Plenarprotokoll 17/234 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 234. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. April 2013 I n h a l t : Nachruf auf den Abgeordneten Ottmar Schreiner Wahl des Herrn Heinz-Joachim Aris als Mitglied und der Frau Barbara Traub als stellvertretendes Mitglied des Stiftungsrates „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ Wahl des Abgeordneten Paul Schäfer als Schriftführer Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung Absetzung der Tagesordnungspunkte 7, 11, 16 und 24 Nachträgliche Ausschussüberweisung Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen: Sicherung der Stabilität der Euro-Zone – Finanzhilfe für Zypern b) Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes im Rahmen der Haftungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Drucksache 17/13060) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) Otto Fricke (FDP) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Dr. Michael Meister (CDU/CSU) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Frank Schäffler (FDP) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) Otto Fricke (FDP) Norbert Barthle (CDU/CSU) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Heike Hänsel (DIE LINKE) Joachim Spatz (FDP) Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) Michael Stübgen (CDU/CSU) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Sevim Da?delen (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Alexander Ulrich (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Annette Groth (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Heike Hänsel (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) Namentliche Abstimmungen Ergebnisse Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Ekin Deligöz, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbindliche Quote für Aufsichtsräte einführen (Drucksache 17/13094) b) – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG) (Drucksachen 17/11270, 17/12784) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Eva Högl, Christel Humme, Elke Ferner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen (ChGlFöG) (Drucksachen 17/8878, 17/12784) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Eva Högl, Sebastian Edathy, Ingo Egloff, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Renate Künast, Ekin Deligöz, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG) (Drucksachen 17/11139, 17/12784) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Quote für Aufsichtsratsgremien börsennotierter Unternehmen einführen (Drucksachen 17/797, 17/1274) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Volker Kauder (CDU/CSU) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Volker Kauder (CDU/CSU) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) Nicole Bracht-Bendt (FDP) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ Dr. Eva Högl (SPD) Marco Buschmann (FDP) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) Caren Marks (SPD) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Rita Pawelski (CDU/CSU) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) Dagmar Ziegler (SPD) (Erklärung nach § 31 GO) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 42: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksache 17/12856) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 189 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 16. Juni 2011 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte (Drucksache 17/12951) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 8. November 2001 zum Schutz des audiovisuellen Erbes und zu dem Protokoll vom 8. November 2001 zum Europäischen Übereinkommen zum Schutz des audiovisuellen Erbes betreffend den Schutz von Fernsehproduktionen (Drucksache 17/12952) d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abkommens vom 11. April 1955 über die Internationale Finanz-Corporation (Drucksache 17/12953) e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Juli 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Nachnutzung der ehemaligen deutsch-österreichischen gemeinschaftlichen Grenzzollämter (Drucksache 17/12954) f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (Drucksache 17/12955) g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung der Zuständigkeiten der Länder im Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung nach dem Dritten Teil des Soldatenversorgungsgesetzes auf den Bund (Drucksache 17/12956) h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes (Drucksache 17/12957) i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Cookinseln über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch (Drucksache 17/12958) j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Februar 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Grenada über den Informationsaustausch in Steuersachen (Drucksache 17/12959) k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz – KJVVG) (Drucksache 17/13023) l) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 259/2012 (Drucksache 17/13024) m) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes (Drucksache 17/13025) n) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksache 17/13026) o) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes (Drucksache 17/13027) p) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrsleistungsgesetzes (Drucksache 17/13028) q) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Luftverkehrsrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 der Kommission vom 3. November 2011 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 (Drucksache 17/13029) r) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. September 1996 über die Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt (Drucksache 17/13030) s) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 (Drucksache 17/13031) t) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Schiffsunfalldatenbankgesetzes (SchUnfDatG) (Drucksache 17/13032) u) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Seearbeitsübereinkommen 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Februar 2006 (Drucksache 17/13059) v) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze (Drucksache 17/13061) w) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt (Drucksache 17/13062) x) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (Drucksache 17/13083) y) Antrag der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellen (Drucksache 17/12847) z) Antrag der Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Karl Schiewerling, Paul Lehrieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Sebastian Blumenthal, Heinz Golombeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine humane Arbeitswelt – Psychische Gesundheit auch am Arbeitsplatz stärken (Drucksache 17/13088) aa) Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Forschungs- und Innovationsförderung des Bundes nachhaltig gestalten – Transparenz und Partizipation der Zivilgesellschaft ausbauen (Drucksache 17/13090) Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Jerzy Montag, Agnes Krumwiede, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verhandlung auf Augenhöhe – Das Urhebervertragsrecht reformieren (Drucksache 17/12625) b) Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer (Altötting), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Joachim Günther (Plauen), Dr. Lutz Knopek, Hans-Werner Ehrenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Daniela Wagner, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren (Drucksache 17/13091) c) Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren (Drucksache 17/13092) d) Antrag der Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechte der Mieterinnen und Mieter stärken (Drucksache 17/13098) e) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Hightech-Strategie 2020 für Deutschland – Bilanz und Perspektiven – Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2013 (Drucksache 17/13075) Tagesordnungspunkt 43: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Anti-D-Hilfegesetzes (Drucksachen 17/5521, 17/13066 (neu)) b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im notariellen Beurkundungsverfahren (Drucksachen 17/12035, 17/13137) c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Finanz- und Personalstatistikgesetzes (Drucksachen 17/12640, 17/13114) d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: EU-Bildungsprogramme modernisieren und ausbauen – Mobilität und Austausch im Lebenslangen Lernen für eine integrationsfördernde europäische Bildungspolitik erweitern (Drucksachen 17/9575, 17/13078) Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Landbeschaffungsgesetz überprüfen (Drucksachen 17/12195, 17/12741) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen-Claudio Lemme, Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Betroffenen Frauen nach dem Anti-D-Hilfegesetz zu mehr Verfahrenssicherheit und Transparenz verhelfen (Drucksachen 17/10645, 17/13138) Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Anhaltender Handlungsbedarf beim Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung Joachim Poß (SPD) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Dr. Volker Wissing (FDP) Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Martin Gerster (SPD) Dr. Birgit Reinemund (FDP) Manfred Zöllmer (SPD) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) Dr. Carsten Sieling (SPD) Manfred Kolbe (CDU/CSU) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 3: a) Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“: Schlussbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ (Drucksache 17/12550) b) Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“: Dritter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ – Urheberrecht (Drucksache 17/7899) c) Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“: Vierter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ – Netzneutralität (Drucksache 17/8536) d) Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“: Fünfter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ – Datenschutz, Persönlichkeitsrechte (Drucksache 17/8999) e) Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“: Sechster Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ – Bildung und Forschung (Drucksache 17/12029) f) Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“: Siebter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ – Demokratie und Staat (Drucksache 17/12290) g) Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“: Achter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ – Wirtschaft, Arbeit, Green IT (Drucksache 17/12290) h) Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“: Neunter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ – Zugang, Struktur und Sicherheit im Netz (Drucksache 17/12541) i) Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“: Zehnter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ – Interoperabilität, Standards, Freie Software (Drucksache 17/12495) j) Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“: Elfter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ – Internationales und Internet Governance (Drucksache 17/12480) k) Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“: Zwölfter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ – Verbraucherschutz (Drucksache 17/12540) l) Bericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“: Dreizehnter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale -Gesellschaft“ – Kultur, Medien und Öffentlichkeit (Drucksache 17/12542) Jens Koeppen (CDU/CSU) Lars Klingbeil (SPD) Jimmy Schulz (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Thomas Jarzombek (CDU/CSU) Brigitte Zypries (SPD) Manuel Höferlin (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) Gerold Reichenbach (SPD) Sebastian Blumenthal (FDP) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Anette Kramme, Gabriele Hiller-Ohm, Gabriele Lösekrug-Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Mehr Zeitsouveränität für Beschäftigte – Teilzeitarbeit gestalten (Drucksache 17/13084) Anette Kramme (SPD) Ulrich Lange (CDU/CSU) Jutta Krellmann (DIE LINKE) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) Andrea Nahles (SPD) Ulrich Lange (CDU/CSU) Pascal Kober (FDP) Gitta Connemann (CDU/CSU) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken (Drucksache 17/13057) b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Verbraucherschutzes bei unerlaubter Telefonwerbung (Drucksache 17/6482) c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Renate Künast, Jürgen Trittin, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Eindämmung des Missbrauchs des Abmahnwesens (Drucksache 17/12620) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Caren Lay (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Günter Krings (CDU/CSU) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Kerstin Tack (SPD) Mechthild Heil (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wohn- und Mietensituation von Studierenden verbessern (Drucksache 17/11696) Nicole Gohlke (DIE LINKE) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) Karl Holmeier (CDU/CSU) Michael Groß (SPD) Sebastian Körber (FDP) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Tagesordnungspunkt 9: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Tourismus – zu dem Antrag der Abgeordneten Marlene Mortler, Ingbert Liebing, Dr. Michael Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Horst Meierhofer, Jens Ackermann, Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Tourismus in ländlichen Räumen – Potenziale erkennen, Chancen nutzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Elvira Drobinski-Weiß, Hans-Joachim Hacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Tourismus in ländlichen Räumen durch schlüssiges Gesamtkonzept stärken (Drucksachen 17/9570, 17/9571, 17/12573) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Tourismus zu dem Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sozial und regional – Tourismus in ländlichen Räumen stärken (Drucksachen 17/11373, 17/12926) Horst Meierhofer (FDP) Heinz Paula (SPD) Ingbert Liebing (CDU/CSU) Thomas Lutze (DIE LINKE) Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Christian Hirte (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (1. WissZeitVG-ÄndG) (Drucksache 17/12531) Swen Schulz (Spandau) (SPD) Tankred Schipanski (CDU/CSU) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Florian Hahn (CDU/CSU) Zusatztagesordnungspunkt 6: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Neunzehntes Hauptgutachten der Mono-polkommission     2010/2011  (Drucksache 17/10365): hier: Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksache 17/12940) Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ute Koczy, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Menschenrechtslage und humanitäre Situation in der Westsahara verbessern und Klärung des völkerrechtlichen Status voranbringen (Drucksachen 17/12822, 17/13144) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ute Koczy, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur Westsahara und zur Menschenrechtslage in den vom Königreich Marokko und von der Frente Popular de Liberacion de Saguía el Hamra y Río de Oro kontrollierten Gebieten (Drucksache 17/11453) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Sevim Da?delen, Annette Groth, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Marokkos in der Westsahara und Lösung des Konflikts durch Referendum unterstützen (Drucksache 17/13089) Tagesordnungspunkt 13: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) (Drucksachen 17/12816, 17/13142) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Begleitgesetzgebung zum Vertrag von -Lissabon konsequent anwenden – Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union weiter stärken (Drucksachen 17/8137, 17/13142) Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Michalk, Karl Schiewerling, Paul Lehrieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Molitor, Dr. Heinrich L. Kolb, Sebastian Blumenthal, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen – zu dem Antrag der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben), Anette Kramme, Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung (Drucksachen 17/12180, 17/9931, 17/9758, 17/12770) Tagesordnungspunkt 15: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung eines Altersgelds für freiwillig aus dem Bundesdienst ausscheidende Beamte, Richter und Soldaten (Drucksachen 17/12479, 17/13132) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/13135) Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Memet Kilic, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gesellschaftliche Vielfalt in der Bundeswehr anerkennen (Drucksache 17/13095) Markus Grübel (CDU/CSU) Lars Klingbeil (SPD) Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen (Drucksache 17/13086) Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Parlamentsbeteiligung bei globaler Umwelt-Governance verbessern (Drucksache 17/12734) Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Teilhabe ermöglichen – Forschung und Entwicklung von Technologien und Design für alle intensivieren (Drucksache 17/13085) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) Oliver Kaczmarek (SPD) Dr. Peter Röhlinger (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 20: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der elek-tronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften (Drucksachen 17/11473, 17/13139) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/13140) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Agnes Alpers (DIE LINKE) Gerold Reichenbach (SPD) Manuel Höferlin (FDP) Jan Korte (DIE LINKE) Clemens Binninger (CDU/CSU) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zugänge schaffen und Teilhabe erleichtern – Die Einfache Sprache in Deutschland fördern (Drucksache 17/12724) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) Oliver Kaczmarek (SPD) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Patrick Meinhardt (FDP) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 22: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung (Drucksache 17/13079) b) Antrag der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Keine überhöhten Säumniszuschläge bei Beitragsschulden (Drucksache 17/12069) Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Umfassende Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung ermöglichen – UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen (Drucksachen 17/9190, 17/12915) Eberhard Gienger (CDU/CSU) Mechthild Heil (CDU/CSU) Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) Brigitte Zypries (SPD) Nicole Bracht-Bendt (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz (Drucksache 17/13021) Tagesordnungspunkt 29: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Gerd Bollmann, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Rücknahmepflicht der Händler für Alt-Energiesparlampen durchsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothea Steiner, Oliver Krischer, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sammlung und Recycling von Elektronikschrott verbessern (Drucksachen 17/9058, 17/8899, 17/10866) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) Gerd Bollmann (SPD) Horst Meierhofer (FDP) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Familienpflegezeit und zum flexibleren Eintritt in den Ruhestand für Beamtinnen und Beamte des Bundes (Drucksachen 17/12356, 17/13133) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Wolfgang Gunkel (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Roland Claus, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Fortsetzung der Braunkohlesanierung in den Ländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach dem Jahr 2012 (Drucksachen 17/3046, 17/5964) Jens Koeppen (CDU/CSU) Dr. Michael Luther (CDU/CSU) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) Heinz-Peter Haustein (FDP) Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 30: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Professorenbesoldung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften (Professorenbesoldungsneuregelungsgesetz) (Drucksachen 17/12455, 17/12662, 17/13134) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Wolfgang Gunkel (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Frank Tempel (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bienen und andere Insekten vor Neonicotinoiden schützen (Drucksachen 17/12695, 17/13068) Tagesordnungspunkt 32: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des gesetzlichen Messwesens (Drucksachen 17/12727, 17/13115) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) Doris Barnett (SPD) Birgit Homburger (FDP) Michael Schlecht (DIE LINKE) Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Thomas Nord, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Einführung von Volksabstimmungen bei Neufassung oder Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union (Drucksache 17/11371) Thomas Dörflinger (CDU/CSU) Michael Roth (Heringen) (SPD) Oliver Luksic (FDP) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 34: – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 98 a) (Drucksachen 17/1468, 17/13136) – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare (Drucksachen 17/1469, 17/13136) Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) Burkhard Lischka (SPD) Mechthild Dyckmans (FDP) Jens Petermann (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Volker Beck (Köln), Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konsequente Umsetzung des Public Corporate Governance Kodex (Drucksachen 17/9984, 17/12740) Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern (Drucksache 17/13022) Michael Frieser (CDU/CSU) Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 33: Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Karin Binder, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ressourcenschutz durch Vorgabe einer Mindestnutzungsdauer für technische Produkte (Drucksache 17/13096) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) Gerd Bollmann (SPD) Horst Meierhofer (FDP) Ralph Lenkert (DIE LINKE) Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu den namentlichen Abstimmungen über die Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes im Rahmen der Haftungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Tagesordnungspunkt 4 b) Veronika Bellmann (CDU/CSU) Christine Buchholz (DIE LINKE) Marco Bülow (SPD) Alexander Funk (CDU/CSU) Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Monika Lazar und Beate Müller-Gemmeke (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu den namentlichen Abstimmungen über die Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes im Rahmen der Haftungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Tagesordnungspunkt 4 b) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Peter Danckert, Ewald Schurer und Rolf Schwanitz (alle SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes im Rahmen der Haftungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Tagesordnungspunkt 4 b) Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kerstin Andreae, Cornelia Behm, Birgitt Bender, Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel, Katja Dörner, Harald Ebner, Hans-Josef Fell, Dr. Thomas Gambke, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn), Memet Kilic, Sven-Christian Kindler, Ute Koczy, Tom Koenigs, Oliver Krischer, Markus Kurth, Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Friedrich Ostendorff, Lisa Paus, Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Tressel, Arfst Wagner (Schleswig), Dr. Valerie Wilms, Josef Philip Winkler (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Heinz-Joachim Barchmann, Elke Ferner, Dietmar Nietan, Manfred Nink, Axel Schäfer (Bochum) und Frank Schwabe (alle SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes im Rahmen der Haftungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Tagesordnungspunkt 4 b) Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG) (Tagesordnungspunkt 4 b) Christine Buchholz (DIE LINKE) Ingrid Fischbach (CDU/CSU) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Monika Grütters (CDU/CSU) Katharina Landgraf (CDU/CSU) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) Karin Maag (CDU/CSU) Marco Wanderwitz (CDU/CSU) Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Veronika Bellmann, Dr. Maria Böhmer, Ursula Heinen-Esser und Nadine Schön (St. Wendel) (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG) (Tagesordnungspunkt 4 b) Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Maria Flachsbarth, Dr. Ursula von der Leyen und Rita Pawelski (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG) (Tagesordnungspunkt 4 b) Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Karin Binder, Heidrun Dittrich, Dr. Dagmar Enkelmann, Inge Höger, Ulla Jelpke, Dorothée Menzner, Cornelia Möhring, Kathrin Vogler und Johanna Voß (alle DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf -eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG) (Tagesordnungspunkt 4 b) Anlage 10 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Anti-D-Hilfegesetzes (Tagesordnungspunkt 43 a) Steffen-Claudio Lemme (SPD) Dr. Marlies Volkmer (SPD) Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Menschenrechtslage und humanitäre Situation in der Westsahara verbessern und Klärung des völkerrechtlichen Status voranbringen – Große Anfrage: Haltung der Bundesregierung zur Westsahara und zur Menschenrechtslage in den vom Königreich Marokko und der Frente Popular de Liberacion de Saguía el Hamra y Río de Oro kontrollierten Gebiet en – Antrag: Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Marokkos in der Westsahara und Lösung des Konflikts durch Referendum unterstützen (Tagesordnungspunkt 12 und Zusatztagesordnungspunkte 7 und 8) Frank Heinrich (CDU/CSU) Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) Marina Schuster (FDP) Sevim Da?delen (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) (Tagesordnungspunkt 13) Gunther Krichbaum (CDU/CSU) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Christian Lange (Backnang) (SPD) Brigitte Zypries (SPD) Joachim Spatz (FDP) Alexander Ulrich (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen – Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen – Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung (Tagesordnungspunkt 14) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Maria Michalk (CDU/CSU) Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Gabriele Molitor (FDP) Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung eines Altersgelds für freiwillig aus dem Bundesdienst ausscheidende Beamte, Richter und Soldaten (Tagesordnungspunkt 15) Florian Hahn (CDU/CSU) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Frank Tempel (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen (Tagesordnungspunkt 17) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Ingo Egloff (SPD) Jimmy Schulz (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Parlamentsbeteiligung bei globaler Umwelt-Governance verbessern (Tagesordnungspunkt 18) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) Josef Göppel (CDU/CSU) Frank Schwabe (SPD) Michael Kauch (FDP) Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung – Antrag: Keine überhöhten Säumniszuschläge bei Beitragsschulden (Tagesordnungspunkt 22) Karin Maag (CDU/CSU) Jens Spahn (CDU/CSU) Dr. Karl Lauterbach (SPD) Harald Weinberg (DIE LINKE) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ulrike Flach, Parl. Staatssekretärin BMG Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz (Tagesordnungspunkt 26) Ulrich Lange (CDU/CSU) Martin Burkert (SPD) Werner Simmling (FDP) Sabine Leidig (DIE LINKE) Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVBS Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung: Neunzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2010/2011 (Zusatztagesordnungspunkt 6) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) Ingo Egloff (SPD) Johanna Voß (DIE LINKE) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär BMWi Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bienen und andere Insekten vor Neonicotinoiden schützen (Zusatztagesordnungspunkt 9) Josef Rief (CDU/CSU) Gustav Herzog (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Konsequente Umsetzung des Public Corporate Governance Kodex (Zusatztagesordnungspunkt 10) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) Ingo Egloff (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Ulla Lötzer (DIE LINKE) Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Inhaltsverzeichnis 234. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. April 2013 Beginn: 9.01 Uhr Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben. Der Deutsche Bundestag trauert um sein langjähriges Mitglied Ottmar Schreiner, der am 6. April gestorben ist. Er wurde 67 Jahre alt. Ottmar Schreiner, Saarländer von Geburt und aus Überzeugung, errang erstmals 1980 ein Mandat. Seither gehörte er dem Deutschen Bundestag an, 32 Jahre ohne Unterbrechung als Mitglied der SPD-Fraktion. Die meisten von uns haben also nie einen anderen Bundestag kennengelernt als einen, in dem Ottmar Schreiner seine Stimme erhob, insbesondere und immer wieder für diejenigen, die es im Leben nicht leicht haben. Keine Frage: Sein Herz schlug links. Er selbst hat das einmal so formuliert: „Ich habe diesen Gerechtigkeitsimpuls mit der Muttermilch mitbekommen.“ Als Kind habe er mit seiner Familie „ein Leben an der Armutsgrenze“ geführt, hat er selbst einmal in einem Interview erklärt. Diesem Impuls ist Ottmar Schreiner sein gesamtes politisches und parlamentarisches Leben gefolgt, mit ebenso viel Hartnäckigkeit wie Enthusiasmus. Peter Altmaier hat das in einem sehr persönlichen Nachruf auf seinen Wahlkreiskollegen folgendermaßen auf den Punkt gebracht – ich zitiere –: Vor allem aber war er Sozialpolitiker und Sozialdemokrat, und zwar in dieser Reihenfolge. Das war für seine Partei nicht immer bequem und für ihn ganz gewiss auch nicht. Ottmar Schreiner hatte nicht nur eine klare Position, er konnte sie auch leidenschaftlich vermitteln. Er setzte sich früh dafür ein, dass aus der Marktwirtschaft keine Marktgesellschaft wird. Immer wieder warnte er vor den negativen Folgen, wenn Märkte sich in Bereiche ausdehnen, wo sie nach seiner Überzeugung nicht hingehören. Früher als andere wies er auch auf die Gefahr hin, die von einer Verselbstständigung der Kapitalmärkte ausgeht. Ottmar Schreiner war ein Kollege, der über die Fraktionsgrenzen hinaus geschätzt war, aufgrund seiner Gradlinigkeit, seiner Verlässlichkeit. Er wird uns fehlen. Ihm gebühren unser Respekt und unsere Dankbarkeit für das, was er in diesem Haus über Jahrzehnte hinweg geleistet hat. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Seinen Angehörigen spreche ich im Namen des ganzen Hauses unsere Anteilnahme aus. Ich danke Ihnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen vor Eintritt in die Tagesordnung eine Wahl zum Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung durchführen. Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien hat mitgeteilt: Das vom Zentralrat der Juden benannte Mitglied Lala Süsskind ist ausgeschieden. Dafür wird der bisherige Stellvertreter, Heinz-Joachim Aris, als Nachfolger vorgeschlagen. Als nachfolgendes stellvertretendes Mitglied wird Frau Barbara Traub benannt. Nach § 19 des entsprechenden Gesetzes müssen auch die von anderen Stellen vorgeschlagenen Mitglieder des Stiftungsrates vom Deutschen Bundestag bestätigt werden. Deshalb darf ich Sie fragen, ob Sie mit diesem Vorschlag einverstanden sind. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Herr Aris ist als Mitglied und Frau Traub als stellvertretendes Mitglied des Stiftungsrates gewählt. Darüber hinaus müssen wir auch noch eine Schriftführerwahl durchführen. Die Fraktion Die Linke schlägt vor, für den Kollegen Harald Weinberg den Kollegen Paul Schäfer als Schriftführer zu wählen. Sind Sie auch mit diesem Vorschlag einverstanden? – Das ist offenkundig der Fall. Damit ist der Kollege Paul Schäfer als neuer Schriftführer gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Mehr Geld für Hochschulen – Aufstockung des Hochschulpakts für über 600 000 zusätzliche Studienplätze (siehe 233. Sitzung) ZP 2 a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen Sicherung der Stabilität der Euro-Zone – Finanzhilfe für Zypern b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes im Rahmen der Haftungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes – Drucksache 17/13060 – ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Ergänzung zu TOP 42 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea Rößner, Jerzy Montag, Agnes Krumwiede, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verhandlung auf Augenhöhe – Das Urhebervertragsrecht reformieren – Drucksache 17/12625 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer (Altötting), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Joachim Günther (Plauen), Dr. Lutz Knopek, Hans-Werner Ehrenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Daniela Wagner, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren – Drucksache 17/13091 – Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Innenausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren – Drucksache 17/13092 – Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Innenausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechte der Mieterinnen und Mieter stärken – Drucksache 17/13098 – Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Innenausschuss e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Hightech-Strategie 2020 für Deutschland – Bilanz und Perspektiven Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2013 – Drucksache 17/13075 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache Ergänzung zu TOP 43 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Landbeschaffungsgesetz überprüfen – Drucksachen 17/12195, 17/12741 – Berichterstattung: Abgeordnete Anita Schäfer (Saalstadt) Wolfgang Hellmich Joachim Spatz Harald Koch Katja Keul b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen-Claudio Lemme, Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Betroffenen Frauen nach dem Anti-D-Hilfegesetz zu mehr Verfahrenssicherheit und Transparenz verhelfen – Drucksachen 17/10645, 17/13138 – Berichterstattung: Abgeordnete Karin Maag ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Anhaltender Handlungsbedarf beim Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung ZP 6 Unterrichtung durch die Bundesregierung Neunzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2010/2011 – Drucksache 17/10365 – hier: Stellungnahme der Bundesregierung – Drucksache 17/12940 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus ZP 7 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ute Koczy, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur Zukunft der Westsahara und zur Menschenrechtslage in den vom Königreich Marokko und von der Frente Popular de Liberacion de Saguía el Hamra y Río de Oro kontrollierten Gebieten – Drucksache 17/11453 – ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Da?delen, Annette Groth, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Marokkos in der Westsahara und Lösung des Konflikts durch Referendum unterstützen – Drucksache 17/13089 – ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bienen und andere Insekten vor Neonicotinoiden schützen – Drucksachen 17/12695, 17/13068 – Berichterstattung: Abgeordnete Josef Rief Gustav Herzog Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Harald Ebner ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Volker Beck (Köln), Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequente Umsetzung des Public Corporate Governance Kodex – Drucksachen 17/9984, 17/12740 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Matthias Heider ZP 11 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verkürzung der Aufbewahrungsfristen sowie zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften – Drucksache 17/13082 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO ZP 12 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Visafreiheit für Inhaber russischer Dienstpässe – Keine Visumspflicht für Menschen aus dem Westbalkan Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem werden die Tagesordnungspunkte 7, 11, 16 und 24 abgesetzt. Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunktliste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs. Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der am 14. März 2012 (228. Sitzung) überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung – Drucksache 17/12637 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen Sicherung der Stabilität der Euro-Zone – Finanzhilfe für Zypern b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes im Rahmen der Haftungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes – Drucksache 17/13060 – Der Antrag des Bundesfinanzministeriums betrifft die Gewährung einer Stabilitätshilfe an die Republik Zypern in Form einer Finanzhilfefazilität des ESM, die Annahme einer Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zwischen der Republik Zypern und dem ESM und die Zustimmung zu einem Memorandum of Understanding, Haftungsanpassungen für die Republik Zypern, die Verlängerung der maximalen durchschnittlichen Laufzeit des EFSF-Darlehens an Irland um sieben Jahre sowie eine entsprechende Verlängerung der Laufzeit des Darlehens an Portugal, ebenfalls um sieben Jahre. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir später über diese fünf Teile des Antrages getrennt abstimmen werden. Über vier dieser gerade genannten Teile werden wir eine namentliche Abstimmung durchführen. Zu dem Antrag liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. – Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind bei der Bekämpfung der Staatsschuldenkrise in der Euro-Zone gerade im letzten Jahr gut vorangekommen. Wir haben die Währungsunion Schritt für Schritt stabilisiert. Wir haben immer gesagt: Es gibt zur Überwindung dieser Krise nicht eine einfache schnelle Lösung, sondern wir müssen Schritt für Schritt konsequent vorangehen. Zur Stabilisierung und zur Überwindung der Krise sind im Wesentlichen vier Aspekte von Bedeutung. Zum einen müssen in den gefährdeten oder betroffenen Staaten die notwendigen finanz- und wirtschaftspolitischen Reformen durchgesetzt werden. Deswegen ist eine strenge Konditionalität aller Hilfen notwendig. Zum anderen muss unsere Währungsunion zu einer europäischen Stabilitätsunion umgebaut werden, in der der vergemeinschafteten Geldpolitik eine effektive finanzpolitische Säule zur Seite gestellt wird: mit besserer Kontrolle, wirksameren Reformvorgaben und früher greifenden Sanktionen. Dann brauchen wir einen funktionsfähigen Europäischen Stabilitätsmechanismus, um den Krisenstaaten, wenn notwendig, Zeit für Reformen zu verschaffen und um Ansteckungseffekte in Europa verhindern zu können. Schließlich muss der europäische Bankensektor durch ausreichende Eigenkapitalausstattung und durch eine schlagkräftige europäische Bankenaufsicht stabilisiert werden. Auf diesem mühsamen Weg sind wir gut vorangekommen. Man muss sich das angesichts fortlaufender Krisennachrichten gelegentlich ins Gedächtnis zurückrufen. Es stellen sich Erfolge in den Krisenländern ein. Stück um Stück wird auch verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen. Wenn man sich die Marktentwicklung anschaut, dann stellt man fest: Es gibt zwar immer noch Nervositäten und Unsicherheiten, aber deutlich weniger als noch vor drei Jahren, vor zwei Jahren oder vor einem Jahr. Wir sind auf dem richtigen Weg. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aus diesem eingeschlagenen Weg ergibt sich die Notwendigkeit – dabei geht es auch um die Stabilität und die Handlungsfähigkeit der Euro-Zone –, dass wir Zypern helfen. Das ist Gegenstand der heutigen Beratung. Die Hilfe für Zypern zielt eben darauf ab, die bisher erreichten Erfolge in der Euro-Zone zu sichern. Wir wollen und wir müssen verhindern, dass aus den Problemen in Zypern neue Probleme in anderen Ländern der Euro-Zone werden. Es ist wahr: Zypern ist ein Land mit weniger als 1 Million Einwohnern und einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone von 0,2 Prozent, also ein relativ kleines Land. Aber Zypern befindet sich in einer dramatischen Situation. Zypern hat seit anderthalb Jahren praktisch keinen Zugang mehr zu den Finanzmärkten. Wenn wir Zypern nicht helfen, steht Zypern unausweichlich vor dem Staatsbankrott. Zyperns Problem ist eine zu einseitige Wirtschaftspolitik, die sich als nicht tragfähig erwiesen hat. Es hat sich herausgestellt: Der zyprische Bankensektor war fehlstrukturiert und völlig überdimensioniert. Ein großer Bankensektor an sich – auch das muss man sagen – muss nicht problematisch sein, aber im Falle Zyperns war eine Anlage auf dem zyprischen Finanzplatz eine Spekulation auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des zyprischen Staates, der als alleiniger Garantiegeber hinter diesem Finanzplatz stand. Im Unterschied zu anderen Finanzplätzen in Europa – das ist wichtig, damit man keine falschen Schlussfolgerungen zieht – haben wir es in Zypern auch nicht in erster Linie mit Tochterunternehmen anderer großer ausländischer Banken zu tun. Daraus ergibt sich eine spezifische Situation Zyperns. Deswegen kann es für Zypern – das ist das Wesentliche – keine Lösung geben, die nicht eine deutliche Verkleinerung des Bankensektors umfasst. Das ist also notwendig und mit dem heute vorgelegten Hilfsprogramm gewährleistet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Übrigen zeigt der Fall Zypern auch, wie wichtig es ist, dass wir in Europa eine funktionierende Bankenaufsicht schaffen, gerade auch, wenn nationale Bankenaufsicht offensichtlich an ihre Grenzen stößt oder gestoßen ist. In Zukunft wird eine europäische Bankenaufsicht mindestens die drei bedeutendsten Kreditinstitute in jedem teilnehmenden Mitgliedstaat beaufsichtigen. So werden wir in Europa früher eingreifen können, etwa um drohende Schäden zu verhindern. Im Vergleich zur funktionierenden Bankenaufsicht, die wir jetzt aufbauen, wäre eine Verlagerung der Risiken auf einen europäischen Rettungsfonds, also eine Vergemeinschaftung der Risiken, keine Lösung gewesen. Das hätte in der Sache überhaupt kein Problem gelöst, sondern wäre nur wieder eine Verlagerung der Risiken gewesen. Entscheidend ist eine durchsetzungsstarke Aufsicht, die sich auch ohne Rücksicht auf nationale Interessen gegen Fehlentwicklungen durchsetzen kann. Auch bei Zypern gilt, was immer gegolten hat: Hilfe ist immer Hilfe zur Selbsthilfe. Im Übrigen ist Solidität die Gegenleistung für Solidarität. Auch daran muss man gelegentlich und immer wieder erinnern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zypern geht seine Probleme an. Wir, die Partner in der Euro-Zone, helfen, dass das in geordneten Bahnen geschehen kann. Aber Zypern selbst muss erhebliche Anstrengungen aufbringen, und die bringt es auf. Der ESM-Vertrag und das deutsche ESM-Finanzierungsgesetz enthalten ja klare Vorgaben, die erfüllt sein müssen, damit ein Land Finanzhilfe aus dem ESM erhalten kann: Die eine Bedingung ist, dass die Hilfe der Wahrung der Finanzstabilität der Euro-Zone als Ganzes dient, dass sie dafür notwendig ist. Das ist die sogenannte Systemrelevanz. Die andere Bedingung ist, dass die Hilfe Sinn machen muss. Dabei geht es um die Umsetzung des Grundsatzes der Schuldentragfähigkeit. Die Europäische Zentralbank, die Europäische Kommission und der Internationale Währungsfonds haben bestätigt, dass von Zypern Ansteckungseffekte für die gesamte Euro-Zone ausgehen können. Deshalb halten wir eine Finanzhilfe für Zypern für notwendig und sehen die Voraussetzung der Systemrelevanz als gegeben an. Man muss sich klarmachen: Bei einer Staatsinsolvenz Zyperns bestünde ein großes Ansteckungsrisiko etwa für Griechenland; aber auch Länder, die unter dem Programm stehen, und andere Länder, die auf den Finanzmärkten nervös beurteilt werden, würden bei einer negativen Signalwirkung oder erneut aufkommenden Zweifeln an der Integrität der Euro-Zone in Mitleidenschaft gezogen. Dadurch könnte der Marktzugang anderer Staaten gefährdet sein. Man muss daran erinnern: Portugal und Irland nähern sich dem erfolgreichen Abschluss ihrer Anpassungsprogramme, Spanien ist auf einem guten Weg, auch Italien hat erfolgreich seine Bedingungen am Markt verbessert. All dies könnte durch eine Staatsinsolvenz Zyperns gefährdet werden. Daraus folgern die genannten Institutionen und auch wir die Systemrelevanz Zyperns. Die Erfüllung der Voraussetzung der Schuldentragfähigkeit wird durch die von der Euro-Gruppe mit Zypern vereinbarten Eckpunkte und durch das, was wir dem Deutschen Bundestag heute als Programmentwurf vorlegen, gewährleistet. Nach den Berechnungen der Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds darf das Programmvolumen 10 Milliarden Euro nicht überschreiten, damit die finanzielle Tragfähigkeit gewährleistet ist. Unter Zugrundelegung dieser Größenordnung rechnet die Troika damit, dass die Schuldenquote im Jahr 2020 bei rund 105 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Zyperns liegen wird. Dies wird als tragfähig angesehen. Die Annahmen, die der Tragfähigkeitsberechnung zugrunde liegen, sind angesichts der aktuellen Entwicklungen in den letzten Wochen übrigens noch einmal vorsichtiger angesetzt worden, sodass ich davon ausgehe, dass dies eine verantwortliche Schätzung ist. Die Programmmittel in Höhe von 10 Milliarden Euro werden nicht zur Rekapitalisierung der Laiki Bank oder der Bank of Cyprus verwendet. Das sind die beiden Banken, die praktisch insolvent sind und in den vergangenen Monaten nur durch die Notfallliquiditätshilfe des europäischen Währungssystems solvent gehalten worden sind. Das Programm dient der Überbrückungsfinanzierung des zyprischen Haushalts in einer Größenordnung von 7,5 Milliarden Euro und in einem geringeren Umfang, nämlich in Höhe von 2,5 Milliarden Euro, der Rekapitalisierung und Umstrukturierung des übrigen Bankensektors – nicht der beiden betroffenen großen Banken in Zypern. Wir haben uns übrigens von Anfang an und immer wieder dafür ausgesprochen – insbesondere zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds –, dass bei der Lösung der Probleme der beiden großen insolventen Banken zuerst und zuvorderst die Eigentümer und bestimmte Fremdkapitalgeber herangezogen werden. Man muss daran erinnern: Wer in Zypern besondere Chancen durch günstige steuerliche Regelungen, geringere Transparenzvorschriften und andere günstige Rahmenbedingungen und im Übrigen auch höhere Zinsen gesucht hat, der ist damit besondere Risiken eingegangen. So ist es bei Finanzanlagen: Höhere Zinsen entsprechen höheren Risiken. Wenn sich diese Risiken realisieren, dann muss man sie auch tragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir alle haben uns weltweit verpflichtet – ich sage das auch im Vorfeld der Tagung des Internationalen Währungsfonds, die heute Abend in Washington beginnt –, als Lehre aus der Finanz- und Bankenkrise des Jahres 2008, die sich nicht wiederholen darf, dafür zu sorgen, dass die Risiken des Bankensektors, die durch eine Maximierung von spekulativen und kurzfristigen hohen Gewinnen angehäuft werden, nicht am Ende zuerst und zuvorderst von der Gemeinschaft der Steuerzahler getragen werden. Deswegen gab es keinen anderen Weg als den, an der Restrukturierung der beiden großen Banken zuvorderst die Eigentümer und die Anlagegläubiger zu beteiligen. Risiko und Haftung gehören zusammen. Es ist wahr, wir haben in dem langen Ringen um diese Lösung zur Kenntnis nehmen müssen, dass andere befürchtet haben, dass von einem sogenannten Bail-in zunächst große Verunsicherungsgefahren für die Finanzmärkte ausgehen. Deswegen gab es außer vom Internationalen Währungsfonds und der deutschen Bundesregierung am Anfang nicht allzu viel Unterstützung für die Position, auf die man sich jetzt geeinigt hat. Auch daran muss man erinnern dürfen. Aber inzwischen ist klar geworden, dass es ohne Beteiligung der Einleger nicht gelingen konnte, ein tragfähiges Programm für Zypern auf die Beine zu stellen. So ist nun vereinbart, dass von den beiden großen Banken die eine abgewickelt und die andere unter Heranziehung von Eigentümern, Anleihegläubigern und Anlegern mit Großeinlagen rekapitalisiert wird. Die Einlagen unter 100 000 Euro bleiben geschützt. Das entspricht europäischem Recht. Bei der abzuwickelnden Laiki Bank werden die Einlagen über 100 000 Euro komplett in eine Bad Bank überführt, ebenso die Ansprüche von Aktionären und Gläubigern, und die Einlagen bis zu 100 000 Euro werden in eine sogenannte Good Bank überführt, die der Bank of Cyprus angegliedert wird. Auch für die Rekapitalisierung der Bank of Cyprus werden die Ansprüche der Aktionäre und nachrangiger Gläubiger in vollem Umfang herangezogen, Einlagen über 100 000 Euro in einer Größenordnung, dass eine Eigenkapitalquote von 9 Prozent erreicht wird. Dadurch hat sich im Übrigen in den letzten Wochen diese Verunsicherung in der Öffentlichkeit hinsichtlich unterschiedlicher Zahlen ergeben. Es gab unterschiedliche Berechnungen, wie viel es sein wird. Das ändert an dem Hilfsprogramm aber überhaupt nichts, weil von vornherein klar war: Mittel für die Rekapitalisierung der beiden Banken wird das Hilfsprogramm nicht umfassen. Deswegen sind die 10 Milliarden Euro als Obergrenze zu keinem Zeitpunkt bestritten worden. Ich will noch einmal unterstreichen und wiederholen – das gilt nämlich auch für den weiteren Weg in Richtung Bankenunion in der Europäischen Union –: Es muss im Falle von Schieflagen von Banken eine klare Haftungsreihenfolge geben, zuerst die Eigentümer, dann die nachrangigen Fremdkapitalgeber, dann die Anleger unter Wahrung der gesicherten Einlagen und erst dann der Staat, in dem die Bank beheimatet ist, und am Ende notfalls auch die Staatengemeinschaft. Das ist die Haftungsreihenfolge, und an der darf auch beim Aufbau einer Bankenunion nichts geändert werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Für Deutschland ist dies übrigens nicht neu. Das ist im deutschen Restrukturierungsgesetz enthalten. Auch für Europa ist das nicht neu; denn es ist Inhalt der Restrukturierungsrichtlinie, die die Kommission vor einem Jahr vorgelegt hat und die sich jetzt im europäischen Rechtsetzungsprozess befindet. Das Zypern-Hilfsprogramm war von Anfang an nicht unumstritten. Wie könnte es anders sein? Aber alle Bedingungen, die auch im Deutschen Bundestag für ein Hilfsprogramm gestellt worden sind, sind mit diesem Programm erfüllt. Der Bankensektor in Zypern wird vehement gesundgeschrumpft. Er wird unmittelbar zurückgeführt auf das Durchschnittsniveau der Euro-Zone, also auf das Dreieinhalbfache des Bruttoinlandsprodukts. Zypern wird seine Kapitalertragsteuer und seine Unternehmensteuern erhöhen. Es gibt klare Vereinbarungen zur Geldwäscheprävention im Rahmen eines laufenden Überprüfungsverfahrens, und es wird Reformen geben im zyprischen Renten- und Pensionssystem und im bisherigen System automatischer Lohnerhöhungen in Zypern; auch das ist wichtig, damit Zypern dauerhaft wettbewerbsfähig wird. Russland hat übrigens angekündigt, die Anstrengungen Zyperns durch entsprechende Erleichterungen bei seinem laufenden Kredit in Höhe von 2,5 Milliarden Euro zu unterstützen. Im Übrigen ist sichergestellt, dass keine Mittel des Hilfsprogramms für die Rückzahlung des russischen Kredites verwendet werden können. Der Internationale Währungsfonds wird sich an dem Programm beteiligen, vorbehaltlich der Zustimmung der entsprechenden Gremien des Internationalen Währungsfonds. Sie werden vermutlich Anfang Mai dieses Jahres ihre formelle Entscheidung treffen. Wir gehen von einer Mitfinanzierung in Höhe von 1 Milliarde Euro aus, wodurch sich dann der Anteil des ESM-Hilfsprogramms auf 9 Milliarden Euro begrenzt. Bei Zustimmung des Deutschen Bundestages könnten im ESM die notwendigen Entscheidungen, um die Finanzhilfe für Zypern zu vereinbaren, in der kommenden Woche getroffen werden, sodass eine erste Tranche im Mai dieses Jahres ausgezahlt werden könnte. Aber Voraussetzung dafür ist die Umsetzung der in dem Memorandum of Understanding als vordringlich vereinbarten Maßnahmen. Der Haushaltsausschuss des Bundestages wird entsprechend unserer Regelung fortlaufend über den Stand der Umsetzung der vordringlichen Maßnahmen unterrichtet werden und Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. In unserem Antrag bitten wir auch um Zustimmung des Bundestages zu der Programmänderung, die notwendig wird, weil Zypern den Antrag gestellt hat, bei künftigen Gewährleistungen nach der EFSF von seinem Haftungsanteil freigestellt zu werden. Im EFSF-Vertrag ist vorgesehen, dass Länder, die das Programm selber in Anspruch nehmen, bei künftigen Programmen nicht mithaften. Der deutsche Gewährleistungsanteil würde sich damit von 29,07 Prozent auf 29,13 Prozent erhöhen. Ich bitte auch insoweit den Bundestag um Zustimmung. Schließlich bitten wir um Zustimmung zur Verlängerung der Laufzeit der laufenden Darlehen für Portugal und Irland. Beide Länder, Irland und Portugal, haben in den letzten Jahren enorme Anstrengungen unternommen, um ihre Haushalte zu konsolidieren, ihre Bankensektoren zu stabilisieren und ihre Wirtschaften wieder wettbewerbsfähig zu machen. Sie erfüllen die Programmauflagen der Troika. Sie sind auf einem guten Weg. Irland steht unmittelbar vor der Rückkehr an die Kapitalmärkte. Portugal hat zwar durch eine Entscheidung seines Verfassungsgerichts Maßnahmen von 1,3 Milliarden Euro für verfassungswidrig erklärt bekommen, hat aber inzwischen gleichwertige Maßnahmen beschlossen. Das verdient unsere Anerkennung. Beide Länder sind auf dem richtigen Weg. Sie zeigen, dass die Programme funktionieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun ist es wichtig, dass wir in dieser entscheidenden Phase die Erfolge beider Länder nicht aufs Spiel setzen. Deswegen hat die Troika empfohlen, für beide Länder die Laufzeit der Programme zu verlängern. Das bedeutet keine Erhöhung der Programmvolumina, aber es sichert eben die Rückkehr an die Märkte für beide Länder. Ich bitte den Bundestag um Zustimmung. Ich weise im Übrigen darauf hin, dass nicht nur die EFSF-Kredite verlängert werden sollen, sondern auch die europäischen Kredite. Alle Finanzminister der EU 27 haben einstimmig auch eine Verlängerung des EFSM-Kredits für beide Länder empfohlen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich will eine allgemeine Bemerkung hinzufügen: Gerade wir – in unserem Land spüren wir die Euro-Krise im Alltag ja nicht so sehr – sollten uns bei der Beratung dieses Hilfsprogramms für Zypern wieder einmal ins Gedächtnis rufen: Die Menschen in Griechenland, in Spanien, in Italien, in Portugal und jetzt in Zypern erleben eine schwere Zeit. Damit ihre Länder eine bessere Zukunft haben können, müssen sie durchgreifende Reformen ertragen, erleiden, durchstehen. Es gibt keinen Weg, der daran vorbeiführt. Aber es ist ein schwerer Weg für die Menschen in den betroffenen Ländern. Dies muss man gerade in den Ländern, in denen es den Menschen besser geht, gelegentlich der Öffentlichkeit ins Gedächtnis rufen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Anpassungsprozesse führen zum Erfolg. Das zeigen die bisher eingetretenen Entwicklungen. Auch die EZB hat in diesen Tagen wieder angemahnt, dass in den Bemühungen nicht nachgelassen werden dürfe; eingetretene Erfolge dürften nicht zu einem Nachlassen der Bemühungen führen. Es gibt keine tragfähige Abkürzung auf diesem Weg. Die Probleme in diesen Ländern haben eine längere Geschichte. Diese lassen sich über Nacht nicht heilen. Aber natürlich müssen wir insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit in einer Reihe von Ländern in Europa bekämpfen. Denn es ist eine Katastrophe, wenn 30, 40 Prozent der jungen Menschen dauerhaft ohne Chancen auf einen Arbeitsplatz sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen ist es gut, dass der Europäische Rat 6 Milliarden Euro für Programme in den nächsten sieben Jahren bereitgestellt hat. Dieses Geld muss jetzt von den nationalen Regierungen für die junge Generation klug eingesetzt werden. Auch die Europäische Investitionsbank – wir haben das in der vergangenen Woche in Dublin ausführlich erörtert – tut vieles für nachhaltiges Wachstum in Europa. Sie setzt bis 2015 zusätzlich 60 Milliarden Euro zur Förderung von Investitionen ein. Zusammen mit Partnern und der Mobilisierung privater Gelder werden damit insgesamt 180 bis 200 Milliarden Euro mobilisiert werden. So werden alleine in diesem Jahr für kleine und mittlere Unternehmen über 15 Milliarden Euro an Krediten auf den Weg gebracht werden. Deswegen sage ich: So hart die Anpassungsprozesse in den Ländern auch sind: Die positiven Auswirkungen zeigen sich. Die Haushaltsdefizite sinken. Sie sind in den letzten drei Jahren in der Euro-Zone im Durchschnitt halbiert worden. Die Wettbewerbsfähigkeit steigt. Die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsländer der Europäischen Union haben sich in den letzten Jahren reduziert. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte gehen zurück. Die Ausfuhren in Südeuropa steigen. Auch Griechenland hat in den letzten Monaten seine Ausfuhren in Drittländer deutlich gesteigert. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Aber den IWF-Bericht haben Sie gelesen?) Eine aktuelle DIHK-Studie zeigt übrigens: Deutsche Firmen investieren wieder stärker in den Krisenstaaten Europas. Sie sehen die Reformanstrengungen und die Erfolge. Die Europäische Kommission rechnet mit einer Wende zum Besseren bei den Konjunktur- und Wachstumsindikatoren, in einigen Ländern schon in diesem Jahr, auch bei der Beschäftigung. Übrigens: Auch in Griechenland geht der Arbeitsmarkt nicht weiter zurück, sondern verbessert sich auf niedrigem Niveau langsam. Für nächstes Jahr wird der Turnaround in allen Ländern erwartet. Was noch wichtiger ist: Die Bürgerinnen und Bürger Europas stehen gerade auch in den Krisenländern – sie haben es in Wahlen wieder und wieder bewiesen – zu unserer Gemeinschaftswährung. Auch in Deutschland hat es einen Stimmungsumschwung gegeben. Vor ein paar Jahren hat noch jeder zweite Deutsche am Euro gezweifelt. Nach einer aktuellen Umfrage sind nun 70 Prozent für die gemeinsame europäische Währung. Das ist eine beachtliche Verbesserung. Die Menschen sehen: Der Weg ist anstrengend, er ist nicht ohne Risiken, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Die Menschen in Deutschland wissen: Ohne die großen Erfolge wirtschaftlicher Integration, ohne die große stabilisierende Wirkung einer gemeinsamen Währung, von der wir am meisten profitieren, hätten wir unseren Wohlstand, unsere Leistungsfähigkeit, unsere hohe Beschäftigung, unsere soziale Sicherheit nicht erreicht und wären diese für die Zukunft nicht zu sichern. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie auf diesem schwierigen Weg weiter um Ihre Unterstützung. Ich bitte um Zustimmung. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion wird dem europäischen Rettungspaket heute zustimmen, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) nicht nur weil wir zu Europa und zum Euro stehen, sondern auch weil der Entwurf – jedenfalls in seiner jetzigen Form – trotz all dem, was noch offen ist, an drei entscheidenden Stellen durchaus auch unsere Handschrift trägt: Erstens. Wir Sozialdemokraten haben immer gesagt: „Der einfache Steuerzahler darf am Ende nicht der Dumme sein“, und: „Bei der Rettung angeschlagener Banken müssen die Lasten fairer verteilt werden.“ Das geht in der Tat nicht ohne eine angemessene Beteiligung der Banken, ihrer Eigner und ihrer Gläubiger. Wenn die Menschen in Spanien, in Griechenland, in Frankreich, in Deutschland das Gefühl haben, dass in diesem Europa pausenlos gegen elementare Grundsätze von Fairness und Gerechtigkeit verstoßen wird, dann – da können Sie, Frau Merkel und Herr Schäuble, noch so schöne Gipfelbilder machen lassen – gerät Europa in ernsthafte Gefahr. Anders gesagt: Eine Europäische Union, die gegen elementare Grundsätze von Fairness und Gerechtigkeit verstößt, wird uns um die Ohren fliegen oder rechten Populisten und Nationalisten in die Hände fallen. Das zukünftige Europa wird ein gerechtes Europa sein – oder es wird nicht sein, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die rechte Seite dieses Hauses hat sich lange gegen Argumente von uns gewehrt: Sie waren gegen eine Finanzmarktbesteuerung – wir mussten Sie dazu zwingen. Sie waren gegen eine Heranziehung großer Vermögen – wir mussten Sie dazu zwingen. Und Sie sind immer noch gegen die Beteiligung der Banken an einem Bankensicherungsfonds, wie Peer Steinbrück ihn entworfen hat. In Zypern haben wir nun zumindest eine Gläubigerbeteiligung. Wir haben bei der Gläubigerbeteiligung einen ersten Einstieg geschafft. Deshalb ist das auch ein Erfolg für uns, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD) Zweitens. Wir Sozialdemokraten sind solidarisch mit Zypern; aber wir sind nicht solidarisch mit einem Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass man sich selbst zu einem Paradies für Steuerhinterzieher und Geldwäscher erklärt. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit der Schließung der Laiki Bank und mit der Umstrukturierung der Bank of Cyprus wird der künstlich aufgeblähte zyprische Bankensektor zusammengeschrumpft. Zypern hat sich außerdem bereit erklärt, seine Gesetze gegen Geldwäsche – vor allen Dingen die Umsetzung dieser Gesetze – jetzt durch eine internationale Gutachterkommission bewerten zu lassen. Mindestens das war erforderlich. Das ist ein zweiter wichtiger Erfolg. Nur, wir müssen natürlich jetzt europäisch und auch von Deutschland aus darauf achten, dass es nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen bleibt. Auf die Haltung von Union und FDP bei Geldwäsche und Steuerhinterziehung komme ich am Ende noch zurück. Drittens. Wir Sozialdemokraten sagen: Solidarität braucht Fortschritte bei der gemeinsamen Steuerpolitik, gerade bei der Unternehmensbesteuerung. Warum? Weil Steuerdumping, Unternehmensteuersätze von 10 Prozent oder gar noch darunter aus unserer Sicht in Europa nicht hinnehmbar sind, und wir werden das auf Dauer auch nicht hinnehmen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Ziel müsste natürlich ein einheitliches europäisches Steuerrecht sein. Davon sind wir weit entfernt; aber immerhin ist es im Fall Zypern zum ersten Mal gelungen, die absolute Höhe von Steuersätzen überhaupt zum Gegenstand einer europäischen Vereinbarung zu machen. 12,5 Prozent statt 10 Prozent, das ist nicht die Welt, das ist nicht viel, das ist nicht genug; aber der Anfang ist gemacht. Ich sage: Nationale Dumpingsteuersätze anzusprechen, darf kein europäisches Tabu sein. (Beifall bei der SPD) Sich ein paar Jahre ein leichtes Leben machen und dann die Solidarität von Steuerzahlern aus der Nachbarschaft einfordern – das geht eben nicht, das kann nicht funktionieren. Deshalb sage ich: Auch die Anhebung der Steuern in Zypern ist eine Strukturreform. Es ist eben eine Strukturreform, wenn jeder Staat seine eigenen Bürger mit den notwendigen Steuern belastet. Das – und nicht nur Einschnitte ins Sozialleistungssystem – gehört zu einer Strukturreform. (Beifall bei der SPD) Ja, wir werden diesem Paket zustimmen. Missverstehen Sie uns aber nicht: Das ist keine Zustimmung zu Ihrer Art von Krisenmanagement, die wir in den letzten Wochen noch einmal erlebt haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was denn sonst?) – Sie sind ja gleich dran. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da hat sie aber mal recht!) Das, was wir hier gesehen haben, die Einbeziehung der Kleinanleger, die Sie, Herr Schäuble, entweder gefordert oder am Ende jedenfalls mitgetragen haben, war Dilettantismus. Das war ein Riesenfehler (Peer Steinbrück [SPD]: Ja!) und hat europaweit Angst und Verunsicherung mit sich gebracht. Erst nach langem und quälendem Hin und Her ist es gelungen, zu der Einigung zu kommen, die jetzt mit diesem Rettungspaket vorliegt. Bei allem Verständnis, Herr Schäuble, für die Schwierigkeiten in Europa, in solchen Fragen einen Konsens zu finden: Das war eine erbärmliche Vorstellung des Europäischen Finanzministerrates, und Sie haben dabei keine gute Rolle gespielt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich hoffe, dass die meisten ahnen – auch die Beteiligten in der Regierung –, dass der Weg zu der wirklichen Lösung der europäischen Krise noch verdammt lang und beschwerlich sein wird. Ich habe das aber Ihren Äußerungen eben nicht entnehmen können, Herr Schäuble. Sie haben nämlich gesagt, es sei alles auf einem guten und richtigen Weg. Ich finde, die deutsche Regierung sitzt hier zu häufig auf dem hohen Ross. Ihr Angebot ist: Wenn alle den deutschen Weg gehen, dann wird das schon irgendwie richtig sein. Ich sage ja auch: Natürlich geht es in Deutschland besser als in vielen europäischen Staaten, und ich sage Ihnen vor allen Dingen: Darüber freuen wir uns mehr als andere in diesem Hohen Haus. Aber die ganze Wahrheit ist: Die Beteiligten auf der Regierungsbank haben den geringsten Anteil daran, dass es in Deutschland besser geht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist unter Ihrem Niveau! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wer verhandelt denn in Europa? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Jedenfalls darf die Tatsache – das ist mir sehr ernst –, dass es uns im Augenblick besser geht als anderen, nicht dazu führen, dass wir sagen: Lasst mal die anderen machen. Bei uns in Deutschland ist die Arbeit ja im Wesentlichen getan. Herr Schäuble, Sie haben in Ihren Ausführungen eben nicht ein Mal den neuesten IWF-Bericht zitiert. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja!) Der IWF hat gerade Aussichten veröffentlicht, die für uns höchst relevant sind. Dieser IWF-Bericht ist eine Art Weckruf für ganz Europa, aber ich hoffe, auch für uns. Was steht in diesem IWF-Bericht über die Aussichten? Der Abstand Europas zu den USA wächst. Die USA gehen Schritt für Schritt den Weg aus der Krise, Europa stagniert. In solch einer Situation einfach nur auf das deutsche Vorbild zu verweisen, kann nicht genügen. Deutschland kann es doch auf Dauer nicht gutgehen, wenn unsere europäischen Partner ohne Wachstum und immer mehr ohne Hoffnung sind. Deshalb sage ich: Es ist mehr als ein Fanal und kein Beweis dafür, Herr Schäuble, dass wir allesamt auf einem guten Weg sind, dass wir heute auch über die Verlängerung der Rückzahlungsfristen für Portugal und Irland entscheiden müssen. Das heißt doch nicht, dass der Weg im Prinzip schon gegangen ist, sondern das heißt, dass wir mit unseren Annahmen zu optimistisch waren – und wir sind es weiterhin. Der IWF-Bericht, den ich zitiert habe, zeigt ganz klar: Der Euro-Raum bleibt in seiner Wirtschaftsentwicklung hinter den anderen Polen der Weltwirtschaft zurück: hinter den dynamischen BRIC-Staaten, was keinen überrascht, und hinter den USA, was wir inzwischen auch gelernt haben. Was aber keiner zur Kenntnis nimmt: Der Euro-Raum liegt mittlerweile sogar hinter Japan, einem Land, das wir immer als Stagnationsland in Erinnerung haben. Wenn man jetzt einen Blick auf die aktuelle Situation in Europa wirft, dann sieht man: Die Wirtschaft in Europa wird weiter schrumpfen, während die Weltwirtschaft im Durchschnitt um 3,5 Prozent wächst; am stärksten natürlich die BRIC-Staaten, aber auch die USA mit 1,9 Prozent. Die Euro-Zone verliert zunehmend den Anschluss. Deutschland ist mit einer Wachstumsprognose – Herr Schäuble, auch das hätten Sie sagen können – von gerade einmal 0,4 Prozent, also keine riesige Prozentzahl, doch wirklich nicht mehr der Motor, der in Europa alles ziehen kann. Deshalb sage ich Ihnen – das ist die Wahrheit –: Wachstum braucht Investitionen in den Krisenstaaten und auch bei uns. In den Krisenstaaten schrumpft die Investitionsrate im Augenblick dramatisch: in Griechenland um 5 Prozent, in Portugal seit Jahren im zweistelligen Bereich. Wenn Sie einmal genau hinschauen, dann werden Sie feststellen, dass die Situation in Deutschland nur auf den ersten Blick rosig aussieht. Auch bei uns wurde bei der Investitionstätigkeit inzwischen der Rückwärtsgang eingelegt: fast 5 Prozent minus bei den Ausrüstungsinvestitionen in 2012. Dieser Trend setzt sich 2013 fort. Herr Schäuble, diese Regierung hat die guten Jahre, die sie vielleicht auch dank unserer Vorarbeit hatte, nicht genutzt. Diese Regierung verschläft die Zukunft in diesem Land. So einfach ist das. (Beifall bei der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist doch billig!) Sie ignorieren eben, dass in diesem Lande ganz viel getan werden muss: bei Bildung und Ausbildung, bei der Sicherung der Fachkräftebasis, bei der Modernisierung der Infrastruktur, auch bei der Integration von Frauen ins Erwerbsleben; darüber werden wir nachher noch reden. Seit dreieinhalb Jahren wird dieses Land, wie ich finde, weit unter seinen Möglichkeiten regiert. Sie belehren andere über die Notwendigkeiten von Reformen, die Sie selbst zu Ihren Regierungszeiten nie geschafft haben. Sie kümmern sich im eigenen Land nicht darum, etwas gegen die Wachstumsbremsen von morgen zu tun. Sie legen die Hände in den Schoß. Deutschland sollte Vorbild sein, aber – das sage ich Ihnen – nicht immer nur mit dem Zeigefinger des Oberlehrers, sondern gelegentlich auch einmal mit zupackender Hand im eigenen Land. Diese Hände haben Sie in Ihren beiden Hosentaschen! (Beifall bei der SPD) Abschließend einige wenige Worte zum Thema Steuerhinterziehung. Ja, Zypern hat sich zum Steuerparadies erklärt. Das geht nicht gut. Peer Steinbrück hat recht, wenn er sagt: Steuerparadiese sind Gerechtigkeitswüsten. – Damit muss Schluss sein: in Zypern und im Rest Europas. Herr Schäuble, Sie haben in diesem Kampf mit dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen von Anfang an aufs falsche Pferd gesetzt; das sage ich mit aller Deutlichkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peer Steinbrück [SPD]: Wohl wahr!) Sie haben die von uns regierten Länder dafür kritisiert, dass sie Steuer-CDs angekauft haben. Am Ende zeigt sich doch: Das war wahrscheinlich der einzig mögliche Weg. Wären Sie mit dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen durchgekommen, hätten sich am Ende die Steuerbetrüger ins Fäustchen gelacht. Heute kann von denen keiner mehr ruhig schlafen, weil er die Befürchtung haben muss, entdeckt zu werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eigentlich muss an einem solchen Tag, Herr Schäuble, auch einmal der Satz fallen: In dieser Beziehung haben wir uns in der Regierung einfach geirrt. (Peer Steinbrück [SPD]: Richtig! – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Ihr habt euch mit Griechenland geirrt!) Wenn heute in Europa gegen Steuerbetrug vorgegangen wird, wenn jetzt Länder wie Luxemburg und Österreich, was ich ausdrücklich begrüße, darüber nachdenken, die Abschaffung des Bankgeheimnisses ernsthaft anzugehen, dann hat das vor allen Dingen auch mit der Beharrlichkeit von Sozialdemokraten in Deutschland zu tun. (Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) – Ja. Sie hätten das Steuerabkommen geschlossen, und dann wäre die Sache für Sie erledigt gewesen. Weil es das nicht gegeben hat, weil es weiterhin Druck auf Steuerbetrüger gibt, können wir jetzt immerhin kleine Fortschritte erkennen. Ich sage Ihnen: Sie haben in den dreieinhalb Jahren, die Sie in der Regierung waren, die Chance nicht genutzt. Ich kann Ihnen voraussagen: In 157 Tagen wird sie nicht wiederkommen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Otto Fricke (FDP): Sehr geschätzter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihre Sichtweise ist schon sehr interessant, Herr Steinmeier: Wir sind für alles Gute in der Welt zuständig. – Erinnern Sie sich noch an die letzte Bundestagswahl und daran, was die Bevölkerung Ihnen gesagt hat: Ihr könnt es nicht; ihr macht es falsch; ihr seid in Europa auf dem falschen Weg; ihr habt die falschen Länder in die Euro-Zone aufgenommen. – Das haben Sie mittlerweile selbst festgestellt. An Ihrer Stelle würde ich mir eher Gedanken darüber machen, welche Reformen denn notwendig sind, und nicht darüber reden, um wie viel Geld man die Bürger noch schröpfen kann. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Nicht überlegen! Machen!) Sonst würden Sie im Ergebnis dieselben Fehler machen wie die Länder, denen wir nun in europäischer Verantwortung helfen. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, sich darüber Gedanken zu machen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Bürger werden in den von Ihnen angesprochenen verbleibenden 157 Tagen bis zur Bundestagswahl erkennen, wer welche Leistung erbracht hat, und zu dem Schluss kommen: Das waren vier gute Jahre für Deutschland. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Bürger werden des Weiteren sagen: Wir wollen, dass die Politik dieser vier guten Jahre fortgesetzt wird, und zwar – da gehen wir sicherlich überein – mit notwendigen Reformen. Der Wähler als Souverän wird entscheiden. Dann werden wir sehen. Für den Wähler ist es sicherlich weniger interessant, von Ihnen zu erfahren: Ich war es auch, Herr Lehrer; ich habe es gut gemacht. – Vielmehr wird der Wähler fragen: Wer hat es tatsächlich gemacht? Es fällt keinem leicht, bei Hilfsprogrammen zu sagen: Wir geben Garantien auf Milliardensummen. – Aber als verantwortungsvolle Europäer müssen wir immer wieder darauf hinweisen, dass es unsere Aufgabe ist, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, damit Veränderungen im Denken und Handeln eintreten. Zypern hätte es wesentlich leichter haben können, wenn es früher erkannt hätte, dass es selber und damit die Bürger Zyperns Teil der Lösung sind. Wir müssen unseren Bürgern immer wieder sagen, dass in einem Europa, wie wir es wollen, auch Deutschland profitiert und Teil der Lösung ist. Dies zu vermitteln, ist Aufgabe der Politiker nicht nur in Deutschland, sondern auch in allen anderen Ländern. Ich will für meine Fraktion ausdrücklich sagen, dass mir der Blick auf unser Nachbarland Frankreich besondere Sorgen bereitet. Dort glaubt man offenbar, dass die Verantwortung der Politik nur darin besteht, alles so zu lassen, wie es ist. Ich bitte darum und hoffe, dass das weitergegeben wird: Seht doch einmal, liebe Bürger in Europa, dass Länder, die sich unter schweren Anstrengungen reformieren müssen, am Ende besser dastehen als diejenigen Länder, deren Bevölkerungen ihren Politikern glauben, dass man nichts tun müsse. – Das ist die Aufgabe, und diese wird mit dem nun zu beschließenden Rettungspaket auch wahrgenommen. Ich will das für die Bürger noch einmal deutlich darlegen. Wir tun etwas gegen Geldwäsche; ich glaube, darin sind wir uns einig. Wir sind in der Lage, bei Haushaltskonsolidierung und Privatisierung wieder voranzugehen. Herr Steinmeier, Sie haben gesagt, die Körperschaftsteuer in Zypern werde nur um 2,5 Prozentpunkte erhöht. Aber eben einmal eine Ertragsteuer um 25 Prozent zu erhöhen, verlangt einem Land viel ab, weil sich dann die Strukturen verändern. Die Zyprioten machen das. Wir begrüßen das und halten das auch für richtig. Aber man hätte auch die Mehrwertsteuer erhöhen und die Pensionen kürzen können. All diese Belastungen gehören nun einmal dazu. All das verlangen wir, die Bundesrepublik Deutschland, für unsere Bereitschaft, Hilfe zu geben. Das ist die Aufgabe. Es geht um Geben und Nehmen, um möglichst viel Freiheit, aber auch um möglichst viel Eigenverantwortung der betroffenen Länder. Dass zusätzlich der Bankensektor in Zypern verkleinert wird, ist genau richtig. Die Bürger müssen endlich wieder erkennen, dass das Geld, das man in einem Land anlegt, weil es beispielsweise um 0,5 Prozentpunkte höhere Zinsen bietet, nicht automatisch sicher ist. Der Minister hat zu Recht darauf hingewiesen – dafür bin ich ihm ausdrücklich dankbar –: Höhere Zinsen bedeuten ein höheres Risiko. Hier möchte ich einen Punkt ansprechen, Herr Steinmeier, bei dem ich große Bedenken habe. Alle Versuche der Sozialdemokraten, der Grünen und der Linken in Deutschland, aber auch in anderen Ländern laufen am Ende immer auf eine Vergemeinschaftung der Schulden hinaus. Entweder sollen Euro-Bonds eingeführt oder Altschuldentilgungsfonds aufgelegt werden. Ein erneuter Vorstoß in Richtung Vergemeinschaftung kommt nun im Zusammenhang mit dem Bankenrettungsfonds. Sie wollen nicht, dass jedes Land Rettungsfonds für seine Banken aufbaut, und zwar zusammen mit den betreffenden Banken – es ist klar, dass auch die Banken etwas dazu tun müssen –, sondern Sie sagen – das ist typisch für links –: Wir machen das europäisch. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das ist falsch! Unterlassen Sie das! Das ist eine Lüge!) Was wird die Folge sein? Herr Steinmeier, die SPD will einen europäischen Bankenrettungsfonds. Dann wird Gesamteuropa für die Banken haften. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das ist einfach falsch!) – Wenn wir uns da einig sind, ist es gut. Das kann einer Ihrer nachfolgenden Redner, zum Beispiel der Kollege Schneider, noch klarstellen. Dann treten Sie auch von dieser Meinung zurück. So haben Sie es schon bei den Euro-Bonds gemacht: Zuerst sind Sie dafür. Als Sie dann bemerkt haben, dass das ein Irrweg ist, waren Sie dagegen. (Peer Steinbrück [SPD]: Das ist ein Popanz, den Sie da aufbauen!) Den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland muss klar gesagt werden, warum die Aussage der Bundeskanzlerin, dass die Einlagen der Bürger sicher sind, nicht nur zutreffend, sondern auch untermauert ist. Das Land Zypern konnte seinen Bürgern keine Garantie für ihre Einlagen bei den Banken mehr geben, weil es sich finanziell übernommen hat. Das Land Bundesrepublik Deutschland – weil es von dieser Bundesregierung gut geführt wird, weil wir gesamtstaatlich Überschüsse haben – ist der größte Garant für stabile Finanzen und sichere Ersparnisse. Diese garantieren wir nicht nur durch unsere Haushaltspolitik, sondern eben auch durch unsere heutige Zustimmung zu den Maßnahmen für Zypern. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Griechenland, Portugal, Spanien und Irland geht es nun um ein Rettungspaket für einen Großteil der Banken auf Zypern – nicht für die Bevölkerung, nicht für die Wirtschaft, sondern wieder für die Banken. Laut Deutscher Bundesbank haben wir bisher rund 65 Milliarden Euro für die Rettungspakete für die Banken in Europa aufgewendet. Seit 2008 haben wir für die Rettung der deutschen Banken in Deutschland 285 Milliarden Euro aufgebracht. Wenn ich das addiere, komme ich auf einen Betrag von 350 Milliarden Euro. Die Frage ist: Wird dieses Geld je zurückfließen? Sie sorgen im Süden Europas dafür, dass diese Länder niemals in der Lage sein werden, das Geld zurückzuzahlen, und Sie trauen sich nicht, das ernsthaft von den Banken zu fordern. (Beifall bei der LINKEN) Auch beim Rettungspaket für die zyprischen Banken haften wir wie bei Irland, Griechenland, Spanien und Portugal mit 27 Prozent, und zwar haften die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für den Fall, dass diese Länder nicht in der Lage sind, die Darlehen fristgerecht zurückzuzahlen. Alle Auflagen, die Sie erteilen – das gilt auch für Zypern –, führen zu einem Rückgang der Kaufkraft, zu einem Rückgang der Wirtschaft und damit auch zu einem Rückgang der Steuereinnahmen. Zypern und die anderen Ländern werden deshalb nicht in der Lage sein, die Darlehen zurückzuzahlen. Wovon sollen denn dann die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler das Geld aufbringen? Es fehlt uns Geld für Kindertagesstätten, überhaupt für Bildung, für Gesundheit, für Investitionen, für Renten und Sozialleistungen. Zypern braucht zur Rettung und zur Abwicklung von Banken 23 Milliarden Euro. 13 Milliarden Euro sollen die Zyprioten selbst aufbringen, 10 Milliarden Euro sollen als Darlehen dazukommen. Die Wirtschaftsleistung Zyperns liegt bei 17 Milliarden Euro. Woher sollen die denn 13 Milliarden Euro nehmen? Übrigens waren es zunächst nur 7,5 Milliarden Euro, und dann wurden es 13 Milliarden Euro. Weshalb? Weil die Reichen vor der Konteneinfrierung Tipps bekamen und ihr Geld noch aus Zypern abziehen konnten. Wer klärt das eigentlich einmal auf, auch die Tatsache, dass Angehörige des konservativen zypriotischen Präsidenten dabei waren? (Beifall bei der LINKEN) Das ist wirklich ein starkes Stück. Jetzt hat eine Beraterfirma festgestellt, dass die Beweismittel schon vernichtet worden sind. Das ist doch der Gipfel der Unverschämtheit, um das einmal ganz klar zu sagen. (Beifall bei der LINKEN) Was verlangen die Troika und allen voran die Bundesregierung für die 10 Milliarden Euro, die als Darlehen vorgesehen sind? Sie verlangen wieder Privatisierungen, wieder Renten- und Lohnkürzungen und Entlassungen. Sie, Herr Fricke, haben gerade gesagt, dass das alles erforderlich sei. Nun wurde aber festgestellt, dass das zyprische Parlament zustimmen muss. Im Unterschied zu unserem leistet dieses gelegentlich Widerstand. Also warten wir einmal ab, was dort passieren wird. Aber zunächst – und das war eine wirklich dramatische Fehlentscheidung; da hat Herr Steinmeier recht – sollten, Herr Bundesfinanzminister, alle Sparerinnen und Sparer haften. Die kleinsten Konten sollten herangezogen werden. Ich muss Ihnen eines sagen: Faktisch sollte die Einlagensicherung von 100 000 Euro abgeschafft werden. Aber was das Schlimmste ist: Ich habe hier darüber gesprochen, und dann haben Sie mir vorgeworfen, dass ich die Sparerinnen und Sparer verunsichere. Nein, nicht ich verunsichere sie, sondern die Verunsicherung ist mit der Zustimmung der Bundeskanzlerin und des Bundesfinanzministers, jedes Konto in Zypern heranzuziehen, eingetreten. (Beifall bei der LINKEN) Beim neuen Rettungspaket ist es so, dass die Anleger bei der Laiki Bank betroffen sind, die vollständig abgewickelt werden soll. Hier sollen alle Sparguthaben über 100 000 Euro eingezogen werden. Das ist wohl rechtlich nicht ganz unproblematisch. Auf andere Aspekte komme ich noch zu sprechen. Bei den anderen Banken soll ein Schuldenschnitt erfolgen, und zwar durch Einbehaltung von 60 Prozent der Sparguthaben über 100 000 Euro. (Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) – Die anderen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wie vielen Banken reden wir denn?) – Ich meine nicht die Banken, sondern die Sparerinnen und Sparer. Aber trifft es wirklich die Vermögenden und die Reichen? Das wäre doch eine Chance. Nein! Die haben sich ja längst aus dem Staub gemacht. Wer zahlt also nun für die Banken auf Zypern in Zypern selbst? Es sind vor allem die Pensionskassen, also die Rentnerinnen und Rentner mit ihren Ersparnissen; sie werden enteignet. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für ein Unfug? – Weiterer Zuruf des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Gelder der Rentenkassen bei der abzuwickelnden Laiki Bank sind komplett weg. Bei den Verhandlungen mit der Troika versuchte die zyprische Seite, die Pensionskassen vor ihrer Enteignung zu schützen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ich komme auf die Grünen noch zurück. Sie sollten nicht so viel dazwischenrufen; Sie werden noch etwas zu hören bekommen. – (Beifall bei der LINKEN) Aber die Troika lehnte dies kategorisch ab. Bezahlen müssen die Krise auch die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen, liebe FDP, für die Sie angeblich immer so kämpfen und die mehr als 100 000 Euro auf dem Konto hatten, um zum Beispiel Löhne und Vorleistungen zu bezahlen. Viele von ihnen müssen jetzt Konkurs anmelden. Sie gehen in Insolvenz. Sie müssen ihre Beschäftigten entlassen. Die Anleger versuchen natürlich, so schnell wie möglich Zypern zu verlassen. Das stürzt Zypern in eine noch tiefere Krise. Was, bitte, soll das alles, Herr Bundesfinanzminister? Was haben Sie, was haben wir davon? Als wir in Deutschland in einer solchen Situation waren, haben wir ein Konjunkturprogramm beschlossen. Von den anderen verlangen wir regelmäßig, alles abzubauen, bis die Krise sich noch deutlich verschärft. (Beifall bei der LINKEN) Dann soll privatisiert werden. Ich nenne Ihnen die drei Beispiele: Die staatliche Telefongesellschaft, die staatlichen Häfen und die staatlichen Stromerzeuger sollen privatisiert werden. Diese Unternehmen aber haben Zypern Geld gebracht. Wenn die jetzt aus der Not heraus verbilligt verkauft werden müssen, fließt nie wieder Geld aus diesen Unternehmen an den Staat. Auch das macht es noch unwahrscheinlicher, dass Zypern die Darlehen zurückzahlen kann, und es macht es mithin wahrscheinlicher, dass gerade und vornehmlich auch die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dafür haften. Die Mehrwertsteuer wird von 17 auf 19 Prozent erhöht. Die Staatsangestellten müssen auf 14,5 Prozent ihrer Gehälter verzichten. Ab 2014 werden ihre Renten deutlich sinken. Das gilt für die Kindergärtnerin, das gilt für den Müllfahrer. All diese Menschen müssen die Krise bezahlen, obwohl sie nichts damit zu tun haben. (Beifall bei der LINKEN) Die EU prognostiziert infolgedessen in diesem Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung in Zypern um 9 Prozent, im nächsten Jahr um weitere 4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit wird weit über die jetzige Rate von 15 Prozent hinaus explodieren. Diese Prognosen waren regelmäßig zu optimistisch. Sie werden es auch in diesem Falle sein. Heute ist in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, dass der gesamte Export der Autoindustrie in Nord- und Mitteleuropa rückläufig ist, und zwar um 10 Prozent und in Deutschland sogar um 13 Prozent. Merken Sie denn nicht, dass Sie einen völlig falschen Kreislauf einleiten? Wir nehmen auch uns die wirtschaftlichen Chancen, wenn wir den Süden Europas derart verarmen, wie Sie das regelmäßig beschließen. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe einmal eine Frage: Wann haften eigentlich endlich die Banken für Banken? Was passiert denn, wenn ein Bäckermeister in Insolvenz gehen muss? Kommt da einer von dieser Regierung oder von SPD und Grünen und sagt: „Natürlich retten wir den armen Bäckermeister“? Keiner kommt! Auch bei Industrieunternehmen passiert das nicht. Nur bei den Banken können sich die Anteilseigner und die Eigentümer darauf verlassen. Sie können weltweit treiben, was sie wollen. Sie können zocken, wie sie wollen. Das spielt keine Rolle. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler übernehmen immer deren Entschädigung. Das ist nicht länger hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN) Um nicht missverstanden zu werden: Die Sparguthaben der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen kann man retten, aber nicht die Großaktionäre, nicht die weiteren Aktionäre und auch nicht sonstige Anteilseigner. Überall heißt es: Wenn sich ein Unternehmen verzockt hat, für das ich als Anteilseigner hafte, habe ich eben Pech gehabt. Nur bei den Banken gilt das nicht. Das hat übrigens, meine liebe FDP, mit Marktwirtschaft gar nichts zu tun. Der Markt hört bei Banken auf, und das rügt die Linke. So weit ist es schon gekommen in Deutschland. Was könnten wir also machen, damit die Banken haften? Ja, wir brauchen einen Bankenabwicklungsfonds, in den auch und in erster Linie die Banken einzahlen. Aber das wurde von der Bundesregierung verhindert. Ja, wir müssen etwas gegen die Kapitalflucht oder die Steueroasen tun. Es ist sehr schön, was Sie hier gesagt haben, Herr Steinmeier. Nur, in Ihrer Regierungszeit haben Sie nichts, aber auch gar nichts dagegen getan. (Beifall bei der LINKEN) Es waren ja nicht die Finanzbehörden, sondern es war ein Netzwerk von Journalistinnen und Journalisten, das Datensätze von über 130 000 Millionärinnen und Millionären aus über 170 Ländern öffentlich machte und dabei feststellte, dass ein Vermögen von rund 24 Billionen Euro – das ist mehr als ein Drittel der Wirtschaftsleistung der ganzen Welt – vor den Steuerbehörden versteckt wird. Mein Gott! Und wenn eine Hartz-IV-Empfängerin einmal eine falsche Angabe macht und 10 Euro zu viel bekommt oder es zu einer leichten Lohnüberzahlung kommt, dann kümmern sich darum bei uns sofort irgendwelche Leute, und es gibt Sanktionen. Aber wenn Millionen und Milliarden versteckt werden, achtet überhaupt keiner darauf. (Beifall bei der LINKEN) Wir forderten den Aufbau einer Bundesfinanzpolizei, eines Steuer-FBI. Ich muss nun sagen, Herr Bundesfinanzminister: Ihr Staatssekretär hat sich ja, wahrscheinlich in Ihrem Auftrag, unserer Idee angeschlossen. Ich muss Ihnen noch etwas sagen, Herr Bundesfinanzminister: Wenn Sie sich viel häufiger und viel früher unseren Ideen anschlössen, wären wir schon heraus aus der Krise. (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir schlagen vor, das Steuerrecht endlich dahin gehend zu reformieren, dass deutsche Staatsangehörige, ganz egal, wo sie wohnen, mit ihrem Einkommen in Deutschland steuerpflichtig werden. Dabei sind die im Ausland bereits gezahlten Steuern selbstverständlich von der Steuerschuld abzuziehen. Dasselbe muss für das gesamte Vermögen gelten, wenn wir endlich wieder eine Vermögensteuer erheben. Wir hatten das hier schon einmal beantragt. Da waren Sie alle dagegen, auch die Grünen und die SPD. Wissen Sie, was Sie gesagt haben? Es sei zu bürokratisch. Das ist völliger Unsinn. Wir brauchen ein bisschen Bürokratie, um Steueroasen wirksam bekämpfen zu können. (Beifall bei der LINKEN) Außerdem müssen wir Banken, die Kunden bei der Steuerflucht behilflich sind, die Lizenz entziehen; das ist ganz einfach. Wenn wir also sicherstellen, dass die Eigentümer der Banken, die Inhaber von Bankenanleihen vollständig zur Deckung der Verluste der Banken herangezogen werden, dann gibt es auch einen Weg aus der Krise. Nun brauchen wir in Deutschland und Europa eine regelmäßige Vermögensteuer für ein privates Vermögen von über 1 Million Euro und auch eine einmalige Vermögensabgabe. Warum trauen Sie sich nicht, das einzuführen? Mein Gott, eine Gesellschaft lebt nicht davon, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden. Wir brauchen hier eine Korrektur; selbst die Konservativen müssten einmal den Mut dazu aufbringen. (Beifall bei der LINKEN) Jetzt sage ich als Letztes, an SPD und Grüne gerichtet: Sie werden ja wieder zustimmen. Klar, wie bei allen Rettungspaketen werden Sie auch diesmal wieder zustimmen. Damit sagen Sie aber – das müssen Sie dann auch rechtfertigen – Ja zur Enteignung der Rentnerinnen und Rentner in Zypern, Ja zum Sozialabbau in Zypern, Ja zur Lohnkürzung und zu einer völlig falschen Privatisierung in Zypern. Sie sagen auch Ja zur Entlassung von Leuten und zur Haftung auch und gerade der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland. Sie sagen Ja zur Bezahlung der Krise durch Unbeteiligte und Unschuldige. Nur auf uns ist Verlass. Wir werden und können einem solchen Programm nicht zustimmen. (Beifall bei der LINKEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Und dafür hat er 15 Minuten gebraucht, um uns das zu erklären!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Dr. Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Gysi, warum sind wir denn heute Morgen hier? Wir reden über Zypern. Zypern hatte über einige Jahre einen kommunistischen Staatspräsidenten, der an den internationalen Finanzmärkten gezockt hat, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) den großen Kapitalisten gegeben hat (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) und dadurch sein Land in diese Situation gebracht hat, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der dann neun Monate lang einen Antrag gestellt hat und sich jeglicher Problemlösung verweigert hat. Sie, Herr Gysi, führen mit Ihrer Truppe diesen Weg der Problemlösungsverweigerung heute hier fort. Das ist kommunistische Politik. Sie führt die Menschen in den Abgrund und ins Elend. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich habe mich heute Morgen an dieser Debatte sehr erfreut; denn wir haben von allen Rednern, außer von Herrn Gysi, gehört, dass es Deutschland gut geht, dass wir die richtige Politik in Europa machen. Der Streit drehte sich deshalb nicht um die Fragen: Welche Politik muss für Deutschland gemacht werden? Welche Politik muss für Europa gemacht werden? Vielmehr hat Herr Steinmeier lediglich die Frage gestellt, ob für diese gute Politik die Opposition, die Koalitionsfraktionen oder die Bundesregierung verantwortlich sei. Ich glaube, wenn wir uns so breit einig sind, dass wir das Richtige tun, dann wäre es richtig, wenn wir das in der Zukunft genau so weiterführten. Liebe Frau Bundeskanzlerin, Sie sind offenkundig auf dem richtigen Weg. Wir sollten auf diesem Weg weitergehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben heute früh auch gehört, wo die Sozialdemokraten noch Optimierungspotenzial sehen. Sie haben uns als Vorbild die USA genannt, Herr Steinmeier; Sie haben uns als Vorbild Japan genannt. In beiden Ländern wird der Weg gewählt, die Probleme durch Intervention der jeweiligen Zentralbank zu lösen. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen! Wir sind der Meinung, dass die Zentralbank Geldpolitik machen sollte und wir als Politiker Finanzpolitik machen sollten. Staatsanleihenkäufe durch die Zentralbank sind nicht die Lösung, die wir wollen. Das ist ein massiver Unterschied zu dem, was Sie hier heute früh verlangt haben, Herr Steinmeier. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Japan und die USA als Vorbild? In beiden Ländern wird die Staatsverschuldung momentan in astronomische Höhen getrieben. Japan liegt im nächsten Jahr bei etwa 250 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts, die Vereinigten Staaten liegen im nächsten Jahr bei etwa 110 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts. Ist das denn ein Vorbild, wo wir in Griechenland und in anderen Fällen gelernt haben, dass übertriebene Staatsverschuldung ins Elend führt? Lieber Herr Steinmeier, ist das wirklich der Weg, den wir gehen sollten? Ich sage: Nein. Wir brauchen für die künftigen Generationen, für ein stabiles Europa seriöse, stabile, nachhaltige Staatsfinanzen. Da geht Ihr Vorschlag eindeutig in die falsche Richtung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eine letzte Bemerkung zum Thema „USA als Vorbild“. Es gibt da eine ganz enge Beziehung; ich finde das ganz toll. Die wesentliche Perspektive der USA kommt aus der Energiepolitik. Die USA werden Fracking massiv vorantreiben, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, leider!) um sich energiepolitisch wesentlich günstigere Konditionen zu verschaffen. Wenn Sie der Meinung sind, das sei der richtige Weg, nehme ich das zur Kenntnis. Wir sind der Meinung, dass wir beim Thema Fracking einen verantwortungsvollen Weg gehen sollten und nicht einen Weg, der möglichst schnell möglichst viel Geld in unsere Kasse bringt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf der Abg. Iris Gleicke [SPD]) Ich darf für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erklären, dass wir die fünf Entscheidungen, zu denen das Bundesfinanzministerium den Deutschen Bundestag in dem heute vorliegenden Antrag um Zustimmung bittet, unterstützen werden, und zwar deshalb, weil wir glauben, dass wir an dieser Stelle auf dem richtigen Weg sind. Man kann natürlich über die Größe Zyperns diskutieren, darüber, ob eine Volkswirtschaft wie Zypern die Finanzstabilität in Europa gefährden kann. Wenn man die Vernetzung des Finanzsystems von Zypern in andere Länder, speziell nach Griechenland, sieht, wenn man betrachtet, in welcher Lage andere europäische Länder mit einem Rettungsprogramm, nämlich etwa Irland, Portugal und Spanien, momentan sind – sie sind eigentlich auf einem guten Weg, ihre Probleme zu lösen –, ist doch die Frage: Sollen wir diese Länder in neue Gefahren stürzen, indem wir jetzt plötzlich Nein sagen? Sollen wir in ganz Europa eine Debatte darüber beginnen, welche Länder möglicherweise auch nicht gestützt werden? Wir haben es in den vergangenen Monaten doch geschafft, massives Vertrauen in die europäische Politik zu erzeugen. Alle in der Welt glauben: Die Europäer werden den Euro stabilisieren und die Probleme lösen. – An dieser Stelle ist es richtig, dass wir eindeutig sagen: Ja, Zypern muss jetzt gestützt werden, um die Finanzstabilität in der Euro-Zone insgesamt zu erhalten. Deshalb sagen wir an dieser Stelle ein klares Ja. Es gibt in unserem Land eine Diskussion darüber, ob die fünf Entscheidungen, die wir heute treffen wollen, an einem Tag hier im Parlament diskutiert werden können oder ob sie nicht nacheinander diskutiert werden müssten. Wir haben uns beim Europäischen Stabilitätsmechanismus als Deutscher Bundestag wesentlich größere Mitbeteiligungsrechte gesichert, als dies vorher bei der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität der Fall war. Zypern hat seinen Antrag noch nach den Regeln der EFSF gestellt, weil der ESM zu diesem Zeitpunkt noch nicht beschlossen war; es gab lediglich eine Diskussion dazu. Deshalb sind wir der Meinung, dass wir über das, was das Bundesministerium der Finanzen hier vorschlägt, nämlich über das Ob eines Hilfsprogramms und über den Inhalt eines Hilfsprogramms, also das Wie, am heutigen Tag gemeinsam entscheiden können und dass dies durchaus den Regeln der Mitbestimmung des Deutschen Bundestages entspricht, meine Damen und Herren. Herr Steinmeier hat die Frage der Gerechtigkeit aufgeworfen. Beim Thema „Gerechtigkeit in Europa“ muss man, glaube ich, sehr deutlich die Frage stellen: Was ist denn gerecht? Wir haben drei Alternativen. Die eine Alternative wird uns momentan außerhalb des Parlaments vorgetragen, nämlich die Zerschlagung des Euro-Raums, die Auflösung der Währungsgemeinschaft. Da kann man einmal die Kosten betrachten. Es sind uns in den vergangenen Monaten immer die TARGET-Salden der Europäischen Zentralbank vorgehalten worden: (Otto Fricke [FDP]: Aber nur, wenn sie hoch sind!) knapp 800 Milliarden Euro. Sie sind übrigens momentan im Rückgang begriffen, weil sich die Lage entspannt. Momentan ist es aber nur eine Buchungsposition. Wenn man den Wahnsinn der Auflösung wirklich begehen würde, würde aus der Buchungsposition schlagartig ein Verlust werden. Ist das denn ein Gewinn für Deutschland? Glauben wir, unseren Export, der zu zwei Dritteln in die Euro-Zone geht, tatsächlich mit einer deutlich stärkeren Währung massiv schwächen zu müssen und dadurch ein bisschen weniger Wachstum und etwas höhere Arbeitslosenzahlen in Deutschland zu organisieren? Trägt dies zum Wohlstand, zur sozialen Sicherheit in unserem Land wirklich bei? Ich sage: Nein. Wir tun mehr für Wohlstand, mehr für Arbeitsplätze, mehr für unsere nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung innerhalb des Euro-Raums. Deshalb scheidet für uns diese Alternative aus, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Die andere Alternative wird von den Sozialdemokraten und vom Bündnis 90/Die Grünen aufgemacht. Das umschreibt Herr Steinmeier mit dem Begriff „Gerechtigkeit“. Ist es denn gerecht, dass die zyprische Regierung auf nationaler Ebene ein Geschäftsmodell wählt und wir in Deutschland dafür über eine gemeinsame Haftung am Ende die Rechnung bezahlen? (Rainer Brüderle [FDP]: So ist es!) Dazu sage ich: Nein. Der, der entscheidet, muss auch die Verantwortung tragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb müssen wir, wenn national entschieden wird, auch national die Verantwortung wahrnehmen. Das richtet sich nicht dagegen, dass wir Solidarität üben; aber das Verantwortungsprinzip „Entscheidung und Haftung in einer Hand“ muss gelten. (Joachim Poß [SPD]: Das ist Feindbildpflege!) An dieser Stelle sehen wir einen zentralen Unterschied zu Rot-Grün. Sie sagen: Jeder trifft seine Entscheidungen, aber am Ende wird die Rechnung gemeinsam bezahlt. – Das ist nicht gerecht, das ist unverantwortlich, weil es zulasten der Menschen in Deutschland geht, die diese Rechnung bezahlen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das sehen Ihre Sachverständigen anders! Sie heucheln hier herum!) Die Euro-Zone ist handlungsfähig – das haben wir in den vergangenen Monaten gezeigt –, und das glauben auch die Beobachter aus dem In- und Ausland. Jetzt will ich etwas zum Thema Gläubigerbeteiligung sagen. Herr Steinmeier hat hier vorgetragen, die Opposition hätte uns dazu treiben müssen. Ich will ihm seinen Glauben lassen; (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!) aber ich will auch darauf hinweisen, dass wir seit dem 1. Januar 2011 in der Bundesrepublik Deutschland ein Restrukturierungsgesetz haben, in das wir genau dies hineingeschrieben haben, nämlich dass es zu einer Beteiligung der Gläubiger der Banken und der Eigentümer der Banken kommt. Das heißt, wir haben das für uns in Deutschland vor über zwei Jahren gesetzlich geregelt. Deshalb ist es auch nicht unangemessen, wenn wir jetzt in Zypern von anderen eine Gläubigerbeteiligung nach genau diesen Prinzipien einfordern, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zum Thema Geldwäsche möchte ich sagen: Ja, aus meiner Sicht ist es eine Schweinerei, wenn Steuern hinterzogen werden, und, lieber Herr Gysi, es ist auch eine Schweinerei, wenn Sozialbetrug begangen wird. Beides ist gegenüber dem ehrlichen Steuerzahler in diesem Land nicht zu verantworten. (Joachim Poß [SPD]: Daraus müssen Sie nur Konsequenzen ziehen!) Da sage ich nicht: Der eine ist besser als der andere, sondern beides ist für jemanden, der in diesem Land rechtstreu ist, nicht akzeptabel und kann von uns nicht akzeptiert werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Dann hätten Sie eine andere Steuerpolitik machen müssen!) Deshalb freue ich mich, wenn jetzt Luxemburg und Österreich Signale senden, indem sie sagen, dass wir im Bereich der Kapitalertragsbesteuerung in Europa nicht nur bei den Zinsen, sondern bei allen Kapitalerträgen und beim Informationsaustausch näher zusammenkommen sollten. Diese Bewegung wird auch über die EU-Zone hinaus, über Europa hinaus, dazu führen, dass wir bei Kapitalerträgen gemeinsam zu einer besseren Bekämpfung der Hinterziehung kommen. Es ist richtig, dass Herr Schäuble die Frage der Gestaltungen im Bereich der Unternehmen thematisiert hat und dass wir auch dort versuchen, auf den Ebenen von G 7 und G 20 zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, um diese Modelle in die Vergangenheit zu befördern und an dieser Stelle in Zukunft zu einer fairen Besteuerung zu kommen. Wir sind auf dem richtigen Weg, und wir müssen ihn konsequent gehen. Jetzt komme ich zum Steuerabkommen. Lieber Herr Steinmeier, beim Zustandekommen des Steuerabkommens mit der Schweiz hätten wir zur Stunde über 2 Milliarden Euro in den deutschen Steuerkassen, nämlich durch die Abgeltungen derjenigen, die in der Vergangenheit dort unterwegs waren. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es! – Joachim Poß [SPD]: Aber dauerhafte Anonymität!) Diese 2 Milliarden Euro haben die SPD und die Grünen dem deutschen Steuerzahler genommen, indem sie nicht zugestimmt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) Sie haben sich als Sozialdemokraten zum Anwalt der Steuerhinterzieher gemacht. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jawohl!) Sie haben mit Ihrem Abstimmungsverhalten Steuerhinterzieher in Deutschland geschützt. Sie sollten sich nicht hierhinstellen, große Reden gegen Steuerhinterziehung halten und dagegen stimmen, wenn entsprechende Gesetze auf dem Tisch liegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ist die bittere Wahrheit!) In Zypern muss das Geschäftsmodell geändert werden. Es kann nicht sein, dass das große Zocken an den Kapitalmärkten von Zypern weitergeführt wird. Deshalb sagen wir Zypern nicht, dass sie abbauen müssen. Zypern muss sein Geschäftsmodell umbauen. Es braucht ein nachhaltig tragfähiges Geschäftsmodell für seine Volkswirtschaft. Das steht jetzt auch im Memorandum of Understanding, über das wir heute befinden. Es kann nicht das Verhalten weitergeführt werden, das zu diesem Unglück geführt hat. Deshalb werden wir diesen Umbau begleiten, wenn Zypern bereit ist, diesen Weg zu gehen. Ich hoffe, dass die Kollegen im zyprischen Parlament dies auch so sehen und unterstützen. Ich hoffe, dass das, was ich eben gesagt habe, auch verstanden wird. Bei dem Thema Staatsbürgerschaften mache ich mir etwas Sorgen, ob das, was ich gerade formuliert habe, schon von allen verstanden worden ist. Deshalb muss hier möglicherweise noch etwas Überzeugungsarbeit geleistet werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Zum Abschluss einen herzlichen Dank an Herrn Schäuble. Denn das Verhandlungsergebnis, das uns vorliegt und das wir als Erfolg bewerten, war nicht trivial, wenn man hört, dass lediglich der Internationale Währungsfonds an der deutschen Seite stand und wir unsere Position gegen viele Widerstände erreichen mussten. Herzlichen Dank! Ich glaube, wir können diesem Ergebnis heute mit Überzeugung zustimmen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gregor Gysi das Wort. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, komm! Wir sind doch nicht im Deutschen Theater!) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ich muss auf einen Umstand hinweisen, den Sie falsch dargestellt haben; das kann auch aus außenpolitischen Gründen so nicht stehen bleiben. Sie haben gesagt, dass die linke AKEL-Regierung in Zypern höhere Steuern für Unternehmen verhindert hat etc. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Kommunistische Regierung!) Das ist falsch. Ich will Sie auf Folgendes hinweisen: Die AKEL-Regierung hatte in der Abgeordnetenkammer Zyperns nie eine Mehrheit. Sie hat im Jahr 2011 zwei Vorschläge unterbreitet – sehr moderat –, um eine Zustimmung im Parlament zu erreichen. Sie wollte nämlich die Unternehmensteuern für eine Übergangszeit von zwei Jahren von 10 auf 11 Prozent erhöhen. Außerdem wollte sie eine permanente Steuererhöhung für großen Land- und Immobilienbesitz mit einem Wert von über 1,5 Millionen Euro einführen. Jetzt sage ich Ihnen, was in der Abgeordnetenkammer passierte: Beide Gesetzesinitiativen wurden von der konservativen Partei, der liberalen Partei und der Europapartei abgelehnt. Die Sozialdemokraten stimmten für ein temporäres Anheben der Unternehmensteuer, aber gegen eine Steuer auf großen Immobilienbesitz. Daran ist es gescheitert. Wäre es nach der AKEL gegangen, hätte sie noch drastischere Steuererhöhungen vorgenommen. Aber die Konservativen, die Sozialdemokraten und die Liberalen haben es verhindert. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen. (Harald Weinberg [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Keine Antwort ist auch eine Antwort!) Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den gehaltenen Reden weiß ich nicht, ob ich mehr von den Voodoo-Reden von Herrn Fricke und Herrn Meister beeindruckt sein soll. Diese Voodoo-Reden hatten ein bisschen den Inhalt: Diese Bundesregierung hat alles gut gemacht und ist schon eine tolle Truppe. – Das haben wir so aber nicht wahrgenommen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) – Dass Sie sich in diesen Tagen selber Mut zuklatschen, verstehen alle bei dem Desaster, das Sie selber immer wieder organisieren. Das waren wirklich Voodoo-Reden. Oder soll ich beeindruckter sein von den Pirouetten, die Gregor Gysi vollzogen hat? Es gab kein wirkliches Wort zur Frage des zyprischen Geschäftsmodells, das beendet werden muss. Es gab in Ihrer Rede kein Wort – jetzt gerade ein bisschen – zum vorherigen kommunistischen Präsidenten, stattdessen nur lauter wilde Dinge. Ich muss sagen, Gregor Gysi: Du bist ein wenig herumgehüpft wie Robin Hood in Sherwood Forest, der Rächer der Witwen, Waisen und Rentner. Leider war das ungetrübt von jeglicher Sachkenntnis. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Dann kommt die Rolle irgendwann einmal an ihr Ende: In das Hilfspaket, dem die Linke gleich nicht zustimmen wird, sind nämlich 400 Millionen Euro eingestellt, um die Renten abzusichern. Wer solch eine Robin-Hood- und Sherwood-Forest-Rede hält, müsste eigentlich zustimmen, zumindest einem Teil des Pakets. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]) Meine Damen und Herren, das Rettungspaket für Zypern ist nach einigen Irrungen und Wirrungen, wie wir glauben, gut geworden. Ich sage ganz selbstbewusst: Es ist auch deshalb gut geworden, weil wir Grüne Druck gemacht haben und von Anfang an gesagt haben: Zu den alten Bedingungen werden wir nicht zustimmen. – Es ist richtig, dass wir jetzt die Beteiligung der Gläubiger, der Einlegerinnen und Einleger von über 100 000 Euro in das Rettungspaket integriert haben, weil es heißen muss: Wer vorher den Profit aus einem Geschäftsmodell gezogen hat, muss dann auch die Last tragen. Es ist richtig, dass der überbordende zyprische Bankensektor jetzt geschrumpft wird, auch wenn wir wissen: Dies hat Folgen im sozialen Sektor. Darauf müssen und werden wir achten. Es ist richtig, dass wir zur Erhöhung der Unternehmensteuern kommen und versuchen, dem Steuerdumping eines Mitgliedstaats ein Ende zu setzen. Da ist Zypern im Übrigen nicht alleine. Wir setzen in Europa auf der einen Seite auf Solidarität; auf der anderen Seite wird Steuerdumping immer noch praktiziert. Meine Damen und Herren, wir stimmen dem Paket nicht nur aus den genannten Gründen oder aus solidarischen Gründen zu, sondern auch, weil wir wissen, dass Zypern für die Stabilität und Sicherheit der Region wichtig ist. Ich muss aber feststellen – deshalb habe ich gerade gesagt: „nach einigen Irrungen und Wirrungen“ –: Diese Bundesregierung hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Eigentlich haben Sie den Start beim Schnüren des Zypern-Pakets ein Stück weit verhunzt. Ich frage mich schon: Wo waren eigentlich Frau Merkel und Herr Schäuble, als in der ersten Verhandlungsrunde die Beteiligung von Vermögen auch unter 100 000 Euro mit in der Debatte war? In jener Nacht hätte es eigentlich heißen müssen: Wir bleiben bei der Grenze von 100 000 Euro, und für alles darunter garantieren wir. (Otto Fricke [FDP]: Was? Wir garantieren für nichts!) Meine Damen und Herren, auch dort haben Sie durch ein zu spätes Agieren Irrungen, Aufruhr und Probleme mit verursacht. Das Problem besteht darin, dass es mittlerweile in ganz Europa ein Misstrauen hinsichtlich der Sicherheit selbst kleinster Ersparnisse gibt. Ich glaube, eines wissen wir: Dies ist der negative Teil der ganzen Verhandlungen über das Zypern-Paket, der sich auf viele andere Bereiche auswirkt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann sagen: Es gibt eine europaweite Vertrauenskrise. Herr Schäuble, da reicht es nicht, hier jetzt zu sagen – Sie haben das gerade gemacht –: Die Menschen in Deutschland wissen um die Bedeutung der Europäischen Union für Deutschland. – Sie haben gesagt: 70 Prozent wollen weiterhin den Euro. Herr Schäuble, es gibt aber auch andere Zahlen: Laut Eurobarometer hatten schon Ende letzten Jahres nur noch 33 Prozent der befragten Europäerinnen und Europäer Vertrauen in die Institutionen der Europäischen Union. Das war der zweitniedrigste Wert seit 2004. Dazu gehört auch, dass es in Europa, mit der AfD mittlerweile auch in Deutschland – Herr Meister hat es angesprochen –, ein Wachstum europakritischer Parteien gibt, die sagen: „Raus aus der Euro-Zone!“, die sich in einer Situation, die gar keine Alternative dazu kennt, in der Euro-Zone zu bleiben, als populistische Alternative aufbauen. Da reicht es nicht, Herr Schäuble, ein bisschen mantramäßig festzustellen: Die Menschen wissen schon um die Bedeutung der EU. Ich sage Ihnen: Die Menschen sind auch nach dem Schnüren des Zypern-Pakets verunsichert und fragen sich trotz alledem: Wie soll es eigentlich mit der Europäischen Union weitergehen? Ich muss sagen: Sie sind heute, aber auch in den letzten Monaten die Antwort auf diese Frage schuldig geblieben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir erwarten mehr als ein Beschwören einzelner Formeln. Wir erwarten, dass Sie in bestimmten Bereichen tatsächlich aktiv werden und nicht nur formulieren, dass die Finanzmärkte ernsthaft reguliert werden, wir zu einer Schuldenbremse für die Banken kommen und wir wirklich transparente, klare Regeln für die Abwicklung maroder Banken über einen Bankenrestrukturierungsfonds schaffen. Wo sind Ihre Aktivitäten an dieser Stelle? Es muss einen Schub bei der Bekämpfung von Geldwäsche und beim Austrocknen von Steueroasen geben. Wir müssen endlich bei den Investitionsprogrammen weiterkommen, über die wir immer geredet haben. Herr Schäuble, Sie haben vorhin gesagt: Es gibt ein Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Aber die Jugendarbeitslosigkeit kann man nicht einfach mit 6 Milliarden ins Nichts hinein bekämpfen, sondern man muss für Investitionsprogramme und die Gründung neuer Unternehmen sorgen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Wo sind diese Programme? Wo ist zum Beispiel die Initiative für eine Energiewende in Europa, für die Einhaltung der hehren Klimaziele, damit in deren Sog neue Unternehmen entstehen? Ich frage Sie, Herr Schäuble: Wo ist die Verve, mit der die Kanzlerin für ein Europa der Zukunft eintritt, für ein Europa, das in Zukunft die Bürger mit einbezieht, ein Europa, in dem sich alle einig sind, dass wir gemeinsam über unsere Weiterentwicklungen reden und auch in einem europäischen Volksentscheid darüber entscheiden? Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Schäuble, Frau Merkel, am Ende ist es noch gut gegangen, und wir werden dem Zypern-Paket zustimmen. Aber dazu, wie Sie mit Innovation und Verve die Zukunft Europas organisieren wollen, haben Sie heute wenig geliefert. Diese Debatte steht noch aus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Frank Schäffler erhält nun das Wort für die FDP-Fraktion. Frank Schäffler (FDP): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was heute stattfindet, ist ein Rechtsbruch, ein kollektiver Rechtsbruch. (Beifall des Abg. Jens Ackermann [FDP] – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das sieht das Bundesverfassungsgericht anders!) Alle haben sich darauf verständigt, den ESM, den wir gerade geschaffen haben, die Regeln, die wir dort beschlossen haben, einfach beiseite zu wischen; denn kein Mensch kann ernsthaft behaupten, dass eine halbe Insel wie Zypern, deren größte Bank kleiner ist als die Hamburger Sparkasse, irgendwie systemrelevant für den Währungsraum als Ganzes ist. Das ist absurd. (Beifall der Abg. Jens Ackermann [FDP], Dr. Peter Gauweiler [CDU/CSU] und Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU] – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gehen Sie doch zur AfD!) Auch das was die Europäische Zentralbank fortgesetzt macht, ist ein kollektiver Rechtsbruch; denn das, was hier passiert, ist nichts anderes, als die Rettung der zypriotischen Notenbank. (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die höchstrichterliche Rechtsprechung sagt etwas anderes!) Sie hat seit September 2011 der Laiki Bank 9,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Sie hat sie am Leben gehalten. Sie hat dafür gesorgt, dass Einleger ihr Geld abziehen konnten, dass sie im Zweifel nicht haften. Letztendlich wird jetzt die zypriotische Notenbank herausgeboxt; denn deren ELA-Kredite werden jetzt auf die Bank of Cyprus übertragen. Das ist ein Taschenspielertrick: Nach außen wird gesagt, dass die Gläubiger beteiligt werden, aber der größte Gläubiger, die zypriotische Notenbank, wird herausgeboxt. Das ist das, was hier tatsächlich passiert. Die eigentliche Ursache dieser Krise ist aber eine ganz andere, nämlich eine Krise unseres Geldsystems, weil wir es nicht schaffen, das Geldmonopol des Staates abzuschaffen. Letztendlich hat die Geldpolitik des Staates dazu geführt, dass sich diese Länder überschuldet haben, dass sich die Wirtschaften überschuldet haben, dass wir ein Schneeballsystem aus ungedeckten Forderungen entwickelt haben; und diese ungedeckten Forderungen platzen jetzt. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Der Staat? Interessante These!) Die Antwort auf diese Krise kann eigentlich nur sein, dass wir zu einer marktwirtschaftlichen Geldordnung kommen, zu einer Geldordnung, die Sparen und Investieren und die Kreditvergabe wieder in Einklang bringt. Wer Geld aus dem Nichts produziert, indem er als Bank auf den Knopf drückt, der verursacht Blasen, die immer wieder platzen. (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Quatsch!) Jetzt platzt die Blase in Zypern, morgen platzt die Blase in Portugal, übermorgen in Frankreich. Das heißt: Wir stehen am Anfang dieser Finanzkrise. Wenn wir immer mehr Geld in das System pumpen, dann führt das am Ende dazu – und das ist das Gegenteil dessen, was viele hier in diesem Haus wollen –, dass diese Währung vor die Wand fährt. Ihre Existenz wird nicht von Dauer sein, wenn wir sie immer wieder mit neuem Geld befeuern. Die Brandstifter in diesem System sind die europäischen Notenbanken und die Europäische Zentralbank. Herr Draghi tut das Gegenteil dessen, was er nach den Verträgen eigentlich tun muss: die Preisstabilität des Euro sichern. (Beifall der Abg. Jens Ackermann [FDP], Dr. Peter Gauweiler [CDU/CSU] und Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]) Er boxt die Länder heraus. Das, was in Irland heute passiert, ist das Gegenteil dessen, was uns jahrelang gesagt wurde. Wir haben immer gehört: Irland ist doch das beste Beispiel, da läuft es super. – Aber wenn es super laufen würde, dann müssten wir die Laufzeiten der Kredite nicht verlängern. Das Gegenteil ist der Fall. Die EZB hat die Iren herausgeboxt. Am Ende hat der irische Staat 20 Milliarden Euro weniger an Zinszahlungen zu leisten, weil die EZB das Geld schlicht gedruckt hat. Wer diesen Weg weitergeht, der wird die Währung ruinieren. Vielen Dank. (Beifall der Abg. Jens Ackermann [FDP], Dr. Peter Gauweiler [CDU/CSU] und Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Carsten Schneider ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Fall Zypern zeigt, dass wir es bei der als Euro-Krise beschriebenen Situation im Euro-Raum nicht mit einer Krise der Währung zu tun haben, Herr Schäffler, sondern mit einem überbordenden und unkontrollierten Bankensystem, das die Gefahr birgt, Staaten und Staatsfinanzen und damit im schlimmsten Fall unser Währungssystem zu Fall zu bringen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Programm, das wir heute für Zypern verabschieden, ist Ausdruck eines Paradigmenwechsels, den wir Sozialdemokraten gefordert haben und deswegen jetzt auch unterstützen. Der Paradigmenwechsel bedeutet, dass die Privatgläubiger, die Risiken eingegangen sind, indem sie einem Offshorefinanzplatz, wo man wenig Steuern zahlt und sein Geldvermögen geheimhalten kann, Geld anvertraut haben, und diejenigen, die Aktionäre dieser beiden Banken waren, aber auch Einleger – ich will Ihnen sagen: Aus meinem Wahlkreis war das keiner, so reich sind die Leute bei mir in Erfurt nicht; aber es muss wohl welche geben, die dort Einlagen hatten – jetzt die Hauptzeche für die Lasten zahlen, die durch diese Krise entstanden sind, das ist richtig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Herr Schäuble, diesen Paradigmenwechsel hätten Sie, auf Deutsch gesagt, fast noch versaut. Das war der Fehler, den Sie mit Ihren Kollegen gemacht haben. Sie und die Bundeskanzlerin haben uns hier empfohlen, einer Beteiligung der Kleinsparer an der Sanierung der Banken zuzustimmen. Das war ein großer ökonomischer und politischer Fehler, der zu einer tiefen Verunsicherung geführt hat. (Beifall bei der SPD) Ich glaube, es wird gerade in den südeuropäischen Ländern schwer sein, wieder Vertrauen aufzubauen. Nichtsdestotrotz ist das jetzt vorliegende Paket, insbesondere was die Gläubigerbeteiligung betrifft, richtig. Herr Meister, Sie haben wieder die Mär vorgetragen, die Sozialdemokraten wären für eine Vergemeinschaftung der Schulden. Sorry, das ist nicht der Fall. Dass Sie das so gesagt haben, kann nur daran liegen, dass Sie jetzt einen Punchingball brauchen wegen der Abspaltung eines Teils Ihres rechten Flügels, der Alternative für Deutschland. Wenn Sie dem Kollegen Schäffler zugehört haben, haben Sie mitbekommen, dass er auch über die EZB gesprochen hat. Ich teile nicht jede seiner Einschätzungen dazu, vor allen Dingen nicht seine Schlussfolgerung, aber dass wir über die Europäische Zentralbank schon längst in einer Haftungsgemeinschaft sind, ist doch Fakt. Das ist Fakt, Herr Meister. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Na klar! Natürlich! Sicher! Klar! Das weiß er ja auch!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Lieber Kollege Schneider, darf der Kollege Fricke eine Zwischenfrage stellen? – Bitte schön. Otto Fricke (FDP): Herr Kollege Schneider, ich glaube, es wurde weder vom Kollegen Meister noch von mir bestritten, dass es eine anteilige Haftung in Europa gibt. (Zurufe von der SPD: Ah!) Das ist Teil der europäischen Verantwortung. Weil Sie auf diesem Gebiet ein ausgewiesener Experte sind, wissen Sie genauso gut wie ich, dass das nie ein Streitpunkt war. Weil Sie gesagt haben, die SPD sei nicht für eine Vergemeinschaftung von Schulden und der Kollege Steinmeier eben heftig widersprochen hat und ich eine solche Sache gerne geklärt habe, damit sie vom Tisch ist, will ich die Gelegenheit nutzen, Sie Folgendes zu fragen: Sagen Sie hiermit, dass die SPD gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden im Sinne einer gesamthänderischen Haftung ist? Sind Sie in der Lage – darauf bezog sich der Widerspruch –, (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Nein! Das ist schon wieder falsch!) hier zu sagen: „Die SPD wird einer Vergemeinschaftung von Bankenrettungsfonds nicht zustimmen“? Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Es ist gut, dass Sie das ansprechen, Herr Kollege Fricke. Das gibt mir Gelegenheit, meine Redezeit zu verlängern. (Otto Fricke [FDP]: Das soll es ja auch!) Erstens. Die deutsche Verfassung, das Grundgesetz ist eindeutig. Wir können keine gesamtschuldnerische Haftung für die Schulden anderer Staaten der Euro-Zone übernehmen – Punkt. Das ist im Grundgesetz normiert, und das teilen wir als Sozialdemokraten. Wir sind der Auffassung, dass wir die Währungsunion auch um eine echte Fiskalpolitik erweitern müssen. Das bedeutet vor allen Dingen eine stärkere Vereinheitlichung im Bereich der Steuerpolitik, zum Beispiel, dass es nicht länger Dumpingsteuersätze quer durch Europa gibt. Vor allen Dingen bedeutet das aber, dass wir Kontrolle über die Haushalte anderer Mitgliedstaaten bekommen, nicht wir als Bundestag, sondern etwa eine europäische Behörde. Aber das ist Zukunftsmusik. Das ist im Übrigen das, was auch der Bundesfinanzminister zu einer Verstärkung und Erweiterung der Währungsunion zu einer Fiskalunion sagte. Es ist ein Fehler gewesen, den Euro als Währung ohne eine gemeinsame Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik in die Welt zu setzen. Darunter leiden wir heute. Diesen Fehler müssen wir langfristig korrigieren. Jetzt komme ich zum zweiten Teil der Frage, zur Frage der Vergemeinschaftung der Banken. Das ist ein ganz wichtiger und zentraler Punkt. Sie sind dafür, dass es auf europäischer Ebene eine gemeinsame Bankenaufsicht gibt. Das ist richtig. Dazu gehört aber auch – dem hat die Bundeskanzlerin auf zwei Gipfeln zugestimmt; ich denke, dafür hat sie Ihre Unterstützung –, (Otto Fricke [FDP]: Aber mich interessiert Ihre Meinung!) dass der Teufelskreis bzw. die Verbindung zwischen Staatsfinanzen und Bankenbilanzen durchbrochen wird. Was bedeutet das? Wenn wie in Zypern das Bankensystem in einem Staat kollabiert, zieht es die Staatsfinanzen mit sich, weil die Staatsschuldenlast anwächst, weil wie in Irland oder Spanien geschehen, die Schulden vom Staat übernommen werden müssen. Letztendlich ist dann auch das Land in Finanzierungsschwierigkeiten und hat keinen Zugang mehr zum Kapitalmarkt. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden. Das ist zwingend notwendig. Das ist im Übrigen einer der Schlüssel, um die Euro-Krise zu überwinden und die Wachstumsaussichten der südlichen Peripherie wieder zu stärken. (Otto Fricke [FDP]: Die Antwort fehlt immer noch!) Denn deren Banken sind unterkapitalisiert; sie haben zu viele Verluste in den Bilanzen und können deswegen keine Kredite mehr vergeben. Was ist die Antwort darauf? Die Antwort ist nicht ein nationaler Abwicklungsfonds. (Otto Fricke [FDP]: Aha!) Diese Antwort wäre falsch; das ist ganz klar. Wir Sozialdemokraten und übrigens die komplette Wissenschaft und auch die Europäische Kommission sehen das so. Wir sind dafür, dass die Aktionäre der europäischen Banken – nicht die Einleger – gemeinsam etwas von ihren Gewinnen in einen europäischen Fonds einzahlen, so wie es in Deutschland gemacht wird, nur mit höheren Summen. Der Bankenhaftungsfonds hier in Deutschland hat ein Volumen von 2 Milliarden Euro. Das ist lächerlich. (Otto Fricke [FDP]: Aber nicht der Staat?) – Nicht der Staat. – Die Banken selbst sollen Abgaben auf ihre Gewinne zahlen – diese Abgaben sollen höher sein als das, was in Deutschland gezahlt wird –, um aus diesem Fonds die Verluste im europäischen Bankensektor im Ernstfall decken zu können. Nur so kann es gelingen, diese Abwärtsspirale, von der Banken und Staaten betroffen sind, zu durchbrechen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist die entscheidende und auch rechtlich machbare Maßnahme, die es schnellstmöglich, Herr Minister Schäuble, umzusetzen gilt. Sie haben auf das hingewiesen, was in Dublin erörtert wurde. Dass Sie sagen, die Einführung einer europäischen Bankenaufsicht sei im Rahmen der europäischen Verträge noch möglich, das gehe gerade noch so, aber eine Bankenabwicklung sei nicht möglich, sei ein Fehler. Wenn Sie sagen, dass Sie eine europäische Bankenaufsicht einführen wollen und dass die Europäische Zentralbank die Aufsichtsfunktion wahrnehmen soll, die aber, so wie Kollege Schäffler eben gesagt hat – in dem Punkt hat er recht –, Hauptgläubiger und Kreditgeber vieler Banken ist, frage ich mich: Wie soll sie unabhängig Geldpolitik machen können? Wie soll sie agieren und eine Bank schließen können, wenn sie weiß, dass sie Hauptlasttragende ist? Deswegen ist es eine Mär, Kollege Meister, wenn gesagt wird, wir hätten bisher keine – zumindest teilweise – Vergemeinschaftung der Schulden. Wir haben sie über das System der Europäischen Zentralbank: Es sind Liquiditätshilfen in einem Umfang von 1,4 Billionen Euro an die Banken vergeben worden – unter Zugrundelegung sehr niedriger Sicherheitsstandards und im Übrigen ohne Information des Deutschen Bundestages. Das findet quasi in einem vordemokratischen Raum statt. Um das wieder in die Hand des Parlaments zurückzuholen, aber auch um es möglich zu machen, große Banken, die die Staaten erpressen, abzuwickeln, brauchen wir einen unabhängigen Aufseher und vor allen Dingen ein Abwicklungsregime. Wir haben weder das eine noch das andere. Ich kenne keine Vorschläge, keine Ideen aus dem Bundesfinanzministerium, die aufzeigen, wie das gehen soll. Sie sind an dem Punkt weit zurückgeblieben. Das führt nicht dazu, dass die Macht wieder in der Hand des Staates liegt, sondern dazu, dass der Markt und die großen Banken uns erpressen können. Das ist leider die Situation. Wir Sozialdemokraten wollen das ändern. (Beifall bei der SPD) Herr Kollege Meister, Sie haben das Steuerabkommen mit der Schweiz und das Thema Steueroasen angesprochen. Wissen Sie, wir Sozialdemokraten sind dafür, dass diejenigen, die viel Geld in einem Land verdient haben, es auch in diesem Land versteuern. Wir wollen – dafür kämpfen wir schon seit Jahren, Peer Steinbrück vorneweg – (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Oh ja! Gerade der!) der Anonymität der Kontenbesitzer den Garaus machen, zumindest in der Europäischen Union. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie und Ihr Finanzminister haben uns ein Steuerabkommen mit der Schweiz vorgelegt. Dadurch wäre erstens die Anonymität auf Dauer gesichert worden. Zweitens hätten die Steuervollzugsbeamten so gut wie gar nicht mehr kontrollieren dürfen. Sie hätten das Instrument, das jetzt auch Sie nutzen, nämlich CDs, nicht mehr nutzen können. Dieses Instrument, das ja wirkt, hätten Sie ihnen aus der Hand geschlagen. Drittens wären gerade die Banken, die bisher den Steuerbetrug in der Schweiz begangen oder befördert haben, diejenigen gewesen, die unsere Steuern eingezogen hätten. Dazu haben wir ganz klar Nein gesagt. Die Zeit gibt uns recht. Es war richtig, dass wir an dieser Stelle hart geblieben sind. (Beifall bei der SPD) Dass sich Luxemburg und, wie ich hoffe, auch Österreich jetzt bewegen, ist, glaube ich – ohne zu viel zu sagen und ohne sich selbst mit zu vielen Lorbeeren zu schmücken –, ein bedeutender Punkt. Wichtig war, dass gute Journalisten – nicht der Bundesfinanzminister – diese Offshoreregionen öffentlich gemacht haben. Wichtig war auch unser energischer Widerstand gegen die Wahrung der Anonymität von Kontenbesitzern in anderen europäischen Ländern. Es muss Schluss sein mit Dumping. Wer die Solidarität erhalten will, muss selbst Solidarität leisten. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Norbert Barthle (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Carsten Schneider, du hast ja gerade – das will ich dir durchaus zugestehen – in sehr eloquenter und wortreicher Art und Weise auf die Frage des Kollegen Otto Fricke mehr oder weniger nicht geantwortet, (Jörg van Essen [FDP]: So ist es! – Dr. Sascha Raabe [SPD]: Nein! Sie haben es nur nicht verstanden!) bzw. deine Antwort zeigte klar und deutlich, wohin der Weg von Rot-Grün geht. Ihre Politik im Hinblick auf die Bankenunion würde dazu führen, dass deutsche Sparerinnen und Sparer mit ihrem Geld für die Einlagen griechischer, portugiesischer oder zyprischer Banken haften müssten. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Falsch!) Das unterscheidet uns von der anderen Seite des Hauses, und bei dieser Linie bleiben wir konsequent. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Peinlich! – Zuruf der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD]) Lassen Sie mich einen Hinweis zum letztgenannten Punkt, zu dem Steuerabkommen, geben. Lieber Kollege Carsten Schneider, liebe SPD-Fraktion, Sie alle wissen, dass Steuerhinterziehung nach zehn Jahren verjährt. Mit Ihrer Blockadehaltung haben Sie dazu beigetragen, dass Steuerhinterzieher ihr Geld nach zehn Jahren zurückbringen und sich daran erfreuen können, während wir dafür gesorgt hätten, dass mindestens 2 Milliarden Euro in die Haushaltskasse fließen; auf Dauer betrachtet wäre es sicherlich ein wesentlich höherer Betrag gewesen. (Joachim Poß [SPD]: Auf Dauer betrachtet hätte das Geld weiter hinterzogen werden können!) Das hat die SPD verhindert. Da müssen Sie sich Ihrer Verantwortung stellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Satz: „Sie haben sich damit zum Anwalt der Steuerhinterzieher gemacht“, den Michael Meister vorhin gesagt hat, ist richtig, und ich wiederhole ihn. (Joachim Poß [SPD]: Frechheit!) Jetzt zu Zypern. Ich unterstütze – das will ich vorweg sagen – nachdrücklich das Hilfsprogramm für Zypern. Ich bin froh, dass sich im Deutschen Bundestag eine breite parlamentarische Unterstützung abzeichnet. Ich will an dieser Stelle festhalten: Die Bundesregierung, allen voran unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, hat sehr gut verhandelt. Das Ergebnis, das jetzt auf dem Tisch liegt, entspricht dem, was wir von Anfang an gefordert haben. Deshalb ist das ein hervorragendes Verhandlungsergebnis. Dafür mein großer Dank! Obwohl sich unsere Bundeskanzlerin von Teilen der Bevölkerung der Empfängerländer sogar beschimpfen lassen muss – wir empfinden das als inakzeptabel –, muss man sagen: Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir das Programm für richtig und notwendig halten. Deshalb stehen wir dazu, es hier und heute zu verabschieden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Für uns gilt weiterhin der Grundsatz: Europäische Hilfsprogramme gibt es nur gegen Konditionalität. Das ist bei jeder Hilfe das Grundprinzip. Deshalb wollen wir auch für Zypern eine faire Lastenverteilung. Wenn man das Programm insgesamt betrachtet, muss man feststellen: Es ist sogar so, dass der größere Anteil durch eine Eigenleistung Zyperns erbracht werden muss, und zwar insbesondere durch die Beteiligung der Eigentümer, der Gläubiger und der Einleger zyprischer Banken, die sich an den Kosten der Bankenrestrukturierung beteiligen müssen. Das ist der richtige Weg. Im Übrigen führt das Programm dazu, dass sich der Bankensektor in Zypern auf ein erträgliches Niveau verkleinert. Die Einnahmebasis des Staates wird verbessert. Die Haushaltskonsolidierung wird vorangetrieben. Strukturreformen sind im Memorandum of Understanding enthalten. Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sollen gefördert werden. Das große Problem der Geldwäsche wird massiv angegangen, auch mit unabhängiger externer Kontrolle. Auch das haben wir von Anfang an gefordert, und das ist jetzt so eingetreten. Unser Finanzminister hat darauf hingewiesen, dass eine Staatsinsolvenz Zyperns außer Frage steht. Die Kommission und die EZB haben zu Recht gemeinsam festgestellt, dass daraus eine Gefährdung der Finanzstabilität für ganz Europa resultieren könnte. Deshalb ist es gut und richtig, dieses Risiko nicht einzugehen. Wir, die CDU/CSU-Fraktion insbesondere, stehen für einen stabilen Euro. Wir wollen unseren Menschen draußen im Lande versichern können: Ihr könnt euch auf die Stabilität des Euro verlassen! Dafür beschließen wir diese Programme. Dafür treten wir ein. Das ist unser Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Meine Damen und Herren, dass dieser Weg richtig ist, zeigt sich auch an Portugal und Irland. Denn auch die Verlängerung der Kreditlaufzeiten, also der Rückzahlungsverpflichtung für die Kredite, ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg und zeigt, dass sowohl die Empfängerländer als auch die Garantiegeber dafür einstehen, dass diese Länder möglichst bald von den Rettungsschirmen unabhängig gemacht werden. Das ist das Ziel unserer Politik. Der letzte Quartalsbericht für 2012 zeigt, dass das Defizitziel in Irland deutlich unterschritten wird. Bereits 2015 wird Irland wieder die 3-Prozent-Grenze des Stabilitätspakts unterschreiten. Die Schuldenstandsquote in Irland geht weiterhin zurück. Die Bilanzschrumpfung und die Verbesserung der Refinanzierungssituation sowie der Rentabilität des Bankensektors schreiten voran. Irland bekommt immer breiteren Zugang zu den Kapitalmärkten. Und auch die Strukturreformen zeigen Wirkung. Deshalb, meine Damen und Herren: Wenn das eintritt, was uns die Experten vorhersagen, dass nämlich am Ende dieses Jahres das Irland-Programm ausläuft, man zu Deutsch also den Ende 2010 aufgespannten Rettungsschirm wieder zusammenklappen kann, dann werden wir erstmals die Situation haben, dass diejenigen, die gegenüber unseren Rettungsschirmen immer skeptisch waren, die sogar dagegen gestimmt haben – die wenigen in unseren Reihen, aber insbesondere die Linke –, von der Geschichte überholt werden. Bei den Linken ist das nichts Außergewöhnliches. Das haben wir schon mehrfach erlebt. Aber auch die anderen, die gegen Hilfen für Irland gestimmt haben, werden am Ende des Jahres erleben, dass die Geschichte sie revidiert. Ich bin überzeugt, dass es auch so eintreten wird. Auch der Blick nach Portugal zeigt: Portugal ist auf einem guten Weg, auch wenn dieser etwas holpriger ist als in Irland, aber sie sind auf dem richtigen Weg. Und auch aus Griechenland hören wir ermutigende Botschaften. Selbst in Griechenland schreitet die Haushaltskonsolidierung voran. Zwischen 2009 und 2012 sind die Primärausgaben um 22 Prozent gesunken. Übertragen auf Deutschland entspräche das einem Einsparvolumen von 240 Milliarden Euro. Zu Anfang dieser Legislaturperiode haben wir ein Sparpaket in einem Umfang von 80 Milliarden Euro aufgelegt. Dies hat nicht allen gefallen. Nun muss man die Sparbemühungen in Griechenland dazu in Relation setzen und entsprechend würdigen. Das hat dazu geführt, dass das Haushaltsdefizit in Griechenland von 16 auf 7 Prozent des BIP gesunken ist. Wenn man die Zinsausgaben und die Konjunktureffekte herausrechnet, dann hat der griechische Staatshaushalt inzwischen sogar einen Überschuss. Auch Griechenland befindet sich also auf einem zwar mühsamen, aber guten und richtigen Weg. An der Stelle hätte ich mir gewünscht, Herr Steinmeier, dass Sie, wenn Sie auf europäische Verhältnisse abheben, sich den IWF-Bericht, aus dem Sie zitiert haben, etwas genauer angesehen hätten. Hätten Sie dies getan, dann hätten Sie festgestellt, dass in diesem IWF-Bericht – erstens – die Wachstumszahlen für Deutschland positiver dargestellt werden, als Sie es getan haben, nämlich mit 0,6 Prozent für dieses Jahr und mit 1,5 Prozent für das kommende Jahr. Zweitens hätten Sie festgestellt, dass das eigentliche Sorgenkind laut dieses Berichts Frankreich ist; denn für Frankreich werden dort für 2013 ein Rückgang auf 0,4 Prozent und für 2014 ein Wachstum von 0,9 Prozent festgehalten. Wir alle wären froh, wenn Frankreich in der Lage wäre, schon bald wieder das 3-Prozent-Ziel einhalten zu können. Das bereitet uns mehr Sorge, und das ist in diesem Bericht auch so enthalten. Abschließend, meine Damen und Herren, können wir feststellen: Europa bewegt sich. Diese Krise hat viel dazu beigetragen, dass positive Kräfte entfaltet wurden. Schritt für Schritt werden sozusagen die Erziehungsfehler im Hinblick auf den Euro korrigiert, werden entsprechende Reformpakete beschlossen; der Fiskalvertrag und der Stabilitätspakt sind nur Beispiele dafür. Diesen Weg werden wir weiter beschreiten. Das nächste große Thema sind die Finanzmärkte, ist die Bankenunion. Ich habe eingangs schon erwähnt, dass wir auch bei der Bankenunion auf unsere Grundprinzipien setzen. Diese Grundprinzipien stehen dabei durchaus im Gegensatz zu dem, was zum Beispiel die Grünen fordern. Wenn ich die Rede von Frau Künast rekapituliere, muss ich feststellen: Es war wieder die Rede davon, dass wir – die deutsche Bundeskanzlerin, der deutsche Finanzminister – eine Garantie für die Spareinlagen auf Zypern hätten abgeben sollen. Genau das unterscheidet uns von den Grünen. Wir sind der Meinung: Jeder hat für seine Spareinlagen selbst zu garantieren, hat eigenständige Sicherungsfonds aufzulegen. Dieser Linie bleiben wir treu. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, ich hoffe sehr, dass wir auf Europa nicht immer nur durch die Krisenbrille sehen müssen, sondern bald dazu zurückkehren können, die positiven Aspekte zu sehen. Damit wir auf diesem Weg weiter vorankommen, bitte ich Sie alle, dem heutigen Abstimmungspaket zuzustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Priska Hinz das Wort. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Barthle, Herr Kollege Meister, es muss Ihnen richtig wehtun, dass wieder eine rot-grüne Landesregierung eine Steuer-CD gekauft hat und damit Steuerhinterziehern auf der Spur ist; (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sonst würden Sie dieses Thema hier nicht so auswalzen und uns vorhalten, wir würden Steuerhinterziehung begünstigen. Nein, das Gegenteil ist der Fall. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Da Sie auf das Abkommen mit der Schweiz abheben, das wir zu Recht, finde ich, torpediert haben, möchte ich Ihnen sagen: Wenn dieses Steuerabkommen in Kraft getreten wäre, hätte das zu einer dauerhaften Anonymität von Steuerhinterziehern geführt. Deshalb haben wir dieses Abkommen zu Recht abgelehnt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen ein europäisches Steuerabkommen, das alle Länder umfasst und Steuerhinterziehung aus der Anonymität herausholt. Herr Gysi, Ihre Rede war mehr als hilflos. Da verhandelt ein kommunistischer Präsident bis Dezember ein MoU, in dem all das steht, was Sie hier vorgelesen haben – Stellenstreichungen, Eingriffe in die Bildungsverwaltung, Eingriffe in Renten, Eingriffe in den Gesundheitssektor –, wollte aber gleichzeitig die Steueroase Zypern erhalten, den riesigen Bankensektor nicht regulieren und Standards zur Verhinderung von Geldwäsche nicht durchsetzen. Wir haben dafür gesorgt, dass dieses alles stattfindet: dass der Bankensektor reguliert wird, dass Banken abgewickelt werden mit Gläubigerbeteiligung, dass Geldwäschestandards überprüft werden. Das haben wir mit unserer Politik erreicht, und deswegen werden wir diesem Paket zustimmen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Volkmar Klein [CDU/CSU]) Wenn Sie noch nicht einmal bereit sind, in dem Fall, dass eine Bankenabwicklung stattfinden muss, eine Gläubigerbeteiligung zuzulassen, dann muss ich mich schon fragen, was Sie überhaupt für alternative Konzepte anzubieten haben, um Bankenkrisen und daraus folgende Schuldenkrisen zu bewältigen. Dazu haben wir von Ihnen kein Wort gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Grünen haben in der Frage von Hilfsprogrammen für Zypern einen klaren Kompass: Die Geldwäsche muss bekämpft werden, der Bankensektor muss verkleinert werden, Inhaber von Einlagen in Höhe von über 100 000 Euro müssen beteiligt und herangezogen werden. Dabei geht es gar nicht darum, Kollege Barthle, dass wir aus Deutschland heraus Einlagen auf Zypern sichern, es geht darum, dass die Euro-Gruppe – mit dem erfahrenen Bundesfinanzminister Schäuble an der Spitze – zur Verunsicherung aller Einleger beigetragen hat, indem sie auch Einlagen unter 100 000 Euro heranziehen wollte – gegen eine europäische Übereinkunft. Das ist das Versagen, das wir der Bundesregierung vorwerfen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Hinz, darf die Kollegin Hänsel Ihnen eine Zwischenfrage stellen? Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte. Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Kollegin Hänsel. Heike Hänsel (DIE LINKE): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kollegin Hinz, Sie haben ja gerade vollmundig erklärt, wie stark die Grünen Geldwäsche bekämpfen und die Banken regulieren wollen. Dazu habe ich eine konkrete Nachfrage. Heute wird im Wirtschaftsausschuss des Bundesrates über die Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru entschieden. In diesen Freihandelsabkommen wird eine umfassende Liberalisierung der Finanzdienstleistungen und des Bankensektors festgelegt. Wir haben die Auswirkungen durch eine Studie prüfen lassen. Selbst der Wissenschaftliche Dienst bestätigt, dass durch Liberalisierung Geldwäsche und Steuerflucht Vorschub geleistet werden kann. Während wir hier also über Bankenregulierung und die Regulierung des Finanzsektors diskutieren, wird die Liberalisierung auf europäischer Ebene über diese bilateralen Freihandelsabkommen weiter vorangetrieben. Wir haben eine rot-rot-grüne Mehrheit im Bundesrat. Die Linke aus Brandenburg ist gegen die Liberalisierung. Rot-Grün wird aber eben nicht dagegen stimmen, sondern wird die Freihandelsabkommen und dadurch auch diese Liberalisierungen der Finanzdienstleistungen passieren lassen. Hierauf hätte ich gerne eine Antwort von Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich glaube zwar, Sie sind gerade bei einem anderen Tagesordnungspunkt, aber ich kann Sie beruhigen: Wir werden das Gesetz auch ablehnen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist aber eine schwache Antwort!) Meine Damen und Herren, wir waren bei Zypern, und ich möchte deutlich machen, dass Zypern bei den Verhandlungen über das MoU und das Hilfsprogramm sehr große Schritte gegangen ist. Das verdient unser aller Respekt; das will ich an dieser Stelle deutlich machen. Es entstehen ja durchaus Schwierigkeiten, wenn ein Bankensektor plötzlich, über Nacht sozusagen, drastisch schrumpft, auf 350 Prozent des BIP. Natürlich entstehen deshalb für die Bevölkerung jetzt ziemliche Härten, durch eine erhöhte Arbeitslosigkeit und schrumpfende Einkommen. Weil wir von Zypern diese Härten erwarten mussten und erwartet haben, gilt umso mehr, dass wir jetzt auch – das ist unsere erste Forderung an die Bundesregierung – durch Hilfsprogramme des Europäischen Rats und durch eine strukturelle Unterstützung im Bereich erneuerbarer Energien und sektoraler Wachstumsbranchen, die man jetzt identifizieren muss, Hilfe leisten, damit Zypern ein anderes Geschäftsmodell aufbauen kann. Aufgrund der europäischen Solidarität gilt es jetzt, tatsächlich Hilfe zu leisten. Wir können nicht nur einfordern, sondern wir müssen jetzt unseren Teil der Solidarität auch zurückgeben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unsere zweite Forderung ist, dass bei der Etablierung der Bankenunion ein europäischer Bankenrestrukturierungsfonds auf den Weg gebracht wird. Es kann nicht dabei bleiben, dass nur die nationalen Bankenfonds für die Bankenrettung herangezogen werden. Das wird auf Dauer nicht ausreichen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann werden wir die Staatsschuldenkrise nie lösen können. Ansonsten werden wir dem Programm zustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Joachim Spatz für die FDP-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Joachim Spatz (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die SPD hat Herr Steinmeier vorhin gesagt, die Zustimmung zu dem Zypern-Paket sei keine Zustimmung zur Rettungspolitik der Bundesregierung. Ich finde, es ist schade, dass Sie sich für eine Gemeinsamkeit der Demokraten – wir werden hier bei der Abstimmung ja eine große Gemeinsamkeit haben – nach innen entschuldigen. Sie haben bisher noch jedem Rettungspaket entweder durch aktive Zustimmung oder durch Enthaltung den Weg mit bereitet. Das finde ich eine gute Nachricht für das Land und für Europa. Ich finde es aber schade, dass Sie offensichtlich glauben, sich gegenüber Ihren eigenen Mitgliedern dafür entschuldigen oder rechtfertigen zu müssen; (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Selbstkritik!) denn Sie stimmen zu Recht zu. An dem Kurs, Solidarität innerhalb Europas zu gewähren, aber gleichzeitig Solidität einzufordern, führt überhaupt kein Weg vorbei. Wir müssen allen Empfängerländern die Reformen abverlangen, und wir tun das auch, die langfristig dazu führen, dass man Hilfen dieser Art nicht mehr gewähren muss. Jeder sollte seinen Teil dazu beitragen, an dieser nachhaltigen Politik mitzuarbeiten, und darauf stolz sein. Im Übrigen gehören dazu natürlich nicht nur Solidität und Solidarität. Nein, dazu gehört auch Wachstum. Aber wir haben andere Antworten auf die Frage: Was generiert wirklich Wachstum? Wir sind der Meinung, Wachstum wird durch das generiert, was in Deutschland erfolgreich war, nämlich eine Reformpolitik, die wettbewerbsfähig macht, während Sie auf öffentliche Investitionen setzen, finanziert durch Schulden. Oder Sie sagen: Macht das Erfolgsmodell der Amerikaner nach, also die Politik des billigen Geldes. Ich sage Ihnen: Am Ende der Reise wird das nicht zu mehr Wachstum führen und – das zeigen die Beispiele Japan und USA – auch nicht zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, sondern das wird am Ende der Reise dazu führen, dass die Bürgerinnen und Bürger durch Inflation das bezahlen müssen, was Sie durch Ihre falsche Politik an Kosten verursacht haben; (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) es sei denn, Sie wählen den Weg, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht am Ende der Reise bezahlen müssen, sondern dies gleich im Vorab durch höhere Steuern finanzieren, wie Sie das in den anstehenden Wahlkämpfen vorschlagen. Aber auch diesen Weg werden wir nicht mitgehen. Ein Wort zu Gregor Gysi von der Linken, weil er vorhin versucht hat, das Handeln des ehemaligen kommunistischen Staatspräsidenten und seiner Regierung in Zypern im Nachhinein reinzuwaschen. Es ist schon mutig, hier vom Rednerpult aus die Schuld an der heutigen schwierigen Lage in Zypern allen anderen aufzulasten, nur nicht der dortigen Regierung. Eine Regierung, die sich über ein Jahr schlicht geweigert hat, mit der EU-Kommission und dem IWF überhaupt zu verhandeln und durch diese Weigerung die Krise noch massiv verschärft hat, jetzt gewissermaßen zu exkulpieren, geht nicht. Auch hier gilt, dass sich die Politik, gegenüber Zypern Solidarität zu zeigen und gleichzeitig Solidität abzuverlangen, Bahn brechen muss. Die Regelung des Finanzsektors ist schon angesprochen worden. Wir sind natürlich bereit, das Notwendige zu tun; das ist überhaupt keine Frage. Wenn Sie uns da begleiten, sind wir gerne bereit, diese Mithilfe, auch wenn Sie sich dann vielleicht wieder gegenüber Ihren Leuten entschuldigen müssen, anzunehmen. Es bleibt bei diesem europapolitischen Kurs, den wir in diesem Jahr den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland zur Beurteilung vorlegen. Unser Kurs heißt: Wir üben Solidarität, fordern von anderen aber Solidität ein. Wir fordern ein, dass sie sich an der Benchmark des Weltmarktes beim Thema Wettbewerbsfähigkeit orientieren. Diese Politik legen wir genauso zur Beurteilung vor wie unsere Politik hier zu Hause: solide Staatsfinanzen mit einer Nettoneuverschuldung von null und das, ohne Steuererhöhungen in Höhe von 40 Milliarden Euro vorzunehmen, wie Sie das machen wollen. Ich bin überhaupt nicht bange, was in der Bundesrepublik Deutschland am Ende der Reise mehrheitsfähig sein wird: Die Solidität wird es sein und nicht eine inflationsriskierende Politik. Besten Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bartholomäus Kalb für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute wieder eine der wichtigen und ernsthaften Entscheidungen zu treffen, wie wir sie seit Beginn der Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise schon mehrmals zu treffen hatten. Wir haben auch dieses Mal wieder einen langwierigen, ernsthaften Prozess der Beratungen und der Abwägungen hinter uns gebracht. Wir treffen heute wieder eine Entscheidung, die nicht populär ist. Aber das ist unsere Aufgabe und unsere Verantwortung. Bei vielen Entscheidungen dieser Art konnten wir uns zum jeweiligen Zeitpunkt nicht sicher sein, dass sich diese als richtig erweisen werden. Heute können wir feststellen, dass sich unsere Entscheidungen und auch die der EZB vom Herbst letzten Jahres alles in allem als richtig erwiesen haben. (Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]) Die Finanzmärkte haben sich beruhigt. Die Risikoaufschläge sind deutlich zurückgegangen. Selbst Programmländer wie Irland, Spanien und Portugal können sich teilweise wieder zu vernünftigen Konditionen finanzieren bzw. können Staatsanleihen begeben. Zypern ist mit 862 000 Einwohnern, einem Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 18 Milliarden Euro und einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone in Höhe von gerade einmal 0,2 Prozent nicht groß. Da könnte man die Frage stellen: Ist das alles so relevant? Der Bankensektor in Zypern ist allerdings relativ gesehen doppelt so groß wie der unsrige. Deshalb ist die Restrukturierung des Bankensektors in Zypern eine der wichtigsten Maßnahmen, die nun vorgesehen sind. Unsere Hilfsprogramme haben größte Bedeutung, sie verlangen große Anstrengungen von Zypern selbst – Kollege Fricke hat das bereits sehr deutlich dargelegt – bei Einnahmeverbesserungen und Steuererhöhungen, aber auch Ausgabenkürzungen und Umstrukturierungen. Angesichts der eben beschriebenen Größe Zyperns kann man zu Recht die Frage nach der Systemrelevanz stellen. Wir waren uns aber schon früh einig: Es darf in der Euro-Zone keine unkontrollierten und keine unkontrollierbaren Entwicklungen geben. Die Finanzmärkte haben sich, wie gesagt, beruhigt. Aber sie sind noch immer hoch sensibel. Zypern ist mit Griechenland und der griechischen Bankenlandschaft eng verbunden, letzte wiederum mit vielen Banken in der übrigen Euro-Zone. Wir tun deshalb gut daran, die Konsequenzen zu bedenken, die gezogen werden müssten, wenn wir nicht handeln würden. Wir sollten es auf einen Versuch erst gar nicht ankommen lassen. Schon nach dem ersten gescheiterten Versuch der Zyprer, Banken und Sparguthaben einzubeziehen, war zu bemerken, wie sensibel und interessiert unsere Bürger auf einmal reagiert haben. Liebe Frau Kollegin Hinz, um einer Legendenbildung vorzubeugen, sage ich: Hätten die Zyper den Rat unseres Finanzministers angenommen, dann wäre diese Diskussion in Deutschland erst gar nicht aufgekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Herr Schäuble hat nachweislich dringend davor gewarnt, an Einlagen unter 100 000 Euro heranzugehen. Aber die zyprische Regierung hat damals eine andere Strategie verfolgt. Meine Mutter hat uns Kinder immer gelehrt: Mit Geld spielt man nicht! – Auf uns übertragen bedeutet das: Mit der Währung bzw. der Stabilität der Währung spielt man nicht! Man sollte das alles sehr ernst nehmen. Eine stabile Währung ist für uns in Europa ein sehr hohes Gut. Es liegt im Übrigen schon deswegen in unserem ureigenen Interesse, im Fall Zypern Hilfsmaßnahmen zu ergreifen, weil wir in der Vergangenheit über EFSF und ESM, den Stabilitätsmechanismus, bereits anderen Programmländern geholfen, Gewährleistungen gegeben und Risiken übernommen haben. Es liegt in unserem Interesse, nun alles dafür zu tun, dass keine neuen Nervositäten entstehen und dass die Finanzmärkte nicht beunruhigt werden; denn sonst könnten unter Umständen Gewährleistungen in Anspruch genommen und Risiken schlagend werden. Daher ist es absolut richtig und geboten, hier keine neuen Risiken einzugehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Es ist deshalb wichtig, dass wir Risiken begrenzen und Schaden abwenden. Von den ökonomischen Risiken, die sich für ganz Europa ergeben würden, insbesondere für die Euro-Zone, rede ich erst gar nicht. Sie sind von vielen meiner Vorredner schon angesprochen worden. Schon im Vorfeld der heutigen Entscheidung haben die Menschen bei uns realisiert, dass man diese Entwicklung in Europa, in der Euro-Zone und im Umfeld des Euro, sehr ernst nehmen muss. Aber interessant ist, dass die Zustimmung zum Euro noch nie so hoch war wie gerade jetzt. Interessant ist auch, dass die Zustimmung zum Kurs der Bundeskanzlerin und zum Kurs des Bundesfinanzministers noch nie so hoch war wie jetzt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank für diesen Einsatz, Frau Bundeskanzlerin und Herr Bundesfinanzminister. Selbst der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder schreibt über die Frau Bundeskanzlerin, was die Führung in Europa betrifft: Sie verweigert deutsche Führung nicht, sondern übt sie zurückhaltend aus. Das finde ich in Ordnung. Das ist, glaube ich, ein nachdenkenswerter Satz aus dem Munde des früheren Bundeskanzlers. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Menschen erwarten – ich habe es an dieser Stelle schon einige Male gesagt –, dass wir mit dem Geld, mit den Finanzen, mit den Haushalten und mit unserer Währung ganz sorgsam umgehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie erwarten, dass wir für die Stabilität unserer Währung sorgen. Das tun wir. Wir haben keine andere Währung, und wir bekommen auch keine andere Währung. Deshalb ist es zuvörderst unsere Aufgabe, alles in unserer Macht Stehende zu tun, für die Stabilität der Währung, des Euro, einzutreten, zum Wohle der Menschen in Deutschland und in Europa. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die heutige Entscheidung ist wiederum eine Entscheidung für die Stabilität dieser Währung, für die Sicherung – Kollege Meister hat es vorhin deutlich zum Ausdruck gebracht – der guten wirtschaftlichen Entwicklung in Europa, für die Sicherung des Wohlstandes und der sozialen Sicherungssysteme. Das ist die Kernbotschaft, die auch von dieser heutigen Entscheidung ausgeht. Ich danke noch einmal der Frau Bundeskanzlerin und dem Bundesfinanzminister ganz ausdrücklich und herzlich für diese erfolgreiche Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Letzter Redner in dieser Debatte ist Michael Stübgen für die CDU/CSU-Fraktion. Michael Stübgen (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner einer Debatte zu reden, nach der mehrere namentliche Abstimmungen stattfinden, ist eine besondere Herausforderung. Ich nehme sie an. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo!) Ich möchte am Schluss der Debatte auf etwas hinweisen: In wenigen Tagen jährt sich das, was wir Euro-Krise bzw. Euro-Finanzierungskrise nennen, zum dritten Mal. Es war im Mai 2010, als wir das erste Griechenland-Rettungspaket verabschiedeten. Sicherlich kann sich jeder noch daran erinnern: wenige Tage später – zunächst so nicht geplant – die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität und der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus. Daran muss man gelegentlich erinnern. Das war ein Programm, gefüllt mit bis zu 60 Milliarden Euro, wofür die EU der 27 gebürgt hat. Weil dieses Programm anfänglich sehr intensiv genutzt worden ist, haben wir jetzt auch bei Portugal und Irland – das muss man sehen – jeweils zweistellige Milliardenbeträge aus dem EFSM, für die alle europäischen Länder bürgen. Man muss also auch hier einmal auf die Solidarität hinweisen. Wenn das eingetreten wäre, was die Kritiker unserer Euro-Rettungspolitik immer beschworen haben, hätten wir schon längst keinen Euro mehr. Sie wissen: Das Gegenteil ist der Fall. Die meisten dieser Kritiker hält das allerdings nicht davon ab, nach wie vor so zu tun, als wären sie die einzigen, die alles richtig sehen, und wir die einzigen, die alles falsch sehen und falsch machen. Ich glaube, heute ist es wichtig, einmal darauf zu schauen, wie die Euro-Zone drei Jahre später dasteht. Ich will einmal die positiven makroökonomischen Daten darstellen. Wir stellen fest: In fast allen Euro-Ländern sinken die Lohnstückkosten. Sie waren im Gegensatz zur Produktivität in den zehn Jahren zuvor teilweise so massiv gestiegen, dass viele Euro-Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit vollkommen verloren hätten. In diesem Jahr steigen sie nur in Deutschland und Griechenland an. Wir haben die Situation, dass die Leistungsbilanzunterschiede und die Handelsbilanzunterschiede in der Euro-Zone dramatisch abnehmen. Es ist eine Mär, zu behaupten, Deutschland mit seinem großen Handelsbilanzüberschuss sei an der Krise in der Euro-Zone schuld; denn der Überschuss ist massiv zusammengeschrumpft. Dieser Rückgang konnte allerdings durch Binnenkonjunktur und internationalen Wettbewerb zum Teil ausgeglichen werden. Wir haben die Situation, dass die Haushaltsdefizite in allen Euro-Ländern massiv zurückgehen. Sie liegen mittlerweile alle im einstelligen Bereich. Mit Blick auf Japan und die USA ist das schon etwas Besonderes. Das durchschnittliche Haushaltsdefizit ist im Verhältnis zu denen in den westlichen Industrieländern mit Abstand das niedrigste. Wir haben die Situation, dass alle Euro-Länder in den letzten Jahren an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen haben. Wir können feststellen, dass die Unterschiede hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Euro-Zone abgenommen haben. In allen Euro-Krisenländern, sogar in Griechenland, ist ein, wenn auch teilweise niedriges, Exportwachstum zu beobachten. Wenn man sich diese makroökonomischen Ergebnisse der letzten drei Jahre anschaut, dann kann man nicht behaupten, dass wir alles falsch gemacht haben. Nein, wir haben sehr viel richtig gemacht. Die Euro-Zone hat trotz vieler Änderungen der strategischen Instrumente an ihrem grundsätzlichen Konzept, nämlich einerseits Hilfestellung zu leisten und andererseits Reformen in den Krisenländern durchzusetzen, festgehalten. Der Bundesfinanzminister hat dies vorhin „Solidarität und Solidität“ genannt. Wir verfügen heute über einen dauerhaften europäischen Stabilisierungsmechanismus. Vor drei Jahren hatten wir ihn noch nicht, weil wir dachten, nach drei Jahren bräuchten wir keinen mehr. Wir wissen jetzt, dass wir ihn brauchen. Dieser dauerhafte Stabilisierungsmechanismus ist erstens flexibler, weil wir aus den Ereignissen der letzten drei Jahre gelernt haben, und zweitens beinhaltet er auch wesentlich mehr Instrumente als ursprünglich die EFSF und der EFSM. Auch hier haben wir aus den Entwicklungen der letzten drei Jahre gelernt. Zypern ist das erste Land, das über den ESM – heute werden wir das im Bundestag beschließen – unter ein Gesamtprogramm genommen wird. Ich will die kurze Zeit, die ich noch reden darf, nutzen, um auf zwei Beschlüsse hinzuweisen, die wir heute auch treffen werden, nämlich die Programmverlängerung für die beiden Länder Irland und Portugal. Herr Steinbrück hat das vorhin in seiner Rede als Fanal bezeichnet. Herr Steinbrück, ich muss Ihnen sagen: Das Gegenteil ist doch der Fall. Die Tatsache, dass wir dies heute beschließen, belegt, dass wir in unseren Rettungsstrukturen in der Euro-Zone genügend Flexibilität haben, um zu reagieren. Wir tun dies auf Bitten der Länder. Warum denn eigentlich? Wir tun dies, weil diese Länder uns zu Recht nachweisen konnten, dass eine Verlängerung der Programme auch dazu führt, dass die sozial schwierigen Ergebnisse der straffen Reformpolitik, die sie noch lange betreiben müssen, abgemildert werden können. Deshalb unterstützen wir diese Entscheidung und stimmen hier auch gerne zu. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zum Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Abstimmung in der Sache, die Fraktion Die Linke wünscht Überweisung, und zwar zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuss und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, an den Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die von der Fraktion Die Linke beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung gegen die Stimmen der Linken mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. Wir kommen damit zu den Abstimmungen über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060. Bitte beachten Sie folgende Hinweise: Wir werden über fünf Teile des Antrags getrennt abstimmen. Vier dieser Abstimmungen sollen namentlich erfolgen. Nach der ersten namentlichen Abstimmung wird die Sitzung bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbrochen. Die weiteren Abstimmungen werden wir ohne Sitzungsunterbrechung durchführen. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, bei der Stimmabgabe, wie üblich, sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die sie verwenden, ihren Namen tragen. Mir liegen insgesamt 47 schriftliche Erklärungen zur Abstimmung vor.1 Fünf Abgeordnete der Fraktion Die Linke wünschen, mündliche Erklärungen abzugeben. Wir werden diese dann in den Abstimmungsgang einsortieren. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060 betreffend die Gewährung einer Stabilitätshilfe an die Republik Zypern in Form einer Finanzhilfefazilität des ESM gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist offensichtlich erfolgt. Dann eröffne ich die erste namentliche Abstimmung. Haben alle anwesenden Mitglieder ihre Stimme abgegeben? – Es sieht so aus. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.2 Wir nutzen die Zeit bis zum Vorliegen des Ergebnisses der ersten namentlichen Abstimmung zur Abgabe von mündlichen Erklärungen zur Abstimmung. (Unruhe) – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, doch Platz zu nehmen, weil es jetzt einige Erklärungen zur Abstimmung geben wird. Ich erteile dem Kollegen Diether Dehm das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich stimme heute aus mehreren Gründen gegen die undemokratischen und unsozialen Bankenrettungspakete für Zypern. Ich will mich aber nur auf einen Aspekt beschränken. Indem das bereits im Juni vergangenen Jahres gestellte Hilfeersuchen der Vorgängerregierung Zyperns monatelang verschleppt wurde, eröffnete dies gewöhnlich gut informierten Großspekulanten bereits die Möglichkeit, massenhaft Kapital aus dem zyprischen Finanzsektor abzuziehen. Aber nachdem auf ominöse Weise im Vorfeld der Entscheidung der Euro-Gruppe aus dem letzten Monat und trotz verhängter Kontosperren erneut beträchtliche Kapitalabflüsse zu verzeichnen waren, handelt es sich nicht mehr um Fahrlässigkeit, sondern um ein kriminelles Vergehen. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesregierung hat bisher nichts unternommen, um den Deutschen Bundestag über den Kapitalabfluss im Vorfeld der heutigen Abstimmung aufzuklären, zumal Presseberichten zufolge auch die Familie des jetzigen zyprischen Präsidenten Anastasiades aus der Parteienfamilie der Christdemokraten in Manipulationen verwickelt ist. Darüber hinaus existiert ein Gutachten der Beraterfirma Alvarez & Marsal – das zurzeit der Generalstaatsanwaltschaft Zyperns vorliegt –, welches Presseberichten zufolge dokumentiert, wie zentrale Beweise für den Bankenskandal in Zypern vernichtet wurden. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Offenbar wurde aus dem Umfeld der konservativen Partei Zyperns diese Beweisvernichtung systematisch und mit krimineller Energie betrieben. Beweise über Kontobewegungen im Vorfeld der Bankenschließung sind vernichtet worden. Bevor ich als Abgeordneter nichts Näheres über diese Vorgänge weiß, wäre es zumindest Beihilfe zur Veruntreuung, würde ich Belastungen und Risiken für den deutschen Steuerzahler zustimmen, während einflussreiche Kreise in Zypern sich und ihre Sippschaft aus der Verantwortung ziehen. Es bleibt dabei: Mit den Linken keine Steuermilliarden für Zockerbanken und Großspekulanten! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer weiteren mündlichen Erklärung zur Abstimmung gebe ich Kollegin Da?delen. (Beifall bei der LINKEN) Sevim Da?delen (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Kollegen und Kolleginnen! Ich habe heute gegen den Antrag der Bundesregierung für Finanzhilfen für Zypern gestimmt, weil es sich schlicht um den nächsten Angriff der Bundesregierung – gemeinsam mit SPD und Grünen – auf Demokratie und Sozialstaat in Europa handelt. (Beifall bei der LINKEN) Mit Sozialkürzungen in Zypern sollen wieder einmal Banken und Konzerne gerettet werden – nicht etwa die Bevölkerung in Zypern oder sonst wo. (Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Selbst bei der Gesundheitsversorgung in Zypern für die Ärmsten der Armen soll um 30 Prozent gekürzt werden. Diese zynische Logik, die bereits in Griechenland, in Portugal und in Spanien nur zu massivem sozialem Elend wie auch zu einer Explosion der Staatsverschuldung geführt hat, soll jetzt in puncto Zypern fortgeführt werden. Für diese Rettung von Banken werden erneut milliardenschwere Rettungspakete auch mit deutschen Steuergeldern geschnürt. Während die CDU, die CSU, die SPD und die Grünen sowie die FDP die Superreichen mästen, stürzen sie halb Europa ins Elend, meine Damen und Herren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?) Dazu passt, dass die Bundesregierung ihre Informationen über die Kapitalflucht im Vorfeld der Bankenschließungen in Zypern nicht veröffentlicht. Ich frage die Bundesregierung: Wen schützen Sie eigentlich mit dieser Nichtveröffentlichung Ihrer Informationen? (Beifall bei der LINKEN) Selbst aus der engeren Familie Ihres konservativen Parteifreundes, des Präsidenten Zyperns, sollen Millionen Euro ins Ausland gerettet worden sein. Während Sie hier vermutlich die kriminellen Parteifreunde in Zypern durch Ihre Informationspolitik decken, haben Sie zugleich mit Ihrer Zustimmung dazu, auch an die Einlagen von Kleinsparern herangehen zu wollen, ein Signal gesetzt, wie Sie Ihre großzügigen Geschenke für die Superreichen in Europa in Zukunft zu bezahlen gedenken. (Zuruf von der FDP: Ist das eine persönliche Erklärung zum Abstimmungsverhalten?) Ja, Zypern ist eine Blaupause dafür, dass auch die Spareinlagen unter 100 000 Euro nicht mehr sicher sind. Gemeinsam mit SPD und Grünen zertrümmern Sie die sozialen Sicherheitssysteme und die Reste sozialer Sicherheit in Europa. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, darf ich Sie daran erinnern, dass Sie eine persönliche Erklärung – Sevim Da?delen (DIE LINKE): Ja. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: – zu Ihrem Abstimmungsverhalten vortragen wollten und nicht eine allgemeinpolitische Rede, die die Debatte verlängert? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sevim Da?delen (DIE LINKE): Ja. Herr Präsident, wenn Sie erlauben, kann ich auch zu diesem Punkt kommen. (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und FDP – Zuruf von der FDP: Das kann doch nicht wahr sein!) Das ist die ganz persönliche Erklärung – die Wahrheit ist nämlich das Ganze, meine Damen und Herren –: Ich habe heute auch gegen diesen Antrag für Finanzhilfen für Zypern gestimmt, weil diese heutige Abstimmung im Bundestag einen gravierenden Angriff auf die Demokratie darstellt. Wieder einmal werden innerhalb von Tagen milliardenschwere Zusagen getätigt. Das finde ich als Abgeordnete unzumutbar und inakzeptabel. Die massiven Risiken für den Bundeshaushalt werden gar nicht ausgewiesen, sodass die Abgeordneten hier auch kein ordnungsgemäßes Verfahren absolvieren können. Mit der Troika- und Memorandumpolitik, mit solch einem Verfahren, etablieren Sie eine regelrechte Diktatur in Europa, ja, eine regelrechte Diktatur in Europa: Nicht mehr die von der Bevölkerung gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter entscheiden über die Wirtschafts-, Sozial- und auch Beschäftigungspolitik, sondern ernannte Kommissionen und Kürzungsbürokratien. Bis ins Detail wird ihnen und auch uns sozusagen vorgeschrieben, wie die Politik auszusehen hat. Das darf so nicht weitergehen, meine Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN) Zu diesen Angriffen auf Demokratie und Sozialstaat gibt es Alternativen. Deshalb habe ich hier heute mit Nein gestimmt. Heute stehen wir solidarisch an der Seite der zyprischen Bevölkerung und sagen: Nein! Ochi! Und: Hayir! Heute sind wir alle Zyprioten! Simera imaste oli Kiprii! Bugün hepimiz Kibrisliyiz! (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Bravo!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die weiteren Erklärungen zur Abstimmung erfolgen dann am Schluss der Abstimmungen. Ich teile jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen betreffend die Gewährung einer Stabilitätshilfe an die Republik Zypern in Form einer Finanzhilfefazilität des ESM gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes mit: abgegebene Stimmen 602. Mit Ja haben gestimmt 487, mit Nein haben gestimmt 102, Enthaltungen 13. Dieser Teil des Antrags ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 601; davon ja: 487 nein: 101 enthalten: 13 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Norbert Brackmann Klaus Brähmig Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Florian Pronold Mechthild Rawert Stefan Rebmann Dr. Carola Reimann Sönke Rix Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Christiane Ratjen-Damerau Dr. Birgit Reinemund Hagen Reinhold Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Wolfgang Bosbach Thomas Dörflinger Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Alexander Funk Dr. Peter Gauweiler Manfred Kolbe Dr. Carsten Linnemann Thomas Silberhorn Christian Freiherr von Stetten Klaus-Peter Willsch SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Peter Danckert Wolfgang Gunkel Gerold Reichenbach Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Rolf Schwanitz Rüdiger Veit Waltraud Wolff (Wolmirstedt) FDP Jens Ackermann Nicole Bracht-Bendt Sylvia Canel Dr. Lutz Knopek Holger Krestel Lars Lindemann Frank Schäffler Torsten Staffeldt DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Neškovi? Enthalten CDU/CSU Veronika Bellmann SPD Willi Brase Ulla Burchardt Gabriele Hiller-Ohm Christel Humme Hilde Mattheis Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Werner Schieder (Weiden) FDP Joachim Günther (Plauen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele Wir stimmen nun ab über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060 betreffend die Annahme einer Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zwischen der Republik Zypern und dem ESM und die Zustimmung zu einem Memorandum of Understanding gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen, damit ich die zweite namentliche Abstimmung eröffnen kann. Es fehlen noch Schriftführerinnen und Schriftführer der Opposition. Links fehlen noch Schriftführerinnen und Schriftführer; in diesem Fall der Regierungsfraktionen. – Hier vorne links fehlt noch ein Schriftführer, eine Schriftführerin der Regierungsfraktionen. – Ich sage es zum dritten Mal: Links fehlt noch ein Schriftführer, eine Schriftführerin der Regierungsfraktionen. Es könnte sich allmählich jemand erbarmen. Ich eröffne die zweite namentliche Abstimmung. Haben alle anwesenden Abgeordneten ihre Stimme abgegeben? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben.3 Ich darf Sie bitten, sich zu Ihren Plätzen zu begeben, da wir jetzt eine einfache Abstimmung durchzuführen haben. Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060 betreffend Haftungsanpassungen für die Republik Zypern. Wer stimmt für diesen Teil des Antrags? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Einige Fraktionen haben nicht abgestimmt. Ich wiederhole: Wir haben jetzt eine einfache Abstimmung. Es geht um den Antrag betreffend Haftungsanpassungen für die Republik Zypern. Wer stimmt für diesen Teil des Antrags? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dieser Teil des Antrags ist mit den Stimmen von vier Fraktionen gegen die Stimmen der Linken bei einer Enthaltung angenommen. Wir kommen zu zwei weiteren namentlichen Abstimmungen. Wir stimmen zunächst über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060 betreffend die Verlängerung der maximalen durchschnittlichen Laufzeit des EFSF-Darlehens an Irland um sieben Jahre ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wieder die Plätze an den Abstimmungsurnen zu besetzen. Ist das der Fall? – Dann eröffne ich die Abstimmung. Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? – Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Auch hier wird das Ergebnis später bekannt gegeben.4 Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksache 17/13060 betreffend die Verlängerung der maximalen durchschnittlichen Laufzeit der EFSF-Darlehen an Portugal um sieben Jahre. Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die vierte namentliche Abstimmung. Haben alle anwesenden Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? – Das ist offensichtlich der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.5 Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Wir kommen zur Abstimmung über zwei Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13107. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der Linken abgelehnt. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13108. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Grünen und Linken bei Enthaltung der SPD abgelehnt. Es folgen jetzt mündliche Erklärungen von drei Mitgliedern der Fraktion Die Linke, zunächst Kollege Alexander Ulrich. (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Keine Rede! Nur eine persönliche Erklärung!) Alexander Ulrich (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute gegen den Antrag der Bundesregierung gestimmt, weil es sich bei ihrem Zypern-Paket um nichts anderes als ein gigantisches Verarmungs- und Rezessionsprogramm handelt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Einmal mehr sollen die Kosten der Krise nach unten durchgereicht werden. Wer die Krise überwinden will, muss aber jene zur Kasse bitten, die jahrelang von den deregulierten Finanzmärkten profitiert und dabei die Krise erst verursacht haben. Wir brauchen eine europaweit koordinierte Vermögensabgabe, eine Bekämpfung von Steuerflucht und -hinterziehung sowie eine strenge Regulierung und Schrumpfung der Finanzmärkte. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Stattdessen hat sich der Bundestag wieder einmal dafür entschieden, Rentnerinnen und Rentner, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitslose zu belasten. Es ist der Wille der großen Mehrheit von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen, Renten und Löhne in Zypern um bis zu 12,5 Prozent zu kürzen, Sonderregeln zugunsten sozial Schwacher im Gesundheitswesen abzuschaffen, Entlassungen im öffentlichen Dienst durchzuführen und ein riesiges Privatisierungsprogramm zu erzwingen. Was daraus folgt, können wir am Beispiel Griechenland gut beobachten. Auch in Zypern werden nun viele Menschen ihrer Existenzgrundlage beraubt. Auch in Zypern wird eine ganze Volkswirtschaft zerstört. Selbst die Troika erwartet einen wirtschaftlichen Einbruch um 12 Prozent innerhalb von zwei Jahren und einen Anstieg der Verschuldung auf 126 Prozent des BIP. Wer sich die Mühe gemacht hat, die letzten Troika-Prognosen für Programmländer mit der Realität zu vergleichen, der weiß, dass alles noch viel schlimmer kommen wird. Die Troika-Politik löst keine Krisen. Sie verschärft Krisen und verteilt die Kosten nach unten um. Ich habe auch gegen den Antrag der Bundesregierung gestimmt, weil ich das Verfahren für vollkommen inakzeptabel halte. (Beifall bei der LINKEN) Am Sonntag hat die Bundesregierung den Abgeordneten ihren Antrag zugeleitet. Es handelt sich dabei um mehr als hundert Seiten teilweise hochkomplexer Analysen. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was denn jetzt?) Auf dieser Grundlage hat der Bundestag heute, vier Tage später, beide Zypern-Beschlüsse sowie eine Umgestaltung der Programme für Portugal und Irland innerhalb einer Sitzung beschlossen. Ich glaube nicht, dass die Mehrheit jener, die heute dem Verarmungsprogramm zugestimmt haben, sich der Tragweite ihrer Entscheidung bewusst war. Die Verkürzung des Verfahrens lässt die parlamentarischen Mitspracherechte im Rahmen der EU-Krisenpolitik zur Farce verkommen. Es gibt keine Rechtfertigung für diese Schwächung des Bundestages, und es sagt nichts Gutes über den Zustand unserer Demokratie aus, wenn die Abgeordneten von vier der fünf Fraktionen mit dieser Aushebelung ihrer Rechte offensichtlich kein Problem haben. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer mündlichen Erklärung zur Abstimmung hat jetzt Annette Groth. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Annette Groth (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich habe heute gegen den Antrag der Bundesregierung gestimmt, weil dadurch ein radikales Sozial-, Renten- und Lohnkürzungsprogramm festgeschrieben wird und es einen direkten Angriff auf die Demokratie Zyperns darstellt. (Beifall bei der LINKEN) Entscheidungen von demokratisch gewählten Parlamenten werden durch die Troika-Institutionen eingeschränkt. Das souveräne Handeln auch zukünftiger gewählter Regierungen auf Zypern wird beschnitten. Das kann ich nicht mittragen. Das steht in einem eklatanten Widerspruch zu meinem Demokratieverständnis. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich kann Ihnen sagen, was mir neulich beim Europarat passiert ist. Eine wütende zypriotische Abgeordnete kam auf mich zu – keine Linke – und fragte: Was macht ihr Deutschen eigentlich? Habt ihr vor, ganz Europa zu zerstören? Aber wartet ab, es wird euch auch bald treffen, insbesondere wenn die Deutsche Bank ins Trudeln gerät; denn die steckt tief im Zockersumpf. Dann geht es euch an den Kragen. – So weit das Zitat. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Was haben Sie denn gesagt? – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Was haben Sie geantwortet?) – Was soll ich darauf antworten? Sie sehen doch genauso wie ich und alle anderen, die ab und zu nach Griechenland fahren, die katastrophalen Auswirkungen des Kürzungsprogramms in den Bereichen Bildung und Gesundheit, eigentlich in allen Bereichen. Das ist furchtbar. Das kann man doch nicht zulassen. Sie wissen doch genau, dass Austeritätspakete nicht zu Wirtschaftswachstum führen. Das sagen auch konservative Ökonomen. Auch Privatisierung ist absolut schädlich. Alle Studien zeigen, dass Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen immer höhere Preise und schlechteren Service zur Folge haben. Besonders für sehr arme Leute, die sparen müssen, ist das eine Katastrophe. Das kann ich aufgrund meines Menschenrechtsverständnisses nicht mittragen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Darum habe ich heute gegen den Antrag gestimmt. Ich finde es schade, dass Sie zugestimmt haben. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Zur letzten mündlichen Erklärung zur Abstimmung Heike Hänsel. Heike Hänsel (DIE LINKE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute gegen den Antrag der Bundesregierung für Finanzhilfe für Zypern gestimmt, weil diese sogenannte Hilfe die Bevölkerung Zyperns in Armut und Perspektivlosigkeit stürzen wird. Selbst der Internationale Währungsfonds prognostiziert einen Wirtschaftseinbruch durch die verordneten Kürzungsmaßnahmen allein in diesem Jahr von bis zu 10 Prozent. Mit Lohn-, Sozialleistungs- und Rentenkürzungen soll die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Das will die Bundesregierung, und das wollen leider auch SPD und Grüne. Wir sehen doch, dass diese Politik bisher in Europa nur in die Katastrophe geführt hat. Deswegen habe ich heute dagegen gestimmt. (Beifall bei der LINKEN) Die Privatisierung soll vorangetrieben werden. Auch ein ganz sensibler Bereich, nämlich der Bereich der Wasserversorgung, soll privatisiert werden. Während Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa Unterschriften gegen die Privatisierung der Wasserversorgung sammeln – über 1 Million Unterschriften werden gesammelt; Hundertausende hier in Deutschland –, wird hier zugelassen, dass auch die Wasserversorgung privatisiert wird. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Was hat das mit Zypern zu tun? Herr Präsident!) Das kann ich nicht verantworten. Deswegen habe ich dagegen gestimmt. (Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wir reden hier über Zypern!) – Das betrifft auch Zypern. Sie stimmen hier all diesen Kürzungsmaßnahmen regelmäßig zu, auch Sie von SPD und Grünen, und beklagen gleichzeitig in den Talkshows die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die Armut in Europa. Stimmen Sie doch hier dagegen, statt es in den Talkshows zu beklagen! (Beifall bei der LINKEN) Ich muss Ihnen noch einen Grund nennen, aus dem ich heute dagegen gestimmt habe. Es geht um die Stabilisierung und die Beruhigung der Finanzmärkte. Zypern soll unter anderem – das ist in dem Memorandum verankert – seine Goldreserven verkaufen. Als dies bekannt wurde, fiel der Goldpreis um über 10 Prozent. Allein diese Reaktion beweist doch, dass diese Politik verheerend ist und destabilisierend wirkt. Genau deswegen, weil es auch ökonomisch ein Irrwitz ist, was hier passiert, habe ich gegen diesen Antrag gestimmt. (Beifall bei der LINKEN) Wir sagen schon seit langem, dass wir die Verursacher und die Profiteure der Krise heranziehen müssen. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Herr Präsident, das ist eine Sachdiskussion! Das ist keine persönliche Erklärung! – Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Natürlich!) Das ist nicht verankert. Genau deswegen kann ich diesen Antrag nicht verantworten. Er enthält keine Elemente, um die Profiteure dieser Krise zur Verantwortung zu ziehen. Sie stimmen für eine Agenda 2010 für ganz Europa. Wir haben erlebt, was Agenda 2010 in Deutschland bedeutet. Deswegen stimme ich heute gegen diesen Antrag. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte Sie auch darüber informieren, dass wir nicht allein sind, dass in Europa Hunderttausende von Menschen zu Demonstrationen gehen und Unterschriften sammeln. Sie rufen auch zu großen Demonstrationen in Deutschland auf. Ende Mai bzw. Anfang Juni wird in Frankfurt im Bankenviertel unter dem Motto „Blockupy“ demonstriert. Wir wollen diese Politik beenden. Wir wollen eine menschliche Politik in Europa. Das unterstütze ich, indem ich heute gegen diesen Antrag gestimmt habe. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen mit. Wir kommen zunächst zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen betreffend die Annahme einer Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zwischen der Republik Zypern und dem ESM und der Zustimmung zu einem Memorandum of Understanding gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 486, mit Nein haben gestimmt 104, Enthaltungen 3. Dieser Teil des Antrags ist also angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 600; davon ja: 486 nein: 103 enthalten: 11 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Norbert Brackmann Klaus Brähmig Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Florian Pronold Mechthild Rawert Dr. Carola Reimann Sönke Rix Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Ute Vogt Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Christiane Ratjen-Damerau Dr. Birgit Reinemund Hagen Reinhold Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Wolfgang Bosbach Alexander Funk Dr. Peter Gauweiler Manfred Kolbe Dr. Carsten Linnemann Thomas Silberhorn Christian Freiherr von Stetten Klaus-Peter Willsch SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Peter Danckert Wolfgang Gunkel Josip Juratovic Hilde Mattheis Gerold Reichenbach Werner Schieder (Weiden) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Rolf Schwanitz Rüdiger Veit Waltraud Wolff (Wolmirstedt) FDP Jens Ackermann Nicole Bracht-Bendt Sylvia Canel Dr. Lutz Knopek Holger Krestel Lars Lindemann Frank Schäffler Torsten Staffeldt DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Neškovi? Enthalten CDU/CSU Veronika Bellmann SPD Willi Brase Ulla Burchardt Gabriele Hiller-Ohm Christel Humme Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Stefan Rebmann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Marlies Volkmer Nächste namentliche Abstimmung, betreffend den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen bezogen auf die Verlängerung der maximalen durchschnittlichen Laufzeit des EFSF-Darlehens an Irland um sieben Jahre. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 601. Mit Ja haben gestimmt 498, mit Nein haben gestimmt 89, Enthaltungen 4. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 594; davon ja: 500 nein: 90 enthalten: 4 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Norbert Brackmann Klaus Brähmig Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Florian Pronold Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Klaus Breil Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Christiane Ratjen-Damerau Dr. Birgit Reinemund Hagen Reinhold Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Wolfgang Bosbach Thomas Dörflinger Alexander Funk Dr. Peter Gauweiler Manfred Kolbe Dr. Carsten Linnemann Klaus-Peter Willsch SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Peter Danckert Wolfgang Gunkel Swen Schulz (Spandau) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) FDP Jens Ackermann Nicole Bracht-Bendt Sylvia Canel Lars Lindemann Frank Schäffler Torsten Staffeldt DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Da?delen Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Neškovi? Enthalten CDU/CSU Veronika Bellmann SPD Christel Humme Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Vierte namentliche Abstimmung, betreffend den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen bezogen auf die Verlängerung der maximalen durchschnittlichen Laufzeit des EFSF-Darlehens an Portugal um sieben Jahre. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 604. Mit Ja haben gestimmt 496, mit Nein haben gestimmt 93, Enthaltungen 5. Auch dieser Teil des Antrags ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 591; davon ja: 494 nein: 92 enthalten: 5 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Norbert Brackmann Klaus Brähmig Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Florian Pronold Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Christiane Ratjen-Damerau Dr. Birgit Reinemund Hagen Reinhold Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Wolfgang Bosbach Thomas Dörflinger Alexander Funk Dr. Peter Gauweiler Manfred Kolbe Dr. Carsten Linnemann Klaus-Peter Willsch SPD Klaus Barthel Marco Bülow Dr. Peter Danckert Wolfgang Gunkel Waltraud Wolff (Wolmirstedt) FDP Jens Ackermann Nicole Bracht-Bendt Sylvia Canel Holger Krestel Lars Lindemann Frank Schäffler Torsten Staffeldt DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Neškovi? Enthalten CDU/CSU Veronika Bellmann SPD Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Swen Schulz (Spandau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Ekin Deligöz, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbindliche Quote für Aufsichtsräte einführen – Drucksache 17/13094 – b) – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG) – Drucksache 17/11270 – – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Eva Högl, Christel Humme, Elke Ferner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen (ChGlFöG) – Drucksache 17/8878 – – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Eva Högl, Sebastian Edathy, Ingo Egloff, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Renate Künast, Ekin Deligöz, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG) – Drucksache 17/11139 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/12784 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Stephan Harbarth Andrea Astrid Voßhoff Dr. Eva Högl Marco Buschmann Halina Wawzyniak Ingrid Hönlinger c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Lazar, Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Quote für Aufsichtsratsgremien börsennotierter Unternehmen einführen – Drucksachen 17/797, 17/1274 – Berichterstattung: Abgeordnete ElisabethWinkelmeier-Becker Dr. Eva Högl Marco Buschmann Raju Sharma Jerzy Montag Zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über diesen Gesetzentwurf werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Norwegen hat sie. Auch Belgien, Island, Frankreich, Spanien, Italien und die Niederlande haben sie. Alle haben sie: die Frauenquote. Was haben wir? Wir führen seit dreieinhalb Jahren eine Diskussion darüber, und wir haben in dieser Woche eine große Enttäuschung für die Frauen in dieser Republik erlebt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Sie von der Union haben am Montag einen Kompromiss beschlossen, der mehr ist als eine Enttäuschung. Frau Hasselfeldt sagt ganz offen, sie sei unzufrieden, dass die Opposition der Union die Debatte über die feste Frauenquote aufgezwungen hat. Solche Verfahren sollten nicht Schule machen, sagt sie. Außerdem sagt sie: Wir sind davon gar nicht begeistert. Daran sieht man, was passiert ist. Es war nicht etwa so, dass Sie sich für einen anderen politischen Inhalt entschieden haben. Sie sind auch nicht überzeugt worden. Vielmehr ist Ihnen etwas aufgezwungen worden, weil Sie wieder einmal gemerkt haben, dass Ihnen die Argumente ausgegangen sind, dass es peinlich wird und dass Sie damit nicht durchkommen. Gleichzeitig tun Sie nichts anderes, als zu versprechen, zu diesem Thema etwas in Ihr Wahlprogramm zu schreiben. Aber das Versprechen, dem Kompromiss, der aus dem Bundesrat kommt, zuzustimmen – dieses Versprechen haben Sie den Frauen gegeben –, halten Sie nicht ein. Sie sind nicht verlässlich, Sie sind nicht vertrauenswürdig – leider auch die Frauen, die seit dreieinhalb Jahren mit verhandelt haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Sie blockieren hier einen Kompromiss, und Sie blockieren zugleich das, was Viviane Reding, bekanntlich eine konservative Kommissarin, in der EU voranbringen will: eine Frauenquote, die dafür sorgt, dass wenigstens ein Anfang gemacht wird, dass sich die Frauen wenigstens auf diesen Anfang verlassen können. Uns ist dieser Kompromiss nicht leichtgefallen. Aber wir haben gesagt: Wir wollen ihn eingehen. Dazu haben wir lange Gespräche mit Ihnen geführt. Wir wurden dabei unterstützt von vielen Frauen aus Verbänden, aus der Wirtschaft und aus Unternehmen, die deutlich gemacht haben: Es geht so nicht weiter. Wir sind diesen Kompromiss eingegangen. Wir haben Ihnen faire Angebote gemacht. Aber dann mussten wir in dieser Woche erleben: Eine nach der anderen ist umgefallen. Eine ist dreimal in drei Tagen umgefallen, nämlich Ursula von der Leyen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Am Montag ist sie umgefallen, weil sie einer Regelung zugestimmt hat, die sie eigentlich nicht will. Allerdings hat sie gesagt: Ich halte mir mein Abstimmungsverhalten offen. Am Dienstag ist sie das zweite Mal umgefallen und hat gesagt: Ich stimme im Bundestag gegen das, was ich eigentlich unbedingt als ersten Schritt wollte. Am Mittwoch ist sie ein drittes Mal umgefallen. Dann hat sie sogar gesagt, dass sie hier gar nicht mehr zu diesem Thema reden will. Das nenne ich Umfallen, und zwar zulasten der Frauen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich sage Ihnen: Das ist nicht verlässlich, das ist keine Politik für die Frauen, und das ist schon gar keine moderne Politik, mit der man die Zukunft dieses Landes gestalten kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Nein, Politik ist keine Ich-AG, sondern Vertrauenssache. Dass Sie da so bitter enttäuscht haben, werfe ich Ihnen vor. Dass Kämpferinnen aus unserer Fraktion wie Renate Künast und Ekin Deligöz, die in den letzten dreieinhalb Jahren unzählige Gespräche mit Ihnen geführt haben, bereit waren, einen solchen Kompromiss einzugehen, geschah doch nicht aus Wahlkampfgründen. Die Berliner Erklärung ist von vielen Frauen und Männern unterschrieben worden, weil sie gehofft und sich darauf verlassen haben, dass sich jetzt etwas ändert, dass Sie für die Sache der Frauen stehen und dass Sie vor allem stehen bleiben, dass Sie die Gespräche ernst meinen und die Frauen nicht an der Nase herumführen. Wir sehen heute: Leider war das Gegenteil der Fall. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nun soll die 30-Prozent-Quote ab 2020 festgeschrieben werden. Ich weiß nicht, wie Sie draußen erklären wollen, dass 2020 etwas richtig sein soll, was 2018 falsch ist; aber es wird ja nicht so kommen. Warum brauchen wir die Quote? Wir haben viel darüber diskutiert, und natürlich ist der Einsatz für die Gleichberechtigung damit nicht erledigt. Wenn es in Aufsichtsräten einen Frauenanteil von 3,7 Prozent gibt und immer noch fast 90 Prozent der Führungen großer Unternehmen von Männern gestellt werden, dann ist ganz klar: Das liegt nicht an der Qualifikation. Das liegt nicht daran, dass die Frauen nicht bereit wären. Das liegt nicht daran, dass keine geeigneten Frauen da wären. Das liegt daran, dass in alter Gewohnheit Anzugträger Anzugträger suchen, weil wir in Deutschland immer noch keine Quote haben, die dafür sorgt, dass die guten und qualifizierten Frauen eine Chance bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Selbstverständlich ist die Quote in den Aufsichtsräten nur ein Anfang. Es ist klar: Wir brauchen bessere Bedingungen für Familie und Beruf, wir brauchen gleiche Bezahlung. Weil wir Sie ernst nehmen wollen, haben wir jetzt ein weiteres Angebot für Sie. Wenn Sie wirklich für die Quote sind und sie ins Wahlprogramm schreiben wollen – wir bleiben bei dem Kompromiss; darüber haben wir lange verhandelt, und dazu stehen wir auch –, dann können Sie mit Ihrem Abstimmungsverhalten zu dem von uns eingebrachten Antrag, der genau dem entspricht, was Sie am Montag verabredet haben, zeigen, ob Sie es ernst meinen oder ob das nur für das Papier gewesen ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Die Wirklichkeit ändert sich nicht dadurch, dass die Union etwas in ihr Parteiprogramm schreibt. Wir könnten hier aufzählen, wie oft Sie das geändert haben. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Machen Sie sich keine Sorgen um unser Regierungsprogramm!) Die Wirklichkeit ändert sich durch Gesetze. Deswegen fordern wir Sie auf: Stehen Sie wenigstens zu diesem Minischritt! Stehen Sie wenigstens zu dem, was Sie am Montag verabredet haben! Die Frauen draußen wollen das wissen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ganz klar und eindeutig bleibt allerdings: Wer wirklich eine gesetzliche, eine verbindliche Frauenquote will und wer auch dafür sorgen will, dass Frau Merkel zwei Jahre früher als geplant in den Ruhestand gehen kann, der wählt am 22. September Grün – für die Frauen und für eine bessere Republik. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Hoffnung stirbt zuletzt!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Volker Kauder für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich finde, es geht auch in der heutigen Debatte darum, deutlich zu machen, dass wir etwas tun wollen, um mehr Frauen in Führungspositionen zu haben, (Christine Lambrecht [SPD]: Dann macht es doch! Ihr seid an der Regierung! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und zwar nicht nur in der Wirtschaft, sondern überall, und dass wir wollen, (Zuruf von der SPD: Wollen reicht nicht!) dass Frauen Möglichkeiten nutzen können, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser hinzubekommen. (Elke Ferner [SPD]: Betreuungsgeld! – Weitere Zurufe von der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen) In all diesen Bereichen hat diese Regierungskoalition viel auf den Weg gebracht, was Sie in Ihrer rot-grünen Regierungszeit nicht gemacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Herdprämie!) Heute lese ich in einem Kompaktinfo der SPD: „Ohne Quote bewegt sich nichts“. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist eine Tatsache!) Da muss ich sagen: Das entspricht nicht der Wahrheit. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum sind Sie dann nicht ganz gegen eine Quote?) Es hat in der Wirtschaft eine freiwillige Vereinbarung gegeben, dass man mehr Führungspositionen an Frauen vergeben will. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit es die Quote in Spanien und in Frankreich gibt!) – Frau Künast, ich höre Ihnen als Mann zu und bitte Sie, dass Sie als Frau mir auch zuhören; so ist das. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich höre Ihnen doch zu!) – Dann kann ich ja einmal die Fakten darstellen. Dass wir in dieser Sache unterschiedliche Positionen vertreten, ist doch klar. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Fakten will sie nicht hören! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe zugehört! Sonst hätte ich ja keinen Zwischenruf gemacht!) Auch wir wollen – das war immer unsere Position –, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen, nicht nur in die Aufsichtsräte – worum es in Ihrem Antrag geht –, sondern auch in anderen Bereichen. Wir haben jetzt gesagt – das unterscheidet uns, und das bleibt trotz dieses Beschlusses so –: Zunächst einmal – das gilt bei uns durchgehend in unserer Politik – setzen wir auf Freiwilligkeit und eigene Festlegungen je nach Bereich. Wir geben den Unternehmen die Chance, solche Festlegungen selber zu treffen. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Falls die Ziele nicht erreicht werden, werden wir – das haben wir nun konkret zugesagt, und dazu stehen wir auch – in den Koalitionsverhandlungen und in der nächsten Legislaturperiode durchsetzen, dass ab 2020 eine Quote kommt. (Christine Lambrecht [SPD]: Mit wem denn? – Elke Ferner [SPD]: Machen Sie das doch gleich!) Bis 2020 lassen wir der Wirtschaft Zeit; aber dann wird es Ernst, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh!) In diesem Zusammenhang muss ich übrigens sagen: Jeder, der die Position vertritt, dass wir Quoten brauchen, muss in dem Bereich, wo er selber Verantwortung trägt, mit gutem Beispiel vorangehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Jetzt weiß ich ja, Frau Göring-Eckardt, dass der baden-württembergische Ministerpräsident, ein Grüner, inzwischen nicht mehr gut angesehen ist, weil er Sie in Sachen Steuer kritisiert hat. Dabei hat er nur die Wahrheit gesagt, nämlich dass man nicht in die Substanz eingreifen darf. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht bei uns schon im Programm!) Dieser Ministerpräsident hat aber Folgendes gemacht – so weit zu den Grünen –: Seine Regierung hat zu Beginn ihrer Regierungszeit 27 neue Stellen mit B-Besoldung geschaffen; davon wurden vier an Frauen vergeben. Das ist die Frauenförderung einer grün-roten Landesregierung, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Wie sieht denn der Frauenanteil in Ihrer Koalition aus, Herr Kauder?) Dort, wo wir in Regierungsverantwortung sind, haben wir den Blick nicht nur auf die Wirtschaft gerichtet, sondern auch auf einen Bereich, der mindestens ebenso wichtig ist. Das sind die Universitäten. Wir haben 2007 mit einem Professorinnenprogramm, das wir 2012 fortgesetzt haben, dafür gesorgt, dass sich die Lage der Frauen bei der Berufung auf Lehrstühle erheblich verändert hat. Schon jetzt gehen bei Neubesetzungen von Lehrstühlen mehr als 25 Prozent an Frauen. (Zuruf von der SPD: Lächerlich!) Das ist noch nicht ganz ausreichend; aber in Ihrer Regierungszeit ist bei diesem Thema gar nichts geschehen, um das einmal klar und deutlich zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beschließen Sie jetzt heute die Quote von 30 Prozent ab 2020 oder nicht?) Wenn wir uns anschauen, was in der letzten Zeit vorangegangen ist, können wir sagen: Mit der Kombination von eigener Verantwortung, also freiwilligem Vollzug dessen, was wir in der Wirtschaft für notwendig halten, und, falls das nicht funktionieren sollte, einer entsprechenden gesetzlichen Quote, sind wir auf einem guten Weg. Es könnte gut sein, dass wir auf diesem Weg 2020 schon wesentlich weiter sind als wir es mit der Quote wären, die Sie festlegen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das wäre ein schöner Erfolg, und dem dient diese Diskussion auch. Also: Wir werden diesen Weg gehen, (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können auch Ihre eigene Quote ablehnen!) und er wird den Frauen helfen; davon bin ich überzeugt. Ich habe zugesagt – und sage dies hier auch öffentlich –, dass das, was wir jetzt beschlossen haben, ins Regierungsprogramm kommt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann mit der FDP regieren und wieder keine Quote einführen!) Das werden wir alle unterstützen, und dann werden wir auf dem Weg vorankommen, mehr für Frauen zu tun, und zwar nicht nur in Aufsichtsräten. Auch die Quote der Frauen in Vorständen hat sich bereits verändert. Ihre Aussage, Frau Göring-Eckardt, dass nichts passiert sei, stimmt nicht. Bei den neu zu besetzenden Stellen in den Aufsichtsräten wurden in der letzten Zeit schon bis zu 40 Prozent Frauen gewählt. Das Gerede, ohne Ihre grüne Quote tue sich nichts, ist also grottenfalsch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich weiß ja, dass die Grünen zunächst einmal dem Staat und nicht den Menschen vertrauen. Deswegen müssen mit gesetzlichem Druck Erziehungsprogramme für Erwachsene umgesetzt werden. Das ist der Weg der Grünen. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Wir haben die Freiwilligenquote gehabt! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso? Frau von der Leyen wollte das doch auch!) Wir setzen zunächst einmal auf die Freiwilligkeit. Gleichzeitig kündigen wir an: Wenn ihr das nicht selber schafft, dann greifen wir ein. – Bei Ihnen geht es zunächst einmal über Druck und Zwang, und dann sehen Sie weiter. Wir haben am Dienstag in unserer Fraktion und am Montag in unseren Parteigremien einen entsprechenden Beschluss gefasst. Es geht im Übrigen nicht um unser Parteiprogramm, sondern um unser Regierungsprogramm. Darin nehmen wir das auf. Dann setzen wir das um und tragen das gemeinsam mit. Das ist ein guter Tag für die Frauen in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Der Kollege Beck möchte eine Kurzintervention machen. – Bitte schön, Kollege Beck. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kauder, ich würde Sie gerne fragen, was das, was Sie gesagt haben, denn nun heißt. Mir haben die Frauen aus Ihrer Fraktion auf einem Fest der Parlamentarischen Gesellschaft gesagt, es solle jetzt ins Regierungsprogramm aufgenommen werden, dass unmittelbar nach der Wahl, falls Sie von den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit dafür bekommen sollten, die Quote von 30 Prozent für 2020 ins Gesetz geschrieben werden soll. Gerade haben Sie gesagt, dass Sie bis 2020 warten wollen, um zu schauen, ob wir bis dahin nicht schon viel weiter sind. (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) Die Öffentlichkeit würde gerne wissen: Wollen Sie den Frauen jetzt einen Scheck über zwei Wahlperioden ausstellen, oder wollen Sie tatsächlich handeln? Was gilt denn nun? Sie haben Frau von der Leyen und Frau Pawelski hier hinter die Fichte geführt, wenn das, was Sie gerade gesagt haben, die tatsächliche Linie, der tatsächliche Plan der Unionsführung ist. Das wäre ein Betrug an den Frauen in Ihrer Partei und an den Frauen, die auf der Tribüne sitzen und seit Jahren für die Gleichberechtigung in der Wirtschaft kämpfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kollege Kauder. Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Kollege Beck, ich finde die Art und Weise, in der Sie Fragen stellen und zeigen, dass Sie gar nicht an einer Antwort interessiert sind, schäbig, um das einmal klar zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dagmar Ziegler [SPD]: Herr Oberlehrer!) Sie stellen mir eine Frage, und bevor ich diese Frage beantwortet habe, nennen Sie schon das Ergebnis. Eigentlich müsste ich sagen: Die Antwort hat sich durch Sie selbst erledigt. Um das aber klar zu sagen: Wir haben formuliert, dass wir bis zum Jahr 2020 den Unternehmen die Möglichkeit geben wollen, die Quote von 30 Prozent zu erreichen, und wenn sie bis dahin nicht erreicht wurde, wird sie gesetzlich vorgeschrieben. Ein solches Gesetz machen wir gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode. Das ist unsere klare Aussage. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen und Zurufe bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie zugehört hätten und nicht immer nur bei Ihrem ideologischen Irrsinn blieben, dann hätten Sie das auch so vernommen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blankes Entsetzen bei den Frauen der Union!) – Herr Beck, zu Beginn der Legislaturperiode wird es ein Gesetz geben, in dem alle diese Punkte so geregelt werden, wie ich es gesagt habe. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können wir es auch jetzt machen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kauder, Fraktionsvorsitzende haben ja gelegentlich die Aufgabe, eine gewisse Spannbreite von Positionen innerhalb der eigenen Fraktion zu überbrücken. Das ist mir nicht gänzlich unbekannt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer wüsste das besser als der SPD-Fraktionsvorsitzende!) Das, was Sie hier eben abgeliefert haben, Herr Kollege Kauder, war aber schon ein Meisterstück der besonderen Art. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Davon, wie Sie in einer Rede gleichzeitig das Ja und das Nein zur Quote begründet haben, kann einem schon schwindlig werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt kommt der SPD-Fraktionsvorsitzende! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt kommt der SPD-Fraktionsvorsitzende zur Rente mit 67 und zur Agenda 2010!) Herr Kauder, die Menschen, die uns heute zuhören, wollen nicht länger erleben, wie Sie von den Regierungsfraktionen hier Pirouetten drehen. Sie wollen klare Ansagen. Sie wollen vor allen Dingen, dass für die Frauen in unserem Land etwas passiert. Recht haben die Frauen, die das erwarten. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) So wie es ist, kann es nicht bleiben. Das sehen auch viele in Ihren eigenen Reihen so. Frauen werden in der Wirtschaft immer noch benachteiligt. Viel zu wenige steigen in Führungspositionen auf. In den 200 größten Unternehmen sind nur 13 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder Frauen, in Vorstandsetagen weniger als 4 Prozent – 4 Prozent! Dabei gibt es sie, die qualifizierten und inzwischen auch erfahrenen Frauen. Sie stehen in den Startlöchern; aber in den Startlöchern werden sie eben auch stecken bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir in dem bisherigen Tempo weitermachen, dann dauert es nämlich bis zur Mitte des Jahrhunderts, bis 40 Prozent der Sitze in Aufsichtsräten mit Frauen besetzt sind, und das ist entschieden zu spät. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie wissen oder können wissen: Das reicht nicht. Das reicht, wie wir in den letzten Wochen und Monaten gesehen haben, auch vielen Frauen aus den Reihen der Koalition nicht; das sollte auch vielen Männern nicht reichen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Wenn Frau Schröder und andere jetzt mit dem Thema „Selbstverpflichtung der Wirtschaft“ kommen, dann kann ich nur sagen: Das ist nun wirklich keine neue Erfindung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Darauf haben früher schon andere gesetzt. Aber seitdem sind zwölf Jahre vergangen, und bewegt hat sich fast nichts. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen muss endlich Schluss sein mit Reden, Lamentieren und Programmrhetorik. Jetzt müssen Taten her – und wenn ich von Taten spreche, dann meine ich nicht diesen Flexi-Quoten-Quatsch, den die sogenannte Frauenministerin angeboten hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich weiß nicht, was mich in dieser Situation fassungsloser macht: die Ignoranz, die dahintersteckt, wenn man das Problem überhaupt nicht erkennen will, oder aber zu wissen, was eigentlich zu tun ist, und dann am Ende, wie ich befürchte, hier im Hause gegen die eigenen Überzeugungen zu stimmen. Jetzt wäre Gelegenheit, ich korrigiere mich: jetzt wäre es eigentlich Pflicht, in diesem Hohen Hause Farbe zu bekennen. Das verlangt in einer solchen Situation Standhaftigkeit. Es ist doch keine Überraschung – es war zu erwarten –, dass das hier nicht ganz einfach über die Bühne geht. Aber kaum steigt der Druck im Kessel etwas an, fallen die Reihen um. Vor allen Dingen fallen sie auf einen billigen Kompromiss rein, mit dem Frau Merkel oder wer auch immer sie in den letzten Tagen aufs Glatteis geführt hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Statt heute und hier eine gesetzliche Regelung zu schaffen, vertrösten Sie die Frauen in Deutschland mit einer vagen Ankündigung im Wahlprogramm, die – wir haben es eben von Ihnen noch einmal gehört, Herr Kauder – die Einführung der Frauenquote in 2020 (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Für Aufsichtsräte!) in Aussicht stellt. Warum nicht gleich auch die Einführung eines Mindestlohns für das Jahr 2090? (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Das ist doch Heuchelei! Das ist Volksverdummung, was hier stattfindet! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Die zeitliche Perspektive – erlauben Sie mir, das zu sagen – ist aber nur das eine. Noch verrückter ist, dass Sie den Menschen in diesem Lande verkaufen wollen, dass Sie die Einführung der Quote 2020 mit Ihrem Wunschpartner, mit der FDP, durchsetzen wollen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Sie müssen doch begreifen, dass die Bekenntnisse zu Schwarz-Gelb auf der einen Seite und zur Quote auf der anderen Seite überhaupt nicht zusammenpassen. Das ist Heuchelei. Sie wollen die Leute hinter die Fichte führen, und das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nein, ich bleibe dabei: Mit dem, was Sie hier vorschlagen, lassen Sie die Frauen im Regen stehen. Sie stehen da wie der Kaiser ohne Kleider. Außer wohlfeilen Versprechen haben Sie nichts anzubieten. Ich ahne, dass die Vorentscheidungen bei Ihnen längst gefallen sind. Dennoch gebe ich nicht auf und appelliere noch einmal an Ihre Vernunft, an Ihren Mut und auch an Ihre Ehre: (Zuruf von der FDP: Unfassbar!) Nehmen Sie sich selbst ernst! Nehmen Sie die Frauen ernst, und stimmen Sie unserem Vorschlag zu! Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Nicole Bracht-Bendt für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nicole Bracht-Bendt (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich richte mich zuerst an die Kollegen von der SPD. Sie fordern die Wirtschaft auf, hier aktiver zu sein. Was ist denn in Niedersachsen? Dort sind von den zwölf Staatssekretären nur vier weiblich. Ich denke, da hätten Sie die Möglichkeit gehabt, eine Vorbildfunktion einzunehmen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich weiß gar nicht mehr genau, wie oft wir in den vergangenen Monaten über die Einführung einer Frauenquote für Aufsichtsräte gesprochen haben. Heute geht es zum ersten Mal nicht nur um den Antrag der Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Grünen, sondern auch um einen Beschluss des Bundesrates. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir uns bei den Argumenten im Kreis drehen. (Christine Lambrecht [SPD]: Sie vielleicht!) In den letzten Tagen habe ich kein neues Argument gehört. Das gilt auch für den internen Streit bei unserem Koalitionspartner. Die Standpunkte sind klar. Bemerkenswert ist allerdings, wie die Union ihre Reihen geschlossen hat. Ich staune über die politische Kultur bei unserem Koalitionspartner. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der staunt selber auch!) Es ist schon bemerkenswert, wenn eine Minderheit plötzlich Parteitagsbeschlüsse kippt. Ich bin gespannt, was der nächste Parteitag letztlich beschließt. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Wir auch!) Wir Liberale sind jetzt also die einzige Fraktion im Bundestag, die Unternehmen nicht per Gesetz zwingen wird, einen festen Anteil Aufsichtsratsposten an Frauen zu vergeben. Es gibt aber auch in unserer Fraktion einige wenige Kolleginnen, die eine Quotierung befürworten. Die große Mehrheit meiner Fraktion lehnt diese Form der Zwangsregulierung aber ab. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Einige wenige“ klingt bei Ihnen wie „fast alle“!) Wir werden die Unternehmen jedenfalls nicht unter Androhung von Strafen zur Quote verdonnern. Wir wollen nicht Teil einer Regierung sein, die Unternehmen immer wieder neue Vorschriften macht. (Zurufe von der SPD: Ah!) Deshalb will ich hier der Wirtschaft ganz klar sagen: Sie stehen nicht auf verlorenem Posten. Wir werden nicht stillschweigend zulassen, dass Ihnen im rauen Wettbewerb ein wichtiges Stück Freiheit genommen wird. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frauen sind wettbewerbsschädigend, oder was?) Wir sehen doch, welche Klimmzüge vor allem börsennotierte Unternehmen machen, seit das Schreckgespenst Quote die Runde macht. Insofern kann ich der Quotendebatte und dem damit verbundenen Druck auf die Personaler durchaus etwas Positives abgewinnen. Nie zuvor suchten Headhunter so gezielt nach weiblichen Führungskräften, und das ist auch gut. Denn natürlich gibt es genügend Frauen, die qualifiziert für Aufsichtsräte und Vorstandsposten sind. Es steht außer Frage, dass nicht nur in Aufsichtsräten, sondern auch in Vorständen und Führungspositionen zu wenige Frauen vertreten sind. Es steht auch außer Frage, dass die Wirtschaft leider erst sehr spät reagiert hat. Es ist nicht erst seit gestern so, dass Frauen gewaltig auf dem Vormarsch sind, dass viel mehr Frauen als noch vor 20 Jahren Karriere machen wollen (Elke Ferner [SPD]: Das sieht man an Ihrer Fraktion, Frau Kollegin!) und zudem – statistisch gesehen – die besseren Abschlüsse präsentieren, wenn sie sich bewerben. Auch der Fachkräftemangel ist kein Phänomen, das plötzlich vom Himmel gefallen ist. Die Wirtschaft hat auch in den mittleren Ebenen, also nicht nur bei den Spitzenfunktionen in Unternehmen und Verbänden, die Frauenfrage viel zu spät aufgegriffen. Diesen Vorwurf muss sich die Wirtschaft gefallen lassen. Die Familienunternehmen zeigen schon lange, wie es geht. Hier sind Frauen in Führungspositionen selbstverständlich. (Beifall bei der FDP) Dennoch bleibt festzuhalten: Für Aufsichtsräte braucht Deutschland keine Regelung; denn hier ist Bewegung. Deshalb ist es völlig unverständlich, warum ausgerechnet jetzt, wo es eindeutig den Trend hin zu mehr Frauen in Schlüsselpositionen gibt, das Geschacher um eine gesetzliche Quote weitergeht. Ganz ohne Gesetz und noch bevor das Superwahljahr überhaupt begonnen hat, sind heute – hören Sie bitte einmal zu! – mehr als 20 Prozent der DAX-30-Aufsichtsräte Frauen, sagte gerade Klaus-Peter Müller, Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank und Chef der Regierungskommission für gute Unternehmensführung in einem Interview. Selbst die Initiative „Mehr Frauen in die Aufsichtsräte“, FidAR, stellt in der neuesten Bilanz fest, der Druck auf börsennotierte Unternehmen, mehr Frauen in Aufsichtsräte und Vorstände zu bringen, zeige Wirkung. Demnach haben seit Januar 2011 33 der 160 börsennotierten Unternehmen erstmals in ihrer Geschichte eine Frau in die Kontrollgremien berufen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein Erfolg!) Von neu zu besetzenden Aufsichtsratsposten wurden 2012 rund 40 Prozent an Frauen vergeben. Das ist noch kein Meilenstein, aber dennoch ein klarer Trend. Da muss die Frage erlaubt sein, aus welchem Grund und mit welchem Politikverständnis nun doch noch eine Quote für Aufsichtsräte her muss. Wir sollten die Kirche im Dorf lassen und bei den Aufsichtsräten und Vorständen dem Ganzen ein bisschen mehr Zeit lassen. Im Deutschen Corporate Governance Kodex für Standards zur Unternehmensführung ist die Förderung von Frauen bekanntlich festgeschrieben; wir müssen den Kodex allerdings noch etwas wirken lassen. Die Unternehmen sind weiter in der Pflicht. Hier werden wir den Finger in die Wunde legen. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) – Selbstverständlich. – Vor allem beim Führungskräftenachwuchs gibt es Handlungsbedarf. Nicht die oberste Hürde ist die schwerste, sondern die darunter. In der zweiten Ebene müssen mehr Frauen im operativen Geschäft gefördert werden. Die FDP-Fraktion wird heute also wieder gegen gesetzlich verordnete Quoten stimmen. Quoten sind auf Ergebnisgleichheit ausgerichtete Vorgaben und nichts anderes als Planwirtschaft. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieser Kollektivismus steht im krassen Widerspruch zu unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. (Beifall bei der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das „Wir“ ist Kommunismus! Alles ist Kommunismus!) Ich ganz persönlich, als Liberale von Grund auf, glaube einfach nicht an von oben erzwungene Vorgaben. Leistungsbereitschaft wird sich auszahlen. (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie es denn geschafft?) Es ist doch das ureigenste Interesse der Unternehmen, nach den Besten Ausschau zu halten und nicht nach Frauen, weil sie zahlenmäßig als Nächstes dran sind. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wie naiv sind Sie eigentlich?) Noch eines zum Schluss: Die ganze Debatte um die Einführung von Frauenquoten geht total am Willen der Bevölkerung vorbei. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat gerade Frauen und Männer gefragt, was der Staat tun sollte, um Chancengerechtigkeit – über die sollten wir reden – zu fördern. Das Ergebnis ist eindeutig. An erster Stelle, mit 71 Prozent, wird eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefordert. Mit lediglich 18 Prozent liegt die Einführung einer Quote für Spitzenpositionen abgeschlagen auf dem letzten Platz der Wünsche der Befragten. Das sollte doch nachdenklich machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die FDP-Fraktion ist für die Förderung aller Frauen und nicht nur für die kleine Gruppe der Frauen in Aufsichtsräten. Wir werden deshalb den Bundesratsbeschluss wie auch den Antrag der Grünen ablehnen. (Beifall bei der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Fraktion Die Linke im Bundestag gibt es 42 Frauen und 33 Männer, (Beifall bei der LINKEN) in der Fraktion der FDP im Bundestag gibt es 24 Frauen und 69 Männer. Ich sage Ihnen, Frau Bracht-Bendt: Wenn das, was Sie hier gerade vorgetragen haben, Ihre Auffassung bleibt, wird sich daran niemals etwas ändern. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Druck zur Einführung einer gesetzlichen Quote für Frauen in Aufsichtsräten ist kein Erfolg einer Partei, sondern sehr vieler Frauen und eher weniger Männer, die seit Jahren in Verbänden, Universitäten, Zeitungsredaktionen und Unternehmen kämpfen. Eine Initiative möchte ich besonders hervorheben: die „Berliner Erklärung“. Frauen aus vielen Verbänden und aus allen fünf Bundestagsfraktionen, unterstützt von Zehntausenden, haben sich dort zusammengefunden. Heute hätten wir die Chance für eine gesetzliche Frauenquote in Aufsichtsräten gehabt. Sie wird wohl verspielt werden. Aber der Druck des Bündnisses „Berliner Erklärung“ für – jetzt zitiere ich wörtlich – „eine gerechte Gesellschaft, die Frauen und Männern die gleichen Verwirklichungs- und Teilhabechancen auch praktisch einräumt“, wird noch deutlich zunehmen. (Beifall bei der LINKEN) Sie, Herr Kauder, haben gesagt – Herr Brüderle vertritt die gleiche Auffassung –, dass man keine zwangsweise Erziehung der Erwachsenen staatlich durchführen sollte. Herr Kauder, Herr Brüderle, wenn es ohne gehen würde, müssten wir in Wirtschaft, Politik und Kultur eine ganz andere Zusammensetzung haben. Die haben wir aber nicht, und deshalb brauchen wir endlich die Quote. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Warum haben Sie eigentlich Ihre Führungsspitze abgeschafft?) Der Antrag aus dem Bundesrat, initiiert vom Hamburger Senat, ist nicht so überwältigend. Mein Gott! Eine Quote von 20 Prozent, und das erst im Jahre 2018, ist der Kompromiss. Das bedeutete für die 30 großen DAX-Unternehmen gerade einmal 44 Frauen mehr. Darum machen Sie ein Gesums, als ob das Ganze das Ende der Bundesregierung und des Abendlandes bedeuten würde. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber ich sage Ihnen: Sie haben sogar in beiden Punkten recht. Nicht nur deshalb, aber auch deshalb wird die Bundesregierung tatsächlich abgewählt werden. Das Abendland geht insoweit unter, als es in ihm typisch war, Frauen die Entscheidungen innerhalb der Wohnungen und Männern die Entscheidungen außerhalb der Wohnungen zuzuweisen. Auch das muss ein Ende nehmen. Meine lieben konservativen Herren, ich sage Ihnen das ganz offen: Diese Zeit ist vorbei. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sagte schon, die Initiative aus dem Bundesrat ist eher unzureichend. Aber sie wäre dennoch ein erster Schritt hin zu einer gesetzlichen Frauenquote, der berühmte Fuß in der Tür, der sie öffnet. Ich sage das heute auch selbstkritisch. Das Lebenspartnerschaftsgesetz war auch der berühmte Fuß in der Tür. Seitdem haben sich die Dinge bis hin zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelt. Deshalb ärgere ich mich noch heute über mich selbst, dass ich mich damals der Stimme enthalten habe. Ich hätte zustimmen sollen, weil man das Öffnen einer Tür immer unterstützen muss. Sie geht dann von allein immer weiter auf. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht doch nicht um die eher marginalen Interessen gutverdienender Managerinnen, die in die obersten Chefetagen wollen, obwohl auch das schon eine unterstützenswerte Forderung ist. Es geht um die gesellschaftliche Bewertung sogenannter Frauen- und Männerarbeit, das Aufbrechen von Rollenstereotypen und die gleichberechtigte Teilhabe in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur. Mich stört nicht nur, dass die Forderung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in unserer Gesellschaft nicht durchgesetzt ist, sondern mich stört auch, dass die Forderung „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ noch gar nicht genügend erhoben wird. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Elke Ferner [SPD]) Sogenannte Frauenarbeit ist immer weniger wert. Ich weiß, dass der Stahlarbeiter eine harte Arbeit leistet, und er soll gut verdienen. Aber die OP-Schwester leistet eine genauso harte Arbeit, und sie soll genauso gut verdienen. Das müssen wir endlich durchsetzen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es geht um eine gerechte Teilhabe im Berufsleben. Die erfordert dann allerdings auch eine gerechte Teilhabe in der Familie, in der Partnerschaft, gegenüber Kindern und anderen Angehörigen und im Haushalt. Das wollen Sie verhindern, Herr Kauder und Herr Brüderle? (Elke Ferner [SPD]: Und Frau Merkel!) Es gibt Frauen in der Union, die sich für das Gesetz einsetzen wollten. Die haben Sie so unter Druck gesetzt, dass die sich heute nicht trauen, dafür zu stimmen. Was bekommen Sie dafür? Statt eines Gesetzes ein Stück Papier. Ich sage Ihnen: Was Sie in Ihr Wahlprogramm hineinschreiben, steht noch nicht im Koalitionsvertrag; da hat Herr Steinmeier völlig recht. Sie rufen überall, Sie wollen die Koalition mit der FDP fortsetzen, und die sagt: So etwas kommt gar nicht in den Vertrag der Regierungskoalition. Also ist das doch für nichts, Frau von der Leyen. Dafür geben Sie das auf? Sie hätten heute wirklich einmal Courage beweisen müssen, statt so ein Stückchen Papier. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Selbst wenn es im Koalitionsvertrag steht – wir kennen das ja von der Angleichung der Rentenwerte Ost und West –, streichen Sie es dann hinterher, und es findet nicht einmal statt. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So ist es!) Ich glaube, die Frauen aus der Union und auch aus der FDP, die jetzt umgekippt sind, werden sich später schwere Vorwürfe machen. Immerhin haben die CDU-Ministerpräsidentin aus dem Saarland und der CDU-Ministerpräsident aus Sachsen-Anhalt im Bundesrat zugestimmt. Die hatten mehr Mumm; das muss ich einmal ganz klar sagen. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Kompromiss des Bundesratsentwurfs ist doch nicht nur für die Konservativen ein weiter Weg, sondern aus umgekehrter Richtung auch für uns; denn wir wollen schneller und mehr Gleichstellung. Wir haben heute aber die Chance, ein Zeichen gegen die anhaltende Diskriminierung der weiblichen Bevölkerungsmehrheit zu setzen. Ich sage Ihnen am Schluss: Frau Merkel, Herr Kauder, Herr Brüderle, es ist schlimm, dass Sie heute Frauen zwingen, gegen Frauenrechte zu stimmen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bundesministerin Kristina Schröder. Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon dreist, (Lachen und Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wie sich SPD und Grüne hier präsentieren. (Lachen bei der SPD) Sie waren es doch, die 2001 das Thema „Frauen in Führungspositionen“ in einen zehn Jahre langen Dornröschenschlaf versetzt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie waren es, die rot-grüne Bundesregierung, die 2001 mit den Arbeitgeberverbänden einen Handel abgeschlossen hat, (Peer Steinbrück [SPD]: Na und? Was heißt das denn?) der nur ein einziges Ziel hatte, nämlich die Frauen ruhigzustellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Und das ging Ihnen zu weit!) Das, was Sie, Herr Steinmeier, uns eben wieder tränenreich als gescheiterte Selbstverpflichtung der Wirtschaft verkauft haben, war in Wahrheit ein Deal auf dem Rücken der Frauen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Ich lese Ihnen gerne einmal vor, was Gerhard Schröder damals mit viel jovialem Schulterklopfen als rot-grüne Selbstverpflichtung präsentiert hat: (Christine Lambrecht [SPD]: Wir sind aber zwölf Jahre weiter!) Die Spitzenverbände der Wirtschaft sagen zu, ihren Mitgliedern betriebliche Maßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen und Männern … zu empfehlen. Na, Donnerwetter! (Thomas Oppermann [SPD]: Reden Sie einmal ernsthaft über das Thema!) Das kann man sich ja richtig vorstellen, wie da der Herr Hundt dem Herrn Ackermann begegnet und sagt: „Du, ich empfehle dir da mal ’ne Maßnahme.“ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, das ist einfach nur naiv. (Christine Lambrecht [SPD]: Sie sind naiv! Sie sind hier doch nicht bei der Jungen Union!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Ministerin, die Kollegin Bender hat den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Wollen Sie sie zulassen? – Nein. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Herr Präsident, sorgen Sie lieber mal für Ruhe!) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Schmutzig wurde dieser Deal aber dann durch die Gegenleistung der rot-grünen Bundesregierung. Ich zitiere noch einmal: … wird die Bundesregierung keine Initiative ergreifen, um die Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft auf gesetzlichem Wege zu erreichen. Meine Damen und Herren, was Sie damals gemacht haben, war nichts anderes als ein Stillhalteabkommen zulasten der Frauen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Außerdem behaupten Sie permanent, das seien damals Selbstverpflichtungen von Unternehmen gewesen. Ich sage Ihnen, wie viele Unternehmen da unterschrieben haben: null, kein einziges Unternehmen. Sie haben sich mit unverbindlichen Absichtserklärungen auf Funktionärsebene zufriedengegeben, und Sie haben kein einziges Unternehmen direkt in die Pflicht genommen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssten Sie doch eigentlich toll finden!) Die Behauptung, es gebe seit 2001 Selbstverpflichtungen von Unternehmen, ist schlichtweg falsch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Erst seit 2011 gibt es konkrete Zielvorgaben von Unternehmen, nämlich seitdem ich das eingefordert habe, (Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und diese Methode wirkt, meine Damen und Herren (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ja, da können Sie ruhig schreien. Schreien können Sie gut. (Elke Ferner [SPD]: Sie sind so peinlich!) Sie können auch gut Anträge schreiben. Aber was tun Sie denn, wenn Sie konkret etwas zu sagen haben? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gute Frage!) Beispiel VW. Das Land Niedersachsen kann zwei Plätze im Aufsichtsrat dieses Unternehmens besetzen. Und wen hat die neue rot-grüne Landesregierung auf diese Plätze gesetzt? Zwei Männer! (Zurufe von der CDU/CSU: Aha! – Rainer Brüderle [FDP]: Klartext!) Wenn Sie nur eine einzige Frau dafür genommen hätten, dann läge die Frauenquote im VW-Aufsichtsrat heute schon dort, wo sie nach dem von Hamburg in den Bundesrat eingebrachten Gesetzesantrag 2018 sein soll. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was Sie hier inszenieren, das ist einfach scheinheilig und verlogen, meine Damen und Herren! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nächstes Beispiel: öffentlicher Dienst. Die rot-grüne Landesregierung hat drei Polizeipräsidien neu besetzt. Die Präsidenten dieser Polizeipräsidien waren zwei Männer und eine Frau. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Osnabrück!) Als erste Amtshandlung hat Rot-Grün sie abgesetzt und ersetzt durch – Sie ahnen es – drei Männer. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Da hat sich eine Frau in dieser Männerdomäne nach oben gekämpft, und was machen Sie? Sie haben nichts Besseres zu tun, als sie durch einen Mann zu ersetzen, damit die in den Spitzenpositionen wieder unter sich sind! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rita Pawelski [CDU/CSU]: Sie war parteilos! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie hatte das falsche Parteibuch! Beim Parteibuch hört die Quote auf!) Ein letztes Beispiel? Gerne! Der Hamburger Gesetzesantrag betrifft zum Beispiel auch den Aufsichtsrat von Borussia Dortmund, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt wird es eng für Steinbrück!) einem börsennotierten Unternehmen im CDAX. In diesem Aufsichtsrat sitzt der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zusammen mit – Sie ahnen es – fünf anderen Männern. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Hoi!) Dann fragen Sie Herrn Steinbrück doch mal hier und jetzt, ob er denn bereit ist, seinen Posten im Aufsichtsrat für eine Frau zu räumen! Das wäre doch mal ein Zeichen, dass er es ernst meint, meine Damen und Herren! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Peer Steinbrück [SPD]: Bei Borussia Dortmund? Niemals! – Elke Ferner [SPD]: Stellen Sie Ihren Posten zur Verfügung, Frau Schröder!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Ministerin, Sie müssen zum Ende kommen. Sie haben Ihre Redezeit deutlich überschritten. Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Im Moment kann man Ihre Frauenpolitik leider nicht ernst nehmen. Sie scheitern an Ihren eigenen Ansprüchen. Sie glauben, damit ein Wahlkampfthema gefunden zu haben und die Koalition zu spalten. Damit werden Sie auch heute scheitern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Groß ist der Beifall bei den Männern der Union!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Eva Högl für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Eva Högl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schröder, das war unter Niveau. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Schröder, wir sind hier nicht in einer Märchenstunde. Sie sind die Bundesministerin für Frauen, auch wenn wir es manchmal überhaupt nicht glauben mögen, dass „Frauen“ im Titel Ihres Ministeriums vorkommt. Wir sind auch nicht im Jahr 2001, sondern wir sind zwölf Jahre weiter. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Genau das, Frau Schröder, zu was die Bundeskanzlerin und Ihr Fraktionsvorsitzender Sie jetzt zwingen, ist das, was Sie so bezeichnet und uns von Rot-Grün vorgeworfen haben: ein Stillhalteabkommen zulasten der Frauen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Frau Schröder, Sie haben als Ministerin wirklich alles getan, um die Quote zu verhindern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben die Flexi-Quote erfunden, um eine ordentliche Quote, die Frauen in Führungspositionen bringt, zu verhindern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben nicht einmal die Flexi-Quote vorgelegt. (Christine Lambrecht [SPD]: Ja, wo ist die denn?) Sie haben nämlich gar nichts vorgelegt. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition und diese Bundesregierung haben nicht einen einzigen Vorschlag gemacht, sei er auch noch so klitzeklein, wie wir es schaffen, den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Nicht einen! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kein einziger Antrag, kein Versuch, mit uns gemeinsam etwas auf den Weg zu bringen! Nichts! (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie Ihre Rede gerade!) Einfach gar nichts haben Sie vorgelegt! Wissen Sie was, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, von der CSU und von der FDP? Wir machen Ihnen heute ein ernsthaftes und, wie ich finde, unschlagbares Angebot, für mehr Frauen in großen deutschen Unternehmen zu stimmen. Ich finde, es ist ein ziemlich gutes Angebot, das wir Ihnen machen. Sie könnten heute die Gelegenheit nutzen, zu zeigen, dass auch Sie wollen, dass Frauen eine faire Chance bekommen, gleichberechtigt mit Männern große deutsche Unternehmen zu leiten, und dass Sie Frauen das zutrauen. Ich bedauere wirklich, dass Sie das Angebot ausschlagen, obwohl ich persönlich nicht eine Minute damit gerechnet habe, dass Sie zustimmen. Trotzdem ist das schade, nämlich schade für die Frauen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie veranstalten hier ein unwürdiges Gezerre, (Zurufe von der CDU/CSU: Ach!) einen Klamauk mit Ihrem Wahlprogramm. Ich darf einmal die Frage stellen, Frau Bundeskanzlerin und Herr Fraktionsvorsitzender Kauder: Wer beschließt eigentlich in Ihrer Partei über ein Wahlprogramm? (Zuruf von der SPD: Ja, genau!) Haben die Delegierten eigentlich noch ein Wörtchen mitzureden, oder machen das nur drei Personen unter sich aus? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist nicht Ihr Problem!) Nun muss ich mich nicht um Ihre innerparteiliche Demokratie sorgen, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Das geht Sie gar nichts an!) aber das, was mich wundert, ist, dass die Couragierten, die ich in Ihren Reihen auch kennengelernt habe, sich damit vertrösten lassen. Das ist in der Tat ein Stillhalteabkommen zulasten der Frauen. Es waren vier verlorene Jahre – es sind fast vier Jahre – für die Frauen. Das bedauere ich wirklich sehr. Frau Bundeskanzlerin, ich zitiere Sie einmal. Am 8. Februar 2011 bezeichneten Sie die niedrige Anzahl weiblicher Führungskräfte in Chefetagen als Skandal. Vor Vertreterinnen und Vertretern von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften kritisierten Sie, dass trotz der Selbstverpflichtung der Wirtschaft aus dem Jahr 2001 keine nennenswerten Verbesserungen eingetreten seien. Und, Frau Bundeskanzlerin, Sie sagen: „Seien Sie kreativ, sonst werden wir kreativ sein.“ (Lachen bei der SPD) Also, Kreativität kann ich auf dieser Seite des Hauses nun einmal überhaupt nicht erkennen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, doch!) Dann – in der Woche rund um den Internationalen Frauentag; wir erinnern uns gut – ergeht eine Weisung der Bundeskanzlerin höchstpersönlich, gegen den Vorschlag von Viviane Reding zu sein, auf der europäischen Ebene Frauenquoten auf den Weg zu bringen. Das Interessante ist, die Argumentation der Bundesregierung ist, jeder Mitgliedstaat soll das bitte selbst machen, und Europa soll sich heraushalten. Ja, bitte, was erleben wir denn hier? Jeder Mitgliedstaat soll das selbst machen. In Deutschland: Fehlanzeige! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier einen Handlungsauftrag. Ich weiß, das ist schon oft bemüht worden, aber ich möchte es noch einmal sagen: Wir haben aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes eine Verpflichtung. Wir können hier nicht das machen, was wir wollen, und wir können das auch nicht unter beliebiges Parteikalkül stellen, sondern wir haben einen Handlungsauftrag. Wir haben gesehen: Die freiwillige Vereinbarung hat nichts gebracht. Also müssen wir hier zu einer Regelung kommen. Wir brauchen endlich eine verpflichtende gesetzliche Quote für die großen deutschen Unternehmen, die dafür sorgt, dass die tollen Frauen, die wir im Land haben, endlich an die Plätze kommen, die ihnen zustehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist das dümmste Argument, das wir in der Debatte immer wieder hören, dass ungeeignete Frauen auf Spitzenposten kommen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Frechheit!) Glaubt eigentlich irgendjemand, dass die Tatsache, dass 96 Prozent der Vorstandsposten mit Männern besetzt sind, irgendetwas mit der Qualifikation zu tun hat? Glaubt das eigentlich irgendjemand ernsthaft hier in diesem Haus? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Glaubt irgendjemand, dass 4 Prozent Frauen ein Ergebnis von „Bestenauslese“ sind? Glaubt das jemand hier in Ihren Reihen? Das ist doch wohl großer Quatsch. Meine Damen und Herren, was ist das für ein Signal an die vielen tollen Frauen in unserem Land, wenn wir ihnen sagen, Bestenauslese führt dazu, dass 96 Prozent Männer in Vorständen sitzen? Das ist indiskutabel. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich möchte gern Thomas Sattelberger zitieren. Ihn hatten wir bei unserer Anhörung im Rechtsausschuss, die wir gemeinsam mit dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführt haben. Thomas Sattelberger hat ein Zitat gebracht, und ich schließe mich dem uneingeschränkt an, auch wenn ich nicht dabei bin. Er hat gesagt: „Karrieren werden beim Pinkeln entschieden.“ (Heiterkeit bei der SPD – Zuruf der Abg. Rita Pawelski [CDU/CSU]) Thomas Sattelberger muss es wissen, und ich glaube, dass das stimmt, auch wenn, wie gesagt, ich nicht dabei bin. (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Wir haben hier einen Handlungsauftrag. Sie hätten heute die Chance, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist das ein Niveau!) hier eine gute Entscheidung zu treffen. Ich will noch ein weiteres dummes Argument aufgreifen – Sie, Herr Kauder, haben es wiederholt –: Es wird immer gesagt, es erledigt sich alles von selbst, wenn wir erst einmal etwas für Familie und Beruf getan haben. Da stelle ich einmal fest: Erstens tut die Bundesregierung überhaupt nichts für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und auch diese Koalition ist nur auf die Idee des Betreuungsgeldes gekommen. Das hilft den Frauen nun wahrlich nicht weiter. Zweitens, meine Damen und Herren, ist es auch so: Wenn es richtig wäre, dass es einzig und allein an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinge, dann säßen – das ist nicht schön – aber wenigstens viele Kinderlose in den Vorstandsetagen, in den Vorständen und Aufsichtsräten. Das ist auch nicht der Fall. Das heißt, es kann überhaupt nicht an dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf liegen, sondern es liegt daran, dass es eine systematische Diskriminierung von Frauen ist. Meine Damen und Herren, ich bin auch der Auffassung, dass sich beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf viel ändert, wenn wir mehr Frauen in Führungspositionen haben, weil, wie wir wissen, sich dann in den Betrieben selbst viel ändert. Diese Frauen sind dann Vorbilder für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die auch an den Rahmenbedingungen viel ändern können. Wenn ich das nächste Mal zur Quote rede, werden wir sie beschließen; das werden die vielen klugen Frauen in unserem Land am 22. September gut entscheiden; (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sie beobachten ja genau, wer hier etwas für die Gleichberechtigung von Frauen tut und wer nicht. Aber trotzdem ein allerletzter Appell: Geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie heute mit! Wir machen ein wirklich gutes Angebot. Das können Sie annehmen. Ich bedaure es sehr, wenn Sie es nicht tun. Wir sehen uns aber wieder, und dann beschließen wir die Quote. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat Marco Buschmann für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Marco Buschmann (FDP): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir vorweg eine Anmerkung zu der Art und Weise, wie hier diskutiert wird: Wenn ausgerechnet Herr Steinmeier und Herr Gysi den Kolleginnen insbesondere in der CDU/CSU-Fraktion Ehre absprechen, Ehrlosigkeit attestieren, ist das, wie ich finde, ein Unding. Den Kolleginnen, die bei einer politischen Gesamtabwägung zu einem anderen Ergebnis kommen als Sie, die Ehre absprechen zu wollen, das ist das Gegenteil von Anstand, Kollegialität und Parlamentarismus. Das finde ich unsäglich. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie haben doch gar keine Chance abzuwägen! Abwägung gibt es doch gar nicht!) Zweite Anmerkung: Wir hatten hier schon viele Debatten. Ich werde aber nicht müde, das Argument – Sie kennen es – zu erwähnen: Die empirische Überprüfung Ihrer Theorie, dass sich etwas in der Gesellschaft ändere, wenn wir bei den wenigen Positionen, um die es geht, etwas aus symbolischen Gründen ändern, ist widerlegt. (Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Catherine Hakim von der London School of Economics hat untersucht, was sich in dem von Ihnen so gepriesenen Quotenmusterland Norwegen in der zweiten, dritten, vierten Führungsebene unterhalb der quotierten Gremien tut. Das Ergebnis ist: Nichts! In diesen Ebenen ist der Anteil weiblicher Führungskräfte sogar niedriger als in Deutschland. Ihre Theorie ist damit empirisch widerlegt. Deshalb ist das ein reines Elitenprojekt, aber kein Beitrag zur Gesellschaftspolitik. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peer Steinbrück [SPD]: Eine wissenschaftliche Beweisführung! Donnerwetter!) Dass sich hier in Deutschland nichts tun würde, ist nun wirklich wahrheitswidrig. Frau Schröder hat vorhin sehr eindrucksvoll darauf hingewiesen, (Zurufe von der SPD) dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Stillhalteabkommen, das Sie abgeschlossen haben, und der Maßnahme, die diese Regierung eingeleitet hat, nämlich die Änderung des Corporate Governance Kodex. Seit 2010 tut sich in der Tat einiges. PricewaterhouseCoopers hat das untersucht. Von anfangs knapp über 10 Prozent weiblichen Aufsichtsratsmitgliedern in DAX-Unternehmen sind wir mittlerweile bei 18 Prozent angekommen. Wir werden in Kürze auch die 20 Prozent überschreiten. Das heißt, die Richtung stimmt. Über das Tempo kann man immer streiten. Zu behaupten, dass sich hier nichts getan hat, ist schlicht wahrheitswidrig. Sie sollten bei den Fakten bleiben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wenn Sie jetzt fragen: „Wenn doch die Richtung stimmt und sich etwas tut, was haben Sie dann gegen die Quote?“, entgegne ich Ihnen: Das ist ganz einfach. Ich habe etwas dagegen, dass Sie es jedem Einzelunternehmen vorschreiben wollen. Ich finde, es ist ein Erfolg, wenn wir insgesamt zu immer höheren Anteilen kommen. Es muss aber doch möglich sein, dass es bei einem Maschinenbauer anders aussieht als bei einem Finanzunternehmen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Warum? – Christine Lambrecht [SPD]: Wer sitzt denn in den Aufsichtsräten? Schlosser?) Wo Sie immer auf die Abschlüsse hinweisen: Sie sehen doch auch, dass heute beispielsweise in den MINT-Fächern, die für die Maschinenbauer und Automobilbauer von entscheidender Bedeutung sind, Frauen- und Männeranteile unterschiedlich sind. Auf diese Fakten wird man doch wohl hinweisen dürfen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was haben Sie denn für ein Frauenbild?) Meine Damen und Herren, eine weitere Frage lautet: Warum ist der Anteil weiblicher Mitglieder in Aufsichtsräten insgesamt noch nicht höher? Auch hier hilft ein Blick auf die Fakten. Wenn Sie sich die Gremien von Kapitalgesellschaften hinsichtlich deren Zusammensetzung anschauen, dann ist das zwangsläufig immer ein Blick in die Vergangenheit. In deutschen Aufsichtsräten sind die Mitglieder zwischen 50 und 70 Jahre. Warum? Die Tätigkeit in einem Aufsichtsrat schließt sich meist einer erfolgreichen Laufbahn in einem Vorstand an. Wenn Sie einen Berufseintritt von 25 Jahren unterstellen, dann reden wir also über die Abschlussjahrgänge der Universitäten Ende der 60er-Jahre bis in die 80er-Jahre hinein. Frau Künast sagt nun: In den heutigen Abschlussjahrgängen machen Frauen und Männer in gleichem Umfang Abschlüsse. – Das ist ja auch richtig. Deshalb wird es in Zukunft einen immer höheren Frauenanteil geben. Aber das war eben in den Jahrgängen, die heute in den Aufsichtsräten sitzen, nicht so. Deshalb dauert es eine gewisse Zeit, bis wir da den Anteil erreichen, den wir erreichen wollen. Auch darauf wird man hinweisen dürfen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Letztlich bin ich es, offen gestanden, leid, dass Sie allein die Privatwirtschaft an den Pranger stellen. Sie tun immer so, als gäbe es in den privaten Unternehmen eine finstere Verschwörung, die sich hier dem Fortschritt verweigert. (Christine Lambrecht [SPD]: Gibt es in der FDP-Fraktion auch!) Sie stellen gezielt die Privatwirtschaft an den Pranger. Warum reden wir nicht über die Wohlfahrtsverbände? Das sind die größten Arbeitgeber in Deutschland. Schauen wir uns den Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes an: sechs Männer und zwei Frauen. Warum sprechen Sie denn nicht darüber? (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Schauen wir uns den Vorstand der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung an: acht Männer und zwei Frauen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie sich mal die Heinrich-Böll-Stiftung an!) Warum reden wir nicht darüber? Warum gilt für diese Organisationen etwas anderes? Das ist nicht konsequent. All das zeigt nur: Sie wollen hier schlichtweg Wahlkampf machen, nach dem alten sozialdemokratisch-linken Motto: In den Unternehmen sitzen die bösen Kapitalisten; die müssen wir an den Pranger stellen. Aber über die Fakten in der Breite der Gesellschaft, darüber, dass wir abseits der Privatwirtschaft große Arbeitgeber haben, für die das genauso gelten sollte – gerade im Bereich der Wohlfahrtsverbände sind besonders viele Frauen als Arbeitnehmerinnen beschäftigt –, verlieren Sie kein Wort. Denn am Ende wollen Sie keine Politik gegen die gläserne Decke machen, sondern nur Politik für das Schaufenster des Wahlkampfs. Dabei machen wir nicht mit. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Marco Buschmann. – Als nächste Rednerin auf unserer Liste spricht nun für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Barbara Höll. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Höll. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau von der Leyen, das war es dann wohl mit dem Image als Kämpferin und Gewinnerin; es hat sich erledigt. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Nichts mit Kanzlerkandidatur!) So wenig Frauen auf Sie als Person setzen können, so wenig können Frauen in der Bundesrepublik Deutschland auf die schwarz-gelbe Koalition setzen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Elke Ferner [SPD]) Bascha Mika erinnerte in einer Kolumne an einen Ausspruch der früheren US-amerikanischen Außenministerin Albright. Ich erlaube mir, ihn zu zitieren: Es wartet ein besonderer Platz in der Hölle auf Frauen, die anderen Frauen nicht helfen. Ich bin Atheistin, und ich kämpfe für Frauen, aber diejenigen, die glauben und nicht kämpfen, sollten sich das vielleicht zu Herzen nehmen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]) Warum haben Sie nun eine solche Angst? Die Angst ist so groß, dass die CDU/CSU-Fraktion beschlossen hat, dass ein Drittel der Rednerinnen und Redner in dieser Debatte Männer sein sollen und diese zwei Männer gleich 59 Prozent der Redezeit bekommen sollen, also mehr als die vier Frauen zusammen. Das verstehen Sie unter einer gleichberechtigten Aufteilung. Männer aus CDU/CSU und FDP, Bankenwelt und Industrie scheren sich nicht, aber auch gar nicht um die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft. Frau Schröder, ich gebe Ihnen in einem Punkt recht: Ja, es gibt Fälle – Sie haben hier Beispiele aufgezählt –, in denen die Situation trotz rot-grüner oder rot-roter Regierung nicht so gut ist. (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Wegen!) Aber genau deshalb brauchen wir gesetzliche Regelungen, damit wirklich alle gezwungen werden. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Nicht die Aufzählung von Beispielen bringt uns weiter; wir müssen vielmehr aktiv werden und unsere Verantwortung tatsächlich wahrnehmen. Aber was passiert stattdessen? Appelle an die Klugheit der Frauen, an die Treue der Frauen gegenüber der Fraktion und der Partei und was nicht noch alles! (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Partei hat immer recht!) Dafür bekommen die Frauen nichts, aber auch gar nichts als ein Versprechen. Herr Buschmann hat eben in aller Deutlichkeit klargemacht, dass selbst dieses Versprechen nicht einmal das Papier wert ist, auf dem es geschrieben ist. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Liebe Herren, ich sage Ihnen: Sie allesamt werden uns für die Quote noch einmal dankbar sein. Wir als Linkspartei hatten von Beginn an, schon als PDS, eine 50-prozentige Quotierung bei allen Listenaufstellungen. Ich verrate Ihnen jetzt wirklich ein Geheimnis. Am Anfang gab es bei dem einen oder anderen tatsächlich noch ein Zucken in den Mundwinkeln, aber es gab die Quote von 50 Prozent. Inzwischen standen wir schon öfter vor der Situation, dass wir so viele gute Frauen hatten, dass uns die Auswahl schwerfiel; aber wir haben gesagt: Okay, wir haben nun einmal die 50-prozentige Quotierung; daran werden wir nicht rütteln, wir lassen es in etwa bei 50 Prozent. – Im Ergebnis sind in unserer Fraktion trotzdem mehr Frauen als Männer. Aber die Quote erschöpft sich nicht allein in einem solchen Schutz. Nein, die Quote eröffnet Ihnen als Männern doch völlig neue Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie bekommen aufgrund der Quote auch Einblicke in andere Bereiche; denn wir wollen die Quote in allen Bereichen des Lebens: sowohl in der Erwerbsarbeit, und zwar auf allen Ebenen, in allen Industriezweigen, als auch im Familienleben und im Pflegebereich. Ich sage Ihnen eines: Wenn wesentlich mehr Männer in den rein reproduktiven Bereichen beschäftigt wären, also mit der Erziehung der Kinder, mit der Pflege von Angehörigen, dann gäbe es für Tätigkeiten in diesen Bereichen nicht wie heute einfach nur ein Dankeschön oder Minilöhne, sondern sie würden ordentlich bezahlt werden. Außerdem eröffnet die Einführung einer Quote ihnen auch den Blick für völlig neue Möglichkeiten oder auch Unmöglichkeiten in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es geht nicht nur um die Quote. Sicher, die Quote ist ein erster Schritt, aber es geht auch um die gleichberechtigte Teilhabe aller Männer und Frauen in allen Bereichen des Lebens. Deshalb ist der Wert der Berliner Erklärung sehr hoch anzusiedeln. Frauen aller Fraktionen hatten diese Erkenntnis, und sie hatten auch den Mut, diese öffentlich zu vertreten. Man muss schon sagen: Das war ein wesentlicher Schritt. Aber das, was Sie als Koalition hier bieten, und die Art und Weise, wie Sie mit dem Mut dieser Frauen umgehen, ist unter aller Würde. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Quotengegner fürchten sicherlich vor allem eines: dass sich nicht nur einzelne Frauen ungerecht behandelt fühlen, sondern dass Frauen verstehen, dass sie als Frauen insgesamt ungerecht behandelt werden. Um das zu zeigen, war die Berliner Erklärung wichtig. Frauen aus allen Fraktionen haben sich dafür eingesetzt, dass sie zustande kam. Das ist ein wichtiges Ergebnis. (Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich möchte Sie noch einmal bitten: Überlegen Sie, ob der vorliegende Antrag für eine Quote für Sie nicht doch eine Möglichkeit ist, endlich zu zeigen, dass Sie es mit dem, was an der einen oder anderen Stelle festgehalten wurde, ernst meinen. Stellen Sie sich den Frauen nicht weiter in den Weg. An die Frauen, die sich dem in den Weg stellen, noch einmal der Satz von Madame Albright: Es wartet ein besonderer Platz in der Hölle auf Frauen, die anderen Frauen nicht helfen. Ich danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Frau Ekin Deligöz. Bitte schön, Frau Kollegin Deligöz. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht die erste Debatte über die Quote, die wir hier führen, und es wird hoffentlich auch nicht die letzte sein. Immer, wenn wir diese Debatte hier geführt haben, haben Vertreterinnen aller Fraktionen in diesem Haus verbale Aufgeschlossenheit signalisiert. Bei allen Podiumsgesprächen, auf allen Veranstaltungen hatten wir eine verbale Aufgeschlossenheit. Und am Ende wurde die Quote abgelehnt. Heute unterbreiten wir einen Vorschlag, der wirklich sanft gewaschen ist, der mit CDU-Stimmen den Bundesrat passiert hat. Dazu gibt es von den Grünen noch einen weiteren Vorschlag, in den wir genau das aufgenommen haben, was Sie angeblich irgendwann einmal umsetzen wollen. Und am Ende werden die Frauen wieder leer ausgehen. Gleichstellungspolitik findet in dieser Regierung nicht statt. Das ist die Bilanz dieses Tages. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Frau Ministerin, Sie stellen sich hier hin und liefern eine Analyse – schön, gut, ich gebe Ihnen in vielen Punkten recht –, aber der Auftrag einer Ministerin ist nicht, zu analysieren, sondern politisch zu gestalten, politische Antworten zu geben. Aber davon haben wir gar nichts gehört. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Was genau wollen Sie denn verändern? Was wollen Sie anders machen? (Elke Ferner [SPD]: Gar nichts!) Schön, dass Sie genau da angekommen sind, wo wir bereits vor zehn Jahren gewesen sind, bei der Freiwilligkeit. Wir haben aber dazugelernt. Und Sie? Warum können Sie nicht dazulernen, wenn es darum geht, endlich einmal etwas voranzubringen? Warum bleiben Sie einfach nur stehen und sagen: „Was irgendwann einmal richtig war, kann jetzt nicht falsch sein“? Nein, Frau Ministerin, Sie verraten hier die Sache der Frauen. Das müssen Sie sich anhören. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Allen, die sagen, dass es Entwicklungen gibt, dass sich doch etwas getan hat, sage ich: Der aktuelle WoB-Index, der vor ein paar Tagen von FidAR vorgelegt wurde, besagt, dass all das, was Sie jetzt groß beschwören – Diversity-Empfehlungen, Corporate Governance Kodex, Freiwilligkeit – zwar gut klingt, in diesem Land aber nichts bewegt hat. Es ist, wie es ist: Die Strukturen sind geschlossen – geschlossen für Frauen. Ich erinnere daran, dass das Auswärtige Amt davor gewarnt hat, dass Deutschland mit Wettbewerbsnachteilen rechnen muss, wenn sich in den Spitzen nichts ändert, wenn wir nicht mehr Frauen in Spitzenpositionen bekommen. Zumindest dieses Argument muss doch irgendwann einmal bei der FDP ankommen. Hier geht es um harte Wirtschaftspolitik. Hier geht es nicht darum, ein paar Frauen zu fördern, sondern darum, Deutschland nach vorne zu bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Letztendlich geht es auch um die Wertschätzung der weiblichen Arbeit. Frauen sind nicht nur gut qualifiziert, sie wollen auch Verantwortung übernehmen, in der Politik, in der Wirtschaft, überall, wo es darum geht, gemeinsam zu gestalten. Ja – das passt Ihnen nicht –, wir wollen auch Strukturen aufbrechen. Wir wollen festgefahrene Wege verlassen. Genau darum geht es. Das sind die wichtigsten Argumente. Frauen haben in der Politik immer dann etwas bewegt – Frau Hasselfeldt, Sie wissen das besser; Sie werden gleich reden –, wenn sie sich verbündet haben, wenn sie Netzwerke gegründet haben. (Elke Ferner [SPD]: Ja!) Das waren historische Debatten, das waren die berühmten Sternstunden: Vergewaltigung in der Ehe, Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, § 218 StGB. Die Erinnerung daran macht Mut und gibt Hoffnung. Aber diesen Mut und diese Hoffnung lassen weder CDU noch CSU zu. Mit diesem Vorwurf müssen Sie umgehen: Sie verhindern hier nicht nur eine Sternstunde, sondern Sie verhindern auch, dass ein Bündnis von Frauen gemeinsam agieren kann, weil Ihnen Parteiräson wichtiger ist als das Voranbringen der deutschen Politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich will mit einem Zitat enden. Der Schriftsteller Paulo Coelho sagte einmal: Die zwei größten strategischen Fehler sind: vor der Zeit handeln oder eine Gelegenheit vorübergehen lassen. Wir lassen hier eine Gelegenheit vorübergehen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir nicht! Die!) Wir Frauen und Sie müssen dafür die Verantwortung übernehmen. Bis Montagmorgen habe ich noch daran geglaubt, dass die Frauenbündnisse halten. Sie lassen uns im Stich, und das nehme ich den CDU-Frauen persönlich sehr, sehr übel, (Zuruf von der CDU/CSU: Heult doch!) weil wir für die gemeinsame Sache eingestanden sind, weil wir gemeinsam gekämpft haben und nun alle gemeinsam leer ausgehen. Die Verlierer werden am Ende die Frauen sein. Verlierer wird die Gesellschaft sein. Verlierer werden auch die Unternehmen sein. Vor allem aber brechen Sie ein Versprechen, das wir gemeinsam mit der Berliner Erklärung gegeben haben. Sie führen uns alle, alle Frauen, die dafür gekämpft haben, vor. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das nehme ich Ihnen persönlich übel. Das ist enttäuschend. Das hätte heute ein guter Tag für die Frauen sein können. Und Sie haben es verdorben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion von CDU und CSU unsere Kollegin Frau Gerda Hasselfeldt. Bitte schön, Frau Kollegin Gerda Hasselfeldt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer es bis jetzt noch nicht geglaubt hat, dem ist spätestens während dieser Debatte klargeworden, dass die beiden von Ihnen vorgelegten Anträge nichts anderes sind als ein billiges, allzu durchsichtiges Wahlkampfmanöver. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Elke Ferner [SPD]: „Billig“ ist Ihre Rede, Frau Hasselfeldt!) Ihr Ziel ist nicht, die Situation von Frauen in Führungsfunktionen grundsätzlich zu verbessern, sondern Ihr Ziel ist es einzig und allein – das haben die ganzen Beiträge von der ersten Rede an deutlich gezeigt –, einen Keil in die Koalition zu treiben, uns auseinanderzudividieren und zu spalten. (Zuruf von der SPD: Das machen Sie schon selbst!) Und das wird nicht gelingen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Des Weiteren ist mir schon während der ganzen Debatte aufgefallen: Bei vielen Rednern (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Rednerinnen!) und Rednerinnen von unserer Seite ist der Tumult bei Ihnen immer groß, so wie jetzt gerade auch. Wir haben Ihnen allen zugehört, und, ich glaube, die Frauen im Land verdienen es, dass wir uns gegenseitig zuhören. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn Sie es wirklich ernst mit der Verbesserung der Situation und Erhöhung der Anzahl von Frauen in Führungsfunktionen meinen, dann müssen Sie auch dort, wo Sie wirklich Einfluss haben und dies verbessern können, mit gutem Beispiel vorangehen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: 13 Prozent Frauenanteil in der CSU-Landesgruppe!) – Liebe Frau Schieder, ich sage gleich noch etwas zur CSU, nicht nur zum Anteil der Frauen, sondern auch zur Besetzung der Führungsfunktionen in der CSU. Darüber können wir uns gerne austauschen. Die Frau Familienministerin hat schon deutlich darauf hingewiesen, wie wenig Niedersachsen mit der eigenen Mehrheit in den Gremien, in denen Führungspositionen zu besetzen waren, getan hat, beispielsweise beim VWAufsichtsrat oder auch bei Polizeipräsidentenstellen. (Zuruf der Abg. Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]) An diesem letztgenannten Beispiel wird doch deutlich: Wenn es um die Partei geht, dann hört es bei Ihnen mit der Quote auf. Das ist doch die Quintessenz des Ganzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf der Abg. Elke Ferner [SPD]) Ähnlich ist übrigens auch die Situation in Nordrhein-Westfalen. Auch dort hätte die Landesregierung gute Möglichkeiten gehabt, (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) bei der Besetzung einer ganzen Reihe von Verwaltungsrats- und Aufsichtsratspositionen Frauen zu berücksichtigen, (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: In Bayern!) zumindest so, wie Sie es selbst von anderen Unternehmen einfordern. (Zurufe der Abg. Elke Ferner [SPD] und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist doch das Erste, was man tut: Dort, wo man selbst Einfluss nehmen kann, verwirklicht man das, was man von anderen einfordert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben das nicht getan. Beispielsweise nicht bei der NRW.BANK, in der acht Positionen im Verwaltungsrat von der Politik besetzt werden. Wissen Sie, wie viele davon mit Frauen besetzt wurden? Eine einzige. Auch an diesem Beispiel wird deutlich, was für ein Pharisäertum da bei Ihnen am Werk ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD) Sie arbeiten mit Überschriften und mit hohlen Phrasen sowie mit Forderungen an andere, aber nicht mit Taten. Jetzt, liebe Frau Schieder, will ich Ihnen ein bissl was zur CSU sagen. Bei uns, in meiner Partei, reden wir nicht nur über Frauen in Führungsfunktionen, sondern bei uns haben die Frauen Führungsfunktionen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Ferner [SPD]: Was tun Sie denn für die Frauen?) Von sieben Landtagslisten der Bezirksverbände in Bayern werden fünf von einer Frau angeführt. Fünf von sieben von einer Frau! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auch die Bundestagsliste wird, wie Sie wissen, von einer Frau angeführt. (Elke Ferner [SPD]: Das erste Mal!) Wir haben keinen Nachholbedarf hinsichtlich Einfluss auf Politik. Wir haben keinen Nachholbedarf hinsichtlich Partnerschaft in der Politik. Wir haben keinen Nachholbedarf hinsichtlich Führungsfunktionen in der Politik. (Elke Ferner [SPD]: Dann schauen Sie doch, wie viel Frauen Sie in Ihrer Landesgruppe haben! 13 Prozent!) Es ist richtig, dass wir noch mehr Frauen brauchen, und wir werden sie auch im nächsten Bundestag und im nächsten Landtag haben. Darauf können Sie sich verlassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wollen Sie jetzt nicht die Quote?) Meine Damen und Herren, es ist legitim, finde ich, dass wir uns über die Forderung „Mehr Frauen in Führungsfunktionen!“ nicht nur unterhalten, sondern auch darüber streiten, welcher Weg der bessere ist, um bei diesem Anliegen voranzukommen. Das ist ganz legitim. Ich finde, dass auch Leidenschaft dazugehört. Aber auch Ehrlichkeit gehört dazu. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Elke Ferner [SPD]: Oh ja! Oh ja!) Dort, wo man Einfluss nehmen kann, wo man selbst die Entscheidungen treffen kann, wo von der Politik die Entscheidungen getroffen werden, sollte man auch im Interesse der Frauen handeln, statt es nur von anderen einzufordern. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) Zur Ehrlichkeit gehört auch, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns darüber im Klaren sind: Unser Augenmerk muss in erster Linie – bei aller Bedeutung der Forderung „Mehr Frauen in Aufsichtsräte!“ – auf die Millionen von Frauen in unserem Land gerichtet sein, deren Hauptsorge nicht ein Mandat in Aufsichtsräten ist, (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Okay, einverstanden! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie ja auch nicht! – Weiterer Zuruf von der SPD: Ja, dann machen Sie doch mal!) sondern deren Hauptsorgen sind: Werde ich genauso bezahlt wie ein Mann? Wie kann ich Familie und Beruf miteinander vereinbaren? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gibt es genügend Kinderbetreuungseinrichtungen, nicht nur die staatlich geförderten mit festen Öffnungszeiten, sondern auch Betreuungsmöglichkeiten, die für die Kinder einer Krankenschwester, einer Schichtarbeiterin, einer freien Journalistin, die andere Arbeitszeiten haben, geeignet sind? Gibt es auch da Förderungsmöglichkeiten? Das sind die echten Probleme. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Weg mit dem Betreuungsgeld! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie denn dann das Betreuungsgeld beschlossen?) Die echten Probleme der Frauen im Land sind auch die Fragen: Kann ich eine Führungsfunktion in einer Behörde erreichen? Kann ich eine Führungsfunktion in meinem Unternehmen erreichen: in der Bank, der Versicherung, der Redaktionsstube? Ja, auch dort geht es um einflussreiche Positionen und Führungsaufgaben, nicht nur in den Aufsichtsräten großer Unternehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb: Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Thema arbeiten! Das sind die wichtigsten Anliegen von Millionen von Frauen. Das andere Thema will ich damit gar nicht zur Seite schieben; dazu ist alles gesagt worden. Ich werde mich in meiner Partei dafür einsetzen, dass dieses Anliegen in das Regierungsprogramm aufgenommen wird; darauf können Sie sich verlassen. (Zuruf von der LINKEN: Auf Sie verlassen?) Ich möchte zum Schluss noch einmal zum Ausdruck bringen: Ehrlichkeit ist das Entscheidende. (Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) Wort und Tat müssen eine Einheit sein. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist etwas anderes als das, was Sie heute unter Beweis stellen. (Beifall der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]) Da bilden nämlich Wort und Tat keine Einheit, Sie legen nur Schaufensteranträge vor. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Caren Marks. – Bitte schön, Frau Kollegin Marks. (Beifall bei der SPD) Caren Marks (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Hasselfeldt, Sie haben ja eben angesprochen, wie es denn mit Frauen in verschiedenen Funktionen aussieht. Da lohnt vielleicht ein Blick auf den Anteil von Frauen in der Unionsfraktion und in der SPD-Fraktion. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und auf die Troika!) Sie haben lediglich 19 Prozent Frauen, wir 39 Prozent. Ich glaube, dem ist nicht viel hinzuzufügen, Frau Hasselfeldt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie erwähnten auch das wunderbare Beispiel der NRW.BANK. Dazu kann ich Ihnen jedenfalls sagen: Da gibt es vier Männer im Vorstand, und die sind alle von Union und FDP während der schwarz-gelben Regierungszeit berufen worden. Also, herzlichen Glückwunsch zu den Realitäten! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU]: Wissen Sie, dass Vorstand und Verwaltungsrat etwas anderes sind? Wir reden über den Aufsichtsrat!) Heute hätten die Frauen und Männer aus den Reihen der Union und der FDP – ich nenne ausdrücklich auch die Männer –, die für eine gesetzliche Quote sind, Farbe bekennen können. Damit hätten sie zeigen können, dass sie den Auftrag von Art. 3 des Grundgesetzes ernst nehmen, für die Gleichstellung von Frauen und Männern zu sorgen. Doch es waren leider alles nur Lippenbekenntnisse. Frau von der Leyen, Sie haben sich als Quotenbefürworterin medial wirksam in Szene gesetzt. Dieses Ziel haben Sie klar erreicht. (Elke Ferner [SPD]: Das ist ja ihr eigentliches!) Das Ziel aber, Frau von der Leyen, die Gleichstellungspolitik heute mit einem klaren Ja zur Quote bei der namentlichen Abstimmung voranzubringen, haben Sie leider nicht nur aufgegeben. (Elke Ferner [SPD]: Verraten!) Sie haben es verraten. Das ist wirklich schade. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das in den letzten Tagen von der Union dargebotene Theaterstück – das sieht ja sogar Ihr Koalitionspartner genauso –: ein einziges Trauerspiel. Regieführung: Frau Merkel. Kritik: verheerend. Meine Kolleginnen und Kollegen, es ist wirklich jedem und jeder klar: Die Zeit ist reif für eine Quote in unserem Land. Wer sie wirklich will, der muss jetzt – heute – Entscheidungen treffen. Denn ohne Quote wird sich hier nichts bewegen, höchstens in 1-Millimeter-Schritten, und das sind die Frauen in unserem Land leid. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das aktuelle Managerinnen-Barometer aus diesem Jahr macht es noch einmal deutlich: Nur 4 Prozent aller Vorstands- und knapp 13 Prozent aller Aufsichtsratssitze in den Top-200-Unternehmen in Deutschland sind von Frauen besetzt. Das entspricht einem wirklich lächerlichen Anstieg von 1 Prozentpunkt gegenüber dem Vorjahr. Ich frage Sie: Wie lange wollen Sie noch warten, bis sich hier wirklich etwas bewegt? Bei den DAX-30-Unternehmen lag der Frauenanteil bei nur 8 Prozent in den Vorständen und bei nur 19 Prozent in den Aufsichtsräten. In den kleineren Unternehmen mit Bundesbeteiligung sieht es auch nicht wirklich besser aus. Auch da sind die Zahlen, finde ich, beschämend. Ohne die Arbeitnehmervertreterinnen in den mitbestimmten Unternehmen sähe der Frauenanteil in den Aufsichtsräten noch viel schlechter aus. Auch das wissen alle. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Fazit des Managerinnen-Barometers möchte ich Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten. Es lautet: In keiner der untersuchten Unternehmensgruppen konnte das Überwiegen der Männer aufgebrochen werden. – Herr Buschmann, es lohnt sich, einmal das Managerinnen-Barometer zu lesen. Auch für Sie gilt: Lesen bildet! (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das Jahr 2013 wäre also ein wirklich gutes Jahr, den Auftakt für eine Trendwende einzuleiten. Denn im Laufe dieses Jahres steht in einer Reihe von Fällen die Neu- bzw. Wiederbesetzung vieler Aufsichtsräte an. Nach einer Pressemitteilung des Deutschen Juristinnenbundes sind regulär allein bei 17 der 30 DAX-Unternehmen Aufsichtsratswahlen. Die nächste Neubesetzungsrunde folgt 2018. Also: Wenn nicht jetzt, wann dann? Meine Kolleginnen und Kollegen, auf beeindruckende Weise schilderte der Sachverständige Thomas Sattelberger in der Anhörung im Rechtsausschuss zu den Quotengesetzentwürfen, warum so wenige Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten sind. Er sprach – er war viele Jahre selbst Mitglied in entsprechenden Funktionen – sozusagen aus dem Nähkästchen. Dabei betonte er, Herr Buschmann, dass es eine Legende ist, dass bei der Besetzung von Vorstands- und Aufsichtsratsposten immer die Besten zum Zuge kommen. Diese Legende wird immer wieder von den Gegnern der Quote bemüht. Ich glaube, wenn es nach den Besten ginge, dann wären Sie heute mit Sicherheit nicht hier. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein klares Wort!) Vielmehr machte Sattelberger deutlich, welche Bedeutung dabei den männlichen Seilschaften und Tauschgeschäften zukommt. Wer wirklich die besten Frauen und die besten Männer will, der muss Schluss machen mit Kungelgeschäften und Ja sagen zur Quote, wie Herr Sattelberger. Doch mit einer Kanzlerin Merkel und dieser schwarz-gelben Koalition bewegt sich leider nichts. Die Befürworterinnen einer Quote in Ihren Reihen wurden abgewatscht und mit einem faulen Kompromiss ruhiggestellt. Zuvor haben sich zwei Ministerinnen – Frau Schröder und Frau von der Leyen – monatelang über die Quote gestritten. Von Kanzlerin Merkel hörte man überwiegend wenig, meistens gar nichts. Auf EU-Ebene hatte diese schwarz-gelbe Bundesregierung die Einführung einer Frauenquote blockiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie stehen nun die Abgeordneten von CDU/CSU da, die die sogenannte Berliner Erklärung unterschrieben und damit dokumentiert haben, dass sie für eine gesetzliche Frauenquote von mindestens 30 Prozent sind? Mit einem heutigen Nein ist ihre Glaubwürdigkeit dahin. Es gibt keine Gewinnerinnen in der Regierung und der schwarz-gelben Koalition, es gibt nur Verliererinnen. Mir persönlich ist es völlig egal, wer in den Reihen von Schwarz-Gelb gewonnen oder verloren hat. Nicht egal ist meiner Fraktion und mir, dass die Frauen, die Gleichstellung und damit der Fortschritt in unserem Land verloren haben; denn ohne Gleichstellung gibt es keinen Fortschritt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Merkels sogenannter Kompromiss ist ein durchsichtiges Täuschungsmanöver: Die Einführung einer gesetzlichen Quote soll heute verhindert werden. Dabei haben wir es den Befürworterinnen der Quote doch wirklich leicht gemacht, auch mit dem Gesetzentwurf aus dem Bundesrat: Damit sich überhaupt etwas in unserem Land bewegt, ist er wirklich moderat formuliert. Liebe Kolleginnen von Union und FDP – ich spreche diesmal gezielt die Frauen an –, ich möchte noch einmal das Zitat der ehemaligen amerikanischen Außenministerin Madeleine Albright anbringen: Es wartet ein besonderer Platz in der Hölle auf Frauen, die anderen Frauen nicht helfen. – Das sind keine schönen Aussichten, Frau Merkel, Frau Schröder und Frau von der Leyen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Die Geschichte zeigt, meine Kolleginnen und Kollegen: Nur wenn Frauen gemeinsam kämpfen, geht es mit der Gleichstellung voran – ob beim Frauenwahlrecht oder beim § 218. Darum, liebe Kolleginnen von der Union, bitte ich Sie: Geben Sie sich einen Ruck! Lassen Sie sich nicht abwatschen! Stimmen Sie heute mit uns für die Quote! Ich bin mir sicher, eine überwiegende Mehrzahl der Frauen und auch viele Männer in unserem Land werden es Ihnen danken. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion von CDU/CSU unsere Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker. Bitte schön, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben hier schon oft über das Thema Frauen in Führungspositionen gesprochen. Ich habe mich hier mehrfach positioniert und bleibe auch heute bei dieser Positionierung: Ich halte eine verbindliche gesetzliche Quote für einen Mindestanteil von Frauen in Führungspositionen, konkret in Aufsichtsräten, für unverzichtbar. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christine Lambrecht [SPD]: Dann stimmen Sie doch bestimmt zu!) Nicht zuletzt die rot-grünen Personalentscheidungen der letzten Zeit, von denen wir heute gehört haben, bestätigen: Auch ihr braucht manchmal das Argument, dass es eine gesetzliche Quote gibt, um entsprechende Erfolge Realität werden zu lassen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die positive Entwicklung, die wir haben, wäre ohne die Diskussion, die wir in den vergangenen Monaten geführt haben, nicht denkbar. In der Tat lässt sich nach zehn Jahren Selbstverpflichtung der Befund – 3 Prozent Frauen gegenüber 97 Prozent Männern in den Vorständen der DAX-Unternehmen – nicht anders erklären als damit, dass es sich hier um verfestigte Strukturen handelt, die Frauen nicht zum Zuge kommen lassen. Offenbar entscheiden die, die drin sind, darüber, wer mit rein darf, und es geht dabei bei weitem nicht nur nach Qualifikation und Potenzial, sondern auch nach Beziehungen, nach der richtigen Hochschule, dem richtigen Netzwerk und dem richtigen Chromosom: dem Y-Chromosom. Im manager magazin können wir lesen: Da geht es um die Netzwerke des alten Schlages, um die neuen Netzwerke, die jungen CEOs, die Baden-Badener Unternehmergespräche, die Kaderschmiede der künftigen Führungskräfte. Es ist ein ganz großer Fehler, wenn man sich da bewirbt – dahin wird man nur berufen. Das alles spricht für die Quote, und ich verspreche, dass ich weiter dafür arbeite, die Notwendigkeit einer Quote in den Hinterköpfen zu verankern. Aber ich will auf zwei Punkte eingehen, die heute anders sind als sonst: Ich kann heute zum ersten Mal sagen, dass das Anliegen, zu einer verbindlichen Quote zu kommen, von der Kanzlerin, unserer Parteivorsitzenden, unterstützt wird und dass sich die Union selbst fest vorgenommen hat, diese Regelung ins Bundesgesetzblatt zu schreiben. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Mit welchem Koalitionspartner?) Ich habe keinen Zweifel daran, dass es so kommt. Damit steht fest: Jeder Vorstand bzw. jeder Aufsichtsrat, der sich über die nächsten Personalien Gedanken macht, muss wissen: Die Quote kommt; bis 2020 wird eine Quote von 30 Prozent vorgeschrieben werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: Und wie macht ihr das? – Elke Ferner [SPD]: Ist die Welt schön!) Ich bin überzeugt: Ohne die Berliner Erklärung, ohne die Positionierung der Frauenverbände, ohne FidAR, ohne das Netzwerken von Rita Pawelski, ohne die ganze Diskussion – in ihrer Gesamtheit, in allen Elementen – wären wir heute nicht an diesem Punkt und könnte ich nicht davon ausgehen, dass im Bundesgesetzblatt demnächst diese Quote stehen wird. Wir werden in einigen Jahren im Rückblick sowieso kaum noch verstehen, wo das Problem eigentlich gelegen hat. Ich sehe hier Parallelen zum Ausbau der Kinderbetreuung für Kinder unter drei Jahre. Auch das ist zuerst mit Befremden aufgenommen worden. Mittlerweile haben wir mehrfach den höheren Bedarf in unsere Planungen einkalkuliert und mussten immer mehr zulegen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Winkelmeier-Becker, jetzt hört Ihnen keiner mehr zu!) Wenn ich mich hier umschaue, dann sehe ich, dass heute noch etwas anders ist: Die früheren Debatten haben wir immer vor weitgehend leeren Reihen geführt. Heute haben wir hier ein volles Haus, und im Anschluss findet eine namentliche Abstimmung statt. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht Ihr Verdienst! Was meinen Sie, wie voll es hier wäre, wenn Sie mutig wären!) Dabei hat sich doch die Bedeutung der Sache objektiv nicht verändert. Das zeigt eben: Interessant in dem Zusammenhang ist nicht die Sache selbst; das Thema ist völlig austauschbar. Bei der öffentlichen Diskussion geht es vielmehr nur noch um die Machtfrage. Wer hat gewonnen? Wer ist geschwächt? Wer muss gehen? Darüber wird in den Medien groß und breit diskutiert. Mir fällt übrigens auf, dass fast immer, wenn ein Bericht über dieses Thema erscheint, als optischer Eyecatcher Frauenbeine in hochhackigen Schuhen gezeigt werden. Das ist offenbar die Assoziation, die die Journalisten dabei haben. Es geht hier also um eine Machtfrage, und es liegt etwas auf der Waagschale, was überhaupt nichts mehr mit dem Thema „Frauen in Führungspositionen“ zu tun hat. Das ist der Punkt, der es für uns verantwortliche Politiker an der Stelle nicht möglich macht, heute zuzustimmen. Ich sehe die konkrete Chance, das, was wir heute machen könnten, mit meiner Fraktion in wenigen Monaten zu machen. Wenn wir das tun, dann gehen wir auch nicht das Risiko ein, dass die Regelung bald wieder aufgehoben wird, bevor sie greift. Vizepräsident Eduard Oswald: Ihre Redezeit, Frau Kollegin. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Wir werden nicht erfahren, ob die Stimmen heute für eine Mehrheit gereicht hätten, aber ich bin mir sicher, dass der Weg, den wir jetzt gemeinsam gehen, in kurzer Zeit, in wenigen Monaten, zu dem Ziel führt, an dem mir wirklich gelegen ist. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mit der FDP! Sie sind doch eine Träumerin!) Deshalb ist mein Stufenplan: die Quote im April im Präsidium und im Sommer im Regierungsprogramm, dann die Wahl gewinnen, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, dann machen wir das! Dann brauchen wir Sie nicht!) dann einen guten Koalitionsvertrag und dann ein gutes, verbindliches Gesetz für die Frauen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Mechthild Dyckmans [FDP] – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wird einiges auf der Strecke schiefgehen!) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächste Rednerin für die Fraktion von CDU/CSU ist unsere Kollegin Frau Rita Pawelski. Bitte schön, Frau Kollegin Rita Pawelski. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Rita Pawelski (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die kürzlich verstorbene Maggie Thatcher sagte einmal: Manchmal muss man einen Kampf mehrmals kämpfen, um ihn zu gewinnen. (Elke Ferner [SPD]: Sie haben gerade einen verloren!) An dieses Zitat denke ich jedes Mal, wenn es um Politik für Frauen geht. Auch das ist ein immerwährender Kampf. Das und auch die Erfahrung, dass man manchmal das Gegenteil von dem tun muss, was man eigentlich möchte, um das zu erreichen, was man will, habe ich verinnerlicht. (Zurufe von der SPD: Oh! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie ja früher sagen können!) Das gilt auch für das Thema „Frauen in Führungspositionen“. Meine Damen und Herren, wie viele Frauenthemen hat auch dieses Thema eine lange Geschichte. Sie begann 2001. Die Frauen der damaligen rot-grünen Regierungskoalition wollten eine Quote einführen, um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Der Wille war da – bei den Frauen. Die Umsetzung scheiterte jedoch am Macho-Kanzler Gerhard Schröder. Er löste das Thema mit den Spitzenmännern der deutschen Wirtschaft in einer launigen Herrenabendrunde. Man einigte sich auf eine Willenserklärung, die mit einem Vertrag untermauert wurde. Zeitzeuge war der damalige Chef des Kanzleramtes Frank-Walter Steinmeier. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Er war nicht nur ein Zeuge, er war dabei!) Es wäre vielleicht einmal interessant, zu erfahren, wie es wirklich damals zugegangen ist. Das geplante Gesetz zur Chancengleichheit in der Privatwirtschaft scheiterte jämmerlich an der Macht der Männer. Der Wunsch der rot-grünen Frauen nach einer wirklichen Frauenförderung wurde damit ad acta gelegt. Die freiwillige Vereinbarung entpuppte sich als Papiertiger, und Papier ist geduldig. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit haben Sie ja Erfahrung!) Wurden nach dem Beschluss Frauen gefördert? Nein! Gab es mehr Frauen in Führungspositionen? Fehlanzeige! In den DAX-30-Vorständen gab es 2001 eine einzige Frau. Neun Jahre später, im Juli 2010 – die Gruppe der Frauen der Unionsfraktion hatte das Thema auf ihre Agenda gesetzt –, gab es weiterhin nur eine einzige Frau in den Vorständen der DAX-30-Unternehmen. Heute, drei Jahre später, sind es 15 Frauen. Wenn Sie jetzt glauben, bei den rot-grünen Frauen hätte es damals einen Aufstand, eine Revolution, eine Rebellion gegen das Verhalten ihres Bundeskanzlers gegeben, dann muss ich Sie enttäuschen. Brav haben Sie die Anweisungen des Bosses der Bosse geschluckt. Die damalige Frauenministerin Bergmann bezeichnete die Vereinbarung als klaren Erfolg. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Wir haben etwas dazugelernt, im Gegensatz zu euch!) Frau Künast, Sie waren damals Regierungsmitglied. Ich habe die Pressemitteilungen und Verlautbarungen von damals sehr aufmerksam studiert. Sie haben damals zu dieser ganzen Sache geschwiegen. (Christine Lambrecht [SPD]: Das ist zwölf Jahre her!) Christel Humme war damals Vorsitzende der AG Familie, Senioren, Frauen und Jugend der SPD-Fraktion. Frau Griese, Frau Rupprecht: Wo war Ihr Aufschrei damals? (Zurufe von der SPD) Ich weiß, dass man dann, wenn man in der Opposition ist, immer viel mutiger ist. Ich war lange genug in der Opposition. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Landfrauen alleine gelassen! Wann haben Sie was für die Landfrauen gemacht?) Aber in der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung haben Sie zu dem geschwiegen, was passiert ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie uns jetzt, zwölf Jahre später, vorwerfen, wir würden einknicken, erinnern Sie sich bitte daran, dass Sie damals keinen Mut gezeigt haben; denn im Gegensatz zu Ihnen, liebe Kolleginnen von Rot-Grün, haben wir gekämpft. Wir haben erreicht, dass es künftig eine Quote geben wird. Ab 2020, nur zwei Jahre nachdem der Hamburger Gesetzentwurf greifen würde, müssen 30 Prozent – nicht 20 Prozent – der Aufsichtsratsmandate von mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen mit Frauen besetzt sein. Die gesetzliche Umsetzung unseres Parteibeschlusses erfolgt – das wurde heute zugesichert – sofort nach der Bundestagswahl. Schauen Sie sich einmal den Beschluss an. Wir fangen 2014 sofort mit der Umsetzung der freiwilligen Vereinbarung an. Die Unternehmen wissen, dass sie sich nicht zurücklehnen können, sondern dass sie Frauen sofort fördern müssen. Da die Aufsichtsräte in einem Turnus von fünf Jahren besetzt werden, die nächste Runde 2018 ist und unser Gesetz ab 2020 greift, müssen praktisch schon 2018 30 Prozent der Aufsichtsratsmandate mit Frauen besetzt sein, damit 2020 die 30-Prozent-Quote erfüllt wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es ist ein Signal an alle Unternehmen: Tut etwas! Lehnt euch nicht zurück, sondern fördert schon jetzt die Frauen! Lassen Sie mich bitte zum Abschluss noch ein Wort zur Berliner Erklärung sagen. Ich danke allen Frauen für die Unterstützung. Aber Monika Schulz-Strelow möchte ich ganz besonders herzlich danken, (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) die mit FidAR unglaublich viel erreicht hat. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da baggern Sie sich jetzt an!) Diese Frauen, nicht nur wir, sondern auch die Frauen der Verbände, haben dafür gesorgt, dass das Thema in den letzten Jahren auf der Agenda geblieben ist und nie aus den Schlagzeilen verschwunden ist. Ich bitte euch auch jetzt um Unterstützung: Diese Zusage muss 2014 umgesetzt werden. Wir stehen im Wort. Ich kann die Unternehmen nur mahnen: Glaubt nicht, dass wir dieses Versprechen bis dahin vergessen haben. Wir wollen eine feste Quote. Wir werden sie bekommen – in der nächsten Legislaturperiode. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil wir es machen werden, mit Frau Schulz-Strelow!) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster und letzter Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Jan-Marco Luczak. Bitte schön, Kollege Jan-Marco Luczak. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst gerne auf Frau Marks zu sprechen kommen. Die Kollegin von der SPD hat hier gerade ein Zitat von Madeleine Albright gebracht und wollte damit Frau Merkel, unserer Bundeskanzlerin, einen Platz in der Hölle angedeihen lassen. Frau Marks, ich bin mir sehr sicher, dass unsere Kanzlerin nicht in der Hölle enden wird. Sie hat nämlich nicht nur für Frauen in unserem Land sehr viel Gutes getan, sondern für alle Menschen in unserem Land. Das reicht allemal für einen Platz im Himmel. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Ich komme zum eigentlichen Thema. Ich glaube, es besteht zwischen den Fraktionen Einigkeit darüber: Wir wollen, dass mehr Frauen ihren Platz in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft finden. (Elke Ferner [SPD]: Das wollen Sie eben nicht!) Wenn man sich anschaut, wie die Situation ist, kommt man in der Tat zu einem betrüblichen Ergebnis. Bei einem Viertel der großen deutschen Unternehmen sind die Führungsetagen noch immer komplett frauenfrei. In den meisten DAX-Vorständen fristen Frauen noch immer ein Exotendasein. Auch in den Aufsichtsräten der großen deutschen Unternehmen spiegelt der Anteil der Frauen in keiner Weise wider, dass es sehr viele hervorragend ausgebildete, fachlich hochqualifizierte Frauen gibt, die diesen Job ohne Weiteres machen können. Dieser Zustand ist nicht akzeptabel; darin sind wir uns alle einig. Das müssen wir ganz dringend ändern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die entscheidende Frage lautet nun: Wie können wir dieses Ziel erreichen? Wenn man sich die Entwicklung in den letzten Jahren anschaut, kann man nur feststellen: Freiwilligkeit hat in der Tat nichts gebracht. Ich bin daher einigermaßen erstaunt, dass sich gerade die Kollegen von SPD und Grünen hier hinstellen und einen solch großen Klamauk veranstalten. Das rot-grüne Stillhalteabkommen aus dem Jahr 2001 ist doch damals unter Ihrer Regie entstanden. Es war doch Ihr Machokanzler Gerhard Schröder, der von „Frauenpolitik und solchem Gedöns“ gesprochen hat. Da muss man sich doch nicht wundern, dass dabei ein solches Abkommen herausgekommen ist und daraus nichts folgte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Wahrheit ist, dass erst jetzt, wo wir in den letzten Jahren über verbindliche gesetzliche Vorgaben diskutieren und im Koalitionsvertrag festgelegt haben, dass hier etwas verändert werden muss, Bewegung in die Sache gekommen ist und Bewusstsein und Sensibilität für dieses Thema gewachsen sind. Mir ist wichtig, noch Folgendes zu betonen: Es geht in keiner Weise darum, einigen Dutzend oder vielleicht Hundert Frauen mit dem Einzug in den Aufsichtsrat Privilegien zu verschaffen. Das ist kein Elitenthema, sondern es geht in seiner Wirkung weit darüber hinaus; denn Frauen in Führungspositionen können Vorbild und Maßstab für das gesamte Unternehmen, für die gesamte Arbeitswelt und damit auch für die gesamte Gesellschaft sein. Ich nenne das prominenteste Beispiel: Nachdem Angela Merkel als Bundeskanzlerin unser Land entschlossen, souverän und vor allen Dingen erfolgreich durch die europäische Staatsschuldenkrise gesteuert hat, wird wohl niemand mehr wagen, zu bezweifeln, dass eine Frau selbstverständlich auch ein großes Unternehmen führen kann. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Solche Vorbilder braucht unsere Gesellschaft und brauchen wir auch in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft. Wichtig ist mir, zu betonen, wieso wir solche Vorbilder brauchen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dann ein Umdenken stattfindet. Eine Erwerbsbiografie, die unterbrochen worden ist, weil man etwa Kinder bekommen oder sich um Familienangehörige gekümmert hat, wird dann anders bewertet werden. Es wird dann auch nicht mehr das Karriereende bedeuten, wenn man für eine gewisse Zeit aussetzt. Ich will einen solchen Mentalitätswechsel. Ich will einen Wandel in der Unternehmenskultur. Ich will, dass bessere Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen werden. Das ist das entscheidende Ziel, dem wir uns alle miteinander verpflichtet fühlen. All das, was ich gerade beschrieben habe, will selbstverständlich auch die Union. Natürlich war das für uns zum Teil eine schmerzhafte Debatte, die mit Zumutungen verbunden war. Das liegt aber auch daran, dass wir eine Volkspartei sind, in der es unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema gibt. Wir sind eben keine Klientelpartei und liegen in der Wählergunst nicht bei rund 20 Prozent, sondern wir sind die einzig verbliebene Volkspartei. (Zurufe von der SPD: Oh!) Wir machen es uns mit dieser Entscheidung nicht leicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mir ist noch wichtig, zu betonen – das ist heute auch deutlich geworden –, dass es sich hier um kein leeres Versprechen, um kein Feigenblatt handelt. Es ist klar: Wir wollen und werden nach der Bundestagswahl das in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen. Meine Damen und Herren von der Opposition, denn das können Sie sich hinter die Ohren schreiben: Wir werden die Wahl gewinnen, weil wir eine erfolgreiche Politik für unser Land machen. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das merken die Menschen; sie vertrauen uns. Das gilt auch für eine gesetzlich vorgegebene Frauenquote. Verlassen Sie sich darauf: Das wird in der nächsten Legislaturperiode kommen. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Dr. Luczak war der letzte Redner in unserer Aussprache, die ich nun schließe. Wir kommen zu den Abstimmungen. Tagesordnungspunkt 4 a: Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13094 mit dem Titel „Verbindliche Quote für Aufsichtsräte einführen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Ich sehe keine. Der Antrag ist abgelehnt. Tagesordnungspunkt 4 b. Abweichend von der in der Tagesordnung vorgesehenen Reihenfolge kommen wir zuerst zur Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12784, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8878 abzulehnen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Regierungsfraktionen, also die Mehrheit. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Sie wissen, dass damit nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung entfällt. Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12784, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/11270 abzulehnen. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13141 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? (Zurufe) – Niemand stimmt dafür. Wer stimmt dagegen? – Das sind alle Fraktionen. Enthaltungen? – Keine. Der Änderungsantrag ist also abgelehnt. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich darf darauf hinweisen, dass dazu eine Reihe von schriftlichen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vorliegt.6 Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über den Gesetzentwurf. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.7 Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Sitzung unterbreche, hat unsere Kollegin Frau Dagmar Ziegler zu einer persönlichen Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung das Wort, und es ist eine Frage der Fairness, dass wir ihr auch zuhören, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Bitte schön, Frau Kollegin Dagmar Ziegler. Dagmar Ziegler (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe diese persönliche Er-klärung auch im Namen meiner Kolleginnen Cornelia Möhring von den Linken und Ekin Deligöz von Bünd-nis 90/Die Grünen ab. Heute hätte für uns Frauen ein historischer Tag sein können. In dieser freudigen Erwartung haben sich Kolleginnen aus vielen Frauenverbänden hier eingefunden: Rena Bargsten, Präsidentin des European Women’s Management Development; Stephanie Bschorr, Präsidentin des Verbands deutscher Unternehmerinnen, Ramona Pisal, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, Brigitte Scherb, Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbands, Monika Schulz-Strelow, Präsidentin des Vereins „Frauen in die Aufsichtsräte“, und Henrike von Platen, Präsidentin von Business and Professional Women – Germany. Sie haben mit uns gemeinsam vor fast zwei Jahren die Berliner Erklärung aus der Taufe gehoben, ein Frauenbündnis über alle Fraktionsgrenzen hinweg. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Denn neben Ekin Deligöz, Cornelia Möhring und mir waren beteiligt Rita Pawelski von der CDU, Dorothee Bär von der CSU und Sibylle Laurischk von der FDP. Wir haben nicht danach gefragt: „Welche Farbe hat dein Parteibuch?“, sondern wir haben gefragt: Was können wir gemeinsam für Frauen erreichen? Wir waren uns auch einig, dass wir eine Entscheidung im Parlament wollen. Eine Frauenquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte, das war unser erklärtes Ziel. Eine Umfallerinnenquote von 100 Prozent in CDU/CSU, das werden wir wohl heute bekommen. Als wir unser Frauenbündnis geschmiedet haben, wussten wir: Frauenrechte sind immer wieder dann erkämpft worden, wenn Frauen sich solidarisiert haben, wenn sie aus der üblichen Logik ausgebrochen sind, wenn sie die Machtprobe nicht nur gewagt, sondern auch gemeinsam durchgestanden haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das war 1992 so, als der Bundestag sich auf einen Kompromiss zum Schwangerschaftsabbruch geeinigt hat. Das war 1997 so, als nach 25-jähriger Debatte die Vergewaltigung in der Ehe zu dem erklärt wurde, was sie ist, nämlich ein übles Verbrechen, das nach dem Strafgesetzbuch geahndet werden muss. Für diese großartigen Momente deutscher Politik, als Frauen zusammen Erfolge erstritten haben, stehen Namen wie Rita Süssmuth, Ulla Schmidt, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Irmingard Schewe-Gerigk und Christa Luft. Mit unserer Berliner Erklärung wollten wir in deren Fußstapfen treten, Fußstapfen, die für Frau von der Leyen und ihre Kolleginnen aus der CDU/CSU-Fraktion mehrere Nummern zu groß sind. Millionen von Frauen stehen hinter der Berliner Erklärung – das haben Frau Pawelski und andere noch am Montag geäußert –, ja, richtig, Millionen von Frauen, denen Sie jetzt mit Ihrem Nein zum Entwurf des Bundesrates in den Rücken fallen. Denn Ihr sogenannter Kompromiss ist eben nichts als falscher Zauber. Ein „Scherzpaket“ nennt es die Journalistin Bascha Mika. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Was hat das mit Ihrem Abstimmungsverhalten zu tun?) Wer sagt: „Wir brauchen eine Quote von 30 Prozent ab dem Jahr 2020“, kann nicht glaubhaft eine Quote von 20 Prozent ab dem Jahr 2018 ablehnen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer sagt: „Wir brauchen eine gesetzliche Quote für die Besetzung von Aufsichtsräten“, kann nicht glaubhaft machen, warum er dafür auf ein Wahlprogramm mit völlig unsicheren Verwirklichungschancen warten muss, wenn heute ein guter Entwurf im Bundestag zur Abstimmung vorliegt – ein Entwurf, der zwar vom SPD-regierten Hamburg entwickelt und in den Bundesrat eingebracht worden ist, der aber trotzdem ein ernsthaftes Kompromissangebot an die Union war. Dass er ein ernsthaftes Kompromissangebot ist, hat er ja bereits bewiesen – das wurde heute mehrfach gesagt –; Frau Kramp-Karrenbauer und Ministerpräsident Haseloff hätten sonst gar nicht zustimmen können. (Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Das ist eine Rede, Frau Ziegler, keine Erklärung zur Abstimmung!) – Ich will Ihnen erklären, warum wir über unser heutiges voraussichtliches Abstimmungsergebnis so sehr enttäuscht sind. Meine Kolleginnen und ich, die wir die Berliner Erklärung unterzeichnet haben, sind über Ihr Verhalten absolut frustriert. Das ist nun einmal so, und das muss auch noch einmal deutlich gesagt werden. Diese Sache geht eben nicht nur uns hier im Parlament etwas an, sondern betrifft unsere Gesellschaft und auch die Wertigkeit von Frauenarbeit insgesamt. Das ist etwas, was Sie heute mit Füßen getreten haben, und das muss man einfach noch einmal hervorheben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich sage Ihnen aber auch: Eine Mehrheit ist heute, im Jahr 2013, im Bundestag vorhanden. Weil es aber nicht genug Abweichlerinnen in der Union im Bundestag gibt, weil es an Mut und Standfestigkeit fehlt, wird diese Mehrheit bei der Abstimmung wohl nicht zustande gekommen sein. Sie haben aus einer historischen Chance eine Riesenblamage gemacht, und darüber sind wir drei immens enttäuscht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Das war eine persönliche Erklärung. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung. (Unterbrechung von 14.07 bis 14.09 Uhr) Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich komme jetzt zur Verlesung des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien“: abgegebene Stimmen 598. Mit Ja haben gestimmt 277, mit Nein haben gestimmt 320, Enthaltungen 1. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 598; davon ja: 277 nein: 320 enthalten: 1 Ja SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann (Hildesheim) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Petra Crone Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Ulrike Gottschalck Angelika Graf (Rosenheim) Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz (Essen) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Eva Högl Christel Humme Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h. c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Anette Kramme Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Manfred Nink Thomas Oppermann Holger Ortel Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth (Esslingen) Michael Roth (Heringen) Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Anton Schaaf Axel Schäfer (Bochum) Bernd Scheelen Marianne Schieder (Schwandorf) Werner Schieder (Weiden) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Sonja Steffen Peer Steinbrück Dr. Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Dagmar Ziegler Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Sibylle Laurischk DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Da?delen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Cornelia Möhring Niema Movassat Thomas Nord Petra Pau Jens Petermann Richard Pitterle Yvonne Ploetz Paul Schäfer (Köln) Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Ekin Deligöz Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Susanne Kieckbusch Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Daniela Wagner Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Neškovi? Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Ursula Heinen-Esser Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Thomas Jarzombek Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Eckart von Klaeden Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Karin Strenz Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Sylvia Canel Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther (Plauen) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Dr. h. c. Jürgen Koppelin Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Niebel Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg von Polheim Dr. Christiane Ratjen-Damerau Dr. Birgit Reinemund Hagen Reinhold Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Frank Schäffler Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Enthalten CDU/CSU Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13143. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das ist die Fraktion Die Linke. Gegenprobe! – Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12784, den Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/11139 abzulehnen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die drei Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Regierungsfraktionen. Enthaltungen? – Niemand. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Wie Sie wissen, entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Jetzt zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Quote für Aufsichtsratsgremien börsennotierter Unternehmen einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/1274, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/797 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Enthaltungen? – Fraktion der Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a bis 42 z sowie 42 aa und die Zusatzpunkte 3 a bis 3 e auf: 42 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze – Drucksache 17/12856 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 189 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 16. Juni 2011 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte – Drucksache 17/12951 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 8. November 2001 zum Schutz des audiovisuellen Erbes und zu dem Protokoll vom 8. November 2001 zum Europäischen Übereinkommen zum Schutz des audiovisuellen Erbes betreffend den Schutz von Fernsehproduktionen – Drucksache 17/12952 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Rechtsausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Abkommens vom 11. April 1955 über die Internationale Finanz-Corporation – Drucksache 17/12953 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Finanzausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 23. Juli 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Nachnutzung der ehemaligen deutsch-österreichischen gemeinschaftlichen Grenzzollämter – Drucksache 17/12954 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 – Drucksache 17/12955 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung der Zuständigkeiten der Länder im Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung nach dem Dritten Teil des Soldatenversorgungsgesetzes auf den Bund – Drucksache 17/12956 – Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Innenausschuss Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes – Drucksache 17/12957 – Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Cookinseln über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch – Drucksache 17/12958 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Februar 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Grenada über den Informationsaustausch in Steuersachen – Drucksache 17/12959 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz – KJVVG) – Drucksache 17/13023 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss l) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 259/2012 – Drucksache 17/13024 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz m) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes – Drucksache 17/13025 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie n) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze – Drucksache 17/13026 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss o) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes – Drucksache 17/13027 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung p) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Verkehrsleistungsgesetzes – Drucksache 17/13028 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss q) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Luftverkehrsrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 der Kommission vom 3. November 2011 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 – Drucksache 17/13029 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss r) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 9. September 1996 über die Sammlung, Abgabe und Annahme von Abfällen in der Rhein- und Binnenschifffahrt – Drucksache 17/13030 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit s) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 181/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 – Drucksache 17/13031 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union t) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Schiffsunfalldatenbankgesetzes (SchUnfDatG) – Drucksache 17/13032 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Innenausschuss Rechtsausschuss u) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Seearbeitsübereinkommen 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 23. Februar 2006 – Drucksache 17/13059 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung v) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze – Drucksache 17/13061 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss w) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt – Drucksache 17/13062 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO x) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften – Drucksache 17/13083 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz y) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellen – Drucksache 17/12847 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz z) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Karl Schiewerling, Paul Lehrieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Sebastian Blumenthal, Heinz Golombeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine humane Arbeitswelt – Psychische Gesundheit auch am Arbeitsplatz stärken – Drucksache 17/13088 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung aa) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Forschungs- und Innovationsförderung des Bundes nachhaltig gestalten – Transparenz und Partizipation der Zivilgesellschaft ausbauen – Drucksache 17/13090 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss ZP 3 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea Rößner, Jerzy Montag, Agnes Krumwiede, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verhandlung auf Augenhöhe – Das Urhebervertragsrecht reformieren – Drucksache 17/12625 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer (Altötting), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Joachim Günther (Plauen), Dr. Lutz Knopek, Hans-Werner Ehrenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Daniela Wagner, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren – Drucksache 17/13091 – Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Innenausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren – Drucksache 17/13092 – Überweisungsvorschlag: Sportausschuss (f) Innenausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Daniela Wagner, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rechte der Mieterinnen und Mieter stärken – Drucksache 17/13098 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Hightech-Strategie 2020 für Deutschland – Bilanz und Perspektiven Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2013 – Drucksache 17/13075 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sie sind damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 d sowie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 43 a: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Anti-D-Hilfegesetzes – Drucksache 17/5521 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – Drucksache 17/13066 (neu) – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Martina Bunge Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13066 (neu), den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/5521 abzulehnen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Die Fraktionen von Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen.8 Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Sie wissen, dass nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung entfällt. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13110. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Das ist die Fraktion Die Linke. Gegenprobe! – Die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? – Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Tagesordnungspunkt 43 b: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im notariellen Beurkundungsverfahren – Drucksache 17/12035 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/13137 – Berichterstattung: Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff Christoph Strässer Mechthild Dyckmans Jens Petermann Ingrid Hönlinger Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13137, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/12035 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind, soweit ich sehe, alle Kolleginnen und Kollegen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Auch niemand. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das waren alle, wenn ich das richtig gesehen habe. Wer stimmt dagegen? – Es erhebt sich niemand. Enthaltungen? – Es erhebt sich auch niemand. Somit ist der Gesetzentwurf angenommen. Tagesordnungspunkt 43 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Finanz- und Personalstatistikgesetzes – Drucksache 17/12640 – Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) – Drucksache 17/13114 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Johannes Kahrs Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13114, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12640 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen, die sozialdemokratische Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind die Koalitionsfraktionen, die Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Es erhebt sich niemand. Infolgedessen stimmt niemand dagegen. Enthaltungen? – Das ist die Fraktion Die Linke. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Tagesordnungspunkt 43 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD EU-Bildungsprogramme modernisieren und ausbauen – Mobilität und Austausch im Lebenslangen Lernen für eine integrationsfördernde europäische Bildungspolitik erweitern – Drucksachen 17/9575, 17/13078 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann Dr. Ernst Dieter Rossmann Patrick Meinhardt Agnes Alpers Kai Gehring Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13078, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9575 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Sozialdemokraten. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zusatzpunkt 4 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Landbeschaffungsgesetz überprüfen – Drucksachen 17/12195, 17/12741 – Berichterstattung: Abgeordnete Anita Schäfer (Saalstadt) Wolfgang Hellmich Joachim Spatz Harald Koch Katja Keul Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12741, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12195 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zusatzpunkt 4 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Steffen-Claudio Lemme, Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Betroffenen Frauen nach dem Anti-D-Hilfegesetz zu mehr Verfahrenssicherheit und Transparenz verhelfen – Drucksachen 17/10645, 17/13138 – Berichterstattung: Abgeordnete Karin Maag Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13138, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/10645 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Linksfraktion. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind jetzt am Ende der Abstimmungen. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Anhaltender Handlungsbedarf beim Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Joachim Poß. – Bitte schön, Kollege Joachim Poß. (Beifall bei der SPD) Joachim Poß (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen, als Herr Schäuble seine Regierungserklärung gehalten hat, habe ich mich gefragt, ob er gestern Nacht wohl wieder dem lieben Gott dafür gedankt hat, dass die SPD das Schweizer Steuerabkommen abgelehnt hat. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Stellen Sie sich vor, das Abkommen wäre jetzt in Kraft. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Dann hätten wir furchtbar viel Geld!) Dann müssten sich Herr Schäuble, die Regierung und die Koalition dafür rechtfertigen, dass es unseren Steuerbehörden verboten wäre, CDs mit Schweizer Daten zu kaufen. Sie müssten sich rechtfertigen, warum Sie der Schweiz eine Bestandsgarantie für das Bankgeheimnis ausgesprochen haben, und Sie müssten sich rechtfertigen, Herr Koschyk, warum Steuerhinterzieher in der Schweiz quasi straffrei ausgehen, während sich die ganze Welt derzeit über solchen Schutz von Steuerhinterziehung zu Recht empört. Diese Fragen würden sich stellen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nur weil Ihr unseliges Steuerabkommen mit der Schweiz abgelehnt wurde, können Sie sich jetzt als Vorkämpfer gegen Steuerhinterziehung aufplustern. Wenn Ihre Finanzoasengarantie für die Schweiz Realität wäre, dann würden Österreich und Luxemburg genauso wie viele andere kleine sogenannte Steueroasen weltweit wie bisher mit dem Finger auf die Schweiz zeigen und sagen: Was die haben, wollen wir auch. – Genau dieses Spiel ist jahrelang gelaufen. Das muss jetzt ein Ende finden. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie müssen womöglich sehr schnell – das ist ja vielleicht auch schon geschehen – Ihre Meinung ändern. Wer könnte das eindrucksvoller bestätigen als die Neue Zürcher Zeitung. Sie schreibt: Der Rückenwind für den AIA – für den automatischen Informationsaustausch – war in der EU noch nie so stark. Und die Schweizer Strategie, über Abgeltungssteuer-Abkommen mit einzelnen Staaten die EU auseinanderzudividieren und sich von den Vertragspartnern das Quellensteuer-Modell garantieren zu lassen, ist nicht aufgegangen. Wer ist auf die Schweizer Strategie bewusst oder unbewusst hereingefallen? Das waren Sie von Schwarz-Gelb. Sie haben sich an allen Geboten der Steuergerechtigkeit versündigt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Oder war es Naivität? Oder war es die Verfolgung spezieller Interessen? Wenn man liest, dass sich Herr Brüderle über den Ankauf einer Steuer-CD wieder stark empört, dann kommt einem doch in den Kopf, dass es sich bei ihm um den klassischen Schutzpatron der Steuerhinterzieher bzw. von Leuten handelt, die dem Gemeinwesen das Geld systematisch vorenthalten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Schäuble spielt sich jetzt als Antreiber im Kampf gegen die Steuerflucht auf, obwohl er immer eher Getriebener des Prozesses war. Er erweckt den Anschein, als würde auch er jetzt die Ziele teilen, die von der Opposition vertreten werden, nämlich gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und den USA dem Bankgeheimnis ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Anders können wir das Problem nicht lösen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber bleiben Sie nicht wieder auf halber Strecke stehen. Wir brauchen einen klaren Standard. Dieser heißt: automatischer Informationsaustausch für alle Kapitaleinkünfte und für alle juristischen und natürlichen Personen. Darunter darf es in Zukunft nicht mehr gehen, weder in der EU noch weltweit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wer nicht nach diesen Regeln spielt, muss die Konsequenzen spüren. Folgen Sie dazu der Empfehlung der EU-Kommission, die seit Monaten auf dem Tisch liegt, und sprechen Sie mit Ihren Amtskollegen über EU-weite „Schwarze Listen“ für Steueroasen. Es ist doch das eigentliche Versäumnis dieser schwarz-gelben Regierung, dass sie 2009 den Druck im Kampf gegen Steueroasen herausgenommen hat. Sie haben nach den Erfolgen von Peer Steinbrück (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Wo ist er denn?) die Leine wieder länger gelassen und Zugeständnisse gemacht. Das hat sich gezeigt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn dem nicht so wäre, warum machen Sie dann offenkundig eine erneute Kehrtwende? Wir werden Ihren Debattenbeiträgen mit Sorgfalt zuhören. Auch Ihre Attacken gegen die wirksamen Instrumente gegen Steuerhinterziehung verschaffen den Übeltätern Luft; denn Sie wollten festschreiben, dass keine Ankäufe von Steuer-CDs mehr getätigt werden. Damit sind Sie den deutschen Steuerfahndern in den Rücken gefallen, den gleichen Steuerfahndern, die nach Ihren jetzigen vollmundigen Aussagen in Zukunft in einem Steuer-FBI ermitteln sollen. Das sind große Worte. Mit Überschriften will man Politik ersetzen; das findet bei Ihnen statt. Können Sie uns einmal verraten, Herr Koschyk, liebe Kollegen von der Koalition, wie dieses FBI seine Arbeit tun soll, wenn Sie ihm gleichzeitig alle Waffen aus der Hand schlagen wollen? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aber wahrscheinlich schicken Sie doch ein Stoßgebet dahin gehend zum Himmel, dass Sie den Ankauf von Steuer-CDs jetzt wieder für vertretbar halten dürfen. Im Hall der öffentlichen Empörung nach dem Offshore Leak ist das nämlich wieder opportun. Mich interessiert noch, ob Sie sich nicht doch an der Finanzierung der Kosten für den Ankauf der aktuellen CD beteiligen wollen. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ja, das stimmt!) Wenn Sie das nicht machen würden, hätten wir einen erneuten Beleg für Ihre zwiespältige Haltung. Also, wir erwarten heute Nachmittag viel Aufklärung von Ihnen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Joachim Poß. – Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Klaus-Peter Flosbach. Bitte schön, Kollege Klaus-Peter Flosbach. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer im Finanzausschuss ernsthaft mitarbeitet, der sieht, was in den letzten dreieinhalb Jahren passiert ist: Diese Bundesregierung mit Bundesfinanzminister Schäuble ist nicht nur in Europa, sondern auch auf globaler Ebene immer der Antreiber im Kampf gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ob es um das Global Forum geht, ob es um die G-5-Initiativen zum automatischen Informationsaustausch, auch mit den USA, geht, ob es um die führende Rolle der Deutschen im Kampf gegen die Gewinnverlagerung geht: Immer sind die Deutschen vorne an der Spitze. Herr Poß, das, was Sie hier vorgetragen haben, (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ist die Wahrheit! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Da haben wir Sie ertappt!) entbehrt jeder Grundlage. Sie sind schon lange hier im Rennen mit dabei, Herr Poß. Da ist es natürlich immer interessant, wenn Sie mit dem Finger auf uns zeigen. Das bekannte Bild trifft aber genau zu: Sie zeigten mit einem Finger auf uns, und drei Finger zeigten auf Sie. Wolfgang Schäuble ist seit dreieinhalb Jahren Finanzminister. Vorher hatten wir hier elf Jahre lang SPD-Finanzminister: Eichel und Steinbrück; ich lasse Lafontaine einmal außen vor. Offensichtlich ist in dieser Zeit gar nichts passiert; sonst könnten Sie die Vorwürfe hier in diesem Haus nicht vortragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nehmen wir einmal die einfachste Form der europäischen Kooperation: die europäische Zinsrichtlinie. Da haben Sie bzw. Herr Eichel in Europa vereinbart, dass es eine gemeinsame Zinsbesteuerung geben soll. Sie haben damals vereinbart, dass sich die Österreicher und die Luxemburger nicht daran halten müssen. Sie von der SPD, Herr Poß, haben damals zugestimmt, dass hier Steueroasen in Europa entstanden sind. (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/CSU] – Zuruf von der CDU/CSU): Da hört er nicht zu!) Jetzt gehen wir natürlich anders vor – es gibt einen Revisionsvorschlag der Europäischen Kommission –: Wir werden jetzt auch die Lebensversicherungen, die Trusts und die Stiftungen mit aufnehmen. Wir haben immer gefordert, dass bei der Erhebung der Abgeltungsteuer alle Veräußerungsgewinne und Dividenden berücksichtigt werden. (Manfred Zöllmer [SPD]: Seit wann?) Jetzt erreichen wir zum ersten Mal, dass sich Luxemburg und anschließend Österreich an diese Regeln halten werden. Das ist ein Erfolg dieser Bundesregierung. Denn wir haben nicht nur diskutiert, sondern haben in diesen drei Jahren gehandelt. Das ist der Erfolg dieser Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Zöllmer [SPD]: Da sind Sie der Einzige, der das glaubt!) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es war eine der ersten Maßnahmen dieser Koalition, die Regelungen zur Selbstanzeige zu verschärfen. Man kann, wenn man Steuern hinterzogen hat, sich selbst anzeigen. Das kann dann strafbefreiend wirken. Als die SPD noch den Finanzminister stellte, war die Situation folgendermaßen: Wenn der Steuerfahnder auf der Türschwelle stand, konnte man sich noch selbst anzeigen und ein Konto nennen, das vielleicht entdeckt worden ist. Bei uns ist das anders: Sobald ein Verdacht besteht, ist die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige ausgeschlossen. Es müssen alle Konten lückenlos aufgedeckt werden, und es muss ein Strafzins gezahlt werden. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer damaligen Regierungspolitik und unserer Finanzpolitik in den letzten drei Jahren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun könnte man Ihnen vorhalten, Sie seien, was die Steuerhinterziehung angeht, besonders clever gewesen. Denn es gab in den Jahren 2004 und 2005 eine Steueramnestie, die übrigens weltweit galt. Schröder ging damals zunächst von Einkünften in Höhe von 20 Milliarden Euro aus. Hinterher ging man von 5 Milliarden Euro aus. In der Realität waren es schließlich 1,37 Milliarden Euro. Sie haben damals allen eine Steueramnestie angeboten, nach dem Motto: Zahlt 15 Prozent Steuern, dann ist das Thema für uns erledigt. Herr Poß, Sie haben gerade das Steuerabkommen mit der Schweiz angesprochen. In der Tat kann man darüber diskutieren: Kann es steuergerecht sein, wenn man seine Steuern auf Grundlage einer pauschalen Besteuerung zahlt? (Manfred Zöllmer [SPD]: Vor allen Dingen anonym! – Joachim Poß [SPD]: Die Legalisierung von Kriminalität bei fortbestehender Anonymität!) Das Interessante an der ganzen Sache ist: Wir erleben heute – darauf weisen Steuerberaterverbände vielfach hin –, dass jede Form der Selbstanzeige für die Kontobesitzer deutlich besser ist, als diesem Steuerabkommen zu unterliegen. Wir hätten nämlich in alle Konten eingegriffen, nicht nur auf Zinserträge von 2 Prozent. Noch bis 2008 gab es in Deutschland steuerfreie Kursgewinne. Es entstehen relativ wenig Steuern auf Zinsen, weil es viele Steuerbefreiungsmöglichkeiten gab. Unser Abkommen sah aber vor, in die Konten einzugreifen und von jedem Konto 21 bis 41 Prozent des gesamten Guthabens abzuräumen. Sonst hätte es nämlich nicht die Möglichkeit gegeben, 10 Milliarden Euro einzunehmen. Das war der Unterschied. Das Problem ist: Ihre Ablehnung führt dazu, dass es bei all diesen Konten zu einer Verjährung kommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir hätten rechtzeitig in diese Konten eingreifen können. 60 Prozent aller Konten in der Schweiz bestehen schon länger als zehn Jahre, unterliegen also der Verjährung. Aber die sind jetzt weg. Wenn Sie zugestimmt hätten, dann hätten wir auf diese Konten zugreifen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das größte Problem, das noch auf uns zukommen könnte, ist die Diskussion über die weiteren steuerpolitischen Maßnahmen, die von Rot-Grün angestoßen wurde. Viele haben Deutschland bereits verlassen. Wenn der Spitzensteuersatz demnächst auf 53,7 Prozent steigt und dann noch die Vermögensteuer und die Vermögensabgabe eingeführt sowie eine Erhöhung der Abgeltungsteuer vereinbart werden, dann wird es manch einen geben, der nicht mehr in Deutschland investiert. Manch einer wird das Land sogar verlassen. Wir stehen für eine stabile Entwicklung hier in Deutschland, für eine hohe Zahl an Arbeitsplätzen. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit und die höchsten Steuereinnahmen zu verzeichnen, die wir je hatten. Dafür und für ein gerechtes Steuersystem in diesem Land kämpfen wir auch weiterhin, und wir kämpfen nach wie vor gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Klaus-Peter Flosbach. – Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Barbara Höll. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Barbara Höll. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Flosbach, wir kennen uns ja. Sie sprechen öfter hier im Plenum. Zu Ihrer heutigen Rede kann ich nur sagen: Getroffene Hunde bellen. Sie haben herumgeschrien, aber nichts Konkretes gesagt. Wir können gespannt sein, was die nächsten Rednerinnen und Redner hier sagen. (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Er war sehr konkret!) Herr Thomas Eigenthaler, der Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, schätzt für Deutschland das weltweite Hinterziehungsvolumen auf mindestens 400 Milliarden Euro. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Für Deutschland oder weltweit? Was jetzt?) Sie unterliegen einer Illusion, wenn Sie hier verkünden, dass Deutschland eine Vorreiterrolle im Kampf gegen Steuerhinterziehung einnimmt; denn das ist einfach nicht wahr. Luxemburg hat sich doch nur auf Druck der USA bewegt und nicht auf Druck von Deutschland. Man muss schon bei der Wahrheit bleiben. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Gehören die USA zur Europäischen Union, oder was?) Herr Koschyk hat nachher neun Minuten Redezeit. Er wird uns wieder erzählen, was man plant, will und macht, aber es kommt auf konkrete Maßnahmen an, auf nichts anderes. Zur Steuerhinterziehung gehören immer mindestens zwei: diejenigen, die Energie darauf verwenden, legal Steuern zu vermeiden, und diejenigen, die illegal Steuern hinterziehen. Das sind zwei Probleme, denen man sich ganz gezielt widmen muss. Das haben Sie bisher allerdings nicht getan. Jedes Steuergesetz, das wir hier beraten, enthält immer noch Gestaltungsmöglichkeiten, und trotzdem wird es verabschiedet. Das kann nicht sein. Kürzlich deckte ein Journalistennetzwerk weltweite Machenschaften in Steueroasen auf. Das System der Steuerhinterziehung ist weltweit organisiert. Insbesondere London wird erwähnt, da die größten Offshoreoasen von London aus gesteuert werden: Steuervermeidung durch Gründung von Briefkastenfirmen und Trusts. Nehmen wir als Beispiel die Deutsche Bank. Sie gründete allein über ihre Niederlassung in Singapur über 300 Firmen und Trusts in Steueroasen, größtenteils auf den Britischen Jungferninseln. Ich habe noch keine Verlautbarung gehört, dass der Finanzminister mit der Deutschen Bank über dieses Thema geredet hätte oder dass wenigstens eine verbale Aufforderung erfolgt wäre, dieses Gebaren zu unterlassen. Nein, da herrscht Stille, und zwar an der ganzen Front. Laut OECD sind derzeit auf der schwarzen Liste der Staaten, die nicht kooperativ sind, keine Staaten zu finden. Im Jahre 2000 waren es noch 35, jetzt gibt es keine mehr. Die Krux dabei ist: Alle Staaten, die sich verpflichtet haben, die Transparenzregeln einzuhalten, sind von der Liste genommen worden. Aber es liegt noch keine Bewertung vor, ob die Transparenzregeln überhaupt umgesetzt werden. Das ist doch der Knackpunkt. Lassen wir doch endlich die Verlautbarungen. Schauen wir uns lieber an, wie es konkret aussieht. Dazu gibt es sehr viel Material. Ich habe mir für heute die Tabelle von Indikatoren des SFI 2011 und Deutschlands Abschneiden herausgesucht. Wie stehen wir mit unseren Regelungen im Kampf gegen Steuerhinterziehung da? Das ernüchternde Ergebnis: Es ist fast nichts umgesetzt, fast nichts erfüllt worden. Indikatoren sind zum Beispiel, ob es Transparenz in Bezug auf „Informationen zu den wirtschaftlichen Eigentümern von Unternehmen“ gibt. Oder: Gibt es ein öffentlich zugängliches Register für Trusts und Stiftungen? Nein. – Es gab aber in den letzten Jahren sehr wohl Regelungen, die Stiftungen bevorzugt haben. Das waren weitere Einladungen zur Steuerhinterziehung. Ein weiterer Indikator lautet: Sammeln und aktualisieren die zuständigen Behörden Informationen zu den wirtschaftlichen Eigentümern von Unternehmen? Nicht erfüllt . Ich könnte weiter aus dieser Liste vorlesen, so unter der Rubrik „Effizienz der Steuer- und Finanzregulierung“: Sind im Land niedergelassene Finanzinstitute dazu verpflichtet, Informationen über (Zins/Dividenden)Zahlungen an nicht Ansässige an die Finanzbehörden zu übermitteln? Nein. Sie machen sich also nicht einmal die Mühe, eine Datengrundlage zu erstellen, um effektiv gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung vorgehen zu können. Deshalb landet Deutschland in dieser Untersuchung auf Platz neun. Das sollte uns zu denken geben. Erste Stelle Schweiz, dritte Stelle Kaimaninseln, und Deutschland folgt bereits auf dem neunten Platz. Trotzdem riskieren Sie hier eine dicke Lippe. Das ist doch einfach lächerlich! (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Das Bundesfinanzministerium sagt nun: Das Wichtigste im Kampf gegen Steuerhinterziehung und -vermeidung ist Transparenz. Richtig. Ich habe Ihnen eben schon einige Beispiele genannt, die belegen, dass Sie nicht für mehr Transparenz sorgen. Man muss aber auch sagen: Rot-Schwarz hat mit der Einführung der Abgeltungsteuer einen wesentlichen Schritt dazu gemacht, da die Abführung von Kapitaleinkünften anonymisiert erfolgt. Das ist natürlich eine Steilvorlage für Vertuschung. Deshalb bleiben wir bei unserer Forderung: keine Abgeltungsteuer. Seit 2009 fordern wir die Abschaffung der Abgeltungsteuer. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie endlich tätig werden und die Finanzbehörden ausrüsten. Machen Sie nicht irgendwelche großen Sprüche, sondern sorgen Sie dafür, dass die Länder richtig arbeiten können. Sorgen Sie für eine Koordinierung der Arbeit, und setzen Sie sich international endlich tatsächlich dafür ein, dass wir effektiv gegen Steuerhinterziehung vorgehen können und Steuervermeidung auch durch unsere Gesetzgebung verhindern. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Barbara Höll. – Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Dr. Volker Wissing. Bitte schön, Kollege Dr. Volker Wissing. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Dr. Volker Wissing (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden in dieser Aktuellen Stunde auf Antrag der Opposition über Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. Wir sind sehr dankbar, dass wir die Möglichkeit haben, hier noch einmal die Leistungen der Bundesregierung in den letzten Jahren vorzutragen. Steuerhinterziehung ist ein Fall für die Strafverfolgung. Da hat sich einiges getan – Kollege Flosbach hat das schon vorgetragen –: Die Regelungen für die strafbefreiende Selbstanzeige sind schärfer geworden, als sie es unter SPD-Verantwortung waren. (Manfred Zöllmer [SPD]: Wir wollten es abschaffen! Nehmen Sie das einfach zur Kenntnis!) Steuervermeidung hingegen ist kein Fall für eine Strafverfolgung, sondern die Frage der Steuervermeidung muss man im Steuerrecht beantworten. Man muss sich die Frage stellen: Kann man das national regeln, oder ist das international zu lösen? Wir haben im Finanzausschuss in den letzten Jahren unter Vorsitz meiner Kollegin Birgit Reinemund unzählige Anträge und anderes beraten, auch Anhörungen durchgeführt. Zuletzt haben wir ein Fachgespräch mit Experten geführt, die uns gesagt haben: Die Lösung des Problems der Steuervermeidung liegt nicht im nationalen Steuerrecht. (Manfred Zöllmer [SPD]: Da müssen Sie in einem anderen Ausschuss gewesen sein!) Grund für die Steuervermeidung ist, dass andere Staaten Anreize zur Steuervermeidung setzen, um damit ihrem Standort Vorteile zu verschaffen. Sie können das Problem – das sagen uns die Experten – nicht national lösen, sondern Sie müssen es in internationalen Verhandlungen lösen. Genau das tut die Bundesregierung. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Zuletzt tat die Bundesregierung dies auf der Ebene von G 20. Am 15./16. Februar hat die Bundesregierung klare Erwartungen formuliert, und das mit Erfolg. Im Juni dieses Jahres werden wir einen Aktionsplan der OECD vorliegen haben. Im Februar wurde er gefordert, im Juni kommt er. Daran sehen Sie, wie durchsetzungsstark die Bundesregierung international ist. Es werden Verhandlungen zur Schaffung einer gemeinsamen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage geführt, um die Steuervermeidung zu begrenzen, zu stoppen. Die Regierung steht international an der Spitze der Bewegung, und darauf sind wir stolz. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: An der Spitze der Worthelden, der Maulhelden!) National gibt es eine Diskussion über die Frage des Steuervollzugs: Wird die Steuer im Bundesgebiet überall gleichermaßen vollzogen? Dafür sind die Länder zuständig. Dort regieren viele Rote und Grüne. Daher können Sie sich außerhalb dieser Aktuellen Stunde in Ihren Parteien einmal die Frage stellen, ob Sie diesbezüglich genug tun. (Joachim Poß [SPD]: Ja!) Wir sind der Meinung, dass man eine bundeseinheitliche Steuerverwaltung braucht. Das war auch die Forderung der FDP in der Föderalismuskommission II. Die Länder haben uns dabei nicht unterstützt. Über diesen Vorschlag sollte man noch einmal nachdenken. Wer das Problem auf internationaler Ebene lösen möchte, der muss, so wie die Bundesregierung, mit viel diplomatischem Geschick und mit Überzeugungskraft auftreten. Sie haben den anderen die Kavallerie angedroht und sind damit gescheitert. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Sie sind doch gescheitert!) Lückenhaft waren die Erfolge von Peer Steinbrück bei seinen Verhandlungen mit den internationalen Partnern. Lückenlos arbeitet die Bundesregierung das Thema auf und schließt ein Steuerabkommen nach dem anderen ab. Diese Steuerabkommen sind so gut – auch das muss die Öffentlichkeit erfahren –, dass sogar die SPD ihnen immer zustimmt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lückenhaft ist die Verfolgung von Steuerhinterziehung durch die Zusammenarbeit mit kriminellen Datendieben im Ausland. Lückenlos wäre die Besteuerung gewesen, hätte man das Abkommen mit der Schweiz unterzeichnet. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Es wäre in Zukunft genau die gleiche Steuer fällig geworden wie in Deutschland. Mehr Gerechtigkeit gibt es gar nicht. Lückenhaft sind die Fachkenntnisse der SPD, die die Möglichkeit fordert, dass die Aufsicht einer Bank die Lizenz entzieht, wenn sie mit Steuerhinterziehern zusammenarbeitet. Lückenlos ist das deutsche Aufsichtsrecht, weil es eine solche Regelung längst gibt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manfred Zöllmer [SPD]: Sie wird aber nicht angewandt!) Man kann in der Tat international sehr viel tun, um Steuervermeidung zu bekämpfen. Das tut die Bundesregierung. Ich glaube, es gibt keine Bundesregierung, die auf diesem Gebiet so erfolgreich war wie diese. Das hängt damit zusammen, dass in der Welt ein Umdenken stattfindet. Auch die USA agieren heute anders. Wichtig ist, dass man diese transatlantischen treibenden Kräfte hier in Europa aufgreift. Das tut die Bundesregierung, und wir sind stolz darauf. Man kann aber auch national etwas dafür tun, dass Steuervermeidung begrenzt wird – Kollege Flosbach hat es gesagt –, nämlich indem man auf das verzichtet, was Sie vorschlagen: überzogene Substanzbesteuerung, höhere Einkommensteuern. All das führt zu Steuervermeidung und macht die Kassen am Ende nicht voller, sondern leerer. Das haben nicht nur wir in der Koalition erkannt, sondern beispielsweise auch die Kirchen. Die Kirchen verhandeln mit besonders Vermögenden über eine Absenkung der Kirchensteuer, weil sie sich sagen: Es ist besser, wenn sie etwas moderatere Beträge zahlen, als dass sie die Kirche verlassen und überhaupt keine Kirchensteuer mehr zahlen. Mit Millionären wird ein Rabatt von mehreren Prozent auf die Kirchensteuer ausgehandelt. Dabei geht es um viele Millionen Euro, auf die die Kirchen jedes Jahr verzichten. Dieses kluge Vorgehen müssen wir uns auch in der Politik zum Vorbild nehmen. Eine überzogene Steuerbelastung führt zu Vermeidungen und macht die Kassen des Staates leerer. Auch hier macht diese Koalition die richtige Politik. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Manfred Zöllmer [SPD]: Ein Herz für Millionäre!) Deswegen sind wir rundum richtig positioniert und werden auch weiterhin erfolgreich Steuerhinterziehung und Steuervermeidung bekämpfen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Ein Herz für Millionäre!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Volker Wissing. – Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsere Kollegin Frau Kerstin Andreae. Bitte schön, Frau Kollegin Kerstin Andreae. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Fraktionsvorsitzende der FDP hat den Datenankauf in Rheinland-Pfalz als Hehlerei bezeichnet. Das sind markige Worte. Wenn es Hehlerei wäre, müsste ja irgendwann die Staatsanwaltschaft aktiv werden. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Staatsanwaltschaft macht es schon!) Ich bin gespannt, ob die Staatsanwaltschaft irgendwann beim Finanzminister in Rheinland-Pfalz auftaucht. Offensichtlich hat Rainer Brüderle eines nicht verstanden: Es hilft gegen Steuerhinterziehung, wenn sich die Steuerhinterzieher nicht mehr sicher fühlen können. Das ist der große Effekt dieses Datenankaufs. Wir brauchen mehr Transparenz im Bereich der Steuern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der Handlungsbedarf ist überdeutlich. In den letzten Jahren – auch zu Ihrer Regierungszeit – hat sich das von der Deutschen Bank im Ausland verwaltete Vermögen mehr als verdoppelt und beträgt inzwischen 600 Milliarden Euro. Die Deutsche Bank hat 500 Töchter in Steueroasen, allein 150 auf den Cayman Islands. Das sind nicht alles Steuerhinterzieher – das sagt keiner von uns –, aber auch exzessive Steuergestaltung zerstört das Vertrauen der Steuerbürger. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die EU-Kommission spricht von 1 Billion Euro Steuerverlusten. Das ist Raubbau an den öffentlichen Kassen. Dieser muss gestoppt werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Steuerflucht und aggressive Steuergestaltung sind ein internationales Problem. Aber Steueroasen funktionieren nur, weil die reichen Industrieländer mitmachen. Das heißt, wir müssen national, aber eben auch in Europa handeln. Die Steueroasen in Europa müssen geschlossen werden. Beispiel Liechtenstein. Dieses Land ist ein beliebter Standort für Briefkastenfirmen. Die Bundesregierung hätte Liechtenstein zu mehr Transparenz bewegen müssen. Stattdessen schließt sie ein windelweiches Steuerabkommen ab und konserviert die Steueroase direkt vor der Haustür. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Und was haben Sie gemacht?) Beispiel Schweiz. Das Steuerabkommen mit der Schweiz hätte den Anlegern dauerhaft Anonymität gesichert. Das Problem ist doch, dass durch das Steuerabkommen mit der Schweiz die Anonymität gesichert worden wäre. (Dr. Volker Wissing [FDP]: So wie es übrigens in der Verfassung der Schweiz steht!) Das ist das komplette Gegenteil von Transparenz. Das ist genau falsch. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: So ist es!) Wichtig wäre ein automatischer Informationsaustausch gewesen. Dieser Weg ist jetzt wieder frei, weil Rot-Grün das Steuerabkommen mit der Schweiz im Bundesrat gestoppt hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Volker Wissing [FDP]: Wegen Ihnen wird die Schweizer Verfassung eingeschränkt! – Zuruf von der LINKEN: Nur Rot-Grün?) Steuerflucht ist eine Hydra. Eine Hydra hat bekanntlich viele Köpfe. Die Strategie für mehr Steuerehrlichkeit muss an allen Köpfen dieser Hydra ansetzen. Google zahlt 3 Prozent Steuern auf Auslandsgewinne, Apple nur 1 Prozent. Das funktioniert nur, weil die vorhandenen Steuergestaltungsmöglichkeiten, zum Beispiel über die Niederlande – bekanntlich gilt dort eine besonders günstige Besteuerung von Lizenzgebühren –, gern genutzt werden. 2011 wurden 3,2 Milliarden Dollar in den Niederlanden direkt investiert, davon 2,6 Milliarden Dollar in Briefkastenfirmen. Das heißt, es braucht ein gemeinsames europäisches Vorgehen. Da muss Deutschland vorangehen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir gehen doch schon die ganze Zeit voran! – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Machen wir doch!) Deutschland muss Ideengeber sein. Was Deutschland aber macht, ist, auf europäischer Ebene zu blockieren und zu verhindern, allen voran Wirtschaftsminister Rösler. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Zu der von Ihnen angesprochenen Anhörung im Finanzausschuss, Herr Wissing, wollten die Grünen einen Vertreter von Starbucks einladen. Es verwundert nämlich schon, dass ein so erfolgreiches Unternehmen Verluste ausweist. Starbucks hat 161 Filialen in Deutschland, (Dr. Daniel Volk [FDP]: Wie viele Filialen hatte Schlecker?) macht 100 Millionen Euro Umsatz, zahlt aber keine Gewinnsteuer. Wir wollten da nachfragen. Von Starbucks ist aber niemand in den Finanzausschuss gekommen. Daher haben wir jetzt schriftlich nachgefragt. Auch hier brauchen wir nämlich Transparenz. Es kann doch nicht sein, dass kleine Cafés und Restaurants sowie die Wirtschaft auf lokaler Ebene Steuern entrichten, aber dieser große Filialist keinen einzigen Euro Steuern zahlt. Das ist unfair und ungerecht. Auch hier braucht es Transparenz. Auch hier braucht es Minister und Ministerien, die vorangehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Was sie ja auch machen! – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Zufällig leiten die Deutschen diese Gruppe auf europäischer Ebene! Das wissen Sie wohl nicht!) Letzter Satz. Niedrigstbesteuerung schadet dem Wettbewerb, und Niedrigstbesteuerung schadet auch der öffentlichen Hand. Das darf nicht länger akzeptiert werden. Hier muss es einen wirklichen Richtungswechsel – auch in Ihren Köpfen – geben. Was wir erleben, ist Steuerhinterziehung. Was wir erleben, ist Steuergestaltung. Was wir erleben, ist Steueroptimierung. Was wir bräuchten, wäre mehr Steuergerechtigkeit, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE]) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Kerstin Andreae. – Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, unser Kollege Hartmut Koschyk. Bitte schön, Kollege Hartmut Koschyk. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Aha! Jetzt kriegen wir endlich mal eine Auskunft! Die ganze Zeit warten wir ja schon! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wir sind gespannt!) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im Jahr 2012 mit 600 Milliarden Euro die höchsten gesamtstaatlichen Steuereinnahmen in der Geschichte unseres Landes erzielt. (Manfred Zöllmer [SPD]: 2,1 Billionen Schulden!) Das macht deutlich: Unser steuerpolitisches Credo, berechtigte Steueransprüche durchzusetzen, Steuererhöhungen abzulehnen und das Steuerrecht handhabbar zu gestalten, ist und bleibt die richtige Trias in der Steuerpolitik für unser Land, aber auch für Europa. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Unser Land hat kein Einnahmeproblem. (Manfred Zöllmer [SPD]: Aber 2,1 Billionen Schulden! – Joachim Poß [SPD]: Aber ein Schuldenproblem, Herr Staatssekretär! Unser Land hat ein Schuldenproblem! Die Zukunftsaufgaben sind nicht finanziert! Wir sind strukturell unterfinanziert, und diese Koalition ist strukturell unterbelichtet!) Aber unser Land muss sich in einem schwieriger gewordenen steuerpolitischen Wettbewerb europäisch und international behaupten. Deshalb wird unser Land immer an der Spitze stehen, wenn es darum geht, Steuerhinterziehung national, europäisch und international wirksam zu bekämpfen und vor allem international nach Lösungen zu suchen, um Steuervermeidungsstrategien wirksam entgegenzuwirken. Ich verstehe schon Ihre Nervosität. Denn wer elf Jahre den Finanzminister gestellt hat, nur starke Sprüche geklopft, heiße Luft produziert und nichts zuwege gebracht hat, dem muss es bei dieser Debatte in der Tat angst und bange werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Damals hatten wir noch eine Liste von Steueroasen!) In dieser Situation wird nun die Steuererhöhungsorgel angeworfen. Außerdem werden Sie damit konfrontiert, dass ein Ministerpräsident wie Herr Kretschmann und ein Länderfinanzminister wie Herr Nils Schmid in Baden-Württemberg sagen: „Genossen, macht halblang! Hört auf mit dieser Steuererhöhungsstrategie!“. Nach dem, was ich von Ihrer Fraktion, Frau Andreae, heute in der Tageszeitung gelesen habe, war ja ganz schön Feuer unter dem Dach. Da verstehe ich, dass Sie, die Sie ja aus Baden-Württemberg kommen, zwischen Herrn Kretschmann und Herrn Trittin viel Abrüstungsarbeit zu leisten haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir dürfen uns aber nicht auf Spielchen, sondern müssen uns auf substanzielle Politik für unser Land konzentrieren. (Manfred Zöllmer [SPD]: Wann fangen Sie an?) Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass im globalen Forum für Transparenz und Informationsaustausch jetzt geprüft wird, wie verschiedene Staaten und Gebiete die Voraussetzungen für einen effektiven Informationsaustausch schaffen können. Wir haben dafür gesorgt, dass es bei der Erweiterung des Anwendungsbereichs der EU-Zinsrichtlinie im Hinblick auf den vom Kollegen Flosbach erläuterten Revisionsvorschlag endlich Fortschritte gibt. Als Sie damals die Verhandlungen geführt haben, haben Sie es hingenommen, dass sich Luxemburg und Österreich quasi ein Stück weit freikaufen konnten. Wir haben jedes Treffen der deutschsprachigen Finanzminister dazu genutzt, um Luxemburg und Österreich zum Überdenken der bisherigen Haltung zu bewegen. Jetzt ernten wir die Früchte unserer Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das ist konkrete Politik und nicht nur heiße Luft oder unsachgemäßer Umgang mit europäischen Nachbarn. Herr Kollege Poß, ich möchte auf das Steuerabkommen mit der Schweiz zurückkommen. (Joachim Poß [SPD]: Sehr gut! Was sagen Sie zur Neuen Zürcher Zeitung?) Wie gehen Sie eigentlich mit europäischen Nachbarn um? Vor uns hat Österreich – von einem sozialdemokratischen Bundeskanzler regiert – mit der Schweiz ein solches Abkommen ausgehandelt, dabei allerdings nicht das erreicht, was wir in dem ausgehandelten Abkommen erreicht hätten. (Joachim Poß [SPD]: Was haben die Österreicher erreicht? – Gegenruf des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Reden Sie mit den Genossen in Österreich!) Herr Poß, Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen. Ich will nicht ausschließen, dass wir jetzt, wo das Verhandlungsmandat bei der EU liegt, durch Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz im Informationsaustausch mehr erreichen, als wir durch das bilaterale Abkommen erreicht hätten. (Manfred Zöllmer [SPD]: Aha! Die Bundesregierung hat also schlecht verhandelt! Das ist das Problem!) Aber eins ist klar: Die gute Regelung der Vergangenheit, die Bund, Ländern und Gemeinden 10 Milliarden Euro zusätzlich in die Steuerkassen gespült hätte, ist ein für alle mal weg. Dafür tragen Sie die Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: 10 Milliarden hat vom Finanzministerium bisher noch keiner gesagt! – Zuruf von der FDP: Fahrlässig!) Mit der Initiative der G5-Staaten, also Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien, die unser Land gestartet hat, wollen wir wie bei dem FATCA-Abkommen mit den USA einen Informationsaustausch untereinander erreichen. Das ist eine Initiative, die Sie nicht zuwege gebracht haben. Schon bei der Vorstellung dieser Initiative ist deutlich geworden, dass sich immer mehr Mitgliedstaaten der Europäischen Union einem dann neuen Standard für EU-weiten Informationsaustausch anschließen werden. So etwas haben Sie in elfjähriger Verantwortung für die Finanzen unseres Landes durch sozialdemokratische Finanzminister nicht zustande gebracht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Selbstverständlich werden wir uns auch auf Finanzzentren außerhalb der EU konzentrieren. (Manfred Zöllmer [SPD]: Sie haben noch nicht einmal die „Schwarze Liste“ fortgeschrieben!) Es ist doch ein gutes Zeichen, dass es uns gelungen ist, dafür zu sorgen, dass jetzt auch Großbritannien sagt, dass man sowohl seine Overseas Territories als auch seine Crown Dependencies in diese Regelung mit einbeziehen wird, weil auch Großbritannien erkannt hat, dass ihm sein Steuersubstrat verloren geht. Deshalb sind wir damit, dass wir Großbritannien in diese G5-Initiative mit einbezogen haben, und der Debatte, die wir mit Großbritannien und Frankreich auf der G20-Ebene wesentlich vorangetrieben haben, auf einem guten Weg. Selbstverständlich werden wir auch die enge Kooperation mit den Vereinigten Staaten nutzen, um auf diesem Sektor weiterzukommen. Es war die klare Ansage beim Besuch des neuen amerikanischen Finanzministers hier in Berlin, dass wir alle internationalen Ebenen dafür nutzen werden, um auch hier gemeinsam mit den USA weiterzukommen. Wir sind dafür, dass das Mittel der sogenannten Schwarzen Liste für unkooperatives Verhalten wieder auflebt. (Manfred Zöllmer [SPD]: Aha! Auf einmal? – Joachim Poß [SPD]: Eine Kehrtwende?) Es wird zu überlegen sein, wie mit Staaten und Gebieten umzugehen ist, die nicht bereit sind, die Zusammenarbeit zu verbessern. Ein solches Verhalten könnte durchaus Ansatzpunkt für eine Bewertung als unkooperativ im Sinne des Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes sein. Natürlich ist auf internationaler und auf europäischer Ebene weiter entschiedenes Handeln angesagt. Die Kollegen haben bereits angesprochen, was wir national getan haben, zum Beispiel die Verschärfung bei der Selbstanzeige im Bereich von Steuerstraftaten. Wir sind der Auffassung, dass man zum Beispiel die internationalen Maßnahmen zur Geldwäschebekämpfung auch im Bereich der nationalen Steuerfestsetzung nutzen sollte. Wir denken vor allem daran, die Identifizierungspflichten, die zum Zwecke der Geldwäschebekämpfung bestehen, auch für steuerliche Zwecke nutzbar zu machen; wir haben das im Finanzausschuss in dieser Woche bereits andiskutiert. Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Ankauf von CDs sagen. Diese Bundesregierung hat immer die Auffassung vertreten, dass es besser ist, die Dinge so zu regeln, dass wir nicht mehr auf den Ankauf von Steuer-CDs angewiesen sind. (Joachim Poß [SPD]: Das haben Sie schon vor drei Monaten gesagt!) Das gilt übrigens auch im Verhältnis zur Schweiz: So viele CDs, wie Sie bräuchten, um die Dinge so grundsätzlich und dauerhaft zu lösen, wie wir das mit dem deutsch-schweizerischen Abkommen getan hätten, werden Sie auf dem Markt nie ankaufen können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Durch den Ankauf solcher Steuer-CDs können wir immer nur eines Teils derer, die Steuern hinterziehen, habhaft werden, (Joachim Poß [SPD]: Sonst würden Sie überhaupt nicht vorankommen!) während sich die anderen, solange keine CD auf den Markt kommt, die sie möglicherweise belastet, weiter verstecken können. Das ist doch ungerecht. Dies geht nach dem Zufallsprinzip, es ist wie ein großes Sieb, durch das sehr viele fallen. Das kann doch kein Prinzip für eine konsequente Durchsetzung von Steueransprüchen sein. Das Abkommen mit der Schweiz ist gescheitert. Jetzt hat Rheinland-Pfalz eine neue Steuer-CD angekauft. Wir haben dazu das Notwendige gesagt, (Joachim Poß [SPD]: Nein!) nämlich dass es in dieser Situation keine andere Möglichkeit gibt, als solche Daten auch auszuwerten. Es wäre allerdings besser gewesen, Sie hätten sich dem Steuerabkommen mit der Schweiz nicht so politisch-kleinkariert versagt. Wir werden weiter unsere Hausaufgaben machen und berechtigte Steueransprüche durchsetzen – Steuererhöhungen wären jedoch Gift für unser Land – sowie das Steuerrecht handhabbarer machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das war keine überzeugende Rede!) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Martin Gerster. Bitte schön, Kollege Martin Gerster. (Beifall bei der SPD) Martin Gerster (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Koschyk, es ist gerade einmal eine Stunde her, da hat Ihre Parteikollegin Gerda Hasselfeldt – zugegebenermaßen zu einem anderen Tagesordnungspunkt – einen sehr interessanten Satz gesagt: „Wort und Tat müssen eine Einheit sein.“ Das hätten Sie sich einmal zu Herzen nehmen sollen für Ihre Rede zu diesem Tagesordnungspunkt. Es ist ganz schön dreist, es ist eigentlich unglaublich, in welch atemberaubender Geschwindigkeit Sie sich bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung vom Verhinderer zum Vorkämpfer entwickelt haben wollen; das ist geradezu unglaublich. (Beifall bei der SPD) Wenn Sie jetzt so tun, als ob Sie immer für den automatischen Informationsaustausch gewesen wären, muss man der Öffentlichkeit die ganze Geschichte der Verhandlungen über das deutsch-schweizerische Steuerabkommen in Erinnerung rufen. Dann sehen die Leute, dass Ihre Behauptung jeder Grundlage entbehrt. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie haben das nicht einmal mit Österreich und Luxemburg geschafft!) Die Wahrheit ist doch: Sie verhindern seit Jahren, dass Steuerhinterziehung tatsächlich konsequenter verfolgt werden kann. Ich will nur an den Vorstoß zur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige erinnern, den wir in dieser Legislaturperiode gemacht haben. Der Kollege Michelbach von der CSU ist im Fernsehen aufgetreten, er hat im Panorama der ARD erklärt: Ich bin für die komplette Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige. – Und was war dann, als wir hier namentlich abgestimmt haben? Die ganze Reihe der schwarz-gelben Abgeordneten hat anders abgestimmt. Deswegen hegen wir erhebliche und berechtigte Zweifel daran, dass es Ihnen mit dem Ziel „Effektive und nachhaltige Bekämpfung von Steuerkriminalität“ wirklich ernst ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir reden hier ja nicht über eine Bagatelle oder über Kavaliersdelikte, sondern wir wissen, dass das Problem gewaltig ist. Schon vor einigen Jahren hat das Tax Justice Network errechnet, dass im Offshorefinanzsystem angelegte Gelder etwa ein Drittel des globalen Vermögens ausmachen und dass das circa 11,5 Billionen US-Dollar sind. Die daraus resultierenden Steuerausfälle auf die Erträge aus diesen Vermögenswerten wurden schon damals mit jährlich rund 250 Milliarden US-Dollar beziffert. Es gab jahrelange Diskussionen und insbesondere auch Initiativen aus der SPD heraus. Wir haben das zum Thema gemacht; Peer Steinbrück hat das zum Thema gemacht – (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Was?) mit der „Schwarzen Liste“ in Zusammenarbeit mit der OECD. Ich finde, dass insbesondere die Union gut daran täte, dafür auch einmal ein lobendes Wort zu finden; denn wir waren damals in einer Koalition, und ich finde es schon ein bisschen schäbig, dass Sie das überhaupt nicht zu würdigen wissen. (Beifall bei der SPD) Aktuell versuchen Sie wieder, zu vertuschen, dass Sie beim Thema „Bekämpfung von Steuerkriminalität“ auf der Bremse stehen. Wir sind froh – Joachim Poß hat es gesagt –, dass wir vonseiten der SPD zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen dafür gesorgt haben, dass das Steuerabkommen mit der Schweiz nicht in Kraft treten konnte, weil uns dadurch nämlich entscheidende Möglichkeiten genommen worden wären, an Informationen von Steuerhinterziehern heranzukommen. Ich bin auch froh, dass sich Rheinland-Pfalz jetzt entschlossen hat, einen Datenträger anzukaufen. Das wäre ja gar nicht mehr möglich gewesen, wenn dieses Steuerabkommen tatsächlich in Kraft gewesen wäre. Deswegen muss man an dieser Stelle einfach auch einmal sagen: Gut, dass in Rheinland-Pfalz, aber auch in Baden-Württemberg nicht Schwarz-Gelb regiert, sondern die Sozialdemokratie zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen. Hier wird tatsächlich gezeigt, wie man effektiv gegen Steuerhinterziehung vorgehen kann. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Was an einem CD-Ankauf effektiv sein soll, müssen Sie uns wirklich einmal erklären!) Das unterscheidet sich ganz extrem von dem, was die FDP zum Beispiel in Baden-Württemberg in der Regierung gemacht hat; denn damals, als die alte Landesregierung noch im Amt war, hat sich Baden-Württemberg geweigert, entsprechende Datenträger anzukaufen, (Joachim Poß [SPD]: Bayern immer noch!) und verhindert, dass wir hier tatsächlich gegen Steuerhinterziehung vorgehen konnten. Insofern sage ich: Das Bild, das Sie hier auf Bundesebene abgeben, ist schwach. Genauso schwach ist aber auch das Bild, das Sie auf Länderebene abgeben. Es ist doch entlarvend, dass Sie uns hier und den Menschen landauf, landab monatelang erzählt haben, es sei verfassungswidrig, diese Steuer-CDs anzukaufen. Das Bundesverfassungsgericht hat aber entschieden, dass es rechtens ist, diese Datenträger zu erwerben. Sie haben dann schnell einen Strategiewechsel vollzogen und uns erzählt, dass Sie jetzt ein Gesetz auf den Weg bringen möchten, (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das Urteil war ein anderes!) wonach es verboten ist, diese Datenträger-CDs tatsächlich anzukaufen. Deswegen sage ich: Das zeigt, dass Sie es mit dem Thema „Steuerhinterziehung effektiv bekämpfen“ nicht wirklich ernst meinen. Deshalb ist es gut, dass wir bald regieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Baden-Württemberg macht es vor: Die neue Landesregierung hat das Personal aufgestockt und in der Steuerverwaltung 500 zusätzliche Stellen, unter anderem für die Steuerfahndung, und 500 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen. Das kann sich sehen lassen. Es wäre gut, wenn Schwarz-Gelb es mit einer effektiven Bekämpfung von Steuerkriminalität endlich auch ernst meinen würde. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Ihr habt nichts gemacht! Jahrzehntelang wurde in Baden-Württemberg von den Schwarzen nichts gemacht!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat die Kollegin Dr. Birgit Reinemund für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Birgit Reinemund (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Vorsitzende des Finanzausschusses hatte ich gerade den Eindruck, dass die Kollegen der Opposition in den letzten Jahren nicht wirklich mit dem Kopf bei der Sache waren oder eben schon auf Wahlkampfgetöse umgeschaltet haben. (Otto Fricke [FDP]: Leider wahr!) Ich bin froh, dass wir das heute diskutieren und alles noch einmal klarstellen können. Auslöser der heutigen Aktuellen Stunde ist Offshore Leaks. Die Medien werten eine Datenfestplatte aus und veröffentlichen Fälle von Steuerflucht über diverse Steueroasen. Außer den Medien hat noch keiner diese Daten gesehen, was eigentlich schade ist. (Zuruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) Aber die öffentliche Wirkung ist enorm. Sie ist enorm wichtig, deutlich wichtiger als dieses Getöse und Geschrei der Opposition heute. Ich begrüße diese Diskussion ausdrücklich. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Koalition ist sich noch nicht sicher, ob sie hier zustimmt!) Wir sind Vorreiter bei der Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Wir sind seit dreieinhalb Jahren in der Steuergesetzgebung dabei, Steuervermeidung weiter einzuschränken. Wir begrüßen den öffentlichen Druck, gemeinsam die Steuerhinterziehung zu bekämpfen, europäisch und international, und gemeinsam Steuervermeidungsstrategien aufzudecken. Erste konkrete Wirkung: Luxemburg will nun die EU-Zinsrichtlinie umsetzen. Österreich denkt darüber nach. (Manfred Zöllmer [SPD]: Genau! Nach der Verhinderung des Steuerabkommens!) Die Allianz der Willigen wird größer, die Vorhaben konkret, und Deutschland geht an der Spitze. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) In der Anhörung des Finanzausschusses haben die Sachverständigen unisono bestätigt, dass nicht die deutsche Rechtslage das Problem ist, sondern die ungenügende internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen. Hartnäckiges Verhandeln hilft hier weiter, sonst nichts. Wenn hier jemand hartnäckig verhandelt, dann dieser Finanzminister, Minister Schäuble: bilateral mit einzelnen Staaten und multilateral auf der Ebene der EU, der G 8, der G 20 und der OECD. (Manfred Zöllmer [SPD]: Wie hartnäckig, haben wir an der Schweiz gesehen! Selbst der Staatssekretär sagt, er verhandelt in der EU besser!) Respektvoll im Ton und hartnäckig in der Verhandlung, (Beifall des Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU] – Joachim Poß [SPD]: Ihr wollt doch die Anonymität!) so ist diese Bundesregierung erfolgreicher als alle zuvor, vor allen Dingen erfolgreicher als Exminister Steinbrück, der unserem Nachbarn mit Kavallerie und Einmarsch drohte und heute meint, das Zeug zum Kanzler zu haben. (Beifall bei der FDP) Schon peinlich, dass er jetzt ein Acht-Punkte-Papier vorlegt, und zwar als gute Zusammenfassung dessen, was Schwarz-Gelb bereits auf den Weg gebracht hat. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD – Manfred Zöllmer [SPD]: Da müssen Sie ja selber lachen!) Staatssekretär Koschyk hat uns gerade hier wie auch gestern im Ausschuss die vielen internationalen Initiativen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und von Steuervermeidung noch einmal eindrucksvoll aufgelistet. Ich hatte im Ausschuss den Eindruck, dass auch die Opposition ehrlich beeindruckt war. In den Beratungen stöhnen Sie über zu viel, zu schnell und zu umfangreich. Hier im Plenum jammern Sie über zu wenig, zu langsam und nicht weit genug. Was wollen Sie denn nun eigentlich außer Getöse? In dieser Legislaturperiode haben wir mehr umgesetzt als je zuvor. Das sind vier gute Jahre für Deutschland. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Im Rahmen von G 20 und OECD sind wir Vorreiter bei der Bekämpfung von Steuervermeidung und Gewinnverlagerung internationaler Konzerne in Niedrigsteuerländer. Nicht umsonst hat Deutschland den Vorsitz der Arbeitsgruppe, die die wichtigen Fragen Abkommensmissbrauch, steuerschädlicher Wettbewerb und besserer Informationsaustausch bearbeitet. Circa 90 Doppelbesteuerungsabkommen haben wir in dieser Legislaturperiode neu aufgesetzt oder nach dem neuesten OECD-Standard aktualisiert, inklusive großer Auskunftsklausel. Weitere 70 Abkommen sind gerade in Verhandlung. Deutschland bleibt die treibende Kraft bei weiteren EU-Initiativen. Das gilt für den Aktionsplan zur Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, die Erweiterung der EU-Zinsrichtlinie, die Anpassung der Zinsbesteuerungsabkommen mit der Schweiz, mit Liechtenstein, San Marino, Monaco und Andorra, die G5-Initiative, bei der Deutschland zusammen mit Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien den automatischen Informationsaustausch auf alle Kapitaleinkünfte ausweiten will. Überall sind wir die Vorreiter. Natürlich haben wir auch die Hausaufgaben in der deutschen Gesetzgebung gemacht. Wir haben das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz verabschiedet und dabei die Bedingungen für die strafbefreiende Selbstanzeige deutlich verschärft. Wir haben das Geldwäschegesetz verschärft und dabei Geldkarten, Spielautomaten usw. in die Regelungen einbezogen und vieles mehr. Was national geregelt werden kann, haben wir geregelt. Was international verhandelt werden muss, ist auf den Weg gebracht. (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Und national?) Nicht nur international, sondern durchaus auch national gibt es hier auf der linken Seite des Hauses Bremser bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Damit kommen wir wieder zum Beispiel Schweiz. Seit dem 1. Januar 2013 könnten wir eine Gleichbesteuerung von Kapitalerträgen von Deutschen in der Schweiz in gleicher Höhe wie in Deutschland haben. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Theoretisch ja! Aber Sie wissen nicht, woher das Geld kommt!) Seit dem 1. Januar könnten Bund, Länder und Kommunen Millionen Euro Jahr für Jahr einnehmen, (Norbert Schindler [CDU/CSU]: Milliarden!) und erstmals würden alle Gelder auf Konten von Deutschen in der Schweiz flächendeckend nachbesteuert, egal ob legal versteuertes Geld oder Schwarzgeld, egal ob bereits verjährt oder eben nicht. SPD und Grüne haben das verhindert und schützen damit die Steuerbetrüger in der Schweiz. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Quatsch mit Soße! – Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist nun gründlicher Unsinn, was Sie uns da erzählen!) Rückwirkende Regelungen wird es jetzt nicht mehr geben. Jahr für Jahr verjähren Ansprüche in Milliardenhöhe. Dieses Geld ist für Deutschland verloren. Ihre Totalblockade im Bundesrat verhindert die Regelung von Cash-GmbH und RETT-Blockern sowie die Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie. (Manfred Zöllmer [SPD]: Also wirklich! Jetzt ist es gut! Bleiben Sie bei der Wahrheit!) Sie torpedieren damit jedes Engagement für mehr Steuergerechtigkeit. Die Bürger werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin. Dr. Birgit Reinemund (FDP): Ich komme zum Ende. Diese Regierung arbeitet gründlich und verhandelt hartnäckig und erfolgreich. Das sind vier gute Jahre für Deutschland; denn die finanzpolitische Vernunft ist schwarz-gelb. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Manfred Zöllmer hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Manfred Zöllmer (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wer heute noch regulär Steuern zahlt, den kann man einen Steuerpatrioten nennen – oder einen Idioten“, so weit der für Steuern zuständige EU-Generaldirektor Heinz Zourek. Wir haben es gehört: 400 Milliarden Euro deutsches Schwarzgeld werden in Steueroasen versteckt. In Europa belaufen sich die Steuerausfälle auf über 1 Billion Euro jährlich. Jahrelang hat Finanzminister Schäuble, jahrelang hat die schwarz-gelbe Koalition nichts, aber auch gar nichts gegen diese auch von Finanzinstituten geförderte Steuerflucht unternommen. Erst jetzt werden Sie wach. Nun versuchen Sie, sich mit fremden Federn zu schmücken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: 11 Jahre SPD-Finanzminister!) Zur Veränderung der Situation haben einige einen Beitrag geleistet. Das waren Journalisten, denen Daten zugespielt wurden. Das waren die USA mit dem Gesetz FACTA. Das waren natürlich auch Steuer-CDs. Zuletzt wurde eine Steuer-CD von Rheinland-Pfalz angekauft. (Otto Fricke [FDP]: Von wem? Von Kriminellen!) Von dieser CD verspricht man sich Mehreinnahmen für den Staat in Höhe von über 500 Millionen Euro. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: „Verspricht“!) – In der Tat verspricht man sich so viel davon. – Ich erinnere daran, dass früher aufmerksame Steuerfahnder schon einmal für paranoid erklärt wurden, weil sie nach Meinung der damaligen schwarz-gelben Landesregierung in Hessen zu genau hingeschaut haben. Diese Fahnder wurden dann in Pension geschickt. So sind Sie mit diesem Thema früher umgegangen. (Beifall bei der SPD) Schauen wir uns das Thema Steuer-CD einmal genauer an. Da erleben wir eine ganze Menge. Herr Wissing hat gesagt, dass es von Herrn Gabriel unverantwortlich sei, lieber mit Kriminellen zusammenzuarbeiten, die Steuer-CDs mit gestohlenen Daten anbieten, anstatt ein sauber ausgehandeltes Abkommen mit der Schweiz zu unterstützen. (Otto Fricke [FDP]: Sind es Kriminelle, oder nicht?) Die Justizministerin hat sich sogar für ein Verbot des Ankaufs von Steuer-CDs ausgesprochen. Insgesamt kann man feststellen, dass es widersprüchliche Signale aus den Koalitionsfraktionen gibt; das kennen wir schon. Eine Zeit lang war von der Gurkentruppe und von Wildsäuen die Rede. Man könnte meinen, das sei Vergangenheit. Aber das ist es nicht; denn nun kommt Herr Brüderle und bezeichnet die aktuelle Beschaffung einer Steuer-CD als Hehlerei. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Welche Verzweiflung bei der SPD! – Otto Fricke [FDP]: Das ist es doch auch!) Ich habe mir als Nichtjurist einmal erlaubt, nachzuschauen, was man darunter zu verstehen hat. Bei Wikipedia heißt es: (Otto Fricke [FDP]: Wikipedia! Das steht im Strafgesetzbuch!) Die Hehlerei ist die bedeutendste Anschlussstraftat an eine zuvor begangene, gegen fremdes Vermögen gerichtete Straftat … Das heißt, Herr Brüderle ist der Meinung, dass die Regierung von Rheinland-Pfalz mit dem Ankauf der CD eine Straftat begangen hat. Das muss man sich einmal vorstellen! Da kann man wirklich von einem Schutzpatron der Steuerflüchtlinge reden. (Beifall bei der SPD) Im Finanzausschuss hat Herr Staatssekretär Koschyk gestern erklärt, der Ankauf von Steuer-CDs sei eine legitime Möglichkeit, Steuerhinterzieher zu ermitteln. Ist das jetzt partielle politische Umnachtung bei dem Versuch von Teilen der Koalition, mit diesem Thema umzugehen? Tatsächlich herrscht bei Ihnen ein politisches Gesamtchaos. Man muss die Frage stellen: Wie ehrlich meint es diese Koalition eigentlich mit der Bekämpfung von Steuerkriminalität? Man bekommt den Eindruck, das sei nur Wahlkampfgetöse, das seien nur leere Schachteln. Wenn Sie sich an den Kosten beteiligen würden, dann würde man das vielleicht anders bewerten. Dann würde man vielleicht zu der Erkenntnis kommen, dass Sie es wirklich ernst meinen. (Beifall bei der SPD) In der gleichen Sitzung des Finanzausschusses hat dann der Staatssekretär Koschyk einen automatischen Informationsaustausch über alle Kapitaleinkünfte in ganz Europa gefordert. (Joachim Poß [SPD]: Das war die Erkenntniswende!) Das finde ich sehr gut. Wenn es da nicht dieses Schweizer Steuerabkommen gegeben hätte, das Sie ausgehandelt haben und von dem Sie eben erklärt haben, dass die EU jetzt viel besser verhandele als die Bundesregierung verhandelt habe! (Otto Fricke [FDP]: Wer hat das gesagt?) Dieses Abkommen ist ja das genaue Gegenteil von Transparenz gewesen, das Gegenteil von Betrugsbekämpfung. (Beifall bei der SPD) Steuerhinterziehung würde legalisiert. Es ist wirklich gut, dass der Bundesrat das abgelehnt hat. (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was ist gut, wenn man 10 Milliarden verliert?) Angesichts meiner Vorrednerin muss ich noch einmal auf das eingehen, was die Neue Zürcher Zeitung geschrieben hat. Wörtlich: Der Rückenwind für den AIA – den automatischen Informationsaustausch – war in der EU noch nie so stark. Und die Schweizer Strategie, über Abgeltungssteuer-Abkommen mit einzelnen Staaten die EU auseinanderzudividieren und sich von den Vertragspartnern das Quellensteuer-Modell garantieren zu lassen, ist nicht aufgegangen. Es ist nicht aufgegangen, weil wir es verhindert haben. Sie hingegen wären dieser Strategie auf den Leim gegangen. Das ist genau das Gegenteil von Transparenz in Europa. (Beifall bei der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Schön herausgearbeitet!) Es gibt neben diesen kriminellen Steuerhinterziehungen natürlich auch noch andere Bereiche der aggressiven Steuergestaltung. Dazu wollte ich ursprünglich auch noch etwas sagen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das schaffen Sie aber gar nicht mehr. Manfred Zöllmer (SPD): Aber das geht jetzt überhaupt nicht. Deswegen lautet mein Appell an die Bundesregierung: Machen Sie durch Taten deutlich, dass Ihnen die Bekämpfung von Steuerkriminalität wirklich ernst ist. Dann werden Sie uns, die Sozialdemokraten, an Ihrer Seite haben. (Otto Fricke [FDP]: Das brauchen wir gerade!) Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Hans Michelbach jetzt das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Bei der Bekämpfung von Steueroasen, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung lässt sich unsere Koalition von niemandem überbieten. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir unterstützen sachgemäß Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und das Ministerium, das in der Europäischen Union und in der Gruppe der G 20 federführend und nachdrücklich tätig ist, wenn es darum geht, Steuerhinterziehung und grenzüberschreitende Steuergestaltung zu bekämpfen, der Aushöhlung der Steuerbemessungsgrundlage und der Gewinnverschiebung internationaler Konzerne Einhalt zu gebieten, die internationale Zusammenarbeit zu verbessern und letzten Endes Steueroasen durch den automatischen Informationsaustausch Schritt für Schritt auszutrocknen. Das sind die Aufgabenfelder, die massiv und aktiv bearbeitet werden, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir begrüßen besonders das vom Bundesfinanzminister zusammen mit seinem englischen und seinem französischen Kollegen initiierte Projekt PePs, weil das Problem nicht allein national- oder EU-rechtlich gelöst, sondern nur international angegangen werden kann. (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: So ist es!) Die OECD erarbeitet in drei Arbeitsgruppen unter deutschem Vorsitz insbesondere einen Aktionsplan über Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerungen. Deutschland plädiert hier für einheitliche Mindeststeuern, um die optimierende Steuergestaltung einzudämmen. Wir haben ja letzthin darüber diskutiert: Es wird von uns nicht hingenommen, dass Amazon und Google hier nur 2, 3 Prozent versteuern. Das ist wettbewerbsungerecht. Deswegen wollen wir, dass sich hier massiv etwas ändert. Das ist aber nicht die Schuld des deutschen Fiskus. In verschiedenen Ländern, wie Irland, Holland (Zuruf von der FDP: Niederlande!) und Luxemburg, gibt es Steuerdumping. Wir versuchen natürlich, dieses Steuerdumping massiv zu bekämpfen. (Zuruf von der SPD: Schlupflöcher!) International tätigen Unternehmen soll eben nicht länger ermöglicht werden, durch fragwürdige Steuergestaltung und das Nutzen von Steueroasen den Nationalstaaten rechtmäßige Steuereinnahmen nicht zu gewähren bzw. Steuereinnahmen zu hinterziehen. Die Steuervermeidungsstrategien internationaler Großkonzerne sind nämlich wettbewerbsfeindlich gegenüber den vielen mittelständischen Unternehmen, die hier im Wettbewerb stehen. Wir wollen legitime Steueransprüche konsequent durchsetzen, und es wäre für uns der richtige Weg, wenn wir jetzt für das, was die Journalisten unter dem Titel „Offshore Leaks“ veröffentlicht haben, nun auch Ross und Reiter genannt bekämen. Wir wollen die Angaben prüfen und die Steuerhinterziehung bekämpfen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das ist Sache des deutschen Fiskus. Das gehört nicht nur in die Printpresse bzw. die Zeitungen. Im Kampf gegen die internationale Steuerhinterziehung und Steuervermeidung setzen wir als wichtigste Maßnahme auf Transparenz und auf die Diplomatie, um diese auch durchzusetzen. Wenn ich von Diplomatie spreche: Gerade die SPD muss in diesem Punkt zunächst einmal vor der eigenen Haustür kehren. Obwohl die SPD elf Jahre den Bundesfinanzminister stellte, hat sie doch letzten Endes nichts bewirkt. Was hat denn Herr Steinbrück in seiner Zeit als Bundesfinanzminister erreicht? Nichts außer Verhärtungen, Drohungen, Ablehnungen, Verzögerungen und mehr Steuerhinterziehung. Das ist das Ergebnis von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Das ist die Wahrheit. (Beifall der Abg. Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU] und Dr. Birgit Reinemund [FDP]) Sie haben mit Ihrer Blockade im Bundesrat eine Verjährung der Steuerhinterziehung wissentlich in Kauf genommen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das haben Sie nicht verstanden!) Die SPD begünstigt Steuerhinterziehung in Höhe von 10 Milliarden Euro. Das ist Untreue gegenüber dem deutschen Steuerzahler schlechthin. Das ist die Wahrheit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Heinz-Peter Haustein [FDP]) Der Gipfel der Heuchelei ist der Acht-Punkte-Plan der SPD, die sogenannte Braunschweiger Erklärung. Dabei schaut doch in Nordrhein-Westfalen die rot-grüne Regierung nach wie vor zu, wie die WestLB-Rechtsnachfolgerin Portigon AG Anleiheprojekte in der Steueroase Curaçao realisiert. (Joachim Poß [SPD]: Die waren doch direkt vor der Haustür!) Unter den Käufern dieser Anleihe ist im Übrigen auch der Brandenburger Finanzminister Markov von den Linken. Liebe Genossinnen und Genossen, kehrt vor der eigenen Tür. In Curaçao macht er die Anlagegeschäfte, die Sie hier kritisieren. Kehren Sie vor der eigenen Tür. (Widerspruch bei der SPD) Machen Sie bei unseren gesetzlichen Maßnahmen mit. Dann gehen Sie den richtigen Weg. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Sie gehen in die falsche Richtung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Was haben Sie denn mit dem Jörg Haider für Geschäfte gemacht?) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die SPD hat der Kollege Dr. Carsten Sieling jetzt das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Carsten Sieling (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben die heutige Aktuelle Stunde „Kampf gegen Steuerhinterziehung“ betitelt. Wir wollten gerne, dass hier diskutiert wird und der Öffentlichkeit deutlich gemacht wird, was man gegen das tun kann, was insbesondere in den letzten Tagen und Wochen bekannt geworden ist. Von denjenigen, die nicht nur reden und Vorschläge machen können, sondern auch umsetzen können, haben wir hier Nebelwerfereien über große Taten aus der Vergangenheit erlebt und Ankündigungen dahin gehend gehört, was man international machen kann. (Zuruf der Abg. Dr. Birgit Reinemund [FDP]) Ich muss Ihnen deutlich sagen: Ich finde, das reicht vorne und hinten nicht. Wenn man ernsthaft gegen Steuerhinterziehung vorgehen will, muss man gucken, was man zu Hause machen kann, und muss damit auch anfangen. (Beifall bei der SPD) Weil Sie die Möglichkeit, in dem Bereich vom Saulus zum Paulus zu werden, nicht genutzt haben, will ich meine Redezeit nutzen, um fünf Punkte zu nennen, die Sie national sofort umsetzen können, sogar noch in dieser Legislaturperiode. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Man vergleicht das sofort mit elf Jahren SPD-Regierung!) – Auch dazu werde ich noch etwas sagen, Herr Kollege. Punkt eins. Bauen Sie die Steuerfahndung nachhaltig aus. (Otto Fricke [FDP]: Wer macht das?) Stärken Sie diesen Bereich durch entsprechendes Personal, und tun Sie das bitte auch in Ihren Ländern. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist doch Ländersache!) Kollege Gerster hat hier ausgeführt, was Baden-Württemberg getan hat, nachdem endlich Ihre Parteigänger abgewählt worden sind. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Machen Sie das doch in Bremen!) – Herr Kollege, wir machen es in Bremen. – Ich nenne nur ein Beispiel: Das ist Herr Bouffier. Heute ist er Ministerpräsident in Hessen mit Endlaufzeit bis September. Er war, glaube ich, Innenminister, als er dafür gesorgt hat, dass Steuerprüfer, die ihre Sache ernst genommen haben, in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurden, weil sie aus seiner Sicht übereifrig waren. Das ist Ihre Steuerfahndungsverhinderungsmaschine gewesen. Ändern Sie das! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Punkt zwei. Sie haben im Jahressteuergesetz Regelungen gestrichen, durch die Steuerflucht und -hinterziehung bekämpft werden. Insbesondere geht es dabei um einen Informationsaustausch über Kapitalerträge nach dem EU-Amtshilfegesetz. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Was haben wir denn da herausgestrichen? Das erklären Sie mal den Leuten! Das können Sie doch nicht erklären!) Über den Bundesrat bringen wir diese Regelungen Gott sei Dank wieder in das Gesetz ein. Das Ganze ist jetzt im Vermittlungsausschuss. Meine Damen und Herren, ändern Sie Ihr Jahressteuergesetz! Stimmen Sie unserem Vorschlag zu! Dann können wir auch da nachhaltig zugreifen. Das war mein zweiter Vorschlag für eine ganz konkrete Vorgehensweise. (Beifall bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Sie haben das im Bundesrat blockiert!) Punkt drei. Peer Steinbrück hat es auf den Weg gebracht, dass die OECD so etwas wie eine schwarze Liste aufstellt. Diese Liste ist mittlerweile ausgetrocknet; da steht nichts mehr drauf. Aber Sie haben als Regierung die Chance, von Deutschland aus wieder Druck zu machen und vor allem für Deutschland eine schwarze Liste zu erstellen. Damit würde ganz klar festgestellt, welche die Sünderländer sind. Das könnte das zwischenstaatliche Klima ändern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Punkt vier. Natürlich gibt es die Möglichkeit, bevor man internationale Vereinbarungen trifft, das zu leisten, was FACTA in den USA leistet. Natürlich gibt es die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass zum Beispiel Banken und Finanzinstitute, die Steuerflucht unterstützen, zu Strafen herangezogen werden, dass Strafen erhöht werden, bis hin zum Entzug von Geschäftsführertätigkeiten und von Banklizenzen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das kann die BaFin heute schon!) Machen Sie das! Das können Sie hier in Deutschland voranbringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Letzter Punkt; er ist tagesaktuell. Hier ist vielfach angesprochen worden, dass Steuer-CDs angekauft worden sind. (Otto Fricke [FDP]: Von wem?) – Von Bundesländern. (Otto Fricke [FDP]: Von wem, nicht durch wen?) An genau dieser Stelle redet die FDP immer noch von Hehlerei. Die FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger will solche Ankäufe sogar verbieten. Sie möchten dergleichen also regelrecht verhindern. (Otto Fricke [FDP]: Sie würden dann auch von einem Erpresser kaufen, nicht wahr?) Ich darf einmal am Beispiel von Nordrhein-Westfalen aufzeigen, was der Ankauf einer solchen CD bringt. Der dortige Finanzminister Norbert Walter-Borjans hat das sehr deutlich gemacht. (Otto Fricke [FDP]: Das ist der mit den Milliarden Schulden! Das ist der mit dem Verfassungsgerichtsurteil gegen sich!) – Das ist der Mann aus Nordrhein-Westfalen, der zugreift, Herr Fricke. Sie kommen aus dem gleichen Bundesland wie er. Den von Nordrhein-Westfalen angekauften Steuer-CDs lassen sich 3 000 Straftaten entnehmen. Mittlerweile hat es 8 000 Selbstanzeigen gegeben. Allein Nordrhein-Westfalen hat Steuermehreinnahmen in Höhe von 670 Millionen Euro. Sie wollen das liegen lassen. Damit vergehen Sie sich wirklich am Wohl dieses Volkes. Ändern Sie da Ihr Herangehen. Kaufen Sie auch, und unterstützen Sie das auch. Prüfen Sie nicht immer nur, sondern beschließen Sie, dass die Länder, in denen Sie regieren, ebenfalls für solche CDs bezahlen. Sorgen Sie dafür, dass auch der Bund dafür bezahlt. Das wäre das richtige Vorgehen. (Beifall bei der SPD) Das war Punkt fünf. Damit komme ich zum Schluss. Ich will nur noch auf eines hinweisen – schließlich wird immer wieder gesagt, das hätten die Sozialdemokraten doch alles tun können –: (Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Ja! Richtig!) 2002 haben wir hier im Bundestag einen Gesetzentwurf verabschiedet, durch den das Bankgeheimnis abgeschafft werden sollte. Sie haben ihn mit Ihrer damaligen Mehrheit im Bundesrat blockiert, und Sie haben somit verhindert, dass Bankgeschäfte endlich transparent werden. Sie tragen die Verantwortung, auch für die Vergangenheit. Das Gute, was Sozialdemokraten und Grüne angefangen haben, haben Sie verhindert, und damit tragen auch Sie an dieser Stelle daran Schuld, dass der Kampf gegen Steuerhinterziehung in Deutschland ein stiefmütterliches Dasein fristet. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: So ein Unsinn!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Manfred Kolbe das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sieling, Ihre ganze Aufgeregtheit (Dr. Carsten Sieling [SPD]: Über Sie kann man sich auch aufregen!) und auch Ihr Statement hier, die Bekämpfung der Steuerhinterziehung sei zum Erliegen gekommen, sind doch schlicht und ergreifend fehl am Platz. Diese Bundesregierung, seit 2005 von Angela Merkel geführt, ist die erfolgreichste Bundesregierung hinsichtlich der Bekämpfung der Steuerhinterziehung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Sie kommen doch nicht an den Fakten vorbei. Ich liste sie noch einmal auf. Um alle zu nennen, würde meine Redezeit gar nicht reichen. Ich nenne Ihnen nur die wichtigsten: Wir haben den qualifizierten Tatbestand der bandenmäßigen Umsatzsteuerhinterziehung – § 370 Abs. 2 Abgabenordnung – eingeführt. Wir haben die Telekommunikationsüberwachung bei Steuerdelikten eingeführt; sie gab es vorher nicht. Wir haben die Verjährungsfrist bei schwerer Steuerhinterziehung von fünf auf zehn Jahre verlängert. Wir haben Einschränkungen bei der strafbefreienden Selbstanzeige vorgenommen. Es gibt jetzt keine Teilselbstanzeige mehr, und auch der Zeitpunkt der Tatentdeckung ist vorverlagert worden. Die Selbstanzeige als Mittel einer Hinterziehungsstrategie scheidet also aus. Zu den CDs, die Sie hier immer wieder in die Diskussion bringen: Jeder weiß, dass das problematisch ist. Diese Bundesregierung hat aber von Anfang an einen klaren Standpunkt gehabt. Ich zitiere Angela Merkel vom 1. Februar 2010: Vom Ziel her sollten wir, wenn diese Daten relevant sind, auch in ihren Besitz kommen. Jeder vernünftige Mensch weiß, dass Steuerhinterziehung geahndet werden muss. (Manfred Zöllmer [SPD]: Nur die Justizministerin weiß es nicht und der Fraktionsvorsitzende der FDP in Nordrhein-Westfalen auch nicht!) So Angela Merkel. Das ist immerhin die Bundeskanzlerin. Eine ganz klare Position, von Anfang an! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vergleichen Sie bitte einmal die Zeit ab 2005 mit der Zeit vor 2005! Von 1998 bis 2005 hat Rot-Grün regiert. (Manfred Zöllmer [SPD]: Und Sie haben blockiert! – Joachim Poß [SPD]: Sie haben im Bundesrat alles im Interesse der Steuerhinterzieher gemacht, mit Ihrer Mehrheit!) Frau Andreae, das sollten Sie sich vielleicht noch einmal vergegenwärtigen, auch wenn Sie nicht die ganze Zeit dabei waren. Was ist denn in den sieben Jahren unter Rot-Grün passiert? Da ist doch jedem nur Eichels Steueramnestie aus dem Jahr 2003 in Erinnerung. Das nannte sich dann pikanterweise auch noch „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“. Was haben Sie denn damals gemacht? Sie haben bei hinterzogenen Steuern die Bemessungsgrundlage ermäßigt: bei der Einkommensteuer auf 60 Prozent, bei der Erbschaftsteuer auf 20 Prozent und bei der Gewerbesteuer auf 10 Prozent. (Joachim Poß [SPD]: Aber wir haben nie Anonymität zugesagt!) Die erhofften und in den Haushalt eingestellten 5 Milliarden Euro sind nie gekommen. Am Ende sind klägliche 1,2 Milliarden Euro gekommen. Diese sieben Jahre, die waren doch wirklich blamabel. Da können Sie jetzt nicht das große Wort führen. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist richtig: Wir haben 2005 bis 2009 in der Großen Koalition gut zusammengearbeitet. Sie haben den Bundesfinanzminister gestellt. Aber auch schon damals war Peer Steinbrück eher für die Abteilung Klamauk zuständig. Die Kavallerie ritt gegen die völlig unschuldigen Indianer aus; Ouagadougou, die Republik Burkina Faso, die mit Steuerhinterziehung nun wirklich nichts zu tun hat, wurde beleidigt usw. Das alles war doch nicht unbedingt zielführend. – Ein kleiner Einschub, Herr Poß: Wovor hat die SPD im Augenblick am meisten Angst? Dass Peer Steinbrück wieder mal ankündigt, Klartext zu reden! – Das war damals genauso wie heute. (Joachim Poß [SPD]: Sie leben offenbar von sehr alten Lesefrüchten, Herr Kollege! Sie sind nicht ganz auf der Höhe der Zeit! Wir hatten den Eindruck schon öfter, dass Sie nicht auf der Höhe der Zeit sind!) Sie, Herr Poß, haben gleich zu Beginn wieder das Schweiz-Bashing fortgesetzt. Sicherlich war der Finanzplatz Schweiz nicht unproblematisch. (Joachim Poß [SPD]: Haben Sie nähere Kenntnisse?) Aber die Schweiz bemüht sich doch ehrlich, hiervon wegzukommen. Deshalb: Ruinieren Sie doch nicht das Verhältnis zu einem guten Nachbarn! (Joachim Poß [SPD]: Was heißt „guter Nachbar“? Die Schweiz war objektiv Hehler! Sie hat mit dafür gesorgt, dass dem deutschen Staat Geld entzogen wurde!) Wir führen hier ja auch nicht ständig die in Paris augenblicklich regierenden Champagnersozialisten vor, bloß weil dort der Haushaltsstaatssekretär ein Schwarzgeldkonto in der Schweiz mit 600 000 Euro hatte. Das ist nicht typisch für Frankreich. Also, achten Sie doch auch einmal ein bisschen auf die Beziehungen zu unseren Nachbarn! Die Bemerkungen über Italien, über Grillo usw., waren doch alle nicht notwendig. (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Achten Sie doch mal auf die Prinzipien des deutschen Rechtsstaats!) Wir dagegen arbeiten sachorientiert, auch international – das ist ja schon genannt worden –: BEPS, Aktionsplan EU-Kommission, EU-Zinsrichtlinie, FACTA, G5Initiative usw. Das wird auch zum Erfolg führen. (Joachim Poß [SPD]: Das hat doch mit Ihren Aktivitäten nichts zu tun!) Eines müssen wir in Europa konstatieren – ich glaube, das können wir fraktionsübergreifend konstatieren –: Steueroasen sind nicht irgendwelche fernen Inseln, sondern zu einer Steueroase gehört auch eine gewisse Rechtssicherheit, eine gewisse Rechtskultur; denn sonst ist das Geld dort nicht sicher. Das gibt es im Regelfall nicht ohne eine enge Anbindung an Europa. Alle diese Inseln – Cookinseln, Jungferninseln, Inseln hinter dem Winde, Inseln vor dem Winde usw. – haben sehr enge Beziehungen zu ihren ehemaligen Kolonialmächten und damit zu Europa. Wir hier in Europa haben es deshalb in der Hand, dagegen vorzugehen. Da ist die Bundesregierung führend und leistet gute Arbeit. Ich bedanke mich namens meiner Fraktion dafür und wünsche der Bundesregierung und uns allen dabei weiterhin viel Erfolg. Derjenige, der Steuern zahlt, tut das nicht nur aus patriotischen Gründen – er ist auch kein Idiot –, sondern der tut das, um diese unsere soziale Gemeinschaft zu finanzieren. Dafür müssen wir als Parlamentarier eintreten. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat der Kollege Ralph Brinkhaus das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines vielleicht vorausgeschickt: Aus welchen Gründen auch immer man das Steuerabkommen mit der Schweiz blockiert hat – ich will das gar nicht inhaltlich bewerten –: (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal, wie viel Gesetze!) Das hat die Kommunen, die Länder und die Bundesrepublik Deutschland, wie der Staatssekretär ausgeführt hat, Milliardenbeträge gekostet. Das hat allein die Kommunen bei mir im Kreis Gütersloh – daher komme ich – einen siebenstelligen Betrag gekostet. Erklären Sie bitte den Kommunalpolitikern, warum Feuerwehrhäuser, Kindergärten, Schulen nicht mehr gebaut werden können: (Lachen bei der SPD) Weil Sie dieses Steuerabkommen blockiert haben! Das ist nämlich die Wahrheit. (Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Man ist ja viel von Ihnen gewohnt! Aber das ist ja jenseits von Gut und Böse!) Beim Kampf gegen Steuerhinterziehung sind wir uns, glaube ich, alle einig. Es gibt niemanden in diesem Haus, der irgendwelche Sympathien für jemanden hat, der Steuern hinterzieht. Aber es lohnt sich, da eine saubere Analyse zu machen. Die saubere Analyse besteht darin, dass wir feststellen können – das ist uns auch in Fachgesprächen und in Anhörungen bestätigt worden; Ihnen übrigens auch –, dass das deutsche Recht ziemlich gut ist. Das deutsche Recht ist ziemlich gut gewachsen über viele Bundesregierungen – Sie waren auch dabei. (Ausfall der Mikrofonanlage – Joachim Poß [SPD]: Man versteht ja gar nichts mehr! Ihre goldenen Worte gehen verloren!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir checken das gerade einmal. Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Sabotage. – Jetzt ist es wieder an. (Zuruf von der FDP: Gebt ihm noch eine Minute mehr! – Joachim Poß [SPD]: Das Mikrofon hat Ihre abenteuerliche Rede nicht ausgehalten!) Das deutsche Recht ist gut. Ganz ehrlich, Herr Poß: Sie reden über das Bankgeheimnis. Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass in Deutschland das Bankgeheimnis kein Hindernis ist, Steuerfahndungsmaßnahmen einzuleiten. Die einschlägige Paragrafenkette – das findet man schon bei Wikipedia, Herr Zöllmer, nicht? –: 30 a, 88 und 93 Abgabenordnung. Lesen Sie sich das einfach einmal durch! Das heißt, jeder, der in Deutschland Steuern hinterzieht, kann auch durch das Bankgeheimnis nicht geschützt werden. Also erzählen Sie hier doch nicht das Märchen, dass es das Problem ist, dass wir hier in Deutschland ein Bankgeheimnis haben! Das ist schlichtweg nicht wahr. Der zweite Punkt ist folgender: Das Problem – das haben wir doch alle ganz klar identifiziert – liegt im Ausland. Wir haben dort drei Problemblöcke. Der erste Problemblock liegt darin, dass es Länder gibt, die uns partout nicht mitteilen wollen, wer aus Deutschland dort sein Geld angelegt hat. (Joachim Poß [SPD]: Wie die Schweiz!) Dagegen haben wir gearbeitet. Ich habe es gerade noch einmal herausgeholt. Wir haben in der letzten bzw. in dieser Legislaturperiode mehr als 40 Doppelbesteuerungsabkommen, Abkommen über Informationsaustausch und Ähnliches abgeschlossen. Die Vorsitzende des Finanzausschusses hat darauf hingewiesen. Das ist auch genau der Weg, wie so etwas zu erfolgen hat: auf diplomatischem Weg, nicht mit der Kavallerie, sondern auf dem Verhandlungsweg. Das ist nicht sonderlich populär, das ist nicht der große grüne Knopf, wo man sagt: Darauf drücke ich, und alles wird gut. – Das ist harte Arbeit. Ich kann mich bei der Bundesregierung nur dafür bedanken, dass sie diese harte Arbeit geleistet hat und das so gut durchgezogen hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Der zweite Problemblock liegt darin, dass es Länder gibt, die wesentlich niedrigere Steuersätze als wir haben – im Übrigen auch in Europa. Auch darüber muss man reden. Dazu gehört Zypern; dazu gehört im Übrigen auch Irland, für das wir heute sehr großzügig die Konditionen für die Hilfskredite, für die Bürgschaften verlängert haben. Dementsprechend sollte es unser Anspruch sein – von uns allen –, dass wir immer wieder darauf hinweisen. Der dritte Problemblock besteht darin, dass es Länder gibt, die die Steuergesetze so ausgestaltet haben, dass man Schlupflöcher finden kann, wie man Geld irgendwohin verlagern kann. Das ist genau der Fall, über den wir auch geredet haben. Das ist Apple, das ist Google. Das nennt man „Double Irish with a Dutch Sandwich“. Da sind unsere Freunde aus den Niederlanden ganz vorn dabei, da sind unsere Freunde aus Irland ganz vorn dabei, und ich glaube, wir tun gut daran, das Ganze im europäischen Prozess zu adressieren. Das macht die Bundesregierung. Im Übrigen ist die Bundesregierung – darauf wurde schon mehrfach hingewiesen – bei den Arbeitsgruppen in der OECD führend, macht am meisten Druck. Ich denke einmal, da sind wir auf einem guten Weg. Ich denke auch, die Vorschläge von Herrn Sieling waren nicht so sonderlich überzeugend. Das waren die Forderungen: mehr Fahnder – das ist Aufgabe der Länder –, mehr Informationsaustausch – das wird schon gemacht –, mehr CDs. Ich weiß nicht, ob das ein probates Mittel ist, das man anwenden kann. Ich glaube, diese Bundesregierung hat gut gearbeitet; Ihre Vorschläge laufen ins Leere. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Zum Schluss vielleicht zwei Punkte, die uns unterscheiden. Das Erste ist das nahezu semierotische Verhältnis der Opposition zu Steuereinnahmen. Wir haben 600 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Das Einzige, was der Opposition in ihren Wahlprogrammen einfällt, ist: Wie können wir das steigern? Das ist doch völlig absurd, und das zeigt im Grunde genommen: Sie definieren sich nicht über vernünftige Staatshaushalte, (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Das zeigt aber auch, wie notwendig Ausgaben sind!) sondern über die Erhöhung bei der Erzielung von Steuereinnahmen. (Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. Otto Fricke [FDP] – Zuruf von der CDU/CSU: Steuern erhöhen und Bürger abkassieren! – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Schulen, Kitas, Bildung: Das alles muss ja finanziert werden!) Das ist schon schlimm genug. Aber wissen Sie, was noch viel schlimmer ist – das ist auch der Geist Ihres Vorschlages, dass wir ganz, ganz viele Fahnder brauchen –: Sie trauen den Menschen in diesem Land nichts zu. (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, wir trauen ihnen viel zu!) Fakt ist, dass in diesem Land 99,9 Prozent der Steuerpflichtigen – ob Einzelsteuerpflichtige oder Unternehmer – steuerehrlich sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was Sie machen, ist: Sie stellen alle Steuerpflichtigen unter den Generalverdacht, dass sie nichts anderes vorhaben, als Steuern zu hinterziehen, zu vermeiden und zu verkürzen. Das ist schlichtweg unanständig. Das wird mit uns nicht laufen. Sie trauen den Bürgern und Bürgerinnen in diesem Lande nichts zu. Sie wollen einen Kontrollstaat. Das ist mit uns nicht zu machen. Wir werden die Durchsetzung des Steuervollzugs in diesem Land mit Augenmaß und vernünftig weiter voranbringen, so wie wir es in den letzten dreieinhalb Jahren gemacht haben und wie wir es in den nächsten vier Jahren machen werden. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 l auf: a) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Schlussbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ – Drucksache 17/12550 – b) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Dritter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Urheberrecht – Drucksache 17/7899 – c) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Vierter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Netzneutralität – Drucksache 17/8536 – d) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Fünfter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Datenschutz, Persönlichkeitsrechte – Drucksache 17/8999 – e) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Sechster Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Bildung und Forschung – Drucksache 17/12029 – f) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Siebter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Demokratie und Staat – Drucksache 17/12290 – g) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Achter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Wirtschaft, Arbeit, Green IT – Drucksache 17/12505 – h) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Neunter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Zugang, Struktur und Sicherheit im Netz – Drucksache 17/12541 – i) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Zehnter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Interoperabilität, Standards, Freie Software – Drucksache 17/12495 – j) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Elfter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Internationales und Internet Governance – Drucksache 17/12480 – k) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Zwölfter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Verbraucherschutz – Drucksache 17/12540 – l) Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Dreizehnter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Kultur, Medien und Öffentlichkeit – Drucksache 17/12542 – Dazu ist vorgesehen, eineinhalb Stunden zu debattieren. (Zuruf von der CDU/CSU: 70 Minuten!) – Eine und eine viertel Stunde. Sie haben recht. Zu Beginn der Aussprache gebe ich das Wort an den Kollegen Jens Koeppen für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Jens Koeppen (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Sachverständige der Enquete! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Internetrebellion im Deutschen Bundestag ist beendet“, hat Die Welt heute Morgen geschrieben. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die soll man gar nicht so oft lesen!) Das ist natürlich grober Unfug. Ich sehe keine Rebellen, sondern nur engagierte Abgeordnete und Sachverständige, die sich einem wichtigen Thema gewidmet haben. In der Tat, es ist vollbracht. Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ ist beendet. Viele sind darüber heilfroh. Der eine oder andere hat auch Phantomschmerzen oder Entzugserscheinungen. Bei mir hält es sich in Grenzen. Aber das eine oder andere Mal fehlt sie mir doch an einem Montag, unsere Enquete-Kommission. Wir haben drei Jahre lang intensiv zusammengearbeitet, haben nahezu 2 000 Seiten beschrieben. Es gab über 200 Sitzungen in zwölf Projektgruppen, bei 30 großen Themenbereichen. Das war natürlich sehr kraftraubend, sehr kräftezehrend, teilweise sehr nervtötend und auch sehr spannend. Dieses Thema hat eine große Spannbreite und birgt auch große Spannungen in sich. Ich glaube, wir haben das ganz gut gemeistert. Die Frage ist natürlich: Hat sich diese Enquete gelohnt? Ich muss sagen: Ja, sie hat sich gelohnt. Es war gut, dass wir diese Enquete-Kommission eingesetzt haben. (Beifall im ganzen Hause) Wir haben in dieser Legislaturperiode aus einem Nischenthema ein Schwerpunktthema gemacht. Wir haben das Thema Internet, das ein Querschnittsthema ist, in die Mitte der Gesellschaft, in den Deutschen Bundestag, in die politischen Entscheidungen geholt. Wir haben viel erreicht, nicht nur quantitativ, nicht nur die 2 000 Seiten, sondern wir haben eine sehr intensive Laborarbeit – ohne Feldversuch – gemacht. Wir hatten dabei die Absicht, nicht so sehr ins Tagesgeschäft zu gehen, was uns nicht immer gelungen ist, was wahrscheinlich bei diesem Thema gar nicht möglich ist. Die Generalinventur, die Bestandsaufnahme, die wir gemacht haben, ist deswegen so wichtig, weil es dies vorher so noch nicht gab. Ich bin sehr froh darüber, dass die Handlungsempfehlungen sehr vielseitig sind. Natürlich gefallen diese Handlungsempfehlungen nicht jedem. Für mich persönlich sind auch einige dabei, die mir zuwider sind. Aber das ist bei jedem politischen Thema so: Es ist so bei der Energiepolitik, der Gesundheitspolitik, der Verteidigungspolitik oder anderen Themen. Es kann nicht immer so sein, dass es uns allen gefällt. Die Enquete ist auch besonders streitbar gewesen, besonders am Anfang. Wir haben uns zu Beginn sehr in die ideologischen Schützengräben eingegraben. Zum Schluss – das hat mir sehr gefallen – haben wir – auch angesichts des Zeitdrucks – sehr konsensorientiert und ergebnisorientiert gearbeitet. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wir müssen das Ergebnis positiv begleiten. Die Enquete ist ein Erfolg. Es gibt keine Verlierer, wie die Bild oder einige Twitter-Meldungen heute verkündeten. Es gibt nur Gewinner, weil wir dieses Thema so wunderbar begleitet haben. Dafür vielen herzlichen Dank! (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Als Obmann meiner Fraktion darf ich mich bei meinen Kollegen bedanken, die sich – neben ihren anderen Fachthemen – intensiv und mit Herzblut in diese Themen eingearbeitet haben und wirklich bei der Sache waren. Ich bedanke mich bei unseren Mitarbeitern, den Mitarbeitern unserer Abgeordnetenbüros, der Fraktionen, beim Sekretariat und beim Vorsitzenden. Alle haben intensiv gearbeitet. Insbesondere danke ich unseren Sachverständigen herzlich, die ihren Sachverstand eingebracht haben. Ohne sie wäre das Zelt, das wir aufgebaut haben, ein Zelt ohne Gestänge, und es wäre in sich zusammengefallen. Vielen Dank für Ihren Sachverstand! Das hat uns wirklich sehr viel weitergebracht. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es wird nachher von allen Kollegen, die mitgemacht haben, noch sehr viel berichtet werden. Meine Quintessenz sind drei wesentliche Punkte, die ich Ihnen nennen möchte: Erstens. Nach dem Ende ist vor dem Anfang. Das bedeutet: Nach der Enquete ist vor dem Ausschuss. Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass das Thema „Internet und digitale Gesellschaft“ an einer herausgehobenen Stelle, wie auch immer es aussehen mag – das muss der nächste Deutsche Bundestag beschließen –, wirklich weiter bearbeitet wird. Es darf nicht so sein, dass man bei diesem wichtigen Thema wieder in einen Dornröschenschlaf verfällt. Wir wollen keinem anderen Ausschuss irgendwelche Besitzstände abjagen, sondern wollen dieses Thema in der Mitte halten. Das ist für uns ganz wichtig; es ist eine wichtige Handlungsempfehlung, die wir getroffen haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Zweitens. Wir haben neue Formen der Bürgerbeteiligung gefunden – viele werden noch genauer darauf eingehen –: Blogs, Foren, neue Arbeitsplattformen, eigene Internetseiten, auf denen wir das Material wirklich zeitnah zur Verfügung gestellt haben. All das war ganz wichtig. Wir müssen diese Formen der Bürgerbeteiligung untersuchen und im Ergebnis festhalten: Wie informieren wir in Zukunft die Menschen? Wie können sie sich beteiligen? Wie können sie ihre Ideen und Vorschläge einbringen? – Wir haben in diesem Zusammenhang viele Dinge ausprobiert; aber all das ist noch nicht rund und fertig. Eines ist dabei auch klar: Beteiligen heißt natürlich nicht Entscheiden. Auf jede Bürgerbeteiligung folgt eine Entscheidung, und die Entscheidung können nur diejenigen treffen, die dafür legitimiert sind: die Mitglieder des Deutschen Bundestages. Das wird natürlich so bleiben. Kein Computer, kein iPad ersetzt den Deutschen Bundestag. Das muss man an dieser Stelle ganz klar sagen. Drittens: Leitplanken und Regeln, die wir aufstellen und benennen müssen. Da geht bei manchen natürlich die rote Lampe an. Aber jede funktionierende Gesellschaft braucht Regeln und Leitplanken, damit sich beispielsweise Anbieter sicher und frei bewegen können. Eine Selbstregulierung des Internets wird es nicht geben und kann nicht funktionieren. Es darf weder eine Freibiermentalität – Freibier für alle – noch einen Freibrief für Kriminelle geben. Mein Fazit, meine Damen und Herren: Ohne Internet ist eine moderne, freie Gesellschaft wie unsere nicht vorstellbar. Wir müssen die Chancen bewahren, die Werte, die in diesen Chancen liegen, gestalten und die Risiken, die es natürlich gibt, aufzeigen und minimieren. Das geht nur auf globaler Ebene. Wenn es uns gelingt, bei den drei Punkten, die ich genannt habe, weiter voranzukommen, dann hat sich diese Enquete schon allein deshalb gelohnt. Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen, die darin mitgearbeitet haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion das Wort. Lars Klingbeil (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat sollten wir in der heutigen Debatte über die erfolgreiche Arbeit in der Enquete-Kommission reden. Wir haben die ersten Pressekommentierungen gelesen, in denen uns auch unterstellt wird, wir hätten nichts geschafft. Aber ich sage: Wir wussten, dass wir uns auf einen schweren Weg machen. Wir, 17 Abgeordnete, 17 Sachverständige und der 18. Sachverständige, auf den ich gleich noch zu sprechen kommen werde, haben gemeinsam versucht, das Thema Netzpolitik hier im Deutschen Bundestag zu verankern. Ich finde, wir können voller Stolz sagen: Es ist uns gelungen. Es gab schwierige Diskussionen, es gab auch Holprigkeiten auf dem Weg, es gab Missverständnisse, Streit und Auseinandersetzungen. Das gehört aber zur parlamentarischen Demokratie dazu. Am Ende des Tages ist es uns aber gelungen, einen 2 000 Seiten langen Bericht vorzulegen, der wesentliche Wegmarken für die Zukunft, für die Entwicklung der digitalen Gesellschaft, aufzeigt und dokumentiert. Ich sage Ihnen: Wir haben etwas geschafft. Wir haben das Thema hier verankert. Dahinter wird man nicht mehr zurückfallen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auch ich möchte mich vor allem bei den Sachverständigen bedanken. Wir von der SPD haben vier Sachverständige benannt, mit denen wir hervorragend zusammengearbeitet haben: Cornelia Tausch, Alvar Freude, Wolfgang Schulz und Lothar Schröder. Das sind vier, die unsere Arbeit, die Arbeit der SPD, bereichert haben, die sich konstruktiv eingebracht haben, die gestritten haben, die viel Zeit für die Arbeit in der Enquete hier im Deutschen Bundestag geopfert haben. Ich hoffe, dass auch die vier sagen: Dieser Weg hat sich gelohnt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Insgesamt möchte ich mich bei allen Sachverständigen bedanken, die hier heute zahlreich vertreten sind. (Beifall im ganzen Hause) Ich will mich im Namen der SPD-Fraktion beim Sekretariat der Enquete und bei vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, die viele Überstunden geleistet haben, damit der umfassende Bericht pünktlich zum heutigen Tag fertig wurde. Das war eine großartige Arbeit, die weit über tariflich geregelte Arbeitszeiten hinaus geleistet wurde. Dafür von uns allen ein herzlicher Dank! Wir sind im Jahr 2009 gestartet. Damals befanden wir uns an einem netzpolitischen Tiefpunkt; ich erinnere an die Diskussion über die Netzsperren. Das war Antrieb für viele Fraktionen, zu sagen: Wir brauchen eine Enquete-Kommission. Zudem gab es eine Onlinepetition, die 134 000 Menschen unterzeichnet haben und damit auf den Weg gebracht haben, dass sich hier im Deutschen Bundestag etwas ändern soll. Die Neugründung der Piraten gehörte mit dazu; allerdings scheint sich das Thema mittlerweile erledigt zu haben. Aber es ist festzuhalten: Ihr großes historisches Verdienst war, das Thema Netzpolitik in die traditionellen Parteien hineingetragen zu haben. Das Thema ist angekommen. Wir haben hier im Deutschen Bundestag Pflöcke eingeschlagen, und – der Kollege Koeppen hat es gerade angesprochen – es muss in der nächsten Legislaturperiode weitergehen. Wir haben uns einstimmig dafür ausgesprochen, dass die Handlungsempfehlungen umgesetzt werden. Deswegen wollen wir auch, dass in der nächsten Legislatur ein ständiger Ausschuss „Netzpolitik“ eingerichtet wird, der sich darum kümmert, dass die Handlungsempfehlungen umgesetzt und vorangetrieben werden und dass der Bundestag nicht hinter das zurückfällt, was wir niedergelegt haben. Wir sagen aber auch: Wir brauchen eine Spiegelung auf der Regierungsseite. Es gibt unterschiedliche Interpretationen, was das bedeutet. Ich persönlich habe immer gesagt, dass wir einen Staatsminister im Bundeskanzleramt brauchen, weil wir sehen: Es funktioniert nicht, wenn 14 unterschiedliche Ministerien ihre eigene netzpolitische Agenda haben. Momentan, unter der schwarz-gelben Regierung, sehen wir, dass nichts passiert. Wir brauchen jemanden in der Regierung, der das Thema vorantreibt, der Ideen umsetzt und das Ganze koordiniert. (Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Gewagte These! – Jimmy Schulz [FDP]: Eine steile These!) Ich möchte drei Punkte aus den 2 000 Seiten des Schlussberichts herausgreifen, die uns besonders wichtig sind. Der erste Punkt ist das Thema Bildungspolitik. Es darf nicht vom Geldbeutel oder der Netzaffinität der Eltern abhängen, ob Menschen in der digitalen Gesellschaft Startchancen haben. Deswegen haben wir einstimmig beschlossen: Jede Schülerin, jeder Schüler braucht ein Laptop oder ein Tablet. Wir brauchen eine Digitalisierung der Bildungsmaterialien. Wir brauchen eine veränderte Lehrerausbildung. Dazu gehört für uns Sozialdemokraten auch, dass das Kooperationsverbot fällt und der Bund in der Bildungspolitik mitgestalten kann. (Beifall der Abg. Aydan Özo?uz [SPD]) Wir haben davon gesprochen, dass das Laptop zur Werkbank des 21. Jahrhunderts wird. Das heißt, wir müssen die Menschen ermutigen, sich digital auszuprobieren. Es geht um digitale Selbstständigkeit, um Befähigung und nicht um den erhobenen Zeigefinger. Das ist uns in der Bildungspolitik ganz wichtig. Der zweite Punkt, der uns wichtig ist, ist die digitale Wirtschaft. Auch hier brauchen wir einen Aufbruch. Wir sehen, dass es Potenziale für Wachstum und Arbeitsplätze gibt. Das heißt für uns, dass wir stärker über die Ausbildung von IT-Fachkräften reden müssen. Wir brauchen den entschlossenen Breitbandausbau mit dem Universaldienst, die gesetzliche Verankerung der Netzneutralität und die Förderung einer digitalen Gründerkultur. Hierfür hat die Enquete-Kommission – manchmal in den Mehrheitsvoten, manchmal in den Sondervoten – viele vernünftige Vorschläge aufgeschrieben, die jetzt umgesetzt werden müssen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der dritte Punkt, der uns wichtig ist: die Entwicklung der digitalen Demokratie. Hierfür war die Enquete selbst ein Paradebeispiel. Aber auch inhaltlich haben wir vieles auf den Weg gebracht, etwa wenn es darum geht, dass die Informationsfreiheit ausgebaut werden muss. Wir wollen endlich einen Aufbruch im Bereich von Open Data. Wir wollen dafür sorgen, dass die Transparenz auch in politischen Prozessen gestärkt wird. Wir als Enquete haben diesen Gedanken der Transparenz gelebt. Wir haben die Bürgerinnen und Bürger über den 18. Sachverständigen beteiligt. Auch wenn wir uns einig sind, dass wir uns manches Mal mehr Vorschläge gewünscht hätten: Die eingebrachten Vorschläge waren qualitativ sehr hochwertig. Vieles von dem ist in den Abschlussbericht eingegangen. Das hat uns allen gezeigt: Die Politik muss keine Angst davor haben, Türen aufzustoßen und die Menschen zu beteiligen. Vielmehr sorgt es für eine höhere Legitimation unserer Entscheidungen, wenn wir Menschen transparent beteiligen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Abschließend kann ich sagen: Das waren aus meiner, aus unserer Sicht drei erfolgreiche Jahre. Viele Worte müssen jetzt in Taten umgesetzt werden. Dafür ist die nächste Bundesregierung, der nächste Bundestag zuständig. Mir ist wichtig, festzuhalten: Das Internet ist da, es geht nicht mehr weg. Die Frage, ob das Ganze politisch gestaltet wird, entscheiden wir hier im Deutschen Bundestag. Wir müssen für Zugang sorgen, wir müssen für ausreichend Bildung sorgen, dafür, dass sich Kreativität und Wertschöpfung entfalten können, und dafür, dass sich Demokratie weiterentwickelt. Hier können wir nur gemeinsam hoffen, dass alle die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission ernst nehmen und umsetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Sebastian Blumenthal [FDP]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jimmy Schulz hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Jimmy Schulz (FDP): Keine Angst, ich werde jetzt keine Rede mit ehemals nicht erlaubten technischen Hilfsmitteln halten. (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Nicht damit werfen!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Sachverständige, die Sie heute auf der Tribüne diese Debatte verfolgen! Natürlich begrüße ich auch die anonymen Internetuser an den Tastaturen. Dieser Tablet-PC, mit dem ich vor drei Jahren eine meiner ersten Reden in diesem Haus gehalten habe, ist ein Symbol für die Veränderung, die in diesem Hause stattgefunden hat. Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat diese Veränderung manifestiert. Digitalisierung und globale Vernetzung haben nicht nur alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst, durchdrungen und nachhaltig verändert, sie haben auch Politik und den Bundestag verändert. Aufgabe der Enquete-Kommission, die auf Initiative der Koalition hin eingerichtet wurde, war es, über drei Jahre diese Veränderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen politisch zu verstehen, zu analysieren, zu bewerten und über mögliche Schlüsse, die daraus zu ziehen sind, über eventuell notwendig werdendes Handeln des Gesetzgebers zu diskutieren. Im Auftrag der Enquete-Kommission stand, dass die Öffentlichkeit in besonderem Maße in die Arbeit der Enquete einbezogen werden sollte. Die Diskussion darüber, wie dieser Auftrag in die Tat umgesetzt werden sollte, war sicherlich nicht einfach, aber erstens für alle lehrreich und zweitens erfolgreich. Wir haben gemeinsam für größtmögliche Transparenz gesorgt: mit einem Internetauftritt, mit der Veröffentlichung aller Dokumente und mit Livestreams der Enquete-Kommissionssitzungen. Diese Transparenz war nötig, um für echte Beteiligung zu sorgen, um einen echten Dialog mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern, dem 18. Sachverständigen, in Gang zu bringen. Den 3 200 Bürgerinnen und Bürgern, die sich auf unserer Beteiligungsplattform registriert haben, die den Mut gefunden haben, mit uns diesen Weg zu gehen, gilt genauso unser Dank wie den 17 Sachverständigen, die uns fast drei Jahre lang ausgehalten haben. Vielen Dank! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Das Experiment der direkten Bürgerbeteiligung, der Einbeziehung des Souveräns in die politische Arbeit des Parlaments, ist weltweit einmalig und beispielgebend. Alle Beteiligten haben dabei viel gelernt. Das ist sicher ein Zukunftsmodell und zeigt, wie sich Demokratie weiterentwickeln kann, wie sie sich weiterentwickeln muss. Das ist kein Patentrezept gegen Politikverdrossenheit, aber ein Baustein für die Weiterentwicklung des Erfolgsmodells der repräsentativen Demokratie. Aus den zwölf Projektgruppen will ich kurz zwei herausgreifen, mit denen ich mich in den letzten 18 Monaten besonders beschäftigt habe. Zum einen ist das die Projektgruppe „Zugang, Struktur und Sicherheit im Netz“. Das Thema IT-Sicherheit ist längst kein Randthema mehr, sondern betrifft uns alle. Um uns den Herausforderungen stellen zu können, braucht es kompetente Köpfe, die wir durch mehr Lehrstühle in dieser Fachrichtung fördern wollen. Ebenso empfehlen wir, zu prüfen, ob der umstrittene sogenannte Hackerparagraf sich negativ auf das Entdecken von Sicherheitslücken auswirken könnte. Eine besondere Ehre wurde mir dadurch zuteil, dass ich der Projektgruppe „Interoperabilität, Standards, Freie Software“ vorsitzen durfte, beschäftige ich mich doch beruflich und privat seit über 20 Jahren mit dem Thema der freien Software. Unabhängig davon freue ich mich, dass wir heute Abend zu ganz später Stunde anlässlich eines entsprechenden Antrages endlich das Thema der Eindämmung von Softwarepatenten aufgreifen können. Aber leider werden die Reden dazu zu Protokoll gegeben; deswegen habe ich dies hier erwähnt. Neben dem Hinweis auf die vielen gemeinsamen Erfolge und darauf, dass so manche Auseinandersetzung in der Sache strittig geführt wurde, bedanke ich mich bei allen, die an dieser Enquete mitgewirkt haben, für den kollegialen Stil und die manchmal fast familiäre Atmosphäre. Ich habe diese Enquete am Anfang einmal als „Volkshochschulkurs Internet für den Bundestag“ bezeichnet. Heute formuliere ich es anders: Mission completed! (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Schon vor drei Jahren habe ich an dieser Stelle einen eigenen dauerhaften Platz für dieses Thema in diesem Haus gefordert. Dies ist das wichtigste Ergebnis unserer gemeinsamen Bestrebungen. Wir haben einstimmig beschlossen, dass das Thema Netzpolitik diesen Platz im Parlament bekommt: einen eigenen Ausschuss. Das ist unser gemeinsamer Auftrag. Dieses Gerät wird vermutlich bald im Museum landen. Das Thema Internet, die schönste Form der Globalisierung, bleibt aber in diesem Haus. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt erteile ich Halina Wawzyniak das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beenden heute ganz offiziell die Arbeit der Enquete „Internet und digitale Gesellschaft“. Ich will mich zunächst ganz herzlich bei allen Sachverständigen bedanken, die über Parteigrenzen hinweg – sie wurden ja von den Fraktionen benannt – die Arbeit der Enquete bereichert haben. Sie haben viel Zeit und viel Kraft in diese Arbeit investiert, und das ohne einen Fraktionsapparat und ohne persönliche Mitarbeiter. Deswegen herzlichen Dank! Ein ganz besonders herzliches Dankeschön geht auch an das Sekretariat der Enquete. (Beifall im ganzen Hause) Ich will mich an dieser Stelle insbesondere bei Constanze Kurz und Annette Mühlberg bedanken, die in besonderer Unabhängigkeit die Arbeit der Enquete begleitet haben. Ich will an dieser Stelle auch anmerken, dass ich es bedauerlich finde, dass die Debattenzeit verkürzt worden ist. Weder die Verkürzung der Debattenzeit noch der Zeitpunkt der Debatte sind der Arbeit der Enquete angemessen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der wichtigste Beitrag, den die Enquete geleistet hat, war, das Thema in der Gesellschaft und damit auch in der Mitte des Bundestages zu verankern. Es ist eben nicht mehr nur ein Thema für ein paar Verrückte in den jeweiligen Fraktionen; im Prinzip hat mittlerweile jede und jeder Abgeordnete irgendwie mit dem Thema Netzpolitik zu tun. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an parlamentarischen Prozessen sinnvoll und richtig ist. Alle können profitieren, wenn Bürgerinnen und Bürger an Entstehungsprozessen von Initiativen beteiligt werden. Deswegen ist es zu begrüßen, dass die Enquete empfohlen hat, dass parlamentarische Gremien, wenn sie Beteiligungswerkzeuge nutzen wollen, diese zukünftig zur Verfügung gestellt bekommen. Ich kann Sie alle nur auffordern: Machen Sie das! Nutzen Sie die Beteiligungswerkzeuge! (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Aydan Özo?uz [SPD]) Ich persönlich finde, die Enquete hätte an der einen oder anderen Stelle im Hinblick auf die Handlungsempfehlungen durchaus mutiger sein können. Es handelt sich schließlich um Empfehlungen, und am Ende entscheidet der Bundestag. Der Abschluss der Arbeit der Enquete ist ein Zeitpunkt, um nach vorne zu schauen. Deswegen will ich aus linker Sicht deutlich machen, wo Handlungsbedarf besteht, um das Internet als Raum der Freiheit, der Offenheit und des sozial gerechten Zugangs zu gestalten. Erstens. Internet gehört zum Alltag. Ohne Zugang zum Internet sind Menschen von vielen gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen: Jobvermittlung, Nachrichten, Onlinebanking und Austausch mit anderen. Ich könnte noch vieles andere aufzählen. Deshalb sagen wir: Netz für alle! Wir meinen, dass der Zugang zum Internet Bestandteil des soziokulturellen Existenzminimums sein muss und deshalb ein Computer unpfändbar sein sollte. (Beifall bei der LINKEN) Das haben wir in einem Antrag, den wir hier eingebracht haben, und auch in einem Sondervotum in der Projektgruppe „Medienkompetenz“ deutlich gemacht. Zweitens. Der Zugang zum Internet setzt voraus, dass es überhaupt die Möglichkeit gibt, das Internet zu nutzen. Deshalb sind der Breitbandausbau und eine Universaldienstverpflichtung dringend nötig. (Beifall bei der LINKEN) – Ich wundere mich, warum von SPD und Grünen kein Beifall kommt; denn dies haben die drei Oppositionsfraktionen in drei Sondervoten gefordert. Drittens. „Netz für alle“ bedeutet aber auch, dass an der Netzneutralität festgehalten werden muss. Nicht nur Entwicklungen in jüngster Zeit – ich nenne das Stichwort „Telekom“ – lassen uns sagen: Netzneutralität gehört gesetzlich verankert. Auch das haben die Oppositionsfraktionen in zwei Sondervoten festgehalten. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig zu Recht!) Viertens. Wenn wir vom Internet als einem Raum der Freiheit, der Offenheit und des sozial gerechten Zugangs sprechen, dann bedeutet dies aber auch, dass wir einen Datenschutz brauchen, der diesen Namen wieder verdient. Wir sagen ein klares Nein zur Vorratsdatenspeicherung. Wir fordern die Voreinstellung von Geräten und Diensten mit der größtmöglichen Privatsphäre und die Sicherung von Anonymität und Pseudonymität im Internet. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dass Netzpolitik Gesellschaftspolitik ist, will ich an einem Beispiel aus der Außenpolitik deutlich machen. Wir als Linke betrachten die Ergebnisse des sogenannten Tallinn Manuals ausgesprochen skeptisch. Im Rahmen eines informellen Gesetzbuches sollen völkerrechtliche Fakten geschaffen werden, unter welchen Bedingungen bei einem sogenannten Cyberwar mit konventionellen Mitteln Krieg geführt werden kann. Völkerrechtler bezeichnen dies als Krieg auf Verdacht. Wir als Linke sagen auch hier sehr deutlich: Wir lehnen Krieg als Mittel der Politik ab, Krieg auf Verdacht erst recht. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das war aber nicht Gegenstand der Enquete-Kommission!) Das Internet und die Digitalisierung der Gesellschaft verändern unser Leben rasant. Es liegt an uns, wie wir diese Herausforderungen meistern. Die Linke stellt sich diesen Herausforderungen und wird die Handlungsempfehlungen aufgreifen, auch in der nächsten Legislaturperiode. Unser zentraler Ausgangspunkt ist dabei, das Internet als Raum der Freiheit, der Offenheit und des sozial gerechten Zugangs zu gestalten. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Konstantin von Notz das Wort. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir als Gesetzgeber müssen uns mit den massiven gesellschaftlichen Umbrüchen, die mit dem Internet und der Digitalisierung einhergehen, intensiv beschäftigen und diesen Wandel vor allem politisch aktiv gestalten. Diese Einsicht stand am Anfang der Enquete-Kommission, deren Arbeit wir heute mit dieser Debatte abschließen. Am Anfang der Legislaturperiode waren wir uns einig, dass es einen ganz erheblichen parlamentarischen Aufholbedarf in diesem Politikfeld gab. In den letzten drei Jahren haben wir intensiv daran gearbeitet, diesen Zustand zu beheben – erfolgreich, wie ich finde. Ich wage die These, dass sich kaum ein anderes Parlament derart intensiv mit netzpolitischen Fragestellungen beschäftigt hat, wie wir es in dieser Legislaturperiode getan haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Netzpolitik ist in der Mitte dieses Parlaments angekommen. Das ist vor allen Dingen ein Verdienst der Enquete-Kommission. Das heißt mitnichten, dass es nicht auch an zahlreichen Stellen teilweise ganz erheblich voneinander abweichende Positionierungen der einzelnen Fraktionen gegeben hat – leider. (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Ihr hättet euch ja mehr bewegen können!) Ich denke da vor allem an die Netzneutralität, den Verbraucherschutz, den Datenschutz, aber auch an Green-IT, wo es trotz aller Kompromissbereitschaft unter den Beteiligten unmöglich war, gemeinsame Positionierungen zu finden. Hier sage ich für meine Fraktion ganz deutlich, dass wir uns an zahlreichen Stellen, auch bei der Gutachtenvergabe, Herr Kollege Koeppen, oft mehr Mut gewünscht hätten. (Beifall der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jens Koeppen [CDU/CSU]: Sie sind ja die Opposition! Das ist schon ganz gut so!) Die Enquete-Kommission hat insgesamt, nicht nur inhaltlich, ein dickes Brett gebohrt. Sie hat das Gebot der Stunde erkannt und sehr weit gehende Transparenz der eigenen Arbeit hergestellt. (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Darüber hinaus hat sie auch in anderen Bereichen innovative Wege beschritten. Als „Versuchslabor eines Parlaments der Zukunft“ hat sie eine neue zivilgesellschaftliche Beteiligung ermöglicht. Das war nicht immer einfach. Es war richtig und wichtig, neue Beteiligungsformen zu nutzen. Dies sollte der Bundestag auch in Zukunft weiter ausbauen. Aber diese Beteiligungsinstrumente ersetzen – das weiß jeder von uns, der die Arbeit der Enquete-Kommission in den letzten Jahren verfolgt hat – eben nicht das Ringen um Kompromisse, zähe Abstimmungsverfahren, Sitzungen bis spät in die Nacht und auch manchmal anstrengende Diskussionen; all das bleibt uns erhalten. Die Einbeziehung externen Sachverstands macht demokratische Prozesse nicht automatisch einfacher; sie ist oft sogar mit mehr Arbeit verbunden. Aber sie ist – das sieht man auch an unseren Ergebnissen – lohnend. Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion dem Dank an alle anschließen, die den Erfolg dieser Enquete-Kommission ermöglicht haben. Zu nennen sind unsere Sachverständigen, Jeanette Hofmann und Markus Beckedahl, und die vielen Sachverständigen der anderen Fraktionen, zum Beispiel Wolfgang Schulz, aber auch der Ausschussvorsitzende Axel E. Fischer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschusssekretariats und der Fraktionen, die sich so manche Nacht um die Ohren geschlagen haben, die Köpfe hinter der Beteiligungsplattform Adhocracy, deren ehrenamtliches Engagement zweifellos nicht immer ausreichend gewürdigt wurde und – last but not least – diejenigen, die dieses Angebot tatsächlich genutzt und sich an unseren Diskussionen intensiv beteiligt haben. Ihnen allen einen ganz herzlichen Dank! (Beifall im ganzen Hause) Leider muss derzeit das unsägliche schwarz-gelbe Leistungsschutzrecht als Argument für den Nachweis herhalten, die Netzpolitik habe keinen Einfluss in diesem Hohen Haus. Das sehe ich komplett anders. (Sebastian Blumenthal [FDP]: Wie läuft das denn im Bundesrat, Herr Kollege?) – Das sehe ich komplett anders, Herr Blumenthal. (Lachen bei Abgeordneten der FDP) – Passen Sie auf! Jetzt wird es total spannend. – Das Zufallbringen von ACTA, die Rücknahme der Netzsperren, die Blockade der Vorratsdatenspeicherung und selbst das Downsizen beim Leistungsschutzrecht, all das zeigt den zunehmenden Einfluss und die steigende Bedeutung der Netzpolitik in diesem Haus. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP) Die Arbeit der Enquete-Kommission, die Tausende Seiten Ergebnisse, die 400 Handlungsempfehlungen sind nicht ein Abschluss in Sachen Netzpolitik, sondern der Anfang. Die Bedeutung dieses Themas wird nämlich nicht abnehmen, sondern wegen der zunehmenden Veränderung unserer Gesellschaft durch Digitalisierung und Internet massiv zunehmen. Es geht bei der Netzpolitik um die Zukunft der Zivilgesellschaft. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. – Es geht um Gerechtigkeit und Teilhabe, es geht um die wirtschaftliche Zukunft dieses Landes, und es geht darum, wie wir arbeiten, kommunizieren, wie wir lernen, ja, wie wir leben wollen. Das alles müssen wir politisch gestalten. Ein Anfang ist gemacht, mehr aber auch nicht. Jetzt muss es richtig losgehen. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Thomas Jarzombek hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich nehme das Kompliment des Kollegen von Notz ausgesprochen gerne an. Ich finde, dass er in dieser Sache absolut recht hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben in diesen mehr als drei Jahren nicht nur einen Bericht mit über 2 000 Seiten produziert, sondern auch sehr viel Überzeugungsarbeit geleistet, und, wie ich glaube, erfolgreich. Die eine oder andere Kommentierung, es sei in dieser Zeit nicht viel erreicht worden, teile ich überhaupt nicht. In der vorangegangenen Legislaturperiode war ein freiheitlich-subsidiärer Gedanke nicht Leitmotiv der Internetpolitik. Wir haben viele Kollegen überzeugen können und den Geist der Freiheit beim Thema Internet auch innerhalb unserer eigenen Fraktion wieder zurückgeholt. Die Rücknahme des Zugangserschwerungsgesetzes, ACTA, der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und nicht zuletzt das Leistungsschutzrecht – vielen Dank auch noch einmal für dieses Kompliment –, das am Ende nur noch eine relativ leere Hülle geblieben ist, zeigen doch relativ klar, wie sich die Paradigmen gewandelt haben. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Solche Komplimente können Sie immer haben!) Man kann das auch an drei Personen festmachen: Selbst unser Kollege Günter Krings hält es nicht mehr für möglich, Internetanschlüsse abzuschalten. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Abgeordneten der LINKEN) Selbst Siegfried Kauder, „Kauder-Strike“, ist zum Revoluzzer in Sachen LSR geworden, und der Kollege Dr. Tauber hat es geschafft, Erika Steinbach zum Twittern zu bringen. (Beifall bei der FDP – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ob das ein Erfolg ist?) Wenn das keine Erfolge sind, dann weiß ich es auch nicht mehr. Wir haben viel Positives erreicht – das soll nicht verschwiegen werden –, angefangen damit, dass wir beim Thema Breitbandversorgung einen großen Schritt nach vorne gemacht haben, bis hin zur Vergabe des Deutschen Computerspielpreises. Auch in den Arbeitsgruppen, in denen ich entweder federführend tätig war bzw. die ich geleitet habe, haben wir eine ganze Reihe guter Ergebnisse erzielt. Beim Thema „Wirtschaft, Arbeit, Green-IT“ haben wir entdeckt, dass das Internet ein echter Wirtschaftsfaktor, eine Jobmaschine ist und die Chance bietet, neue spannende Unternehmen zu gründen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Nicht nur die Studien, die wir in der Enquete-Kommission in Auftrag gegeben haben, sondern auch der Empfang der Start-ups, zu dem die Bundeskanzlerin vor kurzem zusammen mit dem Vizekanzler Rösler eingeladen hat, haben gezeigt, dass in diesem Bereich über 100 000 Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Das ist also alles andere als ein kleines Geschäft. Wir haben bisher immer gesagt: Der jüngste deutsche Konzern auf diesem Gebiet wurde vor 40 Jahren gegründet, nämlich SAP. Was kam eigentlich danach? Es sind viele nordamerikanische Unternehmen gekommen. Jetzt schicken sich bereits die ersten Firmen aus Deutschland an, Marktführer zu werden. Trivago, ein Unternehmen, das beim Thema Hotel mittlerweile weltweit führend ist, hat bei mir zu Hause, in Düsseldorf, 300 Arbeitsplätze geschaffen. Das muss man anerkennen und weiter fördern. Dafür haben wir in dieser Enquete-Kommission eine Menge geleistet. Wir hatten auch das Thema „Internationales und Internet-Governance“ auf unserer Tagesordnung. Hier fällt mein Resümee nicht so positiv aus, weil ich glaube, dass das Thema Internationales im Bereich Internet im Deutschen Bundestag bisher zu wenig Platz gegriffen hat. Ich finde es wichtig, dass wir Abgeordnete künftig stärker Präsenz auf internationalen Konferenzen zeigen, dass wir unseren Einfluss auch in Deutschland stärker geltend machen. Nicht zuletzt stehe ich sehr hinter unserer konsensualen Forderung – übrigens ist der gesamte Bericht vollständig konsensual beschlossen –, uns für ein IGF in Deutschland zu bewerben. Warum sollen wir uns immer nur für die Ausrichtung von Fußballweltmeisterschaften und Ähnlichem bewerben? Ich finde, wir müssen auch bei den internationalen Internetveranstaltungen endlich einmal Ausrichter werden und auch hier für mehr Bewusstsein sorgen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die dritte Arbeitsgruppe befasste sich mit Jugendschutz und Medienkompetenz. Über die Ergebnisse haben wir schon bei der Debatte über den Zwischenbericht gesprochen; deshalb muss hier gar nicht mehr viel gesagt werden, außer vielleicht, dass ich bedaure, dass wir an einigen Stellen nicht so weit gekommen sind, wie wir gekommen sein könnten. Wenn man beim Thema „Laptops für Schüler“ – das habe ich selbst erlebt – immer noch darüber diskutiert, ob nun die Länder zuständig sind oder der Bund, und die Länder glauben, hier könne jeder seinen eigenen technischen Standard realisieren, sind wir leider auch im Jahr 2013 noch nicht da angekommen, wo wir eigentlich hin müssen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde im Übrigen, dass wir uns mit dem Thema „Jugendschutz im Internet“ noch einmal stärker befassen müssen. All die Bemühungen und Vorstöße, die wir hier vonseiten des Familienausschusses gemacht haben, wurden von den Ländern auf relativ breiter Front immer wieder gebremst. Denjenigen in den Ländern, die glauben, man könne – vielleicht nach einer Bundestagswahl ohne Piratenfraktion – hingehen und den alten Jugendmedienschutz-Staatsvertrag wieder aus der Schublade holen, ihn ein bisschen anpinseln und wieder einbringen, sage ich: Das wird nicht gehen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das passiert nicht!) Ich freue mich, wenn ich Sie dabei auf meiner Seite habe. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich darf mich zum Schluss bei all denen bedanken, die in der Enquete-Kommission mitgearbeitet haben, nicht nur bei denen, die in meinen Arbeitsgruppen mitgearbeitet haben, sondern bei allen. Es war ein sehr engagiertes Arbeiten. Die Arbeit war teilweise wirklich anstrengend. Ein paar von meinen grauen Haaren, die leider immer mehr werden, haben sich, glaube ich, in dem einen oder anderen Bericht niedergeschlagen. (Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht bei der Medienkompetenz!) Aber ich finde, es war eine tolle Diskussionsatmosphäre. Sie war, auch wenn man anderer Meinung war, von sehr sachlichen Auseinandersetzungen geprägt. Das hat mir sehr gut gefallen. Zum Schluss danke ich für meine Fraktion unseren Sachverständigen: Professor Ring, Dr. Rohleder, Nicole Simon, Professor Weinhardt, Harald Lemke und Professor Gorny. Sie sind alle häufig nach Berlin gekommen, haben sehr viel Zeit geopfert und auch an den Texten viel Arbeit geleistet. Herzlichen Dank dafür! (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich freue mich, mit Ihnen zusammen in einem Internetausschuss in der nächsten Wahlperiode weiterzumachen; denn eines ist klar: Das Thema Internet ist viel zu wichtig, um der Unterausschuss von irgendwas zu sein. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Brigitte Zypries hat für die SPD-Fraktion das Wort. Brigitte Zypries (SPD): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir hatten in der Tat drei Jahre Gespräche, drei Jahre Beratungen, drei Jahre Arbeit. Ganz so positiv, wie Sie es geschildert haben, Herr Jarzombek, fand ich es, ehrlich gesagt, nicht. Ich hätte mich schon manchmal über bessere Diskussionen gefreut. (Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Sie sind immer so negativ, Frau Kollegin!) Es ist schön, dass Sie in der CDU einen erheblichen Lernprozess durchgemacht haben. Das freut uns natürlich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Wir können nichts dafür, dass die SPD nicht so lernfähig ist!) – Die SPD hat es vielleicht nicht so nötig; das kann man an verschiedenen anderen Dingen sehen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist dünnes Eis! – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Haben wir etwa das Zugangserschwerungsgesetz verantwortet?) Ich schließe mich dem Dank an die Sachverständigen an und bestätige Ihnen gerne, dass wir in diesem Diskussionsprozess eine Menge an gemeinsamen Positionen gefunden haben, aber nicht nur solche. Es bleiben eine Menge grundsätzlicher Fragen bestehen, über die wir keinen Konsens erzielen konnten. Insbesondere bei der Frage der gesellschaftlichen Bedeutung von Transparenz und Informationsfreiheit gibt es eine unterschiedliche Bewertung. Deshalb möchte ich allen, die ein vollständiges Bild der Ergebnisse der Enquete-Kommission bekommen wollen – nicht nur bei diesem Punkt, aber eben auch bei diesem Punkt –, empfehlen, sich auch die Handlungsempfehlungen der Oppositionsfraktionen durchzulesen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie finden sich dort in den Sondervoten. Wir werden an vielen Stellen wesentlich konkreter als die Koalition. Deswegen kann ich nur sagen: Lesen Sie auch diese Handlungsempfehlungen! Unter den ergänzenden Empfehlungen finden sich unter anderem Vorschläge zur Transparenz, zur Weiterentwicklung der anonymen und der pseudonymen Kommunikation im Internet, zur Weiterentwicklung des Petitionsrechts und zur Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsrechts. Transparenz – ein Begriff, der in aller Munde ist – ist gar kein sonderlich unkomplizierter Begriff. Was heißt denn das: „Transparenz“? Live-Öffentlichkeit verändert Kommunikationsprozesse; das wissen wir alle. Sie kann auf der einen Seite die Akzeptanz dieser Kommunikationsprozesse verbessern, wird aber auf der anderen Seite mit Sicherheit das Verhalten der Kommunizierenden verändern. Deswegen meine ich, dass man nicht generell sagen kann: Wir machen das alles transparent und offen. Vielmehr müssen wir uns für jeden Fall, für jedes Gremium und im Zweifel für jede Institution, einzeln überlegen, wie viel Transparenz für die Herstellung von Öffentlichkeit sinnvoll ist und wo als Nebenwirkung droht, dass Diskussionen aus dem dann transparenten Prozess in die Hinterzimmer verlagert werden. Damit wäre niemandem gedient. Mit diesen neuen Möglichkeiten zur Schaffung von Transparenz, die wir durch das Netz haben, stehen wir jedenfalls nicht mehr nur vor der Frage der Machbarkeit, sondern auch vor der Frage von politischem Wollen und politischem Willen. Wie viel Transparenz will der Staat gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern erreichen? Wer ein digitales Vermummungsverbot fordert, wie einige Kollegen, oder wer die im deutschen Recht durch das Telemediengesetz garantierte Anonymität im Internet infrage stellt, der hat für meine Begriffe problematische Vorstellungen davon, wie viel Transparenz andersherum der Staat von seinen Bürgern verlangen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gleiches gilt für die Vorratsdatenspeicherung, Frau Kollegin!) – Das ist ein anderes Thema. Darauf gehen wir gerne später ein. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das gleiche Thema!) – Nein, Herr Kollege, keineswegs. (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Sie müssen sich auch solch unangenehmen Themen stellen!) Wir haben uns in der Projektgruppe „Demokratie und Staat“ darauf verständigt, dass die Transparenz weiter ausgebaut werden soll und die Beteiligungsmöglichkeiten stärker genutzt werden sollen. Das haben wir auch im Rahmen dieser Arbeitsgruppe gemacht. Die Enquete-Kommission hat die Adhocracy-Plattform genutzt, und auch die SPD-Fraktion setzt sie ein. Das ist nicht nur ein Beispiel dafür, wie man Anforderungen an Transparenz und Bürgerbeteiligung angemessen begegnen kann, sondern auch ein Beispiel dafür, wie man Sachverstand auf direkte Art und Weise von außen einbeziehen kann. Für die Enquete-Kommission war es ein Schritt in das wirkliche Leben, als wir sahen, wie wenig Menschen sich beteiligt haben. Das ist leider Fakt. Wir hatten diesen Experimentcharakter durchaus geplant; aber dass die Zahl der Beteiligungen über die Onlineplattform noch deutlich niedriger war als erwartet, war schade. (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Tolle Qualität!) Wunderbar aber war die Tatsache, dass die Qualität dieser Beiträge sehr hoch war. Das zeigt aber eben nur, dass sich einige speziell Interessierte angesprochen fühlten. Es gab aber nicht den breiten Beteiligungseffekt, auf den wir alle gehofft hatten. Das macht noch einmal deutlich, wie wichtig das Thema „Bildung im Internet“ – Herr Kollege Klingbeil hat das schon angesprochen – ist. Die Tatsache, dass man im Internet alles finden kann, heißt eben nicht, dass man sich auch beteiligt und kommuniziert. Bildung heißt also nicht nur, zu lernen, wie man den Computer an- und ausstellt, sondern auch, zu lernen, wie man damit umgeht. Deswegen ist es richtig und gut, dass wir uns darauf verständigt haben, Laptops für Schülerinnen und Schüler zu beschaffen. Das reicht aber nicht. Es muss auch völlig klar sein, dass die Lehrpläne der Schulen entsprechend angepasst werden müssen und die Schülerinnen und Schüler lernen müssen, dass man sich über dieses Medium auch beteiligen kann. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Diesen wichtigen Punkt noch am Ende meiner Rede zu nennen, liegt mir ganz besonders am Herzen. Danke schön. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt spricht Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Heute bringt jeder etwas mit ans Rednerpult. Manuel Höferlin (FDP): Zunächst möchte ich zu Ihnen kommen, Frau Kollegin Zypries. Schön, dass Sie die Lernfähigkeit einzelner Kolleginnen und Kollegen erwähnen. Ich will Sie jetzt nicht als Mutter des Zensurgesetzes bezeichnen, aber Sie waren zumindest die Patentante. Von daher freut es mich, dass alle gelernt haben. (Beifall des Abg. Jimmy Schulz [FDP]) Dieses Werk, das Sie hier sehen, ist der ausgedruckte Text des Abschlussberichts der Enquete-Kommission. Der eine oder andere munkelt bereits im Netz, wir hätten das Internet ausgedruckt und könnten es jetzt ausschalten. Jimmy Schulz hat gerade ein digitales Gerät auf das Rednerpult gelegt. Ich glaube, ein wesentlicher Punkt der Enquete-Kommission „Internet“ ist, dass nicht Nerds in einem geschlossenen Raum miteinander gesprochen haben, also Leute, die sich damit auskennen, sondern dass wir hierzu ein Papier herausgebracht haben, das diejenigen, die sich nicht so sehr mit Fragen des Internets und der digitalen Gesellschaft beschäftigen, lesen können. Deswegen habe ich symbolisch das Papier mitgebracht, auch wenn es um Internet und digitale Gesellschaft geht. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich möchte unseren drei Sachverständigen namentlich danken: Professor Gersdorf, Dr. Osthaus und padeluun. Auch sie haben, wie viele in diesem Umfeld – die Sachverständigen, die Abgeordneten und die Mitarbeiter –, viel Arbeit und viel Zeit investiert. Ich kann es nicht oft genug sagen: Ich glaube, es war für einen Sachverständigen – ich sage das in unser aller Namen – ein Stück weit eine Zumutung, den parlamentarischen Ablauf ertragen zu müssen. Herzlichen Dank, dass Sie mitgemacht und durchgehalten haben! Das Ergebnis war es wert. Ich möchte kurz inhaltlich etwas zum Thema Datenschutz sagen. Ich hatte das Vergnügen, die Arbeitsgruppe „Datenschutz und Persönlichkeitsrecht“ leiten zu dürfen. Wir haben jenseits der Tagespolitik Handlungsempfehlungen entwickelt und eine sehr lange Analyse geschrieben, die auch von den Sachverständigen in großem Maße mitgetragen wurde; ich empfehle jedem, diese einmal intensiv zu lesen. Aber besonders stolz bin ich, dass wir gerade bei diesem schwierigen Thema elf Handlungsempfehlungen konsensual beschließen konnten. Ich hätte zu Beginn, ehrlich gesagt, nicht gedacht, dass wir das schaffen. Gerade beim Thema Datenschutz hat man den Eindruck, dass wir zwar ähnliche Vorstellungen betreffend die Ziele haben, nicht aber betreffend die Wege. Dass wir es dennoch geschafft haben, konsensuale Empfehlungen zu beschließen, fand ich ganz besonders toll. Deswegen einen herzlichen Dank an alle, die bereit waren, gemeinsam eine gelungene Formulierung zu finden. Für mich ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung besonders wichtig, aber auch Selbstdatenschutz und Medienkompetenz, über die wir in der Arbeitsgruppe „Datenschutz“ intensiv gesprochen haben. Der Selbstdatenschutz und die Medienkompetenz sind die wichtigsten Mittel, um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausüben zu können. Die Nutzer müssen informiert und aufgeklärt sein, um in der digitalen Welt die richtigen Entscheidungen zu treffen; denn nur dann können sie selbstständig und frei entscheiden, ob sie in etwas einwilligen, und zeigen, ob sie mit ihren Daten selbstbewusst und selbstbestimmt umgehen. Deshalb war das für uns ein ganz wichtiger Punkt. Diese Rechte müssen aber selbst ausgeübt werden können. Das Internet muss klar und transparent sein, damit man weiß, was man tut. Das ist etwas, was wir gefordert haben: Die nötigen Informationen müssen in der digitalen Welt vorhanden sein. Man muss diesen Informationen auch vertrauen können, um dann selbstbestimmt sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausüben zu können. Oft fehlt es in den Angeboten im Internet an dieser Transparenz. Es bedarf daher weiterer großer Anstrengungen. Die christlich-liberale Koalition hat nicht zuletzt deshalb die Stiftung Datenschutz eingerichtet, die ihre Arbeit gerade aufgenommen hat. Sie wird wesentlich dazu beitragen, in der digitalen Welt zu mehr Transparenz und Selbstbestimmung beim Datenschutz zu kommen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht!) Ich möchte noch ganz kurz, Frau Präsidentin, sagen – das meiste hat Thomas Jarzombek gesagt –, dass die Projektgruppe „Internationales und Internet-Governance“ einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Aber wir haben leider auch feststellen müssen, dass das deutsche Parlament auf internationalen Treffen nicht oder nur durch den Kollegen Jimmy Schulz repräsentiert wird. Das muss anders werden. Nicht, dass Jimmy Schulz nicht ausreichen würde – er ist hervorragend –, aber ich wünsche mir, dass der Bundestag dort in größerer Zahl selbstbewusst vertreten ist. Ein letzter Punkt. Ich wünsche mir sehr, dass dieses Werk nicht nur in Deutsch vorliegt und dass sich der Bundestag doch noch entscheidet, es zumindest ins Englische zu übersetzen, und zwar komplett. (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: In alle Sprachen!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege! Manuel Höferlin (FDP): Das ist eine der wichtigsten Forderungen, die wir haben, damit jeder an diesem Werk teilhaben kann. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat die Kollegin Dr. Petra Sitte das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Wissen von morgen“, das ist das Thema, das mich als Forschungs- und Netzpolitikerin der Linken am meisten interessiert und umtreibt. Wie schaffen wir es, möglichst allen Menschen dieses Wissen nach ihren Wünschen und nach ihren Bedürfnissen zu formen, und wie schaffen wir es, dass sie sich dieses Wissen aneignen können, und zwar unabhängig von ihrer sozialen Lage? Deswegen wollte ich vor drei Jahren – da kann ich mich outen – unbedingt Mitglied dieser Internet-Enquete werden. Die Digitalisierung bietet vielfältige Werkzeuge und Wege, Wissen zu erarbeiten und auch zu teilen. Viele Open-Bewegungen rund ums Internet zeigen dies eindrücklich. Die Digitalisierung kann Wissen, Kultur und Lernen geradezu befreien, wenn, ja wenn wir es auch wirklich zulassen. In diesem Sinne habe ich mich für ein Urheberrecht eingesetzt, das die Verbreitung von Wissen in den Mittelpunkt stellt, ohne allerdings die Masse der Kreativen weiter im Existenzminimum und in Selbstausbeutung zu belassen. (Beifall bei der LINKEN) Hier zeigte sich jedoch deutlich, dass den Regierungsfraktionen das künstliche Aufrechterhalten von nicht mehr zeitgemäßen Marktstrukturen allemal wichtiger war und dass sie sich einem modernen Modell der Wissensverbreitung verschlossen haben. Schon das alte Urheberrecht ist kaum in der Lage, Urheberinnen und Urhebern ein anständiges Auskommen zu ermöglichen. Warum, frage ich Sie, trauen wir uns hier in diesem Hause nicht, eine neue Rechtsordnung gemeinsam zu entwerfen, eine, die im Kern Nutzungsfreiheit und Vergütung von Kreativen zusammendenkt? Was bitte ist so schwierig daran? (Beifall bei der LINKEN) Das hätte ich mir von der Enquete gewünscht. In diesem Sinne haben wir Linke auch gearbeitet. Wir fanden aber für unsere Vorschläge keine Mehrheiten. Nicht einmal bis dato unerhörte Allianzen konnten an diesen misslichen Mehrheiten etwas ändern. Wir Linke haben nämlich gemeinsam mit dem von der Union berufenen Sachverständigen Dieter Gorny von der Musikindustrie einen ausführlichen Bericht vorgelegt, aus dem hervorgeht, wie prekär die Lage der Kreativen in Deutschland ist. Dieser Bericht hat zumindest belegt, dass die Digitalisierung daran viel weniger Schuld trägt, als mancher Kulturpessimist heute noch behauptet. Auf Handlungsempfehlungen, wie dieser Missstand nun behoben werden könnte, wollten sich CDU/CSU und FDP dann doch nicht einlassen. Einmal mehr finden sich unsere Vorschläge in Sondervoten der Opposition zum Enquete-Bericht. Nichtsdestotrotz kann der neue Bundestag das alles aufnehmen. Erfrischend anders war die Situation bei den Themen Bildung und Forschung; das ist hier schon angeklungen. Hier haben wir fraktionsübergreifend gute und progressive Vorschläge gemacht, wie das Parlament Open Access, offene Hochschulen, freie Lehr- und Lernmaterialien, virtuelle Forschungsumgebung, E-Learning und vieles andere mehr unterstützen könnte. Hier haben wir gemeinsam gezeigt, dass eine Enquete-Kommission sehr sachorientiert nach vorne schauen kann. Ich hoffe deshalb inständig, dass wir als Parlament den aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Urheberrecht für Wissenschaft und Forschung noch ordentlich nachbessern. Dieser Entwurf bleibt nämlich weit hinter den Forderungen der Enquete zurück. Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, können in den zukünftigen Debatten hier im Haus den Beleg dafür liefern, dass die Enquete nicht umsonst gearbeitet hat. Es wäre zu schön, wenn die guten Vorschläge der Enquete-Kommission auch Gehör fänden und nicht nur in digitalen oder analogen Papierkörben landen würden. Dann hätte sich der riesige Aufwand, den meine Kollegen hier angesprochen haben, auch wirklich gelohnt. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Tabea Rößner hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das bin ich gar nicht gewohnt. Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines zeigt die Debatte deutlich: Die Internet-Enquete war eine Art Inkubator des Bundestages für Netz- und Medienpolitik. Wir haben mit hoher Geschwindigkeit und Konzentration einen riesigen Berg an Themen bearbeitet. Daher auch von meiner Seite ein herzliches Dankeschön an alle Beteiligten! Wir alle sehen die Auswirkungen des Internets auf unser tägliches Leben. Die Enquete hat Fragen, die sich dadurch für die Politik stellen, mehr ins Zentrum des Parlaments gerückt. Ganz neu waren die Themen aber nicht. Seit Jahren werden Softwarepatente, Datenschutz oder E-Democracy im Unterausschuss „Neue Medien“ beraten. Dieser wurde schon in der vorletzten Legislaturperiode auf Initiative von SPD und Grünen eingerichtet. Nur nannte sich das noch nicht so schick wie heute „Netzpolitik“. Im Antrag zur Einsetzung einer Enquete hieß es unter anderem, die Enquete solle „die Auswirkungen der neuen Medien auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie auf Gesellschaft und Umwelt, Bildung und Kultur, Politik und Demokratie beurteilen“, unterzeichnet von Rudolf Scharping und Joseph Fischer 1995. Die technischen Grundlagen waren damals völlig andere, die Fragestellungen dagegen sehr ähnlich: Urheberrecht, Medienkompetenz, soziale Lage, Bürgerbeteiligung, Energieeffizienz, Wirtschaftspotenzial, das alles sind damals wie heute brennende Themen, und das werden sie auch noch bleiben. Es war daher überfällig, dass diese Themen erneut in einer Enquete behandelt wurden. Wir haben das digitale Rad nicht neu erfunden; das war aber auch nicht unsere Aufgabe. Wir haben auf viele, aber nicht auf alle Fragen Antworten gefunden, und oft konnten wir uns eben auch nicht auf eine Antwort einigen. Mir kam es manchmal ein bisschen so vor, als hätten wir mit der Realität Hase und Igel gespielt. Erst vorgestern wurde eine Studie des BITKOM veröffentlicht, wonach die ständige Erreichbarkeit aufgrund der Digitalisierung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oft Stress bedeutet. Die Grenzen zwischen Arbeitswelt und Privatleben verschwimmen zusehends. Über dieses Problem haben wir in der Projektgruppe „Wirtschaft, Arbeit, Green IT“ zwar diskutiert. Kreative Lösungsansätze, wie wir den Herausforderungen begegnen können, sind dagegen rar. So wie in diesem konkreten Fall ging es uns mehrfach. Statt echte Handlungsempfehlungen zu entwickeln, haben wir manchmal eben nur den Status quo beschrieben. Das lag nicht immer an unterschiedlichen Auffassungen, sondern auch am Thema, das uns in der Entwicklung ja immer drei Schritte voraus ist. Es wurden anfangs große Erwartungen in die Enquete gesetzt, insbesondere aus der Netzszene. Die Beteiligungsmöglichkeiten, die hier schon angesprochen wurden, waren neu und geradezu revolutionär für die alte Dame Bundestag. Bei einigen trat aber bald Ernüchterung ein, und ich kann so manche Enttäuschung verstehen. Wenn nach so intensiver Befassung mit dem Internet trotzdem so sinnlose Gesetze wie das Leistungsschutzrecht verabschiedet werden, dann ist das ein Rückschritt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Dennoch geben wir dem nächsten Bundestag und der nächsten Bundesregierung eine Reihe von Aufgaben mit auf den Weg. In der Projektgruppe „Kultur und Medien“ zum Beispiel haben wir einstimmig beschlossen, die Depublikationspflicht bei Internetangeboten von ARD und ZDF abzuschaffen. Außerdem wollen wir Journalisten und Urheber gegenüber Verwertern besserstellen. Weil von der Regierung, Herr Otto, aber bisher kein Umsetzungsvorschlag kam, haben wir Grünen einen entsprechenden Antrag erarbeitet. Er wird demnächst zur Abstimmung gestellt werden. Da können Sie dann alle beruhigt die Hand heben. (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Ihr seid Helden!) Ich hoffe, dass wir oder nachfolgende Parlamente auch bei anderen Enquete-Themen noch einen Konsens finden werden. Wir werden es nämlich müssen. Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission im Jahre 2013 markiert nicht das Ende einer Reise. Er ist ein Zwischenschritt. Entscheidend ist nun, was wir daraus machen. Vielleicht werden wir in 10, 15 Jahren noch einmal eine Internet-Enquete-Kommission brauchen, und vielleicht können dann Kolleginnen und Kollegen wie Konstantin von Notz, Lars Klingbeil, Petra Sitte, Halina Wawzyniak, Thomas Jarzombek, Jimmy Schulz, Manuel Höferlin und wie sie alle heißen oder ich den neuen, jungen MdBs erzählen, wie das damals so war, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) als das Internet für uns alle noch so neu und aufregend war. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat der Kollege Dr. Reinhard Brandl das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen und vor allem verehrte sachverständige Mitglieder der Enquete-Kommission, die heute zum Teil auf der Tribüne zu Gast sind und die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass wir den Bericht heute in dieser Form verabschieden können! Gemeinsam mit Ihnen ist es uns gelungen, die Debatte um die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung in der notwendigen Breite und Tiefe zu führen und damit von einer oberflächlichen, emotionsgeladenen Auseinandersetzung wegzukommen zwischen denen, die besonders kompetent sind, und denen, die sich bei allen neuen Fragen vermeintlich nur an die alten Regeln der Offlinewelt klammern. So einfach ist es nämlich nicht. Dass es nicht so einfach ist, zeigen die mehr als 2 000 Seiten des Berichts, die uns heute vorliegen. Das Interessante dabei ist: In den Texten geht es kaum um Technik, sondern darum, wie in einem sich ändernden Umfeld die unterschiedlichen Belange zum Beispiel von Nutzern und Urhebern, von Sicherheit und Bürgerrechten, von Wirtschaft und Verbrauchern, von großen und kleinen Unternehmen, aber auch ganz konkrete Belange von Inhalteanbietern im Internet und Inhalteanbietern im Rundfunk neu ausbalanciert werden müssen. Die große Leistung der Enquete liegt für mich vor allem in der Beschreibung und den Bestandsaufnahmen der Veränderungen durch die Digitalisierung. Dass auf Basis dieser Bestandsaufnahmen dann unterschiedliche Handlungsempfehlungen zustande kommen, verwundert nicht. Es gibt ja auch unterschiedliche Standpunkte in diesem Haus. Aber insbesondere mit den Bestandsaufnahmen haben wir eine sachliche Basis geschaffen, die es vorher in dieser Form nicht gab. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass sich Professor Ring als ehemaliger Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien und Alvar Freude als Mitgründer des AK Zensur auf ein gemeinsames Leitbild einigen können, in welchem Verhältnis Jugendmedienschutz und Medienkompetenz zueinander stehen? In meinem Bereich, der Projektgruppe „Bildung und Forschung“, haben wir zum Beispiel intensiv das Themenfeld „Open Access im Wissenschaftsbereich“ bearbeitet und von allen Seiten beleuchtet. Wir haben im Konsens einen Vorschlag erarbeitet, der eine gute Grundlage für das nun anstehende Gesetzesvorhaben ist. An diesem Thema lässt sich beispielhaft der Wert einer solchen Enquete-Kommission aufzeigen. Der Wert besteht nämlich nicht darin, dass sich die Netzpolitiker aller Fraktionen an einen Tisch setzen und sich verständigen. Die sind sich ja oft sowieso alle einig. Der Wert besteht darin, dass sich die Netzpolitiker mit den zuständigen Berichterstattern der Fachausschüsse aus den Bereichen Bildung und Forschung, Recht, Innen, Wirtschaft, Verbraucher, Kultur und Medien, Familie – überall ist ja das Internet mehr oder weniger ein Thema – zusammensetzen und in einer Kommission Konsense erarbeiten, die dann auch über die Kommission hinaus tragen. (Beifall des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das ist der Mehrwert. Solch ein Koordinierungsgremium zwischen den einzelnen Politikfeldern fehlt uns noch im Deutschen Bundestag. Was uns in Deutschland auch noch fehlt, ist eine Begleitung durch wissenschaftliche Einrichtungen, die dieses Thema, so wie wir es gemacht haben, interdisziplinär in allen Lebensbereichen bewerten und untersuchen und unabhängig von den kommerziellen Interessen großer Firmen sind. Ich hoffe, dass wir mit unserem Bericht, mit unserer Arbeit und auch den Empfehlungen in dieser Richtung die Gründung solcher Institutionen mit vorantreiben können. Die offene und transparente Arbeit in der Enquete-Kommission – das ist hier schon mehrfach angesprochen worden – hat auch gezeigt, wie wertvoll die Beteiligung von Bürgern über das Internet sein kann. In den Projektgruppen, in denen ich war, haben wir die Vorschläge aus dem Internet eins zu eins in den Bericht übernommen. Natürlich haben sich nicht alle Fraktionen allen Handlungsempfehlungen aus dem Internet angeschlossen. Aber auch das haben wir transparent gemacht. Jeder, der sich über das Internet mit eingebracht hat, findet sich mit seinen Argumenten auch im Bericht wieder. Ich möchte mich bei allen bedanken, die sich über das Internet an unserer Arbeit beteiligt haben, die unsere Arbeit mitverfolgt haben, aber ich möchte mich auch bei denen bedanken, die uns hier im Haus tatkräftig unterstützt haben. Die Sachverständigen sind bereits alle namentlich genannt worden. Ich darf weiter die Mitarbeiter der Verwaltung, des Sekretariats, der Fraktionen und der Abgeordneten nennen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ohne deren große Unterstützung – zum Teil mussten wir bei unserer Arbeit ja auch auf Wochenenden zurückgreifen, weil wir es sonst nicht geschafft hätten, das Thema wirklich abzuschließen – wäre das nicht zu schultern gewesen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin stolz auf das, was wir in den letzten drei Jahren gemeinsam erreicht haben. Die Berichte, die der Kollege Höferlin uns gerade so plastisch gezeigt hat, sind nicht nur etwas zum Ins-Regal-Stellen, um dann später einmal unseren Nachfolgern zu zeigen, wie fleißig wir damals waren, sondern – ich sage es aus meiner Erfahrung – ich nehme die Berichte immer wieder zur Hand, wenn ich mir über ein Thema einen Überblick verschaffen möchte. Das ist eine gute Grundlage, die wir gemeinsam erarbeitet haben. Ich kann jedem von Ihnen und jedem von euch empfehlen, das Gleiche zu tun. Es lohnt sich zu lesen. Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit, und herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der nächste Redner ist der Kollege Gerold Reichenbach für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Gerold Reichenbach (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, auch in meiner Eigenschaft als stellvertretender Kommissionsvorsitzender, zunächst ebenfalls den Mitarbeitern des Sekretariats, aber auch den Sachverständigen danken. Es hat Spaß gemacht, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Was die Sachverständigen betrifft, zumindest die, die von meiner Fraktion benannt worden sind, bin ich sicher, dass die fruchtbare und teilweise auch sehr enge persönliche Zusammenarbeit mit ihnen über die Legislaturperiode hinausgehen wird. An uns soll es nicht scheitern. Ich möchte mich auch bedanken bei meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, stellvertretend für all die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer Fraktion, aber auch der anderen Fraktionen. Sie mussten zusätzlich zu dem Alltagsgeschäft, das sie für einen Bundestagsabgeordneten ohnehin bewältigen mussten, sehr viel Zeit in die Vorbereitung der Sitzungen der Arbeitsgruppen und der Sitzungen der Enquete-Kommission investieren. Auch ihnen sage ich noch einmal ausdrücklich meinen herzlichen Dank. Der Chefredakteur von Zeit Online hat einmal formuliert: Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ ist die unterschätzte Keimzelle für die Erneuerung des Parlamentarismus. Dieses Zitat findet sich übrigens auch im Schlussbericht der Enquete. Ein anderer Kommentator hat formuliert: „Viel erreicht und doch versagt.“ Ich glaube, auch diese Qualifizierung der Enquete stimmt. Neben all den positiven Aspekten, die bereits benannt sind, sollte man hier auch den einen oder anderen kritischen Punkt nicht unter den Tisch fallen lassen. In vielen Bereichen ist die Enquete hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben, nicht was die Beschreibung des Ist betrifft, sondern was die Frage des Angehens von Zukunftsherausforderungen und Handlungsempfehlungen betrifft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Insofern ist der Hinweis der Kollegin Zypries wichtig: Wichtige Ergebnisse der Enquete sind nicht nur das, was sich in den Mehrheitsbeschlüssen, in den Handlungsempfehlungen widerspiegelt. Zu oft mussten wir erleben, dass neben einer sehr allgemeinen Beschreibung dessen, was ist, und sehr vagen Handlungsempfehlungen mit den Koalitionsfraktionen nichts durchzusetzen war. Kritisch anmerken muss ich auch, dass für die, die gearbeitet haben, sehr oft der massive Einfluss der Wirtschaftslobby auf die Koalition zu spüren war. (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Was?) Dies ging teilweise so weit, dass bereits konsertierte Texte zurückgezogen wurden, weil Wirtschaftsverbände damit nicht einverstanden waren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Wo denn?) Dass an vielen Stellen nichts ging, zeigt auch, dass Kompromissbereitschaft nicht vorhanden war. Vielleicht lag es auch daran, dass die Koalition intern sehr oft sehr viel Mühe darauf verwenden musste, untereinander Konsens herzustellen, und nicht mehr in der Lage war, ihr Vorgehen auch noch auf die Opposition, auf die Sachverständigen und die Fraktionen insgesamt auszudehnen. (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Es ist schön, dass alle anderen Konsens hatten, bis auf einen!) Das sieht man allein daran, dass es trotz unterschiedlicher Positionen von SPD, Grünen und Linkspartei gelungen ist, in vielen Sondervoten eine gemeinsame Position zu verhandeln, und dies auch mit sehr viel Bereitschaft zu Kompromissen. Ich rate, sich im Bericht der Enquete nicht nur das anzuschauen, was der jetzigen Mehrheit im Parlament geschuldet ist, sondern auch das, was in den Sondervoten seinen Niederschlag gefunden hat. Ich persönlich bin davon überzeugt – das werden Sie mir nachsehen –, dass dies zukunftsweisender ist. Darüber hinaus ist es ein Fingerzeig darauf, was bei anderen Mehrheiten in diesem Hause möglich ist. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur einmal drei Bereiche: Bereich Datenschutz: Da geht es um die Stärkung der Persönlichkeitsrechte. Da geht es darum, ob per Gesetz garantiert wird, dass die Hoheit über die Daten bei den jeweiligen Personen bleibt, und dass sie nicht nur Gegenstand von Geschäftsmodellen wird. Beim Verbraucherschutz geht es darum, dass bei allem Interesse der Wirtschaft, Geld und Profit zu machen, der Schutz des Verbrauchers nicht auf der Strecke bleibt. Die Tatsache, dass es zum Verbraucherschutz keine einzige gemeinsame Handlungsempfehlung gibt, zeigt doch, dass in vielen Bereichen die Koalition den Verbraucherschutz offensichtlich etwas falsch verstanden hat, nämlich als den Schutz der Wirtschaft vor den Ansprüchen des Verbrauchers interpretiert. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Ich nenne ein anderes Beispiel, das Beispiel IT-Sicherheit. Wir alle wissen, dass die digitale Gesellschaft die Zukunft ist; das wird immer mehr Lebensbereiche durchdringen. Es wird in Zukunft darauf ankommen, dieses Instrument, von dem wir immer mehr abhängig werden, auch – ähnlich, wie das beim Automobil der Fall war – sicher zu machen. Da reicht es nicht, in die Handlungsempfehlung zu schreiben, wie das die Koalition getan hat: Wir bitten die Wirtschaft höflichst, etwas mehr über Sicherheit nachzudenken. – Selbst der Vorstoß von uns: „Lasst uns über ein IT-Sicherheitsgesetz nachdenken!“, war mit der Koalition nicht konsensfähig. (Manuel Höferlin [FDP]: Irgendetwas hat an der Formulierung nicht gestimmt; sonst hätten wir das gemacht!) Ihr eigener Innenminister ist anschließend gekommen und hat gesagt: Wir brauchen so etwas. – Auch das ist ein gutes Beispiel dafür, wie wenig man an einigen Stellen bereit war, wirklich in die Zukunft gerichtet zu diskutieren. (Beifall bei der SPD) Deswegen sage ich: Es ist nicht alles Gold, was glänzt an der EIDG. Aber insgesamt haben wir ein Kompendium vorgelegt, in dem – ich sage ausdrücklich: in vielen Bereichen leider nur in den Minderheitenvoten – zukunftsweisende Diskussionsanstöße für die Gestaltung einer demokratischen, verbraucherfreundlichen, sich am Menschen orientierenden digitalen Gesellschaft stecken. Dies gilt es in der öffentlichen Debatte und auch in der nächsten Legislaturperiode aufzugreifen. Da bin ich optimistisch. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich gebe jetzt Sebastian Blumenthal das Wort für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sebastian Blumenthal (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Reichenbach, ich habe mich eben gefragt, in welcher Enquete-Kommission Sie wohl waren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Äußerungen, die Sie hier gemacht haben, kann ich nur zurückweisen. Ich finde es schade; das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Man kann etwas differenziert darstellen. Man kann aber auch völlig überziehen, und es kann ganz kleines Karo sein, was man auspackt. Sie haben uns von der Koalitionsseite unterstellt, wir seien allein von Lobbyistengruppen getrieben. Ich sage Ihnen Folgendes, Herr Reichenbach: Ich käme nicht auf die Idee, der SPD-Fraktion Lobbyismus zu unterstellen, nur weil sie Vertreter von Gewerkschaften in die Enquete-Kommission berufen hat, die uns übrigens gute Hinweise gegeben haben. Das unterscheidet uns. Wir haben natürlich auch Wirtschaftsverbände dabeigehabt, weil das zum Sachverstand dazugehört. Auch der Einsetzungsbeschluss hat es hergegeben, dass wir uns Sachverstand von außen dazuholen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Daraus jetzt die Legende zu stricken: „Gute Lobbyisten sitzen bei der SPD, böse Lobbyisten sitzen bei Schwarz-Gelb“, das diskreditiert Sie und Ihren Beitrag. – Diese Replik musste sein. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte jetzt auf einen inhaltlichen Punkt eingehen, nämlich auf das Thema Arbeitsmarkt, auf den Wandel in der Arbeitswelt. Das ist Thema in der entsprechenden Projektgruppe der Enquete-Kommission gewesen. Ich möchte für die FDP-Fraktion herausstellen, dass wir mit den Handlungsempfehlungen sehr gut leben können, weil darin dokumentiert ist, dass wir nicht vorauseilend regulieren, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass das sogenannte normative Beschäftigungsverhältnis nicht immer prägend sein wird. Wir nehmen zur Kenntnis, dass es einen Teil der Wirtschaft gibt, wo einzelne Arbeitnehmer für sich entscheiden, dass sie selbstständig werden wollen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass im Bereich von Webentwicklung, Webdesign und Softwareentwicklung viele sagen: Eine Festanstellung ist für mich nicht das Ziel. Ich möchte in die Selbstständigkeit gehen. – Das, meine Damen und Herren, führt nicht immer gleich zu prekären Beschäftigungsverhältnissen. Es wurde ja versucht, Herr Kollege Reichenbach, im Rahmen der Enquete-Kommission dieses Zerrbild hier und da zu malen. Wir respektieren den Wunsch der Betreffenden, einmal eine andere Arbeitsbiografie zu leben. (Dr. Peter Röhlinger [FDP]: Sehr richtig!) Es wird immer Phasen geben, in denen man abhängig beschäftigt ist, manchmal eben unterbrochen von Phasen der Selbstständigkeit. Dies gehört zu einer Wirtschafts- und Arbeitswelt, die von digitalen Medien, von digitalen Formaten geprägt ist. Da macht es keinen Sinn, vorauseilend zu regulieren, sondern es gilt, Freiraum für die Entscheidung der Einzelnen im Rahmen ihrer Souveränität zu belassen. Ein zweiter Punkt ist – das ist aus der Projektgruppe zum Thema Wirtschaft; da haben wir noch viel zu tun; da haben wir aber auch Handlungsempfehlungen darstellen können –, das Bewusstsein für unternehmerisches Handeln auch hier in Deutschland weiter zu stärken. Es gab eine Delegationsreise des Unterausschusses „Neue Medien“ Anfang letzten Jahres in die San Francisco Bay Area. Wir haben dort mit deutschen Gründern gesprochen. Ich habe einen derjenigen gefragt: „Warum bist du in die USA gegangen, warum bist du nicht in Deutschland geblieben?“ Er hat ganz klar gesagt: „Wenn ich in Deutschland mit Ende 20 sage, ich möchte Unternehmer werden, ich möchte eben nicht die vermeintliche Sicherheit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, dann werde ich belächelt.“ Wenn er das in seinem persönlichen Umfeld gesagt habe, habe es etwas verschreckte Reaktionen gegeben. In den Vereinigten Staaten, in Nordamerika, gibt es eine andere Mentalität. Wenn wir uns immer wieder fragen, warum die ganz große Innovation, der ganz große Dynamikschub oft vom nordamerikanischen Markt kommt, dann hat das auch damit zu tun, dass wir unsere Mentalität und unsere Einstellung gegenüber diesen Gründern, diesen mutigen Unternehmern durchaus ändern sollten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dazu gehört auch, die sogenannte Kultur des Scheiterns zu respektieren, anzuerkennen. In den Vereinigten Staaten gilt das Scheitern im ersten Versuch als Erfahrungsgewinn. Dort gibt es die pragmatische, die zutreffende Formulierung: Wer einmal den Fehler gemacht hat, macht ihn kein zweites Mal, und er weiß, wie es beim nächsten Mal besser geht. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege – – Sebastian Blumenthal (FDP): Danke, Frau Präsidentin. Ich habe das Zeichen gesehen. – Auch das sollte uns hier weiter vorantreiben. Abschließend, meine Damen und Herren: Zu dem Fazit einer Zeitung, die Rebellion sei gescheitert – Jens Koeppen hat es vorhin erwähnt –, sage ich: Das Gegenteil ist der Fall, sie hat gerade erst begonnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Bravo!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Peter Tauber das Wort. Er hat auch etwas mitgebracht. Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Ja, aber nur Papier. Ich habe das Internet weder unter dem Arm noch ausgedruckt mitgebracht. (Zuruf von der FDP: Im Herzen!) – Im Herzen? – Na, jetzt wird es fast schon pathetisch, fast schon flauschig. Mal schauen, ob das am Ende meines Redebeitrags auch noch so ist. (Heiterkeit bei der FDP) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, drei Jahre Arbeit liegen hinter uns, drei Jahre Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Ich kann mich noch gut an den einen oder anderen Kommentar zu Beginn dieser Enquete, kurz nach oder auch vor dem Einsetzungsbeschluss, im Netz erinnern. Teilweise ein bisschen hämisch, teilweise belächelnd, so nach dem Motto: Jetzt reden die Internetausdrucker über das Netz. In der Tat, ich muss zumindest für mich feststellen, ich habe in den drei Jahren auch unheimlich viel gelernt. Ich bin schlauer als vor drei Jahren. Ich finde, dass es gut ist, wenn man in einer Enquete lernt, und ich denke, wir können für uns alle, ohne dass wir uns etwas vergeben, mit ins Resümee hineinschreiben: Wir haben etwas gelernt. Ob wir dabei den hohen Erwartungshaltungen, mit denen wir aus dem Netz konfrontiert worden sind, mit dem, was wir vorgelegt haben, mit der Art, wie wir mit dem Thema umgegangen sind, gerecht werden, weiß ich nicht genau. Ich glaube, dass wir da auch eine große Herausforderung vor uns hatten. Es gab die hohe Erwartungshaltung derjenigen, die sich im Netz wie selbstverständlich bewegen, die wissen, was da passiert, die schon sehr viel länger über die Folgen der Digitalisierung für unsere Gesellschaft nachdenken, und die gesagt haben: Jetzt muss die Politik etwas tun, jetzt müssen die sich bewegen im Parlament, und das muss schnell gehen. – In der Tat muss es bei vielen Fragen, mit denen wir uns beschäftigen, auch schnell gehen. Die Wahrheit ist aber auch, dass sich die Enquete vorgenommen hatte, dieses Thema aus der Nische herauszuholen – nicht deshalb, weil die Piraten zu der Zeit Wind in den Segeln hatten und für sie keine Flaute herrschte –, weil wir eben gemerkt haben, dass das ein Thema ist, das für die Zukunft unseres Landes existenziell ist. Wenn man will, dass alle Menschen diesen Weg mitgehen, sich auf die Risiken einlassen, auf die Veränderungen, die dadurch entstehen, einlassen, dann muss es auch ein Thema sein, das alle interessiert, und dann darf nicht nur eine kleine Gruppe, die sich gut auskennt, voranmarschieren. Wir haben genau das versucht. Wir haben versucht, das Thema wirklich an alle zu adressieren und nicht nur an die, die schon im Thema sind. Dabei haben wir wahrscheinlich auch die eine oder andere Enttäuschung bei dem einen oder anderen Nerd und Blogger produziert. Das mag so sein. Aber ich glaube, das müssen wir in Kauf nehmen. Denn am Ende ist das ja gelungen. Es ist inzwischen ein Thema, das alle beschäftigt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber von jeder Besuchergruppe, die hier ist, in jeder Veranstaltung, die man vor Ort macht, wird man inzwischen auf netzpolitische Fragen angesprochen. Das ist kein Nischenthema mehr, es ist in der Mitte des Parlaments angekommen, wie es auch – dazu haben wir sicherlich einen Teil beigetragen – in der Mitte der Gesellschaft als zentrales politisches Zukunftsthema angekommen ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir Abgeordnete haben dabei neue Arbeitsmethoden ausprobiert. Die Sitzungen sind gestreamt worden. Man musste damit leben, dass das, was man tut und sagt, unmittelbar und zeitnah kommentiert wurde. Man konnte die Kommentierung verfolgen. Daran musste sich der eine oder andere gewöhnen. Zugegebenermaßen ist das, gerade wenn Kritik geäußert wird, nicht gerade leicht. Wir haben auch erlebt, dass die Arbeit in der Enquete – ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, gerade bei denen der anderen Feldpostnummer, herzlich bedanken –, die Arbeit in den Sitzungen der Projektgruppen, unheimlich konstruktiv war. Wir haben in der Sache hart gestritten. Aber die Arbeit war konstruktiv. Für die Projektgruppe Netzneutralität, die ich leiten durfte, kann ich sagen: Es war spannend, zu sehen, wer fraktionsübergreifend bereit war, zusammenzuarbeiten, Textbausteine zu liefern, seitens der Sachverständigen, seitens der Abgeordneten. Das hat mir persönlich viel Freude gemacht. Aber die Wahrheit ist auch: Sobald die Kameras an waren, sobald die Sitzung öffentlich war, ist der eine oder andere in die gewohnten Rituale zurückgefallen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Dann müssen wir uns fragen: Sind wir schon in der Lage, diese Instrumente bei der politischen Arbeit so zu nutzen, wie es im Idealfall sein sollte? – Ich glaube, dass das Parlament noch einen Lernprozess vor sich hat. Gerade habe ich allen Kolleginnen und Kollegen gedankt. Ich schränke den Dank nach den Wortbeiträgen, die ich gehört habe, noch ein. Ich wende mich noch einmal an die Freunde der Sozialdemokratie. Herr Reichenbach, nach Ihrem Wortbeitrag weiß ich, warum der eine oder andere in der Enquete Sie hinter vorgehaltener Hand den Troll der Enquete nennt. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Das sage ich Ihnen ganz offen an dieser Stelle. Frau Zypries, auch an Sie ein Wort: Es tut nicht gut, hier vorne so zu tun, als ob man alles verstanden hätte, alles wüsste und glaubt, die Kollegen der Regierungsfraktionen belehren zu müssen, wenn man eine der Mütter des Zugangserschwerungsgesetzes ist. Diesen Titel haben Sie. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie waren vielleicht nicht federführend, aber dabei. Der einzige, den ich ausnehme, ist der Kollege Klingbeil, den ich sehr schätze. Er hat sich bewusst zurückgehalten, weil er weiß, dass er an dieser Stelle stand und sagte: Wir werden im Bundesrat das Leistungsschutzrecht aufhalten. Er ist als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Deswegen war er hier sehr freundlich. So freundlich und so gut, lieber Lars, war auch die Zusammenarbeit im Plenum. Wir haben uns einige Dinge vorgenommen. Einer darf nicht passieren, dass wir Netzpolitik nämlich wieder zu den Akten legen. Wir haben über den Ausschuss geredet. Ich finde es schön, dass alle Fraktionen Konsens haben. Wir brauchen diesen Ausschuss. Ob ein Staatsminister oder ein Beauftragter im Kanzleramt für dieses Thema zukünftig zuständig ist, darüber können wir zu Beginn der nächsten Legislaturperiode sprechen. Ich glaube, es ist gut, neben der Tagespolitik, mit der wir uns beschäftigen müssen, auch ein Weißbuch zu schreiben, ein Cyber- white-Paper, in dem wir festlegen, wohin wir im Zuge der Digitalisierung dieses Landes in den nächsten fünf oder zehn Jahren wollen. Dann können wir uns auch auf die entscheidenden Fragen konzentrieren. Dies war das Schöne in der Enquete. Wir haben es ab und zu geschafft, die Tagespolitik beiseitezuschieben, und uns gefragt: Was ist die Linie? Wohin soll es gehen? Das brauchen wir auch weiterhin. Neben aktuellen tagespolitischen Fragen geht es um die große Linie, wo wir mit der Digitalisierung unseres Landes hinwollen. Dies ist eine sehr große Chance, die wir gemeinsam nutzen müssen. Das hat die Enquete nach außen deutlich gezeigt. Deswegen ist sie für mich auch ein Erfolg. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Axel Fischer von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit 2010 war ich Vorsitzender der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, deren Arbeitsergebnisse wir heute debattieren. Wir blicken zurück auf 20 Kommissionssitzungen und nicht weniger als 179 Arbeitssitzungen der Projektgruppen. Insgesamt haben wir 13 Expertengespräche veranstaltet. Als Ergebnis unserer Arbeit legen wir 14 sach- und fachkundige Berichte vor. Ich sage das nicht ohne Stolz, und ich kann Ihnen versichern, zwischendurch war die Arbeit auch schwierig und mühsam. Auf anfänglichen Enthusiasmus folgte schnell die Phase der Ernüchterung. Aber wir haben uns zusammengerauft und uns so mancher Kontroverse gestellt. Umso mehr freue ich mich über die Ergebnisse. Es ist uns eine umfassende Aufarbeitung des Themenbereichs gelungen. Wir haben dabei Konflikte offen und klar aufgezeigt. Sicherlich gibt es auch Lücken – nichts ist perfekt –, aber ich persönlich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden und danke allen, die an diesem Werk mitgewirkt haben: den Kollegen, den Sachverständigen, den Mitarbeitern und auch dem „18. Sachverständigen“. Besonders danke ich heute hier an dieser Stelle dem Leiter des Sekretariats der Enquete-Kommission, Herrn Ministerialrat Norbert Linn, der eine schlagkräftige Sekretariatsmannschaft zusammengestellt und zusammengehalten hat und über die Jahre hinweg ein verlässlicher und stets kompetenter Ansprechpartner war. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ihnen persönlich und Ihren Mitarbeitern vielen Dank für Ihren unermüdlichen Einsatz! Ohne Sie alle wäre der Erfolg der Kommission so nicht möglich gewesen. Deshalb freue ich mich besonders, dass so viele von Ihnen heute gekommen sind und auf der Tribüne sitzen. Herzlich willkommen! Schön, dass Sie die Debatte mitverfolgen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Michael Kretschmer [CDU/CSU] und Anton Schaaf [SPD]) Meine Damen und Herren, wie sich in der Debatte schon gezeigt hat, war unser Aufgabenfeld riesig. Wir haben zentrale Themen in Projektgruppen aufgearbeitet und jeweils Zwischenberichte mit Handlungsempfehlungen an den Gesetzgeber vorgelegt. Mit der Onlinebürgerbeteiligung hat die Enquete-Kommission Neuland betreten: Noch nie zuvor hat eine Enquete zum Beispiel grundsätzlich öffentlich getagt. Keine andere Enquete zuvor hat auf einer eigens dafür eingerichteten Webseite Material veröffentlicht, hat Blogs, Forum und Twitter-Kanal bereitgestellt, mit EtherPads gearbeitet oder Livestreams der Sitzungen angeboten. Nicht alles hat sich bewährt. Wichtig ist jedoch, dass wir es probiert haben, dass wir neue Elemente ausprobiert haben, zusätzlich zu den etablierten und bewährten Arbeits- und Organisationsformen des Parlaments. Eine Sonderstellung nimmt hier sicher die Onlinebürgerbeteiligung über eine spezielle Bürgerbeteiligungsplattform ein. Auch hier konnten sich Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Sachverstand und ihrer Meinung in die Arbeit der Enquete einbringen. Die Projektgruppen haben anschließend jeweils für sich entschieden, welche dieser Vorschläge sie aufnehmen und in welcher Form sie diese verwerten. Meiner Meinung nach war diese Art der Onlinebürgerbeteiligung ein Gewinn, der das Erfolgsmodell der parlamentarischen Demokratie bereichert. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es wird übrigens noch eine wissenschaftliche Evaluation der Bürgerbeteiligung durch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag geben, auf deren Ergebnisse wir alle sehr gespannt sein dürfen. Meine Damen und Herren, die Digitalisierung unserer Gesellschaft wird unser Leben zunehmend prägen. Es handelt sich um eine gesellschaftliche Umwälzung von großem Ausmaß, vergleichbar mit der Industrialisierung. Die Politik tut daher gut daran, dieses Thema im politischen Betrieb zentral zu verankern und nicht verkümmern zu lassen. Wenn wir nach vorne blicken, werden wir feststellen: Fragen der digitalen Gesellschaft stellen ein ebensolches Querschnittsthema dar wie etwa die Umweltpolitik. Einst als Nischenthema abgetan, werden Umweltbelange heute jederzeit mitbedacht und sind wesentlicher Bestandteil politischer Entscheidungen. Die Visionäre von damals waren Vorreiter. Der von uns empfohlene Bundestagsausschuss für Internet und digitale Gesellschaft, der auch in der Bundesregierung entsprechend abgebildet werden sollte, erscheint als passendes Mittel, um die Themen der Digitalisierung dauerhaft im Parlament, in der Politik und in der Gesellschaft zu verankern. Es ist an uns, hier und jetzt die entscheidenden Weichen zu stellen und die Entwicklung in die richtige Richtung zu lenken. Daran wollen wir gemeinsam weiterarbeiten. Die Arbeit der Enquete ist beendet, aber unsere Arbeit geht jetzt erst richtig los. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Wir haben damit die Zwischenberichte und den Schlussbericht zur Kenntnis genommen. Wir kommen dann zu Tagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Abgeordneten Anette Kramme, Gabriele Hiller-Ohm, Gabriele Lösekrug-Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mehr Zeitsouveränität für Beschäftigte – Teilzeitarbeit gestalten – Drucksache 17/13084 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile, nachdem die Kollegin Andrea Nahles noch nicht anwesend ist – kommt sie denn noch? –, (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wegen uns muss sie nicht kommen!) als erster Rednerin der Kollegin Anette Kramme von der SPD-Fraktion das Wort. Anette Kramme (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der Begriff „Teilzeitfalle“ ist unabdingbar mit der Teilzeitarbeit verbunden. Gemäß klassischem Verständnis bedeutet der Begriff „Teilzeitfalle“: Man kommt aus der Teilzeitarbeit nicht mehr heraus, und das ist unzweifelhaft ein Problem. Es gibt aber noch eine ganz andere Schwierigkeit. Es ist bei vielen Arbeitgebern extrem schwierig, nach einer Vollzeitbeschäftigung ein Teilzeitarbeitsverhältnis beginnen zu können. Das ist ein richtiges Problem für viele Frauen, die ihre alten Arbeitszeiten beispielsweise nach der Geburt eines Kindes nicht mehr einhalten können oder die überraschend durch den Pflegefall eines Angehörigen vor dem Problem stehen, Pflege erbringen zu müssen, das heißt, Teilzeit arbeiten zu müssen. Ich habe häufig erlebt, dass das mit einer Kündigung einhergeht. Das ist natürlich sehr unschön. Deshalb hat Rot-Grün erstmals im Jahr 2000 den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit eingeführt. Das war und ist eine gute und richtige Sache. Es hat sich aber herausgestellt, dass es an der einen oder anderen Stelle praktische Probleme gibt. Damals haben wir den Rechtsanspruch an die Bedingung geknüpft, dass der Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung keine betrieblichen Gründe entgegenstehen. Literatur und Rechtsprechung sind sich allerdings einig, dass kein strenger Maßstab anzulegen ist. Zum Beispiel soll es ausreichend sein, wenn ein Arbeitgeber der Auffassung ist, dass Kunden in einem Geschäft immer den gleichen Ansprechpartner vorfinden müssen. Oder: Der Arbeitgeber kann sich sogar entschließen, überhaupt keine Teilzeit zuzulassen, wenn er dies nur einigermaßen plausibel begründet. Deshalb sind an dieser Stelle Änderungen angebracht. Teilzeit soll nach unserer Vorstellung in einem Betrieb nur noch dann abgelehnt werden können, wenn „dringende betriebliche Gründe“ vorliegen. Dabei handelt es sich um einen Begriff, den wir aus dem Kündigungsschutzgesetz kennen, mit dem man also gut umgehen kann. Auch dann, wenn betriebliche Gründe seitens des Arbeitgebers vorgetragen werden, soll der Arbeitgeber in bestimmten Konstellationen dennoch abwägen müssen, weil es natürlich auch aufseiten der Arbeitnehmer Konstellationen gibt, die Teilzeitarbeit zwingend erforderlich machen, beispielsweise wenn ein Kind unter 14 Jahren versorgt werden muss oder pflegebedürftige Angehörige zu betreuen sind. Wir kennen aus der Juristerei durchaus die Situation, dass die Belange von Arbeitnehmern zu berücksichtigen sind, beispielsweise wenn es um die Ausübung von Ermessen geht. Lassen sie mich zu einem zweiten Thema innerhalb der Teilzeitarbeit kommen: zur unfreiwilligen Teilzeit. Circa ein Fünftel aller Teilzeitbeschäftigten leistet unfreiwillig Teilzeitarbeit, weil kein Vollzeitarbeitsplatz zur Verfügung steht. Lassen Sie mich bei der Gelegenheit auf Folgendes aufmerksam machen: Wenn man diejenigen einrechnet, die aufgrund fehlender Betreuungsmöglichkeiten Teilzeit arbeiten, käme man auf noch weitaus höhere Zahlen; aber das ist ein anderes Thema. Der Zeitumfang, den Teilzeitbeschäftigte mehr arbeiten möchten, beträgt, wie wir wissen, bei sozialversicherungspflichtig Teilzeitbeschäftigten im Regelfall vier zusätzliche Stunden, bei Minijobbern sogar neun Stunden. Hinter unfreiwilliger Teilzeitarbeit verbirgt sich vor allen Dingen ein Rentenproblem; denn langjährige Teilzeitarbeit oder gar ein Minijob führen zu Altersarmut. Deshalb haben wir bereits unter Rot-Grün den sogenannten Berücksichtigungsanspruch eingeführt. Wird ein Arbeitsplatz frei, ist der Arbeitgeber verpflichtet, Teilzeitbeschäftigte vorrangig zu berücksichtigen. Aber niemand kennt diesen Berücksichtigungsanspruch. An sich wäre eine Kampagne des Arbeitsministeriums oder des Familienministeriums dringend erforderlich. Wie beim ganzen Themenblock „Teilzeitbeschäftigung/Rechte von Frauen“ gibt es aber auch hier nur Ankündigungspolitik; es gibt kein wirkliches Handeln der Ministerien. Lassen Sie mich zu dem Berücksichtigungsanspruch zurückkommen. Die diesbezügliche Rechtsprechung ist leider nicht unproblematisch. Nach der Rechtsprechung kann der teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nicht verlangen, dass der Arbeitgeber, um einen Verlängerungswunsch zu erfüllen, einen freien Teilzeitarbeitsplatz mit dem bisherigen Teilzeitarbeitsplatz vereinigt oder den neu freigewordenen Arbeitsplatz anders zuschneidet. Das wollen wir ändern. Ich finde, das ist eine wichtige Sache. Es darf nicht heißen: einmal Teilzeit, immer Teilzeit. Frauen müssen neue Chancen bekommen. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich abschließend ein drittes Problem ansprechen. Urteile zur Teilzeitbeschäftigung sind bislang nicht vorläufig vollstreckbar. Das ist für das Arbeitsrecht an sich etwas Atypisches. Es kann daher dazu kommen, dass Arbeitnehmerinnen Jahre darauf warten müssen, in Teilzeit gehen zu können. Dabei ist nur eine winzige Formulierungsänderung im Teilzeit- und Befristungsgesetz erforderlich. Auch diese Änderung würden wir gerne vornehmen. (Beifall bei der SPD) Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Gesetz zur Schaffung von mehr Zeitsouveränität die Realität von Teilzeitbeschäftigten wesentlich verbessern würde. Heute haben Sie, meine Damen und Herren von der Union und der FDP, die Frauenquote für Vorstände und Aufsichtsräte abgelehnt. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wir machen etwas Besseres!) Sie sollten keinen weiteren politischen Sündenfall begehen und deshalb unserem Antrag zur Teilzeitbeschäftigung zustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU hat jetzt das Wort der Kollege Ulrich Lange. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Jetzt erklär uns das mal! – Gegenruf des Abg. Pascal Kober [FDP]: Beziehungsweise denen!) Ulrich Lange (CDU/CSU): Das mache ich jetzt. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Du könntest auch noch Frau Nahles begrüßen! Sie ist zwischenzeitlich eingetroffen!) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Teilzeitarbeit ist inzwischen ein wichtiger Teil unseres Wirtschafts- und Arbeitslebens geworden. Ich gebe zu, liebe Kollegin Kramme: Als Rot-Grün damals das TzBfG verabschiedet hat, stand auch ich persönlich diesem Gesetz durchaus kritisch gegenüber. Heute können wir aber feststellen: Das TzBfG ist ein fester und anerkannter Bestandteil des Arbeitsrechts und bietet auch schon heute eine Chance, Zeitsouveränität auszuüben. Auf dieser gesetzlichen Grundlage ist es vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schon heute möglich, ihre Arbeit zu reduzieren oder zu verlängern. Es ist also nicht nötig, durch ein neues Gesetz in dem von Ihnen geforderten Umfang für angeblich mehr Zeitsouveränität auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen. Wir glauben, dass wir mit dem jetzigen Gesetz eine sehr gute Grundlage haben. Warum? – Lassen Sie mich dazu ein paar rechtliche Ausführungen machen, da Sie, liebe Kollegin Kramme, gerade gesagt haben, dass das, was Sie damals geschaffen haben, untauglich sei. § 8 TzBfG enthält schon die Bestimmung, dass der Arbeitgeber dem Verringerungswunsch zustimmen muss, außer es stehen betriebliche Gründe dagegen. Jetzt wollen Sie das Wort „dringend“ einfügen. Das Wort „dringend“ war in Ihrem damaligen Referentenentwurf enthalten. Sie selbst haben es im Jahr 2000 herausgenommen, (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Hört! Hört!) weil Sie die betrieblichen Notwendigkeiten genau erkannt haben. An dieser Stelle hat das BAG mit seiner Rechtsprechung angeknüpft, werte Kollegin Kramme. Durch die Rechtsprechung, die Sie als so problematisch erachten, sind die Gewichte längst verschoben worden, indem gesagt wurde: Es müssen wesentliche Beeinträchtigungen für die Arbeitsorganisation bzw. unverhältnismäßige wirtschaftliche Belastungen entstehen, um dem Anspruch nach § 8 TzBfG nicht stattzugeben. Wir fassen zusammen: In § 8 TzBfG ist schon heute die Stellung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchaus stark. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Genau!) Nicht anders sehen wir das bei § 9 TzBfG, dem Wunsch nach Verlängerung der Arbeitszeit. Es ist richtig: Es gibt keinen bedingungslosen Anspruch. Ich will aber auch darauf hinweisen, dass § 9 TzBfG anders als § 8 zum Beispiel keine Kleinbetriebsklausel kennt. Das heißt, in jedem Kleinbetrieb kann ich ohne Wartezeit sofort den Verlängerungswunsch stellen. Die Fallsituation, die Sie gerade beschrieben haben, dass die Arbeitsplätze nicht entsprechend zugeschnitten werden müssen, ist auf der einen Seite richtig, aber gerade Sie wissen doch, dass eine Umgehung des § 9 TzBfG nicht zulässig ist, sondern dass der Arbeitgeber im Zweifel arbeitsplatzbezogene Sachgründe nachweisen muss. Wir stellen also auch hier fest: § 9 TzBfG ist eine starke Norm, die eher den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Vorrang gibt. Auch den strengeren Maßstab habe ich: Indem Sie im Jahr 2000 das Wort „dringend“ nur in § 9 verwendet haben – ich hoffe, dies interessiert auch die Kollegin Kramme und die Kollegin Nahles –, haben Sie damals als Gesetzgeber diese Unterscheidung selber so getroffen. Nachdem Sie Mitbestimmung und Sanktionen angesprochen haben, möchte ich nur darauf hinweisen, dass die Missachtung des § 9 TzBfG, also des Wunsches nach Verlängerung der Arbeitszeit, dem Betriebsrat ein Zustimmungsverweigerungsrecht gibt. Also besteht auch hier keine schwache Stellung. Was die Durchsetzbarkeit von Urteilen angeht, liebe Kollegin Kramme, kann ich Ihre Auffassung ebenfalls nicht teilen. Sie wissen, dass es im Falle der Besetzung der Stelle durch einen Mitbewerber einen Unterlassungsanspruch bzw. die Möglichkeit einer Konkurrentenabwehrklage gibt, und zwar im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Der volle Rechtsweg steht also offen. Für den von Ihnen beschriebenen Fall, dass das Arbeitsgericht feststellt, dass die Stelle rechtswidrig besetzt wurde, besteht ein Schadensersatzanspruch in voller Gehaltsdifferenz zur Vollzeitstelle. Jeder Arbeitgeber wird sich im gerichtlichen Verfahren also überlegen, ob er den Arbeitsplatz, wenn es zum Verfahren kommt, besetzt. Die prozessualen Möglichkeiten, die das TzBfG hier einräumt, sind also kein stumpfes Schwert. Sie selber wissen doch am besten, dass weit über 90 Prozent dieser Fälle beim Gütetermin erledigt werden. Wir haben – auch Sie sollten es haben – Vertrauen zu unseren Arbeitsgerichten. Natürlich gibt es Wünsche nach mehr Teilzeit und Wünsche auf eine Verlängerung der Arbeitszeit. Das ist zum einen eine Frage des Personalmanagements, und zum anderen hängt es damit zusammen, dass sich Beschäftigungszeiten entsprechend der Lebensumstände und der Qualifikation im Laufe eines Berufslebens verändern können und sollen. Genau dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, haben wir ja eine von Ihnen damals geschaffene Rechtsgrundlage. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja, genau!) Am Ende geht es immer um die Abwägung zwischen den Wünschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und den Eingriffen in Betriebsorganisation und unternehmerische Freiheit. Auch das bitte ich an dieser Stelle zu bedenken. Wo keine Vollzeitstelle da ist, kann auch ein Rückkehranspruch oder ein Anspruch auf Verlängerung der Arbeitszeit per Gesetz sie nicht schaffen. Ich bitte auch, zu bedenken, was ein Rückkehranspruch für befristete Vertretungen bedeutet. Es darf am Ende nicht zu einem Verschiebebahnhof von der Teilzeitbeschäftigung in die Befristung mit Teilzeit kommen. Genau das ist der Schwachpunkt Ihres Antrags. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Wir kümmern uns um die Abwägungsparameter. Wir werden diese Diskussion offen führen. Aber im Hinblick auf den Fachkräfteengpass geht es auch um die Verantwortung der Unternehmen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern solche Arbeitszeiten zur Verfügung zu stellen, durch die die gut qualifizierten Mitarbeiter in unserem Land gehalten werden können. Lassen Sie uns also auf diesem Weg weitergehen! Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin Jutta Krellmann. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Teilzeit- und Befristungsgesetz von 2000 sollte die Teilzeitarbeit fördern. In der Praxis damals war es nur schwer durchsetzbar. Jeder Praktiker, der nur gelesen hat, wie das gehen soll, hat festgestellt: So geht das nicht. Da bekommen wir Schwierigkeiten. Das lässt sich so überhaupt nicht umsetzen. Und heute? Es gibt wachsende Unordnung auf dem Arbeitsmarkt durch Flexibilisierung. Einerseits sind Menschen überlastet. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit bei Vollzeitstellen hat zugenommen, die Zahl der Überstunden auch. Menschen leiden unter zu langen Arbeitszeiten und wollen weniger arbeiten; aber sie können nicht. Andererseits gibt es immer mehr Menschen, die unfreiwillig in Teilzeit arbeiten. Sie wollen mehr arbeiten, aber dürfen oder können nicht. Unterbeschäftigung bedeutet niedrigeres Einkommen. Viele Menschen sind arm trotz Arbeit: erstens, weil die Wochenarbeitszeit geringer ist, und zweitens, weil die Stundenlöhne von Teilzeitbeschäftigten in der Regel niedriger sind als die anderer Beschäftigter. Teilzeitarbeit muss nicht prekär sein, ist es aber oft. (Zuruf von der LINKEN: Ja, ist richtig!) Viele Teilzeitbeschäftigte beziehen ergänzende staatliche Leistungen, um über die Runden zu kommen, insbesondere alleinerziehende Frauen. Niedrigere Einkommen bedeuten niedrigere Renten. Unfreiwillige Teilzeitarbeit betrifft vor allen Dingen Frauen mit Kindern. Für sie heißt das: Die Abhängigkeit vom Mann, wenn sie einen haben, wird größer. Das alles sind Ergebnisse der unsäglichen Agenda-Politik der letzten Jahre. Was sind die Gründe für unfreiwillige Teilzeit? Hauptgrund ist das mangelnde Angebot an Vollzeitstellen. Viele Vollzeitstellen wurden ersetzt durch Teilzeitstellen. Ein Beispiel dafür (Unruhe) – würden Sie mir bitte einmal zuhören, liebe Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen? –: Im Einzelhandel hat die Zahl der Vollzeitstellen seit 1995 um ein Viertel abgenommen. Die Zahl sozialversicherungspflichtiger Teilzeitstellen ist um ein Drittel gestiegen. Die Zahl der Minijobs hat sich verdoppelt. Unternehmen nutzen Teilzeit und Minijobs, um flexibler auf Schwankungen zu reagieren. Die Arbeit auf Abruf ist im Grunde eine Flexibilisierungskatastrophe für die Beschäftigten. (Beifall bei der LINKEN) Der Arbeitsmarkt polarisiert sich zunehmend. Die Gesamtzahl der Arbeitsstellen hat zugenommen. Die Zahl der Vollzeitarbeitsstellen hat abgenommen, auch wenn Sie das gerne anders sehen möchten. Auch die Zahl der Teilzeitstellen, Minijobs und Befristungen hat parallel zugenommen. Die Menge der Arbeitsstunden in Deutschland ist gleich geblieben. Das sind die Ergebnisse der Agenda-Politik der letzten zehn Jahre, nachzulesen in der Antwort des Bundesministeriums auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion. Wir benutzen nur die Zahlen, die das Bundesministerium genannt hat, keine anderen. Was heute beklagt und korrigiert wird, ist das Ergebnis der Politik von SPD, Grünen, FDP und Union. Es hat eine regelrechte Umverteilung der Arbeit von Vollzeit zu Teilzeit gegeben. Deshalb sind viele Menschen zu wenig beschäftigt, obwohl sie es gerne anders wollen. Das ist Arbeitszeitverkürzung by Chaos und Verschwendung von Arbeitskraft in Zeiten des Fachkräftemangels. Zweiter Grund für unfreiwillige Teilzeit, vor allem von Frauen, ist die Betreuung und Pflege von Familienangehörigen und Kindern neben der Arbeit. Das zwingt zu Teilzeitarbeit, weil es viel zu wenige Kitaplätze gibt und weil in der Pflege kontinuierlich gespart wird. Wenn Kinder alt genug sind oder kranke Eltern nicht mehr gepflegt werden müssen, gelingt vielen Frauen die Rückkehr in Vollzeitarbeit nicht, weil es zu wenige Vollzeitstellen gibt. Frauen landen dauerhaft in der Teilzeitfalle. Das sind die beiden Hauptgründe für die unfreiwillige Teilzeitarbeit; das ist der größere Zusammenhang, in dem wir den heutigen Antrag der SPD diskutieren müssen. Die Vorschläge der SPD sind im Grunde gut, zum Beispiel der, dass es einen verbesserten Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit geben soll. Genau das hat im eigenen Gesetz aus dem Jahr 2000 gefehlt. Richtig ist auch, dass Menschen leichter in Teilzeit wechseln können sollen, wenn sie es wollen. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb unterstützt die Linke diese Forderungen. Aber wir vermissen ein Gesamtkonzept. Wir wollen das Problem der ungleichen Verteilung der Arbeit in seiner Gesamtheit anpacken. (Beifall bei der LINKEN) Das Problem ist nicht nur durch einen individuellen Rechtsanspruch zu lösen. Allgemeine Initiativen zur Gestaltung der Arbeitszeit müssen her. (Beifall bei der LINKEN) Eine neue Verteilung von Arbeitszeit durch allgemeine Arbeitszeitverkürzung würde helfen. In Gewerkschaften wird das Problem mit dem Stichwort „kurze Vollzeit“ diskutiert. Das fände ich richtig toll! (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Andrea Nahles [SPD] und Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Auf tariflicher Ebene ist das auch schon erfolgreich ausprobiert worden, zum Beispiel mit der 28,8-Stundenwoche bei VW, in deren Rahmen an vier Arbeitstagen in der Woche gearbeitet wurde. Leider ist der Versuch beendet worden. Eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit wäre möglich, selbst ohne Lohneinbußen. Die Produktivität der deutschen Wirtschaft steigt Jahr für Jahr kontinuierlich. Die Umverteilung von Arbeit würde das Problem der Unterbeschäftigung vieler Teilzeitbeschäftigter entschärfen. Rückkehrrecht auf Vollzeit ist die eine Sache, aber auf welchen Arbeitsplatz, ist die andere. Arbeitszeitverkürzung macht es auch für viele Vollzeitbeschäftigte leichter, Familie und Beruf zu organisieren. Wir verhandeln hier im Bundestag nicht über konkrete Arbeitszeitregelungen – das ist Sache der Betriebs- und Tarifvertragsparteien –, aber wir setzen die Rahmenbedingungen, zum Beispiel im Arbeitszeitgesetz. Die Verringerung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit wäre ein Anfang. (Beifall bei der LINKEN) Das Thema Arbeitszeitverkürzung muss wieder auf die Tagesordnung dieser Gesellschaft. Umverteilung von Arbeitszeit und Arbeitszeitverkürzung jetzt – dann hätten wir einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Kramme, als ich den Antrag der SPD gelesen habe, habe ich mich wirklich gefreut. (Andrea Nahles [SPD]: Oh!) Das kommt ja nicht allzu oft vor. Da steht in der Tat – und das sogar relativ prominent am Anfang –: „Teilzeitarbeit ist nicht per se gut oder schlecht.“ Das ist eine bemerkenswerte Erkenntnis, zu der die SPD-Fraktion da gekommen ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Anette Kramme [SPD]: Ein Lob aus Ihrem Munde!) Das deckt sich im Übrigen mit dem, was ich hier schon öfters gesagt habe. Man sollte sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass es noch nicht allzu lange her ist, dass Teilzeitarbeit als große Errungenschaft gefeiert wurde, und zwar, wie ich sagen will, mit Recht. Frau Kollegin Kramme, vielleicht würde es sich lohnen, auch einmal über andere Beschäftigungsformen in Deutschland genauso konstruktiv nachzudenken. Sie könnten dann vielleicht zu dem Ergebnis kommen, dass auch Zeitarbeit durchaus eine Beschäftigungsform ist, die von bestimmten Personen angestrebt wird. Darüber hinaus könnten Sie feststellen, dass Minijobs, also geringfügige Beschäftigung, für viele Menschen in Deutschland die ideale Form darstellen, am Erwerbsleben auf dem Arbeitsmarkt teilzunehmen. Es ist jedenfalls nicht von vornherein abwegig, diese Überlegungen anzustellen und sich einmal dem Gedanken zu nähern, dass Menschen nicht durchgängig Opfer böser Arbeitgeber sind, welche sie nur in ausbeuterischer Absicht beschäftigen. Denn es gibt durchaus auch einen positiven Match zwischen dem, was Unternehmen an Arbeit anbieten, und dem, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Arbeit nachfragen. Das ist auch des Nachdenkens der Sozialdemokraten wert. Der Antrag, über den wir heute sprechen, ist mindestens ein erster Erfolg in dieser Richtung, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Frau Kollegin Krellmann kann trotzdem nicht widerstehen und sagt: Teilzeitarbeit ist schlecht. – Dem Antrag der Kollegen von der SPD zufolge – ich unterstelle mal: Was da an Zahlen steht, ist alles richtig – würden, Frau Kollegin Krellmann, 20 Prozent der Teilzeitkräfte gerne kürzer oder länger arbeiten. Im Umkehrschluss – ich beherrsche die Prozentrechnung – heißt das aber, dass 80 Prozent der Teilzeit Arbeitenden mit dem Umfang ihrer Arbeitszeit zufrieden sind. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das kann man so sehen!) Ein Viertel aller abhängig Beschäftigten in Deutschland arbeitet Teilzeit, 80 Prozent davon, wie wir gehört haben, genau in dem Umfang, wie sie es gerne hätten. Da muss ich sagen: Chapeau! (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Gut herausgearbeitet!) Das zeigt: Die Teilzeitarbeit funktioniert in den deutschen Unternehmen offensichtlich sehr viel besser, als Sie es sich vorstellen können, Frau Krellmann und liebe Kollegen von den Linken. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Übrigens: Auch 72 Prozent der Minijobber wollen gar nicht mehr arbeiten als genau in dem Stundenumfang, der mit einer geringfügigen Beschäftigung abgedeckt ist. Die Pfui-Liste, mit der Sie immer hantieren, und Ihr Gerede von prekärer Beschäftigung müssen Sie also wirklich noch einmal überdenken. Es gibt also auch abseits des unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnisses hervorragende Möglichkeiten, erwerbstätig zu sein. Die Menschen – das ist jedenfalls mein Eindruck, meine Beobachtung der Realität – suchen sich genau die Beschäftigungsform aus, die zu ihren individuellen Anforderungen passt. (Karin Binder [DIE LINKE]: Das ist ja interessant! Und was ist mit denen, die keine Alternative haben?) – Die Zahlen sprechen doch dagegen: Wenn die Menschen, die gefragt werden, sagen, sie wollen gar nicht länger arbeiten, dann muss man annehmen können, dass es genau das ist, was sie sich selbst wünschen; ansonsten hätten sie sich doch anders geäußert. – Sie müssten eigentlich mich fragen, Frau Kollegin, ob das alternativlos wäre; das käme mir mit Blick auf meine Redezeit sehr zupass. (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD) Ich will in der Kürze der Zeit aber noch einen zweiten Punkt ansprechen: Zwischen den Zeilen Ihres Antrags, Frau Kollegin Kramme, schimmert durch, wir müssten den Menschen helfen; am Ende sei das Ideal doch die Vollzeitbeschäftigung, und sei es eine verkürzte Vollzeit. In diese Richtung werden die Menschen bei Ihnen ein bisschen geschoben. (Anette Kramme [SPD]: Kein Diktat – eine Option, ein Recht!) – Wenn man Ihren Antrag aufmerksam liest – ich lese es jedenfalls so zwischen den Zeilen –, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass Sie genau das beabsichtigen. Ich finde aber, dass der Staat hier nicht den Menschen vorschreiben sollte, was sie wollen müssen. (Andrea Nahles [SPD]: Wir erziehen die Menschen nicht!) Ich finde, wir sollten den Menschen die Freiheit belassen, ihr Arbeitsverhältnis genau so zu gestalten, wie es ihnen vorschwebt. Das gelingt heute sehr gut. Wir haben, gerade aus arbeitsmarktpolitischer Sicht, vier gute Jahre für Deutschland hinter uns: Wir feiern bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und bei der Erwerbstätigkeit Rekordstände, und das auch deswegen, weil wir das ganze Programm der Beschäftigungsformen in Deutschland akzeptieren. Wir fahren erfolgreich damit, und daran sollten wir nichts ändern. (Andrea Nahles [SPD]: Sie hatten so gut angefangen, und jetzt diese Enttäuschung!) Deswegen, Frau Kollegin Kramme, lehnen wir Ihren Antrag – so leid es mir tut, weil erstmals auch positive Ansätze zu erkennen sind – am Ende ab. Ich bitte um Verständnis. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die Kollegin Brigitte Pothmer. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lange und Herr Kolb, ich bin angesichts Ihrer Beiträge irritiert. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Tolle Beiträge! – Zuruf von der FDP: Sehr gute Beiträge! – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Qualität!) Vor knapp einem Monat haben wir in diesem Parlament einen grünen Antrag zum Recht auf Rückkehr in Vollzeit behandelt, wobei die Reden zu Protokoll gegeben wurden. Ich habe das Protokoll noch einmal gelesen. Wissen Sie, was ich da fand? Ich fand eine fraktionsübergreifende Zustimmung dafür, dass es notwendig ist, flexible und familiengerechte Arbeitszeiten einzuführen, das heißt, dass es beim Teilzeit- und Befristungsgesetz Nachholbedarf gibt. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das steht nicht im Protokoll! Ich habe es auch gelesen!) – Ich weiß nicht, welche Protokolle Sie lesen; (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ich habe das Protokoll sogar dabei, liebe Kollegin Pothmer!) aber das ist ein Phänomen, Frau Connemann: dass Sie aus den Texten immer etwas anderes lesen als der Rest der Republik. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das mag sein! – Pascal Kober [FDP]: Die Überheblichkeit der Grünen!) Dieses Grundsatzproblem können wir jetzt nicht lösen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Was waren die Begründungen, im Übrigen auch von Ihren Fraktionen? Wir müssen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern. Wir müssen den Frauen bessere Chancen geben, eine eigene, vollständige Erwerbsbiografie aufzubauen. Interessant und richtig ist Ihre Anmerkung: Die Chancen der Betriebe auf ausreichend viele qualifizierte Fachkräfte müssen verbessert werden. Hier haben wir mit den Frauen ein erhebliches Potenzial. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN) Wir haben ja nicht nur in dieser Debatte, sondern auch in der Debatte heute Morgen über die Quote zur Kenntnis nehmen müssen, dass die inhaltliche Zustimmung noch lange keinen Abstimmungserfolg bedeutet. In Bezug auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz bin ich hier auch skeptisch; denn Frau Schröder und Frau von der Leyen haben zwar, wie ich gehört habe, einen Gesetzentwurf zum Rückkehrrecht auf Vollzeit in der Schublade, aber sie bringen ihn nicht ein. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Was Sie wieder wissen!) Er verstaubt in der Schublade. Das ist ein Hinweis darauf, dass sich für die Frauen hier wenig tut. Dabei ist der Handlungsdruck extrem groß. In keinem anderen Land in Europa ist die Arbeitszeit der in Teilzeit arbeitenden Beschäftigten so gering wie in Deutschland; sie liegt nämlich bei 18,5 Stunden. Das liegt natürlich an der unzureichenden Kinderbetreuung. Viele Paare, die ein egalitäres Lebensmodell gelebt haben, finden sich plötzlich in der klassischen Rollenverteilung wieder, wenn sie Kinder haben. Wenn die Frauen dann nach der Kinderphase auf eine Vollzeitstelle zurückkehren wollen, dann gelingt ihnen das in vielen Fällen nicht. Parallel dazu wächst der Fachkräftemangel. Das ist doch einfach absurd. Wir haben es hier nicht nur mit einem frauenpolitischen Problem, sondern auch mit einem großen volkswirtschaftlichen Problem zu tun. Der Fachkräftemangel kostet den Mittelstand jährlich 33 Milliarden Euro, Herr Kolb. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie haben Sie das jetzt wieder errechnet?) Ich frage Sie, wie lange wir uns das noch leisten wollen: Fachkräftemangel auf der einen Seite und auf der anderen Seite Frauen, die ihr Erwerbsvolumen ausweiten wollen und denen das nicht gelingt. (Andrea Nahles [SPD]: Genau!) Daneben greifen wir auch in die Lebensentwürfe der Paare ein. Väter wollen heute weniger arbeiten, und Mütter wollen heute mehr arbeiten. Die betriebliche Wirklichkeit lässt das aber bei zwei Dritteln aller Unternehmen, die flexible Arbeitszeiten anbieten und sich dabei ausschließlich an den betrieblichen Belangen orientieren, nach wie vor nicht zu. (Jens Ackermann [FDP]: Bei Rot-Grün gab es überhaupt keinen Kitaausbau!) Wir haben in Deutschland eine Arbeitskultur, die auf dauernder Verfügbarkeit und permanenter Anwesenheit beruht. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Pothmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lehrieder? Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Kollegin Pothmer, Sie haben gerade aus dem Protokoll des Bundestages repliziert, und zwar aus meiner Rede im Rahmen der Beratung Ihres Antrages am 21. März 2013. Ich darf Sie fragen, ob Sie mir zustimmen, dass in meiner Rede, die zu Protokoll gegeben wurde, unter anderem folgender Passus zu finden ist: Dieser Tatsache wurde mit dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, BEEG, Rechnung getragen. Demnach haben Eltern bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes einen Anspruch auf Elternzeit. Diese kann auch in einer Vereinbarung zur Verringerung der Arbeitszeit bestehen. Somit haben Eltern im Rahmen der Elternzeit einen Anspruch auf Teilzeitarbeit. Zudem haben Arbeitnehmer in Teilzeit bereits heute ein Recht auf Verlängerung ihrer Arbeitszeit. § 9 Teilzeit- und Befristungsgesetz, TzBfG, – dies wurde vom Kollegen Lange zutreffend zitiert – begründet ein solches Recht, wenn sie diese ihrem Arbeitgeber anzeigen und keine dringenden betrieblichen Gründe entgegenstehen. Damit wurde die EU-Richtlinie 97/81/EG umgesetzt, die einen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung von Arbeitnehmern vorsieht, die einen Teilzeitwunsch geltend gemacht haben und ihre Arbeitszeit wieder erhöhen wollen. Stimmen Sie mir zu, dass genau das von Ihnen vermisste Recht auf Rückkehr zur Vollzeit tatsächlich bei der Beratung Ihres Antrags von uns hier zugestanden wurde? Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe aus Ihrer Rede darüber hinaus aber nicht entnehmen können, dass Sie die Notwendigkeit sehen, den Frauen das Rückkehrrecht auf Vollzeit zu ermöglichen. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Entschuldigen Sie! Richtig zitieren!) – Gut. Wir machen dann noch einmal eine gemeinsame Textexegese. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Erst einmal lesen! Das wäre ganz gut!) – Können wir uns darauf verständigen? (Ulrich Lange [CDU/CSU]: Dann würde ich nicht einfach so zitieren! Erst lesen, dann reden!) Ich würde jetzt aber gerne in meiner Rede fortfahren, es sei denn, Herr Lehrieder, Sie wollen jetzt sozusagen alle Protokolle vorlesen. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob der Präsident das möchte. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das würde ich nicht zulassen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Okay. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Fahren Sie bitte mit Ihrer Rede fort. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass wir in Deutschland eine Arbeitskultur haben, die im Wesentlichen darin besteht, dass es eine allgemeine Verfügbarkeit ohne Grenzen und eine Präsenzpflicht gibt, die den Frauen die Beteiligung an der Erwerbsarbeit sehr schwer macht und die auch dazu führt, dass die Männer ihre Wünsche hinsichtlich kürzerer Arbeitszeiten nicht durchsetzen können. Jetzt will ich Ihnen das Ergebnis einer Umfrage mitteilen – Herr Lehrieder, hören Sie einmal genau zu –: (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ich bin immer ganz Ohr!) Jede vierte Frau ist inzwischen der Auffassung, dass es ein Fehler war, Elternzeit in Anspruch genommen zu haben. Herr Lehrieder, das kann doch wohl nicht wahr sein. Daran müssen wir etwas ändern. Das können auch Sie nicht bestreiten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube, wir brauchen ein völlig neues Normalarbeitsverhältnis, (Beifall des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ein Normalarbeitsverhältnis, das darauf aufgerichtet ist, flexibel auf die unterschiedlichen Lebensphasen zu reagieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Es ist mir klar, dass da zunächst einmal die Tarifparteien und die Unternehmen gefragt sind. Ich will an dieser Stelle aber noch einmal deutlich sagen: Das liegt auch im betriebswirtschaftlichen Interesse der Unternehmen, weil Untersuchungen sehr deutlich gezeigt haben, dass Unternehmen, die familienfreundliche Personalpolitik betreiben, davon betriebswirtschaftliche Vorteile haben. Deswegen liegt eine Neuregelung durchaus im wirtschaftlichen Interesse. Wir brauchen zusätzlich neue Rahmenbedingungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz. Die derzeitigen Regelungen – da hat die SPD vollkommen recht – haben sich in Teilen als Papiertiger erwiesen. Hier gibt es Nachbesserungsbedarf. Ob diese Regelungen im Detail so aussehen müssen, wie die SPD das vorschlägt, werden wir im Ausschuss beraten. Die Richtung jedenfalls stimmt. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Matthias Zimmer von der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute einen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion. Ich stelle fest, dass aus dem zuständigen Arbeitskreis der Union für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik alle Mitglieder anwesend sind, bei den Sozialdemokraten sind es entsprechend nur drei reguläre Mitglieder. Dann stelle ich mir schon die Frage: Kann es sein, dass wir Ihre Anträge ernster nehmen als Sie selbst? (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Anette Kramme [SPD]: Wir nehmen Ihre Äußerungen nicht ernst! Das ist allerdings korrekt!) Mir ist es bei der Lektüre des Antrages ganz ähnlich ergangen wie dem Kollegen Kolb. Ich konnte mich daran erinnern, dazu einmal eine Presseerklärung gesehen zu haben. In der Presseerklärung vom 7. März 2012, die Sie, Frau Kramme, zusammen mit Frau Hiller-Ohm herausgebracht haben, heißt es: Teilzeit bedeutet meist … unsichere Arbeitsplätze … und unzureichende Alterssicherung. (Anette Kramme [SPD]: Meist!) Teilzeit macht arm und schadet besonders Frauen. Nun lese ich in Ihrem Antrag – Kollege Kolb hat es zitiert –: Teilzeit ist nicht per se gut oder schlecht. … Teilzeit kann außerdem dazu beitragen, Arbeitsplätze zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen. (Anette Kramme [SPD]: Wenn das jetzt alle Ihre Argumente sind, dann sind sie ganz schön schwach! – Gegenruf der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]: Aber es ist kein schlechtes Argument, Frau Kramme!) Ich finde das wunderbar, Frau Kramme, dass Ihnen in der Opposition immer wieder neue Erkenntnischancen zufallen. Ich wünsche mir, dass das auch nach dem 22. September so bleibt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es ist in der Tat wahr: So richtig wissen wir gar nicht, wohin bei Ihnen die arbeitsmarkt- und sozialpolitische Reise geht. Das haben wir sehr deutlich in der letzten Ausschusssitzung gesehen, als es um die Frage Hartz IV ging. Da haben Sie ziemlich herumgeeiert. Anstatt zu sagen: „Hartz IV war eine Erfolgsstory, wir stehen dahinter“, war das ein Wenn und Aber, hier und da eine Einschränkung, dort eine kleine Berichtigung. Man weiß also gar nicht so richtig, wohin bei Ihnen die Reise geht, was die Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik Deutschland angeht. (Andrea Nahles [SPD]: Das ist ja wohl ein Scherz! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn jetzt mit der Teilzeit?) Jetzt schaue ich in Ihr Wahlprogramm. Dort lese ich vor allen Dingen etwas über Steuermehrbelastungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. (Anette Kramme [SPD]: Vielleicht sollten Sie mal eine ganz normale Frau reden lassen!) Ihre Steuerpläne würden in kleinen und mittleren Betrieben – das Rückgrat der deutschen Wirtschaft; sie sind es, die Arbeitsplätze schaffen und das Einkommen von Millionen von Familien sichern – massiv Jobs kosten. (Pascal Kober [FDP]: So ist es! Das ist ein Skandal!) Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags hat errechnet: Die roten Steuerpläne würden 1,4 Millionen Jobs kosten. Wir führen heute also die falsche Diskussion. Wir sollten nicht darüber diskutieren, ob in Deutschland mehr Teilzeit gearbeitet werden soll, sondern wir sollten darüber diskutieren, wie wir verhindern, dass Sie Millionen Jobs vernichten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja, das werden wir verhindern!) Eigentlich hätte der SPD-Kanzlerkandidat schon bei seinem Frankreich-Besuch sehen können, welche negativen Auswirkungen mit Steuererhöhungen verbunden sind. Das hat er nicht. Er hat sich lieber im Glanz sozialistischer Blütenträume gesonnt. Dabei ist gerade Frankreich mit seiner hohen Jugendarbeitslosigkeit und seiner steigenden Arbeitslosigkeit insgesamt doch nur für eines ein Beispiel: für das Versagen des postrealen Sozialismus in Europa. Sozialismus muss man sich leisten können. Wir können es nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir haben noch etwas zu verlieren!) Schon jetzt kommt die Blockade der SPD-geführten Länder im Bundesrat Steuerzahler und Staat teuer zu stehen. Die Blockade des Steuerabkommens mit der Schweiz kostet den Staat 9 Milliarden Euro im Jahr 2013. Mein Kollege Michael Meister hat heute Morgen zu Recht gesagt: Die SPD macht sich damit zum Anwalt der Steuerhinterzieher. – Die Anhebung des Grundfreibetrags kann zwar in Kraft treten. Aber die Blockade der Änderung des Steuertarifs, um Steuersprünge, also die kalte Progression, zu vermeiden, kostet die Arbeitnehmer 6,1 Milliarden Euro. (Anette Kramme [SPD]: Finden Sie nicht, dass das eine Missachtung von 9 Millionen Teilzeitbeschäftigten ist, was Sie da gerade machen?) Meinem Empfinden nach liegt der SPD-Blockadepolitik im Bundesrat ein entscheidender Denkfehler zugrunde. Sie wollen die unionsgeführte Bundesregierung blockieren. Letztendlich blockieren Sie aber nicht diese, sondern die Arbeitnehmer, das Handwerk und die Unternehmen in diesem Land. Sie blockieren das Land, weil Sie sich schwertun mit der Erkenntnis, dass es den Menschen in Deutschland gut geht. Wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Die Zahl der Landzeitarbeitslosen ist gesunken. Deutschland weist die niedrigste Jugendarbeitslosenquote in der EU auf. Wir haben zudem einen Tiefstand im Hartz-IV-Bezug und einen Höchststand bei der Beschäftigung zu verzeichnen. Die Löhne steigen spürbar, insbesondere dort, wo die Tarifbindung hoch ist. Kurzum: Wir haben eine insgesamt gute arbeits- und sozialpolitische Gesamtsituation. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sind gute Jahre für Deutschland gewesen! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Weniger Vollzeitstellen!) Das wollen wir als Union bewahren. Daher tun wir gut daran, die erfolgreiche Politik unter Bundeskanzlerin Merkel fortzusetzen. Unter dieser Regierung schließt sich die Einkommensschere wieder. Unter Rot-Grün hat die gesellschaftliche Ungleichheit zugenommen. Unter dieser Regierung haben die Menschen eine Perspektive. Unter Rot-Grün waren sie arbeitslos. Ich sage Ihnen, was dem Land guttun würde: Ihnen einige weitere Jahre der Zeitsouveränität in der Opposition zu gönnen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben in den vergangenen Jahren behutsam die Fehler korrigiert, die Sie mit Ihren Reformen hinterlassen haben. Wir haben nachgebessert. Wir haben die Instrumentenreform gemacht. Wir haben die Organisationsreform angepackt. Wir haben dem Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung einen Riegel vorgeschoben. Wir werden auch anderen missbräuchlichen Praktiken einen Riegel vorschieben. Nun komme ich zu einem Thema, das auch mit Teilzeitbeschäftigung zu tun hat, (Anton Schaaf [SPD]: Jetzt kommt er zum Antrag!) das mich aber mehr ärgert als Ihre Wahlkampfmanöver. Nach Recherchen der WirtschaftsWoche werden von kirchlichen Arbeitgebern wie der Diakonie immer häufiger Minijobs mit der Übungsleiterpauschale kombiniert. Dabei wird eine Tätigkeit im Minijob zugleich als ehrenamtliche Leistung ausgewiesen. Die Diakonie drückt sich damit vor der Zahlung von Sozialabgaben für ihre Beschäftigten. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Unglaublich!) Es gibt inzwischen sogar spezielle Handreichungen, in denen kirchliche Arbeitgeber ihre örtlichen Dienste über diese Möglichkeit unterrichten. Neben Wettbewerbsverzerrungen gegenüber privaten Trägern unterläuft die Diakonie mit dieser Praxis Anreizregelungen, die zum Ziel haben, eine vollwertige Arbeitsstelle zu schaffen. Mich ärgert besonders, dass der Missbrauch des Ehrenamtes klar zulasten der Beschäftigten geht. Nicht nur, dass die Beschäftigten um ein Normalarbeitsverhältnis gebracht werden: Auch die Gefahr, dass sie am Ende in Altersarmut landen, weil ihr Arbeitgeber Sozialabgaben sparen wollte, ist hoch. (Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN) Mich ärgert auch, dass diese Praxis auch von anderen kirchlichen Arbeitgebern betrieben wird. Hier brauchen wir aus meiner Sicht analog zur Schlecker-Klausel eine Diakonie-Klausel. Meines Erachtens sollte die Schande des Missbrauchs beim Namen genannt und verewigt werden. Sollte mich wieder einmal einer der häufigen Briefe von der Diakonie, anderen kirchlichen Trägern oder von den dahinter stehenden kirchlichen Würdenträgern erreichen, die mehr Gerechtigkeit einfordern, so empfehle ich ihnen Matthäus 7, Vers 3. Ich habe den Verdacht, darin liegt gerade für die kirchlichen Träger noch einiges an Erkenntnischancen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort die Kollegin Andrea Nahles. (Beifall bei der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Schön, dass sie da ist!) Andrea Nahles (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte das Teilzeitgesetz so ändern, dass es ein verlässliches Rückkehrrecht in Vollzeit gibt. (Beifall bei der SPD) Mich erstaunt, dass Sie aufseiten der Union bei diesem Satz nicht klatschen, weil er wörtlich von Frau von der Leyen stammt, und zwar nicht etwa von vor zehn Jahren, sondern vom 28. Februar 2013. (Gustav Herzog [SPD]: Hört! Hört!) Nun, das ist ja wunderbar. Ich sage Ihnen: Der Antrag der SPD gibt Ihnen heute die Möglichkeit, diesem Wunsch von Frau von der Leyen Rechnung zu tragen. Stimmen Sie unserem Antrag einfach zu, meine Damen und Herren von der Union! (Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ist denn schon wieder Weihnachten?) Es ist übrigens auch deswegen wunderbar, weil wir an dieser Stelle sehr gut erkennen können, was hier eigentlich gerade passiert. Frau von der Leyen äußert irgendeinen schönen Satz, freundlich in die Kameras lächelnd, und die eigene Fraktion bekämpft dann genau das, was zur Umsetzung eines solchen Satzes notwendig ist. (Anette Kramme [SPD]: So ist es!) Das passiert heute schon zum zweiten Mal. Wir haben es vorhin bei der Frauenquote ebenfalls erlebt. (Anette Kramme [SPD]: An einem Tag!) Ich kann Ihnen nur sagen: 2001 war es die rot-grüne Bundesregierung, die den Rechtsanspruch auf Teilzeit gesetzlich eingeführt hat. Das war ein Meilenstein, das hat zu mehr Möglichkeiten geführt, die Arbeitszeit den Bedürfnissen insbesondere der Frauen anzupassen. Es hat mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten gebracht. Wir wissen aber auch, nachdem wir das jetzt über viele Jahre in der Praxis beobachtet haben – bitte argumentieren Sie hier nicht mit Gesetzestexten, meine Herren, sondern schauen Sie sich die Praxis an –, dass der Rechtsanspruch auf Teilzeit nur die eine Seite der Medaille war. Die andere Seite ist, dass wir, um Ihre Ministerin noch einmal zu zitieren, einen verlässlichen Rückkehranspruch auf Vollzeit hinzufügen müssen. Denn wenn eines klar ist, dann dies: Teilzeit ist zwar nicht von vornherein schlecht oder gut; aber dauerhafte Teilzeitarbeit ist eine Falle für Frauen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist eindeutig festzustellen. Sie führt dazu, dass man wirtschaftlich abhängig ist, weil man von dem Teilzeitentgelt auf Dauer eben nicht leben kann. Wer dauerhaft Teilzeit arbeitet, riskiert Armut, falls es eine Scheidung gibt, falls man in Arbeitslosigkeit gerät oder gar der Tod des Partners zu beklagen ist. Vor allem erreicht man damit nur Niedrigstrenten. Das ist doch klar: Wir produzieren bei dauerhafter Teilzeitarbeit auch Altersarmut. Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar, warum hierbei immer nur die Frauen die Hauptlast und das Risiko tragen müssen. Sie sind es, die überwiegend in Teilzeit arbeiten, weil sie sich immer noch mehrheitlich für die Familie einsetzen und weil sie immer noch mehrheitlich Kinder, Haushalt und Pflege übernehmen. Aber dann müssen wir ihnen die Möglichkeit eröffnen, aus dieser Teilzeit wieder herauszukommen, was viele ja auch unbedingt wollen. (Beifall bei der SPD) Ich kann Ihnen wirklich aus meinem eigenen familiären Umfeld sagen: Auch bei meinen Cousinen erlebe ich, welche Steine ihnen massenhaft in den Weg gelegt werden und welche Ausreden sie sich anhören müssen. Da kann man immer sagen: Ja, im Gesetz haben wir doch alles schon geregelt. – In der Wirklichkeit funktioniert es aber nicht. Damit muss man sich doch einmal auseinandersetzen. Eines ist klar: Wir haben hier eindeutig die Situation, dass wir bei dem Rechtsanspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit in der Praxis Probleme haben. Es werden betriebliche Gründe angeführt, die die Umsetzung eines Teilzeitwunsches verhindern. Das wird natürlich auch massenhaft so gemacht, sodass viele ihr Recht nicht wahrnehmen. Hier eine Klarstellung vorzunehmen, ist bei der Durchsetzung dessen, was wir uns ursprünglich erhofft hatten, hilfreich. Ein weiterer Punkt. Wir wollen die Möglichkeiten zur Rückkehr in eine Vollzeitbeschäftigung verbessern. Das betrifft vor allem diejenigen, die vorher schon in Teilzeit beschäftigt waren oder jetzt in Teilzeit beschäftigt sind. Die Betriebsräte müssen hier mehr Mitspracherechte erhalten. Wir wollen – das haben Sie offensichtlich überlesen, Herr Lange – ein Recht auf befristete Teilzeit. Damit kann dann auch der Arbeitgeber von vornherein sicher planen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wenn man von vornherein sagt: „Ich arbeite jetzt für zwei Jahre befristet in Teilzeit, dann komme ich wieder zurück“, dann ist das für alle Beteiligten eine klare Sache und ein klarer Rechtsanspruch. Genau das wollen wir hier durchsetzen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört! Also mit Befristung! – Abg. Ulrich Lange [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Herr Kolb, Sie haben die Gestaltung von Zeitarbeit angesprochen. Das ist doch kein Problem. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Lange, wollten Sie eine Frage stellen? Andrea Nahles (SPD): Nein, ich möchte das jetzt gerade nicht. Weil Herr Kolb mich eben herausgefordert hat, darauf zu antworten, würde ich jetzt gerne dieses Argument aufgreifen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was?) Tragen Sie hier doch keine Eulen nach Athen. Verwechseln Sie uns doch nicht mit anderen Parteien hier im Hohen Haus. Wir sind nicht für ein Verbot der Zeitarbeit. Wir sind immer dafür gewesen, dass der Missbrauch von Zeitarbeit bekämpft wird. Das ist etwas ganz anderes, und das haben wir auch schon seit vielen Jahren vertreten. (Beifall bei der SPD) Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ein Problem ansprechen, das mich zunehmend wütend macht: Frauenpolitik à la CDU/CSU und FDP, das ist eine Art Fata Morgana. (Beifall bei der SPD) Es gibt nämlich immer nur eine große Ankündigung, einen großen Medientrubel und dann am Ende nichts als heiße Luft. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Nahles, erlauben Sie trotzdem eine Frage des Kollegen Lange? Andrea Nahles (SPD): Bitte. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Lange. Ulrich Lange (CDU/CSU): Frau Kollegin Nahles, nachdem Sie jetzt so ehrlich waren und den von mir angesprochenen Verschiebebahnhof eingeräumt haben, indem Sie sagten, es gebe dann Planungssicherheit für Arbeitgeber, kommen Sie genau zu dem, was ich Ihnen vorgehalten habe: Für die Zeit, in der die Arbeitszeit reduziert ist, wird der Arbeitgeber eine Vertretung befristet in Teilzeit einstellen. Andrea Nahles (SPD): Ja, natürlich. (Zuruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ulrich Lange (CDU/CSU): Ja, natürlich. Aber damit haben Sie im Endeffekt einen Verschiebebahnhof innerhalb des TzBfG. Sie haben nichts gewonnen. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Sie versteht das nicht!) Andrea Nahles (SPD): Das hat nichts damit zu tun, dass ich das nicht verstehe, Herr Kollege Zimmer. (Beifall der Abg. Anette Kramme [SPD]) Herr Kollege Lange, das würde ich an Ihrer Stelle nach Ihrer Rede jetzt wirklich nicht als Argument anführen. Tatsache ist: Aus meiner Sicht ist es die ganz normale Praxis, dass jemand durch eine andere Teilzeitkraft ersetzt wird, wenn er seine Arbeitszeit reduziert und der Bedarf an Arbeitszeit im Unternehmen noch da ist. Die Frage, über die wir heute reden, ist auch überhaupt kein Gegenargument gegen das, was wir hier vorschlagen, sondern das ist ein ganz anderes Thema. Was wir hier vorschlagen, ist doch eine simple Geschichte. Wir wollen nämlich versuchen, Frauen die Möglichkeit zu geben, nach einer Phase, die sie in die Familie oder in die Pflege von Angehörigen – welche Gründe sie auch immer haben – investiert haben, wieder eine Vollzeitbeschäftigung zu finden. (Abg. Ulrich Lange [CDU/CSU] nimmt wieder Platz) – Übrigens, es ist üblich, dass man stehen bleibt, solange auf eine vorher gestellte Frage geantwortet wird. (Ulrich Lange [CDU/CSU]: Ja schon, aber es ist ja keine Antwort mehr!) Jüngste Untersuchungen besagen – das wissen Sie doch auch –, dass nur Vollzeitbeschäftigte Karrierechancen haben und dass nur bei Vollzeitbeschäftigten die Qualifizierung hundertprozentig funktioniert. Darum geht es. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrich Lange [CDU/CSU]: Darum ging es mir doch gar nicht!) Dass hier eine Ersetzung vorgenommen wird oder ein Kreislauf bzw. Austausch stattfindet, ist nicht das Thema. (Ulrich Lange [CDU/CSU]: Ist doch auch nicht karrierefördernd, wenn Sie Teilzeit befristen!) Ich kann Ihnen nur sagen: Unser geplantes Gesetz schafft mehr Planungssicherheit, auch für die Arbeitgeber, wenn wir von vornherein eine befristete Teilzeit vorsehen. Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass hier mehrere Dinge zusammenkommen. Ich bin mir dessen bewusst, dass ein Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit nicht alle frauenpolitischen Probleme auf dem Arbeitsmarkt löst. Hinzukommen muss endlich auch ein Gesetz zur Entgeltgleichheit. Dazu haben wir Vorschläge gemacht. Hinzu kommt aus meiner Sicht auch das Steuerrecht. Hier privilegieren wir immer noch einseitig vollzeiterwerbstätige Männer, deren Ehefrauen in Teilzeit arbeiten. Leider gibt es auch 3,1 Millionen Frauen, die nur in Minijobs arbeiten. (Beifall der Abg. Anette Kramme [SPD]) 34 Prozent davon üben diese Minijobs schon über zehn Jahre lang aus, und von denen sagen viele, dass sie gerne aus dieser Teilzeitfalle herausgekommen wären. Aus meiner Sicht ist es daher dringend erforderlich, dass wir uns das Gesamtfeld anschauen, um die höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen in der Summe zu garantieren. Es gibt ja viele Frauen, die erwerbstätig sind; aber sie sind vor allem in Teilzeit und Minijobs tätig. Das ist der Befund, und das ist unbefriedigend. (Gitta Connemann [CDU/CSU]: Weil Sie das unbefriedigend finden, muss das nicht heißen, dass die Betroffenen das unbefriedigend finden!) Wenn wir schon, wie wir heute gesehen haben, hinsichtlich der Einführung einer verbindlichen Frauenquote für Aufsichtsräte von Ihnen hier nichts zu erwarten haben – man braucht ein Fernrohr, um irgendwo am Himmel die Frauenquote zu sehen –, dann helfen Sie uns mit Blick auf Millionen von Frauen, wenigstens die Rechte im Bereich Teilzeit zu stärken. Dann könnten wir auch in Ihrer Regierungszeit so etwas wie einen kleinen Fortschritt für Frauen erkennen. Da Sie Ihrer Ministerin nicht helfen wollen, ihre Wünsche zu erfüllen, (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wir sind doch nicht die Wunscherfüllungsmaschine für die Ministerin! Was haben Sie denn für ein Parlamentsverständnis?) kann ich angesichts Ihres Nichtstuns momentan nur die Möglichkeit erkennen, dass Sie sich die nächsten fünf Monate noch irgendwie durchwurschteln. Wir werden für eine sozialdemokratisch geführte Regierung sorgen. Das wird den Frauen in Deutschland jedenfalls viel mehr Rechte bringen als das, was Sie hier anzubieten haben, nämlich nichts. Sie haben keine Vorschläge vorgelegt. Wir sind die einzige Partei, die konkrete Vorschläge zur Verbesserung dieser Situation macht. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Pascal Kober. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Pascal Kober (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, liebe Frau Nahles, wenn Sie fordern – das tun Sie ja explizit in Ihrem Antrag –, dass der Arbeitnehmer das Recht hat, anzukündigen, dass er für einen begrenzten Zeitraum – zwischen sechs Monaten und fünf Jahren – seine Arbeitszeit reduziert, dann bedeutet das automatisch – Frau Nahles, lassen Sie es sich von mir erklären; Frau Kramme hat es mit dem Schreiben dieses Antrags offensichtlich nicht geschafft –, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) dass der Arbeitgeber diese Zeit durch ein weiteres Arbeitsverhältnis ausgleichen muss. Dieses Arbeitsverhältnis ist notwendigerweise eine Teilzeitstelle, und zwar eine befristete. Jetzt möchte ich Sie an eines erinnern, Frau Nahles, Frau Kramme und liebe SPD: Sie haben im Mai 2010, also in dieser Legislaturperiode, einen Antrag eingebracht, in dem Sie sich darüber beklagt haben, dass es zu viel befristete Beschäftigung in Deutschland gebe. Ich darf einmal zitieren: Wir brauchen mehr Sicherheit im Erwerbsleben. Prekäre Beschäftigung auf Zeit nimmt in Deutschland zu. Deshalb – jetzt hören Sie zu – müssen befristete Arbeitsverträge auf das Notwendige zurückgedrängt werden. Wenn, wie Sie wollen, möglichst viele Menschen der Forderung in Ihrem heutigen Antrag nachkommen, würde das automatisch bedeuten, dass andere Menschen befristet eingestellt werden. Insofern widerspricht Ihr Antrag dem von vor drei Jahren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das alles war nicht ausgegoren! Deswegen muss dieser Antrag zurückgezogen werden!) Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wir sind von Ihrem Kanzlerkandidaten gewohnt, dass bei ihm heute nicht mehr gilt, was er gestern gesagt hat. Aber dass Ihre ganze Fraktion diesem Beispiel folgt, das kann ich Ihnen nicht empfehlen. Bleiben Sie konsequent in Ihren Aussagen. Stehen Sie zu dem, was Sie gestern gesagt haben, jedenfalls dann, wenn es richtig ist; allzu häufig ist es leider falsch. Ich empfehle Ihnen, auch die nächste Wahlperiode von den Plätzen der Opposition aus zu verfolgen und zu begutachten, wie hier ordentliche Politik gemacht wird. Die vergangenen dreieinhalb Jahre, die wir regiert haben, waren nämlich gute Jahre für Deutschland. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Anette Kramme [SPD]: Eigenlob stinkt!) Sie müssen noch weiter hinzulernen, bevor Sie hier die Verantwortung übernehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig – dazu bekennt sich auch diese Bundesregierung –, dass wir die Möglichkeiten verbessern müssen, von Teilzeit in Vollzeit zu wechseln oder Teilzeit zu arbeiten. Wenn Sie das Fachkräftesicherungskonzept der Bundesregierung gelesen haben, dann haben Sie gesehen, dass wir diese Herausforderung dort klar benannt haben und uns auch dieser Verantwortung stellen. Wenn aber richtig ist, dass nur 20 Prozent derjenigen, die Teilzeit arbeiten, deshalb nicht Vollzeit arbeiten können, weil sie keinen Vollzeitarbeitsplatz finden, und dass 80 Prozent derjenigen, die Teilzeit arbeiten, offensichtlich andere Gründe dafür haben – Sie selber schreiben das in Ihrem Antrag –, dann muss man dazu zweierlei sagen: Erstens. Wir brauchen eine wirtschaftliche Dynamik, in der mehr Vollzeitarbeitsplätze entstehen. Deshalb sind Ihre Steuervorschläge, wie der Kollege Dr. Zimmer zu Recht angemerkt hat, völlig falsch und gehen an dem Problem völlig vorbei. Durch ihre Umsetzung würde das Problem verschärft. Zweitens. Man muss fragen, was die Gründe dieser 80 Prozent dafür sind, dass sie freiwillig, jedenfalls nicht wegen des Arbeitgebers oder wegen des Fehlens einer Vollzeitstelle, Teilzeit arbeiten. Es gibt in der Tat einige, die sagen: Es fehlt an einer geeigneten Betreuungsinfrastruktur entweder für zu betreuende Kinder oder für zu pflegende Angehörige. Diese Bundesregierung hat wie keine zweite zuvor diese Verantwortung angenommen, hat wie keine zweite zuvor in den Ausbau der Kinderbetreuung investiert und hat auch im Bereich der Pflege einiges auf den richtigen Weg gebracht. In den nächsten vier Jahren werden wir das fortsetzen. Die vergangenen vier Jahre waren gute Jahre für Deutschland. Die nächsten vier Jahre werden es auch sein, wenn wir, CDU, CSU, FDP, gemeinsam weiterhin die Regierung stellen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Gitta Connemann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Gitta Connemann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Des einen Freud’, des anderen Leid. – Dieser Satz fiel mir beim Lesen Ihres Antrags ein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Es geht zunächst um Änderungen des Teilzeitrechts. Eltern sollen mehr Ansprüche erhalten: zwingende Ansprüche auf Verringerung der Arbeitszeit und ein Recht auf Rückkehr in Vollzeitarbeit. Ohne Frage, das hört sich gut an. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja schon mal was!) Wir alle kennen sicherlich Fälle, in denen der Kinderwunsch zur Karrierefalle geworden ist. Ohne Frage: Wer Familien stärken will, muss ihren Bedürfnissen gerecht werden, auch und gerade in der Arbeitswelt. Viele Arbeitnehmer wünschen sich mehr Flexibilität, die einen, um Beruf und Familie in Einklang zu bringen, die anderen übrigens für ihre individuelle Lebensplanung. Dafür haben wir als Gesetzgeber in dieser Koalition einiges getan. Ich nenne nur beispielhaft die Vätermonate und die Familienpflegezeit für die Betreuung pflegebedürftiger Familienangehöriger. Aber auch die Betriebe haben reagiert. Seit der Unterzeichnung der Charta für familienbewusste Arbeitszeiten gibt es deutliche Fortschritte in Deutschland. Heute bieten über 70 Prozent der Unternehmen familienfreundliche Maßnahmen an. Sie ermöglichen Zeitsouveränität zum Beispiel durch Staffelung der Arbeitszeiten, individuelle Festlegung von Wochenarbeitstagen, flexible Pausen und das Angebot der Teilzeitarbeit – dauerhaft oder befristet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erleben es ja in unseren eigenen Betrieben, unseren Abgeordnetenbüros: Gerade die Teilzeitarbeit ist in manchen Lebensphasen begehrt und hilft übrigens auch, persönliche Wünsche und Ziele zu erreichen. Ich bin sehr froh, dass die SPD das inzwischen auch erkannt hat. In vielen Anträgen der letzten Jahre wurde die Teilzeitarbeit immer wieder als atypisch, als prekär gegeißelt. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist sie in Teilen auch!) Dass die SPD inzwischen festgestellt hat – ich zitiere –: „Auf die Lebenslage kommt es an: Teilzeitarbeit ist nicht per se gut oder schlecht“, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Riesenfortschritt!) das ist ein Fortschritt, und ich gratuliere zu dieser Einsicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) In rund 80 Prozent der Betriebe gibt es Beschäftigte, die in Teilzeit arbeiten. Das ist übrigens in den meisten Fällen das Wunschmodell. Dies gilt übrigens auch für mein Büro. Von meinem Team arbeiten eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter in Vollzeit, zwei arbeiten 30 Stunden, und ein Mitarbeiter arbeitet 20 Stunden, übrigens nicht deshalb, weil ich das diktatorisch vorgegeben habe, sondern deshalb, weil wir es so vereinbart haben, und zwar zu Beginn des Arbeitsverhältnisses, aber auch danach. Eine Mitarbeiterin bekam ein Kind. Ein Mitarbeiter überlegte sich, zu promovieren. Dann haben wir im Team besprochen, wie die Lösung aussehen kann; denn der Wunsch des einen muss von den anderen geschultert werden: (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist eine gute Aussage!) durch die Einarbeitung neuer Kollegen, durch die Übernahme weiterer Aufgaben. Deswegen: Des einen Freud’, des anderen Leid. Meine Damen und Herren, wenn auch nur ein Mitarbeiter in einem kleineren Betrieb oder in einer Abteilung in Teilzeit wechselt, ist das für die anderen spürbar – ohne Frage. Als verantwortungsbewusster Arbeitgeber wird ein Betrieb solche Teilzeitwünsche ermöglichen, aber er wird auch dafür sorgen, dass ein Ersatz eingestellt wird, damit die anderen Mitarbeiter nicht im Regen stehen. Es geht bei diesen Wünschen also immer um einen Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aber auch zwischen den Mitarbeitern. Dem wird das Gesetz, das wir derzeit haben, gerecht. Das konzediere ich auch der damaligen rot-grünen Fraktion, die es auf den Weg gebracht hat. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es war nicht alles schlecht, was Rot-Grün gemacht hat!) Denn alle Belange können berücksichtigt werden, und es gibt schon heute das Recht auf Teilzeit und auch das Recht auf Verlängerung – das hat der Kollege Uli Lange hervorragend dargestellt –, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) allerdings eben nicht um jeden Preis, nicht unbedingt. Genau das wollen jetzt die SPD-Kolleginnen und -Kollegen: einen bedingungslosen Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit und ein zwingendes Recht auf Rückkehr in die Vollzeit. Damit wären wir dann wieder beim Anfang: Des einen Freud’, des anderen Leid. Solche Regeln mögen den unmittelbar Betroffenen helfen. Alle anderen leiden jedoch unter der unkalkulierbaren Flexibilität. Den Preis zahlen nämlich nicht nur die Betriebe, sondern auch die anderen Arbeitnehmer und insbesondere die Ersatzkräfte. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Connemann, Frau Pothmer würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Erlauben Sie das? Gitta Connemann (CDU/CSU): Damit macht mir die Kollegin Pothmer eine große Freude. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Ob sie das will?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Frau Pothmer. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Connemann, da Sie es ja sonst im Leben nicht so leicht haben, mache ich das gerne. (Heiterkeit – Beifall der Abg. Anette Kramme [SPD]) Frau Connemann, wir – und auch Herr Lehrieder – haben von Ihnen gehört, es gäbe bei der Frage des Teilzeit- und Befristungsgesetzes keinen Regelungsbedarf; das sei ja schon in der letzten Debatte angeklungen. Darf ich Sie fragen, ob ein Zitat aus der Rede von Herrn Lehrieder nicht möglicherweise auch aus Ihrer Sicht einen Hinweis darauf geben könnte, dass auch Herr Lehrieder der Ansicht ist, dass es vielleicht doch Handlungsbedarf beim Teilzeit- und Befristungsgesetz gibt? (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: So eng sind die beiden denn doch nicht!) Ich zitiere: Unser Ziel ist es, dass auf lange Sicht die Entscheidung zwischen Karriere und Familie überflüssig wird und beides Hand in Hand geht. (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!) Als weiterer Schritt in diese Richtung muss natürlich auch die gesetzliche Regelung der Rückkehr zur Vollzeit angedacht und diskutiert und überprüft werden, ob das geltende Teilzeitrecht – das Teilzeit- und Befristungsgesetz – noch den Anforderungen unserer modernen Arbeitsgesellschaft in ausreichendem Maße Rechnung trägt. (Anette Kramme [SPD]: Bravo, Herr Lehrieder! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So lange ist Herr Lehrieder hier im Plenum noch nie zitiert worden!) Ich frage Sie, Frau Connemann: Könnten Sie sich dieser, wie ich finde, klugen Auffassung von Herrn Lehrieder anschließen? (Zuruf von der CDU/CSU: Zitieren Sie doch noch ein bisschen weiter! – Heiterkeit bei der CDU/CSU) Gitta Connemann (CDU/CSU): Die Zitate des Kollegen Lehrieder sind für mich immer außerordentlich erleuchtend. Sie sind in diesem Fall für mich nicht besonders überraschend, weil ich ja – anders als Sie – das Protokoll gelesen hatte und es auch mitgebracht habe. Ich bin froh, dass Sie das jetzt nachgeholt haben und das Protokoll mittels der modernen Technik über Ihr iPhone aufgerufen haben. Das ist gut. (Zuruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ich finde, an den Aussagen des Kollegen Lehrieder ist nicht nur nichts auszusetzen, sondern ich würde sie auch unterzeichnen. Als Gesetzgeber steht es uns immer nicht nur gut zu Gesicht, sondern es ist auch unsere Pflicht, zu überprüfen, ob gesetzliche Rahmenbedingungen noch der aktuellen Wirklichkeit entsprechen. Dazu gehört auch das Teilzeit- und Befristungsgesetz, das wir an jeder Stelle überprüfen. Das gilt übrigens auch bezüglich des § 8, wenn es um Themen wie die Sachbefristung, die Befristung bei Älteren oder auch um Fragen der sachgrundlosen Befristung geht. In diesem Fall haben wir uns außerordentlich gut mit der Vorlage der SPD, aber auch mit Ihrem Vorschlag auseinandergesetzt. Wir haben es geprüft, wir haben es diskutiert und kommen zu dem Ergebnis: Wir befinden es für zu leicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ging aber schnell!) Denn solche Regelungen schaden nicht nur den Betrieben. Ich will nicht auch noch davon sprechen, wie brachial in die Vertragsfreiheit eingegriffen wird. Solche Güter scheinen hier im Hause kaum noch zu interessieren. Aber der Blick auf die betriebliche Praxis sei mir gestattet, und das hätte ich den Kolleginnen und Kollegen auch sehr empfohlen. Eine Arbeitszeitverkürzung kann nur durch eine befristete Ersatzkraft oder eine Reorganisation bewältigt werden. (Anette Kramme [SPD]: Schon jämmerlich, der Vortrag! – Andrea Nahles [SPD]: Schon schlimm!) Aber was ist mit der Personalplanung, wenn unsicher ist, wann und wie viele Teilzeitarbeitnehmer mit dem Wunsch auf Vollzeit anklopfen? (Zuruf der Abg. Andrea Nahles [SPD]) – Frau Nahles, ich gestatte Ihnen gerne, eine Zwischenfrage zu stellen. (Andrea Nahles [SPD]: Ich kann so lange zwischenrufen, wie ich es will!) – Aber hören Sie auf, zu quaken. Damit tun Sie uns allen einen Gefallen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was ist mit der Personalplanung, wenn unsicher ist, wann und wie viele Teilzeitarbeitnehmer mit dem Wunsch auf Vollzeit anklopfen, insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen ohne eigene Personalabteilung? Wenn der Betrieb damit rechnen muss, dass alle Teilzeitkräfte jederzeit wieder eine Vollzeitstelle einfordern können, kann er nur eines machen: Er muss befristet einstellen, er kann Minijobs basteln, und er kann auf Zeitarbeit zurückgreifen. Leidtragende sind in diesem Fall immer die jungen Arbeitskräfte, die ohnehin oftmals von einem befristeten Vertrag in den nächsten rutschen und sich auch deshalb manchmal gegen Kinder entscheiden. – Des einen Freud’, des anderen Leid. Mehr Flexibilität für Eltern hat eine Kehrseite, nämlich weniger Sicherheit für andere, liebe Frau Kollegin Nahles. Sie führt zu den Arbeitsverhältnissen, die Sie sonst in diesem Haus immer geißeln. Das ist nicht nur ein kreativer Umgang mit der Wahrheit, sondern es ist im großen Maße unseriös und ein Verschiebebahnhof, dem Sie die Grundlage geben wollen. Das ist mit uns nicht zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ein solches Gesetz hätte einen furchtbar hohen Preis. Die Frage ist: Wäre es überhaupt erforderlich? Denn Vereinbarungen über die spätere Ausweitung der Arbeitszeit sind auch heute schon möglich, wenn sich beide Seiten einig sind. Dies liegt übrigens im existenziellen Interesse der Arbeitgeber. Betriebe, die keine flexiblen befristeten Teilzeitmöglichkeiten anbieten, geben Wettbewerbsvorteile preis. Sie verlieren Fachkräfte – und das in einer Zeit des Fachkräftemangels. Das kann sich kein Betrieb leisten. Natürlich gibt es auch Teilzeitbeschäftigte, die lieber in Vollzeit arbeiten würden. Unfreiwillige Teilzeit ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Laut Statistischem Bundesamt liegt diese bei 16 Prozent. Der häufigste Grund, warum längeres Arbeiten nicht möglich ist, sind unzureichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Der beste Weg, um unfreiwillige Teilzeit abzubauen, ist der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Es gibt Länder wie Sachsen, die eine Betreuungsquote von fast 50 Prozent haben. Es gibt aber auch Länder wie Nordrhein-Westfalen, rot-grün geführt, mit einer Betreuungsquote von nur noch 20 Prozent. Ich empfehle Ihnen dringend: Machen Sie erst einmal Ihre Hausaufgaben! Ich habe meine gemacht. Ich habe mir das vom Kollegen Zimmer empfohlene Zitat angesehen. Dort heißt es: Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken aber in deinem Auge bemerkst du nicht? – Das heißt auch: Kehr zunächst vor deiner eigenen Tür. Wohl wahr. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer war noch mal die Vorgängerregierung in NRW?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13084 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken – Drucksache 17/13057 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Verbraucherschutzes bei unerlaubter Telefonwerbung – Drucksache 17/6482 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, Renate Künast, Jürgen Trittin, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Eindämmung des Missbrauchs des Abmahnwesens – Drucksache 17/12620 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte diejenigen, die dieser Aussprache nicht folgen wollen, den Saal zu verlassen, damit sich die anderen den Rednern zuwenden können. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. (Beifall bei der FDP) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten ein wichtiges, umfassendes Gesetzespaket für mehr Rechtssicherheit und für die Stärkung der Stellung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Der technische Fortschritt erschließt ständig neue Geschäftsmodelle. Noch vor wenigen Jahren konnte man sich kaum vorstellen, mit welcher Selbstverständlichkeit heute auf dem Tablet oder dem Smartphone Werbung geschaltet, Verträge geschlossen oder Dienstleistungen erbracht werden. Diese Geschäftsfelder werden nicht nur von seriösen Unternehmen genutzt, sondern leider auch von einigen unredlichen Geschäftemachern. Der heute in erster Lesung zu beratende Gesetzentwurf soll diesen Methoden einen Riegel vorschieben. Lassen Sie mich zunächst einen ersten Komplex ansprechen: unlautere, unerlaubte Telefonwerbung. Werbeanrufe sind bereits heute nur dann erlaubt, wenn der Verbraucher ausdrücklich vorher eingewilligt hat. Dennoch gibt es im Bereich der Telefonwerbung Probleme, auf die wir mit einem Maßnahmenbündel passgenau reagieren. In Zukunft sollen auch solche Werbeanrufe mit Bußgeldern geahndet werden können, die mithilfe automatischer Anrufmaschinen erfolgen. (Beifall bei der FDP) Der Gesetzentwurf sieht hier eine deutliche Anhebung der maximalen Bußgelder vor, nämlich von derzeit 50 000 Euro auf 300 000 Euro, die bei Vorliegen der Voraussetzungen von der Bundesnetzagentur verhängt werden können. (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Sehr gut!) Darüber hinaus werden Verträge über Gewinnspieldienste nur noch dann wirksam, wenn sie schriftlich geschlossen werden. Darauf bezieht sich ein Großteil der Beschwerden von Verbraucherinnen und Verbrauchern: Nach den uns mitgeteilten Zahlen beziehen sich 70 bis 80 Prozent der Beschwerden bei Verbraucherschutzverbänden und -organisationen auf versuchte Abschlüsse von Verträgen über Gewinnspieldienste. Deshalb wird für diesen Bereich jetzt die Regelung getroffen, dass eine ausdrückliche schriftliche Bestätigung erforderlich ist. (Beifall bei der FDP) Das schließt eine wichtige Lücke und sorgt für mehr Verbraucherschutz. Ein weiterer großer Anwendungsbereich sind Abmahnungen im Urheberrecht und im Wettbewerbsrecht. Ich glaube, es ist wichtig, hier zunächst klarzustellen: Abmahnungen sind ein legitimes und sinnvolles Instrument, um die Ahndung von Rechtsverstößen und die Durchsetzung von Ansprüchen für die Beteiligten einfach zu gestalten, ohne dass es zu einem unter Umständen langen und teuren Gerichtsprozess kommt. Das ist die Grundlage, von der wir ausgehen. Dieses Institut soll natürlich erhalten bleiben, und es wird erhalten bleiben. Es gibt im Bereich des Wettbewerbsrechts und des Urheberrechts allerdings auch Methoden, um dieses Instrument so anzuwenden, wie es eigentlich nicht gedacht ist, also massenhaft Abmahnungen vorzunehmen. Der eine oder andere entwickelt daraus vielleicht auch eine Art Geschäftsmodell. Das führt natürlich zu einer schwierigen, belastenden Situation für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Deshalb sehen wir für zwei Bereiche Änderungen vor, zum einen im Wettbewerbsrecht. Dort ist ganz klar zu erkennen, dass es im Zusammenhang mit der Zunahme von Onlinegeschäften zu überzogenen Abmahnungen kommt. Da stellen wir fest: Es ist ein Riesenanliegen von Handwerkern, von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Abmahnkosten zu reduzieren, wenn es zum Beispiel aufgrund irgendeiner technischen Angabe im Impressum, die nicht ganz richtig ist, zu einer Abmahnung kommt. Hier setzen wir an, zum einen durch Änderungen im Gebührenrecht, zum anderen durch Änderungen bei der Zuständigkeit der Gerichte, die man anrufen kann. Das Forum Shopping bei der Gerichtswahl wird beendet. Demjenigen, der auf missbräuchliche Weise abgemahnt wird, wird erstmals ein eigener Anspruch auf Kostenersatz zugestanden, begründet durch diesen Gesetzentwurf. Wir schaffen damit mehr Transparenz für die Marktteilnehmer. Das stärkt den fairen Wettbewerb. Genau das wollen wir erreichen. Deshalb ist es richtig, hier entsprechend zu justieren, unter Abwägung der gemeinsamen Interessen aller Beteiligten. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Zum Urheberrecht. Auch in diesem Bereich gibt es Ärger mit massenhaft versandten Abmahnungen. Hier wollen wir im Urheberrecht einen Paradigmenwechsel vornehmen. Eine Regelung hierzu ist in der letzten Legislaturperiode verabschiedet worden. Sie sieht vor, die Abmahngebühren bei Urheberrechtsverletzungen klar auf einen Betrag von 100 Euro zu deckeln, wenn es sich um einfach gelagerte Sachverhalte handelt. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist, vorsichtig ausgedrückt, extrem überschaubar. Sie hat in keiner Weise Wirkung entfaltet. Aber an dieser Regelung sieht man, dass es schon damals die Auffassung des Bundestages war, überzogenen Abmahnungen insofern vorzubeugen bzw. ihre Auswirkungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher annehmbar zu machen, indem man versucht, die Kosten zu deckeln. Das ist nicht gelungen. Wir schlagen daher eine andere Regelung vor, nämlich eine Regelstreitwertregelung für Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche gegenüber Privatpersonen, sodass bei einem Regelstreitwert von 1 000 Euro die fällige Anwaltsgebühr nach dem Kostenrecht bei 110 Euro plus Pauschalen, also bei ungefähr 155 Euro, liegt. Das ist der Regelstreitwert, der die Masse der Fälle betreffen wird. Es gibt eine Ausnahmeregelung, die dann greift, wenn nach Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles die Begrenzung des Streitwertes mit den Folgen unbillig wäre. Wir verlangen aber – das ist anders, als bisher im Urheberrecht geregelt –, dass das von dem dargelegt werden muss, der abmahnt, (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Sehr gut!) und nicht – wie nach dem bisher geltenden Recht – von dem, der abgemahnt worden ist. Das sind die Regelungen – meine Redezeit reicht leider nicht, um auf die weiteren Komplexe einzugehen –, die wir vorgesehen haben, um auf die Entwicklungen in der Abmahnpraxis zu reagieren: mit Blick auf die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch mit Blick darauf, dass es für Unternehmen, für Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr, gut ist, wenn sie rechtssichere Regeln haben. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Marianne Schieder. (Beifall bei der SPD) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin hat es schon gesagt: Wir diskutieren heute in erster Beratung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem für die Verbraucherinnen und Verbraucher sehr wichtigen Themenbereich: den unseriösen Geschäftspraktiken im Inkassowesen, der Telefonwerbung und dem Abmahnwesen. Endlich, muss man sagen; denn schon seit einem Jahr liegt der Gesetzentwurf in der Schublade. Man fragt sich: Warum eigentlich? Man weiß doch seit langem, um was es geht. Man hätte schon viel eher handeln und damit Tausende Verbraucherinnen und Verbraucher vor großem Schaden bewahren können. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Caren Lay [DIE LINKE]) Stattdessen hat man zugelassen, dass im Bereich des Abmahnwesens ein regelrechter Geschäftszweig entstehen konnte, der sehr einträglich sein Unwesen treibt. Bereits seit mehr als drei Jahren weist die SPD im Deutschen Bundestag auf den Zusammenhang von Abofallen im Internet und unseriösen Inkassounternehmen hin. Im Sommer 2010 haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht, und – wie sollte es anders sein? – die Koalition hat ihn abgelehnt. Aber selber hat man nichts gemacht. Immer und immer wieder haben wir deutlich gemacht, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nur vor den Abofallen geschützt werden müssen, sondern auch vor unseriösen Inkassofirmen und unseriösen Anwälten, die die Menschen mit unberechtigten Forderungen und unverhältnismäßigen Gebühren abzocken. Ich zitiere heute gerne einmal den Kollegen Wanderwitz, (Stephan Thomae [FDP]: Das ist immer gut!) der in seiner Rede anlässlich der ersten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu den Abofallen am 15. Dezember 2011 gesagt hat: Die Folge ist Inkasso-Stalking. Das heißt, man wird mit Forderungen überzogen, die sich schnell zu größeren Summen anhäufen. Viele zahlen unter Druck, weil sie die Sorge haben, dass es noch teurer werden kann oder weil sie vielleicht überhaupt keine Erinnerung mehr daran haben; denn eine solche Forderung kommt meist nicht eine Woche danach, sondern mit erheblicher zeitlicher Verzögerung. … Zu der ganzen Thematik gehört nicht nur seriöses Inkasso, sondern auch unseriöses Inkasso. Auch bei diesem Thema sind wir innerhalb der Koalitionsfraktionen schon erheblich vorangekommen. Wir haben das Thema identifiziert und werden uns ihm auf Sicht widmen. So weit der Kollege Wanderwitz. Hört! Hört! Die Kolleginnen und Kollegen der Koalition haben ein seit Jahren bekanntes Thema im Dezember 2011 endlich identifiziert, (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Identifiziert“!) eineinhalb Jahre nachdem die SPD hier einen entsprechenden Antrag eingebracht hat. Die Union widmet sich dem Thema zusammen mit der FDP „auf Sicht“. Ich will gar nicht wissen, wie viel Nebel in der Koalition vorhanden sein muss, dass man nahezu eineinhalb Jahre braucht, ehe man einen Gesetzentwurf vorlegen kann. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) Wir kennen diese Vorgehensweise aus vielen Bereichen, und wir sind zunächst einmal dankbar, dass überhaupt etwas zustande gekommen ist, womit wir uns jetzt auseinandersetzen können. Im Grunde sind die vorgesehenen Regelungen zu begrüßen. Damit werden nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher geschützt, sondern auch diejenigen in der Branche, die ein seriöses Inkassounternehmen betreiben. Diese seriösen Inkassounternehmen sind gerade für die mittelständischen Handwerksbetriebe eine ganz große Stütze. Schwarze Schafe richten in diesem Bereich wirklich viel Schaden an und bringen die ganze Branche in Verruf. Verbraucherinnen und Verbraucher werden durch absolut unredliche Geschäftspraktiken von unseriösen Geschäftemachern verunsichert, in die Enge getrieben und um ihr Geld gebracht. Den zum Teil vollkommen überhöhten Abmahngebühren bei Urheberrechtsverletzungen soll nun ein Riegel vorgeschoben werden, indem die Kosten für die erste Abmahnung gedeckelt und der Streitwert auf 1 000 Euro begrenzt werden. Warum hier aber wieder eine Ausnahme möglich sein soll – sogenannte Billigkeitsgründe –, ist nicht nachzuvollziehen. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Damit öffnet man doch schon wieder Tür und Tor für die Umgehung der Vorschrift und ebnet den Weg für höhere Gebühren. Ganz wichtig wäre aus meiner Sicht aber auch die Verbesserung der Aufsicht über die Inkassounternehmen. Wir brauchen eine Aufsicht, die nicht nur auf dem Papier steht, sondern eine, die wirklich prüft, die den Markt kennt und in der Lage ist, die Spreu vom Weizen zu trennen. Dazu gehören wirksame Sanktionsmöglichkeiten ebenso wie eine entsprechende personelle Ausstattung. Darüber, liebe Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir wirklich noch reden. Auch im Bereich der unerlaubten Telefonwerbung gibt es Verbesserungen. Verträge über Glücks- und Gewinnspiele sollen nur dann Gültigkeit erlangen, wenn sie schriftlich geschlossen werden. Warum aber, so frage ich mich, nur diese Verträge? Die Überrumpelung durch unerlaubte Anrufe gibt es doch auch bei Zeitschriftenabos oder beim Kauf sonstiger Gegenstände von zum Teil erheblichem Wert. Gerade ältere Menschen sind hier großen Gefahren ausgesetzt. Warum können Sie sich nicht durchringen, generell immer dann, wenn Geschäfte durch unerlaubte – ich betone: unerlaubte – Telefonanrufe zustande gekommen sind, die Textform zu verlangen? Die europäischen Vorgaben geben eine solche Lösung her. Ich bitte Sie, sich das noch einmal anzuschauen und zu prüfen, ob eine Ausweitung nicht doch sinnvoll ist. (Beifall bei der SPD) Wir begrüßen auch die Ausweitung des Bußgeldrahmens. Schließlich wird mit diesen Geschäften viel Geld verdient. Abschreckung kann daher nur funktionieren, wenn die Strafe hoch genug ist. Wie gesagt: Das sind Details, über die wir noch reden möchten, über die wir aber auch reden sollten. Ich möchte abschließend noch einmal sagen: Ich freue mich mit der Koalition darüber, dass sich der Nebel gelichtet hat und Sie jetzt klarer sehen. Wir wollen gerne dazu beitragen, dass Ihr Durchblick vollkommen wird. Lassen Sie mit sich reden! Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Caren Lay [DIE LINKE] und Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Thomas Silberhorn. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Freundinnen und Freunde der Rechtspolitik! Frau Kollegin Schieder, wir lassen sehr gerne mit uns reden, (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Aha! Wissen Sie das gewiss?) aber wir legen Wert darauf, dass, wenn es darum geht, dass wir unseriöse Geschäftspraktiken bekämpfen wollen, hier auch seriöse Reden gehalten werden. Hinweise, wer wann was gesagt hat, führen uns nicht weiter. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Schämen Sie sich dafür, was Sie gesagt haben, oder warum?) Ich denke, der Gesetzentwurf, der jetzt vorliegt, bietet eine Lösung, von der nahezu alle Beteiligten profitieren werden, was selten ist – freilich mit einer Einschränkung: Profitieren werden nur diejenigen, die sich im Geschäftsverkehr redlich verhalten. Wir haben schon im Herbst 2011 über dieses Thema debattiert. Ich habe damals herausgestellt, dass es mit Flickschusterei nicht getan sein wird, sondern ein schlüssiges Gesamtkonzept gebraucht wird; darüber sind wir uns in der Koalition einig. Dafür braucht man Zeit. Diese Zeit haben wir uns genommen. Ich denke, das macht sich nun bezahlt. Dieser Gesetzentwurf stärkt den Verbraucherschutz. Er stärkt aber auch im Rahmen des Wettbewerbsrechts kleine und mittlere Unternehmen und Start-ups mit ihren Innovationen. Ich will, bevor ich näher auf Details eingehe und mich vor allem auf die Regelungen zu Abmahnungen konzentriere, zunächst betonen, was dieser Gesetzentwurf nicht bezweckt. Das Gesetz soll und wird die Rechtsdurchsetzung für Urheber, für Wettbewerber, für Rechtsanwälte und Inkassounternehmen nicht erschweren oder gar konterkarieren. Abmahnungen bleiben ein probates Mittel, um effektiv, frühzeitig und kostengünstig Rechtsverletzungen zu unterbinden. Das Gesetz ist daher auch keine Einladung zu Rechtsverstößen. Urheberrechtsverletzungen und Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht werden weiterhin und uneingeschränkt verfolgbar bleiben. Uns ist die Feststellung wichtig, dass Eigentum Eigentum bleibt, egal ob in körperlicher oder geistiger Form. Wir stehen zu unserem Bekenntnis, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein darf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das musste gesagt werden!) Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht nur für die Verbraucher. Wir haben in den vergangenen Jahren Geschäftspraktiken erlebt, die nicht mehr vorrangig dem Schutz des Wettbewerbs oder der Urheber dienen. Massenabmahnungen haben sich zu einem eigenen Geschäftsmodell entwickelt, das unabhängig von der in Rede stehenden Rechtsverletzung auf Gewinnerzielung gerichtet ist. Das hat dazu geführt, dass vielfach auch vor missbräuchlichen Abmahnungen nicht haltgemacht worden ist. Besonders auffällig ist, dass selbst bei geringsten Rechtsverletzungen oft unverhältnismäßig hohe Kosten geltend gemacht werden und regelmäßig hohe vierstellige Streitwerte angesetzt werden. Dabei hat der Gesetzgeber für einfach gelagerte Fälle sowohl im Urheberrecht als auch im Wettbewerbsrecht bereits explizite Wertvorschriften formuliert, um dem entgegenzuwirken. Aber wir haben feststellen müssen, dass sich diese Normen in der Praxis als weitgehend wirkungslos erwiesen haben. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Obwohl Sie sie selber gemacht haben!) In § 12 Abs. 4 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb ist vorgesehen, einfach gelagerte Fälle bei der Bemessung des Streitwerts wertmindernd zu berücksichtigen. Im Urheberrechtsgesetz wird der Aufwendungsersatz für anwaltliche Dienstleistungen bei erstmaliger Abmahnung auf 100 Euro begrenzt. Aber dies ist in der Praxis ohne spürbare Auswirkungen geblieben. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Kläger den für ihn günstigsten Gerichtsstand wählen kann. Das führt dazu, dass der Beklagte oft weit entfernt seine Interessen vertreten muss und deshalb oft seine Rechte nicht wahrnimmt, weil er das hohe Prozesskostenrisiko scheut. Hier setzt unser Gesetzentwurf an. Wir schaffen neue Wertvorschriften, die die entstandenen Missstände bei Abmahnungen ausräumen sollen. Wir stellen im Urheberrecht sicher, dass dem Verletzer die Grundlage der Abmahnung transparent offengelegt wird. Privatpersonen sollen auch ohne Rechtsbeistand auf den ersten Blick erkennen können, welche Rechtsverletzung ihnen überhaupt vorgeworfen wird. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird was werden!) In einem zweiten Schritt etablieren wir einen Gegenanspruch des Abgemahnten bei unberechtigten oder unwirksamen Abmahnungen. Wir wollen Waffengleichheit zwischen dem, der abmahnt, und dem, der abgemahnt wird, herstellen. Schließlich wird ein Regelstreitwert von 1 000 Euro für urheberrechtliche Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche festgelegt, wenn es sich um eine erstmalige Abmahnung eines Privatnutzers handelt. Von dieser Streitwertfestsetzung – Frau Ministerin, Sie haben es angesprochen – kann künftig nur abgewichen werden, wenn der Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Wir stellen in der Gesetzesbegründung klar, dass der Streitwert von 1 000 Euro – ich zitiere – in „den allermeisten Fällen der von Privatpersonen im digitalen oder analogen Umfeld begangenen Urheberrechtsverletzungen … angemessen“ ist. Die Kosten erstmaliger Abmahnungen für Privatnutzer werden damit regelmäßig spürbar gedeckelt. Diese Regelung soll dazu beitragen, wieder mehr Bewusstsein und Akzeptanz für den Wert urheberrechtlich geschützter Werke zu schaffen. Die Bürger lassen sich von einer Abmahnung durchaus beeindrucken, und zwar unabhängig von der Höhe der Kostenfolgen. Das soll auch so sein, damit weitere Urheberrechtsverletzungen unterlassen werden. Aber mit der Deckelung des Regelstreitwerts für erstmalige Verletzungen wird sichergestellt, dass die Bürger künftig Abmahnung nicht mehr mit Abzocke gleichsetzen. Das gilt umso mehr, wenn Kinder oder Jugendliche im Haushalt eine Urheberrechtsverletzung begangen haben und ihre Eltern als Anschlussinhaber dann dafür geradestehen müssen. Wir werden uns in den Ausschussberatungen allerdings noch ausführlich mit der Frage beschäftigen müssen, was genau unter einer Urheberrechtsstreitsache zu verstehen ist, für die dann der Streitwert von 1 000 Euro gilt. Hier darf keine Rechtsunsicherheit entstehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, der Gesetzentwurf bietet eine gute Grundlage für die weiteren Beratungen. Zusammen mit den Regelungen zu Inkassowesen und Telefonwerbung haben wir ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Bekämpfung unseriöser Geschäftspraktiken geschnürt. Ich freue mich auf konstruktive Diskussionen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kollegin Caren Lay. (Beifall bei der LINKEN) Caren Lay (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das soll also jetzt das sogenannte Anti-Abzocke-Gesetz sein, auf das wir seit Jahren gewartet haben. Was die Bundesregierung aber hier und heute vorgelegt hat, hat mit dem ursprünglichen Gesetzentwurf in vielen Punkten leider nur noch wenig zu tun. Im jahrelangen Dauerstreit innerhalb der Koalition sind viele Forderungen verwässert oder verschlimmbessert worden. Das zeigt vor allen Dingen eines: dass die Bundesregierung nicht wirklich aus dem Knick kommt, wenn es darum geht, Verbraucherinnen und Verbraucher wirkungsvoll zu schützen. Meine Damen und Herren, es sind die Verbraucherinnen und Verbraucher, die die Leidtragenden dieser Politik sind. Ich komme zum Thema der unseriösen Inkassounternehmen, die Millionen von Drohbriefen mit Geldforderungen verschicken. Interessant ist hier eine Untersuchung der Verbraucherzentrale aus dem Jahr 2011. Sie hat ergeben, dass 84 Prozent der Inkassoforderungen unberechtigt waren, in 15 Prozent der Briefe waren die Forderungen unklar, und in gerade einmal 1 Prozent der Fälle waren die Geldforderungen berechtigt. Das ist doch ein Skandal! Hier hätte die Koalition schon viel schneller reagieren müssen. (Beifall bei der LINKEN) Auch wir als Linke freuen uns, dass künftig Inkassodienstleister, die falsche oder unvollständige Briefe verschicken, mit höheren Bußgeldern bestraft werden sollen. Unsere Befürchtung ist allerdings, dass das in der Praxis nichts bringen wird. Die Frage ist doch: Wer soll das eigentlich überwachen, und wer soll das durchsetzen? Wenn die Aufsicht von Inkassounternehmen auf sage und schreibe 79 Behörden zersplittert werden soll, dann ist das doch eine einzige Farce. (Gisela Piltz [FDP]: Richtig!) Wir sagen: Dieses Chaos muss im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher endlich beseitigt werden. (Beifall bei der LINKEN) Wir von der Linken haben als erste Fraktion einen Antrag zur Regulierung von unseriösem Inkasso eingebracht. Wir fordern beispielsweise eine Verbraucherschutzbehörde, die von zentraler Stelle aus die Aufsicht übernimmt und auch Durchsetzungsbefugnisse hat. Auch die Gebührenregelungen sind aus unserer Sicht nichts Halbes und nichts Ganzes. Denn Fantasiegebühren im Inkassobereich bleiben weiterhin möglich, weil gerade im sogenannten Bagatellbereich, also bis 50 Euro, Ausnahmen vorgesehen sind. Sie alle kennen möglicherweise den Fall der Münchner Rentnerin, der durch die Medien ging. Sie hatte beim Begleichen ihrer Telefonrechnung 5 Cent zu wenig bezahlt, sollte am Ende aber 35 Euro Inkassogebühr bezahlen. Das, meine Damen und Herren, ist doch völlig unverhältnismäßig. Aber die Bundesregierung unternimmt nichts, um das zu unterbinden. Das können wir als Linke nicht akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zum zweiten zentralen Bereich des Gesetzentwurfes: zur unerlaubten Telefonwerbung. Es ist richtig: Am Telefon werden besonders gerne und besonders leicht betrügerische Verträge untergeschoben. Wir Linke und die Verbraucherorganisationen fordern deswegen schon lange als Lösung eine schriftliche Bestätigung. Gerade ältere Menschen trauen sich nicht, am Telefon zu widersprechen, wenn ihnen etwas aufgeschwatzt wird. Aber auch hier bleiben Sie bei der Umsetzung leider halbherzig. Ich kann überhaupt nicht erkennen – mir bleibt das schleierhaft –, warum die schriftliche Bestätigung für telefonische Gewinnspiele gelten soll, aber andere wichtige Bereiche außen vor bleiben, beispielsweise Telefonverträge, Versicherungen oder Zeitschriftenabos. Keiner kann mir erklären, warum diese Bereiche in diesem Gesetzentwurf nicht reguliert werden. (Beifall bei der LINKEN – Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Sie müssen nur die Gesetzesbegründung lesen! In der steht es!) Und auch beim dritten Punkt, der Abmahnindustrie im Internet, müssen wir das, was von der Koalition jetzt vorgelegt wurde, leider kritisieren. Viele Anwälte haben offenbar Abmahnungen als einen lukrativen Geschäftszweig entdeckt. Sie verschicken Hunderttausende von Abmahnbriefen für das Herunterladen von Musik, Filmen, Software aus dem Internet. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Illegales Herunterladen!) 6 Prozent der Bevölkerung – das sind mehr als 4 Millionen Menschen – sind schon einmal wegen dieser illegalen Downloads abgemahnt worden. Das Problem ist: viele davon zu Unrecht. Ein anderes Problem sind auch die Kosten, die im Durchschnitt bei etwa 800 Euro liegen. Das ist für einen Jugendlichen, der sich an einer Tauschbörse Musik besorgt, jede Menge Geld. Deswegen sagen wir als Linke: Hier muss etwas passieren. Und ich freue mich, dass die Koalition diesen Punkt aufgegriffen und einige Gedanken aus dem Gesetzentwurf der Linken, den wir hier vor zwei Jahren eingebracht haben, übernommen hat. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Nicht bewusst!) Allerdings ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung aus unserer Sicht an der entscheidenden Stelle nicht scharf genug, um die Abmahnwelle einzudämmen. Nach Einschätzung der Verbraucherzentralen würde das Gesetz sogar die Rechtslage der Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Höhe der Anwaltskosten verschlechtern, weil es hier Ausnahmeregelungen gibt. Auch das können wir als Linke so nicht akzeptieren. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, wir als Linke fordern, dass die horrenden Abmahnkosten auf den tatsächlich entstandenen und nachgewiesenen Schaden begrenzt werden. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das wird mehr!) Das ist doch ein guter Gedankengang. Hier können Sie sich vielleicht noch einmal am Gesetzentwurf der Linken bedienen. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird teurer!) Ich hoffe jedenfalls sehr, dass wir im Rahmen der Behandlung dieses Gesetzentwurfs die dringend notwendigen Nachbesserungen im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher durchsetzen können. Die Verbraucherinnen und Verbraucher hätten es verdient. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Jerzy Montag das Wort. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute in erster Lesung auch einen Gesetzentwurf meiner Fraktion. Der Gesetzentwurf richtet sich gegen den Missbrauch des Abmahnwesens im Urheberrecht. Die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit erlaubt es mir nicht, auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung einzugehen. Ich hoffe insofern auf Ihre Zwischenfragen. (Heiterkeit) Im Rahmen der Beantwortung dieser Fragen kann ich dazu gerne Stellung nehmen. Meine Damen und Herren, es ist richtig: Das Jahr 2008 war der Beginn eines Phänomens in Form eines neuen anwaltlichen Geschäftsmodells mit hunderttausendfachen Abmahnungen von Internetnutzern wegen Urheberrechtsverstößen. Dieses Geschäftsmodell wurde und wird zur Gewinnoptimierung betrieben, weil mit diesen Abmahnungen – das gilt für die Anwälte sowie für ihre Mandanten – mehr Geld verdient werden kann als mit einer legalen Lizensierung bestimmter urheberrechtsgeschützter Werke. So weit ist in der Begründung des Regierungsentwurfs der Sachverhalt richtig dargestellt. Ich will aber diesen Vorgang noch mit konkreten Zahlen unterfüttern. Im Jahre 2008 hatten wir in Deutschland 250 000 Abmahnungen, im Jahre 2009  453 000, im Jahre 2010  575 000. In den Jahren 2011 und 2012 ist die Zahl der Abmahnungen ein wenig zurückgegangen, aber sie ist immer noch auf einem sehr hohen Level. Das Gesamtforderungsvolumen betrug im Jahre 2012 fast 100 Millionen Euro. Laut einer Umfrage der Verbraucherzentrale Bundesverband sind inzwischen 4,3 Millionen Menschen in Deutschland im Bereich des Urheberrechts von Abmahnungen betroffen. Es ist also völlig klar, dass es sich um einen Missbrauch handelt. Und ich sage Ihnen: Die Geburtsstunde dieses Missbrauchs war die Verabschiedung des Gesetzes der Großen Koalition aus dem Jahre 2008, mit dem der Drittauskunftsanspruch ins Urheberrecht hineingeschrieben worden ist. Dem deutschen Zivilrecht fremd und völlig unsystematisch erstmals in diesem Bereich eingeführt, hat er dazu geführt, dass es diese Abmahnungen überhaupt in einem solchen millionenfachen Ausmaß gab. Das war der Türöffner. Schon im April 2008 haben wir im Rechtsausschuss darüber gestritten, ob, wie die Große Koalition damals behauptete, dies von der europäischen Ebene erzwungen worden ist oder nicht. Ich meine damit die Enforcement-Richtlinie. Ich habe schon damals darauf aufmerksam gemacht, dass der Europäische Gerichtshof im Januar 2008 – man hätte es also schon damals wissen können – in der Sache Música de España gegen Telefónica de España entschieden hat, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union aus datenschutzrechtlichen Gründen einen Drittauskunftsanspruch einführen dürfen, können, aber durchaus nicht müssen. Das war den Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition auch bewusst; denn sie haben damals die Öffentlichkeit und das Parlament damit vertröstet, dass dieser Drittauskunftsanspruch mit der sogenannten doppelten Gewerblichkeit verbunden sei: Der zur Auskunft Verpflichtete müsse gewerblich tätig sein, und der angebliche Rechtsverletzer müsse im geschäftlichen Verkehr unterwegs sein. Der Bundesrat war anderer Auffassung, er meinte, das stünde im Gesetz nicht drin. Sie von der Großen Koalition haben, obwohl man Sie auf diesen Punkt aufmerksam gemacht hat, darauf beharrt, dass diese sinnvolle Beschränkung im Gesetz stünde. Inzwischen hat der Bundesgerichtshof in zwei Entscheidungen lapidar festgestellt, dass es ihm egal ist, was die Damen und Herren Abgeordneten von der damaligen Großen Koalition gewollt haben; ins Gesetz hätten sie diesen Punkt jedenfalls nicht hineingeschrieben. Dies ist der wichtige Punkt, den ich hier darstellen will: Mit dem Gesetzentwurf der Grünen wird der Drittauskunftsanspruch auf den geschäftlichen Bereich beschränkt. Bereits das wird dazu führen, dass die Zahl der willkürlichen Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen erheblich zurückgeht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Montag, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krings? Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie kommt gerade recht; danke schön. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Herr Krings. Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Sie kommt wahrscheinlich immer recht. – Herr Montag, Sie kennen die Debatte der damaligen Zeit so gut wie ich. Deshalb müssten Sie wissen – ich frage, ob Sie sich noch daran erinnern –, dass wir den Drittauskunftsanspruch nicht nur deshalb eingeführt haben, weil es europarechtlich angezeigt war, sondern auch, weil wir dadurch eine Entkriminalisierung dieser Fälle vornehmen wollten. Bis dato war es nämlich nur möglich – und das geschah auch in großer Zahl –, diese Auskünfte über die Staatsanwaltschaften zu bekommen, musste also erst ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen eines Rechtsbruchs, wegen eines strafrechtlichen Deliktes eingeleitet werden. Durch die Einführung des Drittauskunftsanspruchs haben wir erreicht, dass die Staatsanwaltschaften deutlich weniger tätig sein müssen, weil es um einen rein zivilrechtlichen Anspruch geht. Deshalb frage ich Sie: Wären Sie dafür, diese Fälle wieder mehr auf die Staatsanwaltschaften zu verlagern? Würden Sie also die Rechteinhaber, deren Rechte verletzt wurden, auffordern, wieder vermehrt Strafanzeige zu erstatten und das Ganze von den Strafgerichten ausurteilen zu lassen? Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Dr. Krings, ich danke Ihnen sehr für diese Auskunft, gibt sie mir doch die Gelegenheit, an dieser Stelle recht ausführlich auf dieses Problem einzugehen. Erstens. Von einer Entkriminalisierung – dieses Wort haben Sie in den Mund genommen – hätten wir 2008 sprechen können, aber nur, wenn Sie tatsächlich einen bestimmten Bereich von Urheberrechtsverletzungen aus der Strafvorschrift des § 106 Urheberrechtsgesetz herausgenommen hätten. Genau das haben die Grünen damals der Großen Koalition vorgeschlagen: in die Strafnorm des Urheberrechts eine Vorschrift aufzunehmen, dass bei Vorfällen im Bagatellbereich eine Strafverfolgung ausgeschlossen ist. Sie haben das abgelehnt. Deswegen haben Sie in keinem Punkt eine Entkriminalisierung durchgeführt. Zweitens. Es stimmt: Sowohl das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren als auch das Recht zur Akteneinsicht sind missbraucht worden – im Übrigen von den gleichen Anwaltskanzleien, über die wir jetzt reden –, um auf diesem Umweg an die Adressen angeblicher Urheberrechtsverletzer zu gelangen. Aber – das wissen Sie wiederum genauso gut wie ich – schon lange vor der Einführung des Gesetzes 2008 haben die Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland begriffen, dass sie missbraucht werden, sodass diese Verfahren in großem Umfang ohne Ermittlungen eingestellt worden sind oder, wie zum Beispiel in Karlsruhe, Akteneinsichtsgesuche nicht mehr genehmigt wurden. Sie können uns und der Öffentlichkeit also nicht verkaufen, Sie hätten den Drittauskunftsanspruch damals ins Gesetz geschrieben, um eine Entkriminalisierung zu bewirken. Das Gegenteil ist der Fall: Sie haben aufgerüstet. Das vorhandene Strafrecht haben Sie überhaupt nicht angerührt, und zusätzlich haben Sie auch noch dafür gesorgt, dass wir den Zustand haben, den wir heute beklagen. Die Tür ist geöffnet worden. Mit der Beschränkung des Drittauskunftsanspruchs muss sie wieder geschlossen werden. In Bezug auf die bekannten angeblichen Urheberrechtsverletzer folgen wir darüber hinaus Ihrem Vorschlag der Streitwertbegrenzung im Grundsatz durchaus, allerdings ohne Rückausnahme, die Sie hineingebracht haben; denn – das sage ich Ihnen auch, Herr Dr. Krings –: Sie waren derjenige, der im Rechtsausschuss dafür gesorgt hat, dass in den damaligen § 97 a Abs. 2 Urheberrechtsgesetz bezüglich der Begrenzung der Anwaltskosten auf 100 Euro eine Rückausnahme bei sogenannten einfachen Fällen ins Gesetz aufgenommen wurde. Jetzt sorgt die schwarz-gelbe Koalition dafür, dass in Bezug auf § 49 Gerichtskostengesetz wiederum eine Rückausnahme ins Gesetz geschrieben wird. Sie werden erleben, dass Sie über diese Hintertür, die Sie aufmachen, wiederum nichts zur Absenkung der großen Zahl der Abmahnungen im Urheberrecht beitragen werden. Deswegen ist das, was Sie den Bürgerinnen und Bürgern mit Ihrem Gesetzentwurf anbieten, weiße Salbe. Das werden wir in den Anhörungen noch ausführlich diskutieren. Ich kann Ihnen schon jetzt sagen: Machen Sie sich mit unserem Gesetzentwurf vertraut; denn er geht den richtigen Weg, ist konsequent, ist rechtlich und dogmatisch völlig sauber und wird das Unwesen im Urheberrecht mit den massenhaften Abmahnungen endlich begrenzen. Danke schön. (Beifall der Abg. Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ein skurriles Rechtsstaatsverständnis! Sehr skurril!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Ansgar Heveling für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An der ausführlichen Antwort und dem Wortspiel der Kollegen Krings und Montag kann man ablesen, dass das, was wir heute beraten, schon eine längere Vorgeschichte hat. Es werden Zusammenhänge sichtbar, die auch schon eine längere Geschichte haben, wobei interessant ist: So oft wie der Herr Kollege Montag hier an diesem Pult bei rechtspolitischen Debatten von weißer Salbe spricht, könnte man fast den Eindruck bekommen, er sei Apotheker und nicht Rechtspolitiker. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Gesetzentwurf, den wir heute beraten, firmiert in der Presse meistens als sogenanntes Anti-Abzocke-Gesetz. Das ist eine sehr plakative Formulierung, aber es lohnt sich doch, dort ein bisschen genauer hinzuschauen und auch genauer zu differenzieren; denn es geht bei unserem Gesetzentwurf darum, missbräuchlichen und unlauteren Geschäftspraktiken den Boden zu entziehen und eine juristische Grundlage dafür zu schaffen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher besser vor unlauterer Telefonwerbung, unseriösem Inkasso und überzogenen Abmahnungen geschützt werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen unseriöse Geschäftspraktiken beraten wir hier also gewissermaßen ein ganzes Paket von Maßnahmen. Ziel ist es, vor allem gegen die drei genannten Phänomene vorzugehen, mit denen die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land leider immer wieder zu tun haben. Insbesondere einen Teil des Gesetzentwurfs, die urheberrechtlichen Abmahnungen, möchte ich an dieser Stelle aufgrund meiner Zuständigkeit hervorheben: Leider gibt es – das ist nicht von der Hand zu weisen – eine ganze Reihe von schwarzen Schafen, die in unserem Land mit Abmahnungen Missbrauch betreiben. Vor solchen unlauteren Abmahnungen wollen wir die Verbraucherinnen und Verbraucher künftig schützen. Durch mehr Informationspflichten wird der Verbraucher schneller erkennen können, ob eine Abmahnung, die er erhalten hat, auch tatsächlich wirksam ist. Gleichzeitig muss aber auch klar sein – das gehört dazu, wenn man eine Ausbalancierung von Rechten vornimmt –, dass diese schwarzen Schafe den seriös arbeitenden Anwälten das rechtmäßige Vorgehen streitig machen. Das legitime Instrument der Abmahnung muss und soll natürlich auch in Zukunft weiter nutzbar bleiben; denn in unserem Rechtssystem müssen wir auch in Zukunft wirksam gegen die Urheberrechtsverletzer vorgehen, die geschützte Inhalte illegal up- oder downloaden und dies durchaus in größerem Umfang tun. Es gibt Fälle, in denen das vereinzelt geschieht. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen massenhaft Urheberrechtsverletzungen begangen werden. Unsere Fraktion hat darauf hingewirkt, dass in diesem Gesetzentwurf deshalb die Schwere der Urheberrechtsverletzungen mitberücksichtigt wird; denn es macht aus unserer Sicht einen Unterschied, ob jemand einmal einen Song illegal heruntergeladen hat oder ob jemand täglich ganze Alben oder gar Filme auf seinen Computer herunterlädt. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Hochlädt!) In dem vorliegenden Gesetzentwurf musste also ein Ausgleich zwischen dem Schutz der Verbraucher auf der einen und dem Schutz der Urheber und ihrer Rechte auf der anderen Seite gefunden werden. Die Abmahnung ist und bleibt ein legitimes Instrument, um gegen schwere Urheberrechtsverletzungen effektiv vorgehen zu können. Der Wortwechsel eben zwischen Herrn Kollegen Montag und Herrn Kollegen Krings hat darauf aufmerksam gemacht, dass wir darüber schon vor längerer Zeit sehr intensiv diskutiert haben. Der Anlass ist seinerzeit gewesen, das Instrument des Strafrechts einzusetzen, um voranzukommen. Das Ziel seinerzeit ist in der Tat gewesen, über das Instrument der Abmahnung, verbunden mit dem Auskunftsanspruch, ein zivilrechtliches Instrument zu schaffen, um schnell Rechtsdurchsetzungen auch ohne Zuhilfenahme der Gerichte zu erreichen und eben nicht mehr auf den Staatsanwalt setzen zu müssen. Insofern hat eine Entkriminalisierung stattgefunden, (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Genau das!) weil zwar die Straftatbestände nach wie vor richtigerweise im Strafgesetzbuch stehen – der Staat muss die Möglichkeit haben, hier strafrechtlich vorzugehen –, aber entscheidend ist, wie das in der Praxis gehandhabt wird. Da haben sich eben die Abmahnungen als das Mittel erwiesen, das jetzt genutzt wird, bei dem wir aber Entwicklungen beobachten, die zu Kritik Anlass geben. Insgesamt hat diese Entkriminalisierung, die Verlagerung ins Zivilrecht, tatsächlich stattgefunden. Gegen legitime und juristisch saubere Abmahnungen bleibt von daher weiterhin nichts einzuwenden. Jeder Urheber hat einen Anspruch auf Vergütung für seine kreative Leistung. Wer sich das geistige Eigentum der Urheber ohne Erlaubnis zu eigen macht, muss Sanktionen erfahren können. Interessant ist in diesem Zusammenhang das, was wir eben von der Fraktion Die Linke gehört haben. Sie will den tatsächlichen Schaden zum maßgeblichen Kriterium und Anknüpfungspunkt machen. Ich weiß nicht, ob die Fraktion Die Linke bedacht hat, was das in diesem Kontext für Folgen hat, und ob dann nicht die Abmahnung vielleicht doch die bessere Variante wäre. Wir wollen aber denjenigen ein Stoppschild vorhalten, die Familien schwer belasten, indem sie mit überzogenen Abmahnungen systematisch und in großem Stil vorgehen. Das Stoppschild erreichen wir unter anderem mit der Deckelung des Streitwerts auf 1 000 Euro. Damit wird die bereits bestehende Abmahndeckelung fortentwickelt. Insgesamt zeigt sich, dass die Zahl der Abmahnungen in den vergangenen Jahren immer weiter zurückging. Allein im Jahr 2012 hat sich die Zahl der Abmahnungen im Vergleich zu 2011 um mehr als 50 Prozent, also um etwa die Hälfte, verringert. Es geht daher auch bei den unseriösen Abmahnungen um ein quantitativ rückgängiges Phänomen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Heveling, unser Stoppschild leuchtet schon vor Ihnen. Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Das Stoppschild leuchtet, und ich komme zum Schluss. – Ich mache darauf aufmerksam: Die Zahl der Abmahnungen geht zurück. Den unseriösen Abmahnungen wollen wir mit diesem Gesetz einen Riegel vorschieben. Die weiteren Beratungen im Gesetzgebungsverfahren werden Gelegenheit geben, eventuell offene Fragen zu klären. Die Expertenanhörung im Rechtsausschuss steht uns bevor. Ich glaube, wir haben mit diesem Gesetzentwurf eine gute Grundlage für die weitere Beratung. Ganz herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Kerstin Tack für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Kerstin Tack (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige erste Beratung steht unter dem Motto „Was lange währt …“. Ob es gut wird, werden die Ergebnisse der weiteren Beratungen noch zeigen; denn wir haben Gesprächs- und Beratungsbedarf zu diesem Gesetzentwurf. Insbesondere die Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten natürlich, dass die künftigen Regelungen gegen die Abzocke so gestaltet sind, dass sie umfassend und gut sind und dass sie nicht in absehbarer Zeit einer weiteren Überprüfung bedürfen. Wir erhoffen uns von den anstehenden Beratungen und insbesondere von der Anhörung, dass es Themen geben wird, über die wir uns noch verständigen können. Wir bitten die Bundesregierung, unserer Erwartungshaltung – diese werde ich gleich noch präzisieren – bei der einen oder anderen Thematik offen gegenüberzustehen. Die Beratungen dürfen kein Closed Shop sein; denn diese massenhafte Abzocke ist für viele Verbraucherinnen und Verbraucher ein Riesenproblem und stellt einen Wahnsinnsangriff auf den Geldbeutel dar. An dieser Stelle wollen wir daher richtig gut und ausreichend regeln. (Beifall bei der SPD) Im Inkassobereich gibt es keine real existierende Aufsicht. Das ist ein wirklich ernst zu nehmendes Problem. Die 79 Landgerichte, die im Moment dafür zuständig sind, führen de facto keine ernst zu nehmende Aufsicht durch. Deshalb brauchen wir ein Gespräch darüber, wie eine gelingende, eine funktionierende und tatsächlich agierende Aufsicht für diesen Bereich aussieht. Hierzu liegen unterschiedliche Vorschläge auf dem Tisch. Der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen zum Beispiel fordert eine einheitliche Behörde auf Bundesebene und bietet sogar eine Umlagefinanzierung an. Das kann eine Möglichkeit sein. Eine andere Möglichkeit, die der Bundesrat empfiehlt, ist, dass in jedem Bundesland ein Landgericht für diesen Aufsichtsbereich als zentral zuständig erklärt wird. Die betreffenden Landgerichte müssen dann natürlich mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet werden. Ich finde, das ist ein interessanter Vorschlag. Wir sollten darüber nachdenken, wie sich am besten eine funktionierende Aufsicht herstellen lässt. Der Bundesrat regt außerdem an, darüber nachzudenken, ob es nicht Sinn macht, dass auf jedem Inkassoschreiben oben oder unten die derzeit zuständige Aufsicht benannt wird, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, wohin sie sich wenden können. Wir halten die Sanktionsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden für nicht ausreichend bzw. für ergänzungsbedürftig. Neben dem Verhängen von Bußgeldern oder der Entziehung der Erlaubnis muss es die Möglichkeit geben, zum Beispiel die Verwendung bestimmter Textbausteine zu untersagen. Das wäre hilfreich. Wir verstehen nicht, warum nur auf Anfrage die Anschrift des ursprünglichen Auftraggebers mitgeteilt werden muss. Viele Forderungen werden weiterverkauft. Deshalb macht es Sinn, dass Verbraucherinnen und Verbraucher erkennen können, woher die Ursprungsforderung stammt, die ihnen angelastet wird. Das kann nicht nur auf Anfrage und Bitte der Verbraucherinnen und Verbraucher passieren. Wir sind nicht damit einverstanden, dass die Gebühren ausschließlich in einer Verordnungsermächtigung geregelt werden. Wir wollen eine Regelung im Gesetz. Ich glaube, an dieser Stelle haben wir einen sehr ernst zu nehmenden Dissens, über den wir debattieren müssen. Wir wollen zudem schärfere Verhaltensstandards und Berufspflichten für Inkassounternehmen. Entscheidend ist dabei die Frage, wie wir es schaffen können, dass seriöse Unternehmen nicht dadurch in Misskredit gebracht werden, dass andere mit geringer oder gar keiner Qualifizierung sich dieser Aufgabe stellen und unseriöse Praktiken anwenden. Auch hier besteht Diskussionsbedarf. Wir werden auch darüber reden müssen, warum sich die Regelungen betreffend die Telefonwerbung ausschließlich auf die Gewinnspielbranche beziehen. Wir alle wissen, dass der Markt weit größer ist und einer umfassenderen Regelung bedarf. Bei den Datenschutzfragen sind wir enttäuscht. Der erste Entwurf, den Sie vor einem Jahr vorgelegt haben, Frau Ministerin, sah noch vor, dass Datennutzung und Datenweitergabe einer aktiven Einwilligung der Verbraucherinnen und Verbraucher bedürfen. Nun haben Sie das aus dem Gesetzentwurf herausgenommen, sodass die Einwilligung wieder automatisch mit Zustimmung zum Kleingedruckten erteilt wird. Ich halte das für einen echten Rückschritt für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir wollen, dass der Zustand Ihres Entwurfes vom März letzten Jahres wiederhergestellt wird und die ursprüngliche Regelung wieder in das Gesetz kommt. Wir werden darauf bestehen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vernünftig einwilligen können. (Beifall bei der SPD) Wir haben noch mehrere Punkte, die ich aber jetzt aus Zeitgründen nicht ausführen kann. Ich hoffe auf konstruktive Beratungen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind es allemal wert, dass wir uns verdammt viel Mühe geben. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Mechthild Heil für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mechthild Heil (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir legen einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir die Verbraucher vor unseriösen Geschäftspraktiken schützen, und das ist gut so, und wir stärken mit diesem Gesetzentwurf auch die große Mehrheit der seriös arbeitenden Unternehmen. Wir haben das gemacht, weil einige wenige schwarze Schafe großen Schaden anrichten. Sie ziehen ahnungslosen Verbrauchern trickreich Geld aus der Tasche und ruinieren damit den Ruf einer ganzen Branche. Ja, ich muss es leider auch heute hier so deutlich formulieren: Diese unseriös arbeitenden Unternehmer zocken die Verbraucher ab. Damit ist jetzt Schluss. Wir legen diesen Leuten das Handwerk. Im vorliegenden Gesetzentwurf regeln wir drei Bereiche: Inkasso, Telefonwerbung und das Abmahnwesen. Meine Kollegen haben für die Bereiche der Abmahnungen und der Urheberrechtsverstöße eindrücklich aufgezeigt: Wir haben hier gute Lösungen gefunden, damit Verbraucher bei einem einmaligen – vielleicht sogar unwissentlichen – Verstoß nicht mit überzogenen Forderungen konfrontiert werden; andererseits muss aber natürlich der gewerbsmäßige Betrug weiterhin geahndet werden. Aber auch in den Bereichen Inkassowesen und Telefonwerbung sorgen wir für noch besseren Verbraucherschutz vor ungerechtfertigten Zahlungsaufforderungen. Eine bestellte Leistung oder Ware muss bezahlt werden. Das ist nicht nur eine Frage der Moral, sondern das ist auch für das Funktionieren unserer Wirtschaft wichtig. Um berechtigte Forderungen auch wirksam durchzusetzen, nehmen viele Firmen seriöse Inkassounternehmen in Anspruch. Das ist ein großer Markt. Da kann man viel Geld verdienen, und das zieht natürlich auch schwarze Schafe an. Uns geht es nun darum, diesen Betrügern das Handwerk zu legen. Wir wollen sie erkennen, wir wollen sie bestrafen, und wir wollen sie gegebenenfalls von dieser Tätigkeit in Zukunft fernhalten. Deshalb haben wir zum Beispiel die Sanktionsmöglichkeiten ausgebaut und den Höchstsatz für ein Bußgeld von 5 000 Euro auf 50 000 Euro angehoben. Betrug darf sich hier in Deutschland nicht lohnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Außerdem haben wir die Darlegungs- und Informationspflichten erweitert. Das heißt konkret: Aus dem Inkassoschreiben, also dem Mahnschreiben, dem Brief, der einem ins Haus flattert, muss hervorgehen, welche Firma überhaupt die Forderung gestellt hat. Wenn es um Verträge geht, müssen der Vertragsgrund und das Datum genannt werden, und auch die Zins- und Inkassoforderungen müssen aufgeschlüsselt werden. Sie auf der Zuschauertribüne denken vielleicht, das sei selbstverständlich. Ja, so sollte es sein, und seriöse Unternehmen arbeiten auch so. Wir haben jetzt den Vorteil, dass künftig alle Verbraucher die Fantasieforderungen von unseriösen Unternehmern leichter erkennen können. Ein weiteres Thema packen wir an. Viele Menschen ärgern sich über die häufig unerwünschten Werbeanrufe. Im Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung haben wir bereits 2009 festgeschrieben, dass eine Firma nur dann zu Werbezwecken telefonisch Kontakt aufnehmen darf, wenn sich der Verbraucher damit vorher ausdrücklich einverstanden erklärt hat. Wir haben nun die Daumenschrauben noch etwas mehr angezogen. Damit Verstöße auch richtig wehtun, haben wir die Bußgeldobergrenze für unerlaubte Telefonanrufe von 50 000 Euro auf 300 000 Euro angehoben. Das gilt auch dann, wenn der Anruf durch eine automatische Anrufmaschine erfolgt. Das tut weh, und das schreckt ab. Ein besonderes Problem waren telefonisch abgeschlossene Glücksspielverträge. Dazu ein Beispiel aus meinem eigenen Umfeld: Einer Rentnerin flattert plötzlich eine Rechnung von einem Gewinnspielanbieter ins Haus. Angeblich hat sie telefonisch einen Vertrag abgeschlossen. Sie erinnert sich nicht. Sie möchte den Vertrag kündigen – dieses Recht hat sie –, aber alle Schreiben an die angegebene Adresse und die Faxnummer in Spanien kommen zurück. Auch telefonisch ist niemand zu erreichen. Dann schaltet sich ein Inkassounternehmen ein, um die Forderungen einzutreiben. Sie fühlt sich irgendwann so unter Druck gesetzt, dass sie lieber zahlen will, als weiterhin telefonisch oder mit Mahnschreiben belästigt zu werden. Solche und ähnliche Fälle kommen leider viel zu häufig vor. Damit ist jetzt Schluss. Wir schieben dieser Methode einen Riegel vor. Solche Glücksspielverträge müssen künftig schriftlich abgeschlossen werden. Die Opposition meckert auch heute Abend wieder herum, dies gehe nicht weit genug und jenes sei noch nicht perfekt. (Widerspruch bei der SPD) Liebe Kollegen, wir haben diesen Gesetzentwurf gemacht. Sie haben in Ihrer Regierungszeit keinen hinbekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Erik Schweickert [FDP]: So sieht es aus!) Verbraucherpolitik ist nie abgeschlossen, weil sich die Verbraucherwelt ständig ändert. Verbraucherpolitik ist ein Prozess. Sie meckern herum; wir gestalten diesen Prozess. (Lachen bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Heil, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen. Mechthild Heil (CDU/CSU): Mit dem Gesetzentwurf gegen unseriöse Geschäftspraktiken beweisen wir wieder einmal mehr: Die christlich-liberale Koalition ist ein Glücksfall für die Verbraucherpolitik in Deutschland. (Lachen bei der SPD) Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/13057, 17/6482 und 17/12620 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Gohlke, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wohn- und Mietensituation von Studierenden verbessern – Drucksache 17/11696 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss Federführung strittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Immobilienfirmen und Finanzhäuser haben längst herausgefunden, wie man jetzt auch noch den Studierenden das Geld aus der Tasche ziehen kann. Studentischer Wohnraum wurde als Anlageobjekt entdeckt. Der Immobiliendienstleister Savills beispielweise wirbt folgendermaßen um Kunden – ich zitiere –: In den nächsten Jahren wird die Zahl der Studierenden … deutlich ansteigen. Da die öffentlichen Wohnheimplätze … bereits heute knapp sind, dürfte sich die Situation … weiter verschärfen. … Insofern ergibt sich hier Potenzial für private Investoren. Die privaten Investoren aber verlangen Mieten von 400 Euro und mehr für ein kleines Zimmer. Für die meisten Studierenden ist das völlig unbezahlbar, und es ist schlicht eine Unverschämtheit. (Beifall bei der LINKEN) In München standen im Herbst des letzten Jahres über 750 Studierende auf der Suche nach finanzierbaren Alternativen Schlange, als das Studentenwerk gerade einmal 150 Wohnheimplätze verloste. Studierende werden in Turnhallen oder in Containern untergebracht, Tausende nehmen in Kauf, jeden Tag mehrere Stunden zu ihren Unis zu pendeln. Diejenigen, die einen Studienplatz in ihrer Heimatstadt bekommen haben, bleiben gleich bei den Eltern wohnen und dürfen sich dann darüber freuen, dass ihr neuer Lebensabschnitt im alten Kinderzimmer beginnt. Für die Wohnungsnot und die explodierenden Wohnkosten gibt es allerdings politische Gründe. Erstens. Die Mieten steigen vor allem in städtischen Wohngebieten und an Hochschulstandorten, weil diese besonders von dem Umstrukturierungsprozess betroffen sind, der als Gentrifizierung bekannt ist. Für Renditeaussichten von privaten Investoren werden Preise in die Höhe getrieben. Menschen, die sich das nicht leisten können, werden aus den Wohnvierteln vertrieben. Die Innenstädte werden zu Konsummeilen für die obere Preisklasse. Zweitens. Studierende haben im Monat durchschnittlich 830 Euro zur Verfügung, 20 Prozent von ihnen weniger als 600 Euro. Die Miete ist mittlerweile der mit Abstand größte Kostenpunkt. Fast die Hälfte ihres Geldes geben die Studierenden für die Miete aus. Für die meisten von ihnen geht das schlicht an die Existenz. Ein weiterer Grund ist die sinkende öffentliche Förderung von studentischem Wohnraum. 1991 gab es bundesweit noch 246 000 Plätze in Studentenwohnheimen. 2011, also 20 Jahre später, gab es 20 000 Plätze weniger, obwohl die Studierendenzahl im selben Zeitraum um 34 Prozent gewachsen ist. In Bremen bekommen auf diese Art und Weise jetzt nicht einmal mehr 7 Prozent der Studierenden einen Wohnheimplatz. Und was macht die Bundesregierung? Nichts! Es gab nicht eine einzige Maßnahme aus dem Bildungsministerium. Der Runde Tisch „Wohnraum für Studierende“ von Minister Ramsauer blieb ergebnislos. (Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister: So ein Unfug! Sie müssen mehr Zeitung lesen! Dann wissen Sie, das ist Quatsch!) Bei den aktuellen Nachverhandlungen zum Hochschulpakt spielte die soziale Infrastruktur keine Rolle. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Gohlke, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung des Kollegen Feist? Nicole Gohlke (DIE LINKE): Ja, gerne. Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen. – Natürlich ist es in München oder in Bremen schlimm. Könnten Sie sich vorstellen, unter der Überschrift „Studentisches Wohnen“ am Schluss Ihrer Rede noch ein flammendes Plädoyer für die hervorragenden Universitäten in Ostdeutschland, speziell am Standort Leipzig, zu halten? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Ich habe das Gefühl, dass Sie das Thema dieser Debatte nicht ganz verstanden haben. Wir reden gerade nämlich nicht über die Hochschulen, sondern wir reden über studentischen Wohnraum. Natürlich ist es bekannt, dass es an verschiedenen Hochschulstandorten unterschiedlich ausschaut. Aber wir reden doch hier über die Verantwortung des Bundes. In der Verantwortung des Bundes liegt es ja auch, gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesgebiet herzustellen. Ich verstehe eigentlich nicht, warum manche Studierende 400 Euro Miete und mehr zahlen sollen und andere nicht. Was hat das zum Beispiel mit Fairness beim BAföG zu tun? (Beifall bei der LINKEN – Sebastian Körber [FDP]: Sie haben doch im Land Berlin mitregiert! Was haben Sie denn da gemacht?) Die Bundesregierung schiebt alles auf die Länder. Man könnte in diesem Fall auch sagen: Sie schiebt alles auf die Hochschulen. Aber der Bund ist in der Verantwortung, eine soziale Infrastruktur zu schaffen, die es allen ermöglicht, ein Studium aufzunehmen. Wenn die Koalition jetzt einwendet, dass das nicht geht, dann muss man eben die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen: Kippen Sie endlich das Kooperationsverbot! (Beifall bei der LINKEN) Ohne die sozialen Voraussetzungen entscheidet am Ende der Geldbeutel, und es entscheiden nicht die Neigung oder die Interessen darüber, ob man sich ein Studium an der LMU in München, an der HU in Berlin oder an der TU in Darmstadt überhaupt leisten kann. Das zu verändern, das wäre Aufgabe der Bundesregierung. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke fordert eine Offensive im sozialen Wohnungsbau und eine soziale Mietrechtsreform. Wir wollen die Mieten deckeln. Die Kommunen müssen das Recht bekommen, Höchstmieten festzulegen, um den Preisanstieg zu stoppen. Der Verkauf öffentlicher Wohnungen muss gestoppt und die Rekommunalisierung bereits verkaufter Bestände unterstützt werden. (Beifall bei der LINKEN) Die Linke will eine Wohnungsoffensive für Studierende. Mit einem Bund-Länder-Programm müssen neue Wohnheimplätze finanziert werden. In den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften muss bezahlbarer Wohnraum für Studierende geschaffen werden. Wir brauchen natürlich eine BAföG-Reform: Der Fördersatz für Wohnkosten muss erhöht werden und dynamisch an die durchschnittliche Mietsteigerungsrate angepasst werden. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Gohlke, ich unterbreche Sie ungern; aber Sie müssen jetzt einen Punkt setzen. Nicole Gohlke (DIE LINKE): Genau. Ich komme zum Schluss. – Die Bundesregierung muss endlich begreifen: Es gibt ein Menschenrecht auf Wohnen und keines auf Spekulation und Mietwucher. (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Wenn man keine Wohnungen baut, dann bekommt man auch keine Wohnungen!) Wenn man keinen bezahlbaren Wohnraum schafft, darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen sich ihn einfach irgendwann nehmen. Dazu muss man dann auch wohl den Studierenden raten. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Die sollen alle mal nach Ostdeutschland kommen! Es ist dort gar nicht so schlecht, wie viele denken, Frau Gohlke!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Karl Holmeier für die Unionsfraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Karl Holmeier (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich den vorliegenden Antrag der Linken lese, bin ich versucht, mir die Frage zu stellen, ob wir eigentlich die Richtigen sind, die dieses Thema beraten. Wie Sie sicherlich wissen, liegt der soziale Wohnungsbau nach unserem Grundgesetz in der Verantwortung der Länder. Der Bund ist für die soziale Wohnraumförderung – hierzu gehört auch die Förderung von studentischem Wohnraum – nicht zuständig. Das ist Ländersache. Im Rahmen der Föderalismusreform 2006 haben sich Bund und Länder darauf verständigt, dass jeder künftig nur noch das zahlt, wofür er auch zuständig ist. Ihre Forderung an den Bund nach einer bedarfsgerechten Bereitstellung von günstigem Wohnraum ist also grundgesetzwidrig. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist doch Unsinn!) – Das ist kein Unsinn; das ist richtig. Erlauben Sie mir einen weiteren Hinweis. Im Rahmen der Föderalismusreform wurde auch vereinbart, dass der Bund den Ländern für einen Übergangszeitraum, nämlich bis 2019, Kompensationszahlungen leistet. Wie es ausschaut – das ist auf dem Weg –, wird das auch im Jahr 2014 der Fall sein. Das sind im Bereich des sozialen Wohnungsbaus 518 Millionen Euro jährlich. Die Frage, meine Damen und Herren, ist natürlich: Wie verantwortungsvoll gehen die Länder mit diesen Kompensationszahlungen des Bundes um? Ich erinnere mich, dass das Land Berlin – man kann das auch nachschauen – unter Regierungsbeteiligung der Linken dieses Geld, das eigentlich für Investitionen im sozialen Wohnungsbau gedacht war, zweckentfremdet hat. (Sebastian Körber [FDP]: Hört! Hört!) Ich wiederhole mit anderen Worten: Man hat es ganz anders verwendet, als es eigentlich gedacht war. Damals hätte die Linke zeigen können, wie sehr ihr die Studentenwohnungen wirklich am Herzen liegen. Doch was haben Sie von der Linken mit dem Geld getan? Sie haben den Studenten das Geld vorenthalten, um damit alte Schuldenlöcher zu stopfen – eigentlich ein waschechter Skandal. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Doch statt sich in Demut zu üben, kommen Sie jetzt daher und wollen vom Bund noch mehr Geld. Dabei gibt es durchaus Länder, die ihre Pflicht erfüllt haben und erfüllen. Schauen Sie einmal nach Bayern! In Bayern halten wir uns an die Vorgaben der Föderalismusreform. Der Freistaat gewährt aufgrund des Bayerischen Wohnraumförderungsgesetzes Investoren, die studentischen Wohnraum schaffen, erweitern oder auch sanieren, Darlehen von bis zu 26 500 Euro je Wohnung. Ein solches Darlehen wird in einen Zuschuss umgewandelt, wenn die bestimmungsgemäße Verwendung als studentischer Wohnraum nicht verändert wird. In den Förderrichtlinien ist gleichzeitig eine zulässige Höchstmiete von durchschnittlich 170 Euro monatlich je Wohnung – ich wiederhole: 170 Euro! – festgesetzt. Das zeigt: Es geht, wenn die Länder ihre Hausaufgaben anständig machen. Hier ist ein Unterschied zwischen Bayern und Berlin. Eine grundgesetzwidrige Intervention des Bundes, wie im vorliegenden Antrag von den Linken vorgesehen, ist dann nicht notwendig. (Zuruf der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE]) Unser Bundesbauminister treibt das Thema „studentisches Wohnen“ auch im Bund voran, soweit dies im Rahmen seiner Zuständigkeit überhaupt möglich ist. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Hat er die oder nicht? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben eben gesagt „keine Zuständigkeit“! Was denn nun?) Bundesbauminister Dr. Peter Ramsauer hat erst im November letzten Jahres einen Runden Tisch zum Thema „Wohnraum für Studierende“ organisiert. Der Minister hat hier noch einmal klargestellt, dass er zu den zugesagten Kompensationsmitteln in Höhe von 518 Millionen Euro jährlich steht. Er hat klargemacht, dass die Förderung von studentischem Wohnraum eine Daueraufgabe ist, die jedoch in erster Linie von den Ländern zu erfüllen ist. Der Minister hat eine Investorenkonferenz initiiert, die demnächst stattfinden wird. Hieran werden Investoren teilnehmen, die auf studentischen Wohnraum spezialisiert sind. Außerdem hat er die BImA gebeten, sich verstärkt in diesem Bereich zu engagieren. Die Gespräche hierfür laufen derzeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch eine Anmerkung zur grundsätzlichen Diskussion über die Mietpreisexplosion in Deutschland machen, die Sie, Frau Gohlke, angesprochen haben. Als Vertreter eines Flächenwahlkreises verweise ich regelmäßig darauf, dass wir den ländlichen Raum stärken müssen. (Horst Meierhofer [FDP]: Sehr richtig!) Warum? Weil der Markt die Preise, eben auch die Mieten, bestimmt! (Petra Müller [Aachen] [FDP]: Genau!) Der beste Weg, die Mietpreise auf einem angemessenen Niveau zu halten, führt über eine ausgewogene Nachfrage in Stadt und Land. Die christlich-liberale Koalition hat dies bereits seit langem erkannt. Andere hinken hier weit hinterher. Wir haben im vergangenen Jahr einen beeindruckenden Antrag zur Zukunft der ländlichen Räume verabschiedet. Dieser Antrag enthält viele ganz konkrete Maßnahmen zur Stärkung des ländlichen Raums und leistet damit einen entscheidenden Beitrag zur Entspannung der Wohnungsmarktsituation. Was haben wir in der christlich-liberalen Koalition noch getan? Wir haben ebenfalls bereits im vergangenen Jahr eine Mietrechtsänderung beschlossen, (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Die war ja auch ein ganz großer Erfolg!) in der auch Maßnahmen gegen eine Mietpreisexplosion in den Ballungsräumen enthalten sind. Künftig darf die Miete innerhalb von drei Jahren nur noch um 15 Prozent statt bisher um 20 Prozent erhöht werden, wenn ein Land für bestimmte Gemeinden dies so festlegt. Hier hat die Koalition gehandelt, während andere nur reden. Wir haben in diesem Gesetz einen fairen Kompromiss zwischen den Interessen der Eigentümer, die man natürlich nicht vergessen darf, und der Mieter gefunden. Bei allem Einsatz für die Mieterinnen und Mieter denken wir nämlich auch daran, dass irgendjemand die Wohnungen, in denen die Mieter wohnen sollen, auch bauen und bezahlen muss. Das haben einige mit ihrer sozialistischen Denkweise immer noch nicht kapiert, wie man am vorliegenden Antrag wieder einmal sieht. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Oje, oje!) Ohne wirtschaftlichen Anreiz wird kein Investor auch nur eine Wohnung bauen. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Da klatscht noch nicht einmal einer bei Ihnen! Das merken Sie schon?) Dies alles zeigt: Mit der christlich-liberalen Koalition und natürlich einer starken CSU fährt unser Land, fahren die Menschen in unserem Land und insbesondere die Studenten, über die wir heute reden, am besten. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön, dass Sie die Studiengebühren abschaffen!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Michael Groß für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Michael Groß (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Holmeier, ich wundere mich, warum Sie Ihren Minister noch Bauminister nennen. Sie haben ihm ja gerade alle Aufgaben, die er eigentlich hat, entzogen; denn Sie sagen ja: Das ist nicht seine Aufgabe, in Deutschland Wohnungsbaupolitik zu unterstützen, (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt! – Zuruf von der FDP: Das hat er nicht gesagt!) dafür zu sorgen, dass Menschen in unserem Land vernünftig leben und wohnen können in Quartieren, die sie unterstützen, dass Studenten eine Wohnung finden, die das Studium fördert, und Rahmenbedingungen zu schaffen, die dafür sorgen, dass sie ihre Lebensziele erreichen. (Sebastian Körber [FDP]: Was machen denn die SPD-Länder?) Was die Zahl der Studienanfänger angeht: Es war ja schon zu Beginn der Amtszeit der jetzigen Regierung erkennbar, dass es mehr Studierende geben würde. Umso mehr wundern wir uns, dass – das wurde ja gerade noch einmal bestätigt – außer Gesprächen nicht viel stattgefunden hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist aber typisch! – Petra Müller [Aachen] [FDP]: Anträge zu stellen, reicht auch nicht!) Wir begrüßen natürlich sehr, dass es immer mehr Studienanfänger gibt, aber leider setzt sich in Deutschland Bildungsgleichheit immer noch nicht durch, weil vielen die materielle und wirtschaftliche Grundlage fehlt. Drei Viertel der jungen Menschen, die ein Studium nicht beginnen, machen das, weil sie nicht auf eine sichere finanzielle Grundlage zurückgreifen können, (Zuruf von der FDP: Quatsch!) und ein Fünftel der Studentinnen und Studenten, die ein Studium abbrechen, tun das, weil sie in einer schwierigen finanziellen Situation sind. Wir haben es gerade gehört: Im Oktober 2012 konnte man in der Zeit lesen, wie die Situation der Studentinnen und Studenten aussieht. Tausende müssen auf eine Wohnung warten, es gibt Notplätze in Fitnessstudios und Turnhallen, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Kinos, Zelten! – Martin Burkert [SPD]: Die schicken wir alle zum Minister!) und Studierende müssen Kredite aufnehmen, damit sie ihre Studentenbude finanzieren können. Und was tut der Minister? Er sagt, seine Spielräume seien begrenzt, und er verkündet auf der Bauministerkonferenz, er habe mit der letzten Mietrechtsnovelle alles getan, damit die Mietpreise nicht steigen. Das ist falsch, Herr Minister. Sie haben mit der Mietrechtsnovelle die soziale Funktion des Mietrechts ausgehöhlt; damit werden Sie in den Städten bewirken, dass es weiter zu Mietpreissteigerungen kommt und die Studentinnen und Studenten aus den Wohnungen vertrieben werden. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben mit dem Finger auf Nordrhein-Westfalen oder auf andere Bundesländer gezeigt. Ich kann Ihnen nur sagen: NRW ist genauso gut wie Bayern und viele andere Bundesländer auch. NRW hat ein eigenes Förderprogramm aufgelegt, das im letzten Jahr in Kraft getreten ist, und will Bauträgern, die den Studenten Wohnungen anbieten, verbilligte Kredite ermöglichen. Es wird Zeit, dass wir etwas unternehmen und nicht die Hände in den Schoß legen. Wir fordern ein nationales Aktionsprogramm für Wohnen und Stadtentwicklung. (Zuruf von der FDP: Das ist auch nur eine Forderung, keine Handlung!) Wir fordern ein Ausbauprogramm des Bundes für 25 000 neue Studentenwohnplätze. Die Städtebauförderung muss wieder aufgestockt werden; Sie haben sie heruntergefahren auf 455 Millionen Euro, haben sie massiv gekürzt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Programm „Soziale Stadt“ haben Sie zum Teil um 60 Prozent gekürzt. Wir fordern ein Sonderprogramm für Wohnungsbaugenossenschaften, damit der Wohnungsneubau angereizt wird, und wir fordern vor allen Dingen – das haben Sie eben nicht zugesagt, Herr Minister – mittelfristig 518 Millionen Euro für die soziale Wohnraumförderung. Sie haben vom nächsten Jahr gesprochen. Schließlich fordern wir eine Rückkehr zu einem sozialen Mietrecht. Das werden wir angehen, wenn wir in der Verantwortung sind. (Karl Holmeier [CDU/CSU]: Das wird aber 20 Jahre dauern!) Das sind die Aufgaben des Bundes. Da können Sie sich nicht zurückziehen und sagen: Ich habe da eigentlich keinen Spielraum und keinen Einfluss. (Beifall bei der SPD) Also: Wir müssen in Forschung, Bildung und Infrastruktur investieren. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Wir machen das schon!) Wir wollen, dass junge Menschen unabhängig von ihrer Herkunft den sozialen Aufstieg schaffen, und wir wollen, dass das in lebenswerten Städten mit bezahlbarem Wohnraum passiert. Herzlichen Dank. Glück auf! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Tun Sie endlich dort etwas, wo Sie die Verantwortung haben!) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Sebastian Körber hat für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sebastian Körber (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Studienanfänger, gerade auch ausländische Studierende, haben es an vielen Hochschulstandorten schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. In der Analyse sind wir uns einig. Wir benötigen etwa 70 000 bis 80 000 zusätzliche Wohnungen und Heimplätze. Wenn wir uns, Frau Kollegin Gohlke, den heute vorliegenden Antrag Ihrer Fraktion anschauen, erkennen wir: Das ist vielleicht das schlechte Gewissen, das Sie gerade haben. Was Sie nicht wahrhaben wollen: Sie haben bis zum Jahr 2011 im Land Berlin, in dem wir uns ja befinden, mitregiert. Was haben Sie da gemacht? Nichts! Der Kollege Holmeier hat es bereits angesprochen: In der Föderalismusreform ist festgelegt worden, dass die soziale Wohnraumförderung – dazu gehört explizit auch bezahlbarer Wohnraum für Studierende – Länderkompetenz ist und in die Länderhoheit gehört. Das nur mal so zum Verständnis. Sie haben im Land Berlin diese Mittel sogar zweckentfremdet. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Sie haben schon gelesen, was dort steht?) Sie haben die Frechheit besessen, dass Sie diese Mittel für die Tilgung von Schulden verwendet haben, und haben also ganz andere Sachen mit dem Geld veranstaltet. Sie haben die Mittel nicht zielgerichtet für den eigentlichen Zweck eingesetzt. Vielleicht plagt Sie gerade das schlechte Gewissen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Bei der Linken muss ohnehin alles der Staat regeln. Das ist aus meiner Sicht übrigens grundfalsch. (Caren Lay [DIE LINKE]: Der Markt regelt es doch auch nicht!) Wir müssen Anreize schaffen, damit bezahlbarer Wohnraum gebaut wird. Das ist der beste Schutz für die Mieterinnen und Mieter. Sie ziehen sich doch aus der Verantwortung! Eine wesentliche Ursache für die Wohnungsproblematik ist natürlich auch, dass in den Ballungsräumen in den letzten Jahren schlicht und ergreifend zu wenig getan worden ist. Herr Kollege Groß, in den zehn größten Städten unseres Landes sind die Oberbürgermeister mittlerweile alles sozialdemokratische Kollegen von Ihnen. (Zuruf von der SPD: Das werden mehr werden!) Die müssen erst einmal Bauland zur Verfügung stellen, und zwar zu bezahlbaren Preisen, damit wir die Chance haben, dort etwas zu bauen. Aber das machen Ihre Kolleginnen und Kollegen Oberbürgermeister vor Ort nicht. Damit fängt es schon an. Wir müssen feststellen, dass die Zahl der Studierenden gestiegen ist: um 50 Prozent in fünf Jahren. Aber wir müssen uns auch mit den Handlungsmöglichkeiten, die wir jetzt haben, auseinandersetzen. Zur sozialen Wohnraumförderung gehören nun einmal die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und das studentische Wohnen. Leider ist die Abgrenzung kompliziert. Das Land Bayern zum Beispiel macht eine hervorragende Arbeit; dies ist angesprochen worden. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Nein, es gibt überhaupt keine Probleme in München mit den Mieten! Quadratmeterpreise von 20 Euro!) Es ist ein schwarz-gelb regiertes Bundesland. Hier werden 26 500 Euro zur Verfügung gestellt. Das hätten Sie alles im Land Berlin machen können. Sie haben nichts gemacht. Der Bund und die KfW saßen zusammen mit am Runden Tisch, an dem die ersten Vorschläge erarbeitet worden sind. Hier hat der Bund auch Zuständigkeit; wir sind ja der Deutsche Bundestag. Wir machen auch noch deutlich mehr. Der Bund und die KfW unterstützen den Neubau und die Sanierung von studentischem Wohnraum mit zinsverbilligten Krediten über die KfW-Förderbank. Seit Oktober 2012 sind die Maßnahmen zur energetischen Sanierung bei Umwidmung förderfähig und damit auch für Wohnraum für Studierende zu verwenden. Ein guter Ansatz ist auch, die schnellere Schaffung studentischen Wohnraums dadurch zu ermöglichen, dass wir die militärischen Liegenschaften und die Bundeswehrliegenschaften schneller für die Umnutzung zur Verfügung stellen. Sie sehen, wir unternehmen viele Anstrengungen. Hier haben wir eine gewisse Bundeszuständigkeit. Das Baurecht, die Planungshoheit hat die Kommune. In den größten Ballungsgebieten, in denen die Mieten am allerhöchsten sind – nehmen wir einmal München –, regieren Kollegen der SPD, zum Beispiel der Kollege Ude. Da ist es ja mit den Immobilienpreisen am allerschlimmsten. Da muss man anfangen. Sie hätten über die Planungshoheit der Kommunen die Möglichkeit, (Zuruf des Abg. Martin Burkert [SPD]) diese Situation zu verbessern, Herr Burkert. So ist es nun einmal. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Martin Burkert [SPD]: Der Wahlkampf lässt grüßen!) Unsere Studierenden brauchen natürlich auch vernünftige Studienbedingungen – das ist klar –, aber eben auch bezahlbaren Wohnraum. Natürlich leiden viele unter diesen hohen Mieten. Sicher kann man die BAföG-Sätze erhöhen. Mehr ist Ihnen in Ihrem Antrag nicht eingefallen. Davon wird aber keine einzige bezahlbare Wohnung gebaut und geschaffen. Mit Ihrem Antrag gehen Sie völlig an dem Problem vorbei. Der beste Mieterschutz ist und bleibt ausreichend bezahlbarer Wohnraum. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Aber man kann ihn sich nur nicht leisten!) Wir müssen Anreize setzen, die Rahmenbedingungen anpassen. Das können wir als Bund machen. Bis zum Jahr 2011 haben Sie im Land Berlin nichts gemacht. Ich wiederhole es gerne zum dritten Mal. Der Bund hat im Rahmen seiner Kompetenzen schon seine Hausaufgaben gemacht. Es gab nicht nur Runde Tische; da sind Sie anscheinend falsch informiert. Ich bin auch optimistisch, dass wir gemeinsam einiges bewegen können. Aber Sie greifen da einfach viel zu kurz. Der Bund muss die Rahmenbedingungen setzen. Das Geld, das vom Bund bereitgestellt wird – es sind immerhin 518 Millionen Euro per annum für den sozialen Wohnungsbau und 455 Millionen Euro an Städtebaufördermitteln, zum Beispiel für die energetische Stadtsanierung –, muss von den Ländern richtig eingesetzt werden. In vielen Ländern regiert die SPD, Herr Kollege Groß. Der Bund hat die Rahmenbedingungen gesetzt. Am Schluss ist es doch so: Die Umsetzung der Forderungen aus dem Angstwahlkampf der SPD zum Thema „Bezahlbarkeit von Wohnraum“ – Sie von der SPD schüren hier die Ängste der Menschen – würde nicht dazu führen, dass neue Wohnungen gebaut werden. Wenn Sie eine Deckelung des Mietpreises bei 10 Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete einführen würden – das haben Sie schon angesprochen –, würde überhaupt keiner mehr etwas bauen und sanieren, und das wäre das Allerschlimmste. Ausreichend bezahlbarer Wohnraum ist der beste Mieterschutz; er ist auch das Beste für Studentinnen und Studenten. Nicht „das Wir entscheidet“ hier am Schluss. Entscheidend ist vielmehr, dass wir zielgerichtete Investitionen ermöglichen und Verordnungen und Gesetze entsprechend flexibilisieren, damit Wohnungsbau stattfinden kann. Die schwarz-gelbe Koalition hat ihre Hausaufgaben gemacht. Vielleicht macht gerade die SPD in den Ländern, in denen sie Verantwortung trägt, ebenfalls ihre Hausaufgaben. Das würde uns sicherlich weiterhelfen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nie zuvor gab es so viele Studierende wie heute. Die große Chance, mehr Bildungsaufstiege und Studienabschlüsse zu ermöglichen, darf nicht ungenutzt bleiben. Was die Bereitstellung von Studienplätzen angeht, haben Bund und Länder mit der Aufstockung der Mittel des Hochschulpaktes in der letzten GWK-Sitzung ein ebenso gutes wie überfälliges Signal gesendet. Aber damit ist die Herausforderung des Studierendenbooms längst nicht bewältigt: Es fehlt eine Ausweitung des BAföG, es fehlt die soziale Öffnung unserer Universitäten und Fachhochschulen, und es fehlt der Ausbau der sozialen Infrastruktur an den Hochschulen. Zur sozialen Infrastruktur gehört insbesondere studentisches Wohnen. Hier muss die Bundesregierung endlich eigene Vorschläge vorlegen, anstatt weiter die Hände in den Schoß zu legen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ein Paradebeispiel dafür, wie es nicht geht, hat Bundesbauminister Ramsauer geliefert. Mit großem medialem Getöse hat er zum Runden Tisch „Wohnraum für Studierende“ eingeladen. Dabei ist doch nichts Substanzielles herausgekommen – es wurde gerade deutlich –: (Sebastian Körber [FDP]: Der Herr Kretschmann hat noch nicht einmal einen Runden Tisch gemacht!) Neben Vorwürfen an die Länder gab es nur einen Prüfauftrag hinsichtlich der Unterbringung von Studierenden in alten Kasernen. Die Umsetzung dieses einzigen konkreten Vorschlags ist in gerade einmal drei Städten Realität. Das ist ein schlechter Scherz. Da muss nachgearbeitet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nahezu alle Hochschulstädte berichten von Wohnungsknappheit und langen Wartelisten bei Studierendenwohnheimen. Das Studentenwerk Erlangen-Nürnberg registrierte im letzten Wintersemester 4 000 Bewerbungen auf 2 000 Wohnheimplätze. Hier in Berlin stehen rund 900 Studierende auf der Warteliste für ein Studentenzimmer. Auch in ostdeutschen Unistädten wird es für Studierende schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Das Deutsche Studentenwerk beziffert den Mangel bundesweit auf 25 000 Wohnheimplätze. Herr Ramsauer, Frau Wanka, all diese Zahlen mahnen doch zum Handeln. Studierende brauchen ein Dach über dem Kopf und keine Inszenierung von Aktionismus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir schlagen ergänzend zum Hochschulpakt einen bundesweiten Aktionsplan für studentisches Wohnen vor, damit Studierende nicht nur einen Studienplatz, sondern auch Wohnraum vorfinden. Dazu gehört auch, Zwischennutzungen von Bundesliegenschaften endlich zu erleichtern. Anstatt ungenutzte oder leerstehende Gebäude des Bundes zu verkaufen, damit Investoren dort zum Beispiel teure Eigentumswohnungen hochziehen können, sollten diese Gebäude für günstiges studentisches Wohnen geöffnet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir sagen: Wohnen muss bezahlbar bleiben. Hier ist die Koalition ihrer Verantwortung überhaupt nicht gerecht geworden. Bei der Städtebauförderung wurde massiv gekürzt. Das ging auch zulasten von Studierenden. Unsere Initiativen für eine soziale Mieten- und Wohnungspolitik, vorangetrieben insbesondere von unserer Bauexpertin Daniela Wagner, haben Sie allesamt abgelehnt. Kommunen brauchen aber dringend wieder baurechtliche Instrumente zur Dämpfung der Mietentwicklung. Sie müssen in einzelnen Stadtquartieren Mietobergrenzen bei Neuvertragsmieten setzen können. Dass Schwarz-Gelb dies ablehnt, das ist unverantwortlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Körber [FDP]: Dann baut halt keiner mehr was!) Auch Bundesbildungsministerin Wanka muss handeln, damit Studierende ihre Miete zahlen können: durch Verbesserungen beim BAföG. Sie wäre aber schlecht beraten, dem Vorschlag der Linksfraktion zu folgen. Jedem BAföG-Empfänger mit einem Schlag monatlich pauschal 70 Euro zusätzlich für die Miete zu überweisen, wäre undifferenziert, ja bisweilen ungerecht. Studentenbuden sind in Leipzig, Görlitz, Hamburg und München unterschiedlich teuer. Deswegen schlagen wir vor, die regional unterschiedlichen Mietstufen des Wohngeldgesetzes im BAföG zu verankern. Das wäre viel zielgenauer und gerechter als eine bundeseinheitliche Pauschalierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Patentrezepte für den Umgang mit dem Mangel an studentischem Wohnraum verbieten sich, dafür unterscheiden sich die Bedingungen an den Hochschulstädten zu sehr voneinander. Wichtig ist, das Problem wirklich anzupacken, alle Beteiligten – von Studentenwerk bis Immobilienwirtschaft – einzubeziehen und gemeinsam maßgeschneiderte Lösungen vor Ort zu finden. Länder und Kommunen gehen vielerorts mit gutem Beispiel voran. Gerade das grün-rot regierte Baden-Württemberg und NRW forcieren den Wohnheimausbau, sie stärken die Studentenwerke und unterstützen kreative Lösungen auf kommunaler Ebene. Der Bund muss von seiner Zuschauertribüne runterkommen und das Nötige tun. Studentische Wohnungsnot in einer Wissensgesellschaft – das ist hochnotpeinlich und muss überwunden werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Dr. Stefan Kaufmann für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Gohlke, Ihre Analyse ist richtig: Aufgrund des großen Studierendenandrangs fehlen in unserem Land viele Wohnheimplätze und bezahlbare Wohnungen. Zum Studieren – das haben wir gehört, da sind wir uns einig – gehört nun einmal auch ein Dach über dem Kopf. Ihre Schlussfolgerungen aber, Frau Gohlke, kann ich dagegen überhaupt nicht teilen. Sie fordern nichts weniger als eine Mietrechtsreform für alle Wohnungen in Deutschland und eine Verstaatlichung des Wohnungsbaus in Deutschland. (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Na ja!) Ob wir so tatsächlich den Wohnungsmangel beseitigen, Frau Gohlke, das wage ich zu bezweifeln; um es einmal vorsichtig auszudrücken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ihre zweite Forderung zur Deckelung der Mieten für einen Wohnheimplatz ist überflüssig. Sie wird bereits vom Deutschen Studentenwerk, DSW, erfüllt. Es braucht also das von Ihnen vorgeschlagene Mietmoratorium nicht. Drittens fordern Sie – genau wie Peer Steinbrück; wir haben es auch von Herrn Groß gehört – ein Bund-Länder-Programm zur Schaffung von 25 000 Wohnheimplätzen für Studierende. Rot-rote Einigkeit also: herzlichen Glückwunsch! Ich muss aber – das wurde heute schon x-mal gesagt – darauf hinweisen, dass die Zuständigkeit für den Wohnheimbau eindeutig bei den Ländern liegt. Es ist an den Ländern, eine bessere Ausstattung zum Beispiel der Studentenwerke sicherzustellen. Das gilt im Übrigen auch für die BAföG-Ämter, wo immer noch viel zu viele Anträge zu lange liegen bleiben. Einige Länder zeigen, dass es anders geht. Bayern zum Beispiel – wir haben es gehört – baut derzeit 2 500 neue Wohnheimplätze und bezuschusst diese mit dem bundesweit höchsten Anteil von 26 000 Euro pro Platz. Das Deutsche Studentenwerk preist die Bayern hierbei als vorbildlich für alle Bundesländer. In meiner Heimat Baden-Württemberg hat noch die CDU-geführte Vorgängerregierung den Bau von über 3 000 neuen Wohnheimplätzen beschlossen. Diese befinden sich schon im Bau. Das ist also kein Verdienst der neuen Landesregierung. In Stuttgart beispielsweise steht schon jetzt für fast 15 Prozent aller Studierenden ein Wohnheimplatz zur Verfügung. Zum Vergleich: In Berlin sind es gerade mal 6,5 Prozent. Auch das zeigt: Die Kommunen sind gefordert. Darauf hat Kollege Körber schon hingewiesen. Im CDU-geführten Hessen, das ohnehin schon sehr aktiv im Wohnheimbau war, hat in diesem Monat der Bau von 2 000 zusätzlichen Wohnheimplätzen begonnen. Sie sehen also: Im Wohnheimbau geht es besonders dort voran, wo die CDU bzw. die CSU regiert. Zur Linkspartei sage ich: Sie fordern immer besonders viel, aber dort, wo Sie regieren, passiert leider nichts. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Beispiel Berlin wurde angesprochen. Dort wurde erst unter Regierungsbeteiligung der CDU eine Vereinbarung über die Schaffung von 5 000 neuen Studentenwohnungen getroffen. Als Sie von der Linkspartei noch an der Regierung waren – zehn Jahre lang –, haben Sie nichts getan; auch das wurde gesagt. Wie soll da ein Student oder eine Studentin Ihren Antrag ernst nehmen, Frau Gohlke? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Auch im rot-roten Brandenburg sind jedenfalls mir übermäßige Aktivitäten im Studentenwohnheimbau nicht bekannt. Die Linken tun also nichts, aber auch SPD, Herr Groß, und Grüne sind wenig vorbildlich. Ich muss leider sagen: Sie machen sich einen schlanken Fuß. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völliger Quatsch!) Was passiert zum Beispiel in Niedersachsen? Gerade einmal zwei Monate ist die rot-grüne Regierung im Amt, und schon werden erste Kürzungen für den Hochschulbereich beschlossen. 9 Millionen Euro muss das Wissenschaftsministerium im nächsten Jahr einsparen. (Zuruf von der FDP: Hört! Hört!) Wie man so die ohnehin schon magere Grundfinanzierung der Hochschulen und Universitäten verbessern will, bleibt Ihr Geheimnis. Für neue Studentenwohnheime wird dann natürlich erst recht kein Geld vorhanden sein. Aber in der Opposition – das zeigen Sie hier immer wieder aufs Neue – kann man gerade im Bereich der Bildungspolitik immer lustig mitfordern. In meinem Heimatland Baden-Württemberg wird unter Führung der Grünen trotz 3 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen im Bildungsbereich massiv gekürzt: Tausende Lehrerstellen fallen weg, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) die Senkung des Klassenteilers wird gestoppt, neu eingestellte Lehrer verdienen weniger und, und, und. Ich könnte die grün-rote Streichliste hier beliebig fortsetzen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Bloß nicht!) Im Bund wären ein wenig mehr Konstruktivität und weniger Wahlkampfgetöse seitens der Opposition angebracht. Frau Gohlke, keine der Forderungen der Linkspartei ist geeignet, den Studenten wirklich zu helfen. Im Gegenteil: Einige Ihrer Forderungen sind sogar völlig kontraproduktiv. Wo bleibt denn die Kreativität bei Ihren Vorschlägen? Warum rufen Sie immer nur nach dem Bund als Geldgeber? Der Bund sattelt beim Hochschulpakt Milliarden für über 600 000 neue Studienplätze drauf. Bei den Wohnheimplätzen sind jetzt aber die Länder am Zug. Setzen wir uns gemeinsam mit guten Ideen für mehr Wohnheimplätze ein, und orientieren wir uns dabei an den unionsgeführten Ländern! Diskutabel ist sicherlich die Öffnung von Bundesliegenschaften. Auch über die Länderklausel beim BAföG kann man sicherlich diskutieren. Wir haben aber gesehen: Die Union macht es besser als die Linken, als SPD und Grüne. Deshalb sollten wir da gemeinsam ansetzen. Frau Gohlke, Ihr Antrag hilft den Studierenden nicht. Deshalb lehnen wir ihn heute ab. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass heute intensiv über Wohnraum für Studierende debattiert wird. Als wir Sozialdemokraten vor einem Jahr, im Februar 2012, einen solchen Antrag hier eingebracht haben, fand er keine große Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit kann aber wachsen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Aufmerksamkeit sollte aber in einer Art und Weise wachsen, dass es nicht zu falschen Zuordnungen kommt. Der Antreiber bei diesem Thema ist das Deutsche Studentenwerk und nicht irgendwelche rot-roten Sozialisten oder sonst jemand. In allen Bundesländern geht bei diesem Thema das Deutsche Studentenwerk mit einem vergleichsweise hohen Maß an Objektivität in der Analyse vor. Damit es hier nicht bei einseitigen Länderbetrachtungen bleibt, möchte ich Ihnen aus dem jüngsten Report des Deutschen Studentenwerks, den Sie alle erhalten haben, vorlesen, wie es aktuell mit der Versorgung mit Wohnraumplätzen aussieht: tolle Versorgung in Sachsen und Thüringen – Herr Feist, damit kann man werben –, Bayern und Nordrhein-Westfalen bewegen sich auf vergleichbarem Niveau – 10,65 Prozent in NRW, 10,96 Prozent in Bayern –, und ziemlich schlecht ist die Situation in Hessen mit 7,34 Prozent und in Hamburg mit 8,74 Prozent. Was soll denn immer dieses Länderbashing? Warum sucht sich jeder immer das Passende heraus, obwohl es doch eigentlich darum gehen muss, die Situation beim studentischen Wohnraum insgesamt und nicht nach Farben sortiert voranzubringen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Ihnen die Analyse des Deutschen Studentenwerks, die sich mit der Situation in den Ländern befasst und sich dabei nicht an Parteien oder Farben orientiert, nicht reicht, empfehle ich Ihnen eine weitere Verlautbarung des Studentenwerks, in der die Bundesländer, die jetzt Gutes tun, genannt werden – quer durch alle Farben –: Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Hamburg. Wir müssten doch gemeinsam ein Interesse daran haben, dass alle etwas tun. Wenn wir aber wollen, dass alle etwas tun, dann müssen wir auch die Frage stellen, ob die Länder das alleine machen sollen oder ob das nicht aufgrund des nationalen Bildungsinteresses ein Engagement ist, das von Bundesebene aus mit befördert werden kann. Ein richtiger Punkt in diesem Zusammenhang wurde vom Kollegen Gehring angesprochen, er steht auch im Antrag der Fraktion Die Linke und kam auch in den letzten Beiträgen der Sprecher der Konservativen und der Liberalen zum Ausdruck: Wir müssen beim BAföG aufpassen, dass niemand abgehängt wird. Es muss differenziert werden, aber es muss eine Anpassung beim BAföG geben, damit die soziale Dimension gewahrt bleibt. Studentenwohnheime sind aber nicht nur eine Frage des sozialen Wohnungsbaus. Es geht darum, dass man in Studentenwohnheimen unabhängig vom Einkommen der Eltern wohnen kann. Dafür gibt es Gründe, zum Beispiel die soziale Durchmischung und die Attraktivität der Universitätsstädte für ausländische Studierende. Deswegen ist dies nicht ausschließlich ein Thema der sozialen Wohnraumförderung, die durch die Föderalismusreform auf die Länder übergegangen ist. Der Bund kann; er könnte, wenn er wollte. Das ist der zweite Akzent, den wir neben dem BAföG setzen wollen: Es sollte ein Sonderprogramm für 25 000 Wohnheimplätze für Studenten geben; das hat auch das Deutsche Studentenwerk gefordert. Dies wäre ein sichtbares Zeichen dafür, dass das besondere Problem des studentischen Wohnens bei uns angekommen ist. Es geht um die Querschnittsaufgabe Bildungsförderung, aber auch um die Förderung einer zukünftigen – mit diesem Begriff wende ich mich insbesondere an die rechte Seite des Hauses – Elite. Wenn wir diese hohen Studierendenzahlen halten wollen, bedeutet das, dass zusätzlich ausländische Studierende aus vielfältigen Gründen zu uns kommen sollen. Sie wissen genau, dass die ausländischen Studierenden, gerade auch die sehr guten, meist in studentischen Wohnheimen ihre Unterbringung finden. Diese sind auch eine Art Basis, um soziale Kontakte zu knüpfen. Deshalb ist das eine langfristige Investition. In diesem Bereich muss es mehr geben als das, was wir aktuell vom Wohnungsbauminister geboten bekommen. Der Wohnungsbauminister hat einen Runden Tisch gemacht. Zeitgleich hat er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Grundsatzartikel „Impulse für mehr Wohnungsbau“ veröffentlicht. Diesen Artikel habe ich interessiert gelesen und dabei gedacht: Wann kommt denn etwas zum studentischen Wohnungsbau? Schließlich hat der Wohnungsbauminister einen Runden Tisch dazu gemacht. Kein Wort in der FAZ, aber Runde Tische! Wissen Sie, was wir zu einem solchen Wohnungsbauminister in Schleswig-Holstein sagen? Er ist ein Schnacker, nicht mehr. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wir brauchen aber einen Bundesminister, der im Kooperationsverhalten mit Bund und Ländern aktiv Politik macht. So einen Bundesminister brauchen wir, keinen Schnacker. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11696 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen Federführung beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion Die Linke abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen, also Federführung beim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus (20. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Marlene Mortler, Ingbert Liebing, Dr. Michael Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Horst Meierhofer, Jens Ackermann, Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Tourismus in ländlichen Räumen – Potenziale erkennen, Chancen nutzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, Elvira Drobinski-Weiß, Hans-Joachim Hacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Tourismus in ländlichen Räumen durch schlüssiges Gesamtkonzept stärken – Drucksachen 17/9570, 17/9571, 17/12573 – Berichterstattung: Abgeordnete Marlene Mortler Heinz Paula Horst Meierhofer Kornelia Möller Markus Tressel b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus (20. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sozial und regional – Tourismus in ländlichen Räumen stärken – Drucksachen 17/11373, 17/12926 – Berichterstattung: Abgeordnete Ingbert Liebing Heinz Paula Horst Meierhofer Dr. Ilja Seifert Markus Tressel Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Horst Meierhofer (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tourismus im ländlichen Raum ist ziemlich genau das Gegenstück zu dem, über das wir gerade debattiert haben, nämlich die Tatsache, dass in den Groß- und Ballungsräumen das Problem besteht, dass man kaum noch Mietraum bekommt oder er kaum noch bezahlbar ist. Im ländlichen Raum hingegen hat man höchste Schwierigkeiten, die jungen Leute noch dort zu halten. Deswegen ist es, glaube ich, dringend notwendig – da sind wir uns alle einig; es ist schön, dass es so viele Anträge zu diesem Thema gibt –, endlich Zukunftsperspektiven für den ländlichen Raum zu schaffen. Unserer Überzeugung nach ist der Bereich Tourismus eine der besten Möglichkeiten dafür; denn Tourismus schafft hochwertige Arbeitsplätze und hält die Leute vor Ort. Diese Arbeitsplätze sind auch nicht so leicht verlagerbar. Deswegen ist es unser gemeinsames Interesse, den Tourismus im ländlichen Raum voranzubringen. Dieses Thema ist nicht nur bei uns von Interesse; es wurde nicht nur innerhalb unserer Fraktionen besprochen, sondern auch im Bundeswirtschaftsministerium und im BMELV, im Landwirtschaftsministerium. Im Rahmen des Projekts „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ – dazu wird der Staatssekretär und Tourismusbeauftragte Burgbacher noch etwas sagen – hat man Handlungsempfehlungen, Praxisleitfäden, Best-Practice-Beispiele und Ähnliches gegeben, damit die Leute vor Ort wissen, was man tun kann, und sich auch ein Beispiel an anderen Touristikern nehmen können, die vielleicht schon mehr Erfahrungen damit gemacht haben. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Bestandteil, und das haben wir mit unserem Antrag gerne unterstützt. Wir haben auch einen Kongress veranstaltet, und zwar gemeinsam als CDU/CSU und FDP. In diesem Rahmen haben wir über die ländlichen Räume und ihre Perspektiven gesprochen. Es waren mehrere Hundert Teilnehmer, die uns zugehört haben. Das Spannende war: Von allen Bereichen – Wirtschaft, Verkehr, Tourismus – hatte der Tourismus die meisten Zuhörer. Aus meiner Sicht war das damals überraschend. Aber es zeigt, dass der ländliche Raum selbst erkennt, dass es hier wirklich große Chancen gibt. Es gibt einiges, was wir noch erreichen müssen. Bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ und bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ haben wir schon einige Erfolge erzielt; das ist von großer Bedeutung. Auch die Breitbandstrategie ist wichtig. Wenn man Schwierigkeiten hat, mit den Ballungsräumen zu konkurrieren, ist es umso wichtiger, die Infrastruktur im ländlichen Raum – das Internet gehört mittlerweile natürlich zuvorderst dazu – zu fördern. Das ist uns, glaube ich, ganz gut gelungen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Bis 2014 streben wir eine Verfügbarkeit von Bandbreiten mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde für 75 Prozent der Haushalte an. Das zu schaffen, wäre ein großer Erfolg. Ein Thema, das die Tourismuspolitiker aller Parteien verbindet, ist der Ferienkorridor. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Zeiten, in denen der Tourismus stattfindet, weiter ausgedehnt werden müssen. Auf Länderebene ist noch einiges zu tun, um die Hauptsaison zu verlängern. (Heinz Paula [SPD]: Vor allen Dingen in Bayern!) – Das gilt auch für unser Bundesland, für Bayern; da haben Sie vollkommen recht. (Heinz Paula [SPD]: Ja! Das sind die größten Blockierer!) Es liegen heute auch ein Antrag von der SPD und ein Antrag von den Linken vor, für die ich aber leider nicht mehr allzu viel Zeit habe. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das lohnt auch nicht!) Sie, lieber Kollege Paula, hinken insoweit hinterher, als in Ihrem Antrag steht, dass Sie ein Gesamtkonzept auf Bundesebene bzw. eine bundesweit geltende Regelung wollen. (Heinz Paula [SPD]: Richtig! Dringend erforderlich!) Das wollten früher auch wir. Wir haben das sogar in unseren Koalitionsvertrag geschrieben. (Heinz Paula [SPD]: Hört! Hört!) Wir haben aber gleich zu Beginn der Legislaturperiode festgestellt, dass die Länder das nicht wollen. (Heinz Paula [SPD]: Ach, Horst! Ihr schafft es einfach nicht! Das ist euer Problem!) Die Länder haben gesagt: Wir wollen das nicht mehr. – Ein Beispiel ist die Deutsche Zentrale für Tourismus. Sie hat gesagt, dass sie ihre Konzepte auf Länderebene umsetzen möchte. Genau das tut sie jetzt, unterschiedlich erfolgreich. In Bayern ist man sogar sehr erfolgreich. Es macht wenig Sinn, jetzt etwas zu fordern, was von der Wirklichkeit schon überholt ist. Noch ein Wort zum Antrag der Linken. Sie fordern, eine Analyse der Stärken und Schwächen vorzunehmen und eine Grundlagenuntersuchung durchzuführen. Wir sind sehr froh, dass wir das schon längst hinter uns haben. Denn wenn wir erst so weit wären, dann würden auch wir der Zeit hinterherhinken. Gott sei Dank tun wir das nicht, Sie schon ein bisschen. Trotzdem freuen wir uns, dass auch Sie der Meinung sind: Der ländliche Raum ist wichtiger, als er in der Vergangenheit wahrgenommen wurde. Es würde uns freuen, wenn Sie auch in Zukunft mit uns gemeinsam dafür sorgen würden, dass es vorwärts geht. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächster Redner ist der Kollege Heinz Paula für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Heinz Paula (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Die Ausführungen meines Kollegen Meierhofer haben etwas, das auch ich deutlich zum Ausdruck bringen möchte, unterstrichen: Im Bereich des ländlichen Tourismus gibt es enorme Potenziale. Wir wissen, dass in Deutschland zwei Drittel aller Übernachtungen und über 40 Prozent der Tagesreisen in ländlichen Räumen stattfinden. Die Menschen wollen Natur erleben. Sie wollen nachhaltig verreisen. Sie wollen Produkte aus der Region. Da gibt es ein enormes Potenzial, welches wir heben, pflegen und ausbauen müssen. Wir sind uns einig, dass der Tourismus in ländlichen Räumen kein Selbstläufer ist, sondern wir die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen müssen, um ihn zu stärken. Wir wissen, dass der ländliche Raum insgesamt vor gewaltigen Herausforderungen steht. Dazu gehören – ich nenne nur ein paar Beispiele – der demografische Wandel mit seinen Auswirkungen, sich entleerende Dörfer, Kaufkraftverlust, Fachkräftemangel, unzureichende Angebote bei der Mobilität und, lieber Kollege Horst Meierhofer, leider auch bei der Breitbandversorgung; teilweise geht man besser noch zu Fuß, als auf die Übertragungswege, die momentan vorhanden sind, zu setzen. Vor diesem Hintergrund ist uns allen klar: Der Tourismus im ländlichen Raum ist ein Querschnittsthema. Es bedarf daher eines nachhaltigen und umfassenden Konzepts, um ihn bestmöglich zu stärken. Genau dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, fordern wir in unserem Antrag. Selbst Sie, liebe Kollegin Mortler, haben bei der ersten Lesung im letzten Mai – Sie erinnern sich – klar und deutlich bestätigt – ich darf Sie zitieren –, es wäre ideal, so Ihre Worte, ein Gesamtkonzept auf den Weg zu bringen. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ja, das stimmt!) Leider haben Sie bisher nicht im Ansatz versucht, etwas voranzutreiben. Auf Ihren Koalitionsvertrag, der, so wie bei Ihnen üblich, auch an dieser Stelle nur Papier ist, möchte ich gar nicht mehr groß eingehen. Mit unseren Forderungen – das sage ich insbesondere in Richtung der Regierungskoalition – stehen wir Gott sei Dank nicht alleine da. Wir haben sehr starke Bündnispartner. Auch der Deutsche Bauernverband zusammen mit dem Deutschen Landkreistag und der Bundesarbeitsgemeinschaft für Urlaub auf dem Bauernhof und Landtourismus stellen in ihrem Positionspapier sehr konkrete Forderungen zu sehr konkreten Maßnahmen. Wir brauchen ein entsprechendes Gesamtkonzept, um diesen Katalog an Forderungen erfüllen zu können. Das von der Bundesregierung initiierte Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ – Horst Meierhofer hat gerade darauf hingewiesen – geht zunächst einmal in die richtige Richtung. (Beifall des Abg. Horst Meierhofer [FDP]) Es zeigt nämlich überdeutlich – Vorsicht mit dem frühen Applaus, Kollege Horst Meierhofer –, dass enormer Handlungsbedarf besteht. Es ist spannend, welche Antworten Sie darauf geben. Ganz interessant finde ich die Kurzreports und Checklisten, mit denen wir wirklich etwas vorantreiben können. Herr Kollege Burgbacher, Kompliment an Ihre Mitarbeiter! Sie haben wirklich eine hervorragende Arbeit geleistet. Allerdings bleibt die spannende Frage: Was tut die Bundesregierung? Was setzt sie davon um? Wer nimmt die Fäden in die Hand und versucht, die Dinge voranzutreiben? Lassen Sie mich auf einige unserer Forderungen eingehen. Der Deutsche Bauernverband und wir Sozialdemokraten fordern, dass endlich eine Grundlagenuntersuchung gefördert wird, die belastbare Daten zum Tourismus in ländlichen Räumen als Wirtschaftsfaktor liefert. Bisher: Fehlanzeige! Dann zu den finanziellen Rahmenbedingungen. Wir wissen doch alle, dass in Zeiten knapper werdender Kassen die Tourismusförderung nicht hinten herunterkippen darf. Wie sieht es mit der Förderung nach 2014 aus? Welche Schwerpunkte setzen Sie? Vonseiten der Regierung kommt dazu nichts. Der Bauernverband und die SPD fordern ferner, dass die Förderprogramme auf Bundes- und Länderebene neu ausgerichtet und aufeinander abgestimmt werden, damit das gesamte Förderspektrum bestmöglich ausgenutzt und Doppelförderungen vermieden werden. (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das sind ganz neue Freundschaften hier, Herr Paula!) Vonseiten der Regierung – Sie vermuten es schon, Kolleginnen und Kollegen –, kommt dazu wie immer nichts. Der Deutsche Bauernverband und wir Sozialdemokraten fordern, dass die Organisationsstrukturen endlich überdacht und zum Beispiel Parallelstrukturen vermieden werden. Welche Antwort kommt wiederum vonseiten der Bundesregierung? – Sie können die Antwort schon erahnen: nichts. Lassen Sie mich zu einem mir und meiner Fraktion sehr wichtigen Punkt kommen. Wir fordern in unserem Antrag eine soziale Ausrichtung des Gesamtkonzepts. Dazu gehören die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen und vor allen Dingen auch die Entlohnung. Sie schreiben in Ihrem Papier „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“, Kurzreport Fachkräfte, sehr Aufschlussreiches. Ich darf zitieren: Familienunfreundliche Arbeitszeiten, vergleichsweise geringe Löhne … stellen eine hohe Belastung für Beschäftigte … dar und führen häufig zu einer hohen Unzufriedenheit. Richtig; das kann man nur unterstreichen, Herr Kollege Burgbacher. (Beifall bei der SPD) Es geht weiter: leistungsgerechte Entlohnung. Auch da kann ich sagen: Jedes Wort ist richtig. „Mitarbeiter müssen spüren, dass sich gute Leistung lohnt.“ Jawohl, das ist absolut zu unterstreichen. Aber jetzt wird es ganz spannend, Kolleginnen und Kollegen. Ein paar Zeilen weiter steht nämlich: Wertschätzung und Anerkennung: – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – Ist der finanzielle Spielraum der Betriebe im Tourismussystem ländlicher Räume für Gehaltserhöhungen … begrenzt, kann auch eine wertschätzende Führung die Motivation der Mitarbeiter erhöhen. Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Verhöhnung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (Beifall bei der SPD) Wir fordern klipp und klar, ohne Wenn und Aber, guten Lohn für gute Arbeit, und das ist Mindestlohn. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wissen doch alle, dass eine entsprechende Entlohnung ganz wesentlich mit dazu beitragen kann, dass Arbeitskräfte in den Regionen gehalten werden und damit ländliche Regionen stabilisiert werden können. Lassen Sie mich zu einem weiteren hochinteressanten Punkt kommen, der deutlich dokumentiert, wie weit Sie mit Ihren Bemühungen, den ländlichen Tourismus zu unterstützen, gekommen sind. Wie sieht es denn mit der Sommerferienzeitregelung aus? – Nichts, aber auch gar nichts haben Sie bewirkt. Im nächsten Jahr wird es einen Sommerferienkorridor von sage und schreibe 71 Tagen geben. Die Verbände rechnen uns doch immer wieder vor, welch horrender Einnahmeausfall mit den fehlenden Tagen – von 90 Tagen sind wir sehr weit entfernt – verbunden ist. Handeln Sie doch endlich! Übrigens, Frau Kollegin Mortler – es tut mir leid, dass ich schon wieder nach Bayern schauen muss –: Der allergrößte Blockierer in diesem Bereich ist die Bayerische Staatsregierung. (Beifall bei der SPD) Ermuntern Sie Herrn Seehofer doch einmal, endlich vernünftig zu werden! Kolleginnen und Kollegen, wenn wir die Anträge der Regierungskoalition, der SPD und der Linken nebeneinanderstellen, stellen wir fest, dass der Antrag der SPD der umfassendste ist. Deshalb würde ich Sie bitten, unserem Antrag zuzustimmen. (Otto Fricke [FDP]: Quantität ist nicht Qualität!) Kolleginnen und Kollegen der Linken, Ihr Antrag ist gar keine schlechte Kopie; aber er ist eine Kopie. Das Original, unser Antrag, ist einfach besser. Deshalb werden wir uns bei Ihrem Antrag enthalten. Zu der Kopie, die die Kollegen von der Regierungskoalition vorgelegt haben, kann ich nur die Empfehlung aussprechen, sie abzulehnen. Dieser Antrag führt mit Sicherheit nicht weiter. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Marlene Mortler [CDU/CSU]: Wo sind denn jetzt Ihre Perspektiven?) Ganz im Vertrauen: Ich traue Ihnen nicht zu, dass Sie bis September noch Butter bei die Fische bringen können – (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das haben wir doch schon!) es sei denn, Kolleginnen und Kollegen, Sie gehen ohnehin davon aus, dass ab September Rot-Grün all das aufarbeitet, was Sie bisher versäumt haben. Ich bedanke mich. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ingbert Liebing ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ingbert Liebing (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zukunft der ländlichen Räume war für die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag in dieser Wahlperiode ein ganz wichtiges Thema; das haben wir mit einer ganzen Reihe von Initiativen unter Beweis gestellt. Wir haben dieses Thema ganz oben auf die Tagesordnung der Bundespolitik gesetzt. Deshalb ist es gut, dass wir heute über den Tourismus in den ländlichen Räumen sprechen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Thema Tourismus ist bei uns eingebettet in unsere Gesamtstrategie (Zuruf von der SPD: Die gibt es doch gar nicht!) für die Zukunft der ländlichen Räume. Die ländlichen Räume stehen angesichts des demografischen Wandels vor zunehmenden Herausforderungen. Mit der Koalitionsarbeitsgruppe, mit einem großen Fachkongress hier im Haus, mit dem Abschlussbericht im Juni und mit der Beschlussfassung des Deutschen Bundestages im November vergangenen Jahres zu unserem Paket von 105 sehr konkreten Einzelmaßnahmen haben wir eine umfassende Strategie für die Zukunft der ländlichen Räume vorgelegt. Unser Ziel ist es, die ländlichen Regionen auch bei zurückgehender Bevölkerungszahl zukunftsfest und lebensfähig zu halten. Wir möchten den Menschen dort Heimat geben, wo sie zu Hause sind. Wir möchten, dass auch die nächsten Generationen noch auf dem Lande leben und arbeiten können. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist unser Gegenentwurf zu der Politik von der linken Seite des Hauses, wo es oft genug nur heißt, man müsse die Starken stärken, und bei der die großen Metropolen im Mittelpunkt stehen. Das, liebe Freunde, meine Damen und Herren, reicht uns nicht aus. Wir brauchen im Prozess des demografischen Wandels Antworten für die Städte genauso wie für die ländlichen Regionen. Dafür bietet der Tourismus zusätzliche Chancen. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen dieses Thema zu Beginn der Wahlperiode im Koalitionsvertrag verankert. Jetzt, zum Ende der Wahlperiode, können wir Bilanz ziehen. (Jens Ackermann [FDP]: Vier gute Jahre!) Wir können feststellen: Es ist viel geschehen; die Bundesregierung und die Koalition haben konkret gehandelt. Dies gibt mir heute die Gelegenheit, dem Beauftragten der Bundesregierung für Tourismus, Herrn Staatssekretär Ernst Burgbacher, für seinen engagierten Einsatz für den Tourismus insgesamt in unserem Land Dank zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Auf Koalitionsinitiative hin hat die Bundesregierung das Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ auf den Weg gebracht und abgeschlossen. Es liegen Handlungsempfehlungen und zahlreiche Best-Practice-Beispiele vor. Mit unserem Antrag, den wir heute zur Beschlussfassung vorlegen, untermauern wir die Bedeutung dieses Themas und der dort angesprochenen Aspekte. In den vergangenen Jahren boomte insbesondere der Städtetourismus. Wir möchten auch die Potenziale der ländlichen Räume für den Tourismus stärker ausschöpfen. Dabei leistet die Bundesarbeitsgemeinschaft für Urlaub auf dem Bauernhof und Landtourismus in Deutschland eine großartige Arbeit. (Heinz Paula [SPD]: Unterstützt das doch!) Die von ihr entwickelte deutschlandweite Informations- und Buchungsplattform www.landsichten.de hat gerade diese neuen Onlinebuchungswege für den ländlichen Tourismus geöffnet. Dass ihre Vorsitzende Ute Mushardt auf der diesjährigen Internationalen Tourismus-Börse die Kristallkugel als Auszeichnung des Tourismusausschusses des Bundestages verliehen bekommen hat, ist eine besondere Würdigung dieses Einsatzes. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Projekt der Bundesregierung „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“, das gemeinsam mit dem Deutschen Reiseverband und vielen weiteren Partnern organisiert wurde, hat zehn Handlungsfelder identifiziert. Es geht um die Bewusstseinsbildung für regionale Identität, um Organisationsstrukturen, um mehr Zusammenarbeit in Netzwerken, um Markenbildung, um Sicherung von Fachkräften und Nachwuchs, um zeitgerechte Vertriebswege, um Infrastruktur, um Projektgestaltung und um Barrierefreiheit und Mobilität. Aus diesem Strauß von Themen möchte ich nur einige wenige Stichworte hervorheben. Gerade in den ländlichen Regionen haben wir noch zu kleinteilige touristische Organisationsstrukturen. Wir brauchen größere, schlagkräftigere und handlungsfähigere Einheiten. Aber das können wir nicht im Bundestag beschließen; das ist eine Gemeinschaftsaufgabe aller Akteure im Tourismus. (Beifall des Abg. Klaus Brähmig [CDU/CSU]) Dabei kommt es auch darauf an, die regionale Bevölkerung in die Tourismusentwicklung einzubeziehen und für das Thema zu sensibilisieren und zu gewinnen. Die ländlichen Regionen, die sich im Tourismus engagieren wollen, brauchen für ihre Region klar erkennbare Markenbilder, klare Zielgruppen und Themen. Nicht jeder kann und soll alles machen wollen. Beim Vertrieb kommt es auf zeitgerechte Kommunikationsplattformen, gerade im Onlinegeschäft, an. Auch kleinste Angebote müssen online buchbar sein. Dafür kommt es aber auch auf die Infrastruktur an. Was nützt die beste Buchungsplattform, wenn die ländlichen Regionen von der Breitbandentwicklung abgehängt sind? Deswegen setzen wir uns für einen forcierten Breitbandausbau ein. Unser Ziel ist es, bis 2017 flächendeckend Übertragungsraten von 50 MBit sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund habe ich umso weniger Verständnis dafür, dass die neue SPD-geführte Landesregierung in meinem Heimatland, in Schleswig-Holstein, die Breitbandziele der CDU-geführten Vorgängerregierung abschwächt und das Ziel für den Glasfaserausbau von 2020 auf 2030 um glatte zehn Jahre nach hinten verschiebt. (Jens Ackermann [FDP]: Was?) Genau das ist es, was ich eingangs meinte, als ich davon sprach, dass die Linken eher die Metropolen im Blick haben. (Horst Meierhofer [FDP]: Die wären froh, wenn sie sie nicht im Blick hätten!) Dort haben wir kein Problem mit schnellem Internet. Um die ländlichen Regionen müssen wir uns hier kümmern, und wir tun dies. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Gerade die Infrastruktur zur Sicherung von Mobilität – Präsident Dr. Norbert Lammert: Das wäre ein schöner Schlusssatz gewesen, Herr Kollege Liebing. (Beifall der Abg. Heinz Paula [SPD] und Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ingbert Liebing (CDU/CSU): – ist auch ein wichtiges Thema für die ländlichen Regionen und für den Tourismus. Wenn die ländlichen Regionen nur schwer erreichbar sind und die Anreise unverhältnismäßig lange dauert, dann fliegen die Menschen lieber in kürzerer Zeit nach Mallorca, als dass sie im eigenen Land Urlaub machen. Gerade deswegen ist auch die Verkehrsanbindung so wichtig. In dieser Wahlperiode haben wir also viel getan. Präsident Dr. Norbert Lammert: Es geht jetzt zu weit, die ganze Wahlperiode Revue passieren zu lassen. Ingbert Liebing (CDU/CSU): Wir haben viel auf den Weg gebracht und viel erreicht. Das werden wir in Zukunft fortsetzen, auch in der kommenden Wahlperiode, Herr Präsident, auch in Regierungsverantwortung. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun hat der Kollege Thomas Lutze für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Thomas Lutze (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist unstrittig: Tourismus im ländlichen Raum ist ein wichtiger volkswirtschaftlicher Faktor. Oftmals ist er sogar der einzige Wirtschaftszweig einer Region, der gleichzeitig viele Arbeitsplätze bindet. Trotzdem sind die aktuellen Zahlen alles andere als positiv. Während in den Ballungszentren die Besucher- und Übernachtungszahlen ansteigen, haben wir in ländlich geprägten Regionen und teilweise sogar in ausgewiesenen Urlaubsgebieten einen Rückgang zu verzeichnen. Selbst die stetige Verteuerung der klassischen Pauschalreisen ins Ausland hat nicht nennenswert dazu geführt, dass Urlaubsangebote im ländlichen Raum spürbar stärker nachgefragt werden. Häufig fehlt es an einer zeitgemäßen Bewerbung; vor allem fehlt es an bezahlbaren Angeboten für Familien gerade in den Schulferien. Obwohl die Tourismusförderung in der Zuständigkeit der Länder liegt, könnte der Bund mehr leisten. Der Bund könnte die Koordination und die überregionale Vernetzung von touristischen Angeboten deutlich verbessern. In diesem Zusammenhang warten wir noch immer auf die Stärkung eines Parlamentarischen Staatssekretärs zum Koordinator für die ländlichen Räume. (Beifall bei der LINKEN) Die sozialpolitische Komponente fehlt bei der Koalition wieder einmal komplett. Sollte es nicht eigentlich so sein, dass alle Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben, in den Urlaub zu fahren? (Marlene Mortler [CDU/CSU]: Haben sie doch!) Urlaub ist nicht nur Erholung und Regeneration, Urlaub ist auch Bildung. (Michaela Noll [CDU/CSU]: Urlaub ist etwas Schönes!) Urlaub kann zum Beispiel dazu beitragen, dass Vorurteile durch Kennenlernen abgebaut werden, übrigens auch im Inland. (Jens Ackermann [FDP]: Genau! Die Mauer muss weg!) Wir können die sozialpolitische Komponente nicht außer Acht lassen, wenn wir über die touristische Entwicklung des ländlichen Raumes reden. Der Anteil derer, die im Hotel- und Gaststättengewerbe regulär beschäftigt sind, nimmt immer weiter ab. In der Regel muss fast überall aufgrund des Kostendrucks und der zweifelhaften gesetzlichen Rahmenbedingungen mit Minijobs gearbeitet werden. Ich glaube, das muss ganz dringend korrigiert werden. (Beifall bei der LINKEN) In vielen Betrieben findet im Übrigen eine Selbstausbeutung innerhalb der Familien statt. Was bleibt denn dort für die Rente und die Altersvorsorge? Was ist, wenn zum Beispiel am Ende der Erwerbsarbeit der Familienbetrieb nicht verkauft werden kann, worauf viele ihre Altersvorsorge begründen? Ein zweiter Einwand: Im Antrag der Koalition findet sich so gut wie nichts zur Frage der Barrierefreiheit. Das hatten wir eigentlich im Tourismusausschuss schon des Öfteren ziemlich einvernehmlich debattiert. Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer stoßen immer noch auf Hindernisse, die trotz zahlreicher Baumaßnahmen nicht beseitigt sind. Es betrifft aber auch ältere Menschen, die im Alter zwar aktiv sein wollen, aber in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Umfassende Barrierefreiheit muss deshalb endlich zum Standard werden. Für uns sind Barrierefreiheit und eine gute öffentliche Verkehrsanbindung keine Nebensächlichkeit, sondern eine Verpflichtung der Gesellschaft. (Beifall bei der LINKEN) Ich finde es übrigens bedenklich, um ein Beispiel zu nennen, wenn stillgelegte Bahntrassen zu Radwegen umgebaut werden. Oft bleibt die Frage: Wie kommen die Urlauber, die vielleicht nicht mit einem eigenen Auto anreisen wollen oder können, in diese ländlichen Urlaubsregionen? (Jens Ackermann [FDP]: Mit dem Fahrrad!) – Na klar, mit dem Fahrrad. Diejenigen, die sich nicht so bewegen können, fahren dann 50 Kilometer mit dem Fahrrad; das geht schon klar. Noch immer fehlt – das ist gerade angesprochen worden – eine flächendeckende Breitbandversorgung im ländlichen Raum, (Beifall bei der LINKEN) sowohl für die Urlauber als auch für die Unternehmen, die dort tätig sind. Im sogenannten Internetzeitalter sind das echte Standortnachteile, die sich heutzutage keiner mehr leisten kann. Für uns – damit komme ich zum Schluss – sind soziale Gerechtigkeit, gute Löhne für die Beschäftigten, vernünftige Arbeitsbedingungen und die allgemeine Erreichbarkeit der Urlaubsziele wichtige Faktoren, die die Gesellschaft gewährleisten muss. Herr Paula, eine Bemerkung noch zu Ihnen: Sie haben gerade angekündigt, unseren Antrag kämpferisch abzulehnen (Heinz Paula [SPD]: Uns zu enthalten! – Horst Meierhofer [FDP]: Sich kämpferisch zu enthalten!) – Entschuldigung –, sich zu enthalten. Wir halten Ihren Antrag für in der Sache richtig, wenn auch ausbaufähig. Deswegen wird die Linke dem Antrag der SPD zustimmen. Vielleicht können Sie beim nächsten Mal auch über Ihren Schatten springen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Markus Tressel ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere ländlichen Räume sind in unterschiedlichem Ausmaß von großen Herausforderungen betroffen – die Kollegen haben es angesprochen –: Wir haben den demografischen Wandel, die Frage der verkehrlichen Erreichbarkeit, die Misere der kommunalen Haushalte, aber auch den Klimawandel, den die Destinationen in den Mittel- und Hochgebirgen schon heute erheblich zu spüren bekommen. Der Tourismus kann eine wichtige Rolle dabei spielen, diese Herausforderungen zu bewältigen. Gestern hat ein Sachverständiger im Tourismusausschuss gesagt: Wir brauchen eine ganzheitliche Destinationsentwicklung im ländlichen Raum. – Das ist richtig. Wir brauchen Konzepte, die den demografischen Wandel, die Verkehrspolitik, die Klimapolitik, die Energiepolitik und viele weitere Bereiche klug miteinander verknüpfen. (Beifall des Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn A nicht funktioniert, brauchen wir B nicht zu forcieren. Das muss uns vor dem Hintergrund knapper Ressourcen klar sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für uns stehen zunächst einmal drei Fragen im Mittelpunkt: Wie kann es gelingen, über den Tourismus auch die regionalen Wirtschaftskreisläufe nachhaltig zu verbessern? Die Regionen profitieren noch deutlich zu wenig, wenn es denn Tourismus gibt. Lediglich 12 Prozent der touristischen Wertschöpfung werden auf dem Land generiert, obwohl fast 32 Prozent der Übernachtungskapazitäten hier zu finden sind. Dabei bleiben von 100 umgesetzten Euro nur rund 36 Euro in der Region. Das ist deutlich zu wenig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die zweite Frage ist: Wie wird die Mobilität nachhaltig im ländlichen Raum? Nur dort, wohin die Menschen auch gut kommen und wo sie während des Urlaubs auch ohne Auto mobil sein können, kann nachhaltiger Tourismus wachsen. Wir brauchen einen hochwertigen Schienenfernverkehr in der Fläche, und wir brauchen Projekte, die verschiedene Mobilitätsformen sinnvoll verknüpfen. Da hätte die Bundesregierung schon deutlich mehr handeln können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das hat auch etwas mit dem Thema Klimaschutz zu tun. Dazu habe ich in Ihrem Koalitionsantrag nichts Substanzielles gefunden. Ich glaube, ich habe noch nicht einmal das Wort „Klima“ oder „Klimaschutz“ in Ihrem Antrag gelesen. Eine der wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang lautet: Wie gelingt es, den massiven Investitionsstau in den Betrieben zu beheben? Die Unterbringungsqualität ist vielerorts immer noch ein großer Hemmschuh für die touristische Entwicklung. In fast 80 Prozent der Landkreise wurde ein Investitionsstau im Beherbergungsgewerbe festgestellt. Hier liegt die Eigenkapitalquote bei 2,8 Prozent. Sie liegt damit deutlich unter dem vergleichbaren Dienstleistungssektor mit knapp 20 Prozent. Da braucht es konkrete Lösungen. (Zuruf von der FDP) – Nein, ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag. – Dazu gehört – darauf haben auch Sie Einfluss –, dass Hausbanken, Landesbanken und Förderbanken in den Regionen Tourismusexpertise aufbauen und bedarfsspezifische Angebote für die Tourismuswirtschaft schnüren. Schulungsprogramme der KfW, die bereits vor Ort stattfinden, müssen tourismusspezifische Belange und Informationen zu Förderprogrammen für die Tourismuswirtschaft aufnehmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Damit werden nicht nur Investitionen angeschoben. Es ergeben sich langfristig bessere finanzielle Rahmenbedingungen, und das hilft auch bei der Lösung der Nachfolgeproblematik. (Otto Fricke [FDP]: Aber nicht beim Eigenkapital!) Was man zunächst brauchte, wäre eine ehrliche Bestandsanalyse, eine Grundlagenuntersuchung, wie sie auch die Kollegen von der SPD und der Linken fordern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Eine Bundesstudie zu den Tourismuspotenzialen im ländlichen Raum in Zusammenarbeit mit den Ländern wäre hilfreich. Ich weiß, dass die Zusammenarbeit mit den Ländern nicht immer einfach ist. Aber wir müssen eine solche Bundesstudie erarbeiten. Der Abschlussbericht des Projekts „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ ist eine Grundlage, die zumindest auch einmal auf Fragen des Klimawandels eingegangen ist – das haben Sie nicht gemacht – und Bewertungen vorgenommen hat. Das ist eine Grundlage, aber nicht mehr. Da muss deutlich Fleisch an den Knochen. Dafür stehen wir zur Verfügung. Wir wollen die touristische Entwicklung in den ländlichen Räumen voranbringen, aber nachhaltig und zukunftsgerichtet. Das muss die Prämisse sein. Gute Worte und Prüfaufträge helfen nicht weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Burgbacher das Wort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2,9 Millionen Beschäftigte im Tourismus, 4,4 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung, über 400 Millionen Übernachtungen, hohe Zuwachsraten – 3 Prozent bei den inländischen Gästen, 8 Prozent bei den ausländischen Gästen –, das alles kann sich wahrhaft sehen lassen. Der Tourismus ist einer der Wachstumsmotoren der deutschen Wirtschaft. Das muss man offensiver darstellen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD]) Das ist allerdings kein Selbstläufer. Dafür sind zum einen das Engagement bzw. die Leistungsfähigkeit der vielen mittelständischen Betriebe und zum anderen die erfolgreiche Wirtschafts- und Tourismuspolitik dieser Bundesregierung verantwortlich. Da brauchen wir uns überhaupt nicht zu verstecken. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Herr Staatssekretär, man lobt sich nicht so!) Lieber Herr Tressel, da Sie gerade über Investitionen im ländlichen Raum geredet haben, sage ich Ihnen: Es ist unehrlich, dass Sie draußen gegen die Mehrwertsteuersenkung zu Felde ziehen. Die Mehrwertsteuersenkung hat das größte Modernisierungsinvestitionsprogramm zur Folge gehabt, das der Tourismus in Deutschland jemals gesehen hat. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Im ländlichen Raum haben wir Nachholbedarf. Herr Lutze, es stimmt übrigens nicht, dass generell ein Rückgang zu beklagen ist. In den meisten ländlichen Räumen haben wir Steigerungsraten zu verzeichnen, allerdings nicht so hohe. Wir haben gemeinsam mit dem BTW eine breite Grundlagenuntersuchung durchgeführt. Wir kennen seither die Zahlen. Wir versuchen, gemeinsam mit den Ländern die entsprechenden Empfehlungen umzusetzen. Das im September 2011 gestartete Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ hat bewusst einen offenen Ansatz. Wir haben viele Beteiligte zusammengeholt. Kein einziger hat gesagt, er warte auf ein Gesamtkonzept aus Berlin. Das haben alle abgelehnt. Deshalb haben wir einen anderen Ansatz gewählt. Ich will Ihnen, lieber Herr Tressel und Herr Lutze, eines sagen: Hüten wir uns davor, dass der Staat den Menschen sagt, wo sie Urlaub machen sollen. (Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich das mit einem Wort gesagt, Herr Kollege?) Das ist die freie Entscheidung der Menschen. Damit hat die Regierung nichts zu tun. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben eine breite Untersuchung über innovative Ansätze, wie sich der ländliche Raum entwickeln kann, in Auftrag gegeben und die Ergebnisse veröffentlicht. Wir haben insgesamt 350 Fachleute zusammengeholt und aus 450 Vorschlägen 30 hervorragende Beispiele ermittelt. Wir haben die Ergebnisse auf Kongressen diskutiert. Außerdem haben wir einen Leitfaden veröffentlicht – das wurde schon erwähnt –, weiterhin wurden Kurzreports vorgestellt. Wir werden in dieser Richtung weiterarbeiten. Wir werden in Kürze die Sonderstudie „Freizeitparks, Märkte und Volksfeste“ vorlegen. Außerdem haben wir vor, Ergebnisse auf sogenannten Roadshows der breiten Öffentlichkeit vor Ort vorzustellen. Das soll über einen langen Zeitraum erfolgen. All die Aktivitäten erfolgten zusammen mit dem Deutschen Reiseverband in enger Kooperation mit dem BMELV. Ich möchte mich besonders bei dem Tourismusausschuss des Deutschen Bundestages für die parteiübergreifende Unterstützung und Begleitung bedanken. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Herzlichen Dank!) Meine Damen und Herren, wenn wir alles zusammennehmen, dann können wir auch hier selbstbewusst sagen: Das waren vier gute Jahre für Deutschland. Wir werden diese Politik fortsetzen und zum Aufschwung des Tourismus und damit der deutschen Wirtschaft weiter beitragen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Heinz Paula [SPD]: Dann müssen Sie auch Vorschläge übernehmen, Herr Kollege!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Nun erhält der Kollege Christian Hirte das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Christian Hirte (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Dass wir heute über drei Anträge zum ländlichen Tourismus abstimmen, die uns vorliegen, ist doch eigentlich eher ein Grund zur Freude, weil das deutlich macht, dass das Thema in allen Fraktionen präsent ist. (Horst Meierhofer [FDP]: Bei den Grünen nicht so!) Deshalb halte ich es bei allen Unterschieden der Positionen zunächst einmal für ein gutes Signal, dass wir uns einig sind, dass der Tourismusboom in Deutschland nicht an den ländlichen Regionen vorbeigehen darf. Umso erstaunter ist allerdings der geneigte Zuhörer, wenn er den Rednern der Opposition zuhört, die den Anschein erwecken, als wenn beim Tourismus alles im Argen läge. Fakt ist doch – gerade ist es von Herrn Burgbacher ausgeführt worden –, dass seit Jahren die Besucherzahlen nach oben schnellen. Deutschland ist längst nicht mehr nur eine erfolgreiche Exportnation, sondern mittlerweile auch eine ausgesprochen erfolgreiche Urlaubsdestination, der geneigte Bürger würde sagen: Urlaubsziel. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das stellt keiner infrage!) Das Motto der Fußballweltmeisterschaft von 2006 ist heute längst gelebte Realität: „Die Welt zu Gast bei Freunden“. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gleichzeitig sehen wir, dass die ländlichen Destinationen sich sehr unterschiedlich entwickeln. Die Landlust ist zwar medial allgegenwärtig, aber – positiv formuliert – es ist durchaus noch Luft nach oben. Dabei ist Tourismus nicht losgelöst von generellen Entwicklungen im ländlichen Raum zu betrachten; denn dort spüren wir bereits heute die volle Wucht der demografischen Entwicklung. Das ist schon angesprochen worden. Das heißt, die ländlichen Räume sind schon heute mitten in einem riesigen strukturellen Wandel. Die Pflege des Tourismus ist daher eine ganz besonders wichtige Aufgabe, aber zugleich auch eine Chance. Das war auch der Grund, warum wir uns in dieser Koalition mit dem gesamten Spektrum des ländlichen Raums befasst haben. Das Projekt „Tourismusperspektiven in ländlichen Räumen“ mit der Dokumentation von Best-Practice-Beispielen hat viele Leuchttürme und Ideen ans Licht gebracht. Ingbert Liebing hat das gerade schon ausgeführt. Wie schon beim Gesundheitstourismus war der Ansatz, Akteure zusammenzubringen, Beispiele herauszustellen und Empfehlungen auszusprechen. Wir möchten mit unserem Antrag genau das noch einmal erreichen. Es sollen Handlungsempfehlungen und Praxisleitfäden erstellt werden, damit die Anbieter damit nachher praktisch umgehen können. Insbesondere die Themen Fachkräftesicherung und Qualifizierung sind aus meiner Sicht ganz wichtige Themen. In kaum einer anderen Branche sind die Herausforderungen auf diesem Gebiet so groß, und gerade die ländlichen Regionen haben hier besonders zu kämpfen. Positiv zu erwähnen ist die Deutsche Zentrale für Tourismus, die einer der ganz zentralen Mosaiksteine für den Erfolg des Deutschlandtourismus ist. Wenn ich an das kommende Jahr denke, in dem die Weltkulturerbe- und vor allem auch die Weltnaturerbethemen im Mittelpunkt der DZT-Aktivitäten stehen, dann sehe ich doch, dass hier auch für den ländlichen Raum noch einiges möglich ist, gerade weil die Weltnaturerbestätten überwiegend in ländlichen Regionen liegen und dabei stärker in den Blick genommen werden können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Einen wichtigen Punkt in unserem Antrag nimmt die Förderpolitik ein. Wir unterstreichen mit unserem Ansatz, dass beim Tourismus und besonders auch im ländlichen Raum vieles mit vielem zusammenhängt. GAK, GRW, GAP, ELER, EFRE wurden angesprochen. Mit all diesen Programmen werden Weichen gestellt, die am Ende auch für die Tourismusentwicklung unverzichtbar sind. In der Vergangenheit war es, denke ich, für alle erkennbar immer die Union, die sich gerade für diese Programme starkgemacht hat, die den ländlichen Raum immer hochgehalten hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Horst Meierhofer [FDP]: Das ist Wunschdenken! – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Herr Hirte, Selbstlob kommt vor dem Fall! – Heinz Paula [SPD]: Wo waren Sie die letzten vier Jahre?) Wenn ich mir anschaue, wie die Grünen mit ihren Vorstellungen für die Agrarpolitik in Europa vorangehen, dann muss ich ganz klar sagen: Damit schaden Sie nicht nur unserer Landwirtschaft, sondern am Ende auch dem ländlichen Raum insgesamt und damit auch dem Tourismus in den ländlichen Gebieten. (Horst Meierhofer [FDP]: Also, ein guter Hirte sind Sie nicht!) Liebe Freunde, auch eine gute Agrarpolitik ist wichtig für den ländlichen Tourismus. In Ihren Vorstellungen ist der ländliche Raum aber eher nur der Rückzugsort für die Boheme vom Prenzlauer Berg als für diejenigen Menschen, die dort ihr Lebensauskommen finden müssen. Insofern muss er in all unseren Förderprogrammen Berücksichtigung finden. Dabei muss dann natürlich auch noch Raum für die touristische Entwicklung bleiben. Lassen Sie mich noch einige wenige Worte zu den Anträgen der SPD und der Linken verlieren. Sie kritisieren beide in Ihren Entwürfen, es bedürfe dringend einer bundesweiten wissenschaftlichen Untersuchung zum Tourismus in den ländlichen Räumen. (Heinz Paula [SPD]: Das fordern die Fachverbände! – Horst Meierhofer [FDP]: Das sind Sachen von vorgestern!) Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat bereits 2011 – Sie haben es selber angesprochen – seine Studie „Urlaub auf dem Bauernhof – Urlaub auf dem Lande“ auf den Weg gebracht. Diese stellt schon eine umfassende Angebots- und Nachfrageanalyse für den ländlichen Tourismus dar. (Heinz Paula [SPD]: Die Leute wollen konkrete Daten!) Auf die dabei gewonnenen Erkenntnisse über die aktuelle Marktsituation können die heimischen Tourismusanbieter zurückgreifen, gerne auch Sie. Wir wünschen uns daher ausdrücklich, dass die Studie so wie geplant alle zwei Jahre fortgeführt wird. Gerade die Kollegen aus den neuen Bundesländern können einschätzen, wie wichtig eine solche regelmäßige Untersuchung ist. Mithilfe des Barometers der Sparkassen erkennen wir, dass es erfolgreiche Ergebnisse gibt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Abschluss: Was wir brauchen, ist also nicht ein Klein-Klein, sondern ein umfassender Ansatz für den gesamten ländlichen Raum. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Genau! Richtig!) In diesem Sinne legen wir unseren Antrag vor. Wir wollen weiteren Vorschub leisten, damit der Tourismus prosperieren kann. Dafür bitte ich um die Unterstützung natürlich des gesamten Hauses. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus auf der Drucksache 17/12573. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 17/9570 mit dem Titel „Tourismus in ländlichen Räumen – Potenziale erkennen, Chancen nutzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalition angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/9571 mit dem Titel „Tourismus in ländlichen Räumen durch schlüssiges Gesamtkonzept stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den gleichen Mehrheiten angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 9 b. Hier empfiehlt der Ausschuss in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/12926, den Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/11373 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (1. WissZeitVG-ÄndG) – Drucksache 17/12531 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Möchte jemand länger debattieren? – Das ist jedenfalls nicht erkennbar. Dann ist das so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Swen Schulz für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Swen Schulz (Spandau) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Situation derjenigen, die in der Wissenschaft arbeiten, hat uns alle im Ausschuss für Bildung und Forschung in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt. Vor allem am wissenschaftlichen Nachwuchs muss uns gelegen sein. Wir brauchen ihn für die Lehre an den Hochschulen. Immer mehr Leute wollen studieren – das ist wunderbar –; aber sie müssen natürlich auch gut und kompetent ausgebildet werden. Außerdem benötigen wir Forscherinnen und Forscher, die uns voranbringen, die uns in den verschiedenen Bereichen Problemlösungen anbieten. (Beifall bei der SPD) Tatsächlich hat gerade auch der Bund seit etwa 15 Jahren erheblich dazu beigetragen, dass in der Wissenschaft aufgebaut wurde. Trotzdem müssen wir uns Sorgen um den wissenschaftlichen Nachwuchs machen. Denn Wissenschaft als Beruf droht unattraktiv zu werden. Es besteht die Gefahr, dass die Menschen durch schlechte Arbeitsbedingungen, durch einen Mangel an Perspektiven abgeschreckt werden. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Leider ja!) Ich möchte etwas aus einer von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Studie zitieren – es handelt sich um die Aussage einer jungen Naturwissenschaftlerin, die an einer Universität beschäftigt war –: Die Gefahr, nach jahrelangem „Durchschlagen“ auf befristeten Stellen und einem gewissen „Berufsnomadentum“ am Ende keine permanente Stelle zu bekommen, ist hoch. Das Risiko, diesen Weg zu gehen, ist mir persönlich zu hoch, auch wenn ich die Arbeit in der Wissenschaft mag. An diesem Beispiel ist zu sehen, dass wir Menschen verlieren, dass wir ihre Kompetenzen verlieren. Das können wir nicht einfach hinnehmen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Gerade heute ist der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ veröffentlicht worden. Die Befunde sind eindeutig. Es gibt einige positive Entwicklungen. Doch die Sorge um die Zukunft zieht sich wie ein roter Faden durch den Bericht. Der Befristungsanteil bei den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist auf 90 Prozent – 90 Prozent! – (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Hört! Hört!) im Jahr 2010 angestiegen. Teilzeitbeschäftigung nimmt zu, ebenso die Drittmittelfinanzierung. Das ist eine Fehlentwicklung. Wir müssen den Menschen in der Wissenschaft Perspektiven geben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darum bringt die SPD-Bundestagsfraktion heute den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft ein, mehr oder weniger kurz: Wissenschaftszeitvertragsänderungsgesetz. Ziel ist, Missbrauch bei Befristungen von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft zu verhindern, die Situation der Beschäftigten zu verbessern und somit letztlich Wissenschaft als Beruf attraktiv zu halten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Mit diesem ausformulierten Gesetzentwurf wollen wir erreichen, dass nach langen, mehrfachen Debatten im Plenum des Bundestages und im Ausschuss endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Richtig!) und zwar noch vor den Bundestagswahlen. (Beifall bei der SPD) Weil wir wissen, dass wir hier im Bundestag nicht die Mehrheit haben, jedenfalls noch nicht, (Manfred Grund [CDU/CSU]: Ihr arbeitet ja auch nicht dran!) ist dieser Gesetzentwurf ausdrücklich ein Angebot an die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP. Wir hoffen, dass sie in diesem Fall ausnahmsweise unsere Initiative nicht abtun, nicht in Bausch und Bogen ablehnen. Vielmehr setzen wir darauf, dass sie dieses Problem ebenfalls sehen und dass sie mit uns über unseren Vorschlag reden. Eine schnelle gemeinsame Verbesserung der Situation der Betroffenen würde uns freuen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Worum geht es im Einzelnen? 2007 hat die damalige Große Koalition das Wissenschaftszeitvertragsgesetz verabschiedet. Weil das ein schwieriges Feld ist, wie wir auch in der Zeit davor erfahren durften, haben wir gleichzeitig gesagt, dass die Auswirkungen des Gesetzes evaluiert werden sollen. 2008 wurde diese Evaluation von der Bundesregierung in Auftrag gegeben. 2011 lag sie dann vor. Aber leider wurden bis heute keine Konsequenzen daraus gezogen. (Zuruf von der SPD: Leider! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Schlecht recherchiert!) Der Bericht stellte fest, dass sich das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zwar insgesamt bewährt hat. Aber schon zu diesem Zeitpunkt war der Trend zu Befristungen unübersehbar: (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Der war gewollt!) 83 Prozent war der Befristungsanteil damals; in gut der Hälfte der Befristungen lag die Vertragslaufzeit unter einem Jahr; Probleme bei der Familienkomponente, also bei der Anrechnung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten; uneinheitlicher Umgang mit studentischen Arbeitszeiten. In der Studie kommt neben den nackten Zahlen auch sehr deutlich zum Ausdruck, dass die Leute Perspektiven haben wollen, dass sie schon im Interesse der Vereinbarkeit von Beruf und Familie Planbarkeit des Berufsweges wünschen. Diese Ergebnisse der Evaluierung, aber auch viele Diskussionsrunden, Beratungen, Gespräche mit Betroffenen haben uns dazu geführt, konkrete Vorschläge zur Gesetzesänderung zu machen. Dass der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ uns heute so eindrücklich bestätigt, ist zwar in der zeitlichen Parallelität Zufall, doch in der Sache war das leider absehbar. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Genau!) Unsere Gesetzesnovelle hat zum Ziel, die arbeitsrechtliche Position der Beschäftigten im Wissenschaftsbetrieb zu stärken, Mindestlaufzeiten bei Befristungen zu definieren und den Tarifpartnern Handlungsmöglichkeiten zu geben. Damit sollen insbesondere unbegründete kleinteilige Befristungen an Hochschulen sowie außeruniversitären Einrichtungen verhindert werden. Auch der Schutz der Promovierenden vor einer Ausnutzung muss verbessert werden. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!) Die wichtigsten Regelungsinhalte will ich kurz benennen: In der Promotionsphase wollen wir Befristungen nur dann erlauben, wenn entsprechende Betreuungsvereinbarungen abgeschlossen werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darin sind die Rechte und Pflichten der Promovierenden festzulegen, und es ist insbesondere das Qualifizierungsziel zu gewährleisten. In der Phase nach der Promotion sollen die Vertragslaufzeiten regelmäßig mindestens zwei Jahre betragen. Bei Drittmittelbefristungen schlagen wir vor, die Laufzeiten an die Dauer der Mittelbewilligung anzugleichen. Bei Bewilligungen von über zwei Jahren müssen die Verträge mindestens 24 Monate laufen. Das ist im Übrigen ein Punkt, über den wir gern noch diskutieren können. Einige Bundesländer wollen da sogar noch weiter gehen. Das überlassen wir dann den Ausschussberatungen. Wir wollen darüber hinaus auch das nichtwissenschaftliche Personal, also etwa technische Mitarbeiter, schützen. Das ist eine Gruppe, die wir nicht vergessen dürfen, Kolleginnen und Kollegen. Die bisher unterschiedliche Auslegungspraxis bei den studentischen Arbeitszeiten wollen wir studierendenfreundlich vereinheitlichen. Bei der Anrechnung von Eltern-, Betreuungs- oder Pflegezeiten wollen wir ebenfalls Verbesserungen erreichen. Schließlich wollen wir die Tarifsperre abschaffen, Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Die gesetzliche Festlegung, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber hier nichts zu sagen haben, ist falsch und gehört abgeschafft. Unser Entwurf schafft einen neuen, tragfähigen Ausgleich zwischen den Befristungsbedarfen im Wissenschaftsbetrieb auf der einen und den Interessen der Beschäftigten auf der anderen Seite. Er leitet die Arbeitgeber an, die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen beschäftigtenfreundlicher einzusetzen. Es muss eben auch hier der sozialdemokratische Grundsatz der guten Arbeit gelten. Nur mit Perspektiven und nur mit guten Arbeitsbedingungen können wir die Leute gewinnen, und nur so können diese auch die exzellenten Leistungen abliefern, die wir von ihnen sehen wollen. Das wollen wir erreichen: gute Arbeit, auch in der Wissenschaft. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss möchte ich noch einmal ausdrücklich die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP (Florian Hahn [CDU/CSU]: Loben! – Zurufe von der FDP: Loben!) ansprechen. In der gestrigen Ausschusssitzung hatten wir Professor Strohschneider zu Gast; Sie erinnern sich natürlich: früher Wissenschaftsrat, jetzt DFG. (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Genau!) Er hat unter anderem das Thema „Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs“ angesprochen. Kollege Rupprecht, ich fand, dass Sie in der Ausschussdiskussion sehr vernünftig auf dieses Thema eingegangen sind. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Weil wir einen sehr guten Antrag dazu haben!) Das nehme ich einmal durchaus als Ermutigung. Unsere Initiative kann ein Beitrag zur Verbesserung der Situation sein. Darum meine Bitte: Treten Sie in ein konstruktives Gespräch über unseren Gesetzentwurf ein! Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Dr. Norbert Lammert: Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Tankred Schipanski das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute einen Entwurf zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Jetzt kommt: „Berlin“!) Darin fordert die SPD lediglich drei Punkte, lieber Herr Schulz, nämlich eine verbindliche Einführung von Betreuungsvereinbarungen, eine Mindestvertragslaufzeit von zwei Jahren für Arbeitsverträge nach der Promotionsphase für wissenschaftliches und nichtwissenschaftliches Personal sowie die Streichung der Tarifsperre. Es wird Sie nicht überraschen, dass wir diesen Gesetzentwurf ablehnen werden – (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ach!) trotz Ihres großen Prosavortrags, den wir jetzt acht Minuten hören konnten. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ich habe so viele Friedensangebote gemacht!) Ich darf Ihnen das ganz sachlich begründen, lieber Herr Schulz. Sie reagieren mit diesem Gesetzentwurf auf die HIS-Studie „Wissenschaftliche Karrieren“ aus dem Jahr 2011. Diese Studie sagt uns, dass die Nachwuchswissenschaftler die Bedingungen und Inhalte ihrer Arbeit durchaus positiv einschätzen. Das haben sie genannt: Arbeitsausstattung, Möglichkeiten der fachlichen Weiterentwicklung, das Arbeitsklima. Zwei ganz konkrete Problemfelder zeigt uns die Studie, nämlich erstens die Betreuung von Doktoranden und zweitens die Planbarkeit der Karriere insbesondere für Postdocs in einem ganz bestimmten Lebensalter. Für diese Felder galt es politische Lösungsvorschläge zu entwickeln. Die Antwort darauf haben wir, die Koalitionsfraktionen, mit unserem Antrag auf Drucksache 17/9396 (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ach Gott, das ist nicht Ihr Ernst!) mit dem Titel „Exzellente Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs fortentwickeln“ gegeben. (Zuruf von der SPD) – Den Antrag haben Sie nicht verstanden? Dann sollten Sie ihn noch einmal lesen; (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ich wollte extra höflich sein und ihn nicht behandeln!) denn wir haben den im Ausschuss und hier im Plenum sehr gut diskutiert. Ihre Antwort, eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sowie die Einführung sogenannter Betreuungsvereinbarungen, greift zu kurz bzw. ist schon ganz gängige Praxis. In Selbstverpflichtungserklärungen der Hochschulen sowie im sogenannten Code of Conduct der außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind die von Ihnen geforderten Betreuungsvereinbarungen schon längst Praxis. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Flexi-Quote!) Die Doktorandenausbildung wird oftmals in Promotionskollegs oder Graduiertenschulen durchgeführt. Diese werden Stück für Stück ausgebaut. Der Bund fördert dies auf einem sehr hohen Niveau. In allen außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben wir bereits eine strukturierte Ausbildung. Die Hochschulen und Fakultäten können dies jederzeit organisieren und einrichten. Der Bund steht hier überhaupt nicht im Wege, vielmehr fördert er das ganz aktiv durch sehr, sehr viele Programme. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, der zweite Problembereich sind die Karriereplanung und die teils überbordende Befristungspraxis, die mancherorts praktiziert wird. Hier greift eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes einfach zu kurz. Bezüglich der Befristungspraxis haben sich die Hochschulen bereits im April 2012 im Rahmen eines HRK-Beschlusses mit dem Titel „Leitlinien für die Ausgestaltung befristeter Beschäftigungsverhältnisse für wissenschaftliches Personal“ verpflichtet, die unrühmliche Befristungspraxis zu ändern. Dabei lässt sich dieser Leitlinie entnehmen, dass grundsätzlich die Vertragslaufzeiten an die Laufzeit der Projekte bzw. an die entsprechende Qualifikationsphase zu koppeln sind. Konkretisierungen sind dabei bei der Problematik des Stellensplittings in Einheiten von weniger als einer halben Stelle noch notwendig. Ein derartiges Stellensplitting ist stellenweise nicht zielführend. Übrigens sind dies alles Forderungen aus unserem Koalitionsantrag, den ich eingangs erwähnt hatte, zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben dies wiederum konsequent in ihren Code of Conduct aufgenommen. Ich darf zudem festhalten, dass es für Übergangsfinanzierungen und Ähnliches durchaus sinnvoll sein kann, dass ausnahmsweise für einen Übergang in ein anderes Arbeitsverhältnis auch einmal ein Arbeitsvertrag für nur ein halbes Jahr abgeschlossen wird, eine Flexibilität, die der SPD-Gesetzentwurf überhaupt nicht berücksichtigt. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ist nicht wahr!) Sie nehmen zudem plötzlich nichtwissenschaftliches Personal in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes auf. Dabei zeigt uns die Praxis ganz eindeutig: Wenn die Unis sparen, sparen sie als Erstes immer beim wissenschaftlichen Personal, weil wir da befristete Verhältnisse haben, und eben nicht bei den unbefristeten Arbeitsverhältnissen des nichtwissenschaftlichen Personals. Meine Damen und Herren, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist kein Gesetz, mit dem auf die Gestaltung der Personalstruktur und der Karrierepfade Einfluss genommen werden kann. Auch Ausprägung und Wahrnehmung der Personalverantwortung der Hochschulen werden nicht im Wissenschaftszeitvertragsgesetz geregelt. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das hat doch niemand behauptet!) Wir verfolgen einen anderen Ansatz, der deutlich tiefer greift und auch einen Wandel der Personalstrukturen und Qualifizierungsstrukturen an den Hochschulen umfasst. Zu diesen Punkten trägt Ihr Gesetzentwurf nichts Erhellendes bei. Ich empfehle noch einmal unseren Koalitionsantrag, und ich empfehle Ihnen einen Blick auf die TU München, die die Grundidee unseres Antrags bereits in die Praxis umgesetzt hat. Lieber Herr Schulz, Sie haben unsere Diskussion zum Hochschulpakt von gestern erwähnt. Ich kann die Länder und die Hochschulen nur erneut ermahnen, die Planungssicherheit, die der Bund den Ländern und den Hochschulen bis 2018 gibt, nunmehr an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hochschulen weiterzugeben. Der heute veröffentlichte Bundesbericht – Herr Schulz, Sie haben ihn erwähnt – bestätigt genau die Erkenntnisse, die ich Ihnen hier heute dargeboten habe. In ihm wird nochmals ausdrücklich festgestellt, dass die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine Querschnittsaufgabe von Bund und Ländern ist. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ja, klar!) Der Bund engagiert sich in drei zentralen Bund-Länder-Programmen: Hochschulpakt, Exzellenzinitiative, Pakt für Forschung und Innovation. Darüber hinaus engagiert er sich beim DAAD, bei der AvH und den Begabtenförderungswerken. Im Bericht wird auch festgestellt, dass die wichtige Personalkategorie der „Nachwuchsgruppenleiter“, wie wir sie von Emmy-Noether- oder Heisenberg-Programmen kennen, weiter ausgebaut werden muss. Der Bericht, meine Damen und Herren, macht eines ganz deutlich – damit will ich schließen –: Die Personalstruktur ist in den Landeshochschulgesetzen geregelt und eben nicht im Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat die Kollegin Petra Sitte das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Ihrem Gesetzentwurf, geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, kann ich Sie nur beglückwünschen. Immerhin wollen Sie die problematischsten Regelungen aus dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz korrigieren. Das ist dringend notwendig. Das Besondere daran ist, dass Sie an diesem Problem einen eigenen Anteil haben. Bereits 2002 wurde unter Ministerin Bulmahn die sachgrundlose Befristung für den wissenschaftlichen Nachwuchs eingeführt. Fünf Jahre später haben Sie diese dann mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz rechtlich betoniert. Bis zu Ihrer heutigen Einsicht, dass diese Regelungen in die falsche Richtung gehen, hat sich beinahe eine ganze Generation junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler damit herumschlagen müssen, hat sich von Vertrag zu Vertrag bis an die berüchtigte Zwölfjahresgrenze heranhangeln müssen. Nun gut, wir wollen nicht nachtragend sein und nur zurückschauen, (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Danke! Danke!) sondern tapfer nach vorne schauen. Da fällt unser Blick auf die Evaluierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Sie haben diese Studie schon erwähnt. Diese hat die Realität des wissenschaftlichen Prekariats in diesem Land schonungslos offengelegt. Sie haben selber erwähnt, dass über 90 Prozent der Verträge befristet sind und weit über die Hälfte dieser Verträge kürzer als ein Jahr dauern. (Agnes Alpers [DIE LINKE]: Genau!) Das muss man sich einmal vorstellen: im Wissenschaftsbereich! Solche Laufzeiten haben mit den einstigen Begründungen des Gesetzgebers für die Befristung überhaupt nichts mehr zu tun. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Deswegen haben wir das auch geändert!) Weder Promotionen noch Habilitationen noch Drittmittelprojekte haben derart kurze Laufzeiten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das Befristungsunwesen an unseren Hochschulen und Instituten hat sich mittlerweile völlig verselbständigt. Dieser Missbrauch gesetzlicher Möglichkeiten hat überhaupt keine wissenschaftsgeleiteten, sondern ausschließlich finanzielle Gründe. Ministerin Wanka hat dieses Phänomen unlängst im Ausschuss ironisch, aber völlig zutreffend als haushalterisches Sicherheitsbedürfnis der Hochschulen und Forschungseinrichtungen bezeichnet. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Da hilft uns der vorliegende Gesetzentwurf nicht weiter!) Mit befristetem Personal lässt sich natürlich viel flexibler umgehen als mit dauerhaft Beschäftigten. (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Frau Sitte, Sie wissen es doch besser!) – Ich weiß es sehr genau. Das sagt jetzt der Richtige. Lieber Gott, da wird über Jahre ignoriert, was passiert, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!) und jetzt sagen Sie mir, ich wüsste es besser. Ja, ich weiß es besser als Sie. Das sage ich einfach. (Beifall bei der LINKEN) Je kürzer also die Verträge, desto beweglicher ist die personelle Verschiebemasse. Das ist der Punkt. Dieser zynischen, aber eben auch rationalen Logik folgt das Wissenschaftsmanagement – erst recht in Zeiten explodierender Drittmittel oder von Exzellenzwettbewerben. Diese provozieren geradezu kurzfristige Reaktionen auf Ausschreibungen. Damit ist der Arbeitsplatz Wissenschaft ziemlich unattraktiv geworden. Wen heute der Wunsch, zu forschen und zu lehren, treibt, der oder die ist gezwungen, sich auf diese Arbeitsbedingungen einzulassen, sich quasi auszuliefern. – Gott sei Dank aber nicht mehr widerstandslos, denn der Widerstand hat sich geregt und organisiert. (Beifall bei der LINKEN) Nur 27 Prozent der befristet Beschäftigten an den Hochschulen zeigten sich zufrieden mit der Arbeitsplatzsicherheit – so viel zu besagter Studie, Herr Tankred Schipanski. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ich habe die Studie auch gelesen!) Noch negativer wurden die Planbarkeit der Berufswege, die Aufstiegsmöglichkeiten und erst recht die Familienfreundlichkeit bewertet. Ich habe schon die abenteuerlichsten Geschichten über Kettenverträge, gestückelte Verträge oder auch über Menschen gehört, die ganz ohne Bezahlung an den Universitäten und Hochschulen unterrichten, nur um ihre Lehrberechtigung zu behalten. Viele von ihnen kippen dann durchaus in Hartz IV. Aber diese Koalition ficht das, wie wir gerade gehört haben, überhaupt nicht an. Sie will trotz dieser alarmierenden Signale am Wissenschaftszeitvertragsgesetz gar nichts ändern. Ihr fast vergessener Antrag zur Nachwuchsentwicklung, der immerhin einige wenige untergesetzliche Regelungen vorsah, schmort seit gut einem Jahr im parlamentarischen Verfahren. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ich habe Ihnen gerade erzählt, dass das alles aufgenommen wurde, Frau Sitte! – Agnes Alpers [DIE LINKE]: So viel zum politischen Handeln!) Meine Damen und Herren, ich möchte abschließen. Es liegt auf der Hand: Diese vier Jahre Schwarz-Gelb waren für den wissenschaftlichen Nachwuchs in diesem Land vier verlorene Jahre. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Erfolgreiche Jahre! Gute Jahre!) Nutzen Sie den Gesetzentwurf der SPD, um daran etwas zu ändern. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat jetzt der Kollege Herr Professor Martin Neumann für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber kommen Sie jetzt nicht wieder mit dem Grundgesetz!) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Schulz, Sie haben recht: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat sich bewährt. Das haben Sie hier ja ganz deutlich gesagt. Das belegen nicht nur uns vorliegende Studien, sondern auch der Evaluationsbericht der HIS, der Hochschul-Informations-System GmbH, den der Gesetzgeber gefordert und vor allen Dingen auch ermöglicht hat. Das belegt auch die öffentliche Anhörung von Experten im Bildungsausschuss zum Evaluationsbericht am 30. November 2011. Die Bewährung des Gesetzes hat sich auch in der Praxis und in der täglichen Erfahrung im Wissenschaftsbereich gezeigt. Das kann ich aus eigener Erfahrung hier bestätigen, ebenso aufgrund vieler Gespräche mit Forschungseinrichtungen. Ich möchte an dieser Stelle auf zwei Punkte eingehen: Erstens. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat eine wissenschaftsadäquate Grundlage geschaffen. Mit dem Gesetz wurde vor allen Dingen Rechtssicherheit geschaffen, insbesondere im Bereich der Drittmittelforschung, Rechtssicherheit nicht nur für die Institutionen, sondern gerade auch für die Beschäftigten und die Nachwuchswissenschaftler. In der Anhörung im Ausschuss wurde deutlich – Sie alle waren dabei –, dass das vorliegende Gesetz das wichtigste Instrument im Hinblick auf die Fähigkeit einer Wissenschaftseinrichtung zur personellen Erneuerung ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Deswegen wollen wir es ja auch nicht abschaffen, sondern verbessern! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen muss es verbessert werden!) Aus der Praxis weiß ich, dass die wissenschaftliche Qualifizierung wie auch das wissenschaftliche Arbeiten nicht nur Planbarkeit benötigen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sie haben aber auch schon ganz anders geredet!) Es braucht auch einen gewissen Druck durch ein verantwortungsvolles Personalmanagement. Die Rede von Leistungsstreben durch Befristungsregeln ist daher nicht von vornherein eine hohle Phrase, sondern in der wissenschaftlichen Praxis durchaus üblich. Einige der von Ihnen vorgelegten Änderungsvorschläge, meine lieben Kollegen von der SPD, würden jedoch auf keinen Fall Verbesserungen bewirken. Wenn Sie zum Beispiel Mindestvertragslaufzeiten von 24 Monaten einfordern, blockieren Sie aus meiner Sicht einen dynamischen Prozess, der Flexibilisierungsmöglichkeiten benötigt. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Neoliberale Wissenschaftspolitik!) In der wissenschaftlichen Qualifizierung, meine Damen und Herren – das wissen wir auch aus Erfahrung –, ist es notwendig, den Vertrag auch mal, Frau Sitte, um sechs Monate oder um zwölf Monate zu verlängern, um beispielsweise die Promotion bei einer Überziehung des geplanten Zeitraums von drei Jahren abschließen zu können. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Würde man aber jetzt einen Zweijahresvertrag schließen – das wollen Sie ja; das haben Sie so geschrieben –, dann würde man Zeit verschenken, nämlich dadurch, dass ein weiterer Promovend, der in den Startlöchern steht, keinen Vertrag erhält, oder dadurch, dass der Promovend aufgrund des fehlenden Drucks an der Stelle (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) selbst nach weiteren 24 Monaten wieder vor dem gleichen Dilemma steht, die Promotion um ein halbes Jahr verlängern zu müssen. Wissenschaftliche Erkenntnisse und wissenschaftliches Arbeiten, meine Damen und Herren, können eben in keine Schablone gepresst werden. Das steht übrigens auch im HIS-Evaluationsbericht; Sie sollten ihn genau lesen. Wo die linke Seite des Hauses einen Beleg für die Ausbeutung des Wissenschaftlers sieht, nämlich eine prekäre Beschäftigungssituation – Sie haben es gerade gesagt, Frau Sitte –, zeigt sich dagegen in den Stellungnahmen der Wissenschaftseinrichtungen, dass man hier völlig flexibel auf persönliche, individuelle Lebensläufe reagiert hat. Ich sage an der Stelle: Es wäre viel besser, wenn Sie zukünftig die Daten, die dazu vorliegen, nicht frei interpretieren würden, sondern sich zumindest informieren würden. Denn der Grund für die Befristungsquoten liegt eben nicht im Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Die Gründe liegen aus meiner, aus unserer Sicht (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ach so! Aus Ihrer Sicht! Schön!) in der zunehmenden Drittmittelfinanzierung, in den Hochschulpakten I und II, vor allen Dingen auch in der Exzellenzinitiative. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, verwechseln in Ihrem Antrag Ursache und Wirkung, so scheint es zumindest, wenn ich die Problembeschreibung auf der ersten Seite Ihres Antrags lese. Ich denke da zum Beispiel an Formulierungen zu Qualität, Betreuung und Beratung. Das haben Ihnen auch die Experten in der Anhörung ins Stammbuch geschrieben. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein! Überhaupt nicht!) Mit einer Änderung der gesetzlichen Regelungen kurieren Sie die Probleme nicht, sondern Sie verschärfen sie, oder – viel schlimmer – Sie verschieben sie auf ein anderes Feld. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sie sind sehr einseitig, Herr Kollege!) Das Problem liegt vor allem in der nicht mit den Aufgaben und Anforderungen in gleichem Maße gewachsenen institutionellen Finanzierung der Hochschulen. Ich weiß, Sie wollen es nicht hören, Sie wollen es auch nicht verstehen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber bei der GEW reden Sie ganz anders als hier!) Ich kann Ihnen aber sagen, dass wir es leid sind, Sie immer auf die Möglichkeiten einer Änderung von Art. 91 b Grundgesetz hinzuweisen. Ermöglichen Sie uns die Mitfinanzierung der Hochschulen! Dann entschärfen Sie das Problem, über das wir hier diskutieren. (Ulla Burchardt [SPD]: Dann suchen Sie doch mal das Gespräch mit uns!) Zweiter Punkt. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz verhindert keine unbefristete Anstellung. Vielmehr – das will ich an dieser Stelle deutlich sagen – ermöglicht es viele zweckkonforme Beschäftigungsformen und Perspektiven für junge Wissenschaftler. Ich erinnere da gerne an die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die zum Teil schon jetzt ein verantwortungsvolles Personalmanagement pflegen oder dies in Kürze einführen. Ich kann daher nur an alle Wissenschaftseinrichtungen appellieren und empfehlen, mit befristeten Arbeitsverträgen sorgsam umzugehen und sie vor allen Dingen an die Laufzeit von Forschungsprojekten anzulehnen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, super! Hat immer geklappt! Ist wie eine Selbstverpflichtung! Unheimlich effektiv!) Dann wird sich auch der letzte Fall, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, für den Sie irgendwelche Änderungsvorschläge herbeizitiert haben, erledigen. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: „Irgendwelche“? Was für eine Arroganz!) Ich sage aber auch ganz deutlich, Herr Schulz: Über einige andere Vorschläge – beispielsweise haben Sie auf die unterschiedliche Anrechnungspraxis hingewiesen – wird man reden können. Damit werden wir uns auch auseinandersetzen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Donnerwetter! Wow! Sie werden ja mutig! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Großartig!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat Krista Sager das Wort für die Fraktion Bündnis 90/die Grünen. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Selbst wenn man berücksichtigt, dass ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität in der Wissenschaft normal ist, muss man feststellen, dass die Beschäftigungsbedingungen für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler inzwischen völlig aus dem Ruder gelaufen sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der Bericht, der uns gerade heute vorgelegt wurde, zeigt, dass die Balance zwischen unbefristeten und befristeten Beschäftigungsverhältnissen längst nicht mehr gegeben ist. Wir reden hier nicht nur von jungen Menschen, die promovieren, wir reden zum Teil von erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ihre Promotion längst absolviert haben. (Ulla Burchardt [SPD]: Oder fast 50 Jahre alt sind!) Wir müssen dieses Problem endlich in den Blick nehmen. Die Laufzeiten der Arbeitsverträge werden immer kürzer; die Personalstrukturen sind völlig unausgewogen; es gibt keinerlei Planbarkeit, geschweige denn Familienfreundlichkeit. (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Frau Sager, das stimmt nicht!) Stattdessen gibt es Unsicherheit und Abhängigkeit, zum Teil bis ins fünfte Lebensjahrzehnt hinein. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das hat aber nichts mit dem Gesetz zu tun! – Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Natürlich hat es damit zu tun!) Herr Schulz hat vollkommen recht: Diese unsicheren Perspektiven gefährden inzwischen die gute Qualität und die Zukunft unseres Wissenschaftssystems, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) weil sich inzwischen immer mehr junge Menschen Alternativen in der Wirtschaft oder im Ausland suchen werden. Sie, Herr Schipanski, sollten sich nicht weiter darauf verlassen, dass sich die jungen Menschen aufgrund ihrer hohen Motivation, die Sie hier zu Recht beschrieben haben, beliebig weiter ausbeuten lassen. Das wird auf Dauer nicht funktionieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sicherlich gibt es nicht nur eine Ursache, und es gibt deswegen zum Glück auch nicht nur eine Handlungsmöglichkeit. Man kann bei einer Verbesserung der Grundfinanzierung der Hochschulen ansetzen. Der Bund könnte dafür eine höhere Verantwortung bei der gemeinsamen Forschungsfinanzierung übernehmen. Man könnte bei einer besseren Balance zwischen Drittmittelquote und Grundfinanzierung ansetzen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das tut dieser Gesetzesänderungsentwurf aber nicht!) Natürlich brauchen wir auch ein verantwortungsvolles Personalmanagement an den Hochschulen. (Beifall des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]) Wir brauchen eine verbesserte Personalstruktur, aber auch Anreize, damit jenseits der Vollprofessur mehr Beschäftigungsverhältnisse für selbstständig Arbeitende geschaffen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Haben wir vorgeschlagen! Genau so!) Wir brauchen auch einen Code of Conduct und Selbstverpflichtungen in Bezug auf Mindeststandards bei den Beschäftigungsverhältnissen und den Laufzeiten. (Beifall des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Haben wir doch gemacht! Richtig! Das ist ja das, was wir haben! Letztes Jahr verabschiedet!) Der Bund, Herr Schipanski, hat in den letzten Jahren sehr viel Geld für das Wissenschaftssystem in die Hand genommen, aber die Probleme der jungen Menschen in der Postdoc-Phase, nach der Promotion, hat der Bund überhaupt nicht in den Blick genommen. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Weil die Länder zuständig sind!) Sie haben dieses Problem erst jahrelang geleugnet. Dann kamen Sie ganz schnell mit einem Antrag, demzufolge alle Probleme nur an die Hochschulen und die Länder delegiert werden sollen. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Nur an die Hochschulen! Nur an die Länder! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Weil die zuständig sind!) Sie können auf Bundesebene genauso dazu beitragen, dass man dieses Problem in den Griff bekommt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Dazu gehört auch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. 2007 konnte man sich vielleicht noch einreden, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz für eine Balance zwischen befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen sorgen würde. Aber jetzt wissen wir definitiv: Das Gegenteil ist der Fall. Die Sache ist aus dem Ruder gelaufen. Deswegen muss das Wissenschaftszeitvertragsgesetz geändert werden. Dazu gibt es seit Jahren Vorschläge. Im Bundesrat liegt jetzt ein Gesetzesantrag vor, der von den rot-grün geführten Bundesländern eingebracht wurde, (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das macht die Sache nicht besser!) und hier liegt ein Gesetzentwurf der SPD-Fraktion vor. Das gibt Ihnen jetzt noch einmal Bedenkzeit. Sie können diese Gnadenfrist nutzen, (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: „Gnadenfrist“! Frau Sager!) um mit uns im Ausschuss darüber zu diskutieren, an welchen Stellschrauben bei diesem Gesetz wir drehen müssen, damit zum Beispiel familiäre Belastungen besser berücksichtigt werden. (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Die Familienkomponente haben wir eingeführt!) Wir müssen an einigen Stellschrauben drehen, damit auch dieses Gesetz dafür sorgen kann, dass unsere jungen Leute in der Wissenschaft eine bessere Perspektive bekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt hat das Wort der Kollege Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Florian Hahn (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über einen Gesetzentwurf der SPD zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft. Wie passend, dass heute der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ veröffentlicht wurde. Er bescheinigt dem Bund eine erfolgreiche Politik für den wissenschaftlichen Nachwuchs und zeigt wichtige Handlungsfelder auf. Das ist richtig und wichtig; denn die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes ist zu einem großen Teil abhängig von der Absicherung unserer Innovationskraft. Sie ist Grundlage und Motor unseres globalen Erfolgs. Der wissenschaftliche Nachwuchs spielt dabei eine essenzielle Rolle. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Heiner Kamp [FDP]) Er fungiert als Schnittstelle zwischen Ausbildungs- und Forschungsfunktion des Hochschulsystems. An den Hochschulen und Forschungseinrichtungen unseres Landes wird heute der Grundstein für den wirtschaftlichen und damit auch für den sozialen Erfolg von morgen gelegt. Die Sorgen und Nöte der wissenschaftlichen Elite sollten uns daher beschäftigen. Wir, die christlich-liberale Koalition, nehmen uns dieser an und wollen die nötigen Rahmenbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs schaffen. Dabei müssen wir uns auch an den Bedürfnissen der jungen Menschen orientieren. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Na, dann mal zu! Geht es ein bisschen konkreter?) Anstellungskonditionen, Aufstiegsmöglichkeiten, berufliche und familiäre Planbarkeit sind dabei wichtige Aspekte. Die Exzellenzinitiative, der Hochschulpakt und der Pakt für Forschung und Innovation konnten die Beschäftigungssituation und die bedingungen nachhaltig verbessern. Die Zahl der an den Hochschulen hauptberuflich wissenschaftlich Tätigen hat sich seit 2005 um 29 Prozent auf knapp 200 000 erhöht. So unattraktiv kann das Angebot also nicht sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Promotionskollegs und Graduiertenschulen sorgen für eine bessere Struktur bei der Doktorandenausbildung. Das aktuelle System setzt auf Mobilität und Flexibilität und nicht auf verkrustete Strukturen. (Zurufe von der LINKEN) Der unabhängige „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ bescheinigt uns, dass die Durchlässigkeit des Qualifizierungssystems der Zukunftsfähigkeit dient. All das sind Ergebnisse und Verdienste CDU- und CSU-geführter Wissenschafts- und Forschungspolitik. Es gibt die Möglichkeit zum Wechsel und zum Wiedereinstieg. Das System toleriert Unterbrechungen, setzt auf Eigeninitiative und lässt Raum für langfristige Erfolge. (Zuruf der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE]) Die Urteile zur Arbeitszufriedenheit und Motivation fallen dank dieser Eigenschaften überwiegend positiv aus. Natürlich ist dieses System noch nicht perfekt. (Agnes Alpers [DIE LINKE]: Marode, Herr Kollege!) Die derzeitig übermäßige Anzahl von Kurzzeitbefristungen muss verringert werden. Diese Koalition hat dieses Thema bereits angesprochen und die Wissenschaft zum Handeln aufgefordert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht sprechen! Handeln! Probleme lösen!) Wir werden die Entwicklung genau beobachten. Wenn sich nichts ändert, werden wir dafür sorgen, dass sich etwas ändert. Bei allen Bemühungen, die Rahmenbedingungen zu verbessern, dürfen wir wichtige Aspekte nicht außer Acht lassen. Ein zu starker Eingriff wäre für die Innovationskraft und die Flexibilität des derzeitigen Systems schädlich. Die Forderung der SPD nach Aufhebung der Tarifsperre ist dafür ein gutes Beispiel. Sie würde mit Rasenmähermethode viele Möglichkeiten und Chancen, besonders bei drittmittelbefristeten Stellen kaputtmachen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Quatsch! Das ist ein Vertrag, der ausgehandelt wird!) Die Folgen wären weniger Anstellungen und eine langfristige Schwächung des gesamten Systems. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wenn Sie wirklich etwas für die Hochschulen tun wollen, sollten Sie handeln. Ändern Sie mit uns Art. 91 b Grundgesetz. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Dies wäre ein effektives Mittel, um den finanziellen Engpässen an Hochschulen ein Stück weit entgegenzuwirken. Lassen Sie uns hier Nägel mit Köpfen machen, Herr Schulz! Das wäre richtig und angebracht. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie befristete Beschäftigungsverhältnisse ins Grundgesetz schreiben, oder was?) Liebe Kollegen, die Hochschulen selbst sind deutlich kreativer als die Opposition. Mehrere Universitäten haben begonnen, die derzeitigen Rahmenbedingungen zu nutzen. Sie konzipieren wirklich attraktive Konzepte für ihren Nachwuchs. Die TU München – sie wurde heute in diesem Zusammenhang schon einmal genannt – hat ein Karrieremodell entwickelt, das Postdocs mithilfe attraktiver Aufstiegsaussichten an der Universität hält. Das zeigt die Möglichkeiten im aktuellen System. Eine zu starke Regulierung würde der Flexibilität die Grundlage entziehen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Gut! Auf in den Kampf!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/12531 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Zusatzpunkt 6: Unterrichtung durch die Bundesregierung Neunzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2010/2011 – Drucksache 17/10365 – hier: Stellungnahme der Bundesregierung – Drucksache 17/12940 – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung geht der Zusatzpunkt 6 zu Protokoll.9 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: 12 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ute Koczy, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschenrechtslage und humanitäre Situation in der Westsahara verbessern und Klärung des völkerrechtlichen Status voranbringen – Drucksachen 17/12822, 17/13144 – Berichterstattung: Abgeordnete Frank Heinrich Angelika Graf (Rosenheim) Marina Schuster Katrin Werner Volker Beck (Köln) ZP 7 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ute Koczy, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur Westsahara und zur Menschenrechtslage in den vom Königreich Marokko und von der Frente Popular de Liberacion de Saguía el Hamra y Río de Oro kontrollierten Gebieten – Drucksache 17/11453 – ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Da?delen, Annette Groth, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Marokkos in der Westsahara und Lösung des Konflikts durch Referendum unterstützen – Drucksache 17/13089 – Auch hier gehen die Reden zu Protokoll.10 Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Menschenrechtslage und humanitäre Situation in der Westsahara verbessern und Klärung des völkerrechtlichen Status voranbringen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13144, den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12822 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Dagegen waren Grüne und SPD. Dafür haben gestimmt CDU/CSU und FDP. Zusatzpunkt 8. Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13089 mit dem Titel „Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Marokkos in der Westsahara und Lösung des Konflikts durch Referendum unterstützen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag abgelehnt. Die Fraktion Die Linke hat zugestimmt. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Die übrigen Fraktionen waren dagegen. Tagesordnungspunkt 13: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) – Drucksache 17/12816 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (21. Ausschuss) – Drucksache 17/13142 – Berichterstattung: Abgeordnete Michael Stübgen Michael Roth (Heringen) Joachim Spatz Alexander Ulrich Manuel Sarrazin b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon konsequent anwenden – Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union weiter stärken – Drucksachen 17/8137, 17/13142 – Berichterstattung: Abgeordnete Michael Stübgen Michael Roth (Heringen) Joachim Spatz Alexander Ulrich Manuel Sarrazin Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union hat in seiner Beschlussempfehlung den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/8137 mit dem Titel „Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon konsequent anwenden – Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union weiter stärken“ mit einbezogen. Über diese Vorlage soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. Damit sind Sie einverstanden? – Dann verfahren wir so. Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.11 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13142, den Gesetzentwurf auf Drucksache 17/12816 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen wollen, mögen bitte jetzt aufstehen. – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13142 empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/8137 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist auch das mehr oder weniger einstimmig angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Michalk, Karl Schiewerling, Paul Lehrieder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Molitor, Dr. Heinrich L. Kolb, Sebastian Blumenthal, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen – zu dem Antrag der Abgeordneten Silvia Schmidt (Eisleben), Anette Kramme, Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung – Drucksachen 17/12180, 17/9931, 17/9758, 17/12770 – Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Molitor Hier sind die Reden zu Protokoll genommen.12 Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 17/12770. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/12180 mit dem Titel „Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Enthalten hat sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen haben SPD und Linke gestimmt. Die Koalitionsfraktionen waren dafür. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9931 mit dem Titel „Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Die Oppositionsfraktionen waren dagegen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9758 mit dem Titel „Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der SPD-Fraktion, bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und Gegenstimmen von Linken und Bündnis 90/Die Grünen ist diese Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung eines Altersgelds für freiwillig aus dem Bundesdienst ausscheidende Beamte, Richter und Soldaten – Drucksache 17/12479 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/13132 – Berichterstattung: Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein) Wolfgang Gunkel Dr. Stefan Ruppert Frank Tempel Dr. Konstantin von Notz – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/13135 – Berichterstattung: Abgeordnete Stefanie Vogelsang Dr. Peter Danckert Dr. Florian Toncar Roland Claus Katja Dörner Die Reden wurden zu Protokoll genommen.13 Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13132, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/12479 anzunehmen. Wer möchte dem Gesetzentwurf zustimmen? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Zugestimmt haben die Fraktion Die Linke und die Koalitionsfraktionen. Dagegen hat die SPD gestimmt. Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dafür ist, möge bitte aufstehen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – In der dritten Beratung ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 25 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid Nouripour, Memet Kilic, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesellschaftliche Vielfalt in der Bundeswehr anerkennen – Drucksache 17/13095 – Die Reden sind zu Protokoll genommen. Markus Grübel (CDU/CSU): Ich möchte meine Rede gerne mit einem Zitat beginnen: „Nirgends werde ich so wenig diskriminiert wie in der Bundeswehr.“ Das Zitat stammt von einem jungen Mann, dessen Eltern aus Afrika stammen und der einen Wunsch hat: Er will in Deutschland dazugehören. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit fand er nach eigener Aussage bei der Bundeswehr. Denn in der Bundeswehr gibt es einen Wert, der in der heutigen Gesellschaft leider oft an Bedeutung verloren hat. Ich meine damit Kameradschaft. In der Bundeswehr zählt Kameradschaft. Es zählt dein Dienstgrad und deine Leistung, bevor andere Dinge in Erwägung gezogen werden. Die Menschen, die in unseren Streitkräften dienen, kommen aus unterschiedlichen Milieus, haben verschiedene Religionszugehörigkeiten, Geschlechter oder Hautfarben. Sie alle haben aber ein Ziel: Sie wollen diesem Land dienen und dafür im Ernstfall ihr Leben einsetzen. Sie alle leisten den gleichen Eid. Der junge Mann, den ich eingangs zitierte, hat mittlerweile einen Verein gegründet, der sich Deutscher.Soldat.e.V. nennt. In einem Interview sagte er, er habe den Verein nicht dazu gegründet, um in der Armee etwas zu ändern. Er wolle vielmehr einen positiven Impuls in die Integrationsdebatte innerhalb der Gesellschaft liefern. Und statt Multikulti gehe es dem Verein darum, das Deutschsein in seiner Vielfalt zu zeigen. Dies zeigt, welche Entwicklung in der Bundeswehr mittlerweile stattgefunden hat und dass gelebte Vielfalt nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, wie im Antrag der Grünen formuliert. Ich möchte definitiv nicht alles in der Bundeswehr glorifizieren. Auch dort kommt es leider zu Fällen – wie in allen Teilen der Gesellschaft –, in denen jemand aufgrund seines Geschlechts, seiner Religionszugehörigkeit oder der Herkunft seiner Eltern diskriminiert wird. Das ist schlimm, und wir alle müssen uns dafür einsetzen, dass sich daran etwas ändert. Dennoch zeigt sich insgesamt, dass die Bundeswehr bei der Frage nach gelebter Vielfalt auf einem guten Weg ist. Beispielhaft sind dafür etwa die rückläufigen Zahlen rechtsextremistischer Vorfälle. So wurden im Jahr 2009 122 Vorkommnisse mit rechtsextremistischem Hintergrund gemeldet. Im darauffolgenden Jahr waren es 82 Fälle, 2011 waren es 63 und 2012 67 Fälle. Nach einer Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr aus dem Jahr 2009 haben 12 Prozent aller Soldatinnen und Soldaten einen Migrationshintergrund. Die Vielfalt innerhalb der Bundeswehr drückt sich außerdem dadurch aus, dass sich die Anzahl von Frauen in den Streitkräften deutlich erhöht hat. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Laufbahnen der Streitkräfte erst seit dem 1. Januar 2001 für Frauen geöffnet sind, ist ein Frauenanteil in den Streitkräften von mehr als 9 Prozent ein gutes Ergebnis, das selbstverständlich weiter ausgebaut werden muss. Soldatinnen sind heutzutage ein akzeptierter Teil der Truppe und nicht mehr wegzudenken. Frauen dienen in nahezu allen Bereichen. 2011 führte erstmals ein weiblicher Oberleutnant in Afghanistan einen Infanteriezug im Gefecht. Es gibt mittlerweile eine Tornado-Pilotin, und rund 5 Prozent aller Soldaten in den Auslandseinsätzen sind weiblich. Ihre Integrationsfähigkeit hat die Bundeswehr nach meiner Einschätzung bereits im Zuge der deutschen Einheit gezeigt, als Armee der Einheit. Das Ende des Ost-West-Konflikts stellte die Bundeswehr vor eine große Herausforderung. Obwohl es damals Zweifel gab, ist die deutsche Einheit innerhalb unserer Streitkräfte schneller erfolgt, als in anderen Bereichen. Lassen Sie mich nun zur Charta der Diversität kommen. Die Idee, die Charta zu unterzeichnen, stammte ursprünglich aus der Truppe. Das, was in der Bundeswehr gelebt wird, sollte mit der Unterzeichnung der Charta auch nach außen transportiert werden. Und entgegen der Verlautbarungen von Teilen der Opposition werden die Verpflichtungen, die sich mit der Unterzeichnung der Charta ergeben, ernst genommen. Toleranz, Fairness und Wertschätzung von Menschen – diese Werte finden sie in der Bundeswehr und das auch schon von Anfang an. In diesem Zusammenhang möchte ich vor allem das Konzept der Inneren Führung in Erinnerung rufen. Mit der Aufstellung unserer Streitkräfte verband sich die Idee, das Menschenbild des Grundgesetzes auch in der Truppe zur verbindlichen Richtschnur zu machen. Mit der Konzeption der Inneren Führung und dem Leitbild des Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ setzen wir diesen Anspruch um. Das Werte- und Normensystem des Grundgesetzes findet mit der Konzeption der Inneren Führung in der Führung, Bildung, Ausbildung und Erziehung in der Bundeswehr seinen Ausdruck. Die Unantastbarkeit und der Schutz der Menschenwürde sind Verpflichtung des Staates und daher auch der Bundeswehr. Um die Vielfalt in unseren Streitkräften weiterhin zu fördern, wird auch daran gearbeitet, die Anzahl der Soldatinnen weiter zu erhöhen. Von enormer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Erfahrungsgemäß ist dabei eine zuverlässige und den Arbeitszeiten der Eltern möglichst angepasste Kinderbetreuung wichtig. In den letzen Jahren wurden daher zusätzliche arbeitsplatznahe Betreuungsplätze eingerichtet bzw. Belegrechte bereitgestellt. Um mal ein paar Beispiele zu nennen: An den Standorten Seedorf, Westerstede, Hamburg und Berlin wurden Belegrechte erworben. Für weitere Standorte werden gegenwärtig Verhandlungen geführt. Das Bundesministerium der Verteidigung teilte mir außerdem mit, dass aktuell insgesamt circa 200 Betreuungsplätze – überwiegend in Form von Belegrechten – zur Verfügung stehen. In der Planung befinden sich weitere 400 Plätze, einschließlich der Betriebskindergärten. An Standorten mit hohem und langfristig gesichertem Bedarf werden durch die Bundeswehr Betriebskindergärten eingerichtet. Mittlerweile gibt es außerdem 139 Eltern-Kind-Arbeitszimmer. Damit wird Beschäftigen bei unvorhergesehenem kurzfristigem Ausfall der Kinderbetreuung eine unmittelbare Betreuungsmöglichkeit am Arbeitsplatz geboten. Die Eltern-Kind-Arbeitszimmer enthalten neben einem komplett ausgestatteten Arbeitsplatz eine kindgerechte Ausstattung, die eine kurzfristige Betreuung der Kinder durch die Eltern im Dienst ermöglicht. Die Einrichtung weiterer circa 160 Eltern-Kind-Arbeitszimmer ist in Planung Seit letztem Herbst wird schließlich das an neun Pilotstandorten erprobte Kinderbetreuungsportal in die Fläche ausgeweitet. Diese Maßnahme ermöglicht Bundeswehrangehörigen, standortbezogene Informationen über Betreuungsmöglichkeiten einzuholen. Lassen Sie mich nun noch zu den Themen „lebenskundlicher Unterricht“ und „Militärseelsorge“ kommen. Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass der lebenskundliche Unterricht kein Religionsunterricht ist. Es handelt sich um eine berufsethische Qualifizierungsmaßnahme für alle Soldatinnen und Soldaten. Richtig ist, dass aufgrund unserer Geschichte die christliche Militärseelsorge in diesem Bereich eine wichtige Rolle spielt. Dennoch sind die Verantwortlichen in diesem Bereich dazu angehalten, den religiösen Dialog zu fördern und weltanschauliche Neutralität zu wahren. Abschließend lässt sich sagen, dass sich die Bundeswehr im 21. Jahrhundert gewandelt hat. Anders als in den Medien zum Teil dargestellt, spiegeln auch unsere Streitkräfte die Gesellschaft in ihrer Vielfalt wider und ermöglichen ein Miteinander und Kameradschaft zwischen Menschen, die innerhalb der Gesellschaft ansonsten nicht zusammengefunden hätten. Die bisherigen Erfahrungen zeigen uns, dass die Verpflichtungen, die sich mit der Charta der Diversität verbinden, ernst genommen werden und dass die Bundeswehr ein Ort gelebter Vielfalt ist. Ich sehe daher keinen Grund, dem Antrag der Grünen zuzustimmen. Stattdessen empfehle ich den Grünen, einmal genauer in die Truppe hineinzuhören, um sich ein Bild von der tatsächlichen Lage zu machen. Lars Klingbeil (SPD): Unsere Streitkräfte waren und sind Spiegelbild unserer Gesellschaft. Der soziale Wandel hat zwangsläufig Auswirkungen auf die Bundeswehr. Als eine der größten staatlichen Institutionen muss sie sich diesen Veränderungen stellen und sie annehmen. Mehr als 50 Jahre Immigration haben unsere Gesellschaft facettenreicher gemacht. Einwanderer aus allen Regionen der Welt haben unser Land verändert. Mit der deutschen Staatsangehörigkeit wird die Bundeswehr automatisch ein interessanter Arbeitgeber. Soldatinnen und Soldaten mit Migrationshintergrund sind eine Selbstverständlichkeit in unseren Streitkräften. Das ist Chance und Auftrag zugleich. Die Bundeswehr kann von den diversen kulturellen Einflüssen profitieren. Sie muss aber auch den Bedürfnissen der Soldatinnen und Soldaten gerecht werden. Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Ihre Einsätze finden im multinationalen Rahmen statt. Wir entsenden unsere Soldatinnen und Soldaten in die verschiedensten Regionen der Welt: Afghanistan, Kosovo, Türkei und kürzlich erst nach Westafrika. Wo der nächste Einsatz stattfindet, ist nicht abzusehen. Die teilnehmenden Nationen unterscheiden sich von Einsatz zu Einsatz. Eine Armee, deren Auftrag international ist, kann von unterschiedlichen kulturellen Einflüssen nur profitieren. Der tägliche Austausch mit Soldatinnen und Soldaten anderer Nationen ist Teil jeder Mission. Wer sich in mehreren Sprachen ausdrücken kann und interkulturelle Kompetenz mitbringt, ist klar im Vorteil. Das wirkt sich positiv auf die Zusammenarbeit aus und ist hilfreich für den Erfolg des Einsatzes. Darüber hinaus bewegen sich unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz oft in für sie fremden Kulturkreisen. Auch wenn die Truppe natürlich für solche Einsätze entsprechend vorbereitet wird, ist gelebte gesellschaftliche Vielfalt jedoch in solchen Szenarien sicherlich eine Bereicherung. Wer sich in mehreren Sprachen ausdrücken kann, wer sich in verschiedenen kulturellen Zusammenhängen bewegen kann, der ist ein Gewinn für die Bundeswehr. Das sollten wir fördern. Aber damit die Bundeswehr in vollem Umfang von den Kompetenzen und Fähigkeiten ihrer Soldatinnen und Soldaten profitieren kann, müssen die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden. Unterschiedliche Kulturen und Religionen beinhalten unterschiedliche Rituale. Die Soldatinnen und Soldaten wissen, dass der Dienst im Vordergrund steht. Aber genauso pflichtbewusst, wie die Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst ableisten, sollte der Dienstherr ihnen die Möglichkeit geben, ihre Religion auszuüben. Es ist etwas Bemerkenswertes, wenn Menschen unterschiedlicher Religionen sich zur Bundeswehr bekennen. Bei gesellschaftlicher Vielfalt geht es aber nicht nur um andere Religionen. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger in unserem Land entscheiden sich, keiner Religion anzugehören. Diese Entwicklung vollzieht sich auch in der Bundeswehr. Viele Soldatinnen und Soldaten sind dankbar für die Angebote der militärischen Seelsorge und nehmen diese gerne an. Jedoch müssen wir uns Gedanken machen, ob es nicht sinnvoll ist, weitergehende Möglichkeiten für vertrauensvolle Gespräche vorzuhalten. Diese Angebote sollten dabei so niedrigschwellig wie möglich sein, damit sie jede Soldatin, jeder Soldat annehmen kann. Vor allem im Bereich der Gesprächs- und Beratungsangebote sollte die Bundeswehr nicht auf die Nachfrage warten, sondern mit verschiedenen Angeboten in Vorleistung treten. Gesellschaftliche Vielfalt ist auch entscheidender Punkt in Bezug auf die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft. Damit die Bundeswehr weiterhin gut integriert und verankert ist, muss sie die Entwicklungen in der Gesellschaft widerspiegeln. Wir erwarten von unseren Soldatinnen und Soldaten, dass sie Bürger in Uniform sind. Sie sollen sich mit ihrer Tätigkeit auseinandersetzen und sich in die Gesellschaft einbringen. Je besser die Bundeswehr, in der sie dienen, den multikulturellen Wandel der Gesellschaft widerspiegelt, desto stärker ist die Verankerung und desto besser gelingt die Integration. Darüber hinaus ist die Öffnung der Bundeswehr eine Chance für die Nachwuchsgewinnung. Die Bundeswehr kann zeigen, dass sie ein offener, multikultureller und toleranter Arbeitgeber ist. Damit macht sie sich auch interessanter für neue Bewerbergruppen. Die interkulturelle Kompetenz einer multikulturellen Truppe macht die Bundeswehr relevanter als Arbeitgeber für Rekrutinnen und Rekruten aus allen sozialen und kulturellen Gruppen der Gesellschaft. Der Minister hat in der Vergangenheit den Anspruch formuliert, die Truppe weiter zu öffnen und mehr Menschen mit Migrationshintergrund in die Bundeswehr zu bringen. Das begrüße ich ausdrücklich. Ich bin davon überzeugt, dass die Bundeswehr von einer Öffnung nur profitieren kann und freue mich auf die kommenden Diskussionen. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Das Anliegen, dass die Vielfalt unserer Gesellschaft auch in unseren Streitkräften zum Ausdruck kommt und dort gelebt wird, verbindet uns alle über die Fraktionsgrenzen hinweg. Es ist nicht das Ob, sondern viel mehr das Wie, über das wir heute hier miteinander diskutieren. Anerkennung und Achtung gesellschaftlicher Vielfalt werden in der Bundeswehr nicht nur ganz praktisch von der überwältigenden Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten gelebt, sondern sie sind auch Teil des gesetzlichen Auftrags. In § 12 des Soldatengesetzes heißt es: „Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft. Sie verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen. Das schließt gegenseitige Anerkennung, Rücksicht und Achtung fremder Anschauungen ein.“ Wenn Soldatinnen oder Soldaten sich nicht an das Soldatengesetz halten, droht ihnen neben den disziplinarrechtlichen Konsequenzen vor allem eine Ächtung ihres diskriminierenden Verhaltens durch die Kameradinnen und Kameraden. Wir werden Toleranz niemals erfolgreich verordnen können. In erster Linie muss sie als Herzensanliegen von den Soldatinnen und Soldaten selbst ausgehen. Unsere Aufgabe als Politik ist es, die richtigen Impulse zu setzen und den rechtlichen Rahmen laufend weiterzuentwickeln, damit jedwede Form von Diskriminierung keinen Raum in der Bundeswehr erhält. Bei meinem Besuch im Afghanistan im Februar dieses Jahres durfte ich Gespräche mit vielen Soldatinnen und Soldaten führen. Gerade im Auslandseinsatz zeigt sich, dass kulturelle Unterschiede im Alltag der Soldaten keine Rolle spielen. Manche der Soldatinnen und Soldaten, mit denen ich sprach, hatten einen Migrationshintergrund, andere wiederum hatten ungewöhnliche Biografien, die sie auf Umwegen zur Bundeswehr geführt haben. All dies spielt vor Ort keine Rolle und ist erst recht kein Hemmnis im täglichen Umgang miteinander. Die Soldatinnen und Soldaten bringen aus ihrem privaten Umfeld und ihren Biografien Kompetenzen mit, mit denen sie unsere Bundeswehr bereichern. Wer sich beispielsweise näher mit der Arbeit des ehrenamtlichen Vereins Deutscher Soldat e. V. befasst, erkennt schnell, wie sehr sich die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten selbst mit Fragen der gesellschaftlichen Vielfalt und Diskriminierungserfahrungen auseinandersetzen. Wie an jeder zivilen Hochschule, gibt es an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg eine Interessensgemeinschaft Queer, die sich mit Erfolg und Anerkennung durch alle Studierenden für die Rechte homosexueller Soldatinnen und Soldaten einsetzt. Die Arbeit dieser Institutionen sollten wir Parlamentarier unterstützen, weil sie aus der Mitte der Bundeswehr heraus Veränderungen anstoßen. All diese positiven Aspekte und Entwicklungen finden in Ihrem Antrag bedauerlicherweise keine Erwähnung. Es liegt an uns, das häufig einseitige und stereotype Bild des wenig weltoffenen und mitunter intoleranten Soldaten zu überprüfen und uns in der Politik nicht gängiger Vorurteile zu bedienen. Allerdings sollten wir den Staatsbürger in Uniform oder auch die Bundeswehr als Abbild unserer Gesellschaft nicht überfordern. Wenn wir bei der Bundeswehr zu Recht hohe Anforderungen stellen, sollten wir den Anspruch an die Gesamtgesellschaft in diesen Fragen nicht aus den Augen verlieren. Wir machen es uns zu leicht, wenn wir Teilen der Soldaten und der militärischen Führung unterstellen, dass sie Ansätze einer frauen-, schwulen- oder fremdenfeindlichen Gesinnung in sich tragen. Die Bundeswehr ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. In den Streitkräften erleben wir die gleichen Prozesse der Pluralisierung, wie wir sie in der Gesamtgesellschaft finden. Ich würde mich freuen, wenn wir Abgeordneten noch mehr in der Gesellschaft aktiv für das veränderte und sich weiter verändernde Bild unserer Streitkräfte werben. Was wir brauchen, ist ein differenzierter Blick, und ich bin dem Wehrbeauftragten dankbar dafür, dass er in seinen jährlichen Berichten immer wieder aufzeigt, wo Nachholbedarf besteht und wo wir als Politik und die Bundeswehr selbst zum Handeln aufgefordert sind. Ich setze mich für die Öffnung der Militärseelsorge für weitere Konfessionen ein. Mit dieser Forderung stehe ich – oder wir – nicht allein. Sowohl die katholische als auch die evangelische Militärseelsorge regen selbst eine solche Erweiterung an, und auch das Verteidigungsministerium prüft aktuell die Möglichkeiten einer solchen Öffnung. Diesen Prozess sollten wir Abgeordneten im Verteidigungsausschuss aktiv unterstützen. In Afghanistan wurde mir aber eine ganz andere Bedeutung der Militärseelsorge nochmals deutlich. Die Militärseelsorge ist in der Praxis keinesfalls in erster Linie ein religiöses oder konfessionelles Angebot. Die Militärseelsorger selbst verstehen sich ganz bewusst nicht als Ansprechpartner nur für die Soldaten, die ihrer Konfession angehören oder mindestens einen persönlichen Bezug zum Religiösen haben. Ganz im Gegenteil: Sie sind für alle Soldatinnen und Soldaten da und werden auch von allen in Anspruch genommen. Neben der Militärseelsorge gibt es mit dem psychosozialen Netzwerk aber auch ein Beratungsangebot, welches unabhängig von den Kirchen angeboten wird. So kann jeder Soldat selbst wählen, welche Art der Begleitung er in Anspruch nehmen möchte. Gerade wenn es um die Ehrung der gefallenen Kameraden geht, ist das gemeinsame Gedenken, angeleitet durch die Militärseelsorger, von besonderer Bedeutung. Hier spielt die Konfession der Seelsorger keine Rolle. Im Zentrum steht ihre Aufgabe, das nicht Erklärbare in Worte zu fassen und den Soldaten Halt und Zuspruch zu geben. Die Bundeswehr ist seit vielen Jahren eine Institution im Wandel. Die Umsetzung wichtiger Ziele unserer Gesellschaft, sei es die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Arbeit, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern oder die Integration von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund, wird in der Bundeswehr nicht nur diskutiert, sondern es werden auch konkrete Lösungen erarbeitet und umgesetzt. Ich würde mich freuen, wenn wir Parlamentarier die Bundeswehr bei diesem Prozess auch weiterhin gemeinsam begleiten. Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Die kulturelle und religiöse Vielfalt zu leben, gehört heute zum Glück zum Alltag in Deutschland und das sollte auch in der Bundeswehr so sein. In diesem Sinne ist der Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen auch zu begrüßen. Denn man hat schon den Eindruck, dass die Bundeswehr das Thema am liebsten aussitzen würde. Vergleichen Sie mal die Antworten des Verteidigungsministeriums auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion 2006 mit den Antworten auf die Kleine Anfrage der Grünen 2012 – viel geändert hat sich nicht. Sicherlich, man unterzeichnet solche Appelle, wie die Charta der Vielfalt. Man hat eine Zentrale Koordinierungsstelle Interkulturelle Kompetenz und auch einen beim Verteidigungsministerium angegliederten Beirat für Fragen der Inneren Führung, der auch einige externe Organisationen einbindet. Aber wenn die Bundeswehrführung von „interkultureller Kompetenz“ redet, ist nahezu ausschließlich ein Fähigkeitsmerkmal der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten bei den Auslandseinsätzen gemeint. Mit anderen Worten: Mehr Weltoffenheit soll die Arbeit der Truppe in den globalen Einsätzen zu effektivieren helfen. Anders herum wäre besser: Die vielbeschworene interkulturelle Kompetenz sollte bei der Erkenntnis helfen, zu erkennen, dass externe militärische Akteure in der Regel bei dem Versuch scheitern, andere Kulturkreise Mores zu lehren. Im Antrag der Grünen spielt der Zusammenhang, genauer: das Spannungsverhältnis zwischen religiöser Bindung bzw. Prägung und der Tendenz zu gesellschaftlicher Diversifizierung eine große Rolle. Nur wird die Tatsache, dass die Weltanschauungs-, Glaubens- und Kulturorientierungen immer vielfältiger werden, dahin gehend gedeutet, dass all diese Richtungen in den diversen Gremien – wie dem Beirat für Innere Führung – auch angemessen vertreten sein sollten. Das ist richtig, aber auch nur ein erster Schritt. Bislang hatte die katholische und evangelische Militärseelsorge quasi eine Monopolstellung und war aufgrund der Strukturen der fast „natürliche“ Bezugspunkt vieler Soldatinnen und Soldaten auf die Kirchen, wenn es um existenzielle Bedrängnis oder auch tiefgehende menschliche Sorgen und Nöte geht. Das war früher so und – die Erfahrungen in den „Einsatzgebieten“ zeigen es – ist auch noch heute so. Aber dass selbst konfessionell ungebundene Armeeangehörige sich vor allem an die Militärgeistlichen wenden, wenn sie Trost oder Rat suchen, ist zunächst nur der Tatsache geschuldet, dass es keine Alternativen gibt. Ein Beweis für die Unverzichtbarkeit dieser Art der Seelsorge ist es nicht. Dennoch kann es gegenwärtig nicht darum gehen, den Vertretern der Kirchen einfach die Tür zu weisen, aber die derzeit bestehende Monopolstellung der Kirchenmänner und -frauen im Lebenskundlichen Unterricht der Soldaten ist nicht angemessen und nicht akzeptabel. Um der veränderten gesellschaftlichen Realität Rechnung zu tragen, müssen zudem Betreuungsangebote auch für Muslime und andere Glaubensrichtungen eingerichtet werden. Mehr noch: Auf den Prüfstand sollte auch gestellt werden, wie säkulare Betreuungsmöglichkeiten ausgebaut werden können. Tabus helfen hier nicht weiter. Die Linke hat von Anfang an und auch im damaligen Unterausschuss für Innere Führung diese Exklusivposition kritisiert. Dieses Monopol wollen wir aber nicht durch ein Oligopol ersetzen. Der lebenskundliche Unterricht, der ja für alle Angehörigen der Truppe obligatorisch ist, muss grundlegend säkularisiert werden. In der Neukonzeption des Lebenskundlichen Unterrichts im Juni 2011 wurde zwar erstmals die Möglichkeit eröffnet, dass „nicht-religiöse berufsethisch besonders qualifizierte Lehrkräfte Lebenskundlichen Unterricht erteilen“ dürfen. Das hatte aber anscheinend keine Auswirkungen auf die Praxis. Ein Jahr später hieß es, dass es keinen Bedarf dafür gibt, da die kirchlichen Militärseelsorger das immer noch machen. In Ewigkeit Amen. Damit wollen und werden wir uns nicht abfinden. Insofern geht uns der Antrag der Grünen an dieser Stelle nicht weit genug. Es bleibt, solange die seelsorgerische Betreuung kirchlich organisiert ist, das strukturelle Grundproblem, dass die Seelsorger vom Staat bezahlt werden, gegenüber den anderen Geistlichen in der Kirche Privilegien genießen und die Behörden der Militärseelsorge nicht bei den Kirchen, sondern direkt beim Verteidigungsministerium angesiedelt sind. Unabhängigkeit buchstabiert sich anders. Das muss geändert werden. Es ist richtig, eine breitere Debatte in Gang zu setzen, wie gerade die Bundeswehr dem Gebot der Vielfalt – der Kulturen, der Lebensstile, der sexuellen Orientierung – in ihren Reihen Rechnung tragen kann – und dabei kann der Antrag der Grünen helfen. Die Mindestanforderung lautet, dass es in Bezug auf religiöse Überzeugung, ethnische/nationale Herkunft, sexuelle Orientierung und kulturell geprägte Lebensweise keinerlei Diskriminierung geben darf. Die andere Mindestbedingung lautet, dass innerhalb der Bundeswehr rassistische, fremdenfeindliche, nationalchauvinistische Auffassungen keinen Platz haben dürfen. Die Angehörigen der Bundeswehr dafür zu sensibilisieren und davon zu überzeugen, ist eine ständige Aufgabe in der Politischen Bildung, im Lebenskundlichen Unterricht, im praktischen, alltäglichen Umgang. Diese Bedingungen werden nicht dadurch einzulösen sein, dass man einfach eklektisch hier eine Migrantenorganisation und dort ein paar Glaubensgemeinschaften hinzu bittet. Hier geht es um eine grundlegende Aufklärungsaufgabe. Und hier gibt es noch eine ganze Menge zu tun. Das Parlament sollte diese Anstrengungen kontinuierlich und kritisch begleiten. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer aus diesem Hohen Haus auf die Straßen dieser Stadt hinaustritt, kann die Realität gesellschaftlicher Vielfalt in diesem Land nicht leugnen. Deutschland ist ein Einwanderungsland und hat von dieser Einwanderung einen großen gesellschaftlichen, kulturellen und nicht zuletzt auch wirtschaftlichen Nutzen gezogen. Das Bild unseres Landes in der Welt hat – bei allen Problemen und bei aller sehr berechtigten Kritik – vom offenen und positiven Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt entscheidend profitiert. Das heißt nicht, dass wir die Probleme, die eine multikulturelle Realität mit sich bringt, unter den Teppich kehren dürfen. Sondern das heißt, dass unser Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt auf den Grundregeln und im Geist unserer Verfassung geschehen muss: Würde, Freiheit und Gleichberechtigung jeder Bürgerin und jedes Bürgers, Rücksicht, Respekt und Toleranz untereinander. Die Bundeswehr ist ein Teil dieser Republik, was sich im Verständnis des „Staatsbürgers in Uniform“ widerspiegelt – und sogar ein bisschen mehr: Sie ist im besonderen Maß dazu verpflichtet, die Werte, für die sie einsteht, auch in ihrem Inneren zu verwirklichen. Das Prinzip der Inneren Führung steht für die Einhaltung dieser Werte. Und in der Tat: Die Bundeswehr unternimmt zahlreiche Anstrengungen, um ihre interkulturelle Kompetenz zu stärken, und sie hat, was den Umgang mit Intoleranz und Rassismus in ihren Reihen angeht, eine passable Bilanz vorzuweisen. Dennoch müssen wir daran weiter arbeiten: Intoleranz und Rassismus haben keinen Platz in dieser Bundeswehr und dürfen auch aus Respekt vor vermeintlichen Traditionen oder Riten nicht geduldet werden. Der Skandal um die Ermittlungen der NSU-Mordserie habe gezeigt, dass wir uns trotz vieler Fortschritte keinesfalls zurücklehnen dürfen. Noch immer aber verharrt die Bundeswehr an vielen Stellen in überkommenen Strukturen. Wir wissen, wie schwer es ist, eine große und oft auch etwas schwerfällige Organisation zu verändern. Aber man hat oftmals das Gefühl, dass es an entscheidenden Stellen auch am rechten Willen fehlt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Militärseelsorge. Obwohl mittlerweile mindestens 1 000 Soldatinnen und Soldaten muslimischen Glaubens bei der Bundeswehr dienen, weigert sich die Bundesregierung hartnäckig, einen muslimischen Militärseelsorger einzustellen oder dessen Einstellung auch nur anzuvisieren. Dabei gibt es bei den evangelischen oder protestantischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern eine Betreuungsquote von rund 650 zu 1. Ein solcher Seelsorger würde nicht nur den Bedürfnissen Hunderter Soldatinnen und Soldaten Rechnung tragen, sondern auch nach außen ein wichtiges Zeichen für die Anerkennung gesellschaftlicher Vielfalt setzen. Ähnlich verhält es sich mit dem sogenannten Lebenskundlichen Unterricht. Er ist einer der wichtigsten Orte, um Soldatinnen und Soldaten auf die besonders hohen ethischen Ansprüche vorzubereiten, die ihr Beruf mit sich bringt. Er sollte auf die Lebensrealität aller Soldatinnen und Soldaten eingehen. Stattdessen aber wird er bislang ausschließlich von evangelischen oder katholischen Geistlichen bestritten. Das geht an der Realität einer Truppe mit immer heterogeneren kulturellen und damit auch moralischen Leitlinien völlig vorbei. All das sind Teile dessen, was man heute gemeinhin als Diversity Management bezeichnet, als die Bemühungen von Unternehmen und Institutionen, angesichts immer heterogener werdender Gruppen dem Individuum mit seinen Ansprüchen und Fähigkeiten gerecht zu werden. Die Bundeswehr bekennt sich auf dem Papier dazu, und in der Bundeswehr streiten täglich viele Männer und Frauen dafür, diese Prinzipien einzuhalten. Oft gegen widrige bürokratische Umstände und mit zu geringen Mitteln. Aber bei der Koordinierung dieser Aktivitäten, bei der gesteuerten Umsetzung dieser Lippenbekenntnisse, tut sich wenig. Das fügt noch etwas zur ohnehin schon hohen Frustration in der Bundeswehr hinzu und lässt auch viele der Schätze, die eine wachsende interkulturelle Kompetenz in der Truppe für viele Einsätze mit sich bringt, ungehoben. Deswegen brauchen wir endlich eine zentrale Koordination der einzelnen Ansätze zum Diversity Management im Verteidigungsministerium. Und wir brauchen den Willen, angesichts der Veränderungen mit ihren zahlreichen Chancen alte Zöpfe abzuschneiden. Dabei geht es nicht zuletzt darum, mit den Soldatinnen und Soldaten mit und ohne Migrationshintergrund zu sprechen, die sich in der Bundeswehr für gesellschaftliche Vielfalt einsetzen. Die vielen ermutigenden Geschichten von Soldatinnen und Soldaten mit Migrationshintergrund, die in der Bundeswehr für dieses Land und seine Werte einstehen, zeigen, welches Potenzial eine – ich sage es noch einmal bewusst – multikulturelle Realität mit sich bringt. Dieses Potenzial müssen wir auch in der Bundeswehr nutzen. Dies hilft ihr nicht nur dabei, ihre Rolle als Verteidigerin unserer Werte zu erfüllen; sie kann damit auch einen eigenen Beitrag zur Integration in unserer Gesellschaft leisten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13095 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen – Drucksache 17/13086 – Die Reden sind zu Protokoll genommen.14 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13086 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Parlamentsbeteiligung bei globaler Umwelt-Governance verbessern – Drucksache 17/12734 – Die Reden wurden zu Protokoll genommen.15 Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 17/12734. Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustimmung aller anderen Fraktionen angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Silvia Schmidt (Eisleben), Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Teilhabe ermöglichen – Forschung und Entwicklung von Technologien und Design für alle intensivieren – Drucksache 17/13085 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Die Reden wurden zu Protokoll genommen. Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Wir beraten heute einen Antrag der SPD zum Thema „Teilhabe ermöglichen – Forschung und Entwicklung von Technologie und Design für alle intensivieren“. Wir sind uns heute glücklicherweise über alle Parteigrenzen hinweg einig, dass wir eine inklusive Gesellschaft in Deutschland sein wollen. Alle Menschen, egal ob mit oder ohne Behinderung, sind für unsere Gesellschaft wichtig. Jeder Mensch hat Stärken. Es gilt gerade für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland, die Stärken der Menschen zu stärken und allen Bürgerinnen und Bürgern die Chance zu geben, ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben zu führen. Aus diesem Grund hat sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderungen alle Rechte und Freiheiten uneingeschränkt zu gewährleisten. Aus diesem Grund hat sich diese christlich-liberale Koalition in ihrem Koalitionsvertrag eindeutig positioniert: „Wir treten für eine tatsächliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben ein. Unser Ziel ist, die Rahmenbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderungen positiv zu gestalten. Voraussetzung hierfür ist unter anderem die Barrierefreiheit in allen Bereichen von Schule über Ausbildung bis zum Beruf sowie von Verkehr über Medien und Kommunikationstechnik bis hin zum Städtebau. Politische Entscheidungen, die Menschen mit Behinderungen direkt oder indirekt betreffen, müssen sich an den Inhalten der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen messen lassen. Deshalb werden wir einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen entwickeln.“ Wir haben Wort gehalten: Nach einem intensiven Beratungsprozess mit allen Beteiligten konnte im Jahr 2011 der angestrebte Nationale Aktionsplan verabschiedet werden, mit dem die UN-Behindertenrechtskonvention Schritt für Schritt umgesetzt werden wird. Insbesondere das Universelle Design ist ein zentraler Aspekt des Nationalen Aktionsplans. Auch in verschiedenen Antworten auf Anfragen der Opposition hat sich die Bundesregierung eindeutig zur Bedeutung behinderungskompensierender Technologien und dem Universellen Design bekannt. Ich verweise dazu auf die Antworten der Bundesregierung auf die Kleinen Anfragen erstens der Fraktion Die Linke „Nutzen-für-alle-Konzept umsetzen“, Drucksache 17/631, zweitens der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Forschung an behinderungskompensierenden Technologien am Arbeitsplatz“, Drucksache 17/4169, und drittens der Fraktion der SPD „Forschung und Entwicklung von behinderungskompensierenden Technologien und Universellem Design“, Drucksache 17/11793. In dem nun vorliegenden Antrag schlägt die SPD vor, Forschung und Entwicklung von behinderungskompensierenden Technologien, die sie „Technologien für alle“ genannt hat, und des Konzeptes des Universellen Designs – Design für alle – zu intensivieren. So sehr ich grundsätzlich von behinderungskompensierenden Technologien und dem Konzept des Universellen Designs überzeugt bin, so wenig glaube ich, dass die von der SPD geforderten Punkte einen hilfreichen Beitrag leisten können. Ich möchte meine Skepsis an einigen Punkten deutlich machen. Zunächst hadere ich mit der Definition des Universellen Designs. Der Nationale Aktionsplan beschreibt das Design für alle auf Seite 78 wie folgt: „‘Design für Alle‘ ist ein Konzept für die Planung und Gestaltung von Produkten und Umgebungen (zum Beispiel Gegenstände, Gebäude, öffentliche Wege, Straßen und Plätze, Anlagen und technische Einrichtungen), das es allen Menschen erlaubt, diese Produkte und Umgebungen so weit wie möglich ohne individuelle Anpassung oder eine besondere Assistenz zu benutzen.“ Eine ähnliche Definition enthält auch die UN-Behindertenrechtskommission in Art. 2. Der Präsident des EIDD – Design for All Europe –, Finn Petren, hat sich zu „Design für Alle“ allerdings wie folgt geäußert. „Oft werde ich gefragt, worum es beim Design für Alle eigentlich geht. Es gibt immer noch eine ganze Menge Leute, die Design für Alle als einen Versuch betrachten, mit von Designern gestalteten Produkten die größtmögliche Zielgruppe zu erreichen. Und dann gibt es jene, die denken, es ginge um Design für Menschen mit Behinderungen, um elegante Hilfsmittel und clevere Speziallösungen. Und für andere wiederum ist es lediglich ein anderer Ausdruck für Zugänglichkeit und Nutzerfreundlichkeit.“ So steht es im Gutachten „Impulse für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Orientierung von Unternehmen und Wirtschaftspolitik am Konzept Design für Alle“ welches 2009 im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie erarbeitet wurde. Und weiter heißt es dort in Übersetzung des Präsidenten: „Design für Alle definieren zu wollen, ist der Versuch, etwas zu erklären, was nicht definiert, nicht gemessen und ganz bestimmt nicht standardisiert werden kann. Design für Alle ist eine kreative Herausforderung und somit das Gegenteil von ‚one size fits all‘. Es ist ein Prozess mit spezifischen Ausgangsvoraussetzungen, kein fertiges Endprodukt“. Ich wiederhole die Kernthese gern noch einmal laut und deutlich: „ … und ganz bestimmt nicht standardisiert werden kann“. Hier liegt für mich das Problem. Prozesse, die in vielen europäischen Ländern und besonders in Deutschland schon mehr oder weniger erfolgreich verlaufen, in Formeln und Regularien pressen zu wollen sowie Forschungs- und Entwicklungsaufgaben eindeutig abzugrenzen, halte ich für äußerst schwierig bis unmöglich. Dies müsste aber einer, von der SPD in ihrem Antrag geforderten, nationalen Strategie zur Forschung und Entwicklung zugrunde liegen. Aufgrund der Definition und der Prinzipien des Universellen Designs handelt es sich dabei eben um einen facettenreichen Prozess, der sich innerhalb der Forschung und Entwicklung nur schwer abgrenzen lässt. Nun kann man diese Tatsache wie der Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) „Chancen und Perspektiven behinderungskompensierender Technologien am Arbeitsplatz“ (Bundestagsdrucksache 16/13860) als singuläre Forschungsanstrengungen interpretieren oder aber als vielfältige Anstrengungen, die dezentral an den Orten in der Industrie, Forschungseinrichtungen und Hochschulen durchgeführt werden, wo die Kompetenzen dafür vorhanden sind. Ich bin fest von der letzten Interpretation überzeugt. Aufgrund des Facettenreichtums und der Bedeutung als Querschnittthema gibt es eine Vielzahl von Förderanstrengungen, die einen Bezug auf das Universelle Design und die behinderungskompensierenden Technologien nehmen. In den Rahmenprogrammen „IKT 2020“ und „Gesundheitsforschung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gab und gibt es beispielsweise eine Vielzahl von Fördermaßnahmen, die Menschen mit Behinderungen zugutekommen können. So fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung im als Förderschwerpunkt bestimmten Zukunftsfeld „Mensch-Technik-Interaktion“ auf der Basis etablierter Schlüsseltechnologien die Entwicklung neuer bedarfsgerechter Lösungen, in denen menschliches Kommunizieren und Verhalten berücksichtigt wird. Mit 11,8 Millionen Euro werden neun Verbundvorhaben finanziell unterstützt. Ganz konkret werden etwa die Forschungsergebnisse des Verbundprojektes CoSiP („Entwicklung kompakter, höchst-miniaturisierter und energieeffizienter Systeme mittels Chip-Package-System Co-Design“) auf die Entwicklung neuer Hörgeräte angewendet. Die Ergebnisse des Verbundprojekts 9D-Sense („Autonomous Nine Degrees of Freedom Sensor Module“) sollen nach dem Abschluss 2014 für neue Kniegelenkprothesen angewendet werden. Allerdings, und das betont der TAB-Bericht ganz deutlich, sind die behinderungskompensierenden Techniken keine Garantie für eine erfolgreiche Inklusion: „Der Einsatz von bkT bewirkt nicht automatisch bessere Inklusionschancen für Menschen mit Behinderung. Oft lässt sich nur im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren auf der Ebene des Individuums und der umgebenden Umwelt ein nachhaltiger Effekt auf die Teilhabemöglichkeiten am Arbeitsleben erreichen.“ Nehmen wir das Beispiel der behinderungskompensierenden Technologien am Arbeitsplatz, die eine wichtige Rolle für die Verbesserung der Teilhabe behinderter Menschen spielen. Die Bedeutung ist gesellschaftlich anerkannt, und je nach Schwere und Art der Behinderung können verschiedene Hilfsangebote eingefordert und von den zuständigen Rehabilitationsträgern und Integrationsämtern erbracht werden. Es gibt auch bereits eine Vielzahl von Technologien an Hard- und Software am Markt. Es sind jedoch die Leistungsträger, die hier gefordert sind, auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben, um angepasste und einzelfallbezogene Lösungen zu finden. Das finde ich auch richtig und wichtig. Diese dezentralen Entscheidungsstrukturen gewährleisten, dass diejenigen die Verantwortung tragen, die nah am Menschen sind, sich in deren Situation hineinversetzen können, um passgenaue Lösungen zu finden. Unterstützend tätig wird die Bundesregierung, um den hohen Informationsbedarf zu decken, den die Komplexität der Bedarfe, Produkte und Prozesse hervorruft. Beispielhaft genannt werden kann an dieser Stelle die Datenbank REHADAT, die mit rund 8 Millionen Euro vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert wurde. Ich zitiere dazu aus der Antwort der Bundesregierung, Drucksache 17/11793, Seite 7: „REHADAT“ – das Informationssystem zur beruflichen Rehabilitation „sammelt und veröffentlicht Informationen zu den Themen Behinderung, Integration und Beruf. Alle Informationen gibt es kostenlos im Internet unter www.rehadat.de. Mehr als 86 000 Texte und 20 000 Bilder stehen in REHADAT zur Verfügung. REHADAT wird gefördert durch das BMAS aus Mitteln des Ausgleichsfonds und ist ein Projekt des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln). Aktuell neu ist die Datenbank „REHADAT Hilfsmittel“ (www.rehadat-hilfsmittel.de). In diesem Web-Portal sind mehr als 21 000 Produkte nach Bereichen wie Arbeitsplatz, Mobilität, Haushalt oder Kommunikation gruppiert und detailliert beschrieben. Bilder, Produktmerkmale, Hersteller- und Vertriebsadressen werden genannt. Ergänzt werden die Inhalte durch zahlreiche Gerichtsurteile (zum Beispiel Kostenübernahme), Literatur (Testberichte), Praxisbeispiele (zum Einsatz von Hilfsmitteln am Arbeitsplatz) und Adressen (Beratungsstellen). Besonders hilfreich ist die Rubrik „Infothek“. Sie enthält praxisorientierte Hintergrundinformationen dazu, wie man an das gewünschte Hilfsmittel kommt und wie die Finanzierung geregelt ist. Die Datenbank informiert auch über Forschungs- und Modellprojekte auf dem Gebiet der beruflichen Rehabilitation. Es werden laufende und abgeschlossene Projekte dokumentiert. Für jedes Projekt werden die Inhalte, die Namen und Anschriften der Forscher und die Veröffentlichungen beschrieben. Wenn forschende Institutionen über eine eigene Homepage verfügen, lässt sich diese direkt über einen Link aufrufen. Die Forschungsdatenbank wird in Zusammenarbeit mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation erstellt. Das BMAS veröffentlicht seit Jahren Forschungsberichte auf der Seite von REHADAT und verweist in einer Vielzahl von öffentlichen Unterlagen (Broschüren, Veröffentlichungen etc.) auf die entsprechenden REHADAT-Seiten.“ Dieses Beispiel steht stellvertretend für das gesamte Konzept des Universellen Designs. Es muss viel mehr darüber informiert und aufgeklärt werden. Der Nutzen und die Möglichkeiten müssen deutlicher werden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Wirtschaft ja primär für die Umsetzung der Forschungsergebnisse in Produkte und Dienstleistungen nach dem Universellen Design verantwortlich ist. Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Umsetzung des Konzepts Universelles Design bereits 2008/2009 durch das Forschungsprojekt „Impulse für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Orientierung von Unternehmen und Wirtschaftspolitik am Konzept Design für Alle“ gefördert. Unmittelbar im Anschluss daran hat das Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e. V. durch zehn Unternehmerkonferenzen in den Jahren 2010 bis 2012 insbesondere kleine und mittlere Unternehmen auf die längerfristigen Vorteile dieses Konzepts hingewiesen. Die Studie des Jahres 2009 hat gezeigt, dass erheblicher Konkretisierungsbedarf besteht, das Konzept des Universellen Designs in der unternehmerischen Praxis umzusetzen. Am 6. November 2012 wurde der Auftrag für ein weiteres Projekt zur Entwicklung handlungsleitender Kriterien für kleine und mittlere Unternehmen erteilt. Es wurde und wird also eine Vielzahl von Forschungsanstrengungen und Umsetzungsmaßnahmen unternommen. Ich kann derzeit keinen zusätzlichen Nutzen der von der SPD geforderten Maßnahmen erkennen. Ich unterstelle ja gerne meinen Kollegen „Bemühen“ und eine „gute Absicht“, aber erneut wird deutlich, dass die SPD mit ihrem grundsätzlichen Politikansatz der Überregulierung jeden Details des menschlichen Lebens weit über das Ziel hinausschießt. Insbesondere vor dem Hintergrund der sehr detaillierten und aussagekräftigen Antworten der Bundesregierung auf die Vielzahl der Kleinen Anfragen der Opposition erkenne ich in dem Antrag keine neuen Aspekte. Das ist sicher ein hervorragender Beitrag im Wahlkampfjahr, aber eben wegen der Herauslösung weniger Aspekte aus dem Gesamtzusammenhang letztendlich für das eigentliche Anliegen nicht besonders hilfreich. Ich erinnere einmal an die Erfolge in den vergangenen Jahren zum Thema der Barrierefreiheit, ein Aspekt, der sich inzwischen weltweit in einschlägigen Standards, Normen und Regeln niedergeschlagen hat. Doch wie sieht es in unserem Alltag aus? Da wird die gegebene Barrierefreiheit oft genug einfach missachtet und eingeschränkt. Abgesenkte Bordsteine sind überall zugeparkt, rollstuhlgerechte Türen unzumutbar verräumt, Fahrstühle und Rolltreppen sind monatelang nicht in Betrieb. Die davon Betroffenen bleiben allein, oft bleibt nur ein mühsamer und mitunter erfolgloser Spießrutenlauf. Aus meiner Abgeordnetensprechstunde sind mir zahlreiche, mitunter haarsträubende Fälle bekannt; oft konnte ich kurzfristig und unbürokratisch helfen. Hier liegen auch unsere Defizite, Standards wirksam umzusetzen und gemeinsam mit den Betroffenen nach wirksamen Lösungen zu suchen, um die gesetzlichen Grundlagen erfolgreich in unserem Zusammenleben umzusetzen. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): In der heutigen Debatte beschäftigen wir uns mit dem Antrag der Kollegen der SPD zum Konzept des „Designs für Alle“ als Grundlage für die Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft. Ich freue mich über eine Debatte zu diesem wichtigen, uns alle angehenden Thema. Wenn man also über dieses „Design für Alle“ diskutiert, ist man schnell bei der entscheidenden Frage: Wie können wir die Lebensumwelt für alle Menschen und in allen Bereichen barrierefrei gestalten? Wie weit reicht das „Design für Alle“, wie weit muss, kann und soll es reichen? „Eine barrierefrei zugängliche Umwelt ist für etwa zehn Prozent der Bevölkerung entbehrlich, für circa 40 Prozent notwendig und für 100 Prozent komfortabel.“ Dieses Zitat beschreibt anschaulich, was der Begriff „Design für Alle“ meint. Das „Design für Alle“ vereinfacht das Leben aller Menschen, weil es sich nicht nur auf die Vermeidung von Barrieren für ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung beschränkt, sondern auch die Bedürfnisse verschiedener Altersgruppen und Kulturkreise berücksichtigt. Dahinter steckt der Gedanke an eine Barrierefreiheit auf allen Ebenen, die wir in der Politik mit geeigneten Maßnahmen unterstützen. Um „Design für Alle“ im Alltag gangbar zu machen, müssen Produkte und Dienstleistungen also für alle Menschen zugänglich und nutzbar sein. Dazu sollen keine speziellen Anpassungen notwendig werden. Bereits in der Phase der Konzeption und Entwicklung müssen Alltagsprodukte und Dienstleistungen aus sich heraus so geschaffen sein, dass sie später nicht mehr für spezielle Bedürfnisse nutzbar gemacht werden müssen. Die gesetzliche Umsetzung des „Designs für Alle“ findet sich in Art. 2 der UN-Behindertenrechtskonvention. Deutschland hat diese Konvention ratifiziert und sich damit dazu verpflichtet, ein universelles Design sowie die Entwicklung und Verfügbarkeit neuer Technologien zu fördern. Mit der Anerkennung der Verpflichtung aus der UN-Behindertenrechtskonvention besteht unser erklärtes Ziel darin, Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen, Einschränkungen oder Diskriminierungen zu gewährleisten und eine umfassende Teilhabe zu fördern. Im Koalitionsvertrag haben wir das Thema gestärkt und vereinbart, Vorhaben in den Bereichen Bildung, Ausbildung und Beruf, Verkehr und Tourismus, Medien und Kommunikationstechnik bis hin zum Städtebau zu befördern. „Wir treten für eine tatsächliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben ein. Unser Ziel ist, die Rahmenbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderungen positiv zu gestalten. Voraussetzung hierfür ist unter anderem die Barrierefreiheit in allen Bereichen von Schule über Ausbildung bis zum Beruf sowie von Verkehr über Medien und Kommunikationstechnik bis hin zum Städtebau. Politische Entscheidungen, die Menschen mit Behinderungen direkt oder indirekt betreffen, müssen sich an den Inhalten der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen messen lassen. Deshalb werden wir einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen entwickeln.“ Um dies zu erreichen, setzen wir zunächst bei der Erforschung und Entwicklung sogenannter einschränkungskompensierender Technologien an. Diese bilden die Grundlage, um das universelle Design in alle Lebensbereiche zu integrieren. So können Güter, Geräte und Einrichtungen in universellem Design entwickelt werden. Der von den Kollegen der SPD vorgelegte Antrag fordert den Bund auf, eine nationale Strategie zur Forschung und Entwicklung von Technologien und „Designs für Alle“ zu beschließen und in einen Nationalen Aktionsplan münden zu lassen. So sehr ich das Anliegen der Opposition grundsätzlich begrüße und wir uns in der Zielsetzung einer inklusiven Gesellschaft auch sicherlich einig sind, so sehr bin ich davon überzeugt, dass die Forderungen der SPD in diesem Zusammenhang nicht erfolgversprechend und daher auch nicht sehr sinnvoll sind. Der Bund ist bei den Forschungsvorhaben und Projekten in allen Ressorts bereits engagiert und aktiv tätig. So fördert er beispielsweise Modellvorhaben und Projekte wie das INCOBS – Informationsportal Computerhilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte – oder die Datenbank REHADAT, die zum Ziel haben, den Hilfsmittelmarkt transparent darzustellen und als nützliche Hilfswerkzeuge von allen Beteiligten an der beruflichen Integration schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben genutzt werden können. In den Rahmenprogrammen „IKT 2020“ und „Gesundheitsforschung“ sind beim Bundesministerium für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung mehrere Förderschwerpunkte angelegt, in denen derzeit Projekte gefördert werden, die Technologien bzw. Forschungsvorhaben aufgreifen, die zur Kompensation von Behinderungen geeignet bzw. die die Grundlagen schaffen, auf denen behinderungskompensierende Technologien entwickelt werden können. Zu diesen Rahmenprogrammen gehören circa 130 Projekte bzw. Teilprojekte mit einem Bezug zu behinderungskompensierenden Technologien. Das Bundeswirtschaftsministerium hat darüber hinaus im Jahr 2011 eine Studie mit dem Thema Impulse für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Orientierung von Unternehmen und Wirtschaftspolitik am Konzept für „Design für Alle“ veröffentlicht, die die wirtschaftlichen Vorteile für Unternehmen aufzeigt, die sich am Konzept des „Designs für Alle“ orientieren. Regelmäßig finden Konferenzen statt, die die Ergebnisse der Studie verbreiten und Entscheidungsträger in der Wirtschaft für dieses Thema sensibilisieren sollen. Ein letztes Beispiel von vielen möchte ich aus dem Bereich der Gehörlosigkeit benennen, für den die Erforschung der Avatartechnologie von großer Bedeutung ist. Im Zuge der Evaluation des Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wird in diesem die Machbarkeitsstudie des Bundesarbeitsministeriums Aufschluss darüber geben, inwieweit Gebärdenavatare eingesetzt werden können. Wie Sie sehen, liebe Kollegen der SPD – ich hoffe, ich konnte das verdeutlichen –, ist der Bund nicht untätig. Das Thema des „Designs für Alle“ geht uns alle an und lässt niemanden unberührt. Unsere Umwelt barrierefrei zu gestalten, ist für jeden von uns zunehmend wichtig. Gemeinsam stehen wir für eine inklusive Gesellschaft ein, aber der hier zu beratende Antrag ist nicht ausschließlich geeignet, eine solche auch Wirklichkeit werden zu lassen. Es ist sicherlich noch ein weiter, nicht einfacher Weg hin zu einer universell designten Lebenswelt, dennoch werden wir diesen konsequent weiter beschreiten. Oliver Kaczmarek (SPD): Das Konzept der Inklusion, der Teilhabe behinderter Menschen, wird mehr und mehr öffentlich debattiert. Das ist sehr erfreulich. Jedoch bleibt noch viel zu tun, bis Inklusion tatsächlich in der Mitte unserer Gesellschaft verankert und tägliche Lebensrealität und somit Normalität sein wird. Inklusion bedeutet nicht nur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in bestimmten, sondern eben in allen Lebensbereichen. Dafür braucht es Barrierefreiheit. Dieser Begriff lässt zunächst an Rampen für Rollstuhlnutzer in Behörden oder Museen denken. Auch barrierefreies Internet rückt immer mehr in den Blickpunkt. Den wenigsten Menschen, die nicht täglich durch spezifische Einschränkungen damit konfrontiert werden, ist jedoch bewusst, welch kleine alltägliche Details Menschen in ihrem Leben einschränken können. Barrierefreiheit muss tatsächlich bedeuten, dass sie jeden Lebensbereich umfasst, und darf nicht an vermeintlichen Kleinigkeiten scheitern. Für eine solche umfassende Barrierefreiheit brauchen wir Produkte, die so konzipiert sind, dass sie von jedem genutzt werden können. Einige wenige Produkte gibt es bereits. Sie sind nach dem Konzept des „Designs für Alle“ entstanden. „Design für Alle“ bedeutet die Gestaltung von Produkten, Dienstleistungen, Umfeldern und Programmen mit dem Ziel, dass diese von allen Menschen möglichst weitgehend ohne eine Anpassung genutzt werden können. Die Gestaltung erfolgt anhand der sieben Prinzipien breite Nutzbarkeit, Flexibilität in der Benutzung, einfache und intuitive Benutzung, sensorisch wahrnehmbare Informationen, Fehlertoleranz, niedriger körperlicher Aufwand sowie Größe und Platz für Zugang und Nutzung. Lassen Sie mich an dieser Stelle zur Veranschaulichung einige Beispiele nennen: Das Unternehmen WMF hat eine kleine Kaffeepadmaschine konzipiert, die gut zu transportieren und sehr benutzerfreundlich ist. Die Maschine hat nur eine einzige große Taste, sie ist für eine Tasse ausgelegt, und der Tank fasst genau soviel Wasser, wie für diese eine Tasse benötigt wird. Das Unternehmen Edeka hat mit seinem Supermarkt der Generationen ein kundenfreundliches Konzept für alle Verbraucher entworfen, das sich unter anderem auszeichnet durch Verbreiterung der Gänge und Kassenzonen, Absenkung der Regalhöhen, bessere Be- und Ausleuchtung, Einrichtung von Ruhezonen, Leselupen an den Regalen, sprechende Waagen, spezifische Schulungen des Personals, Serviceknöpfe, Leitleisten für Blindenstöcke, Beschriftung der Regale in Blindenschrift und vieles mehr. Das Unternehmen Joseph Vögele hat einen Asphaltfertiger entwickelt, eine Maschine, mit der sich ungebundene und gebundene Schichten wie zum Beispiel Sand, Schotter, Asphalt und Beton herstellen lassen. Dieser zeichnet sich insbesondere durch einen ergonomisch gestalteten, bequem auf den jeweiligen Fahrer einzurichtenden Bedienstand und moderne, intuitive Bedienkonsolen aus. Die Tasten können blind erfühlt werden. „Design für Alle“ gewinnt in dieser Hinsicht vor dem Hintergrund des demografischen Wandels der Gesellschaft besondere Bedeutung. Die Menschen werden immer älter, und mit dem Alter kommen zumeist körperliche Einschränkungen. „Design für Alle“ verhindert, dass diese Einschränkungen zu einer Barriere im Alltag werden, die Teilhabe verhindert. Die UN-Behindertenrechtskonvention fordert unter der Bezeichnung „Universelles Design“ die Umsetzung genau solcher Lösungen, die eigentlich zum Nutzen aller selbstverständlich sein sollten. Die Bundesregierung hat diese Forderung auch brav in ihren Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention übernommen, wenn auch nur für wenige Teilbereiche. Aber es reicht nun einmal nicht aus, etwas schriftlich zu fixieren. Seitdem ist nichts passiert. Wann soll denn „Design für Alle“ in Deutschland umfassend umgesetzt werden? Und vor allem: Wie soll es umgesetzt werden? Die schlichte Wahrheit ist: Schwarz-Gelb hat entgegen ihren Ankündigungen im Nationalen Aktionsplan nicht vor, in diesem Bereich tätig zu werden. Machen wir uns dennoch nichts vor: Selbst bei der bestmöglichen und umfassendsten Umsetzung des „Designs für Alle“ wird es immer ganz spezifische Einschränkungen und Behinderungen geben, die sich dadurch nicht ausgleichen lassen. Wir benötigen also Technologien, die helfen, diese Einschränkungen zu kompensieren. Technologien, die ungeachtet von Behinderungen den Betroffenen bei ihrer Arbeitsausübung, aber auch im täglichen Leben Eigenständigkeit ermöglichen. Solche Technologien sind beispielsweise baulich integrierte Induktionsanlagen für Hörgeräte oder aktivierende und kraftunterstützende Bewegungshilfen. Obwohl es schon lange gefordert und sogar von unserer Bundesregierung großspurig angekündigt wird, stehen wir bei Technologien und „Design für Alle“ noch ganz am Anfang. Forschung und Entwicklung in diesem Bereich findet in Deutschland zum Großteil in der Wirtschaft statt, und das auch nur in einigen wenigen Unternehmen. Das darf nicht länger so bleiben. Gutachten zeigen, dass Unternehmen, die das Konzept „Design für Alle“ konsequent umsetzen, damit wirtschaftlich überaus erfolgreich sind. Diese Best-Practice-Beispiele müssen Ansporn und Ermutigung sein für alle Unternehmen in Deutschland. Wir fordern deshalb einen strukturierten und nachhaltigen Forschungsansatz. Deutschland braucht eine nationale Strategie zur Forschung und Entwicklung von Technologien und „Design für Alle“. Diese muss Teil eines neuen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK werden. Gezielte Förderung und Intensivierung dieser Forschung können wir durch die Einrichtung einer öffentlich geförderten Agentur, die alle Forschungsansätze zusammenführt, und durch die Etablierung einer eigenen Förderlinie erreichen. Für umfassende Barrierefreiheit im Internet muss die Verpflichtung der Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nicht nur auf weitere behördliche Internetseiten ausgeweitet werden. Das Konzept des „Designs für Alle“ muss zudem als Querschnittsaufgabe in allen Bundesministerien verankert werden. Besonders wichtig ist auch die Verankerung des Konzeptes „Technologien für Alle“ und „Design für Alle“ in der Ausbildung sämtlicher relevanter Berufsfelder. Inklusion in Deutschland ist machbar! Unsere Gesellschaft braucht Inklusion – zum Nutzen aller. Lassen Sie uns gemeinsam vorangehen! Dr. Peter Röhlinger (FDP): Politik für Menschen mit Behinderung ist für mich schon lange kein Minderheitenthema mehr. Menschen mit Behinderungen sind Teil unserer Gesellschaft. Insofern ist es unsere vordringliche Aufgabe, eine vollständige Teilhabe dieser Menschen am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten. Ich teile durchaus die Aussage des Berichts des Büros für Technikfolgenabschätzung zu „Chancen und Perspektiven behinderungskompensierender Technologien am Arbeitsplatz“, der genau das als eine gesamtgesellschaftliche Gestaltungsaufgabe beschreibt. Doch wir beschreiten auf diesem Weg längst kein Neuland mehr. Vieles, was völlig zu Recht noch vor zwanzig und mehr Jahren von Betroffenen und Behindertenverbänden kritisiert und gefordert wurde, hat in unser alltägliches Leben Einzug gehalten und wird von Vielen gar nicht mehr bewusst wahrgenommen. Verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, es gibt noch viel zu tun. Dem aufmerksamen Beobachter fallen aber durchaus die vielen Veränderungen im öffentlichen Raum und in öffentlichen Gebäuden mit ihrer Barrierefreiheit und zunehmend auch durch ihr „Design für Alle“ auf. Ich erinnere mich sehr genau an ein vor kurzem aufgetretenes Problem. Wir hatten in unserem Hohen Haus eine große Zahl von Rollstuhlfahren zu Gast. Es kam die Frage auf, wie wir im Falle eines Brandes unsere Gäste schnell evakuieren können. Vor einigen Jahren hätte aber die Frage noch gelautet: Wie kommen sie überhaupt in die Tagungsräume? Der barrierefreie Zugang ist über schiefe Ebenen, den Wegfall von Schwellen, sich selbst öffnende Türen, Aufzüge mit erreichbaren Bedienfeldern gewährleistet. Und, schaut man genau hin, befinden sich auf fast allen Bedienelementen der Aufzüge auch für Blinde lesbare Schriftzüge und akustische Anzeigen. Allein diese kleinen Beispiele zeigen, dass es durchaus machbar ist, „Multiple-use-Lösungen“ in der Breite zu finden und auf sehr vielen Gebieten umzusetzen. Der Entwurf von Produkten und Lebenswelten, die weitestgehend von jedermann benutzt werden können, ohne dass die Notwendigkeit der Anpassung oder eines speziellen Designs besteht, ist ein geeigneter Ansatz. Das Konzept des „Designs für Alle“ als eine Weiterentwicklung des Prinzips der Barrierefreiheit setzt ganz bewusst auf die Analyse des Bedarfs und der Wünsche der Menschen. Ich hatte vor einiger Zeit gelesen, dass „Design für Alle“ ein Gestaltungsprozess ist, der darauf abzielt, eine barrierefreie Zugänglichkeit und Nutzbarkeit für möglichst alle Menschen zu erreichen. Das bedeutet, dass die gebaute Umwelt, Produkte und Dienstleistungen so gestaltet sein sollen, dass sie sicher, gesund, funktional, leicht verständlich und ästhetisch sowohl anspruchsvoll als auch nachhaltig sind und daher die menschliche Vielfalt berücksichtigen und sich nicht diskriminierend auswirken. Für mich ist das ein Zeichen eines sich schrittweise vollziehenden Paradigmenwechsels, weg vom Fürsorgeprinzip zu immer mehr Selbstbestimmung und Teilhabe der Menschen mit Behinderungen. Jedoch ist eine wichtige Voraussetzung für mehr Selbstbestimmung eine möglichst dauerhafte Teilhabe am Arbeitsleben, die für Menschen mit Behinderung oft weit mehr bedeutet als nur eine eigene finanzielle Lebensgrundlage. Und hier gibt es zwischen Menschen mit und ohne Behinderung noch erhebliche Unterschiede. Genau darum müssen wir den eingeschlagenen Weg konsequent fortführen. Es gilt das Bewusstsein aller Mitglieder unserer Gesellschaft auf die Frage zu lenken: Wie würde ich mich in meiner Lebensumwelt zurecht finden, wenn ich eine oder mehrere Behinderungen hätte? Mit dieser Frage sollten wir schon die Kinder, die Jugendlichen, die Schüler, die Auszubildenden, die Studenten und die Entwicklungsingenieure konfrontieren. Eine inklusive Gesellschaft, wie wir sie uns vorstellen, muss sich daher auch der Entwicklung und dem verstärkten Einsatz von behinderungskompensierenden Technologien, bkT, annehmen. Es geht also um die Frage: Wie geht ein Mensch mit einer oder mehreren Behinderungen mit dem von mir entwickelten Produkt um, und ist es für „multiple use“ geeignet? Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, ebenso deutlich: Hierfür brauchen wir keinen bürokratisch aufgeblähten Überbau. Völlig richtig fordern Sie, die Implementierung des Konzepts „Design für Alle“ als Führungsaufgabe in allen Bundesministerien zu verankern. Es ist auch richtig, darauf hinzuwirken, dass in den bestehenden Forschungs- und Entwicklungsstrukturen das Konzept „Design für Alle“ Einzug halten muss. Einer eigenen Förderlinie über die bestehenden Instrumente hinaus stehe ich jedoch kritisch gegenüber. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Das in Deutschland noch immer zu wenig beachtete Konzept „Design für Alle“, auch „Universelles Design“ oder „Nutzen-für-alle-Konzept“ genannt, hat eine inklusive Gesellschaft im Blick. Wesentlicher Aspekt dabei ist Barrierefreiheit auf allen Ebenen. Bauten, Gebrauchsgegenstände, Informations- und Kommunikationssysteme sowie Dienstleistungs- und Verkehrsangebote sollen für möglichst alle Menschen leicht erreichbar, zugänglich und nutzbar sein. „Design für Alle“ versteht sich als Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunftsentwicklung, welche die Verschiedenartigkeit und Lebensqualität aller Menschen berücksichtigt. Barrieren, die Menschen an der gesellschaftlichen Teilhabe behindern, werden als Diskriminierung identifiziert. „Design für Alle“ fordert darüber hinaus eine Analyse der individuellen Bedarfe, die Einbindung der Endverbraucherinnen und Endverbraucher in Entstehungsprozesse und insgesamt eine nachhaltige Gestaltung aller Lebensbereiche inklusive einer teilhabeorientierten Stadtentwicklung. So sollen zum Beispiel Gebäude nicht nur barrierefrei, sondern auch dergestalt entworfen sein, dass sie soziale Interaktion fördern. Auf Initiative des Europäischen Rates für behinderte Menschen erarbeitete das Netzwerk des „Design für Alle“, in dem unter anderem Architekten, Designer, Ingenieure, Stadtplaner, Behindertenverbände zusammengeschlossen sind, das „Europäisches Konzept für Zugänglichkeit“, das in einigen Ländern der Überarbeitung nationaler Richtlinien dient. Ich meine: Die systematische Schaffung von Barrierefreiheit soll nicht länger als „lästiges Übel“ missverstanden, sondern als Herausforderung an die Kreativität von Designern, Architekten, Ingenieuren usw. angenommen werden. Menschen mit Behinderungen und ihre Organisationen als Experten in eigener Sache müssen dabei als gleichberechtigte und gleich kreative Mitgestalterinnen und Mitgestalter aktiv einbezogen, ja hochwillkommen sein. Dann entstehen im Ergebnis innovative Produkte, die für jeden Mann und jede Frau leicht handhabbar sind. Der Nutzen liegt also bei allen. Nach der UN-Behindertenrechtskonvention Art. 4 Abs. 1 Buchstabe f ist die Bundesregierung verpflichtet, Forschung und Entwicklung für Güter, Dienstleistungen, Geräte und Einrichtungen in universellem Design zu fördern sowie sich bei der Entwicklung von Normen und Richtlinien für universelles Design einzusetzen. Dies wissen manche in der Bundesregierung leider immer noch nicht. Ein Beispiel: Auf meine Frage: „In welcher Weise begleitet und unterstützt die Bundesregierung die Schaffung von Barrierefreiheit im nationalen sowie im grenzüberschreitenden Fernbuslinienverkehr?“ im Bundestag am 20. Februar dieses Jahres antwortete die Bundesregierung: „Nach § 42 b in Verbindung mit § 62 Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz müssen neue Omnibusse ab dem 1. Januar 2016 mit mindestens zwei Stellplätzen für Rollstuhlnutzer ausgerüstet sein. Ab dem 1. Januar 2020 gilt dies für alle Omnibusse, die im Fernbuslinienverkehr eingesetzt werden. Diese Vorschrift gilt nicht für den grenzüberschreitenden Linienverkehr innerhalb der Europäischen Union. Die Bundesregierung wird auf der Grundlage eines vom Deutschen Bundestag in seiner 195. Sitzung am 27. September 2012 verabschiedeten Entschließungsantrags und nach dessen Maßgaben prüfen, ob auf EU-Ebene Regelungen geschaffen oder verbessert werden sollen, die einen europaweit einheitlichen barrierefreien Fernbuslinienverkehr gewährleisten. Je nach Ergebnis der Prüfung wird die Bundesregierung gegebenenfalls die Initiative für eine Änderung der betreffenden Regelungen ergreifen ...“ Einmal abgesehen von den vielen – für mich unakzeptablen – Einschränkungen und Ausnahmeregelungen im Personenbeförderungsgesetz: Begleitende Maßnahmen zur Forschung und Entwicklung barrierefreier Busse und für eine Anschubfinanzierung gibt es nicht. Bundesverkehrsminister Dr. Ramsauer (CSU) lässt die Busunternehmen und Bushersteller in dieser Frage allein. Wie es mit der diesbezüglichen Umsetzung in Deutschland steht, hat die Fraktion Die Linke die Bundesregierung in einer Kleine Anfrage „Nutzen-für-alle-Konzept umsetzen“ bereits am 15. Dezember 2009 auf Drucksache 17/293 gefragt. Nimmt man die Antworten auf Drucksache 17/631 vom 3. Februar 2010, ist die Bundesregierung engagiert und auf der Höhe der Zeit. Vergleicht man die Antworten mit dem wirklichen Leben, mit den Alltagserfahrungen von mir und vielen weiteren Menschen mit Behinderungen, tun sich Widersprüche und Fragen auf. Deswegen unterstützt die Linke den nun vorliegenden Antrag der SPD, der ebenso wie die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD zum universellen Design auf Drucksache 17/11793 vom 10. Dezember 2012 die Diskussion in Politik, Verwaltungen, Wirtschaft, Wissenschaft und andere Bereiche der Gesellschaft befördern wird. Zum Nutzen aller! Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Antrag der SPD verfolgt ein auch für uns zentrales Thema: Die forschungs- und wissenschaftspolitische Ausgestaltung der technologischen Dimension von Inklusion. Durch Inklusion wird unsere Gesellschaft gerechter, offener und menschlicher. Sie erfordert es, neben den gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen auch die in der Gesellschaft zentralen Technologien und Gestaltungsprinzipien so zu verändern, dass sie der Vielfalt der menschlichen Fähigkeiten von Anfang an Rechnung tragen, indem sie allen Menschen gleichermaßen zugänglich sind. Die umfassende Teilhabe am Sozial- und Arbeitsleben bedarf der technologischen Beseitigung behindernder Faktoren. Inklusion ist damit zweifelsohne ein Anwendungsbereich innovativer Forschung und Entwicklung, der vorbildhaft den individuellen wie gesamtgesellschaftlichen Nutzen von Innovationen illustriert. Nicht zuletzt aufgrund der demografischen Alterung und der damit einhergehenden Zunahme von Menschen mit Behinderungen wächst die Notwendigkeit, dass Forschung, Entwicklung und Wissenstransfer im Bereich der behinderungskompensierenden Technologien für das Ziel einer inklusiven Gesellschaft verstärkt und sie stärker in sämtlichen Bereichen umgesetzt werden. Das reicht von multimodaler Interaktion bei Informations- und Kommunikationstechnologien und der Berücksichtigung im öffentlichen Personennahverkehr bis zur Berücksichtigung bei der Planung von Arbeitsprozessen und -umgebungen. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir den Antrag der SPD zur Ermöglichung von Teilhabe von Menschen mit Behinderungen durch Technologien und „Design für Alle“. Er bezieht sich auf den von unserer Fraktion in der letzten Wahlperiode initiierten TA-Bericht „Chancen und Perspektiven behinderungskompensierender Technologien am Arbeitsplatz“ (Drucksache 16/13860) und greift die darin enthaltenen Aspekte auf. Vor dem Hintergrund des TA-Berichtes verwundert es aber, dass die SPD das Thema nicht in seiner ganzen Bandbreite in Angriff nimmt. Denn umfassende Teilhabe setzt einen integrativen technologischen Ansatz voraus: Neben den in dem Antrag zentralen Konzepten von Technologie und „Design für Alle“, die sich auf die Beseitigung von Beschränkungen in der Umwelt und Umgebung beziehen, bedarf es auch assistiver Technologien auf der individuellen Ebene. Der notwendigen Integration beider Ansätze wird der SPD-Antrag nicht gerecht und erkennt nicht den diesbezüglichen Forschungsbedarf. Hier greift der Antrag in seiner Einengung auf Technologien und „Design für Alle“ noch zu kurz. Auch zu kurz greift der Antrag bei der Stoßrichtung seiner Forderungen. Der Antrag fordert unter anderem die Bundesregierung auf, eine nationale Strategie zu entwickeln, Forschung an Technologien und „Design für Alle“ zu intensivieren – unter anderem durch eine eigene Förderlinie und gezielte Anreize im Rahmen des Beschaffungswesens – und das Thema als Querschnittsaufgabe voranzutreiben sowie es in der Ausbildung zu verankern. Der Antrag benennt jedoch nicht, welche Fragestellungen konkret angegangen werden sollen; dabei ist gerade diese Frage für den Inklusionsansatz von zentraler Bedeutung. So fehlt aus unserer Sicht zum Beispiel die im ersten Schritt notwendige empirische Bedarfserhebung, damit die Forschung in dem Bereich nicht an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbeigeht. Bereits Anfang 2011 hat die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Forschung an behinderungskompensierenden Technologien am Arbeitsplatz“ auf Drucksache 17/4169 gezeigt, dass die Bundesregierung ihrer Verantwortung für eine solche koordinierte Bedarfserhebung nicht nachkommen will. Es bedarf der Stärkung der Bedarfsforschung und der Anwendungsanalysen sowie der Identifikation von Implementierungslücken. Letztere wurde bereits 2011 von der Bundesregierung angekündigt – ebenso wie die Erarbeitung von Maßnahmepaketen, um den Transfer von der Modellphase in die Regelversorgung zu beschleunigen. Die Bundesregierung kommt stets mit Ankündigungen – diesen jedoch offenbar nicht mehr hinterher. Auch die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderungen ist nicht hinreichend empirisch erfasst und von daher keine Markt- und Potenzialanalyse möglich. Dies sowie die bereits genannte Integration verschiedener Ansätze behinderungskompensierender Technologien fehlt in dem Antrag. Auch die Rolle der Rehabilitationsträger wird nicht gebührend beschrieben – ebenso wenig wie der notwendige Wissenstransfer aus anderen Bereichen in die Forschung an behinderungskompensierenden Technologien. Wir würden dem Antrag gerne aufgrund der Bedeutung behinderungskompensierender Technologien für eine inklusive Gesellschaft zustimmen, doch fehlen uns im Antrag die genannten Elemente sowie eine stärkere Auseinandersetzung mit dem konkreten Handlungsbedarf. Anders als die SPD halten wir es für sinnvoll, einen mehrdimensionalen Ansatz im Bereich behinderungskompensierender Technologien zu verfolgen und das Thema nicht auf Technologien und „Design für Alle“ einzuengen. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise muss neben der Einbeziehung der bereits skizzierten Themen auch weitere Fragestellungen einschließen, wie zum Beispiel Fragen des Urheberrechts in Bezug auf Studienmaterialien, die für sehbehinderte Menschen digital zur Verfügung gestellt werden sollen. In den Ausschussberatungen werden wir auch die Möglichkeit haben, noch einmal zu diskutieren, ob eine eigene Förderlinie tatsächlich der richtige Weg ist. Denkbar wäre es auch, das Thema behinderungskompensierender Technologien stärker in andere Förderlinien mit anwendungsorientierten Forschungsvorhaben zu integrieren. Eine zu starke Einengung der Forschungsförderung verkennt die Breite der Thematik, die von der Zugänglichkeit im Bereich E-Learning bis hin zu Berücksichtigung des „Designs für Alle“ bei der Stadtplanung und im Bauordnungsrecht reicht. Für das Ziel einer inklusiven Gesellschaft wird es darauf ankommen, die möglichst umfassende Teilhabe aller Menschen und ihrer jeweiligen Fähigkeiten in den verschiedensten lebens- und arbeitsweltlichen Umgebungen technologisch zu ermöglichen. Diesbezüglich stehen wir vor einer großen Herausforderung. Es gilt, die Ansätze behinderungskompensierender Technologien zu integrieren und ihre jeweiligen Kontexte bei Forschung, Entwicklung und Umsetzung mitzudenken und hierbei unterschiedliche Anwenderinnen- und Anwendergruppierungen einzubeziehen. Es ist zu begrüßen, dass die SPD nun die in der letzten Wahlperiode von uns im Bundestag begonnene Debatte mit einem Antrag aufgreift. Wir werden nun gemeinsam das Thema fortführen und die Bundesregierung an ihre Verantwortung erinnern. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13085 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften – Drucksache 17/11473 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/13139 – Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Gerold Reichenbach Manuel Höferlin Frank Tempel Dr. Konstantin von Notz – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/13140 – Berichterstattung: Abgeordnete Stefanie Vogelsang Dr. Peter Danckert Dr. Florian Toncar Roland Claus Katja Dörner Hierzu soll eine halbe Stunde debattiert werden. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Ole Schröder. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die gerade erschienene Zukunftsstudie Münchner Kreis fragte nach den Bedürfnissen der Menschen im digitalen Zeitalter. In Bezug auf E-Government, also in Bezug auf die Kommunikation mit den Behörden, waren den Bürgerinnen und Bürgern vor allem zwei Dinge wichtig, nämlich ein einfaches Verfahren und ein zuverlässiges Verfahren. Aber wie sieht die Realität in unseren Behörden aus? Der Wille der Bürger, elektronische Bürgerdienste zu nutzen, ist groß. 51 Prozent der Bürger nutzten 2012 für den Kontakt mit den Behörden das Internet. Die Behörden sind in der Tat zwar gut, wenn es darum geht, Informationen zur Verfügung zu stellen. Aber nur 15 Prozent der Bürger konnten ausgefüllte Formulare elektronisch an die Behörden zurücksenden. Im Verkehr mit den Behörden gilt eben noch immer: Anträge sind vom Bürger zu unterschreiben. Bescheide kommen per Post. Formulare müssen ausgedruckt, unterschrieben und anschließend per Post oder per Fax versendet werden, und das, obwohl es mit der qualifizierten elektronischen Signatur seit fast zehn Jahren eine elektronische Alternative zur Unterschrift gibt. Aber die qualifizierte elektronische Signatur ist sehr schwierig einzusetzen. Sie ist nicht intuitiv anzuwenden. Deshalb hat sie sich bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht durchgesetzt. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Das Herzstück des E-Government-Gesetzentwurfs, den wir heute beraten, besteht deshalb darin, neben der qualifizierten elektronischen Signatur zwei weitere sichere technische Verfahren einzuführen, um die Schriftform zu ersetzen. Beim ersten Verfahren können elektronische Formulare, die von den Behörden zuhauf online auf den jeweiligen Seiten zur Verfügung gestellt werden, in Verbindung mit der elektronischen ID-Funktion des neuen Personalausweises versendet werden. Damit kann der Bürger zum Beispiel Formulare zur Gewerbeanmeldung, zur Schulanmeldung, zur Kindergartenanmeldung online ausfüllen und versenden. Das gilt auch für die dazugehörigen Anlagen. Es nützt nämlich nichts, wenn man zwar das Formular online ausfüllen kann, aber die Anlagen per Post versenden muss. Dann kann man das Formular auch gleich per Post versenden. Das zweite Verfahren ist die De-Mail mit der Versandoption „Absender bestätigt“, das ebenfalls ein sicheres Verfahren ist, weil man sich natürlich anmelden muss. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Im parlamentarischen Verfahren haben wir auf Wunsch der Länder über eine Verordnungsermächtigung die Möglichkeit geschaffen, sehr schnell neue Verfahren, die sich unter Umständen auf europäischer Ebene etablieren werden, einzuführen, um auch hier reagieren zu können. Lassen Sie mich noch etwas zur Kritik an dem De-Mail-Verfahren sagen. Bei ganz sensiblen Daten ist eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung selbstverständlich vorzugswürdig; darauf weisen wir in der Begründung dieses Gesetzentwurfs auch hin. Jeder Bürger hat die Möglichkeit, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu nutzen; daran wird durch dieses Gesetz niemand gehindert. Es wäre aber ein schwerer Fehler, diesen hohen Standard für alle Verwaltungsverfahren verpflichtend zu machen. Es gibt viele Vorgänge, bei denen diese Verschlüsselung überhaupt keinen Sinn machte, beispielsweise wenn ein Bürger einen Anwohnerparkausweis beantragt; diese Daten sind wohl kaum so interessant, dass sich ein Hacker dafür interessieren würde. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen vielleicht schon!) Wenn der Bürger meint, dass es sich um zu sensible Daten handelt, kann er ja die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nutzen; aber wir wollen ihn eben nicht dazu zwingen. Denn wenn wir keine einfachen und sicheren Verfahren ermöglichen, dann verschickt der Bürger am Ende ein Fax – wie sicher das ist, weiß jeder: Ein Fax ist die unsicherste Methode. Meine Damen und Herren, um E-Government in Deutschland voranzubringen, brauchen wir noch mehr: Wir schaffen für die Bürger eine Infrastruktur, die eine durchgehend elektronische Abwicklung ermöglicht. Um eine anwenderfreundliche Struktur zu schaffen, brauchen wir durchgehend digitalisierte Prozesse. Wenn beispielsweise ein Antrag auf Ausstellung einer Fahrerlaubnis gestellt wird, muss es zukünftig möglich sein, den Auszug aus dem Personenstandsregister von der Behörde online zu erhalten. Auch die entsprechenden weiteren Unterlagen wie das Lichtbild oder die Bescheinigung über das Bestehen der Fahrprüfung müssen elektronisch versendet werden können. Oder denken Sie an andere Lebenssachverhalte: Auch die Meldung der Geburt eines Kindes muss zukünftig online möglich sein, und es ist vorzugswürdig, wenn der Kindergeldantrag gleich mit abgewickelt werden kann. Die Verwaltung wird Dienste zu den Lebenslagen der Bürger auch besser bündeln können. So wird es möglich sein, Behördengänge obsolet zu machen. Selbstverständlich müssen auch die Gebühren online bezahlt werden können. E-Government entlastet die Verwaltung bei der Bewältigung des demografischen Wandels; denn wir werden es zukünftig nicht schaffen, überall im ländlichen Raum Bürgerbüros aufrechtzuerhalten. Das wird schlichtweg nicht möglich sein. Umso wichtiger ist es dann, dass die Behörden online sicher erreichbar sind. Deshalb ist dieses Gesetz so wichtig. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Schröder, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Alpers zulassen? Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Bitte. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön, Frau Alpers. Agnes Alpers (DIE LINKE): Vielen Dank. – Ich habe eine Nachfrage. Sie sagten, dass die Bundesregierung eine durchgehend digitale Struktur aufbauen will und diese auch für alle zugänglich sein soll. Meine Frage bezieht sich auf Menschen mit Sehbehinderung: Inwiefern wird dieses Angebot wirklich barrierefrei sein? Meines Erachtens besteht genau an diesem Punkt noch ein riesiger Nachholbedarf. Wie will die Regierung dafür sorgen, dass diesem Nachholbedarf zügig Rechnung getragen wird? Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Um dem, was Sie angesprochen haben, Rechnung zu tragen, haben wir im parlamentarischen Verfahren noch einmal ausdrücklich deklaratorisch festgestellt, dass diese Onlineangebote – auch wenn das schon bisher galt – auch barrierefrei zur Verfügung gestellt werden müssen. Das war uns sehr wichtig. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, auch für die Behörden werden wir dadurch Vorteile schaffen, dass das gesamte Verfahren effizienter wird, wenn wir digitalisierte Prozesse möglich machen. Da gibt es Effizienzreserven, und da gibt es auch Einsparmöglichkeiten. Wichtig ist, dass wir das jetzt gerade für die Bundesbehörden auf den Weg bringen. Wir müssen auch die Digitalisierung der Akten auf den Weg bringen. Das wird einige Zeit brauchen. Wir bringen jetzt zusammen mit den anderen Ressorts einen Masterplan auf den Weg, um dann dem Anspruch der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden, dass wir jederzeit erreichbar sind und dass das sicher und auch bequem ist. Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung zuzustimmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat der Kollege Gerold Reichenbach für die SPD-Fraktion. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Drei Sozialdemokraten sind da! Habe ich das richtig gezählt?) Gerold Reichenbach (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin froh, dass auch noch einige Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen sind. Wir haben darauf bestanden, (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Auf was?) dass der Gesetzentwurf zum E-Government, wie es so schön heißt, heute Abend noch debattiert wird. Ich sage Ihnen auch, warum. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Ja!) Wir wollen damit verhindern, dass anschließend wieder eine Debatte entsteht, in der gesagt wird, dass das Parlament und die Opposition sich nicht gerührt und wieder eine Verschlechterung von Datenschutz und Sicherheitsstandards durch das Parlament gewunken haben, ohne sich zu wehren. (Otto Fricke [FDP]: Deshalb seid ihr zu dritt hier! – Gegenruf des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Es kommt darauf an, wer da ist!) Herr Staatssekretär, Sie haben eben genau das getan, was zum Problem bei der heutigen Beratung führt: Sie haben sehr viele Nebelkerzen geworfen. Sie haben zwar sehr vieles zum E-Government erzählt, was richtig, wichtig und unterstützenswert ist, (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Also! Immerhin!) aber Sie sind mit keinem Wort auf die Kritik an diesem Gesetzentwurf eingegangen. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das machst du ja jetzt!) Es geht bei der Kritik nicht um die Einführung des EGovernment, sondern um die Tatsache, dass Sie die Einführung des E-Government dafür nutzen, das Sozialgesetzbuch und die Abgabenordnung durch ein Artikelgesetz so zu ändern, dass die bisher geltenden Sicherheitsstandards bei der Übermittlung von hochsensiblen Gesundheitsdaten, bei der Übermittlung von hochsensiblen Sozialdaten und auch bei der Übermittlung von Steuerdaten abgesenkt werden, und zwar – das ist das Entscheidende – nicht nur im Verkehr zwischen den Behörden und dem jeweiligen Nutzer, sondern natürlich auch im Verkehr zwischen all denen, die Gesundheits- und Sozialdaten austauschen, etwa die Versicherungen und ihre Versicherten oder – bei der Abrechnung – die Versicherungen und die Ärzte. Das genau ist der Hintergrund, warum Sie dies klammheimlich tun. Beim De-Mail-Gesetz haben Sie gesagt – auch damals schon gegen den Rat der Fachwelt –: Um den Diensteanbietern Kosten zu ersparen, verzichten wir auf eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. – Nun haben die De-Mail-Anbieter festgestellt, dass das große Geschäft, das sie sich damit erhofft haben, nämlich der Masseneinstieg über die Versicherungen und über die, die in Austausch zu ihren Kunden treten, nicht stattfindet, und zwar deswegen nicht, weil bei der De-Mail der bisherige Standard, den der Deutsche Bundestag, der Gesetzgeber, für die Übermittlung solch hochsensibler Daten zu Recht gesetzt hat – es geht um die modernste Form der Sicherheit und die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung –, bei der Übermittlung zu nutzen ist. Deswegen ist die De-Mail kein Erfolg. Sie definieren diese Sicherheitslücke jetzt juristisch weg, indem Sie sagen: Die Entschlüsselung der verschlüsselten Daten – Gesundheitsdaten, Sozialdaten – auf dem Server der Betreiber und die anschließende Wiederverschlüsselung (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Also doch verschlüsselt!) ist keine Übermittlung im Sinne des Gesetzes. Das ist ungefähr so, als würden Sie sagen, die Wand dürfe kein Loch haben, und anschließend feststellen, dass keiner Ihre löchrige Wand abnimmt, weil sie den Anforderungen nicht genügt, weshalb Sie dann die Bauordnung ändern und sagen: Das Loch gehört nicht zur Wand, und damit sind auch Wände mit Löchern löcherlose Wände. Genau das ist der Trick. Das tun Sie bei Gesundheits-, bei Sozial- und bei Steuerdaten. Sie kommen dann natürlich wieder mit dem Argument, dass das Fax und die E-Mail noch viel unsicherer sind. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja!) Hinter diesem Modell steckt aber doch die Überlegung – den Umfang wollen Sie jetzt gerade herunterspielen –, dass Versicherer und andere demnächst massenweise sensible Gesundheitsdaten versenden. Da geht es nicht nur um den Schriftverkehr zwischen der Gemeinde und dem Bürger, sondern es geht um den Bereich, den ich gerade genannt habe. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das hat dann eine andere Qualität. Denn durch einen gezielten Angriff auf zwei, drei oder vier Server in dieser Republik ist es nicht möglich, sämtliche Faxe dieser Republik mitzulesen. Wenn Sie diese Regelung bei den E-Mails einführen, haben Sie das Problem, dass die Massenkommunikation betroffen ist. In Zukunft werden die De-Mail-Server hochinteressante Angriffspunkte werden, weil nämlich ein möglicher Angreifer genau weiß: Über diesen Server werden hochsensible Daten der Bürger kommuniziert, zwischen Bürgern und Versicherungen, zwischen Bürgern und Gesundheitsinstitutionen, zwischen Bürgern und Finanzämtern. Der Chaos Computer Club hat dies in der Anhörung noch einmal eindrücklich deutlich gemacht. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das war aber der Einzige!) Dann nutzt Ihnen auch das, was Sie über die Sicherheit mit Blick auf das BSI gesagt haben, wahrscheinlich nichts mehr. Sie tun auch der betroffenen Industrie einen Tort an. Denn: Wenn wir den ersten Datenskandal haben – ich prophezeie Ihnen: so attraktiv wie diese Server für Angreifer sind, wird es ihn geben –, werden E-Government und De-Mail tot sein. Die Sicherheit ist hier das Problem, deren Bedeutung die Regierung in der Vergangenheit nicht bedacht hat. Deswegen floppte das Ganze. Im Interesse der Industrie hat man die Sicherheitsstandards abgesenkt. Anschließend hat der Bürger diese Art der Kommunikation nicht akzeptiert. Die letzte Maßnahme, die Sie hier verstecken, ist: Sie lassen jetzt die Gesundheitskarte am Personalausweisgesetz vorbei als Identitätsnachweis zu. Ich prophezeie Ihnen: Das wird dazu führen, dass die Bürger mit der Einführung der Gesundheitskarte demnächst noch mehr Probleme haben werden, als sie sie jetzt schon haben, weil sie natürlich befürchten müssen, dass dann, wenn die Daten auf der Karte gehackt werden, nicht nur ihre Identität, sondern unter Umständen auch noch ihre gesamten Gesundheitsdaten offengelegt werden. Wir haben Ihnen im Ausschuss angeboten – wir haben dazu einen Antrag gestellt –: Streichen Sie diese Veränderung im Sozialgesetzbuch und in der Abgabenordnung wieder raus. Dann sind wir trotz weiterer Punkte, über die man auch noch hätte diskutieren können, bereit, das E-Government-Gesetz mitzutragen, (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Nicht einmal die Grünen haben diesem Antrag zugestimmt!) weil wir es vom Grundsatz her für einen sinnvollen Schritt halten. Sie aber haben den Antrag abgelehnt. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Alle haben das!) Deswegen werden wir dieses Gesetz nicht mittragen. Es soll verschleiern, dass diese schwarz-gelbe Koalition mit der freudigen Unterstützung der angeblich bürgerdatenschützenden FDP die Standards für die Übermittlung von sensiblen Daten im Gesundheits-, im Sozial- und im Steuerbereich, die bisher in dieser Republik gegolten haben, absenkt. Diese Absenkung ist mit der SPD-Fraktion nicht zu machen. Wir werden diesen Gesetzentwurf daher ablehnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der nächste Redner ist der Kollege Manuel Höferlin für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Manuel Höferlin (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Reichenbach, kurz etwas zur Klarstellung. Sie haben nicht dafür gesorgt, dass die Reden zu diesem Punkt gehalten und nicht zu Protokoll gegeben werden. Es gab nämlich niemanden, der seine Rede zu Protokoll geben wollte. Das, was Sie behaupten, ist einfach unwahr. Sie erzeugen den Eindruck, als ob Sie es durchgesetzt hätten, dass zu diesem Punkt geredet wird. Ich habe gerade beim Kollegen Binninger nachgefragt: Niemand wollte seine Rede zu Protokoll geben, alle wollten reden. Ich habe Ihnen schon im Ausschuss gesagt, dass ich heute Abend selbstverständlich hier reden werde. Die Nebelkerzenzünder sind also Sie. Das zieht sich auch durch Ihren Vortrag. Was für ein guter Tag für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Wir verabschieden endlich das EGovernment-Gesetz. Wir können auf sehr konstruktive Verhandlungen, auch mit den Bundesländern, zurückblicken und haben nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen Vorschlag vorgelegt, der mit den Ländern umsetzbar ist. Mit dem E-Government-Gesetz legen wir nach der Modernisierung des Verwaltungsgebührenrechts und dem Planungsvereinheitlichungsgesetz einen weiteren zentralen Baustein der Modernisierung der Verwaltung in Deutschland. Die christlich-liberale Strategie zur Verwaltungsmodernisierung kann man am Ende dieser Legislaturperiode als Erfolg betrachten. (Beifall des Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU] – Gerold Reichenbach [SPD]: Da klatschen noch nicht einmal die eigenen Parteifreunde!) Unser E-Government-Gesetz ist die Motornorm, mit der wir die Modernisierung der Verwaltung in Deutschland vorantreiben wollen. Das ist ein überfälliger Schritt, der zuvor unter der SPD-geführten Bundesregierung nicht gemacht wurde. Der demografische Wandel in Deutschland macht EGovernment zu einem wichtigen Bestandteil für einen bürgernahen und erreichbaren Staat; das gilt auch für die Verwaltung. Zukunftstechnologien müssen noch stärker als heute eine zentrale Rolle in Staat und Gesellschaft spielen, damit Bürgerinnen und Bürger effektiv am politischen und gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Das E-Government-Gesetz soll jetzt die sichere, rechtsverbindliche digitale Kommunikation zwischen Bundesbehörden sowie Bürgerinnen und Bürgern regeln. Erlauben Sie mir, kurz zu erläutern, welche konkreten Verbesserungen wir für die Bürgerinnen und Bürger einführen. Bisher war das sogenannte Schriftformerfordernis im Verhältnis des Bürgers zum Staat ein praktisches Problem. Unterschriften auf Formularen und Dokumenten haben es stets zwingend notwendig gemacht, dass diese per Post oder Fax zugestellt und von Bürgerinnen und Bürgern von Hand unterschrieben werden mussten. Mit dem E-Government-Gesetz schaffen wir nun einen adäquaten Ersatz für dieses Schriftformerfordernis. Dieser Ersatz sind – wie bisher – die qualifizierte elektronische Signatur gemäß Signaturgesetz und entsprechend signierte digitale Formulare. Da wir aber um die hohen Hürden wissen, die die elektronische Signatur gerade für private Nutzer darstellt – weniger als 15 Prozent in Deutschland nutzen die digitale Signatur; es handelt sich vor allen Dingen um professionelle Anwender –, haben wir ein weiteres zentrales Verfahren als Angebot bereitgestellt: die De-Mail. Mit der De-Mail können nun Bürger und Wirtschaft rechtsverbindlich, sicher und vor allen Dingen unkompliziert mit Behörden und auch untereinander kommunizieren. Dabei ist es aus meiner Sicht absolut richtig, den Zugang De-Mail für die Behörden vorzugeben, um den Bürgerinnen und Bürgern ein verlässliches und auch tatsächlich von allen Behörden angebotenes System bereitzustellen. Bei einem Umzug oder einem Kontakt mit einer anderen Behörde sollte sich schließlich niemand auf ein komplett neues System einstellen müssen. Durch unseren Änderungsantrag, den wir in das parlamentarische Verfahren eingebracht haben, haben wir den drei Möglichkeiten – qualifizierte elektronische Signatur, verschlüsselte Formulare und De-Mail – noch eine maßgebliche Erweiterung hinzugefügt. Das Thema Technikoffenheit spielt hier eine entscheidende Rolle. Wir möchten, dass E-Government nicht auf der Stelle tritt und dass auch in Zukunft innovative Technologien mit dem E-Government-Gesetz angewandt werden können. Deshalb haben wir in unserem Änderungsantrag einen Passus eingefügt, der den Einsatz zusätzlicher Technologien grundsätzlich ermöglicht, sofern die Mindestanforderungen an Sicherheit und Barrierefreiheit erfüllt sind. Damit wären wir bei einem weiteren zentralen Baustein des E-Government-Gesetzes, den wir durch unseren Änderungsantrag eingefügt haben. Wir stellen im neuen § 16 des E-Government-Gesetzes klar, dass Barrierefreiheit auch für E-Government gilt. Alle Menschen haben das Recht auf Teilhabe. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit der elektronischen Akte schaffen wir außerdem einen wichtigen Baustein für die Modernisierung unserer Verwaltung. Elektronisch geführte Akten ermöglichen nicht nur effizienteres Dokumentenmanagement. Sie erleichtern es auch, Auszüge und Informationen mit Bürgerinnen und Bürgern elektronisch zu teilen. Das ist ein wichtiger Grundstein des E-Government-Gesetzes. Die elektronische Akte spart nicht nur tonnenweise Papier – das dürfte Ihnen besonders gefallen, liebe Freunde von den Grünen –, sondern macht auch die Bereitstellung von Peripheriegeräten und Aufbewahrungsraum überflüssig. Sie ermöglicht eine bruchfreie Kommunikation über Gerätegrenzen hinweg. Lassen Sie mich jetzt noch auf ein paar Nebelkerzenargumente des Kollegen Reichenbach zu sprechen kommen. Er hat gesagt, dass wir gegen den Rat vieler Sachverständigen Änderungen durchgesetzt hätten. Wir haben das aber nicht gegen den Rat Ihres Sachverständigen getan. Ihr Sachverständiger war nämlich – genauso wie die Sachverständigen der Koalition – der Meinung, dass wir eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht unbedingt brauchen. Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat explizit gesagt: Bitte führen Sie keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ein; das kann die Verwaltung vor Ort nicht leisten, weder organisatorisch noch im Hinblick auf die Kosten. Sie haben auch Nebelkerzen geworfen, als Sie gesagt haben, es gehe um Steuerdaten. (Gerold Reichenbach [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Herr Reichenbach, Sie haben bereits gesprochen. Zu dieser Uhrzeit möchte ich keine Zwischenfragen mehr zulassen. – Sie wollen mit dem Hinweis auf Steuerdaten den Anschein erwecken, als ob es hier um Steuerformulare gehe. Dabei wissen Sie ganz genau, dass die Steuerbehörden weiterhin ELSTER als Datenformular nutzen werden. Die De-Mail wird dann zum Einsatz kommen, wenn man beispielsweise seine Adresse ändern oder etwas zum Finanzamt schicken möchte. Das wird bisher per Post, per Anruf oder per normaler E-Mail gemacht. Des Weiteren tun Sie so, als ob wir die Hürden herabsetzen würden und etwas wegdefinieren wollten. Dieser Vorwurf ist schlichtweg falsch. Es ist nämlich so, dass das Gebot der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, das im Gesetz jetzt steht, sich auf die Technik, die davor vorhanden war, bezieht, nämlich auf die E-Mail. Bei der E-Mail ist es auch gut und richtig, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorzuschreiben. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege. Manuel Höferlin (FDP): Jetzt – ich komme damit zum Ende – ist es nicht mehr nötig; denn die De-Mail ist ein anderes System. Deswegen kann man dies explizit ausklammern. Das E-Government-Gesetz ist der nächste Schritt ins Zeitalter der digitalen Verwaltung. Lassen Sie ihn uns gemeinsam gehen. Ich freue mich darauf und wäre froh, wenn Sie dem Gesetz zustimmen würden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jan Korte hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Jan Korte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Reichenbach, lieber Kollege Höferlin, wir können uns vielleicht darauf verständigen, dass wir alle sehr froh sind, dass wir heute hier noch reden und den Abend zusammen verbringen. Was sollten wir auch sonst in einer Sitzungswoche machen? Deswegen ist es erst einmal gut, dass wir alle zusammen sind. In der Tat – das sieht auch die Linke so – bietet die elektronische Verwaltung große Chancen, gemeinwohlorientierte öffentliche Dienste zu stärken und voranzubringen. Das ist völlig unbestritten. E-Government bietet logischerweise – auch das ist anzuerkennen – enorme Chancen für mehr Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern. Es könnte, wenn es gut läuft, einen weiteren Vorteil haben: Die Nervereien bei Problemen, die der eine oder andere mit Behörden hat – das soll ja vorkommen –, könnten auf beiden Seiten verringert werden. Auch das ist erst einmal richtig. Deswegen ist die Grundidee Ihres Gesetzentwurfs gar nicht schlecht. Das Problem ist nur, dass die Idee zwar nicht schlecht ist, aber die Umsetzung wieder einmal nicht hinhaut und leider inakzeptabel ist. Ich möchte an drei Punkten aufzeigen, warum die Linke das so sieht. Zum Ersten soll in Zukunft das De-Mail-Verfahren als wesentliche Grundlage für die Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung dienen. Der Chaos Computer Club und seine exzellenten Sachverständigen haben nun deutlich gemacht – denen sollte man glauben angesichts dessen, was der CCC uns in der Vergangenheit vor Augen geführt hat –, dass das De-Mail-Verfahren genauso unsicher ist wie eine herkömmliche E-Mail. (Manuel Höferlin [FDP]: Totaler Unfug!) Das ist natürlich bei solch hochsensiblen Daten, die zwischen Bürgern und Verwaltung ausgetauscht werden, nicht zu akzeptieren. Dieses Verfahren ist abzulehnen; denn es ist nicht sicher. Zum Zweiten: Wer den Server, so der CCC, eines der wenigen De-Mail-Anbieter kontrolliert, hat logischerweise auch den totalen Zugriff auf die komplette Kommunikation. Das ist ein Problem, weil wir dort eine Zentralisierung bei diesen Diensten haben. Darin liegt eine enorme Gefahr. Ich will mir gar nicht ausmalen, welche Lust auf diese Daten bei Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden geschürt wird. (Zuruf von der CDU/CSU: Nachrichtendienste heißt das!) Deswegen sollte man diese Lust gar nicht erst wecken. Auch das ist ein Grund, warum der heutige Gesetzentwurf nicht zu akzeptieren ist. (Beifall bei der LINKEN) Zum Dritten: Heute ist es so – das hat eine Umfrage, die ich eben in der Welt gelesen habe, ergeben –, dass 30 Prozent der Deutschen ihre Behördenangelegenheiten online erledigen. In Indien – nur zum Vergleich – sind es übrigens weit über 60 Prozent. Das heißt, hier wird ein Gesetz verabschiedet, um ein Verfahren zu unterstützen, das de facto bei der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung gar keine Akzeptanz hat. Es ist eine Luftnummer, wenn die Bürgerinnen und Bürger das nicht im großen Umfang nutzen wollen. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Weil es heute noch gar nicht geht!) Die Linke ist in der Tat für E-Government-Projekte, die nicht – das ist ganz entscheidend, und das ist der Unterschied zu Ihnen – vor allem das Profitinteresse einiger weniger in der IT-Branche zum Ziel haben. Das ist nämlich Ihr eigentliches Ziel: ganz wenigen Anbietern in der IT-Branche ordentliche Profite zu organisieren. (Manuel Höferlin [FDP]: Sie gönnen den Bürgern auch gar nichts, Herr Korte!) Das sehen wir nicht ein. Sinnvoll wäre vielmehr ein Gesetzentwurf, der die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger stärken würde. Der Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben, erinnert an ELENA, an den elektronischen Personalausweis und an andere Projekte, die Sie grandios versenkt haben. Sie alle haben nicht funktioniert und sind auf ganzer Linie gescheitert. Jetzt kommt mit Ihrem Gesetzentwurf das nächste Projekt hinzu. Deswegen: Lassen Sie das Ganze besser! (Manuel Höferlin [FDP]: Machen wir nicht! Wir hören nicht auf Sie in dem Fall!) Die Linke wird Ihrem Gesetzentwurf heute selbstverständlich nicht zustimmen und bedauert es, dass wir in diesem Bereich keinen Schritt vorwärtsgekommen sind. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Clemens Binninger hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Clemens Binninger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Moderne Verwaltung ist ein Standortfaktor. Moderne Verwaltung beginnt nicht erst im Rathaus, sie beginnt bereits im Netz. Mit diesem Gesetz schaffen wir wichtige Voraussetzungen dafür, dass Verwaltung modern, bürgernah, unbürokratisch und ohne Medienbrüche bereits im Netz funktionieren kann. Es ist ein wichtiger Schritt. Dass wir diesen Schritt gemeinsam gehen, halte ich für unverzichtbar. Ich verstehe deshalb wirklich nicht, wie man dagegen sein kann. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Manuel Höferlin [FDP]) Denn wir machen hier etwas, was ja von allen, von den Kommunen – auch da, wo Sie regieren –, von den Ländern – auch dort, wo Sie in der Regierung sind –, mit unterstützt und gefördert wird. Nur Sie glauben, Sie müssten dagegen sein. Dieses Gesetz beinhaltet eine ganze Reihe von Verbesserungen und eine ganze Fülle von Dingen, die es bisher nicht gibt: elektronisches Einreichen von Nachweisen, elektronische Akteneinsicht, elektronische Gebührbezahlsysteme. All das ist entscheidend. Was hat uns bisher davon abgehalten, Verwaltung wirklich zu vereinfachen? Der Bürger konnte vieles am PC machen. Er konnte sich auf der Homepage einer Stadt die Angebote anschauen, er konnte auch eine normale E-Mail hinschicken. Aber sobald ein Vorgang ein bisschen Verwaltungscharakter hatte – und das wird jeder zugeben, der es schon einmal versucht hat –, hieß die Antwort häufig: Tut uns leid. Das geht nicht. Das muss unterschrieben per Brief kommen. (Manuel Höferlin [FDP]: Richtig!) Dieses Schriftformerfordernis war mit die größte Hürde dafür, Verwaltung zu vereinfachen. Genau deshalb gehen wir jetzt mit diesem Gesetz einen Schritt weiter und sagen: Wir bauen die Schriftformerfordernisse ab, wir ersetzen sie. Dort, wo es auch ohne sie gegangen ist, streichen wir sie ganz. Wir haben aber weit über 1 000 Fälle, in denen die Schriftform aus irgendeinem Grund erforderlich ist. Deshalb haben wir gesagt: Wir brauchen ein oder sogar mehrere Verfahren, mit denen wir die Schriftform ersetzen können. Dieses Gesetz nennt übrigens nicht nur ein Verfahren, Kollege Reichenbach. Es nennt drei Verfahren, mit denen der Bürger – er kann es sich aussuchen – die Schriftform ersetzen kann. Er muss dann keinen Brief mehr abschicken und braucht kein Papier mehr auszudrucken, sondern kann alles zu Hause am PC machen. Erster Weg: mit dem elektronischen Personalausweis und der Zusatzfunktion. Hier wird man fragen können: Wenn ich den nicht habe, was mache ich dann? Zweiter Weg: mit der elektronischen Signatur, Ende zu Ende verschlüsselt für die Daten, für die der Bürger es will. Dritter Weg: das De-Mail-Gesetz, mit dem wir schon vor über einem Jahr einen Standard geschaffen haben, der deutlich über der E-Mail und dem Fax liegt. In diesem Fall – geschätzter Kollege Reichenbach, vielleicht noch keine Erfolgsmeldungen simsen, die es nicht gibt – sollten wir redlich miteinander umgehen. Unsere Hauptkommunikationsform als Parlamentarier, als Bürger, wo auch immer, ist heute die unsichere EMail. Die E-Mail hat einen Sicherheitsstandard, der mit einer Postkarte vergleichbar ist, die man mit dem Text nach außen ans Schwarze Brett hängt. Das akzeptieren wir, das ist überhaupt kein Problem. Alternativ gibt es das Fax, das auf der gesamten Strecke überhaupt nicht verschlüsselt ist. Mit der De-Mail haben wir ein Verfahren entwickelt, das deutlich über dem Sicherheitsstandard der E-Mail liegt. Es ist nicht Ende zu Ende verschlüsselt; aber anders, als die Rede vorher suggeriert hat, entscheidet der Bürger, welches Verfahren er anwenden will. Der Bürger entscheidet auch, ob er die De-Mail nutzt oder nicht. Aber für uns ist doch entscheidend, dass die Sache keinen Schritt vorangehen wird, wenn wir die staatlichen Behörden nicht in die Lage versetzen, solche Angebote überhaupt zu machen, weil immer noch die Schriftform erforderlich ist. Ich habe mir noch einmal die Rede des Kollegen Reichenbach zur ersten Lesung durchgesehen – zumindest den ersten Teil, dann war ich genügend informiert. Damals war das Szenario noch ein anderes als heute. Heute bezog sich die Kritik auf das Verschlüsseln und die Standards, die wir angeblich wegdefinieren, was nicht stimmt. Damals ging es noch darum, dass wir mit diesem Gesetz für die Kommunen eine Kostenlawine auslösen, durch die sie erdrückt werden. Das war Inhalt dieser Rede. (Gerold Reichenbach [SPD]: Stimmt doch gar nicht! Ich habe das damals schon moniert! Sie betreiben Geschichtsfälschung! – Gegenruf des Abg. Manuel Höferlin [FDP]: Stimmt doch!) – Ich nehme an, dass diese Rede stimmt. Sie war übrigens zu Protokoll gegeben, wenn ich mich richtig erinnere, aber egal, das ist ein anderes Thema. (Gerold Reichenbach [SPD]: Ich habe das damals schon moniert!) Interessanterweise wurde in der Sachverständigenanhörung der Vertreter des Städtetages von mehreren Kollegen gefragt: Ist dieses E-Government-Gesetz – es löst für die Kommunen keine Pflicht aus; nur dort, wo sie Bundesrecht im Auftrag ausführen – mit der Verpflichtung, eine normale E-Mail-Adresse bereitzustellen, eine Homepage anzubieten und eben dort, wo sie wollen, auch De-Mail oder andere Zugänge zu ermöglichen, für die Kommunen ein Kostenrisiko? Einhellige Antwort: Nein, überhaupt nicht. Die Kosten sind kein Faktor. – Also ist auch dieses Argument weg. (Kirsten Lühmann [SPD]: So hat er es nicht gesagt!) – Er hat es in dieser Eindeutigkeit gesagt, Frau Kollegin; denn wir haben darauf Wert gelegt, dass wir darauf eine präzise Antwort bekommen. Ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, dass Sie in Ihrem Wahlkreis eine Kommune finden, die sagt: Wir haben mit diesem E-Government-Gesetz das Problem, dass uns aufgrund von Folgekosten eine Kostenlawine erdrücken könnte. Eine Kostenlawine ist eigentlich nur möglich, wenn es sich um eine Kommune handelt – die gibt es, glaube ich, nicht einmal in Niedersachsen –, die noch keinen PC hat, keine EDV-Infrastruktur, eine Kommune, in deren Büros noch Adler-Schreibmaschinen stehen und wo sonst nichts vorhanden ist. Solche Kommunen wird es in Deutschland nirgendwo mehr geben. Insofern ist dieses Kostenargument schon lange als ein von Ihnen aufgebauter Popanz entlarvt. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Zwei weitere wichtige Änderungen haben wir vorgenommen: Wir haben Barrierefreiheit geschaffen, damit alle an dem, was in diesem Gesetz geregelt wird, teilhaben können. Außerdem haben wir dieses Gesetz ganz bewusst technikoffen gestaltet; auch da wird man sehen, wie sich das Ganze entwickelt. Das heißt, wenn es irgendwann neben den bisherigen drei beschriebenen Verfahren – Signatur mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, De-Mail oder E-Perso mit der Zusatzfunktion – ein weiteres sicheres Verfahren gibt, ist dessen Anwendung möglich. Damit ist auch die Technikoffenheit gewährleistet. In der Summe ist es ein sehr gutes Gesetz, das für etwas sorgt, worauf alle – Bürger, Kommunen, Verwaltung, Unternehmen, aber auch Bundesbehörden – schon lange gewartet haben: Das Schriftformerfordernis ist in vielen Bereichen nicht mehr notwendig. Wir sind moderner, schneller, näher, unbürokratischer. Deshalb lohnt es sich, diesem Gesetz zuzustimmen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Wort hat jetzt der Kollege Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal auch mein Bekenntnis: Auch ich diskutiere gerne noch zu dieser Stunde das E-Government-Gesetz. Ich finde das erfrischend und schön. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) – Genau. Einmal ein Applaus für alle. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Treffen wir uns jetzt häufiger um diese Zeit?) – Sehr gut, gerne. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Aber bitte allein!) Mit der Zielrichtung des E-Government-Gesetzes hat niemand – die Einleitung Ihres Vortrages, Herr Kollege Binninger, war insofern ein bisschen scheinheilig – Probleme. Das ist eine feine Sache und toll. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie doch zu!) Es geht um die Umsetzung, und bei der Umsetzung hapert es. Wir begrüßen dieses Vorhaben grundsätzlich. E-Government findet in Bund, Ländern und Kommunen, also auf allen Ebenen, schon statt. Leider hapert es ein bisschen an der Kommunikation und dem Kontakt; Sie haben das durchaus zutreffend beschrieben, Herr Kollege Binninger. Insofern begrüßen wir, dass hier versucht wird, medienbruchfreie Prozesse herbeizuführen. Wir begrüßen die Verpflichtung von Behörden zur elektronischen Erreichbarkeit. Es ist grundsätzlich richtig, die Behörden zu elektronischen Bezahlmöglichkeiten zu verpflichten. Eine Verpflichtung zu Webauftritten ist sicherlich genauso gut wie die Bereitstellung von wesentlichen Informationen. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Eine wunderbare Rede bis jetzt! – Johannes Selle [CDU/CSU]: Das klingt nach Zustimmung!) Der Einstieg der Bundesverwaltung in die elektronische Aktenführung ist ebenfalls gut. Das sind die Ziele. Die Generalfrage ist: Wie haben Sie die Vorgaben zur Erreichung dieser Ziele umgesetzt? Ich verweise Sie einmal auf den Änderungsantrag, den Sie nachgeschoben haben; (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Änderungsanträge kann man immer nur nachschieben!) die entsprechenden Punkte sind ja benannt worden. Barrierefreiheit und andere Punkte sind mit zusätzlichen Identifikationsverfahren versehen worden. Diese Punkte sind gut. (Manuel Höferlin [FDP]: Danke!) Aber das Kernproblem, der Geburtsfehler, der diesem Gesetz innewohnt, ist, dass Sie auf das De-Mail-Verfahren bauen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das haben Ihnen sämtliche Sachverständige schon in der ersten Anhörung zum De-Mail-Verfahren gesagt, und jetzt haben Sie es wieder erzählt bekommen. Herr Kollege Binninger, ich will Ihnen und gerne auch dem Kollegen Höferlin, der eigentlich in der Netzpolitik zu Hause ist (Manuel Höferlin [FDP]: Nicht nur eigentlich! Da bin ich schon länger als Sie!) – ja, gut –, die Unterschiede erklären. Ich möchte klarstellen, welche Dinge wir als problematisch ansehen müssen. Der Vergleich mit Briefkästen, die auch ausgeraubt werden können – auch Briefe können verschwinden –, hakt eben. Es geht hier um Server mit Millionen von sensiblen Daten, auf die zugegriffen werden kann. Das ist ein riesiges Problem und birgt ein riesiges Gefährdungspotenzial. Durch das De-Mail-Verfahren wird kein adäquater Schutz gewährleistet. Ich zitiere jetzt einmal Sascha Lobo – ich wollte das schon immer einmal machen –, der diese Woche sehr zutreffend geschrieben hat: Das Projekt De-Mail taugt in allen Details als Vorzeigemisserfolg. Und es steht mustergültig für das fortgesetzte Versagen von Politik und Administration, die dringend benötigte digitale Infrastruktur zu schaffen: Die De-Mail ist der digitale Hauptstadtflughafen. Genau so wird es kommen, weil Sie auf diese Vorwürfe, auf diese Bedenken nicht eingegangen sind. Sie ignorieren die Probleme. Sie gehen auf die fehlende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht ein. (Manuel Höferlin [FDP]: Doch!) Sie erkennen die Problematik nicht. Sie reden das schön. Damit werden Sie der Problematik nicht gerecht werden. Der Innenminister – hier hat ja eben der Staatssekretär geredet – spricht immer von der Problematik der Cybersicherheit. Ich sage Ihnen: Wir werden hier ein neues Problem bekommen. Das wird ein Einfallstor für Missbrauch im Netz. Dieser wichtige Baustein für eine moderne Kommunikation zwischen Staat und Bürgern wird hier final beschädigt werden. Deswegen ist das kein guter Tag (Manuel Höferlin [FDP]: Der beste! Wenn wir immer auf die Bedenkenträger Rücksicht nähmen, wären wir heute noch beim analogen Telefon!) für die neue Beziehung zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Staat über das Netz, sondern es ist bedauerlicherweise ein schlechter Tag. Ganz herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Der erste Teil war echt klasse, aber zum Schluss wurde es schlecht!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13139, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/11473 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer will dem Gesetzentwurf zustimmen? – Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Mit 14 Stimmen!) bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion; die Oppositionsfraktionen haben dagegen gestimmt. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer stimmt dafür und steht deswegen bitte auf? (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Jawohl, Frau Lehrerin!) Wer stimmt dagegen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung ebenfalls angenommen, mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher. Zurückkommen müssen wir zum Zusatzpunkt 6, weil ein Zettel verschwunden war. Dabei ging es um ein Hauptgutachten der Monopolkommission. Es fehlte noch die Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12940 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13109 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. – Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann verfahren wir so. Tagesordnungspunkt 21: Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zugänge schaffen und Teilhabe erleichtern – Die Einfache Sprache in Deutschland fördern – Drucksache 17/12724 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) Petitionsausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Die Reden sind zu Protokoll genommen. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Bereits der amerikanische Präsident John F. Kennedy sagte richtigerweise „Es gibt nur eines, was auf die Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.“ Deshalb sorgen wir als Regierungsfraktionen dafür, dass die Bildung ganzheitlich in unserem Land Vorrang genießt. Und unsere Erfolge können sich dabei sehen lassen; denn das Bildungsniveau ist insgesamt so gestiegen, dass es nie weniger Schulabbrecher gab, nie mehr Abiturienten gab als jetzt und auch nie mehr Hochschulabsolventen gab als jetzt. Bildung hat im Haushalt den größten Zuwachs. Gegenüber 2005 haben wir als christlich-liberale Koalition eine Steigerung von 54 Prozent erreicht. Allein im Jahr 2013 beträgt das Budget für Bildung und Forschung 13,75 Milliarden Euro. Doch neben diesen positiven Zahlen dürfen wir als Deutscher Bundestag – und da stimme ich Ihnen von der SPD zu – nicht diejenigen vergessen, die nicht davon profitieren oder die bereits die Schule längst verlassen haben. Und auch stimme ich Ihnen darin zu, dass die Zahlen der „leo. – Level-One Studie“ alarmierend sind. Daraus nun so wie Sie als SPD-Fraktion abzuleiten, dass nur der Bund dafür zuständig sei, die Missstände zu beheben, ist nicht redlich. Das Thema Analphabetismus fällt nämlich primär in die Zuständigkeit der Länder. Der Bund unterstützt dabei und leistet wichtige Beiträge zur Bekämpfung des Problems. Wie ich bereits vor knapp zwei Jahren anlässlich eines ähnlichen Antrags von Ihnen hier im Deutschen Bundestag gesagt habe, hat die Bundesregierung das Thema Alphabetisierung und Grundbildung bereits seit längerem auf ihrer Agenda. Erste Ansätze in die richtige Richtung haben wir bereits übrigens in der Großen Koalition gesetzt, also sogar mit Ihnen gemeinsam. Wir fördern Alphabetisierung und Grundbildung mit einem ganzheitlichen Ansatz. Daran hat sich auch nichts geändert – im Gegenteil. Denn wir können es uns in unserem Land schlicht nicht leisten, Menschen bei der gesellschaftlichen und politischen Teilhabe – vor allem auch dauerhaft in ihrem beruflichen Alltag oder Fortkommen – zu benachteiligen. Um Ihnen zu verdeutlichen, wie der Bund handelt, möchte ich exemplarisch drei Projekte aus der – übrigens gemeinsam mit den Ländern verabschiedeten – Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung herausgreifen: Erstens: die Öffentlichkeitskampagne im Rahmen der gemeinsamen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener. Wir wollen damit die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema erreichen, Motivation bei den Betroffenen schaffen und vor allem zur Enttabuisierung der Problematik beitragen. Der Bund investierte hier alleine 2012 5 Millionen Euro. Zweitens: die Einrichtung der Lernplattform „ich-will-lernen.de“ durch den Deutschen Volkshochschul-Verband. Fast 340 000 Nutzer haben sich hier bisher registriert. Der Bund hat hier bereits 7 Millionen Euro an Fördermitteln bereitgestellt. Drittens: die arbeitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener, bei der der Bund insgesamt 20 Millionen Euro in den Jahren 2012 bis 2015 investiert, um beispielsweise kleine und mittlere Unternehmen, Hochschulen oder außeruniversitäre Forschungseinrichtungen bei ihren Projekten, Konzepten, Beratungs- und Schulungsangebote zu unterstützen. Angesichts des drohenden Fachkräftemangels handelt der Bund entschlossen, um Menschen mit Schwächen in der Lese- und Schreibkompetenz zu unterstützen. Momentan entwickelt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Leitfaden zur Anwendung von leichter Sprache. Dies verdient unser aller Unterstützung genauso wie die Arbeit der verschiedenen Institutionen, Vereine und Netzwerke, die sich für die leichte und einfache Sprache einsetzen. Abschließend möchte ich zusammenfassen: Wir als Regierungsfraktionen unterstützen die Bundesregierung in ihren bisherigen Projekten, insbesondere in der Forschung zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener. Seit 2007 wurden über 100 Projekte bzw. Teilprojekte gefördert. Wir machen als Bund – in Ergänzung zu den Ländern und Kommunen – bereits sehr viel, damit mangelnde oder schwächere Lese- und Schreibkompetenz erfolgreich und nachhaltig bekämpft wird, um allen Menschen in unserem Land insbesondere im Erwerbsleben und in allen demokratischen Prozessen eine Teilhabe zu ermöglichen. Diesen Weg werden wir fortführen. Da Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der SPD, durch Ihren Antrag zeigen, dass auch Ihnen an möglichst großer gesellschaftlicher Teilhabe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche liegt, freue ich mich auf eine konstruktive und zielführende Beratung aller Parteien in unserem zuständigen Ausschuss. Oliver Kaczmarek (SPD): Die UN-Weltdekade der Alphabetisierung ist gerade zu Ende gegangen – doch das Thema Analphabetismus ist auch in Deutschland noch lange nicht vom Tisch. Wir haben im Bundestag wiederholt über die 7,5 Millionen Menschen in Deutschland, die nicht richtig lesen oder schreiben können, debattiert. Doch damit nicht genug: Neben diesen 7,5 Millionen sogenannten funktionalen Analphabetinnen und Analphabeten können zusätzlich 13,3 Millionen Menschen in Deutschland Bücher, Zeitungen, Gebrauchsanweisungen oder Behördenstücke nur langsam und fehlerhaft lesen und verstehen. Diese Gruppe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche ist in unserer Gesellschaft stark benachteiligt. Fahrpläne, Handyverträge, Banküberweisungen, schriftliche Arbeitsanweisungen, Beipackzettel für Medikamente, Zeitungen, Bücher oder gar Behördenbriefe und Antragsformulare sind unüberwindbare Hindernisse für die Betroffenen. Dabei machen die Zahlen auch deutlich, dass Lese- und Schreibschwäche in Deutschland die gesamte Gesellschaft durchdringt – viele arbeiten als Bauhilfsarbeiter, Reinigungskräfte, Transport- und Frachtarbeiter, Köche, Maler oder Verkäufer, um nur einige Beispiele zu nennen. Sie dürfen bildungspolitisch nicht außer Acht gelassen werden. Gerade angesichts der Reduzierung einfacher Tätigkeiten im Berufsleben europaweit von 31 Prozent in 1996 auf 18 Prozent in 2020 stellt der Ausschluss von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche aus dem Erwerbsleben ein großes Problem dar. Richtig schreiben und sinnentnehmend lesen zu können, sind aber auch Voraussetzungen, um umfassend an Demokratie teilhaben zu können und somit auch insgesamt von gesellschaftlichem Interesse. Eine Möglichkeit, Menschen mit Lese- und Schreibschwäche zu erreichen, ist, ihnen Informationen und Materialien in einfacher Sprache anzubieten. Einerseits verlieren sie durch niedrigschwellige Leseangebote die Scheu vor dem Lesen. Andererseits wächst durch Lesematerialien mit passendem Sprachniveau ihr Selbstvertrauen, ihre Lesefähigkeit steigt, und es entsteht eine positive Lernspirale. Es geht also nicht darum, das Lese- und Schreibniveau generell abzusenken. Vielmehr steht dahinter die Absicht, diese Zielgruppe durch entsprechende Angebote überhaupt zu erreichen und dann an ein höheres Niveau heranzuführen. Nur so kann eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe für diese immerhin 20,8 Millionen Erwachsenen in Deutschland sichergestellt werden. Der Bund hat zwar in Reaktion auf die Ergebnisse der leo.-Studie zusammen mit der Kultusministerkonferenz Ende 2011 eine „Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener in Deutschland“ ins Leben gerufen. Mehr als eine gute Absicht kann man der Bundesregierung hier aber nicht zugutehalten. Es gibt positive Bestrebungen und Ansätze. So bietet beispielsweise der Deutsche Bundestag neben der regulären Homepage Information über die Tätigkeit des Parlaments in leichter Sprache für Menschen mit Behinderung an. Auch unsere Fraktion hat diverse parlamentarische Initiativen und Informationen in leichte Sprache und einfache Sprache übersetzt. Doch diese Ansätze gilt es dringend auszubauen. Dazu müssen die bisherigen Maßnahmen zur Vermittlung von Inhalten in einfacher und leichter Sprache im Internetangebot des Bundestages erweitert werden. Auch fordern wir die Bundesregierung auf, unzureichende Lese- und Schreibkompetenz und die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Implikationen in ihren Forschungsprogrammen zu verankern und das Instrument der einfachen Sprache etwa in Form von Zeitungen, Büchern oder digitalen Angeboten weiter zu entwickeln und zu fördern. Darüber hinaus muss die zusätzliche Anwendung der einfachen Sprache in staatlichen Stellen verbindlich werden, und es sind Maßnahmen notwendig, um die politische Partizipation von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche und Behinderung zu erhöhen, beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung. In anderen Ländern, wie etwa in den Niederlanden oder Schweden, wird die einfache Sprache neben der leichten Sprache bereits seit längerem – als Teil einer Gesamtstrategie zur Erhöhung der allgemeinen Lese- und Schreibkompetenz – gezielt gefördert. Demgegenüber stehen wir in Deutschland erst ganz am Anfang. Wir brauchen eine umfassend angelegte Strategie, die konkrete Maßnahmen aufgreift und die Kooperation der Akteure stärkt. Angebote in einfacher Sprache können Zugänge schaffen und die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche ermöglichen. Nutzen wir diese Chance! Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Das große Verdienst der „leo. – Level-One-Studie“, die im Jahr 2010 die Größenordnung und die Bedingungen und Differenzierungen des funktionalen Analphabetismus der erwerbsfähigen Bevölkerung in Deutschland erfasst hat, ist, dass mit dieser Studie nicht nur der Blick gerichtet wurde auf die über 7,5 Millionen Menschen, die zwar einzelne einfache Sätze lesen oder schreiben können, nicht jedoch zusammenhängende Texte, sondern dass es darüber hinaus auch weitere 13 Millionen Menschen gibt, die Bücher, Zeitungen, Gebrauchsanweisungen oder Behördenschriftstücke nur langsam und fehlerhaft lesen und verstehen können. Diese fast 13 Millionen Menschen, die das Lesen nach Möglichkeit vermeiden, dürfen genauso wenig wie die funktionalen Analphabeten aus dem Blickfeld der Politik ausgesperrt bleiben; sie bedürfen der bildungspolitischen Aufmerksamkeit, da Lese- und Schreibfertigkeiten grundsätzliche Voraussetzungen für umfassende gesellschaftliche Teilhabe sind. Ausreichende Lese- und Schreibfertigkeiten sind dabei in allen Bereichen der Teilhabe wichtige Voraussetzungen im persönlichen Sozial- und Familienleben, in der Teilhabe an öffentlichen Angeboten von Freizeit, Sport und Kultur, in der Teilhabe am Erwerbsleben, was natürlich eine besondere Bedeutung bekommt, wenn wir wissen, dass sich die Reduzierung einfacher Tätigkeiten im Berufsleben europaweit noch massiv verstärken wird. Und Lese- und Schreibfertigkeiten sind auch Voraussetzung für die Teilhabe an Demokratie. Die wachsende Wahlenthaltung wie die nicht vollständig und nicht korrekt ausgefüllten Wahlunterlagen, die zunehmend festzustellen sind, haben auch etwas damit zu tun, dass mittlerweile sprachliche Anforderungen damit verbunden sind, die im Lesen und Schreiben leider von vielen Menschen auch in Deutschland nicht geleistet werden können. Was eine wissenschaftliche Studie uns hier ins Bewusstsein gebracht hat, hat dann in der politischen Debatte nicht nur zur Entwicklung einer sogenannten Alphastrategie geführt, sondern speziell bei unserer Fraktion, der sozialdemokratischen Fraktion, auch dazu geführt, dass wir in den Ausschussanhörungen wie in zusätzlichen Fachgesprächen, die wir als Fraktion veranstaltet haben, unser Augenmerk auf diese größere Gruppe von Menschen mit Lese- und Schreibschwäche gerichtet haben. Es waren Vertreter aus Unternehmen – von gewerkschaftlicher Seite wie vonseiten der Personalführung –, es waren Sachverständige aus der Wissenschaft, es waren Vertreter von Betroffenenverbänden und auch der Weiterbildungsträger und nicht zuletzt auch Anbieter von Publikationen in einfacher Sprache, die uns sehr nachdrücklich darauf hingewiesen haben, dass Teil jeder Alphabetisierungsstrategie auch die Verbesserung der Bedingungen für Menschen auf dem sogenannten Alpha-Level 4 bzw. solche Menschen sein müsste, die nur mit einfacher Sprache in ihrer Literacy, um hier einmal ausnahmsweise ein Fremdwort ganz gegen die Absicht der einfachen Sprache in die Debatte einzubringen, umgehen können. Wir bekennen ganz freimütig: Hier haben wir dazugelernt, und dies haben wir für die SPD-Bundestagsfraktion zum Anlass genommen, zu unseren bisher schon eingebrachten Initiativen zur Alphabetisierung eine weitere Initiative zu starten, mit der wir auch die übrigen Fraktionen des Hauses ermutigen möchten, sich stärker mit der einfachen Sprache und der dahinter stehenden Lebenswirklichkeit und den Schicksalen von sehr vielen Menschen in unserem Land auseinanderzusetzen. Es kann nicht schaden, auch in der eigenen politischen Arbeit solche neuen Erkenntnisgewinne bei sich zuzulassen und daraus zu entsprechenden politischen Ableitungen zu kommen. Der gute Wille sollte jedenfalls da sein, und diesem möchten wir mit dieser Initiative einen weiteren Anstoß geben. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass es eine Zeit lang auch grundsätzliche Fragen gab, ob es eigentlich sinnvoll ist, niederschwellige Leseangebot in einfacher Sprache zu fördern. Wir sind allerdings – sehr nachdrücklich und oft bestätigt durch die Wissenschaft und die Praktiker in diesem Bereich – der Auffassung, dass mit niederschwelligen Leseangeboten keine Verfestigung einer unzureichenden Lese- und Schreibkompetenz verbunden ist, sondern im Gegenteil niederschwellige Leseangebote in einfacher Sprache ein ganz wichtiger Trittstein sind, um zusätzliche Teilhabe und auch Lese- und Schreibfertigkeiten als Kompetenzen mit aufzubauen und zu verbessern. Die Menschen haben die Chance, die Scheu vor dem Lesen zu verlieren. Dadurch wächst ihr Selbstvertrauen. Ihre Lesefähigkeit steigt. Es kann eine positive Lesespirale entstehen. Dies kann dazu führen, dass sie aus der einfachen Sprache herauswachsen und ein höheres Niveau in ihrer Kompetenz erreichen. Deshalb noch einmal ausdrücklich: Wer für einfache Sprache ist und diese weiter in die Gesellschaft und den Umgang von Institutionen in ihrem Schriftgut mit Menschen ausbauen möchte, will damit mitnichten diese Menschen in ihrem Sprachniveau festschreiben und es ihnen „nur zu leicht machen“. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Hier haben wir eine echte Chance, Teilhabe durch Fördern zu erreichen. Einmal mehr müssen wir im Bereich der Grundbildung hierbei leider konstatieren, dass andere Länder wie zum Beispiel die Niederlande oder Schweden mit der gezielten Förderung der einfachen Sprache schon viel weiter fortgeschritten sind, um damit allen Menschen dazu zu verhelfen, ihre Lese- und Schreibschwächen zu überwinden oder jedenfalls damit besser umgehen zu können. In diesen Ländern wird gezielt an einer allgemeinen Erhöhung des Literalitätsniveaus auf allen Stufen gearbeitet. Angebote in einfacher Sprache wie auch in der Variante der leichten Sprache sind in diesen Ländern seit längerem Teil einer Gesamtstrategie zur Erhöhung der allgemeinen Lese- und Schreibkompetenz. Erste Erfolge sind dort bereits zu verzeichnen. Demgegenüber stehen wir in Deutschland erst am Anfang einer solchen ausbaufähigen Gesamtstrategie zur Förderung der Lese- und Schreibkompetenz. Es wird tatsächlich aber höchste Zeit, dass wir auch in Deutschland hier energisch vorangehen, wenn wir nicht auf Dauer von einem PISA-Schock in einen nächsten Schock zum Beispiel im Rahmen der Veröffentlichung der Ergebnisse zur sogenannten PIAAC-Studie über die Alltagsfertigkeiten Erwachsener im Oktober diesen Jahres fallen wollen und dieses uns auch in den nächsten Jahren immer wieder passiert, ohne das sich tatsächlich wirklich etwas ändert. Was sich ändern kann im Sinne der einfachen Sprache, haben wir von der SPD-Fraktion in einem umfangreichen Forderungs- und Anregungskatalog herausgearbeitet, den wir gerne auch parteiübergreifend mit anderen Fraktionen beraten möchten. Wir setzen hier auch deshalb auf die parteiübergreifende Arbeit in diesen Fragen, weil ja kleine Ansätze auch in der Vergangenheit nicht zuletzt im Parlament wie auch im Regierungshandeln schon parteiübergreifend gemacht worden sind. Dies soll hier keineswegs verschwiegen werden. Zum Beispiel gibt es und gab es den Einsatz von Sprachwissenschaftlern mit Blick auf die sprachliche Beratung bei der Bearbeitung von Gesetzes- und Rechtsvorschriften. Es gab ja auch Pilotprojekte über bürgernahe Verwaltungssprache. Auch der Bundestag hat im letzten Jahr erste Schritte zur leichten Sprache mit unternommen, indem auf der regulären Homepage des Bundestages über die Tätigkeit des Parlamentes in leichter Sprache informiert wird. Nicht zuletzt haben auch Anträge der SPD-Fraktion, für die ich hier sprechen darf, eine ergänzende Fassung in der Form der einfachen Sprache bekommen. Zum Beispiel in dem Antrag „Kultur für alle – Für einen gleichberechtigten Zugang von Menschen mit Behinderung zu Kultur, Information und Kommunikation“ oder auch in Broschüren zur Bildungspolitik, zur Inklusion wie im Antrag zur Alphabetisierung und Grundbildung, die für uns als antragstellende Fraktion in eigener Verantwortung in einfache Sprache übersetzt worden sind. In dieser Linie müssen wir insgesamt im Bundestag weiterarbeiten, mit entsprechenden alternativ formulierten Anträgen, mit Angeboten im Parlament, mit Publikationen und mit einer grundsätzlich größeren Bereitschaft, diese sprachliche Zugänglichkeit ernst zu nehmen. Ernst genommen werden muss die Situation von 13 Millionen Menschen, die nur fehlerhaft schreiben und lesen können in Deutschland, auch in der Wissenschaft. Hier hat es ja, ohne hieran irgendwie Kritik üben zu wollen, eine erhebliche Verstärkung der Forschungsinitiativen nicht zuletzt auch durch die Bildungsforschungsmittel seitens der Bundesregierung gegeben. Wir regen dringend an, hier auch die Themen von einfacher und leichter Sprache zum Gegenstand entsprechender Forschungsprogramme zu machen. Ein drittes Handlungsfeld liegt darin, die Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung um die Dimension der einfachen Sprache zu erweitern und mit allen an dieser Strategie Beteiligten, von den Kirchen über die Kommunen bis hin zur Bundesagentur für Arbeit, bei den Gewerkschaften wie der Wirtschaft, darauf zu drängen, dass einfache Sprache zu einer Selbstverständlichkeit wird, wenn es darum geht, Menschen den Zugang in schriftlicher Form zu den Informationen und Kommunikationswegen dieser Institutionen zu ermöglichen. Es bleibt dabei: Wenn wir Partizipation und Teilhabe für alle wirklich ernst nehmen, müssten wir uns auf die Voraussetzungen einlassen und einstellen, die die Menschen mitbringen. Anfangen, wo die Gruppe steht, ist ein elementarer Grundsatz jeder Gruppenpädagogik. Schreiben und formulieren so, dass der Adressat es verstehen kann, muss die Maxime sein, nach der wir in Zukunft auf jeder Ebene Schrift- und damit letztlich Kommunikationsangebote machen. Wir bitten dringlich darum, dass dieses auch in anderen Fraktionen konstruktiv aufgenommen wird und unser Antrag einen weiteren Anstoß geben kann, in dieser Grundbildungsstrategie für Deutschland endlich ernsthaft voranzukommen. Patrick Meinhardt (FDP): Die grundsätzliche Absicht dieses Antrags der SPD-Fraktion ist zu 100 Prozent nachvollziehbar. Sie fordern, dass der Bundestag mehr Angebote in Leichter und Einfacher Sprache verfügbar machen soll. Dies sollte für jeden von uns in diesem Parlament innere Verpflichtung sein. Schade ist nur, dass Sie selbst nicht einmal Ihren Antrag in Leichter und Einfacher Sprache formulieren können. Würden wir andere Anträge zurate ziehen, kämen ziemliche Bandwurmsätze zutage. Sie verwenden auch hier Worte wie „Bürger-Verwaltungs-Kommunikation“, „Rechtsetzungsverfahren“ und „zielgruppenspezifische Angebote oder Forschungsprogramme“. Fragen Sie einmal Otto Normalleser, ob er damit irgendetwas anfangen kann. Ich denke, Sie erkennen selbst, wie viel Ironie in Ihrem Antrag verborgen ist. Wir haben in dieser Legislaturperiode wirklich Maßnahmen ergriffen: das Programm „Lesestart“ mit einer Finanzierung von 20 Millionen Euro, bei dem in den kommenden acht Jahren 4,5 Millionen Lesestart-Sets verteilt werden, die „Offensive Frühe Chancen“ für 4 000 Schwerpunkt-Kindertagesstätten, das Programm zur arbeitsplatzorientierten Forschung und Entwicklung für Grundbildung, das mit 20 Millionen Euro ausgestattet wurde, die weitere Aktivierung von Mitteln für Alphabetisierung und Grundbildung aus dem Europäischen Sozialfonds in Höhe von 35 Millionen Euro, die Förderung von 24 Verbundvorhaben mit über 100 Einzelmaßnahmen mit einer Gesamtfördersumme von über 30 Millionen Euro, die Öffnung der Bildungsprämie für Maßnahmen der Alphabetisierung und Grundbildung, bei der seit deren Verdreifachung von 150 auf 500 Euro statt 7 000 Prämien im Jahr 2009 inzwischen 180 000 Prämien ausgegeben wurden, die Einrichtung der „Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“, die Initiative „Lesen und Schreiben – Mein Schlüssel zur Welt“, die mit den 5 Millionen Euro ausgestattet ist, die die FDP in den Haushaltsberatungen durchgesetzt hat, die Fortführung der Initiative „iChANCE“. Dies ist ein großer Maßnahmenplan der bürgerlichen Regierung für Alphabetisierung und Grundbildung. Dringende, nächste Schritte aus Sicht der Liberalen sind: ein „Alpha-Plan“ im Sinne eines Masterplans Alphabetisierung für die Bundesrepublik Deutschland; Bund, Länder, Kommunen, Verbände, Organisationen und die Wirtschaft stehen hier in einer gemeinsamen gesellschaftpolitischen Verantwortung, um die hohe Zahl von 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten zu reduzieren, die bestehende Qualifizierungsinitiative „Aufstieg durch Bildung“ zwischen Bund und Ländern um eine „Alpha-Initiative“ für die Bundesrepublik Deutschland zu erweitern und so konkrete Schritte in den gemeinsamen Verabredungen zu verankern, wie funktionaler Analphabetismus frühzeitig erkannt und von der Kindertagesstätte an begegnet werden kann, die Einrichtung eines „Alpha-Büros“ als Koordinierungsstelle für alle Maßnahmen, die in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, vorzugsweise angesiedelt bei der KMK, das Thema Analphabetismus in Deutschland endlich ins Zentrum der bildungspolitischen Debatte zu stellen; die KMK muss sich dieser Aufgabe annehmen und alle Maßnahmen der Bundesländer darstellen, kritisch überprüfen und neu ausrichten, im Rahmen der „Initiative zur Stärkung der Exzellenz in der Lehrerausbildung“ ein besonderes Augenmerk auf die Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern zum frühzeitigen Erkennen von Symptomen des Analphabetismus zu legen, im Rahmen der lokalen Bildungsbündnisse der Frage der Alphabetisierung einen wichtigen Stellenwert zukommen zu lassen; nur in der Vernetzung vor Ort zwischen allen schulischen und außerschulischen Bildungseinrichtungen können Maßnahmen frühzeitig greifen, eine Kampagne zur Gewinnung von „Alpha-Paten“, die sich ehrenamtlich für Alphabetisierung engagieren möchten und die in enger Kooperation mit den regionalen Wirtschaftsorganisationen stattfinden muss, die Einrichtung einer „Alpha-Stiftung“ für die Bundesrepublik Deutschland, um hier alle Beteiligten zu einem gemeinsamen Engagement zu motivieren und verstärkt innovative Maßnahmen zur Enttabuisierung und zur Förderung auf den Weg zu bringen, eine Länder-Folgestudie zur leo.-Level-One Studie, die genau aufschlüsselt, wie die jeweilige Situation in den Bundesländern ist, um so auch deutlich zu machen, welcher unterschiedliche Handlungsbedarf in welchen Ländern notwendig ist, in diesem Zusammenhang eine umfassende Aufklärungskampagne gerade auch für die sogenannten „Mitwisser“ zu starten; jeder muss sensibilisiert werden, wie wichtig es ist, hilfreich zur Seite zu stehen, statt einfach wegzuschauen, dem funktionalen Analphabetismus im Rahmen des Nationalen Bildungsberichts einen eigenen Schwerpunkt zu geben, die Weitung der „Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“ durch Verbände der Wirtschaft und Gewerkschaften, um so umfassende Grundlagen für arbeitsplatzorientierte Maßnahmen legen zu können, in der Frage der Alphabetisierung und Grundbildung in Deutschland auch im politischen Bereich die Konsequenz zu tragen; deshalb fordern wir einen „Alpha-Beauftragten“ der Bundesregierung und in gleicher Weise Landesbeauftragte der Landesregierungen, die Öffentlichkeit durch die Medien kontinuierlich über das Themenfeld Alphabetisierung zu informieren, um so zur Entstigmatisierung beizutragen und zugleich die Betroffenen und ihre Vertrauenspersonen auf bestehende Hilfsangebote aufmerksam zu machen; Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener erfordern ein möglichst flächendeckendes und nachfragegerechtes Angebot an Alphabetisierungs- und Grundbildungskursen in Weiterbildungseinrichtungen, im Bereich der Prävention von funktionalem Analphabetismus sicherzustellen, dass es frühzeitige Sprachstandsdiagnosen und Förderangebote schon in den Kindertagesstätten gibt, eine enge Verzahnung der Arbeit der „Nationalen Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“ und der „Allianz für Bildung“, damit keine Maßnahmen parallel stattfinden. Hier können gerne alle gemeinsam wirken. Die internationale Parlamentskonferenz am Montag bietet einen wichtigen weiteren Schritt. Eines der größten Hemmnisse beim Kampf gegen den Analphabetismus ist die Angst der Betroffenen, mit ihrem Problem an die Öffentlichkeit zu gehen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Daher muss die Gesellschaft noch mehr für dieses Thema sensibilisiert werden. Nur wenn alle hier an einem Strang ziehen, kann diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe bewältigt werden. Die bürgerliche Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass wir ein gesellschaftspolitisches Klima schaffen, in dem Analphabetismus enttabuisiert und alle gesellschaftlichen Institutionen dafür sensibilisiert werden. Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Es betrifft 7,5 Millionen Menschen in Deutschland oder jeden Siebenten im Alter zwischen 15 und 65 Jahren: So viele Menschen, die in Deutschland leben, können nicht oder nicht gut lesen und schreiben. Es gibt für sie zu wenig Hilfen. Es wäre sicher eine große Erleichterung, wenn Texte in Zeitungen, im Bundestag, in den Landtagen, in Ämtern und Behörden oder auch vor Gericht in einfacher Sprache veröffentlicht würden. Das erleichtert ganz sicher vielen Menschen, sich zurechtzufinden. Das ist wichtig für Menschen, die nicht gut lesen und schreiben können. Das ist auch wichtig für Menschen, die eine andere Muttersprache gelernt haben. Und selbst für Touristen aus dem Ausland ist es nicht schlecht. Einfach zu sprechen und zu schreiben, ist durchaus anspruchsvoll; denn manche und mancher von uns wird beim Lesen von Vorlagen und Gesetzen auch schon gefragt haben: Kann man das nicht auch einfacher sagen? – Texte in einfacher Sprache werden also durchaus von jedem Menschen besser verstanden. Insofern sollte man nicht den Eindruck erwecken, die einfache Sprache sei nur etwas für jene, die nicht so klug sind. Sich in einfacher Sprache auszudrücken, strengt ungeheuer an. Also: Einfache Sprache in die Ämter und Behörden! Projekte entwickeln, in denen Lesen und Schreiben gelernt wird. Barrierefreiheit auch in der Sprache! So lauten im Wesentlichen die Forderungen der SPD. Ist damit also alles gut? Keinesfalls. Ich bin auch nach mehrmaligem Lesen etwas ratlos, warum der Antrag jetzt, gerade zu diesem Zeitpunkt, gestellt wurde. Hier wird der Eindruck erweckt, wenn man alles in einfacher oder leichter Sprache schreiben würde, dann wäre den vielen, die nicht gut lesen und schreiben können, genug geholfen. Im Forderungsteil des Antrags findet man auch Forderungen nach einer besseren wissenschaftlichen Erforschung zu den Ursachen der schlechten Beherrschung der Schriftsprache. Doch die verschiedenen betroffenen Gruppen werden kaum berücksichtigt. Es werden auch keine unterschiedlichen Wege angestrebt, mit denen das Lesevermögen und die Fähigkeit, zu schreiben, verbessert werden können. Vielmehr entsteht der Eindruck, der Zustand der schlechten Lese- und Schreibfähigkeit eines großen Teils der Bevölkerung werde einfach hingenommen. Warum das so ist, wird nicht gefragt. Die „einfache Sprache“ scheint das einzige Mittel dagegen zu sein. Das aber wäre fatal. Manche Menschen, die nur eingeschränkt lesen und schreiben können, haben eine geistige Beeinträchtigung. Für sie ist die Möglichkeit, Texte in leichter oder einfacher Sprache lesen zu können, eine große Leistung. Sie brauchen ihr Leben lang solche Hilfen, um mitreden zu können. Es gibt auch Menschen, die mit einer anderen Muttersprache aufgewachsen sind und die nur die deutsche Sprache nicht so gut beherrschen. Auch ihnen kann über einfache Sprache gut geholfen werden. Aber sie könnten die deutsche Sprache irgendwann gut beherrschen. Doch es gibt auch Menschen, die schlecht lesen und schreiben können, weil sie in der Schule nicht genügend gefördert werden konnten. Und schließlich gibt es Menschen, die nach einem erfolgreichen Schulabschluss das Lesen und Schreiben wieder verlernt haben. In den wenigsten Fällen bedeutet die fehlende oder schlechte Beherrschung der Schriftsprache, dass man sie nicht lernen kann. Darum muss man sorgfältiger nach den Ursachen für die verschiedenen Formen von Analphabetismus suchen. Dann können auch Wege gefunden werden, mit denen die sichere Beherrschung der Sprache in Wort und Schrift erreicht werden kann. Wir haben dazu schon einen Antrag vorgelegt, Bundestagsdrucksache 17/8766 „Niemanden abschreiben – Analphabetismus wirksam entgegentreten, Grundbildung für alle sichern“. Diese Wege müssen mindestens in der Schule beginnen. Dazu braucht man eine größere Aufmerksamkeit bei Lehrerinnen und Lehrern. Dazu braucht man aber auch mehr Zeit, sich besonders mit den Kindern zu befassen, die es schwerer haben, lesen und schreiben zu lernen. Es ist zu spät, wenn sich die Politik erst dann bemüht, wenn festgestellt wurde, wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der nicht gut lesen und schreiben kann. Im SPD-Antrag erscheint es aber so, als ob man sich mit dem schlechten Befund der LEO-Studie über die Lese- und Schreibfähigkeit der Bevölkerung abfinden muss. Und nun sucht man nur nach Möglichkeiten der Reparatur. Das ist uns zu wenig. Wir wollen erreichen, dass alle Menschen von Anfang an einen guten Zugang zur Sprache erhalten. Sie sollen gut lesen und schreiben lernen. Denn die Fähigkeit, gut zu lesen und zu schreiben, ist wichtig für die volle gesellschaftliche Teilhabe oder für beruflichen Erfolg. Darum wollen wir nicht erst dann beginnen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, sondern schon dort, wo Lesen und Schreiben zuerst gelernt wird: in der Schule. Und wir wollen verhindern, dass einmal Gelerntes wieder verlernt wird. Darum müssen wir mehr darüber wissen, wann, wo, wie und warum Lesen und Schreiben nicht richtig gelernt wird oder aber auch die Fähigkeit wieder verloren geht. Darauf müssen auch die Hilfen aufbauen. Und das werden unterschiedliche Hilfen sein. Das müssen Schulen wissen, aber auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Ämter und Behörden. Dann erst können unterschiedliche und für jede besondere Gruppe sinnvolle Wege gefunden werden, die geeignet sind, die Lese- und Schreibfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern. Die „einfache Sprache“ ist nur ein Bestandteil dieser möglichen Hilfen. Uns reicht das nicht. Inzwischen ist mir auch eingefallen, warum der Antrag gerade heute und so kurzfristig gestellt wurde: Am Montag findet im Bundestag die internationale Parlamentarierkonferenz zum Abschluss der UN-Weltdekade für Alphabetisierung statt. Und da möchte die SPD halt ein wenig glänzen. Ein Schaufensterantrag ist es also. Er ist sehr durchsichtig und leider auch sehr oberflächlich. Doch das Problem bleibt uns auch nach diesem Antrag erhalten. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sprechen hier heute über einen wichtigen Aspekt gesellschaftlicher Teilhabe: Lesen und Schreiben. Die „leo. – Level-One-Studie“ hat uns allen im Jahr 2010 die Augen geöffnet: In Deutschland leben viele Erwachsene, die keinen zusammenhängenden Text lesen können. Das bedeutet: Sie können nur ganz wenig geschriebene Information aufnehmen. Und sie können selbst auch nur ganz wenig schriftlich mitteilen. In unserem Parlamentsalltag ist das schwierig vorzustellen. Wahrscheinlich schreiben und lesen wir alle an einem Tag so viel wie diese 7,5 Millionen Menschen in einem Monat. Die SPD erinnert uns in unserem Arbeitsalltag, der so oft voll von hochkomplexen Texten ist, dankenswerterweise daran, dass wir alle Menschen erreichen wollen. Dafür müssen wir etwas tun. Einfache Sprache in Wort und Schrift hilft dabei. Wir müssen uns klarmachen: Manche Wege, die für uns alltäglich sind, sind für eine große Zahl von Menschen eine große Anstrengung und Überwindung. Im vorliegenden Antrag sind drei Vorschläge enthalten, wie der Deutsche Bundestag in leichter und einfacher Sprache kommunizieren sollte. Die Vorschläge, das Internet dafür stärker zu nutzen und eigenständige Publikationsangebote zu entwickeln, finde ich sehr gut. Für die Zeitung „Das Parlament“ gilt nach meiner Einschätzung, dass sie gerne auch eine leichter lesbare Seite enthalten sollte. Diese Seite könnte und sollte sich aber eher an junge Leserinnen und Leser richten. Denn für die Mehrheit der Gruppe, über die wir uns hier Gedanken machen, ist eine Zeitung gerade kein attraktives Medium, sondern abschreckend. Die Hürde, eine Zeitung in die Hand zu nehmen und in ihr nach Informationen zu suchen, ist nach jahrelanger Erfahrung der eigenen Schwäche für die meisten zu hoch. Zu anderen Forderungen nur kurz: Die Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener ist eine gute Initiative. Sie sollte auf diejenigen ausgedehnt werden, die das Alpha-Level 4 erreichen – also Menschen, die sehr fehlerhaft und langsam schreiben trotz gebräuchlichem Wortschatz. Mich wundert, dass die Wirtschaft im Antrag nur einmal erwähnt wird. Sie soll sich an einer Öffentlichkeitskampagne beteiligen. Das ist gut und richtig. Aber die Unternehmen sind als Arbeitgeber viel direkter gefragt! Es geht gerade darum, Menschen, die „aktive Lesevermeider“ sind, im wahrsten Wortsinne „anzusprechen“. Wer kann das besser als Kollegen, Betriebsratsmitglieder, aufmerksame Vorgesetzte? Damit diese das tun, brauchen sie die Aufmunterung und Unterstützung der Leitung. Also: Wirtschaft muss stärker mit ins Boot. Sie muss informieren und aktivieren, unterstützen und motivieren. Der Fachkräftemangel muss auf allen Ebenen angegangen werden! Dies kann nicht alleine Aufgabe der Jobcenter und Agenturen sein. Denn glücklicherweise sind nicht alle Menschen, die einfache Sprache benötigen oder bevorzugen, arbeitslos. Auch wenn die Menschen, die nur wenig lesen und schreiben können, das Lernen nachholen wollen, brauchen sie die Unterstützung der Arbeitgeber: Vielleicht über eine flexiblere Schichteinteilung, einen Bildungsurlaub oder die Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch. Die Volkshochschulen können noch so gute Angebote machen. Sie erreichen ihre Zielgruppe, indem sie zum Beispiel Plakate aufhängen und Werbung im Radio machen. Aber es fällt ihnen nicht leicht, Menschen für ein Alphabetisierungsangebot auf klassischen Wegen wirklich anzusprechen. Deswegen sind alle zum Ansprechen aufgefordert: staatliche Stellen von der Kommune bis zum Bundestag, gesellschaftliche Gruppen vom Turnverein bis zur Nachbarschaftsinitiative, die Wirtschaft vom Ausbildungsbetrieb bis zur Kammer. Der Hinweis der Antragsteller, dass wir im Oktober 2013 einen neuen Bildungsschock erleiden, ist hoffentlich überflüssig. Wie auch immer die PIAAC-Ergebnisse über die Alltagsfertigkeiten Erwachsener ganz genau ausfallen werden: Wir müssen handeln und uns um einfache Sprache stärker kümmern. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12724 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung aufgeführt finden. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das beschlossen. Tagesordnungspunkte 22 a und b: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung – Drucksache 17/13079 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Keine überhöhten Säumniszuschläge bei Beitragsschulden – Drucksache 17/12069 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Die Reden sind zu Protokoll genommen.16 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/13079 und 17/12069 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das beschlossen. Tagesordnungspunkt 23: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Umfassende Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung ermöglichen – UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen – Drucksachen 17/9190, 17/12915 – Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Martin Gerster Dr. Lutz Knopek Katrin Kunert Viola von Cramon-Taubadel Die Reden sind zu Protokoll genommen. Eberhard Gienger (CDU/CSU): Im Jahr 2006 hat die UNO-Generalversammlung das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung verabschiedet. Zwei Jahre später ist es in Kraft getreten. Es ist ein von 128 Staaten abgeschlossener völkerrechtlicher Vertrag, der Menschenrechte für die Lebenssituation behinderter Menschen konkretisiert, um ihnen die gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Natürlich haben Deutschland und die Europäische Union diesem wichtigen Übereinkommen zugestimmt. Darin finden sich neben grundlegenden Teilen der allgemeinen Menschenrechte, wie zum Beispiel dem Recht auf Leben oder dem Recht auf Freizügigkeit, viele spezielle Bestimmungen, die auf die Lebenssituation behinderter Menschen eingehen. Dazu gehören im Art. 30 auch einige Bestimmungen, die den Bereich des Sports betreffen. Alle 27 EU-Mitgliedstaaten haben die Konvention unterzeichnet, und für die EU ist das Übereinkommen am 22. Januar 2011 in Kraft getreten. In Deutschland ist dies bereits knapp zwei Jahre früher, am 26. März 2009, geschehen. Das verdeutlicht, wie wichtig der Politik in Deutschland die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung ist. Die Konvention stellt die Pflichten der Staaten heraus, die für Menschen mit Behinderung bestehenden Menschenrechte zu gewährleisten. Aufgabe aller Menschenrechtskonventionen ist die Stärkung der Menschen, indem Ansprüche auf Selbstbestimmung und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe geltend gemacht werden und ihre Durchsetzung ermöglicht wird. Die Grundsätze der Konvention enthält Art. 3. Darin ist unter anderem festgelegt, dass die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit gewährleistet sein muss. Die Nichtdiskriminierung von Menschen mit Behinderung wird ebenso gewährt, wie die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft, die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderung und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt. Die Behindertenrechtskonvention verfolgt das Leitbild der sogenannten Inklusion. Dabei darf es nicht mehr darum gehen, Ausgegrenzte zu integrieren, sondern allen Menschen von vornherein die Teilnahme an allen gesellschaftlichen Aktivitäten auf allen Ebenen und in vollem Umfang zu ermöglichen. Dies bedeutet, dass alle gesellschaftlichen Bereiche für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zugeschnitten sein müssen oder geöffnet werden müssen. Schlussendlich ist es nicht die Aufgabe des Menschen mit Behinderung, sich anzupassen, um seine Rechte wahrzunehmen. Wir müssen uns ihnen anpassen. Dazu gehört auch die Sicherstellung behindertengerechter Infrastruktur, denn das ist ein Grundgedanke der Behindertenrechtskonvention. Neben diesen allgemein gehaltenen Richtlinien enthält der Art. 30 der Konvention Aspekte, die insbesondere im Bereich des Sports zur Geltung kommen. Da diese für uns folglich von besonderer Bedeutung sind, möchte ich einige von Ihnen hier aufgreifen. So heißt es zum Beispiel, dass gleichberechtigte Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit Menschen mit Behinderung ohne Nachteile ihrem Sport nachkommen können. Explizit wird darin darauf hingewiesen, dass auf allen Ebenen die Möglichkeit der Beteiligung von Menschen mit Behinderung an Breitensportangeboten hergestellt werden sollte. Es soll sichergestellt werden, dass Menschen mit Behinderung sich im Sport organisieren können und ihnen angemessene Trainings- und Trainerangebote zur Verfügung gestellt werden. Zudem heißt es in dem Artikel auch, dass insbesondere behinderte Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit erhalten sollen, gleichberechtigt an allen sportlichen Aktivitäten im Schulsystem teilzunehmen. Die Erfüllung all dieser Voraussetzungen ist für die Inklusion von Menschen mit Behinderung unerlässlich. Daraus ergibt sich der Auftrag an uns alle, diese auch umzusetzen. Daran arbeitet diese Bundesregierung, und ich möchte einige Maßnahmen aufzeigen, die das verdeutlichen. Das Leistungssportprogramm der Bundesregierung sieht bereits seit dem Jahr 2005 eine Gleichbehandlung des Spitzensports von Sportlern mit und ohne Behinderung vor. Der Leistungssport von Menschen mit Behinderung wird durch das Bundesministerium des Inneren grundsätzlich nach den gleichen Kriterien gefördert wie der Spitzensport der Nichtbehinderten. Das gilt zum Beispiel für die Finanzierung von Trainingslehrgängen, der Teilnahme an nationalen und internationalen Wettbewerben und der Übernahme von Personalkosten der Geschäftsstellen der Behindertensportverbände. Diese Gleichbehandlung spiegelt sich auch in der Höhe der Haushaltsmittel wider: Der Deutsche Behindertensportverband, der Deutsche Gehörlosen-Sportverband und Special Olympics Deutschland werden mit insgesamt circa 5 Millionen Euro jährlich unterstützt. Dazu gehört auch, dass die „Duale Karriere“ von Leistungssport und beruflicher Entwicklung behinderter Sportler durch den neu geschaffenen, ressortübergreifenden Stellenpool bei Bundesbehörden maßgeblich vorangebracht wurde. Dort wurde die Möglichkeit geschaffen, neben einer beruflichen Tätigkeit auch Leistungssport ausüben zu können. Diese Angebote für Sportler mit Behinderung wurden in den letzten Jahren immer weiter ausgebaut, und das wird auch in Zukunft so weitergehen. Obwohl es im Grunde genommen eine reine Aufgabe der Bundesländer ist, stellt der Bund darüber hinaus auch finanzielle Mittel zur Förderung der Teilnahme von Menschen mit Behinderung im Breitensport zur Verfügung, darunter solche zur Förderung des Deutschen Behindertensportverbands, der Maßnahmen im Breiten-, Präventions- und Rehabilitationssport organisiert. Vergessen dürfen wir dabei nicht, dass viele Sportangebote für Menschen mit Behinderung ohne die Arbeit von Ehrenamtlichen nicht denkbar wären. Dieses freiwillige Engagement gibt es jedoch nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern selbstverständlich auch von Menschen mit Behinderung. Dieser Gedanke wird durch die Nationale Engagementstrategie aufgegriffen. Menschen mit Behinderung sind darüber hinaus explizite Zielgruppe des ebenfalls in der Strategie genannten Programms „Freiwilligendienste aller Generationen“. Das eigene Freiwilligenengagement von Menschen mit Behinderung stärkt die Menschen in ihren Fähigkeiten, fördert oder aktiviert ihre Kompetenzen. Das Engagement führt zur gesellschaftlichen Teilhabe in Richtung einer inklusiven Gesellschaft und wird daher selbstverständlich von der Bundesregierung besonders begrüßt und gefördert. Darüber hinaus haben junge Menschen mit Behinderung auch die Möglichkeit, einen Jugendfreiwilligendienst zu absolvieren. Der Bundesfreiwilligendienst steht Menschen jeder Altersgruppe mit und ohne Behinderung ebenfalls offen. Für die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke habe ich die umfassenden Maßnahmen der Bundesregierung zur Umsetzung der in der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen vorgesehenen Regelungen zur vollständigen Inklusion aufgeführt, da ihnen diese offensichtlich nicht bekannt sind. Anders ist deren Antrag nicht zu erklären. Die umfassenden Maßnahmen der Bundesregierung bezüglich der Förderung des Behindertensports werden in dem vorliegenden Antrag außer Acht gelassen. Zudem werden die unterschiedlichen Kompetenzbereiche von Bund und Ländern im Bereich des Behindertensports und damit die zuwendungsrechtlichen Bestimmungen nicht berücksichtigt. Es gibt in Deutschland eine klare Trennung zwischen Aufgaben des Bundes und der Länder, welche hier übersehen wird. Da es aus dem Antrag nicht ersichtlich wird, möchte ich es gerne nochmal sagen: Insgesamt ist mit Blick auf die vollständige Umsetzung der Konvention zu beachten, dass der Bund für den Spitzensport und die Bundesländer für den Breitensport von Menschen mit Behinderung zuständig sind. Dennoch hat diese Bundesregierung, zusammen mit den Bundesländern sowie dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, sukzessiv die durch den Bund geförderten Sportanlagen hinsichtlich der Herstellung der Barrierefreiheit modernisiert. Auch die personelle Ausstattung für den Behindertenleistungssport wurde seit 2008 stetig aufgebaut Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und das Bundesministerium für Gesundheit haben sich in der Vergangenheit für Sportangebote der Krankenkassen, Rentenversicherungsträgern und Unfallkassen stark gemacht. Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, dass der Bund – obwohl nicht für den Breitensport von Menschen mit Behinderung und den Schul-, Berufsschul- und Hochschulsport zuständig – den neu etablierten Jugendsportwettbewerb „Jugend trainiert für Paralympics“ unterstützt und so ein wichtiges Zeichen für den Sport von Jugendlichen mit Behinderung setzt. Zum Ende meiner Ausführungen möchte ich die Antragsteller nur noch auf zwei Dinge hinweisen. Zum einen wird in den Punkten drei und vier des Antrags gefordert, dass die Bundesregierung Berichte über den Fortgang der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorlegen soll, was wiederrum verdeutlicht, dass sie die Konvention selbst nicht ausreichend gelesen haben. Darin heißt es nämlich, dass jeder Vertragsstaat innerhalb von zwei Jahren und danach mindestens alle vier Jahre einen Bericht über die Erfüllung der Konvention vorzulegen hat. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist dem bereits nachgegangen und hat den ersten Staatenbericht vorgelegt. Zum anderen hat die Bundesregierung am 15. Juni 2011 den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention beschlossen. Aus diesem geht hervor, wie sich die Bundesregierung die Umsetzung der in der Konvention vorgesehenen Maßnahmen vorstellt. Folglich wird es nicht überraschen, dass wir dem Antrag nicht folgen werden und ihn ablehnen. Neben den von mir angeführten Maßnahmen der Bundesregierung, die bereits eine zügige Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorsehen, und den ebenfalls aufgeführten, aber völlig außer Acht gelassenen Kompetenzverteilungen zwischen Bund und Ländern ist es am Ende mit dem Antrag so, wie mit fast allen Anträgen der Linken: ein konkreter Vorschlag bezüglich einer Gegenfinanzierung wurde nicht unterbreitet. Da stellt sich mir die Frage, wie ernst die Fraktion Die Linke es mit der vollständigen Inklusion von Menschen mit Behinderung wirklich meint. Mechthild Heil (CDU/CSU): Sie fordern in Ihrem Entwurf, Spitzen- wie auch Breitensport besser zu unterstützen und damit die UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland seit dem 26. März 2009 gilt, umzusetzen. Sie stellen in Ihrem Antrag fest: „Bund, Länder und Kommunen sind verpflichtet, Menschen mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen die Teilhabe an Sportaktivitäten zu ermöglichen“. Herzlichen Glückwunsch, dass Ihnen diese Idee jetzt kommt. Wir von der Regierungskoalition verfolgen diesen Ansatz schon seit einigen Jahren. Mit dem Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, der am 15. Juni 2011 von der Bundesregierung beschlossen wurde, legen wir mit einem Zeitfenster von zehn Jahren die schrittweise Inklusion fest. Somit ist Ihr Antrag überholt und missachtet jegliche Forderungen des Behindertensports im Allgemeinen wie auch im Speziellen. Ich möchte hier ein paar Beispiele nennen. Das umfassende Förderprogramm zu beschreiben, würde den Rahmen dieser Rede sprengen. Schon seit dem Jahr 2005 fördern wir ambitionierte Sportler mit Behinderung mit dem Leistungssportprogramm des Bundesministeriums des Innern. Der Leistungssport für Menschen mit Behinderungen wird dadurch genauso gefördert wie der Spitzensport der Menschen ohne Behinderungen. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, MdB, betonte in der öffentlichen Anhörung zum Stand der Maßnahmen zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention an Sportstätten, dass die bereits durchgeführten wie auch geplanten Aktionen zur Barrierefreiheit sich sehen lassen können. Die Sportverbände für Sportler mit und ohne Behinderungen haben bereits gute Ansätze gefunden. Darunter sind unter anderem der Deutsche Behindertensportverband, DBS, der Deutsche Gehörlosen-Sportverband (DBSB), Special Olympics Deutschland, SOD, und der Deutsche Olympische Sportbund, DOSB. Ich erinnere nochmals daran, dass der Aktionsplan zur Umsetzung der Konvention auf einen zeitlichen Rahmen von zehn Jahren angesetzt ist. Bis 2021 sollen also Menschen mit Behinderung inklusiv in unsere Gesellschaft eingebunden sein. Dies bedeutet, dass die Teilnahme an allen gesellschaftlichen Aktivitäten auf allen Ebenen – auch der sportlichen Ausbildung – in vollem Umfang ermöglicht werden muss und auf die gleichen sportiven Angebote wie Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung zurückgegriffen werden kann. Ich möchte Sie gerne fragen, meine Damen und Herren von den Linken: Haben Sie die letzten olympischen und paralympischen Sommerspiele gesehen? Letztes Jahr, im August 2012, fanden in London die 14. paralympischen Sommerspiele statt. Mehr als 4 200 Sportlerinnen und Sportler nahmen daran teil, darunter auch 166 Sportler für die Bundesrepublik Deutschland. Auf den Rängen wurden sie zu Spitzenzeiten von bis zu 80 000 Zuschauern bejubelt. Die öffentlich-rechtlichen Sender wechselten sich mit der Übertragung ab. Die Athleten konnten sich in fast allen 20 Sportarten qualifizieren und das Ergebnis von Peking in der Gesamtwertung übertreffen. Mit 18 Goldmedaillen hat sich die deutsche Mannschaft einen Platz unter den ersten zehn Ländern gesichert. Das mediale Interesse sowie die Begeisterung, die den paralympischen Athleten entgegengebracht wird und wurde, zeigt, wie sehr sich das Bild im Sport gewandelt hat. Behindertensport ist genauso spannend und genauso professionell. Wir ruhen uns aber nicht auf diesen Erfolgen aus: Dass Menschen mit Behinderungen an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilhaben können, haben wir von der christlich-liberalen Koalition bereits im Koalitionsvertrag verankert und auch umgesetzt. So fördern wir wie keine andere Partei das Ehrenamt. Noch nie wurde bürgerschaftliches Engagement finanziell so stark unterstützt wie heute. Mit dem Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes haben wir die steuerlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert und Engagierte und Vereine von bürokratischem Aufwand entlastet. Wir motivieren zur Beteiligung an einer inklusiven Gesellschaft und bauen Barrieren ab. Kommen wir nun zu einer weiteren Krux in Ihrem Antrag: Sie verwechseln die Hoheiten von Bund und Ländern. Was der Bund bereits zur Unterstützung von Menschen mit Behinderungen im Leistungssport tut, habe ich eben schon angerissen. Wir können uns einig sein, dass der Spitzensport „spitze“ aufgestellt ist. Für die Förderung des Breitensports sind die Länder zuständig. Trotzdem unterstützt die Bundesregierung Talentfindung und Sichtung möglicher künftiger Sporttalente mit Behinderung. Das Bundesministerium des Innern zum Beispiel bezuschusst jährlich den neu etablierten Jugendsportwettbewerb „Jugend trainiert für Paralympics“. Bei der Wahl der Ausübung einer bestimmten Sportart muss zwar das „selbstbestimmte Wahlrecht“, wie Sie es formulieren, berücksichtigt werden; allerdings müssen auch örtliche Bedingungen sowie soziale Faktoren berücksichtigt werden. Dennoch: Für den Schul- und Hochschulsport sind die Länder zuständig, konkret die Bildungs- bzw. Wissenschaftsministerien. Für die Koordinierung länderübergreifender Angelegenheiten bzw. von Angelegenheiten, die eine Mehrzahl von Ländern im Bereich des Schul- und Hochschulsports betreffen, ist die Kommission „Sport“ der Kultusministerkonferenz zuständig. Da können wir uns nicht einmischen; das müssen die Länder selber regeln. Es gibt bereits Schulen, die sich mit dem Thema Inklusion intensiv beschäftigt haben und „Rollstuhlbasketball“ anbieten, an dem sowohl Gehbehinderte als auch die anderen Schüler teilnehmen können. Auch gibt es viele Förderschulen, die sich in privater Trägerschaft befinden, wie zum Beispiel christliche Kirchen, Sozialverbände oder Stiftungen. Die haben die nötigen Mittel und fachlich ausgebildetes Personal, das solchen Anforderungen gewachsen ist. Denn inklusive Sportangebote bedeuten exklusive Förderung. Hier sind spezielle Ausbildungen und zusätzliche benötigte Sachmittel erforderlich, welche nicht jede Regelschule stemmen kann. Schon gar nicht, wenn die Regelschulen keine angemessene Förderung durch die Länder erfahren. Auch muss man sich fragen, ob Nachfragen in dem Maße vorhanden sind, solche Angebote in allen Schulen zu etablieren. Ich habe es bereits in meiner letzten Rede zu Ihrem Antrag gesagt: Durch die Begegnung der Menschen mit Behinderung untereinander und mit Nichtbehinderten leistet der Sport einen wichtigen Beitrag zu der von uns angestrebten Inklusion. Zudem geben Leistungssportler anderen Menschen mit Behinderungen Mut, ihren Lebensweg auch aktiv zu gestalten und an der Öffentlichkeit teilzuhaben. Wir haben bereits viele Initiativen gestartet, um Hindernisse auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft abzubauen. Auf Länderebene machen wir dabei kleinere Fortschritte als auf Bundesebene, aber wir müssen den gesäten Pflänzchen auch Zeit geben, zu wachsen und zu gedeihen. Dazu haben wir noch ganze acht Jahre Zeit. Denn, wie ich am Anfang meiner Rede schon sagte: Wir haben bis 2021 Zeit, um den Aktionsplan zur Inklusion umzusetzen. Wir werden uns jetzt nicht zurücklehnen und ausruhen; im Gegenteil. Die Erfolge der Paralympics und die Begeisterung und Teilhabe der Bürger bestätigen uns, dass der Weg in eine inklusive Gesellschaft zu schaffen ist und dass wir mit unserer Politik darauf auch eine gute Aussicht haben. Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): Hürden zu überwinden, das ist Teil des Lebens. Nur dadurch, dass man sich Herausforderungen stellt, reift man als Person und als Mensch. Schon Winston Churchill wusste, dass die Kunst des Lebens darin besteht, einmal öfter aufzustehen, als man umgeworfen wird. Schöne Worte, oder? Wohliges Gefühl in der Magengegend, klasse Zitat für die Facebook-Seite. Ich kann mir leisten, eine derart idealisierte Weltsicht hier kundzutun. Denn ich lebe in einer Welt, die für meine körperlichen Voraussetzungen geschaffen wurde. Ich lebe in einer Gesellschaft, in der ich, gemessen an physischen Fähigkeiten, dem Normalmaß entspreche. Jetzt gibt es aber Menschen, die dieses Glück nicht haben. Menschen, die eine körperliche Behinderung haben. Diese Menschen sind nicht zwangsläufig unglücklich. Sie sind keine Mitleidsfälle. Aber sie merken Tag für Tag, dass sie nicht dem entsprechen, was Architekten, Stadtplaner und Ingenieure im Hinterkopf hatten, als sie ein bestimmtes Produkt oder einen bestimmten Bahnhof entworfen haben. Wie viel stärker muss diese Wahrnehmung im Bereich des Sports sein? Dort, wo es per Definition darum geht, sich körperlich mit anderen zu messen. Wie viel Mut gehört dazu, offensiv mit der eigenen Behinderung umzugehen und sich und die eigene Leistungsfähigkeit im Angesicht von vorgefassten Meinungen zu präsentieren? Wie viel Unterstützung sollten wir als Gesellschaft Sportlerinnen und Sportlern zukommen lassen, die diesen Mut aufbringen? 2006 verabschiedete die UN-Generalversammlung die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die 2008 in Kraft trat und von Deutschland 2009 ratifiziert wurde. Die Bundesregierung beschloss im Juni 2011 den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Im Sportausschuss haben wir eine Reihe von Anträgen zum Thema Behindertensport beraten, unter anderem nun über einen Antrag der Kolleginnen und Kollegen von der Linken. Dieser Antrag enthält viele Forderungen, die wir als SPD-Bundestagsfraktion in der Vergangenheit ebenso in Anträgen, insbesondere im Antrag „UN-Konvention jetzt umsetzen – Chancen für eine inklusive Gesellschaft nutzen“ (17/7942), in ähnlicher Weise gestellt haben. Sie fordern unter anderem etwa die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und die Weiterentwicklung des Nationalen Aktionsplans im Bereich Sport. Das ist richtig und wichtig, denn im Sportbereich waren beide Dokumente leider recht dünn. Die Rolle des Sportes im Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung entspricht in keiner Weise dessen Stellenwert in der Gesellschaft. Eine angemessene Berücksichtigung und Ansätze zur Förderung der positiven Wahrnehmung von Behindertensport in der Gesellschaft sind daher wünschenswert. Das haben wir, ebenso wie Sie, auch erkannt und in unseren Anträgen thematisiert. Zusätzlich haben wir im vergangenen Herbst eine Veranstaltung mit Vertreterinnen und Vertretern der Behindertensportverbände durchgeführt und viel Bestätigung für die Forderungen erhalten, die unseren Anträgen gemein sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie haben einen Antrag vorgelegt, der in vielem mit dem übereinstimmt, was wir von der SPD-Fraktion selbst in unseren Anträgen fordern. In vielen Ihrer Forderungen sind Sie in die richtige Richtung aufgebrochen. Leider haben Sie nicht beschrieben, wie Sie ans Ziel kommen wollen. So bleibt Ihr Antrag bedauerlicherweise im Forderungsteil unkonkret. Bei einem Teil der im Antrag gestellten Forderungen stellt sich unserer Auffassung nach außerdem die Frage nach der Zuständigkeit des Bundes, etwa bei Breitensportförderung und Sportstättenfinanzierung oder den Angeboten der Krankenkassen. Diesen Forderungen können wir uns als SPD-Fraktion daher nicht anschließen. Zudem enthält Ihr Antrag eine Reihe von Fristsetzungen, die zum Zeitpunkt der Beratung leider schon verstrichen waren und damit für uns nicht tragbar waren. Wir haben seinerzeit im Ausschuss bereits klargemacht, dass wir die Intention Ihres Antrags teilen. Daran hat sich auch nichts geändert. Allerdings hat Ihr Antrag unserer Ansicht nach Mängel, die verhindern, dass wir ihm zustimmen. Aufgrund unseres gemeinsamen Anliegens haben wir aber im Ausschuss nicht gegen Ihren Antrag gestimmt. Und wir werden es auch hier und heute nicht tun. Vielleicht ergibt sich ja in der Zukunft die Möglichkeit, einen gemeinsamen, überfraktionellen Antrag zu diesem Thema zu stellen. Ich denke – ich hoffe! –, dass sich mittlerweile die Einsicht durchgesetzt hat, dass Inklusion nicht bloß ein neues Füllwort im Wörterbuch der Politik ist. Inklusion ist vielmehr die Idee einer Gesellschaft, die für jeden Mann und jede Frau, für jede Sportlerin und jeden Sportler bereit ist. Eine Gesellschaft, in der niemand draußen vor der Tür bleiben muss, weil es eben doch die eine Stufe zu viel gibt. Unabhängig vom vorliegenden Antrag lassen Sie uns weiter daran arbeiten, eine solche Gesellschaft zu verwirklichen. Lassen Sie uns zurück zu Winston Churchill kommen. Folgen wir seinem Rat: Probleme löst man nicht, indem man sie auf Eis legt. Brigitte Zypries (SPD): Der Antrag der Fraktion Die Linke „Umfassende Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung ermöglichen“, den wir heute debattieren, enthält viele Forderungen, die wir teilen und unterstützen, bleibt aber insgesamt zu allgemein. Wir Sozialdemokraten haben in der Vergangenheit zu dem Thema schon deutlich weiter reichende und detailliertere Anträge eingebracht. Deswegen wird sich die SPD-Fraktion enthalten. Die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bereich des Sports ist notwendig. Für uns greift der Antrag aber zu kurz, da es in der Sache um mehr geht. Ein bundesweites Sportstättensanierungsprogramm aufzulegen, bei dem neben sozialen, ökologischen sowie geschlechtsbezogenen Kriterien insbesondere Erfordernisse der Barrierefreiheit berücksichtigt werden, ist richtig. Wir haben aber immer wieder deutlich gemacht, dass es nicht ausreicht, die Situation von Menschen mit Behinderungen nur punktuell zu verbessern, sondern dass es eine umfassende, gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, eine wirklich inklusive Gesellschaft zu erreichen. Legt man aber das soziale Modell von Behinderung zugrunde, nämlich dass die Behinderung erst durch die Wechselwirkung von körperlichen Einschränkungen mit gesellschaftlichen Barrieren entsteht, zeigt sich, dass es nicht ausreicht, Sportstätten nur mit Rampen für Rollstuhlfahrer auszustatten – wir brauchen eine viel umfassendere Lösung. Nehmen wir als Beispiel die bald stattfindende Basketballeuropameisterschaft in Deutschland. Eine barrierefreie EM bedeutet nicht nur, dass das Spielfeld für Rollstuhlfahrer geeignet ist und ein unkomplizierter Zugang zu den Spielstätten gegeben ist. Barrierefreiheit beginnt viel früher. Schon die Anfahrt zur Spielstätte muss auch mit dem öffentlichen Personennahverkehr problemlos für alle möglich sein. Dies betrifft die Fahrzeuge an sich, aber auch den Zugang dazu. Barrierefreie Fahrpläne ermöglichen erst eine wirkliche selbstständige Mobilität. Der Zugang zu Mobilität ist eine Grundvoraussetzung für eine inklusive Gesellschaft. Sind diese Hindernisse überwunden, wünscht man sich, dass auch das Programm des Sportereignisses barrierefrei zugänglich ist. Ein solches Programm in leichter Sprache gehört ebenfalls zur Aufgabe der Barrierefreiheit. Sie sehen also, dass es viel mehr bedarf, um eine inklusive Gesellschaft im Sport zu erreichen. Barrieren entstehen zuallererst im Kopf und müssen dort auch zuerst beseitigt werden. Wenn wir es schaffen, das defizitorientierte Denken in unserer Gesellschaft zu überwinden und eine wirkliche Barrierefreiheit zu erreichen, profitieren wir alle davon. Schon ein Blick auf den demografischen Wandel zeigt uns, dass Barrierefreiheit uns alle angeht und nicht nur die rund 9 Millionen direkt Betroffenen. Ihr Antrag bleibt hier viel zu sehr im Vagen. Wir wollen im Sport eine grundsätzlich bessere Vernetzung von Behinderten- und Nichtbehindertensportverbänden erreichen. Hierzu gehört auch eine angemessene Repräsentanz behinderter Menschen in den jeweiligen Führungsgremien. Lassen Sie uns den großen Wurf wagen und uns nicht mit Stückwerk begnügen. Vielleicht sind wir dann irgendwann so weit, dass wir in einer wahren inklusiven Gesellschaft auch gar keine Behindertensportverbände mehr brauchen. Nicole Bracht-Bendt (FDP): Die Kernforderung des Antrags der Linken, nämlich die umfassende Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung zu ermöglichen, tragen wir Liberale selbstverständlich mit. Das gilt für den Breitensport genauso wie für den Spitzensport. Gerade bei den letzten Paralympics vergangenes Jahr in London haben wir wieder gesehen, wozu Menschen mit Handicaps in der Lage sind und dass es unverzichtbar ist, für ein angemessenes Training dieser Sportler Geld bereitzustellen. Als Kommunalpolitikerin liegt mir der Breitensport besonders am Herzen. Gerade in Zeiten wie diesen, wo Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Freizeit vor dem Computer sitzen und sich kaum bewegen, ist die Bedeutung von Breitensport so wichtig wie nie zuvor. Dies gilt für behinderte Kinder und Jugendliche gleichermaßen wie für Nichtbehinderte. Den Hinweis im Antrag der Fraktion Die Linke, dass Menschen mit Behinderung aber prozentual deutlich weniger Sport treiben als Menschen ohne Handicaps, finde ich wichtig. Es stimmt, als Bundespolitiker müssen wir dies im Blick haben und eingestehen, dass es in vielen Bereichen noch Handlungsbedarf gibt. Der Antrag lässt aber weitestgehend außer Acht, dass der Bund für den Spitzensport zuständig und der Breitensport Ländersache ist. Der Antrag der Linken erweckt den Eindruck, als sei vonseiten der Bundesregierung bislang noch nichts geschehen, als sei die Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung noch absolutes Neuland. Das Gegenteil ist der Fall. Die Bundesregierung hat gerade im Behindertensport längst vieles umgesetzt. Das wird auch deutlich, sieht man sich die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention an. Deshalb sind etliche Ihrer Forderungen schon längst überfällig. Hinzu kommen zwei weitere Punkte, die maßgeblich sind, dass wir Liberale den Antrag der Linken nicht mittragen: In dem Antrag werden alle Formen des Behindertensports quasi über einen Kamm geschoren. Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern werden, wie gesagt, so gut wie ignoriert, ebenso werden Bestimmungen für Zuwendungen förmlich übergangen. Sie kritisieren, dass viele Fitnessstudios nicht behindertenfrei sind. Das ist in der Tat bedauerlich, aber soll sich der Bund hier auch noch einmischen? Das geht zu weit. Ein zweiter Punkt, den Sie außen vor lassen: Die Frist zur vollständigen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist noch lange nicht abgelaufen. Bund, Städte und Gemeinden sollten diese große Herausforderung nicht auf die lange Bank schieben. Lieber heute als morgen sollte die Konvention umgesetzt werden. Aber es besteht überhaupt kein Anlass, jetzt überstürzt zu agieren. Die Bundesregierung hat bekanntlich 2011 den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Konvention beschlossen, umgesetzt werden muss er bis 2021. Ich möchte noch mal klar sagen, dass der Leistungssport der Menschen mit Behinderung bereits seit 2005 nach den gleichen Kriterien gefördert wird wie der Spitzensport der Nichtbehinderten. Eine Gleichbehandlung spiegelt sich auch im Haushalt wider. Wie aus dem Vorbericht des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen hervorgeht, sind die bereits umgesetzten Maßnahmen einzelner Sportverbände wie auch die des Deutschen Olympischen Sportbundes ausdrücklich zu loben. Nach und nach wurden bereits zusammen mit den Bundesländern und dem Bundesverkehrsministerium etliche Sportanlagen barrierefrei umgebaut. Die Baumaßnahmen sind noch nicht abgeschlossen, aber wir liegen gut im Zeitplan. Das gilt auch für die personelle Ausstattung für den Behindertenleistungssport, hier wird seit 2008 kontinuierlich aufgestockt. Zu erwähnen sind hier auch die Anstrengungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Bundesgesundheitsamtes im Zusammenhang mit Sportangeboten der Krankenkassen, der Rentenversicherungsträger und Unfallkassen. Hier ist eine Menge passiert, und hier hat die Bundesregierung wirklich Beachtliches auf den Weg gebracht. Dies gilt auch für das Stichwort „Duale Karriere“, die Vereinbarkeit von Leistungssport und beruflicher Entwicklung behinderter Sportler und Sportlerinnen. Das wurde durch den neuen Stellenpool bei Bundesbehörden maßgeblich vorangebracht. Die Reihe guter Beispiele und Maßnahmen, die die Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht hat, ist lang. Die christlich-liberale Koalition hat längst bewiesen, dass Inklusion und die Teilhabe am Sport auch für Menschen mit Behinderung kein leeres Versprechen sind. Sie hat längst gehandelt. Deshalb halten wir Liberale den Antrag für nicht notwendig und werden ihm nicht zustimmen. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Der Behindertensport erlebte in den letzten Jahren einen rasanten Aufschwung. Dies wird insbesondere durch den Anstieg der Mitgliederzahlen in den Sportvereinen deutlich. Special Olympics Deutschland e. V. zählt heute etwa 40 000 Mitglieder und bietet Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung die Möglichkeit, Sport zu treiben und an Wettkämpfen teilzunehmen. Der Deutsche Gehörlosen-Sportverband e. V. zählt etwa 11 000 Mitglieder in 149 Vereinen. Mit rund 600 000 Mitgliedern in über 5 600 Vereinen gehört der Deutsche Behindertensportverband e. V., DBS, zu den größten Sportvereinigungen für Menschen mit Behinderung. Hinzu kommen Menschen mit Behinderung, die in allgemeinen Sportvereinen oder nicht organisiert regelmäßig Sport treiben. Die genannten Zahlen belegen eindrucksvoll die herausragende Bedeutung der Verbände für den Breitensport. Auch im Spitzensport können wir – davon konnte ich mich bei den Paralympischen Winterspielen 2010 in Vancouver und den Paralympics 2012 in London sowie vielen weiteren nationalen und internationalen Sportveranstaltungen in Deutschland persönlich überzeugen – großartige Erfolge von Menschen mit Behinderung verzeichnen. Diese positive Entwicklung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Bereich des Behindertensports enormer Handlungsbedarf besteht. Im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung betreiben Menschen mit Behinderung prozentual weniger Sport. Dies hat Ursachen. Viele Sportstätten und auch kommerzielle Sportangebote sind nicht barrierefrei, oder die Erreichbarkeit ist für Menschen mit Behinderung nicht gegeben. Es gibt viel zu wenige – hauptamtliche – Trainerinnen und Trainer sowie Betreuerinnen und Betreuer, insbesondere für erwachsene Behindertensportlerinnen und -sportler. Bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung wird in vielen Fällen pauschal eine Sportbefreiung erteilt, anstatt in Schule, Berufsschule und Hochschule geeignete Sportangebote zu entwickeln und anzubieten. Gering ist auch die Bereitschaft von Wirtschaftsunternehmen, Freistellungsregelungen für das – tägliche – Training, für Trainingslager und Wettkämpfe anzubieten. Zugangshindernisse beim Behindertensport gibt es auch aus finanziellen Gründen. Häufig ist Sport für Menschen mit Behinderung mit erheblichen Kosten verbunden, die zum Beispiel durch teure Ausstattung wie Prothesen, Sportrollstühle und andere spezielle Sportgeräte und Aufwendungen für Fahrdienste oder für Betreuer oder Betreuerinnen entstehen. Eine Vielzahl von Problemen ließe sich auch zum Rehabilitationssport nennen. Deutlich schwieriger ist für Spitzensportlerinnen und Spitzensportler auch die Vereinbarkeit mit der Ausbildung und der beruflichen Entwicklung. Bisher enthalten die Aufnahmekriterien der Fachhochschule des Bundes keine maßgeschneiderten Regelungen für Spitzensportlerinnen und Spitzensportler mit Behinderung. Nicht alle Olympiastützpunkte sind barrierefrei. Auch wenn es hier Veränderungen gab: Ich finde es herabwürdigend und diskriminierend, wenn die Medaillenprämien bei Paralympischen Spielen niedriger sind als bei Olympischen Spielen. Wenn das Leistungssportprogramm der Bundesregierung die grundsätzliche Gleichbehandlung von nichtbehinderten und behinderten Sportlerinnen und Sportlern vorsieht, führt dies zu einer Verfestigung der Ungleichheit, da die Voraussetzungen im Behindertensport andere sind. Reale Gleichheit wird nur erreicht, wenn die Förderung an die tatsächlichen Bedingungen angepasst wird. Seit dem 26. März 2009 gilt die UN-Behindertenrechtskonvention, BRK, in Deutschland. Das Leitbild der BRK ist eine inklusive Gesellschaft. Durch die BRK ist der Bund – gemeinsam mit Ländern und Kommunen – verpflichtet, Menschen mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen die Teilhabe an Sportaktivitäten zu ermöglichen (siehe Art. 30 „Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport“). Dies betrifft den Schul-, Berufsschul- und Hochschulsport, den Breiten- und Leistungssport, den Rehabilitationssport, die Teilhabe in Verbänden des Behindertensports ebenso wie die aktive – als Sportlerin und Sportler – und passive – als Zuschauerin und Zuschauer – Teilhabe an Sportangeboten außerhalb des Behindertensports sowie in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Bei der Umsetzung der BRK sind die verschiedenen Verbände von Menschen mit Behinderung aktiv in alle Entscheidungsprozesse einzubinden. Am 15. Juni 2011 beschloss die Bundesregierung ihren Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der BRK. Dieser Plan ist – hier sind wir uns mit vielen Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen einig – auch hinsichtlich des Sportes unzureichend. Am 28. März 2012 brachte die Linke einen Antrag mit dem Titel „Umfassende Teilhabe am Sport für Menschen mit Behinderung ermöglichen – UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen“ in den Bundestag ein. Der Einbringung des Antrages ging eine umfassende Beratung mit Sportlerinnen und Sportlern und weiteren Vertretern von Behindertensportorganisationen sowie weiteren Sachverständigen voraus. Am 24. Oktober 2012 gab es im Sportausschuss zu dem Antrag der Linken eine öffentliche Anhörung. Hier wurde sehr deutlich, wie wichtig die Diskussion zur Entwicklung des Sports für Menschen mit Behinderungen und zu bestehenden Problemen ist. Zum Abschluss der Anhörung fragte ich alle Sachverständigen, ob sie – wenn sie es dürften – dem Antrag im Bundestag zustimmen würden. Bis auf den Sachverständigen Karl Weinmann vom Kultusministerium in Baden-Württemberg – er behauptete, den Antrag nicht gelesen zu haben – sagten alle Sachverständigen, dass sie dem Antrag zustimmen würden. Es blieb der einzige Antrag einer Bundestagsfraktion in dieser Wahlperiode zu diesem wichtigen Thema. Insofern ist für mich das Abstimmungsverhalten der anderen Fraktionen enttäuschend. Die CDU/CSU-FDP-Koalition lehnt den Antrag ab, SPD und Grüne enthalten sich der Stimme. Im Interesse der Menschen mit Behinderungen, der Sportvereine, im Interesse des Schul-, Breiten- und Leistungssports hätte ich es besser gefunden, wenn die anderen Fraktionen ihre Vorschläge neben die 21 Punkte aus dem Antrag der Linken gepackt und wir im Ergebnis eine gemeinsam getragene Beschlussempfehlung des Ausschusses vorgelegt hätten. Um eine umfassende Teilhabe zu ermöglichen, müssen im Sport noch viele Barrieren abgebaut werden. Diese gibt es sowohl im infrastrukturellen und baulichen Bereich als auch in den Köpfen vieler Bürgerinnen und Bürger – Politikerinnen und Politiker eingeschlossen. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Für die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat die Politik für Menschen mit Behinderungen einen hohen Stellenwert. Wir setzen uns für die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ein; denn aus unserer Sicht steht fest, dass es sich bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht um eine freiwillige politische Aufgabe handelt, sondern dass eine staatliche Verpflichtung besteht. Unsere politischen Forderungen hatten wir Grü-ne in Bundestagsanträgen formuliert, 17/7951 und 17/9406. Darin haben wir ein Teilhabegesetz gefordert, um Rechte abzusichern sowie eine generelle Barrierefreiheit auch für Einrichtungen des Sports. In der Sportpolitik regen wir darüber hinaus einen „Zukunftsplan Sportpolitik 2025“ an, der einen klaren Ziel- und Maßnahmenkorridor für die Sportentwicklung absteckt und zwischen Sportorganisationen und vereinen sowie staatlichen Institutionen beschlossen werden sollte. In diesem Rahmen sollte es auch zu konkreten Vereinbarungen für einen Umbau von bestehenden Sportstätten und zu einer Gewährleistung der Barrierefreiheit beim Sportstättenneubau kommen. Dies wäre ein wichtiger Schritt in Richtung einer sport- und bewegungsfreundlichen Gesellschaft in Deutschland. Der Antrag der Fraktion Die Linke wäre bei vielen Forderungsteilen zustimmungswürdig. Aber: Spiegelstrich 6 fordert ein bundesweites Sportstättensanierungsprogramm. Das ist nicht zustimmungsfähig, da der Bund nicht für den kommunalen Sportstättenbau zuständig ist. Bei weiteren Forderungen greift die antragstellende Fraktion ebenfalls in die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern ein, Bund = Spitzensport, Länder = Breitensport. Schulsport und Lehramtsausbildung sind Sache der Bundesländer. Dennoch hat der vorliegende Antrag der Bundestagsfraktion Die Linke die wesentlichen Handlungsfelder und Defizite erfasst und größtenteils sehr gute und richtige Handlungsschritte benannt. Es ist unser aller Aufgabe den Art. 30 (5) der UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen, der die Teilhabe am kulturellen Leben sowie Erholung, Freizeit und Sport betrachtet und auf den wichtigen Beitrag des Sports für eine erfolgreiche Inklusion hinweist. Sport ist niederschwellig und begeistert Jung und Alt in allen sozialen Lagen. Diese Chance sollten wir insbesondere nach den besonderen Erfolgen unserer deutschen Mannschaft bei den Paralympics und der großen Begeisterung in der Bevölkerung dafür nutzen, das Thema Inklusion in die Gesellschaft zu transportieren und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auch im Sport voranzutreiben. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zur Abstimmung. Der Sportausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12915, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9190 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dagegen hat die Fraktion Die Linke gestimmt. SPD und Grüne haben sich enthalten. Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz – Drucksache 17/13021 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Die Reden wurden zu Protokoll gegeben.17 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/13021 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das beschlossen. Tagesordnungspunkt 29: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Gerd Bollmann, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Rücknahmepflicht der Händler für Alt-Energiesparlampen durchsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothea Steiner, Oliver Krischer, Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sammlung und Recycling von Elektronikschrott verbessern – Drucksachen 17/9058, 17/8899, 17/10866 – Berichterstattung: Abgeordnete Michael Brand Gerd Bollmann Horst Meierhofer Ralph Lenkert Dorothea Steiner Die Reden wurden zu Protokoll genommen. Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Die Debatte um die Frage der Entsorgung von Elektro- oder Elektronikschrott kennzeichnet sich in vielen Fällen durch eine mangelnde Nachhaltigkeit. Stattdessen gibt es dann hektische Aktivität, die durchaus ihre eigene Risiken beinhaltet. Nicht jeder Vorschlag einer weiteren gesetzlichen Regelung ist der ökologisch oder ökonomisch richtige. Gerade beim Elektroschrott sind diese politischen Kurzschlüsse häufiger zu beobachten; fast möchte man ironisch vermuten, es liegt am Gegenstand der Debatte. Jedenfalls ist der Reflex, die angestrebte Minimierung der Gesundheitsrisiken aus Energiesparlampen und deren fachgerechte Entsorgung über eine gesetzliche Regelung über den Einzelhandel zu steuern, vielmehr eine Verlagerung des Gesundheitsrisikos und mitnichten eine risikofreie Lösung. Schon in der ersten Lesung haben wir als CDU/CSU-Fraktion nicht nur auf die Probleme für den Einzelhandel hingewiesen. Wir warnen nochmals deutlich vor den Folgen für den Mittelstand, die durch den SPD-Vorschlag hier in der konkreten Umsetzung drohen: Die SPD will jeden Händler zwingen, die in der Entsorgung riskanten Energiesparlampen zu lagern, egal ob der Händler dafür Räume hat oder nicht. Die großen Konzerne können dies viel leichter. Jenseits der ökologischen und gesundheitlichen Risiken würde der von Rot und Grün gemachte Vorschlag auch noch ökonomische Risiken auslösen. Dabei sind die Energiesparlampen als besonders fragiles und mit Quecksilber versetztes Produkt zwingend in einer fachlich einwandfreien Kette der Entsorgung zu halten. Wir können als Deutscher Bundestag das freiwillige Rücknahmesystem der Hersteller kritisieren. Lightcycle ist noch immer nicht optimal ausgerichtet. Hier sind die Hersteller weiter in der Pflicht. Wir appellieren als CDU/CSU-Fraktion an die Bundesregierung, hier von der Industrie deren ökologische Gesamtverantwortung einzufordern. Wir bekennen uns klar zum Verursacherprinzip. Wenn wir dieses Verursacherprinzip stärken, dann darf die SPD nicht in erster Linie den Mittelstand im Elektrohandel dafür abstrafen, dass die Industrie ihre Hausaufgaben nicht erledigt. Die Beschäftigten im Einzelhandel wären mit den großen Mengen an Energiesparlampen und dem nie völlig zu vermeidenden Glasbruch dann Giften wie Quecksilber ausgesetzt. Eine wundersame Entwicklung, dass die SPD diese Beschäftigten einem solchen Risiko aussetzen will! Der richtige Weg bleibt die fachlich korrekte Entsorgung dieser speziell risikobehafteten Leuchtmittel über spezielle, fachlich qualifizierte Entsorgungswege. Es wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung, wenn die Industrie und die privaten wie kommunalen Entsorger eine zeitnahe Optimierung der Entsorgungswege anstreben. So lassen sich der falsche Weg in den Hausmüll und die riskante Lagerung im Einzelhandel vermeiden. Gleiches gilt für die Frage der Wiedergewinnung des Quecksilbers und anderer Rohstoffe aus den verbrauchten Energiesparlampen. Es gilt nicht zuletzt, die Energiesparlampen als Leuchtmittel nicht zu glorifizieren. Wer die letzten Tests zu Langlebigkeit und Gesundheitsrisiken und die Diskrepanz zwischen Versprechen der Hersteller und tatsächlichen Werten der Energiesparlampen kennt, der darf seine gesunde Skepsis gegenüber dieser mit Quecksilber versetzten Lichtquelle durchaus behalten. Insgesamt werden wir uns ohnehin auch mit der Frage der Entsorgung von Energiesparlampen und anderem Elektro- und Elektronikschrott bei der laufenden Umsetzung der novellierten WEEE-Richtlinie in nationales Recht bis zum Jahre 2014 zu befassen haben. Auch von daher ist es sicher geboten, die Frage der fachgerechten Entsorgung von Energiesparlampen im richtigen Kontext zu beraten, um nachhaltige Lösungen zu finden. Der SPD-Vorschlag ist fachlich falsch, weil er einen falschen Weg über den Einzelhandel einschlägt, im Übrigen einen Umweg. Er ist ordnungspolitisch falsch, weil er wieder einmal nichts anderes als eine weitere Zwangsverpflichtung vorsieht. Und er ist ökologisch falsch, weil er nicht die ökologisch nachhaltigsten Wege sucht. Diese liegen in einer optimierten Abstimmung der Entsorgungslogistik von den privaten Haushalten hin zu den fachlich qualifizierten und zertifizierten Entsorgungsbetrieben. Insgesamt sind die Energiesparlampen ein Beispiel dafür, wie man es in Europa in Zukunft nicht mehr machen sollte: nämlich eine einzige Technologie verbieten, um eine andere mit neuen Risiken zu fördern. Es sind wenige Akteure, die der EU diesen Weg vorgeschlagen haben. Nun sind es Millionen Haushalte, die diese Entscheidung mit riskanter Beleuchtung bezahlen. Es wäre vielleicht deutlich sinnvoller gewesen, den jetzt langsam beginnenden Siegeszug der LED-Lichttechnik zu beschleunigen, statt den Umweg über die Energiesparlampen zu gehen. Auch dies zeigt: Mancher in der Energiespardebatte gezogene Schluss ist ein Kurzschluss. Die CDU/CSU lehnt den SPD-Vorschlag aus ökologischen und ökonomischen Gründen ab. Für bessere Vorschläge und eine nachhaltig klima- und umweltschonende Lösung bleiben wir bei den Beratungen zur Umsetzung der WEEE-Richtlinie in nationales Recht sehr offen und freuen uns auch bis zum Jahre 2014 auf die Mitarbeit der Opposition. Den SPD-Antrag müssen wir heute ablehnen. Gerd Bollmann (SPD): Heute rede ich zu unserem Antrag „Rücknahmepflicht der Händler für Alt-Energiesparlampen durchsetzen“ und zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen „Sammlung und Recycling von Elektronikschrott verbessern“. Zu beiden Anträgen habe ich bereits in diesem Haus gesprochen. Inhaltlich gibt es eigentlich nichts Neues zu berichten. Daher werde ich nachher nur noch einmal kurz auf beide Anträge eingehen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, einmal allgemein auf die Entwicklungen in der Abfallpolitik und die derzeitige Regierungspolitik in diesem Bereich, welche auch exemplarisch für andere Themen steht, einzugehen. Der SPD-Antrag stammt vom 21. März letzten Jahres, wurde also vor über einem Jahr gestellt. Auch der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wurde bereits im März letzten Jahres eingebracht. Zwei Anträge, welche vorhandene Probleme aufgreifen und Lösungsmöglichkeiten – meiner Meinung nach weitestgehend gute Lösungen – vorschlagen. In der Debatte im Umweltausschuss ebenso wie in Verlautbarungen, Stellungnahmen und Äußerungen des Bundesumweltministeriums war es nicht so, dass alles, was vorgeschlagen wird, grundsätzlich abgelehnt wurde. Nein, es gab eigentlich nur zwei Gründe, weshalb die Regierungsparteien die Anträge abgelehnt haben. Der erste Grund ist politisch-ideologischer Art: Verbindliche Vorgaben, Verpflichtungen werden abgelehnt; stattdessen sollen freiwillige Vereinbarungen, freiwillige Systeme die vorhandenen Probleme lösen. Selbst dann, wenn, wie bei der Rücknahme von Energiesparlampen oder bei Rückgabe von Mobiltelefonen, die freiwilligen Systeme nicht bzw. erkennbar nur unzureichend funktionieren. Meine Partei hat nicht grundsätzlich etwas gegen freiwillige Vereinbarungen. Wenn damit die erwünschten Ziele erreicht werden – gut. Wenn aber die Ziele nicht erreicht werden, wenn freiwillige Vereinbarungen nur Scheinlösungen sind, hinter denen sich Beteiligte vor ihrer Verantwortung drücken, dann müssen verbindliche Vorgaben an deren Stelle treten. Ich habe des Öfteren den Eindruck, dass sogenannte freiwillige Gestaltungsweisen vereinbart werden, wenn einzelne Gruppierungen eigentlich mit den Zielen nicht einverstanden sind. Es besteht dann immer die Möglichkeit, andere verbindliche Maßnahmen mit dem Hinweis auf die bereits bestehende und angeblich funktionierende freiwillige Vereinbarung abzulehnen. Und schlussendlich heißt es dann: Tut uns leid; leider waren die Ziele nicht erreichbar. Andererseits gibt es – siehe Frauenquote – inzwischen auch bei Union und FDP immer mehr Politiker, die erkennen, dass eine ideologisch begründete Ablehnung verbindlicher Maßnahmen nicht zweckführend ist. Der zweite Grund für die Ablehnung unserer Forderungen ist der Hinweis auf ein zukünftiges Wertstoffgesetz, eine zukünftige Novellierung des Elektroaltgerätegesetzes oder andere zukünftige gesetzgeberische Maßnahmen, wie zum Beispiel Verordnungen zum Kreislaufwirtschaftsgesetz. Unsere Forderungen und unsere Vorschläge werden nicht alle abgelehnt. Im Gegenteil, viele unserer Ziele – Erhöhung der Verwertungsquoten, mehr Ressourcenschutz, höhere Ressourceneffizienz, Abfallvermeidung, Sicherung von Rohstoffen – werden nicht nur befürwortet, sondern sogar als eigene Ziele, als eigene Forderungen immer wieder erhoben. Sei es in sogenannten Eckpunkten, sei es im Ressourcenschutzprogramm oder in öffentlichen Verlautbarungen, immer heißt es, eine Stärkung des Ressourcenschutzes, ein Mehr an stofflicher Verwertung und eine Hinwendung zur einer wirklichen Kreislaufwirtschaft seien das Ziel der Bundesregierung in der Abfallpolitik. Bereits in der Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und FDP haben die jetzigen Regierungsparteien konkret die Einführung einer Wertstofftonne durch ein Wertstoffgesetz vereinbart. Mehr Ressourcenschutz, mehr Abfallvermeidung, mehr Kreislaufwirtschaft, alles Mögliche soll durch ein Wertstoffgesetz geregelt werden. Ich weiß nicht, wie oft ich nach dem Sachstand zu dem sogenannten Wertstoffgesetz gefragt habe. Immer hieß es, es wird noch in dieser Legislaturperiode kommen. Selbst Anfang dieses Jahres, als klar war, dass eine Verabschiedung in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich ist, wurde vonseiten der Bundesregierung behauptet, man wolle das Wertstoffgesetz noch vor dem Sommer beschließen. Das Wertstoffgesetz ist die Fata Morgana der schwarz-gelben Koalition in der Abfallpolitik. Immer wenn Forderungen erhoben werden, sei es von der Opposition, sei es von Umweltverbänden, sei es aus der Wirtschaft, wird auf das Wertstoffgesetz verwiesen. Wie eine Fata Morgana steht es am Horizont, schön anzusehen, aber jeder weiß, vor allem jeder aus den Regierungsparteien: Erreichen werden wir dieses Wertstoffgesetz nie. Ähnlich sieht es bei allen anderen Vorhaben des BMU in der Abfallpolitik aus, sei es die Mantelverordnung, das Ressourcenschutzprogramm, die Phosphatrückgewinnungsverordnung oder die angekündigten Verordnungen für einzelne Stoffströme. Alles Ankündigungen, schöne Worte, hehre Ziele, aber konkret passiert gar nichts. Ein schönes Beispiel dafür sind die Äußerungen des Bundesumweltministers Altmaier auf der Internationalen Konferenz zur Verhinderung von Meeresmüll in europäischen Meeren in Berlin. Öffentlich und medienwirksam versprach Herr Altmaier, sich verstärkt gegen Meeresverschmutzung einzusetzen. Nachgefragt, wurde wieder einmal deutlich, dass es nur schöne Worte ohne Taten sind. Eines wird in den letzten Monaten auch im Bereich der Abfallpolitik immer deutlicher: Stillstand. Die Bundesregierung regiert nicht, sondern kündigt nur an. Warum? Weil CDU, CSU und FDP, wie in vielen anderen Politikbereichen, sich völlig uneins sind. In der Abfallpolitik sind die Koalitionsparteien nicht in der Lage, ihren Grundkonflikt über die Zuständigkeiten zu lösen. Daraus folgt, dass sie gar nichts mehr tun. Deutschland steht in der Abfallwirtschaft in fast allen Bereichen weltweit an der Spitze. Aber diese Position muss verteidigt und ausgebaut werden, zugunsten der Umwelt, der Verbraucher und auch unserer Wirtschaft. Mit Ihrem Nichthandeln gefährden Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, alles Erreichte. Die heute hier diskutierten Anträge sind dafür ein Beispiel. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen greift ein Problem auf, das auch wir Sozialdemokraten seit längerer Zeit thematisiert haben. Die Sammel- und Recyclingquote für Elektroaltgeräte in Deutschland ist im europäischen Vergleich zwar Spitze. Die Umsetzung der europäischen WEEE-Richtlinie war zum damaligen Zeitpunkt angemessen und im europäischen Vergleich beispielgebend. Trotzdem ist gerade im Bereich des Elektroschrotts eine Verbesserung der Sammlung und des Recyclings vonnöten. Angesichts dieser Realitäten ist eine Verbesserung durchaus machbar. Die Sammlung muss für den Bürger einfacher werden, dann wird auch die Sammlungsquote verbessert. In dem Antrag der grünen Fraktion wird ausführlich auf die Bedeutung der zurückgewonnenen Wertstoffe hingewiesen. Ich brauche dies daher nicht zu wiederholen. Ich verweise aber darauf, dass von einer unsachgemäßen Entsorgung von Elektroaltgeräten immer noch ökologische oder gesundheitliche Gefahren ausgehen. Die höhere Anzahl von gebrauchten und defekten Energiesparlampen im Abfall, insbesondere in Altglascontainern, gefährdet nach Untersuchungen aus Skandinavien die Mitarbeiter von Recyclingunternehmen. Sie sehen: Es gibt nicht nur wirtschaftliche und rohstoffpolitische Gründe für eine Verbesserung des Elektroschrottrecyclings, auch wenn diese sehr wichtig sind und momentan in der öffentlichen Diskussion im Vordergrund stehen. Ich werde heute nicht mehr im Einzelnen auf die Inhalte beider Anträge eingehen. Dies habe ich ausführlich in den ersten Reden getan. Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, dass beide Anträge viele gute und sinnvolle Vorschläge enthalten. Und ich fordere Sie, meine Damen und Herren von Union und FDP, und die Bundesregierung auf, endlich zu handeln. Belassen Sie es nicht bei Ankündigungen, sondern regieren Sie! Für die Umwelt, den Ressourcenschutz und die Verbraucher. Horst Meierhofer (FDP): Im August 2012 ist die Neufassung der Richtlinie 2012/19/EU über Elektro- und Elektronikgeräte in Kraft getreten. Die Umsetzung der sogenannten WEEE-Richtlinie in nationales Recht muss bis Februar nächsten Jahres erfolgen. Die Richtlinie sieht vor, dass Einzelhändler ab einer Verkaufsfläche von 400 Quadratmetern kleinere Elektrogeräte zurücknehmen müssen. Ziel ist es, die Sammelmengen von Elek-troschrott zu erhöhen und damit das Recycling zu verbessern. Mit der Novellierung wurden auch die Exportvorschriften für gebrauchte Elektrogeräte verschärft, um eine illegale Verbringung wirksamer zu unterbinden. Dafür hat sich Deutschland auch auf europäischer Ebene eingesetzt. Zwar sehe ich kein Problem darin, wenn funktionstüchtige Geräte ihren Weg auf andere Kontinente finden, es kann aber nicht sein, dass wir unsere alten schadstoffbelasteten und kaputten Geräte, unseren Müll, in anderen Ländern abladen. Eine zügige Umsetzung der WEEE-Richtlinie in nationales Recht ist daher in unserem Interesse, und ich stimme dem Antrag der Grünen in diesem Punkt voll zu. Bei einigen anderen Punkten bin ich allerdings nicht einverstanden. Um eine Entsorgung von Altgeräten über den Hausmüll zu unterbinden und den Verlust von Wertstoffen zu verringern, fordern Sie beispielsweise ein verbessertes System der haushaltsnahen sortenreinen Sammlung von Elektro- und Elektronikgeräten. Das klingt ja alles gut und schön, aber was bedeutet das konkret? Konkret bedeutet „haushaltsnahe sortenreine Sammlung“ die Einführung einer Elektroschrotttonne. Eine solche Tonne, alleine für Elektroschrott, wird sich aber nicht lohnen. Eine Gefahr ist, dass anderer Hausmüll seinen Weg in die Elektroschrotttonne findet, wenn alle anderen Tonnen im Hof voll sind. Dann ist die sortenreine Sammlung auch wieder passé. Abgesehen davon kann ich mir den Aufschrei vieler Hausbewohner vorstellen, wenn neben Biotonne, Restmülltonne, Papiertonne und gelber Tonne jetzt auch noch eine fünfte Mülltonne vor ihrem Haus steht. Auch eine stärkere Einbeziehung des Effizienzgedankens in die Gestaltung und Normierung neuer Produkte, wie von Ihnen gefordert, halte ich für wenig praktikabel: Sie behaupten, es sei notwendig, verbindliche Vorgaben für das abfallarme Design von Neugeräten festzulegen. Wenn ein Hersteller heute für ein Handy 25 Milligramm Gold und 500 Gramm Gummi verbraucht, soll er zukünftig beispielsweise nur noch 15 Milligramm Gold und 350 Gramm Gummi verbrauchen. Das ist doch heute schon im Interesse jedes Herstellers, nicht mehr teure Rohstoffe zu verbauen als unbedingt nötig. Woher wollen Sie wissen, welche Rohstoffe in welchen Geräten nötig sind? Wir finden es viel wichtiger, dass bei der Konstruktion von Handys darauf geachtet wird, dass die einzelnen Teile leicht auseinandergebaut und ersetzt werden können, zum Beispiel Akkus in Smartphones. Sie setzen den Schwerpunkt darauf, „weniger zu verbrauchen“, wir setzen den Schwerpunkt darauf, „mehr zu gebrauchen“! Mit dem Ressourceneffizienzprogramm haben wir den Energieverbrauch sowie andere geeignete Ressourcenaspekte in den Vordergrund gerückt. Unternehmen sollen so mehr Anreiz haben, ressourceneffiziente Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Auch in einem dritten Punkt muss ich Ihrem Antrag widersprechen: Sie verlangen die Prüfung eines verpflichtenden Mindestanteils an recycelten Rohstoffen. Dieser Vorschlag ist ein bürokratisches Monstrum. Für jeden Rohstoff müssten Sie am Sekundärmarkt die Rohstoffsituation überprüfen und feststellen, ob genug Sekundärrohstoffe vorhanden sind. Für einige der Stoffe, die verarbeitet werden, gibt es derzeit noch keine geeigneten Recyclingverfahren. Nicht zuletzt unterscheiden sich die Geräte darin, wie sie für den Einbau von Recyclingmaterialien geeignet sind. Das heißt, sie brauchten für jeden Gerätetyp eine eigene Quote. Ein bürokratisches Unding. Unser Ziel ist es, das System der Wiederverwendung und des Recyclings von Elektrogeräten zu optimieren. In Ihrem Antrag finden sich Ansätze, die wir als FDP mittragen können, aber in Ihren Forderungen schießen Sie über eine realitätsnahe Umsetzung hinaus. Ähnlich sehe ich den Antrag der SPD zu einer Rücknahmepflicht der Händler für Altenergiesparlampen. Die Einführung von Energiesparlampen hat gezeigt, dass nicht notwendigerweise alles, was gut gemeint ist, auch ein gutes Ergebnis bringt. Mit der steigenden Anzahl an quecksilberhaltigen Energiesparlampen hat sich auch das Problem einer umweltgerechten Entsorgung verstärkt. Die Altenergiesparlampen müssen getrennt gesammelt und entsorgt werden. In Ihrem Antrag fordern Sie, jede Verkaufsstelle zur Rücknahme von quecksilberhaltigen Altenergiesparlampen zu verpflichten. Das bedeutet, dass jeder noch so kleine Laden eine Sammelstation für Energiesparlampen einrichten muss. Da die Sammelmengen hier allerdings verhältnismäßig gering wären, ist ein regelmäßiger Abholrhythmus logistischer Quatsch. Damit würden die quecksilberhaltigen Energiesparlampen über längere Zeit in den Geschäften gelagert werden müssen – eine unverantwortliche Belastung für die Gesundheit der Mitarbeiter und der Kunden, spätestens wenn mal eine Lampe zerbrechen sollte. Ich empfehle Ihnen daher, freiwillige Rücknahmesysteme etwas differenzierter zu betrachten. Das tun Sie aber nicht. Vielmehr führen Sie einen Rundumschlag gegen freiwillige Rücknahmesysteme aus und erklären beispielsweise das freiwillige Rücknahmesystem Lightcycle einfach für gescheitert. Als Begründung führen Sie an, dass sich die Mehrzahl der Baumärkte, Elektrogeschäfte und Discounter nicht am System beteiligten und die Wertstoffhöfe teilweise in einer Entfernung von zehn Kilometern liegen würden. Natürlich ist das System noch verbesserungswürdig. Fast jedes System kann optimiert werden. Sieht man sich allerdings die aktuellen Zahlen an, stellt man fest: Die sind durchaus positiv. Verbraucher können ihre Altenergiesparlampen mittlerweile bundesweit an über 9 000 aktiv beworbenen Sammelstellen kostenfrei abgeben. Mehr als 6 000 dieser Sammelstellen sind in Baumärkten, im Elektrofachhandel, in Supermärkten und Drogeriemärkten zu finden. Im kommunalen Bereich gibt es über 2 700 Sammelstellen. Weiterhin gibt es 400 Großmengensammelstellen, bei denen gewerbliche Mengen abgeliefert werden können. Was ist die Schlussfolgerung? In meinen Augen ist es sinnvoll, dieses Netz weiter auszubauen, gegebenenfalls auch mit einer verschärften Rücknahmepflicht, aber nicht für jeden Tante-Emma-Laden. Das kann erst wünschenswert sein, wenn Energiesparlampen kein Quecksilber mehr enthalten, ein Ziel, auf das wir auf europäischer und nationaler Ebene hinarbeiten müssen. In seiner jetzigen Form schießt Ihr Antrag aber über sein Ziel hinaus und ist zum Teil eher kon-traproduktiv. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Schutz der Umwelt und alte Geräte – wie geht das zusammen? Die Entwicklungen der Technik sind rasant. Man kauft sich einen neuen Computer, und schon nach dem Bezahlen weiß man: In Monaten oder wenigen Jahren bringt der es nicht mehr. Er ist entweder kaputt oder so veraltet, dass er für neue Anwendungen nicht mehr nutzbar ist. Beim Fernsehen redet man uns ständig neue Techniken ein. Für Musikliebhaber ging die Entwicklung von Schallplatten über Tonbänder und Kasetten zu CDs, und weiter zu Sticks oder winzigen Speicherkarten für MP3. Wer arbeitet noch mit Schmalfilmen oder Videokasetten? Selbst DVD und Blue-Ray sind schon Relikte vergangener Tage. Was bleibt, sind die jeweiligen Abspielgeräte, die man nicht mehr braucht, auch alte Handys will fast keiner mehr nutzen. Kaffeemaschinen, ersetzt vom schicken, hippen SENSEO-Automaten, trifft das gleiche Schicksal wie den alten Kühlschrank, den Staubsauger und was sonst noch an elektrischen und elektronischen Geräten unser Leben vereinfacht. Alle diese Alt-Geräte schlummern in unseren Haushalten oder werden entsorgt. Oft nicht fachgerecht, und das, obwohl sie noch nutzbar oder mit wenig Aufwand aufrüstbar wären. So gehen viele der in ihnen enthaltenen wertvollen Rohstoffe dem Wirtschaftskreislauf verloren. Der Ansatz, das Recycling der Rohstoffe aus den Elektronikgeräten zu verbessern, ist löblich, und die Vorschläge der Grünen könnten die Erfassung der Rohstoffe etwas verbessern. Deshalb stimmt die Linke diesem Antrag zu, auch wenn wir schon bei der Behandlung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes im letzten Jahr ein deutlich besseres System vorschlugen. Die Vermeidung neuer Geräte schont die Umwelt am meisten. Das widerspricht aber der wachstumsgetriebenen Marktwirtschaft. Vermeidung bedeutet weniger Verkauf. Wie sollen da Umsätze wachsen? Verhindert der Produzent Reparaturen, wie Apple mit den eingelöteten Batterien, oder verhindert Upgrades auf aktuelle Standards, so zwingt er die Kunden zum Neukauf seiner elektronischen Erzeugnisse. Der Umsatz wächst, die Marktwirtschaft blüht auf. Die verbrauchten Umweltressourcen jedoch kosten den Produzenten nichts. Also werden sie nicht eingepreist. Produzenten oder Unternehmer sind der Rendite, nicht der Natur verpflichtet. Deshalb muss man die Hersteller und Händler zu einem umweltfreundlichen Handeln verdonnern, und zwar per Gesetz. Darum schlägt die Linke folgendes System zur Elektro- und Elektronikschrotterfassung vor: Der Produzent/Hersteller zahlt eine Entsorgungsabgabe, welche von der Höhe der Kosten für Erfassung und Entsorgung abhängt. Je einfacher sich ein Produkt entsorgen lässt, sei es durch die Verwendung gut recycelbarer Materialien oder einfaches Auseinandernehmen, desto niedriger wird die Entsorgungsabgabe. Produkte müssen gut reparierbar und „aufrüstbar“ gestaltet werden. Hat ein Produkt „zwei Leben“, wird die Entsorgungsabgabe nur einmal fällig. Jedes Produkt wird mit einer Pfandabgabe verkauft. Die Rücknahme aller Elektro-/Elektronikgeräte erfolgt über kommunale Wertstoffhöfe, wo man das Pfand zurück erhält. Ein Teil der Entsorgungsabgabe finanziert das kommunale Rücknahmesystem. Die Wertstoffhöfe sind für die Weiterleitung an den besten Entsorger/Verwerter zuständig. Decken die Einnahmen der wiedergewonnenen Sekundärrohstoffe aus der Verwertung die Kosten der Entsorgung nicht, wird die Differenz aus der Entsorgungsabgabe gezahlt. Damit werden langlebige Produkte relativ preiswerter, weil die Entsorgungsabgabe nur ein Mal fällig wird, und Produkte, welche einfach recycelbar sind, erreichen einen Preisvorteil durch die niedrigere Entsorgungsabgabe. Mit diesem System ließen sich gute kommunale Arbeitsplätze schaffen. Und ganz nebenbei könnte man das System Pfand-Wertstoffhof auch nutzen, um gefährliche Produkte sicher zur Entsorgung zu erfassen, wie beispielsweise Energiesparlampen, um deren Rücknahme es im Antrag der SPD geht. Der Einsatz von Energiesparlampen ist zweifelhafter Umweltschutz. Sie verwenden hochgiftiges Quecksilber. Ihre Haltbarkeit ist kürzer als versprochen. Der Farbton ihres Lichtes ist meist so unangenehm, dass oft nur indirekte Beleuchtung erträglich ist. Damit braucht man je nach Farbe der Wand/der reflektierenden Fläche mehr Lichtmenge, also mehr Leuchten als geplant. In privaten Haushalten auf Fluren, auf Treppen und in Bädern, wo das Licht meist nur wenige Minuten am Tag genutzt wird, lohnen sich Energiesparlampen gar nicht. Der Energieverbrauch bei Produktion und Entsorgung der Energiesparlampen wurde in der Bilanz nicht ordentlich berücksichtigt. Problematisch sind die zusätzlichen Risiken für die Gesundheit. Zerbricht der Glaskörper, gelangt das Quecksilber in die Umwelt – Quecksilber reichert sich im Körper an, und jede zusätzliche Dosis vergrößert die Gefahr von Vergiftungen. „Bild“ stellte gestern fest: „Energiesparlampen sondern im Betrieb starke elektromagnetische Strahlung ab“, aber die Grenzwerte wurden eingehalten. Über diese Grenzwerte jedoch ist massiver Streit entbrannt. Zum Beispiel liegt ein aktueller Grenzwert bei 100 µTesla, obwohl bereits bei 10 µTesla hormonelle Veränderungen bei Menschen festgestellt wurden, bei 1 µTesla das Risiko, an Krebs oder Alzheimer zu erkranken, stark wächst und bei 0,3 µTesla die Gefahr von Leukämie bei Kindern stark zunimmt. Da beruhigt es mich und die Bürgerinnen und Bürger ungemein, dass Energiesparlampen die Grenzwerte einhalten. Schon 2010 forderte die Linke verpflichtende Rücknahmesysteme für Energiesparlampen. Leider hat die Koalition dies damals abgelehnt. Wir unterstützen darum den Antrag der SPD, die Rücknahmepflicht für Alt-Energiesparlampen durchzusetzen. Gleichzeitig fordern wir die Regierung auf, in Brüssel für ein Verbot dieser Lampen zu kämpfen. Es gibt Alternativen, sei es die in blindem Aktionismus verbotene gute, alte Glühbirne, seien es LED- oder OLED-Leuchtmittel. Unser Vorschlag: Entscheiden Sie sich zusammen mit der Opposition in einem Schritt für eine Rücknahmepflicht für Energiesparlampen und in einem zweiten für deren Verbot. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum gehen so viele Produkte kurz nach der Garantiezeit kaputt? Verkürzen Hersteller die Lebenszeit künstlich, um die Nachfrage nach neuen Waren sicherzustellen? Wir Grüne haben uns in den letzten Monaten ganz intensiv mit diesen Fragen beschäftigt. Die Ergebnisse einer Studie, die wir hierzu in Auftrag gegeben haben, waren erschreckend. Produkte, die kurz nach dem Ablauf der Garantie- oder Gewährleistungszeiten den Dienst einstellen, sind einfach zu finden – jeder kennt diese Beispiele. Der Gedanke liegt nahe, dass schon während des Herstellungsprozesses vorzeitiger Verschleiß eingebaut wird. Reparaturen werden bei manchen Produkten inzwischen fast unmöglich gemacht. Beispielsweise werden Laptops so angeboten, dass sie beim Öffnen irreparabel zerstört werden, oder Akkus so verbaut, dass ein Austausch gar nicht mehr möglich ist. Dieses kann als „geplanter Verschleiß“ betrachtet werden. Es ist ärgerlich für Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn sie Geräte nach kurzer Zeit neu kaufen müssen. Es ist eine Geldverschwendung, wenn Handys oder auch elektrische Zahnbürsten viel zu kurze Lebensdauern haben. Und es ist eine skandalöse Verschwendung von Ressourcen. Unsere Abfallberge wachsen, weil die Recyclingquoten zum Beispiel bei Elektroschrott nach wie vor zu niedrig sind. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Branchenverbandes BITKOM besagt, dass die Zahl der Althandys und Smartphones in deutschen Haushalten im vergangenen Jahr auf fast 86 Millionen angewachsen ist. Dies ist eine Zunahme um gut 3 Prozent in einem Jahr. Wir wissen: Rund 80 Prozent aller in einem Mobiltelefon verwendeten Materialien könnten durch Recycling zurückgewonnen werden. Allerdings müssen Geräte hierfür auf hohem Niveau recycelt werden. Um ein effizientes Recycling zu ermöglichen, müssen möglichst viele Geräte zurückkommen. Daher setzen wir uns für ein Handypfand als Pilotmodell ein; denn die Erfahrung zeigt: Finanzielle Anreize erhöhen die Rücklaufquoten deutlich. Ist dieses bei Mobiltelefonen erfolgreich, wollen wir es auf weitere Produktgruppen wie Laptops, Tabletcomputer und Spielekonsolen anwenden. Das bisherige System hat einen zu geringen Rücklauf. Ein umfassendes Rücknahmesystem kann nur gemeinsam mit Handel und Herstellern entwickelt werden, wenn es Erfolg haben soll. Kooperation einzelner Anbieter mit Umweltverbänden, zum Beispiel bei der Rücknahme von Mobiltelefonen, ist ein guter Ansatz, führt aber noch nicht zu insgesamt großen Mengen. Um wichtige Rohstoffe in größerer Masse zurückgewinnen zu können, bedarf es größerer Mengen im Rücklauf. Nur so besteht der Anreiz für Investitionen in hochwertiges Recycling. Zum Thema Energiesparlampen: Hier ist der Antrag der SPD-Fraktion sinnvoll, wir unterstützen ihn. Wir hatten hierzu vor geraumer Zeit ja bereits einen Grünen-Antrag vorgelegt. Seither hat sich aber für Verbraucherinnen und Verbraucher rein gar nichts verbessert. Die Regierung muss endlich handeln und darf die Rücknahme nicht privaten Initiativen überlassen. Dort, wo finanzielle Anreize nicht ausreichen, setzen wir auf das Ordnungsrecht. Das jetzige Elektro- und Elektronikgerätegesetz ist nicht mehr zeitgemäß, die Anforderungen an Ressourceneffizienz und Recycling sind seit 2005 stark gestiegen. Schon lange ist eine umfassende Novellierung erforderlich, allein um die illegalen Exporte unseres Elektroschrotts einzudämmen, zum Beispiel nach Ghana oder Indien. Auch diese haben in letzter Zeit eher zugenommen, statt weniger zu werden. Da müssen wir auch die Bedingungen für Zollkontrollen verbessern. Ich fordere die Bundesregierung auf: Lassen Sie Nutzerinnen und Nutzer nicht länger im Regen stehen. Eine Überarbeitung der Regelungen zum Elektroschrott ist dringend notwendig. Der Handel muss in die Pflicht genommen werden, ebenso die Produzenten, die es auf raschen Verschleiß ihrer Waren anlegen und gezielt minderwertige Bauteile verwenden. Verbraucherinnen und Verbraucher wollen ihre Elektrogeräte reparieren können, wenn sie nicht mehr funktionieren. Eine längere Lebensdauer, auch von Elektronikgeräten, muss vorgegeben werden. Und wenn etwas endgültig nicht mehr zu gebrauchen ist, muss es den Menschen einfach gemacht werden, dieses einem wirklich sinnvollen Recycling zuzuführen. Darum muss es gehen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 17/10866. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9058. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit der FDP? – Zuruf von der Linken: Die Kollegen von der FDP!) – Ist total dafür, nicht? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dagegen haben SPD und Linke gestimmt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!) – Ach so, und Bündnis 90/Die Grünen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8899. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Dagegen waren die Oppositionsfraktionen. Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Familienpflegezeit und zum flexibleren Eintritt in den Ruhestand für Beamtinnen und Beamte des Bundes – Drucksache 17/12356 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/13133 – Berichterstattung: Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein) Wolfgang Gunkel Dr. Stefan Ruppert Frank Tempel Dr. Konstantin von Notz Die Reden wurden zu Protokoll genommen. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Diese Koalition redet nicht nur über Demografie, sich wandelnde Altersstrukturen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Nein, wir tun auch etwas, um auf diese Entwicklungen adäquat zu reagieren. Die Demografiestrategie der Bundesregierung beschäftigt sich beispielsweise ausgiebig damit, dass Familie und Beruf besser zu vereinbaren sind und dass die Arbeitswelt familienfreundlicher werden soll, auch – und ich meine aus Vorbildgründen sogar insbesondere – für die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, also die Bundesbeamtinnen und -beamten. Eines der vielen Ziele dabei ist es, die Doppelbelastung von Beruf und Pflege zu reduzieren. Deshalb hat Ministerin Schröder folgerichtig das Instrument der Familienpflegezeit eingeführt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können damit in Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber ihre Arbeitszeit für einen begrenzten Zeitraum reduzieren. Die finanziellen Einbußen werden abgemildert, indem sie auf einen längeren Zeitraum verteilt werden. Nun sollen auch Beamtinnen und Beamte der Bundesverwaltung die Möglichkeit bekommen, für die Pflege von nahen Angehörigen Familienpflegezeit zu beantragen. Ihnen wird ein späterer Eintritt in den Ruhestand ermöglicht, um Versorgungseinbußen zu mindern. Das Verfahren zur Beantragung der Pflegezeit wird unbürokratisch sein: Die Beamtin oder der Beamte weist die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen nach, indem er eine Bescheinigung der Pflegekasse oder des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vorlegt. Stehen dem Antrag keine dienstlichen Gründe entgegen, kann die Arbeitszeit wie gewünscht reduziert werden. Im Gesetzentwurf wird zudem die Möglichkeit eingeräumt, den Eintritt in den Ruhestand um bis zu drei Jahre hinauszuschieben. Damit kann die Beamtin oder der Beamte Ausfälle in den Versorgungsbezügen ausgleichen, die sich aus der Reduzierung der Arbeitszeit für die Pflege ergeben. Der Gesetzentwurf regelt deshalb auch den flexiblen Einstieg in den Ruhestand. Im Änderungsantrag der Koalition haben wir nun vorgesehen, dass all jene Beamte, die nach dem Erreichen der Regelaltersgrenze weiterhin arbeiten, 10 Prozent Besoldungszuschlag erhalten. Zudem streichen wir die im Bundesbeamtengesetz enthaltene Möglichkeit des Dienstherrn, den Ruhestandseintritt ohne die Zustimmung der Beamtin oder des Beamten zu verschieben. Wir haben also einen zusätzlichen finanziellen Anreiz geschaffen, freiwillig länger zu arbeiten. In der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses wurden wir Abgeordneten daran erinnert, dass längeres Arbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus derzeit noch kein großes Thema ist. Vielmehr müssten zunächst weitere Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit die Beschäftigten überhaupt bis zur Regelaltersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand arbeiten können. Zwar sind die Frühpensionierungen in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen. Dennoch haben wir nicht nur die Aufgabe, den öffentlichen Dienst für Fachkräfte attraktiv zu gestalten, um sie als Beamtinnen und Beamte neu zu gewinnen, sondern wir haben auch eine Fürsorgepflicht für all jene, die unter den gestiegenen Anforderungen schon heute im öffentlichen Dienst arbeiten. Prävention und gute Mitarbeiterführung sind nur zwei der Bausteine, um eine gute und gesunde Arbeitsumgebung zu schaffen. Hier passiert gerade in den Bundesbehörden schon sehr viel. Dennoch: Weitere Maßnahmen sind möglich und nötig. Ich nehme diese Anmerkungen sehr ernst. Heute jedenfalls legen wir Ihnen einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir es Bundesbeamtinnen und -beamten ermöglichen, eine möglicherweise bestehende Doppelbelastung aus Beruf und Pflege zu reduzieren. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. Wolfgang Gunkel (SPD): Wir beraten heute einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der verschiedene Änderungen im Öffentlichen Dienst nach sich zieht. Regelungen für die Familienpflegezeit für Beamtinnen und Beamte sollen gestaltet und der Ruhestandseintritt bei Beamtinnen und Beamten flexibler geregelt werden. Mit den Regelungen zur Familienpflegezeit soll dies nun auch den Beamtinnen und Beamten ermöglicht werden. Grundsätzlich ist es durchaus zu begrüßen, dass die Bundesregierung erkennt, dass im Bereich der privaten Pflege von Angehörigen dringende Probleme warten, die unbedingt angegangen werden müssen. Ein Großteil pflegebedürftiger Menschen wird von ihren Angehörigen betreut. Diese Pflege stellt ein extremes Spannungsfeld zwischen Familie und Beruf dar. Bei der Umsetzung dieser Familienpflegezeit hakt es an einigen Stellen jedoch noch, insbesondere ist es bedauerlich, dass Fehler des Familienpflegzeitgesetzes für Tarifbeschäftigte übernommen werden. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in der Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages zu diesen Themen verschiedene Kritikpunkte aufgegriffen und mit den Sachverständigen diskutiert. Die SPD-Bundestagsfraktion sieht es als sehr kritisch an, dass die Genehmigung der Pflegezeit in das Ermessen des Dienstherrn gestellt wird. Dem dienstlichen Interesse ist durch die normierte Voraussetzung der nicht entgegenstehenden dienstlichen Gründe hinreichend Genüge getan. Auch hinsichtlich der zeitlichen Beschränkung der Pflegezeit auf 24 Monate haben wir Zweifel, ob dies den tatsächlichen Anforderungen an die Pflege von Angehörigen entspricht. Zu dieser Frage gab es in der Anhörung unterschiedliche Einschätzungen. Insgesamt wäre eine längere Pflegezeit jedoch zu begrüßen. Weitere Kritikpunkte, die von der SPD-Bundestagsfraktion benannt wurden, betreffen das Rückzahlsystem des Vorschusses, der uns nicht praktikabel und interessensgerecht erscheint, und die wöchentliche Arbeitszeit von 15 Stunden. Diese Festlegung ist nicht flexibel genug. Da die Familienpflegezeit, die bisher außerhalb des Geltungsbereichs des Bundesbeamtengesetzes Anwendung findet, kaum in Anspruch genommen wird, steht zu erwarten, dass dies analog auch für die Beamtinnen und Beamten gelten wird. So geht auch der vorliegende Gesetzentwurf von gerade einmal 250 Anträgen auf Familienpflegezeit durch Beamtinnen und Beamte aus. Da kann man schon von einem reinen Nischenangebot sprechen. Ich möchte nun noch auf den zweiten Teil des vorgelegten Gesetzentwurfes eingehen, das Hinausschieben der Altersgrenze. Freiwillige Dienstzeitverlängerungen kann ich nur begrüßen. Ich betone an dieser Stelle ausdrücklich die Freiwilligkeit einer solchen Verlängerung. Alles andere finde ich nicht zielführend. Insofern begrüße ich es, dass die Koalition einen der Kritikpunkte der Sachverständigengutachten im Rahmen der Anhörung aufgegriffen hat und einen Änderungsantrag für den Innenausschuss formuliert hat. Darin wird die bisher mögliche zwangsweise Dienstzeitverlängerung auf Initiative des Dienstherren ohne Zustimmung des Beschäftigten aufgehoben. Die Zustimmung der Beamtin oder des Beamten ist nun erforderlich. Diese Anpassung begrüßt die SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich. Dr. Stefan Ruppert (FDP): Im Februar 2013 haben die Fraktionen des Deutschen Bundestages den vorliegenden Gesetzentwurf erstmalig im Plenum debattiert. Es ist erfreulich, dass die Koalition sich auf Initiative der FDP-Fraktion auf wichtige Änderungen verständigt hat und wir den Gesetzentwurf in geänderter Form heute beschließen können. Ziel der Regelung ist in erster Linie, das Familienpflegezeitgesetz auf die Beamtinnen und Beamten des Bundes zu übertragen. Für Arbeitnehmer und für Tarifangestellte im öffentlichen Dienst gilt es seit Anfang 2012. Anfang dieses Jahres wurden Stimmen aus den Reihen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen laut, nach denen die Regelung ein „Flop“ sei. Solche Äußerungen können nur als Wahlkampfgetöse wahrgenommen werden. Sie sind weder fundiert noch sachlich. Mit dem Familienpflegezeitgesetz hat die Koalition die Möglichkeit der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf verbessert. Man muss den Menschen Zeit geben, diese Möglichkeiten zu entdecken und zu prüfen. Eine umfassende wissenschaftliche Evaluation auf Initiative des Bundesfamilienministeriums wird Aufschluss über die tatsächlichen Auswirkungen des Gesetzes geben. Beamte konnten bisher zugunsten der Pflege von Angehörigen in Teilzeit arbeiten und wurden dafür anteilig besoldet. Mit Einführung der Familienpflegezeit können sie nun für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren ihre Arbeitszeit auf mindestens 15 Stunden pro Woche reduzieren. In dieser Zeit erhalten sie einen Vorschuss auf ihre Besoldung, der nach der Pflegephase zurückgezahlt wird. Mit dieser Regelung wird ein Ausgleich geschaffen für die finanzielle Belastung, die unter Umständen mit einer Pflegezeitphase einhergeht. Darüber hinaus setzen wir weitere Maßnahmen zur Flexibilisierung des Ruhestandseintritts um. Beamte, die wegen familiärer Aus- oder Teilzeiten während ihrer aktiven Dienstzeit Versorgungseinbußen haben, können künftig diese Lücken auffüllen, indem sie über ihr gesetzliches Pensionsalter hinaus bis zu drei Jahre weiterarbeiten. Dadurch erhalten sie die Möglichkeit, den Höchstruhegehaltsatz von 71,75 Prozent doch noch zu erreichen. Außerdem erhöhen wir die Attraktivität des Modells FALTER, das Beamten ermöglicht, mit reduzierter Arbeitszeit in Ruhestand zu gehen. Bisher war bei Inanspruchnahme des FALTER-Modells wegen eines Versorgungsabschlags ein finanzieller Nachteil gegenüber dem herkömmlichen Ruhestandseintritt verbunden. Dieser Abschlag fällt nun weg. Auf Initiative und Druck der FDP-Fraktion werden mit einem Änderungsantrag der Koalition im Gesetzentwurf zwei weitere wichtige Punkte umgesetzt: Zum einen fällt die unglückliche Regelung weg, dass der Dienstherr Beamte ohne ihre Zustimmung zur Verlängerung der Arbeitszeit über den gesetzlichen Ruhestand hinaus zwingen kann. Aus Sicht der Liberalen kann motiviertes längeres Arbeiten nur aus freien Stücken erfolgen. Zum anderen motiviert ein Zuschlag von 10 Prozent des Grundgehalts künftig auch diejenigen Beamten zur freiwilligen Verlängerung der Arbeitszeit, die bei Erreichen des Ruhestandsalters den Höchstruhegehaltssatz von 71,75 Prozent bereits erreicht haben. Bisher hätte ihnen einen Verlängerung der Arbeitszeit keine Vorteile gebracht. In einer öffentlichen Anhörung vor dem Innenausschuss des Bundestages im März dieses Jahres wurden diese Änderungen von Sachverständigen konkret gefordert, die auf Initiative der FDP nun umgesetzt worden sind. Darüber hinaus hat die Mehrzahl der Sachverständigen den vorliegenden Gesetzentwurf neben einigen weiter gehenden Vorschlägen positiv bewertet. Die Maßnahmen wurden von Experten als angemessene Reaktion auf die Herausforderungen des demografischen Wandels bewertet. Im Rahmen der Demografiestrategie der Bundesregierung bisher erarbeitete Handlungsempfehlungen für den öffentlichen Dienst werden damit umgesetzt. Die FDP-Fraktion hätte sich die Familienpflegezeitregelung auch für Soldaten gewünscht, dies war jedoch mit dem Koalitionspartner nicht umzusetzen. Neben dem Familienpflegezeitgesetz kommen heute noch zwei weitere Gesetzentwürfe im Beamtenrecht zur Abstimmung, bei denen die FDP-Fraktion ebenfalls sehr gute Kompromisse durchgesetzt hat: Wir führen die Portabilität der Versorgung ein und sorgen für eine ausgewogen gestaltete Neuregelung der Professorenbesoldung. Die Koalition hat in dieser Wahlperiode weit mehr im Beamtenrecht erreicht als die Große Koalition und Rot-Grün zuvor. Ein Blick auf die Entwicklung des Dienstrechts in den rot-grün geführten Ländern genügt, um zu zeigen, dass wir dank der christlich-liberalen Koalition im Bund auf vier gute Jahre für Deutschland im Beamtenrecht zurückblicken. Ich bitte um Zustimmung für diesen Gesetzentwurf. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Pflegefall ist der Ernstfall der Solidarität. Nicht nur im Familienverhältnis. Ein guter Freund erleidet einen Schlaganfall, die Schwiegermutter wird dement. Solche Ereignisse werden häufig als existenzielle Brüche im gewohnten Alltag erfahren, ändern vieles, verlangen große Umstellungen und führen die Beteiligten schnell an psychische und physische Grenzen. Sowohl Angehörige als auch Freunde und Bekannte erfahren diese Situationen oft als innere Verpflichtung, zu helfen, und erwarten dabei die Unterstützung ihres Umfeldes, gerade auch die des Arbeitgebers. Ihnen hierfür den erforderlichen Raum zu geben, sollte deshalb Ziel sein, weil damit die Würde der Pflegebedürftigen als auch der diesen Menschen nahestehenden Personen respektiert und gewährleistet wird. Soweit derartige solidarische Leistungen zur Verfügung stehen, werden damit auch öffentliche Hilfsstrukturen entlastet. Nun lassen sich für das Arbeitsverhältnis durchaus unterschiedliche Modelle vorstellen, mit denen dem Wunsch von Beschäftigten entgegengekommen werden kann, eine Auszeit für die Pflege zu nehmen. Eingehend hat dazu der Familienausschuss eine Anhörung durchgeführt. Die Bundesregierung hat sich für den Bereich der Beamtinnen und Beamten entschieden, das Familienpflegezeitmodell für die Tarifbeschäftigten wirkungsgleich zu übernehmen. Von allen denkbaren Möglichkeiten hat sie sich letztendlich, wie bei den Tarifbeschäftigten auch, damit für die maximal eigenverantwortliche – früher hätte man gesagt: neoliberale – Lösung entschieden. Eine solidarische Leistung, etwa in Gestalt der von Verdi vorgeschlagenen erweiterten Anerkennung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten für die Versorgung, ist nicht vorgesehen. Deutlich wird: Die Pflege soll an dieser Stelle nur keine weiteren Kosten produzieren, die Solidarität der Menschen miteinander und untereinander wird als selbstverständliche, also erwartete und damit nicht weiter finanziell unterstützenswerte Pflicht abgebucht. Diese hochabstrakte Erwartungsschablone passt aber nicht mehr auf die vielfältigen Lebensverhältnisse unserer Gesellschaft. Unausgesprochene Wirklichkeit an dieser Stelle zudem: Tatsächlich gemacht wird die Arbeit nach wie vor überwiegend durch Frauen. Gleichzeitig wird im Beamtenverhältnis die Selbstbestimmung der Betroffenen unter Verweis auf ihre Treuepflicht klar eingeschränkt. Denn nach dem Entwurf der Bundesregierung steht die Wahrnehmung der Pflegezeit unter Vorbehalt der Zustimmung des Dienstherrn. Zunächst wollte die Koalition sogar die Verlängerung der Dienstzeit anordnen können, hat davon aber im Änderungsantrag dann doch Abstand genommen. Formal mag es zumindest mit Blick auf einzelne Ausnahmebereiche des öffentlichen Dienstes und unter Verweis auf die Funktionsfähigkeit der Verwaltung nachvollziehbar und auch zulässig sein („zwingende dienstliche Gründe“), dass die Lücke einer Pflegezeit vermieden werden muss. Für die große Mehrheit der Beamten gilt dies jedoch nicht. Und an sich sind Arbeitsplätze so zu organisieren, dass für solche Ausfälle Kompensationsmöglichkeiten bestehen, weil diese mehr als erwartbar sind. Zudem kann der Forderung der Gewerkschaften nach einem Rechtsanspruch auf Wahrnehmung der Pflegezeit im öffentlich-rechtlichen Verhältnis nicht das allein für den privatwirtschaftlichen Bereich passende, aber auch dort schwierige Argument entgegengehalten werden, die Arbeitgeber würden bei einer gesetzlichen Verpflichtung jegliche Akzeptanz des Gesetzes verweigern. Der Begriff der Angehörigen ist im Gesetzentwurf zu eng definiert; wir teilen da die Kritik der Gewerkschaft. So müssten auch bloße leibliche Kinder in häuslicher Gemeinschaft, welche nicht adoptiert sind, beispielsweise mit erfasst sein. Auch müsste die häusliche Umgebung auf teilstationäre Pflege erweitert werden. Die zeitliche Begrenzung auf 24 Monate überzeugt angesichts längerwährender Erkrankungen nicht, auch wenn es dort eine einmalige Verlängerungsmöglichkeit gibt. Die ebenfalls vorgesehene Beibehaltung einer wöchentlichen Mindestarbeitszeit, die von der Koalition auch noch als Schutzmaßnahme verbrämt wird, passt in dieser Starrheit nicht für schwerwiegendere Pflegefälle. Wir teilen die Auffassung von Verdi, dass es gerade hier besonderer Flexibilität bedarf, damit das Angebot wahrgenommen werden kann. Auch der Kritik der Gewerkschaften an den vorgesehenen Modalitäten des Vorschusses schließen wir uns an. Die durch den Gesetzesvorschlag beabsichtigte Flexibilisierung des Ruhestandseintritts ist im Grundsatz zu begrüßen. Zugleich lässt sich der Vorwurf der Gewerkschaften nicht von der Hand weisen, dass hier über den Umweg der Familienpflegezeit an der Lebensarbeitszeitverlängerung gedreht werden soll. Wer die Pflegezeit in Anspruch nimmt, mag vereinzelt froh um die ermöglichte Verlängerung der Dienstzeit und die ermöglichte Abgeltung des Vorschusses sein. Aufs Ganze besehen aber müssen die individuellen Folgen solcher Verlängerungen im Blick behalten und organisatorische Folgen in Gestalt etwa des Erlahmens der Nachwuchsförderung und Neueinstellung vermieden werden. Das Nutzen der Erfahrung älterer Bediensteter kann nur Hand in Hand mit einer wirksamen Konzeption der Sicherung der Weitergabe dieses Wissens erfolgen. Eine generelle Kultur des längeren Arbeitens ist voraussetzungsvoll; es genügt nicht, höhere Lebenserwartungen zu konstatieren. In der Summe ergeben sich wegen der genannten Hürden bei der Antragstellung Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Verfolgung des Gesetzesziels. Im privaten Bereich gilt die Regelung ja bereits wegen der fehlenden Verbindlichkeit und der Ablehnung durch die Arbeitgeber als de facto gescheitert. Für den Beamtenbereich drängt sich ebenfalls auf, in wie vielen Fällen wohl unter Verweis auf den Fachkräftemangel die Zustimmung verweigert werden wird. Nicht akzeptabel ist aber auch, dass gleichstellungspolitisch nicht gegengesteuert wird. Die Tatsache, dass ganz überwiegend Frauen die Pflege übernehmen, zementiert spätere Benachteiligungen beim Wiedereinstieg. Die Bundesregierung spricht dieses Problem im Gesetzentwurf an. In einer kühnen Prognose attestiert sie sich selbst einen wertvollen gleichstellungspolitischen Beitrag, weil die Pflegezeit die größte Wirkung bei Vollzeitbeschäftigten entfalte, und diese seien ja nun überwiegend Männer, also würden zukünftig Männer mehr Pflege übernehmen. Diese Art der Rechnung, die unter Ausschluss der Realität, sprich: der zentralen Frage nach dem Hauptverdiener in den Familien, vorgeht, belegt gleichstellungspolitisch ein hohes Maß an Ignoranz. Wie in den anderen Anträgen dieser Koalition zum Dienstrecht auch wird recht salopp ein Zusammenhang mit dem demografischen Wandel und der eigenen Strategie gegen die möglichen negativen Folgen hergestellt. Schon angesichts der prognostizierten 250 Anträge pro Jahr darf bezweifelt werden, dass wir es hier insoweit mit einem Instrument hinreichend signifikanter Reichweite zu tun haben, um grundlegende, die gesamte Bevölkerung betreffende Veränderungen mit steuern zu können. Meine Kollegen sprechen im Hinblick auf Frau Schröders Familienpflegezeitregelung von Symbolpolitik; dem kann ich mich hier für den Bereich des Dienstrechts anschließen. Eine verlässliche Pflegestruktur mit professionellen Pflegestrukturen und auch der oftmals angesprochene Pflegemix stellen strukturelle Ziele dar mit potenziell weitgehenden Entlastungswirkungen für alle Beteiligten, die insoweit deutlich über das von der Koalition propagierte bürgerliche Modell des Rückzugs in die Familie hinausweisen. Leider verweigert sich diese Koalition einer solchen Modernisierung. Die Folgen könnten schwerwiegend ausfallen, wenn der längst ausgerufene Pflegenotstand sich weiter manifestiert. Die Untätigkeit der letzten vier Jahre ist dann als verlorene Zeit bei der Gestaltung einer effektiven und die Menschen tatsächlich erreichenden Pflegeregelung zu verbuchen. Wir werden den Anträgen der schwarz-gelben Koalition nach alledem deshalb nicht zustimmen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13133, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12356 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer will dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen? – Dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die SPD. Linke und Bündnis 90/Die Grünen waren dagegen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer zustimmt, möge sich erheben. – Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Tagesordnungspunkt 27: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Roland Claus, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Fortsetzung der Braunkohlesanierung in den Ländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach dem Jahr 2012 – Drucksachen 17/3046, 17/5964 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Klaus Brandner Otto Fricke Roland Claus Priska Hinz (Herborn) Die Reden sind zu Protokoll genommen. Jens Koeppen (CDU/CSU): Der Antrag der Fraktion Die Linke war bereits bei der Einbringung im Jahr 2010 völlig überflüssig. Selbstverständlich haben sich die Landesregierungen der Länder Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie der Bund rechtzeitig auf ein neues Abkommen für den Zeitraum 2013 bis 2017 geeinigt. Niemand wollte die notwendige Sanierung frühzeitig abbrechen und selbstverständlich ist sich jede der verhandelnden Regierungen der Aufgabe der Gewässernachsorge bewusst. Die rot-rote Landesregierung von Brandenburg hat in einer Presseerklärung am 7. November 2012 das Abkommen als verlässliche Grundlage für die kommenden fünf Sanierungsjahre gelobt. Da ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Es besteht somit ein weitreichender parteiübergreifender lobender Konsens zum Verwaltungsabkommen über die weitere Braunkohlensanierung. Was gemeinsam für die betroffenen Regionen verhandelt wurde, lässt sich auch sehen: Bis 2017 werden weitere 1,2 Milliarden Euro von Bund und Ländern bereitgestellt; mit den Abkommen 1 bis 4 sind bereits 9,3 Milliarden Euro zur Abarbeitung der schmutzigen DDR-Hinterlassenschaften eingesetzt worden. Die bedarfsgerechte Fortführung der Sanierung ist mit dem Mittelvolumen gesichert. Von dem Mittelvolumen sind 460 Millionen Euro für die Gefahrenabwehr aus dem Gewässeranstieg in den DDR-Bergbauregionen vorgesehen. Die bergtechnische Sanierung ist weitgehend abgeschlossen; bis 2015 werden die Tagebauseen bis auf wenige Ausnahmen weitgehend geflutet sein, und zum neuen Schwerpunkt wird daher die Gewässernachsorge. Dazu gehörten die langfristige Beobachtung der Gewässerqualität der Tagebauseen und gegebenenfalls Reaktionen auf die Qualitätsentwicklung. Hinzu kommen auch die Überwachung der Gewässerböschungen und des Grundwasseranstiegs. In den betroffenen Regionen ist nicht nur der Bergbau immer noch eine tragende wirtschaftliche Säule, sondern mittlerweile auch die Bergbausanierung. Nach Angaben der brandenburgischen Landesregierung haben zirka 1 300 Menschen – überwiegend aus bergbaulichen Berufen – einen neuen Job in Sanierungsprojekten in der brandenburgischen Lausitz gefunden. Die gemeinsamen finanziellen Anstrengungen und der persönliche Einsatz der Menschen vor Ort haben es ermöglicht, aus der Umweltkatastrophe, die uns durch die Energiepolitik der SED hinterlassen wurde, neue Entwicklungsperspektiven aufzubauen. Der Tourismus, eine moderne, sehr diversifizierte Energiewirtschaft, aber auch hervorragende Kompetenzen in Wissenschaft und Forschung gehören heute zu den Zukunftschancen der Regionen. Ich bitte die Antragssteller: Reden Sie das Geleistete nicht weiterhin schlecht. Malen Sie nicht weiterhin schwarze Zukunftsszenarien. Sie zerreden damit nicht nur die Bemühungen der Koalition, sondern insbesondere die Lebensleistung der Menschen vor Ort. Gerade vor dem Hintergrund Ihrer parteipolitischen Herkunft empfinde ich Ihre vorgetragene Empörung noch mehr als plumpe Heuchelei. Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Am 9. Oktober letzten Jahres wurde das 5. Bund-Länder-Verwaltungsabkommen über die Finanzierung der Braunkohlensanierung von den Braunkohleländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen unterzeichnet. Für den Bund haben Finanzminister Schäuble und Umweltminister Altmaier ihre Unterschrift geleistet. Das Abkommen ist zum 1. Januar in Kraft getreten. Auch das entsprechende 4., ergänzende Verwaltungsabkommen wurde vor wenigen Wochen, Ende Februar, unterzeichnet. Damit haben wir zur Sanierung der Hinterlassenschaften des DDR-Braunkohlenbergbaus einen weiteren wichtigen Meilenstein erreicht. Für die Jahre 2013 bis 2017 stehen hier insgesamt über 1,2 Milliarden Euro bereit. Im Vergleich zum vorherigen Abkommen haben wir die Sanierungsmittel wieder um über 200 Millionen Euro erhöht. Diese Mittel ermöglichen es uns, die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen bedarfsgerecht fortführen zu können. Sie tragen auch dazu bei, wichtige ökologische und ökonomische Impulse für die betroffenen Regionen zu geben. Die Unterzeichnung ebendieses Verwaltungsabkommens hatte der hier zur Debatte stehende Antrag der Fraktion Die Linke gefordert. Dieses ist, wie gesagt, im vergangenen Jahr geschehen. Damit ist zu diesem Antrag im Grunde alles gesagt. Der Antrag der Opposition ist alles in allem überflüssig und unnötig. Was er fordert, ist längst passiert. Die Opposition verlangt in ihrem Antrag, dass diese Sanierung bis zu ihrer endgültigen Beendigung als öffentliche Aufgabe zu betrachten sei. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich frage Sie: Was tun wir denn seit über 20 Jahren anderes als das? Dies ist seit Jahr und Tag wichtige öffentliche Aufgabe. Und das wird so bleiben. Hätte es sonst schon fünf Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern gegeben? In der Sache sind wir bis 2017 bestens aufgestellt. Das sehen auch die Länder so. Lassen Sie mich dennoch auch heute noch einmal ausdrücklich betonen: Die ostdeutsche Erfolgsgeschichte der Braunkohlensanierung geht weiter. Wir haben sie vor gut 20 Jahren unter einer schwarz-gelben Regierungskoalition in Angriff genommen. Und wir haben sie mit dem 5. Verwaltungsabkommen erneut in einer schwarz-gelben Koalition zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Dafür braucht es nun wahrlich keine Anträge der Linken. Sie sollten lieber anerkennen, dass die Sanierung der Braunkohlentagebaue und anderer Altstandorte in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ein Vorzeigeprojekt des Aufbaus Ost darstellt. Daran kann es ernsthaft keinen Zweifel geben. Wir sprechen hier von einem Mammutprojekt, das neben der Wismutsanierung seinesgleichen sucht. So wurden in den ersten zehn Jahren seit der Wiedervereinigung mehr als 30 Tagebaue und über 40 weitere Produktionsstandorte in der Lausitz und in Mitteldeutschland stillgelegt. Wir reden hier von einer Gesamtfläche, die über 1 000 Quadratkilometer betragen hat. Die Sanierung hat den Steuerzahler erhebliche finanzielle Mittel gekostet. Bis 2017 werden es weit mehr als 9 Milliarden Euro sein. Die Sanierung und Rekultivierung dieser Landstriche in den vier ostdeutschen Braunkohlenländern hat jedoch nicht allein den Umweltschutz und damit eine Verbesserung der Lebensqualität der dort ansässigen Bevölkerung zum Ziel. Es geht auch um die Schaffung neuer Arbeitsplätze und um die Generierung von Wirtschaftswachstum, nicht allein im Bereich des Umweltschutzes, sondern gerade auch im Tourismus. Mit vereinten Kräften hat der Bund zusammen mit den betroffenen Ländern die notwendige Braunkohlensanierung genutzt, um in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier auf der einen Seite moderne Standorte für Industrie und Gewerbe zu schaffen, zugleich aber auf der anderen Seite auch neue Seenlandschaften mit hohem Freizeit- und Naturwert entstehen zu lassen. Als Beispiele möchte ich nur den Bergbau-Technik-Park Espenhain und den Verbindungskanal zwischen dem Spreetaler See und dem Sabrodter See nennen. Insgesamt sind in den letzten Jahren in den Braunkohlenrevieren Lausitz und Mitteldeutschland rund 120 kleinere, mittlere und große Seen entstanden. Ihre Gesamtfläche beträgt über 700 Quadratkilometer. Die Gesamtfläche der deutschen Binnengewässer, ohne den Bodensee, vergrößert sich damit um 20 Prozent. Wir haben hier Landschaften geschaffen für die Naherholung, zum Wandern und Spazierengehen, zum Angeln, Rudern, Segeln und für viele andere Freizeitaktivitäten mehr. In den vergangenen zwei Jahren galt es nun, das 5. Verwaltungsabkommen auszuhandeln. Bund und Braunkohlenländer haben sich dabei – ich nannte die Summe bereits – auf ein Gesamtvolumen von 1,2 Milliarden Euro geeinigt. Die bergtechnischen Sicherungsarbeiten sind mittlerweile zu fast 100 Prozent abgeschlossen. Die Tagebauseen werden bis 2015 bis auf wenige Ausnahmen geflutet sein. Jetzt gilt es, die gesicherten und sanierten Flächen nutzbar zu machen und einer Verwertung zuzuführen. Von ganz besonderer Bedeutung sind vor allem aber die Maßnahmen, mit denen der Gefährdung von Häuser und Gebäuden durch den Wiederanstieg des Grundwassers begegnet werden muss. Deshalb liegt der künftige Aufgabenschwerpunkt im Bereich der sogenannten Gewässernachsorge. Die Wiederherstellung eines ausgeglichenen Wasserhaushaltes ist deshalb hier eine der wichtigsten Aufgaben für die kommenden Jahre. Es geht um die Sicherung der Gewässerqualität der Tagebauseen. Wie das tragische Unglück von Nachterstedt 2009, bei dem drei Menschen tragisch ums Leben gekommen sind, gezeigt hat, ist gerade auch die Überwachung der Stabilität der Gewässerböschungen von überragender Bedeutung. Der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, LMBV, stehen für Maßnahmen der Grundsanierung (§ 2 des Abkommens) 770 Millionen Euro zur Verfügung. Diese teilen sich Bund und Länder im Verhältnis 75 zu 25 Prozent. Ein Aufgabenschwerpunkt von enormer Bedeutung ist auch in Zukunft der Wiederanstieg des Grundwasserspiegels. Für Maßnahmen, die den Gefahren aus dem Grundwasserwiederanstieg begegnen sollen, wie beispielsweise der Vernässung von Gebäuden, stehen 460 Millionen Euro bereit. Diese §-3-Maßnahmen tragen Bund und Länder je zur Hälfte. Insbesondere für den sächsischen Tourismus begrüße ich, dass der Freistaat für sogenannte §-4-Maßnahmen zur Folgenutzung ehemaliger Tiefbaulandschaften 40 Millionen Euro bereitstellt, Brandenburg 50 Millionen. Mit diesem Geld kann dort die touristische Infrastruktur verbessert werden. Lassen Sie mich an dieser Stelle beispielsweise den Bau von Radwegen, Bootsanlegern oder Schleusen nennen. Hier und heute möchte ich nochmals mit Nachdruck daran erinnern, dass der Braunkohlenabbau in der DDR und die daraus resultierenden dramatischen Zerstörungen unserer Umwelt für mich als Sachsen real erlebter Kommunismus waren. Ich war die ersten 34 Jahre meines Lebens Bürger der DDR. Das war eine Erfahrung, die ich nicht wiederholen möchte. Im Gegensatz zur Linkspartei weiß ich mich hier mit der geradezu dramatischen Mehrheit der Menschen in diesem Lande einer Meinung. Dass sich ausgerechnet die Linke an dieser Stelle zum Fürsprecher der Braunkohlensanierung machen will, ist in meinen Augen mehr als unglaubwürdig. Ich fasse zusammen: Die Braunkohlensanierung war und ist eine Erfolgsgeschichte. Ihren Erfolg haben wir mit dem 5. Verwaltungsabkommen bis 2017 sichergestellt. Dafür aber braucht die Regierungskoalition zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Anträge der Linken. Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Auch wenn wir den Antrag zur Fortsetzung der Braunkohlensanierung erst heute im Plenum beraten, seine Zielsetzung bleibt richtig, und die Ablehnung durch die Koalition war unverantwortlich; zuletzt wurden die Koalitionsfraktionen durch ihre eigene Bundesregierung eines Besseren belehrt. Wir alle wissen, wie zu DDR-Zeiten Braunkohle abgebaut wurde. Die Regierung der DDR nahm wenig Rücksicht auf die Menschen und gar keine Rücksicht auf ökologische Belange. Folgeschäden wurden billigend in Kauf genommen. Die Auswirkungen spüren wir bis heute. Um die ökologischen Folgen des Braunkohlenabbaus wie auch des drastischen Förderrückgangs nach 1990 zu bewältigen, wendeten Bund und Länder bis heute rund 9,3 Milliarden Euro auf. Mit der Sanierung wurden Tausende Arbeitsplätze gesichert oder neu geschaffen und eine regionale Wirtschaftsentwicklung nach dem Braunkohlenabbau organisiert. Dies gehört zu den positiven Kapiteln der deutschen Einheit und hat vielen Menschen in der Region eine Perspektive gegeben. Zwar war abzusehen, dass bis Ende 2012 ein erheblicher Teil der Grundsanierungen und bergmännischen Sicherungsarbeiten zu schaffen waren. Das war die Leistung vieler, denen unser Dank gebührt: zuallererst den Menschen in der Region, die mitgeholfen haben, auch der Bundesregierung und den Landesregierungen. Gerade deshalb war entscheidend, nicht kurz vor Schluss aufzuhören, sondern das Erreichte zu sichern und den erfolgreichen Weg bis zum Jahr 2017 weiter zu gehen. Nicht alles, was wünschenswert ist, ist auch realisierbar, darüber sind sich alle wohl bewusst. Aber es war für die Region ein entscheidender Meilenstein, die im Juni 2010 begonnenen Verhandlungen zwischen dem Bund und Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen über ein fünftes Verwaltungsabkommen für den Zeitraum 2013 bis 2017 zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Es war im Interesse der betroffenen Regionen, Unternehmen, Kommunen sowie Bürgerinnen und Bürgern, nur anscheinend nicht im Interesse der schwarz-gelben Koalition in diesem Hause. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, bei manchen Entscheidungen ist nicht wichtig, wer die Vorlage geschrieben hat, sondern die Sache. Aber das mit der Verantwortung bereitet Ihnen ja schon seit Beginn Ihrer Koalition erhebliche Schwierigkeiten. Nun haben Ihr Bundesfinanzminister und Ihr Bundesumweltminister im Oktober das 5. Bund-Länder-Verwaltungsabkommen über die Finanzierung der Braunkohlensanierung in der Lausitz und in Mitteldeutschland von 2013 bis 2017 unterzeichnet, ebenso wie die Länder Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Durch das Abkommen wird die Finanzierung der Braunkohlensanierung bis 2017 abgesichert. Dazu werden über 1,2 Milliarden Euro von Bund und Ländern bereitgestellt, mit nahezu allen Details, die der Antrag gefordert hat. Es war Bundesumweltminister Altmaier, der das Abkommen als Meilenstein bezeichnet und die wichtigen ökologischen und ökonomischen Impulse für die betroffenen Regionen gerühmt hat. Nun, das haben wir über ein Jahr vorher gewusst. Um die Rechtsverpflichtung der Lausitzer- und Mitteldeutsche Bergbau- Verwaltungsgesellschaft mbH zu erfüllen, steht nun ein Finanzrahmen von 770 Millionen Euro zur Verfügung, den sich Bund und Braunkohlenländer im Verhältnis 75 zu 25 Prozent teilen. Für ergänzende Maßnahmen, die dazu dienen, Gefahren aus dem Grundwasserwiederanstieg abzuwehren, stellen Bund und Braunkohlenländer je zur Hälfte einen Betrag von 460 Millionen Euro bereit. Im Zuge der Braunkohlensanierung sind in der Lausitz und im mitteldeutschen Revier neue Seenlandschaften mit hohem Freizeit- und Naturwert und moderne Standorte für Industrie und Gewerbe entstanden. Die wollen wir erhalten, pflegen und ausbauen. Die Tagebauseen werden bis 2015 bis auf wenige Ausnahmen geflutet sein. Deshalb geht es jetzt verstärkt um die Gewässernachsorge. Das war übrigens der wichtigste Punkt unseres Antrags. Ebenso ist die Stabilität der Gewässerböschungen zu gewährleisten. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt wird sich zukünftig aus dem Grundwasserwiederanstieg ergeben. Hier gilt es, sowohl die Vernässung von Gebäuden zu verhindern als auch gefährdete Kippenflächen zu sichern. Denn einen weiteren Unfall mit den schrecklichen Folgen möchte niemand in der Region und erst recht ich nicht noch einmal erleben müssen. Das ist unsere Verantwortung. Und es stünde Ihnen gut an, wenigstens heute für den Antrag zu stimmen. Dann ersparen Sie uns und der Öffentlichkeit auch, uns über Ihre Kurzsichtigkeit vor zwei Jahren zu ärgern. Heinz-Peter Haustein (FDP): Als dieser Antrag am 20. Januar 2011 in dieses Hohe Haus eingebracht wurde, liefen die Verhandlungen für das 5. Verwaltungsabkommen bereits und sind rechtzeitig erfolgreich abgeschlossen worden. Der Klientelantrag von der Linken war bereits zu seiner Einbringung überflüssig wie ein Kropf. Wesentliche Forderungen des Antrags waren bereits bei Antragseinbringung Gegenstand der Verhandlungen und fanden, unabhängig von diesem Antrag, Berücksichtigung. Aber der Antrag zeigt auch deutlich die fundamentale Unterscheidung zwischen linken Ideologen und rechtsstaatlichen Marktwirtschaftlern auf: Jene wollen das Primat der Politik zur Gestaltung und Steuerung, wir vertrauen rechtsverbindlichen Verträgen. Bereits bei der Einbringung dieses Antrags habe ich in meiner Rede darauf hingewiesen – und wiederhole es an dieser Stelle –, dass die Braunkohlensanierung ein Erbe des gigantischen planwirtschaftlichen Raubbaus der kommunistischen Ideologen der DDR ist. Sie sind Verursacher und verantwortlich dafür, dass zur Planerfüllung bis zu 300 Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr abgebaut wurden, ohne auf Mensch oder Natur zu achten. Es wurde auf einer Fläche von 1 400 Quadratkilometern der Tagebau betrieben, ohne Rücksicht auf Menschen, Natur und Tiere. So war es bis 1990: geräumte Dörfer, öde Landschaften und eine unvorstellbare Umweltverschmutzung. Mit der Wende verloren nicht nur die Kommunisten ihre Macht, sondern es begann zugleich der lange und mühsame Weg der Braunkohlensanierung. Seit 1990 haben der Bund und die betroffenen Bundesländer Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bereits über 9,3 Milliarden Euro in die Braunkohlensanierung investiert und Beachtliches erreicht: 97 Prozent der Fläche sind bereist bergmännisch saniert, 87 Prozent rekultiviert und rund zwei Drittel der Flächen sind nach erfolgreich durchgeführter Sanierung an neue Eigentümer übertragen worden. Es entstanden nicht nur neue Erholungsgebiete, wie beispielsweise das Lausitzer Seenland oder das Leipziger Neuseenland, sondern auch neue Standorte für Wirtschaft und Gewerbe. Die Sanierung und die anschließende neue Nutzung tragen unmittelbar zur Beschäftigungsentwicklung und andauernden Verbesserung der Wirtschaftsstruktur in den betroffenen Regionen bei. Es ist uns ein Anliegen, dass die Menschen in diesen Regionen eine neue Zukunftsperspektive bekommen. Über solche Erfolge sprechen zu können ist schön. Damit diese Erfolgsgeschichte ihre Fortsetzung finden kann, wurde das 5. Verwaltungsabkommen, unabhängig vom überflüssigen Antrag der Linken, zügig erfolgreich zu Ende verhandelt und ist pünktlich zum 1. Januar 2013 in Kraft getreten. Die Menschen in den betroffenen Regionen, die Unternehmen und die Kommunen haben jetzt eine Planungs- und Zukunftssicherheit bis 2017. Dazu werden über 1,2 Milliarden Euro von Bund und den Ländern bereitgestellt. Viel Geld, das Perspektiven eröffnet. Und für die Zeit nach 2017 wurde vereinbart und im § 5 (1) festgeschrieben: „Der Bund und die Länder vereinbaren, für den Zeitraum nach 2017 die Vorgehensweise für eine darüber hinausreichende Fortführung der Braunkohlesanierung und für eine abschließende Übertragung der Verpflichtungen und Vermögenswerte der LMBV auf vom Bund unabhängige Trägerstrukturen einschließlich notwendiger Regelungen für den Risikofall abzustimmen.“ Das heißt, wir wollen und werden vom Bund unabhängige Trägerstrukturen finden, um Risikofälle abzusichern. Anders als die Kommunisten, die alle Verantwortung beim Staat zentralisieren, vertrauen wir rechtsstaatlichen Verträgen zur Risikoabsicherung. Die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, LMBV, gehört zu 100 Prozent dem Bund, was zeigt, dass die Braunkohlensanierung als öffentliche Aufgabe wahrgenommen und durchgeführt wird. Die LMBV ist Eigentümerin der Bergbauflächen und Altstandorte und ist als Projektträgerin für die Durchführung der Sanierungsmaßnahmen verantwortlich, die vorher im Steuerungs- und Budgetausschuss Braunkohlesanierung, StuBA, vom Bund und den Braunkohlenländer gemeinsam festgelegt werden. Ein weiteres Beispiel für erfolgreiche Kooperationen zwischen Bundes- und Landesbehörden. Damit die LMBV auch zukünftig ihre erfolgreiche Arbeit fortsetzen kann, wurde im 5. Verwaltungsabkommen ein Finanzrahmen von 770 Millionen Euro zwischen dem Bund und den Ländern vereinbart, den sie sich im Verhältnis 75 Prozent zu 25 Prozent teilen. Der Bund weiß um seine Verantwortung und steht zu ihr. Ein bewährtes und faires Verfahren, um eine kontinuierliche Sanierungsarbeit zu gewährleisten. Nicht nur, weil ich aus dem Erzgebirge mit seiner über 800 Jahre alten Bergbaugeschichte komme, weiß ich, der Erzfeind des Bergmanns ist das Wasser – egal ob in den Erzgruben oder in den Tagebauen. In meiner Heimat gibt es auch heute noch immer wieder Einstürze an Straßen und auf den Feldern; noch heute entstehen Bingen. Deshalb haben Bund und Länder zur Gefahrenabwehr, wie sie sich beispielsweise aus dem Grundwasserwiederanstieg ergibt, insgesamt einen Betrag von 460 Millionen Euro vereinbart, den sie jeweils zur Hälfte tragen. Das ist ein Beitrag zu einer in die Zukunft gerichteten Gefahrenabwehr. Darüber hinaus haben sich die Länder bereit erklärt, über ihre Verpflichtungen gegenüber der LMBV hinaus, zusätzliche Mittel für weitere Maßnahmen unter anderem zur Erhöhung des Folgenutzungsstandards und zur Gefahrenabwehr im Bereich des Braunkohlenaltbergbaus bereitzustellen. Das ist in der Tat zuerst eine Aufgabe der Länder, der sie mit dieser Selbstverpflichtung auch nachkommen werden, und nicht eine zentralistisch zu handhabende Herausforderung, wie Staatsetatisten und Kommunisten sie handhaben würden. Die schwarz-gelbe Bundesregierung stellt sich ihrer Verantwortung über die Legislatur- und Vertragslaufzeit hinaus. Im Gesamtergebnis ist das 5. Verwaltungsabkommens eine konsequente Fortschreibung der erfolgreichen Braunkohlensanierungspolitik. Der Bund und die Länder nehmen gemeinsam ihre Verantwortung war und schaffen durch ökonomische und ökologische Impulse Entwicklungsmöglichkeiten für die betroffenen Regionen. Das trägt zur Planungssicherheit für die Menschen und Kommunen bei. Der Antrag der Linken war bereits bei seiner Einbringung ein Schaufensterantrag und gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuweisen: Der Kommunismus fördert den Raubbau an der Natur und die Missachtung der Schöpfung. Überall dort, wo Kommunisten regierten oder gar noch regieren, das gleiche Bild: Umweltzerstörung, Verödung der Natur. Gott sei Dank hat das in Deutschland ein Ende und wir arbeiten daran, dass es nie wieder eine Zukunft für diese menschenmissachtende Ideologie gibt. Aus meinen Ausführungen ist deutlich geworden: Wir lehnen den Antrag der Linken in allen Punkten konsequent ab. – Ein herzliches „Glück Auf“ aus dem Erzgebirge. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Der hier abschließend zu beratende Antrag stammt aus dem September 2010 und hat einen seiner Zwecke erfüllt: Ende 2012 wurde noch rechtzeitig das fünfte Verwaltungsabkommen zur Braunkohlensanierung für die Zeit von 2013 bis 2017 unterzeichnet. Das Abkommen hat ein Gesamtvolumen von etwa 1,3 Milliarden Euro. Verglichen mit den im Zeitraum von 1991 bis 2011 aufgewendeten 9,2 Milliarden Euro stellt das einen deutlichen Rückgang dar. Dieser wird unter anderem damit begründet, dass die sogenannte Hauptarbeit bei der Sanierung getan sei und es sich in den kommenden Jahren eher um Rest- und Abschlussarbeiten handele. Dieses Herangehen halte ich für nicht sachgerecht, ja sogar für fahrlässig. Dabei geht es nicht nur um überraschende und schwer kontrollierbare Rutschungen wie die in Nachterstedt oder andernorts – zum Glück ohne tödliche Folgen wie in Nachterstedt; Schlagzeilen hatte zu Recht zuletzt die sogenannte Verockerung der Spree durch eisenhydroxidbelastetes Wasser gemacht. Dieses gravierende Problem spielte, als das fünfte Verwaltungsabkommen ausgehandelt wurde, in der Öffentlichkeit noch keine Rolle. Dazu trug bei, dass Behörden und Sanierungsunternehmen wenig bereit waren, Anfragen zu beantworten und substanzielle Informationen über Ursachen und Folgen der Verockerung an die betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu geben. Auch die Landesregierung Brandenburg machte die Verockerung erst viel zu spät zur sogenannten Chefsache. Nun will man dem Problem mit Sanierungsplänen beikommen, für die – so für Schlammausbaggerungen – mehrere Millionen Euro in den Haushalt der zuständigen Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft, LMBV, eingestellt worden sind. Welche Kosten aber langfristig entstehen, ist noch gar nicht abzusehen. Nicht wenige Experten rechnen damit, dass noch auf Jahrzehnte hinaus Eisenhydroxid aus dem Untergrund gewaschen wird. Der Imageschaden, der zum Beispiel dem Tourismus im Spreewald droht, ist dabei finanziell nur schlecht zu veranschlagen. Im Antrag hatte die Linke verlangt, dass der Bund künftig einen größeren Anteil – 75 Prozent – der Sanierungskosten übernimmt, die sich aus der Störung des Wasserhaushaltes ergeben. Diese Forderung ist unter dem Blickwinkel der akuten Gefährdung der Oberflächengewässer weiterhin mehr als berechtigt. Auch der von uns geforderte Rechtsanspruch für Betroffene, deren Häuser wegen des Wiederanstiegs des Grundwassers gefährdet sind, ist noch nicht umgesetzt. Der Bund muss mehr Verantwortung für die Sanierung übernehmen und darf diese nicht auf die Länder abschieben. Feststellen lässt sich jetzt schon, dass die Braunkohlensanierung 2017 keineswegs beendet sein wird. Warum die Verhandlungen zu einem sechsten Abkommen erst 2016 beginnen sollen, ist nicht einzusehen. Es wäre, im Gegenteil, notwendig, schon das fünfte Abkommen zeitnah zu evaluieren. Sie können sicher sein, dass die Linke dies in der nächsten Legislaturperiode einfordern wird. Unzureichend erscheint mir auch die internationale Nutzung der bei der Sanierung gewonnenen Erfahrungen. So gibt es zum Beispiel in der Mongolei ein starkes Interesse an den Sanierungserfahrungen der LMBV. Der „Export“ des entsprechenden Know-how findet aber zu wenig Unterstützung. Die Bundesregierung konzentriert sich ganz im traditionellen Sinne auf „Rohstoffpartnerschaften“ mit Ländern, die über reichhaltige Bodenschätze verfügen. Was nach der Gewinnung geschieht, ist dabei kaum von Interesse. Auch hier könnte die Bundesrepublik zu einem Vorreiter werden. Zu einer wirklichen Energiewende im Sinne einer nachhaltigen Politik gehören bekanntlich nicht nur der Atomausstieg, sondern mittelfristig auch der Ausstieg aus der Verstromung der Braunkohle. Dieser ist, wie sich zeigt, nicht nur eine Frage der Sozial-, Klima- und Energiepolitik, sondern hängt auch eng mit dem Erhalt und Schutz unserer Kultur- und Naturlandschaften zusammen. Der auch zu DDR-Zeiten geförderte Glaube, nach dem Auskohlen der Tagebaue könne man die Landschaft einfach rekultivieren, wurde gerade in den letzten Jahren gründlich widerlegt. Die Braunkohlenförderung schlägt eine Wunde in die Landschaft, die nur schwer heilt. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In dem vorliegenden Antrag fordern die Linken, dass die im Jahre 1993 begonnenen Sanierungsmaßnahmen für ehemalige Braunkohletagebaue in Ostdeutschland mit einer ausreichenden finanziellen Ausstattung auch über das Jahr 2012 hinaus fortgesetzt und als öffentliche Aufgabe wahrgenommen werden sollen. Zu diesem Punkt muss festgehalten werden, dass die Zeit seit der Einbringung des Antrags fortgeschritten ist und durch die Verabschiedung des 5. Verwaltungsabkommens im Oktober 2012 die weitere Finanzierung der Sanierungsmaßnahmen bis 2017 sichergestellt ist. Das ist gut so und wurde von uns auch immer unterstützt. Eine Fortführung dieser Sanierungsmaßnahmen ist nämlich alternativlos: Das Unglück von Nachterstedt am 18. Juli 2009 hat uns auf tragische Weise vor Augen geführt, wie gefährlich die Altlasten ehemaliger Abbaugebiete sind. Man sollte an dieser Stelle festhalten, dass seit Beginn der Sanierungsarbeiten an vielen Stellen sehr gute Arbeit geleistet worden ist. Es sind identitätsstiftende Naherholungsgebiete entstanden, die gerade den strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland zusätzliche Wertschöpfungsketten generieren. Das ist positiv zu bewerten, wenn auch bei der Sanierung und Renaturierung allzu oft nach Schema F vorgegangen wurde. Aspekte der Biodiversität, des Natur- und Artenschutzes haben dabei leider nur in sehr wenigen ehemaligen Tagebaubereichen eine Berücksichtigung gefunden. Dennoch stimmen wir heute gegen den Antrag der Linken, und dies vor allem aus zwei Gründen. Erstens fehlt uns in dem Antrag die Forderung nach einer umfassenden Evaluierung der bisherigen Maßnahmen. Es wurden bereits über 9 Milliarden Euro ausgegeben. Angesichts dieser hohen Summe erscheint es uns dringend geboten, dass eine externe Gutachterkommission die bisherigen Maßnahmen kritisch überprüft. Zweitens fehlt uns in dem Antrag der Linken eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage, welche Lehren aus den auftretenden Folgeschäden des Braunkohlebergbaus zu ziehen sind. Sowohl in Ostdeutschland als auch im Rheinland wird nämlich an vielen Stellen immer deutlicher, dass der Braunkohlebergbau nicht nur während des Abbaus durch Umsiedlungen, Grundwasserabsenkungen, großflächige Naturzerstörungen, Bergschäden, Feinstaubbelastungen und vieles mehr erhebliche Schäden mit sich bringt, die oft nicht oder nur unzureichend kompensiert werden. Es wird auch immer deutlicher, dass der Braunkohlebergbau auch Alt- und Ewigkeitslasten produziert, also Schäden mit erheblichen Reparaturkosten, nachdem der Abbau längst beendet ist. Und es ist keineswegs sicher, dass die Bergbaukonzerne dann noch in der Lage oder willens sein werden, für die Schäden aufzukommen, wo dies ja heute zum Teil schon nicht geschieht. So zeigt zum Beispiel ein von der grünen Regionalratsfraktion in Köln als Folge der Katastrophe in Nachterstedt in Auftrag gegebenes Gutachten, dass die Stabilität der Böschungen an den riesigen im Rheinland geplanten Braunkohlerestseen keineswegs erwiesen ist. Wir müssen uns darüber hinaus sowohl in Ostdeutschland als auch im Rheinland mit dem Problem der Eisenoxidation und Versauerung von Gewässern auseinandersetzen. Dies zeigt sich zurzeit sehr deutlich am Beispiel der Spree: Dort hat der Fluss aufgrund der hohen Eisenbelastung mittlerweile eine rot-braune Färbung angenommen, die auch als „Verockerung“ bezeichnet wird. Für den gerade entstehenden naturnahen Tourismus in der Region ist das ein schwerer Schlag. Weiter wird nach Einstellung der Sümpfungen rund um die Tagebaue das wiederansteigende Grundwasser nicht nur für nasse Keller, sondern auch für das Risiko von Überflutungen und weitere Bergschäden sorgen, sodass am Ende nicht auszuschließen ist, dass wir wie schon beim Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet dauerhaft mit großem Kostenaufwand das Grundwasser abpumpen müssen. Nun ist die Vermeidung von Alt- und Ewigkeitslasten im Falle der ehemaligen DDR-Tagebaue, um die es hier heute primär geht, nicht mehr möglich, aber genau das zeigt ja, dass die Bewältigung der Folgeschäden des Bergbaus häufig an den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern hängen bleiben. Und das müssen wir für die Zukunft vermeiden! Aber dazu finde ich im Antrag der Linken nichts. Aus diesen Erkenntnissen muss man nach unserer Auffassung den Schluss ziehen: Braunkohletagebaue sind ein am Ende nicht technisch beherrschbarer Eingriff in Natur und Landschaft und gehören daher so schnell wie möglich in Deutschland gestoppt! Tausende Menschen verlieren durch den Tagebau ihre Heimat, weil ganze Dörfer weggebaggert werden. Wälder werden abgeholzt, die der natürliche Lebensraum für viele Tierarten sind. Die Belastungen durch (Fein-)Staub, Lärm sowie Bodenhebungen und absenkungen sind nicht nur für Anwohner enorm, sie führen generell zu einem Verlust der Lebensqualität für Mensch, Fauna und Flora. Und wozu wird dies alles letztendlich gemacht? Um den klimaschädlichsten Energieträger – das ist nämlich die Braunkohle – in uralten Kraftwerken zu verbrennen und das Klima damit dauerhaft und massiv zu schädigen. Das ist nichts anderes als blanker Irrsinn, der da an vielen Stellen immer noch betrieben wird. Ich als Rheinländer weiß, wovon ich rede, denn im rheinischen Braunkohlenrevier gibt es mit dem Tagebau in Hambach nicht nur das tiefste menschengemachte offene Loch der Welt, nein, es wird auch nirgendwo auf der Welt auf so engem Raum so viel CO2 emittiert wie im rheinischen Braunkohlenrevier. Wir finden es zu wenig, einfach nur, wie die Linken es tun, Geld für die Reparatur der Hinterlassenschaften der DDR-Energiewirtschaft zu fordern, ohne sich kritisch mit den Folgen der laufenden und in Brandenburg unter linker Regierungsbeteiligung sogar noch geplanten neuen Tagebaue auseinanderzusetzen. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/5964, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/3046 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen. Linke und SPD-Fraktion waren dagegen. Tagesordnungspunkt 30: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Professorenbesoldung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften (Professorenbesoldungsneuregelungsgesetz) – Drucksachen 17/12455, 17/12662 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/13134 – Berichterstattung: Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein) Wolfgang Gunkel Dr. Stefan Ruppert Frank Tempel Dr. Konstantin von Notz Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden sind zu Protokoll genommen. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung regeln wir die Besoldung der Professoren des Bundes neu. Dies ist notwendig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2012 wesentliche Teile der bisher geltenden Besoldung für unwirksam erklärt hatte. Die Neuregelung beinhaltet nun, dass die Grundgehälter der Besoldungsgruppen W 2 und W 3 steigen. Zugleich werden für diese Gruppen Erfahrungsstufen eingeführt. Leistungsbezogene Besoldungsbestandteile – und damit die Grundlagen des Leistungsprinzips – bleiben dennoch erhalten. Dafür haben wir uns in der parlamentarischen Diskussion eingesetzt. Funktionsleistungsbezüge werden nicht angerechnet, ebenso wenig besondere Leistungsbezüge. Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge sollten entsprechend dem Ursprungsentwurf voll auf das neue, erhöhte Grundgehalt angerechnet werden. Mit unserem Änderungsantrag sorgen wir als bürgerlich-liberale Koalition dafür, dass bei diesen Zuschlägen 30 Prozent anrechnungsfrei bleiben. Besondere Leistungen sollen auch weiterhin angemessen honoriert werden. Im Vergleich zu den Länderregelungen erhält sich der Bund damit eine wettbewerbsfähige Position um die besten Köpfe. In diesem Gesetz sind noch einige weitere dienstrechtliche Fragen neu geregelt worden, die sich aufgrund von praktischen Erfordernissen oder aus der Rechtsprechung ergeben haben. So mussten wir die Arbeitszeiten für die Feuerwehrleute der Bundeswehr anheben. Eine Änderung der Arbeitszeitverordnung ist aus rechtlichen Gründen zwingend geboten. Regelmäßige Mehrarbeit ist im mittleren feuerwehrtechnischen Dienst bei der Bundeswehr die Regel und ein Freizeitausgleich normalerweise dienstrechtlich nicht möglich. Die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 41 Stunden hinausgehenden Arbeitsstunden wurden bislang durch Mehrarbeitsvergütung abgeglichen. Der Bundesrechnungshof hat mehrfach diese bisherige Arbeitszeitregelung und die Vergütungspraxis als rechtswidrig beanstandet. Er hat angemahnt, dass Mehrarbeitsvergütung nur in Ausnahmefällen gewährt werden darf. Eine dauerhafte Zahlung von Mehrarbeitsvergütung ist rechtlich nicht zulässig. Der Bundesrechnungshof hat auch die Festlegung der Arbeitszeit im Einsatzdienst der Bundeswehrfeuerwehren als rechtswidrig beanstandet. Die Bundesarbeitszeitverordnung sieht vor, dass bei einem nicht unerheblichen Anteil an Bereitschaftsdienst und Vorliegen von dienstlichen Bedürfnissen die Arbeitszeit auf bis zu 48 Stunden pro Woche angehoben werden kann. Da es sich um eine sogenannte gebundene Ermessensentscheidung handelt, muss der Dienstherr im vorliegenden Fall die Arbeitszeit anheben. Die bisherige Arbeitszeitregelung und die damit verbundene Mehrarbeitsvergütungspraxis ist nicht länger aufrechtzuerhalten. Angesichts des hohen Anteils des Bereitschaftsdienstes ist die Anhebung der Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden nachvollziehbar. Die neue Regelung unterscheidet sich im Übrigen nicht von den Festlegungen der Länder und Kommunen. Dort sind im Feuerwehrdienst ebenfalls 48 Stunden Wochenarbeitszeit die Regel. Um die im Rahmen der sogenannten Opt-out-Regelung freiwillig geleistete, über 48 Wochenstunden hinausgehende Arbeitszeit attraktiv zu halten, hatte der Gesetzentwurf ursprünglich einen neuen Besoldungsbestandteil vorgesehen. Der dadurch erreichte Ausgleich war höher als der auf der Grundlage der zutreffenden Mehrarbeitsberechnung zustehende Anspruch. Er war allerdings etwas niedriger als bei einer Mehrarbeitsberechnung, die sich – wie vom Bundesrechnungshof zu Recht beanstandet – an einer Arbeitszeit von 41 Wochenstunden orientiert. Im Zuge der parlamentarischen Beratungen haben wir auch aufgrund zahlreicher Schreiben von Betroffenen darüber debattiert, wie man die rechtmäßige Neuregelung sozialverträglich umsetzen kann und so dem Anliegen der Betroffenen möglichst weitgehend Rechnung tragen kann. Gemeinsam mit dem Bundesministerium des Innern haben die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP nun eine Lösung gefunden, die den Interessen der Betroffenen erheblich entgegenkommt und zugleich dem Umstand Rechnung trägt, dass die bisherige Praxis rechtlich nicht aufrechtzuerhalten war. Die gefundene Lösung ist im Wesentlichen eine zeitlich bis ins Jahr 2017 gestaffelte, mit Anreizen versehene Übergangsregelung, mit der die finanziellen Nachteile sozialverträglich aufgefangen werden. Ich bin froh, dass wir diese Übergangsregelung in dem nun vorgelegten Änderungsantrag verankern konnten. Damit tragen wir auch unserer sozialen Verantwortung gegenüber den Feuerwehrbeamten der Bundeswehr Rechnung. Betroffen von Änderungen sind auch die Systemoperatoren Wärmebild bei der Bundespolizei. Die Zulagen für diese Berufsgruppe werden neu geordnet. Sie werden künftig nicht mehr die Fliegerstellenzulage erhalten, sondern eine besondere Erschwerniszulage, die im Regierungsentwurf von 60 auf ursprünglich 140 Euro erhöht werden sollte. Wir haben in unserem Änderungsantrag nun vorgesehen, diese Zulage auf 180 Euro zu erhöhen, um die finanziellen Einbußen für die Systemoperatoren zu mildern. Der Grund für diese Änderung ist eine genauere Differenzierung zwischen nichtständigen und ständigen Luftfahrzeugbesatzungsangehörigen sowie fliegendem Personal.  Ich bitte Sie, diesem Gesetz mit den von uns vorgeschlagenen Änderungen zuzustimmen. Damit tragen Sie dazu bei, dass der Bund auch weiterhin ein fairer und leistungsorientierter Arbeitgeber bleibt. Wolfgang Gunkel (SPD): So komplex wie der Name des heute zu diskutierenden Gesetzentwurfs ist, so komplex ist auch dessen Reglungsmaterie. Denn hinter der Professorenbesoldung versteckt sich eine Vielzahl weiterer beamtenrechtlicher Gesetzesvorhaben. In einer Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages haben wir ausführlich die einzelnen Details der Regelung mit den Sachverständigen diskutiert. Ich möchte hier einige dieser Vorhaben aufgreifen und näher beleuchten. Der vorgelegte Gesetzentwurf enthält Änderungen zur Praxis der Dienstpostenbündelung. Diese soll nun nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2011 geändert werden. Dass eine rechtssichere Regelung gefunden werden soll, ist durchaus zu begrüßen. Grundsätzlich steht die SPD einer flexibleren Regelung der Dienstpostenbündelung auch positiv gegenüber. Kritisch finden wir die Regelung bei den Postnachfolgeunternehmen; denn dort soll eine laufbahnübergreifende Bündelung von bis zu fünf Dienstposten möglich sein. Da der Einsatz in den Postnachfolgeunternehmen jedoch nicht status-, sondern aufgabenbezogen erfolgt, besteht somit die Möglichkeit, dass ein Beamter des gehobenen Dienstes im einfachen Dienst eingesetzt wird. Hier hätte sich die SPD-Bundestagsfraktion noch Nachbesserungen gewünscht. Weitere Regelungen betreffen spezielle Berufsgruppen, hier zum einen die Bundeswehrfeuerwehren. Diese müssen nach der heute zu diskutierenden Gesetzvorlage zukünftig 48 statt 41 Stunden arbeiten. Der finanzielle Ausgleich soll durch eine zeitlich begrenzte Zulage erfolgen, die allerdings bis zum Jahr 2017 abschmelzen soll. Die SPD-Bundestagsfraktion ist der Meinung, dass die Mehrarbeit heute genauso wie in fünf Jahren bezahlt werden muss, und hat einen entsprechenden Änderungsantrag im Innenausschuss des Deutschen Bundestages eingereicht. Dieser Antrag wurde jedoch mit den Stimmen der Regierungskoalition abgelehnt. Ein anderer Teil des Gesetzesvorhabens betrifft die Stellenzulage für ständige Luftfahrzeugbesatzungsangehörige. Die Neuregelung schließt an dieser Stelle sogenannte Wärmebildsystemoperatoren bei Hubschrauberbesatzungen der Bundespolizei explizit aus, in dem sie sich nur noch auf die Bundeswehr bezieht. Bisher erkannte die Bundespolizei die Zulage nach der bisher geltenden Fassung nicht an, aber einige Angehörige der Bundespolizei klagten dagegen erfolgreich und erhielten die Zulage. Durch die Stellenzulage sollen die hohen Anforderungen, die besonderen physischen und psychischen Belastungen sowie die erhöhten Gefahren abgegolten werden, denen Soldatinnen und Soldaten und Beamtinnen und Beamte bei der Verrichtung ihres Dienstes ausgesetzt sind. Warum hier eine Unterscheidung zwischen Bundeswehr und Bundespolizei stattfindet, ist nicht nachvollziehbar. Gleiche Arbeit sollte auch gleich entlohnt werden. Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion auch zu dieser Problematik im Innenausschuss einen Änderungsantrag gestellt, in dem gefordert wird, dass diese Differenzierung aufgehoben werden soll und die ursprüngliche Fassung wieder zur Geltung gelangt. Leider konnte sich die SPD-Bundestagsfraktion mit diesem Antrag nicht durchsetzen, da die Koalition aus CDU/CSU und FDP dagegen stimmte. Dennoch begrüße ich es, dass die Regierung an dieser Stelle immerhin so einsichtig war, aus der Anhörung die Anregung mitzunehmen, die Erschwerniszulage, welche den Wärmebildsystemoperatoren gemäß § 22 a Erschwerniszulagenverordnung zusteht, auf 180 Euro zu erhöhen. Hier schien die Höhe der Zulage, die ursprünglich auf 140 Euro festgelegt war, willkürlich. Dr. Stefan Ruppert (FDP): Das Bundesverfassungsgericht hatte 2012 die Besoldung der Professoren in Hessen als verfassungswidrig beurteilt. Reformbedarf ergab sich daraus wegen vergleichbarer Regelungen auch auf Bundesebene. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sorgt die Koalition für eine bessere Vergütung der etwa 850 Professoren an Hochschulen des Bundes und an Forschungseinrichtungen mit Beteiligung des Bundes. Die Reform umfasst eine Anhebung des Grundgehalts für die Besoldungsgruppen W 2 und W 3 und die Einführung von Erfahrungsstufen. Zunächst war im Gesetzentwurf des Weiteren vorgesehen, die sogenannten Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge voll mit der Anhebung des Grundgehalts zu verrechnen. Diese Bezüge dienen als Instrumente, um Professoren für eine Hochschule zu gewinnen oder wechselwillige Professoren zum Bleiben zu bewegen. Sie sind ein Zeichen dafür, dass Professoren aufgrund ihres Könnens für eine Hochschule sehr attraktiv sind oder nicht entbehrt werden können. Für die FDP-Bundestagsfraktion steht fest, dass die Verrechnung dieser Bezüge mit dem Leistungsprinzip im öffentlichen Dienst nicht vereinbar ist. Damit würden aus unserer Sicht Professoren ohne solche Bezüge gegenüber denjenigen bevorzugt, die sie wegen besonders guter Leistungen erhalten haben. Wir haben uns deshalb in den parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfs dafür eingesetzt, dass das Leistungsprinzip nicht geschwächt wird. Im Kompromiss mit unserem Koalitionspartner CDU/CSU haben wir durchgesetzt, dass 30 Prozent der Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge bei der Anhebung des Grundgehalts erhalten bleiben. Ein höherer Prozentsatz war leider nicht kompromissfähig. Neben der Professorenbesoldung regelt der vorliegende Gesetzentwurf noch weitere dienstrechtliche Änderungen. Besonders kontrovers diskutiert wurde im Vorfeld die geplante Neuregelung der Vergütung der Beamten im Einsatzdienst der Bundeswehrfeuerwehren. Notwendig wurde diese Neuregelung, weil der Bundesrechnungshof die bisherige Regelung als unzulässig kritisiert hat. Die Bundeswehr ist noch bis Ende 2017 darauf angewiesen, dass die Feuerwehrbeamten bezüglich ihrer Wochenarbeitszeit eine Opt-uut-Regelung eingehen und freiwillig bis zu 54 Wochenstunden Dienst leisten. Die geplante Neuregelung der künftigen Vergütung der Mehrarbeit hätte nach sich gezogen, dass die Beamten mit einer Wochenarbeitszeit zwischen 41 und 48 Wochenstunden keine zusätzliche Vergütung mehr erhalten hätten. Die Koalition hat sich nun darauf geeinigt, den Übergang von 41 auf 48 Wochenstunden schrittweise zu gestalten. Die neue Vergütung wird in zwei Teilen gewährt werden. Der erste Teil besteht aus einem Sockelbetrag, der allen Feuerwehrbeamten mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 48 Stunden gezahlt wird. Der Sockel ist degressiv ausgestaltet und vermindert sich jährlich etwas, bis er Ende 2017 komplett ausläuft. Opt-out-Beamte erhalten weiterhin eine variable Vergütung der 24-Stunden-Schichten, die von 30 Euro im Jahr 2013 in 4-Euro-Schritten auf 46 Euro im Jahr 2017 progressiv ansteigt. Aus unserer Sicht ist damit eine tragbare und gute Lösung gefunden worden. Der Gesetzentwurf sieht zudem vor, dass für Wärmebild-Systemoperatoren der Bundespolizei ein Anspruch auf Stellenzulage, wie sie Piloten und Flugtechnikern gewährt wird, nicht mehr vorgesehen ist. Diese Unterscheidung wird zum einen aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen an Ausbildung und Qualifikation von Piloten und Flugtechnikern im Vergleich zu Systemoperatoren gemacht. Zum anderen trägt sie dem Umstand Rechnung, dass Piloten und Flugtechniker im Gegensatz zu Systemoperatoren für sämtliche Entscheidungen im Betrieb des Luftfahrzeugs verantwortlich sind und somit fliegerische Verantwortung tragen, die Systemoperatoren nicht tragen müssen. Auch unterscheidet sich der Flugbetrieb bei der Bundespolizei von dem bei der Bundeswehr. Selbstverständlich sind auch die Systemoperatoren der Bundespolizei erhöhten beruflichen Belastungen durch den Flugbetrieb ausgesetzt. Sie nehmen ihre Aufgaben unter den gleichen äußeren Bedingungen wie Lärm und Vibration wahr wie Piloten und Flugtechniker der Bundespolizei, auch wenn die Anforderungsprofile unterschiedlich sind. Im Gesetzentwurf war vorgesehen, die Erschwerniszulage von derzeit 60 Euro auf 140 Euro zu erhöhen. Der Koalition war es ein Anliegen, ein stärkeres Zeichen der Anerkennung für die Belastungssituation des mitfliegenden Personals und insbesondere der Systemoperatoren zu setzen. Deshalb erhöhen wir die Erschwerniszulage nun auf 180 Euro. Neben dem Gesetzentwurf zur Professorenbesoldung setzen wir heute zwei weitere Reformen im Dienstrecht um. Mit der Einführung der Portabilität setzen wir eine langjährige FDP-Forderung für mehr Flexibilität und Wissensaustausch zwischen Wirtschaft und öffentlichem Dienst um. Die Familienpflegezeitregelung stärkt die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sowie die Flexibilität des Ruhestandseintritts. Die FDP blickt auf vier gute Jahre für das Berufsbeamtentum in Deutschland. Mit dem heutigen Tag führen wir diese positive Bilanz fort. Frank Tempel (DIE LINKE): Die Regierungskoalition hat nach der Anhörung im Innenausschuss zu den drei Gesetzentwürfen zum Beamtenrecht, mit einem Änderungsantrag auf die teils heftige Kritik aus den Gewerkschaften und von Betroffenen reagiert. Im Änderungsantrag der Regierungskoalition zur Neuregelung der Professorenbesoldung wird die Kritik zumindest teilweise aufgegriffen. Bei der Anrechenbarkeit verschiedener Bezüge der Professoren, unzureichenden Überstundenvergütungen der Bundesfeuerwehrleute und den Zulagen der Systemoperatoren des mitfliegenden Personals wurden leichte Verbesserungen vorgenommen: Der Änderungsantrag zielt bei den Professoren darauf ab, dass nun auch Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge teilweise angerechnet werden. Bei Leistungsbezügen geringer oder mittlerer Höhe wird damit einer Nivellierung entgegengewirkt. Fälle mit Stufenaufstieg und Fälle mit einer sofortigen Zuordnung zu einer höheren Stufe sollen gleichbehandelt werden. Diese Änderungen sind zu begrüßen. Für die Bundeswehrfeuerwehrbeamten, die freiwillig mehr als 48 Stunden in der Woche Dienst leisten, soll nach dem Gesetzentwurf die erhaltene Mehrarbeitsvergütung kein dauerhafter Bezügebestandteil mehr sein kann. Damit würde auch der Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung für Beamtinnen und Beamte entfallen, die bisher höchstens 48 Stunden in der Woche gearbeitet haben. Der Änderungsantrag sieht nun die Einführung eines degressiv ausgestalteten Festbetrages vor, der den Übergang zu einer 48-Stunden-Woche abfedert. Ebenso wie der dbb beamtenbund und tarifunion bewerten wir den Gesetzentwurf kritisch, weil bei einer freiwilligen Vereinbarung zur Leistung einer Wochenarbeitszeit von 54 Stunden die unterschiedlichen Schichten und die weit auseinanderliegenden Schwellenwerte von mehr als 10 bzw. 24 Stunden Dienst zu erheblichen finanziellen Nachteilen sowohl im Verhältnis zur aktuellen Regelung – Vergütung nach Bundesmehrarbeitsvergütungsverordnung – als auch innerhalb der Neuregelung führen. Die Mehrbelastung durch die erhöhte Arbeitszeit wird nicht ausreichend gewürdigt. Die regelmäßige Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten beträgt grundsätzlich 41 Stunden. Bundeswehrfeuerwehrbeamtinnen und -beamte würden durch die Neuregelung regelmäßig 48 Stunden arbeiten. Die Freiwilligkeit ist hier infrage gestellt, da eine zusätzliche Vergütung nur erlangt werden kann, wenn eine Arbeitszeitvereinbarung geschlossen wird. Andernfalls wird ohne Vergütung die Arbeitszeit erhöht. Dies kann eine Drucksituation erzeugen. Der Gesetzentwurf begründet den Regelungsvorschlag damit, dass im mittleren feuerwehr-technischen Dienst der Bundeswehr seit Jahren ein erheblicher Personalmangel herrsche und nur durch die freiwillige Erhöhung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit, die Aufrechterhaltung eines arbeitszeitkonformen Dienstbetriebes in den Bundeswehrfeuerwehren und damit die Sicherstellung des militärischen Auftrages mit dem vorhandenen Personal zu gewährleisten sei. Es ist nicht akzeptabel, wenn Regelungen zulasten von Beamtinnen und Beamten eingeführt werden, weil die Verantwortlichen der Bundeswehr und letztlich die Bundesregierung nicht in der Lage sind, das Problem an sich – die Behebung des Personalmangels – zu lösen, um einen geordneten Dienstbetrieb zu gewährleisten. Schon aus diesem Grund lehne ich eine solche Regelung ab. Solange aber diese Ausnahmesituation herrscht, darf man die Bereitschaft und das Engagement der Beamtinnen und Beamten der Bundeswehrfeuerwehren nicht durch eine Verschlechterung ihrer Situation bestrafen. Der Änderungsantrag mildert das Problem ab, löst es aber nicht. Auch die Zulagen für Systemoperatoren der Bundespolizei werden neu geregelt. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes können Systemoperatoren für Wärmebildgeräte in Luftfahrzeugen der Bundespolizei unter dem Begriff der sonstigen ständigen Luftfahrzeugbesatzungsangehörigen geführt werden. Soweit die Voraussetzungen dafür vorliegen, können sie nach dem Urteil eine Stellenzulage in der Höhe erhalten, wie sie Flugtechnikern der Bundespolizei gewährt wird. Dies sei jedoch – so der Regierungsentwurf – angesichts des unterschiedlichen Qualifikations- und Anforderungsprofils beider Gruppen nicht sachgerecht. Deshalb ordnet der Regierungsentwurf die Zulagen neu und stellt klar, dass für diese Systemoperatoren kein Anspruch auf eine Stellenzulage besteht. Die mit der Teilnahme am Flugbetrieb bestehenden Belastungen sollten durch eine erhöhte Erschwerniszulage ausgeglichen werden. Der Änderungsantrag hält an der Abschaffung des Anspruchs auf die Stellenzulage fest, erhöht aber den monatlichen Zulagenbetrag von 140 auf 180 Euro. Wenn Angehörigen der Bundeswehr, die als Wärmebildsystemoperatoren tätig sind, auch weiterhin die Zulage gewährt wird, während man diese den Bundespolizisten verweigern will, dann ist das eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung. Die Fliegerzulage stellt für mich eine Risikozulage im Gegensatz zur Erschwerniszulage dar, die allein den besonderen Belastungen bei der Berufsausübung Rechnung trägt. Alle Angehörigen einer Luftfahrzeugbesatzung sitzen gewissermaßen in einem Boot und sind gleichermaßen dem Flugrisiko ausgesetzt. Und wie der tragische Unfall von Hubschraubern der Bundespolizei bei einem Übungseinsatz in Berlin zeigt, sind bei einem Absturz auch alle betroffen. Ich lehne deshalb eine Streichung der Fliegerzulage für Wärmebildsystemoperatoren ab. Zum Abschluss möchte ich aus meiner heutigen Rede zum Altersgeld zitieren. Alle drei am heutigen Tag zur Abstimmung stehenden Gesetze zu Fragen des öffentlichen Dienstrechtes, zum Altersgeld, zur Fami-lienpflegezeit und zur Professorenbesoldung kranken an dem gleichen Problem: Die Gesetzentwürfe ändern das Recht des öffentlichen Dienstes in vielen Details, aber sie folgen keinem durchdachten Konzept, das für eine Reform zur Modernisierung des Dienstrechts – nicht zuletzt angesichts des demografischen Wandels – notwendig wäre. Ihnen fehlt eine Vision, und Ihnen fehlt der Mut, über Ihre selbstgesetzte Grenze der Kosten- und Planstellenneutralität hinwegzuschreiten. Mit Stückwerk kann man sich über die Zeit retten, aber die Probleme holen Sie über kurz oder lang unweigerlich ein. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Zeit der schwarz-gelben Koalition neigt sich ihrem Ende zu. Ihre Bilanz im Bereich des öffentlichen Dienstrechts ist – das kann man ohne Übertreibung sagen – mangelhaft. Das konservativ-liberale Wunschprojekt war entweder nicht willens oder hat es in vier Jahren eben nicht zuwege gebracht, Impulse zu setzen, mit denen die zentralen Strukturfragen des öffentlichen Dienstes aufgegriffen und auf den Weg einer Lösung gebracht werden. Zunächst meinte die Merkel-Koalition, sie könne mit einer klammheimlichen absprachewidrigen Aktion das Weihnachtsgeld kürzen. In der Folge war sie über Monate im Trommelfeuer des Deutschen Beamtenbundes als auch aller anderen Verbände gebunden. Im Übrigen verlegte man sich beim Thema Fachkräftegewinnung auf monetäre Anreize, kümmerte sich bei dieser Gelegenheit um die Versorgung der eigenen politischen Spitzenbeamten und nahm dabei auch gezielt politischen Einfluss auf Gremien wie den Sachverständigenrat für Umweltfragen. In Ermangelung eines erkennbaren konzeptionellen Ansatzes haben wir es also bei den drei jetzt vorgestellten Gesetzesvorhaben mit dem dienstrechtlichen Finale Grande der schwarz-gelben Chaoskoalition zu tun. Und hier wird recht gut sichtbar, wie diese Koalition arbeitet, wie diese Koalition gearbeitet hat. Potemkin lässt grüßen! Fassaden und wenig Substanzielles dahinter. Einige zentrale Schlagwörter der Debatte werden okkupiert. Man gibt jetzt vor, ja man beansprucht, das Altersgeld und die Familienpflegezeit eingeführt zu haben. Zur Aufhübschung der mageren Bilanz beim Zukunftsthema demografischer Wandel versucht man zugleich, diese Themen als demografiepolitische Maßnahmen zu verkaufen. Doch wer nur ansatzweise hinter das Marketing dieser Politik schaut, wird enttäuscht. Wer es mit diesen Instrumenten ernst meint, hätte viel mehr und anderes liefern müssen. Die Familienpflegezeit wird ausschließlich in die Verantwortung der Betroffenen gelegt. Zwar werden Beamtinnen und Beamte zukünftig einen Antrag auf Pflege stellen können, aber dann kommen die Hürden: nur für engste Angehörige, kein Rechtsanspruch, zunächst nur zwei Jahre. Beim Altersgeld ist es ähnlich: Zwar wird eine Mitnahmemöglichkeit erworbener Versorgungsansprüche geschaffen. Peinlich genau aber wird der Vergleich mit echten Versorgungsansprüchen gemieden, alles sui generis. Und entgegen bisheriger Konsense muss man sieben Jahre im öffentlichen Dienst gewesen sein und muss Abschläge von bis zu 30 Prozent hinnehmen. Das ist keine Flexibilisierung des Wechsels in den öffentlichen Dienst oder aus ihm hinaus, das ist ein Wechsel-Abschreckungsprogramm. Die vielen fachlichen Detailfragen, von der GdP verdienstvollerweise höchst akribisch aufgelistet, die sich angesichts des Regierungsentwurfs anschließen, habe ich da noch gar nicht erwähnt. Lassen Sie uns vor diesem Hintergrund den Gesetzesvorschlag zur Professorenbesoldung untersuchen. Deutlich wird, dass der Anlass für dieses umfangreichere Artikelgesetz zu besoldungsrechtlichen Fragen reaktiver Natur ist: Das Bundesverfassungsgericht hatte die bisherige Regelung zur Professorenbesoldung für verfassungswidrig erklärt. Und wieder geht es – lassen Sie es mich einmal etwas salopper ausdrücken – allein um die Kohle: Der vom Karlsruher Gericht monierte Verstoß der W-2- und W-3-Besoldung gegen das Alimentationsprinzip machte Handeln in diesem Bereich unumgänglich. Wieder legt die Bundesregierung eine Minimalantwort vor: Das Grundeinkommen wird wieder angehoben; boshaft wird gesagt, wir sind wieder da, wo wir bei der C-Besoldung waren. Gleichzeitig sollen die Leistungselemente erhalten bleiben, auch wenn diese zur finanziellen Kompensation herangezogen werden. Schließlich sollen mit der Einführung der an die Altersstufen erinnernden Erfahrungsstufen allgemein berufliche Entwicklungen honoriert werden. Ob diese Reform verfassungskonform ist, wird bereits wieder bestritten, gerade unter Verweis auf die Kürzungen bei den Leistungselementen und die Wiedereinführung der Regelstufen. Ob die kurzfristig vorgelegten Änderungen der Koalition an dieser Einschätzung der Hochschulrektorenkonferenz und auch einiger Rechtswissenschaftler etwas ändern, vermag ich in der Kürze nicht zu sagen. Klar erkennbar aber bleibt: Der Wille dieser Koalition reicht maximal bis zum Minimalkompromiss. Dort ist diese Koalition zu Hause; das ist ihr Revier. Die Folgen für die Hochschulen sind Stillstand und ungelöste Fragen. Weiterhin steht der akademische Nachwuchs vor der Alternative Ochsentour jahrelanger Stellvertretung mit der ungewissen Aussicht auf eine eigene Professur oder Hartz IV. Dazwischen gibt es wenig bis nichts. Der Mittelbau leidet, die Grundfinanzierung der Hochschulen bleibt chronisch zu niedrig, auch wenn der aktuell aufgestockte Hochschulpakt anderes suggerieren mag. Bei der Leistungsbesoldung bleibt eine ungelöste Frage, was genau als besondere Leistung oder Funktionsleistung anerkannt werden soll, eine Frage, die wir uns bei der sogenannten Bleibeleistung etablierter ordentlicher Professoren gar nicht erst stellen. Sieht die Realität nicht viel zu oft so aus, dass Hochschulprofessoren unter dem Label der besonderen Leistung allein nach ihrer Bereitschaft und ihrer Fähigkeit zur Einwerbung von Drittmitteln beurteilt werden? Und ist damit dem Erkenntnisbetrieb Hochschule wirklich gedient, oder findet hier eine Vereindimensionalisierung der Hochschullandschaft statt? Wie können also Kriterien gerechterer und auch gemeinwohlorientierter Leistungsbesoldung ermittelt werden? Es ist zutreffend, dass die vom Bundesverfassungsgericht angegriffene Gesetzesregelung zur W-Besoldung unter Rot-Grün geschaffen wurde. Und es stellt sich im Nachhinein als ein Fehler heraus, dass man meinte, man könne durch eine Absenkung der Grundgehälter zusätzliche Haushaltseinsparungen durchführen in der Hoffnung, die dynamischen leistungsbezogenen Elemente könnten dies kompensieren. Die Vorarbeiten für das Instrument der teilweisen Leistungsbesoldung aber reichen weit in die Kohl-Zeit zurück und entsprachen einem weitgehenden Konsens der damals im Bundestag vertretenen Fraktionen. Lassen Sie mich zu den weiteren Vorschlägen des heute vorgelegten Entwurfs, auch im Licht der Anhörung des Innenausschusses, noch einige Punkte nennen: Gleichstellungspolitisch bleibt diese Regierung auf Kollisionskurs mit dem auch für diese Regierung geltenden Grundgesetz; das dokumentiert auch dieser Gesetzentwurf. Leider mangelt es hier auch an der im Geschäftsverkehr zu erwartenden Lernfähigkeit. Denn dies ist bereits der dritte Versuch der Koalition, eine tragfähige Regelung vorzulegen, und sie wird erneut scheitern. Die Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften im Beamtenrecht wurde 2009 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft. Die daraufhin von der Koalition verabschiedete Umsetzung wurde vom Gericht schon 2011 erneut beanstandet, weil Schwarz-Gelb nicht auch rückwirkend die Ungerechtigkeit beseitigen wollte. Beim nunmehr dritten Versuch „vergisst“ die Koalition unter anderem mal eben, die Hinterbliebenenversorgung mitzuregeln. Zudem will sie alle bereits abgeschlossenen Verfahren als erledigt erklären und nur noch offene Klageverfahren regeln. Das ist europarechtswidrig. Es kann nicht sein, dass das Recht nur für diejenigen gelten soll, die juristisch bewandert genug sind, auf Verdacht gegen Entscheide zu klagen. Die auf August 2001 beschränkte rückwirkende Gleichstellung von Lebenspartnerschaften müsste zutreffenderweise rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Begründung der Lebenspartnerschaft erbracht werden. Und zwar nicht nur beim Familienzuschlag, sondern, wie das BVerfG festgestellt hat, auch für die Hinterbliebenenversorgung, Beihilfe sowie sonstige Leistungen. Wir fordern die Koalition deshalb ausdrücklich auf, unserem heute zur Abstimmung vorgelegten Änderungsantrag zuzustimmen und sich die Mühen weiterer Zurückweisungen wegen verfassungswidriger Vorlagen zu ersparen. Auch die Beschränkungen allein auf zeitnah geltend gemachte Leistungen und abschließend entschiedene Ansprüche ist unzulässig. Wir haben deshalb hierzu einen Änderungsantrag vorgelegt und hoffen, dass die Koalition sich noch eines Besseren besinnt. Die Topfwirtschaft wirft immer wieder schwierige Rechtsfragen auf und hat deshalb einige Rechtsprechung ausgelöst. Das Bundesverwaltungsgericht hatte dazu erkannt, dass Funktionen nicht ohne sachlichen Grund gebündelt und damit mehreren Statusämtern einer Laufbahngruppe zugeordnet werden dürfen. Es gibt also beispielsweise eine berechtigte Erwartung der Beamten, nicht völlig unterhalb oder oberhalb ihrer Qualifikation und Ausbildung eingesetzt zu werden. Die vom Gesetzentwurf vorgesehene Festlegung der Bündelung auf bis zu drei verschiedene Ämter können wir mittragen; denn die Realität zum Beispiel kurzfristig notwendiger Neubesetzungen verlangt eine gewisse Flexibilisierung. Die für den Bereich der Postnachfolgeunternehmen zugelassene Bündelung auf bis zu fünf Ämter halten wir jedoch für zu weitgehend. Wir teilen insoweit die Einschätzung von Verdi, dass auch die betriebswirtschaftliche Neuausrichtung von Nachfolgeunternehmen es nicht rechtfertigt, sogar laufbahnübergreifende Bündelungen vorzunehmen. Die Bundeswehrreform hat ein insgesamt verheerendes Echo und große Enttäuschung sowohl bei den Soldaten als auch bei den Zivilangestellten nach sich gezogen. Wie ein Nachtreten dürfte es für die circa 500 Bediensteten der Bundeswehr-Feuerwehr aussehen, dass diese auch nach dem nun vorliegenden Änderungsantrag eine kompensationslose Heraufsetzung der Regelarbeitszeit auf 48 Stunden hinnehmen müssen. Ob diese Regelung überhaupt rechtlich durchträgt, dürfte fraglich sein und wird wohl vor dem Verwaltungsgericht landen. Ähnlich hereingelegt wurden die Wärmebildoperatoren – mitfliegendes Personal auf den Hubschraubern der Bundespolizei –, die erst gerichtlich aufwendig eine Erschwerniszulage in Höhe von circa 300 Euro erstreiten mussten, nur um dann zu erfahren, dass die Koalition sie mit diesem Gesetzentwurf gänzlich aus dem Anwendungsbereich des BBesO herausgekickt hat und sie mit einer Kompensation von maximal 180 Euro abspeisen will. Das ist weder sachgerecht, weil diese mitfliegenden Polizisten denselben Gefahren ausgesetzt sind wie das eigentlich fliegende Personal, noch ist es in dieser Vorgehensweise von hinreichendem Respekt getragen. Zusammenfassend wird auch an diesen Details deutlich, in welchem von wenig sozialem Gerechtigkeitsempfinden getragenen Klein-Klein sich der Bundesinnenminister beim öffentlichen Dienstrecht bewegt. Dieses Klein-Klein entspricht spiegelbildlich der offenkundig fehlenden Bereitschaft zur übergreifenden, strukturelle Fragen aufgreifenden Vorgehensweise beim Dienstrecht. Den Preis dieser Untätigkeit zahlen am Ende die Beamtinnen und Beamten und damit wir alle, weil wir auf die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes ganz wesentlich angewiesen sind. Die Anträge der Bundesregierung müssen wir angesichts dieser Mängel im Ergebnis ablehnen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13134, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 17/12455 und 17/12662 in der Ausschussfassung anzunehmen. Der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen liegt auf Drucksache 17/13145 vor. Darüber stimmen wir zuerst ab. Wer ist für den Änderungsantrag? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch die Oppositionsfraktionen. Die Regierungsfraktionen waren dagegen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten haben sich Linke und SPD. Die Koalitionsfraktionen haben dafür gestimmt. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Sie mögen sich sehr gern erheben, wenn Sie dafür sind. – Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher. Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bienen und andere Insekten vor Neonicotinoiden schützen – Drucksachen 17/12695, 17/13068 – Berichterstattung: Abgeordnete Josef Rief Gustav Herzog Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Harald Ebner Die Reden sind zu Protokoll genommen.18 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13068, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12695 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der SPD, Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken und Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des gesetzlichen Messwesens – Drucksache 17/12727 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) – Drucksache 17/13115 – Berichterstattung: Abgeordnete Doris Barnett Die Reden sind zu Protokoll genommen. Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Ob Tanksäule, Geschwindigkeits-, Wärme-, Gas-, Wasser- oder Elektrizitätsmessungen: Eichpflichtige Messgeräte sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken und beeinflussen unser tägliches Leben allgegenwärtig. Auch für den Endverbraucher abgepackte Waren beispielsweise basieren auf dem Mess- und Eichgesetz als gesetzlicher Grundlage. Sage und schreibe 4 bis 6 Prozent des Bruttonationaleinkommens werden in den Industrienationen durch entsprechende Messungen abgerechnet, in Deutschland immerhin ein Betrag zwischen 104 und 157 Milliarden Euro jährlich. Somit kommt einem verlässlichen, transparenten und nachvollziehbaren Messwesen insbesondere unter wirtschaftlichen Aspekten große Bedeutung zu. Das deutsche Eich- und Messgesetz gestaltet sich infolge nachträglicher Anpassungen an europäische Entwicklungen teils unübersichtlich und kompliziert. Aus diesem Grund ist eine partielle Neugestaltung der rechtlichen Grundlage erforderlich. Einerseits wollen wir mit unserem Gesetzentwurf eine neue durchgängige Systematik für das gesetzliche Messwesen schaffen und gleichzeitig europäische Richtlinien und Rechtsverordnungen in nationales Recht umsetzen. Wir tragen damit einer Rechtsvereinheitlichung im Sinne eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes Rechnung. Darüber hinaus beabsichtigen wir mit unserem Gesetzentwurf, sowohl neuen Marktentwicklungen als auch technologischem Fortschritt durch die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Oberstes Ziel ist die Schaffung eines ausgewogenen Systems, das sinnvolle Vereinfachungen und Liberalisierungen mit effektiven Regelungen der Überwachung kombiniert, angepasst an europäische Entwicklungen und Vorgaben. Wir wollen uns in unserem Gesetzentwurf auf die regelungsbedürftigen Aspekte konzentrieren und auf das erforderliche Maß beschränken. Das Mess- und Eichgesetz erfasst lediglich Messgeräte zur Verwendung im geschäftlichen oder amtlichen Verkehr sowie für Messungen im öffentlichen Interesse. Andere Geräte, die meist privaten Zwecken dienen, unterliegen dem Regelungsgegenstand dieses Gesetzes nicht. Auch berücksichtigen wir, dass es nicht für alle Arten von Messgeräten bzw. alle Verwendungen dieser des gesetzlichen Schutzes bedarf. Daher sollen die schutzbedürftigen Messgerätearten durch eine Rechtsverordnung näher bestimmt werden. Ein zentraler Aspekt unseres Gesetzentwurfs ist die Beseitigung bestehender verwirrender Parallelregelungen auf europäischer und nationaler Ebene. Statt unterschiedlicher Vorschriften für das Inverkehrbringen von Messgeräten soll zukünftig ausschließlich das europäische Modell der Konformitätsbewertung einheitlich für alle Gerätearten Anwendung finden. Eine derartige Vereinheitlichung erfüllt nicht nur den Anspruch der Transparenz und Vereinfachung, sondern entlastet unsere Wirtschaft Schätzungen zufolge finanziell in Höhe von 5,4 Millionen Euro jährlich. Dieses Modell sieht vor, dass Produkte vor einer Zulassung oder Ersteichung nicht mehr seitens einer staatlichen Behörde, sondern durch eine unabhängige Konformitätsbewertungsstelle im Hinblick auf die gesetzlichen Anforderungen geprüft werden. Dies betrifft circa 240 000 Geräte jährlich. Verbindliche Voraussetzung für eine zuverlässige und praktikable Anwendung dieses Modells ist, die Kompetenz besagter Stellen mittels eines europaweiten Akkreditierungsverfahrens sicherzustellen. Die gesetzliche Grundlage dazu stellt ein deutsches Akkreditierungsstellengesetz dar, das auch Sanktionierungen wie den Entzug einer Lizenz, Konformitätsbewertungen vorzunehmen, vorsieht. Somit tragen wir Sorge dafür, dass die Kompetenz und Integrität der Konformitätsbewertungsstellen durch ein umfassendes Sicherungssystem fortlaufend gewährleistet wird. Der Wegfall der Ersteichung führt nicht nur zu Kostenentlastungen bei den zuständigen Behörden, sondern gleichzeitig auch zu einer stärkeren und effizienteren Überwachung. Unser Gesetzentwurf sieht darüber hinaus eine Verbesserung der bestehenden Vorschriften über die Nacheichung vor, um auch hier einerseits zusätzliche Rechtssicherheit und andererseits Kosteneffizienz zu erreichen. Grundsätzlich bleibt die Zuständigkeit der Eichbehörden der Länder und der staatlich anerkannten Prüfstellen in bisherigem Umfang unberührt. Die bestehenden Regelungen der behördlichen Überprüfung von Geräten werden jedoch um wichtige Vorschriften ergänzt, insbesondere im Hinblick auf mehr Rechtssicherheit im Interesse der Betroffenen. Darüber hinaus wird eine verbesserte Zusammenarbeit der Landeseichbehörden zur Kostenoptimierung beitragen. Wie bereits erwähnt, besteht ein zentrales Ziel unseres Gesetzentwurfs darin, die bestehenden Regelungen zügig an technische Veränderungen anzupassen und betroffene Gruppen einzubinden. In Anlehnung an das seit Jahren bewährte System der „harmonisierten Normen“ und „normativen Dokumente“ für europäisch geregelte Messgeräte wollen wir dieses Prinzip auch für national geregelte Messgeräte einführen. Voraussetzung ist demzufolge, dass diese von dem im Gesetz vorgesehenen Regelermittlungsausschuss als geeignet ermittelt und von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt veröffentlicht werden. Diese Einführung des Regelermittlungsausschusses ermöglicht somit nicht nur eine rasche Anpassung an technische Entwicklungen, sondern hat gleichzeitig eine Entbürokratisierung zur Folge, indem nicht sämtliche technische Detailfragen gesetzlich geregelt werden. Letztlich wird dieser sowohl dynamische als auch demokratische Prozess der Detailausgestaltung durch einen Regelermittlungsausschuss, der gesetzlich ausdrücklich den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen geöffnet wird, dazu führen, dass schneller, gezielter und flexibler auf Veränderungen reagiert werden kann. Schließlich werden wir die behördliche Überwachung durch weitergehende Befugnisse stärken. Im Gegenzug sind die zuständigen Behörden gehalten, Konzepte zur angemessenen Überwachung zu erstellen und zu veröffentlichen, wobei nicht nur die Überwachung auf neue Geräte, sondern auch auf die europäischem Recht unterliegende Überwachung ausgeweitet wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir mit diesem fachlich ambitionierten Rechtsrahmen Anreize zur Entwicklung und Bereitstellung hochwertiger Messgeräte in Deutschland setzen, was die starke Position deutscher Hersteller von Messgeräten auf den internationalen Märkten stützt. Darüber hinaus setzen wir europäische Richtlinien in nationales Recht um und tragen damit dem europäischen Binnenmarktpaket der europaweiten Regelung für Produkte Rechnung, wobei die Eichung ein nationaler hoheitlicher Akt in Händen der Länder bleibt. Neben der Entlastung der Wirtschaft um circa 5,4 Millionen Euro ist insbesondere die Berücksichtigung der technologischen Entwicklung im Marktgeschehen zu beachten, ohne dass es zu unangemessen hohen Mehrbelastungen für die Bundeländer kommt. Nach Berechnungen werden die geschätzten einmaligen Investitionskosten der Länder in Höhe von circa 400 000 Euro durch Mehreinnahmen infolge einer erstmals kostenpflichtigen Marktüberwachung weitgehend gedeckt. Somit verabschieden wir heute ein wichtiges Gesetz für unsere deutsche Wirtschaft. Doris Barnett (SPD): Das bisher gültige Eichgesetz stammt aus dem Jahr 1992. Seither haben sich doch etliche Änderungen und Anpassungen an europäische Entwicklungen bzw. Regelungen, New Approach, ergeben, die die Anwendung des Gesetzes erheblich erschwert haben. Aber auch durch weiter gehende Erfahrungen aus der täglichen Eichpraxis sowie durch technischen Fortschritt ist die Novellierung des Eichrechts seit längerem überfällig. Im Zuge der Gesetzesnovellierung werden nachfolgend auch die auf dem Eichrecht basierenden Verordnungen, hier insbesondere die Eichordnung sowie die Eichkostenverordnung, angepasst. Damit soll eine neue durchgängige Systematik für das gesetzliche Messwesen geschaffen werden, nachdem Eichordnung und Eichgesetz durch nachträgliche Anpassungen an europäische Entwicklungen unübersichtlich geworden waren. Als wesentliche Änderungen sind die nunmehr vollständig liberalisierte sogenannte Ersteichung, das Inverkehrbringen und umfangreichere Marktüberwachungstätigkeiten zu nennen. In nachvollziehbarem Umfang wurden auch Informationspflichten erweitert. Bußgelder können künftig in deutlich gesteigerten Größenordnungen erhoben werden. Erstmalig wurde infolge der liberalisierten Ersteichung die Anzeige der erstmaligen Verwendung eines Messgerätes festgeschrieben. Betroffen von dem Gesetzentwurf sind Hersteller, Verwender, Zulassungsstellen und die für die Eichung zuständigen staatlichen Stellen, also sämtliche Akteure, die mit Messgeräten umgehen. Signifikante Be- und Entlastungen werden von dem Gesetzentwurf für die Beteiligten nicht erwartet. Am 16. Januar dieses Jahres hat das Bundeskabinett den Entwurf eines neuen Mess- und Eichgesetzes verabschiedet. Am 1. März hat der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf ausführlich Stellung genommen. Am 12. April haben die Fraktionen der CDU/CSU und FDP einen Änderungsantrag vorgelegt, in dem sie weitgehend den Stellungnahmen des Bundesrates entsprochen haben. Dazu gehören unter anderem auch die sogenannten Ausschankmaße einschließlich der Festlegung einzuhaltender Maßvolumina. Insgesamt ist es ein Ergebnis, mit dem alle dem Grunde nach zufrieden sein können. Dennoch möchte ich auf einige wesentliche Änderungen eingehen. Die nunmehr vollständige Liberalisierung der sogenannten Ersteichung hat offensichtlich auch bei diesem Entwurf zu Irritationen geführt. Dabei sind die wesentlichen Teile der Ersteichung seit langem privatisiert. Basis hierfür ist im Wesentlichen die zum 1. Januar 2007 in nationales Recht umgesetzte europäische Messgeräterichtlinie, MID. Doch wie von den Ländern schon damals vorhergesagt, haben seitdem die noch bestehenden Eichbehörden die Untätigkeit der Privatwirtschaft kompensieren müssen. Die Privatwirtschaft hat nur in geringem Umfang von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Ersteichung vorzunehmen. Es scheint also nur bedingt lukrativ zu sein. Für mich ist damit auch die Mär widerlegt, die Privaten könnten es besser und preiswerter. Doch selbst für den Fall, dass die vollständige Liberalisierung der Ersteichung dazu führen würde, dass die damit verbundenen Aufgabenstellungen tatsächlich von privaten Dritten durchgeführt würden, steht dem ein deutliches Plus an hoheitlichen Überwachungstätigkeiten gegenüber. Die notwendige Anzeige des erstmaligen Inverkehrbringens ist somit ausdrücklich zu begrüßen, weil nur so die Eichbehörden Kenntnis über den Einsatzort neuer Geräte erhalten und ihren Marktüberwachungsaufgaben nachkommen können. Die Eichung von Messgeräten, zum Beispiel für die Ermittlung des Verbrauchs von Elektrizität, Gas, Wasser oder Wärme, bleibt als hoheitlicher Akt in dem als „Nacheichung“ bezeichneten Bereich erhalten. Mit der Beibehaltung der staatlichen Eichung bleibt ein wichtiger Beitrag zur Aufrechterhaltung des bislang hohen Schutzniveaus im gesetzlichen Messwesen erhalten. Die Erhöhung des Bußgeldrahmens ist ebenfalls sinnvoll, da die Hemmschwelle für nicht rechtskonforme Handlungen, hier insbesondere bei den Verwendern, im geltenden Recht sehr niedrig lag. Wenngleich der im Entwurf angestrebte Termin für das Inkrafttreten des Gesetzes – vorgesehen war der 31. Dezember 2013 – auf Ende 2014 geändert wurde, ist man den Forderungen der Industrie, aufgrund umfangreicher Umstellungen gegenüber den bisherigen Eich- und Zulassungsverfahren eine Frist bis Ende 2016 zu gewähren, nicht nachgekommen. Es wäre vernünftig gewesen, eine längere Umstellungsfrist zu gewähren, weil die Industrie zu Recht auf entstehende Engpässe und damit verbunden auf Produktionsprobleme hingewiesen hat. Vorbehalte gibt es auch vonseiten der IT-Branche als Anbieter von Informations- und Kommunikationstechnik und als Partner der Energiewirtschaft in den Bereichen von Smart Meter Gateway und Messeinrichtungen der neuen intelligenten Messsysteme. Bezogen auf diese Bereiche ist die Abgrenzung zwischen Hersteller und Einführer bzw. deren Pflichten nicht zweifelsfrei möglich. Die IT-Branche hält eine Klarstellung für unbedingt geboten. Gerade in diesem für die Energiewende so wichtigen Bereich ist man ohne Not im Mess- und Eichgesetz eine Klarstellung schuldig geblieben. Es wäre aus unserer Sicht geboten gewesen, das Gesetz hier zu ergänzen. Deshalb können wir dem Gesetz auch nicht zustimmen, sondern werden uns enthalten. Birgit Homburger (FDP): Die heute zur Abstimmung stehende Neuregelung des gesetzlichen Messwesens ist richtig und notwendig. Denn durch zahlreiche Anpassungen an die europäische Entwicklung sind vor allem das Eichgesetz und die Eichordnung nur noch schwer überschaubar geworden. Dem soll der vorliegende Gesetzentwurf Abhilfe schaffen. Das in Art. 1 enthaltene Mess- und Eichgesetz dient genau diesem Ziel und soll das derzeit geltende Eichgesetz ersetzen. Es stellt zudem sicher, dass das hohe Schutzniveau des Messwesens in Deutschland erhalten bleibt. Gleichzeitig dient der Entwurf der Rechtsvereinheitlichung. Das begrüßt die FDP-Fraktion. Positiv ist ebenfalls, dass Unterschiede bei den Regelungsansätzen im deutschen und europäischen Recht mit der Umsetzung des Gesetzentwurfs vereinheitlicht und mit dem europäischen Recht in Einklang gebracht werden. Eine Neuregelung des gesetzlichen Messwesens ist außerdem deshalb geboten, weil das geltende Recht den aktuellen Marktentwicklungen und dem technischen Fortschritt nur unvollständig Rechnung trägt. Vor allem neue Messmethoden und die ständig zunehmende Vernetzung von Messgeräten machen dies notwendig. Der Gesetzentwurf hat darauf geachtet, dass die deutsche Wirtschaft nicht zusätzlich belastet wird. Im Gegenteil: Durch die Neuregelung wird sie jährlich um rund 5,4 Millionen Euro entlastet. Daran ändern auch die neuen Informationspflichten, die auf europäisches Recht zurückgehen, nichts. Die Erfüllungskosten für die Verwaltung des Bundes sind verglichen mit den zu erwartenden Effizienzvorteilen gering. Auch der Mehraufwand für die Länder ist niedrig. Es ist damit zu rechnen, dass die erstmals kostenpflichtige Marktüberwachung bei nichtkonformen Messgeräten hier zudem für eine Kompensation der Kosten sorgt. Bedenken der Länder gegenüber ursprünglich vorgesehenen Einzelregelungen im Gesetzentwurf wird in der nun vorliegenden Fassung in erheblichem Umfang Rechnung getragen; Absprachen zwischen Bund und Ländern zu untergesetzlich regelbaren Tatbeständen, insbesondere bei Ausschankmaßen und bei Gebühren, sind in Bearbeitung. Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt dem vorliegenden Gesetzentwurf zu. Michael Schlecht (DIE LINKE): Meine Fraktion lehnt den vorliegenden Entwurf des Gesetzes zur Neuregelung des gesetzlichen Messwesens ab. Bereits seit etwa 1990 wendet die Europäische Union für das Inverkehrbringen von Produkten ein New Approach an. Richtlinien nach dem Neuen Konzept haben einen Systemwechsel im gesetzlichen Messwesen zur Folge. Dieser Systemwechsel ist dadurch charakterisiert, dass das erstmalige Inverkehrbringen von Messgeräten durch den Hersteller selbst über eine privatwirtschaftlich organisierte Konformitätsbewertung, also die Feststellung der Übereinstimmung mit den Richtlinien unter Mitwirkung „Benannter Stellen“ erfolgt. Die bisherige staatliche Zulassung eines Messgerätes und seine erstmalige Prüfung entfallen. Der Staat beschränkt sich auf die Überwachung der Benannten Stellen und auf die Marktüberwachung, die in der Überwachung der Konformität der in Verkehr gebrachten Produkte mit den Richtlinien besteht. Dieser Ansatz wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf fast vollständig umgesetzt. Der neue Ansatz bringt erhebliche Gefahren für den Verbraucherschutz mit sich, insbesondere weil hier die Prüfung der Geräte Stellen überlassen wird, welche sich für diese Dienstleistung seitens der Auftraggeber bezahlen lassen. Interessenkonflikte können hier nicht ausgeschlossen werden. Durch die Ausweitung des Neuen Konzepts auf nationale Regelungsbereiche wird auch hier das hohe deutsche Verbraucherschutzniveau nicht aufrechterhalten werden können. Das klassische deutsche Eichwesen mit seinem präventiven Ansatz, also staatliche Bauartzulassung, Ersteichung, Nacheichung und Nachschau, wird fast vollständig ersetzt. Bei Messdaten handelt es sich um Vertrauensgüter, die die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht nachprüfen können. Insbesondere die Vermutung der Richtigkeit bei Einhaltung der Vorschriften führt dazu, dass Verbraucherinnen und Verbraucher Täuschungen schwer nachweisen können. Das betrifft jeden Haushalt in Deutschland bei Strom, Gas und Wasserzählern. Beim Mess- und Eichwesen handelt es sich für uns ganz klar um ein grundlegendes Element der Daseinsvorsorge. Die teilweise Privatisierung des Mess- und Eichwesens lehnen wir deshalb ab. Wir zweifeln an einer effektiven Marktkontrolle, insbesondere aufgrund der Erfahrungen aus dem Pferdefleischskandal und sonstigen Lebensmittelskandalen. Bereits im Mess- und Eichwesen gesammelte Erfahrungen zeigen, dass sich die Sparzwänge vieler Länder und der damit verbundene Personalabbau bei den Landeseichbehörden zu negativ auf die ordnungsgemäße Überwachung der Verwendung von Messgeräten ausgewirkt haben. Den Ländern gehen durch die Zulassungsgebühren Einnahmen verloren. Gleichzeitig müssen sie die kostenlose Marktüberwachung gewährleisten und Fachpersonal „vorrätig“ halten und schulen. Problematisch ist die Marktüberwachung insbesondere vor dem Hintergrund des Imports zahlreicher Messgeräte aus Drittstaaten. Die CE-Kennzeichnung, welche trotzdem ausgegeben wird, gaukelt Sicherheit und Vertrauen vor, welches nicht durch eine unabhängige Stelle geprüft wurde. Durch das Neue Konzept werden die Zuständigkeit und Handlungsmacht des Staates auf ein Mindestmaß beschränkt. Dem Hersteller hingegen wird ein großer Handlungsspielraum eröffnet. Gerade die nur stichprobenhafte Kontrolle eröffnet der Täuschung und dem Betrug Tor und Türen. Schwierig zu kontrollieren sind die Geräte auch, da sie keiner Meldepflicht unterliegen. Auf einen speziellen Punkt möchte ich noch eingehen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird auch die Füllmenge von Verpackungen, zum Beispiel eines Joghurtbechers, geregelt. Wir sprechen uns gegen das Mittelwertprinzip aus und präferieren das Mindestmengenprinzip. Danach müssten in jedem 200-Gramm-Becher Joghurt mindestens 200 Gramm sein, in keinem einzigen weniger. Das Abfüllen von Lebensmitteln ist heute in der Regel ein vollautomatischer Prozess. Verbraucherinnen und Verbraucher können durch das Mittelwertprinzip überhaupt nicht kontrollieren, ob sie getäuscht wurden. Wir erkennen an, dass es sich bei dem vorliegenden Gesetz um die Umsetzung bzw. Anpassung an entsprechende EU-Verordnungen handelt und die von uns kritisierten Sachverhalte in den zugrunde liegenden EU-Verordnungen zu verorten sind. Trotzdem können wir dem vorliegenden Gesetz nicht zustimmen. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Selten gab es im Bundestag, aber auch im Bundesrat, so viel Einigkeit wie zum Gesetzentwurf zum Messwesen. So begrüßt auch meine Fraktion die Novellierung des Mess- und Eichgesetzes ausdrücklich. Ziel des Gesetzes ist es, die Zuverlässigkeit von Messungen auch in Zukunft auf einem hohen Niveau zu gewährleisten. Insbesondere neue Technologien sind auf verlässliche und neue Messverfahren angewiesen. Die Weiterentwicklung und Verbesserung neuer Messverfahren sichert nicht nur die Grundlage für neue Technologien, sondern dient auch dem fairen Handel und der Sicherheit und Umweltverträglichkeit. Mit dem Gesetz wird aber auch versucht, die Regelungen flexibler auszugestalten, um Kosten für die Wirtschaft zu reduzieren und die Verfahren wirtschaftlicher zu gestalten. Wir gehen davon aus, dass durch den Wegfall der staatlichen Ersteichung insgesamt mit einer Kostenentlastung für die Wirtschaft zu rechnen ist. Durch die Privatisierung der Ersteichung und die damit verbundene Intensivierung der Marktüberwachung wird allerdings von einem personellen Mehraufwand in den Ländern gerechnet; das heißt, die Bürokratiekosten werden durch die neuen Informationspflichten erhöht. Insbesondere neue Messverfahren bezüglich der Nanotechnologie erfordern beispielsweise völlig neue Mess- und Bewertungsverfahren, etwa um die Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit neuer Nanoprodukte zu gewährleisten. Ich komme zum Schluss: Der Entwurf des neuen Mess- und Eichgesetzes des Bundeswirtschaftsministeriums wird von unserer Fraktion begrüßt. Das bestehende Eichgesetz und die Eichordnung sind durch notwendige nachträgliche Anpassungen an europäische Entwicklungen sehr unübersichtlich geworden. Durch den Erhalt der staatlichen Nacheichung wurde der größte Kritikpunkt der Länder und Verbraucherschützer aus dem Weg geräumt. Es besteht nun ein weitestgehender Konsens zwischen Bund und Ländern. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13115, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12727 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Die Enthaltungen? – Dafür haben gestimmt die Koalitionsfraktionen und Bündnis 90/Die Grünen, dagegen die Fraktion Die Linke. Die SPD-Fraktion hat sich enthalten. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wir stehen auf, wenn wir dafür sind. – Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Thomas Nord, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Einführung von Volksabstimmungen bei Neufassung oder Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union – Drucksache 17/11371 – Die Reden sind ebenfalls zu Protokoll genommen. Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Nachdem die Fraktion Die Linke mit ihrem Gesetzentwurf die Idee von Volksabstimmungen bei Neufassung oder Änderungen des europäischen Primärrechts aufgewärmt hat, befassen wir uns heute mit der Frage, ob mehr plebiszitär-partizipatorische Elemente tatsächlich das Allheilmittel für mehr Demokratie auf europäischer Ebene sind. Eng damit verbunden ist die Frage nach den Folgen der geplanten Grundgesetzänderung für das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Die Fraktion Die Linke möchte das Grundgesetz ändern, um künftig über, ich zitiere aus dem Gesetzentwurf, „alle Neufassungen und Änderungen der vertraglichen Grundlagen und gleichgearteten völkerrechtlichen Regelungen“ der EU abstimmen zu lassen. Dabei verkennen Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, dass nicht zuletzt aufgrund der seit 2008 grassierenden Finanz- und Wirtschaftskrise globalisierte Probleme häufig zu komplex geworden sind, um sie auf ein einfaches „Ja“ oder „Nein“ zu reduzieren. Sie erklären weiter, dass nur über Volksabstimmungen die EU hinreichend demokratisch legitimiert werden könne. Doch wer so argumentiert, der muss sich fragen lassen, ob Volksabstimmungen, bei denen gemäß Gesetzentwurf lediglich ein Viertel der zum Europäischen Parlament Wahlberechtigten teilnehmen muss, bei denen demnach drei Viertel der Wahlberechtigten der Urne fernbleiben können, die EU hinreichend demokratisch legitimieren. Ein Blick in unser Nachbarland Schweiz lehrt, dass ausschließlich die in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten Themen hohe Beteiligungsraten erreichen. Ich bin der Meinung, dass eine nachvollziehbare Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene, eine an den Problemen der Menschen ausgerichtete europäische Politik und nicht zuletzt starke nationalstaatliche Parlamente die Legitimation der EU fördern. Gerade Letzterem aber widerspricht der vorliegende Gesetzentwurf, da der Volksentscheid eine rechtlich verbindliche Wirkung für den Deutschen Bundestag und den Bundesrat haben soll. Mit Ihrem Gesetzentwurf schüren Sie das Misstrauen gegenüber dem parlamentarischen Repräsentativsystem. Auch sehe ich die mit der Einführung plebiszitärer Elemente einhergehende Zuspitzung europäischer Politik kritisch. Vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen der Weimarer Republik, die starke plebiszitäre Elemente kannte, haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes plebiszitäre Elemente weggelassen und das Instrument der Volksabstimmung nur eng begrenzt bei Entscheidungen zur Neugliederung des Bundesgebietes nach Art. 29 GG sowie bei Inkrafttreten einer neuen Verfassung nach Art. 146 GG vorgesehen. Der eingebrachte Gesetzentwurf ähnelt doch sehr dem Ende 2007 von der Fraktion Die Linke vorgelegten Gesetzentwurf auf Drucksache 16/7375, mit dem Sie damals eine Möglichkeit gesucht haben, die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon zu verhindern. Aus diesen Gründen lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ihren Gesetzentwurf ab. Nicht zuletzt die starke Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland garantiert eine fortlaufende Prüfung, ob der unantastbare Kerngehalt der Verfassungsidentität des Grundgesetzes nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG gewahrt ist. Michael Roth (Heringen) (SPD): Schon bei früheren Debatten anlässlich der Ratifizierung des Verfassungsvertrags und des Vertrags von Lissabon haben wir hier im Bundestag darüber gestritten, wie wir in Deutschland und Europa mehr Demokratie wagen können. Die Forderung, die plebiszitären Elemente in unserem Grundgesetz auszuweiten und die Bürgerinnen und Bürger bei wichtigen europapolitischen Weichenstellungen direkt entscheiden zu lassen, ist somit keineswegs neu. Die SPD befürwortet eine stärkere Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger bei wichtigen politischen Entscheidungen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werben bereits seit vielen Jahren dafür, die repräsentative Demokratie in Deutschland durch neue Formen der direkten Demokratie zu ergänzen. Damit haben wir in vielen Bundesländern und auf kommunaler Ebene gute Erfahrungen gemacht. Am vergangenen Wochenende haben wir die Forderung nach der Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene in unserem Regierungsprogramm für die Bundestagswahl am 22. September 2013 bekräftigt. Die Fraktion Die Linke spricht sich in ihrem Gesetzentwurf für eine Grundgesetzänderung aus, die künftig bei jeder Neufassung bzw. Änderung der europäischen Gemeinschaftsverträge eine Volksabstimmung vorschreiben würde. Bislang sieht das Grundgesetz für die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge ein parlamentarisches Verfahren vor. Dieses Ratifizierungsverfahren in Bundestag und Bundesrat – wie zuletzt praktiziert beim Vertrag von Lissabon, dem ESM-Vertrag oder dem Fiskalpakt – gehört seit Jahrzehnten zu unserer Staatspraxis und Verfassungswirklichkeit. Über das Für und Wider von direktdemokratischen Elementen im Grundgesetz lässt sich trefflich streiten. Schließlich sollten auch wir als Abgeordnete uns nicht den Schneid abkaufen lassen. Das Votum der Bürgerinnern und Bürger in einer Volksabstimmung garantiert nicht zwangsläufig ein besseres Ergebnis oder eine höhere demokratische Legitimation als die Entscheidung von gewählten Volksvertretern. Vielmehr müssen wir zweigleisig fahren, wenn wir mehr Demokratie wagen wollen: Neben der Stärkung der repräsentativen Demokratie – und damit unseres Bundestages – gilt es auch, den Mut zu mehr direkter Demokratie aufzubringen. Fakt ist: Bislang sieht unser Grundgesetz bundesweite Referenden mit Ausnahme von Länderneugliederungen (Art. 29 GG) und dem Inkrafttreten einer neuen Verfassung (Art. 146 GG) nicht vor. Der Weg zu mehr direkter Demokratie in Deutschland kann daher nur über eine Änderung des Grundgesetzes führen. Doch die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit ist auf absehbare Zeit weder im Bundestag noch im Bundesrat in Sicht. Ich bedauere sehr, dass die schwarz-gelbe Koalition, maßgeblich die CDU, hier weiterhin ihrem Blockadekurs treu bleibt. Trotz unserer Unterstützung für die Einführung von Volksabstimmungen auf Bundesebene lehnt meine Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke ab. Aus unserer Sicht gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, warum die Öffnung des Grundgesetzes für Referenden ausschließlich auf europapolitische Fragen beschränkt bleiben soll. Vielmehr sollten Volksabstimmungen auch bei wichtigen innenpolitischen Sachfragen möglich sein. Da liegt vielmehr ein ganz anderer Verdacht nahe: Wenn die Verfasser dieses Gesetzentwurfes ehrlich wären, müssten sie zugeben, dass es ihnen nicht in erster Linie um mehr Bürgerbeteiligung geht. Hinter Ihrer fadenscheinigen Initiative steht letztlich der Versuch, künftigen Integrationsschritten – sei es die Übertragung von Souveränitätsrechten auf die EU oder die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten – von vorneherein einen Riegel vorzuschieben. In Wahrheit wollen Sie doch gar nicht mehr Demokratie! Sie wollen weniger Europa! Hierfür kämpfen Sie seit Jahren mit zum Teil bedenklichen Mitteln und inakzeptablen Argumenten. Es ist aus meiner Sicht unverantwortlich, die Öffentlichkeit zunächst mit Falschaussagen und Verschwörungstheorien zu verunsichern, wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, es fortwährend tun, und die Bürgerinnen und Bürger dann in diesem Klima über europapolitische Fragen abstimmen lassen zu wollen. Wer so vorgeht, der erweist dem Ziel eines demokratischen, bürgernahen Europas einen Bärendienst. Dennoch bin ich zuversichtlich: Überzeugte Europäer müssen die Stimme des Volkes nicht fürchten. Im Gegenteil! Volksabstimmungen bedeuten zwar keinen Automatismus für mehr Europa. Doch sie würden die Politik dazu zwingen, den Menschen das europäische Projekt endlich noch besser zu erklären. Ein Referendum wäre eine ausgezeichnete Gelegenheit, umfassend für das europäische Projekt zu werben und eine breite gesellschaftliche Debatte über Europa anzustoßen. Am Ende werden wir die Bevölkerung in Deutschland davon überzeugen können, dass wir ein gemeinsames Europa brauchen. Oliver Luksic (FDP): Der Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke sieht vor, das Grundgesetz zu ändern, um Volksabstimmungen bei Neufassungen oder Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union einzuführen. Damit soll das Volk auf anderem Wege beteiligt und die EU hinreichender demokratisch legitimiert werden. Das mag in der Theorie gut klingen, aber in der Praxis gibt es da noch einige Details zu berücksichtigen, die im Antrag außer Acht gelassen werden. Volksabstimmungen sind gut und tragen zu mehr Demokratie bei. Aber über jede geringfügige Änderung in den vertraglichen Grundlagen der EU das Volk abstimmen zu lassen, ist weder ökonomisch sinnvoll noch der Sache an sich dienlich. Das Volk sollte befragt werden, wenn Entscheidungen die Natur der EU grundlegend verändern. Das sind Fragen, bei denen das Volk unmittelbar beteiligt werden muss. Aber für Detailfragen und geringfügige Anpassungen haben wir ein starkes demokratisch gewähltes Parlament, und dem sollten wir auch zutrauen, diese Entscheidungen treffen zu können. Grundsätzlich sollen und müssen die Bürger in den politischen Entscheidungsprozess mit einbezogen werden. Wir müssen sie gerade, was Europa angeht, auch mitnehmen. Denn die aktuelle Krise ist nicht nur finanzpolitischer Natur, sie ist auch eine Vertrauenskrise. Mehr direkte Beteiligung der Bürger ist daher wichtig. Volksentscheide können hierbei sinnvolle Instrumente sein, die zudem die gesellschaftliche und mediale Diskussion anregen. Bei bestimmten Vorhaben kann ein Volksentscheid zudem eine wichtige Legitimation und Grundlage für eine spätere Umsetzung sein. In der Schweiz sehen wir immer wieder, wie Plebiszite funktionieren können. Dies ist für die FDP vorbildlich. Da gerade die Legitimation der Europäischen Union immer wieder in die Kritik gerät, muss man hier besonders genau hinschauen. Bei genauer Betrachtung sieht man dann auch, dass die demokratische Legitimation und die Partizipation von Bürgern durch den Vertrag von Lissabon 2009 entscheidend verbessert wurden. Durch die Stärkung der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments wurden hier wichtige Schritte gemacht. Insbesondere Deutschland verfügt über hohe Parlamentsbeteiligungsrechte, die der Bundestag immer wieder verteidigt und die auch durch das Bundesverfassungsgericht wiederholt gestärkt wurden. Zudem bedeutet die Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments, das direkt vom Volk gewählt wird und somit auch über eine entsprechende Legitimation verfügt, eine weitere deutliche demokratische Stärkung. Ein wichtiges neues Instrument ist die Europäische Bürgerinitiative. Schon ein Zusammenschluss von einer Million Bürgern kann hier die Kommission auffordern, neue politische Vorschläge einzubringen. Mit Fraternité 2020 konnte 2012 so auch bereits die erste Europäische Bürgerinitiative verkündet werden, die sich für Verbesserungen zum Beispiel beim Erasmus-Programm einsetzt. Ich halte all diese Verbesserungen, die durch den Lissabon-Vertrag eingeführt wurden, für deutliche Fortschritte auf dem Weg hin zu mehr Bürgerbeteiligung und mehr Demokratie in Europa. Langfristig sollte sich die EU hin zu einem europäischen Bundesstaat entwickeln. Dann sollten Volksabstimmungen zu grundlegenden Vertragsänderungen auch gar nicht auf Deutschland begrenzt sein, sondern vielmehr auf europäischer Ebene stattfinden. Denn schließlich betreffen diese Fragen nicht ein Volk alleine, sondern alle europäischen Bürger in ihrer Gesamtheit. Solange wir dort noch nicht angekommen sind, halte ich die Idee von Volksentscheiden für Fragen, die die Natur der EU grundlegend verändern, für durchaus diskussionswürdig. Aber das Grundgesetz zu ändern, um jegliche Änderungen oder Neufassung der vertraglichen Grundlagen der EU zur Volksabstimmung zu stellen, wäre meiner Meinung nach der falsche Weg. Hier muss im Detail ausgearbeitet werden, wann eine Volksbefragung sinnvoll ist. Ansonsten läuft man Gefahr, dass Abstimmungen benutzt werden, um über völlig andere, teils auch innenpolitische, Themen zu entscheiden und eben nicht über die gestellte Frage. Das wäre dann eher schädlich als sinnvoll. Wir haben es ja gesehen in Frankreich oder in den Niederlanden. In Frankreich beispielsweise wurde nicht nur über den Verfassungsvertrag abgestimmt, dort ging es um die Ängste über die Vorschläge für die EU-weite Liberalisierung der Dienstleistungen und über innenpolitische Fragen, auch wenn diese Vorschläge mit dem Verfassungsvertrag gar nichts zu tun hatten. Hier ist es oft schwer, Grenzen zu ziehen. Themen werden vermischt, und oft geht es auch darum, dass die Bevölkerung einfach ihrem Unmut gegenüber der aktuellen Regierung Ausdruck verleihen will. Das kann und sollte nicht Sinn von Volksabstimmungen sein. Ein weiterer Punkt ist, dass es gerade im Bereich der Vertragsänderungen häufig Themen gibt, die sich nicht einfach mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten lassen. Hier geht es oft um differenzierte Abwägungen und komplexe Sachverhalte. Es kann daher nicht so einfach, wie von der Linken beschrieben, zwingend eine Volksabstimmung im Grundgesetz verankert werden, sondern es müssten Möglichkeiten geschaffen werden, bei grundsätzlichen, die Natur der Europäischen Union verändernden Entscheidungen die Bürger abstimmen zu lassen. Dazu müsste im Detail geklärt werden, wann ein solcher Fall eintritt. Plebiszite sind in vielen Bereichen sinnvoll, und ich bin jederzeit gerne bereit, über die Möglichkeiten diesbezüglich zu diskutieren. Aber es kann nicht bei jeder Änderung zu Volksabstimmungen kommen. Der Gesetzentwurf der Linken ist hier eindeutig zu kurz gedacht für so ein komplexes Thema. Daher können wir ihm auch nicht zustimmen. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Die Bekenntnisse zu mehr direkter Demokratie durch die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene sind durchaus zahlreich, und entsprechend befürwortende Kommentare waren von Vertretern aller Fraktionen zu vernehmen. Allein – geschehen ist bisher nichts. Dabei hat meine Fraktion sowohl in der vergangenen, als auch in dieser Legislaturperiode mehrfach den Vorstoß gewagt und entsprechende Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht, die jedoch ausnahmslos von den anderen Fraktionen abgelehnt wurden. Das lässt den unschönen Eindruck aufkommen, dass die Bekenntnisse der Kolleginnen und Kollegen entweder Äußerungen privater Natur oder schlicht Lippenbekenntnisse sind. Dabei legt das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 nahe, dass das Volk seine Staatsgewalt nicht nur durch Wahlen und besondere Organe der Gesetzgebung ausübt, sondern auch durch Abstimmungen. Volksabstimmungen über Europaangelegenheiten erscheinen besonders naheliegend, weil hier hoheitliche Befugnisse vom Nationalstaat auf einen regionalen Staatenverbund übertragen werden. Ich möchte aber gar nicht weiter auf formaljuristische Aspekte in dieser Frage eingehen. Heute nun haben wir erneut einen Gesetzentwurf zur Einführung von Volksabstimmungen eingebracht, der fordert, dass bei Neufassung oder Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union die Bürgerinnen und Bürger über solch tiefgreifende Entscheidungen abstimmen können müssen. Dann wären Entscheidungen, die im Zuge der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise als gefühlte Nacht-und-Nebel-Aktionen der Staats- und Regierungschefs aus Brüssel über die Bürgerinnen und Bürger gekommen sind, direktdemokratisch legitimiert. Neben der Legalität dieser Verfassungsänderung bewirkte die Aufnahme von Volksentscheiden in das Grundgesetz etwas viel Weitreichenderes, wie mir scheint. Wir erleben seit Jahren einen schleichenden Prozess des Vertrauensverlusts der Bevölkerung in die politische Klasse. Das bedeutet – ich erinnere an die sinkende Wahlbeteiligung – Verlust von Legitimation, ja weckt sogar Zweifel an der Praxistauglichkeit repräsentativ-demokratisch verfasster Gemeinwesen. Indem die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit eingeräumt bekämen, über solche Fragen, die zutiefst in ihre Lebenswelt eingreifen, abstimmen zu können, würde die EU zuallererst von einem Eliten- zu einem Bürgerinnen- und Bürgerprojekt, was sie heute bestenfalls vermittelt ist. Darüber hinaus erhöhte dies Kenntnis und Akzeptanz über die EU, denn wir – die Politik – wären verpflichtet, mehr und besser zu erklären, welche Maßnahmen wir aus welchen Gründen für geboten halten. Des Weiteren würde das strukturelle Demokratiedefizit der EU ein Stück weit abgemildert. Aber vor allem wirkte dies Entfremdungs- und Entkernungstendenzen unseres demokratisch verfassten Gemeinwesens entgegen. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir Bündnisgrüne sind eine Partei, die sich seit ihrer Gründung konsequent für die Stärkung und die Erweiterung der direkten Demokratie in Deutschland einsetzt. Zuletzt haben wir zu Zeiten der rot-grünen Regierungsmehrheit im Bundestag einen Antrag auf Änderung des Grundgesetzes eingebracht, der Volksentscheide in Deutschland ermöglichen wollte. Dieser scheiterte an der Verweigerung der CDU/CSU und FDP, die Zweidrittelmehrheit zu ermöglichen. Gleichzeitig sind wir Grüne auch die entschiedenste proeuropäische Partei im Bundestag. Wir sind stolz darauf, dass unser Grundgesetz die Verankerung Deutschlands in die immer tiefere Integration Europas substanziell festschreibt und wollen die Europäische Union auf beiden Achsen der Dualität der demokratischen Legitimation ihrer Entscheidungen stärken. Eine der größten und wichtigsten Errungenschaften, die kein Proeuropäer infrage stellen wird, ist der grundsätzliche – nur durch die Entscheidungsgeschichte des Bundesverfassungsgerichts eingeschränkte – Vorrang des Europarechts und dessen weitgehende unmittelbare Anwendbarkeit. Ebenso wichtig sind die in den Vertragsreformen der letzten 20 Jahre vorgenommenen Kompetenzübertragungen an die Europäischen Institutionen und die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen und der Rechte des Europäischen Parlaments im Entscheidungsverfahren bei EU-Rechtsetzung. Diese Errungenschaften dürfen auf keinen Fall infrage gestellt oder geschwächt werden, sondern sie müssen gestärkt und ausgebaut werden, wenn wir die Europäische Union – was notwendig ist – weiter demokratisieren wollen. Hierbei ergibt sich ein möglicher Interessenkonflikt grundlegender Werte und Ziele einer proeuropäischen Politik mit einer falschen Umsetzung des richtigen Ziels der Verbreiterung der Legitimation europäischer Rechtsetzung durch die Integration von Elementen direkter Demokratie. Im Wesentlichen lässt sich dieser Konflikt nur im Sinne beider Ziele auflösen, wenn wir konsequent die europäischen Verfahren demokratisieren, nicht nur durch national beschränkte Regelungen, die keinen Zugriff auf das eigentliche Entscheidungsverfahren in den EU-Institutionen haben. Eine Volksabstimmung über Europa, die letztlich einen Volksgesetzgeber in die Situation reinen Nachvollzugs versetzen, würde dieses laut der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für den Bundestag verhindern. Ebenso kann es nicht im Interesse des Grundgesetzes sein, den Volksgesetzgeber in die Situation zu bringen, mit jeder Sachentscheidung letztlich die Europafreundlichkeit des Grundgesetzes faktisch konterkarieren zu müssen. Das Mitwirkungs- und Stellungnahmerecht von Bundestag und Bundesrat ist mit der Einführung des Vertrags von Maastricht in Art. 23 GG aufgenommen worden, um beide an der künftigen Ausgestaltung der Rechtsetzung der Europäischen Union zu beteiligen. Mit der Steigerung der Unmittelbarkeit der Kompetenzen und Befugnisse der EU-Institutionen und der Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen im Rat sollte im Gegenzug die Rolle der nationalen Parlamente über das alte Prinzip der reinen Letztentscheidung hinaus gestärkt und auf die Mitwirkung an der Positionierung Deutschlands im Rat ausgeweitet werden. Diese Grundgesetzänderung hat eine beachtliche Rechtsgeschichte hervorgebracht, die mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf die Klage der Fraktion der Grünen und der Novelle des EUZBBG, die heute im Plenum verabschiedet wurde, eine ganz neue Stufe an demokratischer Legitimation des Handelns im Rat schaffen kann. Die Ausformulierung des Art. 23 GG ist dabei – das hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Auslegung immer wieder bekräftigt – ein Parlamentsrecht. Gerade das Urteil vom Juni 2012 führt detailliert aus, wie wichtig die tagtägliche Beschäftigung, die Herausbildung von Expertise und die Nutzung des Grundsatzes der parlamentarischen Öffentlichkeit für die praktische Umsetzung der Demokratieidee des Art. 23 GG ist. Das Bundesverfassungsgericht hat den Art. 23 GG dabei eng mit den Art. 20 und 38 GG und damit auch der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG verknüpft. Daraus ergibt sich logisch: Der Art. 23 GG, die Mitwirkung, ist sozusagen analog zum Haushaltsrecht ein neues Königsrecht des Parlaments. Ein Zugriff durch Volksinitiativen oder Volksabstimmungen auf die Stellungnahmekompetenz des Art. 23 GG ergibt sich nicht aus der Logik des Art. 23 GG. Ein Volksgesetzgeber kann nicht der Anforderung der informierten Mitwirkung, wie sie beispielsweise an den deutschen Bundestag gestellt, wird genügen oder gar angemessen und frühzeitig auf die Verhandlungsführung der Bundesregierung im Rat einwirken und diese weiter fortlaufend kontrollieren. Zudem ist die Kompetenz des Art. 23 GG im Spannungsverhältnis zum Loyalitätsprinzip aus Art. 4 Abs. 3 AEUV für den Bundestag und Bundesrat in den Europäischen Verträgen mit ihren Art. 2, 11 und 12 EUV verankert, ein Zugriff auf die Rechtsetzung der Europäischen Institutionen in der Logik der EU-Verträge, aber nur über ein europäisiertes Instrument sinnvoll. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Maas-tricht- und Lissabon-Entscheidung durch die Ultra-vires- und die Identitätskontrolle die Kompetenz der letztendlichen Überprüfung europäischer Rechtsetzung vor dem Maßstab des Identitätskerns des Grundgesetzes festgeschrieben. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle hatte schon in der Solange-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu geführt, dass die Beklagbarkeit der Umsetzungsgesetze der Weg ist, um eine Entscheidungsgelegenheit des Bundesverfassungsgerichts sicherzustellen. Dennoch gilt und sollte für jeden an der Stärkung des demokratischen Europas Interessierten gelten: Der Maßstab der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, der laut Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts für alle Verfassungsorgane der BRD gilt, macht es unmöglich, einen Zugriff von Volksabstimmungen auf die Umsetzungsgesetze bereits beschlossener und demokratisch legitimierter Entscheidungen der Europäischen Union einzuführen; denn dieser würde keineswegs einen Zugriff direktdemokratischer Entscheidungen auf die Geltung europäischer Rechtsetzung bedeuten, sondern im schlechtesten Fall letztlich nur zu Verurteilungen der BRD vor dem EUGH führen oder ein Ende der einheitlichen Geltung des EU-Rechtsstands in der Union bzw. in Deutschland bedeuten. In den Fällen, wo aufgrund von Kompetenzübertragungen an die EU ein Letztentscheidungsrecht des Deutschen Bundestags vorgesehen ist, wollen wir gleichsam den Fortschritt der europäischen Integration nur dann einer nationalen Volksabstimmung in Deutschland unterziehen, wenn diese nach dem Maßstab des Art. 146 GG unumgänglich und inhaltlich so ausgestaltet ist, dass diese den vom Bundesverfassungsgericht für die dann zu bestätigende europäische demokratische Ordnung der EU gesetzten Maßstäben genügt. Für andere wesentliche Kompetenzübertragungen über die Befugnisse der jetzigen Vertragslage hinaus wollen wir das betroffene Volk abstimmen lassen: Uns Grüne leitet die Idee eines europäischen Demos, der die verschiedenen „Staatsvölker“ der Europäischen Union vereinigt hinter der gemeinsamen Idee einer demokratischen Europäischen Union. Das Letztentscheidungsrecht in den anderen Fällen dem Bundestag aus der Hand zu nehmen, hätte aber auch weitere schwerwiegende Folgen für den Grundrechtsschutz und Schutz der Verfassungsidentität des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem – von der Linkspartei immer wieder politisch gelobten – Urteil zum Vertrag von Lissabon den Verfassungsorganen die Aufgabe der Integrationsverantwortung auferlegt, die nicht allein durch die Entscheidung einer einfachen Mehrheit oder einer einfachen Volksabstimmung, sondern wenn, dann nur durch die Anwendung des Art. 146 GG umgehbar ist. Wird das Letztentscheidungsrecht den Verfassungsorganen im Form einer einfachen Volksabstimmung, die nicht den Anforderungen des Art. 146 GG genügt, enthoben, wird damit gleichsam die Integrationsverantwortung der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat konterkariert, deren Verantwortung es ist, durch ihr Handeln Angriffe auf den Identitätskern des Grundgesetzes zu verhindern. Dass sich die EU-Bürgerinnen und -Bürger mit der Europäischen Bürgerinitiative, EBI, seit April 2012 direkt in die Politik der EU einmischen können – und dies auch tun, was nicht zuletzt die erfolgreiche EBI zur sogenannten EU-Wasserrichtlinie eindrucksvoll gezeigt hat –, war uns von Anfang an wichtig. So haben wir gemeinsam mit der Zivilgesellschaft erreicht, dass die EBI in Deutschland für die Initiatoren gebührenfrei ist. Wir wollen die EBI stärken und in Richtung eines echten Instruments direkter Demokratie weiterentwickeln. Deswegen ist der Weg der Linkspartei der falsche Weg. Richtig ist ein europäischer Weg, der das Prinzip der EU-Bürgerschaft ins Zentrum stellt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/11371 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 34: – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 98 a) – Drucksache 17/1468 – – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare – Drucksache 17/1469 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/13136 – Berichterstattung: Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff Burkhard Lischka Christoph Strässer Mechthild Dyckmans Jens Petermann Ingrid Hönlinger Die Reden sind im Protokoll zu finden. Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU): Wir schließen heute ein Gesetzgebungsvorhaben des Bundesrates ab, das bekanntermaßen eine lange Vorgeschichte hat. Ich werde darauf nicht mehr im Einzelnen eingehen. Wir hatten ja bereits in der ersten Lesung die jahrelangen Diskussionen in Fachkreisen und in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Frage der Aufgabenverlagerung auf Notare miteinander erörtert. Nach ausführlichen und intensiven Beratungen sowie einer auch umfassenden Anhörung des Rechtsausschusses zu den Gesetzentwürfen legen wir heute ein Ergebnis vor, dass sich an der – in der Fachdiskussion unter dem Stichwort bekannten – „kleinen Lösung“ orientiert. Dabei haben wir uns in der christlich-liberalen Koalition in den Beratungen von dem Grundgedanken leiten lassen: Was kann einerseits zur Entlastung der Justiz beitragen, aber gleichermaßen zu mehr Bürgernähe der Justiz führen sowie auch und – das ist mir wichtig – den Servicegedanken der Justiz befördern? Mit mehr als 7 500 Notaren in Deutschland sind die Amtsstellen der Notare flächendeckend im gesamten Bundesgebiet vorhanden. Die Anzahl von Amtsgerichten in Deutschland beläuft sich – wie wir in der Anhörung gehört haben – auf 700 bis 800. Oftmals ist daher für einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung der Weg zum nächsten Notar deutlich kürzer als der zum jeweiligen Amtsgericht. Eine Übertragung gerichtlicher Aufgaben auf die Notare leistet daher auch einen tatsächlichen Beitrag zu mehr Bürgernähe. Notare sind justiznahe Amtsträger, sie sind, wie es mal so treffend formuliert wurde, der „verlängerte Arm der Justiz“, fachlich insbesondere auch im Bereich des Nachlasswesens und des Erbrechts bestens qualifiziert und durch die Beurkundungstätigkeit auch mit dem Grundbuchwesen bestens vertraut. Mit dem heutigen Änderungsantrag der christlich-liberalen Koalition zu den Gesetzentwürfen des Bundesrates greifen wir daher das Grundanliegen des Bundesrates auf, eine Entlastung der Justiz durch Übertragung verschiedener, bislang den Gerichten zugewiesener Aufgaben aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare zu ermöglichen. Dabei reduzieren wir den Katalog des vom Bundesrat vorgeschlagenen Umfangs der zu übertragenden Aufgaben auf Teilbereiche, die nach unserer Einschätzung nicht den Funktionsvorbehalt des Grundgesetzes tangieren und daher ohne Grundgesetzänderung umsetzbar sind. Wir übertragen Teilbereiche unter anderem aus dem Nachlasswesen in die alleinige Zuständigkeit der Notare. Es wird aber keine vollständige Übertragung des Nachlassverfahrens 1. Instanz auf die Notare geben. Eine dazu erforderliche Mehrheit zur Änderung des Grundgesetzes ist politisch nicht erkennbar, und meines Erachtens gibt es auch sachlich gute Gründe, eine so weit gehende Übertragung nicht vorzunehmen. Wir werden auch die im Katalog des Bundesrates enthaltene Übertragung der Wechsel- und Scheckproteste auf die Notare nicht vornehmen. Die rechtliche Doppelzuständigkeit von Gerichtsvollziehern und Notaren sollte, im Gegensatz zum Erbscheinsantragsverfahren, beibehalten werden. Hier geht es ja im Wesentlichen darum, dass der Protest fristgerecht erhoben wird. Sollte der Gerichtsvollzieher nicht erreichbar sein, kann der Notar fristgerecht tätig werden und umgekehrt. Beratungsleistungen oder der Grundsatz des Vier-Augen-Prinzips stehen hier – anders bei dem Erbscheinsantrag – nicht zur Diskussion. Was verbleibt? Das ist zum einen die von uns vorgeschlagene bundeseinheitliche Übertragung der Vermittlung von Nachlass- und Gesamtgutsauseinandersetzung sowie die amtliche Aufnahme des Nachlassinventars auf die Notare. Es handelt sich teilweise um Tätigkeiten, die die Notare durch landesspezifische Regelungen in einigen Bundesländern bereits jetzt vornehmen. Ja, es ist zutreffend, diese Aufgabenübertragungen auf Notare betreffen nur Teilbereiche der justiziellen Tätigkeit im Nachlasswesen und Grundbuchrecht. Dennoch sollten die positiven Effekte nicht unterschätzt werden. Auch wenn diese Tätigkeiten nicht so häufig vorkommen, die Nachlassgerichte müssen Kapazitäten dafür vorhalten. Notare sind neben dem Beurkundungswesen besonders auch im Bereich des Erbrechts tätig und daher für die Aufgabe qualifiziert. Mit der Einführung der notariellen Vollmachtsbescheinigung im Grundbuch- und Registerwesen werden die Grundbuchämter durchaus von aufwändigen Prüfnotwendigkeiten, wie zum Beispiel bei Prüfung von Vollmachtsketten, entlastet. Auch mit der Übertragung der Zuständigkeit zur Erteilung weiterer vollstreckbarer Ausfertigungen werden Gerichte von aufwändigen Recherchen entlastet. Von deutlich größerer Bedeutung ist jedoch das Erbscheinsantragsverfahren. Wir führen hier eine Öffnungsklausel ein, mit der es den Ländern ermöglicht wird, das Erbscheinsantragsverfahren künftig in die alleinige Zuständigkeit der Notare zu übertragen. Bisher können die Bürger wählen, ob sie den Erbscheinsantrag beim zuständigen Gericht oder bei einem Notar stellen. Nun kann man darüber diskutieren, ob diese Wahlmöglichkeit nicht bürgerfreundlicher ist und der Entlastungseffekt, der für die Justiz eintritt, wenn der Antrag künftig nur beim Notar zu stellen ist, nicht zulasten der Bürger geht. Auch wird der finanzielle Mehraufwand für den Bürger durch die Mehrwertsteuer als ablehnender Grund ins Feld geführt. Ich teile diese Bedenken nicht, sondern sehe gerade im Interesse der Bürger mehr als gute Gründe für eine alleinige Zuständigkeit der Notare beim Erbscheinsantrag. Zum einen wird mit der ausschließlichen Übertragung des Antragsverfahrens auf die Notare das „Vier-Augen-Prinzip“ und damit die erhöhte Richtigkeitsgewähr für das Antragsverfahren gestärkt. Mit der ausschließlichen Übertragung des Antragsverfahrens auf die Notare wird daher auch die systematische Trennung zwischen Antrag und Entscheidung konsequent umgesetzt und die Aufgaben des Nachlassgerichts funktionsgerecht allein auf die Entscheidungsfindung beschränkt. Zum anderen besteht gerade im Bereich des Erbrechts erheblicher Beratungsbedarf und je nach Komplexität des Erbfalls werden ja oftmals in der Praxis die Erbscheinsantragsberechtigten vom Gericht an den Notar und umgekehrt verwiesen. Mit der Öffnungsklausel für die Länder, hier eine eindeutige Zuweisung an die Notare zu ermöglichen, schaffen wir daher Klarheit in der Zuständigkeit und durch das „Vier-Augen-Prinzip“ mehr Richtigkeitsgewähr für den Bürger. Wie wir auch aus der Anhörung erfahren haben, können die Notare zudem bei komplizierten Erbrechtskonstellationen – für den Bürger gebührenfrei – auf das Deutsche Notarinstitut zugreifen, die schnell und unbürokratisch qualifizierte Gutachten erstellen. Kosten, die den Nachlassgerichten entstehen, falls diese ebenfalls eine gutachterliche Klärung einholen müssen, gehen jedoch zulasten der Antragsteller. Ich sehe daher für den Bürger eine Vielzahl von Vorteilen, die eine solche Aufgabenübertragung rechtfertigen, ja sogar empfehlen. Mit der Öffnungsklausel reagieren wir auf die unterschiedliche Notariatsstrukturen in den Ländern. Sie sollen aufgrund der jeweiligen landesspezifischen Besonderheiten entscheiden können, ob und wann eine Übertragung sinnvoll und geboten ist. Schließlich führen wir eine bundeseinheitliche Regelung zur sogenannten isolierten Grundbucheinsicht bei den Notaren ein. Damit schaffen wir eine serviceorientierte Möglichkeit für die Bürger, neben dem Grundbuchamt auch beim Notar Auskunft aus dem Grundbuch zu bekommen, ohne das ein Beurkundungsauftrag vorliegen muss. Dies ist sehr zu begrüßen, da auch hier der Justizservicegedanke voll zum Ausdruck kommt. Für Länder, die hier wieder aus landesspezifischen Gründen Umsetzungsprobleme haben, schaffen wir die Möglichkeit, ein solches Zusatzangebot für den Bürger dann nicht anbieten zu müssen. Mit den von der Koalition vorgeschlagenen Änderungen zu den Entwürfen des Bundesrates setzen wir das Anliegen der Länder teilweise um. Insgesamt wird mit der Übertragung dieser Aufgaben für die Justiz durchaus auch zeitintensiver Publikumsverkehr verringert. Längere und flexible Öffnungszeiten in Nota-riaten ermöglichen zudem einen noch bürgerfreundlicheren Service. Das Vertrauen in unseren Rechtsstaat und vor allem in die Rechtspflege ist hoch und auch international mehr als anerkannt. Unsere Justiz mit ihren Richtern und Rechtspflegern leistet dazu einen entscheidenden und nicht hoch genug anzuerkennenden Beitrag. Wir wollen, dass dies so bleibt. Mit unseren Vorschlägen zur Aufgabenverlagerung wollen wir einen wirkungsvollen Beitrag zur Entlastung der Justiz und einen weiteren Beitrag für eine serviceorientierte Justiz leisten. Ich werbe um Ihre Zustimmung. Burkhard Lischka (SPD): Der Bundesrat wollte mit seinen inzwischen über drei Jahre alten Gesetzentwürfen erreichen, dass die Länder Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit – insbesondere die Aufgaben der Nachlassgerichte in erster Instanz – vollständig auf die Notare verlagern dürfen. Auch die Koalition hatte sich dies in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen. Zu diesem Zweck sollten zunächst das Grundgesetz, darauf aufbauend dann das Gerichtsverfassungsgesetz, das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und weitere Gesetze geändert werden. Es hat sich aber sowohl in der ersten Lesung als auch in der Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses und im Berichterstattergespräch gezeigt: Für eine solche Grundgesetzänderung gibt es keine Mehrheit. Zu Recht gibt es dafür keine Mehrheit. Denn das Nachlassgericht muss zum Beispiel für die Erteilung von Erbscheinen, aber auch in Verfahren, die die Testamentsvollstreckung oder die Nachlassverwaltung betreffen, teilweise streitige Verfahren durchführen. Die Übertragung solcher streitiger Verfahren auf freiberufliche Notare ist systematisch verfehlt und entspricht nicht den berechtigten Erwartungen des Rechtsverkehrs. Notare haben kein entsprechendes Verfahrensrecht; sie verhandeln nichtöffentlich und entscheiden nicht transparent. Eine Grundgesetzänderung lehnen wir deshalb ab. Wir hatten aber für die SPD-Fraktion schon in der ersten Lesung signalisiert, dass wir uns durchaus vorstellen können, den Notaren verstärkt präventive, streitvermeidende Verfahrensabschnitte zu übertragen oder aber dies den Ländern freizustellen. Wir freuen uns, dass wir uns mit der Koalition auf eine solche vernünftige Linie verständigen konnten. Auf die wichtigsten Änderungen will ich kurz eingehen: Mit dem neuen Art. 239 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch schaffen wir eine Länderöffnungsklausel. Die Länder können danach den Notaren die alleinige Zuständigkeit für die Aufnahme von Erbscheinsanträgen übertragen. Falls die Länder diesen Weg wählen, müssen diejenigen, die einen Erbschein beantragen wollen, zunächst zum Notar gehen, der einen notariell beurkundeten Erbscheinsantrag für das Nachlassgericht vorbereitet. Das ist ein gangbarer Weg. Damit kann das Erbscheinserteilungsverfahren sachkundig und möglicherweise streitvermeidend vorbereitet werden. Falls es aber vor Gericht zu einem streitigen Verfahren kommt, ist der Sachverhalt hierfür schon vorgeklärt. Sinnvoll ist auch, dass für bestimmte Teilungssachen künftig die Notare anstelle der Amtsgerichte zuständig sind. Die Neuregelung betrifft den Fall, dass Eheleute statt der gesetzlichen Zugewinngemeinschaft den Güterstand der Gütergemeinschaft vereinbaren. Stirbt ein Ehepartner, muss das Gesamtgut für die Erben aufgeteilt werden. Bei mehreren Erben hatte bisher das Gericht auf Antrag die Auseinandersetzung des Nachlasses zwischen den Beteiligten zu vermitteln; künftig ist hierfür der Notar zuständig. Er soll einen Auseinandersetzungsplan fertigen, auf den sich möglichst alle Beteiligten verständigen können und der deshalb bestätigt werden kann. Falls dies nicht gelingt, müssen diejenigen, die mehr wollen, die andere Seite auf Zustimmung zu einem anderen Auseinandersetzungsplan verklagen. Wir halten dies für eine günstige Aufteilung der Zuständigkeiten. Der Notar übernimmt den Versuch, zu einer Verständigung zu gelangen. Gelingt dies nicht, entscheidet das Gericht. Das Gericht kann dann auf der Grundlage eines aufbereiteten Sachverhalts ohne Vorbefassung unvoreingenommen entscheiden. Insgesamt geben wir den Ländern mit dem vorliegenden Gesetz die Möglichkeit, ihre Justiz im Erbscheinantragsverfahren zu entlasten, und nutzen auch im Übrigen die Fachkunde, das Ansehen und das Vermittlungspotenzial der Notare. Die streitige Entscheidung bleibt aber bei den Gerichten. Mechthild Dyckmans (FDP): Mit dem Gesetz zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare, das wir heute verabschieden, setzen wir ein zentrales Anliegen der Justizpolitik aus dem Koalitionsvertrag um. Die Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare ist für die christlich-liberale Koalition ein wichtiges Instrument, um die Justiz effizienter und bürgernäher zu gestalten. Das deutsche Justizsystem arbeitet effizient und kostengünstig. Dies liegt nicht zuletzt an der guten Aufgabenverteilung innerhalb der Justiz. Die Arbeitsteilung von Gerichten und Notaren in Deutschland trägt einiges dazu bei. Bereits in der ersten Lesung zu den Gesetzentwürfen habe ich deutlich gemacht, dass die Vorstellungen des Bundesrates zur Übertragung sämtlicher Tätigkeiten des Nachlassgerichts erster Instanz auf die Notare, die mit einer Änderung des Grundgesetzes verbunden waren, für meine Fraktion kein gangbarer Weg sind. Wir haben aber die Ideen aus dem Gesetzentwurf aufgenommen und sind nach der Anhörung und den ausführlichen Beratungen zu einem – wie ich meine – sehr guten Ergebnis gekommen. Lassen Sie mich zwei der zu beschließenden Änderungen exemplarisch herausgreifen. Die Bundesländer haben künftig die Möglichkeit, das Erbscheinsantragsverfahren vollständig auf die Notare zu übertragen. Diese Möglichkeit kann in der Praxis viele Erleichterungen bringen. So stellt der örtlich ansässige Notar einen bürgernahen und unbürokratischen Ansprechpartner für die Bevölkerung dar. Das macht insbesondere in ländlichen Regionen weite Anfahrtswege zum nächsten zuständigen Amtsgericht in Erbscheinsantragssachen überflüssig. Auch kann der Notar aufgrund seiner Ausbildung und Tätigkeit bei Fragen des Erbscheinsantrags auf mögliche Probleme und Besonderheiten im Einzelfall hinweisen. Er ist ein kompetenter und vertrauenswürdiger Ansprechpartner. Die Amtsgerichte, die von den Sparzwängen der Länder nicht verschont bleiben, werden durch die Entlastung effizienter und schneller die verbleibenden Aufgaben wahrnehmen können. Natürlich haben wir auch diskutiert, ob für dieses Verfahren eine einheitliche bundesrechtliche Lösung wünschenswert wäre. Die jetzt im Gesetz vorgesehene Länderöffnungsklausel soll den länderspezifischen Besonderheiten Rechnung tragen; die Bundesländer erhalten die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, ob und wann sie diese Aufgabenübertragung einführen wollen. Ich wünsche mir, dass viele Bundesländer diese Möglichkeit nutzen. Mit der neuen Regelung des § 133 a Grundbuchordnung wird eine heute schon geübte Praxis auf eine rechtlich sichere Grundlage gestellt. §133 a Grundbuchordnung regelt nunmehr einheitlich die Erteilung von Grundbuchabdrucken durch Notare. Sie dürfen demjenigen, der ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 12 GBO nachweist, Mitteilung aus dem Grundbuch machen und auch einen Grundbuchabdruck erteilen. Damit ist klargestellt, dass auch eine isolierte Grundbuchmitteilung und ein isolierter Grundbuchabdruck erteilt werden können. Dies wurde zwar in der Vergangenheit bereits vielfach so gehandhabt, was zeigt, dass es ein Bedürfnis für diese bürgerfreundliche Alternative gibt, war jedoch nicht ausdrücklich geregelt. Da Notare Träger eines öffentlichen Amtes und Teil der vorsorgenden Rechtspflege sind, ist es folgerichtig, ihnen weitere staatliche Aufgaben zu übertragen. Sie wirken als unabhängige und unparteiische Betreuer der von ihnen beauftragten Parteien bei deren Willensbildung mit. Hierzu sind sie aufgrund ihrer juristischen Ausbildung, der erlangten Befähigung zum Richteramt und ihrer Erfahrung qualifiziert. Die strengen Auswahlkriterien, denen Notare unterworfen sind, stellen eine fachgerechte Arbeitsweise sicher. Die Erweiterung der notariellen Aufgaben in Deutschland bedeutet auch eine Stärkung der institutionellen Bedeutung der Notare. Damit stellen wir klar, dass wir nicht den europarechtlichen Tendenzen folgen, die den Notar – wie teilweise in anderen europäischen Mitgliedstaaten üblich – auf die Rolle eines reinen Beurkunders beschränken wollen. Diese Tendenz sorgt bei den deutschen Notaren verständlicherweise für Verunsicherung. Mit der Übertragung weiterer staatlichen Aufgaben aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit stärken wir die hoheitliche Tätigkeit der Notare in Deutschland. Die Aufgabenübertragung auf Notare bringt durch kürzere Wege und mehr ortsnahe Ansprechpartner Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger, entlastet die Gerichte und stärkt die Stellung der Notare. Diese Chance sollten wir nutzen, um den hohen Qualitätsstandard der deutschen Justiz zu erhalten. Jens Petermann (DIE LINKE): Wir haben uns nach der ersten Befassung mit diesem Gesetzentwurf lange und intensiv mit den Forderungen auseinandergesetzt. Es fand eine öffentliche Anhörung statt. Die zuständigen Berichterstatter und Berichterstatterinnen haben mehrfach zusammengesessen. Da der ursprüngliche Gesetzentwurf des Bundesrates durch die mittlerweile stattgefundene Einführung des zentralen Testamentsregisters in Teilen überholt war, unterbreitete das Bundesjustizministerium einen Änderungsvorschlag. Der Rechtsausschuss lehnt die vom Bundesrat vorgesehene Grundgesetzänderung ab, stimmt aber den einfachgesetzlichen Änderungen nach Modifikation durch die Regierungskoalition zu. Die Koalition hat nun offensichtlich erkannt, dass es so nicht geht. Sie versucht, mit ihrem Änderungsvorschlag zu retten, was nicht zu retten ist. Damit stellt sich Schwarz-Gelb ein Armutszeugnis aus. Nach meiner Ansicht ist die gesamte Initiative entbehrlich. Die Beweggründe sind nicht unterstützenswert. Es geht nicht darum, die Justiz bürgerfreundlicher und effektiver zu machen. Im Gegenteil: Einige Bundesländer wollen mit diesem Gesetzentwurf auf dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger ihre Justizverwaltung verschlanken. Eine Reihe von Aufgaben, die bisher von den Gerichten erfüllt werden, soll zukünftig ohne Not auf die Notare verlagert werden. Die Länder wollen auf diese Weise Sach- und Personalkosten einsparen. Das lehnen wir ab. Leider ist das nicht die einzige Initiative in diese Richtung. Im Laufe der Legislatur sind regierungsseitig mehrere Gesetzentwürfe vorgelegt worden, die nur ein Ziel hatten: Kosteneinsparung in der Justiz und Absenkung von Standards; ganz aktuell sind Kürzungen bei Beratungs- und Prozesskostenhilfe geplant. Dabei muss doch langsam die Einsicht wachsen, dass die Justiz nicht die Sparbüchse des Finanzministers ist und die Kosten nicht weiter dem rechtsuchenden Bürger aufgedrückt werden können. Wir haben derzeit eine an sich funktionierende Rechtspflege, die aber sachlich und personell bereits am Limit arbeitet und auszubluten droht. Weitere Einsparungen sind da nicht drin. Vielmehr benötigt die Justiz eine bessere Ausstattung, um den Standard weiter halten zu können. Das ganze Vorhaben hat nebenbei auch Züge eines Schildbürgerstreichs: Die Kostendeckung der Nachlassgerichte, deren Aufgaben nach dem Willen des Bundesrates auf die Notare übergehen sollen, liegt bei weit über 100 Prozent. Damit wäre der Einnahmeverlust für die Justiz bei der Aufgabenübertragung höher als eine denkbare Einsparung im Personal- und Sachkostenbereich. Welche Ideologie steckt hinter diesem Plan? Wollen die Bundesländer ernsthaft eine der wenigen Einnahmequellen der Justiz privatisieren? Offensichtlich ja; denn sie versprechen sich höhere Steuereinnahmen durch höhere Gewinne bei den Notaren. Das wäre ein Geschäft zulasten Dritter, nämlich der rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger, die am Ende die Zeche zahlen sollen. Das ist mit der Linksfraktion nicht zu machen. Durch Aufgabenreduzierung könnten sich zudem neue Argumente für die Diskussion um die Schließung von Gerichtsstandorten ergeben. Da müssten eigentlich die Justizminister – also die in der Exekutive verankerten Sachwalter der dritten Gewalt – dagegenhalten. Glücklicherweise ist wenigstens die Gesamtforderung des Bundesrates vom Tisch. Die Regierungskoalition hat sich für eine „Kleine Lösung“ entschieden: Dass die einzelnen Landesregierungen ermächtigt werden sollen, durch Rechtsverordnungen zu bestimmen, ob entweder die Notare oder die Gerichte Abdrucke von Grundbuchblättern herausgeben dürfen, wird zwangsläufig zu einem strukturellen Flickenteppich und Unsicherheiten bei den Bürgerinnen und Bürgern führen. Da zeigt sich der Föderalismus von seiner negativen Seite. Zudem fallen beim Notar für den Bürger neben den anderen Kosten zusätzlich 19 Prozent Mehrwertsteuer an. Es wird also wieder einmal teurer für die Bürgerinnen und Bürger. Das ist nach Meinung der CDU/CSU-Fraktion nicht so sehr relevant, da ja die Vorteile für den Bürger wie Qualitätserhöhung durch „Vieraugenprinzip“, Entlastung der Justiz oder aber auch die bessere Erreichbarkeit der Notare gegenüber den Gerichten gerade in ländlichen Regionen überwiegen. Nehmen wir doch einfach den kleinen Amtsgerichten sukzessive die Aufgaben weg, dann haben wir später bessere Argumente für Schließungen und Zusammenlegungen. Das ist meines Erachtens nicht der richtige Weg zu einer modernen und bürgerfreundlichen Justiz. Darüber hinaus soll das nicht kostendeckende Beschwerdeverfahren sowie das kostenfreie Erinnerungsverfahren bei den Amtsgerichten belassen werden, während die lukrativen Teile des Nachlassverfahrens auf die Notare übertragen werden sollen. Ein Schildbürgerstreich! Die Bürgerinnen und Bürger haben einen in der Verfassung verankerten Justizgewährungsanspruch. Eine weitere Aushöhlung, ob durch Privatisierungen oder Zugangserschwerungen, werden wir nicht akzeptieren. Die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Justiz darf durch derartige Maßnahmen nicht gefährdet werden. Leider müssen wir feststellen, dass sich die zahlreichen Gespräche, die öffentliche Anhörung und auch die Änderungsvorschläge aus dem Bundesjustizministerium als untaugliche Versuche erwiesen haben, den Gesetzesvorschlag wenigstens halbwegs in die richtige Bahn zu lenken. Deshalb wird die Linke den Entwurf ablehnen. Ich fordere Sie auf, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dies auch zu tun! Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute haben wir hier im Bundestag wieder einmal ein Thema auf der Tagesordnung, mit dem die Koalition ihre Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag durchbricht. Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag: „Als Beitrag zur Effizienzsteigerung und Entlastung der Justiz werden wir eine Übertragung der Aufgaben der Nachlassgerichte erster Instanz auf die Notare durch die Länder ermöglichen.“ Die Koalition scheint im Verlaufe des Verfahrens eingesehen zu haben, dass dies keine gute Idee war und der Justiz mehr schaden als nützen würde. So ist ein Riesenprojekt auf ein Zwergenprojekt zusammengeschrumpft. Und das ist gut so. Wir Grünen begrüßen, dass die Koalition die Vorschläge des Bundrates mit ihrem Änderungsantrag eingeschränkt hat. Dennoch können wir auch diese Version der Aufgabenübertragung auf Notare nicht unterstützen. Vor fast einem Jahr haben wir hier im Bundestag die Gesetzentwürfe des Bundesrates zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare zum ersten Mal debattiert. Es geht bei den Vorschlägen des Bundesrats um weitreichende Änderungen, die sogar eine Grundgesetzänderung erfordert hätten. Der Bundesrat wollte sämtliche Nachlasssachen, die sich in der ersten Instanz befinden, auf Notare übertragen. Das heißt, für alle rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit Testament, Vermächtnis oder Erbe sollten nur noch Notare zuständig sein, nicht mehr die Gerichte. Notarinnen und Notare erfüllen bereits jetzt einzelne öffentliche Aufgaben und sind eine unverzichtbare Unterstützung für die Justiz. Justiz ist aber eine hoheitliche Aufgabe. Im Grundgesetz ist der sogenannte Funktionsvorbehalt statuiert: Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist in der Regel nur Angehörigen des öffentlichen Dienstes, also Beamten, erlaubt. Hier sollten wir nicht weiter eingreifen. Je mehr hoheitliche Aufgaben wir auf die privat tätige Notarschaft übertragen, desto mehr befeuern wir Bestrebungen, Justiz immer weiter zu privatisieren. Justiz aber ist Staatsaufgabe. Im Laufe des Verfahrens im Bundestag haben wir stichhaltige Argumente gegen eine Übertragung aller Nachlasssachen auf Notare diskutiert. Diese haben glücklicherweise auch bei der Regierungskoalition Gehör gefunden. Wir haben heute umfangreiche Änderungsanträge zum Gesetzentwurf auf dem Tisch. Aber was will die Koalition mit ihren Änderungsvorschlägen erreichen? Einige wenige Aufgaben sollen nun auf Notarinnen und Notare übertragen werden. Es handelt sich zum Beispiel um die Erstellung von notariellen Vollmachtsbescheinigungen als Eintragungsgrundlage im Grundbuch oder die Entscheidung über die Erteilung weiterer vollstreckbarer Ausfertigungen notarieller Urkunden. In Kurzform: Es werden große Worte geschwungen. Diese sind aber weder von besonderer praktischer Relevanz noch bringen sie Einsparungen für die Justiz. Bezüglich der Erteilung von Abdrucken aus dem Grundbuch hat die Bundesregierung sogar selbst noch in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates angeführt, dass sie kein Erfordernis sieht, diese Aufgabe auf die Notare zu übertragen. Dieses Gesetz, über das wir heute abstimmen, bietet keinerlei Mehrwert – weder für die Bürgerinnen und Bürger noch für die Justiz. Ein richtiges Problem sehen wir Grüne aber vor allem in der Neuregelung, dass von nun an ausschließlich die Notarinnen und Notare für die Aufnahme von Erbscheinsanträgen zuständig sein sollen. Bisher kann ein Erbe oder eine Erbin den Erbschein entweder beim Nachlassgericht oder beim Notar beantragen. An den Notar wenden sich zurzeit aber nur etwa 10 bis 20 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Wer sich an das Nachlassgericht wendet, hat den Vorteil, dass er oder sie keine Mehrwertsteuer zahlen muss. Der Antrag ist also um 19 Prozent günstiger als beim Notar. Außerdem kann das Verfahren beim Amtsgericht deutlich schneller sein: Ich muss beim Nachlassgericht keinen Termin vereinbaren wie beim Notariat, und ich muss keine Postübermittlung abwarten. Die Bundesregierung erklärt, der Vorteil dieser Regelung für die Justiz bestehe darin, dass die Nachlassgerichte von der Aufgabe der Zurverfügungstellung von Formblättern entlastet werden. Ich überlasse es Ihnen, die Überzeugungskraft dieses Argumentes zu beurteilen. Darüber hinaus ist die Neuregelung als Länderöffnungsklausel formuliert. Das heißt, jedes einzelne Bundesland kann selbst darüber entscheiden, ob die Notare allein für die Aufnahme von Erbscheinsanträgen zuständig sein sollen oder ob es bei der gegenwärtigen Rechtslage bleiben will. Das sorgt für Rechtszersplitterung und unter Umständen für Verwirrungen bei Erbinnen und Erben. Das macht folgendes Beispiel deutlich: Ich wohne in Berlin. Mein Onkel in Brandenburg stirbt. Hat das Land Berlin von der Öffnungsklausel keinen Gebrauch gemacht, könnte ich mich in Berlin weiterhin an das Nachlassgericht wenden, um meinen Erbschein zu beantragen. Da mein Onkel aber in Brandenburg seinen letzten Wohnsitz hatte, muss ich jetzt wissen, ob auch Brandenburg keinen Gebrauch von der Öffnungsklausel gemacht hat oder ob ich dort jetzt vielleicht ausschließlich notariell beurkundete Erbscheinsanträge einreichen kann. Das ist eine Verkomplizierung des Rechtssystems. Bürgerfreundliche Rechtspolitik, so wie wir Grünen sie verstehen, sieht anders aus. Sie erschwert nicht den Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zum Recht, sondern erleichtert ihn. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13136, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/1468 abzulehnen. Wer möchte dem Gesetzentwurf zustimmen und das mit einem Handzeichen dokumentieren? – Wer stimmt dagegen? – Wer will sich enthalten? – Der Gesetzentwurf wurde in zweiter Beratung einstimmig abgelehnt. Damit entfällt nach der Geschäftsordnung eine weitere Beratung. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13136, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 17/1469 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Dieser Gesetzentwurf wurde angenommen bei Zustimmung durch SPD und Koalitionsfraktionen. Linke und Grüne waren dagegen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich freue mich, wenn Sie aufstehen, wenn Sie dafür sind. – Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher. Wir kommen zu Zusatzpunkt 10: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Volker Beck (Köln), Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequente Umsetzung des Public Corporate Governance Kodex – Drucksachen 17/9984, 17/12740 – Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Matthias Heider Die Reden wurden zu Protokoll genommen.19 Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12740, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9984 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen. Die Oppositionsfraktionen waren alle dagegen. Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern – Drucksache 17/13022 – Die Reden wurden zu Protokoll genommen. Michael Frieser (CDU/CSU): Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Umsetzung der beiden EU-Richtlinien bezüglich der Rechtsstellung von international Schutzbedürftigen und der sogenannten Rahmenrichtlinie zur Einführung eines kombinierten Aufenthaltstitels für Arbeitserlaubnisse zum Zweck der Erwerbstätigkeit und zur verfahrensrechtlichen Bündelung von Entscheidungen zu Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen. Die Umsetzung bedeutet, dass den Rechten subsidiär Schutzberechtigter im Sinne der EU-Qualifikationsrichtlinie Rechnung getragen werden muss und Änderungen im Aufenthaltsgesetz vorgenommen werden müssen. Mit jener Umsetzung können die betroffenen Flüchtlinge künftig nach fünfjährigem und rechtmäßigem Aufenthalt ebenso wie andere Drittstaatenangehörige eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt in der EU erhalten. Dabei handelt es sich um einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Dieser ist vergleichbar mit der deutschen Niederlassungserlaubnis, geht jedoch darüber hinaus. Er berechtigt nämlich seine Inhaber des Weiteren, in einen anderen Mitgliedstaat weiterzuwandern und sich dort auch niederzulassen. Dies stellt eine deutliche Verbesserung der Rechte und Möglichkeiten von subsidiär Schutzberechtigen dar, die bislang von diesem Daueraufenthaltsrecht ausgeschlossen waren. Die ebenfalls umzusetzende europäische Rahmenrichtlinie für Arbeitnehmerrechte sieht erstens die Einführung eines kombinierten Arbeitstitels für Aufenthaltserlaubnisse zum Zweck der Erwerbstätigkeit vor, der sogenannten kombinierten Erlaubnis. Zweitens fordert sie die verfahrensrechtliche Zusammenlegung der Bestimmungen der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, also im Sinne des „one stop governments“. Sie regelt auf diesem Wege im Übrigen bestimmte Gleichbehandlungsrechte, insbesondere im Renten- und Sozialrecht. Zudem beinhaltet die Richtlinienumsetzung den Punkt, dass die Inanspruchnahme von Leistungen für Bildung und Teilhabe im Sinne des Bildungspakets keine für die Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung schädliche Inanspruchnahme öffentlicher Mittel darstellt. Es wird ferner klargestellt, dass die Aufenthaltserlaubnis zur Teilnahme an einem Schüleraustausch nicht nur in Ausnahmefällen gewährt werden kann. Umsetzungsbedarf auf deutscher Seite besteht vor allem im Rentenrecht, da die Anforderungen des kombinierten Arbeitstitels und der verfahrensrechtlichen Bündelung in Deutschland bereits 2005 eingeführt wurden. Das Gesetzgebungsverfahren soll ferner dazu genutzt werden, einige weitere Anpassungen im Aufenthaltsrecht vorzunehmen, die nicht im Zusammenhang mit der Richtlinienumsetzung stehen. So sollen im Vorgriff auf die geplante Änderung der Beschäftigungsverordnung und der Beschäftigungsverfahrensverordnung die Beschränkungen des Arbeitsmarktzugangs für ausländische Familienangehörige aufgehoben werden. Nach geltendem Recht ist der Arbeitsmarktzugang beim Familiennachzug zu Ausländern innerhalb der ersten beiden Jahre grundsätzlich akzessorisch zum Arbeitsmarktzugang des Stammberechtigten. Das bedeutet, dass auch der Familienangehörige einer Vorrangprüfung unterliegt, wenn dies bereits für den Stammberechtigten gilt. Aufgrund zahlreicher Ausnahmeregelungen gilt diese Maßnahme jedoch praktisch nur noch für Familienangehörige von Fachkräften ohne Hochschulabschluss. Gerade bei dieser Personengruppe hängt der Entschluss, nach Deutschland zu kommen, häufig jedoch davon ab, dass auch der Ehepartner in Deutschland leben und arbeiten darf. Die Aufhebung dieser Beschränkungen kann somit also einen wichtigen Beitrag dazu leisten, unser Land für ausländische qualifizierte Fachkräfte attraktiver zu machen. Die vorgeschlagenen Änderungen vom Bundesrat betreffen nicht die Richtlinienumsetzung, sondern viel eher einige technische und klarstellende Anpassungen im Aufenthaltsrecht. Diesen Änderungen ist überwiegend zuzustimmen. Dies gilt beispielsweise für die vorgeschlagene Erweiterung der Regelung zur Erteilung eines Visums zur Arbeitsplatzsuche. Künftig sollen auch qualifizierte Fachkräfte, die sich bereits in Deutschland aufhalten, einen gültigen Arbeitstitel zur Arbeitsplatzsuche einen bis sechs Monate lang aufrechterhalten können, wenn ihr ursprüngliches Beschäftigungsverhältnis endet und sie nicht sofort eine Anschlussbeschäftigung finden. Die steigenden Haushaltsausgaben für die gesetzliche Rentenversicherung belaufen sich auf jährlich 7 Millionen Euro und sind damit absolut im Rahmen des Möglichen. Hinzu kommen hinsichtlich des Erfüllungsaufwands einmalig weitere 400 000 Euro für die Neuaufstellung der Bestandsrenten. Die Mehrkosten des Erfüllungsaufwands bei den entsprechenden Ausländerbehörden und beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge halten sich mit etwa 22 Euro pro Fall ebenfalls in Grenzen. Letztendlich bleiben noch einmalig 140 000 Euro Mehrkosten für die hinzuzufügenden Speichersachverhalte im Ausländerzentralregister. Um die Richtlinienvorgaben fristgerecht umzusetzen, muss der Gesetzentwurf noch vor der diesjährigen Sommerpause verabschiedet werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gesetzentwurf zahlreiche Verbesserungen enthält. Die Situation der in diesem Land lebenden Schutzberechtigten wird nachhaltig und deutlich verbessert, und wir steigern die Attraktivität für qualifizierte Arbeitskräfte, die so dringend für die wirtschaftliche Entwicklung gebraucht werden. Daher ist dem Gesetzesvorhaben zuzustimmen. Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD): Heute beraten wir in erster Lesung den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Mit diesem Gesetzentwurf sollen zwei EU-Richtlinien umgesetzt werden: Einmal beschäftigen wir uns mit der Umsetzung von sinnvollen Ergänzungen der Daueraufenthaltsrichtlinie. Bislang regelt die Daueraufenthaltsrichtlinie den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen, die sich mehr als fünf Jahre rechtmäßig in einem europäischen Mitgliedstaat aufhalten. Nunmehr soll ihr Anwendungsbereich auf Personen ausgeweitet werden, die internationalen Schutz genießen, also auf Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte. Auch sie sollen nun nach fünf Jahren legalem Aufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat ein europäisches Daueraufenthaltsrecht erhalten. Das ist gut und begrüßenswert. Der zweite Aspekt betrifft eine Rahmenrichtlinie für ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das Wie in vielen wichtigen Verfahrensdetails behandelt. Mit der Richtlinie wird ein kombinierter Aufenthaltstitel zum Zweck der Erwerbstätigkeit, „single permit“, und eine verfahrensrechtliche Bündelung der Entscheidungen zu Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, „one stop government“, vorgelegt. Betroffene sollen zukünftig also nur einen Ansprechpartner für Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis haben. Hier gilt unser besonderes Augenmerk der Frage der Gleichbehandlung, insbesondere im Renten- und Sozialrecht. Mir ist besonders daran gelegen, dass wir Klarheit schaffen bei den Leistungen, die wir nicht zu den Sozialleistungen im Sinne des neuen § 2 Aufenthaltsgesetz zählen. Denn in § 2 definieren wir, der Bezug welcher öffentlichen Leistungen der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegensteht. Hier sollten nach unserer Ansicht keine öffentlichen Bezüge enthalten sein, die nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes im engeren Sinne dienen. Ansonsten stünden sie der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegen. Daher begrüße ich die Klarstellung im Gesetzentwurf, dass die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket ausgenommen sind. Es ist vernünftig, dass bestimmte Leistungen kein Hindernis beim Aufenthaltserwerb darstellen. Dazu zählen beispielsweise das Kindergeld, der Kinderzuschlag, das Erziehungs- und Elterngeld sowie Leistungen nach der Ausbildungsförderung. Auch der Bezug von Wohngeld darf dem Erwerb eines Aufenthaltstitels nicht im Wege stehen. Zu Recht weisen schon jetzt die Diakonie, die Caritas und der Paritätische Wohlfahrtsverband in ihren Stellungnahmen für die anstehende Anhörung darauf hin, Wohngeld mit in den neuen § 2 Aufenthaltsgesetz aufzunehmen. Denn das Wohngeldgesetz dient nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes. Vielmehr definiert § 1 des Wohngeldgesetzes den Zweck wie folgt: „Das Wohngeld dient der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens.“ Es wendet sich damit an einkommensschwache Familien, ohne dass ein Bezug von Sozialleistungen vorliegen muss. Aus der Praxis wissen wir, dass gerade der Kinderzuschlag bei geringem Familieneinkommen häufig mit Wohngeldleistungen kombiniert wird. Daher werden wir, neben anderen Aspekten, der Liste des neuen § 2 Aufenthaltsgesetz besondere Aufmerksamkeit bei der Anhörung der Sachverständigen schenken. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die laufende Wahlperiode mit der christlich-liberalen Koalition sind vier gute Jahre für die Ausländer- und Integrationspolitik. Wir verfolgen bei der Ausländerpolitik das Prinzip Fördern und Fordern. Daran haben wir bereits die Änderungen der letzten Jahre gemessen: Wir haben dafür gesorgt, dass im Rahmen des sogenannten Richtlinienumsetzungsgesetzes das Kindeswohl einen zentralen Platz im Ausländerrecht erhält. Die Koalition aus Union und FDP hat eine neue Integrationspolitik auf den Weg gebracht: Wir erschließen die Chancen der Zuwanderung für unser Land besser und stärken den Zusammenhalt unserer durch Zuwanderer bereicherten Gesellschaft. Fördern und Fordern gehört zusammen. Wir haben die Residenzpflicht für Geduldete und Asylbewerber gelockert, um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung oder Ausbildung zu erleichtern. Damit steigern wir die Chancen von jungen Migranten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und sich in unserer Gesellschaft weiterzuentwickeln. Die christlich-liberale Koalition eröffnet so Perspektiven für Menschen, die in unser Land gekommen sind. Multikultiromantik oder Desintegration durch Wegschauen helfen uns nicht weiter. Die Koalition aus FDP und CDU/CSU geht dagegen ohne Scheuklappen bestehende Defizite der Integrationspolitik an. Es gilt, die Möglichkeiten der Zuwanderung für unser Land besser zu nutzen. Mit unseren bisherigen Gesetzesinitiativen wurden in ausgewogener Weise Maßnahmen zur Förderung der Integration und zur humanitären Besserstellung von Ausländern, die in Deutschland Hilfe und Schutz suchen, ergriffen. Wir haben erstmals für minderjährige und heranwachsende geduldete Ausländer ein vom Aufenthaltsrecht der Eltern unabhängiges Bleiberecht in einem Bundesgesetz geschaffen. Die rot-grüne Koalition hatte das nicht zustande gebracht. Auch in anderen Bereichen der Zuwanderungssteuerung haben wir längst viel mehr geleistet, als die SPD in den elf Jahren ihrer letzten Regierungsbeteiligung: Wir helfen Frauen in Not. Zwangsheirat wird jetzt explizit als Straftat benannt. Wir haben auch den Opfern von Zwangsverheiratungen eine Perspektive mit einem eigenständigen Wiederkehr- bzw. Rückkehrrecht gegeben. Jetzt erhalten sie eine Chance, sich zu befreien. Dem dient auch die Verlängerung der Antragsfrist für die Aufhebung der Ehe. Die Ausländerbehörden haben wir verpflichtet, vor Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis festzustellen, ob einer Pflicht zur ordnungsgemäßen Integrationskursteilnahme nachgekommen wurde. Damit können die Integrationskurse besser fokussiert und aktive Integrationspolitik gestaltet werden. Das erhöht die Chancen für Menschen, die nach Deutschland kommen, in Deutschland auch wirklich anzukommen und sich eine Existenz aufzubauen. Der Gesetzentwurf, den wir heute debattieren, reiht sich nahtlos in die verantwortungsvolle Politik der schwarz-gelben Koalition ein. Durch den Gesetzentwurf zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern werden wichtige Richtlinien in nationales Recht umgesetzt. Aber auch Änderungen außerhalb der Richtlinien-umsetzung werden getroffen. Angesichts unseres Konzepts der Fachkräftezuwanderung und entsprechend unserem liberalen Selbstverständnis begrüßen wir insbesondere die Änderung, wonach die nachziehenden Familienangehörigen einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang erhalten. Es ist wichtig für jeden Einzelnen, dass er oder sie die Möglichkeit hat, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen und nicht künstlich vom Arbeitsmarkt ferngehalten zu werden. Daher stehen wir Liberale nach wie vor zu unserer Forderung, dass Asylbewerber so schnell als möglich arbeiten können sollen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass in § 28 Aufenthaltsgesetz die Sprachanforderungen für die Erlangung der Niederlassungserlaubnis angehoben werden. Bisher reicht es für einen ausländischen Ehegatten von Deutschen, wenn er sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. In Zukunft muss er über ausreichend Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen. Besonders diese Regelung wird sehr heftig von Kirchen und NGOs kritisiert: Sie sei diskriminierend. Das Sprachniveau müsse eher abgesenkt als angehoben werden. Durch ein Daueraufenthaltsrecht würde die Integration gefördert. Die Opposition wird sicherlich diese Bedenken aufgreifen und Alarm schlagen. Ich meine, dass Abrüstung bei der Aufregung um diese Neuregelung geboten ist. Für die FDP ist die Kenntnis der deutschen Sprache zentrales Element der Integration. Die Opposition tut immer so, als wäre es vollkommen irrelevant, ob jemand Deutsch kann und damit, wenn er oder sie hier lebt, ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Wir sehen das anders: Es ist gerade Schutzpflicht des Staates, dass jedes Individuum in die Lage versetzt wird, ein eigenständiges Leben zu führen. Sprachkenntnisse sind dafür unerlässlich. Die Abhängigkeit vom Ehegatten kann und darf nicht das Ziel von Integrationspolitik sein. Problematisch könnte der Aspekt sein, dass im Endeffekt Deutsche im Verhältnis zu Deutschen diskriminiert werden: Wenn ein Deutscher von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat, fällt sein Ehegatte nicht mehr unter die Regelung. Wenn ein Deutscher immer in Deutschland war, schon. Das ist schwer erklärbar. Aber lassen Sie uns ehrlich sein: Inländerdiskriminierung ist in einem von Europarecht geprägten Alltag normal. Es ist eine politische Abwägung, wie man damit umgeht. Das Thema wird auch sicherlich noch einmal in der Anhörung thematisiert werden. Durch den Gesetzentwurf wird der Kindernachzug erleichtert. Bisher war der Kindernachzug zu nur einem Elternteil ausschließlich bei alleinigem Sorgerecht möglich. Durch die Änderung wird der Nachzug auch ermöglicht, wenn die Eltern ein gemeinsames Sorgerecht haben in den Fällen, in denen der andere Elternteil zustimmt. Das ist eine wesentliche Verbesserung. Ausländerrecht ist eine Materie, die immer in enger Abstimmung zwischen Bund und Ländern geregelt werden muss. Deshalb möchte ich noch kurz auf die Vorschläge der Länder eingehen: Zunächst ein Hinweis an die rot-rot-grüne Empörungs-Community: Die Bundesländer haben nicht den Vorschlag gemacht, § 28 Aufenthaltsgesetz so zu belassen, wie er war. Auch bei den rot-grünen Ländern wird also die Notwendigkeit der Sprachkenntnisse für die Integration gesehen. Den Änderungsvorschlag in § 18 c Aufenthaltsgesetz halten wir für sinnvoll und erforderlich. Die schwarz-gelbe Koalition hat die Fachkräftezuwanderung erleichtert: Mittlerweile kann jemand für sechs Monate nach Deutschland kommen ohne konkretes Arbeitsplatzangebot, um eine Stelle zu suchen. Es wäre widersinnig, wenn beispielsweise ein ausländischer Forscher, der in Deutschland gearbeitet hat, erst ausreisen müsste, um dann wieder ein sechsmonatiges Visum zur Arbeitsplatzsuche zu erlangen. So verprellt man die klugen Köpfe – wir aber wollen sie in Deutschland halten. Der zweite Punkt, der aus meiner Sicht näher betrachtet werden muss, ist die Änderung in § 4 der Integrationskursverordnung: Der Bundesrat will, dass durch die Anhebung auf B 1 den Ausländerbehörden ermöglicht wird, Ausländer auch dann wegen besonderer Integrationsbedürftigkeit zur Teilnahme an einem Integrationskurz zu verpflichten, wenn zwar A 1, aber nicht B 1 erreicht ist. Aus Sicht des Bundesrates könnten die Bildungschancen von Kindern aus Migrantenfamilien so verbessert werden. Diesen Vorschlag sollten wir näher prüfen. Auch können wir nicht umhin, zu sehen, dass sich der Bundesrat auf einen Vorschlag zum Bleiberecht geeinigt hat. Wir Liberale begrüßen dies grundsätzlich. So können endlich Gespräche auf einer Basis geführt werden. Bisher wurde der Schwarze Peter in dieser Frage oft hin und her geschoben. In den Einzelheiten müsste man noch verhandeln; daher bin ich nicht sicher, ob es in dieser Wahlperiode noch gelingen kann. Aber die Notwendigkeit für ein stichtagsunabhängiges Bleiberecht sehen wir. Der Gesetzentwurf bringt Verbesserungen für die Betroffenen. Eventuell kann er noch weiter verbessert werden; wir werden daher auch die Sachverständigenanhörung sorgfältig auswerten. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP verbessert tatkräftig die Integration ausländischer Menschen in Deutschland und eröffnet ihnen Perspektiven. Wir fördern und fordern! So kommt Deutschland – und alle, die hier leben wollen – voran. Der Schlüssel für gesellschaftlichen Zusammenhalt ist erfolgreiche Integration. Wir stellen die Weichen dafür! Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung will mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Änderungen an der sogenannten Daueraufenthaltsrichtlinie der EU umsetzen – Zeit wird es; denn die Frist läuft in einem Monat ab. Wie in den einschlägigen EU-Richtlinien werden künftig Asylberechtigte, Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention und subsidiär Schutzberechtigte unter dem Begriff „international Schutzberechtigte“ zusammengefasst. Diese international Schutzberechtigten sollen entsprechend der geänderten Daueraufenthaltsricht-linie künftig nicht mehr von der Möglichkeit ausgeschlossen werden, nach fünf Jahren Aufenthalt den Status einer „Erlaubnis Daueraufenthalt-EU“ erwerben zu können. Sperrig ist nicht nur der Titel, sperrig sind auch die weiteren Voraussetzungen, die hierfür erfüllt sein müssen, unter anderem in Bezug auf die Lebensunterhaltssicherung. Immerhin, Flüchtlinge werden hierbei nicht weiter diskriminiert, und das ist grundsätzlich zu begrüßen. Dieser Aufenthaltstitel ermöglicht es prinzipiell, in ein anderes EU-Land umzuziehen, wiederum nur unter weiteren Bedingungen. Diese Möglichkeit ist zu begrüßen. Doch besser wäre es natürlich, die Betroffenen könnten direkt nach einer Anerkennung unter einfachen Bedingungen in ein EU-Land ihrer Wahl ziehen; aber die grundlegenden Mängel des EU-Asylsystems, auch nach Beendigung der sogenannten zweiten Phase, sollen hier nicht weiter ausgeführt werden. Völlig unverständlich ist, weshalb die Bundesregierung die ebenfalls bis Ende des Jahres umzusetzenden Änderungen der EU-Qualifikationsrichtlinie nicht ebenfalls in diesem Gesetzentwurf vornimmt, sondern dazu einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Es wäre für die Behandlung hier im Plenum und im Ausschuss weitaus einfacher gewesen, die Umsetzung beider Richtlinien in einem Gesetz vorzunehmen. Der Gesetzentwurf nimmt daneben noch Änderungen vor, die nichts mit der Richtlinienumsetzung zu tun haben. Einzelne Änderungen sind zu begrüßen, etwa beim unbeschränkten Arbeitsmarktzugang für nachgezogene Familienangehörige und Erleichterungen beim Nachzug von Kindern, für die eine gemeinsame Sorge mit dem im Herkunftsland verbleibenden Elternteil besteht. Gleichzeitig wird die Gelegenheit einer EU-Richtlinienumsetzung aber wieder einmal genutzt, um überflüssige und integrationsfeindliche Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz vorzunehmen. Ich will hier drei Punkte besonders herausgreifen. Erstens. Derzeit ist Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, in manchen Fällen auch einer Aufenthaltserlaubnis, dass keine öffentlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Anspruch genommen werden. Das Aufenthaltsgesetz sieht wiederum Ausnahmen vor – unter anderem Kindergeld, Elterngeld, BAföG –, die nun auf die Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket ausgeweitet werden sollen. Notwendig ist dagegen unserer Ansicht nach, auf dieses soziale Selektionskriterium endlich ganz zu verzichten. Zahlreiche Menschen, die mit einer Kettenduldung viele Jahre in Deutschland leben, konnten wegen dieser Ausschlussklausel keine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Das Erfordernis der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung verhindert in vielen Fällen den Nachzug von Ehegatten und anderen Familienmitgliedern. Der zweite Punkt betrifft eine geplante Verschlechterung beim Ehegattennachzug zu Deutschen. So sollen die nachziehenden Ehegatten erst dann eine Niederlassungserlaubnis erhalten, wenn sie über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen. Bislang waren einfache Sprachkenntnisse ausreichend. Schon mit der letzten Änderung des Aufenthaltsgesetzes an dieser Stelle wurde die Verpflichtung geschaffen, einen Integrationskurs erfolgreich abzuschließen; andernfalls wird die Aufenthaltserlaubnis nur noch für jeweils ein Jahr erteilt. Die nun geplante Änderung ist in dieser Hinsicht also nicht nur entbehrlich, sie setzt die Verletzung des grundgesetzlich geschützten Rechts auf Familienleben in verschärfter Form fort. Wir fordern, die unsäglichen Hürden beim Familiennachzug endlich komplett wieder abzuschaffen. Der dritte Punkt betrifft die neuen Befugnisse für die Grenzbehörden, eine Einreise zu verweigern, wenn ein Aufenthaltstitel durch Drohung oder Bestechung erwirkt wurde oder durch unrichtige Angaben im Visumverfahren erschlichen wurde. Es ist nicht ersichtlich, wie die Grenzbehörden die entsprechend komplexen Sachverhalte, außer in ganz offensichtlichen Fallkonstellationen, angemessen prüfen können sollen. Außerdem ist nach der vorgesehenen Fassung theoretisch auch noch nach jahrelangem Aufenthalt eine Abschiebung möglich, ohne dass Rechtsschutz erlangt werden kann. Die Konsequenzen für die Praxis sind gar nicht abschätzbar. Eine Notwendigkeit für diese neue Befugnis für die Grenzbehörden ist auch aus der Gesetzesbegründung nicht ersichtlich. An diesen Punkten sehen wir also noch erheblichen Änderungsbedarf im weiteren Gesetzgebungsverfahren. Auch die Anhörung des Innenausschusses am kommenden Montag wird sicherlich weiteren Änderungsbedarf aufzeigen. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung hat uns einen Gesetzentwurf zur Umsetzung zweier EU-Richtlinien vorgelegt. Mit der einen Richtlinie sollen subsidiär geschützte Personen das Recht auf ein EU-Daueraufenthaltsrecht erhalten, von dem sie bislang ausgeschlossen waren. Die andere Richtlinie, die weitestgehend schon in das deutsche Recht umgesetzt wurde, betrifft im Wesentlichen die verfahrensrechtliche Bündelung der Entscheidungen zu Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Der Gesetzentwurf enthält eine Reihe von Verbesserungen für subsidiär geschützte Personen und andere Drittstaatsangehörige. Diese wurden lange durch die Bundesregierung bekämpft. Die meisten dieser Verbesserungen sind nunmehr europarechtlich zwingend. Die Bundesregierung hat aber auch zahlreiche Verschlechterungen vorgenommen, die nichts mit den Richtlinien zu tun haben, bzw. unterlässt es, sinnvolle Änderungsvorschläge des Bundesrates in den Gesetzentwurf aufzunehmen. Diese neuen Restriktionen zeigen wieder einmal, wie schwer sich die Bundesregierung damit tut, die Rechte von ausländischen Bürgerinnen und Bürgern zu erweitern. Auf einige dieser Punkte möchte ich mich heute konzentrieren. Den Vorschlag der Regierung, den Erwerb der Niederlassungserlaubnis für Ehegatten von Deutschen zu erschweren, lehnen wir ab. Bisher müssen diese Ehegatten sich „auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen“ können. Dieses Erfordernis soll nun auf „ausreichende Deutschkenntnisse“ angehoben werden. Natürlich ist es sinnvoll, wenn jemand gut deutsch spricht. Aber die Begründung der Regierung trägt nicht. Sie meint, mit der Änderung würde lediglich eine Angleichung an andere Vorschriften im Aufenthaltsgesetz erfolgen. Aber ich frage Sie: eine Angleichung woran? Eine allgemeine Praxis existiert nicht. So wird beispielsweise auch die Niederlassungserlaubnis für Hochqualifizierte, Forscher und Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz ohne ausreichende Deutschkenntnisse erteilt. Darüber hinaus würde durch diese Regelung die sogenannte Inländerdiskriminierung gegenüber Unionsbürgern noch vertieft; denn von deren Ehegatten werden keinerlei Deutschkenntnisse verlangt. Ohnehin wäre die Neuregelung wegen des assoziationsrechtlichen Verschlechterungsverbots nicht auf türkische Ehegatten anwendbar. Die Neuregelung zum Kindernachzug hat Licht und Schatten. Zwar wird der Nachzug für Kinder von Elternteilen, die das Sorgerecht gemeinsam ausüben, grundsätzlich erleichtert, auch wenn die Bundesregierung es hier bei einer „Sollvorschrift“ belässt. Im Gegenzug verschärft der Gesetzentwurf aber die Rechtslage ausgerechnet für anerkannte Flüchtlinge. Diese müssen nunmehr entweder das alleinige Sorgerecht für ihre nachziehenden Kinder oder die Zustimmung des anderen Elternteils zum Nachzug nachweisen. Bisher werden nur der Besitz der Aufenthaltserlaubnis sowie ein Abstammungsnachweis verlangt. Es ist für viele Flüchtlinge bereits heute schwierig, die geforderten Abstammungsdokumente vorzulegen. Eine Erweiterung auf Unterlagen zur Personensorge bzw. das Einverständnis des anderen Elternteils würde in der Praxis zu unüberwindbaren Hürden führen. Diese Verschlechterung erscheint auch im Hinblick auf Art. 74 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen problematisch. Danach haben alle Signatarstaaten die Familienzusammenführung von kriegsbedingt getrennten Familien zu erleichtern. Wir schlagen den entgegengesetzten Weg vor. In unserem Antrag „Kindernachzugsrecht am Kindeswohl ausrichten“, Bundestagsdrucksache 17/12395, schlagen wir Verbesserungen für Kinder und ihre Familien vor. Der Bundesrat hat eine Reihe von guten Empfehlungen beschlossen, die wir unterstützen, die aber von der Bunderegierung abgelehnt werden. So will der Bundesrat die Praxis eindämmen, dass die Fami-lienzusammenführung von den Behörden mithilfe übersteigerter Anforderungen bei der Lebensunterhaltssicherung verwehrt wird. Daher sollte auch das Wohngeld in den Katalog der unschädlichen Leistungen für den Erwerb oder die Verlängerung eines Aufenthaltstitels aufgenommen werden. Denn das Wohngeld dient nicht der Lebensunterhaltssicherung, sondern dem angemessenen und familiengerechten Wohnen. Insoweit hat auch der Bundesrat eine Ergänzung empfohlen. Aufgegriffen hat der Bundesrat auch eine notwendige Verbesserung für türkische Staatsangehörige. Nach der vorgeschlagenen Regelung soll die deklaratorische Aufenthaltserlaubnis für assoziationsrechtsberechtigte Familienangehörige mindestens fünf Jahre gültig sein und den Hinweis auf das Daueraufenthaltsrecht enthalten. Damit setzt der Bundesrat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts um und folgt unserem Gesetzentwurf zur Klarstellung des assoziationsrechtlichen Rechtsstatus „Staatsangehöriger der Türkei“ im Aufenthalts-, Beschäftigungserlaubnis- und Beamtenrecht; Bundestagsdrucksache 17/12193. Diese Punkte werden wir in den Ausschüssen noch eingehend diskutieren müssen. Am Schluss möchte ich doch noch eine gelungene Verbesserung erwähnen. In Zukunft sollen alle ausländischen Familienangehörigen einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang erhalten. Das erleichtert den Zugang zum Arbeitsmarkt und führt zur besseren Übersichtlichkeit des ansonsten undurchsichtigen Rechts. Das begrüßen wir. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zwischen den Fraktionen ist die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/13022 an die Ausschüsse vorgesehen, die in der Tagesordnung stehen. Damit sind Sie einverstanden? – Das ist also so beschlossen. Tagesordnungspunkt 33: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ralph Lenkert, Karin Binder, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ressourcenschutz durch Vorgabe einer Mindestnutzungsdauer für technische Produkte – Drucksache 17/13096 – Die Reden wurden zu Protokoll genommen. Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Wir diskutieren heute einen Antrag der Fraktion Die Linke mit der Überschrift „Ressourcenschutz durch langlebige Produkte mit geregelter Mindestnutzungsdauer“. Dass unsere Ressourcen geschützt und so effizient wie möglich genutzt werden sollen, stellt in diesem Haus niemand infrage. Dass die Linke etwas staatlich „regeln“ will, ist auch nicht neu. Doch worum geht es? Wir alle wissen: Die zunehmende Rohstoffgewinnung bei unzureichenden Umweltstandards kann weitreichende negative Umweltauswirkungen nach sich ziehen und Ökosysteme schädigen. Daraus können soziale und wirtschaftliche Spannungen resultieren. Fragen des Ressourcenschutzes sind deshalb eine Frage der ökologischen und sozialen Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Die gesteigerte Nachfrage nach Rohstoffen wird durch die wachsende Weltbevölkerung verstärkt. Eine sichere und ausreichende Versorgung mit Rohstoffen ist unabdingbare Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg unserer Unternehmen. In zahlreichen Branchen wurden die Produktions- und Verbundprozesse bereits erheblich optimiert, wenngleich es in einigen Branchen weiter Effizienzpotenziale gibt. Wir sind bei den Effizienztechnologien in vielen Bereichen Weltmarktführer. Fragen des Ressourcenschutzes und der Ressourceneffizienz sind daher vor allem eine Frage der Zukunftsfähigkeit des Industriestandorts Deutschlands. Diesen wollen wir erhalten! Die Bundesregierung hat im Jahr 2011 im Rahmen der Rohstoffstrategie das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm (ProgRess) verabschiedet. Die Maßnahmen des Programms sollen eine nachhaltige und effiziente Nutzung von nichtenergetischen Rohstoffen in Deutschland forcieren. Ziel ist es, die Effizienz der Wirtschafts- und Produktionsweisen in Deutschland weiter zu erhöhen und den Verbrauch von Ressourcen weiter zu optimieren. Wir setzen als Regierungskoalition auf marktwirtschaftliche Mechanismen. Diese liegen im Anreiz von technologischen Innovationen, in Ausbildung und Beratung, einer verbesserten Normung oder verstärktem Recycling. Hier setzen wir an! All dies sind Maßnahmen von ProgRess. Fragen des Ressourcenschutzes und der Ressourceneffizienz sind gleichzeitig Fragen, bei denen der gesamte Produktlebenszyklus betrachtet werden muss. Wir wollen, dass Ressourcenpolitik als Bewertungsmaßstab den gesamten Produktlebenszyklus, von der Rohstoffgewinnung über die weitere Verwendung und Nutzung bis hin zu der Verwertung, in den Blick nimmt. Nur dann kann eine Gesamtbewertung des ökologischen und ökonomischen Nutzens eines Produkts vorgenommen werden und können Ökologie und Ökonomie miteinander in Einklang gebracht werden. Ein Beispiel: Die PET-Mehrwegflasche kann im Vergleich zu anderen Flaschen sowohl unter ökonomischen wie auch unter ökologischen Gesichtspunkten eine sinnvolle Lösung sein. Obwohl sie in der Herstellung teurer ist, erweist sie sich über ihre gesamte Lebensdauer, einschließlich der Wiederverwendung und Entsorgung – auch in ökologischer Hinsicht –, als günstigste Alternative. Die Berücksichtigung der Produktlebenszyklen für mehr Ressourceneffizienz und die Betrachtung der gesamten Lebensdauer sind deshalb ein Gebot der Stunde. Was nun in letzter Zeit in den Fokus einiger kritischer Beiträge gerückt ist, ist die sogenannte geplante Obsoleszenz. Danach würden die Lebenszyklen von Produkten oder Teilen von Produkten absichtlich verkürzt, und Geräte und Produkte gingen direkt nach Ablauf der Garantie kaputt. Als Beispiele werden Drucker angeführt, die nach zwei Jahren vermeintlich den Geist aufgeben, obwohl sie noch voll funktionsfähig sind. Auch bei Glühbirnen wurde berichtet, dass deren Lebenszeit durch einen schwächeren Draht auf 1 000 Stunden verkürzt worden sei, um die Nachfrage zu steigern. Reißverschlüsse, Jalousien, Autoteile, es gibt an dieser Stelle mehrere Beispiele. Dass ein solches Vorgehen nicht nur unter Ressourcenschutzgesichtspunkten, sondern auch unter verbraucherschutzpolitischen Gründen zu beanstanden ist, leuchtet ein. Eine kürzere Lebensdauer bedeutet mitunter mehr Ressourceneinsatz. Jedoch liegen – auch der Stiftung Warentest – keine belastbaren Daten über ein solches Vorgehen von Herstellerseite aus vor. Es geht hier also zunächst um mehr Transparenz. Es gibt in Deutschland außerdem gesetzliche Garantiefristen, die von den Unternehmen eingehalten werden müssen. Doch was will die Linke? Sie fordert, den Herstellern gesetzlich vorzugeben, wie lange ein Produkt mindestens funktionieren muss. Die Linke will der Wirtschaft gesetzliche Regelungen über die „Feststellung und Ausweisung einer Mindestnutzungsdauer ihrer Produkte“ auferlegen. Sie will eine umfängliche Liste mit Gebrauchsgütern und deren zugewiesener Mindestnutzungsdauer. Sie möchte technisch nicht begründbare Sollbruchstellen „verbieten“. Abgesehen davon, dass mir schleierhaft ist, wie dies in der Praxis funktionieren soll, ist der Vorschlag der Linken staatlicher Dirigismus! Diese Vorschläge hemmen die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Das wollen wir nicht. Erstens. Wir setzen auf Wettbewerb. Auf der Angebotsseite haben wir bereits die richtigen Instrumente, wenngleich wir diese weiter optimieren müssen. Auf europäischer Ebene ist das die Ökodesign-Richtlinie im Energiebereich. Deren Anwendung sollte auch auf nichtenergetische Rohstoffe ausgeweitet werden. In der Kommission laufen hier bereits Arbeiten, wie man Ressourceneffizienzgesichtspunkte, worunter auch die Langlebigkeit von Produkten fällt, im Ökodesignbereich stärker berücksichtigen könnte. Das ist der richtige Ansatz. Die beste Lösung soll sich durchsetzen. Wie die Unternehmen dahin kommen, bleibt jedoch ihnen überlassen. Zweitens. Die Verbraucherinnen und Verbraucher können auf der Nachfrageseite dazu beitragen, dass solche Fälle minimiert werden. Voraussetzung dafür sind selbstverständlich verlässliche Informationen. Drittens. Im Rahmen der Vorarbeiten zu ProgRess wurde untersucht, wie man etwa das Profil des Blauen Engels im Bereich der Ressourceneffizienz stärken kann. Um dieses Label zu bekommen, müssen sich die Produkte der Hersteller durch besondere Anforderungen – beispielsweise auch im Bereich der Langlebigkeit – auszeichnen. Wer die Anforderungen nicht erfüllt, bekommt das Label nicht. All dies sind Maßnahmen, die wir auch künftig weiter mit Leben füllen werden. Aus den aufgeführten Gründen lehnen wir den Antrag der Linken daher ab. Gerd Bollmann (SPD): Ressourcenschutz, Ressourceneffizienz ist, insbesondere für das rohstoffarme Deutschland, angesichts steigender Rohstoffpreise für unsere Zukunftschancen und die unserer Wirtschaft ein äußerst wichtiges Thema. Selbst die Bundesregierung und die Koalitionsparteien haben die Bedeutung von Ressourcenschutz und effizienz für die deutsche Wirtschaft erkannt. Letztes Jahr wurde vonseiten der Bundesregierung ein Programm – ProgRess – verabschiedet. Leider werden, wie in fast allen Bereichen, nur Ziele verkündet, aber keine Maßnahmen ergriffen, wie diese Ziele erreicht werden können. Schlimmer noch: Viele konkrete Vorschläge zur Verbesserung des Ressourcenschutzes werden von CDU/CSU, FDP und Bundesumwelt- bzw. Bundeswirtschaftsministerium abgelehnt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat am 26. Februar dieses Jahres ein umfangreiches Positionspapier mit vielen konkreten Forderungen für eine nachhaltige Rohstoffsicherung vorgelegt. Gerade im Bereich der Abfallwirtschaft sind viele Maßnahmen möglich, um den Ressourcenschutz und die Ressourceneffizienz zu verbessern. Nicht umsonst steht seit über 20 Jahren die Abfallvermeidung sowohl im europäischen wie im deutschen Abfallrecht an erster Stelle der Hierarchie. Wie die Linken in ihrem heute vorliegenden Antrag zu Recht bemerken, ist im Bereich Recycling viel erreicht worden, bei der Abfallvermeidung jedoch wenig. Dies wird von vielen kritisiert, zum Beispiel von Umweltverbänden, Parteien und beteiligten Wirtschaftskreisen. Vorschläge, wie die Abfallvermeidung im Einzelnen verbessert werden kann, gibt es eine ganze Reihe. Sobald es jedoch konkret wird, lehnt die schwarz-gelbe Koalition alles ab. Die Fraktion Die Linke hat den Antrag „Ressourcenschutz durch Vorgabe einer Mindestnutzungsdauer für technische Produkte“ vorgelegt, mit dem sie ein Problem aufgreift, das seit längerem die Gemüter bewegt und öffentlich diskutiert wird: geplante Obsolenz. Gemeint ist damit, dass vonseiten der Hersteller Geräte bewusst so produziert werden, dass sie nach bestimmter Zeit defekt sind. Häufig ist es dann auch so, dass sich die Reparatur aus Kostengründen nicht lohnt oder nicht mehr möglich ist. Ein weiteres Ärgernis in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass Batterien, Akkumulatoren oder Ersatzteile so fest verbaut werden, dass ein einfacher Austausch für die Verbraucher nicht möglich ist. Mir ist bewusst, dass ein solches Vorgehen von Produzenten nur schwer nachweisbar ist. Ebenso ist mir bewusst, dass bei Billigprodukten keine hohe Qualität oder Langlebigkeit zu erwarten ist. Trotzdem, es gibt dieses Problem; viele Bürger kennen es aus eigener Erfahrung. Computerdrucker, bei denen der Neukauf billiger ist als der Austausch von Druckerpatronen, Waschmaschinen, bei denen minderwertige Heizstäbe eingebaut werden, elektrische Zahnbürsten, bei denen die Batterien nicht austauschbar sind. Dies sind nur einige Beispiele. Wie bereits erwähnt, ist dem einzelnen Hersteller schwer nachzuweisen, dass bewusst bei der Produktion Sollbruchstellen eingebaut werden. Diesen äußerst schwierigen wissenschaftlichen Nachweis nimmt die Bundesregierung zum Anlass, das Phänomen geplanter Obsolenz zu leugnen und für die Verbesserung der Langlebigkeit und Wiederverwendung von Produkten nichts zu tun. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, durch gesetzgeberische Maßnahmen die Langlebigkeit von Produkten und damit auch den Ressourcenschutz, die Abfallvermeidung und den Verbraucherschutz zu verbessern. In dem heute vorgelegten Antrag der Linken werden einige Punkte aufgezählt, denen wir Sozialdemokraten zustimmen können. Den leichten Austausch von Verschleiß- oder Verbrauchsteilen sowie die leichte Reparatur und Wartung möglichst durch die Nutzerin bzw. den Nutzer sicherzustellen, gehört auch zu unseren Forderungen. Darüber hinaus fordern wir seit längerem, das Gewährleistungsrecht zu verbessern. Das geltende Gewährleistungsrecht bietet derzeit keinen Anreiz, langlebige Produkte herzustellen, weil bereits nach Ablauf der halbjährigen Beweislastumkehr durch den Verbraucher in der Regel kein Mangel mehr nachgewiesen werden kann. Daher sollte – gegebenenfalls auf EU-Ebene – eine Reform der Beweislastumkehr und eine Verlängerung auf die gesamte Gewährleistungsfrist von zwei Jahren geprüft werden. Darüber hinaus sollte die Gewährleistung zumindest für bestimmte Produktgruppen wie Waschmaschinen, Kühlschränke und Fernseher verlängert werden. Maßnahmen zur Verbesserung der Verfügbarkeit von Ersatzteilen sollten geprüft werden. Für den Fall, dass Hersteller selbst keine Ersatzteile mehr anbieten, sollte im Hinblick auf die Marktreife von sogenannten 3-D-Druckern auch über eine Pflicht zur Veröffentlichung von Bauplänen und Konstruktionszeichnungen – gegebenenfalls gegen ein Entgelt – nachgedacht werden, um die Nutzungsdauer von Geräten zu erhöhen. Ebenso sollten Hersteller und Handel verpflichtet werden, durch Produktangaben und Kennzeichnungen den Verbraucherinnen und Verbrauchern einen ressourceneffizienten Umgang zu ermöglichen. Alle diese von uns geforderten Maßnahmen sind umzusetzen. Die Koalitionsfraktionen, obwohl sie sich angeblich so für den Ressourcenschutz einsetzen, lehnen jegliche Maßnahmen ab. Ich fordere Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, auf: Nehmen Sie die von verschiedensten Seiten vorgestellten Lösungsmöglichkeiten zum Anlass, konkret etwas für die Langlebigkeit von Produkten zu unternehmen! Wir sind gerne zu Gesprächen darüber bereit. Allerdings bin ich bei dem Antrag der Fraktion der Linken in einem Punkt sehr skeptisch. Ich glaube, dass eine gesetzlich vorgeschriebene Mindestnutzugsdauer von Geräten weder sinnvoll noch umsetzbar ist. Die Erstellung einer Liste mit einer einzelnen Produkten konkret zugeordneten Mindestnutzungsdauer ist nicht möglich. Ich bin der Überzeugung, dass eine Verbesserung des Gewährleistungsrechtes der bessere Weg ist. Horst Meierhofer (FDP): Dass Elektronikgeräte nicht uneingeschränkt haltbar sein können, liegt in der Natur der Sache. Dass sie aber schneller kaputtgehen, als es die Technik erfordert, freut niemanden. Jeder kennt das Problem: Man kauft sich ein neues Handy, ein Tablet, eine elektrische Zahnbürste, und just nachdem die Garantie der Hersteller abgelaufen ist, verringert sich die Laufzeit des Akkus drastisch und macht einen Austausch erforderlich. Dieser ist meist nicht nur sehr kostenintensiv, sondern aufgrund der Art des Einbaus oft schlicht nicht möglich. Oder Bauteile der technischen Geräte zeigen verfrühte Ermüdungserscheinungen, die sich nicht einfach beheben lassen und einen Neukauf zur wirtschaftlicheren Alternative machen. Einige Unternehmen verweisen darauf, dass sie Produkte mit kürzeren Lebenszyklen kostensparender herstellen können und damit weniger Rohstoffe verbrauchen. Dass es aber auch Hersteller gibt, die einen problemlosen Austausch der verschleißträchtigsten Bestandteile ermöglichen, zeigt, dass geringere Nutzungszeiten durch festeingebaute Akkumulatoren und Sollbruchstellen eine bewusste wirtschaftliche Entscheidung sind. In ihrem Antrag versucht die Linke eine Antwort auf dieses Problem zu geben – leider, wie ich meine, nicht durchdacht und wenig zielführend. Sie fordern gesetzliche Vorgaben über die Mindestnutzungsdauer von Produkten. Produkte sollen möglichst langlebig gestaltet werden, um eine nachhaltige Nutzung zu gewährleisten und damit dem Ressourcenverbrauch entgegenzuwirken. Dabei übersehen Sie aber einige wesentliche Punkte: Sehr langlebige Produkte sind in der Produktion meist teurer und benötigen einen größeren Rohstoffeinsatz. Das heißt, je langlebiger die Produkte, desto höher wird auch ihr Preis sein. Vor allem Elektrogeräte für den Haushalt, Unterhaltungselektronik oder auch Autos sind schon heute nicht für jedermann bezahlbar. Verteuert sich ihr Preis, verkleinert sich der Kreis der Käufer. Ihr Vorschlag ist in dieser Hinsicht durch und durch unsozial. Nimmt man beispielsweise Mobiltelefone, zeigt sich, dass nicht jede Generation das gleiche Bedürfnis hat: Für die ältere Generation können eine einfache Bedienung sowie eine lange Haltbarkeit ausschlaggebend sein. Die Jüngeren folgen lieber dem aktuellen Trend: Ihr Handy soll den neuesten technischen Anforderungen entsprechen und ein modernes Design haben. Für sie wäre ein Handy wie vor zehn Jahren, von der Größe eines Haustelefons und mit einer Antenne, nicht interessant. Ein sehr langer Lebenszyklus von Produkten führt außerdem zu einer gewissen Marktsättigung. Die Konsumenten fragen das Produkt weniger nach, da sie zu Hause noch ein altes stehen haben, das läuft und läuft. Neue und effizientere Herstellungs- und Funktionsweisen bleiben auf der Strecke. Vor allem im Bereich Energieeffizienz wäre das eine Fehlentwicklung. Ein 15 Jahre alter Kühlschrank mit Eisfach verbraucht etwa 600 kWh jährlich, ein moderner Kühlschrank der Energieeffizienzklasse A+++ dagegen circa 157 kWh. Das ist ein beträchtlicher Unterschied, der die Anschaffung eines neuen Kombigerätes zu einer kostensparenden Alternative werden lässt und ökologisch sogar wünschenswert sein könnte. In einem Punkt teile ich die Meinung der Linken: Wenn es um die leichtere Entnehmbarkeit von Akkumulatoren und Batterien geht, sehe auch ich Handlungsbedarf. Aus ökologischer Sicht sprechen wir uns dezidiert für eine Entnehmbarkeit von Akkumulatoren und Batterien nicht nur bei der Demontage von Elektrogeräten, sondern auch während ihrer Nutzungsphase aus. Eine solche Regelung ist allerdings nur international, mindestens aber auf europäischer Ebene sinnvoll, da sie Anforderungen an das Produktdesign, also das Ökodesign, stellt. Hierfür steht seit 2005 die EG-Ökodesign-Richtlinie zur Verfügung. Die Ökodesign-Richtlinie schafft die Grundlagen für EU-weit verbindliche Durchführungsmaßnahmen zur Gestaltung energieverbrauchsrelevanter Produkte. Da es bei Elektrogeräten regelmäßig um Geräte geht, die auf dem gesamten europäischen Binnenmarkt gekauft und verkauft werden, ist eine europaweit einheitliche Regelung wichtig. Damit können wir auch den Druck auf die Gerätehersteller erhöhen, bei denen es sich oftmals um international agierende Großkonzerne handelt. Außerdem wäre hier ein nationaler Alleingang nur die Ultima Ratio. Dass der Status quo allerdings nicht zufriedenstellend ist, muss aber auch gesagt werden. Schon im letzten Sommer haben wir zu dieser Frage Kontakt mit dem Umweltbundesamt aufgenommen. Im Rahmen der Konsultationen zum neuen Arbeitsprogramm der Ökodesign-Richtlinie hat sich das UBA dafür ausgesprochen, dass die Entnehmbarkeit von Akkus als horizontale Durchführungsmaßnahme in der Ökodesign-Richtlinie verankert wird. Wir werden uns in den entsprechenden Verhandlungen dafür einsetzen, dass ein solcher Passus in die Richtlinie aufgenommen wird. Nur wenn dies keinen Erfolg verspricht, sollten wir eine nationale Einzelfallregelung im Rahmen des Elektrogerätegesetzes prüfen. Ralph Lenkert (DIE LINKE): Wer kennt das Folgende nicht: Zwei Jahre, drei Monate, zwölf Tage funktionierte das neue Laptop einwandfrei, dann lud er sich nicht mehr auf. Beim Händler wird einem dann mitgeteilt: Erstens ist die Gewährleistung abgelaufen, zweitens haben Sie bestimmt mal richtig stark am Kabel gezogen, sind darüber gestolpert, dadurch ist die Stromanschlussbuchse kaputt – das wäre sowieso keine Gewährleistung –, und drittens ist die Buchse fest auf dem Mainboard aufmontiert, das müssten wir für Sie komplett wechseln lassen, aber ob es das noch gibt? Außerdem wäre das sehr teuer; das lohnt sich nicht. Kaufen Sie sich lieber einen neuen Rechner. Auf Nachfrage erfährt man dann: Wir können das Gerät nicht reparieren; das senden wir an den Hersteller. Das kostet mindestens 200 Euro und dauert zwischen vier und sechs Wochen, aber manchmal auch länger. Da steht man dann als Kunde da und ist bedient. Mir fiel dann mein damaliger Kollege ein, Elektromechaniker und Hobbybastler. Nachdem er einen passenden Spezialschraubenzieher aufgetrieben hatte, öffnete er das Laptop, inspizierte das Bord und murmelte: Kaltlötstelle, eindeutiger Herstellerfehler, aber das habe ich gleich. – Fünf Minuten später war die Lötstelle repariert, und der Rechner funktionierte weitere vier Jahre. Solche und ähnliche Erfahrungen hat wohl jeder schon gemacht. Obsoleszenz nennt man inzwischen die Verkürzung der Nutzbarkeit von Produkten, von eigentlich langlebigen Gebrauchsgütern. Die Studie zur geplanten Obsoleszenz, die die Grünen in Auftrag gaben, belegt eindrucksvoll, wie stark Firmen solche Strategien bereits nutzen. Von 2002 bis 2009 arbeitete ich als Technologe in der Entwicklung von optischen Baugruppen für Fernseher, Beamer, Handys und andere elektronische Geräte. Die Produktzyklen verkürzten sich in diesem Zeitraum von vier Jahren auf zwei Jahre und weniger. Gleichzeitig forderten unsere Kunden, namhafte Elektronikkonzerne, je Quartal Preissenkungen von 10 und mehr Prozent. Erhielten wir im Jahr 2002 für ein Beamerobjektiv 250 Euro, so waren es bei vergleichbarer Leistungsfähigkeit des Objektivs im Jahr 2007 noch 50 Dollar. Wer diese Reduzierung nicht schafft, verliert die Aufträge. Entschuldigung, aber jeder Lieferant, der diesem Druck ausgesetzt ist, ergreift jede Gelegenheit, Kosten zu senken. Sparen bei Personal reichte da längst nicht mehr. Weniger und billigeres Material wird eingesetzt, Erhitzen bei Prozessen wie Löten erfolgt so knapp wie möglich; jedes Grad zu viel kostet unnötig Strom und damit Geld. Reparierbarkeit kostet Geld; montiert man alles auf eine Platine, spart dies ein paar Cent. Verklebt man das Gehäuse, spart man Schrauben und Dichtungen – und wieder ein paar Cent; will man das Gehäuse öffnen – Pech gehabt. Aber es gibt Barrieren für den Sparwahn – Vorschriften und Gesetze, die auch kontrolliert und durchgesetzt werden. Und natürlich Kunden, die sich Qualität leisten können und gezielt haltbare Produkte kaufen, zum Beispiel von Miele oder Vorwerk. Angetrieben wird der Prozess zur Verkürzung von Lebenszyklen durch die kurzfristige Rendite und Umsatzjagd internationaler Konzerne. Wie viele Handys braucht ein Mensch? Eins sollte reichen. Funktionierten die Handys vier Jahre, wäre der deutsche Markt mit etwa 20 Millionen Stück pro Jahr gesättigt. Wie will man dann noch Umsätze und Gewinne steigern? Hält ein Handy nur noch zwei Jahre, steigt deren Anzahl auf dem deutschen Markt auf 40 Millionen pro Jahr – 100 Prozent Steigerungspotenzial. Dass dadurch mehr Umwelt zerstört wird und Verbraucherinnen und Verbraucher unnötig draufzahlen, interessiert die Konzernstrategen nicht. In vielen Branchen verkürzen Konzerne bewusst Stück für Stück die Haltbarkeit der Produkte oder nehmen das, wie von mir beschrieben, mit Blick auf Kostensenkungen billigend in Kauf. Da alle Wettbewerber mitmachen, haben Verbraucherinnen und Verbraucher keine Chance auf Alternativen. Die Linke will diese Profitsteigerung zulasten der Umwelt und der Kundinnen und Kunden verhindern oder wenigstens erschweren. Heute endet mit zwei Jahren die Gewährleistung. Waren die zwei Jahre nicht ganz abgelaufen und der Händler ist stur, dann muss nach geltendem Gesetz der Kunde nachweisen, dass ein Herstellfehler vorliegt. Mein Kollege hätte das beim Computer gekonnt – ich nicht. Und Sie? Verschleiß wegen falscher oder nicht ausreichend haltbarer Konstruktion bekommt man nach geltendem Recht über Gewährleistung nicht ersetzt. Deshalb fordert die Linke gesetzliche Mindestnutzungszeiten für Produkte. Wie ist das beim Handy? Nach unserem Antrag muss es drei Jahre funktionieren. Wenn Tasten nach zwei Jahren nicht mehr reagieren, bekommt die Käuferin oder der Käufer Ersatz, egal ob ein Herstellfehler oder vorzeitiger Verschleiß die Ursache war. Der Hersteller muss beweisen, dass er alles richtig machte, und nur falls er nachweist, dass eine unsachgemäße Behandlung zum Ausfall führte, braucht er sein Gerät nicht zu ersetzen. Das Ermöglichen von Reparaturen, die einfache Ersetzbarkeit von Verschleißteilen wie Batterien will die Linke vorschreiben, damit eine Sauerei wie bei iPods mit eingelöteten Batterien zukünftig bestraft wird und Kunden nicht von der Gnade des Herstellers abhängen. Das Einbringen von Bauteilen, Zählern und technisch nicht begründbaren Sollbruchstellen in Geräte, nur damit diese eher unbrauchbar werden, ist ein Verbrechen an der Umwelt und ein Raubzug im Geldbeutel der Kundinnen und Kunden. Dieses Vorgehen will die Linke verbieten – zum Schutze der Umwelt, der Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch zur Unterstützung der Firmen, die solide und ohne hinterhältige Nutzungszeitverkürzung arbeiten. Machen Sie sich nicht zum Steigbügelhalter der Renditejäger! Die Abfallhierarchie der EU ist aus meiner Sicht die Grundlage für das Recht von EU-Staaten, Mindestnutzungszeiten festzulegen. Unterstützen Sie unseren Antrag oder bringen Sie einen eigenen ein – die Linke wird Sie nicht aufs Urheberrecht verklagen. Die Linke kämpft für die Sache, Sie hoffentlich auch. Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Gekauft, gebraucht, kaputt – vom viel zu kurzen Leben vieler Produkte“ – so lautete der Titel einer Veranstaltung, die wir Grüne Ende März zum Thema „Geplanter Verschleiß“ durchgeführt haben. Klar ist: Geplanter Verschleiß von Produkten verursacht nicht nur Ärger, sondern produziert auch riesige Müllberge. Wir verbrauchen immer mehr Rohstoffe, auch weil Geräte immer schneller kaputtgehen und ersetzt werden müssen. Das ist eine Verschwendung – und belastet unsere Umwelt. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher wollen, dass man defekte Geräte wieder reparieren kann. Wir wollen nicht zur Wegwerfgesellschaft gezwungen werden. Niemand will zum Neukauf gezwungen sein, weil ein Produkt zu schnell kaputtgeht und nicht mehr zu reparieren ist. Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zum Thema „Geplanter Verschleiß“ im März eine Studie vorgestellt. Diese zeigt an vielen plastischen Beispielen, wie schon während des Herstellungsprozesses Schwachstellen in Produkte eingebaut werden, indem zum Beispiel für Einzelteile Material minderer Qualität verwendet wird, die Konstruktion Reparaturen nicht zulässt oder nur zu einem unverhältnismäßig hohen Preis. Die Folge sind schnell verschleißende Produkte und eine völlig unnötige Ressourcenverschwendung. Unsere Studie illustriert, wie überlegt einige Hersteller heute auf frühen Verschleiß ihrer Produkte setzen. Das geht bis hin zu konkreten Managemententscheidungen. Die Autoren nennen auch Handlungsmöglichkeiten, wie Politik und Produzenten Strategien für einen geplanten Verschleiß ausbremsen können. Dies ist auch aus unserer Sicht zwingend erforderlich. Geplanter Verschleiß ist ein Thema an der Schnittstelle zwischen Wirtschaftspolitik, Umweltpolitik und Verbraucherpolitik; bisher ist es bei allen drei Bereichen oft unter den Tisch gefallen. Ziel sind die Langlebigkeit von Produkten, bessere Voraussetzungen für Reparaturen und qualitativ hochwertiges Recycling, wenn etwas endgültig nicht mehr reparierbar ist. Garantiezeiten verpflichtend machen und gesetzliche Gewährleistungsfristen verlängern – diese Maßnahmen zählen selbstverständlich dazu. Wir haben die Verlängerung der Gewährleistungsfristen auch bereits in unserem Antrag „Sammlung und Recycling von Elektronikschrott“ gefordert, der heute unverständlicherweise von der schwarz-gelben Koalition abgelehnt wurde. Möchte diese Koalition Verbraucherinnen und Verbraucher also gar nicht wirksam schützen vor schnell verschleißenden Produkten, die häufig teuer bezahlt wurden? Selbstverständlich muss die Reparaturfähigkeit von Produkten verbessert werden, zum Beispiel, indem Produzenten dazu veranlasst werden, Ersatzteile über längere Zeiträume bereitzuhalten. Einige Hersteller geben Ersatzteile gar nicht heraus, sondern empfehlen den Neukauf. Das können wir nicht hinnehmen. Problematisch ist auch, dass heute immer weniger Geräte überhaupt repariert werden können. Viele Laptops werden alleine durch das Öffnen des Geräts bereits zerstört. Das ist das exakte Gegenteil von Nachhaltigkeit und eine Verhöhnung von Kundinnen und Kunden. Wir müssen auch Anforderungen formulieren, was auf EU-Ebene geschehen muss. Zum Beispiel sollte die EU-Ökodesign-Richtlinie um die Aspekte Qualität und Langlebigkeit von Produkten erweitert werden. Derzeit spielt hier nur die Energieeffizienz eine Rolle, aber nicht die Ressourceneffizienz. Das halten wir angesichts der Ressourcenknappheit für zu kurz gedacht. Ebenso ist es notwendig, für die Politik Normungsprozesse unter die Lupe zu nehmen, die Qualitätskriterien für viele Produkte setzen. Hier liegt ein wirklicher Hebel, die Haltbarkeit wirksam zu verlängern. Wir begrüßen den Antrag der Linken, weisen aber darauf hin, dass die konkreten Lösungen erst noch weiter erarbeitet werden müssen. So reicht der Antrag noch nicht aus, das Problem tatsächlich in den Griff zu bekommen. Wir arbeiten weiter daran, konkrete Lösungen und Maßnahmen zu entwickeln, um die Nutzerinnen und Nutzer vor geplanten Schwachstellen zu schützen. Wir bemühen uns auch, die umweltbewussten Hersteller an diesem Prozess zu beteiligen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Vorgeschlagen wird die Überweisung der Drucksache 17/13096 an die Ausschüsse, die in der Tagesordnung stehen. – Damit sind Sie wiederum einverstanden. Dann ist auch das so beschlossen. Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. April 2013, 9 Uhr, ein. Genießen Sie den restlichen Abend und die gewonnenen Einsichten. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 22.24 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 18.04.2013 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 18.04.2013 Bleser, Peter CDU/CSU 18.04.2013 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 18.04.2013 Brand, Michael CDU/CSU 18.04.2013 Dittrich, Heidrun DIE LINKE 18.04.2013 Gabriel, Sigmar SPD 18.04.2013 Glos, Michael CDU/CSU 18.04.2013 Grindel, Reinhard CDU/CSU 18.04.2013 Hagedorn, Bettina SPD 18.04.2013 Hiller-Ohm, Gabriele SPD 18.04.2013 Keul, Katja BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.04.2013 Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.04.2013 Dr. Lindner, Tobias BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.04.2013 von der Marwitz, Hans-Georg CDU/CSU 18.04.2013 Menzner, Dorothée DIE LINKE 18.04.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 18.04.2013 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.04.2013 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 18.04.2013 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.04.2013 Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 18.04.2013 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18.04.2013 Zapf, Uta SPD 18.04.2013 Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu den namentlichen Abstimmungen über die Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes im Rahmen der Haftungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Tagesordnungspunkt 4 b) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Dem vorliegenden Antrag des Bundesfinanzministeriums in der Drucksache 17/13060 kann ich nicht zustimmen. Ich werde mich der Stimme enthalten. Die gesamte Rettungsschirmpolitik halte ich nach wie vor für den falschen Weg – inklusive der Handlungslinien der EZB –, die zwar noch nicht zur Inflation geführt hat, aber doch zu einer Entwertung von Werten über Niedrigstzinsen. Die Rettungspolitik ist aber bereits so weit fortgeschritten und durch einzelne Gegenstimmen nicht mehr aufzuhalten, dass berechtigte Kritiken im Einzelfall nur noch korrektiv wirken können. Dass hierbei insbesondere die Kanzlerin das Möglichste tut, erkenne ich voll an. Darin will ich sie und die gesamte Bundesregierung gerne unterstützen, da es gilt, die Opposition mit ihrem Vorhaben einer Haftungs- und Transferunion im Euro-Raum durch Euro-Bonds, Schuldentilgungsfonds und Ähnliches zu verhindern. Allerdings fordere ich bei allen verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Bewertungen mehr Realismus ein. Das erspart ständiges Nachbessern. Verlängerung der Laufzeiten der EFSF-Darlehen an Irland und Portugal durch den Bundestag : Die Laufzeit stellt einen der wesentlichen Bestandteile einer Darlehensvereinbarung dar. Die beantragte Verlängerung um immerhin sieben Jahre führt dazu, dass ausstehende Summen deutlich länger garantiert werden müssen als ursprünglich vorgesehen. Wegen später einsetzender Rückflüsse aus den Schuldnerländern müssen temporär höhere Anleihevolumina gegeben werden. Darüber hinaus steigt im Hinblick auf die EFSF unter anderem das Risiko der Erreichung der Höchstgrenzwerte des genehmigten Programmbeitrages. Mittlerweile kann man den Eindruck gewinnen, dass bei Erstbeschluss zu den Rettungsbeihilfen diese Höchstgrenzwerte und die Schuldentragfähigkeit der einzelnen Programmländer durch die Troika aus „optischen Gründen“ bewusst zu niedrig bzw. zu optimistisch angesetzt werden, um damit die Zustimmung der Parlamente leichter zu erreichen. Nach einer gewissen Zeit müssen dann die optimistischen Annahmen durch realistische Angaben ersetzt werden. Dies wird dann lediglich als Korrekturentscheidung deklariert, was wiederum zu weniger Diskussionen in den Parlamenten führt, als wenn nach weiteren Hilfsprogrammen für die jeweiligen Länder gerufen würde. Das bestätigt der Vorsitzende der Unionsfraktion in seinem Bericht an die Fraktion vom 16. April 2013 in seiner Begründung zur Laufzeitverlängerung für Irland und Portugal: „Damit verbessern sich die Perspektiven, keine weiteren Hilfsprogramme für diese beiden Länder auflegen zu müssen.“ Wenn auch noch kein Irland oder Portugal II dahintersteckt, so bedeutet die Laufzeitverlängerung aber dennoch einen geldwerten Vorteil für die Programmländer und einen geldwerten Nachteil für die Garantiegeber, was einer schleichenden Ausweitung der jeweiligen Programme bzw. Belastungen gleichkommt. Die vorgelegten Fakten, warum eine Verlängerung der Laufzeiten nötig ist, sind nicht erst seit der „ZypernKrise“ bekannt. Bezüglich der Notwendigkeit auf die „erhöhten Marktunsicherheiten im Umfeld des Programms mit Zypern“ zu verweisen, ist meines Erachtens nicht zutreffend. Aus Sicht der beiden Programmländer sind die Anträge auf Laufzeitverlängerung durchaus verständlich, da sie Spielräume zu deutlich günstigeren Konditionen eröffnen, als sie sie durch die, wenn auch immer geringer werdenden Risikoaufschläge bei freier Kapitalmarktfinanzierung hätten. Eine Gewährung von Laufzeitverlängerung begünstigt die weitere Refinanzierung über den Markt, weil der jährliche Refinanzierungsbedarf deutlich gesenkt würde und Rückzahlungsspitzen besser aufgefangen werden können. Gemäß StabMechG Haftungsanpassung für die Republik Zypern nach EFSF-Rahmenvertrag: Im Zuge des Antrags der Republik Zypern auf Haftungsanpassung bei Übernahme von Gewährleistungen der EFSF fällt auf, dass dafür die rechtliche Grundlage fehlt. Zypern soll eine Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazilität des ESM nach ESM-Vertrag gewährt werden. Warum die Haftungsanpassungen aber nach EFSF-Rahmenvertrag erfolgen sollen, nach dem ein EFSF-Mitgliedsstaat einen Antrag stellen kann, wenn er in ernste finanzielle Schwierigkeiten gerät, und nicht nach § 25 Abs. 2 des ESM-Vertrages, nach dem das Kapital der Ausfallstaaten durch die Geberländer übernommen werden muss, erschließt sich mir nicht. Dieses „Stepping-out“ erhöht den deutschen Gewährleistungsschlüssel von 29,07 auf 29,13 Prozent, was in etwa 38 Millionen Euro entspricht. Die Währungsunion muss ein sehr fragiles Gebilde sein, wenn schon ein Land mit einem Anteil von 0,2 Prozent am gesamten volkswirtschaftlichen Einkommen in der Euro-Zone für systemrelevant gehalten wird. Nach den ESM-Vertragsregeln darf ein Land nur unter der Bedingung unterstützt werden, dass dies „zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist“. Es reicht also nicht, wenn einem Land die Zahlungsunfähigkeit droht. Bei der vorliegenden, nicht durch konkrete Zahlen, sondern nur durch psychologische Argumente belegten Argumentation verliert diese Systemrelevanzklausel im ESM-Vertrag jeden Sinn – weil dann die Zahlungsunfähigkeit eines Landes immer und überall einen Beistand rechtfertigt. Die Schuldentragfähigkeitsanalyse der Troika halte ich für zu optimistisch. Wenn bei Irland und Portugal schon nach reichlich einem Jahr in Form von Laufzeitverlängerung nachgebessert werden muss, obwohl dort „nur“ korrektive Strukturreformen und Haushaltkonsolidierung vorgenommen werden mussten, wie soll das dann für ein Land aussehen, dessen gesamtes Geschäftsmodell infrage gestellt wird? Ein ganzes Land vom Kopf auf die Füße zu stellen, und sei es noch so klein, wird nicht ohne soziale Unruhen und weitere unerträgliche Schmähungen gegenüber den Gebern wie der EU und Deutschland abgehen – abgesehen davon, dass die zy-prischen Vorschläge zur Einnahmeverbesserung wie beispielsweise das Angebot der Staatsbürgerschaft gegen Geld mehr als nur abenteuerlich sind. Ich begrüße die Ehrlichkeit, dass jetzt erstmals von insolventen Staaten gesprochen wird. Ebenso begrüße ich die Beteiligung der Gläubiger, der Eigentümer und Anleger der Banken, sowie den geforderten eigenen Sanierungsbeitrag des Landes. Das bestärkt die europäischen Werte von Eigenverantwortung, Haftung und Rechtssicherheit. Da die Perspektiven, dass sich neue Wachstums- und Arbeitsmöglichkeiten in Bereichen der Erdgasförderung, der öffentlichen Daseinsvorsorge und des Tourismus allenfalls mittel- und langfristig eröffnen, sich die Schulden aber schon kurzfristig drastisch erhöhen, scheint mir weder die Programmhöhe noch die Schuldentragfähigkeitsanalyse realistisch zu sein. Vermutlich werden wir deshalb alsbald über Programmaufstockung oder andere Varianten wie Laufzeitverlängerung und dergleichen erneut debattieren. Dass Zypern nun gerettet ist, halte ich deshalb für eine zu forsche Aussage. Zu den 90 Prozent Schulden des Bruttoinlandsproduktes kommen noch 10 Milliarden Euro – und sicher bald noch mehr – hinzu. Die Staatsschulden werden damit 100 Prozent des BIP erreichen und den Rahmen des Erträglichen für alle Beteiligten sprengen. Dass ein Land seine Schulden zurückzahlen kann, ist aber die Voraussetzung für Hilfen bzw. die Gewährung von Krediten. So heißt es dann auch in der ökonomischen Länderanalyse des Referates für EU-Grundsatzangelegenheiten des Deutschen Bundestages sehr treffend: „Als Fazit kann festgehalten werden, dass die zyprische Staatsverschuldung bei Gewährung der vorgeschlagenen Finanzhilfefazilität in Höhe von 10 Milliarden Euro eine Herausforderung darstellt, dass sie aber tragfähig bleiben kann, sofern das makroökonomische Anpassungsprogramm konsequent umgesetzt wird. Solche Tragfähigkeitsanalysen beruhen jedoch notwendigerweise auf Prognosen.“ Christine Buchholz (DIE LINKE): Ich stimme heute gegen die vier Anträge des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble. Denn die sogenannten Finanzhilfen helfen nicht der Bevölkerung in den betroffenen Staaten. Sie nutzen lediglich den Banken und Konzernen und sind mit einem massiven Sozialkahlschlag verbunden. Der geplante Raub an den Sparguthaben der Zyprioten führte zu Massenprotesten vor dem Parlament. Die Demonstranten skandierten am Tag der Abstimmung über die Annahme der Kreditbedingungen: „Ob Griechenland, ob Zypern oder Türkei – der Feind sitzt in den Banken und in den Ministerien.“ Der massive Widerstand hat zu einem Teilsieg für die Arbeitnehmer geführt: Sparguthaben unter 100 000 Euro blieben verschont. Doch die Bedingungen für die Kreditvergabe treffen nach wie vor die kleinen Leute. Wie bereits in Griechenland, Irland, Portugal oder Spanien sollen in Zypern sozialstaatliche Errungenschaften abgeschafft, der öffentliche Dienst zusammengespart, Löhne und Renten drastisch gekürzt und öffentliches Eigentum und Infrastruktur privatisiert werden. Angeblich ist Zypern eine Geldwaschanlage für russische Oligarchen. Doch warum sollen dann einfache Zy-prioten bluten? Tatsächlich haben europäische Konzerne und Spekulanten jahrelang von den hohen Zinsen und niedrigen Steuern in Zypern profitiert. Doch sie kommen ungeschoren davon. Auch haben zypriotische Unternehmer, Regierungsmitglieder und internationale Finanzhaie im Vorfeld der Schließung der zweitgrößten zypriotischen Bank insgesamt mindestens 4,5 Milliarden Euro ins Ausland gebracht. Der Verhandlungspartner der Bundesregierung, der konservative zypriotische Präsident Anastasiades, und mehrere Regierungsmitglieder sind in diesen Skandal verwickelt. Die Profiteure des bisherigen Steuerdumpings kommen davon. Die EU deckt diese kriminelle Kapitalflucht, die das Land weiter ausbluten lässt. Ich kritisiere zudem, dass die Bundesregierung die Kredite missbraucht, um Zypern unter Druck zu setzen und in das NATO-Programm „Partnership for Peace“ zu nötigen. Das Ziel der EU ist es, Zyperns Eintritt in die NATO zu erreichen – gegen den Willen der Mehrheit der zypriotischen Bevölkerung. Auch gegenüber Portugal und Irland wird die Verlängerung bestehender Kreditlinien nur unter der Bedingung bewilligt, dass die Regierungen dort am Sozialkahlschlag festhalten. Doch in Portugal hat unter dem Druck der Gewerkschaften das Verfassungsgericht Teile des Sparpakets als verfassungswidrig abgelehnt. Dies betrifft Kürzungen bei Arbeitslosen, Rentnern und im öffentlichen Dienst. Doch die deutsche Bundesregierung und Finanzminister Schäuble interessiert das nicht, ebenso wenig wie die Troika aus EU, IWF und EZB. Meine Solidarität gilt der Bevölkerung in Zypern, in Irland und in Portugal, die sich gegen das von der Troika geforderte Verarmungsprogramm wehrt. Deshalb habe ich heute gegen die Anträge der Bundesregierung gestimmt. Marco Bülow (SPD): Der Bundestag berät am Donnerstag, 18. April 2013, über den Antrag der Bundesregierung auf Finanzhilfe für Zypern. Namentlich abgestimmt wird über die Finanzhilfe aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus – ESM – von bis zu neun Milliarden Euro, über eine entsprechende Vereinbarung nach dem ESM-Vertrag dazu sowie jeweils über die Verlängerung der maximalen durchschnittlichen Laufzeit der Darlehen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität – EFSF –, des vorläufigen Euro-Rettungsschirms, für Irland und für Portugal. Es ist gut, dass die SPD sich dafür eingesetzt hat, das Rettungspaket für Zypern an verschiedenen Stellen zu verbessern. Zum Beispiel, dass auf Bankguthaben von mehr als 100 000 Euro eine Zwangsabgabe von ungefähr 30 Prozent erhoben wird und dass zugleich Sparguthaben unter 100 000 Euro verschont bleiben. Damit wird hoffentlich gewährleistet, dass sich in Zypern auch die Wohlhabenden an dem Rettungspaket beteiligen. Ich sehe allerdings verschiedene Punkte sehr kritisch, die ich nachfolgend stichpunktartig auflisten möchte: Wir betreiben mit diesem Rettungspaket eine verhängnisvolle neoliberale Politik. Diese Politikrichtung widerspricht diametral der SPD-Politik – auch im beschlossenen SPD-Wahlprogramm. Diese Richtung in der Politik sorgt dafür, dass die Ärmeren in Zypern überproportional zur Kasse gebeten werden. Das ist sozial ungerecht. Dieses Paket wirkt wie eine reine Wachstumsbremse. In Zypern sind deshalb eine stark schrumpfende Wirtschaft und steigende Arbeitslosigkeit zu erwarten. Wir brauchen zukünftig ein europäisches Investitionsprogramm, das die Rezession im Euro-Raum überwindet und die jeweiligen Wirtschaften wieder ankurbeln kann. Die Konsolidierungsmaßnahmen von rund 4,5 Prozent des BIP in zwei Jahren sind ein immenser Brocken für die zyprische Wirtschaft, der kaum zu stemmen ist. Zum Vergleich: Würden diese 4,5 Prozent in Deutschland gespart werden müssen, wären das 112 Milliarden Euro! Zypern akzeptiert keine Finanztransaktionsteuer. In den Verhandlungen mit Zypern wäre das aber eine wichtige Gegenleistung gewesen. Insgesamt müssen wir auf der europäischen Ebene die Finanzspekulationen eindämmen – das geht nur mit einer europaweiten Finanztransaktionsteuer. Für mich stellt sich die Frage, ob es bei dem Rettungspaket bleibt oder ob nicht noch ein weiteres Paket kommen wird, das den deutschen Steuerzahler erneut Geld kosten wird. Bei Gesprächen der SPD mit dem Finanzministerium, bei der Zentralbank und mit dem Finanzausschuss des zyprischen Parlaments konnte man den Eindruck gewinnen, dass die nun vereinbarten Milliardenbeträge nach Überzeugung der zyprischen Gesprächspartner wohl nicht die letzten Finanzhilfen an Zypern bleiben werden. Trotz der Diskussionen bleiben zahlreiche Steuerregelungen, die Zypern für Steuertricks interessant machten, offenbar in Kraft. Das halte ich für problematisch. Wir brauchen eine tatsächliche Bekämpfung der Ursachen. Unter anderem kein Lohndumping mehr und auch die Einführung von Reichensteuern. Ich werde deshalb das Rettungspaket ablehnen. Alexander Funk (CDU/CSU): Aus guten ökonomischen und rechtlichen Gründen lehne ich seit Mai 2010 die Maßnahmen zur Bewältigung der Euro-Schuldenkrise und die Übernahme von Haftungsrisiken für insolvente Staaten der Euro-Zone ab. Einmal mehr bestätigen sich insbesondere in der Causa Zypern meine Bedenken und Bewertungen. Beide Maßnahmen lehne ich daher ab und warne vor einer weiteren Fortsetzung des eingeschlagenen Weges. Mit dem Europäischen Umschuldungsmechanismus – EUM – habe ich indes eine Alternative aufgezeigt, die sowohl den Bestand der Währungsunion, die Einhaltung europäischer Verträge als auch eine zielführende Mittelverwendung aus Hilfsmechanismen ermöglichen würde. Mit der Übernahme von Garantieleistungen für den insolventen Staat Zypern und der Verlängerung von Garantieleistungen für Irland und Portugal setzt die Bundesregierung ihren bisher eingeschlagenen Weg fort: Bürgschaften ersetzen die Kreditfinanzierung am Markt, andere Mitglieder der Euro-Zone garantieren für exorbitante Staatsschulden de facto zahlungsunfähiger Staaten, und die Berufung auf die strikte Konditionalität bei der Übernahme von Milliardenrisiken erweist sich einmal mehr als nicht einhaltbar bzw. durchsetzbar in den konkreten Verhandlungen. Wenn der Zweck des ESM laut Vertrag darin besteht, Finanzmittel zu mobilisieren, sofern dies für die Wahrung der Finanzstabilität der Euro-Zone insgesamt un-abdingbar ist, so muss hier nach meiner Bewertung von einer nicht zweckgemäßen Mittelverwendung ausgegangen werden: Sowohl hinsichtlich der realen BIP-Größe im Vergleich zur Euro-Zone als auch hinsichtlich der potenziellen Auswirkungen eines zypriotischen Default mit entsprechenden Abschreibungen kann keine Rede von einer Gesamtgefährdung der Euro-Zonen-Finanzstabilität sein. Ebenso kritisch sehe ich die der Entscheidung zugrunde liegende Bewertung der Schuldentragfähigkeit Zyperns. Selbst bei den optimistischen Basisannahmen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in den nächsten Jahren und bei passgenauer Umsetzung aller Programmvereinbarungen wird die Schuldenquote auch nach Ende des Programms mit 126 Prozent des BIP keine Aussicht auf einen Zugang zu den Kapitalmärkten bieten können. Die detailliert seitens der Troika dokumentierten Risiken werden nach meiner festen Überzeugung zu weiteren Stützungsmaßnahmen bzw. Zahlungsausfällen führen. Inwiefern die Mischung aus rezessiv wirkenden In-strumenten bei gleichzeitig fortgesetztem Schuldendienst sich realwirtschaftlich auswirkt, lässt sich gut an den Programmländern Portugal und Irland absehen: Insofern belegt die Laufzeitverlängerung der Kreditlinie für beide Länder die Hinfälligkeit von Zusagen und Bedingungen, die als notwendig und unerlässlich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung zugrunde gelegt worden sind. Die daraus entstehende deutlich längere Garantie der Summen ebenso wie das Risiko, die Höchstwertgrenze des Programmbeitrags zu erreichen, lehne ich dementsprechend ab. Ungeachtet dessen stelle ich klar, dass sich meine Entscheidung nicht gegen die Bemühungen der Programmländer und ihrer Bürgerinnen und Bürger richtet. Vor diesem Hintergrund begrüße ich auch die Bemühungen der Bundesregierung bei den Verhandlungen auf eine größtmögliche Beteiligung des Privatsektors bei gleichzeitiger Wahrung der Einlagensicherung für Normalsparer hinzuwirken. Ich stelle dennoch fest: Europa und seine Einigung werden auf der Basis des eingeschlagenen Weges nicht gefördert. Die Trennung in Bürgen und Gläubiger gefährdet die Weiterentwicklung eines starken, solidarischen und auf Eigenverantwortung basierenden Europas, wie es von seinen Gründungsvätern zu Recht ersonnen worden ist. Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): Ich lehne den Antrag auf Stabilitätshilfen aus dem ESM für die Republik Zypern ab, da die innerstaatliche Umsetzung des ESM-Vertrags nach wie vor auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken stößt. Insbesondere sind für die Zahlungsverpflichtungen Deutschlands an den ESM in dreistelliger Milliardenhöhe bis heute keinerlei Rückstellungen gebildet. Diese meine Einwände sind derzeit in der Hauptsache Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht – Aktenzeichen 2 BVR1390/12. Darüber hinaus ist die Art und Weise der Zypern-Rettung mit den vom Bundestag beschlossenen Regelungen des ESM-Gesetzes und des ESM-Finanzierungsgesetzes nicht vereinbar. In den dauernd wechselnden Spielzügen der Euro-Rettung gibt es eine Konstante: die Selbsttäuschung. Damit diese immer wieder gelingt, müssen die „Rettungsvokabeln“ immer öfter das Gegenteil von dem bezeichnen, was ihr Begriffssinn vorgibt. Dies betrifft bei der Zypern-Rettung die sogenannten Ultima-Ratio-Klausel im ESM-Vertrag und die in den ESM-Zustimmungsgesetzen vorgeschriebene „doppelstufige“ Befassung des Deutschen Bundestages, die verhindern sollte, dass der Bundestag vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Zur „Ultima-Ratio-Klausel“: Die führenden EU-Rettungspolitiker haben von Anfang an versichert, dass die finanzielle Hilfe für insolvenzgefährdete Euro-Staaten eine restriktiv zu handhabende Ausnahme bleiben müsse. Das Bail-out-Verbot solle nicht abgeschafft werden. Nur in extremen Notsituationen, in denen durch Finanzprobleme in einem Euro-Staat die Euro-Zone im Ganzen in einen Strudel gezogen zu werden drohe, dürfe das Bail-out-Verbot durchbrochen werden. „Ultima Ratio“ war die Formel, die der Bundesfinanzminister immer wieder beschworen hat. Und diese Formel ist in den ESM-Vertrag geschrieben und von allen Euro-Staaten ratifiziert worden. „Stabilitätshilfe“, so heißt es in Art. 12 des ESM-Vertrages, dürfe nur geleistet werden, wenn dies „zur Wahrung der Finanzstabilität“ des Euro- Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar“ ist. Mit dieser rechtlichen Einschränkung soll sichergestellt werden, dass die Eigenverantwortlichkeit der Staaten für ihre Haushalte grundsätzlich bestehen bleibt und dass finanzielle Hilfe nur als „Ultima Ratio“ geleistet wird – nämlich dann, wenn ohne diese Hilfe die Krise des betreffenden Staates auf andere Staaten übergreifen und schließlich die Finanzstabilität der ganzen Euro-Zone erschüttern müsste. Das hat auch den Europäischen Gerichtshof beeindruckt, der im sogenannten Pringle-UridA – EUGh, Urteil vom 27. November 2012 – Rs. C-370/12 – dieses Kriterium besonders hervorgehoben hat. Die Finanzhilfe muss zu dem genannten Zweck „unabdingbar“ sein. Sie soll also nur erlaubt sein, wenn es als sicher oder zumindest als höchstwahrscheinlich erscheint, dass ohne sie – auch in der geplanten Höhe – die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes und der Mitgliedstaaten nicht gewahrt werden kann. Schon im Falle Griechenlands war die systemische Relevanz des Problemstaates für die gesamte Euro-Zone unglaubwürdig. Im Falle Zyperns aber ist es völlig evident, dass die Insolvenz dieses Staates das Euro-Währungsgebiet im Ganzen nicht in ernsthafte Probleme brächte. Bei der Mitteilung von Kommission und EZB, auf die der Bundestag jetzt seine Abstimmung stützt, handelt es sich nur um ein politisches Statement, das mit gefühlsstarken Behauptungen und spekulativen Vermutungen arbeitet, aber keine durch Fakten und Zahlen belegten Beweise für die angeblich befürchteten Auswirkungen einer Zahlungsunfähigkeit Zyperns enthält. Statt konkrete Zahlen zu nennen, ziehen sich Kommission und EZB in ihrer Mitteilung auf psychologische Erwägungen zurück. Selbst für das mit Zypern wirtschaftlich eng verbundene Griechenland vermögen Kommission und EZB letztlich nicht mehr zu sagen, als dass die griechischen Banken „mit unmittelbaren Vertrauensverlusten konfrontiert“ wären. Und was die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt angeht, kommen Kommission und EZB nicht über die These hinaus, von Zypern könne eine „negative Signalwirkung“ ausgehen. Wenn der Bundestag der Zypern-Rettung zustimmt, dann stimmt er der These zu, dass schon eine „negative Signalwirkung“ ausreicht, Rettungsmaßnahmen zu erzwingen. Dann wirft er die von ihm zum Schutz der deutschen Steuerzahler geforderte und groß herausgestellte „Ultima-Ratio-Konzeption“ über Bord. So wird bei jeder regional begrenzten Krise die Ultima Ratio benutzt, um die nächsten Rettungsmilliarden auf den Weg zu bringen. Zur doppelstufigen Befassung des Deutschen Bundestages: Auch verfahrensrechtlich setzen sich die Zypern-Retter über den ESM-Vertrag hinweg. Wie Professor Dietrich Murswiek, mein Prozessbevollmächtigter im ESM-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, darauf hinweist, sieht der Vertrag ein mehrstufiges Entscheidungsverfahren vor: Zuerst trifft der Gouverneursrat – nach Feststellung einer Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets und auf der Basis einer Schuldentragfähigkeitsanalyse – den Grundsatzbeschluss, dass dem betroffenen ESM-Mitglied Stabilitätshilfe gewährt werden soll. Sodann werden die mit der Finanzhilfe verbundenen Auflagen – also insbesondere das Reformprogramm, mit dem die Finanzkrise überwunden werden soll – ausgehandelt und in einem Memorandum of Understanding, MoU, formuliert – Art. 13 ESMV. Dieses bedarf wiederum der Zustimmung des Gouverneursrats. Hinsichtlich der Zypern-Hilfe wurde hingegen das MoU bereits ausgehandelt, bevor der Gouverneursrat überhaupt beschlossen hat, Stabilitätshilfe zu gewähren. Der Grundsatzbeschluss und der Beschluss über das MoU sollen jetzt in einer einzigen Entscheidung getroffen werden. Wäre dem Bundestag korrekterweise zunächst die Grundsatzfrage der Hilfegewährung zur Entscheidung vorlegt worden und hätte der Bundestag dies abgelehnt, dann hätten die Verhandlungen über das MoU gar nicht beginnen können. Nun aber werden dem Bundestag Beschlussanträge über die Zustimmung zur Hilfe und zu den im MoU festgelegten Bedingungen gleichzeitig zur Entscheidung vorgelegt. Dadurch wird ein massiver Zustimmungsdruck zulasten Deutschlands aufgebaut: Der Bundestag soll die Hilfe – mangels systemischer Relevanz Zyperns – nicht mehr ablehnen können, da die Troika – ohne jedes parlamentarisches Mandat – in monatelangen Verhandlungen sich mit Zypern bereits auf die Bedingungen dieser Hilfe geeinigt hat. Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Dem Antrag der Bundesregierung für die Finanzhilfe für Zypern werde ich mit erheblichen Bedenken zustimmen. Meine Bedenken sind, dass Zypern in dem vorgegebenen Zeitraum die Finanzhilfe nicht zurückzahlen kann, da es zusätzlich auch einen russischen Kredit von 2,5 Milliarden Euro zurückzahlt. Daneben soll es auch wirtschaftlichen Aufschwung ab 2015 geben. Ich halte alle diese Vorstellungen für Wunschdenken. Diese Bedenken meinerseits konnten in den Vorgesprächen und im Haushaltsausschuss nicht ausgeräumt werden. Meine Zustimmung ist eher ein Vertrauensvorschuss, dass sich insgesamt die Situation für Zypern verbessern wird. Paul Lehrieder (CDU/CSU): Ich habe dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Zustimmung des Bundestages zur Gewährung von Finanzhilfen für Zypern nach langer und eingehender Abwägung der einzelnen Aspekte des Hilfsprogrammes letztendlich unter Hintanstellung noch bestehender Bedenken aus nach-folgenden Erwägungen zugestimmt. Erstens. Ich habe dem ersten Hilfspaket auf Ersuchen Griechenlands vor ziemlich genau drei Jahren im Deutschen Bundestag ebenfalls meine Zustimmung erteilt, da ich europäische Solidarität im Falle einer Schieflage eines Landes zum Erhalt unserer gemeinsamen Währung für unabdingbar erachte. Lediglich bei Nichteinhalten von Sparauflagen und Zusagen von eigenen Bemühungen, die Schuldenproblematik in den Griff zu bekommen, habe ich in den Folgepaketen bei Griechenland mangels eigener Anstrengungen des Empfängerlandes eine Zustimmung nicht mehr verantworten können. Zweitens. Unstreitig hat Zypern in den vergangenen Jahren gravierende Fehler in seiner Bankenstrukturierung zugelassen. Mit exorbitant niedrigen Unternehmenszinsen hat das Land jahrelang versucht, Unternehmen – nicht nur aus dem europäischen Ausland – zur Gründung von sogenannten Briefkastenfirmen und Versteuerung des Betriebsgewinnes in Zypern zu veranlassen. Dies hat in Verbindung mit circa 300 Prozent übersetztem Zinsniveau für eingelegte Spargelder dazu geführt, dass aus vielen Ländern Europas und darüber hinaus in erheblichem Umfang Gelder in Zypern investiert wurden. Dies hatte zur Folge, dass der Finanzbereich nahezu die Hälfte des zyprischen Wirtschaftsraumes ausmachte, was eine inhomogene, aufgequollene und ausgesprochen anfällige volkswirtschaftliche Struktur bedingt hat. Auch nach Beantragung der Hilfen im Juni 2012 hat -Zypern zunächst Anstrengungen unterlassen, diese Fehlentwicklungen zu korrigieren. Der zyprische Bankensektor soll nunmehr umstrukturiert, verschlankt und die Kreditversorgung stärker an der Realwirtschaft ausgerichtet werden. Die Bilanzsumme der zyprischen Banken betrug bisher rund 716 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – vergleiche Deutschland: 311 Prozent. Mit Aufspaltung der zweitgrößten zyprischen Bank Laiki gemäß den Vereinbarungen zwischen der Euro-Gruppe, dem IWF und der zyprischen Regierung vom 24./25. März 2013 werden Guthaben oberhalb von 100 000 Euro in einer Auffanggesellschaft für schlechte Kredite – „Bad Bank“ – gesammelt, die Guthaben bis zu 100 000 Euro bei der größten zyprischen Bank, der Bank of Cyprus, untergebracht. Hiervon sind geschätzt 19 000 Kontoinhaber betroffen, darunter auch viele Nicht-EU-Bürger. Mit Ausgliederung der griechischen Geschäfte aus den größten zyprischen Banken und Übertragung auf die griechische Piräus-Bank wurde der zyprische Bankensektor nach Angabe der Kommission und des IWF bereits auf rund 350 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verkleinert. Mit dem Schuldenschnitt auf Sparguthaben oberhalb von 100 000 Euro hat Zypern die bisher bestehende Steueroase nach meiner jetzigen Einschätzung bereits in einem erheblichen Umfang „ausgetrocknet“: 60 Prozent der Einlagen bei zyprischen Banken oberhalb von 100 000 Euro werden einbehalten. Davon werden 37,5 Prozentpunkte in Aktien der Bank of Cyprus um-getauscht, 22,5 Prozentpunkte werden für drei Monate eingefroren, bis der Finanzbedarf Zyperns genauer -feststeht. Die übrigen 40 Prozent werden nur dann ausgezahlt, wenn sich die Bank positiv entwickelt. Die -bisherige Sogwirkung der zyprischen Banken für aus-ländische Anlegegelder ist somit weitestgehend hinfällig. Etwa ein Drittel der in Zypern angelegten Gelder in Höhe von 68,31 Milliarden Euro entfielen auf ausländische Anleger – 25,61 Milliarden Euro. Von allen Einlagen auf zyprischen Konten liegen auf Konten mit bis zu 100 000 Euro insgesamt 31,5 Milliarden Euro, auf Konten mit mehr als 100 000 Euro 36,9 Milliarden Euro. Somit ist für mich festzustellen, dass über die Hälfte der auf zyprischen Konten betroffenen Sparguthaben vom Volumen her betrachtet von der erheblichen Eigenbeteiligung betroffen ist. Vom gesamten Sparpaket über circa 17 Milliarden Euro leistet Zypern somit mit der Einbeziehung hoher Sparguthaben selbst einen Finanzierungsanteil von circa 52 Prozent. Mit der vom IWF prognostizierten Entwicklung des Staatshaushaltes über einen Rückgang von 8,7 Prozent in 2013 bis zur Erwirtschaftung eines Primärüberschusses in Höhe von 1,2 Prozent im Jahr 2016 ist in Verbindung mit der Anhebung der Zinsertragsteuer, der Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes von 10 auf 12,5 Prozent sowie der Privatisierung von Staatsbetrieben und Veräußerung von Goldreserven ein erheblicher Eigenanteil an der Rettung der zyprischen Banken bereits erbracht, sodass eine Bankenrettung von außen, wie in anderen Fällen vorliegend, nicht erfolgt, da insbesondere vorrangig zyprische Mittel zur Sanierung und Umstrukturierung des Bankensektors in Zypern eingesetzt sind. Drittens. Eine Gefahr für die Finanzstabilität wird im Fall von Zypern von der Kommission im Benehmen mit der Europäischen Zentralbank mit Schreiben vom 18. März 2013 bestätigt – EUFIN Nr. 42/2013 DE –: „Obwohl Zypern mit seinem Bruttoinlandsprodukt von weniger als 18 Mrd. Euro, gemessen am Euro-Währungsgebiet, eine kleine Volkswirtschaft ist, würde ein ungeordneter Zahlungsausfall eine hohe Gefahr der systemischen Ansteckung in sich bergen und hätte das Potenzial, die Finanzstabilität des Euro-Währungs-gebiets insgesamt zu gefährden.“ Gleichwohl wird man bei Systemrelevanz einer Volkswirtschaft mit einem Bruttoinlandsprodukt von 18 Milliarden Euro davon ausgehen müssen, dass jede volkswirtschaftlich drohende Insolvenz in Zukunft Systemrelevanz entfalten wird und dieses Kriterium schlicht immer unterstellt werden muss. Viertens. Die Schuldentragfähigkeitsanalyse durch die Kommission geht davon aus, dass die erstellten Prognosen nahelegen, dass die Staatsverschuldung Zyperns zwar eine Herausforderung darstellt, aber tragfahig bleiben kann, sofern das Anpassungsprogramm konsequent umgesetzt wird. Anders als im Fall von vorherigen Hilfspaketen stellt Zypern erstmalig einen Antrag und hat mit der Beteiligung hoher Sparguthaben zu erkennen gegeben, dass es mit dem Risiko des Verlustes seines Images als inter-nationaler Bankenplatz bereit ist, erhebliche eigene -Aufwendungen auf sich zu nehmen. Damit gehe ich davon aus, dass Zypern eine realistische Chance hat, das Anpassungsprogramm konsequent umzusetzen. Unter Abwägung sämtlicher für und wider sprechenden Aspekte habe ich mich letztendlich für die Bewilligung eines Hilfspaketes für Zypern im Bundestag ausgesprochen. Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Der heute zur Abstimmung gestellte Antrag kann meine Zweifel an der Rettungsstrategie des Zeitkaufens nicht ausräumen. In meinen Augen sind im Falle Zyperns gleich drei entscheidende Kriterien nicht erfüllt. Dies betrifft die Systemrelevanz für die Euro-Zone, die Notwendigkeit der Schuldentragfähigkeit sowie das Vorliegen eines zukunftsfähigen Geschäftsmodells. Zusammengefasst hat Zypern kein kurzfristiges Liquiditäts-, sondern ein Solvenzproblem. Dennoch kennt der Rettungsmechanismus – Europäischer Stabilitätsmechanismus, kurz ESM – keine andere Antwort als die Hilfegewährung. Einmal mehr befinden wir uns in der Rettungspolitik in einer Sackgasse. Bis heute gibt es keinen Fahrplan, wie wir mit Staaten umgehen, die ein Solvenzproblem haben und daher den vereinbarten Reformmaßnahmen nicht mehr nachkommen können. Ohne ein Verfahren kontrollierter Sanierung mit klaren Haftungsregeln, das bis zum Ausscheiden aus der Euro-Zone führen kann, wird uns kein Hilfsprogramm aus dem grundsätzlichen Rettungsdilemma befreien. Ich kann aus den genannten Gründen dem Hilfspaket nicht zustimmen. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Nachdem seit dem Frühjahr 2010 die „Euro-Retter“ Milliarden in der griechischen Ägäis versenkt haben, geht es nun munter weiter auf der nach unten offenen Systemrelevanzskala. Die zyprische Wirtschaftsleistung ist gerade einmal 10 Prozent der griechischen. Mit einem Bruttoinlandsprodukt, BIP, von unter 18 Milliarden Euro hat Zypern nicht mehr Wirtschaftskraft als eine deutsche Großstadt wie zum Beispiel Essen. Essens Anteil am BIP der Euro-Zone ist ebenfalls 0,2 Prozent; aber niemand würde auf die Idee kommen, dass von Problemen im städtischen Haushalt von Essen auch nur ansatzweise die Stabilität der Euro-Zone abhängen könnte. Gleichwohl wird Zypern Systemrelevanz attestiert Ein solches Ergebnis kann nur zustande kommen, wenn die Diagnose schon vor der Untersuchung feststeht. Konkrete Zahlen werden nicht geliefert, nur Schreckensszenarien. Und ohnehin: Wie soll denn Vertrauen in eine Währung entstehen, wenn ein Währungsraum einen (Teil-)Ausfall von 0,2 Prozent seiner Wirtschaftsleistung nicht verkraften kann. Bei der Attestierung von Systemrelevanz erwarte ich ökonomische Analysen und keine konstruierten politischen Papiere. Das „Rettungspaket“ für Zypern offenbart, dass im Prinzip jeder Mitgliedstaat der Euro-Zone systemrelevant ist. Bei Zypern geht es einzig und allein um die Stabilisierung des zyprischen Bankensektors auf Kosten der Steuerzahler. Ob der zyprische Bankensektor überdimensioniert ist oder nicht, hat nicht zu interessieren. Der Eigentümer geht das Risiko ein, der Eigentümer hat für das eingegangene Risiko zu haften. Und auf europäischer Ebene wird fleißig daran gearbeitet, einen Rettungsschirm für Nicht-Euro-Staaten zu konstruieren. Wer denkt und hofft, dass mit Zypern ein Ende erreicht ist, irrt. Eher ist der heutige Tag das Ende einer Etappe. Ein erneuter Tabubruch. Und auch die Konstruktion des Hilfspakets ist nicht stimmig. Selten war die Augenwischerei so offensichtlich. Noch vor wenigen Wochen sah sich Zypern unter größten Anstrengungen in der Lage, sich mit höchstens 5,8 Milliarden Euro an seiner „Rettung“ zu beteiligen. Nun sollen es über 10 Milliarden Euro sein. Ankündigungen von Privatisierungsbemühungen sind – wie uns das Beispiel Griechenlands gezeigt hat – kritisch zu sehen: Die 2010 mit einem Wert von 50 Milliarden Euro veranschlagten Privatisierungserlöse sind inzwischen auf rund 11 Milliarden neu festgelegt worden, realisiert ist – im vierten Jahr des Programmes! – gerade mal eine gute Milliarde. Kein „Rettungspaket“ lief bisher ohne Nachverhandlungen und Nachbesserungen. Parallel zu Zypern sollen Portugal und Irland mehr Zeit bekommen, die milliardenschweren Kredite zurückzuzahlen. Seit der Auszahlung der jeweils ersten Tranche aus den Rettungspaketen sind die Schuldenstände der Programmländer immer weiter gestiegen. Eine Besserung wird immer für die Folgejahre angenommen und dann jährlich aufs nächste Jahr verschoben. So sind die offiziellen Aussichten immer heiter, auch wenn es für jedermann erkennbar aktuell regnet und gewittert. Am Ende stehen entweder neue Hilfspakete oder ein Schuldenschnitt der öffentlichen Gläubiger. Es kann nicht anders kommen. Die europäische Einigung ist eine großartige Leistung der Politik im Europa der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Währungsunion ist politisches Symbol der höchsten Ausprägungsstufe dieses Prozesses. Für uns Deutsche war es wichtig, die Erfolgsgeschichte der Deutschen Bundesbank durch die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank auf den gesamten Euro-Raum zu übertragen. Durch Errichtung des Stabilitätspakts hofften wir, Vorsorge dafür zu treffen, den gesamten Euro-Raum auf das Ziel der nachhaltigen Haushaltspolitik und der Preiswertstabilität zu verpflichten. ln den europäischen Verträgen ist hierzu festgelegt, dass im Euro-Raum kein Staat für die Schulden des anderen aufkommen muss, ja nicht einmal darf – Bail-out-Verbot. Dies ist der Kern des Vertrauens in den Euro angesichts der sehr unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften in diesem gemeinsamen Währungsraum. Die vorgesehene Hilfe für Zypern verstößt aufs Neue gegen Buchstaben und Geist der gültigen europäischen Verträge. So wird die langfristige Stabilität des Euro nicht gesichert, sondern gefährdet. Deshalb kann und will ich diesen Weg nicht mitgehen und stimme erneut mit Nein. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Ich habe dem Antrag der Bundesregierung zugestimmt, wenn auch mit Vorbehalten. Diese beziehen sich weniger auf die ökonomischen Argumente; hier bin ich davon überzeugt, dass die Bundesregierung ebenso wie die anderen internationalen Akteure nach bestem Wissen und Gewissen handelt. Zur Idee Europas gehört auch die Idee der Solidarität. Dies bedeutet, das die europäische Familie sich in Notzeiten Beistand leistet. Für die fiskalische Dimension gilt, dass Hilfen nicht voraussetzungslos sind. Sie werden mit der Erwartung geleistet, dass sie rückerstattet werden. Darüber hinaus müssen die Ursachen, die zu der Hilfebedürftigkeit geführt haben, aktiv angegangen werden, damit in Zukunft eine ähnliche Situation nicht erneut entsteht. Die Bundesrepublik Deutschland trägt dabei ein Ausfallrisiko. Darüber wird auch innenpolitisch kontrovers diskutiert. Zu meinem Verständnis europäischer Solidarität gehört, dass wir diese Diskussionen führen und unsere Argumente vortragen. Ein starkes Argument ist dabei die europäische Idee als das große Friedensprojekt in der europäischen Geschichte. Es gehört zu der Würde des Gebens, dass wir dies in der Überzeugung tun, dass Europa unser gemeinsames Projekt ist. Europa war nie eine rein betriebswirtschaftliche Idee und darf auch nicht darauf reduziert werden. Mit der Würde des Nehmens ist es meines Erachtens nicht vereinbar, die Betonung des Zusammenhangs von Freiheit und fiskalischer Verantwortung als neokoloniales Projekt der Bundesrepublik zu schmähen, die handelnden deutschen Politiker als Wiedergänger des Dritten Reiches zu diskreditieren oder gar von einer Erpressung zu sprechen. Solche Töne spalten Europa und schaden der Idee der Solidarität. Das Verhalten maßgeblicher Politiker in Zypern und von Teilen der zypriotischen Bevölkerung für sich alleine genommen wäre Anlass, die Hilfe für Zypern abzulehnen. Ich stimme dem Hilfspaket aber aus übergeordneten Gründen zu. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Monika Lazar und Beate Müller-Gemmeke (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu den namentlichen Abstimmungen über die Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes im Rahmen der Haftungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Tagesordnungspunkt 4 b) Wir stehen heute vor der Frage, ob wir als Mitglieder des Deutschen Bundestages die Zypern-Hilfe parlamentarisch legitimieren oder nicht. Wie bereits bei früheren Entscheidungen können wir die Details des Hilfspakets, die von den Regierungen der Mitgliedstaaten der EuroGruppe ausgehandelt wurden, nicht mehr mit aus unserer Sicht notwendigen Verbesserungen versehen. Aber die Alternative, nämlich ein Staatsbankrott Zyperns, wäre für die Menschen in Zypern und für die Europäische Union insgesamt wesentlich schlimmer. Obwohl wir auch an der Zypern-Hilfe Kritik haben, stimmen wir dennoch zu. Denn die Menschen in Zypern brauchen Hilfe und unsere europäische Solidarität. Wir bewerten es als positiv, dass bei diesem Rettungspaket die Gläubiger stärker beteiligt werden, die Kundengelder unter 100 000 Euro aber unangetastet bleiben. Der überdimensionale Bankensektor wird schrumpfen, und eine große Bank wird komplett abgewickelt. Es liegt ein Schwerpunkt auf der Steuereintreibung und auf Transparenz. Die praktizierte Geldwäsche wird als Problem anerkannt, und als Konsequenz wird es umfangreiche Untersuchungen der effektiven Geldwäschebekämpfung geben. Entsprechende Empfehlungen müssen umgesetzt werden. Es müssen insbesondere auch die Einnahmen bei der Unternehmensteuer, Zinsertragsteuer und bei den Erträgen der Vermögensteuer erhöht werden. All diese Maßnahmen sind notwendig und entsprechen unserer Vorstellung von Gerechtigkeit. Wir haben aber auch Kritik, denn der Spardruck mit Blick auf die Ausgaben besteht weiterhin, auch wenn die Troika die Sparbedingungen mittlerweile vorsichtiger formuliert. Das Anpassungsprogramm ist dennoch weitreichend. So wird es Maßnahmen im Bildungsbereich geben. Mit einer Rentenreform werden das Rentenmindestalter erhöht, die Renten gekürzt und Frührentenabzüge eingeführt. Im Gesundheitswesen werden Gebühren erhöht und die Kosten optimiert. Neben Lohnkürzungen wird es weitere Eingriffe bei der Lohnindexierung geben, und der Mindestlohn kann nur nach Beratung mit den Programmpartnern erhöht werden. Insgesamt soll es im Einvernehmen mit den Programmpartnern eine Reform des Sozialsystems geben. In der Konsequenz müssen wir nach wie vor davon ausgehen, dass das Anpassungsprogramm erhebliche soziale Lasten mit sich bringt, die für uns nicht akzeptabel sind. Einsparungen bei Sozialausgaben, Sozialversicherungen, im Gesundheits- und Bildungsbereich werden gerade die Menschen treffen, die die Krise nicht verschuldet haben. Selbstverständlich müssen die Staatshaushalte konsolidiert werden. Erneut droht aber die Gefahr, dass die Sparmaßnahmen Zypern die Handlungsmöglichkeiten nehmen. Wenn ein Staat zum falschen Zeitpunkt kürzt, dann verlieren Firmen Aufträge, die Binnennachfrage bricht ein und die Krise verschärft sich. Wenn Löhne und staatliche Transfers gekürzt werden, können Beschäftigte, Erwerbslose und Bedürftige weniger Geld ausgeben. Damit verlängert dieser Nachfrageentzug im Abschwung die wirtschaftliche Talfahrt. In der Folge sinken Wachstum und Steuereinnahmen – Arbeitslosigkeit und Schulden aber steigen. Die katastrophalen Folgen dieser Sparmaßnahmen werden in Südeuropa schon heute, beispielsweise durch eine extrem hohe Jugend-arbeitslosigkeit, sichtbar. Profitiert von Miss- und Günstlingswirtschaft und Spekulationen haben nur wenige. Jetzt folgen weniger Investitionen, weniger Nachfrage und auch kein ökologischer Umbau von Wirtschaft und Tourismus. Auch Zypern steht vor einer jahrelangen Rezession, die sich natürlich auch auf den Arbeitsmarkt niederschlagen wird. Schon heute liegt die Arbeitslosenquote bei 14,7 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit bei 28,5 Prozent. Auch in Zypern werden die Verlierer bestimmt nicht nur jene sein, die die Misere mit zu verantworten haben. Konsolidieren heißt für uns auch investieren. Das Sparpaket wird Zypern aber tiefer in die Rezession treiben und realwirtschaftlich weiter bremsen. Die Menschen in Zypern brauchen Perspektiven. Nur wenn in eine zukunftsfähige und nachhaltige Wirtschaft investiert wird, können Wertschöpfung und Arbeitsplätze gesichert und Schulden abgetragen werden. Eine Sparpolitik schwächt hingegen das wirtschaftliche und soziale System in Zypern zulasten der Menschen. Das Rettungspaket für Zypern hat positive und negative Bedingungen und Vorgaben. Bei unserer Entscheidung müssen wir abwägen. Trotz aller Kritik und Befürchtungen überwiegt für uns schlussendlich, dass erstmals die Einnahmeseite beim Anpassungsprogramm eine zentrale Rolle spielt. Entscheidend ist für uns insbesondere auch die europäische Solidarität und politische Verantwortung – auch weil das desaströse Krisenmanagement der Euro-Gruppe in den letzten Wochen auf allen Seiten viel Vertrauen gekostet hat: Vertrauen in die Solidarität zwischen den Euro-Staaten, Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Finanzminister und Finanzministerinnen, Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit selbst geringer Ersparnisse bei Banken in der Euro-Zone. Die Republik Zypern ist und bleibt Mitglied der Europäischen Union und der Euro-Zone. Daran darf kein Zweifel mehr bestehen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Peter Danckert, Ewald Schurer und Rolf Schwanitz (alle SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes im Rahmen der Haftungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Tagesordnungspunkt 4 b) Wir haben in der heutigen Abstimmung zu den oben benannten Fragen aus zwei Gründen mit Nein votiert. Zum einen, weil die Bundesregierung nicht hinreichend darlegen konnte, dass die ESM-Finanzhilfe für Zypern unabdingbar ist, da ohne sie die Finanzstabilität der Euro-Währungsunion insgesamt nicht gewahrt werden kann. Zum anderen, weil die Bundesregierung einen Beschluss des Bundestages nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 ESM-Finanzierungsgesetz, ESMFinG, entgegen ihren Verpflichtungen über Monate verschleppt und dadurch die Beteiligungsrechte des Parlaments grob missachtet hat. Unsere Ablehnungsgründe erläutern wir im Einzelnen wie folgt: Erstens. Der ESM kann laut ESM-Vertrag Stabilitätshilfen an ESM-Mitgliedsländer nur dann gewähren, wenn dies über die Gefährdung des beantragenden Landes hinaus unabdingbar ist, um die Finanzstabilität der gesamten Währungsunion zu bewahren – Systemrelevanz. Der ESM ist damit kein Mechanismus für Hilfe bei jeder auftretenden finanziellen Instabilität eines Mitgliedslandes oder dafür, bei finanziellen Instabilitäten einzelner Mitgliedsländer generell aktiv zu werden und Staatsinsolvenzen grundsätzlich zu verhindern. Wer dies ändern will, wer den ESM zu einem generellen Hilfein-strument in der Währungsunion ausweiten möchte, muss zuvor den ESM-Vertrag und das ESMFinG entsprechend ändern. Tatsächlich war die Systemrelevanz der finanziellen Gefährdung Zyperns von Beginn an hochumstritten. Der Bundesfinanzminister stellte im Blick auf die geringen Ansteckungsgefahren der zypriotischen Finanzkrise für den Euro-Raum die Systemrelevanz selbst über Monate in Abrede. Auch nachdem die EU-Kommission ihrerseits in Zusammenarbeit mit der EZB gegenüber der Euro-Gruppe die Gefährdung der Finanzstabilität der Euro-Zone bestätigt hatte, blieb der Bundesfinanzminister erkennbar bei seiner eine Systemrelevanz ablehnenden Bewertung. So äußerte der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle noch am 21. März 2013, nachdem das zypriotische Parlament das erste Hilfspaket abgelehnt hatte, „er halte einen möglichen zyprischen Staatsbankrott mit Blick auf die Folgen für den Euro-Raum, für durchaus beherrschbar‘. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte nach dem ablehnenden Votum des zyprischen Parlaments, „die Stabilität der Euro-Zone gerate dadurch nicht in Gefahr.“ Es bleibt festzuhalten, dass die Bundesregierung weder hinreichend noch überzeugend darlegen konnte, dass die ESM-Finanzhilfe für Zypern unabdingbar ist, da ohne sie die Finanzstabilität der Euro-Währungsunion insgesamt nicht gewahrt werden kann. Eine solche Systemrelevanz ist nach unserer Meinung im Falle Zyperns tatsächlich auch nicht gegeben. Damit fehlt dem vorgelegten Antrag jedoch eine Grundvoraussetzung dafür, dass nach dem ESM-Vertrag sowie nach dem ESMFinG zustimmend über eine Finanzhilfe entschieden werden kann. Das Votum in der Abstimmung kann deshalb nach unserer Überzeugung nur „Ablehnung“ lauten. Andernfalls würde zugleich ein Präzedenzfall geschaffen, der dazu führt, dass in der Zukunft faktisch überhaupt kein Hilfeersuchen eines ESM-Mitgliedes mehr aus Gründen einer nicht gegebenen Systemrelevanz abgelehnt werden kann. Zweitens. Der ESM-Vertrag sieht, anders als der Rahmenvertag zum EFSF, in der Vorbereitungsphase einer Finanzhilfe ein zweistufiges Entscheidungsverfahren vor. Nach Art. 13 Abs. 2 ESM-Vertrag beschließt der ESM-Gouverneursrat zunächst darüber, ob einem betroffenen Land grundsätzlich Stabilitätshilfe gewährt werden soll. Dieser Beschluss ist Voraussetzung dafür, dass der Europäischen Kommission die Aufgabe zur Verhandlung eines Memorandum of Understanding – als Teil der Troika – übertragen werden und der Geschäftsführende Direktor des ESM zugleich einen Vorschlag einer Finanzhilfevereinbarung ausarbeiten kann. Diese erste, vorgelagerte Entscheidung des Gouverneursrates steht also am Beginn einer jeden ESM-Hilfe, denn diese Entscheidung hat eine konstitutive Funktion. Sie schafft erst die Legitimation der Europäischen Kommission für die sich daran anschließenden Verhandlungsprozesse. Sind das MoU und die Finanzhilfevereinbarung am Ende der Verhandlungen dann konsentiert, benötigen sie zur Inkraftsetzung nach Art. 13 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 4 ESM-Vertrag jeweils die Zustimmung des Gouverneursrates – zweite Stufe des Entscheidungsprozesses. Da es sich bei diesen insgesamt drei Entscheidungen des deutschen Vertreters im Gouverneursrat – dem Bundesfinanzminister – um Entscheidungen handelt, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, stehen beide Entscheidungsstufen nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ESMFinG unter dem Zustimmungsvorbehalt des Parlamentes. Der Bundesfinanzminister kann im Gouverneursrat bei diesen Abstimmungen nur zustimmen oder sich der Stimme enthalten, wenn hierzu das Plenum des Deutschen Bundestages zuvor einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. Tatsächlich ist die vorgelagerte, konstitutive Beschlussfassung des Gouverneursrates über eine grundsätzliche Stabilitätshilfe des ESM für Zypern nach Art. 13 Abs. 2 ESM-Vertrag – erste Entscheidungsstufe – und ein den deutschen Vertreter hierfür legitimierender zustimmender Beschluss des Bundestages bisher unterblieben. Dieser Parlamentsbeschluss wird erst heute, viele Monate nach Beginn der Troika-Verhandlungen, im Plenum des Bundestages nachgeholt. Entgegen den Regelungen des ESM-Vertrages wurden stattdessen ein MoU und eine Finanzhilfevereinbarung entworfen, verhandelt und konsentiert, ohne dass die im Vertrag hierfür vorgesehene Legitimation durch einen Beschluss des Gouverneursrates erteilt worden ist. Die Bundesregierung rechtfertigt dieses vom ESM-Vertrag abweichende Verfahren damit, dass die Republik Zypern ihren Antrag auf Finanzhilfe vor dem Inkrafttreten des ESM-Vertrages sowie des ESMFinG bereits am 25. Juni 2012 gestellt und darin sowohl Hilfe der EFSF als auch des ESM beantragt hatte. Diese Rechtfertigungsgründe sind spätestens seit Oktober 2012 irrelevant. Das ESMFinG ist am 13. September 2012 in Kraft getreten, der ESM-Vertrag ist seit dem 27. September 2012 geltendes Recht. Am 4. Oktober 2012 begann in Zypern offiziell eine buchhalterische und wirtschaftliche Überprüfung des Wertes von Kreditportfolios ausgewählter zypriotischer Banken – Due-Diligence-Prüfung –, die von einem Lenkungsausschuss beaufsichtigt wurde. In diesen Lenkungsausschuss wurden auch Vertreter des ESM als Mitglied entsandt; die EFSF war daran nicht beteiligt. Spätestens seit Anfang Oktober 2012 war demnach klar, dass der Hilfeantrag von Zypern kein „EFSF-Fall“ werden wird, sondern dass die Regelungen des ESM-Vertrages sowie des ESMFinG Anwendung finden müssen. Darüber hinaus ist in dieser Woche bekannt geworden, dass unter den ESM-Mitgliedern immer Einigkeit darüber bestanden hat, dass das Ersuchen Zyperns als ein an den ESM gerichtetes Finanzhilfeersuchen zu betrachten ist. Die Bundesregierung wäre deshalb verpflichtet gewesen, ab Inkrafttreten des ESM-Vertrages, spätestens aber ab Anfang Oktober 2012, auf eine Beschlussfassung des Gouverneursrates nach Art. 13 Abs. 2 ESM-Vertrag zu drängen und eine Abstimmung des Deutschen Bundestages nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 ESMFinG zu beantragen. Stattdessen hat die Bundesregierung, offensichtlich auch aus politischem Kalkül, diesen Antrag über sechseinhalb Monate verschleppt und damit auch elementare Beteiligungsrechte des Parlamentes missachtet. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kerstin Andreae, Cornelia Behm, Birgitt Bender, Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel, Katja Dörner, Harald Ebner, Hans-Josef Fell, Dr. Thomas Gambke, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn), Memet Kilic, Sven- Christian Kindler, Ute Koczy, Tom Koenigs, Oliver Krischer, Markus Kurth, Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Friedrich Ostendorff, Lisa Paus, Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Tressel, Arfst Wagner (Schleswig), Dr. Valerie Wilms, Josef Philip Winkler (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie Heinz-Joachim Barchmann, Elke Ferner, Dietmar Nietan, Manfred Nink, Axel Schäfer (Bochum) und Frank Schwabe (alle SPD) zu den namentlichen Abstimmungen über die Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes, nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes im Rahmen der Haftungsanpassungen nach Artikel 8 Absatz 2 des EFSF-Rahmenvertrages sowie nach § 3 Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 Num-mer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Tagesordnungspunkt 4 b) Die Republik Zypern ist und bleibt Mitglied der Europäischen Union und der Euro-Zone. Daran darf kein Zweifel mehr bestehen. Das desaströse Krisenmanagement der Euro-Gruppe hat in den letzten Wochen auf allen Seiten viel Vertrauen gekostet: Vertrauen in Solidarität zwischen den Euro-Staaten, Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Finanzminister und Finanzministerinnen, Vertrauen der Bevölkerungen in die Sicherheit selbst geringer Ersparnisse bei Banken in der Eurozone. Viel zu lange wurde die zyprische Bevölkerung mit ihren teils existentiellen Ängsten im Unklaren gelassen. Die Bundesregierung und der Stil der öffentlichen Debatte in Deutschland haben nicht nur zu dieser Verunsicherung, sondern auch zu Wut und Ablehnung beigetragen. Teils ist die Reaktion mancherorts in Zypern zu Unrecht entstanden, weil die Wirtschaftskrise dort weitgehend auf eigene Fehler zurückzuführen ist und die vorherige zyprische Regierung die Verhandlungen über Monate verschleppt hat. Doch war und ist diese Reaktion auch eine Antwort auf die innenpolitisch scharfgemachte Debatte in Deutschland: Es darf nicht zum -akzeptierten Allgemeingut werden, populistisch und despektierlich übereinander zu reden, ein einseitiges, undifferenziertes Bild von der Insel zu erzeugen und die existenziellen Sorgen der Menschen nur unzureichend zu erwähnen. Deutliche Kritik an der Krisenpolitik der Bundesregierung ist daher angebracht. Vergleiche oder gar Gleichsetzungen der Kanzlerin mit der nationalsozialistischen Vergangenheit lehnen wir entschieden ab. Gegenseitige Diffamierung darf nicht der Kommunikationsstil unter europäischen Partnern sein. Zypern und der europäische Zusammenhalt sind keine wahlkampfpolitischen Spielbälle. Wir müssen schleunigst zurückkehren zu mehr gegenseitigem Verständnis und Respekt. Auch die deutsche Politik muss sich dieser Verantwortung bewusst sein. Die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Maßnahmenpakets sind hart. Die EU muss der zy-prischen Bevölkerung nun jedwede Unterstützung zukommen lassen, damit das Land schnellstmöglich wieder auf wirtschaftlich gesunde Beine kommt. Zypern muss sich auf die europäische Solidarität verlassen können. Investitionen in nachhaltiges Wachstum wie Solarenergie, Tourismus und Landwirtschaft müssen unterstützt, die sozialen Auswirkungen der Krise abgefedert und bizonale sowie bikommunale Projekte gefördert werden. Dafür müssen unter anderem der Zugang zu Strukturfonds erleichtert sowie schnellstmöglich zusätzliche Mittel der Europäischen Investitionsbank zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit bereitgestellt werden. Die vergangenen Wochen haben die Freundschaft zwischen Deutschland und Zypern auf eine harte Probe gestellt. Wir wollen nicht, dass diese wertvolle Beziehung irreparable Schäden davonträgt. Daher müssen alle Beteiligten aus ihren Fehlern lernen. Gerade jetzt ist es unser Anliegen, den deutsch-zyprischen Dialog nicht nur fortzusetzen, sondern bewusst zu stärken. Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG) (Tagesordnungspunkt 4 b) Christine Buchholz (DIE LINKE): Ich stimme heute für den Gesetzentwurf des Bundesrates, weil Frauen in den Führungsgremien der freien Wirtschaft tatsächlich deutlich unterrepräsentiert sind. Es sagt viel über die FDP und den Wirtschaftsflügel der Union, dass sie die Frauenquote mit der gleichen Härte bekämpfen wie den vollständigen Atomausstieg. Die Frauen der CDU sind für einen harmlosen Kompromiss eingeknickt. Sie sind im Zweifel solidarisch mit der deutschen Wirtschaft und ordnen die Frauenrechte den Wirtschaftsinteressen unter. Aber ich verbinde mit dem Gesetzentwurf nicht die falschen Hoffnungen von SPD und Grünen, dass Frauen in Führungsgremien ein Unternehmen familienfreundlicher gestalten würden, Einkommensdefizite der Frauen gegenüber den Männern ausgeglichen, Kinderbetreuung gefördert und die Umgangsformen innerhalb des Unternehmens sich positiv verändern würden. Tatsächlich kam eine Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2011 zu folgendem Ergebnis: „Es ließ sich für Deutschland kein statistisch signifikanter allgemeiner (undifferenzierter) positiver Performance-Effekt von Frauen in Aufsichtsräten nachweisen.“ Das bedeutet, dass mehr Frauen in Aufsichtsräten nicht die entscheidenden Veränderungen bringen. Nein, Lohngleichheit, Arbeitnehmerrechte und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müssen in der Realität von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hart gegen die Unternehmensleitungen und Aufsichtsräte erkämpft werden. Ich bin zudem für eine Begrenzung der Gehälter innerhalb von Unternehmen. Auch geschlechtergerecht besetzte Aufsichtsräte müssen einer Einkommensbegrenzung unterliegen: Vorstandsmitglieder sollten nicht mehr als das Zwanzigfache des durchschnittlich gezahlten Gehalts im jeweiligen Unternehmen erhalten. Ist denn tatsächlich die Frauenquote in Aufsichtsräten und Führungsgremien unser Problem? Im europäischen Vergleich gehört Deutschland zu den Schlusslichtern bei der Gleichstellung der Geschlechter. Obwohl Frauen Männer in den letzten Jahren bildungspolitisch ein- und überholt haben, sind sie immer noch mit struktureller Diskriminierung und einer traditionellen Geschlechterordnung konfrontiert.  Was ist mit gleichen Löhnen für gleiche Arbeit? Ich wünsche mir eine ähnlich intensive Debatte über den Kampf gegen Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen und über die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf. Frauen verdienen hierzulande bei gleicher Qualifikation durchschnittlich 23 Prozent weniger als Männer, in Hessen sind es sogar 25 Prozent. Frauen bilden mit 65 Prozent die größte Gruppe im Niedriglohnsektor. Wäre nicht die zuverlässige Betreuung von Kindern durch hochqualifizierte und gut bezahlte Erzieherinnen ein Thema für einen Gesetzesentwurf des Bundesrates? Aber das passt natürlich nicht mit der Schuldenbremse zusammen, für die die ganz große Koalition von CDU, FDP, SPD und Grünen steht. Ich stimme diesem Gesetzentwurf zu. Aber: Wirkliche Gleichberechtigung für Arbeitnehmerinnen in Deutschland sieht anders aus. Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Frauen sind in Führungspositionen der Wirtschaft stark unterrepräsentiert. Frauen stoßen nach wie vor an eine gläserne Decke, wenn es um die Übernahme von Führungsverantwortung geht. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, die 2001 von der SPD angestoßen wurden, haben nicht den notwendigen Durchbruch gebracht. Der Bundesvorstand der Frauen Union der CDU hat sich daher bereits 2010 nach einer Expertenanhörung und intensiver Diskussion für gesetzliche Regelungen ausgesprochen. Durch einen Beschluss des Bundesdelegiertentages 2011 wurde diese Position bekräftigt. Konkret treten wir für eine feste Frauenquote von 30 Prozent in Aufsichtsräten und eine flexible Quotenregelung in Vorständen ein. Als Zielmarke für die Aufsichtsräte fordert die Frauen Union längerfristig eine Geschlechterquote von 40 Prozent. Das Eintreten der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für eine Flexiquote und ein breites Bündnis von Politikerinnen und Frauenverbänden haben das Bewusstsein für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auch in Führungspositionen der Wirtschaft gestärkt und viele Unternehmen dazu bewogen, ihre Anstrengungen dafür zu verstärken. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und angesichts des großen ungenutzten Potenzials von Frauen erkennen immer mehr Unternehmen, dass gemischte Führungsteams erfolgreicher sind und Innovationskraft sowie Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Die „Berliner Erklärung“ habe ich als Erstunterzeichnerin bewusst unterstützt, um der Forderung nach einer festen Quote für Aufsichtsräte Nachdruck zu geben. Die Entwicklung zeigt: Es gibt Fortschritte. Insgesamt zeigen die geringen Steigerungsraten aber auch, dass der Verfassungsauftrag von Art. 3 Abs. 2 GG – „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“ – ohne verbindliche gesetzliche Regelungen kaum in der Breite umzusetzen ist. Nach Angaben von „Frauen in die Aufsichtsräte e. V.“ lag der Anteil der Frauen in 160 DAX-Unternehmen zum Stichtag 31. März 2013 bei 16,2 Prozent. In den Vorständen liegt er bei 5,9 Prozent. Nach wie vor hat ein Viertel der DAX-Unternehmen überhaupt keine Frau in der Unternehmensführung. Der Bundesvorstand der CDU hat jetzt seinen Parteitagsbeschluss vom Dezember 2012 weiterentwickelt. Wir wollen gesetzlich regeln, dass der Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen erhöht wird. Neben einer unmittelbar geltenden „FlexiQuote“ für Vorstände und Aufsichtsräte soll ab dem Jahr 2020 eine feste Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsratsmandaten von mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen gelten. Deshalb entscheide ich mich für eine solche gesetzliche Regelung, die ich in der kommenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages gemeinsam mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unmittelbar umsetzen will. Das schließt trotz der weitgehend inhaltlichen Übereinstimmung im Verfahren heute eine Zustimmung zu den dem Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfen aus. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich habe für die Einführung einer festen Quote in Führungspositionen gestimmt. In Deutschland verdienen Frauen fast ein Viertel weniger als Männer, und zwar auf allen Ebenen: Die Arbeit einer Physikerin ist im Schnitt 32 Prozent weniger Lohn „wert“ als die eines Physikers, eine Verkäuferin verdient 26 Prozent weniger als ihr männlicher Kollege, eine Ingenieurin 22, eine Köchin 20 Prozent. Im Niedriglohnbereich, in Mini- und Midijobs arbeiten zu 70 Prozent Frauen, ihre Altersarmut ist vorprogrammiert. Viele von ihnen wünschen reguläre, sichere, anständig bezahlte Arbeitsverhältnisse. Auch auf Teilzeit geht ein Großteil von Frauen unfreiwillig. Die neoliberale Wirtschaft mit ihrem Streben nach Profitmaximierung hat diese Ungleichheiten seit Jahrzehnten eher zementiert als egalisiert. Spätestens jetzt ist die Politik verpflichtet, die grundgesetzlich garantierte Gleichbehandlung der Geschlechter durchzusetzen, auch in der Wirtschaft. Doch wo bleibt die parteiübergreifende mutige, kämpferische Gesetzesinitiative für Entgeltgleichheit? Der Druck für eine verbindliche Frauenquote ist notwendig. Sie müsste allerdings eine Quote von mindestens 50 Prozent – für Leitungspositionen, Ämter und Mandate – fordern, um Diskriminierungen von Frauen qua Geschlecht zu überwinden. In Norwegen gilt eine solche Quote seit 2006. Dort haben Frauen bewiesen: Sie schaden der Wirtschaft ebenso wenig wie in der Politik eine Bundeskanzlerin Angela Merkel von Nachteil ist. Auch Frauen in Berufsarmeen machen aus dem Militär keine Friedenskraft. Den aggressiven und patriarchalen Charakter von Machtzentren in Politik, Wirtschaft und Militär ändern Frauen an deren Spitze nicht. Daran ändert die Quote grundsätzlich nichts. Diese Ungerechtigkeiten gehen die Fraktionen von SPD und Grünen nicht an, sie haben sie vielmehr durch die Hartz-Gesetze mitverursacht, durch die auch immer mehr Männer arm und rechtlos werden. Ich setze mich für Emanzipation und Selbstbestimmung ein. Die sind etwas qualitativ Anderes als das gleiche Recht von Männern und Frauen auf Ausbeutung am oberen Rand der Gesellschaft und die gleiche Pflicht zur Armut an der breiten unteren Basis. Ich habe mit Wut für die Einführung einer festen Quote in Aufsichtsräten gestimmt, mit Wut deshalb, weil die eigentlichen Ungerechtigkeiten nicht thematisiert werden. Monika Grütters (CDU/CSU): Frauen sind in Führungspositionen der Wirtschaft stark unterrepräsentiert. Frauen stoßen nach wie vor an eine gläserne Decke, wenn es um die Übernahme von Führungsverantwortung geht. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, die 2001 von der SPD angestoßen wurden, haben nicht den notwendigen Durchbruch gebracht. Der Bundesvorstand der Frauen Union der CDU hat sich daher bereits 2010 nach einer Expertenanhörung und intensiver Diskussion für gesetzliche Regelungen ausgesprochen. Durch einen Beschluss des Bundesdelegiertentages 2011 wurde diese Position bekräftigt. Konkret treten wir für eine feste Frauenquote von 30 Prozent in Aufsichtsräten und eine flexible Quotenregelung in Vorständen ein. Als Zielmarke für die Aufsichtsräte fordert die Frauen Union längerfristig eine Geschlechterquote von 40 Prozent. Das Eintreten der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für eine „Flexi-Quote“ und ein breites Bündnis von Politikerinnen und Frauenverbänden haben das Bewusstsein für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auch in Führungspositionen der Wirtschaft gestärkt und viele Unternehmen dazu bewogen, ihre Anstrengungen dafür zu verstärken. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und angesichts des großen ungenutzten Potenzials von Frauen erkennen immer mehr Unternehmen, dass gemischte Führungsteams erfolgreicher sind und Innovationskraft sowie Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Die „Berliner Erklärung“ habe ich als Unterzeichnerin bewusst unterstützt, um der Forderung nach einer festen Quote für Aufsichtsräte Nachdruck zu verleihen. Die Entwicklung zeigt: Es gibt Fortschritte. Insgesamt zeigen die geringen Steigerungsraten aber auch, dass der Verfassungsauftrag von Art. 3 (2) GG, „Frauen und Männer sind gleichberechtigt“, ohne verbindliche gesetzliche Regelungen kaum in der Breite umzusetzen ist. Nach Angaben von „Frauen in die Aufsichtsräte e. V.“ lag der Frauenanteil in Aufsichtsräten der 160 DAX-Unternehmen zum Stichtag 31. März 2013 bei 16,2 Prozent. In den Vorständen liegt er bei 5,9 Prozent. Nach wie vor hat ein Viertel der DAX-Unternehmen überhaupt keine Frau in der Unternehmensführung. Der Bundesvorstand der CDU hat jetzt einen Parteitagsbeschluss vom Dezember 2012 weiterentwickelt. Wir wollen gesetzlich regeln, dass der Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen erhöht wird. Neben einer unmittelbar geltenden „FlexiQuote“ für Vorstände und Aufsichtsräte soll ab dem Jahr 2020 eine feste Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsratsgremien von mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen gelten. Deshalb entscheide ich mich für eine solche gesetzliche Regelung, die ich in der kommenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion unmittelbar umsetzen möchte. Das schließt trotz der weitgehend inhaltlichen Übereinstimmung im Verfahren heute eine Zustimmung zu den dem Deutschen Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfen aus. Katharina Landgraf (CDU/CSU): In Deutschland gibt es einen weitgehenden gesellschaftlichen und von allen Parteien getragenen Konsens darüber, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst zu gering ist. Dieser Erkenntnis müssen wirksame Maßnahmen folgen. Ziel muss es daher sein, verbindlich und verlässlich mehr Frauen in die Entscheidungsprozesse der Wirtschaft einzubeziehen. Alle bisherigen Versuche, dieses Ziel mit freiwilligen Vereinbarungen zu erreichen, sind gescheitert. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen muss daher maßgeblich erhöht werden. In der jüngsten Vergangenheit hat es verschiedene Initiativen gegeben, die dieses gemeinsame Anliegen unterstützen. Die Intention des Gesetzesantrages zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien begrüße ich, da er für Aufsichts- und Verwaltungsräte börsennotierter und mitbestimmter Unternehmen erstmals angemessene gesetzlich verpflichtende Regelungen vorsieht, die das gesetzte Ziel praxisgerecht befördern. Bereits im Dezember 2011 hatten sich Abgeordnete aller sechs im Bundestag vertretenen Parteien sowie die Vertreterinnen sechs großer Frauenverbände in ihrer „Berliner Erklärung“ für eine feste Quote von Männern und Frauen in den Aufsichtsgremien börsennotierter, mitbestimmungspflichtiger und öffentlicher Unternehmen eingesetzt. Diese Initiative hat in der Gesellschaft breite Unterstützung gefunden. Die in der „Berliner Erklärung“ in einem ersten Schritt geforderte Quote von 30 Prozent ist angemessen, um die Berücksichtigung des bislang unterrepräsentierten Geschlechts bei der Zusammensetzung von Aufsichtsgremien deutlich zu verbessern, ohne dass dadurch die Seite der Anteilseigner oder die der Arbeitnehmer überfordert werden. Daher werden wir – in der nächsten Legislaturperiode – gesetzlich regeln, dass ab dem Jahr 2020 eine feste Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsräten von mitbestimmungspflichtigen und/oder börsennotierten Unternehmen gilt. Die gesetzliche Verpflichtung zum Jahr 2020 lässt für alle Unternehmen ausreichend Zeit, um der gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen. Für die deutsche Wirtschaft ist dies ein Gewinn, der sich in der Führungskultur und im Erfolg der Unternehmen niederschlagen wird. Für die Frauen in Deutschland bedeutet diese Festlegung eine Verbesserung von Verwirklichungs- und Teilhabechancen. Die Zeit ist reif, die notwendigen Entscheidungen rechtzeitig und im breiten politischen Konsens vorzubereiten. Dazu sind in den letzten Tagen kraftvolle Schritte unternommen worden, auf die man vertrauen kann und hinter denen ein großes Engagement entscheidender politischer Kräfte steht. Die Quote ist unabdingbar, das Verfahren zur Quote sollte aber das in den letzten Tagen erreichte Ziel, ein deutliches Votum pro Quote im Bundesvorstand der CDU, nicht vorführen. Auch insoweit gilt Verlässlichkeit und Verbindlichkeit. Wir haben viel erreicht und stehen zu unserem Wort. Es wird die Quote geben. Die CDU wird das Ziel mit aller Konsequenz verfolgen. Diesen Weg will ich mitgehen und gestalten. Das schließt trotz der weitgehend inhaltlichen Übereinstimmung im Verfahren heute eine Zustimmung zu den dem Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfen aus. Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): In Deutschland gibt es einen breiten gesellschaftlichen und von allen Parteien getragenen Konsens darüber, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst zu gering ist. Frauen stoßen nach wie vor an eine gläserne Decke, wenn es um die Übernahme von Führungsverantwortung geht. Dieser Erkenntnis müssen wirksame Maßnahmen folgen. Unser Anliegen ist es daher, verbindlich und verlässlich mehr Frauen in die Entscheidungsprozesse der Wirtschaft einzubeziehen. Alle bisherigen Versuche, dieses Ziel mit freiwilligen Vereinbarungen zu erreichen, sind gescheitert. Ich bin daher der Überzeugung, dass wir einen Schritt weiter gehen müssen. In der jüngsten Vergangenheit hat es verschiedene Initiativen gegeben, die dieses gemeinsame Anliegen unterstützen. Die Intention des Gesetzesantrages des Bundesrates zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien, der auch von CDU-geführten Bundesländern mitgetragen wurde, wird daher von uns begrüßt, da er für Aufsichts- und Verwaltungsräte börsennotierter und mitbestimmter Unternehmen erstmals angemessene gesetzlich verpflichtende Regelungen vorsieht, die das gesetzte Ziel praxisgerecht befördern. Bereits im Dezember 2011 hatten sich Abgeordnete aller sechs im Bundestag vertretenen Parteien sowie die Vertreterinnen sechs großer Frauenverbände in ihrer „Berliner Erklärung“ für eine feste Quote von Männern und Frauen in den Aufsichtsgremien börsennotierter, mitbestimmungspflichtiger und öffentlicher Unternehmen eingesetzt. Diese Initiative hat in der Gesellschaft breite Unterstützung gefunden. Die in der „Berliner Erklärung“ in einem ersten Schritt geforderte Quote von 30 Prozent ist angemessen, um die Berücksichtigung des bislang unterrepräsentierten Geschlechts bei der Zusammensetzung von Aufsichtsgremien deutlich zu verbessern, ohne dass dadurch die Seite der Anteilseigner oder die der Arbeitnehmer überfordert werden. Daher werden wir als Bestandteil unseres Regierungsprogramms für die Bundestagswahl 2013 klar und unmissverständlich regeln, dass wir ab dem Jahr 2020 eine feste Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsräten von voll mitbestimmten und börsennotierten Unternehmen wollen. Das wollen und werden wir auch in Koalitionsverhandlungen nach der Wahl durchsetzen. Die Zeit ist reif, die notwendigen Entscheidungen rechtzeitig und im breiten politischen Konsens vorzubereiten. Dazu sind in den letzten Tagen kraftvolle Schritte unternommen worden, auf die man vertrauen kann und hinter denen ein großes Engagement entscheidender politischer Kräfte steht: Der Bundesvorstand der CDU hat jetzt seinen Parteitagsbeschluss vom Dezember 2012 im Sinne einer verbindlichen gesetzlichen Quote ab 2020 weiterentwickelt. Wir haben also eine klare Richtung und ein klares Ziel. Dieses Ziel – 30 Prozent als verbindliche Quote – ist das, was auch in der „Berliner Erklärung“ festgehalten ist. Diese Erklärung haben viele Kolleginnen und, ich betone: auch männliche Kollegen aus allen Fraktionen unterzeichnet. Auch ich habe sie unterschrieben. Das – und nicht die Hamburger Gesetzesinitiative – war und ist Maßstab meines Abstimmungsverhaltens. Für mich ist daher klar: Ich trete weiter ein für mehr Frauen in Führungspositionen – aber ich will, dass wir dies durch eigene Initiativen erreichen. Wir lassen uns daher hier und heute nicht von der Opposition ausein-anderdividieren, sondern wir stehen zusammen. Das schließt trotz der weitgehend inhaltlichen Übereinstimmung heute aus, dass ich den dem Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfen der Opposition zustimme. Karin Maag (CDU/CSU): Frauen sind in Führungspositionen der Wirtschaft stark unterrepräsentiert. Frauen stoßen nach wie vor an eine gläserne Decke, wenn es um die Übernahme von Führungsverantwortung geht. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, die 2001 von der SPD angestoßen wurden, haben nicht den notwendigen Durchbruch gebracht. Der Bundesvorstand der Frauen Union der CDU hat sich daher bereits 2010 nach einer Expertenanhörung und intensiver Diskussion für gesetzliche Regelungen ausgesprochen. Durch einen Beschluss des Bundesdelegiertentages 2011 wurde diese Position bekräftigt. Konkret treten wir für eine feste Frauenquote von 30 Prozent in Aufsichtsräten und eine flexible Quotenregelung in Vorständen ein. Als Zielmarke für die Aufsichtsräte fordert die Frauen Union längerfristig eine Geschlechterquote von 40 Prozent. Das Eintreten der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für eine „Flexi-Quote“ und ein breites Bündnis von Politikerinnen und Frauenverbänden haben das Bewusstsein für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auch in Führungspositionen der Wirtschaft gestärkt und viele Unternehmen dazu bewogen, ihre Anstrengungen dafür zu verstärken. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und angesichts des großen ungenutzten Potenzials von Frauen erkennen immer mehr Unternehmen, dass gemischte Führungsteams erfolgreicher sind und Innovationskraft sowie Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Die „Berliner Erklärung“ habe ich bewusst unterstützt, um der Forderung nach einer festen Quote für Aufsichtsräte Nachdruck zu geben. Die Entwicklung zeigt: Es gibt Fortschritte. Insgesamt zeigen die geringen Steigerungsraten aber auch, dass der Verfassungsauftrag von Art. 3 (2) GG, „Frauen und Männer sind gleichberechtigt“, ohne verbindliche gesetzliche Regelungen kaum in der Breite umzusetzen ist. Nach Angaben von „Frauen in die Aufsichtsräte e. V.“ lag der Anteil der Frauen in 160 DAX-Unternehmen zum Stichtag 31. März 2013 bei 16,2 Prozent. In den Vorständen liegt er bei 5,9 Prozent. Nach wie vor hat ein Viertel der DAX-Unternehmen überhaupt keine Frau in der Unternehmensführung. Der Bundesvorstand der CDU hat jetzt seinen Parteitagsbeschluss vom Dezember 2012 weiterentwickelt. Wir wollen gesetzlich regeln, dass der Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen erhöht wird. Neben einer unmittelbar geltenden „FlexiQuote“ für Vorstände und Aufsichtsräte soll ab dem Jahr 2020 eine feste Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsratsmandaten von mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen gelten. Deshalb entscheide ich mich für eine solche gesetzliche Regelung, die ich in der kommenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion unmittelbar umsetzen will. Das schließt trotz der weitgehend inhaltlichen Übereinstimmung im Verfahren heute eine Zustimmung zu den dem Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfen aus. Marco Wanderwitz (CDU/CSU): In unserem Land gibt es inzwischen erfreulicherweise einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens darüber, dass der geringe Anteil von Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft nicht länger hinnehmbar ist. Frauen stoßen nach wie vor viel zu oft an eine „gläserne Decke“, wenn es um die Übernahme von Führungsverantwortung in der Wirtschaft geht. Ebenso ist inakzeptabel, dass Frauen nach wie vor häufig für ihre Leistung schlechter bezahlt werden als Männer in vergleichbaren Positionen. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft haben bezüglich der Führungsverantwortung nicht den notwendigen Durchbruch gebracht. Es gibt zwar Fortschritte, aber die geringen Steigerungsraten zeigen, dass der Verfassungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz, Frauen und Männer sind gleichberechtigt, ohne verbindliche gesetzliche Regelungen kaum in der Breite umzusetzen ist. Nach Zahlen von „Frauen in die Aufsichtsräte e.V.“ lag der Anteil der Frauen in den 160 DAX-Unternehmen per 31. März 2013 bei gerade einmal 16,2 Prozent. In den Vorständen liegt er gar bei nur 5,9 Prozent. Nach wie vor hat ein Viertel der DAX-Unternehmen überhaupt keine Frauen in der Untemehmensführung. Es ist also überfällig, wirksam zu handeln. In der jüngeren Vergangenheit hat es verschiedene Initiativen gegeben, die dieses Anliegen vorantreiben. Beginnend im Dezember 2011 haben sich neben vielen weiteren Engagierten Abgeordnete der im Bundestag vertretenen Parteien und Vertreterinnen sechs großer Frauenverbände in der „Berliner Erklärung“ für eine feste Quote in den Aufsichtsgremien börsennotierter, mitbestimmungspflichtiger und öffentlicher Unternehmen eingesetzt. Die Initiative hat in der Gesellschaft breite Unterstützung gefunden. Die dort in einem ersten Schritt geforderte Quote von 30 Prozent ist angemessen, um die Berücksichtigung bei der Zusammensetzung der Aufsichtsgremien großer Kapitalgesellschaften deutlich zu verbessern, ohne dass dadurch Anteilseigner überfordert werden. Ursula von der Leyen gehörte zu den Erstunterzeichnern der Initiative. Ihr gebührt Dank, dass sie für dieses wichtige Thema kraftvoll eingetreten ist. Die „Berliner Erklärung“ habe auch ich als Unterzeichner bewusst unterstützt. Ich bin überzeugt: Für die Frauen in Deutschland wird es eine Verbesserung von Verwirklichungs- und Teilhabechancen. Für die deutsche Wirtschaft wird es ein Gewinn, der sich in der Führungskultur und im Erfolg der Unternehmen niederschlagen wird. Die Intention des heute zur Abstimmung stehenden Bundesratsgesetzentwurfs begrüße ich dem Grunde nach, da für Aufsichts- und Verwaltungsräte börsennotierter vollmitbestimmter Unternehmen angemessene gesetzlich verpflichtende Regelungen der richtige Weg sind. In den letzten Tagen sind kraftvolle Schritte für die notwendigen Entscheidungen unternommen worden, auf die ich vertraue. Der Bundesvorstand der CDU hat den einschlägigen Parteitagsbeschluss aus dem Dezember 2012 weiterentwickelt. Wir wollen gesetzlich regeln, dass der Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten erhöht wird. Neben einer unmittelbar geltenden „Flexi-Quote“ soll ab dem Jahr 2020 eine feste Quote von zunächst 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsratsmandaten von vollmitbestimmten börsennotierten Unternehmen gelten. Ich entscheide mich für eine gesetzliche Regelung, die ich in der kommenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion unmittelbar umsetzen will. Das schließt trotz der weitgehenden inhaltlichen Übereinstimmung im Verfahren heute eine Zustimmung zum Bundesratsgesetzentwurf aus. Mit wechselnden Mehrheiten ist keine Regierung handlungsfähig. Dazu, dass Angela Merkel weiterhin als Bundeskanzlerin erfolgreiche Politik für unser Land gestalten kann, will ich beitragen. Auch das oben genannte Thema „equal pay“ ist dabei auf der politischen Tagesordnung. Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): In Deutschland gibt es einen weitgehenden gesellschaftlichen und von allen Parteien getragenen Konsens darüber, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst zu gering ist. Dieser Erkenntnis müssen wirksame Maßnahmen folgen. Unser Anliegen ist es daher, verbindlich und verlässlich mehr Frauen in die Entscheidungsprozesse der Wirtschaft einzubeziehen. Alle bisherigen Versuche, dieses Ziel mit freiwilligen Vereinbarungen zu erreichen, sind gescheitert. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen muss daher maßgeblich erhöht werden. In der jüngsten Vergangenheit hat es verschiedene Initiativen gegeben, die dieses gemeinsame Anliegen unterstützen. Die Intention des Gesetzesantrages zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien wird daher dem Grunde nach von uns begrüßt, da er für Aufsichts- und Verwaltungsräte börsennotierter und mitbestimmter Unternehmen erstmals angemessene gesetzlich verpflichtende Regelungen vorsieht, die das gesetzte Ziel praxisgerecht befördern. Bereits im Dezember 2011 hatten sich Abgeordnete aller sechs im Bundestag vertretenen Parteien sowie die Vertreterinnen sechs großer Frauenverbände in ihrer „Berliner Erklärung“ für eine feste Quote von Männern und Frauen in den Aufsichtsgremien börsennotierter, mitbestimmungspflichtiger und öffentlicher Unternehmen eingesetzt. Diese Initiative hat in der Gesellschaft breite Unterstützung gefunden. Die in der „Berliner Erklärung“ in einem ersten Schritt geforderte Quote von 30 Prozent ist angemessen, um die Berücksichtigung des bislang unterrepräsentierten Geschlechts bei der Zusammensetzung von Aufsichtsgremien deutlich zu verbessern, ohne dass dadurch die Seite der Anteilseigner oder die der Arbeitnehmer überfordert werden. Daher werden wir – in der nächsten Legislaturperiode – gesetzlich regeln, dass ab dem Jahr 2020 eine feste Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsräten von mitbestimmungspflichtigen und/oder börsennotierten Unternehmen gilt. Die gesetzliche Verpflichtung zum Jahr 2020 lässt für alle Unternehmen ausreichend Zeit, um der gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen. Für die deutsche Wirtschaft ist dies ein Gewinn, der sich in der Führungskultur und im Erfolg der Unternehmen niederschlagen wird. Für die Frauen in Deutschland bedeutet diese Festlegung eine Verbesserung von Verwirklichungs- und Teilhabechancen. Die Zeit ist reif, die notwendigen Entscheidungen rechtzeitig und im breiten politischen Konsens vorzubereiten. Dazu sind in den letzten Tagen kraftvolle Schritte unternommen worden, auf die man vertrauen kann und hinter denen ein großes Engagement entscheidender politischer Kräfte steht. Die Quote ist unabdingbar, das Verfahren zur Quote sollte aber das in den letzten Tagen erreichte Ziel, ein deutliches Votum pro Quote im Bundesvorstand der CDU, nicht vorführen. Auch insoweit gilt Verlässlichkeit und Verbindlichkeit. Wir haben viel erreicht und stehen zu unserem Wort. Es wird die Quote geben. Die CDU wird das Ziel mit aller Konsequenz verfolgen. Diesen Weg werden wir mitgehen und gestalten. Das schließt trotz der weitgehend inhaltlichen Übereinstimmung im Verfahren heute eine Zustimmung zu den dem Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfen aus. Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Frauen sind in Führungspositionen der Wirtschaft stark unterrepräsentiert. Frauen stoßen nach wie vor an eine gläserne Decke, wenn es um die Übernahme von Führungsverantwortung geht. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, die 2001 von der SPD angestoßen wurden, haben nicht den notwendigen Durchbruch gebracht. Der Bundesvorstand der Frauen Union der CDU hat sich daher bereits 2010 nach einer Expertenanhörung und intensiver Diskussion für gesetzliche Regelungen ausgesprochen. Durch einen Beschluss des Bundesdelegiertentages 2011 wurde diese Position bekräftigt. Konkret treten wir für eine feste Frauenquote von 30 Prozent in Aufsichtsräten und eine flexible Quotenregelung in Vorständen ein. Als Zielmarke für die Aufsichtsräte fordert die Frauen Union längerfristig eine Geschlechterquote von 40 Prozent. Das Eintreten der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für eine „Flexi-Quote“ und ein breites Bündnis von Politikerinnen und Frauenverbänden haben das Bewusstsein für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auch in Führungspositionen der Wirtschaft gestärkt und viele Unternehmen dazu bewogen, ihre Anstrengungen dafür zu verstärken. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und angesichts des großen ungenutzten Potenzials von Frauen erkennen immer mehr Unternehmen, dass gemischte Führungsteams erfolgreicher sind und Innovationskraft sowie Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Die „Berliner Erklärung“ habe ich als Unterzeichnerin bewusst unterstützt, um der Forderung nach einer festen Quote für Aufsichtsräte Nachdruck zu geben. Die Entwicklung zeigt: Es gibt Fortschritte. Insgesamt zeigen die geringen Steigerungsraten aber auch, dass der Verfassungsauftrag von Art. 3 (2) GG, „Frauen und Männer sind gleichberechtigt“, ohne verbindliche gesetzliche Regelungen kaum in der Breite umzusetzen ist. Nach Angaben von „Frauen in die Aufsichtsräte e. V.“ lag der Anteil der Frauen in 160 DAX-Unternehmen zum Stichtag 31. März 2013 bei 16,2 Prozent. In den Vorständen liegt er bei 5,9 Prozent. Nach wie vor hat ein Viertel der DAX- Unternehmen überhaupt keine Frau in der Unternehmensführung. Der Bundesvorstand der CDU hat jetzt seinen Parteitagsbeschluss vom Dezember 2012 weiterentwickelt. Wir wollen gesetzlich regeln, dass der Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen erhöht wird. Neben einer unmittelbar geltenden „FlexiQuote“ für Vorstände und Aufsichtsräte soll ab dem Jahr 2020 eine feste Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsratsmandaten von mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen gelten. Deshalb entscheide ich mich für eine solche gesetzliche Regelung, die ich in der kommenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion unmittelbar umsetzen will. Das schließt trotz der weitgehend inhaltlichen Übereinstimmung im Verfahren heute eine Zustimmung zu den dem Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfen aus. Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): In Deutschland gibt es einen weitgehenden gesellschaftlichen und von allen Parteien getragenen Konsens darüber, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst zu gering ist. Dieser Erkenntnis müssen wirksame Maßnahmen folgen. Unser Anliegen ist es daher, verbindlich und verlässlich mehr Frauen in die Entscheidungsprozesse der Wirtschaft einzubeziehen. Alle bisherigen Versuche, dieses Ziel mit freiwilligen Vereinbarungen zu erreichen, sind gescheitert. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen muss daher maßgeblich erhöht werden. In der jüngsten Vergangenheit hat es verschiedene -Initiativen gegeben, die dieses gemeinsame Anliegen unterstützen. Die Intention des Gesetzesantrags zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien wird daher dem Grunde nach von uns begrüßt, da er für Aufsichts- und Verwaltungsräte börsennotierter und mitbestimmter Unternehmen erstmals angemessene gesetzlich verpflichtende Regelungen vorsieht, die das gesetzte Ziel praxisgerecht befördern. Bereits im Dezember 2011 hatten sich Abgeordnete aller sechs im Bundestag vertretenen Parteien sowie die Vertreterinnen sechs großer Frauenverbände in ihrer „Berliner Erklärung“ für eine feste Quote von Männern und Frauen in den Aufsichtsgremien börsennotierter, mitbestimmungspflichtiger und öffentlicher Unternehmen eingesetzt. Diese Initiative hat in der Gesellschaft breite Unterstützung gefunden. Die in der „Berliner Erklärung“ in einem ersten Schritt geforderte Quote von 30 Prozent ist angemessen, um die Berücksichtigung des bislang unterrepräsentierten Geschlechts bei der Zusammensetzung von Aufsichtsgremien deutlich zu verbessern, ohne dass dadurch die Seite der Anteilseigner oder die der Arbeitnehmer überfordert wird. Daher werden wir – in der nächsten Legislaturperiode – gesetzlich regeln, dass ab dem Jahr 2020 eine feste Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsräten von mitbestimmungspflichtigen und/oder börsennotierten Unternehmen gilt. Die gesetzliche Verpflichtung zum Jahr 2020 lässt für alle Unternehmen ausreichend Zeit, um der gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen. Für die deutsche Wirtschaft ist dies ein Gewinn, der sich in der Führungskultur und im Erfolg der Unternehmen niederschlagen wird. Für die Frauen in Deutschland bedeutet diese Festlegung eine Verbesserung von Verwirklichungs- und Teilhabechancen. Die Zeit ist reif, die notwendigen Entscheidungen rechtzeitig und im breiten politischen Konsens vorzubereiten. Dazu sind in den letzten Tagen kraftvolle Schritte unternommen worden, auf die wir vertrauen und hinter denen ein großes Engagement entscheidender politischer Kräfte steht. Es ist nun konkret absehbar, dass wir eine verbindliche Regelung gemeinsam mit der Union umsetzen können. Dies ist aus unserer Sicht die zielführendste Option, um zu einer gesetzlichen Regelung zu kommen. Wir haben viel erreicht und stehen zu unserem Wort. Es wird die Quote geben. Die CDU wird das Ziel mit aller Konsequenz verfolgen. Diesen Weg werden wir mitgehen und gestalten. Auch insoweit gelten beiderseits Verlässlichkeit und Verbindlichkeit. Das schließt trotz der weitgehend inhaltlichen Übereinstimmung im Verfahren heute eine Zustimmung zu den dem Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfen aus. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Veronika Bellmann, Dr. Maria Böhmer, Ursula Heinen-Esser und Nadine Schön (St. Wendel) (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG) (Tagesordnungspunkt 4 b) Frauen sind in Führungspositionen der Wirtschaft stark unterrepräsentiert. Frauen stoßen nach wie vor an eine gläserne Decke, wenn es um die Übernahme von Führungsverantwortung geht. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, die 2001 von der SPD angestoßen wurden, haben nicht den notwendigen Durchbruch gebracht. Der Bundesvorstand der Frauen Union der CDU hat sich daher bereits 2010 nach einer Expertenanhörung und intensiver Diskussion für gesetzliche Regelungen ausgesprochen. Durch einen Beschluss des Bundesdelegiertentages 2011 wurde diese Position bekräftigt. Konkret treten wir für eine feste Frauenquote von 30 Prozent in Aufsichtsräten und eine flexible Quotenregelung in Vorständen ein. Als Zielmarke für die Aufsichtsräte fordert die Frauen Union längerfristig eine Geschlechterquote von 40 Prozent. Das Eintreten der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für eine „Flexi-Quote“ und ein breites Bündnis von Politikerinnen und Frauenverbänden haben das Bewusstsein für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auch in Führungspositionen der Wirtschaft gestärkt und viele Unternehmen dazu bewogen, ihre Anstrengungen dafür zu verstärken. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und angesichts des großen ungenutzten Potenzials von Frauen erkennen immer mehr Unternehmen, dass gemischte Führungs-teams erfolgreicher sind und Innovationskraft sowie Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Die „Berliner Erklärung“ haben wir als Erstunterzeichnerinnen bewusst unterstützt, um der Forderung nach einer festen Quote für Aufsichtsräte Nachdruck zu geben. Die Entwicklung zeigt: Es gibt Fortschritte. Insgesamt zeigen die geringen Steigerungsraten aber auch, dass der Verfassungsauftrag von Art. 3 (2) GG, „Frauen und Männer sind gleichberechtigt“, ohne verbindliche gesetzliche Regelungen kaum in der Breite umzusetzen ist. Nach Angaben von „Frauen in die Aufsichtsräte e.V.“ lag der Anteil der Frauen in 160 DAX-Unternehmen zum Stichtag 31. März 2013 bei 16,2 Prozent. In den Vorständen liegt er bei 5,9 Prozent. Nach wie vor hat ein Viertel der DAX-Unternehmen überhaupt keine Frau in der Unternehmensführung. Der Bundesvorstand der CDU hat jetzt seinen Parteitagsbeschluss vom Dezember 2012 weiterentwickelt. Wir wollen gesetzlich regeln, dass der Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen erhöht wird. Neben einer unmittelbar geltenden „FlexiQuote“ für Vorstände und Aufsichtsräte soll ab dem Jahr 2020 eine feste Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsratsmandaten von mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen gelten. Deshalb entscheiden wir uns für eine solche gesetz-liche Regelung, die wir in der kommenden Legislatur-periode des Deutschen Bundestages gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion unmittelbar umsetzen wollen. Das schließt trotz der weitgehenden inhaltlichen Übereinstimmung im Verfahren heute eine Zustimmung zu den dem Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfen aus. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Maria Flachsbarth, Dr. Ursula von der Leyen und Rita Pawelski (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG) (Tagesordnungspunkt 4 b) In Deutschland gibt es einen weitgehenden gesellschaftlichen und von allen Parteien getragenen Konsens darüber, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst zu gering ist. Dieser Erkenntnis müssen wirksame Maßnahmen folgen. Unser Anliegen ist es daher, verbindlich und verlässlich mehr Frauen in die Entscheidungsprozesse der Wirtschaft einzubeziehen. Alle bisherigen Versuche, dieses Ziel mit freiwilligen Vereinbarungen zu erreichen, sind gescheitert. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen muss daher maßgeblich erhöht werden. In der jüngsten Vergangenheit hat es verschiedene Initiativen gegeben, die dieses gemeinsame Anliegen unterstützen. Die Intention des Gesetzesantrags zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien wird daher dem Grunde nach von uns begrüßt, da er für Aufsichts- und Verwaltungsräte börsennotierter und mitbestimmter Unternehmen erstmals angemessene gesetzlich verpflichtende Regelungen vorsieht, die das gesetzte Ziel praxisgerecht befördern. Bereits im Dezember 2011 hatten sich Abgeordnete aller sechs im Bundestag vertretenen Parteien sowie die Vertreterinnen sechs großer Frauenverbände in ihrer „Berliner Erklärung“ für eine feste Quote von Männern und Frauen in den Aufsichtsgremien börsennotierter, mitbestimmungspflichtiger und öffentlicher Unternehmen eingesetzt. Diese Initiative hat in der Gesellschaft breite Unterstützung gefunden. Die in der „Berliner Erklärung“ in einem ersten Schritt geforderte Quote von 30 Prozent ist angemessen, um die Berücksichtigung des bislang unterrepräsentierten Geschlechts bei der Zusammensetzung von Aufsichtsgremien deutlich zu verbessern, ohne dass dadurch die Seite der Anteilseigner oder die der Arbeitnehmer überfordert wird. Daher werden wir in der nächsten Legislaturperiode gesetzlich regeln, dass ab dem Jahr 2020 eine feste Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsräten von mitbestimmungspflichtigen und/oder börsennotierten Unternehmen gilt. Die gesetzliche Verpflichtung zum Jahr 2020 lässt für alle Unternehmen ausreichend Zeit, um der gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen. Für die deutsche Wirtschaft ist dies ein Gewinn, der sich in der Führungskultur und im Erfolg der Unternehmen niederschlagen wird. Für die Frauen in Deutschland bedeutet diese Festlegung eine Verbesserung von Verwirklichungs- und Teilhabechancen. Der Bundesvorstand der CDU hat jetzt seinen Parteitagsbeschluss vom Dezember 2012 weiterentwickelt. Wir wollen gesetzlich regeln, dass der Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen erhöht wird. Neben einer unmittelbar geltenden „FlexiQuote“ für Vorstände und Aufsichtsräte soll ab dem Jahr 2020 eine feste Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsratsmandaten von mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen gelten. Deshalb entscheiden wir uns für eine solche gesetzliche Regelung, die wir in der kommenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion unmittelbar umsetzen wollen. Das schließt trotz der weitgehend inhaltlichen Übereinstimmung im Verfahren heute eine Zustimmung zu den dem Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfen aus. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Karin Binder, Heidrun Dittrich, Dr. Dagmar Enkelmann, Inge Höger, Ulla Jelpke, Dorothée Menzner, Cornelia Möhring, Kathrin Vogler und Johanna Voß (alle DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung gleichberechtigter Teilhabe von Frauen und Männern in Führungsgremien (GlTeilhG) (Tagesordnungspunkt 4 b) Wir stimmen zwar für den Antrag für eine Frauenquote, aber: Die Linke steht an der Seite der großen Mehrheit der Frauen. Wir stehen an der Seite der Minijobberinnen, der Erwerbslosen, der Alleinerziehenden, der Erzieherinnen, der Putzfrauen und Grundschullehrerinnen, der Krankenschwestern und Verkäuferinnen. Wir sind nicht die Lobby der Banken und Konzerne. Wir sind nicht die Lobby der Aufsichtsräte und Vorstände – egal ob in den Chefetagen Frauen oder Männer sitzen. Wir sind die Lobby derjenigen, die endlich einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 10 Euro brauchen, wir sind die Lobby derjenigen, die von prekärem Lohn leben müssen und die dem Hartz-IV-System ausgeliefert sind. Wir kämpfen an der Seite der Frauen, die sich für gute Arbeit und für gleichen Lohn einsetzen. Was heute abgestimmt wird, das mag ein winziger Schritt auf dem Weg zur Überwindung patriarchaler Strukturen sein, die Lebensverhältnisse für die große Mehrheit der Frauen wird eine Quote in den Chefetagen nicht ändern. Der Gesetzentwurf bleibt zudem überdeutlich hinter den ursprünglichen Forderungen der Oppositionsfraktionen zurück. Die Übergangsfristen für das Inkrafttreten der Quoten sind auffällig lang, und im ersten Schritt ist lediglich eine erbärmliche Mindestquote von 20 Prozent vorgesehen. Wer es wirklich ernst nimmt mit Gleichberechtigung, der schließt Schlupflöcher, anstelle Ausnahmeregelungen zu schaffen, und wer es ernst meint, der führt auch Sanktionen ein, die wirklich weh tun. Der Antrag wird für die Lebenssituation von 99,9 Prozent der Frauen keinen Unterschied machen. Zwei winzige Vorteile bringt er jedoch, zum einen bringt er Unruhe in die Männerbünde der Chefetagen, und zum zweiten wird hier ein Präzedenzfall dafür geschaffen, dass es möglich ist, durch politische Entscheidungen verbindlich die Situation von Frauen auch in der Privatwirtschaft zu verbessern. Grundsätzlich gilt jedoch: Feminismus und soziale Gerechtigkeit gehören untrennbar zusammen. Der wesentliche Kampf ist nicht der um ein paar Frauen in den Chefetagen, sondern der für die Verbesserung der Rechte, der Arbeitsbedingungen und der Einkommen der großen Mehrheit der Frauen. Anlage 10 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Anti-D-Hilfegesetzes (Tagesordnungspunkt 43 a) Steffen-Claudio Lemme (SPD): Ich werde mich bei dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke enthalten und kann diesem nicht zustimmen. Ich möchte aber das Bemühen für die Belange der Betroffenen an dieser Stelle anerkennen. Das Schicksal der Betroffenen hat mich zutiefst berührt. Menschen, denen derartiges Unrecht zugefügt wird, muss die Politik stets zur Seite stehen. Dies habe ich als Berichterstatter für dieses Thema auch getan und mit dem Betroffenenverband der geschädigten Frauen intensiv über ihre Probleme gesprochen. Von ihnen wird ausdrücklich auf nachgelagerte Umsetzungsprobleme des Anti-D-Hilfegesetzes verwiesen, die durch die von der Fraktion Die Linke vorgeschlagene Gesetzesänderung nicht überwunden werden können. Ich möchte dies kurz begründen: Eine Beweislastumkehr, wie von der Fraktion Die Linke gefordert, wird von allen Expertinnen und Experten zurückgewiesen. Denn nach geltendem Recht ist ein Anspruch auf Entschädigung nach dem Anti-DHG in Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz, BVG, bereits dann gegeben, wenn ein Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Infektion und den geltend gemachten Schädigungsfolgen erbracht werden kann. Dieser Nachweis ist bereits geführt, wenn der Zusammenhang wahrscheinlich ist, das heißt, wenn mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht, was hier ausdrücklich der Fall ist. Es handelt sich hier um eine grundsätzliche Form der Beweis-erleichterung. Nicht die Betroffenen selbst haben den Nachweis einer Schädigung zu führen. Vielmehr haben die zuständigen Behörden der Versorgungsverwaltung bzw. im Verfahrensfall die Sozialgerichtsbarkeit nach dem allgemein geltenden Amtsermittlungsgrundsatz des Sozialrechts – § 20 SGB X, § 103 SGG – den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Entgegen dem Vorschlag der Fraktion Die Linke müssen sich die betroffenen Frauen vielmehr darauf verlassen können, dass die Bundesregierung darauf hinwirkt, dass das Gesetz einheitlich ausgeführt und gemeinsam mit den Bundesländern koordiniert und evaluiert wird. Sie wollen vor allem über den Fortgang der Entwicklungen stetig informiert werden. Darüber hinaus müssen gerade die Gutachterinnen und Gutachter der betroffenen Frauen über eine spezifische Fachqualifikation verfügen, damit letztlich die Betroffenen Vertrauen in die Begutachtung ihrer Leiden haben können. Notwendig ist zudem, dass eine Begutachtung der Infektion und ihrer Folgeerkrankungen nach dem Stand der Wissenschaft erfolgt und eine in diesem Zusammenhang notwendige Überprüfung der Versorgungsmedizinverordnung umgehend angegangen wird. Somit werde ich mich beim Entwurf der Fraktion Die Linke nur enthalten können. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Ich werde dem Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke nicht zustimmen können, erkenne jedoch das Bemühen um die Belange der Betroffenen ausdrücklich an. Auch ich stehe seit Jahren in engem Austausch mit ihnen. Seit der Verabschiedung des Anti-D-Hilfegesetzes hat der Betroffenenverband auch mir gegenüber wiederholt auf spezifische Probleme hingewiesen, die jedoch mit dem von der Fraktion Die Linke eingebrachten Gesetzesänderungsvorschlag nicht gelöst werden können. Ich will kurz meine Abstimmung begründen: Die Forderung der Fraktion Die Linke nach einer Beweislastumkehr ist rechtssystematisch falsch. Denn nach geltendem Recht ist ein Anspruch auf Entschädigung nach dem Anti-DHG in Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz – BVG – bereits dann gegeben, wenn ein Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Infektion und den geltend gemachten Schädigungsfolgen erbracht werden kann. Dieser Nachweis ist bereits geführt, wenn der Zusammenhang wahrscheinlich ist, das heißt, wenn mehr für als gegen -einen ursächlichen Zusammenhang spricht, was hier ausdrücklich der Fall ist. Es handelt sich hier um eine grundsätzliche Form der Beweiserleichterung. Nicht die Betroffenen selbst haben den Nachweis einer Schädigung zu führen. Vielmehr haben die zuständigen Behörden der Versorgungsverwaltung bzw. im Verfahrensfall die -Sozialgerichtsbarkeit nach dem allgemein geltenden Amtsermittlungsgrundsatz des Sozialrechts – § 20 SGB X, § 103 SGG – den Sachverhalt von Amts wegen aufzu-klären. Entgegen dem Vorschlag der Fraktion Die Linke müssen sich die betroffenen Frauen vielmehr darauf verlassen können, dass die Bundesregierung darauf hinwirkt, dass das Gesetz einheitlich ausgeführt und gemeinsam mit den Bundesländern koordiniert und evaluiert wird. Sie wollen vor allem über den Fortgang der Entwicklungen stetig informiert werden. Darüber hinaus müssen gerade die Gutachterinnen und Gutachter der betroffenen Frauen über eine spezifische Fachqualifikation verfügen, damit letztlich die Betroffenen Vertrauen in die Begutachtung ihrer Leiden haben können. Notwendig ist -zudem, dass eine Begutachtung der Infektion und ihrer Folgeerkrankungen nach dem Stand der Wissenschaft erfolgt und eine in diesem Zusammenhang notwendige Überprüfung der Versorgungsmedizinverordnung umgehend angegangen wird. Vor diesem Hintergrund werde ich mich bei der Abstimmung des Gesetzentwurfs der Fraktion Die Linke enthalten. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Menschenrechtslage und humanitäre Situation in der Westsahara verbessern und Klärung des völkerrechtli-chen Status voranbringen – Große Anfrage: Haltung der Bundesregierung zur Westsahara und zur Menschenrechtslage in den vom Königreich Marokko und der Frente Popular de Liberacion de -Saguía el Hamra y Río de Oro kontrollierten Gebiet – Antrag: Die Beendigung der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Marokkos in der Westsahara und Lösung des Konflikts durch Referendum unterstützen (Tagesordnungspunkt 12 und Zusatztagesordnungspunkte 7 und 8) Frank Heinrich (CDU/CSU): Infolge des seit Jahrzehnten ungeklärten völkerrechtlichen Status befindet sich die Lage der Menschenrechte in der Westsahara in einer gefährlichen Sackgasse. Man muss von einer dauerhaften sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Diskriminierung der saharauischen Bevölkerung sprechen. Durch den Bürgerkrieg in Mali und die 70 000 Flüchtlinge, die in den anliegenden Sahara-Staaten und insbesondere in Mauretanien untergekommen sind, hat sich der Fokus der Weltöffentlichkeit neu der Region zugewandt – doch nach wie vor ist das Thema Westsahara dabei mehr als unterbelichtet. Vielleicht eröffnen sich Chancen zu neuem Handeln? Einige positive Signale lassen aufmerken. Doch dazu später mehr. Beginnen möchte ich mit einer Situationsbeschreibung: Bis heute leben, je nach Schätzung, zwischen 100 000 und 160 000 Sahauris in Flüchtlingslagern nahe der Stadt Tindouf in der algerischen Sahara. Das Gebiet der Westsahara ist aktuell durch eine befestigte und verminte Grenzanlage geteilt, die von Marokko entlang der Waffenstillstandslinie von 1991 errichtet wurde. Seit 1963 – und damit seit einem halben Jahrhundert! – steht die Westsahara auf der Liste der Vereinten Nationen als ein „Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung“. Die organisierte und international anerkannte Vertretung der Saharauis, die Polisario, tritt auf der Stelle. Die Afrikanische Union hat die Polisario als Vertretung der Saharauis anerkannt, woraufhin Marokko aus der Union ausgetreten ist. Ein Status, an dem sich seit Jahren nichts ändert. Ebenfalls seit Jahren stagniert die konstruktive Unterstützung für die Westsahara durch die Weltgemeinschaft. Sobald kleinere Fortschritte erzielt werden, geht es bald darauf wieder einen Schritt zurück. Seit Jahren beschuldigen sich Algerien und Marokko gegenseitig, ohne den Status quo anzutasten. Seit Jahren diskutieren wir ergebnislos hier im Bundestag. Das ist ernüchternd. Es ist erschütternd. Und mehr noch: Es ist brandgefährlich. Schon wächst die zweite Generation Saharauis heran, die unter menschenunwürdigen Bedingungen lebt, die nicht das erhält, was ihr historisch und völkerrechtlich zusteht. Es brodelt unter diesen Menschen – wer will es ihnen verdenken? Es wächst eine Generation heran, die noch niemals in Freiheit gelebt hat. Gut ausgebildete junge Menschen haben keine Perspektive. Weder auf Arbeit oder Wohlstand, noch auf freie demokratische Gestaltungsmöglichkeiten in ihrem Land – ja, sie wissen nicht einmal, ob der völkerrechtliche Status der Westsahara zu ihren eigenen Lebzeiten geklärt werden wird. Dass hier ein Nährboden für extremistisches Gedankengut zumindest entstehen könnte, liegt auf der Hand. Die Westsahara liegt vor unserer Haustür, das Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko, das die Befischung von Gewässern regelt, deren Status weiterhin ungeklärt ist, da sie territorial zur Westsahara gehören, aber von Marokko befischt werden, betrifft EU-Recht – und damit die Bundesrepublik ganz unmittelbar. Ich werde darauf noch näher eingehen. Es macht aber etwas deutlich: Wir dürfen die Augen nicht länger verschließen. Immerhin verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 28. April 2011 einstimmig die Resolution 1979 zur Lage in der Westsahara und zur Verlängerung des Mandats der VN-Mission MINURSO. Diese Resolution bringt in der Präambel erstmals die Notwendigkeit der Verbesserung der Menschenrechte in der Westsahara und den Lagern in Tindouf zur Sprache. Das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber der ursprünglichen Formulierung der Resolution 690 vom 29. April 1991, in der ein Referendum über den völkerrechtlichen Status der Westsahara gefordert wird und welche die -MINURSO-Mission der Vereinten Nationen begründet. Eine Umsetzung ist bis heute nicht erfolgt. Auch die Verbesserungen der neuen Resolution sind marginal, da diese den von vielen Seiten – von Menschenrechtsorganisationen ebenso wie von einzelnen Staaten und Staatengemeinschaften – geforderten Menschenrechtsmechanismus nicht enthalten. Die Durchführung des Referendums scheitert an den verschiedenen Positionen und Interessen der Konfliktparteien – vor allem Marokkos, Algeriens und der Polisario. Sie vertreten unterschiedliche Optionen für die Durchführung eines Referendums: Die Polisario fordert, eine Wahl zu haben zwischen der vollständigen Unabhängigkeit Westsaharas, einer Autonomie innerhalb Marokkos und einem Aufgehen in das Land Marokko. Das wird aber von Marokko abgelehnt; sie wollen nur ein Ja oder Nein zur Autonomie. In einem Gespräch im Februar 2013 mit der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, DGVN, erläuterte der deutsche MINURSO-Beauftragte -Weisbrod-Weber die Differenzen. Auf ihrer Internetseite führt die DGVN dazu aus: „Die Stellung und die Möglichkeiten von -MINURSO sieht auch der MINURSO-Leiter -Weisbrod-Weber durch ein Auseinanderklaffen der Realität und des De-jure-Mandates geprägt. Er berichtet, dass beide Konflikt-parteien, Marokko und Polisario, den Auftrag der -MINURSO unterschiedlich deuteten. Während Marokko den Einsatz auf die Überwachung des Waffenstillstandes reduziert, beruft sich die Polisario auf UN-Resolution 690 (1991) und damit auf die Organisation und Gewährleistung eines freien und fairen Referendums. Der Waffenstillstand sollte in ihren Augen nur den Auftakt zur friedlichen Vorbereitung des Selbstbestimmungs-Referendums darstellen. Außerdem leiten sie aus dem Mandat MINURSO nicht nur eine -Verantwortung für die in Westsahara lebenden Menschen, sondern für alle Saharauis und deren Recht auf ein menschenwürdiges Leben ab. Diese unterschiedlichen Haltungen würden sich, so -Weisbrod-Weber, auch im Sicherheitsrat widerspiegeln. Zudem gäbe es, neben Befürwortern der marokkanischen oder der saharauischen Sichtweise, eine Reihe von UN-Mitgliedstaaten, die keine Position zum Westsahara-Konflikt beziehen würden. “ Statt der ursprünglichen Hauptaufgabe von -MINURSO, die Rahmenbedingungen für das Referendum zu erarbeiten, nimmt MINURSO daher de facto heute vor allem diese Aufgaben wahr: die Überwachung des Waffenstillstandes, die Unterstützung vertrauensbildender Maßnahmen, die unabhängige Berichterstattung. Immerhin fuhren nach Einschätzung Weisbrod--Webers die vertrauensbildenden Maßnahmen zu ersten Verbesserungen der Lage der Saharauis, deren primäres Ziel es ist, den Kontakt zwischen den in der Westsahara, und den in den Flüchtlingslagern in der Region Tindouf, Algerien, lebenden Saharauis zu erleichtern. Von den geplanten Maßnahmen wurden bereits einige umgesetzt, wie regelmäßige Familienbesuche, ein kostenloser Telefondienst und das Angebot nichtpolitischer Seminare, die das kulturelle Erbe der Saharauis behandeln und stärken sollen. Als Leiter einer interfraktionellen Delegation des Menschenrechtsausschusses habe ich mir im Juni 2011 ein eigenes Bild von den Lagern vor Ort machen können. Damals war die Lage, gelinde gesagt, bedrückend. Umso mehr begrüße ich die Fortschritte – ohne mit dem Ergebnis bereits zufrieden zu sein. Viele der jungen Menschen, unter ihnen viele Frauen, haben uns mit ihrer Bildung und ihrem Ehrgeiz, sich zu entwickeln, beeindruckt. Hier liegen große menschliche Potenziale brach, die es für eine Entwicklung der ganzen Region zu gewinnen gilt. Ein großes Problem in der Westsahara bleiben Menschenrechtsverletzungen. Die Polisario und viele internationale Beobachter sowie Menschenrechtsorganisationen fordern daher von den Vereinten Nationen eine noch umfassendere Dokumentation und Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen, als dies etwa im Jahresbericht der VN vom April 2012 erfolgt ist. Im marokkanisch verwalteten Gebiet werden unter anderem das Folterverbot und das Recht auf freie Meinungsäußerung der saharauischen Bevölkerung offensichtlich eingeschränkt. Um ein Beispiel zu nennen: 24 Saharauis, die 2010 im Camp Gdim Izik für mehr soziale Gerechtigkeit protestierten, wurden im Februar 2012 von einem Militärgericht zu sehr langen oder lebenslangen – und damit -völlig unangemessenen – Haftstrafen verurteilt. Ein anderes – brandaktuelles – Beispiel nennt der Antrag der Fraktion Die Linke: „Zuletzt ging die marokkanische Polizei am 25. März 2013 beim Besuch des UN-Beauftragten Christopher Ross brutal gegen sahrauische Demonstrationsteilnehmer und -teilnehmerinnen in El Aaiún vor. In seinem Bericht vom 28. Februar 2013 hat der Sonderbeauftragte der Vereinten -Nationen Folter und andere grausame und unmenschliche Behandlungen, das große Ausmaß von Folter, insbesondere in den besetzen Gebieten durch -Marokko, belegt (A-HRC-22-53-Add-2). “ Neben den Menschenrechtsverletzungen ist besonders die Ausbeutung der Ressourcen der Westsahara durch Marokko zu kritisieren: Das erwähnte EU-Fischereiabkommen mit Marokko ist am 29. Juni 2011 für ein Jahr verlängert worden. Am 14. Februar 2012 wurde das Mandat zur Aushandlung eines neuen Protokolls erteilt – die Verhandlungen laufen noch. Die Bundesregierung hat gemeinsam mit Slowenien und Irland eine Erklärung zur Verpflichtung Marokkos, die Partizipation der Bevölkerung von Westsahara an den Rückflüssen aus dem Abkommen darzulegen, abgegeben. Die Zustimmung erfolgte auf Grundlage von Analysen der Europäischen Kommission über Rückflüsse aus dem Abkommen an die Bevölkerung der Westsahara sowie der erstmaligen Verpflichtung Marokkos, hierüber Bericht zu erstatten. In einem persönlichen Brief an mich hat Staatssekretär Dr. Gerd Müller am 5. April 2013 noch einmal dargelegt, dass die Bundesrepublik und die EU im Abkommen Marokko darauf verpflichten, regelmäßig Bericht zu erstatten, wie mit den Gewinnen verfahren wird, und eine Aufschlüsselung darzulegen, welche Anteile der sahaurischen Bevölkerung zugutekommen. Ich anerkenne und begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung hier zugunsten der Westsahara und ihrer Bevölkerung agiert. Da unterscheide ich mich in der Einschätzung von den Antragstellern der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Dennoch sehe ich starken Handlungsbedarf auf EU-Ebene, kein einseitiges, die Saharauis benachteiligendes Abkommen zu schließen. Ich stehe dazu in persönlichen Gesprächen mit verschiedenen europäischen Abgeordneten, die dieses Anliegen teilen. Erste – unverbindliche, aber deutliche – Signale, deuten an, dass auch Frankreich mit Präsident Hollande den berechtigten Ansprüchen der Westsahara im neuen Abkommen zustimmen könnte. Das findet meine volle Zustimmung. Eine Nebenbemerkung noch: Das Fischereiabkommen enthält keine Definition des Rechtsstatus der Westsahara und soll nicht präjudizieren, wie Staatssekretär Dr. Müller ausführt. Eine notwendige Klärung des Rechtsstatus der Meeresgewässer der Westsahara hingegen sollte im Zuge des Referendums schnellstens erfolgen. Auch weitere Ressourcen der Westsahara werden einseitig ausgebeutet, und es bedarf einer dringenden Überprüfung der Verträge. Da sind die Tomaten der Marken Azura und Idyl, die im Rahmen des EU-Agrarabkommens mit Marokko auf dem europäischen Markt verkauft werden. Da ist ferner der Energiebereich: Die Firma Siemens liefert Windenergieanlagen in die besetzten Territorien. Auch die Erlöse aus der Desertec-Energieanlage, die teilweise in der Westsahara errichtet wird, müssen entsprechend auch der sahrauischen Bevölkerung zugutekommen. Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, endlich den völkerrechtlichen Status der Westsahara zu klären und nicht mehr nur den „Stillstand zu verwalten“ (Weisbrod- Weber)? Das scheint nahezu unmöglich, doch lassen Sie mich noch einmal den Bericht der DGVN zitieren: „Seit seinem Amtsantritt vor 8 Monaten bekam Weisbrod-Weber ein zunehmendes öffentliches Interesse am Westsahara-Konflikt zu spüren. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Maghreb-Region durch den Mali-Konflikt in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt ist. Es bleibt abzuwarten, ob diese neue internationale Aufmerksamkeit ausreicht, um den Verhandlungsprozess zwischen Marokko und Polisario voranzutreiben.“ Die Anträge der Oppositionsparteien kann ich nicht in jedem Detail unterstützen und werde sie daher heute ablehnen: insbesondere die Linke formuliert auch zu scharfe Angriffe gegen Marokko – dieser Tonfall verhindert eher Verhandlungen, als sie möglich zu machen. Dennoch unterstütze ich das Anliegen. Ich werde mich weiter für eine Verbesserung der Menschenrechtslage der Saharauis einsetzen. Ausdrücklich begrüße ich daher die internationalen Initiativen, die zeigen, dass -aktuell Bewegung in die Angelegenheit kommt. Ich -begrüße, dass sich die USA gerade in den vergangenen Tagen zugunsten der Aufnahme eines Menschenrechtsmechanismus in die UN-Resolution geäußert haben. Ich begrüßte ebenfalls, dass Frankreich sich unter Präsident Hollande weniger einseitig pro Marokko positioniert, was im besten Falle zu einer Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen der Polisario und Marokko und zu einer Lösung des Stillstandes führen könnte. Weiterhin werde ich mich – gemeinsam mit der Bundesregierung – im Rahmen der aktuellen Verhandlungen über die Abkommen zur Fischerei, zu Agrarprodukten und zur Energieerzeugung für Gerechtigkeit einsetzen. In neuen Verträgen müssen die Erträge in angemessener Weise den Saharauis zugutekommen. Bei all den kleinen Schritten dürfen wir das große Ziel nicht aus den Augen verlieren: Das Ziel all unserer Bemühungen muss die schnellstmögliche Durchführung des Referendums sein, damit der völkerrechtliche Status der Westsahara geklärt wird und damit aus Flüchtlingen wieder Menschen mit vollen Bürgerrechten werden. Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Ich möchte Ihnen drei Vorfälle im Zusammenhang mit der Problematik „Westsahara“ in Erinnerung rufen, die mich in den letzten zwei Monaten sehr erschüttert, aber doch nicht überrascht haben. Sie machen deutlich, wie wichtig ein ernst gemeintes Engagement von deutscher Seite im Westsahara-Konflikt ist. Worum geht es bei diesem Konflikt? Die ehemalige Kolonialmacht Spanien brachte den Transitionsprozess der Westsahara nicht zu Ende und hinterließ der Region ein Konfliktfeld. Das hat in der Vergangenheit zum einen massiv die Rechte der Saharauis eingeschränkt und zum anderen viele Leben gekostet. Aktuell ist das Gebiet der Westsahara geteilt: Marokko kontrolliert den fruchtbaren Westen, die Polisario den trockenen Osten und Süden. Entlang der Waffenstillstandslinie von 1991 hat Marokko eine 2 500 Kilometer lange Grenzbefestigung errichtet. Die internationale Gemeinschaft versprach, eine Volksbefragung über die politische Zukunft der Saharauis durchzuführen. Dies ist bis heute nicht geschehen. Gleichzeitig schuf Marokko durch die Ansiedlung nichtsaharauischer Marokkaner Fakten. Nach über 20 Jahren des Wartens auf eine gewaltfreie Konfliktlösung und angesichts der wachsenden Ungeduld junger Saharauis blicke ich mit Sorge in die Zukunft. Zu den eingangs angesprochenen konkreten Vorfällen aus jüngster Zeit: Erstens. Mein SPD-Kollege Norbert Neuser ist Vorsitzender der Parlamentariergruppe für die Westsahara im Europäischen Parlament. Anfang März brachen er und drei weitere Abgeordnete sowie einige Mitarbeiter zu einer Fact Finding Mission zur Menschenrechtslage in die Westsahara auf. Die Reisepläne waren mit der marokkanischen Botschaft in Brüssel in zahlreichen Briefwechseln und Telefonaten abgesprochen worden. Geplant waren unter anderem ein Gesprächstermin mit MINURSO genauso wie mit marokkanischen Beamten vor Ort, der Besuch eines Fischerdorfes sowie ein Treffen mit Menschenrechtsorganisationen. Doch die Reise konnte nicht stattfinden. Die marokkanischen Behörden überlegten es sich kurzerhand anders. Trotz Absprachen! Kaum gelandet, wurden den Kollegen die Reisedokumente abgenommen. Sie durften noch nicht einmal aussteigen und den Flughafen in Casablanca betreten, sondern mussten unverzüglich mit derselben Maschine wieder zurückfliegen. Unsere Kollegen vom Europäischen Parlament wurden von unserem Partnerland Marokko also einfach ausgewiesen. Das ist diplomatisch nicht tragbar und aufs Schärfste zu verurteilen! Was zeigt uns dieser Vorfall? Für mich kann das nur eines bedeuten, und ich schließe mich dem Urteil der Kollegen des Europäischen Parlaments an: Marokko fürchtet anscheinend wie nie zuvor kritische Berichte zur Menschenrechtssituation im besetzten Gebiet. Zweitens. Erst zwei Wochen zuvor hatte ein marokkanisches Militärgericht 24 Saharauis zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Schweiz und Kanada waren übrigens mit Vertretern aus ihren Missionen bei dem Tribunal vor Ort. Deutsche Vertreter wurden nirgendwo gesichtet. Das wäre ein wichtiges Signal für die Menschenrechte gewesen. Doch zurück zum Prozess: Allein, dass dieser für die 24 Zivilisten vor dem Militärgericht in Rabat stattgefunden hat, verletzt die internationalen Standards für ein faires Gerichtsverfahren. Die Verurteilten waren 2010 nach friedlichen Protesten und der gewaltsamen Auflösung des Lagers von Gdeim Izik festgenommen worden. Acht von ihnen müssen nun lebenslang ins Gefängnis, die anderen bis zu 30 Jahre. Diese harten Strafen ohne eindeutige Beweislage, bei Foltervorwürfen gegen das Gefängnispersonal, ohne Autopsie der getöteten marokkanischen Sicherheitskräfte zeigen: Marokko versucht in Kolonialmanier durch gewaltsame Räumungen und intransparente und politisch motivierte Prozesse, jegliche Aktivitäten der Saharauis zu unterbinden. Drittens hat mich die Nachricht bestürzt, dass die EU angeblich bei den Verhandlungen über ein neues Fischereiabkommen mit Marokko die Befischung der Gewässer vor den Küsten der Westsahara wieder mitdiskutiert. Erst 2011 hatte das Europäische Parlament eine Verlängerung des Abkommens vor diesem Hintergrund abgelehnt. Eine Antwort der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Catherine Ashton, steht noch aus. Falls die Vermutung stimmen sollte, dass die EU diesmal nun wieder zustimmen wird, ist eine solch inkonsequente Linie der EU das Letzte, was wir brauchen können, wenn wir den Prozess einer Einigung in der Region voranbringen wollen. Ich erwarte deshalb in dieser Debatte eine klare und deutliche Positionierung der deutschen Bundesregierung in Brüssel gegen das Abkommen und keine „Fähnchen-im-Wind-Dreherei“ wie bei den letzten Verhandlungen 2011. Ich selbst war vor zwei Jahren mit einer Delegation des Menschenrechtsausschusses in der Westsahara und in den Flüchtlingslagern in Algerien. Diese Reise hat mich sehr berührt. Der UNHCR versucht, die Flüchtlinge den Umständen entsprechend gut zu versorgen. Und auch die Polisario kümmert sich um die Lebenssituation vor Ort. Aber die Bedingungen für die Flüchtlinge sind erschreckend. Einer der Hauptfinanziers, die krisengeschüttelten spanischen Gemeinden, die bisher insbesondere die schulische Ausbildung und den Austausch der Jugendlichen förderten, stellten in den vergangenen Jahren viele Zahlungen ein. Aber vor allem bewegt mich die Frage: Welche Perspektiven auf ein freies Leben unter gesicherten Bedingungen haben die Menschen? Das Gleiche gilt für die Saharauis, die im marokkanisch verwalteten Gebiet leben. Sie leiden täglich unter den Menschenrechtsverletzungen und den Diskriminierungen durch die marokkanische Verwaltung. Die lokalen Menschenrechtsorganisationen arbeiten unter schwierigen Bedingungen. Umso schöner ist die Nachricht, dass die bekannteste Organisation – CODESA – nun mit dem Bremer Solidaritätspreis ausgezeichnet wurde. Unser gemeinsames Ziel der Delegation, einen interfraktionellen Antrag zu schreiben, ist leider nicht zustande gekommen. Doch meinen Kollegen von den Grünen Volker Beck und mich haben die Eindrücke von dort nicht mehr losgelassen. In unserem Antrag kommen wir unserer menschenrechtlichen Pflicht nach, uns international für die Lösung des Konfliktes zu engagieren und gegebenenfalls Druck auf die Beteiligten auszuüben. Die Menschen in der Westsahara müssen endlich die Wahl bekommen: Wollen sie ein Teil Marokkos sein oder davon unabhängig? Und Marokko muss stärker als bisher an seine menschenrechtlichen Verpflichtungen erinnert werden. Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. Bei dem Antrag der Linken, der uns ganz kurzfristig und überraschend heute zur Abstimmung noch vorgelegt worden ist, werden wir uns enthalten. Vielleicht hätten Sie mit uns reden sollen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken. Marina Schuster (FDP): Auch nach fast 40 Jahren ist der Westsahara-Konflikt ungelöst. Die Fronten zwischen den Parteien sind verhärtet; ein rund 2 500 Kilometer langer Sandwall zieht sich durch die Region. Lassen Sie mich jedoch gleich zu Anfang festhalten: Vergessen ist der Konflikt dadurch noch lange nicht. Und deswegen begrüße ich es auch, dass wir hierzu eine Debatte führen. Liebe Kollegen und Kolleginnen von der SPD und von den Grünen, Sie haben nicht im Antragstext selbst, sondern in der Begründung vieles aufgeschrieben. Doch diese Zusammenschau wird den tatsächlichen Gegebenheiten in einigen Punkten nicht gerecht. Das wissen Sie auch. Sie erwähnen beispielsweise nicht, was die -Bundesregierung bereits tut. Bundesaußenminister Westerwelle und Bundeskanzlerin Merkel thematisieren die humanitäre Lage in der Region regelmäßig auf bi- und multilateraler Ebene. Diplomatisches Spitzenpersonal bemüht sich in Algier, Rabat und Laayoune um eine stetige Intensivierung des Dialogs. Die Besuche des -VN-Sondergesandten Wolfgang Weisbrod-Weber und des persönlichen Gesandten des VN-Generalsekretärs -Christopher Ross in Berlin zu Beginn dieses Jahres sind ein Ergebnis dieses Engagements. Und seien Sie versichert: Wir drängen auf eine rasche Lösung des Konflikts. Denn zu lange warten die Menschen auf Bewegung. Seit 1991 überwachen die Vereinten Nationen mit der Mission MINURSO den Waffenstillstand zwischen Marokko und der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario. Die sogenannte Übergangsperiode, die die Umsetzung des VN-Lösungsplans vorsieht, hat noch nicht einmal begonnen. Obwohl die Mission die Durchführung eines Referendums sogar in ihrem Namen trägt, steht dieses bis heute aus. Zu unterschiedlich sind die Positionen der beteiligten Parteien. Das heißt jedoch nicht, dass die Anwesenheit von -MINURSO vergeblich ist. Und genau auf diesen Punkt geht Ihr Antrag überhaupt nicht ein: Ich vermisse eine Würdigung der Arbeit der Vereinten Nationen, von Ban Ki-moon, und von Herrn Weisbrod-Weber und Herrn Ross. Die Gesandten und die Mission MINURSO leisten unter sehr schwierigen Bedingungen einen wichtigen Beitrag, um eine Annäherung zwischen Marokko und Sahrauis zu fördern. Deutschland unterstützt diese Bemühungen ausdrücklich. Das Auswärtige Amt trägt zum Beispiel zu den vertrauensbildenden Maßnahmen des UNHCR bei, die Familienbesuche oder Telefonkontakte ermöglichen. Und wir haben uns ja selbst im Menschenrechtsausschuss mit Herrn Weisbrod-Weber darüber informieren können. Vergessen wird ebenfalls, wie leider so oft, der Europarat. Marokko ist seit fast zwei Jahren Partner for Democracy der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Die Idee hinter diesem Status ist, dass Marokko die Instrumente des Europarates, wie zum Beispiel die Venedig-Kommission, nutzen kann, um menschenrechtliche und rechtsstaatliche Entwicklungen im eigenen Land zu fördern. Diesen Weg halte ich übrigens für konstruktiver, als beispielsweise jedwede Entwicklungszusammenarbeit in der Region Westsahara zu beenden. Ich denke, wir müssen bei einer solchen Forderung auch bedenken, ob es im Sinne der Menschen vor Ort wäre oder ob es nicht doch mögliche Projekte gibt, die unterstützungswürdig sind. Eines ist besonders wichtig: Wir müssen den Blick auf die teilweise gravierenden Menschenrechtsprobleme in der Region lenken. Anfang des Monats erschien der jährliche Bericht des VN-Generalsekretärs Ban Ki-moon zur Situation in Westsahara. Dieser thematisiert die fortdauernden Menschenrechtsverletzungen im von Marokko kontrollierten Gebiet. Er kritisiert aber auch, dass es keinerlei Aufklärung über Menschenrechtsverletzungen in den Flüchtlingslagern der Frente Polisario in Tindouf gibt. In Bezug auf den marokkanischen Teil reichen die Menschenrechtsverletzungen von Einschränkungen der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit über unfaire Gerichtsverfahren bis hin zu Folter sowie grausamer und unmenschlicher Behandlung. Gleichzeitig gibt es Anschuldigungen über Menschenrechtsverletzungen in den Flüchtlingslagern in Tindouf, die mithilfe der UN aufgeklärt werden müssen. Im September 2012 hat Frente Polisario Kooperation zugesagt. Die Eröffnung zweier Büros des Nationalen Menschenrechtsrates durch Marokko 2011 im Zuge einer Verfassungsreform sendete sicherlich ein positives Signal. Dennoch sehe ich weiterhin besorgniserregende Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte, die sich negativ auf die ohnehin schon instabile Lage im Sahel auswirken können. Auch mir ist klar, dass die Konfliktparteien unterschiedliche Ansätze verfolgen, die die Durchsetzung von Menschenrechten in der Region sicherstellen sollen. Gleichzeitig bin ich aber davon überzeugt, dass eine Verbesserung der Menschenrechtslage inhärent notwendig für jedwede Lösung des Konflikts ist. Ban Ki-moon empfiehlt in seinem Bericht, einen unabhängigen Kon-trollmechanismus zur Überwachung der Menschenrechtssituation in der Region einzurichten. Ein neutraler Mechanismus, der die Menschenrechtslage sowohl in Westsahara als auch in den Flüchtlingslagern in Tindouf überwacht, ist lange überfällig. Hier würde sich vor allem die Chance bieten, das gegenseitige Vertrauen zwischen den Parteien zu stärken und somit auch eine Grundlage für zukünftige Verhandlungen zu schaffen. Diesen Monat läuft das Mandat der VN-Mission -MINURSO aus, eine Verlängerung steht an. Umstritten ist allerdings leider die Erweiterung des Mandats um eine Menschenrechtskomponente. Die „Freundesgruppe der Westsahara“, bestehend aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und Spanien, verhandelt derzeit über die Ausgestaltung des neuen MINURSO--Mandats. Den Vorstoß, einen Entwurf für ein Menschenrechtsmandat einzubringen, begrüße ich sehr. Ich bedauere umso mehr, dass sich Marokko – zumindest nach Presseberichten – bereits ausdrücklich gegen ein erweitertes Mandat von MINURSO um ein Menschenrechtsmonitoring ausgesprochen hat. Ich appelliere hier ins-besondere an Frankreich, die Aufnahme eines Menschenrechtsmonitorings zu unterstützen. Und ich hoffe sehr, dass es zu einer einheitlichen Position innerhalb der EU kommt! Wir wissen leider, dass es diese seit vielen Jahren nicht gegeben hat. Denn in diesem Punkt stimme ich Ihrem Antrag zu: Wir brauchen dringend eine Ergänzung des MINURSO-Mandats um eine Menschenrechtskomponente. Die Mission leistet seit über 20 Jahren wichtige Vermittlungsarbeit vor Ort. Sie ist als unabhängige Instanz wie keine andere Partei geeignet, die Lage der Menschenrechte in der Region zu überwachen. Ich glaube, dass eine Unterstützung durch die Hohe Kommissarin der VN für Menschenrechte maßgeblich für die Erweiterung des MINURSO-Mandats ist. Hier müssen wir unbedingt unsere Unterstützung zeigen. Ich habe mich daher in einem Brief an Navi Pillay gewandt und sie gebeten, sich für eine Menschenrechtskomponente im Mandat von MINURSO einzusetzen. Jetzt sind vor allem die Konfliktparteien gefragt, die einen gemeinsamen Nenner finden müssen, wie sie ihrer Verantwortung für den Menschenrechtsschutz der betroffenen Bevölkerung gerecht werden. Wir tun alles, um dies zu unterstützen. Sevim Da?delen (DIE LINKE): Die Kriege in Jugoslawien, Afghanistan und Irak, die Propaganda gegen den Iran als Weltbedrohung, die uneingeschränkte Parteinahme für die damalige libysche und die heutige syrische Opposition und das Hofieren dieser sogenannten Rebellen, die den Bürgerkrieg weiter zu eskalieren suchen, um schließlich eine Intervention von außen zu befördern – all dem liegt die westliche Eigennützigkeit zugrunde. Die angebliche Prämisse der Förderung von Demokratie und Menschenrechten spielt in Wahrheit – wenn überhaupt – nur eine nachgeordnete Rolle. Zumeist wird sie gänzlich ignoriert, wie das Beispiel Marokko sehr deutlich zeigt. Da kooperiert die Bundesregierung mit dem marokkanischen Regime aufs Engste, an das sie Waffen liefert und dessen Soldaten und Polizisten sie ausbildet. Jene Soldaten und Polizisten, die vermutlich auch mit deutschen Ausrüstungen am 8. November 2010 gewaltsam das „Camp der Würde“ in der Wüste vor den Toren der Stadt El Aaiún räumten. Dabei starben nach sahrauischen Angaben zwölf Menschen, mehrere Hundert Demonstranten wurden schwer verletzt. Das Camp wurde dem Erdboden gleichgemacht, die Zelte in Brand gesteckt. Die Bundesregierung belohnt auch noch Marokko dafür, dass es durch die Besatzung Völkerrecht bricht und sich kontinuierlich schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig macht. Sie lässt die sahrauische Bevölkerung für die schmutzigen Dienste -Marokkos bei der vermeintlichen Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der Flüchtlingsabwehr im wahrsten Sinne des Wortes „bluten“. Sonst unterstützt die Bundesregierung jede beliebige Gruppierung beim Streben nach Unabhängigkeit. Sie muss sich nur geostrategische Vorteile versprechen und das Interesse des deutschen Kapitals sehen. Menschenrechte und Völkerrecht spielen da eine untergeordnete Rolle. Diese sieht die Bundesregierung offenkundig im Falle der Sahrauis und der Westsahara nicht. Denn sie stellt sich auch weiterhin nicht auf die Seite des Völkerrechts, sondern auf die Seite der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Marokkos. Sie stellt sich auf die Seite derer, die das geforderte Referendum verhindern bzw. auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben wollen und damit die sahrauische Bevölkerung der Westsahara dauerhaft ihres Rechtes auf Selbstbestimmung berauben. Ihre Unterstützung für das marokkanische Besatzungsregime trägt dazu bei, eine endgültige Klärung des völkerrechtlichen Status der Westsahara zu behindern. Schlimmer noch: Das offen und demonstrativ gezeigte absolute Desinteresse der Bundesregierung an einer Klärung setzt ein klares Zeichen für die Zukunft. Denn eine militärische Konfrontation ist nicht mehr ausgeschlossen. Durch sofortige und konkrete Schritte zu einem Referendum könnte diese verhindert werden. Die Linke unterstützt alle dahin gehenden Schritte. Sie teilt in diesem Sinne auch einige der Forderungen des SPD-Grünen-Antrages. Der Antrag hat aber ein grundsätzliches Manko, weshalb wir als Linke auch nicht zustimmen können. Dieser Antrag lässt es in der zentralen Frage des Konflikts an Klarheit fehlen. So ist nicht klar benannt, dass es sich um eine völkerrechtswidrige Besetzung und Besatzung der Westsahara handelt. Sehr verkürzend wird von einer „völkerrechtswidrigen Verwaltung“ geschrieben. Kein Wunder also, wenn eine wirtschaftliche Ausbeutung der Westsahara durch Marokko akzeptabel zu sein scheint, sofern sie „der sahrauischen Bevölkerung zu Gute“ komme. Diese Formulierungen deuten an, dass SPD und Grüne die jetzige Politik geradewegs fortsetzen wollen, wenn sie selbst wieder einmal an einer Regierung beteiligt sind. Die Besatzung selbst ist schlicht illegal und muss beendet werden – daran ist eine Position für das Völkerrecht und die Menschenrechte zu messen. Die Linke will nicht einfach nur, dass die Sahrauis an der illegalen Ausbeutung im Nachgang irgendwie beteiligt werden. Sie sind es, die darüber entscheiden können müssen, ob überhaupt eine Ausbeutung der Ressourcen stattfinden soll. Und wenn sie das wollen, sind auch sie es, die darüber entscheiden müssen, in welcher Art und Weise dies zu geschehen hat. So funktioniert Demokratie! So sieht es das internationale Recht vor! All das wird ihnen völkerrechtswidrig durch die marokkanischen Besatzer verwehrt. Sahrauis, die sich wie damals im „Camp der Würde“ gegen diese völkerrechtswidrige Besatzung und ihre Folgen wehren, werden eingesperrt, gefoltert oder gar getötet. Mit diesen Menschenrechtsverletzungen und mit der systematischen Diskriminierung der Sahrauis muss endlich Schluss sein! Und Schluss sein muss auch damit, dass die Bundesregierung das marokkanische Regime bei jeder Gelegenheit hofiert und damit das Königshaus gegen die Protestbewegungen unterstützt. Sie muss endlich alles tun, Marokko von der völkerrechtswidrigen Besatzung der Westsahara und den dort stattfindenden Menschenrechtsverletzungen abzuhalten, auch um eine weitere Eskalation in der gesamten Region zu vermeiden. Und dazu bedarf es eben wesentlich stärkerer Maßnahmen als derjenigen, die im SPD-Grünen-Antrag formuliert sind. Hauptziel muss sein, das marokkanische Regime zu bewegen, endlich die Resolution 690 des UN-Sicherheitsrats vom 29. April 1991 umzusetzen und das Referendum über die Zukunft der Westsahara unter UN-Aufsicht nicht weiter zu blockieren. Die Linke fordert deshalb unter anderem: dafür Sorge zu tragen, dass die Begünstigungen Marokkos im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik und des „fortgeschrittenen Status“, advanced status, sowie das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Marokko so lange ausgesetzt werden, bis das Referendum über die Zukunft der Westsahara unter UN-Aufsicht stattgefunden und Marokko die völkerrechtswidrige Besatzung der Westsahara beendet hat; die Beteiligung deutscher Unternehmen an Abbau, Abtransport und Weiterverarbeitung von Ressourcen wie Phosphaten in der Westsahara oder Fischfang sowie an Explorationen zum Beispiel von Öl und Gas nicht weiter zu decken, sondern zur Anzeige zu bringen; sich dafür einzusetzen, dass ein Agrarabkommen zwischen der EU und Marokko nicht im Widerspruch zum Völkerrecht steht, indem die Gebiete der völkerrechtswidrig besetzten Westsahara ausdrücklich ausgenommen werden; darauf hinzuwirken, dass bei Verlängerung der UN-Mission MINURSO das Mandat auf die Beobachtung und Meldung von Menschenrechtsverletzungen in der Westsahara erweitert wird, solange unabhängige Menschenrechtsbeobachter und beobachterinnen keinen freien Zugang zu den besetzten Gebieten haben; jegliche Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für marokkanische Polizei- und Armeekräfte einzustellen. Es wird Zeit, die Unterstützung gegenüber autoritären Regimen endlich zu beenden und die deutsche Außenpolitik auf Rechts- und Sozialstaatlichkeit sowie auf das Völkerrecht zu orientieren. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist jetzt gut zwei Jahre her, dass ich gemeinsam mit anderen Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen in der Westsahara war. Zudem haben wir damals das riesige sahrauische Flüchtlingslager in Tindouf in Algerien besucht. Was wir dort gesehen, gehört und erlebt haben, hat uns alle betroffen gemacht. Vor über 20 Jahren, am 29. April 1991, setzte der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 690 die UN-Mission MINURSO ein, die ein Referendum über die Zukunft der Westsahara absichern sollte. Nach jahrzehntelangen Kämpfen hatte sich die Regierung von Marokko mit der Polisario, der Befreiungsbewegung der maurischen Sahrauis, auf eine Volksabstimmung geeinigt. Diese Abstimmung hat es bis heute nicht gegeben. Stattdessen durchzieht von Nordost nach Südwest eine befestigte Grenzanlage die Westsahara, die das Gebiet ziemlich genau nach der wirtschaftlichen Nutzbarkeit aufteilt: in eine marokkanisch besetzte Speckschwarte zur Küste hin samt Fischreichtum und Phosphatvorkommen und in ein der Polisario überlassenes Knochenstück mit viel Wüste und Dürre. Als ich diese krassen Unterschiede in den Lebensverhältnissen gesehen habe, habe ich begriffen, dass es sich hier tatsächlich um den wohl letzten kolonialen Konflikt der Welt handelt. Was völkerrechtlich noch als schwerwiegendes Versäumnis durchgehen könnte, hat katastrophale menschenrechtliche Konsequenzen. Einem Großteil der sahrauischen Bevölkerung in dem von Marokko besetzten Gebiet werden wesentliche Menschenrechte vorenthalten. Sie darf weder ihre Meinung äußern noch sich frei versammeln, sie wird staatlich diskriminiert und benachteiligt. Die Bevölkerung in dem von der Polisario kontrollierten Teil leidet unter der von Marokko bewusst herbeigeführten schlechten wirtschaftlichen Lage und zahlreichen Aktivitäten des marokkanischen Geheimdienstes. In beiden Teilen verschwinden Aktivistinnen und Aktivisten, werden willkürlich verhaftet und zum Teil in den Gefängnissen gefoltert. Eine Strafverfolgung dieser Menschenrechtsverletzungen findet nicht statt. Katastrophal ist nach wie vor die Lage in den Flüchtlingslagern auf algerischer Seite, wo weit über 100 000 Menschen zum Teil seit über 30 Jahren und in dritter Generation unter erbärmlichen Umständen leben müssen, ohne eine Aussicht darauf zu haben, jemals in ihre Heimat zurückzukönnen und ein normales Leben zu führen. Die schlechten humanitären Bedingungen im Lager Tindouf, der Wassermangel und die Hitze sind mir noch in guter Erinnerung. Die Perspektivlosigkeit an diesem Ort hat mich tief getroffen. Dass der Westsahara-Konflikt immer noch nicht gelöst ist, liegt in erster Linie an den wirtschaftlichen Interessen und der Sturköpfigkeit Marokkos. Aber es liegt auch daran, dass weder die UN über MINURSO noch die EU noch Deutschland genügend Willen und Elan zeigen, diese Situation wirklich zu ändern. Die UN nutzen ihre Möglichkeiten, um das überfällige Referendum endlich gegen den marokkanischen Widerstand durchzusetzen, nicht, weil wohl in erster Linie französische Interessen dagegen stehen. Frankreich sieht sich in einer traditionellen Schutzpflicht für Marokko und unterhält dorthin enge politische, wirtschaftliche und persönliche Beziehungen. Als im Jahre 2009 angedacht wurde, dem MINURSO-Mandat einen Menschenrechtsmechanismus hinzuzufügen, scheiterte dies an der Androhung Frankreichs, notfalls ein Veto einlegen zu wollen. Eine entsprechende Vorlage zur Änderung des Mandats kam somit erst gar nicht zur Abstimmung. Frankreich stellt sich eins zu eins hinter die Regierung des Königreichs Marokko und unterstützt damit die faktische Annexion dieses Gebietes der Westsahara durch Marokko. Nach den zwei nahezu verschenkten Jahren im Sicherheitsrat sollte Deutschland nun zumindest im UN-Menschenrechtsrat seinen Einfluss geltend machen, um die französische Blockade zu überwinden und zumindest der MINURSO das Recht einzuräumen, über die Achtung der Menschenrechte in Westsahara zu wachen. Und auch in der EU sollte Deutschland sein Gewicht nutzen, um eine neue europäische Position zu Westsahara zu erwirken. Im Gespräch mit Wolfgang Weisbrod-Weber vor wenigen Wochen im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe wurde deutlich, dass das Mandat der MINURSO nach wie vor zwei gewichtige Probleme hat: Erstens mangelt es an der Unterstützung der Konfliktparteien für eine Durchführung des Referendums – vor allem von der marokkanischen Seite, die daran keinerlei politisches Interesse hat. Zweitens hat MINURSO als einzige aktuelle VN-Mission kein Mandat zur Überprüfung der Menschenrechtslage. Sicher: Es gibt auch andere Möglichkeiten der Vereinten Nationen. Das hat uns Herr Weisbrod-Weber – nicht zuletzt aus Loyalität zu seinem Mandat – dargelegt: etwa Berichte des VN-Sonderberichterstatters für Folter oder der Hochkommissarin für Menschenrechte. Oder auch die Befassung des UN-Menschenrechtsrates, wie wir es in Forderung 3 stehen haben. Wir denken dennoch, dass ein Menschenrechtsmechanismus in das Mandat hineingehört, und fordern dies daher in unserem Antrag explizit. Wichtig ist uns aber auch, dass sich die Bundesregierung viel stärker als bislang bemühen sollte, Marokko zur Einhaltung seiner völkerrechtlichen Pflichten zu -ermahnen. Dies gilt insbesondere für die Verteilung der Einnahmen aus der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen auf dem Gebiet der Westsahara. Die sahrauische Bevölkerung profitiert davon derzeit nahezu gar nicht. Infrastrukturmaßnahmen kommen vor allem dem marokkanischen Militär zugute, schädigen die Position der Sahrauis also eher. Dies gilt etwa auch für die Neuverhandlung eines Fischereiabkommens der EU mit Marokko, die Phosphatgewinnung oder den Aufbau von Solarkraftwerken. Es war richtig, dass das Europäische Parlament auf die Initiative der europäischen Grünen hin dafür gesorgt hat, dass das Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko nicht verlängert werden konnte. Zuvor verkaufte Marokko die reichen Fischbestände vor der Küste Westsaharas an die Europäer. Gut 36 Millionen Euro war dieser Fang wert. Völkerrechtlich müssten diese Beträge eigentlich der Bevölkerung der besetzten Gebiete dienen, denn die wirtschaftliche Verwertung der Bodenschätze auf dem Gebiet der West-sahara und der Fischbestände vor der Küste durch -Marokko ist völkerrechtswidrig, solange sie der sahrau-ischen Bevölkerung nicht zugutekommt. Abgeleitet aus dem Recht auf Selbstbestimmung besitzen alle Völker auch das Recht, ihre eigene ökonomische, kulturelle und soziale Entwicklung zu fördern, was die Freiheit einschließt, über die Bodenschätze und natürlichen Ressourcen auf ihrem Gebiet selbst zu verfügen. Art. 73 der VN-Charta besagt zudem, dass die ökonomische Ausbeutung von natürlichen Ressourcen in nicht selbstbestimmten Gebieten nur mit der Zustimmung der lokalen Bevölkerung gestattet werden kann und in Übereinstimmung mit deren wirtschaftlichen Interessen erfolgen muss. Beides ist in dem von Marokko besetzten Gebiet der Westsahara nicht der Fall. Sicherlich ist es zu kurz gesprungen, das Königreich Marokko als alleinigen Missetäter in diesem Konflikt darzustellen. Zwar gehen durch die Besatzungspolitik viele der in Westsahara verübten Menschenrechtsverletzungen von Marokko aus. Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass man der Polisario bei dem Umgang mit ihren eigenen Leuten 100-prozentig vertrauen kann. Gerade deshalb braucht MINURSO einen Menschenrechtsmechanismus. Leider aber hat die schwarz-gelbe Koalition auch diese einzelne Forderung – die wir gestern im Menschenrechtsausschuss getrennt haben abstimmen lassen – abgelehnt. Die Koalitionsräson, nicht mit Anträgen der Opposition zu stimmen, stand einmal mehr über dem Einsatz für die Menschenrechte. Dabei wäre es wichtig gewesen, endlich zu einer eigenständigen und menschenrechtsorientierten deutschen Westsahara-Politik zu kommen. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) (Tagesordnungspunkt 13) Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Hartnäckig begegnet mir im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern das Missverständnis, der Deutsche Bundestag habe in den vergangenen Jahren europapolitisch an Einfluss verloren. Dabei ist das Gegenteil richtig: Zunächst durch den parlamentarisch geprägten Konvent zum Europäischen Verfassungsvertrag und später durch den Vertrag von Lissabon wurde eine umfassende Parlamentarisierung der Europapolitik eingeleitet. Mit frühzeitigen Informationsrechten direkt aus der Europäischen Kommission und den neuen Instrumenten der Subsidiaritätsrüge und der Subsidiaritätsklage erhielten die nationalen Parlamente einen sehr viel stärkeren Einfluss auf europapolitische Entscheidungen, die lange die Domäne der Exekutive gewesen waren. Gleichzeitig hat auch das Europäische Parlament in den vergangenen Jahrzehnten an Einfluss auf europäische Gesetzgebungsprozesse gewonnen; es ist zu einem echten Parlament gereift. Kurzum: So viel parlamentarische Mitbestimmung in Europa wie heute gab es noch nie! Daher ist es nur richtig, diese Informations- und Entscheidungsrechte auch gegenüber der eigenen Regierung gesetzlich zu verankern. Doch geschieht dies heute ja mitnichten zum ersten Mal: Der Deutsche Bundestag hat allen Grund, heute auch stolz auf seine eigene gesetzgeberische Arbeit zurückzublicken. Was 2005 mit der damaligen „Zusammenarbeitsvereinbarung“ zwischen Bundestag und Bundesregierung begann, findet heute in einem neuen EUZBBG seinen Abschluss. Mein Dank gilt daher den Berichterstattern aller Fraktionen, die an diesem überfraktionellen Antrag mitgewirkt haben. Während wir bei der Verabschiedung des alten EUZBBG lediglich die alte Zusammenarbeitsvereinbarung in ein Gesetz umformuliert haben, wurde der heute vorliegende Text vollkommen neu verfasst. Damit konnte erstmals eine Gesetzessystematik geschaffen werden, wie wir und wie sie auch Gerichte und die Wissenschaft gewohnt sind. Zugleich wurde nun erstmals vollumfänglich ausformuliert, was aus Sicht des Deutschen Bundestages unter dem Begriff der „Angelegenheiten der Europäischen Union“ zu verstehen ist. Hier gab es in der Vergangenheit Unterschiede in der Interpretation zwischen der Bundesregierung und dem Parlament, die teilweise erst vom Bundesverfassungsgericht – übrigens im Sinne des Parlaments! – geklärt werden konnten. Jetzt ist klar, dass künftig sämtliche neu zu schaffenden Instrumente zur Weiterentwicklung der Euro-Zone zu diesen „Angelegenheiten der Europäischen Union“ zu zählen sind und der Deutsche Bundestag entsprechend zu informieren ist. Die Erfahrung mit dem alten EUZBBG hat gezeigt, dass der Bundestag seine europapolitische Rolle selbstbewusst, aber auch verantwortungsbewusst wahrnimmt. Wir gerieren uns nicht als bessere Exekutive, sondern wahren auch in diesem Gesetz die Balance zwischen parlamentarischer Kontrolle und europapolitischer Handlungsfähigkeit der Regierung. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe werden wir von der Bundestagsverwaltung – namentlich der neu geschaffenen Unterabteilung Europa – und dem Verbindungsbüro in Brüssel unterstützt. Auch ihnen sei an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön gesagt. Bereits die alte Zusammenarbeitsvereinbarung fand im Übrigen bei unseren Kolleginnen und Kollegen in den übrigen Mitgliedstaaten der EU großes Interesse. Mehrfach musste unser Sprachendienst dieses Dokument übersetzen, weil die zunehmende Beteiligung des Deutschen Bundestages an der deutschen Europapolitik mit sehr großem Interesse wahrgenommen wurde. Dies fand nach Verabschiedung des alten EUZBBG seine Fortsetzung. Auch dieses Gesetz hatte ich mehr als einmal in übersetzter Fassung in meinem Reisekoffer, wenn ich andere Hauptstädte, die Sitzungen der COSAC, der Konferenz der nationalen Europaausschüsse, oder auch das Europäische Parlament besuchte. Überall stieß ich auf sehr großes Interesse an der europapolitischen Arbeit des Bundestages, und überall wurde sehr aufmerksam registriert, dass das Parlament in einem zentralen Mitgliedstaat der EU seine Kompetenzen in der Europapolitik deutlich ausweiten konnte. Und unser EUZBBG wurde auch als Vorbild für die Formulierung eigener Beteiligungsrechte genutzt: Kürzlich informierte mich beispielsweise das dänische Parlament darüber, dass die dortigen Kolleginnen und Kollegen sich bei ihrem Beteiligungsgesetz eng an unserer Vorlage orientieren. Daher bin ich mir ganz sicher, dass das heute zu verabschiedende neue EUZBBG ebenfalls weit über die Beziehungen zwischen Bundestag und Bundesregierung hinaus in ganz Europa unter den Parlamentariern große Beachtung finden wird. Und ich würde mir wünschen, wenn es unsere Kolleginnen und Kollegen in jenen Ländern, in denen die Europapolitik noch immer weitgehend von der Exekutive ausgeht, ebenfalls zu mehr Selbstbewusstsein ermuntert. Denn wir als nationale Parlamentarier können unsere Aufgaben, die uns in der Europapolitik mit dem Vertrag von Lissabon ausdrücklich zugewachsen sind, nur dann vollumfänglich wahrnehmen, wenn wir zugleich über entsprechende Beteiligungsrechte verfügen. Aufgrund der unterschiedlichen parlamentarischen Traditionen in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU wird naturgemäß auch die Beteiligung in europapolitischen Fragen niemals vollkommen harmonisiert werden können. Vergleichen wir nur einmal die Parlamente, ihre Traditionen und die den Abgeordneten zur Verfügung stehenden Ressourcen in unseren Nachbarländern Österreich, Frankreich, Polen und Dänemark! Denken wir an das britische Parlament und seine ganz eigene Debattenkultur! Es ist gut, dass es diese Unterschiede gibt, denn -Demokratie lebt auch von der Verwurzelung in eigenen Traditionen. Ich wünsche aber trotzdem dem neuen EUZBBG eine große Verbreitung unter unseren europäischen Kolleginnen und Kollegen, um Ideen für die eigene Arbeit anzustoßen. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Heute wurden im Deutschen Bundestag weitreichende und in ihren Konsequenzen noch nicht vollständig absehbare Entscheidungen getroffen, die mit Zypern, Irland und Portugal zwar auf Partnerländer in der Europäischen Union bezogen sind, die aber natürlich auch Deutschland elementar berühren. Unabhängig von ihrem Inhalt zeigen diese Entscheidungen zum einen, wie eng verflochten die europäischen Partner heute schon sind, wie Entwicklungen, die sich an den äußersten Rändern unseres Kontinents abspielen, uns ebenso intensiv beschäftigen müssen wie manche Fragen der Innenpolitik. Die Entscheidungen machen aber zum anderen noch einmal sehr deutlich, wie eng das Handeln der Bundesregierung auf europäischer Ebene und unser eigenes hier im Deutschen Bundestag inzwischen miteinander verflochten sind. Von Deutschland wird häufig gefordert, seiner Führungsverantwortung in Europa gerecht zu werden. Eine starke Position in Brüssel beruht aber heute nicht mehr darauf, dass eine Exekutive quasi im Verborgenen – ungestört und losgelöst von Positionen der heimischen Parlamentarier – handeln und verhandeln kann. Um eine führende Rolle in Verhandlungen spielen zu können, bedarf die Bundesregierung vielmehr eines klaren Mandats des Parlaments, auf das sie sich stützen und an dem sie sich orientieren kann. Auch die europäischen Partner sind von deutschen Positionen eher zu überzeugen, wenn sie wissen, dass hier in wesentlichen Punkten Parlament und Exekutive mit einer Stimme sprechen. Auswirkungen eines Auseinanderklaffens von Verhandlungspositionen und parlamentarischer Rückendeckung konnten im Rahmen der Verhandlungen in der Zypernkrise ja besichtigt werden. Nach einer begrüßenswerten Entwicklung, in der neben der Eigeninitiative des Deutschen Bundestages auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und Selbsterkenntnis der Bundesregierung zusammenspielten, haben wir mit dem neuen Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union nun einen Punkt erreicht, an dem über umfassende und präzise Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages eine solide Basis für ein solches koordiniertes Vorgehen von Regierung und Parlament in europäischen Angelegenheiten gelegt ist. Der Deutsche Bundestag hat Beteiligungsrechte erreicht, deren Ausmaß und Ausgestaltung uns zu einem Vorreiter im Kreis der Parlamente in Europa machen. Diese Rechte gelten, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 19. Juni 2012 entschieden hat, nicht nur für die klassischen Angelegenheiten der Europäischen Union, sondern ebenso für völkerrechtliche Verträge und intergouvernementale Vereinbarungen, wenn diese in einem Ergänzungs- oder sonstigen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen. Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union war schon seit längerem dieser Auffassung und hatte eine Unterrichtung in diesem Bereich bereits vor dem Urteil mit Erfolg eingefordert. Nach Klarstellung in Urteil und Gesetz sind wir nun aber zu Recht nicht mehr auf die „Kulanz“ der Bundesregierung angewiesen. Ein koordiniertes Vorgehen zwischen Bundestag und Bundesregierung kann freilich nicht bedeuten, unterschiedliche Rollen im Verfassungsgefüge einzuebnen. „Checks and Balances“ setzen selbstständige Akteure mit abgegrenzten Bereichen der Eigenverantwortung voraus. Der Bundestag muss seine Mitwirkungs- und Kontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung gerade auch bei deren Wirken auf europäischer Ebene zum Tragen bringen können. Die Abgeordneten dürfen nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden, sondern müssen rechtzeitig und wirkungsvoll Einfluss auf die Positionierung der Bundesregierung in europäischen Angelegenheiten nehmen können. Ein Verhandeln auf internationaler Ebene braucht andererseits eine gewisse Flexibilität. Auch spontane Zugeständnisse müssen manchmal möglich sein. Zudem dürfen nicht alle internen Vorabstimmungen und Verhandlungslinien gleich so breit gestreut werden, dass sie fast zwangsläufig den europäischen Partnern ebenfalls bekannt werden. Die Bundesregierung darf nicht gezwungen sein, als Einzige stets ihre Karten auf den Tisch zu legen. Die interfraktionelle Arbeitsgruppe hatte daher die schwierige Aufgabe, die Informations- und Mitwirkungsrechte des Bundestages sicherzustellen, ohne zugleich die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung unnötig zu beschränken. Die gefundene Lösung trägt den berechtigten Interessen beider Seiten Rechnung. Die Bundesregierung wird den Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt und fortlaufend unterrichten, und zwar so, dass auf Grundlage dieser Unterrichtung eine Befassung des Bundestages in der Sache ermöglicht wird. Dies entspricht im Wesentlichen gängiger Praxis, ist aber im neuen Gesetz insbesondere im Hinblick auf Institutionen wie den Euro-Gipfel, die Euro-Gruppe und vergleichbare Einrichtungen in einem Ergänzungs- oder Näheverhältnis zur Europäischen Union präzisiert worden. Die Unterrichtungspflichten haben nach dem Gesetz aber auch Grenzen: Damit die Bundesregierung auf europäischer Ebene in der Lage bleibt, einer Verhandlungsstrategie zu folgen, ohne im Vorfeld in die Öffentlichkeit zu geraten und damit den Gesamterfolg ihrer Verhandlungen infrage zu stellen, bleibt nach dem neuen Gesetz der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Bundesregierung von den Unterrichtungspflichten unberührt. Dies fordert der Grundsatz der Gewaltenteilung. Die Bundesregierung soll nicht schon vor Abschluss ihres Meinungsbildungsprozesses zu einer Mitteilung gezwungen sein. Solange also die interne Willensbildung der Bundesregierung nicht abgeschlossen ist, besteht kein Anspruch des Parlaments auf Unterrichtung. Entscheidend für den Deutschen Bundestag ist es, dass er in die Lage versetzt wird, den politischen Prozess in europäischen Angelegenheiten rechtzeitig zu begleiten, sich eine eigene Meinung zu bilden und die Entscheidungsfindung durch eine eigene Stellungnahme zu beeinflussen. Wir alle kennen den Umfang von Dokumenten und Unterlagen, die uns bereits jetzt in Angelegenheiten der Europäischen Union tagtäglich zugehen. In der Fülle an Informationen dürfen die wirklich wichtigen, heiklen Punkte nicht untergehen. Das sicherzustellen, ist Sache des Deutschen Bundestages selbst. Es liegt an uns Abgeordneten, die Auswahl zu treffen, welche Informationen für die Meinungsbildung im Deutschen Bundestag tatsächlich von Bedeutung sind. Der Bundestag hat daher in Bezug auf seine Informationsrechte auch die Möglichkeit, auf Unterrichtungen im Einzelfall zu verzichten, wenn nicht eine Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages widersprechen. Hierdurch kann zielgenau einer Überflutungsgefahr entgegengewirkt werden. Die Minderheitsrechte einer Fraktion bleiben trotzdem gewahrt. Nochmals: Nicht die Menge an Papier ist für eine verantwortungsvolle politische Bewertung entscheidend, sondern die Qualität und der richtige Zeitpunkt, zu dem eine Information erfolgt. Es wäre im Übrigen auch problematisch und einem selbstbewussten Parlament nicht angemessen, wenn die Verantwortung für die Informationsbeschaffung und -übermittlung allein bei der Bundesregierung läge. Der Bundestag wird über sein im Gesetz verankertes Verbindungsbüro in die Lage versetzt, unmittelbare Kontakte zu Einrichtungen der Europäischen Union zu pflegen, soweit dies der Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte dient. Auch die Fraktionen des Bundestages entsenden Vertreter in das Verbindungsbüro. Sie sind damit gesetzlich abgesichert in ihrer eigenen Verantwortung zur Informationsbeschaffung und in ihrer Position gestärkt. Das neue Zusammenarbeitsgesetz kann nur den rechtlichen Rahmen dessen setzen, was von uns im Hinblick auf die Begleitung europäischer Politik verlangt wird. Mit Leben und Inhalt füllen müssen wir es in unserer täglichen Arbeit als Abgeordnete. Kenntnis bedeutet insofern auch Verantwortung. Das Gesetz gibt uns nicht nur das Recht auf Information in europäischen Angelegenheiten, es konstituiert auch eine Pflicht, diese Informationen zu bewerten und die erforderlichen Schlussfolgerungen im deutschen Interesse zu ziehen. Es gibt uns damit auch die Mittel an die Hand, die vom Bundesverfassungsgericht verdeutlichten Grenzen der Integration aus dem Grundgesetz im Auge zu behalten und Verantwortung für unsere Verfassung zu übernehmen. Gerade schleichende Kompetenzerweiterungen der Europäischen Union, die über die europäische Gesetzgebung drohen, können wir so besser verhindern. Angesichts der Fülle an Informationen und der Komplexität vieler Dossiers ist eine solche dauernde Achtsamkeit natürlich manchmal nicht ganz leicht. Dieser Herausforderung müssen und werden wir uns stellen. Christian Lange (Backnang) (SPD): Es kommt nicht oft in einer Legislaturperiode vor, dass wir von einer Sternstunde des Parlaments sprechen können. Nein, nicht deswegen, weil der Entwurf des Gesetzes, das die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union regelt, zu so später Stunde auf der Tagesordnung steht. Es ist eine Sternstunde gleich in mehrfacher Hinsicht: Erstens. Es ist der erste und wohl einzige Gesetzentwurf in dieser Wahlperiode, der von allen Fraktionen in diesem Hause gemeinsam erarbeitet, eingebracht und nun auch in zweiter und dritter Lesung einvernehmlich verabschiedet wird. Ganz abgesehen davon, dass dies auch noch so kurz vor Ende der Legislaturperiode gelungen ist. Zweitens. Bei diesem Gesetzentwurf konnte das „Struck‘sche Gesetz“, wonach kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es eingebracht wurde, außer Kraft gesetzt werden. Drittens. Es ist fraktionsübergreifend gelungen, die Rechte des Parlaments gegenüber der Bundesregierung in allen Angelegenheiten der Europäischen Union zu stärken. Zugegeben, es bedurfte dafür des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und damit des Drucks eines anderen Verfassungsorgans. Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass es der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu verdanken ist, da sie vor dem Verfassungsgericht geklagt hatte und dieses Urteil erwirkt hat. Inzwischen sind wir alle klüger geworden. Und so fügt es sich, dass wir heute alle gemeinsam und einvernehmlich ein sehr gutes Gesetz verabschieden. Es ist ein Kompromiss, aber kein fauler! Alle Fraktionen hatten ganz eigene Punkte, die in dem Gesetz verwirklicht sein sollten. Jede Fraktion konnte die ihr wichtigen Punkte realisieren. Meiner Fraktion war es zum Beispiel sehr wichtig, dass wir Parlamentarier umfassend und früher als bisher über alle europäischen Aktivitäten der Bundesregierung informiert werden, um auch Einfluss auf die Willensbildung der Bundesregierung nehmen zu können. Nunmehr regelt der Gesetzentwurf, dass wir einen grundsätzlichen Unterrichtungsanspruch in Bezug auf inoffizielle Dokumente und die vorbereitenden Gremien und Arbeitsgruppen haben. Aber auch die Einführung eines Minderheitenrechts von einem Viertel der Abgeordneten, um eine Debatte im Plenum des Deutschen Bundestages über die Gründe für eine Nichtumsetzung einer Stellungnahme durch die Bundesregierung zu erwirken, war für uns Sozialdemokraten wichtig. Auf Maximalforderungen wurde von allen Fraktionen verzichtet. Und so könnte die Erarbeitung dieses Gesetzes auch als Blaupause für die weitere Zusammenarbeit im Bundestag dienen. Mit diesem EUZBBG wird die künftige Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundestag auf eine neue Grundlage gestellt. So muss die Bundesregierung bereits wesentlich früher als bisher und umfassender über ihre Willensbildung zu anstehenden Entscheidungen auf europäischer Ebene unterrichten. Das umfasst auch Dokumente und Unterlagen der vorbereitenden Gremien, um auf die Willensbildung der Bundesregierung durch den Deutschen Bundestag Einfluss nehmen zu können. Gleichwohl wird im § 3 Abs. 4 der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Bundesregierung gewährleistet. In der Begründung zum Gesetzentwurf wird erläutert – ich zitiere –: „Innerhalb der Funktionenordnung des Grundgesetzes kommt der Regierung ein Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt. Solange die interne Willensbildung der Bundesregierung nicht abgeschlossen ist, besteht kein Anspruch des Parlaments auf Unterrichtung. Der Bundestag muss die Informationen der Bundesregierung spätestens zu einem Zeitpunkt erhalten, der ihn in die Lage versetzt, sich fundiert mit dem Vorgang zu befassen und eine Stellungnahme zu erarbeiten, bevor die Bundesregierung nach außen wirksame Erklärungen, insbesondere bindende Erklärungen zu unionalen Rechtsetzungsakten und intergouvernementalen Vereinbarungen, abgibt.“ Die Handlungsfähigkeit in Europaangelegenheiten der Bundesregierung wird damit gewährleistet, und gleichzeitig werden die Beteiligungsrechte des Parlaments erweitert. Das EUZBBG wird aber auch Auswirkungen auf die öffentliche Wahrnehmung europäischer Themen haben. Denn je öfter, je frühzeitiger und je intensiver wir hier im Bundestag über europäische Themen künftig diskutieren und Entscheidungen mitgestalten, desto größer werden auch die Transparenz und das Verständnis in der Bevölkerung für diese Themen und Entscheidungen werden. Mit diesem Gesetz holen wir ein großes Stück Europa in den Bundestag und damit in die öffentliche Debatte. Angesichts der am letzten Sonntag gegründeten Anti-Europa-Partei Alternative für Deutschland, die populistisch die Stimmung gegen den Euro und damit auch gegen die Europäische Union schürt, ist das EUZBBG ein aktiver Beitrag für mehr Akzeptanz der Europäischen Union in unserem Land. Zu viele Menschen stehen europäischen Themen reserviert gegenüber. Europäische Errungenschaften, die hart erkämpft werden mussten, werden sehr schnell als selbstverständlich genommen. Auf grenzenloses Reisen, die freie Wahl des Wohnortes und regionale Förderprogramme der Europäischen Union will doch niemand mehr verzichten. Dennoch wird Europa von vielen mit einer undurchschaubaren Bürokratie und einem extremen Kostenfaktor gleichgesetzt. Mit der Europäischen Union verbinden die Menschen immer noch mehr negative Gefühle als positive Erwartungen. Unwissenheit und das Gefühl der Lebensferne von europäischen Entscheidungen sind meines Erachtens die häufigsten Ursachen für diese Empfindungen. Wir alle hier im Parlament können und wollen dem entgegenwirken. Mit der heutigen Verabschiedung des EUZBBG wird dafür ein weiterer Grundstein gelegt. Ich würde mich freuen, wenn auch die Bundesländer die Erarbeitung ihres Gesetzes zur Zusammenarbeit der Bundesregierung mit den Bundesländern, EUZBLG, jetzt rasch abschließen und verabschieden könnten. Auch das wäre das richtige Signal für die Stärkung der europäischen Perspektive. Jetzt wird es darauf ankommen, das EUZBBG mit Leben zu erfüllen. Brigitte Zypries (SPD): Zunächst ein Blick zurück: Europa steht 2010 und 2011 mitten in einer massiven Finanz- und Wirtschaftskrise. Griechenland hat bereits umfangreiche Finanzhilfen erhalten. Es ist absehbar, dass Rettungsmaßnahmen für weitere Mitgliedstaaten in ungeahntem, anfänglich unvorstellbarem Ausmaß notwendig werden. Ein Euro-Land nach dem anderen braucht Unterstützung. Die immer wieder einzeln aufgespannten Rettungsschirme sollen durch einen Europäischen Stabilitätsmechanismus abgelöst werden. Die Bürgerinnen und Bürger sind besorgt, das Parlament alarmiert. Ist das Ganze überhaupt zu stemmen? Was kommt auf Deutschland zu? In dieser Situation hat die Bundesregierung den Deutschen Bundestag nur unzureichend informiert. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom Juni 2012 wunderbar geschildert, wie das bewerkstelligt wurde. Die Abgeordneten haben immer wieder bei der Regierung nachgefragt, weil sie in der Presse lesen mussten, welche Vorschläge die Regierung diskutierte. Wenn sie diese Papiere angefordert haben, hat die Bundesregierung zum Beispiel erklärt: Maßstab der Unterrichtungspflicht seien nicht Presseberichte, sondern offizielle Dokumente; vorbereitende Papiere für den europäischen Rat seien nicht vorzulegen, weil die Bundesregierung ergebnisoffen in die Gespräche gehe, innerhalb der Regierung abgestimmte Papiere nicht vorlägen und nicht abgestimmte Papiere nicht vorlagepflichtig seien; über informelle Treffen der Euro-Gruppe müsse die Regierung dem Bundestag nichts berichten; Nonpapers des Präsidenten der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates zum Pakt für Wettbewerbsfähigkeit seien nicht vorzulegen; was die Bundeskanzlerin gemeinsam mit dem französischen Präsidenten dem Europäischen Rat in Sachen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit vertraulich und informell beim Mittagessen vorschlagen wolle, ohne dass es auf der Tagesordnung stehe, darüber gebe es keine abgestimmte Position der Bundesregierung. Deshalb müsse das Parlament darüber nicht informiert werden. Am Ende hat sich sogar der Bundestagspräsident schriftlich bei der Kanzlerin über diese mangelhafte Information beschwert. Heute wissen wir, wie das Ganze geendet hat: mit einem Europäischen Stabilitätsmechanismus, an dem Deutschland sich mit 21 Milliarden Euro am einzuzahlenden Kapital beteiligt hat und aus dem eine auf 190 Milliarden Euro begrenzte Haftung Deutschlands folgt. Beim Bundesverfassungsgericht hat die Regierung dann vorgetragen, es stimme wohl, dass der Bundestag nach Art. 23 GG in Angelegenheiten der Europäischen Union mitwirke und deshalb umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt unterrichtet werden müsse. Aber es sei ja gar nicht um die Europäische Union, sondern nur um die Euro-Gruppe gegangen, und die sei völkerrechtlich außerhalb der Europäischen Union organisiert. Deshalb gelte Art. 23 Grundgesetz nicht. Hier hat das Bundesverfassungsgericht für Klarheit gesorgt. Auch völkerrechtliche Verträge, die in einem besonderen Näheverhältnis zur Europäischen Union stehen, sind Angelegenheiten der Europäischen Union. Jetzt wissen wir also, dass auch der Europäische Stabilitätsmechanismus eine Angelegenheit der Europäischen Union ist. Der Deutsche Bundestag muss in diesen Angelegenheiten mitwirken, und zwar in voll und jederzeit informierter Weise. Etwas anderes hätten wir auch niemandem erklären können. Das Gesetz, das wir heute fraktionsübergreifend beschließen werden, ist gut. Es ist wichtig. Es ist weitgehend so, wie das Bundesverfassungsgericht es vorgegeben hat. Es erfasst inoffizielle Dokumente, die der Bundesregierung vorliegen. Es erfasst informelle Treffen, Vorschläge, Programme, Initiativen, mit und ohne Tagesordnung, mit und ohne Mittagessen. Ein Blick in die Zukunft. In der Vergangenheit hat der Bundestagspräsident die Regierung ermahnt, sie möge besser informieren. Jetzt hat der Bundestagspräsident uns daran erinnert, wir mögen uns doch etwas mehr beschränken, sonst müssten wir mit bis zu 800 Papieren monatlich rechnen, die wir weder benötigen würden, noch verarbeiten könnten. Der Hinweis ist berechtigt. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt, es sei Aufgabe des Parlaments, im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie für eine sachgerechte Sichtung und Bewertung der eingehenden Informationen zu sorgen und die Voraussetzungen für deren sachgemäße Verarbeitung zu schaffen. Hier gibt es nach meiner Überzeugung noch einiges zu tun. Joachim Spatz (FDP): Die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien haben sich auf eine Neufassung des EUZBBG verständigt, mit der das bisherige Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union ersetzt wird. Das EUZBBG in seiner bisherigen Fassung wird damit aufgehoben. Das Ergebnis nach langen Verhandlungen stellt aus unserer Sicht einen ausgewogenen Gesamtkompromiss dar. Ich finde es wichtig und richtig, dass sich alle Fraktionen in dieser bedeutenden Frage auf einen sinnvollen Konsens haben verständigen können. Nicht nur weil das Bundesverfassungsgericht uns im vergangen Juni den unmissverständlichen Auftrag zur Überarbeitung der bisherigen Regelungen aufgetragen hat, sondern auch aus wohlverstandenem eigenem Interesse können wir als Parlamentarier mit der nun zu verabschiedenden Regelung sehr zufrieden sein. Es geht letztlich um die Frage, inwieweit der Deutsche Bundestag vor dem Hintergrund der zunehmenden Europäisierung – und wir als Liberale stehen eindeutig hinter der Idee einer verantwortungsvollen Vertiefung der Europäischen Union – seiner verfassungsrechtlich aufgetragenen Integrationsverantwortung in Zukunft gerecht werden kann. Diesem Anspruch kann der Deutsche Bundestag durch das nun vorliegende Instrumentarium zweifelsohne nachkommen. Letztlich ermöglicht das neue EUZBBG uns Volksvertretern zum einen, in Angelegenheiten der Europäischen Union direkt wie indirekt effektiv mitzuwirken, und zum anderen versetzt es uns in die Lage, das Handeln der Bundesregierung auf europäischer Ebene zu kontrollieren und damit letztlich auch demokratisch zu legitimieren. Die Neufassung des EUZBBG ist damit mittel- bis langfristig eine der bedeutendsten Entscheidungen für die zukünftige Rolle des Deutschen Bundestages und damit auch für unser parlamentarisches Selbstverständnis der jüngeren Geschichte unseres Hohen Hauses. Auch die Organisation und Verwaltung des Deutschen Bundestages muss sich diesen neuen Entwicklungen anpassen. Die Schaffung der neuen Unterabteilung Europa ist ein erstes Anzeichen dafür, welche Bedeutung das Thema Europa in der nächsten Wahlperiode einnehmen wird. Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf haben wir das Ziel erreicht, die erweiterten Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages in der Weise sinnvoll gesetzgeberisch umzusetzen, dass die frühestmögliche und umfassende Beteiligung des Deutschen Bundestages erfolgen kann und zugleich auch die Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung bei der Durchsetzung der deutschen Interessen in der Europäischen Union in vollem Umfang gewahrt bleibt. Damit haben wir den Anspruch der Praktikabilität beibehalten. Zudem konnte durch mehrere Konkretisierungen und einen stringenteren Regelungsaufbau eine Reihe von bisherigen Unklarheiten beseitigt werden. Besonders hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang die Definition, bei welchen Angelegenheiten es sich um Vorhaben der Europäischen Union handelt und welche Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte damit konkret und im Einzelnen verbunden sind. Festgehalten wurde ferner, dass darunter auch Vorgänge, Verhandlungen und Verfahren im Bereich der Eurogruppe fallen. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen: Als Haushaltsgesetzgeber müssen wir Parlamentarier der uns aufgetragenen Budgetverantwortung in besonderem Maße nachkommen. Dafür bedarf es allerdings auch einer hinreichenden Informationsbasis, die uns frühzeitig in die Lage versetzt, zu einem geeigneten Zeitpunkt Einfluss auf die anstehenden Entscheidungen auf europäischer Ebene zu nehmen. Gleiches gilt etwa auch für Fragen, die im Zusammenhang mit der Einführung des Euros in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union stehen. Der Deutsche Bundestag kann sich künftig in verstärktem Maße proaktiv an Vorhaben der Europäischen Union beteiligen, anstatt – wie bislang leider viel zu häufig – Dinge erst im Nachhinein nachzuvollziehen. Der Deutsche Bundestag ist damit auch Vorbild für viele Parlamente anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die sich bei Debatten immer wieder explizit auf die Rolle sowie die Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte unserer Volksvertretung beziehen. Darauf können wir als Parlamentarier zu Recht stolz sein. Alexander Ulrich (DIE LINKE): Seit mehreren Jahren nimmt die Zustimmung zur Europäischen Union kontinuierlich ab. Einer der Hauptgründe dafür ist das Empfinden von immer mehr Menschen, dass die Entwicklung der europäischen Integration an den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch an den Parlamenten vorbeigegangen ist. Die Europäische Union wird als undemokratisches, von den Menschen weit entferntes Konstrukt wahrgenommen und von vielen Menschen skeptisch gesehen. Wie bereits in der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfes möchte ich auch heute wieder betonen, dass es die Fraktion Die Linke begrüßt, dass es gelungen ist, fraktionsübergreifend einen gemeinsamen Gesetzentwurf über die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Deutschem Bundestag in EU-Angelegenheiten vorlegen zu können. Dieser Gesetzentwurf baut die parlamentarischen Rechte in EU-Fragen aus, die die Linke mit ihrer Klage zum Vertrag von Lissabon mit erstritten hat. Der vorliegende Entwurf stärkt die bestehenden parlamentarischen Rechte weiter und stellt damit zweifelsohne einen wichtigen Fortschritt dar. Parlamentarische Demokratie setzt ein selbstbewusstes Parlament voraus, das sich auch gegenüber den jeweiligen Regierungen eigenständig für die Entwicklung von Positionen einsetzt: ein Parlament, das seine Gestaltungskompetenz proaktiv wahrnimmt, sie gegen jegliche Angriffe verteidigt und an die neuen Entwicklungen fortdauernd anpasst. Ein kritischer Rückblick auf die letzten Jahre zeigt, dass dies dem Bundestag leider nur teilweise gelungen ist. Und auch diesmal wurden die parlamentarischen Mitwirkungs- und Kontrollrechte nicht auf Grundlage einer selbstständigen Initiative dieses Hauses gestärkt, sondern es war erneut das Bundesverfassungsgericht, das mit seinen Vorgaben die parlamentarische Verantwortung für die EU-Politik ermahnt hat und die Überarbeitung des Zusammenarbeitsgesetzes angestoßen hat. Hier würden wir uns als Fraktion Die Linke mehr Selbstbewusstsein des Parlamentes wünschen, auch weil wir die Integration auf europäischer Ebene weiterentwickeln und neu gestalten wollen. Eine Europäische Union, die demokratisch, sozial, ökologisch und friedlich ausgestaltet sein soll, wird nur entstehen, wenn sie nicht mehr nur von den Regierungen und der EU-Kommission maßgeblich gestaltet wird, sondern die Parlamente der unterschiedlichen Ebenen, in direktem Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern, die Richtung der Europäischen Union maßgeblich mitgestalten können. Die Fraktion Die Linke unterstützt den vorgelegten Gesetzentwurf. Trotzdem bedauern wir es sehr, dass unsere Vorschläge, die demokratischen Rechte des Parlaments auch im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auszubauen, bei den anderen Fraktionen keine Unterstützung gefunden haben. Mit der Ablehnung unserer Anträge, die Verbindlichkeit der Stellungnahmen des Bundestages gegenüber der Bundesregierung zu stärken, haben die anderen Fraktionen im Deutschen Bundestag unseres Erachtens eine Chance vertan, die parlamentarische Demokratie weiter zu stärken. Für die Fraktion Die Linke ist nicht nachvollziehbar, warum diese Position von den anderen Fraktionen nicht aufgegriffen wurde, da die demokratische -Entwicklung der EU selbstbewusste und real mitbestimmende Parlamente braucht. Denkt man daran, dass die Politik der Bundesregierung von der parlamentarischen Mehrheit getragen wird, ist es kaum zu erwarten, dass eine mehrheitliche Position des Bundestages, die von der Bundesregierung abgelehnt wird, zustande kommen kann. Gleichzeitig aber wäre die Position der Regierungsfraktionen gegenüber ihrer eigenen Regierung gestärkt und damit mehr demokratische parlamentarische Mitbestimmung festgeschrieben worden. Es ist im Interesse aller Parlamentarier, gleich ob sie zu Oppositions- oder zu Regierungsparteien gehören, dass die Dominanz der Regierung in außenpolitischen und europapolitischen Fragen durch eine stärkere parlamentarische Kontrolle und Mitbestimmung eingeschränkt wird. Gleichzeitig hätte die Verbindlichkeit von parlamentarischen Entscheidungen in Fragen der EU die Rolle des Parlaments für die demokratische Legitimation der Europapolitik zumindest symbolisch hervorgehoben und die Europapolitik des Deutschen Bundestages deutlich gestärkt werden müssen. Mit dem neuen Gesetz wird ein weiterer Schritt gegangen, damit das Parlament nicht nur über Entscheidungen der Bundesregierung informiert wird, sondern auch bei der Festlegung dieser Entscheidungen mit einbezogen wird. Entscheidend ist hierbei die Möglichkeit, den Prozess der Fassung europapolitischer Entscheidungen möglichst transparent zu gestalten. Je mehr in diesem Saal über europapolitische Entscheidungen gestritten wird, desto verständlicher werden sie auch für die Öffentlichkeit. Die Fraktion Die Linke ist der Überzeugung, dass wir bei weitem noch nicht am Ende des Weges angekommen sind: In dem Maße, in dem die Europapolitik komplexer wird und die Entscheidungsbefugnisse der EU-Ebene immer mehr erweitert werden, sind erweiterte Kontroll- und Mitwirkungsrechte des Bundestages und der Landesparlamente notwendig, um die demokratische Legitimation dieser Entscheidungen sicherzustellen. Auch Möglichkeiten direkter demokratischer Entscheidung müssen geschaffen werden. Volksabstimmungen in Angelegenheiten der Europäischen Union müssen verfassungsrechtlich ermöglicht werden. Grundlegenden Entscheidungen, wie zum Beispiel über den Fiskalpakt, über den ESM-Vertrag und über die Änderung der EU-Verträge, sollten auch durch die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar mitentschieden werden. Nur so kann die demokratische Legitimation der EU gewährleistet werden. Ich freue mich, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf heute eine für alle tragbare Lösung verabschiedet wird. Gleichzeitig möchte ich Ihnen jedoch versprechen, dass die Fraktion Die Linke auch in den nächsten Legislaturperioden weiter für die Erweiterung der Rechte des Parlaments in allen Fragen der Europäischen Union eintreten wird und die jetzt gefundene Lösung für einen wichtigen Etappenschritt hin zu mehr demokratischen Rechten des Parlaments gegenüber der Regierung ansieht. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Gesetz über die Zusammenarbeit des Deutschen Bundestages mit der Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union wird heute einstimmig und von allen Fraktionen getragen beschlossen werden. Für unser Parlament ist dies ein überaus wichtiger Tag. Zwei zentrale Forderungen werden mit diesem Gesetz erfüllt: Um unseren Verpflichtungen zur effektiven und verantwortlichen Mitwirkung des Bundestages an der Europäischen Gesetzgebung zu genügen, müssen wir frühestmöglich und vollständig informiert werden. Die Bundesregierung ist hier in der Pflicht. Und zu den Angelegenheiten der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Grundgesetz gehören nicht nur die europäischen Verträge selbst, sondern auch alle völkerrechtlichen Verträge, die in einem Näheverhältnis zur Europäischen Union stehen: namentlich alle Verträge und Vereinbarungen, die die gemeinsame Währung, den Euro, betreffen. Dieses Gesetz ist aus der Mitte des Parlaments heraus entstanden. Indem es tatsächlich und vollständig von Abgeordneten und nicht von der Ministerialbürokratie ausgearbeitet wurde, beweist dies, dass das Gesetzesinitiativrecht zu Recht auch beim Parlament selbst liegt. Wir haben allen Grund, hervorzuheben, dass das vorliegende Gesetz das Ergebnis einer sachlich-konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Abgeordneten über fraktionelle Grenzen hinweg ist. Wir demonstrieren damit die Leistungsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie in unserem Land. Aber es gibt keinerlei Anlass zu einer verklärenden Betrachtungsweise im Sinne eines „Wir Parlamentarier von Koalition und Opposition wollen alle immer nur das Beste für unsere Demokratie und unser Parlament“. Tatsächlich war die Ausgangslage weniger romantisch und auch weniger harmonisch. Denn so wunderbar konsensual der Entwurf eines Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union auch heute präsentiert wird, klar muss sein: Ohne das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hätte es diesen Entwurf und dieses Gesetz nicht gegeben. Und klar ist ebenso: Ohne die Klage der Grünen vor dem Bundesverfassungsgericht hätte es das Urteil nicht gegeben. Und nicht zuletzt muss auch Folgendes in aller Klarheit zum Ausdruck gebracht werden: Ohne das überaus unkooperative Verhalten der Bundesregierung hätte es auch keiner Verfassungsbeschwerde der Grünen bedurft. Von Dezember 2010 bis weit ins Jahr 2011 hinein verlangten Abgeordnete immer wieder Unterlagen zu den verhandelten Verträgen über die EFSF und den ESM. Weder Vorlagen der Europäischen Kommission noch Vorlagen der Bundesregierung wurden dem Bundestag überlassen. Die Bundesregierung vertrat die verfassungswidrige Auffassung, Maßnahmen zur Stabilisierung der Währung Euro seien keine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Grundgesetz. Informationen wurden dem Bundestag und den Abgeordneten nur mündlich und immer wieder unter Bestreiten jeglicher Rechtspflicht zur Information erteilt. Die Bundesregierung wollte das Parlament im Ergebnis aus allen Maßnahmen zur Stabilität und Rettung des Euro heraushalten, obwohl die Abgeordneten die Verantwortung für die beschlossenen Maßnahmen zu tragen haben. Die Bundesregierung wollte das Parlament gerade nicht fortlaufend und umfassend über Maßnahmen und Handlungen auf europäischer Ebene informieren. Beispielhaft hierfür ist die Aussage von Finanzminister Schäuble, er wolle das Parlament nicht „kleckerweise“, sondern eben nur über das Gesamtpaket informieren, wenn dieses bereits ausverhandelt sei. Damit hat die Bundesregierung verhindert, dass sich der Bundestag mit den Maßnahmen beschäftigen, sich eine Position hierzu erarbeiten und die Bundesregierung lenken konnte. Aber genau das Gegenteil hierzu braucht das Parlament: eine zeitnahe, fortlaufende und umfassende Informationspolitik, weil der Deutsche Bundestag auch nur so seiner Integrationsverpflichtung aus Art. 23 Grundgesetz nachkommen kann. Es ist gut, dass im EUZBBG nun die Rechte des Parlaments und der Abgeordneten auf der einen Seite und die Pflichten der Bundesregierung auf der anderen Seite festgeschrieben sind. Es wird nun darauf ankommen, das Gesetz mit Leben zu füllen und die Möglichkeiten der Beteiligung zu nutzen. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: – Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen – Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behin-derung fairen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen – Gute Arbeit für Menschen mit Behinderung (Tagesordnungspunkt 14) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Art. 27 der UN-Behindertenrechtskonvention gewährleistet eine gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit Behinderung an einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderung zugänglichen Arbeitsmarkt. Betrachtet man die Entwicklung am deutschen Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren, könnten die Rahmenbedingungen eigentlich nicht besser sein. Mit über 41,5 Millionen waren im vergangenen Jahr so viele Menschen in Deutschland beschäftigt wie nie zuvor. Auch die durchschnittliche Zahl der Erwerbslosen ist mit 2,897 Millionen auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren gefallen. Und blickt man über die Grenzen hinaus, so steht Deutschland im europäischen Vergleich – insbesondere was die geringe Jugendarbeitslosigkeit anbelangt – mit Abstand am besten da. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit ist gesunken, und die Vermittlung in Arbeit verläuft wesentlich zügiger. Um unseren soliden und äußerst robusten Arbeitsmarkt werden wir im gesamten europäischen Ausland beneidet. Doch bei einem genaueren Blick auf die aktuellen Arbeitslosenstatistiken – nämlich im Bereich der Menschen mit Behinderung – wird deutlich, dass bei weitem nicht alle Menschen in unserem Land von dieser erfreulichen Entwicklung profitieren. Für eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt sind weitere Anstrengungen vonnöten. Zwar setzen zunehmend mehr Unternehmen auf Menschen mit Behinderung als hochmotivierte und leistungsfähige Arbeitnehmer und profitieren von ihren Fähigkeiten; dennoch finden viele von ihnen ohne zusätzliche Unterstützung nicht den Weg in den ersten Arbeitsmarkt. Mit dem vorliegenden Koalitionsantrag „Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen“, der auf Initiative von Maria Michalk, der Beauftragten für Menschen mit Behinderung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in enger Abstimmung mit unserem Koalitionspartner FDP und mit Hubert Hüppe, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, erarbeitet wurde, wollen wir dieser Gegebenheit wirksam entgegentreten. Der Antrag nimmt Menschen mit Behinderung in den Fokus, formuliert die wichtigsten behindertenpolitischen Akzente, zeigt die bestehenden Unterstützungsmöglichkeiten für einen erleichterten Zugang zum ersten Arbeitsmarkt auf und unterstützt die Bundesregierung bei ihren bisherigen behindertenpolitischen Aktivitäten. Er zielt insbesondere auf die Vorlage einer differenzierten Datenlage, um zu analysieren, welche Maßnahmen wirksam sind, um sodann passgenaue Fördermaßnahmen zur Steigerung der Teilhabechancen weiterentwickeln zu können. Dazu gehört auch, dass das Wunsch- und Wahlrecht von werkstattberechtigten Menschen zwischen Werkstätten und alternativen Leistungsanbietern bei harmonisierter sozialer Absicherung – auch unter Nutzung des persönlichen Budgets – gestärkt und bestehende Unterstützungsmaßnahmen vereinfacht werden. Im Rahmen der öffentlichen Anhörung am 25. Februar 2013 haben die Sachverständigen bestätigt, dass der Koalitionsantrag in die richtige Richtung geht. Sehr geehrte Damen und Herren der Fraktion Die Linke und der Fraktion der SPD, mit den in Ihren Anträgen formulierten Forderungen nach einer Erhöhung der Ausgleichsabgabe und neuen Schutzvorschriften sowie der Überregulierung im Behindertenrecht vermitteln Sie nicht nur ein schlechtes Signal an die Betroffenen selbst, sondern sorgen zudem für eine zusätzliche Belastung der Unternehmen und eine zusätzliche Bürokratisierung des Behindertenrechts. Das System von Beschäftigungspflicht und gestaffelter Ausgleichsabgabe hat sich bewährt. So ist die Beschäftigungsquote von 3,8 Prozent im Jahr 2002 immerhin auf 4,5 Prozent im Jahr 2010 gestiegen. Änderungen in diesem Bereich erscheinen nicht angezeigt, zumal eine Dynamisierung der Ausgleichsabgabe gesetzlich bereits vorgesehen ist und mit Wirkung zum 1. Januar 2012 zum Tragen gekommen ist. Der Ansatz der christlich-liberalen Koalition ist es, Arbeitnehmer und Arbeitgeber für einen inklusiven Arbeitsmarkt zu sensibilisieren. Um unserem Auftrag, eine inklusive Arbeitswelt zu gestalten, gerecht zu werden, setzen wir nicht auf eine erhöhte Abgabe, mit der sich die Unternehmen von der Verpflichtung zur Einstellung behinderter Menschen freikaufen können, sondern auf Kooperation und das gezielte Setzen von Anreizen. Insbesondere in Anbetracht des drohenden Fachkräftemangels sowie des demografischen Wandels müssen wir dafür Sorge tragen, die Vorbehalte und Barrieren in den Köpfen der Arbeitgeber und auch der Arbeitnehmer abzubauen, um behinderten Menschen eine bessere Chance zu geben. Qualifizierte Arbeitskraft wird zunehmend zu einem kostbaren Gut. Dennoch sind viele der aktuell arbeitslosen Behinderten in diesem Land trotz ihrer fachlichen Qualifikation und Fähigkeiten zum Teil schon lange arbeitslos. Oftmals mangelt es potenziellen Arbeitgebern an Informationen hinsichtlich der Kompetenzen und Qualifikationen von Arbeitnehmern mit Behinderung; Fördermöglichkeiten zur beruflichen Eingliederung sind ihnen meist nicht hinreichend bekannt. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen müssen bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung informiert, beraten und unterstützt werden. Bedauerlicherweise ist es häufig noch so, dass sich sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitskollegen schwertun, sich behinderte Menschen als Mitarbeiter bzw. Kollegen vorzustellen. Es darf nicht sein, dass bei vielen Betrieben erst der Fachkräftemangel dazu führt, sich ernsthaft mit dem Beschäftigungspotenzial behinderter Arbeitnehmer auseinanderzusetzen. Hier benötigen wir dringend einen Mentalitätswechsel. Dies zu ändern, ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir können und wollen auf die Qualifikationen von Menschen mit Behinderung nicht verzichten. Es muss ganz selbstverständlich werden, dass Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten. Allerdings kann die Politik hier auch nur die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen – die Unternehmen schaffen die Arbeitsplätze. Unser Antrag „Leistungspotenziale von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben ausschöpfen“ macht unmissverständlich klar, dass Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt gebraucht werden und wir sie auf dem Weg dahin in jeglicher Hinsicht tatkräftig unterstützen werden. Gerne möchte ich neben unseren geplanten Anstrengungen in diesem Zusammenhang auch nochmals die bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen, aus denen sich ein Anspruch auf gesellschaftliche Partizipation und Teilhabe am Arbeitsleben ergibt, in Erinnerung rufen. Mit dem verfassungsrechtlich verankerten Gleichstellungsgebot sollen explizit Benachteiligungen für Menschen mit Behinderung verhindert werden. Des Weiteren möchte ich die Regelungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach dem SGB III oder dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch nennen, die die selbstbestimmte Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben betreffen und dabei helfen, Hindernisse, die der Chancengleichheit entgegenstehen, zu beseitigen. So enthält beispielsweise das SGB IX verpflichtende Sonderregelungen für Arbeitgeber, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Eine dauerhafte Teilhabe am Arbeitsleben ist eine der Hauptgrundlagen für eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung und Grundvoraussetzung für die Entfaltung der Persönlichkeit – das gilt für behinderte und nichtbehinderte Menschen gleichermaßen. Arbeit zu haben, bedeutet wirtschaftliche Unabhängigkeit und aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Für Menschen mit Behinderung gibt es in vielen Bereichen des ersten Arbeitsmarktes Arbeit – den Wettbewerb können sie jedoch nur dann bestehen, wenn sie gut ausgebildet sind. Wirksame Maßnahmen und Konzepte sind also gefragt, um einerseits behinderte Menschen für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu qualifizieren und andererseits potenzielle Arbeitgeber umfassend zu informieren, um die Beschäftigungsfähigkeit fördern zu können. Ein nahtloser Wechsel in die betriebliche Ausbildung und auf den ersten Arbeitsmarkt stellt für viele Menschen mit Behinderung noch die Ausnahme dar. Daher sind für einen erfolgreichen Übergang von der Schule in die Berufsausbildung und die betriebliche Übernahme die Rahmenbedingungen entscheidend. Das Ziel der christlich-liberalen Koalition ist es, die Rahmenbedingungen in allen Lebensbezügen so zu gestalten, dass behinderte Menschen ohne Ausgrenzung in allen Bereichen des Lebens und der Arbeitswelt teilhaben können. Dies setzt ein Umdenken und gezieltes Handeln der Gesellschaft voraus. Menschen mit Behinderung müssen nicht nur bei der Arbeitssuche immer noch gegen Vorurteile ankämpfen. Um eine vollständige Teilhabe an allen Bereichen des Lebens zu ermöglichen, gilt es, diese hartnäckigen Vorbehalte auf lange Sicht endgültig auszuräumen. Daran werden wir auch weiterhin arbeiten. Maria Michalk (CDU/CSU): Uns liegt heute die Beschlussempfehlung aus dem Ausschuss für Arbeit und Soziales zu drei Anträgen vor, die sich allesamt damit auseinandersetzen, wie wir die Chancen von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt besser gestalten können, um ihnen mit ihrem sehr individuellen Leistungspotenzial bessere Chancen für die Teilhabe in der Arbeitswelt einzuräumen. Die SPD fordert die Erhöhung der Ausgleichsabgabe. Das lehnen wir ab. Die Fraktion Die Linke sieht den Weg ebenfalls in der Anhebung der Ausgleichsabgabe und will zusätzlich Assistenzleistungen aus Steuermitteln, entgegen europäischen Bestimmungen die Zurücknahme der Ausschreibungspflicht für die BA und Reha-Träger und noch einiges mehr. Der Antrag der Koalitionsfraktionen geht davon aus, dass für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt weiterhin Anstrengungen notwendig sind, da sie trotz wirtschaftlichen Aufschwungs deutlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind als Menschen ohne Behinderung. Nach wie vor haben schwerbehinderte Arbeitslose größere Schwierigkeiten, eine neue Arbeitsstelle zu finden. Unser Grundansatz ist aber nicht die Verschärfung von Sanktionen gegenüber den Arbeitgebern bzw. den Unternehmungen, sondern das Werben um ihre Gunst und das Abbauen von Vorurteilen und Vorbehalten, sowohl bei den Unternehmern, als auch bei den Belegschaften. Notwendig sind flexible Sachleistungen für die Leistungsempfänger, denn gerade hier ist jede Situation sehr individuell. Das gilt nicht nur für den Einstieg bzw. Wiedereinstieg in das Berufsleben, sondern auch für bestehende Arbeitsverhältnisse von Menschen mit einer Behinderung. Oftmals ist der Verbleib am Arbeitsplatz nach einer Krankheit oder einem Unfall mit dauerhaften Beeinträchtigungen sehr differenziert zu entscheiden. Gleichmacherei führt sehr oft in die Arbeitslosigkeit und viel zu oft in die Grundsicherung. Hier haben die Rehabilitationsträger eine große Verantwortung, vor allem in der Eingliederungsphase. Fakt ist, dass aktuell die bereits reduzierten Eingliederungsmittel nicht verbraucht werden; denn die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt haben sich in den letzten Jahren entscheidend verändert. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit 2005 zum Beispiel in Sachsen nahezu halbiert. Die Zahl der Beschäftigten stieg und ist auf dem höchsten Stand seit zehn Jahren. Das Stellenangebot bewegt sich auf hohem Niveau. Deshalb werden viele Arbeitnehmer auch ohne Förderleistungen bzw. mit deutlich verringertem Förderbedarf eingestellt. In meinem Wahlkreis hat allein im Dezember letzten Jahres die Zahl der Langzeitleistungsbezieher um acht Prozent abgenommen. Deshalb wird auch das verfügbare Eingliederungsbudget nicht in vollem Umfang in Anspruch genommen. Was will ich damit sagen? Es fehlt nicht an finanziellen Mitteln zur stärkeren Eingliederung von Menschen mit Behinderung. Was fehlt, ist die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen. Viele Einstellungswillige sind unsicher, was sie zum Beispiel mit Blick auf den stärkeren Kündigungsschutz von Menschen mit Behinderung erwartet. Deshalb sind Beratung und Information notwendig. Auch wird befürchtet, die Belastbarkeitsgrenze nicht zu erkennen. Hier ist ein betriebliches Praktikum oder die zeitweise Arbeit auf einem Außenarbeitsplatz aus der Werkstatt heraus oder die unterstützte Beschäftigung hilfreich. In der Anhörung und in der anschließenden Ausschussberatung zu den vorliegenden Anträgen wurde erneut deutlich, dass es uns auch nicht an Instrumenten fehlt. Was fehlt, ist die individuelle Herangehensweise und das Aufeinanderzugehen. Allerdings muss die Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Instrumenten verbessert werden. Wer zum Beispiel zunächst in einer unterstützen Beschäftigung einen Arbeitsplatz findet und später feststellt, dem Leistungsanspruch nicht gerecht zu werden, der muss zum Beispiel die Möglichkeit einer Beschäftigung in einer Werkstatt erhalten und auch umgekehrt. In jedem Fall ist aber das Abstrafen von Unternehmen, die sich diesem Thema nicht stellen, durch eine höhere Ausgleichsabgabe kontraproduktiv. Den inklusiven Arbeitsmarkt werden wir nicht durch mehr und höhere Sanktionen erreichen, sondern allein durch gegenseitiges Verständnis und Mut, sich mit Sachverhalten auseinandersetzten, für die man bisher „kein Ohr“ hatte. Noch etwas ist erneut deutlich geworden: Je früher die Teilhabe am Arbeitsmarkt in den Blick genommen wird, desto größer die Erfolge. Das Ausüben einer qualifizierten Erwerbstätigkeit versetzt Menschen mit Behinderung nämlich in die Lage, Anteil am gesellschaftlichen Leben zu nehmen, eigene Netzwerke aufzubauen, Anerkennung zu erfahren und ein den Lebensunterhalt sicherndes Einkommen zu erzielen. Es ist nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für unsere Gesellschaft wichtig, Jugendliche mit einer Behinderung stärker in die betriebliche Berufsausbildung zu führen. Der Abgang aus der Schule ohne eine Berufsausbildung, und das sind in Deutschland immer noch mehr als 10 Prozent, ist die sichere Fahrkarte in die Langzeitarbeitslosigkeit. Deshalb plädieren wir dafür, stärker als bisher auch Jugendlichen mit einer Behinderung einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu geben. Auch können wir uns allein aus dem drohenden Fachkräftemangel keine unausgeschöpften Potenziale in der Gesellschaft leisten. Junge Menschen mit einer Behinderung vom Arbeitsleben auszugrenzen, ist nicht nur unsozial, sondern auch gesetzeswidrig. Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet uns alle gemeinsam, die allumfassende Teilhabe zu organisieren und zu leben. Außerdem stellt sich die Frage, ob die Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt am Ende uns alle mehr kostet als die Unterstützung zur Teilhabe. Deshalb stehen wir in der Union dafür, den Übergang in die Ausbildung und Beschäftigung durch Hilfestellungen in Form von Integrationsmaßnahmen der Arbeitsagenturen oder berufsvorbereitenden Maßnahmen zu forcieren und die Kompetenzen zu stärken und die Unternehmen für ein Berufsausbildungsverhältnis zu gewinnen. Wir müssen die Ansicht überwinden, dass es hier um Fürsorge geht. Vielmehr haben wir die Notwendigkeit der Verstärkung des Arbeitsmarktangebotes. Das haben viele Fachveranstaltungen gerade in den letzten Monaten sehr deutlich herausgearbeitet. Wir brauchen für jede konkrete Situation, die sich bei jedermann im Lauf des Lebens einstellen kann und erst recht bei Menschen mit einer mehrfachen bzw. dauerhaften Behinderung, ein stärkeres Übergangsmanagement statt Schubladendenken und Polarisierung. In dieser Hinsicht werbe ich noch einmal für unseren Antrag und bitte alle Akteure, an der Umsetzung mitzuwirken. Ich habe nach wie vor die Überzeugung, dass vorausschauende Unternehmen im Rahmen ihrer Unternehmensstrategie die Vorteile des inklusiven Arbeitsmarktes und das Lern- und Weiterbildungspotenzial sowie die Arbeitsbereitschaft der Menschen mit einer Behinderung nutzen werden. Politisch wollen wir die Einstellungsneigung der Betriebe zugunsten schwerbehinderter Menschen stärken. Das ist das Signal, das von unserem Antrag ausgeht. Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Aus Anlass dieser Debatte über die Anträge der Fraktionen sowie zum Ausklang der 17. Wahlperiode gilt es, Bilanz darüber zu ziehen, wie sich die Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung entwickelt hat. Es ist begrüßenswert, dass auch die Koalition zum Ende dieser Legislatur Interesse an diesem wichtigen Thema zeigt. Wobei ich an der Ernsthaftigkeit dieses Interesses meine Zweifel habe, wenn ich mir den Inhalt des Antrags anschaue. Die UN-Behindertenrechtskonvention haben wir 2009 in der Großen Koalition gemeinsam unterzeichnet und ratifiziert. Der Anspruch der Konvention war und ist es, dass Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam auf einem inklusiven und durchlässigen Arbeitsmarkt ihren Lebensunterhalt mit selbst gewählter Arbeit verdienen können, dass sie gesunde Arbeitsbedingungen vorfinden und dass sie ihre gewerkschaftlichen Rechte gleichberechtigt ausüben können. Die Konvention fordert auch, dass die Regierungen die Beschäftigung im privaten Sektor fördern und dafür geeignete Anreize setzen. Soweit zu dem, wo wir alle hinwollen. Nun zu dem, wo wir stehen und was wir auf diesem Wege erreicht oder eben nicht erreicht haben. Da muss man leider feststellen, dass die vergangenen Jahre der schwarz-gelben Koalition – gemessen an den genannten Zielen – verlorene Jahre waren. Wohin man auch schaut: Von Ihrer Koalition ist bisher nur Stillstand ausgegangen. Auf den Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention mussten wir bis zum Frühjahr 2012 warten. Gesetzgeberische Konzepte im Bereich Arbeitsmarkt: Fehlanzeige! Da sollen vor allem Arbeitgeber sensibilisiert werden, man will sich einsetzen für mehr Personenzentrierung, und man macht vor allem viele Modellprojekte. Es wurde ein Programm aufgelegt mit dem Titel „Initiative Inklusion“, das vor allem besondere Gruppen – nämlich Schüler, Jugendliche und ältere Schwerbehinderte – fördern soll. Das ist alles nicht falsch, aber schlicht unzureichend. Man muss bei all dem doch festhalten, dass sich die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten in den vergangenen vier Jahren nicht wesentlich verringert hat; sie ist sogar gestiegen. Waren im März 2009 noch circa 171 000 schwerbehinderte Menschen arbeitslos, waren dies im März 2013 180 000 Menschen. Die meisten schwerbehinderten Menschen – mittlerweile über 110 000 – sind mittlerweile langzeitarbeitslos und damit im Bereich des SGB II angekommen. Das ist eine Katastrophe für diese Menschen; denn wir wissen, dass die Jobcenter und optierenden Kommunen nicht das Potenzial für eine dauerhafte Eingliederung dieser besonderen Personengruppe haben. Man muss festhalten: Schwerbehinderte Menschen sind mehr denn je von Arbeitslosigkeit betroffen und erfahren einen Verschiebebahnhof in das SGB II. Viele andere Bereiche, die hier genannt werden müssen, haben Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, leider vollkommen vernachlässigt. Werkstätten haben ungebremsten Zulauf, es gibt keine Weiterentwicklung der Ausgleichsabgabe, keine zusätzliche Förderung der Beschäftigung in Integrationsunternehmen, keine Weiterentwicklung der betrieblichen Schwerbehindertenvertretungen oder der Mitwirkung in Werkstätten, keine Weiterentwicklung des SGB IX, kein Konzept für die Erwerbsminderungsrente und bis heute keine Erweiterung des sogenannten Rehadeckels der Rentenversicherung. Das ist die rehabilitations- und arbeitsmarktpolitische Bilanz dieser Regierung in Bezug auf behinderte Menschen. Und das, obwohl Ihnen die Opposition und die Fach- und Betroffenenverbände unzählige Vorschläge gemacht haben. Sie bleiben weiterhin untätig und legen hier stattdessen einen Antrag vor, der nur einen Ausschnitt des gesamten vorhandenen Spektrums anreißt; er kratzt an der Oberfläche und lässt wichtige und für den Arbeitsmarkt grundlegende Bereiche außen vor. Er steht damit in guter Tradition zum Nationalen Aktionsplan, der auch nichts weiter als ein Sammelsurium bereits bestehender Maßnahmen und oberflächlich geschönter Problemaufrisse ist. Das haben nicht nur wir, sondern in der Anhörung zum Beispiel auch die Schwerbehindertenvertretungen festgestellt. Das können die interessierten Bürgerinnen und Bürger in der Berichterstattung des Ausschusses nachlesen. Es geht eben nicht nur darum, Arbeitgeber und Arbeitnehmer für einen inklusiven Arbeitsmarkt zu sensibilisieren, sondern wir müssen klare Kriterien einziehen, damit dieser inklusive Arbeitsmarkt entstehen kann. Den Marktkräften hier alles Gestalterische blind zu überlassen, das passt zur FDP und ihrer Klientelpolitik, wird aber unserer Verantwortung nicht gerecht. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, und wir wollen nach der Bundes-tagswahl diese Politik des Stillstands ablösen und -gemeinsam mit den Betroffenen endlich konkrete Verbesserungen erreichen. Menschen mit Behinderung haben ohne Unterstützung keine Chance auf unserem derzeitigen Arbeitsmarkt. Es ist deshalb die Aufgabe des Gesetzgebers, Anreize für Beschäftigung zu setzen und nicht nur gut auf die Arbeitgeber einzureden. Da hilft es keinem weiter, wenn man – wie Sie es mit ihrem Antrag tun – der Regierung einen Merkzettel schreibt, was sie alles noch tun könnte – man muss konkret werden! Nehmen wir einmal die Beschäftigungszahlen: Sie stellen es so dar, als wenn immer mehr Unternehmen Menschen mit Behinderung beschäftigen und das ein Fortschritt sei. Auf die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen bin ich schon eingegangen. Die Beschäftigungsquote in der privaten Wirtschaft hat sich zwischen 2003 und 2010 nur um 0,4 Prozent verbessert. Die öffentlichen Arbeitgeber machen das wett – aber auch hier gibt es noch Potenzial; denn immerhin 5 400 öffentliche Arbeitgeber erfüllten die Pflichtquote von 5 Prozent im Jahr 2010 nicht. Durch die Flexibilisierung am Arbeitsmarkt werden heute viele Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft gar nicht mehr mitgezählt; insofern ist die bereinigte Quote wahrscheinlich noch geringer. Diesem Effekt könnte man mit einer Reform des Berechnungsmodus der Pflichtquote begegnen, zum Beispiel indem man zukünftig Arbeitsverhältnisse unter 18 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit grundsätzlich mitzählt. So könnte man auch den Effekt beseitigen, dass Unternehmen mit im Wesentlichen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern deutliche Vorteile bei der Berechnung ihrer Pflichtarbeitsplätze haben. Dafür müssen wir der Ausgleichsabgabe aber auch zu einer wirksamen Anreizfunktion verhelfen, die sie derzeit nicht hat. Unternehmen nehmen die Abgabe in Kauf, weil sie so gering ist und man damit vermeintlich bequem die Beschäftigungspflicht umgehen kann. Die Zahl der beschäftigten schwerbehinderten Menschen hat sich zwischen 2005 und 2010 sogar verringert. Waren 2005 bundesweit noch 142 700 Schwerbehinderte in Arbeit, waren dies 2010 nur noch 138 300. Der DGB hat in der Anhörung deutlich gemacht, dass eine Arbeitslosenquote von 14 Prozent bei Schwerbehinderten gegenüber 7,9 Prozent allgemeiner Arbeitslosenquote auf eine Benachteiligung dieser Gruppe hinweist. Gleichzeitig hat sich auch die Zahl derjenigen, die als – per Definition – „voll erwerbsgeminderte“ Menschen die Werkstätten besuchen, fast verdoppelt. Darunter sind viele Menschen, die als sogenannte Leistungsträger mit richtiger Förderung durchaus schon heute Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten. Die Zahl der Firmen, die 2 Prozent und weniger schwerbehinderte Menschen beschäftigen, hat sich im selben Zeitraum aber kaum verändert. Das heißt, dass sich die Bereitschaft zur Einstellung behinderter Menschen im privaten Sektor kaum verbessert hat und Alternativen zur Werkstatt offenbar fehlen oder nicht attraktiv genug sind. Ich denke nicht, dass man dieses Gesamtbild als „Fortschritt“ bezeichnen kann, so wie Sie es in Ihrem Antrag tun. Hier müssen endlich konkrete Vorschläge auf den Tisch, und das haben wir mit unserem Antrag „Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen“ getan. Wir fordern eine Wiedererhöhung der Pflichtquote auf 6 Prozent und die Erhöhung der Ausgleichsabgabebeträge, besonders für die Unternehmen, die anhaltend eine geringe Quote unter 2 Prozent aufweisen. Wir fordern für diese Unternehmen eine deutliche Erhöhung der Beträge von 290 auf 750 Euro pro nichtbesetztem Pflichtarbeitsplatz. Noch einmal: Den Arbeitgebern gut zuzureden, hilft nicht weiter. Das muss man nach zehn Jahren einfach einmal feststellen und konsequente Schlüsse daraus ziehen. Deshalb müssen Verstöße gegen die Beschäftigungspflicht auch als Ordnungswidrigkeiten konsequent verfolgt und die Nichterfüllung der Mindestbeschäftigung geahndet werden. In der Anhörung hat die Bundesagentur für Arbeit unseren Vorschlag, die Verfolgung der Beschäftigungspflichtverstöße zu verlagern, begrüßt. Dies würde den Interessenkonflikt lösen, den die derzeitige Regelung hervorruft. Als weitere Maßnahme schlagen wir vor, die institutionelle Förderung in Höhe von derzeit circa 40 Millionen Euro jährlich aus Mitteln der Ausgleichsabgabe zukünftig nicht mehr für Werkstätten und Wohnheime, sondern für die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt zu verwenden. Das ist wichtig; denn nur so bekommen wir eine Trendwende von der alternativlosen Werkstatt zu mehr Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Integrationsunternehmen leiden momentan nicht darunter, dass es zu wenige tragfähige Geschäftsideen oder zu wenig geeignetes Personal gäbe, sondern vor allem darunter, dass das Aufkommen der Ausgleichsabgabe in einigen Ländern enorm begrenzt ist und daraus keine neuen Förderungen erfolgen können. Die Aufteilung des Aufkommens der Ausgleichsabgabe muss deshalb so neu geregelt werden, dass mehr Mittel für die Förderung von Integrationsunternehmen bereitstehen. Auch die Rücklagemittel im Ausgleichsfonds des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – nach unseren Informationen fast 300 Millionen Euro – sind für eine neue Beschäftigungsinitiative für schwerbehinderte Arbeitslose zu verwenden. Die Integrationsunternehmen könnten in Jahresfrist mehrere Tausend neuer sozialversicherungspflichtiger Jobs auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt schaffen. Wir werden im Falle einer Regierungsübernahme die Inklusion am Arbeitsmarkt aktiv und mit Nachdruck fördern und wieder Bewegung hineinbringen, damit die Betroffenen endlich Perspektiven erhalten und wir mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorankommen. Gabriele Molitor (FDP): Wollen wir Inklusion umsetzen, müssen Menschen mit und ohne Behinderung die Möglichkeit haben, sich zu begegnen. Besonders gut geht das am Arbeitsplatz. Hier verbringen wir einen Großteil unserer Zeit. Hier finden sich Möglichkeiten, inklusive Prozesse voranzubringen und die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu fördern. Ein Blick auf die Arbeitslosenstatistik von Menschen mit Schwerbehinderung macht den Handlungsbedarf deutlich. Denn Menschen mit Behinderung sind in Deutschland deutlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als nichtbehinderte Menschen. Dabei haben viele Unternehmen bereits gezeigt, wie erfolgreich die Zusammenarbeit mit behinderten Mitarbeitern verläuft. Globetrotter, Daimler AG, Metro Group oder die Deutsche Telekom stellen Menschen mit Behinderung ein und leisten so einen wertvollen Beitrag für eine inklusive Gesellschaft. Der Effekt, der dabei entsteht, ist elementar für eine tolerante und solidarische Gemeinschaft: Menschen mit Behinderung und ihre Bedürfnisse werden wahrgenommen und ernst genommen. Diese Wahrnehmung wollen wir mit unserem gemein-samen Antrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP fördern. Inklusion auf dem Arbeitsmarkt ist ein wechselseitiger Prozess. Nicht nur die Arbeitgeberseite, sondern auch Menschen mit Behinderung leisten einen wichtigen Beitrag und zeigen, dass Inklusion, Leistungsfähigkeit und wirtschaftlicher Erfolg sich nicht ausschließen. Sowohl die Unternehmen als auch die Menschen mit Behinderung und die nichtbehinderten Kollegen zeigen, worauf es bei der Inklusion ankommt: eine Win-win-Situation für alle zu schaffen. Dieser Prozess verläuft nicht automatisch. Dafür braucht es Instrumente und Unterstützungssysteme. Diese wurden bereits entwickelt und erfolgreich angewendet. Zum Beispiel ermöglichen technische Hilfen die Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Auch eine Arbeitsassistenz ist hilfreich. Sie führt Handgriffe aus, die der schwer-behinderte Arbeitnehmer selbst nicht ausführen kann. Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen profitieren von der „Unterstützten Beschäftigung“, bei der eine Fachkraft den Mensch mit Lernschwierigkeiten anleitet und die Arbeitsaufgaben mit ihm trainiert. Aber auch Integrationsfachdienste und andere Dienstleister sind wichtig. Sie fungieren als Vermittler zwischen dem Menschen mit Behinderung und dem Unternehmen. Sie beraten und helfen bei der Hilfsmittelbeschaffung. Institutionen wie Berufsbildungs- und Berufsförderungswerke unterstützen Menschen mit Behinderung bei der Eingliederung oder Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Diese beispielhaften Instrumente zeigen, dass wir bereits ein breites Spektrum an Hilfsmöglichkeiten geschaffen haben. Diese gilt es bekannter zu machen. Denn nach wie vor stellen Betriebe Menschen mit Behinderung nicht ein, weil sie viele Nachteile befürchten. Dabei werden die Hilfen, die die Behinderung ausgleichen, vom Integrationsamt finanziert. Daher ist Aufklärung wichtig. Arbeitgebern muss die Inklusion so leicht wie nur möglich gemacht werden. Entgegen den Forderungen der Opposition werden eine erhöhte Ausgleichsabgabe oder zusätzliche Sanktionen nicht zu mehr Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt führen. Kein Arbeitgeber lässt sich zu einer Anstellung zwingen. Wir müssen Unternehmer vom Potenzial von Menschen mit Behinderung überzeugen. Konkret heißt das: ermutigen und Anreize schaffen, statt strafen und mahnen. Seit Jahren wirbt die FDP mit der Botschaft, dass behinderte Menschen, am richtigen Platz in der richtigen Weise eingesetzt, wertvolle Mitarbeiter sind. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention betont ausdrücklich den uneingeschränkten Zugang behinderter Menschen zum allgemeinen Arbeitsmarkt (Art. 27). Hierfür setzen wir uns mit unserem gemeinsamen Antrag ein. Mit dem Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und mit der Initiative Inklusion sind wir auf einem guten Weg. Vor allem ältere und junge Menschen mit Behinderung profitieren von der Initiative Inklusion. Die Inklusionskompetenzen bei den Kammern zu fördern, schwerbehinderten Jugendlichen den Zugang zu Ausbildung und Beschäftigung zu erleichtern und ältere Menschen mit Behinderung (über 50 Jahre) wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sind genau die richtigen Schritte. Gerade der Fachkräftemangel und der demografische Wandel stellen den Arbeitsmarkt vor die Herausforderung, Arbeitnehmer zu finden. Den Blick dabei auch auf Menschen mit Handicap zu richten, ist nicht nur lohnenswert, sondern eine reelle Chance auf einen gut qualifizierten Mitarbeiter. Auch Selbstständigkeit muss als weitere Option stärker in den Blick genommen werden. Für viele Menschen mit Behinderung ist die Selbstständigkeit die einzige Möglichkeit der Beschäftigung, da sie sich so flexible und auf ihre Behinderung zugeschnittene Arbeitsbedingungen schaffen können. Auch Menschen mit psychischen und geistigen Einschränkungen müssen in den Fokus der Debatte genommen werden. Viele Menschen mit diesen Behinderungen sind in Werkstätten für Menschen mit Behinderung beschäftigt. Die Zahl dieser Gruppe steigt kontinuierlich an. In den letzten 15 Jahren hat sich die Zahl der Werkstattbeschäftigten fast verdoppelt. Für viele Menschen mit schweren Behinderungen ist die bezahlte Arbeit in Werkstätten der Behindertenhilfe die einzige Möglichkeit, zu arbeiten. Deshalb müssen Werkstätten erhalten bleiben. Jedoch muss hier zukünftig mit mehr Augenmaß vorgegangen werden. Auch das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderung muss stärker berücksichtigt werden. Ich habe mit Menschen mit psychischen Behinderungen gesprochen, die gerne in einer geschützten Werkstatt arbeiten und diese Form der Beschäftigung dringend brauchen. Aber es gibt auch eine ganze Reihe von Werkstattbeschäftigten, die sich eine Arbeit außerhalb der Werkstatt vorstellen können. Diesen Menschen muss der Zugang zu inklusiver Beschäftigung ermöglicht werden. Zurzeit sind zu viele Leistungen immer noch an eine Werkstatt gekoppelt. Wichtig ist auch, mehr Außenarbeitsplätze zu schaffen. So können Werkstattbeschäftigte, die ein gewisses Maß an Selbstständigkeit besitzen, außerhalb der Werkstatt in Betrieben arbeiten, ohne die Unterstützung der Werkstatt aufzugeben. So kann nach und nach der Weg in den ersten Arbeitsmarkt geebnet werden. Ein Rückkehrrecht in die Werkstatt und die soziale Absicherung fördert den Übergang zum ersten Arbeitsmarkt. Unser gemeinsamer Antrag zielt darauf ab, Sonderwelten abzubauen und den Zugang von Menschen mit Behinderung zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Die vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten stärker zu nutzen und an den richtigen Stellen zu verbessern, ist der richtige Weg. Denn dadurch werden Menschen mit Behinderung auch im Arbeitsleben stärker wahrgenommen. Ich wünsche mir, dass mehr Menschen in Deutschland einen Kollegen mit Behinderung haben. Mit unseren Maßnahmen wollen wir das mehr und mehr selbstverständlich machen. Sabine Zimmermann (DIE LINKE): So selten wir uns über das Thema Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt hier im Plenum unterhalten, könnte man vielleicht denken, alles sei bestens und es gäbe keinen umfassenden Handlungsbedarf. Das mögen Sie vielleicht glauben, meine Damen und Herren von der Bundesregierung. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Lage von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt ist eines der größten Trauerspiele in Ihrer Regierungszeit, und das kann man Ihnen nicht oft genug sagen. Seit Jahren ändert sich nichts an der hohen Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung. Aktuell sind es in der Statistik über 180 000 schwerbehinderte Menschen; ähnlich sah es in den letzten Jahren aus. Im Vergleich zu 2009 sind es sogar rund 8 Prozent mehr. Auch der jährliche Blick auf die Statistik zur Pflichtquote für die Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen ist immer wieder ernüchternd, denn von Jahr zu Jahr werden die 5 Prozent nicht erfüllt. Nun könnte die Regierungskoalition sagen, in den letzten Jahren ist sie zumindest um ein paar Quäntchen gestiegen. Darauf würde ich Ihnen antworten: Dieser minimale Anstieg beruht oft überwiegend nicht auf der gestiegenen Bereitschaft der Arbeitgeber zur Einstellung von Menschen mit Behinderungen, sondern vielmehr darauf, dass bereits Beschäftigten der Status der Schwerbehinderung neu zugesprochen wurde. Verschiedene Studien zeigen auch, dass in manchen Betrieben die Erfüllung der Beschäftigungsquote überwiegend aus den im Laufe einer langjährigen Beschäftigung angefallenen Krankheits- und Unfallfolgen in der Belegschaft resultiert. Zynisch ausgedrückt, könnte man auch sagen: Wer lange genug wartet und keine Menschen mit Behinderung einstellt, erfüllt schon irgendwann die Pflichtquote. Und das kann und darf so nicht länger sein! Und noch ein weiterer Aspekt, der verdeutlicht, wie wenig Chancen für Menschen mit Behinderung auf einen neuen Job bestehen: Nur bei rund jedem sechsten schwerbehinderten Arbeitslosen ist der Grund der Beendigung der Arbeitslosigkeit eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt, bei den nicht schwerbehinderten Arbeitslosen in rund jedem dritten Fall. Vor dem Hintergrund der schlechten Jobchancen von arbeitslosen Menschen mit Behinderung ist es deshalb überhaupt nicht nachvollziehbar, dass bei der Förderung dieser Personengruppe durch arbeitsmarktpolitische Instrumente drastisch gespart wird. In den letzten drei Jahren hat es hier einen Rückgang um 27 Prozent gegeben. Hier werden die geringen Chancen noch einmal zusätzlich geschmälert. Das ist nicht länger hinnehmbar! Die Bundesregierung und Arbeitgeberverbände beklagen alle paar Wochen den vermeintlichen Fachkräftemangel. Doch wie passt das zusammen mit den Daten und Fakten zur schlechten Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderung? Viele wirklich gut qualifizierte und hochmotivierte Menschen mit Behinderung haben mir erzählt, wie schwer bis unmöglich es für sie ist, einen Job zu bekommen. Und das macht einen wirklich betroffen. Damit sich die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben nachhaltig verbessert, möchte die Linke dies nicht dem Zufall und dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Dazu haben wir einen Antrag vorgelegt, der entscheidende Weichenstellungen, etwa Erhöhung der Pflichtquote, Erhöhung der Anreize für Unternehmen oder eine bessere Förderung, vornimmt. Damit gute Arbeit für viele Menschen mit Behinderung nicht länger ein unerfüllter Traum bleibt. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor etwas mehr als einem halben Jahr waren hier im Bundestag zwei Tage lang knapp 300 Menschen mit Be-hinderung zu Gast, um mit uns Abgeordneten über die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu sprechen. Eines der vielen Themen, über die wir uns ausgetauscht haben, war selbstverständlich auch die Situation am Arbeitsmarkt. Für Menschen mit Behinderung ist sie wenig befriedigend. Es ist häufig schwierig, einen Arbeitsplatz zu finden, und auf der Suche nach Unterstützung gibt es häufig Probleme, wenn Anträge gestellt werden müssen und die Kommunikation mit Behörden ansteht. Entsprechend eindeutig waren die Forderungen unserer Gäste: Die Verantwortlichen müssen im Interesse der Menschen mit Behinderung besser zusammenarbeiten, und der Fokus muss dabei weg von den Werkstätten für Menschen mit Behinderung und hin zum allgemeinen Arbeitsmarkt gehen. Die Selbstbestimmungsrechte von Menschen mit Behinderung müssen gestärkt werden. Was heißt das für die Politik? Was können wir tun, um diese Ziele zu erreichen? Ich möchte hier insbesondere auf einen Punkt näher eingehen: auf die Frage nach der Möglichkeit des Übergangs von der Werkstatt für behinderte Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden vom Sozialhilfeträger gegenwärtig nur finanziert, sofern die leistungsberechtigte Person nicht erwerbsfähig ist. In diesem Fall finanziert der Sozialhilfeträger die Tätigkeit im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen. Möchte eine Person aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln, ist der Sozialhilfeträger nicht mehr zuständig. Selbst wenn er im Sinne der leistungsberechtigten Person eine Maßnahme auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt finanzieren möchte, kann der Sozialhilfeträger die Leistung nicht erbringen. Zur Finanzierung dieser Leistungen kommen andere Träger in Betracht, unter anderem die Bundesagentur für Arbeit und die Integrationsämter. Deren Interesse, Leistungen für einen immer größeren Personenkreis zu erbringen, der zudem noch dauerhaft auf Unterstützungsleistungen sowie Lohnkostenzuschüsse angewiesen sein wird, ist natürlich nicht besonders ausgeprägt. Insofern sind auch die Bemühungen, hier Angebote für Menschen mit Behinderung zu schaffen, überschaubar. Die Erhöhung der Ausgleichsabgabe ist eine Möglichkeit, zumindest die Budgets der Integrationsämter zu stabilisieren und neue Jobs – etwa in Integrationsunternehmen – zu fördern. Trotzdem sind wir in der sehr unerfreulichen Situation, dass zwar Geld im System ist, aber nicht an den richtigen Stellen. Diese Situation entspricht weder den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung noch der UN-Behindertenrechtskonvention. Denn die Konvention formuliert in Art. 27 ganz unmissverständlich das Recht behinderter Menschen, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen und für Menschen mit Behinderung zugänglichen Arbeitsmarkt frei gewählt wird. Auch dem Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen wird die Situation gegenwärtig nicht gerecht. Denn wirklich wählen kann man nur, wenn es die entsprechenden Angebote gibt. Wenn wir den Übergang aus der Werkstatt in den ersten Arbeitsmarkt wirklich erleichtern wollen, müssen wir zu besseren Regelungen kommen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum sich durch den Sozialhilfeträger ein Werkstattplatz finanzieren lässt, nicht aber die nötige Unterstützung im Rahmen einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Es ist bisher nur in zwei Bundesländern einigermaßen gelungen, die Leistungsansprüche von der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu übertragen. In Rheinland-Pfalz und in Niedersachsen gibt es das sogenannte Budget für Arbeit. Dort haben wir eine Leistungsform, die sich an den Interessen des behinderten Menschen orientiert und flexibel eingesetzt werden kann. Zu solchen und ähnlichen Lösungen müssen wir endlich auch bundesweit kommen und vor allem das Jobangebot an unterstützter Beschäftigung quantitativ ausweiten, ohne dass die Qualität der Unterstützung auf der Strecke bleibt. Nur wenn alle Träger, die für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben infrage kommen, an einem Strang ziehen, werden wir gute Lösungen finden. Die Reform der Eingliederungshilfe bietet die Möglichkeit zur Veränderung in diese Richtung. Ich hoffe sehr, dass wir bald ein politisches Kräfteverhältnis vorfinden, mit dem wir entscheidende Schritte vorankommen: für eine bessere Zusammenarbeit im Interesse eines starken Selbstbestimmungsrechts behinderter Menschen. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung eines Altersgelds für freiwillig aus dem Bundesdienst ausscheidende Beamte, Richter und Soldaten (Tagesordnungspunkt 15) Florian Hahn (CDU/CSU): Der demografische Wandel und der internationale Kampf um die besten Köpfe verändern den Arbeitsmarkt zunehmend. Viele Unternehmen finden nicht genügend Lehrlinge, geschweige denn Fachkräfte. Dieser Mangel an gutausgebildeten Arbeitskräften wird auch am öffentlichen Dienst nicht vorbeigehen. Wenn der Bund als Arbeitgeber der neuen Arbeitswelt, die auf Flexibilität und Mobilität beruht, gewachsen sein will, muss er ein zukunftsorientiertes Angebot vorlegen. Die schwarz-gelbe Regierung hat in den letzten Jahren hierfür wichtige Impulse gesetzt. Die Gewährung eines Altersgeldes ist nun ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Sie reduziert die Mobilitätshindernisse zwischen Privatwirtschaft und Beamtenlaufbahn und macht einen Eintritt in den öffentlichen Dienst für viele junge High Potentials erst interessant. So sollen freiwillig aus dem Bundesdienst ausscheidende Beamte, Richter und Soldaten künftig gegenüber den vormaligen Dienstherren einen Anspruch auf die Gewährung eines Altersgeldes haben. Dies bedeutet eine wesentliche Besserstellung der Beamten und Berufssoldaten, als dies gegenwärtig in der Nachversicherung der gesetzlichen Rente der Fall ist. Durch den Abzug von 15 Prozent des dynamisierten Altersgeldes ist jedoch auch der Bund entschädigt, der sich durch das neue Gesetz mit zusätzlichen Kosten für die Einarbeitung und Rekrutierung neuen Personals konfrontiert sieht. Ich denke, so ist beiden Seiten geholfen. Ich möchte deshalb auch den Bedenkenträgern sagen, dass wir dieses neue Gesetz nicht als Bedrohung und Aushöhlung der Bundesdienste sehen dürfen. Die Gefahr, dass uns sämtliche Beamte nach einer gewissen Zeit davonlaufen, ist sehr gering. Sie steht auch in keinem Verhältnis zu dem Attraktivitätsgewinn, den die Beamtenlaufbahn mit dem Gesetz erfährt. Die wirtschaftlichen Nachteile bei einem vorzeitigen Ausscheiden, die viele junge gutausgebildete Menschen bisher abschrecken, fallen weg. Als Verteidigungspolitiker liegt mir natürlich nicht nur das Wohl unserer Beamtenschaft, sondern speziell die Zukunftsfähigkeit des Soldatenberufs am Herzen. Das Altersgeld ist deshalb eine wichtige Etappe, um das Berufsfeld des Soldaten noch attraktiver und moderner zu gestalten. Die schwarz-gelbe Regierung hat ohnehin ein beispielloses Maßnahmenpaket im Rahmen der Bundeswehrreform verabschiedet: Erstens. So haben wir zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Dienst durch die Schaffung von mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten und die Reduzierung der Versetzungen verbessert. Zweitens werden durch das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz die im Einsatz Geschädigten und die Hinterbliebenen wesentlich bessergestellt. Neben der materiellen Verbesserung haben wir mit diesem Gesetz auch die politische und soziale Verantwortung der Politik für die Bundeswehr unterstrichen. Drittens. Außerdem ist es uns auch gelungen, dafür zu sorgen, dass eine besondere Auslandsverwendung von 180 Tagen bereits für eine Doppelanrechnung der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit ausreicht. Des Weiteren kann bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 Prozent grundsätzlich ein Anspruch auf die Ernennung zum Berufssoldaten bestehen. Damit wird anerkannt, dass Soldaten im Einsatz in Situationen kämpfen, die sich durch Intensität und Bedrohungslage nachhaltig von nichtmilitärischen Tätigkeiten unterscheiden, und dass ein höheres Risiko für Posttraumatische Belastungsstörungen vorliegt. Viertens. Zuletzt möchte ich noch das Bundeswehrreform-Begleitgesetz erwähnen. Entgegen sämtlicher trüber Prognosen hat dieses Gesetz viel Positives gebracht. Die vorzeitige Zurruhesetzung für Berufssoldaten ab 50 Jahren sowie das bessere Wehrdienstverhältnis für Reservisten, die ehrenamtliche Aufgaben übernehmen, sind nur einige Beispiele. Ich denke, wir haben einiges auf den Weg gebracht, um die Attraktivität der Bundeswehr als zukunftsorientierten Arbeitsgeber zu steigern. Das Gesetz zur Gewährung eines Altersgeldes ist da nur konsequent und gilt es deshalb zu bewilligen. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Heute erhielt ich einen Anruf von einem Naturwissenschaftler: Er hat das Angebot erhalten, in einem Bundesministerium als Referent zu arbeiten. Er ist unschlüssig: Will er wirklich Beamter auf Lebenszeit werden? Deshalb hat er mich gefragt, was es mit dem Projekt Altersgeld auf sich habe. Es stellte sich im Gespräch heraus, dass die Aussicht auf einen Ausstieg ohne große finanzielle Verluste für ihn ein starkes Argument für den Einstieg in die Bundesverwaltung ist. Und genau das ist unsere Intention: Das Altersgeld ist ein Modell zum Einstieg! Der demografische Wandel ist für die Arbeitgeber in Deutschland heute schon spürbar, es mangelt bereits jetzt an Fachkräften, und dieser Mangel wird sich weiter verschärfen. Wenn der Arbeitgeber Bund im Wettbewerb um Fachkräfte mithalten will, muss er auch etwas bieten. Immerhin bewerben sich heute die Bundesbehörden immer öfter bei den Fachkräften und nicht umgekehrt. Bei den Gehältern kann die öffentliche Verwaltung mit der freien Wirtschaft sicher selten mithalten. Deshalb muss der Bund als Arbeitgeber andere attraktive Angebote machen können. Unsere beamtenpolitischen Initiativen in den vergangenen gut drei Jahren stellen in dieser Hinsicht eine Erfolgsbilanz der christlich-liberalen Koalition dar, wie sie sich übrigens viele Beamtinnen und Beamte in einigen rot-grün geführten Bundesländern wünschen würden. Und wir wollen heute, sozusagen auf der Zielgeraden dieser Legislaturperiode, eine weitere Gesetzesinitiative verabschieden, die es guten Bewerbern noch attraktiver macht, in der Bundesverwaltung anzuheuern. Wir wollen den Wechsel zwischen Öffentlichem Dienst und der Privatwirtschaft zukünftig in beide Richtungen erleichtern. In der Koalition haben wir uns auf den vorliegenden Gesetzentwurf zur Mitnahme von Versorgungsanwartschaften geeinigt, ein Gesetzentwurf, mit dem wir die bundesweit wegweisende Dienstrechtsreform aus dem Jahr 2009 komplettieren. Wir wollen den Austausch zwischen Staat und Wirtschaft beleben und die besten Köpfe für den Öffentlichen Dienst gewinnen, ihnen dabei aber nicht den Eindruck vermitteln, sie müssten sich von Beginn an für ihr ganzes Leben unwiderruflich verpflichten. Wenn ein aktiver Beamter bisher den Wechsel in die Privatwirtschaft erwogen hat, musste er innerhalb der dann fälligen gesetzlichen Nachversicherung mit derart hohen Abschlägen in der Alterssicherung rechnen, dass die meisten von diesem Schritt abgehalten wurden. Diejenigen Berufseinsteiger, die sich eine berufliche Flexibilität nicht von vorneherein verbauen wollen, entscheiden sich deshalb heute nicht für die Verwaltung. Genau diesen Bewerbern möchten wir die Option offen lassen, möglicherweise nur einen Teil des beruflichen Lebens als Beamter zu arbeiten und die damit erworbenen Versorgungsansprüche wie auch in der Privatwirtschaft quasi mitzunehmen. Mitnehmen heißt in diesem Fall, der Anspruch wird mit Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wirksam. Ich bin davon überzeugt, dass diese Regelung nicht nur mehr Gerechtigkeit bringt, sondern auch mehr interessierte Bewerber. Und von diesen Neugewonnenen werden deutlich mehr bleiben als gehen. Erfahrene Fachkräfte aus der Wirtschaft, aber auch junge Studienabsolventen werden den Öffentlichen Dienst als attraktiven Arbeitgeber erleben und sich wohlfühlen. Deshalb ist das Altersgeld für uns ein Modell zum Einstieg. Das Lebenszeitprinzip bleibt für uns gleichwohl ein wichtiger Grundsatz. Deshalb wollen wir auch keine falschen Anreize setzen und haben einen Abschlag in Höhe von 15 Prozent der Altersgeldansprüche und eine Mindestverwendungszeit von sieben Jahren im Gesetz verankert. Ebenso sollen entstandene Ausbildungskosten vom Staat gegebenenfalls zurückgefordert werden können. Die Oppositionsparteien wollten dieses Vorhaben schon immer machen, geschafft haben sie es nicht. Wir machen es jetzt, und ich denke, dieses Modell wird – wie die Dienstrechtsreform der letzten Wahlperiode – als Vorbild dienen, weitere werden folgen. Der einzige Dienstherr, der bei der Portabilität schneller war als wir, waren die Baden-Württemberger – wohlgemerkt aber die schwarz-gelbe Landesregierung. In der öffentlichen Anhörung haben wir viel Lob für die Initiative bekommen. Herr Dauderstädt vom Deutschen Beamtenbund sprach von der Quadratur des Kreises, die gelungen sei, Herr Niesen von der Gewerkschaft Technik und Naturwissenschaft begrüßte die Lösung als tragfähigen Kompromiss. Herr Dr. Schneider vom DGB sprach von einem Schritt in die richtige Richtung. Herr Weber von Verdi nannte die Gewährung eines Altersgeldes vom Grundsatz her positiv. Er wies auch darauf hin, dass wir klarmachen müssen, dass es sich bei diesem Gesetz nicht um eine Erhöhung von Versorgungsansprüchen handelt. Dafür möchte ich mich bedanken. Keiner der Sachverständigen sah eine Gefahr für ein Ausbluten des Öffentlichen Dienstes.   Der Änderungsantrag der SPD-Fraktion greift drei Punkte auf, die auch in der Anhörung angesprochen wurden. Nach unserem Entwurf müssen Bundesbeamte mindestens sieben Jahre im Öffentlichen Dienst beschäftigt sein, um beim Ausscheiden einen Anspruch auf Altersgeld mitnehmen zu können. Ich bin von dieser Regelung überzeugt, weil die Verpflichtung auf einen Dienstherren nicht so schnell ohne Konsequenzen aufgelöst werden sollte. Ich würde sogar eine noch längere Mindestdienstzeit befürworten. Zudem entstehen Kosten für den Dienstherren, wenn ein Wechsel ansteht. Dies war auch einer der Gründe für den Abschlag von 15 Prozent. Liebe Kolleginnen und Kollegen Sozialdemokraten: Sie lieben ja Klartext, deshalb: Das war kein einfaches Gesetzesvorhaben. Ich denke, das können Sie sich vorstellen, schließlich haben Sie es ja vorher auch nicht geschafft. Die Spatzen pfeifen es ja vom Reichstagsdach, dass es auch bei Ihnen sehr unterschiedliche Meinungen zum Altersgeld gibt. Der 15-prozentige Abschlag und die Mindestwartezeit waren in unseren Reihen Zugeständnisse an die Skeptiker, die den Ausstieg nicht zu attraktiv gestalten und zudem die Kostenfrage geklärt sehen wollten. Uns allen ist klar, dass es damit nicht getan ist. Weitere Schritte müssen folgen. Wir werden deshalb prüfen, in welcher Form Zeitsoldaten zukünftig berücksichtigt werden können. Aufgrund der Komplexität dieses Themas werden wir uns gesondert damit befassen. Wir müssen uns auch darüber Gedanken machen, wie wir externe Bewerber zukünftig zu den Erfahrungstufen einordnen, welche Qualifikations- und Ausbildungszeiten, aber auch sonstige berufliche Erfahrungen wir dabei berücksichtigen. Um die Attraktivität des Öffentlichen Dienstes zu steigern, haben wir schon einiges getan. Ich erinnere an dieser Stelle nur an den Wegfall der pauschalen Stellenkürzung. Weitere Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung werden folgen. Diese Koalition hat jedenfalls bewiesen: Wir gestalten nicht wie andere schöne Prospekte, wir nehmen das Thema Demografie ernst und setzen konsequent das Erforderliche um.  Ich bitte Sie heute um Ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf. Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Nun ist es endlich soweit: Nach jahrelanger Diskussion wird die Mitnahmefähigkeit der Beamtenversorgung bzw. das, was manche darunter verstehen wollen, heute nun wohl endlich abschließend beraten und beschlossen. Nur zu gerne hätten auch wir Sozialdemokraten heute zu diesem von uns seit Jahren offensiv und intensiv verfolgten Vorhaben Ja gesagt. Doch das ist uns nicht möglich. Es ist nämlich bestenfalls ein Halbfertigprodukt, das die Koalition heute als Patentlösung verkaufen will. Für so etwas reichen wir jedoch nicht die Hand. Erstaunlich, dass überhaupt eine Einigung erzielt wurde; denn die Widerstände im Bundesinnenministerium waren und sind gewaltig. Das Ende des öffentlichen Dienstes, dessen Ausbluten nach kurzem Siechtum wird als Weltuntergangsszenario an die Wand gemalt. Welch eine Denke! Wie verstaubt und vorgestrig! So funktioniert die Welt eben nicht mehr! Große Teile des Hauses würden doch zu Recht mit Empörung reagieren, wollten wir Beschäftigten in der gewerblichen Wirtschaft den Wechsel von einem Arbeitgeber zum anderen unmöglich machen, indem sie ihre Zusatzversorgung in diesem Falle verlören. Bei den Beamtinnen und Beamten des Bundes aber sehen manche diese Hürde als eine besondere Tugend an: einmal Beamter, immer Beamter. So aber lockt man junge Menschen nicht in den öffentlichen Dienst, vielmehr schreckt man sie ab. Wir brauchen aber qualifizierte Nachwuchskräfte. Wir sind angewiesen auf flexible Hochqualifizierte, die gerne eine Weile – zumeist ja dann doch dauerhaft – ihrem Land dienen, dann aber in ihrem Berufsleben noch eine andere Tätigkeit ausüben wollen. Immer mehr Bundesländer öffnen sich daher der Mitnahmefähigkeit und leiden eben nicht unter einem Exodus. Begrenzt und maßvoll sind die Abwanderungsbewegungen von Beschäftigten dort. Diese Wenigen erhalten übrigens nur selten Spitzenbesoldungen. Auch da können alle Ängstlichen beruhigt werden. Daher ist es schade, dass die Bedenkenträger im Innenministerium gegenüber den wenigen Aufgeschlossenen in der Koalition so stark waren, dass heute nur scheinbar die Mitnahmefähigkeit beschlossen wird. Halbherzig ist der Schritt, den Sie gehen. Deshalb gehen wir nicht mit. Sie wollen nur mit erheblichen Abschlägen und erst nach sieben Jahren den Wechsel ermög-lichen, anstatt nach fünf Jahren und ohne Abschläge, wie wir im Innenausschuss forderten und es in Baden-Württemberg und anderswo schon praktiziert wird. Das ist auf zynische Weise übrigens konsequent. Bereits in der Großen Koalition wollten wir Sozialdemokraten nämlich die Mitnahmefähigkeit. Doch auf den letzten Metern bremste uns der damalige Bundesinnen- und heutige Finanzminister mit seiner Denke von vorgestern aus. Nun nötigt man das Bollwerk des Denkens in obrigkeitsstaatlichen Kategorien zu einem Schritt. Er ist ein Schrittchen. Da geht mehr. Das werden wir nach der Bundestagswahl unter Beweis stellen. Dr. Stefan Ruppert (FDP): Im Wahljahr 2013 kann die FDP-Bundestagsfraktion auf vier gute Jahre für das deutsche Berufsbeamtentum zurückschauen. Unsere Bilanz fällt positiv aus: Deutschland verfügt über einen funktionierenden und leistungsfähigen öffentlichen Dienst. Nach Umfragen der forsa, Gesellschaft für So-zialforschung und statistische Analysen, aus dem Jahr 2012 genießen die Beamten bei den Bundesbürgern nach wie vor ein gutes Ansehen. Die weit überwiegende Zahl der Befragten hält die Staatsbediensteten für pflichtbewusst, zuverlässig und kompetent. Der öffentliche Dienst ist ein positiver Standortfaktor für Deutschland. Im 2012 veröffentlichten internationalen Vergleich von 45 Industrienationen und Schwellenländern im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums liegt Deutschland auf dem fünften Platz und damit lediglich hinter den USA, Schweden, Dänemark und der Schweiz. Gemeinsam mit der CDU/CSU-Fraktion haben wir in dieser Wahlperiode für den Bund zahlreiche wichtige Reformen für die Beamten, Richter und Soldaten des Bundes umgesetzt: von der Gleichstellung von Lebenspartnerschaften mit der Ehe im Dienstrecht über die Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Dienstes mit dem Fachkräftegewinnungsgesetz und die Wiedergewährung der Sonderzahlung bis hin zur Übertragung der Tarifergebnisse auf Aktivbezüge und Pensionen. Gleichwohl steht außer Frage, dass die Modernisierung des öffentlichen Dienstes vorangehen muss. Der demografische Wandel stellt nicht nur die Gesellschaft und die Privatwirtschaft, sondern auch den öffentlichen Dienst angesichts knapper werdender Fachkräfte vor neue Herausforderungen. Aus diesem Grund hat die FDP-Bundestagsfraktion im Koalitionsvertrag 2009 mit der CDU/CSU-Fraktion vereinbart, den Bund als Arbeitgeber weiter zu stärken und seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Privatwirtschaft um qualifiziertes Fachpersonal zu stärken. Die FDP fordert im Zusammenhang mit der Modernisierung des öffentlichen Dienstes des Bundes seit langem die Einführung der Portabilität von Versorgungsanwartschaften für Beamte, Richter und Soldaten. Für uns ändert die Portabilität nichts daran, dass das Beamtenverhältnis auf Dauer angelegt ist. Der öffentliche Dienst braucht dauerhafte und zuverlässige Beschäftigungsverhältnisse, um die Erledigung seiner Aufgaben in den Ministerien, Gerichten und Behörden zu gewährleisten. Wir sind aber davon überzeugt, dass die Portabilität für viele junge und motivierte Fachkräfte zu einem Attraktivitätsmerkmal werden wird. Ihnen wird leichter fallen, sich für eine auf Dauer angelegte Laufbahn im öffentlichen Dienst zu entscheiden, wenn sie sich im Ernstfall – ob aus persönlichen oder anderen Gründen – mit geringen Einbußen für den Ausstieg entscheiden können. Zudem sorgen wir für mehr Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Wirtschaft und öffentlichem Dienst. Mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfes setzen wir die alte FDP-Forderung der Portabilität nun um und erreichen damit, was die Große Koalition in der vergangenen Wahlperiode verpasst hat. Schon 2008 hätte die Portabilität im Rahmen des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes eingeführt werden können. Die FDP hatte in einem Entschließungsantrag das Fehlen der Portabilität im Gesetzentwurf beanstandet. Mit der vorliegenden Regelung ist uns aus meiner Sicht ein guter Kompromiss gelungen. Anstelle der obligatorischen Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung können freiwillig aus dem Bundesdienst ausscheidende Beamte, Richter und Berufssoldaten künftig das Altersgeld beantragen. Mit der Nachversicherung waren für ausscheidende Beamte bisher erhebliche Einbußen in der Altersversorgung verbunden, und sie wurden behandelt wie strafrechtlich verurteilte Beamte auch. Diese Ungerechtigkeit schaffen wir nun ab. Der vorliegende Gesetzentwurf unterscheidet sich deutlich von einem Regelungsvorschlag des Bundesinnenministeriums von November 2012, der erheblich höhere Hürden für die Inanspruchnahme des Altersgeldes vorsah. Auf Druck der FDP-Fraktion legt der Gesetzentwurf der Koalition nun weitaus günstigere Konditionen fest. Danach kann das Altersgeld nach einer Mindestdienstzeit von sieben Jahren im öffentlichen Dienst beantragt werden, von denen fünf im Bundesdienst absolviert sein müssen. Das Altersgeld wird gemäß der Beamtenversorgung bis hin zur Rente regelmäßig dynamisiert, das heißt an die wirtschaftliche Gesamtentwicklung angepasst. Der Gesetzentwurf sieht einen Abschlag von 15 Prozent im Vergleich zur vollen Versorgung vor, den wir später nochmals prüfen werden. Grundlage dieses Kompromisses war die Regelung aus Baden-Württemberg, wo das Altersgeld Anfang 2011 eingeführt wurde. Die FDP-Bundestagsfraktion hätte die Bundesregelung gern noch enger am Modell aus Baden-Württemberg ausgerichtet, musste aber in den parlamentarischen Beratungen mit dem Koalitionspartner Kompromisse eingehen. Eine für 2016 vorgesehene Evaluation des Gesetzentwurfs wird ergeben, ob Nachbesserungen durch den Wegfall des Abschlags oder eine geringere Mindestdienstzeit geboten sind. Der Änderungsantrag der SPD-Fraktion ist insofern überflüssig und daher abzulehnen. Lassen Sie mich abschließend einige Worte zu den Soldaten auf Zeit sagen. Die FDP-Fraktion hat sich dafür eingesetzt, sie bei der Portabilität zu berücksichtigen. Bei der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf im März dieses Jahres wurde diese Forderung durch den Deutschen BundeswehrVerband einmal mehr bekräftigt. Leider konnten wir dies beim Koalitionspartner nicht durchsetzen. Wir werden uns weiterhin für eine Verbesserung der Altersversorgung der Soldaten auf Zeit einsetzen. Es kommt nun darauf an, dass möglichst viele Bundesländer dem Beispiel des Bundes folgen und wie Baden-Württemberg den Einstieg in die Portabilität finden. Hessen hat den Anfang ebenfalls gemacht. Ich freue mich, dass die Fraktion Die Linke ihre Verantwortung für das Berufsbeamtentum heute einmal wahrnimmt und diesen Gesetzentwurf gemeinsam mit der Koalition verabschiedet. Bedauerlich bleibt, dass die SPD-Fraktion dies aus wahltaktischen Gründen nicht tut und an dem Meilenstein keinen Anteil hat, den die Koalition heute für ein modernes Berufsbeamtentum setzt. Frank Tempel (DIE LINKE): Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung: Eigentlich gibt es zum Gesetzentwurf in der zweiten und dritten Beratung auch nichts anderes zu sagen als in der ersten Lesung. Die Regierungskoalition hat es nicht für nötig empfunden, einen Änderungsvorschlag einzubringen und wenigstens einige der Unzulänglichkeiten des Gesetzentwurfes auszubessern, die in der Anhörung des Innenausschusses Mitte März zur Sprache kamen. Unzulänglichkeiten gibt es einige: die siebenjährige Wartezeit für die Gewährung des Altersgeldes, die vorgesehene Kürzung des ermittelten Altersgeldes um 15 Prozent und die Anrechnung von möglicherweise erworbenen Rentenbezügen auf das Altersgeld. Die siebenjährige Wartezeit soll laut Ihrer Gesetzesbegründung einen übermäßigen Anreiz für das Verlassen des Bundesdienstes ausschließen. Dieser Beweggrund ist nachvollziehbar. Diese Grenze von sieben Jahren ist aber willkürlich gezogen. In Ableitung von den Regelungen in den anderen Alterssicherungssystemen ist eine fünfjährige Frist angemessener. Die pauschalen Kürzungen des ermittelten Altersgeldes von 15 Prozent sind nicht nachvollziehbar. Der DGB schlägt eine sozial gestaffelte Kürzung vor. Damit hätte sich auch die Linke anfreunden können. Bei der geplanten Anrechnung von vor dem Beamtenverhältnis erworbenen Rentenanwartschaften an das Altersgeld hat die Regierungskoalition dann offensichtlich ihr eigenes Konzept zum Altersgeld nicht verstanden. Es ging um die Mitnahmefähigkeit von Versorgungsansprüchen zwischen den verschiedenen Alterssicherungssystemen. Erklären Sie mir bitte, wieso Ansprüche nur in Richtung Rentensystem mitgenommen werden können, aber nicht in Richtung des Versorgungssystems der Beamtenschaft. Des Weiteren wurde auch die Anregung des DGB zur Korruptionsvorbeugung nicht aufgegriffen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hatte vorgeschlagen, dass „das Altersgeld nicht gewährt wird, wenn eine Beamtin oder ein Beamter zu einem Arbeitgeber wechseln wird, zu dem in Ausübung ihres bzw. seines Amtes Geschäftsbeziehungen bestanden, über dessen Anträge sie bzw. er entschieden hatte oder gegenüber welchem sie bzw. er einer Aufsichtstätigkeit nachging.“ Als ehemaliger Ermittler in Korruptionsfällen kann ich die Notwendigkeit einer solchen Regelung nur ausdrücklich unterstreichen! Um noch einmal auf meine Rede zur ersten Lesung des Gesetzes zurückzukommen: Wir begrüßen grundsätzlich die Einführung eines Altersgeldes, aber Sie haben sich die Chance vergeben, einen ausgereiften Gesetzentwurf vorzulegen. Wir werden Ihrem Vorschlag dennoch zustimmen, ergeben sich doch trotz aller Mängel Verbesserungen für die Beschäftigten. Alle drei am heutigen Tag zur Abstimmung stehenden Gesetze zu Fragen des öffentlichen Dienstrechtes, zum Altersgeld, zur Familienpflegezeit und zur Professorenbesoldung kranken an dem gleichen Problem: Die Gesetzentwürfe ändern das Recht des öffentlichen Dienstes in vielen Details, aber sie folgen keinem durchdachten Konzept, das für eine Reform zur Modernisierung des Dienstrechts – nicht zuletzt angesichts des demografischen Wandels – notwendig wäre. Ihnen fehlt eine Vision, und Ihnen fehlt der Mut über Ihre selbstgesetzte Grenze der Kosten- und Planstellenneutralität hinwegzuschreiten. Mit Stückwerk kann man sich über die Zeit retten, aber die Probleme holen Sie über kurz oder lang unweigerlich ein. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gemeinsam haben wir über das Altersgeld in der ersten Lesung ja durchaus lebhaft diskutiert. Das ist bei einem zuweilen etwas hölzern daherkommenden Thema wie dem Beamtenrecht ja doch auffällig. Ich sage Ihnen, warum das so war – ich wiederhole das gern –: Die Aufregung auf Koalitionsseite bezog sich, neben der späten Stunde vielleicht, auch darauf, dass Sie von uns nicht daran erinnert werden wollten, dass die Koalition sich zum einen hinsichtlich der grundsätzlichen Einführung des Instruments mit fremden Federn schmückt, denn natürlich geht es auf die Anregung der Gewerkschaften zurück und war bereits in der Vorgängerkoalition gewissermaßen versandfertig gemacht. Zum anderen wollten Sie dann nicht erinnert werden, dass Wolfgang Schäuble selbst es war, der eine Umsetzung vor fünf Jahren persönlich zunichtemachte. Man kann also sagen, dass damit Jahre der Gerechtigkeit für die Beamten gezielt verschenkt worden sind. Dass ein Instrument zur Frage der Versorgung beim freiwilligen Verlassen des Beamtenverhältnisses überfällig erscheint angesichts der erheblichen Benachteiligung durch die bloße Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung, das ist Konsens. Und doch – das ist uns allen wohl auch klar – eine Gratwanderung: Flexibilisieren des Dienstrechts, aber gleichzeitig doch den Sonderstatus des Beamtentums unberührt lassen. Die Bindung durch das Lebensarbeitszeitverhältnis und das damit verbundene Treueprinzip durch den gesellschaftlichen Wandel zumindest in Teilbereichen wegkorrodieren sehen und doch eisern daran als „privilegiertem Normalfall“ festhalten. Gute Leute ziehen lassen müssen, ohne sie bestrafen zu können, weil sie es gewagt haben, den privilegierten Status des Beamtendaseins zu verlassen. Die Verhältnisse zwingen das Beamtentum weiter in die gesellschaftliche Öffnung und die Einnahme einer externen Perspektive, die danach fragt, wie das alles auf Bewerber, auf die fachlich besonders Qualifizierten wirkt, die wir zukünftig gewinnen müssen. Man merkte diese Gratwanderung besonders eindringlich am „Einerseits-andererseits-Sprech“ des DBB-Vorsitzenden in der Ausschussanhörung, der davon sprach, den Eindruck vermeiden zu wollen, es handele sich beim Beamtensystem um ein „Einmal drin, mehr oder weniger gefangen“; man wolle dem Argument entgegentreten, man nehme dann erhebliche Abstriche in der Altersversorgung in Kauf. Andererseits gehe es um ein Bleibeargument; es sollte mit Nachdruck ein Ausstiegssignal vermieden werden. Ich betone den Gerechtigkeitsaspekt dieses an und für sich vernünftigen Instruments gerne vorrangig, denn Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, scheint die Zuordnung zur Demografiepolitik und zur Fachkräftegewinnung wichtig. Sie und ich wissen aber, dass es mit den erwarteten Zahlen für die Inanspruchnahme des Altersgeldes – vergleichen Sie auch die moderaten Zahlen von Baden-Württemberg – zu den von Ihnen gebotenen Konditionen nicht so weit her ist. Und komplexe Großentwicklungen wie der demografische Wandel und deren Folgen werden mit dem von Ihnen vorgelegten Instrument ohnehin nicht steuerbar. Vor allem aber lehnen Sie ja gerade wirkliche Anreize – das hat die Fachanhörung ja deutlich herausgearbeitet – mit Ihrem Entwurf letztlich ab. Genau deshalb handelt es sich nicht um eine Maßnahme zur Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes, wie Ihnen der DGB und auch Verdi vorgehalten haben. Das ist keine Flexibilisierung des Wechsels in den öffentlichen Dienst oder aus ihm hinaus, das ist schon ein Wechsel-Abschreckungsprogramm. Es erscheint wichtig, zu betonen, dass es zunächst durchaus schlicht einem Gebot der Fairness entspricht, dass ein Dienstherr die über Jahre ihm gegenüber erbrachten Leistungen auch versorgungsfest mitnahmefähig macht, ein gebotener Nachteilsausgleich eben. Der Verweis auf das Versprechen der Lebenszeitverbeamtung greift an dieser Stelle deshalb nicht mehr, weil das Ausmaß dessen, was die Gesellschaft heute von den Bürgern und deren Familien an Flexibilität verlangt, mit diesem Grundprinzip und der dahinterstehenden Denke oft nicht mehr vereinbar erscheint. Es sind heute genug Lebenssituationen denkbar, wo es schlicht nicht zumutbar erschiene, Beschäftigte weiter festzuhalten, ihnen aber gleichwohl gewissermaßen zur Bestrafung die Versorgungsansprüche vorzuenthalten. Wie übrigens bei der Familienpflegezeit auch kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass diese Koalition des Stillstandes die Lorbeeren für ein strukturell wirkendes „Instrument der Flexibilisierung“ einheimsen wollte, ohne sich je auf ein entsprechendes Instrument geeinigt zu haben. Anders sind die von Ihnen eingebauten Hindernisse für die Beschäftigten, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, nämlich nicht zu verstehen. Geradezu akribisch haben Ihnen die Gewerkschaften das in der Anhörung des Innenausschusses auch dargelegt. An erster Stelle rangiert die Mindestdienstzeit, die entgegen der Empfehlung der Großen Merkel-Koalition von 2009 und entgegen den Landesregelungen von Baden-Württemberg und Niedersachsen statt auf fünf auf sieben Jahre hochgeschraubt wurde. Dabei ist es meines Erachtens auch schon nach vier Jahren nicht zu rechtfertigen, Beschäftigte derart abzustrafen, wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, weiterziehen wollen. Der 15-prozentige Abschlag zählt ebenfalls zu den eher harschen Abstandsgeboten der Beamtenschaft für diejenigen, dies es wagen, dem Bund die Treue aufzukündigen. Die Länder haben solche Abschläge nicht und wurden gleichwohl nicht überrannt. Wie sehr wir die Durchlässigkeit der Systeme und die „Transportfähigkeit“ des Erfahrungswissens der Beschäftigten brauchen werden – in beide Richtungen: in den öffentlichen Dienst hinein und aber auch aus ihm wieder heraus –, wird in den kommenden Jahren vermutlich eine zentrale Debatte werden. Für manche Bereiche wie die IT oder ingenieurtechnischen Berufe ist es schon jetzt mehr als offenkundig. Vor diesem Hintergrund ist der vorgelegte Entwurf schlicht zu zaghaft. Zur Gewinnung von Personal aus der Wirtschaft für den öffentlichen Dienst wird es weitere Schritte brauchen. Verdi hat – nur um hier einmal die Fantasie für wirkliche Reformdiskussionen anzuregen – einen, wie wir meinen, diskussionswürdigen Vorschlag vorgelegt: Der spätere Wechsel in den öffentlichen Dienst darf nicht durch Bedenken wegen möglicher Verluste bei den zuvor und außerhalb des öffentlichen Dienstes erbrachten Leistungen behindert werden. Deshalb könnte etwa die erweiterte Anerkennung von Ausbildungszeiten, wissenschaftlichen Qualifikationszeiten etc. als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten einen wichtigen Anreiz für Interessierte bieten. Wie gesagt: nur wenn man bereit ist, über den morgigen Tag hinauszudenken. Mit dieser Koalition war und ist das nicht mehr zu erwarten. Hinsichtlich der Soldaten auf Zeit, die sich bis zu 25 Jahre und damit ja quasi lebenslänglich verpflichten, leuchtet auch mir nicht ein, weshalb es keinerlei Regelung der Portabilität geben soll. Dass diese wiederum sui generis ausgestaltet werden müsste, erscheint vor dem formalen Hintergrund der Unvergleichbarkeit mit der Lebenszeitverbeamtung ebenfalls naheliegend, sollte aber die weitere Ausarbeitung nicht hindern. Die Zurückhaltung der Koalition erklärt sich hier einzig aus den hohen erwarteten Zahlen, wie diese etwa in der Stellungnahme der Bundesregierung aus der letzten Wahlperiode dokumentiert wurden. Es käme dann aber eben auf die konkrete Ausgestaltung der Regelung an, um eine finanzierbare Alternative aufzuzeigen. Einen weiteren interessanten Vorschlag des DGB, der ebenfalls in engem Verhältnis zur Thematik steht, sind die Wechsel von Spitzenbeamten in die Wirtschaft. Beim Wechsel zu einem Arbeitgeber, zu dem in Ausübung eines Amtes eine Geschäftsbeziehung bestand, über dessen Anträge entschieden wurde oder der beaufsichtigt wurde, könnte danach ein Anspruch auf Altersgeld ausgeschlossen werden. Es wäre ein gutes Signal gewesen, wenn diese Regierung im Kontext des Altersgeldes eine entsprechende Regelung mit aufgenommen hätte. Die vielen kleinteiligeren fachlichen Kritikpunkte, von der GdP verdienstvollerweise höchst akribisch aufgelistet, die sich angesichts des konkreten Regierungsentwurfs anschließen, habe ich hier nicht weiter auf-greifen können. Vielleicht nur so viel: Auch der Familienzuschlag wird nicht als altersgeldfähig anerkannt. Eine weitere Hürde zu viel bei einem Instrument, dessen eigentliche Zielrichtung anerkennenswert erscheint. Wir werden deshalb dem Gesetzentwurf in dieser Form nicht zustimmen können, enthalten uns aber mit Blick auf den zutreffenden Grundansatz. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Wettbewerb und -Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerpro-grammen effektiv begrenzen (Tagesordnungspunkt 17) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Im Kern der vorliegenden Debatte geht es darum, welches Rechtsinstitut – Patentschutz oder Urheberschutz – das geeignetere Instrument der Innovationspolitik ist, um mehr Erfindungen und vor allem mehr innovative Produkte und Dienstleistungen am Markt zu etablieren und so die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu behaupten. Vor ziemlich genau einem Jahr veröffentlichten Forscher der TU München einen Bericht über die innovativsten Regionen Deutschlands. Hierbei untersuchten sie Unternehmen und ihre Patentanmeldungen. Es darf Sie – mich allerdings weniger – verwundern, dass bei dieser Untersuchung zum Vorschein kam, dass mein Wahlkreis – der Märkische Kreis auf Platz eins und der Kreis Olpe auf Platz neun – mit seinen mittelständischen Familienunternehmen ganz vorne dabei war. Danach ist es sehr bezeichnend, dass nicht nur die Großindustrie, sondern auch kleine und mittelständische Unternehmen die Champions der forschungsintensiven Branchen sind. Patente sind mit Sicherheit kein Selbstzweck, sondern Gradmesser für Innovationen und Erfindungen. Die Innovationsfähigkeit eines Landes misst sich an ihren Patentanmeldungen. Hier ist Deutschland europaweit Spitzenreiter und weltweit auf Platz drei. Seit Jahren schon gibt es eine heftige Diskussion um die Patentierbarkeit von Software und die Folgen für die Innovationsdynamik. Während meiner Recherchen bin ich auf eine Internetpräsenz gestoßen, die ihre Seite mit dem Titel „Gedanken sind frei! – Wir wollen keine Softwarepatente!“ einleitet. Hier ist die Rede von Patentmafia und Patentlobbying der Großindustrie. Auf einer ebenfalls sehr meinungsmachenden Seite wird sogar von einem „krassen Kulturbruch“ gesprochen. Hier zeigt sich wieder einmal – wie bei vielen Themen rund um das geistige Eigentum –, dass mit harten Bandagen hochemotional gekämpft wird. Leider wird viel zu oft das Wesentliche aus dem Auge gelassen und zu wenig darauf geachtet, was genau geregelt werden soll. Es geht um die Möglichkeit der Patentierungen von Softwareerfindungen bzw. computerimplementierten Erfindungen und nicht um ein Monopol auf reine Computerprogramme. Die Software als Sprache, die uns hilft, mit Computern in Verbindung zu treten, ist genauso wenig patentierbar wie Musik, Bücher oder Filme. Sie alle unterliegen einzig dem Urheberrecht. Das soll auch so bleiben! Software hat auch eine technische Funktion: Das Neue am Antiblockiersystem war nicht die Bremse, sondern vielmehr ihre computerunterstützte Steuerung. Das Aufrechterhalten einer konstanten Spannung unserer Stromnetze wäre ohne eine Softwareunterstützung nicht denkbar. Auch unsere Handys und Smartphones wären bei gleicher Kompaktheit nicht so leistungsstark, wie sie sind. Von diesem patentrechtlich geschützten Entwicklungs- und Forschungseifer profitieren wir alle! Gerade wegen des Doppelcharakters von Software gibt es erhebliche Schwierigkeiten in der Praxis. Besonders betroffen hiervon sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen sowie selbstständige Erfinder und Entwickler. Für sie stellt sich immer auch die Frage nach Schutzrechten, was eine klare Abgrenzung zwischen urheberrechtlich geschützter Computersoftware und patentrechtlich geschützten computerimplementierten Erfindungen notwendig macht. Dieser Aufgabe stellt sich der vorliegende Antrag. Computerimplementierte Erfindungen lassen sich nicht immer leicht von reiner Software abgrenzen. Bei dem heutigen rasanten technischen Fortschritt tauchen immer wieder neue Sachverhalte auf, sodass Abgrenzungskriterien nicht statisch sein dürfen. Anknüpfungspunkt ist der in der Rechtsprechung des BGH verwandte Technizitätsbegriff. Der BGH macht in seinen jüngsten Entscheidungen klar, dass der Technikbegriff nicht statisch gesehen werden darf. Er muss Modifikationen zugänglich sein, die durch die technische Entwicklung bewirkt sind. Ich wünsche mir in den sich nun anschließenden weiteren Beratungen, dass sich alle Beteiligten dafür einsetzen, dass dort, wo sich das Patentrecht schützend mit Blick auf den internationalen Wettbewerb auswirkt, dieser auch beibehalten wird und gleichzeitig den Softwareentwicklern ausreichend Rechtssicherheit vermittelt wird, um dem Wettbewerbsgedanken und der Innovationsdynamik hinreichend Rechnung zu tragen. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Wir beraten heute den interfraktionellen gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen sowie von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Sicherung von Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich. Dieses Thema ist nicht ganz neu und beschäftigt uns in diesem Hause wiederkehrend seit längerer Zeit. Bereits in der 15. Wahlperiode gab es einen fraktionsübergreifenden Antrag (Drucksache 15/4403), im dem die Patentierbarkeit von Software abgelehnt wurde. In Europa besteht derzeit eine uneinheitliche Situation, was Patentierungen angeht. Ein Richtlinienvorschlag der EU-Kommission von 2002 mit dem Ziel, eine einheitliche Patentierungspraxis innerhalb der EU zu schaffen, wurde vom Europäischen Parlament abgelehnt und danach nicht weiter verfolgt. Diese Situation hat insgesamt zu Unsicherheit bei Unternehmen und Softwareentwicklern geführt. Der Deutsche Bundestag hat sich daher in dieser interfraktionellen Initiative des Themas Softwarepatente nochmals angenommen. Die Möglichkeiten zur Patentierung von Software sind international insgesamt sehr unterschiedlich geregelt. Grundsätzlich ist Software nach dem TRIPS-Abkommen weltweit geschützt. In den USA etwa ist aber auch ein Schutz über das Patentrecht möglich. Dieser doppelte Schutz ist aus unserer Sicht jedoch zu weitgehend. Den urheberrechtlichen Schutz für Software halten wir für ausreichend. Dafür haben wir verschiedene Gründe: Zum einen würde durch einen zusätzlichen Schutz durch das Patentrecht letztendlich der urheberrechtliche Schutz der Software beschränkt. Der Schutz von Software durch das Urheberrecht entspricht auch dem geltenden § 2 UrhG, insbesondere Abs. 1. Ohne Softwarepatente bleibt dem Urheber die Freiheit und vor allem Rechtssicherheit. Er kann selbst darüber entscheiden, was er mit der von ihm geschriebenen Software machen möchte. Mit Softwarepatenten wird demgegenüber die Wahrscheinlichkeit schon bei kleinen Softwareprojekten sehr hoch, dass diese ein Patent verletzen könnten. Denn Software ist sehr komplex und besteht aus vielen Teilalgorithmen. Daher wäre es annähernd unmöglich, neue Software unter Rücksichtnahme auf bestehende Patente zu entwickeln. So würden im Ergebnis Innovationen erschwert und Kreativität gehemmt. Zum anderen soll der Begriff der „Technizität“ als Unterscheidungskriterium dafür, ob Patentrecht oder Urheberrecht anwendbar ist, konkretisiert werden. Ist die Technizität gegeben, ist die Software patentierbar. Ist dies nicht der Fall, ist das Urheberrecht anwendbar. Dies stellen wir mit dem vorliegenden Antrag klar. Die Rechtspolitiker meiner Fraktion haben sich seit langem dafür eingesetzt, dass Software durch das Urheberrecht geschützt werden soll. Der vorliegende Antrag ist deshalb auch im Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion zum Urheberrecht beschlossen worden. Es ist richtig, dass Computerprogramme durch das Urheberrecht geschützt sind. Denn der urheberrechtliche Schutz bietet Flexibilität und fördert dadurch Innovation. Ein aufwendiges und teures Patentierungsverfahren ist nicht notwendig. Der weitreichende Ansatz des Patentrechts kann aus unserer Sicht hingegen der Programmierung neuer Software im Wege stehen und damit Innovationen und neue Produkte verhindern. Der individualistische Ansatz des Urheberrechts sorgt hier für einen Schutz der Interessen des Softwareentwicklers. Zudem dient das Urhebervertragsrecht dazu, die Position der Programmierer, also der Urheber, gegenüber den Softwarefirmen zu stärken. Das Beispiel der Softwarepatente macht deutlich, dass es stets darum geht, einen Ausgleich zwischen den beteiligten Interessen herzustellen – zwischen den Kreativen auf der einen und den Nutzern auf der anderen Seite. Denn schließlich wollen möglichst viele von den Innovationen profitieren und sie im Allgemeininteresse nutzen. Das Ziel des Schutzes geistigen Eigentums muss aus unserer Sicht immer sein, Kreativität und damit auch Innovation zu fördern. Wir setzen uns deshalb dafür ein, den Rechtsrahmen zum Schutz des geistigen Eigentums so zu ziehen, dass der Anreiz groß genug ist, möglichst viele Innovationen hervorzubringen. Klar festzuhalten ist, dass bestehende Patente durch den Antrag nicht eingeschränkt werden. Auf der Grundlage der bestehenden Schutzrechte kann weiterhin geforscht und können Patente entwickelt werden. Gleichzeitig stärken wir insbesondere kleine und mittelständische Softwareunternehmer, die in unserem Land ansässig sind. Aber auch größere Softwareunternehmen müssen keine Einschränkung des Patentschutzes befürchten. Die Patentierbarkeit softwareimplementierter Erfindungen wird weiterhin möglich sein. Denn das geltende Recht ändert sich durch diesen Antrag nicht. Vielmehr setzen wir mit diesem Antrag ein Zeichen gegen rechtliche Unsicherheit und für einen starken Schutz der kreativen Leistung. Ingo Egloff (SPD): Die Patentierbarkeit von Software stellt eine Einschränkung des Urheberschutzes dar, die zu erheblichen Rechtsunsicherheiten insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen führt. Während das Urheberrecht die konkrete Ausgestaltung der kreativen Leistung schützt, die sich zum Beispiel im Quellcode eines Computerprogramms niederschlägt, werden Patente auf die bloße Idee einer Erfindung erteilt – mit fatalen Folgen für jede Softwareentwicklung, die kaum noch möglich ist, ohne eines der zahlreichen patentierten Rechte zu verletzen. Wenn das Werk eines Softwareentwicklers von fremden Patenten erfasst wird, kann er in der Folge sein urheberrechtlich geschütztes Verwertungsrecht nicht ausüben. Die europaweit ausgeübte Praxis der Erteilung von Softwarepatenten greift damit in den Kernbereich des Urheberrechts ein. Die Wettbewerbsfähigkeit aller Unternehmen, großen wie kleinen, hängt maßgeblich vom Urheberrecht ab. Nur dadurch ist sichergestellt, dass den Softwareentwicklern die wirtschaftlichen Erträge ihrer Programme zufließen. Gleichzeitig bezweckt das Softwareurheberrecht die Sicherung der Interoperabilität zwischen den Programmen. Nach dem deutschen Patentgesetz und dem Europäischen Patentübereinkommen sind Computerprogramme als solche vom Patentschutz auszunehmen. Hier gilt der Grundsatz, dass die Idee durch das Urheberrecht geschützt sei, während ein Patent eine technische Erfindung voraussetzt. Diesem Grundsatz handelt die Praxis der Erteilung von Patenten mit Wirkung auf Computerprogramme zuwider. Die Anzahl der allein vom Europäischen Patentamt erteilten softwarebezogenen Patente liegt nach Schätzungen im hohen fünfstelligen Bereich. Wir wollen diese vor allem in den USA grassierende, mittlerweile aber auch beim Europäischen Patentamt im hohen fünfstelligen Bereich vermutete Praxis der Erteilung von Patenten auf triviale Ideen, die keine technische Lösung darstellen, aus Europa zurückdrängen. Bereits 2005 stellte der Deutsche Bundestag einen gemeinsamen Antrag für die Wiederherstellung der Rechtssicherheit aus Ansprüchen an das Urheberrecht. Wir freuen uns, dass es nun zu einer erneuten Initiative derselben Fraktionen aus CDU/CSU, FDP, Grünen und uns kommt, die wirtschaftliche Verwertung von Software den Urhebern zu ermöglichen, ohne dass sie von Patentrechten Dritter unterlaufen wird. Die 2005 geplante Richtlinie der EU-Kommission, gegen die der damalige Antrag zielte, wurde nie umgesetzt. Seither herrscht ein nahezu unveränderter, jedenfalls aber ungeklärter Zustand, der dringend behoben werden muss. Die Rechtspolitiker unserer vier Fraktionen fordern außerdem eine wissenschaftliche Evaluation der Erteilungspraxis von Softwarepatenten beim Europäischen Patentamt, die von den Gepflogenheiten nationaler Patentämter häufig stark abweicht. Manchmal siegt die Vernunft, wie bei der jüngst beschlossenen Aufhebung des Patentes für die Apple-Wischtechnik durch das Bundespatentgericht in München; aber es gibt Tausende ähnlicher Fälle, die einer Überprüfung bedürfen. Jimmy Schulz (FDP): Heute sprechen wir über ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt. Bereits vor zehn Jahren habe ich meine erste Rede auf einer Demonstration gegen Softwarepatente gehalten. Es freut mich deswegen sehr, dass wir den von mir und Günter Krings erarbeiteten Antrag heute hier diskutieren. Besonders freue ich mich auch, dass die SPD und Bündnis 90/Die Grünen diese Initiative aktiv mittragen. Alle Fraktionen haben mittlerweile erkannt, dass das Problem der Softwarepatente noch immer nicht gelöst ist. Jetzt haben wir die Chance, dem Thema im Parlament neuen Schwung zu geben! Das Thema Softwarepatente wurde zum ersten Mal publik, als auf EU-Ebene Vorgaben des Europäischen Ministerrats diskutiert wurden, mit dem Ziel, die Patentierung von softwarebezogenen Lösungen zu legitimieren. Bereits 2003 und 2004 gab es in ganz Europa große Demonstrationen sowie eine Onlinedemo und eine Petition gegen das Vorhaben des EU-Ministerrats. Allerdings ist die FDP schon seit viel längerer Zeit hiermit befasst. Die Gefahr, dass eine Legalisierung von Ideenmonopolen entsteht, trifft den Kern des liberalen Gedankens. Bereits 2001 hat sich die FDP mit dem Thema beschäftigt. Auf ihrem 52. Bundesparteitag, 4. bis 6. Mai 2001, wurde beschlossen: „Die Entwicklung in den USA zeigt schon heute deutlich, dass die Patentierung von Software sich negativ auf die Entwicklung neuer Produkte und Geschäftsmodelle auswirken kann. Denn einzelne Softwarepatente können im Bereich der sogenannten Individualsoftware ganze Märkte blockieren.“ Diese Aussage gilt heute noch immer. Im November 2004 hat die FDP Bayern meinen Antrag mit Unterstützung einer Stellungnahme des Europäischen Parlaments und gegen den EU-Ministerrat auf ihrem Landesparteitag mit überwältigender Mehrheit verabschiedet. Der Antrag forderte, der Freiheit von Kommunikation Vorrang einzuräumen, und erkannte die Notwendigkeit, Patente zu beschränken, um Innovation und freien Wettbewerb zwischen Softwareunternehmen zu gewährleisten. Auch die Liberalen im Europäischen Parlament und im Deutschen Bundestag haben gegen das Vorhaben des EU-Ministerrats gekämpft. Und zwar mit großem Erfolg! Im Februar 2005 wurde ein interfraktioneller Antrag im Bundestag verabschiedet, und am 6. Juli 2005 scheiterte die EU-Richtlinie endgültig im Europäischen Parlament. Insgesamt haben 648 von 680 Abgeordneten gegen die Richtlinie gestimmt – ein solches Ergebnis im Europäischen Parlament sagt einiges aus. Obwohl der Bundestag bereits 2005 die Bundesregierung aufgefordert hat, die Patentierungspraxis des Europäischen Patentamts, EPA, einzudämmen, hat sich die Lage nicht verbessert. Im Gegenteil: Immer noch werden, insbesondere vom EPA, softwarebezogene Patente sehr großzügig erteilt. Auch der Bundesgerichtshof hat sich in seinen letzten Urteilen der großzügigen Patentierungspraxis des EPA angenähert. Computerprogramme als solche dürfen laut Deutschem und europäischem Patentschutz nicht patentiert werden. Urheberrechtliche Verwertungsrechte aus dem Urheberrechtgesetz stellen sicher, dass Softwareentwicklungsunternehmen ihre wirtschaftlichen Erträge erhalten. Allerdings hat die unklare Definition der Technizität – also: die softwarebasierte Lösung muss ein konkretes technisches Problem mit konkreten technischen Mitteln lösen, und die Lösung muss neu sein – zu immer großzügigeren Urteilen des Bundesgerichtshofs, BGH, und immer großzügigerer Erteilung des EPA geführt. Zum Beispiel hat der BGH 2010 entschieden, dass auch rein konzeptionelle Überlegungen unter bestimmten Umständen ein technisches Problem lösen können und somit prinzipiell schutzwürdig sind. Abgesehen davon, dass dieses Urteil sehr besorgniserregend ist, hat es zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit und einer Aushebelung der wirtschaftlichen Verwertungsrechte der Softwareentwickler geführt. Es hat auch zu vielen sogenannten Trivialpatenten geführt. Beispiele sind der Onlinedruckauftrag, Web-to-Print, der Link auf Bild, Vorschaufenster, der Warenkorb, elektronischer Warenkorb, oder auch das bekannte Beispiel des Fortschrittsbalkenpatents. Und es gibt noch viel mehr Beispiele! Solche Patente würden zwar oft in einem Rechtsstreit bestehen können; allerdings haben kleine und mittlere Unternehmen nicht die finanziellen Mittel, gegen ein Patent zu klagen. Zusätzlich sind langjährige Verfahren im technologischen Bereich sehr schädlich. Ein gutes Beispiel ist das Verfahren Print24 GmbH und unitedprint.com AG gegen Vistaprint Technologies ab dem Jahr 2006. Das Patent wurde schließlich 2008 aufgehoben, aber der Schaden war schon angerichtet. Ein großer Anteil der vom EPA erteilten softwarebezogene Patente gehört ausländischen Großunternehmen. Monopolstellungen und Wettbewerbsverzerrungen sind die Folge! Die vor allem in den USA stattfindenden Patentstreitigkeiten bezüglich Smartphonefunktionen lassen auch negative Folgen für die deutsche Wirtschaft befürchten. Softwarepatente für Computerprogramme als solche, Geschäftsmethoden und Algorithmen sind abzulehnen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich glaube, dass Patente grundsätzlich einen wichtigen Baustein in der Forschung und Produktentwicklung zum Schutz der Rechte darstellen. Patente können sinnvoll sein, wenn hohe Entwicklungskosten entstehen und Nachahmungskosten niedrig sind. Allerdings ist das im Softwarebereich nicht der Fall. Das Urheberrecht bietet hier den richtigen Schutz – es schützt das fertige Produkt und nicht die Methode oder sogar ein Geschäftsmodell. Ohne bürokratische Schritte oder weitere Kosten wird ein gleichberechtigter Marktzugang und Wettbewerb für alle Teilnehmer gesichert. Im Bereich der Softwareentwicklung hat sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland ein reichhaltiger und gut funktionierender Markt kleiner, mittelständischer und großer Unternehmen herausgebildet. Diese sichern ihre Rechte an den entwickelten Programmen über das vorhandene Urheberrecht. Eine zusätzliche, marktverzerrende und innovationshemmende Regelung für Softwarepatente sehe ich sehr kritisch. Auch die gerade abgeschlossene Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hat in ihrer Projektgruppe „Arbeit, Wirtschaft, Green IT“ empfohlen, „zu evaluieren, ob die Ziele des Gesetzgebers, auch vor dem Hintergrund der Erteilung von Trivialpatenten, entsprechenden Eingang in die Rechtsprechung gefunden haben. Sollte dies nicht der Fall sein, sind gesetzgeberische Maßnahmen vorzunehmen, um eventuelle Rechtsunsicherheiten und wirtschaftliche Gefahren insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen auszuschließen …“ Dies unterstützt unsere Forderung an die Bundesregierung, „sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, eine unabhängige wissenschaftliche Evaluierung der Entscheidungspraxis der Patentämter, insbesondere des EPA, durchzuführen“. Ich möchte abschließend gerne zwei weitere wichtige Forderungen des Antrags betonen. Zuerst zur Definition der Technizität. Es wäre sinnvoll, die Technizitätsdefinition um folgende Klarstellung zu ergänzen: Nur wenn die softwarebezogene Lösung von einer mechanischen oder elektromechanischen Komponente ausgeführt werden kann, ist sie patentierbar. Wenn die Lösung nur von einem Computer ausgeführt werden kann, ist sie rein softwarebezogen und nicht patentierbar. Diese sinnvolle Ergänzung der Definition würde zu erheblich mehr Rechtssicherheit für Softwareentwickler führen. Der zweite wichtige Punkt ist, dass im Softwarebereich die Nutzung flexiblerer Lizenzen oder Open Source Software wichtig ist für Innovation – also für die Weiterentwicklung von Software. Deswegen muss gesichert werden, dass Softwareentwickler ihre Werke unter Open-Source-Lizenzbedingungen veröffentlichen können. Das stellt das Urheberrecht sicher; es ist aber oft mit einer Patentierung unvereinbar. Das langfristige Ziel wäre in diesem Sinne, wie im Antrag formuliert, dass „ein möglichst umfassendes patentrechtliches Interoperabilitätsprivileg europaweit normiert wird“. Und zum Schluss kann ich nur noch die Wichtigkeit der IT-Branche, die laut BITMi zu 85 Prozent in mittelständischen Unternehmen stattfindet, betonen. Wir sollten auf diese Branche hören; denn, wie die FDP schon 2001 erkannt hat, ist „die Innovationsfähigkeit der Softwareindustrie künftig mitentscheidend für das Schicksal der Volkswirtschaften“ (FDP BPT 2001). Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Nicht für alle politischen Probleme haben wir die komfortable Situation, die Auswirkungen der Alternative beim Blick über einen Ozean direkt vor Augen zu haben. Bei Softwarepatenten ist es so. Die Absurditäten von Patentstreitigkeiten vor US-amerikanischen Gerichten kann jeder tagtäglich in der Zeitung nachverfolgen, ob sich nun Google mit Microsoft oder mit Apple vor Gericht trifft, ob kleinere Konkurrenten ausgeschaltet werden, ob Unternehmen andere Unternehmen nur wegen deren Patentportfolios als Schutzwall gegen Klagen kaufen. Aber auch im Alltag vieler Menschen schlagen sich die Auswirkungen dieses Patentsystems nieder. Wer heute etwa ein Smartphone mit dem Betriebssystem eines bestimmten Anbieters kauft, bezahlt die Betriebssysteme anderer Anbieter aufgrund gerichtlicher Vergleiche und Entscheidungen in relevanter Höhe mit. Softwarepatente dienen in der Regel nicht der Vorfinanzierung neuer Innovationen, sondern der Sicherstellung der eigenen Marktposition. Sie sollen verhindern, dass andere Entwickler überhaupt in die Nutzung und Weiterentwicklung bestimmter Anwendungen eintreten können. Diese Funktion befördert Innovationen nicht, sondern blockiert diese eher. Besonders die Konzepte freier und offener Software werden durch Patente behindert. Für Kreative, die Software entwickeln und bauen, und für ihre Auftrag- und Arbeitgeber würde eine solche Situation eine starke Rechtsunsicherheit bedeuten. Kaum ein Entwickler kann bei der Entwicklung komplexer Softwareanwendungen realistischerweise einschätzen, wann er ein Patent im Softwarebereich verletzt. Die Patentrecherche ist aufwendig und sehr teuer und führt trotzdem nur selten zum Ziel. Denn diese Frage entscheiden zum Schluss zumeist Gerichte, die ihrerseits nicht immer ausreichend technisch kompetent sind, um triviale von relevanten Patenten zu unterscheiden. Dazu kommt eine expansive Eigendynamik des Patentwesens, das sich in der Regel aus den Gebühren selbst finanziert. Dieses absurde System der Abschottung vernichtet Milliardenwerte, etwa wenn Firmen nur noch sogenanntes „Geistiges Eigentum" besitzen und als Geschäftsmodell Innovatoren auf eine unberechtigte Nutzung verklagen. Eine Studie der Universität Boston geht von einem volkswirtschaftlichen Schaden durch diese sogenannten Patenttrolle im Softwaresektor von 20 Milliarden Dollar jährlich aus. Aber auch die ganz normalen Auseinandersetzungen zwischen IT-Firmen schaden der volkswirtschaftlichen Weiterentwicklung. Weil Softwarepatente Innovationsbremsen sein können, soll der uns hier vorliegende Antrag von vier Fraktionen die bisherige Ablehnung dieser Patente auf europäischer Ebene bestätigen und vor allem präzisieren. Das Problem: Das bisherige grundsätzliche Verbot ist derart weich formuliert, dass das Europäische Patentamt trotzdem bisher mehrere zehntausend Patente im Softwarebereich erteilt hat. So dürfen Patente, die Softwareentwicklungen eine „technische Verbindung“ nachweisen, nach dem geltenden deutschen und europäischen Recht erteilt werden. Diese Technizität ist in der Rechtsprechung immer wieder weit ausgelegt worden. Die vorliegende Initiative will diese Erweiterung der Patentierbarkeit von Software nun wieder einhegen und den Begriff „Technik“ klarer definieren. Das wäre sicher ein erster Schritt, wenn er denn gelänge. Wir fragen aber auch: Was spricht eigentlich gegen ein umfassenderes Verbot von Softwarepatenten? Die Probleme etwa für die Entwickler von softwaregestützten Steuerungsmodulen von Geräten und Maschinen dürften gering sein, da diese Software ohnehin eng mit der Hardware verbunden ist. Wir kämen jedoch durch ein echtes Verbot um die bereits erwähnte Eigendynamik des Patentwesens herum, die jede Regulierung zu erweitern und zu umgehen sucht. Dies würde innovative Dynamik freisetzen, die derzeit in Tricks zur kreativen Auslegung des Patentrechts investiert wird. Was im Antrag zudem fehlt, ist ein Verweis auf die angemessene Vergütung der Kreativen. Die Regelung von Software im Urheberrecht sollte nicht nur der Abschottung gegen Ansprüche dienen, sondern auch Verpflichtung zu einer guten Bezahlung der oft freiberuflich Tätigen in der Softwarebranche sein. Hier könnten sich zumindest die einen Mindestlohn fordernden Unterzeichnerinnen des Antrags noch stärker engagieren. Ein zweiter fehlender Punkt wäre eine präzisere Beschreibung der Zweckbindung bei Überlassung von Nutzungsrechten. Es ist das gute Recht der Urheberinnen und Urheber, selbst über die weitere Nutzung ihrer Arbeitsergebnisse zu entscheiden. Trotzdem ist diese gemeinsame Initiative ein guter Schritt in die richtige Richtung, der nur ohne unsere Unterschrift hier eingebracht wird, weil Union und FDP sich selbst bei Zukunftsthemen nicht von den Reflexen des Kalten Krieges lösen können. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Einzelentwickler und Unternehmen riskieren bei der Entwicklung neuer Software durch eine heute in Teilen unklare Rechts- und eine häufig unüberschaubare Patentlage unbeabsichtigt, die Patente Dritter zu verletzen. Anders als das Urheberrecht, das eine konkrete Programmierung schützt, ist der Patentschutz wesentlich weiter gehender, indem er auch Ideen schützt, ganz unabhängig von der konkreten Umsetzung in ein bestimmtes Programm. Aufgrund schneller Innovationszyklen, einer ganz erheblichen Anzahl von gewährten Softwarepatenten und der unklaren Formulierung vieler Patentansprüche ist es für zahlreiche, vor allem kleine und mittlere Unternehmen heute praktisch ausgeschlossen, die derzeitige Pa-tentlage zu überblicken. Gilt dies mittlerweile sogar für große Unternehmen mit eigenen – oftmals auf das Patenrecht spezialisierten – Rechtsabteilungen, gilt es für kleine und mittlere Unternehmen umso mehr. Die Folge einer oftmals unüberschaubaren Patentlage sind die Patentklagen, von denen wir regelmäßig lesen können. Die immer weiter ausufernden Patentstreitigkeiten im Markt der Smartphones und Tablets sind Zeuge dieser Entwicklung und gleichzeitig nur die Spitze des Eisbergs. Während es sich große Unternehmen eventuell sogar leisten können, angesichts – oftmals nur schwer zu verifizierenden – Patentansprüchen Dritter und angesichts der Unwägbarkeit eines langwierigen Rechtsstreits Patentlizenzgebühren oftmals auch dann zu zahlen, wenn ein entsprechender Anspruch durchaus zweifelhaft ist, können dies kleine und mittelständige Unternehmen ohne große Rechtsabteilungen nicht. Die direkte Folge der derzeitigen, oftmals völlig unüberschaubaren Patentlage ist ein parasitäres System sogenannter Patenttrolle. Die Auswirkungen auf die Verbraucherpreise liegen auf der Hand. Als Grüne streiten wir daher seit langem für Offenheit statt Patentkriege. Seit Jahren setzen sich meine Fraktion und ich gegen Softwarepatente ein. Als Grüne lehnen wir die Patentfähigkeit von softwarebezogenen Lösungen ab. Dies gilt für Software, softwarebasierte Verfahren sowie für neue Eigenschaften von Computern, wenn diese augenscheinlich nur durch ein neues Programm bewirkt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass die Urheberrechte der Programmierer und Programmiererinnen vor der wirtschaftlichen Entwertung durch Patentansprüche Dritter geschützt werden. Wir fordern daher, die Erteilung von softwarebezogenen Patenten zu verbieten sowie ihre rechtliche Durchsetzbarkeit im Verletzungsprozess zu unterbinden. Auch vor dem Hintergrund so manch anderer Diskussionen, die wir in dieser Legislatur in diesem Hohen Haus geführt haben, waren wir hocherfreut, als sich abzeichnete, dass wir in diesem Bereich eine interfraktionelle Initiative, die der immer weiter ausufernden Patentierung im Softwarebereich klare Grenzen aufzeigt, gemeinsam vorlegen. Unsere gemeinsame Initiative mit dem Titel „Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen“ liegt nun vor. Dass es, wie bereits in der vergangenen Legislatur auch in dieser Legislatur gelungen ist, tatsächlich hier erneut eine interfraktionelle Initiative zu verabschieden, freut uns sehr. Die heute vorliegende Initiative ist gewiss auch ein Stück weit der guten Zusammenarbeit im Rahmen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zu verdanken, die sich nicht nur zuvor bereits in einer eigenen Projektgruppe sehr intensiv mit den Fragegestellungen, die nun auch Gegenstand des gemeinsamen Antrags sind, auseinandersetzte, sondern sich zudem – ebenso interfraktionell – bereits gegen die immer weiter ausufernde Patentierung im Softwarebereich aussprach. Doch nun zur Initiative selbst. Sicher hätte man, hätte man eine eigene Initiative vorgelegt, manches anders formuliert. Dennoch können wir mit dem nun vorliegenden Ergebnis, auch vor dem Hintergrund der eigenen Beschlüsse, die wir als Partei zum Thema Softwarepatente bereits mehrfach beschlossen haben, sehr gut leben. So ist es uns Grünen gelungen, die ohnehin schon in die richtige Richtung zielende Initiative an entscheidenden Stellen weiter zu verbessern und so manche Formulierung zu konkretisieren. Das freut uns. Bedauernswert finden wir es, dass es aufgrund einer Weigerung der Koalition erneut nicht gelungen ist, auch die letzte bislang nicht auf dem Antrag stehende Fraktion mit auf die gemeinsame Initiative zu nehmen. Das hatten wir angeregt und sind nach wie vor der Meinung, dass das von der Initiative ausgehende Signal ein noch stärkeres gewesen wäre. Der interfraktionelle Antrag trägt den Titel „Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen“. Im Titel wird die Intention des Antrags bereits deutlich. In der Initiative stellen wir gemeinsam fest, dass innovative, leistungsfähige und sichere Informationssysteme heute eine „unverzichtbare Grundlage der Wissens- und Informationsgesellschaft“ sind. Weiter verweist die Initiative darauf, dass das deutsche Patentgesetz, PatG, und das Europäische Patent-übereinkommen, EPÜ, der Schutzregelung von Software über das Urheberrecht Rechnung tragen, indem sie Computerprogramme „als solche“ vom Patentschutz ausnehmen. Trotz dieser eigentlichen Intention, hierauf macht unser Antrag aufmerksam, werden und wurden in der Praxis – insbesondere vom Europäischen Patentamt, EPA – wiederholt Patente mit Wirkung auf Computerprogramme erteilt, bei denen die Patentierung von Lehren zur reinen Datenverarbeitung in einer nur formalen Einkleidung als „technische Verfahren“ oder „technische Vorrichtungen“ erfolgte und entsprechende Ansprüche auch explizit auf diese Verfahren bzw. Vorrichtungen realisierenden Computerprogramme erhoben werden. Hierzu ist kritisch anzumerken, dass auch der Bundesgerichtshof, BGH, in Referenzurteilen wiederholt die Patentfähigkeit softwarebezogener Lehren in weiten Teilen anerkannt und die Technizitätsanforderung als Kriterium für eine Patentierbarkeit weit ausgelegt hat, womit sich der Bundesgerichtshof der großzügigeren Patentierungspraxis des Europäischen Patentamtes – leider, muss man in diesem Zusammenhang sagen – sukzessive angenähert hat. Dies ist umso bedauerlicher, als dass die Praxis, softwarebezogene Patente zu erteilen, im Widerspruch zu dem 1991 mit der Richtlinie 1991/250/EWG eingeschlagenen Weg des „copyright approach“ steht und mit dem in der Richtlinie niedergelegten Willen des europäischen Gesetzgebers nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Hierdurch entsteht nicht nur eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die betroffenen Unternehmen, sondern genauso für die Entwicklerinnen und Entwickler, welche faktisch die Verwertungsrechte an ihren selbst geschaffenen Computerprogrammen verlieren, wodurch unkalkulierbare Kosten- und Haftungsrisiken bei der wirtschaftlichen Verwertung entstehen. Auch verweisen wir in der vorliegenden Initiative darauf, dass patentbehaftete Bestandteile von Softwarelösungen mit den Lizenzbedingungen der überwiegenden Open-Source-Software grundsätzlich unvereinbar sind und Monopolisierungstendenzen im Softwaresektor mit entsprechend negativen Folgen sowohl für die Innova-tionsdynamik als auch für den Arbeitsmarkt einhergehen. Das Ansinnen, die bestehenden Defizite hinsichtlich der Unterbindung selbstständiger Programmansprüche, der Gewährleistung der praktischen Anwendbarkeit des urheberrechtlich verankerten Interoperabilitätsprivilegs, des Schutzes von Softwareentwicklungen unter Lizenzmodellen freier und Open-Source-Software und der Unterbindung der Patentierung von softwarebasierten Geschäftsmethoden im Rahmen eines Richtlinienentwurfes des Europäischen Parlamentes und des Rates über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen (KOM(2002)92) zu beheben, blieb leider erfolglos. Somit bleibt nach Meinung aller antragstellenden Fraktionen die Aufgabe bestehen, dem „copyright approach“ aus der Softwarerichtlinie auf europäischer Ebene die gehörige Geltung zu verschaffen und die entsprechenden gesetzlichen Konkretisierungen auch im deutschen Recht vorzunehmen. Dementsprechend fordert die vorliegende Initiative, zu gewährleisten, dass die wirtschaftlichen Verwertungsrechte des Softwarewerkes im Urheberrecht geschützt bleiben und nicht durch Softwarepatente Dritter leerlaufen, weiter sicherzustellen, dass Softwarelösungen auf dem Gebiet der reinen Datenverarbeitung, der softwarebasierten Wiedergabe von Informationen und von programmgestützten Steuerungsaufgaben ausschließlich urheberrechtlich geschützt werden, und dass darüber hinaus kein Patentschutz für abstrakte Lösungen auf diesen Gebieten gewährt wird, des Weiteren Nutzungs- und Verbotsrechte für softwarebasierte Lösungen auch weiterhin urheberrechtlich zu regeln, den patentrechtlichen Schutz auf softwareunterstützbare Lehren zu beschränken, bei denen das Computerprogramm lediglich als austauschbares Äquivalent eine mechanische oder elektromechanische Komponente ersetzt, wie zum Beispiel eine softwarebasierte Waschmaschinensteuerung ein elektromechanisches Programmschaltwerk aus drehbaren Walzen, die Steuerungsschaltkreise für einzelne Waschprogrammschritte aktivieren, ersetzen kann, und schließlich sicherzustellen, dass der Softwareentwickler sein Werk auch unter Open-Source-Lizenzbedingungen rechtssicher veröffentlichen kann. Hinsichtlich einer etwaigen neuen Initiative zu einer Reform des Urheber- oder Patentrechts auf europäischer Ebene, die als notwendig erachtet wird, fordern wir die Bundesregierung des Weiteren gemeinsam auf, darauf hinzuwirken, dass die Definition des technischen Beitrags möglichst konkret gefasst und eine Definition des Begriffs „Technik“ in die bestehenden Regelungen aufgenommen wird. Durch diese Definition muss sichergestellt werden, dass Computerprogramme „als solche“, Geschäftsmethoden und Algorithmen zukünftig nicht patentiert werden können, wodurch der patentrechtliche Schutz auf softwareunterstützbare Lehren beschränkt werden soll, bei denen das Computerprogramm lediglich als austauschbares Äquivalent eine mechanische oder elektromechanische Komponente ersetzt. Des Weiteren fordern wir die Bundesregierung gemeinsam dazu auf, darauf hinzuwirken, dass ein möglichst umfassendes patentrechtliches Interoperabilitätsprivileg europaweit normiert wird, und sich dafür einzusetzen, dass alternative Entwicklungskonzepte wie insbesondere Open-Source-Projekte durch patentrechtliche Bestimmungen möglichst nicht beeinträchtigt werden. Darüber hinaus muss sich die Bundesregierung, so der Wille aller Fraktionen, auf europäischer Ebene dafür einsetzen, eine unabhängige wissenschaftliche Evaluierung der Entscheidungspraxis der Patentämter, insbesondere des Europäischen Patentamts durchzuführen und zu guter Letzt darauf hinwirken, dass Abweichungen in der Erteilungspraxis zwischen dem EPA und den nationalen Patentämtern zukünftig unterbleiben und Erteilungen von Patenten für softwareunterstützbare Lehren vermieden werden. Dass der Rechts- und Wirtschaftsausschuss am 13. Mai gemeinsam eine Anhörung zur vorliegenden Initiative durchführen werden, begrüßen wir ausdrücklich, bekommt das Thema doch so noch einmal die Aufmerksamkeit, die es verdient. So erfreulich es ist, dass es auch in dieser Legislatur gelungen ist, erneut eine gemeinsame Initiative vorzulegen, so deutlich sagen wir an dieser Stelle, dass wir von der nächsten Bundesregierung erwarten, dass sie in diesem Bereich die notwendigen Korrekturen auf nationaler Ebene selbst vornimmt und entsprechende Initiativen auf europäischer Ebene anstößt. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Parlamentsbeteiligung bei globaler Umwelt-Governance verbessern (Tagesordnungspunkt 18) Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Wir sprechen heute über das Thema, welche Rolle dem Deutschen Bundestag bei internationalen umweltpolitischen Konferenzen beigemessen wird. Die größten Herausforderungen unserer Zeit, wie etwa der Klimawandel, die Erhaltung der Artenvielfalt oder die Ressourcenschonung, sind globale Herausforderungen. Sie müssen deshalb auch in einem globalen Maßstab bewältigt werden. Deshalb sind diese internationalen Großkonferenzen, wie sie in regelmäßigen Zyklen stattfinden, auch so wichtig. Wir benötigen internationale und globale Antworten auf diese wichtigen Zukunftsfragen. Die Welt muss an einem Tisch zusammenkommen, diese Probleme besprechen und Lösungen erarbeiten. Auch wenn der Aufwand enorm ist und nicht immer die gewünschten Ergebnisse erzielt werden, führt an dieser Verfahrensweise kein Weg vorbei. Klar ist auch, dass die internationale Politik in erster Linie Aufgabe der Regierungen ist. Es stellt sich also die Frage, welches Engagement für die nationalen Parlamente in diesem globalen Prozess vorgesehen ist. Innerhalb der Europäischen Union gibt es klare gesetzliche Vorgaben über die Parlamentsbeteiligung. Wir haben diese im Zusammenhang mit der europäischen Staatsschuldenkrise gerade neu justiert. Solche klaren Beteiligungsvorgaben gibt es aber auf der Global-Governance-Ebene unter den umweltpolitischen Konventionen nicht. Eine umfassende Beteiligungspflicht des Parlaments hängt letztlich vom Goodwill der Bundesregierung und deren Informationspolitik ab. Unbestritten ist allerdings, dass die Ergebnisse der internationalen Konferenzen regelmäßig Eingang in die deutsche Rechtsordnung finden. Hier sind Parlament und Ausschüsse in der entscheidenden Funktion. Deshalb ist deren frühe Einbindung und aktive Teilnahme an diesen Prozessen von großer Bedeutung. Ich selbst war bislang bei den Klimakonferenzen in Kopenhagen, Cancún, Durban und zuletzt in Doha dabei und begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich die wertvolle Informationspolitik des Bundesumweltministeriums. Hervorheben möchte ich insbesondere Bundesumweltminister Peter Altmaier: Er hat die Mitglieder des Deutschen Bundestages vor, während und nach der Konferenz umfassend informiert und eingebunden und aktiv den Austausch gesucht. Ich denke, die Beteiligten aller Fraktionen können mir hier zustimmen. Zuletzt wurde nun darüber diskutiert, ob die Teilnahme an solchen Konferenzen im originären Interesse des gesamten Deutschen Bundestages liegt. Ja, dies ist der Fall! Ich möchte hier am Beispiel der Klimakonferenzen zwei Beispiele nennen, weshalb dies so ist. Erstens. Der Austausch mit den Parlamentariern anderer Länder ist enorm wertvoll. Man gewinnt neue Sichtweisen und ein tieferes Verständnis für bestimmte Problemlagen. Daraus erwachsen wiederum neue Lösungsmöglichkeiten, die in nationalen Parlamenten entschieden werden. Der auf diesen Konferenzen stattfindende Austausch ist für die „Politik zu Hause“ unersetzlich. Ich möchte es an einem Beispiel deutlich machen: Wir hatten zahlreiche Gespräche mit Vertretern aus anderen Ländern, die heute schon massiv vom Klimawandel betroffen sind. Sie haben uns ganz konkrete Auswirkungen geschildert. Mit aus diesen Gründen haben wir im Deutschen Bundestag die Weichen auch im Bereich der Klimafinanzierung und Entwicklungszusammenarbeit so gestellt, dass die Anpassung an den Klimawandel ebenso ernst genommen wird wie die Bekämpfung des fortschreitenden Klimawandels selbst. Zweitens. Der Deutsche Bundestag hat die deutsche Energiewende und den Ausbau der erneuerbaren Energien entschieden. Diese Entwicklung hat eine enorme internationale Aufmerksamkeit erfahren. Die Welt schaut auf Deutschland und will wissen, wie der Umbau der Energieversorgung auf regenerative Energien innerhalb unserer Industrienation vonstattengeht. Wenn es uns als Abgeordneten gelingt, diese Entscheidung auch im internationalen Maßstab zu begründen, kann der eingeschlagene Weg verstärkt auch in anderen Staaten Schule machen. Aus der Energiewende können sich im Übrigen auch ungeheure wirtschaftliche Chancen für unser Land ergeben. Dies betrifft sowohl den Export dieser Technologien als auch die Sicherung der Arbeitsplätze in diesem Bereich. Ich plädiere dafür, dass die Umweltpolitiker der Fraktionen auch künftig die Möglichkeit seitens des Bundestages erhalten, an den Konferenzen unter den internationalen Konventionen teilzunehmen. Es ist im originären Interesse der deutschen Politik, und es ist aus demokratischen, aber auch aus sachlichen Gründen geboten. Ich werbe deshalb um Ihre Zustimmung. Josef Göppel (CDU/CSU): Ich freue mich sehr, dass wir heute endlich einen interfraktionellen Antrag zur besseren Beteiligung des Bundestags in der globalen Umweltpolitik beraten und beschließen können. Zur guten Regierungsführung gehört heute unbestritten die Beteiligung gewählter Abgeordneter an internationalen Entscheidungen der Regierungsvertreter. Das verlangen wir von den Entwicklungsländern, und deswegen muss dies auch für unser eigenes Regierungshandeln gelten. Bei den Euro-Rettungsschirmen hat sich der Bundestag diese Mitwirkung erfolgreich erkämpft. Was den meisten Verhandlungen zum internationalen Klimaschutz immer noch fehlt, ist die Einbindung der gewählten Volksvertreter. Während die Zusammenarbeit zwischen Bundestag und EU klar geregelt ist, fehlt eine ausreichende Einbindung bei vielen Entscheidungen auf UN-Ebene. Hier bleibt den nationalen Parlamenten oft nur die Möglichkeit, internationale Beschlüsse ohne jede Änderung zu ratifizieren. Ich meine deshalb, dass wir in der globalen Umweltpolitik mehr Demokratie brauchen. Der Deutsche Bundestag und damit die Wählerinnen und Wähler müssen die internationalen Beschlüsse stärker mitbestimmen können. Meine eigenen Erfahrungen bei der Teilnahme an den UN-Klimakonferenzen sind positiv. Gerade das direkte Gespräch mit Vertretern anderer Länder hilft dem gegenseitigen Verständnis. Hier sprechen wir bilateral oder multilateral über die Gründe für Entscheidungen, über die Möglichkeiten der Umsetzung und der effektiven Zusammenarbeit. Hier lernen wir Parlamentarier an ganz konkreten Beispielen, wo der Schuh drückt und welche Maßnahmen Erfolg versprechen. Ähnliches gilt auch für den Austausch bei Delegationsreisen in andere Länder und beim Besuch ausländischer Parlamentarier in Deutschland. Viele Maßnahmen, die wir im Bundestag beschließen, haben Auswirkungen auf andere Staaten und umgekehrt. Deshalb ist es wichtig, dass wir gut informiert und eingebunden sind. Unser gemeinsamer Antrag gibt der Bundesregierung klare Aufgaben auf den Weg, um das Ziel von mehr Beteiligung der gewählten Volksvertreter in der globalen Umweltpolitik zu erreichen. Ganz ausdrücklich möchte ich mich hier noch einmal beim Umweltministerium für die frühzeitige und ausführliche Information bei den Verhandlungen zur UN-Klimarahmenkonvention bedanken. Dies ist ein Beispiel für gute Zusammenarbeit, dem nach unserem heutigen Beschluss hoffentlich auch der Ältestenrat des Bundestages folgt. Frank Schwabe (SPD): Umweltverschmutzung macht nicht an von Menschen gezogenen Grenzen halt. Lösungen und Umweltpolitiken müssen deswegen immer international gedacht werden. Gerade in der Klimapolitik, für die ich zuständig bin, werden wir nur Erfolg haben, wenn möglichst viele Länder mitmachen. Dies gilt natürlich auch für die internationalen Verhandlungen zum Schutz der Biodiversität, den Rio-Nachfolgeverhandlungen und die vielen weiteren Konferenzen zu Umweltproblemen. Heute existieren über 1 000 multilaterale Umweltabkommen, darunter fast 500 zwischenstaatliche Verträge, knapp 400 Änderungsabkommen und beinahe 200 Protokolle. Dazu gehören neben der Klimarahmenkonvention sowohl die Biodiversitäts-Konvention als auch das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht oder das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung. Zu den Protokollen zählen unter anderem das Kioto-Protokoll, welches seit 1997 die UNFCCC ergänzt, das Montreal-Protokoll der multilateralen Ozonpolitik und schließlich das Cartagena-Protokoll sowie das Nagoya-Protokoll zum Schutz der Artenvielfalt. Als Mitglied des Deutschen Bundestages ist mir natürlich bei Verhandlungen und Abschlüssen von internationalen Abkommen die Beteiligung des Parlamentes wichtig. Während wir als Bundestag bei Diskussionen auf europäischer Ebene durch klare Regelungen eingebunden sind, können wir beim Abschluss internationaler Abkommen nur der Ratifizierung zustimmen oder diese ablehnen. Wobei die Mehrheit des Hauses niemals ein durch die eigene Regierung verhandeltes Abkommen verweigern wird. Der Antrag, den wir heute interfraktionell eingebracht haben, beleuchtet die Beteiligung des Bundestages bei internationalen Verhandlungen und zeigt Lösungen auf, wie das Parlament besser beteiligt werden kann. Dabei geht es nicht nur um die intensive und frühzeitige Berichterstattung der Bundesregierung über kommende und laufende Verhandlungen im Rahmen der Vereinten Nationen, sondern auch um die Präsenz von Abgeordneten des Deutschen Bundestages bei Regierungs- und Parlamentarierkonferenzen zur Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. Dass diese Präsenz immer noch keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt die Klimakonferenz in Doha, die im letzten Dezember stattgefunden hat. Zwar waren Mitglieder des Deutschen Bundestages vor Ort, es gab jedoch keine Delegationsreise. Das Präsidium des Deutschen Bundestages erteilte den Mitgliedern des Umweltausschusses keine Reisegenehmigung für eine Ausschussreise. Es sei eine Regierungskonferenz, auf der Parlamentarier nicht dabei sein müssten, so die Begründung. Auch wenn die Entscheidung schlicht dem Geldmangel am Ende eines Jahres geschuldet sein mag, so ist sie doch irgendwie symbolhaft für den Stellenwert des Klimaschutzes. Dabei reisen viele Länder mit großen Delegationen an. Parlamentarier sind ganz selbstverständlich dabei, um die nationalen Positionen zu erklären und in den Meinungsaustausch zu treten. Und ausgerechnet die Anwesenheit deutscher Parlamentarier soll überflüssig sein? Es soll keine Notwendigkeit bestehen, die „Energiewende“ zu erklären, deutsche Klimaschutzprojekte in der ganzen Welt zu bewerben und andere Länder zu mehr Engagement im Klimaschutz zu bewegen – oder auch die deutsche Position direkt beeinflussen und bewerten zu können? Einige Mitglieder des Bundestages waren dann doch vor Ort in Doha – finanziert über die einzelnen Fraktionen. Doch uns ist klar geworden, dass wir zu diesem Thema eine Entscheidung brauchen, damit klar ist, wie Parlamentarier bei Regierungsverhandlungen beteiligt werden. Dabei geht es nicht nur um die Präsenz auf den Konferenzen, sondern auch um Informationspflichten der Bundesregierung, um die Förderung des Austausches mit Abgeordneten anderer Parlamente und auch um die Berücksichtigung der Empfehlungen und Wünsche der zuständigen Ausschüsse und Gremien des Deutschen Bundestages. All diese Punkte spricht unser interfraktioneller Antrag an. Er stellt die Beteiligung des Parlamentes bei internationalen Verhandlungen zur Umweltpolitik auf eine neue Grundlage. Ich freue mich sehr, dass es möglich ist, dass wir hierzu interfraktionell eine Meinung haben und eine gemeinsame Position gefunden haben. Bei den Regierungskonferenzen sind Parlamentarier – und auch Michael Meyer – kein schmückendes Beiwerk, sondern führen von morgens bis abends wichtige Gespräche und Verhandlungen. In Doha hatten wir zum Beispiel Gesprächstermine mit Ministern aus Kolumbien, Peru und El Salvador, mit Parlamentariern aus Großbritannien, Italien, Dänemark, Brasilien und Bolivien, internationalen Vertretern der am wenigsten entwickelten Länder, der russischen Zivilgesellschaft usw. Wir müssten 15 bis 20 Reisen in die einzelnen Länder unserer Gesprächspartner unternehmen, um all diese Gespräche führen zu können und all die wichtigen Erkenntnisse und Informationen zu erhalten. Es ist deutlich günstiger, dies alles konzentriert auf einer Konferenz zu machen. Da es auf internationalen Klimakonferenzen nicht nur um den weltweiten Klimaschutz, sondern auch um zentrale Fragen der Weltgemeinschaft und um viele wirtschaftliche Fragen geht, sind auf den Konferenzen nicht nur die Verhandler der Regierungen anwesend, sondern natürlich sind auch Parlamentarier, Umwelt- und Entwicklungsverbände sowie Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und Unternehmen dabei. Gerade für Vertreterinnen und Vertreter kleiner Länder sind diese Konferenzen wichtig, um Gespräche mit möglichst vielen Delegationen zu führen. Seit acht Jahren bin ich nun in meiner Fraktion für die internationale Klimapolitik zuständig und war auf all den Klimakonferenzen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig eine neue Regelung zur Beteiligung des Parlamentes ist. Deshalb möchte ich herzlichst um Zustimmung für unseren Antrag werben. Michael Kauch (FDP): Globale Probleme müssen global gelöst werden. Das gilt gerade für die Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. Denn etwa der Klimawandel und seine Folgen machen keinen Halt vor Staatsgrenzen, und Verursacher und Geschädigte sind oft Kontinente voneinander entfernt. Auch der Meeresschutz ist ein Feld, in dem nationale Maßnahmen kaum greifen. Vor diesem Hintergrund haben sich für mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit Strukturen und Prozesse internationaler Politik oberhalb der nationalstaatlichen Ebene entwickelt: als Global Governance. Wir alle kennen die Beispiele überstaatlicher Zusammenarbeit: Die UN-Klimarahmenkonvention, UNFCCC, das Übereinkommen über die biologische Vielfalt, CBD, das Washingtoner Artenschutzübereinkommen, CITES, der Nachfolgeprozess zur Rio-Konferenz über nachhaltige Entwicklung und die Aarhus-Konvention über die Beteiligung der Öffentlichkeit in Umweltfragen. Staatenübergreifend werden auf Grundlage internationaler Konventionen Verhandlungsprozesse entwickelt, deren Entscheidungen die nationale und europäische Umweltpolitik erheblich beeinflussen. Verbandsklagerecht und Emissionshandel sind zwei Beispiele, wo Global Governance unmittelbare Auswirkungen auf die europäische und deutsche Rechtsordnung hatte. Das ist richtig und wichtig. Globaler Umweltprobleme muss sich die Staatengemeinschaft gemeinsam annehmen. Allerdings findet sich hier ein Wermutstropfen: Sowohl der Deutsche Bundestag als auch das Europäische Parlament werden oft genug vor Ergebnisse von Verhandlungen der Regierungen gestellt, zu denen sie nur noch Ja oder Nein sagen können. Und hier stellt sich die Demokratiefrage. Denn die Ablehnung der Ratifizierung kommt aus übergeordneten politischen Gründen in der Regel nicht infrage. Das kann und darf nicht so bleiben, wollen wir nicht die Akzeptanz dieser Prozesse und ihrer Ergebnisse aufs Spiel setzen. Entscheidungen im Rahmen der EU zeigen, dass es auch anders geht. Dort ist der Deutsche Bundestag durch klare gesetzliche Regelungen in die Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Mitwirkungsrechte wurden deutlich gestärkt. Wir brauchen auch bei internationalen Entscheidungsprozessen im Umweltbereich mehr Demokratie und die Möglichkeit, aktiv Einfluss zu nehmen. Deshalb fordern wir fraktionsübergreifend, dass das Parlament, namentlich die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages, regelmäßig, selbstständig, frühzeitig und umfassend über kommende und laufende Verhandlungen zur Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik im Rahmen der Vereinten Nationen informiert werden. Als gelungenes Beispiel will ich die Informationspolitik des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit über Verhandlungen unter der UN-Klimarahmenkonvention nennen. Wir fordern weiter, dass Empfehlungen und Wünsche dieser Ausschüsse und Gremien im Verhandlungsprozess erkennbar berücksichtigt werden. Neben formalen Informations- und Beteiligungsrechten kann das Parlament aber auch eine wichtige Funktion zum Gelingen von UN-Prozessen für mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit übernehmen – sehr wohl auch in dem Sinne, die Verhandlungslinie der Bundesregierung zu unterstützen. Erforderlich ist dazu ein direkter fachlicher Austausch mit Abgeordneten anderer Parlamente. Es ist gut und wichtig, von Angesicht zu Angesicht miteinander zu reden, Standpunkte auszutauschen und Verständnis für die eigenen Positionen zu vermitteln. Abgeordnete, die weniger an formelle Verhandlungspositionen gebunden sind als die Regierungsvertreter, können auf Kompromisse hinwirken, können ein Gespür entwickeln für die politischen Bedürfnisse der Verhandlungspartner. Sie können den öffentlichen Diskurs in ihren Heimatländern beeinflussen – und letztlich auch das Regierungshandeln des entsprechenden Landes. Deshalb ist es ein Gewinn für Deutschland und seine progressive Haltung in der Umweltpolitik, wenn deutsche Abgeordnete auf internationaler Ebene präsenter sind als bisher. Foren für solchen Austausch unter Abgeordneten sind zum Beispiel die Parlamentarierdialoge von GLOBE, Global Legislators Organisation for a Balanced Environment, EUFORES, European Forum for Renewable Energy Sources, und des internetbasierten Climate Par-liament. Es ist gut, dass diese Bundesregierung solche internationalen Foren seit dieser Wahlperiode auch erstmals aktiv fördert. Ein zentrales Forum zum Dialog, aber auch zur Einbindung der Abgeordneten des Bundestages in konkrete Verhandlungsprozesse sind Regierungs- und Parlamentarierkonferenzen zur Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik. Auf den Regierungskonferenzen kann es noch während des Verhandlungsprozesses zu Rückkopplungen mit den zuständigen Fachpolitikern der Fraktionen kommen. Deshalb ist die Teilnahme von Abgeordneten etwa an der UN-Klimakonferenz im Interesse des Deutschen Bundestages. Dies war zwischen den Fachausschüssen und dem Präsidium des Bundestages zuweilen strittig. Dieser Beschluss des Plenums, den wir heute treffen, stellt klar: Die Reisen sind im Interesse des Bundestages und sind im Grundsatz zu genehmigen. Denn durch die Teilnahme von Delegationen des Deutschen Bundestages bei Regierungskonferenzen unter der UNFCCC und des CBD sowie im Rahmen des UN-Nachhaltigkeitsprozesses wird es ermöglicht, dass die zuständigen Fachausschüsse Einfluss nehmen können – Einfluss auf Entscheidungen, die der Deutsche Bundestag am Ende in die deutsche Rechtsordnung umsetzen wird. Wir sollten die Arbeit, die wir in den vergangenen Jahren gewonnen haben, fortsetzen, im Interesse unseres Landes wie auch im Interesse der internationalen Staatengemeinschaft. Wie ich bereits anfänglich sagte: Umweltprobleme machen vor Staatsgrenzen keinen Halt, und sie erfordern internationale Zusammenarbeit. Gefragt sind gemeinsame Lösungen. Es ist an uns, die notwendigen Weichenstellungen für einen erfolgreichen Dialog zu setzen. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Zunächst möchte ich begründen, warum wir uns bei diesem Antrag, dem wir inhaltlich weitgehend zustimmen, enthalten. Diese Initiative zur Parlamentsbeteiligung in UN-Prozessen ist ein fraktionsübergreifender Gruppenantrag. Hier geht es um die Einbeziehung des gesamten Parlaments, nicht nur der fünf bürgerlichen Parteien. In alter Kalte-Kriegs-Manier wurde die Linke jedoch bei diesem Antrag ausgeschlossen. Das ist so lächerlich wie absurd, dass wir selbstverständlich einem auf einer solchen Grundlage erarbeiteten Dokument nicht zustimmen werden. 23 Jahre nach der Einheit sollten sich die anderen Parteien eigentlich langsam daran gewöhnt haben, dass es in Deutschland nun eine gesamtdeutsche linke Partei gibt. Aber Ewiggestrige und Arroganz bei Union, FDP, SPD und Grünen führen hier zu Ignoranz. Das ist zugleich ein Fingerzeig darauf, wie ernst es diese Parteien nehmen, wenn es darum geht, eine Vielfalt von Meinungen produktiv nutzbar zu machen. Gerade bei Themen wie Klimaschutz und biologische Vielfalt, wo es besonders geboten erscheint, Parteigrenzen auch einmal zu überspringen. Hier wird gerade von SPD und Grünen immer viel Wind gemacht. In der Realität grenzen sie regelmäßig den Willen von gut 5 Millionen Wählerinnen und Wählern aus. Zum Inhalt kann ich es kurz machen: Selbstverständlich müssen Bundestagsabgeordnete weiterhin zu UN-Regierungskonferenzen fahren können. Das ist kein von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern finanzierter Tourismus, wie bei manch anderer Reise von Abgeordneten gelegentlich vermutet wird. Ganz im Gegenteil. Es gibt aus meiner Sicht kaum andere derart fruchtbare und effiziente Parlamentsreisen wie die zu solchen Gipfeln. Zum einen, weil es die im Antrag erwähnte Beteiligungslücke gibt. Während die Beziehungen und Beteiligungsrechte zwischen deutschem Parlament, Bundesregierung und Europäischer Union mit Verträgen geregelt sind, geht der Wille und die Kontrolle des Bundestages bei Verhandlungen auf UN-Ebene eigentlich nur sehr indirekt in die jeweiligen Verhandlungen ein, und zwar über das Handeln der Bundesregierung. Hier gab es bislang ein informelles Korrektiv: Abgeordnete der federführenden Ausschüsse waren häufig Bestandteil der jeweiligen deutschen Delegation. So hat das Bundesumweltministerium immer sehr kollegial Abgeordnete des Umweltausschusses in die UN-Klimaverhandlungen integriert. Mit gutem Grund, denn die Entscheidungen etwa in Kioto oder Marrakesch hatten tiefgreifende Auswirkungen auf die europäische und deutsche Klimagesetzgebung. Aber genau dieses Korrektiv will das Präsidium des Bundestages am liebsten abschaffen. Regierungskonferenzen seien, wie der Name schon sagt, Konferenzen von Regierungen, so die seltsam formale Begründung. Da sollten Abgeordnete zu Hause bleiben oder auf eigene Kosten fahren. Ich denke, hier bestehen vielleicht beim Präsidium einige Defizite bezüglich der Rolle und Funktion solcher Konferenzen. Zum anderen sind viele Regierungskonferenzen ein informeller Treffpunkt von Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus aller Welt. Gerade Entwicklungsländer haben in den letzten Jahren Ihre Parlamentsdelegationen deutlich aufgestockt. Denn mit vergleichbar wenig Aufwand können sie hier in einer Woche Dutzende Gespräche mit Abgeordneten und NGOs anderer Länder durchführen: gut vorbereitet in Besprechungsräumen, verabredet oder auch spontan auf den Fluren oder in der Cafeteria. Auch wir deutschen Abgeordneten haben diese Chancen umfangreich genutzt. Vergleichbares als Einzelreisen zu organisieren, wäre extrem aufwendig und gerade für Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus dem Süden finanziell gar nicht zu stemmen. Aus diesem Grund müssen Delegationsreisen des Bundestages zu Regierungskonferenzen wieder möglich sein. Insofern müsste sich der Kern des Antrags eigentlich an die Spitze des Bundestages selbst richten. Denn die Bundesregierung ist hier weniger das Problem. Natürlich sollten auch die zuständigen Ministerien die genannten Abläufe weiter unterstützen und sie dort verbessern, wo es in der Vergangenheit Probleme gab. Nach dem Antrag soll die Bundesregierung zudem „Empfehlungen und Wünsche der zuständigen Ausschüsse und Gremien des Deutschen Bundestages erkennbar im Verhandlungsprozess berücksichtigen“. Das unterstützen wir natürlich, obwohl offenbleibt, wie so etwas im Einzelfall konkret zu handhaben wäre. Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor zwei Tagen ist mit der Abstimmung zum Backloading-Vorschlag im Europaparlament eine wichtige Frage der Umwelt-Governance gescheitert. Die Verhinderung der Reform des Emissionshandels ist der Tiefpunkt der europäischen Klimapolitik. Diese Abstimmungspleite ist aber auch der Höhepunkt des klimapolitischen Scheiterns unserer Kanzlerin. Denn anscheinend hatte Angela Merkel keine Lust darauf, die Kabbeleien ihrer Minister Altmaier und Rösler zu beenden und stattdessen für eine gemeinsame Positionierung der Regierung zum Emissionshandel zu sorgen. Einst hat sich Angela Merkel als Klimakanzlerin feiern lassen. Solange aber Frau Merkel beim Klimaschutz bremst und blockiert, statt das Klima zur Chefinnensache zu machen, so lange schreitet der Klimawandel mit seinen fatalen Folgen weiter voran, und Deutschland und Europa sind als klimapolitischer Vorreiter ausgebremst. Mit Blick auf den uns vorliegenden Antrag zur Umwelt-Governance gibt es heute ausnahmsweise einmal etwas Positives zu berichten – auch das ist möglich. Fraktionsübergreifend wurde festgehalten, dass zum einen die Bedeutung internationaler Umwelt-Governance stark zugenommen hat. Denn nur so kann auf die Herausforderungen der Umweltpolitik in einer globalisierten Welt reagiert werden. Zum anderen wurde von den Fraktionen festgestellt, dass wir „vor diesem Hintergrund ... auch im Blick auf die internationalen Entscheidungsprozesse im Umweltbereich mehr Demokratie und ihre aktive Beeinflussung“ durch den Deutschen Bundestag brauchen. Ein Erfolg, über den wir Grüne allerdings gerne noch etwas hinausgegangen wären mit mehr Konkretion und Verbindlichkeit. Zunächst hätten wir Grünen uns bei einem solchen Antrag die Einbeziehung der Fraktion der Linken gewünscht. So wäre es möglich gewesen, ein noch stärkeres politisches Signal zu setzen. Auch die Beteiligung von Abgeordneten in Regierungs- und Parlamentarierkonferenzen über den UN-Prozess hinaus kommt uns in diesem Antrag zu kurz. Dies vernachlässigt die Bedeutung wichtiger Konferenzen wie IRENA oder dem Weltwasserforum. Die im Antrag aufgeführte Mitsprachemöglichkeit des Deutschen Bundestages lässt die ausreichende Weite und Verbindlichkeit vermissen. Hier wäre eine stärkere und ausdrücklich genannte Orientierung an den Verfahren der EU wünschenswert. Und – wie so häufig – nicht zuletzt wurde auf die Frage „Wer trägt die Kosten?“ nur ausweichend eingegangen. Hier wäre uns die Nennung der zuständigen Ressorts ein wichtiges Ziel. Dies alles sind Aufgaben, die wir in die nächste Legislaturperiode mitnehmen werden. Um diesen Fortschritt zu einem wirklichen Erfolg für mehr Demokratie in der internationalen Umweltpolitik zu machen! Zuletzt sei mir aber noch eine doch recht kritische Anmerkung zu der Praxis der Parlamentsbeteiligung bei Umwelt-Governance durch diese Bundesregierung erlaubt. Während wir hier heute die Verbesserung der Parlamentsbeteiligung bei globaler Umwelt-Governance fordern, will Schwarz-Gelb dem Bundestag die Ratifizierung der zweiten Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls in dieser Legislaturperiode verweigern und damit den internationalen Klimaschutz auf Eis legen. Ich halte dies schlichtweg für einen Skandal! Noch ungeheuerlicher wird dies, wenn man sich die Argumente der Bundesregierung für diese Verzögerungstaktik anhört. Genannt wird der Grundsatz der Diskontinuität und dass man abwarten wolle, wie die EU die Lasten durch das Kioto-Protokoll aufteilen wolle. Tatkraft und Ehrgeiz in der Klimapolitik sieht anders aus, meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb! So ist keine Klimapolitik zu machen. Die Backloading-Pleite im Europaparlament hat vielmehr gezeigt: Was wir in der Klimapolitik stärker als je zuvor brauchen, ist eine Vorreiterrolle Deutschlands. Mit nationalen, europäischen und internationalen Klimaini-tiativen. Geben Sie sich daher einen Ruck, Frau Merkel, und leisten Sie einen Beitrag zu wahrer Parlamentsbeteiligung: Lassen Sie diesem Haus in dieser Legislatur-periode das Ratifizierungsgesetz zum Kioto-Protokoll zur Abstimmung zukommen! Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung – Antrag: Keine überhöhten Säumniszuschläge bei Beitragsschulden (Tagesordnungspunkt 22) Karin Maag (CDU/CSU): Eine der ganz großen gesundheitspolitischen Leistungen der Großen Koalition war die Versicherungspflicht für alle. Unter anderem ist damit eine Kündigung wegen Beitragsrückständen nicht mehr möglich. Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wurde zum 1. April 2007 geregelt, dass sich alle, die einmal Mitglied der GKV waren oder ihr zuzuordnen sind, bei einer Krankenkasse versichern müssen. Zum 1. Januar 2009 wurde diese Regelung ergänzt: Wer nicht der GKV zuzuordnen war, musste sich ab sofort in der PKV absichern. Um zu verhindern, dass es insbesondere für freiwillig Versicherte attraktiv werden könnte, zulasten der Solidargemeinschaft keine Beiträge zu zahlen und stattdessen Schulden in Kauf zu nehmen, haben wir damals gemeinsam in der Großen Koalition die hohen Säumniszuschläge eingeführt. Die damit verknüpften Erwartungen haben sich allerdings nicht erfüllt. Zudem hat die Rückkehr der betroffenen „Nichtversicherten“ in die gesetzliche Krankenversicherung einen hohen Preis. Es geht nicht nur um die Säumniszuschläge sondern auch darum, dass bereits bei Versicherungsbeginn für den vergangenen Zeitraum ohne Versicherungsschutz eine entsprechende Beitragsforderung entsteht. Diese Fehlentwicklung gilt es nun zu korrigieren. Unser Entwurf sieht vor, dass für freiwillig Versicherte sowie für vormals Nicht-Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung künftig nur noch der reguläre monatliche Säumniszuschlag in Höhe von monatlich einem Prozent des rückständigen Betrags gilt. Damit werden die Versicherten nicht nur vor weiterer Überforderung geschützt. Ihnen wird damit auch der Abbau entstandener Beitragsschulden erleichtert. Der Gesetzentwurf enthält zudem eine Klarstellung im SGB V, dass sogenannte Halteeffekte bei der Kalkulation von Wahltarifen nicht durch die Krankenkassen berücksichtigt werden dürfen. Ich will mich hier aber vor allem auf die Situation in der PKV und den Notlagentarif konzentrieren. Kollege Spahn hat zur GKV das Notwendige ausgeführt. Seit der Einführung der Krankenversicherungspflicht im Jahr 2009 für alle sind die Beitragsrückstände und die Nichtzahler auch Thema in der PKV. Nach Angaben des PKV-Verbandes haben sich die Verluste von rund 155 000 Nichtzahlern, die länger als drei Monate im Zahlungsrückstand sind, bereits auf 745 Millionen Euro summiert. Gerade junge Selbstständige, die sich bei Geschäftsgründung übernommen hatten, machen in der PKV das Gros der Nichtzahler aus. Auch den vielen kleinen Selbstständigen, den Kioskbesitzern und Kneipenwirten, die wirtschaftliche Engpässe meistern müssen und deshalb auch ihrer Beitragsverpflichtung nicht nachgekommen sind, geben wir eine Perspektive. Die Versicherten der PKV schützt künftig dieser Notlagentarif mit einer deutlich niedrigeren Prämie besser vor Überforderung. Nach einem obligatorischen Mahnverfahren werden die säumigen Zahler gegebenenfalls in diesen Notlagentarif überführt; ihr bisheriger Versicherungsvertrag ruht währenddessen. Gleichzeitig bleibt ihre Versorgung bei akuten Erkrankungen sichergestellt. Die seitherige Rechtslage, dass PKV-Versicherte in den Basistarif überführt werden, wenn sie ihre Beitragsschulden innerhalb eines Jahres nicht begleichen können, ist den Versicherten keine Hilfe. Aufgrund der weiterhin hohen Beiträge kam es häufig zu weiterer Überschuldung, das heißt die bisherige Regelung erfüllt ihren Zweck nicht. Dies ändert der neue Notlagentarif. Im Notlagentarif entfallen Risikozuschläge, Leistungsausschlüsse und Selbstbehalte. Unter der Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen geben wir dem PKV-Verband auf, Art, Umfang und Höhe der Leistungen des Notlagentarifs festzulegen. Altersrückstellungen werden im Notlagentarif nicht gebildet. Sogar weitergehend werden bis zu 25 Prozent der monatlichen Prämie durch Entnahmen aus der Altersrückstellung geleistet. Damit erreichen wir, dass die Prämie circa 100 Euro bis 120 Euro niedriger ausfällt als in einem regulären Tarif. Die Motivation und die Möglichkeit, vorhandene Rückstände abzubauen, wird für Betroffene damit deutlich erhöht, ja erst möglich gemacht. Für Versicherte, deren Vertrag nur die Erstattung eines Prozentsatzes der entstandenen Aufwendungen gewährt, sieht der Notlagentarif Leistungen in Höhe von 20, 30 oder 50 Prozent der versicherten Behandlungskosten vor. Auf der Leistungsseite bleibt es im Notlagentarif wie bisher bei der Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen. Die Versicherten werden auch in diesem nicht einfachen Verfahren nicht alleine gelassen, sondern umfänglich und zeitnah über diese Veränderungen informiert. Ziel der geplanten Neuregelung im Versicherungsvertrags- sowie im Versicherungsaufsichtsgesetz ist natürlich auch der Schutz der übrigen Beitragszahler in der privaten Krankenversicherung. Es wird so ein weiterer Prämienanstieg verhindert, der durch die Zahlungsunfähigkeit einer wachsenden Zahl von Versicherten bei gleichzeitiger Inanspruchnahme aller versicherten Leistungen droht. Denn diese Beitragsverluste sind von den übrigen, vertragstreuen Versicherten wirtschaftlich mitzutragen. Jeder Beitragsausfall geht zulasten der Mittel, die zur Senkung und Stabilisierung der Beiträge im Alter zusätzlich zu den Altersrückstellungen zur Verfügung stehen. Das Nichtzahlerproblem ist damit auch ursächlich für Beitragssteigerungen. Alles in allem schützen wir die Menschen vor Überforderung, die ohne ihr Zutun in eine wirtschaftliche Schieflage gekommen sind. Wir zeigen eine Perspektive auf, die allen Versicherten, unabhängig ob GKV- oder PKV-versichert zugutekommt. Anders als im SPD-Vorschlag wird niemand ausgegrenzt. Uns liegt jeder Versicherte unabhängig von der Art seiner Versicherung gleichermaßen am Herzen. Jens Spahn (CDU/CSU): Heute ist ein guter Tag für die Bürgerinnen und Bürger. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung machen wir einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg, jeder Bürgerin und jedem Bürger einen Zugang zu einem bezahlbaren Krankenversicherungsschutz, auch in individuell finanziell schwierigen Zeiten, zu ermöglichen. Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz haben wir bereits zu Zeiten der großen Koalition im Jahr 2007 den Weg zu einer Absicherung im Krankheitsfall für alle eröffnet. Seit diesem Zeitpunkt ist ein Ausschluss aus der Krankenversicherung bei Nichtzahlung der Beiträge nicht mehr möglich. Gleichzeitig wurde jedem erstmals die Möglichkeit eröffnet, in sein ursprüngliches Versicherungssystem zurückzukehren. Dabei sahen wir damals die Notwendigkeit im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung, bei der es sich um eine solidarische Versicherung handelt, einen hohen Säumniszuschlag einzurichten, um Missbrauch entgegenzuwirken. Denn das Ziel der Absicherung in einem Solidarsystem kann nicht zur Folge haben, dass der Versicherungsschutz erst dann gesucht wird, wenn es zum Krankheitsfall kommt. Eine solidarische Versicherung beinhaltet den Grundsatz, dass Gesunde für Kranke und Gutverdienende für Geringverdienende einstehen, mit dem Ziel, jeden vollumfänglich im Falle einer Erkrankung abzusichern. Dieser Grundgedanke beinhaltete auch die Regelung, dass bei einem späteren Eintritt in das Versicherungsverhältnis der Beitrag rückwirkend ab dem 1. April 2007 zu zahlen ist. Wir stehen zu diesen gesetzlichen Regelungen und sehen auch weiterhin die Notwendigkeit einer Absicherung im Krankheitsfall für jeden. Dennoch haben wir im Laufe der Zeit feststellen müssen, dass immer mehr Versicherte mit der Nachzahlung von Beiträgen, insbesondere aufgrund der hohen Säumniszuschläge, die 60 Prozent im Jahr betragen, dem avisierten Ziel der Beitragszahlung nicht mehr nachkommen können. Vor diesem Hintergrund werden wir mit dem vorgelegten Gesetzentwurf die Säumniszuschläge auf nicht gezahlte Beiträge von 5 Prozent auf künftig 1 Prozent reduzieren. Damit soll den rund 638 000 Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung, die derzeit mit ihren Beitragszahlungen im Rückstand sind oder als sogenannte Nichtversicherte gelten, die Rückkehr zum vollen Leistungsanspruch in der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt werden. Denn ein Großteil dieser Betroffenen ist durchaus gewillt, die säumigen Beträge zurückzuzahlen; durch die ständige Erhöhung aufgrund der hohen Säumniszuschläge kommen sie aber aus ihrer Situation nicht heraus. Wir sind uns aber auch bewusst, dass das Problem der säumigen Beiträge und der Nichtversicherten nicht ausschließlich dem hohen Säumniszuschlag geschuldet ist. Denn auch wenn wir diesen für die Zukunft reduzieren, bleiben die hohen Forderungen der letzten Jahre bestehen. Auch dieses Problem werden wir im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens zu diesem Gesetzentwurf beraten. Darüber hinaus werden wir die Beitragsbemessung von freiwillig versicherten Mitgliedern in der gesetzlichen Krankenversicherung, was vorrangig Selbstständige betrifft, prüfen, um auch für diesen Versichertenkreis das Ziel einer bezahlbaren, aber gleichzeitig im Sinne der Solidarversicherung leistungsgerechten Beitragsbemessung zu erzielen. Nicht nur die Solidargemeinschaft der GKV, auch die Versicherten bei den privaten Krankenversicherungen haben immer mehr mit Beitragsrückständen zu kämpfen. Da wir das Ziel der Absicherung im Krankheitsfall selbstverständlich auch für Versicherte der privaten Krankenversicherung gesetzlich vorgegeben haben, werden wir auch in diesem Bereich einen sogenannten Notlagentarif einführen. In diesen werden die Versicherten nach einem gesetzlich festgelegten Mahnverfahren überführt. Gleichzeitig erhalten sie aber die Option der Rückkehr in ihren ursprünglichen Versicherungsvertrag. Mit dieser Maßnahme schützen wir die Beitragsschuldner in der PKV vor finanzieller Überforderung, gewährleisten aber gleichzeitig, dass das Kollektiv der Versichertengemeinschaft finanziell nicht belastet wird und die Rückkehr in den Ursprungstarif wieder realisiert wird. Dieser Gesetzentwurf bedeutet keine Rolle rückwärts, sondern er beinhaltet wichtige Maßnahmen zur Erlangung des, wie ich glaube, unumstrittenen Ziels, dass jede Bürgerin und jeder Bürger einen umfänglichen Krankenversicherungsschutz haben sollte. Dr. Karl Lauterbach (SPD): Das Thema, zu dem wir heute beraten, bedeutet für viele Menschen in Deutschland ein großes Armutsrisiko. Gründe für ein Leben am Existenzminimum oder an einer Privatinsolvenz sind heutzutage nicht mehr nur eine Wirtschaftskrise oder persönliche Schicksale, sondern immer öfter auch Schulden bei der Krankenversicherung. Für viele Menschen, gerade für junge, mutige Selbstständige, aber auch für ältere Menschen, die ihren Ruhestand hart erarbeitet haben, kann die private Krankenversicherung schnell zur Schuldenfalle werden. Bei Säumniszuschlägen in Höhe von 5 Prozent im Monat – das sind mit Zinseszins rund 80 Prozent im Jahr – können so in kurzer Zeit riesige Schuldenberge in fünf- bis sechsstelliger Höhe entstehen. Diesen Wucher darf sich keine einzige Bank erlauben – die gesetzlichen Krankenkassen müssen dies aber tun. Schlimmer noch steht es um Versicherte in der privaten Krankenversicherung. Bei jungen Selbstständigen, die hart daran arbeiten, ihre Träume zu verwirklichen und Existenzen aufzubauen, übersteigen die Beiträge oft unerwartet die finanziellen Kapazitäten. Viele Rentnerinnen und Rentner geraten wegen ihrer hohen Beiträge in Altersarmut. Der neue Notlagentarif, den die privaten Versicherungsunternehmen jetzt einführen müssen, hilft gerade den häufig betroffenen Rentnerinnen und Rentnern kaum. Die hohen Beitragsschulden bleiben bestehen, chronische Erkrankungen werden aber nicht mehr behandelt. So wird die private Krankenversicherung für viele Rentnerinnen und Rentner, die die hohen Prämien von 800 Euro und mehr im Monat nicht bezahlen können, nicht nur zum Armutsrisiko, sondern gefährdet auch ihre Gesundheit. Beinahe täglich erhalte ich Zuschriften von verzweifelten Bürgerinnen und Bürgern, die keinen Ausweg aus der Schuldenfalle mehr sehen und vor allem die Hoffnung verloren haben, die Hoffnung auf Hilfe von der Regierung und die Hoffnung auf eine solidarische Lösung. Das kann und darf so nicht weitergehen. Es geht hier um Existenzen, um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger und vor allem um die Sicherstellung des Zugangs zum Gesundheitswesen für jeden Einzelnen. Keiner darf künftig aus dem System fallen, und keinem darf eine notwendige Behandlung verwehrt werden. Um das Problem zeitnah und kurzfristig zu lösen, halten wir die Senkung der Säumniszuschläge im Gesetzentwurf auf die Höhe von 1 Prozent pro Monat richtig. Damit wird eine Forderung aus unserem Antrag erfüllt. Allerdings greift der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen viel zu kurz. Wir halten darüber hinaus auch eine Begrenzung der Rückwirkung für sinnvoll. Verschuldete Bürgerinnen und Bürger sollen die Chance bekommen, aus der Schuldenfalle herauszukommen, um so auch gegebenenfalls eine Rückkehr in eine reguläre Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Hier sollte künftig eine einheitliche Regelung für die private und die gesetzliche Krankenversicherung gelten. Dabei wird ein Monatsbeitrag für jeden angefangenen Monat der Nichtversicherung fällig und ab dem sechsten Monat der Nichtversicherung ein Sechstel eines Monatsbeitrags. Für die vorhandenen Altfälle, bei denen sich bereits Schulden im fünf- bis sechsstelligen Bereich angesammelt haben, muss unbedingt eine sozialpolitische Lösung gefunden werden. Hier ist es unabdingbar, dass nachzuzahlende Beiträge angemessen ermäßigt werden, in besonders schwerwiegenden Fällen sogar gänzlich von einer Eintreibung abgesehen wird. Eine langfristige und vor allem solidarische Lösung kann hier aber einzig und allein die Bürgerversicherung sein, um für alle Bürgerinnen und Bürger einen zuverlässigen und sicheren Zugang zum Gesundheitswesen zu gewährleisten; denn die Absenkung des Säumniszuschlags und die Einführung des Notlagentarifs lösen nicht die strukturellen Probleme des zweigeteilten, ungerechten Versicherungssystems. Die Bürgerversicherung ist eine klare, gute und vor allem die einzige Alternative zum bisher bestehenden Versicherungssystem. Wir wollen nicht, dass es Menschen in der Bundesrepublik gibt, die aufgrund von Beitragsschulden bei ihrer Krankenkasse Privatinsolvenz anmelden müssen und nur noch einen eingeschränkten Zugang zu einer notwendigen medizinischen Versorgung haben. Es ist Aufgabe der Politik, Menschen aus der Schuldenfalle zu helfen und ihnen wieder Hoffnung zu geben. Keiner sollte dafür bestraft werden, in wirtschaftliche Probleme bei einer Selbstständigkeit zu geraten oder nach einer Scheidung oder im Alter überhöhte Beiträge nicht zahlen zu können. Keiner darf künftig aus dem System fallen. Harald Weinberg (DIE LINKE): Viel Schatten und wenig Licht steckt in diesem schwarz-gelben Gesetzentwurf. Ich fange mit dem Schatten an, um zum Schluss noch ein kleines Lob übrig zu haben. Der Notlagen- oder Nichtzahlertarif, den die Bundesregierung gemeinsam mit den Lobbyisten der privaten Krankenversicherung hier ausgetüftelt hat, schafft ein neues Gesundheitsprekariat. Es ist ja nicht so, dass ich die bestehenden Regelungen gut finde. Momentan ist es so, dass Privatversicherte, zum Beispiel kleine Selbstständige, die die ständig steigenden Beiträge nicht mehr aufbringen können, bei zwei Monatsbeiträgen Zahlungsverzug nur noch stark abgespeckte Leistungen bekommen. Sie bleiben trotzdem ein Jahr voll zahlungspflichtig und kommen dann in den Basistarif. Dort geht es dann gleich mit der Verschuldung weiter, denn die Versicherung verlangt Beiträge von über 600 Euro im Monat. Die Bundesregierung tut nun so, als ob sie den Versicherten helfen wolle. Dabei setzt sie nur das um, was die private Krankenversicherung ihr in die Feder diktiert hat. Die noch bestehende Regelung ist nämlich ein Problem für die PKV. Sie darf – richtigerweise – die säumigen Beitragszahler seit 2009 nicht mehr einfach rauswerfen, sondern ist gesetzlich gezwungen, den Versicherungsschutz der Menschen, die sich in ihre Obhut begeben haben, aufrechtzuerhalten. Wir können mittlerweile feststellen: Mit einkom-mensunabhängigen Beiträgen geht das nicht. Menschen, die in eine finanzielle Notlage kommen und zudem noch Beitragssteigerungen aufgedrückt bekommen, können nicht entsprechend ihrem Krankheitsrisiko bezahlen. Die Lösung der Bundesregierung und der PKV-Lobby ist simpel: Die Beiträge werden auf rund 100 Euro gesenkt, dafür bekommen die Versicherten aber auch nur noch Leistungen auf Entwicklungsland-Niveau. Nur noch bei Schmerzzuständen und akuten Krankheiten gibt es eine Versorgung. Ich bin mir sicher: Es wird Gerichtsverfahren geben, die Menschen mit chronischen Krankheiten wie HIV, Hepatitis oder Diabetes anstrengen müssen, um überhaupt versorgt zu werden. Klar ist: Früherkennung von Krankheiten wird nicht mehr bezahlt. Man nimmt diesen prekär versicherten Menschen bewusst Gesundheitschancen und nimmt hin, dass Zehntausende kleine Selbständige sich in dieser billigen Krankenversicherung vierter Klasse einrichten müssen. Es werden zwar finanzielle Verpflichtungen von den Betroffenen genommen, aber auf Kosten der notwendigen medizinischen Versorgung. Ich bin bereits gespannt auf die sicher kommenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Das hat letztes Jahr entschieden, dass Asylbewerber nicht weniger Anspruch auf das Existenzminimum haben als Menschen mit festem Aufenthaltsstatus. Es wäre nur konsequent, wenn dieses Urteil auch auf die Gesundheitsversorgung ausgeweitet würde, denn auch die gehört zum Existenzminimum klar dazu. Der PKV nutzt diese Regelung, weil sie dann erstens weniger uneinbringliche Forderungen abschreiben muss, zweitens nicht so viele Versicherte in den von den Versicherungskonzernen ungeliebten Basistarif abwandern, drittens weil im Nichtzahltarif im Gegensatz zu heutigen säumigen Beitragszahlern keine Alterungsrückstellungen aufgebaut werden müssen, sondern bestehende Rücklagen abgeschmolzen werden und zusätzlich zu den Beiträgen auf das Konto der Versicherung gebucht werden. Kurzum: Dieser Tarif nutzt der PKV und schadet der Gesundheit der Versicherten und ihrer Angehörigen. Die Linke lehnt ihn deshalb klar ab. Für uns besteht die einzig sinnvolle Lösung darin, Beiträge zu verlangen, die sich nach dem tatsächlich erzielten Einkommen richten. Das ist mit der Privatversicherung nicht zu machen. Deshalb wollen wir die Abschaffung der Privatversicherung und die Schaffung einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, in der alle versichert sind. Besser, aber nicht gut ist das, was die Bundesregierung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung mit diesem Gesetzentwurf unternimmt. Hier werden die Säumniszuschläge von 5 Prozent im Monat (!) auf 1 Prozent gesenkt. Inklusive Zinseszins ist das eine Absenkung von etwa 79 Prozent im Jahr auf 12,7 Prozent. Das wird vielen helfen, das ist ein guter Schritt, beseitigt aber nicht das Grundproblem. Denn weiterhin werden von vielen Versicherten, insbesondere Selbstständigen, Beiträge verlangt, die sie nicht zahlen können. Auch hier wieder unsere Forderung: Alle sollen entsprechend ihres tatsächlichen Einkommens Beiträge zahlen müssen. Dann gäbe es das Problem der Beitragsschulden nicht, und es wären dann auch keine Zinsen zu zahlen. Die dritte Regelung, die zu den Wahltarifen, begrüßen wir, auch wenn die Bundesregierung ganz andere Gründe dafür hat. Worum geht es? Krankenkassen bieten Wahltarife an, zum Beispiel Beitragsrückerstattungstarife. In diesen bekommen Versicherte Geld zurück, wenn sie das Glück haben, mindestens ein Jahr lang keinen Arzt zu brauchen. Das widerspricht der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung. Denn das Geld fehlt in der Versorgung der Kranken. Die Kassen müssen zwar nachweisen, dass die Tarife nicht von den anderen Versicherten quersubventioniert sind, sie müssen sich also selbst tragen. In diesem Nachweis waren die Kassen aber sehr erfinderisch. Sie können über die zu erwartende Änderung der Versichertenstruktur, dass sie also durch diese Tarife mehr Gesunde versichern werden und damit weniger Geld ausgeben müssen, diesen Nachweis führen. Krankenkassen sollen aber für Kranke da sein, nicht für Gesunde. Im Endeffekt fehlt also trotzdem das Geld. Das wird nun geändert, und das ist gut so. Das reicht aber nicht aus, dass wir diesem Gesetzentwurf zustimmen könnten. Da müsste sich in der parlamentarischen Beratung noch viel ändern und da fehlt mir der Glaube. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Strafzinsen von 5 Prozent pro Monat oder 60 Prozent pro Jahr für freiwillig Versicherte und zuvor Nichtversicherte haben nach der Analyse der Koalition „das Problem der Beitragsrückstände eher verschärft“. Welch eine Erkenntnis sechs Jahre nach ihrer Einführung! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen Sie die Wucherzinsen der Krankenkassen auf rückständige Beiträge also abschaffen. Das ist das Gute an Ihrem Entwurf. Alles andere gehört in die Tonne bzw. deutlich nachgebessert. Denn Sie suchen weder nach einer Lösung für die Beitragsschulden – für bisherige und künftige –, noch kümmern Sie sich um die angesammelten Zinsschulden. Ein Leichtes wäre es, für die Beitragsschulden eine Regelung aus der PKV zu übernehmen, wie es der vorliegende SPD-Antrag fordert. Danach müssten die Versicherten die Beiträge rückwirkend nur für die ersten sechs Monate zahlen, ab dem siebten Monat nur noch jeweils ein Sechstel des Monatsbeitrags. Offensichtlich haben Sie aber kein Interesse daran, eine gelungene Regelung auch einmal vom PKV-System ins GKV-System zu übertragen, sondern nur umgekehrt. Ich kann Ihnen sagen: Viel häufiger werden Sie die Möglichkeit nicht haben, denn viele gelungene Regeln gibt es im PKV-System nicht. Die Forderungen im SPD-Antrag sind zu ergänzen um eine angemessene Regelung für die angesammelten Schulden aus Beiträgen und Zinsen. Das sollte man nicht dem Gutdünken der Krankenkassen überlassen. Ein neuer Notlagentarif der PKV soll die Zahlungsmoral der Versicherten erhöhen und die Versicherungsunternehmen finanziell entlasten. Auch hier denken Sie weder an die Versicherten noch nachhaltig. Denn wenn keine Altersrückstellungen mehr aufgebaut und sogar die bisher angesparten Altersrückstellungen im Notlagentarif abgeschmolzen werden, dann schaffen Sie ein neues Problem. Die Altersrückstellungen reichen schon heute nicht aus, Prämiensteigerungen im Alter zu vermeiden. Das Versprechen einer „demografieresistenten PKV“ ist nichts als ein Luftschloss. Das System der Altersrückstellungen versagt bereits heute; also wird sich deren Abschmelzung für die betroffenen Versicherten dramatisch auswirken. Sie geraten in einen Teufelskreis; am Ende sind sie womöglich auf Jahre gefangen in einem Notlagentarif, in dem nur die Notfälle bezahlt werden – das sind dann amerikanische Verhältnisse. Sie nehmen also der PKV ein Finanzierungsproblem ab, nicht aber den Versicherten. Ihr selbstformuliertes Nachhaltigkeitsziel, allen Versicherten einen finanzierbaren umfassenden Leistungskatalog zu ermöglichen, verfehlen Sie auf ganzer Linie: Weder für die heutigen noch für die künftigen Beitragsschuldner haben Sie eine Lösung – für die Betroffenen ist Ihr Gesetzentwurf eine einzige Enttäuschung. Ihre Klientelpolitik für die private Versicherungsbranche toppen Sie noch durch den Ausschluss von Halteeffekten in der Kalkulation von Wahltarifen der Krankenkassen. Das würde die Attraktivität der GKV für hohe Einkommen senken. Wettbewerb also nur dort, wo er nicht zulasten der PKV geht? Auch Sie haben wohl inzwischen gemerkt, dass die PKV ohne solche Schutzzäune nicht mehr überlebensfähig ist. Wir wollen keinen Biotopschutz für die PKV, sondern eine nachhaltige und gerechte Finanzierung für alle Versicherten. Deshalb setzen wir auf die Bürgerversicherung! Ulrike Flach, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geht diese Koalition ein Thema an, das – lassen Sie mich das betonen – mittlerweile wohl über die Fraktionsgrenzen hinweg als Problem erkannt worden ist: die Beitragsschulden in der Krankenversicherung. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, und wir sind fest entschlossen, jetzt zu angemessenen Lösungen zu kommen. Die Wurzeln des Problems liegen – auch das muss man so deutlich sagen – in einer anderen Wahlperiode: Hintergrund war die grundsätzlich sinnvolle Einführung der Versicherungspflicht für Personen ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz. Ab April 2007 konnten Betroffene in der gesetzlichen Krankenversicherung nach Verlust ihres Versicherungsschutzes wieder dorthin zurückkehren. In der PKV gilt die Versicherungspflicht seit Januar 2009. Um seinerzeit zu verhindern, dass Versicherte zwar den vollen Versicherungsschutz genießen, aber keine Beiträge entrichten, wurden Regelungen getroffen, die entsprechende Anreize zur Beitragszahlung setzen sollten. Diese Regelungen haben sich teilweise als nicht zielführend erwiesen. Sie haben vielmehr dazu beigetragen, dass sich bei einem kleinen Teil der Versicherten hohe Beitragsschulden gebildet haben. Lassen Sie sich mich eines vorneweg und ganz unmissverständlich sagen: Selbstverständlich wollen wir, dass alle Versicherten ihre Beiträge zahlen – darauf ist eine Versichertengemeinschaft auch angewiesen. Und es ist nach unserer Auffassung auch sachgerecht, dass jemand, der keine Beiträge zahlt, nicht den vollen Versicherungsschutz erhält. Aber die Anreize, Beiträge zu entrichten, dürfen nicht dazu führen, dass Menschen, die sich in einer vorübergehend schwierigen finanziellen Situation befinden – denken Sie an den kleinen Selbstständigen mit unstetigen Einnahmen – Beitragsschulden aufbauen, die sie auch dann nur schwer abbauen können, wenn es ihnen finanziell wieder etwas besser geht. Anders gesagt: Die Anreize zur Beitragszahlung dürfen nicht ein Auslöser für eine Verschärfung oder gar Verstetigung der Notlage sein. Ein zentraler Aspekt im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung waren hier sicherlich die erhöhten Säumniszuschläge in Höhe von fünf Prozent. Das damit verfolgte Ziel, dass die Beiträge ordnungsgemäß gezahlt werden sollen, will ich dabei gar nicht in Abrede stellen. Aber wir müssen heute ganz klar feststellen: Dieser erheblich erhöhte Säumniszuschlag hat dieses Ziel nicht nur nicht erreicht, sondern im Gegenteil zur Verschlimmerung des Problems bei den Betroffenen geführt. Die Betroffenen können oft nur verminderte oder sogar gar keine Beiträge zahlen. Deshalb machen wir das jetzt rückgängig. Der Gesetzentwurf sieht also vor, dass für freiwillig Versicherte sowie für nachrangig Versicherungspflichtige in der gesetzlichen Krankenversicherung anstelle des auf fünf Prozent erhöhten Säumniszuschlags künftig nur noch der reguläre monatliche Säumniszuschlag in Höhe von einem Prozent des rückständigen Betrags gilt. Damit wird ein erster wesentlicher Schritt unternommen, um die finanzielle Überforderung bei Beitragsschulden in der gesetzlichen Krankenversicherung zu beseitigen. Ich gehe davon aus, dass diese Maßnahme einhellig begrüßt wird. Im Bereich der privaten Krankenversicherung galt seit Einführung der Versicherungspflicht, dass Verträge säumiger Beitragszahler ruhend gestellt bzw. auf ein Notfallniveau herabgesetzt wurden. Nach Ablauf eines Jahres wurden sie dann in den Basistarif überführt. Damit wurden säumige Beitragszahler in der Praxis jedoch nicht wirksam vor weiterer Verschuldung geschützt. Die hohen Beiträge des Basistarifs haben hier im Gegenteil zu einem schnelleren Anwachsen der Beitragsschulden geführt. Der Gesetzentwurf sieht nun die Einführung eines Notlagentarifs in der privaten Krankenversicherung vor. Beitragsschuldner in der PKV werden nach Durchführung eines gesetzlich festgelegten Mahnverfahrens in diesen Notlagentarif überführt; ihr bisheriger Versicherungsvertrag ruht währenddessen. Die Prämie im Notlagentarif wird mit vermutlich rund 100 bis 120 Euro je Versichertem deutlich niedriger ausfallen als eine durchschnittliche Prämie in einem regulären Tarif. Dabei wird für alle Versicherten im Notlagentarif eine einheitliche Prämie kalkuliert. Alterungsrückstellungen werden nicht aufgebaut. Der Versicherte wird damit seiner Beitragspflicht leichter nachkommen können und so besser vor Überforderung geschützt. Durch die Neuregelungen wird es den Versicherten zudem deutlich erleichtert, nach Zahlung aller ausstehenden Beiträge wieder in ihre ursprünglichen Tarife zurückzukehren – ohne Gesundheitsprüfung, ohne zusätzliche Risikozuschläge. Dies ist für die Betroffenen eine ganz wichtige Perspektive. Zudem wird künftig unbürokratisch und verbindlich für alle Versicherungsunternehmen festgelegt, welche Leistungen zu erbringen sind, wenn der volle Versicherungsschutz ruht. Streitfälle, wie sie heute vereinzelt auftreten, werden damit künftig ausgeschlossen. Insgesamt dürfen wir feststellen, dass wir mit den vorgeschlagenen Regelungen des Gesetzentwurfs sicherstellen, dass zukünftig jeder, der – aus welchem Grund auch immer – über einen bestimmten Zeitraum seine Beiträge nicht entrichten konnte, vor untragbarer Verschuldung geschützt wird. Bereits heute existierende Möglichkeiten zur Vereinbarung von Ratenzahlungen bei bestehenden Beitragsschulden haben sich als sinnvoll erwiesen und gelten weiter. Außerdem ist es immer wieder wichtig, darauf hinzuweisen, dass auch künftig alle Menschen in Deutschland die medizinischen Leistungen erhalten, die sie benötigen. Damit ist aber – auch das muss man offen sagen – noch nicht die schwierigere Frage beantwortet, wie sinnvollerweise mit dem Problem der Altschulden umgegangen werden soll. Daher werden wir im Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen prüfen, um das Problem bereits bestehender Beitragsschulden anzugehen. Dabei wird nach Lösungen gesucht, welche die Belange der – in unterschiedlicher Weise – betroffenen Versicherten stärker berücksichtigen, aber auch die Belange der Versichertengemeinschaften nicht außer Acht lassen. Ein radikaler und gänzlich undifferenzierter Schuldenschnitt, wie er bisweilen vorgeschlagen wird, kann meines Erachtens nicht die Lösung sein. Mit einem reinen Schuldenerlass insbesondere von ausstehenden Krankenversicherungsbeiträgen würden wir allen Bürgerinnen und Bürgern nicht gerecht, die ihre Beiträge immer rechtzeitig und ordnungsgemäß zahlen. Das Gleiche gilt aber auch gegenüber jenen, die es unter zum Teil großen persönlichen Anstrenungen geschafft haben, ausstehende Beiträge nachzuzahlen. Eine Solidargemeinschaft beruht maßgeblich auf der Bereitschaft ihrer Mitglieder, sich an die Regeln zu halten. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sorgen wir dafür, dass die Sanktionsmechanismen, die beim Regelverstoß greifen, wieder verhältnismäßig sind. Ich freue mich auf konstruktive Beratungen im Ausschuss. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz (Tagesordnungspunkt 26) Ulrich Lange (CDU/CSU): Der Schienenverkehr hat in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt eine wichtige Funktion für die gesamte Gesellschaft. Der Transport von Menschen, aber auch von Gütern ist eine wichtige Leistung für unsere Wirtschaft. Je freizügiger und großzügiger die Möglichkeiten sind, desto besser für die gesamte Gesellschaft. Für Deutschland als Exportnation ist eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur überlebensnotwendig. Maßnahmen zugunsten einer exzellenten Verkehrsinfrastruktur sind Investitionen in unsere Zukunft, weil gut ausgebaute und vernetzte Verkehrswege das Rückgrat unserer Exportwirtschaft sind. Je ungehinderter und schneller die Waren an die Zielorte gelangen können, desto günstiger ist dies für die Produzenten und desto konkurrenzfähiger ist der Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Eisenbahn als besonders umweltfreundliches Verkehrsmittel muss in die Lage versetzt werden, eine führende Rolle bei der Bewältigung der ständig wachsenden Nachfrage nach Güterfernverkehrsleistungen zu übernehmen. Bislang erfolgte die Förderung auf der Grundlage des Bundesschienenwegeausbaugesetzes, das aber nur eine Förderung der Investitionen bundeseigener Eisenbahnen vorsieht. Jetzt gehen wir einen Schritt weiter und wollen mit dem Schienengüterfernverkehrsnetzförderungsgesetz, SGFFG, die Förderung des Bundes auf die nicht bundeseigenen Schienenwege ausdehnen. Aus meiner Sicht ist dieser Schritt dringend notwendig. Der Gesetzentwurf dient der Ermächtigung des Bundes, Investitionen in Ersatz der Schienenwege der öffentlichen NE-Bahnen zu fördern. Der Bund verschafft sich damit die Möglichkeit, Redundanzen für den Schienengüterfernverkehr zu schaffen und den Verkehrsnutzen der Schieneninfrastruktur der Eisenbahnen des Bundes zu verstärken. Da dem Schienenfernverkehr nur mit leistungsfähigen Schienenwegen gedient ist, werden im Gesetzentwurf Mindestvoraussetzungen festgelegt. Der Bund gewährt auf Antrag Zuwendungen auf der Basis von Zuwendungsbescheiden nach dem Zuwendungsrecht des Bundes. Bewilligungsbehörde ist das Eisenbahn-Bundesamt, EBA. Fördergrundlage ist das Gesetz; es wird keine Verordnung oder Förderrichtlinie unterlegt. Wie läuft die Förderung ab? Der Bund gewährt nicht rückzahlbare Baukostenzuschüsse in Höhe von 50 Prozent der jeweiligen per Zuwendungsbescheid genehmigten Investitionssumme. Der Bund finanziert ebenfalls anteilig mit 50 Prozent die zuwendungsfähigen Planungskosten, sofern die gesamten Planungskosten 13 Prozent an der Gesamtinvestitionssumme nicht übersteigen. Die Finanzierung erfolgt mit nicht rückzahlbaren Baukostenzuschüssen als Anteilfinanzierung im Wege der Projektförderung. Der Zuwendungsempfänger muss nachweisen, das vollständige Eigentum an den geförderten Anlagen zu halten. Ich gebe zu, ich hätte mir noch eine weitergehende Förderung gewünscht, aber wir sind ja erst am Anfang dieses Gesetzgebungsverfahrens, und ich habe die Hoffnung, dass im Rahmen der anstehenden parlamentarischen Beratungen eine intensive Prüfung der einzelnen Modalitäten erfolgt und an der einen oder anderen Stellschraube gedreht wird, auch um die Umsetzung der Förderung für die NE-Bahnen praktikabler zu machen. Jetzt möchte ich die Opposition dazu auffordern, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen, damit die NE-Bahnen ertüchtigt werden und in das Gesamtnetz des Schienengüterverkehrs integriert werden können. Martin Burkert (SPD): Ungewöhnlich aber wahr: An erster Stelle hätte ich ein Lob an die Bundesregierung und den eingebrachten Gesetzentwurf zur „Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz“ ausgesprochen, wenn die 25 Millionen Euro nicht an anderer Stelle der Schiene entzogen worden wären. Ein Lob habe ich aber für die Erkenntnis, dass die Schiene das umweltfreundlichste Verkehrsmittel ist und nun auch eine erste, kleine Anerkennung im Handeln der aktuellen Bundesregierung gefunden hat. Gerade der Schienengüterverkehr ist gelebte Elektromobilität – heute schon. Deswegen sind die bereitgestellten 25 Millionen Euro für die Förderung von nicht bundeseigenen Eisenbahnen für den Schienengüterfernverkehr ein richtiger und wichtiger Ansatz. Mit den im Gesetzentwurf festgeschriebenen Verpflichtungsermächtigungen für die Jahre ab 2014 wird auch für eine Kontinuität in der Förderung gesorgt. Das ist ein wichtiger Schritt, um den Schienengüterverkehr zu stärken. Die Bundesregierung trägt mit der Mittelbereitstellung für nicht bundeseigene Infrastrukturen im Bundeshaushalt auch ansatzweise der Tatsache Rechnung, dass sowohl der Personenverkehr als auch der Güterverkehr in den nächsten Jahren massiv steigen wird. Verkehrswissenschaftler gehen davon aus, dass beim Schienengüterverkehr mit einer Steigerung der Verkehrsleistung von 65 Prozent zu rechnen ist. Gerade der Containerumschlag an den deutschen Seehäfen wird massive Steigerungsraten zu verzeichnen -haben. Denken Sie nur an den weltweit größten See-hafenbahnhof Hamburg oder an den JadeWeserPort Wilhelmshaven. Wenn die neue Containerschiffsklasse mit rund 18 000 Containern Fracht die Häfen anlaufen, ist eines klar: In Deutschland brauchen wir für den Abtransport von Gütern aus den Häfen eine gut funktionierende und für die Zukunft gerüstete Schieneninfrastruktur. Dazu gehören auch die Strecken, die von nicht bundeseigenen Eisenbahnunternehmen betrieben werden. Diese bewirtschaften inzwischen mehr als 10 Prozent aller deutschen Schienenwege, was einer Streckenlänge von rund 4 000 Kilometern entspricht. Circa 65 Prozent dieser Strecken werden ausschließlich vom Güterverkehr genutzt. Wie man sehen kann, ist dies kein unbedeutender Teil für den Schienengüterverkehr. Im Gesetzentwurf selbst wird angeführt, dass rund 200 Unternehmen als mögliche Zuwendungsempfänger in Betracht gezogen werden können. Dies verdeutlicht nicht nur, dass in Deutschland der Wettbewerb auf der Schiene funktioniert, sondern auch, dass von dem Gesetzentwurf zur Förderung der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen für den Schienengüterfernverkehr ein breites Spektrum an Unternehmen profitieren kann; denn eines muss uns bewusst sein: Eisenbahnin-frastrukturunternehmen leisten einen wesentlichen Beitrag zum Funktionieren ganzer Wirtschaftsräume. Ich möchte dies konkret an einem Beispiel verdeut-lichen. In Oberfranken gibt es eine Firma, die Walzdraht herstellt. Dieser wird über den Streckenabschnitt Strullendorf–Schlüsselfeld dem Netz der Deutschen Bahn AG, DB AG, zugeführt. Der besagte Streckenabschnitt ist seit 2007 von der DB-AG-Tochter DB NETZ an einen privaten Infrastrukturbetreiber verpachtet. Der Zustand der circa 32 Kilometer langen Strecke ist jedoch sehr bedenklich. Nicht zuletzt zeigt sich dies darin, dass die Strecke seit Monaten gesperrt ist und der komplette Güterverkehr von der umweltfreundlichen Schiene auf die Straße verlagert wurde. Es fehlte an der finanziellen Unterstützung, um die nötige Instandhaltung zu gewährleisten. Bereits seit dem Jahr 2010 habe ich versucht, durch Gespräche mit allen Beteiligten, sei es mit der betroffenen Firma, dem Landkreis, dem Freistaat Bayern oder dem Bund, namentlich dem Bundesverkehrsministerium, eine Lösung dieser Problematik herbeizuführen. Nun bin ich persönlich froh, dass mit dem vorliegenden Gesetz ein Baukostenzuschuss in Höhe von 50 Prozent gewährleistet werden kann. Jedoch halte ich die in § 1 Abs. 4 angeführten Kriterien in der Gesamtheit noch für diskutierenswert. Die Regelgeschwindigkeit von 40 Stundenkilometern schließt von vornherein viele nicht bundeseigenen Infrastrukturbetreiber aus. So fallen zum Beispiel Häfen und Rangierbahnhöfe weg. Gerade diese Abschnitte von Güterverkehrsketten sind extrem wichtig, und die Instandhaltung dieser Infrastrukturen ist essenziell. Auch die durchgängig zulässige Radsatzlast von 22,5 Tonnen, Streckenklasse D 4, schließt viele Strecken aus. Vielmehr sollte dies als Zielvorgabe gelten. Gerade für regionale Wirtschaftszentren ist das ein verheerendes Zeichen und gegen das Prinzip „mehr Güter auf die Schiene“, das auch immer wieder von der Bundesregierung angeführt wird. Das Kriterium: „auf denen in den letzten drei Jahren vor Antragstellung Schienengüterfernverkehr stattgefunden hat“ ist kritisch zu bewerten. Dadurch werden neu gegründete Eisenbahnverkehrs-unternehmen benachteiligt, und der Anreiz, Güter auf die Schiene zu verlagern, wird klar unterbunden. Welche Bedeutung die in § 1 Abs. 3 angeführte Definition von Schienengüterfernverkehr hat, wird sich noch zeigen müssen. Zu überlegen ist grundsätzlich, ob eine solche Klassifizierung überhaupt sinnhaft ist. Ich begrüße es sehr, dass in dem uns vorliegenden Gesetzentwurf nach der Verbandsanhörung und Stellungnahme des Bundesrates aus dem ursprünglichen -Gesetzentwurf das Förderkriterium über das unbelastete Eigentum der nicht bundeseigenen Eisenbahnen weggefallen ist. Mit dem Eisenbahn-Bundesamt wurde auch die richtige Behörde zur Prüfung der Förderfähigkeit von -Schienenwegen der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen für den Schienengüterfernverkehr gewählt. Jedoch muss eines deutlich werden: Nur wenn das Eisenbahn-Bundesamt mehr Personal bekommt, kann es seine vom Gesetzgeber definierten Aufgaben umfänglich leisten. Aus diesem Grund appelliere ich an die Bundesregierung, das Eisenbahn-Bundesamt mit genügend Personal auszustatten, damit alle Aufgaben durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geleistet werden können. Nicht zuletzt wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Tatsache Rechnung getragen, dass die DB AG bis heute Eigentümerin eines Großteils der nicht bundeseigenen Güterverkehrsstrecken ist und damit der Bund seiner grundsätzlichen Verantwortung zur Gewährleistung des Eisenbahnnetzes nachkommt. Die SPD Bundestagsfraktion bewertet das Gesetz als einen positiven Ansatz, jedoch wollen wir im weiteren parlamentarischen Verfahren Nachbesserungen erreichen. Werner Simmling (FDP): Ein weiteres verkehrspolitisches Projekt dieser Koalition ist auf den Weg gebracht: Der Verkehrsträger Schiene wird weiter gestärkt; denn mit diesem Gesetzentwurf wird endlich der rechtliche Rahmen geschaffen, um die Finanzierung für den Erhalt von nicht bundeseigener öffentlicher Eisenbahninfrastruktur zu ermöglichen. Die Einbindung einer sicheren und nutzungsfähigen Schieneninfrastruktur der nicht bundeseigenen Güterbahnen in das gesamte Schienengüterverkehrsnetz ist unser Ziel. Hiermit wird ein zusätzlicher infrastruktureller Baustein gelegt, um den bedeutsamen volkswirtschaftlichen und ökologischen Schienengüterverkehr zu stärken; denn es ist in manchen Fällen sinnvoller, ein Teilstück privater Schienenstrecken zu ertüchtigen, um einen positiven Effekt im Gesamtnetz zu bewirken, als mit sehr viel mehr Aufwand zusätzliche Bundesschienenwege zu schaffen. Es geht dabei vor allem um Ergänzung und Lückenschlüsse im Gesamtnetz. Dieses Gesetz berücksichtigt die technischen Erfordernisse an ein modernes, belastbares Schienengüterverkehrsnetz ebenso wie es die Besonderheiten der nicht bundeseigenen Eisenbahnen für den Schienengüterverkehr in Deutschland beachtet. So wird klar definiert, dass förderungswürdige Schienenwege den Belastungen des Güterverkehrs mit einer Radlast von 22,5 Tonnen und einem Fahrzeuggewicht je Längeneinheit von 8 Tonnen pro Meter standhalten müssen. Schienenstrecken, die mit einer zugelassenen Streckengeschwindigkeit von mindestens 40 Kilometern pro Stunde befahren werden können, sind ebenso förderungswürdig. Hiermit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass bestimmte Strecken von nicht bundeseigenen Eisenbahnen aufgrund der vorhandenen Leit- und Sicherungstechnik oder aufgrund der bestehenden Trassierungsparameter nur mit geringer Geschwindigkeit befahren werden können. Das Gesetz regelt, dass die zur Verfügung gestellten Mittel für das Streckennetz der nicht bundeseigenen Güterbahnen zweckgebunden verwendet werden sollen. Außerdem ist vorgegeben, dass Bahnstrecken auch von anderen Schienenverkehren genutzt werden. Der Gesetzentwurf soll damit letztlich auch den Wettbewerb auf der Schiene stärken. Die im Rahmen dieses Gesetzes zur Verfügung stehenden Bundesmittel leisten somit insgesamt einen Beitrag zum Erhalt und zur Erneuerung des gesamten Schienenverkehrsnetzes. Der Verkehrsträger Schiene wird damit weiter in seiner Bedeutung für eine deutschlandweite leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur gestärkt. Wir Liberale unterstützen insgesamt diesen Gesetzentwurf; denn er stärkt die infrastrukturellen Rahmenbedingungen für den Wettbewerb im Schienengüterverkehr ohne die Erfordernisse an ein sicheres und modernes Schienennetz zu vernachlässigen. Wir freuen uns auf die hoffentlich konstruktiven Beratungen in den Ausschüssen. Sabine Leidig (DIE LINKE): Es gibt in Deutschland nicht nur 33 505 Kilometer Bahnnetz der DB AG, sondern es gibt auch viele kleinere Bahnen, die zusammengenommen so klein nicht sind: Mit immerhin 4 300 Kilometern machen sie gut 11 Prozent des gesamten Netzes aus. Die Verkehrsleistung, die diese Bahnen erbringen, hat in den letzten Jahren erfreulicherweise stark zugenommen. Anders als die DB AG erhalten diese Bahnen jedoch bislang kein Geld aus Bundesmitteln für Investitionen in ihre Strecken, obwohl viele von ihnen eine wichtige Rolle insbesondere für den Schienengüterverkehr spielen. Wir alle wissen: Es muss mehr Verkehr von der Straße und aus der Luft auf die Schiene verlagert werden, und dafür muss unser Bahnnetz an vielen Stellen ausgebaut werden. Gerade die nicht bundeseigenen Bahnen könnten wichtige zusätzliche Trassen bieten. Daher ist es aus Sicht der Bundestagsfraktion Die Linke überfällig, diesen Bahnen ebenfalls Mittel für Ersatzinvestitionen in ihre Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Diese Gelder können dabei helfen, Bahnkapazität auszubauen und damit mehr Güter- und teilweise auch mehr Personenverkehr abzuwickeln. Dies kann aus unserer Sicht aber nur ein kleiner Schritt beim Ausbau der Bahn für einen zukünftig wachsenden Bahnverkehr sein: An vielen Stellen im deutschen Bahnnetz gibt es schon jetzt erhebliche Engpässe. Diese führen dazu, dass die Verlagerung von Verkehr auf die Schiene überhaupt nicht in dem Maße möglich ist, wie wir uns dies wünschen würden. Zu diesen Kapazitätsengpässen haben beispielsweise Streckenstilllegungen und der Abbau von Überholgleisen beigetragen, die ganz besonders in Hinblick auf den geplanten Bahn-Börsengang vorangetrieben worden sind. Seit der Bahnreform 1994 sind fast 7 000 km Bahnstrecken stillgelegt worden, und dies, obwohl wir alle wissen, dass wir die Bahn für einen nachhaltigen Verkehr der Zukunft verstärkt brauchen. Hier müssen also viele Fehler aus der Vergangenheit wieder gutgemacht werden. Oft sind es eher kleine Maßnahmen wie ein zusätzliches Überholgleis oder ein neues Stellwerk, die im Bahnbetrieb tatsächlich einen großen Nutzen entfalten könnten, die aber nur schleppend umgesetzt werden. Oder es könnten stillgelegte Strecken mit einem vertretbaren Aufwand reaktiviert werden, und Unternehmen könnten ihre Gleisanschlüsse zurückerhalten, die die DB AG ihnen in den letzten Jahren gekappt hat. Stattdessen werden aber immer wieder milliardenteure Neubaustrecken geplant und gebaut, die oft einen sehr zweifelhaften Nutzen haben. Ich erinnere nur an die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm oder die Neubaustrecke durch den Thüringer Wald. Diese Schnellstrecken dienen nur einem kleinen Teil der Reisenden und sind für den Güterverkehr meist sogar komplett nutzlos, auch wenn in den Nutzen-Kosten-Berechnungen immer wieder angenommen wird, dass diese Strecken auch vom Güterverkehr genutzt würden, was dann jedoch nicht geschieht. Andere, viel wichtigere Ausbauprojekte wie die Rheinschiene kommen stattdessen nur langsam voran, obwohl sie tatsächlich die Netzkapazitäten an entscheidenden Punkten erhöhen und nicht zuletzt auch Entlastungen für die Anwohnerinnen und Anwohner schaffen würden. Außerdem muss auch der Rückzug der Bahn aus dem Güterverkehr auf kurzen und mittleren Entfernungen – unter 300 Kilometer – und aus dem Einzelwagenverkehr rückgängig gemacht werden. Mit der Fokussierung der DB AG auf Ganzzüge über große Entfernungen überlässt die Bahn ganze Transportsegmente dem Straßengüterverkehr. Stattdessen muss das Gegenteil passieren: Die Bahn muss auch auf kurzen Entfernungen und für kleinere Einheiten wieder ein attraktives Angebot bieten, nur so kann deutlich mehr Verkehr auf die Bahn kommen. In diesem Sinne sollten wir mehr Geld in die Schieneninfrastruktur investieren, sowohl in die NE-Bahnen als auch in das bundeseigene Netz. Diese Investitionen müssen aber sinnvoll sein und sich nicht nur an der Maxime „schneller, höher, weiter“ orientieren. Außerdem muss der Lärmschutz für die Anwohnerinnen und Anwohner dabei eine zentrale Rolle spielen. Wenn wir unseren Verkehr klima- und sozialverträglich umgestalten wollen, dann brauchen wir mehr Bahn und weniger Straße und ganz besonders weniger Flugverkehr. Dafür müssen wir jetzt die richtigen Investitionsentscheidungen treffen, und die stärkere Förderung der NE-Bahnen ist dazu immerhin ein erster Schritt, dem weitere folgen sollten. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem neuen Gesetz erkennt die Bundesregierung die sich wandelnden Verhältnisse im Schienengüterverkehr endlich an: In den letzten 15 Jahren haben sich die Wettbewerber der Deutschen Bahn ein Viertel des Marktes erobert. Sie haben die Krise von 2009 deutlich besser gemeistert als der frühere Monopolist, und sie sorgen mit dem Wettbewerb für bessere Angebote. Auch mit den nicht bundeseigenen Bahnen sind Akteure vorhanden, die ganz wesentlich zur Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene beitragen. Deswegen ist es konsequent, diese wichtigen Akteure des Gütertransports beim Bau und Erhalt ihrer Infrastruktur zu unterstützen. Auch die nicht bundeseigenen Bahnen können mit einem Ausbau ihrer Infrastrukturen Lücken im Schienennetz der bundeseigenen DB Netz AG schließen und die Gesamtkapazität für den Gütertransport auf der Schiene in Deutschland wesentlich steigern. Wir Grüne begrüßen deswegen grundsätzlich dieses Gesetz. Die Bundesregierung erfüllt damit eine langjährige Forderung der Grünen, auch wenn die Mittel für die notwendigen Maßnahmen zu gering sind. Die vorgesehenen 25 Millionen Euro müssten nach unserer Auffassung verdoppelt werden. Neben der rein finanziellen Frage kommt es jedoch vor allem darauf an, die Mittel so einzusetzen, dass sie möglichst große Wirkung entfalten. Die Nutzung der Gleise und Anlagen der nicht bundeseigenen Eisenbahnen muss sich in ein schlüssiges Gesamtkonzept einfügen. Bei der Mittelvergabe muss darauf geachtet werden, dass nicht einfach der Erste das Geld bekommt und losbauen darf. Wir brauchen vernünftige Kriterien, nach denen die Mittel vergeben werden. Wer den größten Effekt für das Gesamtnetz erzielen kann, soll vorrangig bauen können. Ich bin jedoch skeptisch, ob diese Bundesregierung das leisten kann. Dazu werden einfach noch immer zu viele Straßen oder Schienenstrecken mit sehr fragwürdigem Nutzen bevorzugt behandelt. Mittel fließen viel zu oft dorthin, wo der Einfluss von Lobbys oder cleveren Bürgermeistern, Landräten und Bundestagsabgeordneten am stärksten ist. Die laufende Debatte um einen neuen Bundesverkehrswegeplan zeigt uns, dass hier vieles im Argen liegt. So wie bisher kommen wir nicht weiter. Die große Arbeit an einem zukunftsfähigen Gesamtverkehrsnetz liegt noch vor uns: Wir müssen endlich umdenken und dürfen nicht mehr nur in einzelnen Maßnahmen denken. Wir brauchen einen vernünftigen Ansatz, wie Menschen und Güter mobil bleiben können. Deswegen brauchen wir einen Bundesmobilitätsplan, der unsere Investitionen in die Zukunft des Verkehrs zusammen betrachtet. Es geht nicht darum, wie viele Kilometer Schiene oder Straße wir haben, sondern wie sich die unterschiedlichen Verkehrsträger gegenseitig sinnvoll ergänzen. Hier fügen sich auch die Mittel ein, über die wir heute sprechen – auch wenn sie gering im Vergleich zu vielen anderen Investitionsmaßnahmen erscheinen. Denn es kommt nicht auf die Größe einer Maßnahme an, sondern auf die Wirkung, die wir mit ihr insgesamt erzielen können. Die Vorarbeiten für einen neuen Bundesverkehrswegeplan machen mich eher skeptisch im Hinblick darauf, ob es hier wirklich zum notwendigen Umschwenken kommt. Im Gesetzentwurf ist leider nicht erkennbar, dass die Bundesregierung einen Zusammenhang erkennt zwischen den vielen verschiedenen Investitionen, mit denen wir den Verkehr der Zukunft steuern wollen. Deswegen laufen wir Gefahr, dass die Mittel – zumindest ein Teil – nicht die Wirkung entfalten, die möglich wäre. Dazu brauchen wir ein Umdenken bei der Bundesregierung – oder besser gleich eine neue Bundesregierung. Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Die Nachfrage nach Güterverkehrsleistungen in Deutschland und Europa wächst stetig an. Um diesem Wachstum zu begegnen, benötigen wir in Deutschland einen leistungsfähigen Verkehrsträger Schiene. Daher bedarf die Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Verkehrsträgers Schiene eines besonderen Augenmerks. Um die Leistungsfähigkeit des Verkehrsträgers Schiene im Schienengüterfernverkehr zu steigern, müssen auch die öffentlichen nicht bundeseigenen Schienenwege gestärkt und in das Schienengüterfernverkehrsnetz eingebunden werden. Deswegen legen wir Ihnen heute den Entwurf eines Gesetzes über die Bundesförderung der Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen im Schienengüterfernverkehrsnetz vor. Mit diesem Gesetzentwurf wird die Vereinbarung im Koalitionsvertrag umgesetzt, die rechtlichen Voraussetzungen für die Finanzierung nicht bundeseigener Eisenbahninfrastruktur für die Einbindung in das Schienengüterfernverkehrsnetz zu schaffen. Dieses Gesetz zählt sicherlich zu den wichtigen Gesetzgebungsvorhaben im Verkehrssektor in dieser Legislaturperiode; wir schaffen damit eine gesetzliche Regelung über die Förderung von Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen durch den Bund. Bislang fördert der Bund die Schienenwege auf der Grundlage des Bundesschienenwegeausbaugesetzes. Das Bundesschienenwegeausbaugesetz begrenzt die Förderung auf die Schienenwege der bundeseigenen Eisenbahnen. Mit dem Gesetzentwurf wird der Bund ermächtigt, Investitionen in den Ersatz der Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen zu fördern, die dem Schienengüterfernverkehr dienen. Dabei ist die Nutzung der entsprechenden Schienenwege durch den Personenverkehr oder durch den Schienengüternahverkehr nicht ausgeschlossen. Bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs ließ sich die Bundesregierung von der Erkenntnis leiten, auf den Anstieg der weiter anwachsenden Nachfrage nach Güterfernverkehrsleistungen in Deutschland und Europa umweltgerecht reagieren zu müssen, die öffentlichen nicht bundeseigenen Schienenwege zu stärken und sie langfristig für den Schienengüterfernverkehr zu sichern. Dabei stand der Netzgedanke Pate. Die Verkehrsnutzen der Schieneninfrastruktur der Eisenbahnen des Bundes und der nicht bundeseigenen Eisenbahnen lassen sich damit insgesamt steigern. Der Netzgedanke setzt voraus, dass die Schienenwege der nicht bundeseigenen Eisenbahnen, die zur Förderung anstehen, bestimmte Leistungsparameter aufweisen. Orientiert hat sich die Bundesregierung dabei sowohl an den Leistungsparametern, die die Schienenwege der bundeseigenen Eisenbahnen im Kernschienenwegenetz erfüllen, als auch an den Leistungsparametern der im Zulauf zu den Hauptkorridoren für den Schienengüterfernverkehr genutzten Schienenwege. Dort, wo die vorhandenen Schienenwege der öffentlichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen sinnvoll und dauerhaft das bestehende Netz der Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes durch die Sicherstellung von Redundanzen ergänzen, die Beförderung über den gesamten Transportweg sicherstellen und dabei helfen, den Standardschienengüterfernverkehr in Deutschland zu verbessern, ergeben sich für den Bund auch Einsparpotenziale. Vorschläge der Länder zu dem Gesetzentwurf haben wir weitestgehend übernommen. So legen wir heute einen Gesetzentwurf zur Förderung von Investitionen in die öffentlichen nicht bundeseigenen Schienenwege vor, der ein wesentlicher Beitrag der Bundesregierung ist, die Verlagerung von Güterfernverkehrsleistungen von der Straße auf die Schiene zu ermöglichen. Der Gesetzentwurf sieht vor, bei der Förderung auf das bewährte Zuwendungsrecht des Bundes zurückzugreifen. Das heißt, die Eisenbahnunternehmen sind gehalten, Anträge zu stellen, um Zuwendungen des Bundes zu erlangen. Das Eisenbahn-Bundesamt als Bewilligungsbehörde prüft die Anträge und erstellt die Zuwendungsbescheide. Die Bundesregierung hat sich bemüht, das Gesetz so einfach wie möglich zu gestalten. Auf diese Weise sind eine Förderrichtlinie oder eine Verordnung entbehrlich. Der Gesetzentwurf sieht vor, dem Zuwendungsempfänger nicht rückzahlbare Baukostenzuschüsse zu gewähren. Um das Eigeninteresse der Zuwendungsempfänger zu stärken, finanziert der Bund anteilig 50 Prozent der jeweiligen per Zuwendungsbescheid genehmigten Investitionssumme. Auch für die zuwendungsfähigen Planungskosten ist die Anteilsförderung in Höhe von 50 Prozent vorgesehen, soweit die gesamten Planungskosten 13 Prozent der Gesamtinvestitionssumme nicht übersteigen. Mit dem Gesetzentwurf beschreitet die Bundesregierung ein neues Fördergebiet, das bislang in erster Linie den Ländern und den Kommunen vorbehalten ist. Die für den Bund vollständig neue Aufgabe muss er mit zusätzlichem Personal bewältigen. Vorgesehen ist daher, das notwendige zusätzliche Personal über Gebührenerhebung zu finanzieren. Auch hier lässt sich die Bundesregierung von dem Ziel leiten, effiziente Strukturen zu schaffen und nur dort die freiwillige Förderung des Bundes einzusetzen, wo Eigeninitiative und der Wille zum eigenen Mitteleinsatz vorhanden sind. Ich glaube, wir haben heute einen guten Entwurf vorgelegt, und ich freue mich auf zügige parlamentarische Beratungen. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung: Neunzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2010/2011 (Zusatztagesordnungspunkt 6) Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Genau heute vor sechs Monaten, also vor einem halben Jahr, am 18. Oktober 2012, stand ich an dieser Stelle, um anlässlich der dritten Lesung der 8. GWB-Novelle die Vorzüge der neuen GWB-Novelle vorzustellen. Wie Sie wissen, sind diese Maßnahmen bis heute nicht in Kraft getreten, weil sich der Vermittlungsausschuss auf Betreiben von SPD und Grünen auf einem Nebenkriegsschauplatz, nämlich bei der Frage der Anwendbarkeit des GWB auf die Krankenkassen, nicht mit uns einigen will. Die Formulierung „Nebenkriegsschauplatz“ ist bewusst gewählt. Nebenkriegsschauplatz, weil der Gesetzentwurf der Bundesregierung bereits im parlamentarischen Verfahren deutlich nachgebessert wurde. Dies, um der Tatsache Rechnung zu tragen: Krankenkassen sind keine auf Gewinn und Aktionärsdividende zielenden, privatwirtschaftlichen Unternehmen, sondern haben zum Auftrag, eine qualitativ hochwertige, bezahlbare und patientenorientierte Gesundheitsversorgung flächendeckend zu garantieren. Dafür sind die gesetzlichen Krankenkassen auf Kooperationen untereinander angewiesen, auch um Kosten zu sparen und Doppelstrukturen zu vermeiden. Dies würden die strengen grundsätzlichen Regeln des GWB so nicht zulassen. In dem vom Bundestag verabschiedeten Gesetz hatten wir deshalb auf Betreiben der CSU klargestellt, dass die Kartellbehörden bei der Anwendung der Vorschriften des GWB den im SGB V verankerten, besonderen Versorgungsauftrag der Kassen zwingend berücksichtigen müssen. Den gesetzlichen Krankenkassen ist die Möglichkeit zur Zusammenarbeit nach der hier gefundenen Formulierung ausdrücklich eingeräumt. Seit heute ist das Wort „Nebenkriegsschauplatz“ aber noch mehr gerechtfertigt, weil wir uns ganz aktuell bei einer Sitzung der informellen Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses bereit erklärt haben, auf Kartellverbote und Missbrauchsaufsicht bei Krankenkassen zu verzichten und lediglich Fusionen der Kontrolle durch das Kartellamt zu unterwerfen. Als CSU-Abgeordneter räume ich noch einmal klar ein, dass auch ich Bedenken hinsichtlich der Anwendung von Kartellrecht auf Krankenkassen habe. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass nach dem extrem weitgehenden Entgegenkommen der Koalition jetzt eine Formulierung gefunden werden muss, die allen Interessen Rechnung trägt. Wir dürfen das Gesetz nicht an Prinzipienreiterei scheitern lassen. Dann tun sich nämlich ganz andere Hauptkriegsschauplätze auf: Nur ein paar Beispiele: Das bis zum 31. Dezember 2012 befristete Verbot des, auch nur gelegentlichen, Verkaufs von Lebensmitteln unter Einstandspreis in § 20 Abs. 4 Satz 2 Nummer 1 GWB ist derzeit aufgehoben. Dieses Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis, also der Verkauf mit einkalkuliertem Verlust, stellt sicher, dass ein Verramschen der Waren verhindert wird und kleinere und mittlere Einzelhändler nicht durch marktstarke Händler schutzlos verdrängt werden. In dem Zusammenhang bin ich übrigens im Gegensatz zur Monopolkommission genau wie die Bundesregierung der Auffassung, dass aus der geringen Zahl von eingeleiteten Unter-Einstandspreis-Verfahren nicht geschlossen werden kann, dass die Norm in der Praxis keine Bedeutung habe. Vielmehr hat die Regelung eine starke präventive Vorfeldwirkung und schreckt potenziell in Versuchung kommende Unternehmen von vorne-herein davon ab. Auch die bis zum 31. Dezember 2012 befristete Ausweitung des Schutzbereichs des § 20 Abs. 3 GWB, Verbot des Gewährens von Vorteilen, greift wegen des Streits im Vermittlungsausschuss derzeit nicht. Nach der beschlossenen Novelle soll diese Regelung entfristet werden. Die Schlussfolgerung der Monopolkommission, „dass zwar die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel zugenommen hat, ein spürbares Nachlassen der Wettbewerbsintensität auf der Handelsstufe aber nicht festzustellen ist“, scheint mir mindestens diskussionswürdig. Um hier eine bessere Balance zwischen Handel und Hersteller zu schaffen, haben wir das sogenannte Anzapfverbot in der 8. GWB-Novelle auch auf große Herstellerunternehmen ausgeweitet. Mit „Anzapfen“ gemeint ist ein Verhalten, bei dem ein marktstarker Händler seine Marktmacht ausnutzt, um von seinen Lieferanten Leistungen zu fordern, die sachlich nicht gerechtfertigt sind, also beispielsweise ungewöhnliche Boni. Selbstverständlich kann auch ein „großer“ Hersteller vom Handel „angezapft“ werden, nicht nur kleine und mittlere. Deswegen soll dieses für die Nachfrageseite geltende Anzapfverbot nun auch gegenüber den großen Herstellerfirmen gelten. Ebenfalls nicht in Kraft: das Verbot der Preis-Kosten-Schere im Mineralölbereich. Mit der 8. GWB-Novelle wollen wir das Verbot von Preis-Kosten-Scheren in dem § 20 Abs. 4 Satz 2 Nummer 3 GWB in Dauerrecht überführen. Auch diese Regelung war bis Ende 2012 befristet. Damit wollen wir sicherstellen, dass große Mineralölkonzerne mit eigenen Raffinerien den Sprit nicht den eigenen Tankstellen zu einem niedrigeren Preis verkaufen als an die anderen Tankstellen. Die mittelständische Mineralölindustrie und die frei-en Tankstellen sind schon sehr beunruhigt über die Blockade der GWB-Novelle im Vermittlungsausschuss. Wie mir von dort berichtet wird, seien im März 2013 „im Zuge erheblicher Preiskämpfe im Kraftstoffmarkt vermehrt Preis-Kosten-Scheren feststellbar gewesen“. Und dem Kartellamt sind die Hände gebunden, weil ihm schlicht die Rechtsgrundlage fehlt. Ein unhaltbarer Zustand! Auch bei einer Reihe von Missbrauchsfällen in der Energiebranche nach § 29 GWB darf das Kartellamt derzeit nicht einschreiten und muss einen Missbrauch sehenden Auges geschehen lassen, sofern vorliegend. Diese Möglichkeit einer spezifischen Missbrauchsaufsicht war auch Ende 2012 ausgelaufen. Auch sie wollen wir ebenfalls bis 2017 verlängern. So beklagte der Präsident des Bundeskartellamts in der FAZ vom 19. Februar 2013: „Wir können sämtliche Verfahren der Missbrauchsaufsicht über Heizstrom oder Wärmepumpen nicht mehr auf den Paragrafen 29 stützen, weil es ihn nicht mehr gibt. Dabei wäre er außerordentlich hilfreich für unsere Arbeit.“ Mit der Novelle wollen wir außerdem sicherstellen, dass die bestehenden Bußgeldvorschriften auch nach Umstrukturierungen, zum Beispiel Fusionen, Verschmelzungen, eines Unternehmens nicht ins Leere laufen. In der Praxis liegt nämlich zwischen Kartellverstoß und Bußgeldverhängung oft ein erheblicher Zeitraum. Finden in dieser Zeit Umstrukturierungen in dem Unternehmen statt, das gegen das Kartellrecht verstoßen hat, zum Beispiel die Aufspaltung in Tochterunternehmen, stellt sich in der Praxis oft die Frage, unter welchen Voraussetzungen die entstandene Haftung auf das neu organisierte Unternehmen übergeht. Um das zu vermeiden, wird das Ordnungswidrigkeitengesetz, OWiG, im Rahmen der GWB-Novelle entsprechend angepasst. Wenn das jetzt nicht kommt, gehen dem deutschen Fiskus und damit den Steuerzahlern Millionenbußen durch die Lappen. Das kann doch nicht Anliegen von SPD, Grünen und Linken sein! Ausgerechnet von Ihnen! Vor dem Hintergrund rückläufiger Auflagenzahlen erweitern wir mit dieser GWB-Novelle den Handlungsspielraum kleiner und mittlerer Presseunternehmen. Damit soll den Presseverlagen einerseits der wirtschaftlich notwendige Strukturwandel erleichtert werden, zum anderen der Erhalt einer vielfältigen und lebendigen Presselandschaft in Deutschland gewährleistet werden. Dazu erhöhen wir die pressespezifischen Aufgreifschwellen so, dass Fusionen von kleinen und sanierungsbedürftigen Verlagshäusern leichter werden. Die für den Bereich der Presse im GWB nun neu geschaffenen Instrumente der Bagatellmarktklausel, der Bagatellanschlussklausel und die Möglichkeit einer Sanierungsfusion, mit der wir nachweislich dauerhaft in roten Zahlen steckende Verlage durch Fusionen retten wollen, bevor sie ganz vom Markt verschwinden, sind gute und richtige gesetzgeberische Schritte, die Pressevielfalt vor dem Hintergrund rückläufiger Auflagenzahlen zu erhalten. Damit helfen wir Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen, den Herausforderungen der fortschreitenden Digitalisierung mit ihren für die Verlagshäuser elementaren wirtschaftlichen Auswirkungen gestärkt entgegenzutreten. Auch diese Chance vereiteln die A-Länder mit ihrer Unbeweglichkeit im Bundesrat. Nämliches gilt für den Erhalt des Presse-Grosso-Systems und damit für die Sicherung der Pressevielfalt in Deutschland. Um das bewährte System des Presse-Grosso in Deutschland zu erhalten und für die Zukunft fitzumachen, verankern wir das Presse-Grosso-System – bislang ein aus wohlüberlegten Gründen geduldetes Kartell – erstmalig im GWB. Damit garantieren wir weiterhin die Überallverfügbarkeit von allen Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland – auch im ländlichen Raum – und sichern die Presse- und Verlagsvielfalt in Deutschland durch einen ungehinderten Marktzutritt aller, auch der kleinen Verlage. Der geplante Ausstieg eines großen Verlags aus diesem System und der daraus resultierende Rechtsstreit hätten in der Folge dazu geführt, dass es in Deutschland zu einer Marktkonzentration der Großen gekommen wäre und dass die flächendeckende Auslage aller Presseerzeugnisse nicht garantiert wäre. Da die monatelangen Verhandlungen, Gespräche, Runden Tische und sonstigen Versuche der Bundestagsfraktionen, den Konflikt im Rahmen freiwilliger Vereinbarungen zu lösen, bis zum Schluss zu keiner Lösung geführt haben, muss nun der Gesetzgeber einen Rahmen zur Sicherung der Medienlandschaften in der uns bekannten Form setzen – manchmal lässt sich nur durch Wettbewerb eben nicht alles regeln. Deswegen wird der Bundesgesetzgeber nun in § 30 GWB in einem neuen Absatz 2 a klarstellen, dass sowohl die Presse-Grossisten als auch die Presse-Verlage gemäß Art. 106 Abs. 2 AEUV mit „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ betraut sind. Damit können ab sofort sowohl die die Presseverlage vertretenden Verbände (vor allem der Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger und Verband Deutscher Zeitschriftenverleger) auf der einen Seite als auch der die einzelnen Grossisten vertretende Bundesverband Presse-Grosso auf der anderen Seite auf Augenhöhe für ihre Mitgliedsunternehmen Verhandlungen führen und Branchenvereinbarungen treffen, zum Beispiel über Handelsspannen, Vergütungen oder Vertriebsgebiete. Dabei sind sie von den strengen Regelungen des Kartellrechts befreit, um ihrem grundgesetzlich intendierten Auftrag nachkommen zu können. All das ist nun gefährdet durch Kleinkrämerei von SPD und Grünen: Sie gefährden damit den Erhalt der Pressevielfalt, den Zugang kleinerer Titel und auch kleinerer Verlage zu den Lesern an den Kiosken und die flächendeckende Versorgung mit aktuellen Presseprodukten in ganz Deutschland. Klar ist auch: Dass die SPD-Bundestagsfraktion jetzt Hand in Hand mit Hamburg gesonderte Gesetzentwürfe vorgelegt hat, die die oben beschriebenen Regelungen zur Pressefusionskontrolle und zum Presse-Grosso-System aus dem Gesetzespaket herauslösen, ist ein durchsichtiges parteitaktisches Manöver, zeigt aber auch, dass sie sehr genau wissen, was sie da blockieren. Sicher wollen auch wir vonseiten der Regierungsfraktionen diese Regelungen. Der SPD geht es aber nicht um die Sache, sondern nur darum, einen Keil in die Koalition zu treiben, weil sie genau weiß, dass die Union, mindestens aber die CSU, bei der Krankenkassenthematik nicht voll auf Linie der FDP liegt. Wir lassen uns aber deswegen nicht auseinanderdividieren. Diesen Köder schlucken wir nicht! Die SPD hat es in der Hand, die Kuh im Vermittlungsausschuss vom Eis zu kriegen. Statt Versatzstücke aus der GWB-Novelle herauszubrechen und uns in Form von vordergründig gut gemeinten Gesetzentwürfen als Köder vor die Nase zu halten, sollten die Genossen lieber ihrer politischen Pflicht im Bundesrat bzw. im Vermittlungsausschuss nachkommen: nämlich das Gesetzespaket passieren zu lassen. Hören Sie auf, Ihre Verfahrensmehrheit zu instrumentalisieren! Nur sie gibt Ihnen den Zugriff auf das Gesetz. Bezeichnend ist ja, dass ausgerechnet die heutige Gesundheitssenatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz in Hamburg, Cornelia Prüfer-Storcks, zentrale Kraft beim Widerstand im Vermittlungsausschuss, besonders gegen die Passagen zu den Krankenkassen ist. Frau Prüfer-Storcks war vorher Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! So möchte ich an dieser Stelle an die Bundesminister Dr. Rösler und Bahr von der FDP und an die beteiligten Länder appellieren, mit allen Kräften eine Lösung zu erwirken. Noch einmal: Dazu liegt unser Kompromissvorschlag vor, der vorsieht, dass das Kartellverbot und das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung auf das Verhalten der Krankenkassen untereinander und zu den Versicherten keine Anwendung finden. Das war auch eine zentrale Forderung des Bundesrates in seinem Anrufungsbeschluss. Lediglich die neuen Vorschriften der Fusionskontrolle auf Zusammenschlüsse von Krankenkassen sollen laut dem Kompromissvorschlag abgeschwächt erhalten bleiben. Dazu muss man wissen: Das Bundeskartellamt hat freiwillige Zusammenschlüsse von gesetzlichen Krankenkassen bereits in der Vergangenheit in über 30 Fällen überprüft. Nun hat aber das Landessozialgericht Hessen in seinem Urteil vom 15. September 2011 verlangt, dass die Kartellaufsicht über die Krankenkassen durch die Kartellbehörde einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedarf. Um nichts anderes geht es jetzt noch: Eine gesetzliche Grundlage zu schaffen für eine sowieso schon regelmäßig angewandte Praxis. Das muss doch möglich sein! Lassen Sie mich aber noch ein paar andere Punkte beleuchten, auf die die Monopolkommission in ihrem 19. Hauptgutachten eingeht: Die Kommission thematisiert den am 1. Juli 2012 in Kraft getretenen ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag durch die Ministerpräsidenten aller Länder – außer Schleswig-Holstein. Wie Sie wissen, ist das Glücksspielwesen in Deutschland überwiegend Ländersache. Ich möchte grundsätzlich aber Folgendes anmerken: Die Spielsucht zu bekämpfen, ist ja richtig und aller Ehren wert. Aber dass der Staat meint, alle möglichen Lebensbereiche der Bürger bis ins Detail durchregulieren zu müssen, halte ich für falsch. Das betrifft etwa die im Glücksspielstaatsvertrag vorgenommene Beschränkung der Anzahl der Konzessionen für Anbieter von Sportwetten, aber auch das Vorhaben des Bundeswirtschaftsministeriums, im Rahmen der anstehenden Novellierung der Glücksspielverordnung, die ja auf Basis der bundesrechtlichen Gewerbeordnung aufgebaut ist, die Anzahl der Glücksspielautomaten in einer Gaststätte von bisher maximal drei auf nur noch einen zu reduzieren. Das beträfe eine Vielzahl von kleinen, familiengeführten Gaststätten, die das spürbar treffen würde, wenn entsprechende Kundschaft ausbleibt. Hier wird das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in keiner Weise beachtet. Die Glücksspielsucht muss eher mit Aufklärung und Prävention bekämpft werden, nicht durch solche kurz gedachten Vorschriften. Wie auch die Monopolkommission bin ich der Überzeugung, dass mit dem am 8. November 2012 vom Bundestag beschlossenen Gesetz zur Einrichtung einer Markttransparenzstelle für Strom und Gas sowie für Kraftstoffe mehr Transparenz für die Verbraucher, aber auch bessere Möglichkeiten für die Bundesnetzagentur bzw. das Bundeskartellamt geschaffen werden, missbräuchliche Preisbildungen nachzuverfolgen und eventuell zu sanktionieren. In diesem Zusammenhang möchte ich mit Blick auf die GWB-Novelle anmerken, dass ich – im Gegensatz zur Monopolkommission – die in der GWB-Novelle verankerte Verlängerung der speziellen Missbrauchsaufsicht für die Energiemärkte um weitere fünf Jahre in § 29 GWB für richtig halte: Auch wenn die Verbraucher heute die Möglichkeit haben, ihren Strom- oder Gasanbieter zu wechseln, so herrscht im Energiebereich faktisch eben noch bei weitem kein „vollkommener“ Wettbewerb, wie wir es gerne hätten. Ein guter Nebeneffekt der Markttransparenzstelle für Strom und Gas ist sicherlich, dass sich die Bundesnetzagentur mit den ihr zugeleiteten Daten ein Gesamtbild vom Stand der Energiewende machen kann – wertvolle Daten, die wir sonst nicht hätten. Die Ansiedlung der Transparenzstelle für Strom und Gas bei der Bundesnetzagentur und die Ansiedlung der Stelle für Kraftstoffe beim Bundeskartellamt ist sinnvoll, zumal die Bundesnetzagentur schwerpunktmäßig mit Fragen der Energiesicherheit befasst ist. Eine doppelte Meldepflicht für Daten aus der Energiebranche einmal an die europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, ACER, nach der REMIT-Verordnung und zum Zweiten an die – nationale – Markttransparenzstelle gilt es in der noch ausstehenden Verordnung zu vermeiden. Für die Verbraucher sichtbarer und unmittelbar vorteilhaft ist die vom Deutschen Bundestag – und zwar von den Koalitionsfraktionen – gegenüber dem Regierungsentwurf nachgeforderte und mittlerweile beschlossene Markttransparenzstelle für Kraftstoffe. Eine solche Stelle war im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung gar nicht vorgesehen! Viel sinnvoller, als der Mineralölbranche eine wöchentliche Meldepflicht aller Tankstellenpreise und der Mengenzuordnung (wie viel wurde von welcher Sorte verkauft?) aufzudrücken, was vor allem einen erheblichen administrativen Aufwand bedeutet hätte, ist es, den Autofahrern die aktuell gültigen Spritpreise in Echtzeit zur Verfügung stellen zu lassen. Ich sage bewusst „stellen zu lassen“, denn wir wollen nicht etablierte Geschäftsmodelle wie clever-tanken.de zerstören, sondern Betreibern solcher Onlineportale die Daten zur Weitergabe an die Tankstellenkunden zur Verfügung stellen. Mit der am 21. März 2013 verabschiedeten Verordnung zur Markttransparenzstelle für Kraftstoffe haben die Verbraucher bald also die Möglichkeit, die aktuellen Spritpreise für Superbenzin und Diesel über ihr Smartphone via App oder auf dem Computer im Internet abzurufen. So schaffen wir echte Vergleichsmöglichkeiten für die Autofahrer, wirken der Preisvolatilität entgegen und verstärken den Preisdruck auf die Konzerne. Gleichwohl werden die Endkundenpreise auch durch die neuen Transparenzvorschriften wohl nicht nachhaltig gesenkt; auch eine Senkung der Mineralölsteuer würde sicherlich seine Wirkung verfehlen, denn die marktmächtigen Konzerne würden diese Differenz schnell wieder durch schrittweise Preiserhöhungen kompensieren. Mit den Daten kann allerdings das Bundeskartellamt – hoffentlich – missbräuchlicher Preisgestaltung entgegenwirken. Im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens hat die Koalition erwirkt, dass auch die Monopolkommission ein Akteneinsichtsrecht in Bezug auf die an die Stelle gemeldeten Daten erhält, wie von der Kommission gefordert; damit kann die Kommission ihrer Aufgabe nachkommen, die Wettbewerbsentwicklung im Energiesektor adäquat zu beobachten und zu analysieren. Die von der Monopolkommission in ihrem 19. Hauptgutachten gemachte Ankündigung, „künftig die flächendeckende Konzentrationsberichterstattung zugunsten weniger umfangreicher, jedoch tiefer gehender empirischer Analysen einzuschränken oder ganz einzustellen“ und somit eine Fokussierung auf einzelne Branchen oder einzelne Fragestellungen vorzunehmen, halte ich nur für sinnvoll. Nur so ist heute bei dieser komplexen Struktur des deutschen Marktes eine adäquate Marktabgrenzung möglich und sind ergebnisorientierte, erkenntnisreiche Analysen zu gewinnen. Die Sektoruntersuchungen des Bundeskartellamts sind da ein gutes Beispiel. Da muss auch nicht die Linke pseudojuristische Bedenken äußern, dass die Monopolkommission davon nicht abweichen dürfe, wie sie das in dem uns heute zur Beratung ebenfalls vorliegenden Entschließungsantrag tut. Der Monopolkommission, einem fachlich hochkarätig besetzten, hochanerkannten Expertengremium, die Kompetenz auf empirischem Gebiet abzusprechen und ihr „wiederholt vielfach falsche, nicht glaubwürdige und nicht nachprüfbare Ergebnisse zur Verflechtung und Konzentration der Wirtschaft“ vorzuwerfen, ist nicht nur eine Anmaßung, sondern eine Frechheit. Wenn es nach den Linken ginge, hätten wir die größte Verflechtung überhaupt, nämlich die von Staat und Wirtschaft in einer gelenkten Planwirtschaft. Dieses Experiment ist klar gescheitert und wird immer wieder scheitern! Ingo Egloff (SPD): An die Vorliebe der Bundesregierung für monatelanges Nichtstun und dann plötzlich entstehende hektische Betriebsamkeit haben wir uns bei den verschiedensten Themen in dieser Legislaturperiode gewöhnen müssen. Beim Mietrecht hat es zweieinhalb Jahre gedauert, bis wir uns im Plenum dann endlich mit Ihrem Gesetzentwurf befassen konnten. Die GWB--Novelle, die wir hier im Oktober dann endlich debattiert haben, lag drei Jahre bei Ihnen auf Eis. So lange haben Sie gebraucht, bis Sie den Minimalkonsens zwischen Schwarz und Gelb herstellen konnten, der zur Einbringung nötig war. In unzähligen weiteren Fällen musste es nach Monaten der Untätigkeit dann auf einmal hopplahopp gehen, weil die Überschreitung von Fristen drohte. Mal ging es um die Umsetzung von EU-Recht, mal waren es Probleme wie der Einsatz von Wachleuten auf Handelsschiffen, die Ihnen offenbar nicht so präsent sind, dass sie fristgerecht gelöst werden können – Weihnachten kommt bekanntlich auch immer wahnsinnig überraschend. Mit Ihrer dürren Stellungnahme zum Hauptgutachten der Monopolkommission, das wir seit einem Dreivierteljahr kennen, schießen Sie jetzt den Vogel ab. Zwanzig Seiten füllen Sie damit, zu danken und zu begrüßen, was immer das Gutachten behauptet. Man wird den Eindruck nicht los, dass hier nicht die Bundesregierung Stellung nimmt, sondern ein paar Frühstücksdirektoren müde und kritiklos den Quartalsbericht ihrer Firma abnicken. Sie begrüßen zum Beispiel, dass die Monopolkommission etwas begrüßt, nämlich Ihre unsäglichen Bemühungen, über die 8. GWB-Novelle dem Kartellamt eine wettbewerbsrechtliche Aufsicht über die Krankenkassen zuzuschanzen – Sozialpolitik über das Instrument des Kartellrechts. Wie Sie wissen, liegt dieser Tinnef von der neoliberalen Resterampe der Herren Bahr und Rösler derzeit im Vermittlungsausschuss, weil der Bundesrat da noch rechtzeitig einschreiten konnte. Wo Ihnen „begrüßen“ nicht ausreichend erscheint, „unterstützen“ Sie – in Textziffer 51 zum Beispiel die von der Monopolkommission angekündigte „Neuausrichtung der Konzentrationsberichterstattung“. Das ist eine so grobe Irreführung, dass ich hier mit aller Schärfe dagegen protestiere. Was Sie da unterstützen, ist keine Neuausrichtung, kein neues Konzept. Sie fordern damit de facto die Abschaffung der nach § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB obligatorischen gesamtwirtschaftlichen Konzen-trationsberichterstattung. Ich zitiere: „Nach Auffassung der Bundesregierung hat die flächendeckende Konzentrationsberichterstattung in ihrer bisherigen Form nur noch eine sehr geringe wettbewerbspolitische Relevanz und selbst sorgfältig berechnete Konzentrationsmaße verfügen vor dem Hintergrund der wettbewerbspolitischen Forschung nur über eine relativ geringe Aussagekraft“. Mit diesem Satz, Herr Minister, verhöhnen Sie den Deutschen Bundestag. Sie wissen, dass die verwendete Datenbasis für die Hauptgutachten drastisch reduziert wurde, und zwar so weit, dass keine sinnvollen Aussagen über den Konzentra-tionsgrad mehr möglich sind. Sie nehmen diese systematischen Fehler klaglos hin. Sie informieren auch den Bundestag nicht über Ihre Feststellung, dass da etwas schiefläuft. Aber das unzureichende Ergebnis benutzen Sie anschließend als Argument, um den Verzicht auf die – vom Gesetzgeber unmissverständlich geforderte! – Konzentrationsberichterstattung als verschmerzbar darzustellen. Noch plumper ist da nur der Versuch, uns weiszumachen, Sie hätten eine Alternative anzubieten: Branchen- und themenspezifische Einzelanalysen sollen die gesamtwirtschaftliche Betrachtung ersetzen – für wie blöd halten Sie uns eigentlich? Die sind doch längst an anderer Stelle Gegenstand des Gutachtens. Was ist denn das für ein Ersatz, wenn man von zwei Dingen eins wegnimmt und das andere als Ausgleich anbietet? Geradezu schwindelerregend ist Ihre Begründung, warum man auf die Erfassung des Konzentrationsgrades nach Sektoren verzichten könne. Zwar schreiben Sie, dass nach § 47 Abs. 1 GWB die Statistischen Bundes- und Landesämter verpflichtet sind, Konzentrationsraten zu berechnen und der Monopolkommission zur Verfügung zu stellen. Direkt im Anschluss heißt es dann, dies bedeute noch lange nicht, dass solche Daten auch verwendet werden müssten. Wie dann allerdings Ihre -Erwartung erfüllt werden soll – Zitat –, zusätzliche wettbewerbspolitische Erkenntnisse auf der Grundlage -datenbasierter Analysen zu generieren, wenn Ihnen der Konzentrationsgrad schnuppe ist, können Sie ja im Ausschuss versuchen zu erklären. Mir kommt das ein bisschen vor wie mittelalterliche Scholastik, die die Welt so lange umdeutet, bis sie in die Theorie passt, statt mit empirischen Mitteln zu versuchen, mal durch gründliche Beobachtung dahinterzukommen, wie es um die Verflechtung der Unternehmen und Märkte in Wirklichkeit bestellt ist. Ich will Ihnen sagen, was da passiert: Durch diese Politik der Bundesregierung zieht sich kein roter, noch nicht mal ein schwarzer, nein, ein quietschgelber Faden. Die FDP hat schon dafür gesorgt, dass Sie bei der GWB-Novelle Ihren eigenen Koalitionsvertrag nicht einhalten konnten: Sie erinnern sich vielleicht noch dunkel daran, dass Sie ursprünglich mal dem Bundeskartellamt Instrumente zur Entflechtung marktbeherrschender Unternehmen an die Hand geben wollten? Wenn Sie das nicht aus der Ruhe bringt, dann wird es Sie vielleicht auch nicht stören, dass dieselbe FDP nun den Gedächtnisverlust auf die nächste Stufe bringt. Uns dagegen ärgert es maßlos, dass hier der Deutsche Bundestag für dumm verkauft werden soll. Nimmt man beides zusammen, müssen wir feststellen, dass die Bundesregierung gleichermaßen wenig Interesse an der Konzentrationsberichterstattung wie an den Mechanismen zur Entflechtung beherrschender Marktmacht hat. Wir werden in beiden Fragen nicht nachlassen, Sie an Ihre Pflichten zu erinnern. Der gesetzgeberische Auftrag zur gesamtwirtschaftlichen Konzen-trationsberichterstattung ist im GWB eindeutig formuliert, seine Missachtung ist zugleich eine Kampfansage an das Parlament, das ihn formuliert hat. Um den -Auftrag zu erfüllen, muss die Monopolkommission die Verflechtungen der Unternehmen und Märkte einer sektorübergreifenden, umfassenden Analyse unterziehen. Wenn Sie wirklich – wie Sie immerhin selbst schreiben – den politischen Handlungsbedarf ermitteln wollen, um die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland in der Welt betreiben zu können, dann sind Sie mit uns -einer Meinung: Die Monopolkommission muss ihre Konzentrationsberichterstattung erstens auf geeignete Daten stützen und zweitens aus dieser Datenbasis ein -Indikatorensystem schaffen, das Gefährdungen des Wettbewerbs präventiv aufzeigen kann – und nicht erst im Nachhinein, wenn zufällig eine der branchenspezifischen Einzelanalysen beim Herumstochern im Daten-salat etwas findet. Die Monopolkommission ist ein wissenschaftlicher Sachverständigenrat, dem ausreichend Sachverstand zugetraut werden sollte, die Erfordernisse einer systematischen Prüfung wettbewerblich relevanter Märkte zu -erfüllen. Statt sich mit Untersuchungen von Konzentra-tionsgraden bei Kindergärten, Grundschulen, Gewerkschaften und Ähnlichem auszutoben, sollte Sie allerdings schleunigst Ihrem eigentlichen gesetzlichen Auftrag gerecht werden. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie in ihrer Stellungnahme dieser Auffassung Rechnung trägt. Johanna Voß (DIE LINKE): Wir debattieren heute über die Monopolkommission. Sie soll einen funktionsfähigen Wettbewerb schützen und Verstöße dagegen aufdecken, also Monopole verhindern und Tendenzen dahin, und unlauteren Wettbewerb frühzeitig aufdecken. Das Gutachten liegt seit Juli 2012 vor. Eine ernsthafte, dringend notwendige Debatte über die Inhalte so nah am Ende der Legislatur ist allerdings unwahrscheinlich. Damit wird eine fundierte Diskussion zur Arbeit der Monopolkommission zur Wettbewerbspolitik, zur Unternehmenskonzentration und zum Wettbewerbsrecht unmöglich. Sie wird ja auch von der Regierungskoalition nicht gewünscht. Das überrascht erst mal, wo doch die Koalitionsparteien den Begriff „Wettbewerb“ zu jeder Gelegenheit bemühen, um ihre Politik zu begründen. Minister Rösler gelingt das in einer 15-Minuten-Rede im Wirtschaftsausschuss glatt dreißig Mal. Nun wissen natürlich auch wir, dass dieser Begriff sehr flexibel eingesetzt wird und damit alles und nichts begründet werden kann: massive Subventionen zu verteilen und staatliche Garantien zu geben – man etwa denke an 60 Jahre massive Förderung der Atomkraft. Keine Kritik! Bei den erneuerbaren Energien und dem EEG im Verhältnis zur Atomförderung ein verschwindend kleiner Bruchteil: Da wird keine Gelegenheit zur Diffamierung und Behauptung der Wettbewerbsverzerrung ausgelassen. Keiner wird bestreiten, dass man Wettbewerbsfragen erst beurteilen kann, wenn man einigermaßen sicher die Situation auf den Märkten überblickt. Genau dafür gibt es das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung. Es bestimmt, dass die Monopolkommission eine valide gesamtwirtschaftliche Konzentrationsberichterstattung vorlegen muss. Von dieser Pflicht hat sie sich nun selbst befreit. Das ist ein Skandal. Im Anhang hat sie eine rechnerisch fehlerhafte CD in einem nicht weiterverarbeitungsfähigen Format beigefügt. Das genügt dem gesetzlichen Anspruch auch nicht. Und die Bundesregierung hat das akzeptiert und sich zu eigen gemacht. In ihrer Stellungnahme spricht sie sich für die Einstellung der gesamtwirtschaftlichen Konzen-trationsberichterstattung aus. Und das ohne überzeugende rechtliche oder sachliche Gründe. Das reicht nicht. Weder Monopolkommission noch Bundesregierung sind berechtigt, die Berichterstattung fallen zu lassen. Das entspricht nicht dem Gesetzesauftrag. Die Bundesregierung verweist auf branchen- und themenspezifische Einzelanalysen. Sie sollen die Gesamtanalyse ersetzen. Das ist es aber nicht. Branchenwirtschaftliche Analysen können die Gesamtanalyse bestenfalls ergänzen, aber nicht ersetzen. Und es ist klar: Die Abgrenzung nach Güter- und Wirtschaftsbereichen über die amtliche Statistik ist nicht eins zu eins übertragbar auf die Marktabgrenzung. Das ist für die Bunderegierung offenbar ein unüberwindbares Problem. Diese Problematik ist seit Gründung des Statistischen Reichsamtes von 1918 bekannt. Auch gibt es schon längst Lösungsvorschläge dazu. Es mangelt der Bundesregierung an Interesse, hier Abhilfe zu schaffen. Außerdem hat die Monopolkommission die notwendige Datenbasis vor Jahren schon reduziert – man möchte sagen: willkürlich. Damit wird der gesetzliche Auftrag seit dieser Zeit nicht mehr erfüllt: nicht im aktuellen Bericht, nicht 2008 und auch nicht 2010! Die so reduzierte Datenlage führt zwangsläufig zu unzureichenden und sogar falschen Ergebnissen zur Konzentration und Verflechtung von Unternehmen und deren Marktmacht. So wird etwa die Konzentration der zehn größten Unternehmen im Lebensmitteleinzelhandel mit 65 Prozent angegeben. Tatsächlich beläuft sich deren Marktanteil nach allen zugänglichen Quellen bereits auf rund 90 Prozent. Das geht so nicht. Die genauen Ergebnisse der sogenannten Vergleichsrechnung werden von Monopolkommission und Bundesregierung gegenüber Parlament und Öffentlichkeit sogar geheimgehalten. Doch die Monopolkommission ist eben nicht – wie sie auf ihrer Internetseite schreibt – ein unabhängiges Beratungsgremium für die Bundesregierung. Nein, laut Gesetz sind die Adressaten der Gutachten die gesetzgebenden Körperschaften, die Bundesregierung und die Öffentlichkeit. Wenn die Bundesregierung wirklich Gefahren für den Wettbewerb verhindern will, ist eine gesamtwirtschaftliche Konzentrationsberichterstattung grundlegend. Das ist die Kernaufgabe einer Monopolkommission. Und die muss erfüllt werden. Dazu braucht es einerseits mehr Mittel und mehr Personal, mehr kritischen Sachverstand durch eine neue Zusammensetzung der Monopolkommission oder eine ganz andere Institution. Wir brauchen eine fundierte gesamtwirtschaftliche Konzentrationsberichterstattung. Aber ein Auftragsgutachten des Wirtschaftsministeriums sagt: „Wir raten davon ab, dass die Monopolkommission im gegebenen institutionellen Rahmen die KBE, also die Konzentrationsberichterstattung, zu einem branchenübergreifenden Indikatorensystem zur Aufdeckung von Wettbewerbsverstößen ausbaut. Fraglich ist zudem, ob ein solches System ordnungspolitisch wünschenswert ist.“ Sie wollen keinen fairen Wettbewerb. Stimmen Sie für unseren Entschließungsantrag! Aber dazu bräuchte es einen Paradigmenwechsel weg von dem früheren extremen Wettbewerbskonzept der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts der Chicago School. Dem sind sie verhaftet. Kommen Sie endlich in der neuen Zeit der erneuerbaren Energien an. Und schützen Sie zumindest den fairen Wettbewerb! Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es überrascht schon, wenn die Koalition hier und heute ein Gutachten zur Debatte aufsetzt, das ein Dreivierteljahr alt ist. Das Gutachten beschäftigt sich zum Teil mit Gesetzen und Themen, die in der dort beschriebenen Weise längst nicht mehr aktuell sind. Aus den offenen Fragen – zum Beispiel der richtigen Forderung der Monopolkommission nach einem wirkungsvollen Entflechtungsinstrument, das die Koalition auch schon im Koalitionsvertrag hatte – wird in dieser Legislaturperiode sicher nichts mehr. Deshalb die Frage: Warum noch die Debatte über diesen Bericht? Ich möchte mich deshalb auf einen Punkt konzentrieren, nämlich den Wettbewerb Strommarkt, der im Hauptgutachten der Monopolkommission wieder breiten Raum einnimmt und auch schon zuvor Anlass für ein Sondergutachten war. Wir haben es mit dem Phänomen sinkender Börsenpreise sowohl im Spot- als auch im Terminmarkt zu tun. Die Ursachen dieser sinkenden Preise sind erklärbar, aber darauf will ich hier gar nicht näher eingehen. Der Preisverfall ist deutlich: von 2008 von 6 Cent pro Kilowattstunde oder darüber auf inzwischen nur 4 Cent pro Kilowattstunde. Das Problem ist aber: Diese sinkenden Preise kommen bei Privatverbrauchern anders als bei der Industrie nicht an. Die Privatverbraucher werden nur für die Erhöhungen der EEG-Umlage, Netzentgelte usw. zur Kasse gebeten. Statt absurder Debatten über eine gesetzliche Deckelung der EEG-Umlage und eine Ausbaubremse für erneuerbare Energien brauchen wir eine Ursachenanalyse, wo das Geld aus den gesunkenen Börsenpreisen bleibt. Die Monopolkommission sieht gesunkene Margen bei – den Energieversorgern sogar bei den teuren Grundversorgungstarifen – von 35 bis 40 Prozent der Kunden. Das finde ich erstaunlich, weil man anderes erwarten würde. Und tatsächlich, eine aktuelle Studie der Agora Energiewende kommt zum exakt gegenteiligen Ergebnis: Gerade die Margen der Energieversorger in der Grundversorgung sind in den letzten Jahren zum Teil deutlich angestiegen. Die fehlende Wechselbereitschaft dieser Kunden führt dazu, dass sie die höchsten Preise zahlen. Oder anders formuliert: Gerade diejenigen, die das Geld am knappsten haben – sie sind in der Regel in den Grundversorgungstarifen – und, warum auch immer, nicht wechseln können, zahlen am meisten. Dagegen zahlen die Kunden, die wechseln, deutlich geringere Strompreise, und die Margen der Energieversorger sind geringer und auch überwiegend gesunken. Das zeigt: Wettbewerb wirkt. Nun müsste es doch eine Herausforderung für uns alle sein: Wie kriegen wir die große Zahl von Haushalten aus dieser Grundversorgung in einen Wettbewerbstarif? Dazu höre ich nichts von der Bundesregierung. Und auch im Gutachten der Monopolkommission finde ich dazu nichts, außer einer – auch unzutreffenden – Analyse der Fakten. Drei Jahre hat diese Koalition gebraucht, eine Markttransparenzstelle einzurichten. Die untersucht jetzt die Großhandelsbeziehungen im Strom- und Gasmarkt. Das ist richtig, aber zu wenig: Die Preise für die Endkunden werden nicht beleuchtet. Für Privatverbraucher ist diese Stelle bisher kein Ansprechpartner, und das bestätigt unsere Kritik an der Einrichtung. Ich hoffe, das ändert sich noch und hilft gegen die teuren Grundversorgungstarife. Dieses Beispiel zeigt: Statt einen monatealten Bericht hier zu debattieren, sollten sich Bundesregierung und Koalition endlich um ein neues Strommarktdesign kümmern, das erneuerbare Energien, Effizienz, Versorgungssicherheit und Wettbewerb mit bezahlbaren Preisen in Einklang bringt. Dazu gibt es zahlreiche Vorschläge; nur von dieser Bundesregierung gibt es nichts, die hier Showdebatten führt, zu wichtigen Fragen aber keine Antwort und erst recht nicht die Kraft zu einer Lösung hat. Ernst Burgbacher, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Die Monopolkommission begrüßt in ihrem 19. Hauptgutachten die 8. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausdrücklich. Besonders hebt sie die Absicht der Bundesregierung hervor, die Vorschriften des GWB auf das Verhältnis der gesetzlichen Krankenkassen untereinander und zu den Versicherten für entsprechend anwendbar zu erklären. Der Deutsche Bundestag hat die 8. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen bereits im Ok-tober 2012 verabschiedet. Der Bundesrat hat zu dem -Gesetz aber den Vermittlungsausschuss angerufen. Er blockiert dort seit Monaten wegen der Diskussion über die Einbeziehung der Krankenkassen in die Wettbewerbsregeln das gesamte Gesetz. Dadurch werden zum Beispiel auch Regelungen verhindert, die wettbewerbskonforme Preise auf den Strom- und Gasmärkten sowie auf den Kraftstoffmärkten sicherstellen sollen. Dies gilt etwa für die besondere Missbrauchsaufsicht im Energiebereich. Sie verleiht den Kartellbehörden schärfere Instrumente zur Verfolgung von Missbräuchen durch marktbeherrschende Unternehmen im Bereich der leitungsgebundenen Elektrizitäts- und Gasversorgung. Sie ist aber – neben weiteren wichtigen Regelungen – zum Ende 2012 ausgelaufen. Durch ihren Einspruch torpedieren die Länder ein wirkungsvolles Vorgehen des Bundeskartellamtes gegen hohe Preise auf den Energiemärkten. Dies geht zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich bedauere sehr, dass die Sitzungen der informellen Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses bisher ergebnislos geblieben sind. SPD und Grüne wollen wettbewerbliche Regelungen für die Krankenkassen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Die Wettbewerbsprobleme im Gesundheitswesen müssen aber jetzt gelöst werden. Sie können nicht in die Zukunft vertagt werden. SPD und Grüne sind offenbar nicht bereit, die vom Deutschen Bundestag verabschiedete und – abgesehen vom Gesundheitsbereich – fraktionsübergreifend unterstützte GWB-Novelle voranzubringen. Verbesserungen des Wettbewerbsrechts sind aber nur im Paket zu haben. Die Länder können sich nicht einzelne Regelungen quasi als Rosinen aus dem Kuchen -picken – und den Rest gegen die Wand fahren. Ich lehne insoweit eine Herauslösung einzelner Themenbereiche wie der Pressefusionskontrolle oder des Presse-Grosso entschieden ab. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen sind zu Kompromissen bei der 8. GWB-Novelle bereit. Für die weiteren Verhandlungen im Vermittlungsausschuss haben wir einen Kompromissvorschlag vorgelegt. Nun ist es am Bundesrat, Entgegenkommen zu zeigen und Mitverantwortung zu übernehmen. Die 8. GWB-Novelle trägt als Gesamtpaket zur Stärkung des Wettbewerbs in Deutschland bei. Ganz im Sinne der Monopolkommission bitte ich Sie daher, im Vermittlungsausschuss konstruktiv an einer Lösung mitzuarbeiten. Die Bundesregierung ist dazu bereit. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Bienen und andere Insekten vor Neonicotinoiden schützen (Zusatz-tagesordnungspunkt 9) Josef Rief (CDU/CSU): Wir lehnen den Antrag der Grünen ab. Die Forderung, Neonicotinoide gänzlich zu verbieten, ist völlig abwegig. Auf das Thema ihres Antrags sind die Grünen natürlich nicht selbst gekommen. Er folgt vielmehr einer Anfang des Jahres von der Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA veröffentlichten Studie zu Neonicotinoiden, einer Grundsubstanz verschiedener Pflanzenschutzmittel. In der Studie werden diese entgegen unserer deutschen Forschungsergebnisse kritisch bewertet. Die Europäische Kommission hat darauf hin einen Vorschlag zum teilweisen Verbot von Neonicotinoiden vorgelegt. Der Kommissionsvorschlag sieht einerseits Verbote bei Pflanzen vor, bei denen wissenschaftliche Ergebnisse in Deutschland keinerlei Beeinträchtigung der Bienenvölker zeigen. Andererseits sollen aber etwa bei der Beizung von Wintergetreide die Regelungen weniger streng sein als die aktuelle deutsche Rechtslage. Dies können wir so nicht akzeptieren und lassen uns auch von der Opposition nicht zu einer unsachlichen Entscheidung drängen. Wir unterstützen ausdrücklich die Haltung der Bundesregierung, die sich bei den Abstimmungen im Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und die Tiergesundheit, STALUT, bei der EU zum Vorschlag der Kommission zum teilweisen Verbot der Neonicotinoide enthalten hat, um ein Verbot zu verhindern. Damit hat der Kommissionsvorschlag nicht die erforderliche qualifizierte Mehrheit erhalten. Nun muss nachgebessert werden. Und hier müssen auch unsere Forschungsergebnisse und Ergebnisse aus dem Bienenmonitoring einfließen. Meine Damen und Herren von den Grünen, liest man Ihren Antrag und die Vielzahl und den Umfang Ihrer Forderungen, so wird nur eines deutlich: Ihnen sind wissenschaftliche Erkenntnisse völlig egal. Wenn es nach Ihnen ginge, würden wir den Pflanzenschutz komplett einstellen und damit wieder fast auf Erträge von vor 50 Jahren zurückfallen, Erträge, wie sie heute vielleicht im Ökolandbau attraktiv sind. Sie kennen die Zahlen. Es ist schön, sich in Deutschland die heile Welt herbeireden zu wollen. Die Realität sieht aber anders aus. Weltweit erleben wir ein dramatisches Bevölkerungswachstum. Gleichzeitig rücken große Teile der Bevölkerung in Asien auf der Wohlstandsleiter nach oben und wollen selbstverständlich auch eine Nahrungsmittelversorgung auf europäischem Niveau. Gleichzeitig erleben wir in Deutschland und weltweit einen starken Druck auf die Ressource Ackerfläche. Es muss uns allen klar sein, dass jeder Doppelzentner, den wir in Deutschland weniger produzieren, importiert werden muss. Das schwächt nicht nur unsere Selbstversorgung, sondern erhöht die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel. Wir können uns das sehr gut leisten. Den wirklich bedürftigen Ländern, denen man auch noch aus Europa gesteuert eine moderne Landwirtschaft verwehren will, hilft das wenig. Nicht umsonst sagen Experten, dass die knappe Lebensmittelversorgung ihren Anteil am arabischen Frühling hatte. Wollen wir die wachsende Weltbevölkerung auch in Zukunft ernähren, führt kein Weg an einer modernen, am Ertrag orientierten Landwirtschaft vorbei. Diese Probleme einfach zu ignorieren, ist unverantwortlich. Zu einer modernen, ressourcenschonenden, nachhaltigen Landwirtschaft zählen wir aber auch einen sorgsamen Umgang mit dem Pflanzenschutz. Ein gezielter verantwortlicher und vor allem wissenschaftsbasierter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln kann sowohl den Anforderungen an Pflanzenschutz und Biodiversität als auch denen des Bienenschutzes gerecht werden. Die Bundesregierung hat gerade den Aktionsplan Pflanzenschutz beschlossen, der auf diesem Gebiet weitere Fortschritte bringen wird. Wir werden mehr Forschung und Innovation im Pflanzenschutz sehen und einen besseren Schutz von Gewässern und der biologischen Vielfalt. Das Ziel ist es, die Umweltrisiken um weitere 30 Prozent zu reduzieren. Sie sehen: Wir sind bei den Pflanzenschutzmitteln auf dem richtigen Weg. Wir arten nicht in ideologiegetriebenen Aktionismus aus, sondern gehen die Probleme wissenschaftsbasiert an. Und das gilt ganz besonders für den Schutz der Bienen, die einen hohen Anteil am Erfolg unserer Landwirtschaft haben. Gustav Herzog (SPD): Wir beraten heute den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Schutz der Bienen vor Neonicotinoiden. Wir alle wissen, wie wichtig unsere Bienen sind – ohne Bienen gefährden wir empfindlich unsere Nahrungsgrundlage und dabei spreche ich von den domestizierten und den wild lebenden Bienen. Das Leiden der Letzteren wird kaum erfasst, doch unsere Imkerinnen und Imker berichten uns jährlich von massiven Verlusten, die wir Jahr für Jahr in Kauf nehmen müssen. Müssen wir das tatsächlich? Darum dreht sich nun die Frage, denn unstrittig ist, dass die Biene ein wichtiger Indikator für den Zustand unserer Umwelt ist. Sie steht im Spannungsfeld vielfältiger negativer Umwelteinflüsse wie Elektrosmog, Luftschadstoffe, Mobilfunk, einseitiger Pflanzenbau und nicht zuletzt der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Natürlich kämpft die Biene auch gegen ihre ganz persönlichen Feinde. Die Varroamilbe ist der prominenteste Vertreter, doch es gibt weitere natürliche Krankheitserreger, die die Biene erfolgreich befallen, wenn ihr Allgemeinzustand geschwächt ist. Es ist wie bei uns Menschen eine ganz einfache Rechnung: Sind wir angeschlagen, hat es auch ein wenig virulenter Infekt viel einfacher, uns niederzuringen, als wenn wir kerngesund wären. Das alles wissen wir, und wir unternehmen durchaus auch weitere Forschungsanstrengungen, um der Sache weiter auf den Grund zu gehen und Lösungen zu entwickeln. Dennoch ist keine wesentliche Besserung der Lage festzustellen. Die Bienen sterben weiter, während wir um die Frage streiten, ob es wissenschaftlich erwiesen ist, dass Pflanzenschutzmittel am jährlichen Bienensterben beteiligt sind oder nicht. Dass Pflanzenschutzmittel ihren Teil dazu beitragen, ist für mich unstrittig, wie groß er ist, kann so einfach nicht festgestellt werden. Dennoch wissen wir seit dem großen Bienensterben im Rheintal 2008, wie gefährlich Neonicotinoide sein können! Auch wenn wir über Auflagen versuchen, das Risiko zu mindern, das Gefahrenpotential ist und bleibt enorm. Das rechtfertigt auf jeden Fall ein temporäres und partielles Verbot durch die EU im Sinne des vorbeugenden Bienenschutzes, wie es jetzt vorgesehen ist. Ich könnte mir auch ein Totalverbot von längerer Dauer vorstellen, um eine sichere Datengrundlage zu erhalten und um endgültig klären zu können, wie groß der Einfluss der Neonicotinoide auf die Biene ist. Und sicher hätten wir auch Wege gefunden, bereits getroffene Schutzmaßnahmen auch national beizubehalten. Wir brauchen umfangreiche Untersuchungen, die das Verbot wissenschaftlich begleiten, um daraus Maßnahmen abzuleiten. Sollte sich bestätigen, dass diese Mittel für das massenhafte Sterben signifikant mitbeteiligt sind, dann müssen diese Mittel geächtet und dauerhaft verboten werden! Soweit sind wir mit dem Antrag der Grünen konform, und bis dahin hätten wir diesem Antrag zugestimmt. Leider soll der Bienenschutz als Vehikel dafür genutzt werden, das Zulassungsverfahren auf den Kopf zu stellen. Da können wir nicht mitgehen, denn wir halten es für falsch, die Hersteller aus ihrer Verantwortung zu entlassen, indem wir ihnen die Risikobewertung aus der Hand nehmen. Ich weiß auch nicht so ganz, wie sich die Grünen das rein praktisch vorstellen. Anstatt dem Hersteller die Verantwortung für sein Produkt samt Entwicklung, Prüfung und Bewertung zu überlassen, soll der Staat diese Arbeit übernehmen und finanzieren? Das ist kaum leistbar und dient auch nicht wirklich dem Bürokratieabbau. Das ist für uns kein hilfreicher und praktikabler Weg. Dennoch halten wir weitere Einschränkungen, verbunden mit einer wissenschaftlichen Begleitforschung, für absolut richtig. Die Ergebnisse müssen wir abwarten, und sollte sich herausstellen, dass diese Mittel einen signifikanten Beitrag am Tod unserer Bienenvölker leisten, dann werden weitere Auflagen sicher nicht ausreichen, um unsere Bienenvölker zu schützen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Wir alle wollen Wildinsekten sowie Bienen vor Schädigungen durch Pflanzenschutzmittel schützen. Dies geschieht auf mehreren Wegen: durch sorgfältige Zulassungsverfahren, durch Bestimmungen zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, durch Ausbildung der Landwirte, durch Kontrolle der Geräte, mit denen Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden, und durch Kontrolle der Beizverfahren. Diese Aspekte bleiben im Antrag der Grünen weitgehend unberücksichtigt. Doch wir wollen Bienen nicht nur vor einer nicht sachgerechten Anwendung von Pflanzenschutzmitteln schützen, sondern auch vor den wirklichen Gefahren für die Bienenvölker: dem Befall mit der Varroamilbe, dem Befall durch den Einzeller Nosema, der Amerikanischen Faulbrut, einer meldepflichtigen Krankheit, die von einem Bakterium ausgelöst wird. Deswegen finanziert die christliche-liberale Koalition seit 2010 gemeinsam mit den Bundesländern das Deutsche Bienenmonitoring mit insgesamt 800 000 Euro pro Jahr. Wie im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz gestern berichtet, wurden im vergangenen Jahr 1 106 Bienenvölker von 110 Bienenständen untersucht. Zentrales Anliegen des DeBiMo ist es, die Ursachen für Bienenvölkerverluste zu klären. Dazu werden Daten zur Völkerentwicklung, zum Honigertrag, zu Bienenkrankheiten und Parasitenbefall wie durch die Varroamilbe sowie imkerliches Management erfasst. Weiterhin wird das Bienenbrot auf Rückstände von verschiedenen in der Landwirtschaft genutzten Pflanzenschutzmitteln, aber auch von Wirkstoffen zur Bekämpfung der Varroamilbe untersucht. Das Bienenbrot ist der Pollen, den die Stockbienen in den Bienenstock eintragen und mit ihrem Speichel vermischen. Durch Fermentation wird der Pollen haltbar. Er dient später der Fütterung der Brut. Nur über die Kenntnis, wodurch Bienenvölker konkret geschädigt werden, werden Ansätze erkennbar, wie sie besser zu schützen sind. Deswegen ist das DeBiMo so besonders wichtig. Die Erkenntnisse aus dem DeBiMo werden im Antrag nicht berücksichtigt. Die Zahl der beim Julius-Kühn-Institut gemeldeten Vergiftungen von Bienenvölkern durch nicht fachgerechten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist rückläufig. Dies zeigt, dass wir in der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln auf einem guten Weg sind. Die Zusammenstellung der Bienenbrotrückstands-untersuchungen für 2010 zeigt, dass Boscalid, ein Fungizid, der häufigste nachgewiesene Wirkstoff war, dass Fungizide die häufigste nachgewiesene Wirkstoffgruppe waren und Thiacloprid, ein Bienen nicht schädigendes Insektizid, das häufigste Insektizid war und in 57 Prozent der Proben nachgewiesen wurde. Die beiden Neonicotinoide Imidacloprid und Clothianidin wurden dagegen nur in Einzelproben gefunden: Imidacloprid wurde nur in einer und Clothianidin nur in zwei von 518 Bienenbrotproben nachgewiesen (ADIZ 10/2011). Die Beschränkung des Antrags der Grünen auf eine insektizid wirkende Gruppe von Pflanzenschutzmitteln greift viel zu kurz und liegt fachlich völlig daneben. Die FDP-Bundestagsfraktion hat in der letzten Legislatur-periode mit ihrem breitangelegten und sehr anerkannten Antrag „Schutz der Bienenvölker sicherstellen“ aufgezeigt, wie Bienen besser geschützt werden können. Teile des Antrags sind umgesetzt und zeigen Wirkung. Der Antrag der Grünen lässt wesentliche wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse unberücksichtigt. Es ist schon bemerkenswert, dass in der dreiseitigen Antragsbegründung zwar Untersuchungsergebnisse aus den USA und Italien erwähnt werden, das weltweit hinsichtlich Kontinuität und umfassendem Untersuchungsansatz einmalige Deutsche Bienenmonitoring jedoch nicht erwähnt wird. Weiterhin verwundert, dass nach fünf Jahren steter Kritik an der EFSA auf einmal deren Vorstellungen völlig unkritisch übernommen werden. Es wird nicht kritisiert, dass die EFSA die Ergebnisse des DeBiMo nicht berücksichtigt. Das heißt doch im Klartext, die Grünen akzeptieren nur Ergebnisse von Wissenschaftlern, die ihnen in den Kram passen, andere nicht. Nach Vorstellung der Grünen soll Wissenschaft grüne Ideologien bestätigen; die Realität ist den Grünen völlig schnuppe. Wissenschaftliche Ergebnisse werden von den Grünen nur berücksichtigt, wenn sie sich für eigene Vorstellungen instrumentalisieren lassen. Widersprüche zur eigenen Ideologie werden intellektuell nicht verarbeitet. Bei einer solchen eingeschränkten Sicht auf die Realität kann Betriebsblindheit nicht ausbleiben. In den vergangenen Jahren wurde in Deutschland Raps im Durchschnitt der Jahre auf etwa 1,3 Millionen Hektar angebaut. Über 90 Prozent des Rapssaatguts wurden mit Neonicotinoiden gebeizt. Raps ist in Deutschland die wichtigste Trachtpflanze für Bienen, Rapshonig ist sehr beliebt. Nach Darstellung des DeBiMo wurde in der Nachbarschaft von mehr als 60 Prozent der Monitoringvölker Raps angebaut. Trotzdem wurden in den vergangenen Jahren in den im Rahmen des Bienenmonitorings durchgeführten Untersuchungen des Bienenbrots neonicotinoide Beizmittel nur in einzelnen Ausnahmefällen gefunden. Das ist ein deutlicher Widerspruch zu der Annahme des Antrags, dass über die bestehenden Anwendungsbestimmungen für den Einsatz von Neonicotinoiden hinaus Verbote erforderlich wären. Die auch von der FDP in ihrem Antrag geforderten Qualitätskontrollen für gebeiztes Saatgut haben Wirkung gezeigt. Durch den Anbau von Raps werden Bienen nicht geschädigt, im Gegenteil: Raps ist eine wichtige Trachtpflanze für Bienen; der Anbau von Raps unterstützt somit die Imkerei. Das von den Grünen geforderte Verbot der Neonicotinoide würde den Rapsanbau in Deutschland vermindern; eine wichtige Trachtpflanze würde verloren gehen. Beizung von Saatgut mit insektiziden, systemisch wirkenden Wirkstoffen ist eine effektive Methode, Kulturpflanzen vor dem Befall mit Schadinsekten zu schützen und gleichzeitig Nichtzielorganismen wie Bienen und Wildinsekten zu schützen. Über die Zertifizierung der Beizverfahren muss sichergestellt werden, dass die Beizung sachgerecht erfolgt, der Abrieb gering ist, in den Boden abgeleitet wird und das Saatgut auch in pneumatischen Säverfahren ausgebracht werden kann. Beim Rapssaatgut ist dies in Deutschland gelungen. Dies zeigen unter anderem die Ergebnisse des DeBiMo. Die Zertifizierung von gebeiztem Saatgut hat sich in Deutschland bewährt; sie sollte in Europa als Vorbild genommen werden. Landwirtschaft und Imkerei stehen miteinander in Beziehung. Die Erfordernisse des Pflanzenschutzes in der Landwirtschaft sollten von Imkern anerkannt werden, genauso wie Landwirte die Erfordernisse des Bienenschutzes anerkennen sollten. Nur ein Miteinander führt in Landwirtschaft und Imkerei zu guten Ergebnissen. Dazu leistet der vorliegende Antrag der Grünen keinen Beitrag. Die FDP lehnt ihn ab. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Nach einem gefühlt unendlich langen Winter ist jetzt endlich der Frühling ausgebrochen. Es blüht, summt und brummt. Für Landwirtinnen und Landwirte beginnt eine arbeitsintensive Zeit. Für Imkerinnen und Imker ebenfalls. Ihre Bienen schwärmen aus und sammeln Pollen. Zum Wohle ihres Volkes, seiner Königin und natürlich der neuen Bienengeneration. Damit leisten sie gleichzeitig wichtige Arbeit zum Wohle der Menschheit – sie bestäuben die Kulturpflanzen für eine reiche Ernte und produzieren Honig für uns. Er gilt als eines der gesündesten Lebensmittel überhaupt. Wir haben also allen Grund zu tiefer Dankbarkeit und hoher gesellschaftlicher Anerkennung für diesen Beitrag der Imkerinnen und Imker und ihrer Bienenvölker zu unserer Ernährung. Doch in der Realität wird ihre Arbeit eher als Selbstverständlichkeit gesehen. Die Wertschätzung in Sonntagsreden löst sich bei Interessenskonflikten schnell in Ignoranz auf. Auch wenn es zwischen Bauernhof und Bienenstock so harmonisch summt, ist unsere Welt für Bienen und andere Insekten wenig friedvoll. Sie werden vielfältig bedroht. Der neue Greenpeace-Bericht „Bye, by Biene“ veranschaulicht das Problem in den USA. Dort sind seit dem Jahr 2004 so viele Honigbienenvölker verloren gegangen, dass in den vergangenen fünfzig Jahren noch nie so wenige Bestäuber in Kultur gehalten wurden wie aktuell. In Deutschland ist die Entwicklung nicht so dramatisch. Vielleicht noch nicht; denn das Problem Bienensterben kennt auch unsere einheimische Imkerei unterdessen. Die Ursachen des Bienensterbens sind komplex, und oft ist es wohl die Summe der schädigenden Einflüsse, mit der die Bienenvölker nicht mehr fertig werden. Das heißt, dass wir einen strategischen Ansatz für bienenfreundliche Maßnahmen brauchen und dass wir gleichzeitig an mehreren Schrauben im System drehen müssen. Wird nur eine einzelne Ursache beseitigt, werden die Probleme weiterbestehen. Das darf aber nicht als Ausrede dienen, gar nichts zu tun. Zum Beispiel wären die zur Bedrohung gewordenen Bienenkrankheiten wie Varroamilbe und Nosema vielleicht besser beherrschbar, wenn die Bienenvölker unter optimalen Lebensbedingungen leben würden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Wir wissen doch, dass in immer mehr Regionen bienenattraktive Blühpflanzen fehlen. Zumindest wenn man die gesamte Vegetationsperiode betrachtet. In der Agrarlandschaft dominieren häufig Raps- oder Maisfelder. Sie bieten nur kurzzeitig Nahrung; Maispollen ist nicht einmal eine gute. Flächen mit natürlichen blühenden Ackerkräutern sind selten. Wir brauchen also mehr Bienennahrung in der Fläche über die gesamte Vegetationsperiode. Deshalb fordert die Linke, beispielsweise Blühweiden oder Ackerrandstreifen wieder fest in die Landbewirtschaftung zu integrieren. Sie sollten in der neuen EU-Förderperiode als sogenannte ökologische Vorrangflächen anerkannt werden, finde ich. Es ist falsch, wenn Bundesregierung und Bauernverband diese immer wieder als „Stilllegungsflächen“ verunglimpfen. Denn ganz im Gegenteil: Solche Flächen sind weder „still“, noch produzieren sie nichts. Sie „produzieren“ biologische Vielfalt und bieten Nützlingen, wie Bienen und anderen Insekten, Lebensraum und reichhaltiges Nahrungsangebot. Die Landwirtschaft profitiert also davon, zumindest mittelfristig. Der großflächige und häufige Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gegen Insektenschädlinge ist ebenfalls ein Risiko für die Bienenvölker, selbst wenn der Einsatz nach bestem Wissen und Gewissen erfolgt. Dabei ist die Wirkstoffgruppe der Neonicotinoide besonders bienengefährlich. In Baden-Württemberg kam es im April/Mai 2008 nach der Aussaat von mit Clothianidin behandeltem Mais zum größten Bienensterben seit Jahrzehnten. Rund 700 Imkerinnen und Imker verloren ihre Bestände ganz oder teilweise; insgesamt waren rund 11 500 Völker betroffen. Pro Imkerei lag der Verlust bei durchschnittlichen 17 000 Euro. Auch wenn die technische Ursache dieses Falles behoben wurde, zeigt das Beispiel die große Gefahr der Verwendung. Denn mit unbekannten Risiken oder Unachtsamkeit wird man wohl immer rechnen müssen. Es gibt zahlreiche Studien, die von hohen akuten und chronischen Risiken für Bienen und andere Bestäuber durch Neonicotinoide ausgehen. Es geht eben nicht nur darum, massives Bienensterben zu vermeiden. Vermieden werden müssen auch die Schädigungen der Bienen, an denen sie nicht gleich sterben. Auch bei Bienen muss der vorsorgende Schutz ernst genommen werden. Das heißt, Bienenschädigungen dürfen nicht länger als Kollateralschaden des Insektenschutzes für Pflanzen hingenommen werden. Die Konsequenz wäre, dass besonders bienengefährliche Wirkstoffe, wie die Neonicotinoide, nicht mehr verwendet werden. Selbst die EU-Kommission, die nun wahrlich nicht als Speerspitze der ökologischen Bewegung gilt, will ab Sommer 2013 eine zweijährige Anwendungspause für die meisten Anwendungsbereiche dieser Wirkstoffgruppe. Die Grünen fordern in ihrem Antrag, dass die Bundesregierung dem Vorschlag der EU-Kommission zustimmen soll. Für Laien wollen sie diese Wirkstoffgruppe ganz verbieten. Darüber hinaus soll das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit keine befristeten Ausnahmezulassungen für bienenattraktive Kulturen mehr erteilen dürfen. Das Risikobewertungs- und Zulassungsverfahren müsse verbessert werden. Diese Forderungen teilt die Linksfraktion. Aber statt eine weitreichende Anwendungspause von bienengefährlichen Neonicotinoiden voranzubringen, blockiert Ministerin Aigner in Brüssel den Vorschlag der EU-Kommission. Obwohl mir Staatssekretär Dr. Müller auf eine Anfrage im März mitteilte, dass die Bundesregierung EU-weite Maßnahmen gegen Neonicotinoide unterstützen wird. Leider hat sich die Bundesrepublik jedoch im zuständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und die Tiergesundheit enthalten. Ihre Forderung nach Ausnahmen vom Zwei-Jahres-Verbot dieser besonders bienengefährlichen Insektizide, beispielsweise für bienenunattraktive Pflanzen, ist uns zu weitreichend. Der Vorschlag der EU-Kommission, die Anwendungserlaubnis zeitlich befristet auszusetzen, bietet die Gelegenheit, das Risiko für die Insektenwelt weiter zu untersuchen. Diese Analysen sollten unabhängig und transparent erfolgen. Wenn selbst die industriefreundliche Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, 2013 in einem Gutachten an der Sicherheit dieser Insektizidgruppe zweifelt, mahnt das zur Neonicotinoid-Pause. Um nicht falsch verstanden zu werden: Das heißt nicht, dass es danach zwangsläufig zu einem Totalverbot kommen muss. In England konnten zum Beispiel in einer neuen Studie keine signifikanten Effekte von Neonicotinoiden auf Sterberate oder Krankheitshäufigkeit bei Hummelvölkern gefunden werden. Auch die Frage nach Alternativen im Pflanzenschutz muss beantwortet werden. Letztendlich geht es vor allem darum, unsere Agrarlandschaft bienenfreundlicher zu gestalten. Alles, was diese wichtigen Bestäuberinnen gefährdet, muss reduziert werden. Dazu gehören auch bienengefährliche Pflanzenschutzmittel und speziell die Neonicotinoide. Darum stimmt die Linksfraktion dem Antrag der Grünen zu. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach Atrazin, Glyphosat und vielen anderen Pestizidwirkstoffen stehen mit den Neonicotinoiden erneut Pflanzenschutzmittel im Fokus der Kritik. Seit Jahren schon verdichten sich die Hinweise, dass diese Wirkstoffgruppe besonders gefährlich für Bienen und andere Insekten ist. Die Vergiftung von 12 000 ganzen Bienenvölkern im Oberrheintal im Jahr 2008 durch Staubabrieb von Maissaatgut, das mit dem Neonicotinoid Clothianidin behandelt war, ist ein erschreckendes Extrembeispiel. Doch die Auswirkungen dieser Nervengifte sind nicht immer sofort sichtbar oder tödlich: Der Toxikologe Dr. Henk Tennekes hat bereits 2010 belegt, dass die Wirkung selbst kleinster Mengen an Neonicotinoiden irreversibel ist und die Nervenzellen dauerhaft geschädigt werden. Das macht Neonicotinoide zu einer tickenden Zeitbombe, die zum Zusammenbruch ganzer Vogelpopulationen führen kann, die sich von Insekten ernähren. Bereits Konzentrationen von weniger als einem Milliardstel Gramm pro Biene verursachen subletale, also nicht akut tödliche Effekte, die das Kommunikations-, Lern- und Orientierungsvermögen der Tiere stören und zum Zusammenbruch eines Bienenvolkes führen können. Dass europäische Zulassungsverfahren für Pestizide solche Gefahren nicht aufdecken, ist skandalös und muss sich dringend ändern! Selbst die EFSA als EU-Fachbehörde für die Risikobewertung von Pestiziden konnte nicht länger die erdrückende wissenschaftliche Beweislast ignorieren. Ihre jüngsten Gutachten zu den drei Wirkstoffen Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam belegen, dass deren Risiken für Bienen und andere Insekten bislang ex-trem unterschätzt wurden. Nach geltendem EU-Recht dürfen Pestizide aber nur dann in der EU zugelassen sein, wenn sie keine inakzeptablen Auswirkungen auf Bienen haben. Wenn nun selbst die industriefreundliche EFSA vor massiven Risiken durch Neonicotinoide warnt, müssen wir endlich handeln; dies sehen auch die Agrarminister der Bundesländer so! Eine Zustimmung zum Vorschlag der EU-Kommission für ein Moratorium bei bienenattraktiven Kulturen ist daher zwingend geboten, wenn wir den aktuellen Stand der Wissenschaft und das Vorsorgeprinzip ernst nehmen. Aber was tut die Bundesregierung? In Pressemitteilungen heftet sie sich zwar den Bienenschutz ans Revers. Doch wer gehofft hat, Ministerin Aigner würde sich für den Kommissionsplan einsetzen, wird enttäuscht. Ihr Haus ignoriert weitgehend die besorgniserregenden Fakten und handelt nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Der Kommissionsvorschlag, so behauptet das BMELV, stelle eine Verschlechterung des Status quo des Bienenschutzes in Deutschland dar, da Wintergetreide im Brüsseler Plan nicht erfasst sei. Das ist absurd! Zum einen bleibt das geplante Einsatzverbot in bienenattraktiven Kulturen dringend notwendig für eine deutliche Verbesserung des Bienenschutzes. Vor allem aber kann Deutschland auch in Zukunft strengere Anwendungsbeschränkungen erlassen, die über das EU-Niveau hinausgehen. Warum setzt sich die Bundesregierung in Brüssel dann nicht für eine Ausweitung des Kommissionsvorschlages ein, sondern arbeitet hinter den Kulissen an einer Mehrheit gegen ihn? Die angeblichen Sorgen der Bundesregierung um den Bienenschutz sind nichts anderes als falsche Krokodilstränen, um von ihrem Ziel abzulenken, im Interesse der Hersteller Einschränkungen bei Pestiziden zu verhindern. Dabei stützt sich Schwarz-Gelb gerne auf das Deutsche Bienenmonitoring, DeBiMo. Das krankt aber an grundlegenden methodischen Schwächen, die in Bezug auf Neonicotinoide besonders deutlich werden. Denn es kann wesentliche Auswirkungen wie die subletalen Effekte oder Kombinationswirkungen verschiedener Pestizide gar nicht erfassen. Ein Monitoring kann niemals die Aussagekraft der experimentellen Studien mit Kontrollgruppen erreichen, auf die sich die EFSA stützt. Der Rückgriff der Bundesregierung auf das DeBiMo gleicht dabei einer Schutzbehauptung, wie auch die letzte Sitzung des Agrarausschusses gezeigt hat: Das Bundeslandwirtschaftsministerium war dort weder willens noch in der Lage, aus dem DeBiMo-Zwischenbericht bezüglich Pestizidrückständen konkrete Schlussfolgerungen oder Konsequenzen zu ziehen. Doch selbst die wenigen Daten des Zwischenberichts geben Anlass zur Sorge: Über 90 Prozent der Bienenbrotproben sind mit mehr als fünf verschiedenen Pflanzenschutzmittelwirkstoffen belastet. Hinzu kommt eine steigende Belastung durch Wirkstoffe aus der Rapsblütenspritzung. Bienen und ihr gesundheitliche Situation sind ein wichtiger Indikator dafür, wie es um zahlreiche Arten wilder Bestäuber, Schmetterlinge und unsere Ökosysteme insgesamt bestellt ist. Auch aus wirtschaftlichen Gründen ist Handeln zum Schutz der Bestäuber dringend geboten. Der geschätzte Wert der Bestäubungsleistungen beträgt allein für die EU circa 15 Milliarden Euro pro Jahr. Hinzu kommen die unbezahlbaren und kaum bezifferbaren Ökosystemdienstleistungen wie der Erhalt der Artenvielfalt, da sehr viele Wildpflanzen für ihr Überleben auf Insektenbestäubung angewiesen sind. Selbst wenn man Zahlen der Industrie glaubt, beläuft sich der Bestäubungswert auf ein Vielfaches der angeblichen Kosten durch ein Verbot der Saatgutbehandlung mit Neonicotinoiden. Studien aus Italien und Großbritannien zeigen außerdem, dass ein Verzicht auf die Beizung nicht mit Ertragseinbußen verbunden sein muss. Eine Szene im Dokumentarfilm „More than honey“ zeigt chinesische Wanderarbeiter, die mit dem Pinsel in der Hand mühsam Blüte für Blüte von Apfelbäumen bestäuben. In der betroffenen Region Chinas gibt es seit Maos Zeiten keine Bienen mehr, weil diese durch Pestizide vernichtet wurden, die anstelle der ausgerotteten Spatzen gegen Schädlingsplagen eingesetzt wurden. Diese Geschichte lehrt uns: Eine Landwirtschaft, die keine Rücksicht und keinen Raum für Natur lässt, ist nicht zukunftsfähig. Das Moratorium für Neonicotinoide ist ein wichtiger Meilenstein für den Bienenschutz. Die zwei Jahre müssen genutzt werden, um möglichst umfassend die ökologischen Risiken der Neonicotinoide zu klären und genau zu prüfen, in welchen Bereichen eine Anwendung von Neonicotinoiden noch vertretbar ist. Generell gehört die hohe Abhängigkeit der konventionellen Landwirtschaft von Pflanzenschutzmitteln auf den Prüfstand. Wir fordern daher von der Bundesregierung, ein umfassendes Konzept für einen Komplettausstieg aus den Neonicotinoiden zu erarbeiten. Ministerin Aigner ist gut beraten, dem jüngsten Beschluss der Agrarministerkonferenz zu folgen, die diese Forderung ebenfalls erhebt. Vor allem aber muss die Bundesregierung jetzt in Brüssel dem Vorschlag der EU-Kommission für ein Anwendungsmoratorium für Neonicotinoide zustimmen. Daran werden wir sie messen. Und daran wird sich zeigen, ob die öffentlichen Bekenntnisse der Bundesregierung zum Bienenschutz ernst zu nehmen sind. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Konsequente Umsetzung des Public Corporate Governance Kodex (Zusatztagesordnungspunkt 10) Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Mit dem Public Corporate Governance Kodex, kurz Public Kodex, hat die Bundesregierung 2009 privaten Unternehmen mit überwiegender Bundesbeteiligung eine Richtschnur für gute Unternehmensführung an die Hand gegeben. Der Kodex beansprucht für sich, wesentliche Bestimmungen geltenden Rechts zur Leitung und Überwachung von Unternehmen, an denen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist, sowie nationale und international anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung zu enthalten. Er spiegelt also gesetzliche Regelungen ebenso wider wie Empfehlungen und Anregungen. Der Public Kodex lehnt sich in großen Teilen an die Formulierungen des privatwirtschaftlichen Deutschen Corporate Governance Kodex an. Im Vergleich wird im Public Kodex jedoch berücksichtigt, dass die zahlreichen nicht börsennotierten Unternehmen, an denen der Bund beteiligt ist, im Gegensatz zu den großen börsennotierten Gesellschaften sehr unterschiedliche Strukturen haben. Wir finden von Großunternehmen bis zu kleinen Zweckgesellschaften unterschiedlichste Rechtsformen. Gerade diese Bandbreite verdeutlicht auch den Sinn eines Public Corporate Governance Kodexes, der eine flexiblere und individuellere Handreichung für eine gute Unternehmensführung erlaubt. Als Zielsetzung formuliert der Public Kodex insbesondere eine bessere Leitung und Überwachung der Unternehmen durch dessen Organe und eine bessere und wirtschaftlichere Erfüllung der durch die Unternehmensbeteiligung verfolgten Absichten. Konkret werden verbesserte Arbeitsstrukturen und -prozesse der Unternehmensorgane, die Rechnungslegung und Transparenzkriterien genannt. Zur Transparenz gehört in besonderem Maße auch die Vergütung der Geschäftsführung und der Mitglieder des Überwachungsorgans eines Unternehmens. Die Gesamtvergütung jedes Mitglieds der Geschäftsführung soll individualisiert, aufgeteilt nach erfolgsunabhängigen, erfolgsbezogenen und Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung, unter Namensnennung in allgemein verständlicher Form im Corporate-Governance-Bericht dargestellt werden. Diese Veröffentlichungspflicht berührt dabei das grundgesetzlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Gleichwohl lässt sich in der Güterabwägung die Frage zu Recht zugunsten eines Bedürfnisses auf Transparenz entscheiden. Die Transparenz ist erforderlich, da es sich bei den Vergütungen um den Einsatz öffentlicher Mittel handelt. Auf diese Weise wird dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit Rechnung getragen und gleichzeitig die Möglichkeit geschaffen, die Zahlungen zu vergleichen. Der Public Corporate Governance Kodex formuliert dieses Bedürfnis nach Transparenz als Empfehlung. So heißt es entsprechend: „Die Gesamtvergütung soll … dargestellt werden.“ Dieses Konstrukt der Empfehlung hat zwei Gründe: erstens die bereits angesprochene Bandbreite an unterschiedlichen Unternehmensformen und -arten, an denen der Bund beteiligt ist; zweitens bereits existierende, ausdrückliche Regelungen, die einer Umsetzung rechtlich im Wege stehen. Entsprechend wurden die Empfehlungen unter Zugrundelegung der Rechtsverhältnisse bei Kapitalgesellschaften entwickelt, um sie bei anderer Rechtsform auch auf andere körperschaftliche Struktur- und Organverhältnisse übertragen zu können. Mit dieser Berücksichtigung rechtsform- sowie unternehmensspezifischer Bedürfnisse trage der Kodex zur Flexibilisierung und Selbstregulierung bei. Die Unternehmen könnten explizit von den Empfehlungen abweichen, seien aber verpflichtet, dies jährlich in ihrem Corporate-Governance-Bericht – im sogenannten Comply-or-Explain-Mechanismus – offenzulegen, heißt es im Kodex. Die Frage der Vergütungen ist dabei besonders sensibel. Das verdeutlicht auch der Antrag der Grünen, der im Titel zwar auf die Umsetzung des Public Corporate Governance Kodex im Ganzen abhebt, inhaltlich jedoch ausschließlich auf die Vergütungsfrage rekurriert. In der Tat fallen bei der Durchsicht des aktuellen Beteiligungsberichtes des Bundes vom Februar 2013 einige Unternehmen auf, die die Vergütungen ihrer Geschäftsführungen, Vorstände und gegebenenfalls Aufsichtsräte nicht oder nicht individuell ausweisen. Wie bereits aus den diversen Antworten des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der Finanzen, des Kollegen Kampeter, hervorgeht, liegen dafür insbesondere zwei Gründe vor: Zum einen können Betroffene, deren Vertragsverhältnisse vor der Umsetzung des Public Corporate Governance Kodex geschlossen wurden, ihr Einverständnis zur Offenlegung verweigern. Zum anderen muss für alle Mitglieder der Geschäftsführung die Zustimmung vorliegen, da ein Geschäftsführer mit einem Altvertrag aufgrund der Regelung des § 286 Abs. 4 des Handelsgesetzbuches eine individualisierte Offenlegung verhindern kann, wenn sich aus anderen Angaben Rückschlüsse auf die eigenen Bezüge ergeben können. Entsprechend des Comply-or-Explain-Mechanismus ist dies etwa dem Beteiligungsbericht auch deutlich und für jede Beteiligung des Bundes ersichtlich zu entnehmen. Pacta sunt servanda – daran kann auch ein Grünen-Antrag nichts ändern. Die Zeit wird hier die Dinge jedoch in unser aller Sinne regeln. Satzungsänderungsverfahren zur Verankerung des Public Kodex, die sukzessive Anpassung der Anstellungsverträge und weitere Neuverträge werden das zeigen. Ihrem Antrag heute zuzustimmen, hätte hingegen lediglich den Effekt von weißer Salbe. Ebenso wohlfeil ist Ihre Forderung, auch bei Minderheitsbeteiligungen – allein der Beteiligungsbericht listet hier 646 mittelbare Beteiligungen mit einem Nennkapital von über 50 000 Euro und mit über 25 Prozent Anteilsbeteiligung auf – auf die Umsetzung des Public Kodex hinzuwirken. Auch das ist längst Realität und wird im Rahmen der Einwirkungsmöglichkeiten der Verantwortlichen so gehandhabt. Auch hier ist der Antrag der Grünen ein Placebo ohne Effekt. Aus diesen Gründen plädiere ich für die Ablehnung des Antrags. Ingo Egloff (SPD): Der hier vorliegende Bericht und die Entscheidung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie über die Frage des Public Kodex und der Verankerung desselben in den Unternehmen des Bundes oder solchen mit Bundesbeteiligung zeigt, dass die Regierungsfraktionen wieder einmal wohltönenden Ankündigungen keine Taten folgen lassen. Allein die Tatsache, dass wir ewig lange gebraucht haben, um den Antrag zu behandeln und ihn dann einfach abzulehnen, zeigt, dass hier nicht mit dem nötigen Nachdruck gearbeitet wird. Zwar ist uns bewusst, dass es hier Persönlichkeitsrechte zu beachten gilt, aber hier ist eine Abwägung vorzunehmen. Denn wenn der Staat in Form des Privatrechts handelt oder an privaten Unternehmungen beteiligt ist, dann besteht ein Anspruch der Öffentlichkeit darauf, hier Auskunft darüber zu erlangen, wie die Gehalts- und Bezahlungsstruktur ist. Natürlich kann man dies auch in den Satzungen der Unternehmen verankern und individualrechtlich mit den Betroffenen vereinbaren, um hier rechtliche Zweifel zu beseitigen. In Zeiten, in denen über Vorstandsvergütungen öffentlich heftig gestritten wird, in denen man davon ausgehen muss, dass es insbesondere auf Vorbildfunktionen des Staates ankommt, kann man dieser Entwicklung staatlicherseits nicht mehr mit rechtlichen Begründungen ausweichen. Wer bei privaten Unternehmen Publizität fordert, die Einhaltung von Compliance-Richtlinien etc., der kann sich als öffentliche Hand derartigen Forderungen nicht verweigern. Deshalb ist das Abstimmungsverhalten der Regierungskoalition nicht verständlich. Die SPD-Fraktion unterstützt den Ursprungsantrag der Grünen, weil es hier aufseiten des Staates Bewegung geben muss. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Wir beraten hier die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag „Konsequente Umsetzung des Public Corporate Governance Kodex“ von Bündnis 90/Die Grünen. Der Public Corporate Governance Kodex des Bundes, PCGK, enthält Bestimmungen zur Leitung und Überwachung von Unternehmen, an denen der Bund beteiligt ist. Ziel dieses Kodex ist es, die Unternehmen transparenter und Entscheidungen nachvollziehbarer zu gestalten. Der PCGK bezieht sich auf Unternehmen, die juristische Personen des Privatrechts sind und an denen der Bund mehrheitlich beteiligt ist. Verfügt der Bund nicht über eine Mehrheitsbeteiligung an einem Unternehmen, kann diesem die Beachtung des PCGK nur empfohlen werden. Da die Grünen an der äußerst erfolgreichen Ausgestaltung dieses Kodex durch die schwarz-gelbe Bundesregierung keinen Anstoß nehmen können, ist der einzige teilweise nachvollziehbare Anwurf, dass der Kodex nicht schnell genug in allen Mehrheitsbeteiligungen des Bundes umgesetzt worden sei. Es gab hier mehrfach Berichte der Bundesregierung über die Umsetzung des PCGK. Doch haben wir bei den Mehrheitsbeteiligungen des Bundes den PCGK weitgehend umgesetzt. Die letzten offenen Fragen, so die Offenlegung der Vergütung der Geschäftsführung, der Vorstände und der Aufsichtsräte, können spätestens ab dem Geschäftsjahr 2013 beantwortet werden. Erfreulich ist auch, dass bei den meisten Beteiligungen unseres liberal geführten Wirtschaftsministeriums – Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH, Deutsche Energie-Agentur GmbH, High-Tech Gründerfonds, Germany Trade and Invest, WIK GmbH, Wismut GmbH – der PCGK bereits ausnahmslos umgesetzt worden ist. Unsere erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist und bleibt ein wichtiges Signal und Vorbild auch für alle rein privatwirtschaftlich organisierten deutschen Unternehmen. Auch der Wunsch der Grünen, den Kodex bei Minderheitsbeteiligungen des Bundes mit der Brechstange durchzusetzen, ist wieder ein Wunschtraum von ausufernden staatlichen Regelungsfantasien und ist nicht mit der Realität in der Geschäftswelt vereinbar. Allerdings haben die Bemühungen des Bundes zur Umsetzung der Transparenzvorgaben des Kodex auch bei den Minderheitsbeteiligungen zu einer verbesserten Offenlegung zumindest der Gesamtvergütungen geführt. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist somit gegenstandslos oder hat sich bereits selbst überlebt. Der Public Corporate Governance Kodex des Bundes ist weitgehend umgesetzt. Insbesondere die Gesamtvergütungen werden nahezu flächendeckend offengelegt. Dies ist ein wichtiger Schritt hin zu Transparenz und dem Nachvollziehen von Entscheidungen bei den Mehrheitsbeteiligungen des Bundes. Deshalb ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie nicht nur nachvollziehbar, sondern auch die einzig richtige Entscheidung für die Schaffung von mehr Transparenz bei den Unternehmensbeteiligungen des Bundes. Dies unterstützen wir nachdrücklich. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Beteiligung der öffentlichen Hand an Unternehmen bringt eine besondere Verantwortung mit sich. Die Bürgerinnen und Bürger haben das Recht auf Transparenz und Kontrolle der Unternehmen und auf Rechenschaft über die Verwendung der öffentlichen Gelder. Dazu gehört auch die Vergütung der Geschäftsführung sowie der Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder. In diesem Sinne können wir dem Antrag der Grünen zustimmen. Für die Führung eines Unternehmens im Interesse der Öffentlichkeit reicht das allerdings nicht aus. Wir brauchen endlich eine Änderung des Aktienrechts. Aufsichtsratsmitglieder des Bundes müssen „im Namen der Bundesregierung“ oder „im Namen des Bundes“ handeln. Das „Gemeinwohl“ muss Vorrang vor den Unternehmensinteressen bekommen. Derzeit sind – so der Bundesgerichtshof – die Aufsichtsratsmitglieder im Falle vorliegender kollidierender Interessen zwischen Gemeinwohl und Unternehmenswohl nämlich in erster Linie dem Wohl des Unternehmens verpflichtet. Der Public Corporate Governance Kodex wurde von einigen Bundesländern übernommen und soll auch für kommunale Unternehmen gelten. Öffentliche Dienstleistungen und Güter sind das Fundament einer Gesellschaft, in der alle Menschen an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben können. Über den engen Begriff der Daseinsvorsorge hinaus gibt es weitere Aspekte für öffentliche Leistungen: als Schutz vor privater Einflussnahme wie zum Beispiel im Bereich der Kindertagesstätten und Schulen, um Aspekte aus dem sozialen oder ökologischen Bereich ausreichend zu berücksichtigen oder auch einfach als Recht der Kommune, sich wirtschaftlich zu betätigen. Kommunale Unternehmen sind vielfach Voraussetzung für eine dezentrale, bürgernahe, soziale und umweltverträgliche Politik, allerdings keine Garanten dafür. In vielen gemischtwirtschaftlichen Unternehmen beschränken sich die Kommunen auf ihre Rolle als Dividendenempfänger, ohne Mitentscheidungsrechte einzufordern. Statt ihre Beteiligungen als reine Vermögensverwaltung zu verstehen, sollten die Kommunen sie durch gutes und transparentes Management zur politischen Steuerung im Sinne des Gemeinwohls nutzen. Deshalb müssen Transparenz und demokratische Kontrolle ausgebaut werden. Hier kann der Public Corporate Governance Kodex als Richtschnur, als Mindeststandard für die Leitung und Kontrolle öffentlicher Unternehmen zugrunde gelegt werden. Wie die Präambel des Kodex fordert, hätte ein kommunales Unternehmen dann wenigstens jährlich offenzulegen, wo und warum es von den Empfehlungen eines solchen Kodex abweicht. Aber auch auf Landesebene und bei kommunalen -Unternehmen gilt: Transparenz kann nur ein Schritt zu einer echten demokratischen Kontrolle sein. Die Transparenz und demokratische Kontrolle öffentlicher Unternehmen sowie ihre Rolle für den sozial-ökologischen Umbau muss durch die gewählte Rechtsform, die Fest-legung des Unternehmenszieles sowie die Zusammensetzung von Aufsichtsräten und Beiräten, ihre Verpflichtung auf das Gemeinwohl sowie die Einführung eines Initiativrechtes sichergestellt werden. Die Bürgerinnen und Bürger müssen an der Entwicklung der Strategie öffentlicher Unternehmen beteiligt werden, sei es über Bürgerversammlungen, Bürgerhaushalte oder andere Formen direkter Demokratie. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit unserem Antrag „Konsequente Umsetzung des Public Corporate Governance Kodex“ setzen wir uns für eine schnelle und umfassende Umsetzung von Leitlinien zur guten Unternehmensführung, des sogenannten Public Corporate Governance Kodex, in allen Bundesbeteiligungen ein. Betriebe mit Beteiligung des Bundes sollen grundsätzlich eine Vorbildrolle einnehmen. Gerade von ihnen kann man erwarten, dass sie die obligatorischen Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung umsetzen. Das ist bislang nur langsam passiert. Seit der Verabschiedung im Sommer 2009 kommt die Umsetzung der Empfehlungen aus dem Public Kodex zwar voran, es gibt aber nach wie vor Unternehmen in Bundesbesitz, die den Public Kodex noch nicht in ihren Satzungen verankert haben bzw. die Gehälter von Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern, Vorständen und Aufsichts-räten noch nicht individualisiert veröffentlichen. Der Public Kodex orientiert sich inhaltlich an der aktuellen gesetzgeberischen Situation, enthält aber darüber hinaus noch Anregungen und Empfehlungen, die sich zum Beispiel auf die Zusammensetzung von Aufsichtsräten oder die transparente, individualisierte Offenlegung von Vorstandsgehältern beziehen. Es geht darum, zu verhindern, dass eine mangelhafte Unternehmensüberwachung und leitung zu eigentlich vermeidbaren finanziellen Belastungen oder gar Unternehmenszusammenbrüchen führt. Nicht umsonst berichtet der Bund der Steuerzahler in seinem alljährlichen Schwarzbuch unter der Überschrift „Unternehmer Staat“ über vielfältige Fehlentwicklungen in öffentlichen Unternehmen, die regelmäßig finanzielle Folgen für die Eigentümerinnen und Eigentümer und im Zuge dessen natürlich auch für deren Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Gläubiger haben. Deshalb soll sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass in allen Satzungen der Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligungen des Bundes schnellstmöglich der Public Corporate Governance Kodex des Bundes verankert wird. Davon ausgenommen sind börsennotierte Unternehmen, denn für sie gilt der Deutsche Corporate Governance Kodex. Wir wollen für die Zukunft, dass bei allen Änderungen der Verträge der Mitglieder der Geschäftsführung, der Vorstände und Aufsichtsräte sowie bei sämtlichen Neuanstellungen von Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern, Vorständen und Aufsichtsräten festgesetzt wird, dass deren Vergütung unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und der zu dieser Frage ergangenen einschlägigen Rechtsprechung auf gesetzlicher Grundlage grundsätzlich transparent und in namentlicher Aufzählung offengelegt wird. Im Public Kodex ist die Offenlegung der Vergütung von Geschäftsführern und Vorständen als Empfehlung enthalten. So ist eine Abweichung vom Kodex möglich, die lediglich im jährlichen Corporate-Governance-Bericht vermerkt werden muss. Die Zahl der Unternehmen, die die Bezüge der Vorstände und Aufsichtsräte tatsächlich individuell veröffentlichen, zeigt, dass eine freiwillige Empfehlung zu kurz greift. Als Anteilseigner kann der Bund maßgeblich darauf hinwirken, wie und ob der Public Corporate Governance Kodex umgesetzt wird, und für eine klare gesetzliche Offenlegungspflicht der Vergütung sorgen. Nur so kann die Unternehmensführung und überwachung ehrlich, konsequent und transparent gestaltet werden. Die öffentliche Bekanntmachung von individuell zuordenbaren Vergütungen stellt zwar einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in Art. 8 EMRK bzw. das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen dar. Die einschlägigen Gerichte betonen allerdings die Umsetzbarkeit des Transparenzanspruches, soweit besondere privatheitsschützende Elemente beachtet werden. Im Falle von Unternehmen mit staatlicher Beteiligung überwiegt grundsätzlich das Interesse der Beteiligungsverwaltung, der Steuerzahler und der Öffentlichkeit daran, über die Verwendung der eingesetzten öffentlichen Mittel Rechenschaft zu erhalten, gegenüber den dadurch betroffenen Persönlichkeitsrechten und einem möglichen Bedürfnis nach Geheimhaltung. Betriebe mit Beteiligung des Bundes sollen grundsätzlich eine Vorbildrolle einnehmen und die obligatorischen Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung umsetzen. In der Antwort auf meine schriftlichen Fragen 454 und 455 vom Februar letzten Jahres beruft sich das Bundesministerium der Finanzen auf laufende Satzungsänderungverfahren, in denen der Kodex dann verankert werden solle. Seit der Verabschiedung im Sommer 2009 kommt die Umsetzung der Empfehlungen aber nicht schnell genug voran. Nach den Informationen der Antwort auf diese Fragen weisen nur 17,5 Prozent der staatlich kontrollierten Betriebe die Bezüge der Vorstände individuell aus. Daher sollen die für die Führung der Beteiligung zuständigen Bundesministerien darauf hinwirken, bei den Unternehmen, die die Regelwerke noch immer nicht angepasst haben, schnellstmöglich eine Satzungsänderung zugunsten der Einbindung des Public Kodex zu erwirken. Als damals noch relativ frisch dazugekommene Abgeordnete war mein Wunsch, den Public Kodex bis Ende des Jahres 2012 umgesetzt zu sehen, wohl etwas sehr optimistisch. Die Mühlen der Demokratie mahlen langsam. Insofern hoffe ich, dass der Antrag nun sinngemäß schnellstmöglich angenommen und umgesetzt wird. Für die Bundesregierung handelt es sich dabei um einen geringen Aufwand, von dem die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler einen nachhaltigen Mehrwert haben. Deshalb hoffe ich auf die Zustimmung des Hauses. 1Anlagen 2 bis 5 2Ergebnis Seite 29179 D 3Ergebnis Seite 29185 A 4Ergebnis Seite 29187 D 5Ergebnis Seite 29190 C 6Anlagen 6 bis 9 7Ergebnis Seite 29217 D 8Erklärung nach § 31 GO siehe Anlage 10 9Anlage 19 10Anlage 11 11Anlage 12 12Anlage 13 13Anlage 14 14Anlage 15 15Anlage 16 16Anlage 17 17Anlage 18 18Anlage 20 19Anlage 21 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 29298 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 234. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 18. April 2013 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 234. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 18. April 2013 29299 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 29506 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – XXX. Sitzung, Berlin, XXXX, den XX. XXXX 2013 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 234. Sitzung, Berlin, Donnerstag, den 18. April 2013 29505