bei der Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, deren Eltern Arbeitslosengeld II beziehen, beschritten. Auf diesem Weg sind Probleme entstanden, die wir alle so nicht erwartet hatten; manche hatten ja, wie vorhin beschrieben, auch keine erwartet. Dennoch halte ich das Bildungs- und Teilhabepaket für eine gute Leistung dieser christlich-liberalen Regierungskoalition und bin mir sicher, dass alle im Rückblick von einigen Jahren zu diesem Schluss kommen werden. Auch wenn wir uns manches in der Ausgestaltung anders gewünscht hätten, gehen wir jetzt die bestehenden Probleme an. Die neuen Zahlen zur Inanspruchnahme und der Akzeptanz des Bildungspakets werden voraussichtlich im April erscheinen. Ich bin mir sicher, dass wir dabei weiterhin eine deutliche Zunahme der Inanspruchnahme verzeichnen werden und die Akzeptanz der Leistungen weiter zunimmt. Mit dem Gesetzentwurf werden wir dies unterstützen. Diana Golze (DIE LINKE): Im Februar 2010 erzwang das Bundesverfassungsgericht eine Neuermittlung der Regelbedarfe für die Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums. In dem hierzu erlassenen Urteil stellte das Gericht fest, dass die bis dahin geltende -Ausgestaltung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Insbesondere der Bedarf von in Bedarfsgemeinschaften lebenden Minderjährigen stand auf dem Prüfstand. Bemängelt wurde hier vor allem, dass der Gesetzgeber es versäumt hat, die besonderen Bedürfnisse von Kindern im Regelsatz abzubilden. „Kinder sind keine kleinen -Erwachsenen“ ist eine der zentralen Aussagen in dem Urteil. Entscheidend ist, dass die Richter feststellten: Es geht nicht nur um die Sicherung des physischen Existenzminimums, sondern auch um das soziokulturelle Existenzminimum. Die Neuermittlung dieses Existenzminimums wurde dem Gesetzgeber aufgetragen. Die Antwort der Bundesregierung war insbesondere für Kinder ernüchternd. Es ist kein Geheimnis, dass die Fraktion Die Linke die von Frau von der Leyen vorgelegte Neuberechnung der Grundsicherung für unzureichend erachtet und in ihr einen neuerlichen Verfassungsbruch sieht. Es ist auch nicht neu, dass wir die Einführung des Bildungs- und Teilhabepaketes für einen Etikettenschwindel halten. Dieses Paket ist im Grundansatz falsch, und dies aus verschiedenen, für die Fraktion Die Linke aber grundlegenden Gründen. Wir können und werden keinem Gesetzentwurf zustimmen können, der Eltern unter den Generalverdacht stellt, zusätzliche Geldleistungen nicht zum Wohl ihrer Kinder zu verwenden, sondern für andere Zwecke. Die unerträglichen Vorwürfe, dass davon Flachbildschirme gekauft würden oder das Geld ohnehin in diverse -Genussmittel umgesetzt wird, sind mir nur zu gut im -Gedächtnis. Unter dieser vorurteilsvollen und herablassenden Herangehensweise traf die Regierung fast folgerichtig die Grundsatzentscheidung, die Bedarfe nicht automatisch als Teil der regelmäßigen Geldleistungen abzudecken, sondern sie erstens beantragungspflichtig zu machen und zweitens in erster Linie als Sach- oder Dienstleistung zu gewähren. Die Folgen sind bekannt. Das Antragserfordernis und die hohen bürokratischen Hürden erschwerten die Inanspruchnahme der Leistungen und verhinderten somit, dass Kindern das zugutekommt, was ihnen per Gesetz zusteht. Unterschiedliche Bedürfnisse von Kindern in ländlichen Räumen und Kindern, die in Ballungszentren aufwachsen, sind nicht berücksichtigt. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Unterstützungsleistungen, die Kinder für den schulischen Alltag benötigen, sondern insbesondere für den Freizeitbereich. Darüber hinaus werden nur bestimmte Bildungs- und Teilhabeangebote finanziert. Ich stelle mir manchmal die Gesichter der Abgeordneten vor, die selbst minderjährige Kinder haben. Was würden diese Kolleginnen und Kollegen wohl sagen, wenn ihnen der Bundestagspräsident etwa erklärt, welche Freizeitaktivitäten ihrer Kinder förderungswürdig sind – etwa: Mitgliedschaft im Kampfsportverein – und welche nicht, etwa: eigenständige Lektüre. Die Linke – und nicht nur wir – hält dies für einen problematischen Eingriff in die Entscheidungsfreiheit der Eltern und Kinder. Die nun vorgeschlagene Neuregelung ändert genau daran nichts. Sie ändert auch nichts daran, dass Verwaltungsaufwand und veranschlagte Leistungen in keinem Verhältnis zueinander stehen. Noch immer betragen die durch das beibehaltene Antragsverfahren entstehenden Verwaltungskosten ein Sechstel des Leistungsvolumens. Die Linke bleibt dabei: Verfügbare Mittel müssen den Leistungsberechtigten zugutekommen, statt sie dafür zu verwenden, Verwaltungen an den Tropf zu legen. Das Problem dieses Entwurfes ist, dass Sie die grundsätzlichen Entscheidungen nicht infrage stellen. Statt-dessen versuchen Sie, ein im Grundsatz falsches System zu optimieren und den bürokratischen Irrsinn auf ein geringeres Ausmaß zu reduzieren. Dies ist innerhalb der bestehenden Konzeption nicht einmal zu kritisieren, lenkt aber von der eigentlichen Aufgabe ab, der wir uns gemeinsam stellen sollten: Die Förderung der Bildung und Teilhabe von jungen Menschen ist grundlegend anders zu organisieren: durch höhere Regelbedarfe, durch einschlägige Mehrbedarfe – Schulbedarfe, Klassenfahrten und Ausflüge – und ein hochwertiges und unentgeltliches Angebot an Dienstleistungen für möglichst alle Kinder und Jugendlichen wie Schulverpflegung, Schülerinnen- und Schülerbeförderung und Lernförderung. Wir werden auch in diese Debatte unsere Vorschläge zur Neugestaltung eines Regelsatzes, der die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes so weit wie möglich beinhaltet, einbringen. Und selbstverständlich werden unserer Kritik auch Vorschläge für die Neugestaltung der Dienst- und Sachleistungen, die dieses Paket enthält, -folgen. Auch wenn sich mein Optimismus darüber in Grenzen hält, dass die Regierung diesen folgt, kann ich Ihnen versprechen, dass wir in unserem Fordern nicht nachlassen werden. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wohl keine andere Sozialleistung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist so bürokratisch wie das Bildungs- und Teilhabepaket. Ein aufwendiges Antragsverfahren mit einer Fülle von Arbeitshilfen, Anträgen, Zusatzfragebögen, Nachweisen, Verträgen und Bescheiden führt zu einem enormen Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag. Aufgrund unbestimmter Rechtsbegriffe belasten etliche Widersprüche und Verfahren außerdem die Sozialgerichte und frustrieren Antragstellerinnen und Antragsteller sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Schulen, Vereinen sowie Behörden gleichermaßen. Auch der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge stellt in seinen Zweiten Empfehlungen zur Umsetzung der Leistungen für Bildung und Teilhabe vom 25. September 2012 fest, dass Leistungsträger und -erbringer trotz eines Jahres Umsetzungserfahrung den hohen Verwaltungsaufwand beklagen. So würden insbesondere die Erbringung von Sachleistungen sowie die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen die Umsetzung administrativ aufwendig machen. Das Präsidium des Deutschen Landkreistages hat am 1./2. Oktober 2012 gesetzliche Änderungsvorschläge zur Reduzierung des Verwaltungsaufwands für das Bildungs- und Teilhabepaket verabschiedet. Darin werden insbesondere die komplexen Gesetzesformulierungen als Ursache für den unverhältnismäßig hohen bürokratischen Aufwand angesehen. Der nun vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates bezieht sich in Teilen auf die genannten Änderungsvorschläge zur Vereinfachung des Antrags- und Verwaltungsverfahrens. Auch wenn uns die Vorschläge nicht weit genug gehen – siehe auch Antrag der Grünenbundestagsfraktion „Das Bildungs- und Teilhabepaket – Leistungen für Kinder und Jugendliche unbürokratisch, zielgenau und bedarfsgerecht erbringen“, Drucksache 17/8149 –, können wir den hier vorgeschlagenen Änderungen nur zustimmen. Einzig bei der Eigenbeteiligung bei der Schülerbeförderung vertreten wir eine andere Position. Insgesamt offenbaren die immer wieder genannten Änderungsvorschläge, mit welchen Schwierigkeiten die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets durch Sachleistungen behaftet ist. Nicht umsonst kommen nun die Forderungen von verschiedensten Seiten, Teile der Leistungen auch als Geldleistung gewähren zu können. Zu den einzelnen Aspekten. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Eigenbetrag bei der Schülerbeförderung, der aus dem Regelbedarf gezahlt werden muss, auf regelmäßig 5 Euro festgeschrieben werden soll, und zwar für alle Altersklassen. Der Deutsche Landkreistag hingegen stellt fest, dass die anzurechnenden Anteile aus dem Kinderregelbedarf bei der Schülerbeförderung Bagatellbeträge sind, die bei der Leistungserbringung und -abrechnung zusätzlichen Aufwand auslösen, der in keinem angemessenen Verhältnis zum Ertrag steht. Daher sollte die Anrechnung des Regelsatzanteils für Verkehr bei der Schülerbeförderung in allen Rechtskreisen – SGB II, SGB XII und BKGG – entfallen. Diese Position des Deutschen Landkreistages teilen wir. Forderungen zur Umwidmung der Teilhabepauschale auch für andere Verwendungszwecke werden von uns ebenso begrüßt wie Forderungen, Ausflüge und Klassenfahrten auch als Geldleistung zu ermöglichen. Es ist sinnvoll, das Gesamtteilhabebudget rückwirkend zu erbringen sowie bei Rückerstattungen Geldleistungen zu ermöglichen. Es wäre schön, wenn sich Union und FDP anders als in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage ernsthaft mit diesen Vorschlägen auseinandersetzen würden. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Überlebenshilfe in der Drogenpolitik – Situation der Substitution von Opiatabhängigen verbessern – Substitu-tionsbehandlung im Strafvollzug gewährleisten (Zusatztagesordnungspunkt 9) Karin Maag (CDU/CSU): 2009 hat der Deutsche Bundestag rechtliche Voraussetzungen für die diamorphingestützte Behandlung Opiatabhängiger geschaffen und diese Therapieoption in die Regelversorgung überführt. Seitdem ist viel geschehen: Es gibt zum Beispiel ein erstes diamorphinhaltiges Fertigarzneimittel, die Bundesärztekammer hat ihre Substitutionsrichtlinien ebenso überarbeitet wie der GBA die Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung, und es gibt GKV-relevante Abrechnungspositionen für die diamorphingestützte Behandlung Schwerstopiatabhängiger. Das Ergebnis dieser vielfältigen Bemühungen ist, dass sich diese Therapie-option für Opiatabhängige mittlerweile fest im Angebot der Regelversorgung etabliert hat. Weil Behandlungsqualität wichtig ist, hat das BMG in Absprache mit den Bundesländern 2008 mit der PREMOS-Studie die langfristige Situation evaluiert. Die Studie stellt fest, dass die Substitutionstherapie in Deutschland effektiv ist und die allgemeinen primären Ziele überwiegend erreicht. Auch die IMPROVE-Studie belegt, dass Suchtmediziner, Patienten und Opiatkonsumenten die opiatgestützte Substitution als wertvoll und wirksam ansehen. Der Antrag der SPD weist nun zu Recht darauf hin, dass für die Ausgestaltung der Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger insbesondere mit Bezug auf die betäubungsmittelrechtlichen Rahmenbedingungen ein grundsätzlicher Zielkonflikt bedeutsam ist. Einerseits soll die substitutionsmedizinische Versorgung der Opiatabhängigen so unbürokratisch wie möglich und auf hohem Qualitätsniveau angeboten und aufrechterhalten werden. Andererseits soll den berechtigten Sicherheitsinteressen, insbesondere hinsichtlich der Verhinderung von Abzweigung und Missbrauch der Betäubungsmittel, Rechnung getragen werden. Vor diesem Hintergrund fordern Sie, vor allem vom Ziel der Abstinenz Abstand zu nehmen und generell die Strafbarkeit in diesem Zusammenhang zu überprüfen. Wie überhaupt der Komplex Konsiliar-, Mitgabe- und Take-Home-Regelungen einer Prüfung unterzogen, die Anzahl der substituierenden Ärzte erhöht und die wissenschaftliche Forschung intensiviert werden soll. Hinsichtlich der Substitutionsbehandlung in Freiheit haben wir bereits im Koalitionsvertrag festgehalten, dass eine verantwortungsvolle Drogenpolitik Prävention, Therapie, Hilfe zum Ausstieg und damit auch den Ansatz der Schadensminderung und die Bekämpfung der Drogenkriminalität in den Mittelpunkt stellt. Das heißt aber nicht, dass § 5 Abs. 1 Nr. 1 Betäubungsmittelverschreibungsverordnung und § 29 Abs. 1 Nr. 1 Betäubungsmittelgesetz jetzt revidiert werden müssten. Das Ziel der Substitution ist in § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 Betäubungsmittelverschreibungsverordnung, BtMVV, fest-gelegt. Danach ist Substitution die Behandlung der Opiat-abhängigkeit mit dem Ziel der schrittweisen Wiederherstellung der Betäubungsmittelabstinenz, einschließlich der Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustandes. Daneben kann auch Ziel die Unterstützung der Behandlung einer neben der Opiatabhängigkeit bestehenden schweren Erkrankung oder die Verringerung der Risiken einer Opiatabhängigkeit während einer Schwangerschaft und nach der Geburt sein. Die Autoren der PREMOS-Studie weisen zum Beispiel auch darauf hin, dass eine hohe Abstinenzorientierung in den Substitutionspraxen einen zweigeteilten Einfluss auf den Substitutionsverlauf hat. Neben den in der Frage genannten Effekten sind in Einrichtungen mit hoher Abstinenzorientierung mehr Patienten mit hohem Schweregrad abstinent, der konkomitante Drogengebrauch ist geringer und der Wert der mit dem Drogenkonsum einhergehenden Probleme – Addiction Severity Index, ASI – ist besser als in Einrichtungen mit einer niedrigen Abstinenzorientierung. Der Behandlungsplan sollte deshalb in erster Linie auf die schrittweise Herstellung der Betäubungsmittelabstinenz ausgerichtet sein, auch wenn in der Praxis eine dauerhafte Abstinenz nur bei einer geringen Zahl von Patienten, derzeit circa 8 Prozent, erreicht werden kann. Daneben gibt es zahlreiche Zwischen- und Nebenziele, die ebenfalls mit der Substitution angestrebt werden können. Vor diesem Hintergrund sehe ich aktuell noch keinen weiteren Reformbedarf. Konsiliar-, Mitgabe und Take-Home-Regelungen sind vor allem, worauf der Antrag zu Recht hinweist, im Kontext der Sicherheit der Allgemeinheit zu bewerten. Substitutionsmedikamente haben einen eigenen Markt und sind gefährlich für Dritte. Die aktuellen gesetzlichen Vorgaben sind geeignet, den oben genannten Ausgleich herbeizuführen. Mit der 23. Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung wurde im § 5 Abs. 8 Satz 1 bis 3 BtMVV die sogenannte Zwei-Tages-Verschreibung verankert. Der behandelnde Arzt darf Patienten, denen ansonsten ein Substitutionsmittel zur unmittelbaren Verabreichung überlassen wird, in Fällen, in denen die Kontinuität der Substitutionsbehandlung nicht anderweitig gewährleistet werden kann, ein Substitutionsmittel in der bis zu zwei Tagen benötigten Menge verschreiben und ihnen dessen eigenverantwortliche Einnahme erlauben, sobald der Verlauf der Behandlung dies zulässt, Risiken der Selbst- und Fremdgefährdung soweit wie möglich ausgeschlossen sind sowie die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht beeinträchtigt werden. Mit dieser Regelung wurde bereits dem besonderen ärztlichen Anliegen, Versorgungsmöglichkeit insbesondere an Wochenenden zu schaffen, entsprochen. Diese neue Verschreibungsmöglichkeit wurde in das Take-Home eingebettet, das die Voraussetzungen für die bis zu sieben Tage mögliche Take-Home-Verschreibung sowie für die sogenannte Auslandsverschreibung, das heißt für den Substitutionsmittelbedarf von bis zu 30 Tagen, beschreibt. Nach den Bestimmungen der BtMVV ist darüber hinaus die ärztliche Mitgabe eines Substitutionsmedikamentes bisher bis auf eine Ausnahmeregelung nicht gestattet. Diese Ausnahmebestimmung ist den pharmakologischen Besonderheiten der Stoffe Codein und Dihydrocodein geschuldet. Eine Abgabe über diese Ausnahmeregelung hinaus würde einen Verstoß gegen § 43 des Arzneimittelgesetzes darstellen, wonach die Abgabe von Arzneimitteln – in diesem Fall: den Substitutionsmitteln – der Apotheke vorbehalten ist. Ich selbst habe mich um einen Ausgleich der Interessen von Apotheken und behandelnden Ärzten bemüht. Generell das Dispensierverbot zu lockern, halte ich für nicht angezeigt. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich nach der IMPROVE-Befragung tatsächlich 47 Prozent der befragten, aktiv substituierenden Ärzte ein weniger restriktives Vorgehen sowie juristische Unterstützung statt Sanktionen wünschen. Die Studie belegt aber auch, dass die Ärzte erhebliche Bedenken in Bezug auf Missbrauch und unerlaubte Weitergabe der Substitutionsmedikamente durch die Patienten haben; 49 Prozent der Ärzte bezeichnen dies als erhebliches Problem, weitere 17 Prozent als besonders schwerwiegendes Problem. Ähnliches gilt für den Missbrauch der Substitutionsmittel durch die Patienten. Die IMPROVE-Studie weist explizit darauf hin, dass die Aussagen der Patienten, von denen 23 Prozent angaben, das Substitut schon einmal verkauft oder weitergegeben zu haben, diese Befürchtungen der Ärzte begründet erscheinen lassen. Diese Fakten machen deutlich, dass die für die Substitutionstherapie relevanten betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften einzuhalten sind: So sind zum Beispiel Dokumentationsvorschriften notwendig, um die Kontrolle und Sicherheit des BtM-Verkehrs wahren zu können und dies für die Aufsichtsbehörden auch nachvollziehbar zu machen. Meine Gespräche mit den Staatsanwaltschaften -haben auch ergeben, dass diese in der Regel ein praxis-orientiertes Miteinander mit den ihnen bekannten substituierenden Ärzten pflegen, sodass Fehlverhalten mit Fingerspitzengefühl angegangen wird. Hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten in länd-lichen Räumen gilt, dass die Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesgesundheitsbehörden im November 2011 die AG Suchthilfe der AOLG gebeten hat, die Ergebnisse der PREMOS-Studie auszuwerten, gegebenenfalls fachspezifischen Handlungs- und Forschungsbedarf für die Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen der Substitutionsbehandlung in den Ländern zu benennen und hierüber im November 2012 zu berichten. Welche Schlüsse nun gezogen werden, entzieht sich meiner Kenntnis. Darüber hinaus gibt es ja auch Positives zu berichten. Ich kann aber berichten: In meiner Heimatstadt Stuttgart wird nach langer Standortsuche Mitte 2014 ein suchtmedizinisches Schwerpunktzentrum eröffnen, das unter anderem die Substitution mit Diarmorphin anbietet. Am Standort wird auch die Drogenberatungsstelle „release“ ihr Angebot offerieren – übrigens nach langer Suche für einen geeigneten Standort und gegen die Stimmen der Grünen im Gemeinderat. Soweit der Antrag auf Mängel im Strafvollzug eingeht, gilt, dass seit der Föderalismusreform 2006 die -Zuständigkeit bei den Ländern liegt. Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen ist uns damit jede Einflussnahme versagt. Ich schlage vor, dass Sie als Vertreter der Opposition Ihre Änderungswünsche im Bundesrat an die Länder herantragen. Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Sucht ist eine Krankheit, und es gibt leider viele Menschen, die unter dieser Krankheit leiden. Sie sind aus eigenem Willen oft nicht in der Lage, diese Krankheit zu überwinden. Mancher leidet unter ihr ein Leben lang und kann sie nicht besiegen. Ein Junkie hatte früher kein langes Leben. Seit den 1990er-Jahren wird in Deutschland im Umgang mit Opiatabhängigen vermehrt der Ansatz der Schadensreduzierung und Überlebenshilfe durch Substitution verfolgt. Dies hat sich erfreulicherweise – auch dank rot-grüner Regierungspolitik – zu einer eigenständigen Säule der Drogenpolitik entwickelt. Dabei folgt die Politik der Erkenntnis, dass Strafverfolgung und Strafe nicht zur Heilung der Sucht oder zu einer Stabilisierung der Süchtigen führen. Opiatabhängigen, die schon mehrere Entzugsversuche gemacht haben und trotz intensiver eigener Bemühungen nicht von der Droge weggekommen sind, wird durch die Substitution ein Weg gezeigt, um aus der Sucht herauszukommen oder notfalls mit der Sucht zu leben. Die Effektivität der Maßnahme im Hinblick auf die Reduktion von Kriminalität und Sterberaten sowie Belastungen für die Allgemeinheit und eine bessere therapeutische Haltequote ist in der Wissenschaft unstreitig – das wurde erst vor einiger Zeit bekräftigt durch die Ergebnisse der von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen PREMOS-Studie. Wir haben diese Studie auch im Gesundheitsausschuss diskutiert. Gerade weil wir mit der Substitutionsbehandlung einen guten Beitrag für die Überlebenshilfe, aber auch für den Abbau der Beschaffungskriminalität leisten, sehe ich mit großer Sorge die Entwicklung der letzten Jahre. So beobachten wir – auch das belegt die PREMOS-Studie – verstärkt starke regionale Unterschiede bei der Praxis der Überlebenshilfe und auch erhebliche Schnittstellenproblematiken zwischen den zahlreichen Akteuren im Bereich der Substitutionsbehandlung. Suchtmediziner schildern die Mauern, an die sie immer wieder stoßen: Manche davon sind ideologisch begründet, wobei die Argumente nicht neu sind. Wir haben sie schon ganz früher bei der Einführung der Methadonsubstitution gehört. In den letzten Monaten wurde deutlich, dass im Bereich der Diamorphinversorgung die Regelungen häufig so ausgelegt werden, dass lediglich die Modellprojekte verstetigt und kaum eine Verbesserung der Versorgung erreicht werden konnten. Ich hoffe sehr, dass die neuen Regelungen des G-BA zu unbürokratischeren Lösungen führen werden. Vielleicht können dann auch die Teile der Union, für die Substitution Teufelszeug ist, ihren ideologischen Widerstand beenden. Denn man muss feststellen: Die Bundesregierung tut nichts, um die Situation zu verbessern. Dies macht mir vor allem auch wegen der abnehmenden Zahl von Substitutionsärzten große Sorgen. Sie ist neben der man-gelnden Attraktivität der Fachrichtung innerhalb der Ärzteschaft durch die besondere Altersstruktur der substituierenden Fach- und Hausärzte zu erklären. Ich fürchte, der anstehende Generationswechsel wird hier große Versorgungsprobleme mit sich bringen. Dies ist ein generelles Problem in Deutschland, dem wir uns stellen müssen. Daneben beunruhigen mich noch einige weitere Probleme. So haben wir bezüglich der Quantität von Substitutionsbehandlungsangeboten in Deutschland ein Nord-Süd- und ein West-Ost-Gefälle. Gerade in ländlichen -Regionen bestehen erhebliche Versorgungsdefizite. Oft sind die Entfernungen groß, Arzt und Patient trennen zig Kilometer. Die nächste Substitutionspraxis ist oft 50 Kilometer weit entfernt. Wir müssen feststellen, dass Ärztinnen und Ärzte mit weiten Wegen insbesondere in ländlichen Regionen, zum Beispiel in Schwaben oder Niederbayern, wegen der Mitgabe- und Take-home-Regelungen gerichtlichen Verfahren ausgesetzt sind, die nicht selten in einer Verurteilung und dem Entzug der Approbation enden. Vermeidbare juristische Unklarheiten erschweren die Versorgung von opiatabhängigen Patienten, die Ärzte bewegen sich in einer Grauzone. Die Folge: Immer mehr Substitutionsärzte schmeißen hin. Damit verschärft sich jedoch das Problem für den Süchtigen einerseits und die substituierenden Kollegen im weiten Umfeld andererseits. Denn zu denen sind die Wege dann noch weiter, und die Erhöhung der Anzahl der Patienten führt zu einer Überlastung der Praxis. Die sozialtherapeutische Begleitung, die so notwendig wäre, kann nicht mehr in der gewünschten Qualität geleistet werden. Ein Teufelskreis! Dazu soll nun auch noch eine neue EBM-Struktur kommen, die substituierenden Hausärzten Pauschalen streichen oder kürzen will. Ich erwarte auch von der Bundesregierung, dass sie hier die besondere Situation der substituierenden Allgemeinmediziner erkennt und ihren Einfluss entsprechend geltend macht. Aus den genannten Gründen wollen wir mit unserem Antrag anregen, die rechtlichen Rahmenbedingungen der Substitutionsbehandlung von Opiatabhängigen zu reformieren. Denn sie stehen seit 2010 in Konflikt mit dem Stand medizinischer Wissenschaft und der Richtlinie zur Substitutionsbehandlung der Bundesärztekammer aus 2010 und verursachen immer häufiger eine unnötige Kriminalisierung von substituierenden Ärztinnen und Ärzten. Sowohl das sogenannte Abstinenzparadigma in der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung als auch die stets im Hintergrund schwebenden Strafandrohungen in § 29 Abs. 1 Nr. 1 Betäubungsmittelgesetz müssen dringend überprüft werden. Sie sorgen immer wieder für unklare rechtliche Situationen und eine uneinheitliche Rechtsprechung in Deutschland. Dadurch schrecken sie junge Ärztinnen und Ärzte ab, eine entsprechende suchtmedizinische Fortbildung zu machen oder als Suchtmediziner Substitutionsbehandlungen durchzuführen. Wir brauchen diese Suchtmediziner aber, wenn wir angesichts der wachsenden Anzahl von Süchtigen die Beratungsstrukturen insgesamt verbessern wollen. Ein weiteres Problem, das die PREMOS-Studie ausgemacht hat, möchte ich hier auch noch anführen: Die Situation in Haftanstalten. Ich habe selbst verschiedene Justizvollzugsanstalten besucht, sowohl in Berlin als auch in Bayern. Obwohl die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger die Sicherstellung der Behandlung ausdrücklich auch bei einer Inhaftierung verlangen, ist insbesondere im Maßregel- und Strafvollzug die Möglichkeit zur Substitutionsbehandlung oftmals nicht gewährleistet. „Lediglich etwa 500 bis 700 der geschätzten 10 000 bis 15 000 infrage kommenden Gefangenen befinden sich in einer dauerhaften Substitutionsbehandlung“, so der Drogenbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2009. Die Anzahl der Infizierten mit HIV und Hepatitis bei Strafgefangenen ist fast um den Faktor 100 höher als außerhalb von Gefängnissen. Und es gibt kein Gefängnis, in dem nicht auch Drogen gehandelt werden. Die Gefahr einer Infektion für Opiatabhängige ist deshalb groß. Auch in diesem Bereich gibt es bei den Bundesländern höchst unterschiedliche Vorschriften und Bedingungen. Dadurch kann die Substitutionsbehandlung von Opiatabhängigen in Haft nicht überall gewährleistet sein. Deshalb ist es aus meiner Sicht wichtig, dass die Bundesregierung im Sinne der Forderungen der Ärztekammer auf die Länder zugeht und sie auffordert, die Versorgung von opiatabhängigen Inhaftierten zu verbessern. Die amtierende Bundesregierung hat diese Studie in Auftrag gegeben, die uns auf diese Missstände hinweist. Daher wäre es nur konsequent, wenn Sie als die diese Bundesregierung tragenden Parteien den Antrag ernsthaft prüfen und ihn im weiteren parlamentarischen Verfahren unterstützen würden. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Der von der SPD-Fraktion vorgelegte Antrag thematisiert ein wichtiges Anliegen. Grundsätzlich halte ich das Konzept des Ineinandergreifens von Prävention, Beratung und Therapie, Überlebenshilfen und Repression für den richtigen Ansatz moderner Drogenpolitik. Dieses Säulenmodell spiegelt die Vielfalt der Anforderungen an Staat und Gesellschaft im Umgang mit Drogen wider. Im Kontext der Überlebenshilfe spielt die Substitution von Opiatabhängigen eine zentrale Rolle. Die Substitutionstherapie hat sich bewährt als wirksames Instrument, den Abhängigen in überschaubarer Zeit in einen Zustand dauerhafter Abstinenz zu bringen oder im Rahmen einer Dauersubstitution zumindest eine spürbare Schadensminimierung einzuleiten. Mit einer Substitu-tionstherapie kann man den Gesundheitszustand und die soziale Situation der Patienten deutlich verbessern. Die PREMOS-Studie gibt einen sehr guten Überblick darüber, wie die Situation von Substitutionspatienten insgesamt ist. Und liefert wichtige Erkenntnisse hinsichtlich Mortalität, Morbidität, Lebensqualität, Delinquenz, stabiler Substitution und Beikonsum. Insgesamt muss man festhalten, dass die Substitution von Opiatabhängigen in Deutschland im internationalen Vergleich recht gut funktioniert: Insbesondere was Mortalität angeht, steht Deutschland nicht schlecht da. Die PREMOS-Studie spricht von einem „überaus niedrigen durchschnittlichen jährlichen standardisierten Mortalitätsrisiko von 1,15 Prozent“. Der Anteil der Patienten, die im Rahmen einer regelhaft beendeten Therapie als abstinent galten oder sich in abstinenzorientierter Therapie befanden, ist positiv zu bewerten, auch wenn natürlich weitere Verbesserungen erstrebenswert sind. Erreicht werden muss ein möglichst stabiler Substitutionsverlauf ohne Unterbrechungen und ohne Abbrüche. Das ist die Grundlage dafür, einem suchtkranken Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, wieder gesund zu werden und in ein geregeltes, nicht von Sucht und Drogenbeschaffung bestimmtes Leben zurückzukehren. Der vorliegende Antrag thematisiert einen Bereich, in dem es ohne Zweifel Optimierungsbedarf gibt: Grundsätzlich teile ich das Anliegen, Substitutionsbehandlungen auch für opiatabhängige Strafgefangene und für Opiatabhängige im Maßregelvollzug sicherzustellen. Denn auch Strafgefangenen muss man die Möglichkeit eröffnen, gesund zu werden und in ein geregeltes, nicht von Sucht und Drogenbeschaffung bestimmtes Leben zurückzukehren. Während bei Opiatabhängigen in Freiheit zwar der Umgang mit Mitgabe- und Take-home-Regelungen ein Dauerthema ist, die Substitution an sich aber vollzogen wird, scheitert eine Substitution opiat-abhängiger Strafgefangener und Opiatabhängiger im Maßregelvollzug jedoch oft einfach daran, dass es vor Ort keine geeigneten Ärztinnen und Ärzte gibt. Insgesamt, das skizziert der Antrag, gibt es einen facettenreichen Handlungsbedarf, um die Substitution im Allgemeinen wie im Besonderen zu verbessern. Doch ob der SPD-Antrag zu einer Verbesserung der Situation führen würde, bleibt fraglich, zumal wesentlicher Handlungsbedarf im Bereich der Länder liegt und nicht beim Bund. Die christlich-liberale Koalition hat das Thema Substitution auf der Tagesordnung, wird sich intensiv damit befassen und die notwendigen Optimierungen einleiten. Frank Tempel (DIE LINKE): Die gegenwärtige Substitutionslage in Deutschland ist nicht zufriedenstellend. Dabei ist die Substitutionstherapie, also die Versorgung von Opiatabhängigen mit einem Ersatzstoff, nachweislich die wirksamste Methode, den Betroffenen eine Rückkehr ins gesellschaftliche Leben zu ermöglichen und sie, wenn möglich, von ihrer Suchterkrankung zu heilen. Sie wirkt der drogenassoziierten Kriminalität -entgegen, und eine gesundheitsökonomische Studie hat ergeben, dass die volkswirtschaftlichen Einsparungen pro Patient im Jahr bei 7 800 Euro liegen. Die Infrastruktur zur Substitutionstherapie muss weiter ausgebaut werden. Wie im Antrag der SPD richtig benannt wurde, ist besonders die Versorgung von Substituierenden im ländlichen Raum äußerst prekär. Die -Anzahl der Substituierenden liegt in Deutschland bei 76 200 Personen – Stand 2011. Dem gegenüber standen im selben Jahr 2 703 substituierende Ärztinnen und Ärzte sowie 8 122 Ärztinnen und Ärzte mit suchttherapeutischer Qualifikation. So wird es den Patientinnen und Patienten und den Ärztinnen und Ärzten sehr schwer gemacht, die Substitutionsbehandlung erfolgreich durchzuführen. Zudem werden immer wieder Fälle bekannt, bei denen sich Substitutionsärzte vor Gericht für die mehrtätige Mitgabe des Substitutionsmittels, beispielsweise Methadon, an ihre Patientinnen und Patienten verantworten müssen. Beim Landgericht Lüneburg wurden bereits zwei Ärzte zu Haftstrafen verurteilt. Und auch in Niedersachsen gab es 2008 mehrere Verfahren gegen Substitutionsärzte. Grund dafür ist der strenge Rechtsrahmen der Substitutionsbehandlung, dessen Grundzüge aus den 80er- und 90er-Jahren stammen. Die Take-home-Regelung von sieben Tagen sollte daher ausgeweitet werden. Ein weiteres Problem ist die sogenannte Einnahme unter Sicht. Sie sorgt dafür, dass Patientinnen und -Patienten gezwungen werden, teilweise in der Öffentlichkeit, beispielsweise in der Apotheke, das Substitu-tionsmittel einzunehmen. Diese Praxis hat für Patientinnen und Patienten oftmals einen demütigenden Charakter. Die Einnahme des Substitutionsmittels „unter Sicht“ sollte daher nicht die Regel, sondern die Ausnahme darstellen. Auch die sachlichen und personellen Mindestvoraussetzungen für Substitutionseinrichtungen sind zu hoch angesetzt. Die Richtlinien der Bundesärztekammer, BÄK, von 2010 müssen daher ihren Niederschlag in der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung, BtMVV, finden. Des Weiteren muss endlich Rechtssicherheit für Substitutionsärzte bei der Auslegung der Rechtsvorschriften zur Substitution hergestellt werden. Erfreulich ist, dass am 17. Januar dieses Jahres der Gemeinsame Bundesausschuss verschiedene Änderungen bei den -Diamorphin-Richtlinien beschlossen hat. „Einrichtungen können über die Anzahl der notwendigen Arztstellen -bedarfsorientierter entscheiden und Räumlichkeiten realitätsnah gestalten“, schrieb der Gemeinsame Bundesausschuss in der Presseerklärung vom selben Tag. Ebenso sollten die Vorschläge des 115. Deutschen Ärztetages zur Substitutionsbehandlung einbezogen werden. Diese fordern unter anderem, dass der Gesetzgeber die betäubungsmittelrechtlichen Vorgaben an den Stand der medizinischen Wissenschaft anpasst. In den EU-Ländern, in denen ebenso die Substitutionsbehandlung ermöglicht wurde, ist diese pragmatischer geregelt worden und hatte nicht zu einer unkontrollierten -Behandlungsszenerie geführt. Außerdem muss der rechtliche Rahmen dafür -geschaffen werden, dass es nicht den Bundesländern obliegt, eine bestehende Substitution bei einem Haftantritt zu beenden. In einem offenen Brief der Deutschen AIDS-Hilfe, DAH, an die bayrische Justizministerin vom April 2012 wurde sehr deutlich formuliert, dass Bayern gegen die Richtlinien der Bundesärztekammer sowie gegen das Bayerische Strafvollzugsgesetz, nach dem Gefangene die gleiche Gesundheitsversorgung erhalten müssen wie in Freiheit, verstößt. Hintergrund des offenen Briefes waren zwei aktuelle Beschlüsse des Landgerichts Augsburg, mit denen zwei Anträge auf Substitutionsbehandlung in der JVA Kaisheim abgelehnt wurden. Wie die DAH betonte, wiesen die Beschlüsse zahlreiche fachliche Fehler auf. Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin, DGS, erklärt zu den beiden Urteilen: „Die Urteilsbegründung entspricht nicht dem Stand des medizinischen Wissens und verletzt das Recht des Patienten auf eine angemessene Behandlung.“ Der erzwungene Abbruch einer Substitution bei Haftantritt erhöht die „Gesundheits- und Lebensgefahren des -Patienten erheblich“, so die DGS. Erforderlich sind rechtliche Rahmenbedingungen, die Substitutionsärzte nicht abschrecken, Opiatabhängigen eine flächendeckende Versorgung mit freier Arztwahl ermöglichen, einer normalen Lebensführung nicht von vorneherein im Wege stehen sowie den fließenden Übergang der Substitution auch in der Haft ermöglichen. Wir unterstützen daher das Anliegen der SPD-Fraktion, die Versorgungsqualität bei der Substitutions-behandlung zu verbessern, und hoffen, dass es spätestens zu Beginn der neuen Legislaturperiode zu grundlegenden Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Substitutionspraxis kommt. Nur dadurch können wir die Anzahl der praktizierenden Substitutionsärzte erhöhen und den Abhängigen ausreichend helfen. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor genau zwei Wochen haben wir hier an dieser Stelle schon einmal über die Drogenpolitik gestritten. Ich habe seinerzeit darauf hingewiesen, dass das realitätsblinde „Weiter so“ angesichts der erheblichen negativen Auswirkungen der jetzigen Drogenpolitik ein Ende haben muss. Das in dem Antrag der SPD thematisierte Problem in der Substitutionsbehandlung ist ein Beleg dafür, dass die herrschende Drogenpolitik erhebliches menschliches Leiden in Kauf nimmt. Denn was ist die Ursache dafür, dass die Versorgung von Opiatabhängigen nicht überall im notwendigen Umfang und ausreichender Qualität gewährleistet ist? Was ist die Ursache dafür, dass Ärzte, die eine Substitutionsbehandlung anbieten, zumindest gefühlt mit einem Bein im Gefängnis stehen? Und was ist die Ursache dafür, dass in vielen deutschen Haftanstalten keine Sub-stitutionsbehandlung angeboten wird? Es sind die geltenden rechtlichen Regelungen in der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung und die ideologisch begründete repressive Haltung mancher vor allem süddeutscher Haftanstalten und Landesregierungen. Ein kurzer Blick in die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung zeigt doch, welcher Geist da dominiert. Da geht es nicht vorrangig darum, eine gute Versorgungsqualität für die betroffenen Patientinnen und Patienten sicherzustellen, sondern da manifestiert sich ganz klar eine repressiv ausgerichtete Drogenideologie. In dieser Verordnung wird den Ärztinnen und Ärzten die Indikation und Kontraindikation der Behandlung vorgegeben. Es werden ihnen die Art der Medikation, die Dosierung sowie die Applikation des Arzneimittels vorgeschrieben. Es werden die Behandlungs- und Verschreibungsfrequenz, die Art der Begleitbehandlung, der Behandlungsabbruch bei Non-Compliance detailliert vom Staat bestimmt. Und sogar das Behandlungsziel, die Abstinenz, schreibt die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung den Ärztinnen und Ärzten vor. Kennen Sie irgendeine andere chronische Erkrankung, bei der der Staat derart massiv in die ärztliche Therapiefreiheit eingreift und Patienten die Heilung quasi staatlich vorschreibt? Dass es die herrschende Drogenpolitik zu ihrer Legitimation nicht eben so genau mit den Fakten nimmt, sieht man auch beim Thema Substitutionsbehandlung. So steht beispielsweise wörtlich in einem nur wenige Monate alten Bürgerschaftsantrag der Hamburger CDU: „Mit dem Ziel der Ausstiegsorientierung ist eine zeitlich unbegrenzte Behandlungsdauer nicht vereinbar. Es kann weder im Sinne der Substituierten noch im Interesse der sozialen Sicherungssysteme sein, die Behandlung mancher Opiatabhängiger jahrzehntelang vorzunehmen.“ Abgesehen davon, dass diese Formulierung ein gehöriges Ausmaß an Unmenschlichkeit offenbart, ist die Formulierung auch schlicht falsch. Die PREMOS-Studie zur Substitutionsbehandlung hat deutlich gezeigt, dass auf längere Sicht nur ein ganz kleiner Teil der Patientinnen und Patienten jemals die Abstinenz erreicht. Um es genau zu sagen: Nach sechs Jahren Behandlung waren gerade einmal 8 Prozent der Patientinnen und Patienten abstinent oder zumindest in einer abstinenzorientierten Therapie ohne Substitution. Die übrigen befanden sich noch in einer Substitutionsbehandlung, hatten die Behandlung abgebrochen oder waren verstorben. Die Autoren der Studie schreiben ferner: „Die Risiken einer sehr langfristigen bzw. lebenslangen Substitution sind geringer als ständige Rückfälle mit dem Risiko einer weiteren Progression des Krankheitsbildes.“ Diese Fakten sprechen übrigens nicht gegen die Sub-stitutionsbehandlung. Aber sie sprechen dafür, an die Stelle ideologischer Vorgaben zur Abstinenz, zur Mitgabe des Substitutionsmittels oder der Verschreibung sowie aller anderen detaillierten staatlichen Vorgaben zur Behandlung dieser schweren chronischen Erkrankung endlich den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft treten zu lassen. Dafür sind die Behandlungsleitlinien und Richtlinien der Bundesärztekammer völlig ausreichend. Der § 5 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung ist daher aus unserer Sicht verzichtbar. Noch schlimmere Auswirkungen als in der Freiheit hat die herrschende Politik übrigens im Strafvollzug. Etwa 20 bis 30 Prozent der in Deutschland inhaftierten Menschen sind intravenöse Drogenkonsumenten. Dennoch – auf diesen Umstand weist auch der SPD-Antrag hin – bekommen nur 500 bis 700 der bis zu 15 000 infrage kommenden Inhaftierten eine entsprechende Behandlung. Im von CSU und FDP regierten Bayern ist die Situation besonders dramatisch. Hier ist die Behandlung nur in einer einzigen Haftanstalt möglich und in der Regel auch nur für Inhaftierte, die eine Freiheitsstrafe von weniger als drei Monaten verbüßen. Dort herrscht mit Billigung des Justizministeriums in vielen Haftanstalten die mittelalterliche Vorstellung, Opiatabhängigkeit sei keine Krankheit und Substitution nur eine überflüssige Belohnung für Drogenkonsum. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir den vorliegenden Antrag der SPD. Wir müssen endlich wegkommen von der repressiv orientierten Drogenpolitik. Ziel muss es sein, den opiatabhängigen Patientinnen und Patienten eine optimale gesundheitliche Versorgung zukommen zu lassen und ihnen so die Chance auf Linderung ihrer Abhängigkeitserkrankung zu eröffnen. Dabei helfen uns keine weltfremden Abstinenzideologien, sondern nur kooperative und patientenorientierte Versorgungsstrukturen. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen: EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln – Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherstellen; hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Antrag der Fraktion Die Linke: EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln – Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicherstellen; hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Art. 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (Zusatztagesordnungspunkte 10 a und b) Rudolf Henke (CDU/CSU): Die klinische Prüfung von Arzneimitteln am Menschen ist eine notwendige -Voraussetzung für die Erforschung, Entwicklung und Zulassung neuer Medikamente. Erkenntnisse, die in klinischen Studien gewonnen werden, sind für die Weiterentwicklung moderner Arzneimitteltherapie von überragender Bedeutung. Im Vordergrund muss bei Arzneimittelstudien jedoch die Patientensicherheit stehen. Ein hohes Schutzniveau an Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ist für die Probanden und Patienten unverzichtbar. Unsere strengen rechtlichen Regelungen für die Forschung am Menschen leiten sich aus der grundgesetzlich geschützten Würde des Menschen ab. So muss eine klinische Studie freiwillig sein. Nicht notwendige oder willkürliche Maßnahmen sind strengstens zu unterlassen; im Vorfeld hat eine gründliche Aufklärung stattzufinden. Erstmals festgelegt im Nürnberger Kodex von 1947, sind diese Anforderungen für eine ethisch verantwortbare Forschung am Menschen Teil der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes. Diese ethischen Grundsätze für die medizinische Forschung haben nach ihrer Veröffentlichung Eingang in die deutsche Gesetzgebung und das Berufsrecht gefunden. Sie stellen die Konsequenz aus dem Unrecht medizinischer Experimente dar, welche zur Zeit des Nationalsozialismus an den Opfern von Konzentrationslagern durchgeführt wurden. Der deutsche Gesetzgeber hat die stete Pflicht, Änderungen in den rechtlichen Grundlagen zu humanmedizinischer Forschung kritisch zu hinterfragen – gerade vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung in unserem Land. Deshalb müssen wir bei jeder gesetzlichen Änderung darauf achten, dass das hohe Schutzniveau für Teilnehmer an klinischen Studien erhalten bleibt. Wir beraten heute einen fraktionsübergreifenden Antrag über EU-weite Regelungen zur Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln. Grundlage des Antrages ist der Vorschlag einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG, Ratsdokument 1275/12, welchen die EU-Kommission am 17. Juli 2012 vorgelegt hat. Die bislang geltende Richtlinie 2001/20/EG ist in Deutschland im Jahre 2004 mit der 12. AMG-Novelle sowie der Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen, GCP-Verordnung, in deutsches Recht umgesetzt worden. Unsere gesetzlichen Vorgaben haben sich in der Praxis bewährt. Dies gilt für das eingangs erwähnte hohe Schutzniveau von Probanden und Patienten, die Beteiligung der Ethikkommissionen am Genehmigungsverfahren, aber auch für die Möglichkeiten der Initiatoren und Sponsoren klinischer Arzneimittelforschung. Diese gute Praxis ist uns vonseiten der Ärzteschaft, vom Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen, aber auch vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller vielfach bestätigt worden. Mit der Vorlage des EU-Verordnungsvorschlages soll die bislang geltende Richtlinie modernisiert werden. Ziel ist ein in allen EU-Mitgliedstaaten einheitlich geltender Rechtsrahmen für die Anforderungen an klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln. Dieses Ziel einer weiteren Vereinheitlichung der klinischen Prüfungen in der EU erkennt der Antrag in -seinem Wortlaut durchaus an. Damit darf aber keine Minderung der Rolle und des Stellenwerts der Ethikkommissionen verbunden sein. Ich komme darauf zurück. Tatsächlich betrachten wir wichtige Punkte des Verordnungsvorschlags mit großer Sorge. Lassen Sie mich dies an drei ausgewählten Punkten unseres Antrages deutlich machen: Erstens die Regelungen zum Schutz von Prüfungsteilnehmern. Die Deklaration von Helsinki fordert in Art. 6, dass „in der medizinischen Forschung am Menschen … das Wohlergehen der einzelnen Versuchsperson Vorrang vor allen anderen Interessen haben“ muss. Und weiter: „Einige Forschungspopulationen sind besonders vulnerabel und benötigen besonderen Schutz. Dazu gehören Personen, die nicht in der Lage sind, selbst ihre Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern oder für die Ausübung von Zwang oder eine unzulässige Beeinflussung anfällig sein können.“ Im Widerspruch dazu wird im Verordnungsentwurf – Art. 31, Art. 32 – der Schutz vor fremdnütziger Forschung insbesondere bei Minderjährigen und Notfallpatienten gegenüber den bisherigen Regelungen der EU-Richtlinie und des Arzneimittelgesetzes jedoch verringert. So muss der Widerspruch von widerspruchsfähigen Minderjährigen und erwachsenen Nichteinwilligungsfähigen gegen die Teilnahme oder Fortsetzung einer Arzneimittelprüfung nicht beachtet werden. Eine Öffnungsklausel, um die Schutzvorkehrungen für besonders vulnerable Personengruppen an die unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Anforderungen anzupassen, ist ebenfalls nicht vorgesehen. Unser heute zu beschließender Antrag stellt darüber hinaus klar, dass eine Instrumentalisierung von Patientinnen und Patienten nicht mit den Grundrechten der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der EU vereinbar wäre. Zweitens die fehlende Berücksichtigung von Ethikkommissionen bei der Bewertung von Anträgen auf Genehmigung klinischer Prüfungen und wesentlicher Änderungen. Bei der Forschung am Menschen sind Ethikkommissionen international anerkannter Schutzstandard. Die Deklaration von Helsinki sieht dazu in Art. 15 vor, dass „das Studienprotokoll … vor Studienbeginn zur Beratung, Stellungnahme, Orientierung und Zustimmung einer Forschungsethik-Kommission vorzulegen“ ist. Und weiter heißt es: „Diese Ethik-Kommission muss von dem Forscher und dem Sponsor unabhängig und von jeder anderen unzulässigen Beeinflussung unabhängig sein. Sie muss den Gesetzen und Rechtsvorschriften des Landes oder der Länder, in dem oder denen die Forschung durchgeführt werden soll, sowie den -maßgeblichen internationalen Normen und Standards Rechnung tragen, die jedoch den in dieser Deklaration niedergelegten Schutz von Versuchspersonen nicht abschwächen oder aufheben dürfen. Die Ethik-Kommission muss das Recht haben, laufende Studien zu beaufsichtigen. Der Forscher muss der Ethik-Kommission -begleitende Informationen vorlegen, insbesondere Informationen über jede Art schwerer unerwünschter Ereignisse.“ Zitat Ende. Vor dem Hintergrund dieser wichtigen Funktionen sowie einer Bewertung der Studie unter einem individuellen Nutzen-Risiko-Verhältnis ist es mithin nicht nachvollziehbar, weshalb der Verordnungsvorschlag nicht länger das zustimmende Votum einer unabhängigen, interdisziplinär besetzten Ethikkommission verpflichtend vorsieht. Eine Ablehnung durch die beauftragte Ethik-Kommission muss auch in Zukunft zu einer Versagung der Genehmigung einer Studie führen. Während noch in der aktuell gültigen EU-Richtlinie klar vorgegeben ist, dass „der Sponsor … mit der klinischen Prüfung erst beginnen [kann], wenn die Ethik-Kommission eine befürwortende Stellungnahme abgegeben hat“, Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2001/20/EG, taucht diese Formulierung im Verordnungsentwurf nicht mehr auf. Hier muss im laufenden Gesetzgebungsverfahren dringend eine Änderung erreicht werden. Drittens. Ebenfalls stark kritikwürdig ist das vorgesehene Verfahren zur Auswahl des berichterstattenden Mitgliedstaates und zur Zusammenarbeit der betroffenen Mitgliedstaaten. So obliegt es zukünftig allein dem Sponsor, den berichterstattenden Mitgliedstaat zu benennen. Die betroffenen Mitgliedstaaten können zukünftig bei der Bewertung von Anträgen nur noch Anmerkungen übermitteln. Hier wollen wir erreichen, dass der berichterstattende Mitgliedstaat nach objektiven Kriterien festgelegt und effektiv an der Nutzen-Risiko-Bewertung beteiligt wird. Dazu gehört eine ausreichende Konsultationsfrist, vor deren Ablauf der berichterstattende Mitgliedstaat nicht entscheiden darf, ebenso wie eine Pflicht des berichterstattenden Mitgliedstaates, eingegangene Anmerkungen zu dokumentieren und gegebenenfalls zu begründen, warum er von den Hinweisen eines betroffenen Mitgliedstaates abweicht. Des Weiteren sollte die künftige Verordnung Opt-out-Klauseln zugunsten eines in der nationalen Umsetzung höheren als im europäischen Rechtsrahmen vorgesehenen Schutzniveaus enthalten. Trotz unserer strengen Regelungen mit einem hohen Schutzniveau für Studienteilnehmer ist Deutschland bei der Anzahl klinischer Studienprojekte führend in Europa. Die in Deutschland seit 2004 geltende Rechtslage bewerten die Arzneimittelhersteller positiv, wie der Verband Forschender Arzneimittelhersteller in einer Stellungnahme hervorhebt. Keineswegs haben unsere bewährten deutschen Regelungen zu einem Rückgang klinischer Arzneimittelprüfungen in Deutschland geführt; diese sind vielmehr seit 2009 in der Summe stabil. Das in Deutschland bestehende und grundrechtlich gebotene Niveau zum Schutz der Prüfungsteilnehmer ist kein Hindernis für erfolgreiche Forschungsvorhaben; es ist eine Grundvoraussetzung. Die international anerkannten ethischen Grundsätze für die Forschung am Menschen dürfen deshalb auch in Zukunft nicht infrage gestellt werden. Stephan Stracke (CDU/CSU): Aus Sicht der Patienten in Deutschland sind zwei Dinge wichtig: Erstens. Sie wollen, dass ihnen ein bezahlbares Gesundheitssystem auf hohem Niveau zur Verfügung steht. In diesem Punkt hat die christlich-liberale Koalition in dieser Legislaturperiode große Fortschritte erzielt. So reden wir in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr über Defizite, sondern von Überschüssen, die auch in den nächsten Jahren noch tragen. Zweitens. Die Patienten wollen an Innovationen teilhaben. Dazu gehört auch, dass neue wirksame und sichere Arzneimittel möglichst frühzeitig bei uns zugelassen werden. Als Mittel dazu bedarf es auch klinischer Prüfungen. Klinische Prüfungen erfolgen in nicht unerheblicher Zahl als multinationale Prüfungen in mehreren Staaten. Damit diese Prüfungen sicher durchgeführt werden -können, braucht es einen verlässlichen Rahmen für die pharmazeutischen Unternehmen, aber auch einen verlässlichen Rahmen für die Prüfungsteilnehmer. Diesen Rahmen stellt in Deutschland das Arzneimittelgesetz dar. Dieses beruht auf einer europäischen Richtlinie zur Durchführung klinischer Prüfungen, die aber den Mitgliedstaaten Spielraum bei der Umsetzung lässt. Eine weitere Vereinheitlichung der gesetzlichen Regelungen zur Schaffung eines noch verlässlicheren Rahmens ist deshalb anerkannt. Diese Vereinheitlichung darf aber nicht zulasten der Prüfungsteilnehmer gehen. Für Prüfungsteilnehmer bestehen bei klinischen Prüfungen immer zwei Interessen. Das Schutzinteresse und das Chanceninteresse. Diese müssen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Das Schutzinteresse besteht, weil bei Neu- oder Weiterentwicklungen von Arzneimitteln immer auch ein Stück weit Neuland betreten wird. Dementsprechend sind sie trotz aller Anstrengungen zur Verminderung von Risiken mit gewissen Unsicherheiten für die Prüfungsteilnehmer verbunden. Dem gegenüber steht aber die Chance, erstmals Zugang zu einem neuen, womöglich wirksamen Medikament zu erhalten. Außerdem leisten die Prüfungsteilnehmer auch einen ganz wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Denn mit ihrer Teilnahme tragen sie dazu bei, dass mit höherer Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden kann, für welche Patienten ein neues Arzneimittel geeignet ist und welchen Nutzen es hat. Die Entscheidung über eine Teilnahme ist also nicht einfach, und wir können sie keinem Menschen abnehmen. Aber wir können die Menschen in ihrer Entscheidung bestmöglich unterstützen. Deshalb bestehen in Deutschland weitreichende gesetzliche Bestimmungen, die dem Schutzinteresse Rechnung tragen. Denn nur mit dem Wissen um diese Regelungen kann eine wirklich freie Entscheidung über die Teilnahme an einer klinischen Prüfung getroffen werden. So bestimmt das Arzneimittelgesetz unter anderem, dass klinische Prüfungen grundsätzlich nur an volljährigen, einwilligungsfähigen Prüfungsteilnehmern zulässig sind. Für Minderjährige und nichteinwilligungsfähige Erwachsene gelten dagegen enge Grenzen. So dürfen zum Beispiel bei Minderjährigen nur minimale Risiken und Belastungen mit der Forschung verbunden sein. In Deutschland ist Einhaltung dieser Regelungen unabdingbare Voraussetzung; denn die Fürsorge für die Prüfungsteilnehmer hat für uns oberste Priorität. Aus diesem Grund regelt das Arzneimittelgesetz auch, dass eine klinische Prüfung nur begonnen werden darf, wenn die zuständige Ethikkommission diese zustimmend bewertet hat. Den Ethikkommissionen kommen somit ganz wichtige und entscheidende Aufgaben zu: Sie prüfen die wissenschaftliche Qualität, die recht-liche Zulässigkeit und die Vertretbarkeit des Vorhabens. Auf diese Weise wahren sie die Rechte, das Wohlergehen und die Sicherheit der Prüfungsteilnehmer. Im Juli letzten Jahres hat die Europäische Kommission den Vorschlag für eine Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln vorgelegt, die die bestehende Richtlinie ablösen soll. Mit dem Vorschlag verfolgt die Kommission zwei grundsätzliche Anliegen: Erstens, die Voraussetzungen klinischer Prüfungen mit Arzneimitteln am Menschen weiterzuentwickeln, und zweitens, das Verfahren der Genehmigung einer klinischen Prüfung in den Mitgliedstaaten zu harmonisieren. Beides seien wichtige Faktoren für die Attraktivität der Europäischen Union als Standort für klinische Forschung. Gerade für Deutschland als größtem Forschungsstandort in Europa mit circa 30 Prozent Anteil an den durchgeführten klinischen Prüfungen ist dies immens wichtig. Daher begrüßen wir diese Anliegen ausdrücklich. Allerdings weicht der Verordnungsvorschlag in wesentlichen Punkten von dem Schutzniveau des Arzneimittelgesetzes für die Prüfungsteilnehmer ab. Dies kann aus deutscher Sicht keinesfalls akzeptiert werden. Es ist wichtig, dass das bestehende Schutzniveau insbesondere hinsichtlich der Minderjährigen und nicht Einwilligungsfähigen weiter Bestand hat. Probleme bereitet der Verordnungsvorschlag auch hinsichtlich der Einbeziehung von Ethikkommissionen bei der Bewertung von Anträgen auf Durchführung von klinischen Prüfungen. Die bestehende EU-Richtlinie enthält die ausdrückliche Regelung, dass der Sponsor mit der klinischen Prüfung erst beginnen kann, wenn die Ethikkommission eine befürwortende Stellungnahme abgegeben hat. Diese Regelung sieht der Verordnungsvorschlag nun jedoch nicht mehr vor. Ethikkommissionen leisten tagtäglich mit ihrer Arbeit einen Beitrag zur Qualitätssicherung und zur Rechtssicherheit bei klinischen Prüfungen. Es ist daher befremdlich und realitätsfern, dass die Ethikkommissionen im Verordnungsvorschlag mit keinem Wort mehr erwähnt werden. Durch die Nichtaufnahme der Ethikkommissionen schadet der Verordnungsvorschlag dem Ansehen der medizinischen Forschung. Denn das Vertrauen der Öffentlichkeit in klinische Prüfungen gründet sich in höchstem Maße auf die durch die unabhängigen Ethikkommissionen abgesicherte ethische und rechtliche Vertretbarkeit. Mit unserer parteiübergreifenden Stellungnahme weisen wir als Deutscher Bundestag auf diese Unzulänglichkeiten hin. Schon im Titel des Antrages machen wir unmissverständlich deutlich, worum es uns geht: den Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Durchführung von klinischen Prüfungen sicherzustellen. So fordern wir, dass das in Deutschland bestehende grundrechtlich gebotene Schutzniveau für Prüfungsteilnehmer in den Verordnungsvorschlag aufgenommen werden muss. Das Schutzniveau muss in allen Mitgliedstaaten gleich gestaltet sein. Ein mögliches Opt-out, nach dem der betroffene Staat entscheiden könnte, nicht an der klinischen Prüfung teilzunehmen, ist nicht ausreichend. Wir wollen unser hohes Schutzniveau verankert sehen und uns nicht auf ein Absenken auf ein niedrigeres Niveau einlassen. Das zustimmende Votum einer Ethikkommission muss weiterhin Voraussetzung für den Beginn einer klinischen Prüfung sein. Aus unserer Sicht ist nur so der Schutz der Prüfungsteilnehmer, insbesondere auch der besonders vulnerablen Personengruppen, umfassend zu gewährleisten. Zum Schluss möchte ich noch deutlich machen, dass die besten Regelungen nichts nützen, wenn das dahinterstehende Verfahren untauglich ist. So brauchen wir auch praktikable Regelungen für die Genehmigung der -Prüfung. Hierzu gehört, dass die betroffenen Mitgliedstaaten ausreichend in das Genehmigungsverfahren einbezogen werden. Das derzeit geltende freiwillige Harmonisierungsverfahren bietet dafür eine gute Grundlage. Zudem sind die derzeit im Verordnungsentwurf vorgesehenen Fristen zur Entscheidung über die Genehmigung zu kurz. Sie lassen eine angemessene Bewertung komplexer klinischer Prüfungen und der mit ihnen verbundenen Risiken nicht mehr zu. Daher fordern wir, prakti-kable Fristen in der Verordnung zu verankern. Ich wünsche der Bundesregierung bei ihren Verhandlungen auf EU-Ebene die nötige Durchsetzungskraft, um diese und die weiteren Forderungen unserer Stellungnahme durchsetzen zu können. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Es freut mich außerordentlich, dass wir heute einen fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag beraten, der sich deutlich für den Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln einsetzt. Als die EU-Kommission im Juli letzten Jahres ihren Vorschlag einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über klinische Prüfungen mit -Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG vorlegte, erklang ein lauter Protest vonseiten der Medizin, der Wissenschaft und von den Patientenschützern – zu Recht, wie ich meine. Das erklärte Ziel der neuen Verordnung war es, einen in allen EU-Mitgliedstaaten einheitlich geltenden Rechtsrahmen für die Genehmigung klinischer Prüfungen zu schaffen. Die Mitgliedstaaten hatten die bislang geltende Richtlinie 2001/20/EG sehr unterschiedlich umgesetzt, was die Durchführung einer klinischen Prüfung in mehr als einem Mitgliedstaat erschwert. Das neue Verfahren soll das Genehmigungsverfahren schneller, einfacher und kostengünstiger machen und so die -Attraktivität der Europäischen Union als Standort für klinische Forschung steigern. Diese Absicht ist durchaus zu begrüßen. Klinische Forschung zur Entwicklung neuer Arzneimittel und zur weiteren Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten von Krankheiten ist richtig und notwendig. Jedoch -drohen die geplanten Änderungen das in Deutschland bestehende Schutzniveau für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an klinischen Prüfungen herabzusetzen und verletzen grundlegende ethische Prinzipien. Bei der Umsetzung der heute geltenden Richtlinie mit der zwölften Arzneimittelgesetznovelle im Jahr 2004 und der GCP-Verordnung hat die SPD-geführte Bundesregierung von ihrem Umsetzungsspielraum Gebrauch gemacht. Wir haben zum Schutz von besonders vulnerablen Patientengruppen wie Minderjährigen oder einwilligungsunfähigen Erwachsenen deutliche Grenzen eingezogen. Diese strengen deutschen Regelungen haben dabei keineswegs zu einem Rückgang klinischer Arzneimittelprüfungen bei uns geführt. Im Gegenteil, Deutschland ist einer derjenigen Mitgliedstaaten mit den meisten Anträgen auf Genehmigung einer klinischen Prüfung. Der vorgelegte Verordnungsentwurf senkt jedoch das Schutzniveau für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an klinischen Prüfungen. So sieht er vor, dass nicht einwilligungsfähige Erwachsene ohne vorherige Information und ohne potenziellen Eigen- oder Gruppennutzen in eine klinische Prüfung einbezogen werden können. Auch der Widerspruch von Minderjährigen zur Teilnahme oder Fortsetzung einer Arzneimittelprüfung muss nicht mehr beachtet werden. Eine Öffnungsklausel, -damit Staaten Schutzvorkehrungen für besonders vulnerable Personengruppen einfügen können, ist in der -Verordnung nicht vorgesehen. Diese Änderungen bedeuten eine Instrumentalisierung von Patientinnen und -Patienten, die nicht mit den Grundrechten gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar ist. Weiterhin sieht der Verordnungsentwurf nicht länger das Votum einer unabhängigen, interdisziplinär besetzten Ethikkommission vor. Heute müssen geplante Forschungsvorhaben vor Studienbeginn einer mit Experten und Laien besetzten Ethikkommission zur Beratung, Stellungnahme, Orientierung und Zustimmung vorgelegt werden. Dieses Verfahren ist für den Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Studien unabdingbar. Auch die Bewertungs- und Genehmigungsfristen sollen deutlich verkürzt werden, sodass eine angemessene Bewertung der Risiken und Belastungen für die Studienteilnehmer sowie des wissenschaftlichen Nutzens der klinischen Prüfung fast unmöglich werden. Hinzu kommt, dass erlaubt werden soll, bestimmte schwerwiegende unerwartete Ereignisse aus der Meldepflicht -herauszunehmen. Dadurch verzerrt sich jedoch das Risikoprofil der klinischen Prüfung, und es kann zu gefährlichen Fehleinschätzungen über Risiken kommen. Zuletzt ist vorgesehen, dass allein der Sponsor einer klinischen Prüfung den Mitgliedstaat bestimmen darf, in welchem die Bewertung von Anträgen zur Genehmigung stattfindet. Auch falls größere Teile der Untersuchung in anderen EU-Staaten stattfinden, haben diese fast keine Einflussmöglichkeiten und Mitspracherechte. Daher ist es richtig, dass sich Ärzte, Forscher und Patientenverbände vehement gegen diese Änderungen ausgesprochen haben. Die Fraktionen des Deutschen Bundestages setzen sich mit diesem Antrag dafür ein, dass das in Deutschland -bestehende und grundrechtlich gebotene Schutzniveau für Prüfungsteilnehmerinnen und -teilnehmer in den Verordnungsvorschlag aufgenommen wird. Dabei sind insbesondere Minderjährige sowie nicht einwilli-gungs-fähige Erwachsene besonders zu berücksichtigen. Es darf keine Verschiebung bei der Nutzen-Risiko-Abwägung zwischen individuellem Nutzen und dem Nutzen für die öffentliche Gesundheit zulasten der Prüfungsteilnehmerinnen und Prüfungsteilnehmer geben. Wir fordern, dass die unabhängigen, interdisziplinär besetzten Ethikkommissionen weiterhin in das Genehmigungsverfahren einbezogen werden. Es bleibt dabei, dass eine Genehmigung für eine klinische Prüfung nur dann erteilt wird, wenn die Ethikkommission die Anforderungen zum Schutz der Prüfungsteilnehmerinnen und Prüfungsteilnehmer und die ärztliche Vertretbarkeit -zustimmend bewertet hat. Dazu wird ihr auch weiterhin eine praktikable Frist eingeräumt. Schwerwiegende -unerwünschte Ereignisse, die während der klinischen Prüfung auftreten, müssen zudem auch zukünftig ausnahmslos gemeldet werden. Wir wollen, dass der berichterstattende Mitgliedstaat nicht der Wahl des Sponsors überlassen wird; stattdessen wird der Berichterstatter nach einem festgelegten, nachvollziehbaren und transparenten Verfahren bestimmt, das bei klinischen Prüfungen in mehreren Ländern auch die übrigen betroffenen Mitgliedstaaten ausreichend einbezieht. Mit unserem einheitlichen Votum für diesen Entschließungsantrag setzen wir ein deutliches Zeichen. Die Bundesregierung kann mit einem klaren Auftrag in die weiteren Verhandlungen gehen. Der Deutsche Bundestag spricht sich mit einer Stimme für den Schutz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an klinischen Prüfungen aus. Dadurch honorieren wir den wichtigen Beitrag, den diese Menschen zur Entwicklung neuer Arzneimittel und zur Verbesserung bestehender Therapien leisten. Jens Ackermann (FDP): Für die Bürgerinnen und Bürger ist die Qualität der klinischen Prüfungen von hoher Wichtigkeit, da sie von einer optimalen medizinischen Versorgung profitieren sollen. Die Rahmenbedingungen hierfür muss die Politik vorgeben. Am 17. Juli 2012 veröffentlichte die Kommission einen Verordnungsvorschlag über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln. Ziel der Verordnung ist die Schaffung eines einheitlichen Rechtsrahmens, um damit eine durchgängige Harmonisierung der Anforderungen an klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln zu erzielen. Nach der Evaluierung der Richtlinie von 2001 stellte die Kommission fest, dass die Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ist; insbesondere bei der Durchführung multinationaler klinischer Prüfungen gibt es Probleme. Klinische Prüfungen mit Patientinnen und Patienten und Probandinnen und Probanden sind notwendig, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten und medizinischen Interventionen zu überprüfen. Die von der Kommission benannten Probleme im Verordnungsentwurf treffen auf Deutschland nicht zu; darin sind sich alle Beteiligten einig. Der Gesetzgeber hat die Richtlinie 2004 mit dem Zwölften Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes und der Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen, der sogenannten GCP-Verordnung, umgesetzt. Dabei hat die damalige Regierung von der Möglichkeit des Umsetzungspielraums Gebrauch gemacht, um die Probandinnen und Probanden stärker als auf europäischer Ebene vorgesehen zu schützen. Dies ist besonders bei vulnerablen Personengruppen wie Minderjährigen oder nicht einwilligungs-fähigen Erwachsenen erkennbar. Hier hat der Gesetzgeber richtigerweise damals Grenzen gezogen. Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass sowohl die Aufklärung als auch die Behandlung nur ein Arzt durchführen darf. Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger muss oberste Priorität haben. In Deutschland besteht also seit der Umsetzung der Richtlinie im Jahr 2004 ein bewährter Rechtsrahmen sowohl für die Probanden als auch für die Sponsoren, die man in dieser Debatte auch nicht außer Acht lassen darf. Der Sponsor, der auch für den organisatorischen Ablauf zuständig ist, trägt die volle Verantwortung sowie das unternehmerische Risiko. Es ist also bei den hohen Anforderungen geboten, hier passende Bürokratiehürden anzubieten. Der von der Kommission ausgeführte Reformbedarf der Richtlinie ist auf Deutschland nicht übertragbar. Wir haben keinen Rückgang an klinischen Prüfungen nach der Umsetzung der Richtlinie verzeichnen können. Im Gegenteil: In Deutschland wurden seit der Umsetzung 2004 vergleichsweise sehr viele Anträge auf Genehmigung einer klinischen Prüfung gestellt. Wir haben fraktionsübergreifend innerhalb des Gremiums große Bedenken zum Verordnungsentwurf der Kommission geäußert. Diese spiegeln sich im heute zu beratenden Antrag wieder. Die Wünsche aus Europa sind ja schön und gut. Jedoch haben wir an dieser Stelle weitergehende Regelungen, die wir nicht aufgeben dürfen. Vielmehr muss es in unserem Interesse sein, die vorliegende Verordnung zu verbessern. Ich freue mich sehr, dass wir als Regierungsfraktionen zusammen mit der Opposition und in guter Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Gesundheit Vorschläge zur Verbesserung der Richtlinie vorlegen konnten, die unsere Bedenken zum Verordnungsentwurf aufzeigten. Es kommt schließlich auf das Ergebnis an: Der Schutz der Probandinnen und Probanden ist und bleibt oberstes Gebot. Die Regelungen in Deutschland haben sich bewährt, einerseits für die Probandinnen und Probanden mit hohen Sicherheitsforderungen, andererseits auch für die Sponsoren, die in Deutschland sehr gute Bedingungen für klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln vorfinden. Hier benötigen wir auch praktikable Fristen für die Genehmigungen. Der Vorschlag der Kommission hat aus unserer Sicht entscheidende Mängel: Die Regelungen bieten den Probandinnen und Probanden keinen ausreichenden Schutz; besonders gilt dies für Minderjährige. Hier fordern wir Nachbesserungen insbesondere für Minderjährige und nicht einwillungsfähige Erwachsene. Diese sollen, wenn sie dazu in der Lage sind, mit angehört werden. Das heißt: Man benötigt dann neben der Entscheidung des gesetzlichen Vertreters auch die Zustimmung des Probanden. Gegenüber klinischen Prüfungen an Kindern brauchen wir gesonderte Regelungen. Prüfungen mit kranken Kindern müssen an besondere Bedingungen geknüpft sein. Das heißt: minimale Risiken, minimale Belastungen. Generell müssen die Aufklärung sowie die Behandlung von einem Arzt durchgeführt werden. Die klinischen Prüfungen dürfen auch nur beginnen, wenn die vorhersehbaren Risiken und Belastungen von Ärzten als vertretbar eingeschätzt werden. Genauso muss die Ethikkommission unabhängig und interdisziplinär besetzt werden, da dieses Gremium über die Genehmigung klinischer Prüfungen entscheidet. Stark zu kritisieren ist auch die Tatsache, dass nun allein der Sponsor das Berichtsland des Mitgliedstaates bestimmen sollte. Hier fordern wir, dass der berichtende Mitgliedstaat in einem transparenten Verfahren bestimmt wird. Zudem muss der Sponsor einen gesetzlichen Vertreter in einem Mitgliedsland der EU haben: ein sehr wichtiger Schritt, um Rechtssicherheit gewährleisten zu können. Deshalb sollte für eine lückenlose Dokumentation der Antrag auch möglichst in englischer Sprache eingereicht werden. Die Mitgliedstaaten sind im Kommissionsvorschlag zur Einrichtung eines Entschädigungsmechnismus verpflichtet. Hier fordern wir, dass den Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum für die Absicherung der Probandinnen und Probanden eingeräumt wird. Es ist also, wie Sie sehen, noch viel Änderungsbedarf vorhanden. Diesem Bedarf wird der vorliegende Antrag gerecht. Ich fasse für Sie noch einmal die Kernforderungen des interfraktionellen Antrages zusammen. Wir fordern: verbesserte Schutzregeln besonders für Minderjährige und nicht einwillungsfähige Erwachsene und eine unabhängig und interdisziplinär besetzte Ethikkommission, die über die Genehmigungen klinischer Prüfungen entscheidet. Die Wahl für das berichterstattende Land muss in einem festgelegten, nachvollziehbaren und transparenten Verfahren erfolgen und nicht durch den Sponsor. Wir fordern weiter, dass der Prüfplan und die Prüf-informationen für eine EU-weit einheitliche Fassung möglichst in englischer Sprache einzureichen sind und praktikable Fristen über die Genehmigung klinischer Prüfungen. Der wichtigste Punkt: Es darf keine Risikoverschiebung zulasten der Probanden geben. Ich hoffe im Interesse der Patientinnen und Patienten sowie der Probandinnen und Probanden sehr, dass die Bundesregierung sich mit unseren Forderungen in den weiteren Verhandlungen zur Verordnung durchsetzen wird. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Verordnungsvorschlag der EU-Kommission, die Regelungen für klinische Arzneimittelprüfungen zu vereinheitlichen, hat erhebliche Mängel. Diese müssen in den Verhandlungen der Mitgliedstaaten und vom Europäischen Parlament im Gesetzgebungsverfahren behoben werden. Ohne Änderungen könnte es beispielsweise sein, dass nicht einwilligungsfähige Patientinnen und Patienten nicht nur minimale, sondern größere Risiken zu tragen hätten, ohne dass ein Nutzen für sie zu erwarten ist. Das ist aus meiner Sicht nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der EU vereinbar. Wir sind uns in Bundestag und Bundesrat einig, dass wir uns am geltenden deutschen Arzneimittelrecht orientieren sollten. Dieses legt deutlich höhere Schutzstandards, insbesondere für Kinder und nicht einwilligungsfähige Erwachsene, fest, als von der EU-Kommission geplant. Ebenso unverzichtbar ist, dass eine Zustimmung einer unabhängigen interdisziplinären Ethikkommission Voraussetzung für die Durchführung solcher Studien ist. Die bestehende Richtlinie 2001/20/EG wurde in Deutschland 2004 unter Rot-Grün in nationales Recht umgesetzt. Dabei haben wir bestehende Umsetzungsspielräume genutzt. Für eine der Regelungen wurden wir damals deutlich kritisiert: dass wir unter der Voraussetzung, dass nur minimale Risiken und minimale Belastungen zu erwarten sind, bei Minderjährigen klinische Prüfungen auch dann erlaubt haben, wenn kein eigener Nutzen, sondern nur ein Gruppennutzen zu erwarten ist. Heute wären manche – die damals ein absolutes Verbot forderten – froh, wenn eine solche Regelung in allen Forschungsbereichen gelten würde. Union und FDP haben die 12. AMG-Novelle damals abgelehnt. So falsch konnte das, was damals beschlossen wurde, aber doch nicht sein, wenn wir alle heute so positiv auf die dortigen Regelungen Bezug nehmen. Es ist uns damals gelungen, Regelungen zu verabschieden, die sich sowohl hinsichtlich des Schutzes von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an klinischen Prüfungen als auch aus der Sicht der Sponsoren klinischer Arzneimittel-forschung bewährt haben. Dies lässt sich auch daran ablesen, dass es in Deutschland – im Gegensatz zur EU-weiten Entwicklung – nicht zu einem Rückgang von Arzneimittelstudien gekommen ist. Wie bereits gesagt, es gibt keine inhaltlichen Differenzen; alle im Bundestag vertretenen Fraktionen sind sich einig. Dennoch liegen uns nun zwei wortidentische Anträge vor. Dass die Union keine Anträge gemeinsam mit der Linken stellt, ist ihre Entscheidung. Schwer nachvollziehen kann ich jedoch, dass dies auch für bioethische Fragestellungen gilt. Bei strittigen Bioethik-themen kooperieren wir quer durch alle Fraktionen. Aber wenn wir uns einig sind, darf dies nicht sein. Da fehlt mir das Verständnis. Der Bundesrat fordert in seiner Stellungnahme, dass auch die damals von uns Grünen eingebrachte Vorgabe der angemessenen Einbeziehung von Frauen in klinische Arzneimittelstudien in die EU-Verordnung aufgenommen werden solle. Das kann ich nur unterstützen. Aber dies reicht nicht aus. Bereits unter Rot-Grün wollten wir mehr. Wir Grünen setzen uns dafür ein, dass in die EU-Verordnung Regelungen aufgenommen werden, die geschlechtsspezifische Auswertungen nicht nur möglich machen, sondern auch sicherstellen, dass diese tatsächlich durchgeführt werden. Erst dann kann in Zukunft gewährleistet werden, dass Frauen die richtige Arzneimitteltherapie erhalten. Wir halten aus gutem Grund die Einbeziehung der Ethikkommissionen hoch; aber wir hören auch, dass es vor Ort große Unterschiede bei der Professionalität gibt. Hier wünsche ich mir, dass die Bundesländer, bei denen die Regelungskompetenzen größtenteils liegen, gemeinsam an einer Optimierung arbeiten. Anlagen 1Anlagen 3 bis 6 2Ergebnis Seite 27085 C 3Anlage 7 4Anlage 8 5 Anlage 9 6 Anlage 10 7Anlage 12 8Anlage 11 9 Anlage 14 10Anlage 13 11Anlage 15 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 219. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 31. Januar 2013 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 219. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 31. Januar 2013 27135 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 27358 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 219. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 31. Januar 2013 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 219. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 31. Januar 2013 27359