Plenarprotokoll 17/244 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 244. Sitzung Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 I n h a l t : 25 Jahre Kinderkommission Begrüßung des Präsidenten des Sabor, des Parlaments der Republik Kroatien, Herrn Josip Leko Zur Geschäftsordnung Thomas Oppermann (SPD) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Jörg van Essen (FDP) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 47: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Lage der Freien Berufe (Drucksache 17/13074) b) Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Kai Wegner, Lena Strothmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin), Claudia Bögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Freie Berufe – Wachstumstreiber in der Sozialen Marktwirtschaft (Drucksache 17/13714) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär BMWi Andrea Wicklein (SPD) Kai Wegner (CDU/CSU) Sabine Leidig (DIE LINKE) Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ingo Egloff (SPD) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Lars Klingbeil (SPD) Rita Pawelski (CDU/CSU) Ingrid Fischbach (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 48: Antrag der Fraktion der SPD: Globale Steuergestaltung verhindern – Regulierungsschlupflöcher stopfen (Drucksache 17/13716) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Mai 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten und hinsichtlich der als Gesetz über die Steuerehrlichkeit bezüglich Auslandskonten bekannten US-amerikanischen Informations- und Meldebestimmungen (Drucksache 17/13704) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 19: Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Steuerzahlungen multinationaler Unternehmen transparent machen – Country-by-Country-Reporting in Deutschland einführen und in Europa vorantreiben (Drucksache 17/13717) Peer Steinbrück (SPD) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) Dr. Volker Wissing (FDP) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Manfred Kolbe (CDU/CSU) Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Daniel Volk (FDP) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Antje Tillmann (CDU/CSU) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) Antje Tillmann (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 49: Unterrichtung durch die Bundesregierung: 16. Bericht der Bundesregierung zur -Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik 2011/2012 (Drucksache 17/12052) Cornelia Pieper, Staatsministerin AA Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Rainer Stinner (FDP) Philipp Mißfelder (CDU/CSU) Monika Grütters (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 8: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes von Apotheken (Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz – ANSG) (Drucksachen 17/13403, 17/13769) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/13771) b) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (Drucksachen 17/13083, 17/13770) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (Drucksachen 17/13404, 17/13770) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Versorgung mit Arzneimitteln -sicherstellen (Drucksachen 17/12847, 17/13770) Namentliche Abstimmung Ergebnis Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Katja Mast, Anette Kramme, Gabriele Lösekrug-Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: -Sofortprogramm „2. Chance auf Berufsausbildung“ für junge Erwachsene ohne Berufsabschluss – Fachkräfte von morgen ausbilden (Drucksache 17/13252) Tagesordnungspunkt 12: a) Antrag der Abgeordneten Anette Hübinger, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Martin Neumann (Lausitz), Dr. Peter Röhlinger, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung durch kontinuierliche Impulse des Bundes konsequent weiter vorantreiben (Drucksache 17/12845) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Marianne Schieder (Schwandorf), Ulla Burchardt, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frauen in Wissenschaft und Forschung – Mehr Verbindlichkeit für Geschlechtergerechtigkeit (Drucksachen 17/9978, 17/12365) Tagesordnungspunkt 15: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Rüstungs-exporte als Instrument der Außenpolitik – Exportverbot jetzt durchsetzen (Drucksachen 17/10842, 17/12654) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Da?delen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alle Waffen-exporte des Oberndorfer Kleinwaffenherstellers verbieten (Drucksachen 17/4677, 17/4900) c) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lieferung von U-Booten an -Israel stoppen (Drucksachen 17/9738, 17/10150) d) Antrag der Abgeordneten Fritz Rudolf Körper, Klaus Barthel, Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Markierung deutscher Klein- und Leichtwaffen (Drucksache 17/11875) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Katja Keul, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern – Demokratische Proteste unterstützen (Drucksachen 17/13489, 17/13763) Tagesordnungspunkt 14: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt (Drucksachen 17/12814, 17/13774) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt (Drucksachen 17/13062, 17/13391, 17/13774) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/13775) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu der Unterrichtung durch den Deutschen Ethikrat: Stellungnahme des Deutschen Ethikrates – Das Problem der anonymen Kindesabgabe (Drucksachen 17/190, 17/13774) Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aufnahme afghanischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeswehr in Deutschland (Drucksache 17/13729) Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes (Drucksachen 17/12957, 17/13558) Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer (Altötting), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Joachim Günther (Plauen), Dr. Lutz Knopek, Hans-Werner Ehrenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Daniela Wagner, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren (Drucksachen 17/13091, 17/13092, 17/13372) Eberhard Gienger (CDU/CSU) Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) Dr. Lutz Knopek (FDP) Katrin Kunert (DIE LINKE) Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Andrea Wicklein, Wolfgang Tiefensee, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Bürokratieabbau optimieren – Mittelstandsorientierung stärken (Drucksache 17/13548) Tagesordnungspunkt 21: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Drucksachen 17/13063, 17/13392, 17/13556) – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/13557) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Da?delen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: 60 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention – Handlungsbedarf auf nationaler und internationaler Ebene (Drucksachen 17/6095, 17/13564) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Rüdiger Veit (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 22: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Allein-erziehende besser unterstützen – zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Allein-erziehung von Kindern würdigen – Alleinerziehende gebührend unterstützen (Drucksachen 17/11032, 17/8793, 17/13178) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, Anton Schaaf, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neue Strategien für eine bessere Förderung von Alleinerziehenden in der Grundsicherung (Drucksachen 17/11038, 17/12905) Dorothee Bär (CDU/CSU) Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Caren Marks (SPD) Sibylle Laurischk (FDP) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen (Drucksachen 17/13086, 17/13764) Norbert Geis (CDU/CSU) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Ingo Egloff (SPD) Jimmy Schulz (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 24: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Ilja Seifert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Diskriminierungsschutz für chronisch erkrankte Menschen ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufnehmen (Drucksachen 17/9563, 17/13765) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Stephan Thomae (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Nutzung verwaister und vergriffener Werke und einer weiteren Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Drucksache 17/13423) Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Priska Hinz (Herborn), Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparente Kriterien und verbindliche Rahmenbedingungen schaffen für die Bundesförderung von kulturellen Institutionen und Projekten (Drucksache 17/12196) Monika Grütters (CDU/CSU) Siegmund Ehrmann (SPD) Reiner Deutschmann (FDP) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF Tagesordnungspunkt 27: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013 (Drucksache 17/13670) Tankred Schipanski (CDU/CSU) Swen Schulz (Spandau) (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF Tagesordnungspunkt 28: – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (Drucksachen 17/56, 17/13157) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Markus Kurth, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der sozialen Situation von Menschen, die ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland leben (Drucksachen 17/6167, 17/13157) Helmut Brandt (CDU/CSU) Rüdiger Veit (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 29: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur -Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (Drucksachen 17/13469, 17/13766) Helmut Brandt (CDU/CSU) Dr. Edgar Franke (SPD) Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 30: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Hartmann (Wackernheim), Sören Bartol, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Mehr Transparenz beim Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung – Bericht des Bundesrechnungshofes vollständig umsetzen (Drucksachen 17/5230, 17/13314) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Eva Högl, Michael Hartmann (Wackernheim), Christian Lange (Backnang), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Interessenvertretung sinnvoll regeln – Lobbyismus transparent machen – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Neškovi?, Ulla Jelpke, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz schaffen – Verbindliches Register für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen (Drucksachen 17/6442, 17/2096, 17/2486, 17/13737) Bernhard Kaster (CDU/CSU) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) Christian Lange (Backnang) (SPD) Dr. Stefan Ruppert (FDP) Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (Drucksache 17/10511) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Rüdiger Veit (SPD) Gisela Piltz (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 32: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Das System der Verwertungsgesellschaften grundlegend modernisieren (Drucksachen 17/11043, 17/13767, 17/13768) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Diana Golze, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes – Einbeziehung von Kindertagesbetreuungseinrichtungen in die Schrankenregelungen (Drucksachen 17/4876, 17/13768) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Burkhard Lischka (SPD) Stephan Thomae (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien (… Strafrechtsänderungsgesetz – … StrÄndG) (Drucksache 17/13707) Tagesordnungspunkt 33: Antrag der Abgeordneten Ute Koczy, Uwe Kekeritz, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE -GRÜNEN: Zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit – Partnerschaft für eine menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung (Drucksache 17/13728) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) Stefan Rebmann (SPD) Helga Daub (FDP) Annette Groth (DIE LINKE) Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 34: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Harald Ebner, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kennzeichnung von Honig mit Gentech-Pollen sicherstellen – Schutz der Imkerei vor GVO-Verunreinigungen gewährleisten (Drucksachen 17/12839, 17/13273) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem -Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Imkerei vor der Agro-Gentechnik schützen (Drucksachen 17/9985, 17/11057) Josef Rief (CDU/CSU) Elvira Drobinski-Weiß (SPD) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 35: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Sönke Rix, Ute Kumpf, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrich Schneider, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Freiwilligendienste in zivilgesellschaftlicher Verantwortung stärken (Drucksachen 17/9926, 17/12904) Dorothee Bär (CDU/CSU) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) Sönke Rix (SPD) Florian Bernschneider (FDP) Harald Koch (DIE LINKE) Ulrich Schneider (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 36: Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Obdach- und Wohnungslosigkeit erkennen und bekämpfen (Drucksache 17/13105) Karl Holmeier (CDU/CSU) Gero Storjohann (CDU/CSU) Michael Groß (SPD) Petra Müller (Aachen) (FDP) Heidrun Bluhm (DIE LINKE) Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 54: g) Antrag der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Brigitte Pothmer, Arfst Wagner (Schleswig), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fortführung der arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge in der nächsten Förderungsperiode des Europäischen Sozialfonds (Drucksache 17/13718) Zusatztagesordnungspunkt 11: Bericht des Innenausschusses gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung – zu dem von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Aufnahme von Kultur und Sport in das Grundgesetz – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kultur gut stärken – Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankern (Drucksachen 17/10644, 17/10785 (neu), 17/13750) in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 38: c) Beschlussempfehlung und Bericht des Sportausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Dietmar Bartsch, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Förderung des Sports ist Aufgabe des Staates – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Petermann, Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sportförderung neu denken – Strukturen verändern (Drucksachen 17/6152, 17/11374, 17/13751) Klaus Riegert (CDU/CSU) Ingo Wellenreuther (CDU/CSU) Siegmund Ehrmann (SPD) Martin Gerster (SPD) Reiner Deutschmann (FDP) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 39: Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Elvira Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Barrierefreier Zugang zu Großveranstaltungen und Reisen (Drucksache 17/13550) Christian Hirte (CDU/CSU) Hans-Joachim Hacker (SPD) Jens Ackermann (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 40: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zugang zu medizinischem Cannabis für alle betroffenen Patientinnen und Patienten ermöglichen (Drucksachen 17/6127, 17/13620) Karin Maag (CDU/CSU) Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) Frank Tempel (DIE LINKE) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 41: Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Willi Brase, Ulla Burchardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ausbildungssituation im Hotel- und Gaststättengewerbe verbessern (Drucksache 17/13549) Heike Brehmer (CDU/CSU) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Willi Brase (SPD) Horst Meierhofer (FDP) Agnes Alpers (DIE LINKE) Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 42: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Meeresforschung stärken – Potentiale ausschöpfen und Innovationen fördern (Drucksachen 17/9745, 17/13699) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Jürgen Trittin, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: zu der Empfehlung für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein umfassendes Handels- und Investitionsabkommen, transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft genannt, zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika – KOM (2013)136 endg.; Ratsdok. 7396/13 – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäische Union – Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft nur mit starker Parlamentsbeteiligung (Drucksache 17/13733) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 13: Antrag der Fraktion der SPD: zu der Empfehlung für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme von -Verhandlungen über ein umfassendes Handels- und Investitionsabkommen, trans-atlantische Handels- und Investitions-partnerschaft genannt, zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika – KOM (2013)136 endg.; Ratsdok. 7396/13 – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäische Union – Vereinbarung über die Herausnahme von audiovisuellen und kulturellen Dienstleistungen von den Verhandlungen der EU mit den USA zu einem transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) erzielen (Drucksache 17/13732) Tagesordnungspunkt 43: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Lars Klingbeil, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Freier Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen (Drucksachen 17/12300, 17/13701) Florian Hahn (CDU/CSU) Tankred Schipanski (CDU/CSU) René Röspel (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 44: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Silvia Schmidt (Eisleben), Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Teilhabe ermöglichen – Forschung und Entwicklung von Technologien und Design für Alle intensivieren (Drucksachen 17/13085, 17/13702) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) Oliver Kaczmarek (SPD) Dr. Peter Röhlinger (FDP) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine moderne und nachhaltige Verbraucherpolitik (Drucksachen 17/12694, 17/13761) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern (Drucksachen 17/12689, 17/13274) Tagesordnungspunkt 45: Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wildtierhandel und -haltung in Deutschland einschränken und so den Tier- und Artenschutz stärken (Drucksache 17/13712) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Tier- und Artenschutz durch Beschränkung des Wildtierhandels stärken (Drucksache 17/13713) Tagesordnungspunkt 46: Antrag der Abgeordneten Stefan Schwartze, Gabriele Fograscher, Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Anerkennung der an den ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen begangenen Verbrechen als nationalsozialistisches Unrecht und Gewährung eines symbolischen finanziellen Anerkennungsbetrages für diese Opfergruppe (Drucksache 17/13710) Manfred Kolbe (CDU/CSU) Stefan Schwartze (SPD) Holger Krestel (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zusatztagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Frank Hofmann (Volkach), Michael Hartmann (Wackernheim), Christine Lambrecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: System der Kriminal- und Rechtspflegestatistiken in Deutschland optimieren und auf eine solide rechtliche Grundlage stellen (Drucksache 17/13715) Tagesordnungspunkt 50: a) Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: 10 Euro Mindestlohn jetzt (Drucksache 17/13551) c) Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit einem einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn Lohndumping bekämpfen und fairen Wettbewerb schaffen (Drucksache 17/13719) Jutta Krellmann (DIE LINKE) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) Klaus Ernst (DIE LINKE) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) Jutta Krellmann (DIE LINKE) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) Klaus Ernst (DIE LINKE) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) Jutta Krellmann (DIE LINKE) Max Straubinger (CDU/CSU) Karl Schiewerling (CDU/CSU) Tagesordnungspunkt 51: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Drucksache 17/13661) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMVg Inge Höger (DIE LINKE) Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Philipp Mißfelder (CDU/CSU) Paul Schäfer (Köln) (CDU/CSU) Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Tagesordnungspunkt 52: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Ulrich Schneider, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 38) (Drucksache 17/13238) b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Ulrich Schneider, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des aktiven Wahlrechts ab 16 Jahren im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz (Drucksache 17/13257) Zusatztagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Sibylle Pfeiffer, Hartwig Fischer (Göttingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Helga Daub, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zerstörung des kongolesischen Naturerbes verhindern (Drucksache 17/13711) Nächste Sitzung Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Birgitt Bender, Marieluise Beck und Priska Hinz (Herborn) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt (Tagesordnungspunkt 14) Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ekin Deligöz, Katja Dörner, Dr. Thomas Gambke, Kai Gehring, Britta Haßelmann, Bettina Herlitzius, Ingrid Hönlinger, Maria Klein-Schmeink, Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Nicole Maisch, Jerzy Montag, Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann E. Ott, Lisa Paus, Tabea Rößner, Ulrich Schneider, Dorothea Steiner, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe, Arfst Wagner (Schleswig) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt (Tagesordnungspunkt 14) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gabriele Groneberg, Christel Humme, Gabriele Lösekrug-Möller, Caren Marks und Dagmar Ziegler (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt (Tagesordnungspunkt 14) Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Georg Nüßlein und Dr. Matthias Heider (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Bericht: -Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen (Tagesordnungspunkt 23) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung durch kontinuierliche Impulse des Bundes konsequent weiter vorantreiben – Beschlussempfehlung und Bericht: Frauen in Wissenschaft und Forschung – Mehr Verbindlichkeit für Geschlechtergerechtigkeit (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Monika Grütters (CDU/CSU) Anette Hübinger (CDU/CSU) Ulla Burchardt (SPD) Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Sofortprogramm „2. Chance auf Berufsausbildung“ für junge Erwachsene ohne Berufsabschluss – Fachkräfte von morgen ausbilden (Tagesordnungspunkt 13) Paul Lehrieder (CDU/CSU) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) Katja Mast (SPD) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) Agnes Alpers (DIE LINKE) Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt – Beschlussempfehlung und Bericht zur Stellungnahme des Deutschen Ethikrates – Das Problem der anonymen Kindesabgabe (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Ingrid Fischbach (CDU/CSU) Norbert Geis (CDU/CSU) Caren Marks (SPD) Miriam Gruß (FDP) Jörn Wunderlich (DIE LINKE) Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Keine Rüstungsexporte als Instrument der Außenpolitik – Exportverbot jetzt durchsetzen – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Alle Waffenexporte des Oberndorfer Kleinwaffenherstellers verbieten – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Lieferung von U-Booten an Israel stoppen – Antrag: Markierung deutscher Klein- und Leichtwaffen – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern – Demokratische Proteste unterstützen (Tagesordnungspunkt 15 a bis d und Zusatz-tagesordnungspunkt 9) Erich G. Fritz (CDU/CSU) Klaus Barthel (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Jan van Aken (DIE LINKE) Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 16) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) Karin Evers-Meyer (SPD) Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) Harald Koch (DIE LINKE) Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Aufnahme afghanischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeswehr in Deutschland (Tagesordnungspunkt 17) Robert Hochbaum (CDU/CSU) Rüdiger Veit (SPD) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bürokratieabbau optimieren – Mittelstandsorientierung stärken (Tagesordnungspunkt 20) Kai Wegner (CDU/CSU) Andrea Wicklein (SPD) Frank Schäffler (FDP) Michael Schlecht (DIE LINKE) Susanne Kieckbusch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Nutzung verwaister und vergriffener Werke und einer weiteren Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 25) Ansgar Heveling (CDU/CSU) Thomas Silberhorn (CDU/CSU) Siegmund Ehrmann (SPD) René Röspel (SPD) Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Wildtierhandel und -haltung in Deutschland einschränken und so den Tier- und Artenschutz stärken – Tier- und Artenschutz durch Beschränkung des Wildtierhandels stärken (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 16) Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) Dieter Stier (CDU/CSU) Heinz Paula (SPD) Hans-Michael Goldmann (FDP) Sabine Stüber (DIE LINKE) Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 38) – Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des aktiven Wahlrechts ab 16 Jahren im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz (Tagesordnungspunkt 52 a und b) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) Reinhard Grindel (CDU/CSU) Gabriele Fograscher (SPD) Jörg van Essen (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Fortführung der arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge in der nächsten Förderungs-periode des Europäischen Sozialfonds (Tagesordnungspunkt 54 g) Ulrich Lange (CDU/CSU) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) Josip Juratovic (SPD) Pascal Kober (FDP) Ulla Jelpke (DIE LINKE) Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien (… Strafrechtsänderungsgesetz – … StrÄndG) (Zusatztagesordnungspunkt 10) Ute Granold (CDU/CSU) Sonja Steffen (SPD) Marco Buschmann (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: zu dem Entwurf der Europäischen Kommission für das Verhandlungsmandat zu einem neuen Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika (TTIP) – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung -gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angele-genheiten der Europäischen Union – Transatlantische Handels- und Investi-tionspartnerschaft nur mit starker Parlamentsbeteiligung – Antrag: Audiovisuelle und kulturelle Dienstleistungen von den Verhandlungen der EU mit den USA zu einem transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) ausnehmen (Zusatztagesordnungspunkte 12 und 13) Erich G. Fritz (CDU/CSU) Rolf Hempelmann (SPD) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) Ulla Lötzer (DIE LINKE) Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Für eine moderne und nachhaltige Verbraucherpolitik (Zusatztagesordnungspunkte 14 und 15) Mechthild Heil (CDU/CSU) Elvira Drobinski-Weiß (SPD) Dr. Erik Schweickert (FDP) Caren Lay (DIE LINKE) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: System der Kriminal- und Rechtspflegestatistiken in Deutschland optimieren und auf eine solide rechtliche Grundlage stellen (Zusatztagesordnungspunkt 17) Clemens Binninger (CDU/CSU) Frank Hofmann (Volkach) (SPD) Gisela Piltz (FDP) Halina Wawzyniak (DIE LINKE) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zu dem Antrag: Zerstörung des kongolesischen Naturerbes verhindern (Zusatztagesordnungspunkt 20) Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) Dr. Sascha Raabe (SPD) Michael Kauch (FDP) Niema Movassat (DIE LINKE) Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Anlage 22 Amtliche Mitteilungen Inhaltsverzeichnis 244. Sitzung Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 Beginn: 9.00 Uhr Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Vorweg will ich daran erinnern, dass 1988 durch einen Beschluss des Ältestenrates die Kinderkommission des Deutschen Bundestages ins Leben gerufen worden ist, sie also heute ihr 25. Jubiläum feiert. Diese Kinderkommission ist das weltweit erste parlamentarische Gremium, das sich speziell für die Interessen der Kinder und Jugendlichen einsetzt. Durch ihre auf Einstimmigkeit beruhende Arbeitsweise und den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz wird deutlich, dass sich die Fraktionen über parteipolitische Grenzen hinweg für die Umsetzung der kinderpolitischen Belange starkmachen. Der Bundestagspräsident wird dies bei der Festveranstaltung heute Mittag deutlich machen. Dies vorweg. Eine weitere Vorbemerkung: Nachdem gestern einige Tagesordnungspunkte nicht verhandelt werden konnten, wird heute nach der Geschäftsordnungsdebatte mitgeteilt, auf welche Weise heute die Tagesordnung verändert wird und welche Punkte heute debattiert bzw. abgestimmt werden. Bevor wir in die eigentliche Tagesordnung eintreten, müssen wir einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfs zur Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Einkommensteuerrecht, Drucksache 17/12858, zu erweitern und heute als letzten Tagesordnungspunkt mit einer Debattenzeit von 30 Minuten aufzurufen. Das Wort hat – wer von Ihnen wird beginnen? – Kollege Oppermann. Thomas Oppermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Lebenspartnerschaften steuerlich nicht länger diskriminiert werden dürfen. Sexuelle Orientierung darf kein Anknüpfungspunkt für Diskriminierung mehr sein. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel Applaus kriegst du jetzt dafür!) Das ist ein großer Fortschritt. Viele Menschen in diesem Land freuen sich über diese Entscheidung; denn in der Tat: Es gibt überhaupt keinen vernünftigen Grund, dass Lebenspartnerschaften, in denen Menschen fürei-nander einstehen und Verantwortung übernehmen, steuerlich diskriminiert werden, nur weil sie das gleiche Geschlecht haben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen diese Entscheidung jetzt ganz schnell und ohne weitere Verzögerungen umsetzen. Deshalb rufen wir den im Bundesrat schon beschlossenen Gesetzentwurf auf. Wenn wir ihn heute auf die Tagesordnung setzen, dann können wir ihn heute in erster Lesung an die Ausschüsse überweisen und diesen verfassungswidrigen Zustand schon am nächsten Freitag endgültig beseitigen. Deshalb bitten wir Sie um Zustimmung zu unserem Geschäftsordnungsantrag. An die Adresse der Union möchte ich noch sagen: Natürlich kann man sich politisch auch einmal irren; aber Sie irren ja nicht, Sie haben sich jahrelang taub und stumm gestellt, und jetzt sind Sie auch noch stur. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Elke Ferner [SPD]: Der personifizierte Irrtum!) Sie sind in dieser Frage so oft mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen, dass es einem schon beim Zusehen wehgetan hat. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Geschäftsordnung!) Sie haben den Anschluss an die Gesellschaft von heute verloren. Sie wollen nicht wahrhaben, dass sich diese Gesellschaft weiterentwickelt hat. (Jörg van Essen [FDP]: Geschäftsordnung, Herr Präsident!) 75 Prozent der Deutschen sind für die Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft. (Jörg van Essen [FDP]: Das ist eine Sachdebatte! Geschäftsordnung!) Ihre Verweigerungshaltung ist Ausdruck eines vormodernen Gesellschaftsverständnisses. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber es ist für einige von Ihnen auch eine Chance. Denn wenn Sie unserem Antrag heute zustimmen, (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Jetzt müssten Sie nur noch den Euro Hawk mit reinnehmen!) dann wäre das der erste Schritt heraus aus der homophoben Parallelgesellschaft, in der einige von Ihnen jahrelang gelebt haben. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben auch den Anschluss an die Rechtsprechung verloren. Sie wollen nicht wahrhaben, dass sich das Recht in Deutschland weiterentwickelt hat: vom rot-grünen Lebenspartnerschaftsgesetz bis zu den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes. (Jörg van Essen [FDP]: Geschäftsordnung!) Es gab Urteile zur Gleichstellung bei der Altersversorgung. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen etwas spezieller zur Geschäftsordnung sprechen und zur Begründung des Antrags, warum heute darüber debattiert werden soll. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Thomas Oppermann (SPD): Das mache ich. – Ich will noch ein zentrales Argument nennen, Herr Präsident, warum das Thema heute auf die Tagesordnung gehört. Wir haben vier Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes: zur Gleichstellung bei der Altersversorgung, bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer, beim Familienzuschlag und bei der Sukzessivadoption. Jetzt gibt es auch noch das Urteil zum Ehegattensplitting. Stellen Sie sich nicht länger quer. Das wäre eine Missachtung des Bundesverfassungsgerichtes. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Schlaumeier!) Stimmen Sie unserem Antrag zu. Dann können wir den verfassungswidrigen Zustand schnellstmöglich beenden. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schlaumeier!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Michael Grosse-Brömer. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum redet nicht Herr Dobrindt?) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die Union eines nicht braucht, dann sind das Belehrungen, welche gesellschaftspolitischen Auffassungen und Ansichten wir künftig vertreten. (Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) Das werden die Bürgerinnen und Bürger spätestens im September entscheiden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich will Ihnen eines sagen. Mich erstaunt Ihr Jubel über dieses Urteil. Dass Sie es dem Grunde nach begrüßen, kann ich gut verstehen, aber Sie müssen auch sehen, dass dieses Urteil den Leuten aufgrund Ihrer politischen, auch wahlprogrammatischen Überzeugung gar nichts nutzt. Denn Sie wollen all das abschaffen, was den Leuten gerade zugesprochen wurde, nämlich das Ehegattensplitting. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Infolgedessen wäre ich da an Ihrer Stelle ganz zurückhaltend. Erklären Sie den Leuten einmal, dass ihnen dieses Urteil kein Stück nutzen wird, falls Ihr Wahlprogramm umgesetzt wird. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Geschäftsordnung!) Ich will Ihnen noch eines sagen. Ehe und Familie bleiben das Fundament dieser Gesellschaft. Das bleibt die Grundüberzeugung der Union. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Daran wird das Urteil nichts ändern. Aber eines wird das Urteil ändern. Wir werden uns natürlich daran halten. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Geschäftsordnung!) Die CDU und die CSU sind rechtsstaatlich orientierte Parteien. Deshalb werden wir Urteile selbstverständlich umsetzen. (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: -Adoptionsrecht! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Ruhe!) Ich will Ihnen noch eines dazu sagen. Ja, wir hatten dazu unterschiedliche Auffassungen. Ja, wir hatten dazu exzellente Diskussionen. Ja, sie waren inhaltlich deutlich kontrovers, aber immer stilvoll. Das kann man von Ihrer Debattenkultur, als wir hier diskutiert haben, weiß Gott nicht sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Ignoranz, die Sie hier den Kolleginnen und Kollegen entgegengebracht haben, die bei diesem Thema eine andere Auffassung hatten als die Grünen, sucht ihresgleichen. Kommen Sie runter von Ihrem moralischen Hochsitz! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Was machen Sie denn nun? – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dieses Urteil hat die Debatte verändert. (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ich bin immer noch nicht so laut wie der Kollege Trittin gestern. – Durch dieses Urteil ist die Debatte bei uns beendet. Es ist ganz klar: Wir machen jetzt das, was wir von Anfang an gesagt haben, (Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Oppermann [SPD]: Seit wann ist das klar? – Weitere Zurufe von der SPD) nämlich dass wir das Urteil abwarten und dann umsetzen. Jetzt kommt noch ein Punkt, in dem wir deutlich besser sind als Sie. Bei Ihnen geht es so: Sie meinen, wieder einmal schnell Schaufensterpolitik machen zu müssen, und fragen, welcher Antrag denn gerade in der Schublade liegt. – Da haben Sie nicht lange gesucht und einen Gesetzentwurf vom Bundesrat gefunden. Sie haben diesen aber nicht durchgelesen. (Thomas Oppermann [SPD]: Haben wir gemacht!) Denn dann hätten Sie festgestellt, dass er diesem Urteil gar nicht gerecht wird. Dadurch kann das Urteil gar nicht eins zu eins umgesetzt werden, weil eine Rückwirkung darin nicht vorgesehen ist. (Widerspruch bei der SPD – Thomas Oppermann [SPD]: Doch, natürlich! Für noch nicht rechtskräftige Bescheide!) Insofern ist Ihr Antrag nicht nur als Schaufensterantrag zu deklarieren, sondern er ist auch in der Sache ungeeignet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ingo Egloff [SPD]: Quatsch!) Sie können uns nicht übel nehmen, dass wir weder Ihrer unverantwortlichen populistischen Vorgehensweise noch Ihrem Arbeitsstil – im Gegensatz zu uns arbeiten Sie oberflächlich und wenig sorgfältig – folgen. Da machen wir nicht mit. Wir lehnen Ihren Antrag aus mehreren guten Gründen ab. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Ja, ja!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Barbara Höll. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Heute haben Sie wieder Lust, oder was? – Gegenruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wenn Sie die Mehrheiten nicht zusammenkriegen, ist das Ihr Problem!) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ungleichbehandlung der eingetragenen Lebenspartnerschaft und der Ehe ist verfassungswidrig; das ist der Stand. Sie selbst haben in Ihrem Koalitionsvertrag eine Vereinbarung getroffen und gesagt, dass Sie eine einkommensteuerrechtliche Gleichstellung wollen. Nichts haben Sie getan, nichts. Sie haben vor kurzem noch nicht einmal dem Vermittlungsergebnis zugestimmt, als wir Ihnen noch einmal den roten Teppich ausgerollt haben, damit Sie sagen können: Ja, wir tun jetzt etwas. – Nein, Sie haben sich bewusst entschieden, auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu warten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja! Na und?) Ich sage Ihnen: Sie haben damit mehrfachen Schaden verursacht. Sie haben den Betroffenen gegenüber gesagt: Es mag sein, wie es ist; das ist uns egal. Wir warten jetzt erst einmal ab. Ihr bekommt nichts. (Thomas Oppermann [SPD]: Genau! Das war die Einstellung! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Die kriegen es doch schon lange! Reden Sie nicht so einen Unsinn!) Sie haben damit aber auch uns und der Demokratie insgesamt geschadet. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) Es kann doch nicht angehen, dass Sie Politik machen, indem Sie einerseits den Ultrakonservativen sagen: „Macht nur, wir beschließen auf einem Parteitag, dass das alles nicht geht; die eingetragene Lebenspartnerschaft ist nicht gut“, und andererseits sagen: „Wir warten auf das Urteil. Wir wissen ja alle, wie es ausfallen wird. Dann können wir den Ultrakonservativen sagen, dass wir nicht anders konnten, und dann können wir den anderen sagen, dass das Thema jetzt durch ist.“ – Das ist billige Taktiererei. Das hat doch nichts mit Politik zu tun! (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind eine Ultralinke!) Sie haben damit zudem die Homophobie in der Gesellschaft befördert, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach, das ist doch lächerlich! Unsinn! – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) weil Sie immer wieder transportiert haben, dass „diese Leute“ jetzt einen Antrag stellen sollen und dass sie es nicht ganz so gut können. Seien Sie sich darüber im Klaren: Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Deshalb unterstützen wir natürlich den Antrag, heute, hier und jetzt, die Tagesordnung zu ändern. Rückwirkung muss natürlich sein, und diese können wir hier im Parlament nach den Ausschussberatungen beschließen. Das werden wir auch tun. Ich sage Ihnen: Sie tragen einen ideologischen Kampf aus. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Gerade Sie müssen von Ideologie reden! Gerade Sie! Sie sind ja eine solche Ideologin!) – Ja, ich sage Ihnen das. Es ist ein ideologischer Kampf, den Sie hier vom Zaun brechen. (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wer sich die letzten Debatten zu diesem Thema angesehen oder die Redebeiträge nachgelesen hat, der hat sehr wohl registriert, dass sich die CDU/CSU-Fraktion entschieden hat, diejenigen Fraktionsmitglieder, die moderner denken, nicht zu Wort kommen zu lassen und stattdessen Herrn Geis und andere, auch Frauen, reden zu lassen, die hier Thesen von vorgestern vertreten haben. Das ist die Realität. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind von vorgestern! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Meine Güte, ist das arrogant!) Ich sage Ihnen: Das Lebenspartnerschaftsgesetz war sicher von Beginn an etwas schwierig konstruiert. Vereinbart waren zwar gleiche Pflichten, aber nicht gleiche Rechte. Wir müssen dem Bundesverfassungsgericht dankbar sein, dass es hier auch in der ständigen Rechtsprechung der letzten Jahre für Klarheit gesorgt hat. Ich möchte ausdrücklich ein Dankeschön an die Beschwerdeführer und die beiden Rechtsanwälte aussprechen, an Herrn Rechtsanwalt Dirk Siegfried und die Rechtsanwältin Maria Sabine Augstein. Letztendlich ist es auch ihrer Beharrlichkeit, ihrer Klugheit zu verdanken, dass wir ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bekommen haben. Ich finde, dafür haben sie einen Applaus verdient. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir werden natürlich dafür stimmen, dass die Ungleichbehandlung zwischen der eingetragenen Lebenspartnerschaft und der Ehe beendet wird. Ich sage aber gleichzeitig – das ist auch im Urteil nachzulesen, das die historische Entwicklung hin zum Ehegattensplitting sehr detailliert aufführt –: Das Ehegattensplitting steht natürlich zur Disposition. Wir müssen überlegen, ob es noch zeitgemäß ist. Es wurde damals eingeführt, um die Frau als Mutter und Hausfrau an das Haus und den Herd zu binden. Das ist überholt. Wir brauchen eine moderne Familienförderung und deshalb die Beseitigung der Ungleichheit, jetzt und sofort, noch vor der Sommerpause. Lassen Sie uns dann in Ruhe überlegen, wie wir unser Steuerrecht moderner und gerechter gestalten können. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Jörg van Essen für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP) Jörg van Essen (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das sollte hier eigentlich eine Geschäftsordnungsdebatte sein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir merken, dass sie missbraucht wird, indem daraus eine allgemeinpolitische Debatte gemacht wird. Ich bedaure das sehr, (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist doch peinlich!) weil sich unsere Fraktion über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts natürlich in besonderer Weise freut. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wir sind immer der Auffassung gewesen: Wer gleiche Pflichten übernimmt, der soll selbstverständlich auch die gleichen Rechte haben. (Elke Ferner [SPD]: Ständig haben Sie dagegen gestimmt!) Es geht heute darum, wie wir mit diesem Urteil umgehen. (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Ja!) Ich glaube, wir sind gut beraten, wenn wir das, was uns das Urteil vorgibt, eins zu eins umsetzen – einschließlich der Rückwirkung. Der Gesetzentwurf des Bundesrates, der von der Opposition hier schnell hervorgeholt worden ist, taugt dafür aber nicht. (Zuruf von der SPD) Ich lege für meine Fraktion großen Wert darauf, dass wir uns da nicht Nachhilfe vom Bundesrat geben lassen. (Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben doch schon Nachhilfe vom Bundesverfassungsgericht bekommen!) Wir müssen als Bundestag selbst klar Position beziehen, was wir wollen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Deshalb werden wir, wird die Koalition sehr schnell einen eigenen Gesetzentwurf mit unseren Vorstellungen in den Bundestag einbringen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wollen, dass die erste Lesung bereits in der nächsten Woche stattfindet. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die können wir heute machen!) In der darauffolgenden Sitzungswoche sollen die zweite und die dritte Lesung stattfinden, damit ab diesem Zeitpunkt klar ist: Wer die gleichen Pflichten hat, hat in diesem Land selbstverständlich auch die gleichen Rechte. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es verschlägt übrigens nichts, wenn der Gesetzentwurf eine Woche später verabschiedet wird. Steuern werden nicht nach Tagen berechnet; maßgeblich ist das Steuerjahr. (Thomas Oppermann [SPD]: Senden Sie ein Signal, Herr van Essen, dass Sie die Lektion gelernt haben!) Es wird also niemand einen Nachteil davon haben, dass wir ein sorgfältiges, vernünftiges parlamentarisches Verfahren durchführen. Wir als FDP sind dafür und werden deshalb auch entsprechend abstimmen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Letzter Redner in der Geschäftsordnungsdebatte ist Volker Beck. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Jetzt kommt noch einmal ein Missbrauch der Geschäftsordnungsdebatte!) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern war ein großer Tag für die Schwulen und Lesben in diesem Land, es war ein großer Tag für die Gleichberechtigung, es war ein großer Tag für unsere Verfassung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Gleiche Pflichten – gleiche Rechte; nur das ist fair, nur das ist verfassungskonform. Das gilt für das Steuerrecht, und das gilt für das Adoptionsrecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein!) Seit zwölf Jahren blockiert die Unionsfraktion jeden Schritt hin zur Gleichberechtigung der Lebenspartnerschaft, (Manuel Höferlin [FDP]: Sie waren doch vor zwölf Jahren in der Regierung!) angefangen beim Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz, in dem damals eine entsprechende steuerrechtliche Regelung enthalten war. Da ist Ihre Fraktion noch nicht einmal zu den Sitzungen der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses gekommen. Herr van Essen kann das bezeugen; er war nämlich zufällig ab und an da. (Jörg van Essen [FDP]: Was hat das mit der Geschäftsordnung zu tun?) Beim Jahressteuergesetz haben Sie ein ganzes Gesetz in die Luft gesprengt, (Jörg van Essen [FDP]: Geschäftsordnung!) bloß damit Schwule und Lesben bei der Einkommensteuer weiter diskriminiert werden dürfen. (Jörg van Essen [FDP]: Geschäftsordnung!) Seit Wochen blockieren Sie im Rechtsausschuss unsere Gesetzentwürfe zur steuerrechtlichen Gleichstellung, zur Gleichstellung beim Adoptionsrecht (Stefan Rebmann [SPD]: Genau!) und zu allen anderen Punkten, die die Justizministerin heute zu Recht in der Passauer Neuen Presse angesprochen hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Unsere Gesetzentwürfe liegen seit Monaten, zum Teil – beim Adoptionsrecht – seit Jahren im Rechtsausschuss. Sie blockieren die Debatte über diese Gesetzentwürfe. Wenn man sich die Lebenspartnerschaftspolitik der Unionsfraktion anschaut, muss man feststellen: Sie sind notorische Verfassungsbrecher. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Sechs Mal hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht das bescheinigt – von „rechtsstaatlich orientiert“, Herr Grosse-Brömer, kann an diesem Punkt im Hinblick auf Ihre Fraktion wirklich nicht die Rede sein –: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lächerlich!) 2009 bei der Hinterbliebenenversorgung, 2010 bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer, (Jörg van Essen [FDP]: Geschäftsordnung!) 2012 beim Familienzuschlag, dann erneut bei der Grunderwerbsteuer – hier musste Ihnen das Bundesverfassungsgericht in diesem Jahr erneut einen Brief schreiben, dass Sie die Rückwirkung übersehen hätten; (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Weil Sie es blockiert haben!) das haben wir gestern in einem zweiten Schritt geheilt, weil Sie ansonsten aus Karlsruhe erneut ermahnt worden wären – und im Februar das Adoptionsrecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, Sie wollen es bei diesem Thema weiter so treiben, wie Sie es immer getrieben haben. Sie müssen jedoch die Gleichstellung beim Adop-tionsrecht genauso umsetzen wie die Gleichstellung beim Einkommensteuerrecht. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zum Antrag!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, kommen Sie bitte zur Geschäftsordnung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. Das hätten Sie den anderen Kollegen auch sagen können. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Rotzlöffel!) Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben – ich zitiere –: „Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft, welche die ungleiche Ausgestaltung der Adoptionsmöglichkeiten rechtfertigen könnten, bestehen nicht.“ Deshalb muss der Bundestag in dieser Wahlperiode die vollständige Gleichstellung durchsetzen. Unsere Gesetzentwürfe dafür, die Gesetzentwürfe von Rot und Grün, liegen dem Deutschen Bundestag vor. (Jan Mücke [FDP]: Wunderbar! 2001! Da habt ihr regiert!) Blockieren Sie nicht mehr länger. Übrigens können Sie auf Seite 8 des Bundesratsentwurfs auch die Rückwirkungsregelung finden. Wenn Sie den Entwurf gelesen hätten, wüssten Sie das und würden hier nicht die Unwahrheit behaupten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jan Mücke [FDP]: Ja, in dem Entwurf von 2001!) Lassen Sie uns jetzt mit den Beratungen beginnen, damit wir das Gesetzgebungsverfahren sorgfältig durchführen können. Gesetzentwürfe zu diesem Thema aus dem Bundestag, Herr von Essen, gibt es im Rechtsausschuss wirklich genügend. Wir können auch einen Gesetzentwurf unserer Fraktion nehmen, um hier die vollständige Gleichstellung zu beschließen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: So weit kommt das noch!) – Der Gesetzentwurf liegt im Rechtsausschuss. Sie setzen ihn seit Wochen jeden Mittwoch ab, statt dem Parlament die Möglichkeit zu geben, darüber endlich zu beschließen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Jörg van Essen [FDP]) Beenden Sie die verfassungswidrige Diskriminierung von Lesben und Schwulen, und pfeifen Sie vor allem diejenigen in der Unionsfraktion zurück, (Volker Kauder [CDU/CSU]: Es langt jetzt!) die das Nein zur Gleichstellung mit einer Diffamierung der Lesben und Schwulen als Bürger zweiter Klasse, als nicht zukunftsorientiert für diese Gesellschaft verbinden, wie Katharina Reiche, Erika Steinbach oder Herr Dobrindt. Von Ihnen, Herr Kauder, gab es auch ähnliche Äußerungen. Lassen Sie das; damit schaden Sie dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Bei der Gleichstellung geht es um mehr als um Steuern und Rechte. Es geht darum, dass Lesben und Schwule nach jahrhundertelanger Verfolgung in diesem Land endlich gleichberechtigt in der Mitte unserer Gesellschaft leben können und sich weder die Zoten von Herrn Kauder anhören (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Noch die von Herrn Beck!) noch die Benachteiligung durch den Gesetzgeber ertragen müssen. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Aufsetzungsantrag ist damit mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen abgelehnt. Wir kommen nun zur heutigen Tagesordnung. Interfraktionell ist neu vereinbart worden, die heutige Tagesordnung nach dem Tagesordnungspunkt 49 – 16. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik 2011/2012 – um die Tagesordnungspunkte zu erweitern, die gestern nach Aufhebung der Sitzung nicht mehr behandelt werden konnten. Ausgenommen sind davon die Tagesordnungspunkte 10 und 11, die voraussichtlich am Mittwoch der nächsten Sitzungswoche behandelt werden. Die Redezeit für die ersten beiden Tagesordnungspunkte, also 47 und 48, soll auf jeweils etwa eine Stunde verkürzt werden. Nach Tagesordnungspunkt 49 rufen wir zuerst den Tagesordnungspunkt 8 auf, bei dem wir gestern die Abstimmung noch nicht haben beenden können. Danach folgen die Tagesordnungspunkte 13 bis Zusatzpunkt 17 in der Reihenfolge der gestrigen Tagesordnung. Es handelt sich dabei sämtlich um Tagesordnungspunkte, bei denen die Reden zu Protokoll gegeben werden. – So weit zur Änderung der heutigen Tagesordnung. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 47 a und 47 b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Lage der Freien Berufe – Drucksache 17/13074 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Kai Wegner, Lena Strothmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin), Claudia Bögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Freie Berufe – Wachstumstreiber in der Sozialen Marktwirtschaft – Drucksache 17/13714 – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind, wie gerade besprochen, für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Hans-Joachim Otto für die Bundesregierung das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Geschichte der Freien Berufe in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte. Das zeigt auch der von der Bundesregierung vorgelegte Bericht über die Entwicklung der Freien Berufe in den vergangenen zehn Jahren. Die Ergebnisse dieser Bestandsaufnahme können sich wahrlich sehen lassen. Die Zahl der Selbstständigen in den Freien Berufen wächst kontinuierlich und lag Anfang 2012 bei einem Rekordstand von knapp 1,2 Millionen. Das Gründungsgeschehen wird zunehmend von den Freien Berufen geprägt. Rund 21 Prozent aller Gründungen in Deutschland erfolgen durch die Angehörigen der Freien Berufe. Dabei war selbst in den Krisenjahren, also 2008 und 2009, kein Einbruch zu verzeichnen. Auch als Arbeitgeber spielen die Freien Berufe eine sehr wichtige Rolle. Hier sind knapp 3 Millionen Mitarbeiter sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das sind rund 10 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland. Zudem werden in diesem Bereich rund 125 000 Personen ausgebildet. Damit leisten die Freien Berufe einen unverzichtbaren Beitrag zur Ausbildung von Fachkräften, aber auch zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit. Die Angehörigen der Freien Berufe sind aber auch über diese Erfolgszahlen hinaus von großer gesellschaftlicher Bedeutung. Sie sind, wie der Name schon sagt, frei und stehen für Selbstständigkeit, für Eigenverantwortung und für Kreativität – alles Werte, die in unserer Gesellschaft in besonderer Weise gefragt, aber leider nicht allzu weit verbreitet sind. (Beifall bei der FDP) Um einem Missverständnis vorzubeugen: Zu den Freien Berufen zählen mitnichten nur die Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater und Ärzte. Die freien Kulturberufe bilden mit 291 000 Angehörigen die größte Gruppe unter den selbstständigen Freiberuflern. Zu den Freien Berufen gehören aber zum Beispiel auch die Journalisten, die Bildberichterstatter, die Dolmetscher, die Übersetzer und sogar die Lotsen. Wir sollten also fraktionsübergreifend ein Interesse daran haben, diesen Berufsgruppen den Rahmen für ein weiterhin erfolgreiches Wirken zu erhalten. Wir wollen, dass die Freien Berufe ihre Erfolgsgeschichte auch in die Zukunft fortschreiben können und weiterhin eine Schlüsselrolle in der modernen Dienstleistungsgesellschaft spielen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Bundesregierung schafft und sichert daher wachstumsfördernde Rahmenbedingungen für die Freien Berufe und den Mittelstand insgesamt. Dazu gehört die Sicherung des Fachkräftebedarfs; denn ohne qualifizierte Mitarbeiter können sich freiberuflich tätige Unternehmen nicht weiterentwickeln. Das gilt besonders für das Gesundheitswesen, das auf qualifizierte Ärzte und nichtärztliche Fachkräfte angewiesen ist, ebenso aber auch für den Bereich der Ingenieure. Die Bundesregierung hat hier mit dem Fachkräftekonzept und der vor einem Jahr gestarteten Fachkräfteoffensive eine Vielzahl von Maßnahmen angestoßen. Ich will hier beispielsweise nur das Willkommensportal www. make-it-in-germany.com für internationale Fachkräfte und das Inlandsportal www.fachkraefte-offensive.de erwähnen. Auch das Thema Bürokratieabbau ist für die Freien Berufe wie für den Mittelstand insgesamt von großer Bedeutung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will hier nur zwei konkrete Beispiele nennen: Mit der Abschaffung der Praxisgebühr zum 1. Januar 2013 wurden Ärzte und Zahnärzte erheblich von Bürokratie befreit. Auch die Erleichterungen bei der elektronischen Rechnung kommen den Freien Berufen zugute. Seit 2011 ist die elektronische Rechnung der Papierrechnung gleichgestellt und eine qualifizierte elektronische Signatur nicht mehr zwingend erforderlich. Zur Unterstützung von Gründungen im Bereich der Freien Berufe bietet die Bundesregierung eine ganze Reihe von Instrumenten an. Mit der Initiative „Gründerland Deutschland“ und der Gründerwoche stärken wir die Gründungskultur und zeigen Chancen und Perspektiven für die unternehmerische Selbstständigkeit auf. Die Beratungsförderung des BAFA erreicht auch die Freien Berufe. Rund 23 Prozent aller Zuschüsse für Beratungen zur Verbesserung des unternehmerischen Know-hows gingen 2011 an Freiberufler. Damit flankieren wir Dynamik, Kreativität und Leistungsbereitschaft der Freien Berufe und stabilisieren die erfreulich hohe Zahl von freiberuflichen Existenzgründungen. Die Freien Berufe sind mit ihrer Leistungsbereitschaft und ihrem Verantwortungsbewusstsein eine entscheidende Säule unserer Marktwirtschaft. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ihre Bedeutung wird künftig noch zunehmen; denn die Nachfrage nach Vertrauensdienstleistungen von hoher Qualität ist ungebrochen. Die Bundesregierung wird sich daher auch weiterhin konsequent für wachstumsstärkende Rahmenbedingungen für die Freien Berufe einsetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies war nach 19 Jahren Bundestagszugehörigkeit vermutlich meine letzte Rede vor diesem Hohen Haus. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut mir leid, Herr Otto!) Ich bedanke mich für das konstruktive Miteinander in diesen vielen Jahren. Ich wünsche dem Bundestag und Ihnen allen persönlich eine erfolgreiche und gute Zukunft. Herzlichen Dank. (Beifall) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herzlichen Dank, Kollege Otto. – Nun hat das Wort Andrea Wicklein für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Andrea Wicklein (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist lange überfällig, dass wir uns hier im Deutschen Bundestag mit der Lage der Freien Berufe befassen. Elf Jahre sind seit dem letzten Bericht vergangen. Diese lange Zeitspanne wird weder der gesellschaftlichen noch der wirtschaftlichen Bedeutung der Freien Berufe gerecht. Warum sage ich das? Über 1 Million Freiberufler in Deutschland erzielen gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Jahresumsatz von sage und schreibe 370 Milliarden Euro. Sie steuern 10 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Unter den rund 3 Millionen Beschäftigten befinden sich 125 000 Auszubildende. Jede fünfte Gründung in Deutschland erfolgt im Bereich der Freien Berufe. Diese Zahlen sind beeindruckend, aber dennoch können wir uns nicht zurücklehnen; denn die Freien Berufe sind keine homogene Gruppe. Sie unterscheiden sich in ihrer Zusammensetzung und unterscheiden sich dementsprechend auch in ihrer wirtschaftlichen Lage. Die durchschnittlichen Einkommen liegen laut Statistik zwischen 190 000 Euro für Notare und 15 000 Euro für freiberufliche Lehrer und Architekten. An diesen Zahlen sehen wir, dass wir die Freien Berufe mit sehr unterschiedlichen Herangehensweisen unterstützen müssen. Erstes Stichwort: Fachkräfte. Herr Otto, Sie haben einiges dazu gesagt. Fachkräfte sind ein wichtiges Thema, auch für die Freien Berufe. Viele Berufsgruppen haben schon heute mit dem Mangel an Fachkräften zu kämpfen. Auch hier macht sich der demografische Wandel -bemerkbar. Wir sehen in Ihrem Bericht, dass in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Auszubildenden rückläufig ist. Besonders bei den Hausärzten und im Pflegebereich wird bereits jetzt ein großer Bedarf an Nachwuchskräften festgestellt. Auch bei den sogenannten MINT-Fächern gibt es eine hohe Nachfrage, weil viele Ingenieure, Naturwissenschaftler und Mathematiker altersbedingt aus dem Berufsleben ausscheiden. Umso wichtiger ist es auch für die Freien Berufe, die Fachkräftebasis zu verbreitern. Die Potenziale sind da. Neben den Jugendlichen sind das vor allem die Frauen, Migranten und Älteren. Da liegen die Chancen. Da müssen wir ansetzen. Beispiel Frauen. Der Anteil der weiblichen Auszubildenden liegt in den meisten freiberuflichen Ausbildungsberufen bei 95 Prozent. Insgesamt ist in fast allen Freien Berufen eine Zunahme des Frauenanteils bei Selbstständigen zu verzeichnen. Wir brauchen also dringend, gerade auch für diesen Bereich, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und familienfreundliche Arbeitsbedingungen. (Beifall bei der SPD) Auch hier geht das von Ihnen beschlossene Betreuungsgeld, meine Damen und Herren von der Koalition, in die absolut falsche Richtung. Mit diesem Geld könnte man wirklich Sinnvolleres machen. Statt Geld dafür auszugeben, dass Frauen zu Hause bleiben, sollten Sie es lieber in die Tagesbetreuung investieren, damit Frauen eine Chance haben, sich freiberuflich zu entfalten. (Beifall bei der SPD) Unter dem Punkt „Bildungschancen für alle von Anfang an“ steht im Bericht der Bundesregierung: Bund und Länder streben das Ziel der Halbierung der Quote der Schulabgänger ohne Abschluss bis zum Jahr 2015 an. Aber wie? Das steht da nicht, übrigens auch nicht in dem Antrag der Koalitionsfraktionen. Unterstützen Sie uns dabei, das unsägliche Kooperationsverbot abzuschaffen. Wir wollen, dass der Bund mehr in Bildung investieren kann. Stimmen Sie der notwendigen Grundgesetzänderung zu, damit der Bund bei der Bildung endlich mehr helfen kann. Wir haben bereits Anfang 2012 einen entsprechenden Antrag eingebracht. Aber diesen lehnen Sie bis heute ab. Beispiel Migranten. Laut einer Studie der OECD liegt die Zuwanderung von Fachkräften in Deutschland deutlich unter dem Niveau vergleichbarer europäischer Nachbarstaaten. Mit der verbesserten Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen ist ein erster wichtiger Schritt getan. Aber das reicht noch nicht aus. In meinen Gesprächen mit selbstständigen Unternehmerinnen und Unternehmern wird eines immer deutlicher: Deutschland braucht eine bessere Willkommenskultur. Damit meine ich nicht nur die gesellschaftliche Akzeptanz ausländischer Fachkräfte. Wir haben die Situation, dass viele Verwaltungen in weiten Teilen auf Migranten nicht vorbereitet sind. Die wichtigsten Formulare stehen nicht in Englisch zur Verfügung. Zum Beispiel könnte die Einrichtung eines Lotsendienstes für die Migranten sehr hilfreich sein. In der alltäglichen Erfahrung der Migranten gibt es jedenfalls noch viele Hürden, die nur mit den Ländern und Kommunen in einer gemeinsamen Initiative abgebaut werden können. Auch in diesem Punkt wünsche ich mir ein entschlosseneres Handeln der Bundesregierung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Beispiel Ältere. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer haben die Potenziale älterer Beschäftigter längst erkannt und eigene Initiativen gestartet. Weiterbildung und Qualifizierung bleiben Voraussetzung für die Beschäftigung von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Auch deshalb werden wir von der SPD die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickeln. Mit ihr wird berufsbegleitende Beratung und Qualifizierung – auch von Beschäftigten – ermöglicht. All diese Maßnahmen würden auch der Fachkräftesicherung der Freien Berufe zugutekommen. Ein weiteres Thema ist die soziale Lage von Freiberuflern. Dazu gibt der Bericht herzlich wenig her. Die Freiheit, die sich in dem Begriff „Freie Berufe“ wiederfindet, bietet auf der einen Seite große Möglichkeiten, Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung und der unternehmerischen Freiheit. Auf der anderen Seite bringt diese Freiheit Risiken mit sich, vor allem wenn es um die soziale Absicherung geht. Nicht alle Freiberufler haben sich aus freien Stücken für ihren Status entschieden. Viele wurden in die Freiberuflichkeit gedrängt. „Trotz Traumjob an der Armutsgrenze“, so titelte vor einiger Zeit der Berliner Tagesspiegel und beschrieb exemplarisch die Situation eines freiberuflichen Journalisten, der monatlich circa 1 000 Euro verdiente, und zwar brutto; das ist kein Einzelfall. Rücklagen für das Alter sind da einfach nicht drin. Die Studie des Instituts für Freie Berufe in Nürnberg weist darauf hin, dass es eine „nicht zu vernachlässigende Menge an Selbstständigen in Freien Berufen gibt, die bei der Altersvorsorge Defizite aufweisen“. Auch im Bericht der Bundesregierung wird zu Recht darauf hingewiesen, dass es eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Jahre sein wird, Konzepte zur Alterssicherung für Selbstständige zu entwickeln. Da gebe ich Ihnen ausdrücklich recht. Aber wo sind solche Konzepte? Sie hatten vier Jahre Zeit, einen Vorschlag vorzulegen. Unser Vorschlag dazu ist, Selbstständige ohne eine obligatorische Altersvorsorge in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Das würde das Armutsrisiko im Alter effektiv reduzieren. Die gesetzliche Rentenversicherung würde darüber hinaus den Wechsel zwischen Selbstständigkeit und Angestelltenverhältnis abdecken. In Ihrem Antrag fordern Sie die Bundesregierung zu Recht dazu auf, die längst überfällige Leistungsreform der Unfallversicherung in Angriff zu nehmen. Aber auch zu diesem wichtigen Punkt fehlt nach wie vor ein konkreter Vorschlag. Meine Damen und Herren, es gibt viel zu tun. Sie hatten vier Jahre Zeit, der von Ihnen zu Recht festgestellten „Bedeutung der Freien Berufe in der modernen Dienstleistungsgesellschaft“ Rechnung zu tragen. Der von Ihnen vorgelegte Antrag wird dieser Bedeutung beim besten Willen nicht gerecht. Er bleibt vage. Er bleibt in seinem Forderungsteil unambitioniert. Wir hatten Sie in unserer Großen Anfrage zum Mittelstand gefragt: Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um Freiberuflichkeit als Form der Arbeits- und Lebenszeitgestaltung in Deutschland zu fördern und Freiberufler zu unterstützen? Welche Ergebnisse wurden bisher erzielt …? Ihre Antwort lautete: „Spezielle Programme zur Förderung freiberuflicher Tätigkeiten bestehen nicht.“ Damit ist alles gesagt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) Ich wünsche Ihnen, Herr Staatssekretär Otto, eine gute Zeit nach Ihrem parlamentarischen Leben. Alles Gute! (Beifall) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kai Wegner für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Kai Wegner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren dynamisch gewachsen. Wertschöpfung und Erwerbstätigkeit lagen in der deutschen Geschichte noch nie so hoch wie heute. An dieser positiven Entwicklung haben die Freien Berufe einen ganz maßgeblichen Anteil. Egal ob als Arzt oder Ingenieur, als Architektin oder Schauspieler, als Tagesmutter oder Rechtsanwältin – die Freien Berufe stellen eine wichtige und in ihrer Bedeutung weiter wachsende Säule unserer sozialen Marktwirtschaft dar. Herr Staatssekretär Otto und auch Frau Wicklein haben die beeindruckenden Zahlen genannt, deswegen will ich sie nicht wiederholen. Diese Zahlen zeigen eindeutig: Ohne die Freien Berufe wäre unser Land ärmer. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wenn es die Freien Berufe nicht schon gäbe, dann müsste man sie erfinden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich an dieser Stelle – gerade aufgrund der beeindruckenden Beschäftigungszahlen, gerade aufgrund der beeindruckenden Zahlen der Ausbildungsplätze, die die Freien Berufe zur Verfügung stellen und damit vor allem jungen Menschen eine Zukunftschance geben – ein ganz herzliches Dankeschön an die Freiberufler richten, die das ermöglichen. Herzlichen Dank! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Freien Berufe stehen für Eigeninitiativen, stehen für Leistungsbereitschaft und für gesellschaftliche Verantwortung. Sie stehen für die Kultur des Unternehmertums. Die Freien Berufe verkörpern in besonderer Weise die Ideale des selbstständigen Mittelstandes. Liebe Frau Wicklein, Sie haben gesagt, es gebe viel zu tun. In der Tat, es gibt immer viel zu tun, aber ich rufe Ihnen zu: Wir haben die letzten vier Jahre in dieser christlich-liberalen Koalition auch genutzt, um die Rahmenbedingungen für die Freien Berufe zu verbessern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Beispiel, das wäre gut!) Lassen Sie mich einige Punkte nennen, zum Beispiel den besseren Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb der Bankenfinanzierung über die Mittelstandsförderung der KfW. Ich nenne Ihnen Steuerentlastung und Steuervereinfachung, die wir für die Freien Berufe umgesetzt haben. Ich nenne Ihnen ganz konkret Fördermaßnahmen, ich nenne die Modernisierung des rechtlichen Rahmens für Freie Berufe. Frau Wicklein, ein wichtiger Punkt, den wir auch gern beraten, ist der Bürokratieabbau. Er ist für die Freien Berufe wichtig. Wir hätten gestern gern über das Thema Bürokratieabbau beraten. Im Antrag der SPD stand: Die Bundesregierung wird beauftragt, das 25-Prozent-Nettoziel zu erreichen. Ich hätte es gestern gern schon gesagt: Wenn Sie sich den aktuellen Bericht der Bundesregierung anschauen, werden Sie sehen, dass wir das erreicht haben. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht im Saldo!) Mission erfüllt! Das 25-Prozent-Ziel beim Bürokratieabbau ist erreicht. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Nicht im Saldo!) Davon profitieren auch der Mittelstand und die Freien Berufe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben viele Vereinfachungen umgesetzt: bei der Finanz- und Lohnbuchhaltung, Fortschritte beim EGovernment, die Einführung der E-Bilanz, die elek-tronische Rechnung. Dies sind nur einige Beispiele, die ich erwähnen will, durch die die Freien Berufe, aber auch der Mittelstand erheblich profitieren. Nun können die Freiberufler, statt über komplizierte und zeitaufwendige Verfahren zu brüten, endlich wieder ihrer Kernaufgabe nachkommen, nämlich Vertrauensdienstleistungen für die Menschen in unserem Land auf vielfältigste Weise zu erbringen. Das ist sehr viel wichtiger, als über Bürokratie zu brüten. Einen Punkt will ich in diesem Zusammenhang auch nennen, da wir gestern darüber nicht mehr gesprochen haben. Auch beim Bürokratieabbau warten noch viele Aufgaben auf uns. Ich will hier nicht lange auf den Erfüllungsaufwand eingehen, aber lassen Sie mich Folgendes ansprechen: Ich wünsche mir, dass es alle mit der Reduzierung der Aufbewahrungsfristen ernst meinen. Mittlerweile diskutieren wir seit vielen Jahren in diesem Haus über diesen Punkt. Sie, die SPD, haben die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen im Bundestag und Bundesrat abgelehnt. Ihr Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat noch im März erklärt, er sei für die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen. Selbst nachdem Herr Steinbrück dies im März gesagt hat, haben Sie dies sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat abgelehnt. Sagen Sie den Menschen, was Sie wollen. Unterstützen Sie Peer Steinbrück bezüglich der Verkürzung der Aufbewahrungsfristen, oder blockieren Sie in diesem Bereich weiter? Setzen Sie durch, dass die Unternehmen mit 2,5 Milliarden Euro entlastet werden. Führen Sie Ihren Kanzlerkandidaten nicht am Nasenring durch die politische Arena. Setzen Sie mit uns die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen endlich um: für die Freien Berufe, für den Mittelstand und für die Menschen in unserem Land. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Steinbrück wollte Beinfreiheit, und nun ist er gefesselt im links-grünen Steuererhöhungskorsett. (Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]) – Ja, Herr Heil. – Wenn ich mir Ihre Steuererhöhungspläne anschaue, wird mir angst und bange. Sie haben Maß und Mitte verloren. Sie sind weit nach links gerückt. Ihre Pläne gefährden Arbeitsplätze in Deutschland, gefährden die positive Entwicklung der Freien Berufe, gefährden das Erfolgsmodell der Freien Berufe. Deshalb dürfen Sie nach dem 22. September nicht in die Verantwortung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das entscheiden die Wähler!) Ja, nicht selten stehen Sie auch in großer Eintracht mit den Linken. SPD, Grüne und Linkspartei wollen gerade im Bereich der Freien Berufe bei der Gewerbesteuer Hand anlegen. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: So ist das!) Diese Koalition weiß, dass die Freiberufler unerlässliche Leistungen der Daseinsvorsorge erbringen. Als Vertrauensberufe übernehmen sie besondere Gemeinwohlaufgaben. Sie stehen beispielhaft für wohnortnahe Versorgung, leisten Not- und Nachtdienste. Wir werden als christlich-liberale Koalition nicht zulassen, dass sich die Freien Berufe zukünftig nach Plänen von Rot-Grün und Rot der Gewerbesteuer unterwerfen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir stehen an der Seite der Freien Berufe. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht an der Seite der Kommunen!) Deshalb können sich die Freiberufler auf diese Koalition verlassen. Wir stehen zu den Strukturen der Selbstverwaltung und den qualitätssicheren Berufsrechten; denn das System mit seinem Miteinander von Berufskammern und Berufsverbänden hat sich bewährt. Die Aufgabe der beruflichen Selbstverwaltung wird durch die betroffenen Berufe sach- und praxisnah wahrgenommen. Das ist schlank. Das ist effizient. Das ist die beste Lösung für Qualitätssicherung, für Verbraucherschutz und für die berufliche Ausbildung. Seitens der europäischen Institutionen wird das System der Selbstverwaltung regelmäßig hinterfragt. Lassen Sie mich deshalb auch hier ganz klar sagen: Wir werden nicht zulassen, dass das Erfolgsmodell der Selbstverwaltung durch eine bürokratische Behördenlösung gefährdet wird. Wir treten dafür ein, den freiberuflichen Rechtsrahmen in Deutschland und in Europa zu sichern. Die Freien Berufe sind das Scharnier zwischen Bürger und Staat und eine der tragenden Säulen – der Staatssekretär hat es gesagt – unserer sozialen Marktwirtschaft. Die Koalition bekennt sich uneingeschränkt zu den Freien Berufen. Wir haben die Rahmenbedingungen für freiberuflich Tätige in den letzten Jahren konsequent verbessert. Wir werden das auch in Zukunft tun. Die Freiberufler können sich darauf verlassen, dass die christlich-liberale Koalition auch nach dem 22. September 2013 die Erfolgsgeschichte der Freien Berufe in unserem Land fortschreiben wird. (Ingo Egloff [SPD]: Dazu brauchen Sie erst mal eine Mehrheit!) Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Sabine Leidig für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Sabine Leidig (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über Freiberufler sprechen, dann sprechen wir über einen ganzen Katalog von Berufen, die wenig gemeinsam haben, außer dass sie nicht der Gewerbeordnung unterliegen. Das sind zum Beispiel Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, hauptberufliche Sachverständige und Berater, Anwälte, Notare, Ingenieure, Architekten, Ärzte, Heilpraktiker, Krankengymnasten, Hebammen, Wissenschaftler, Journalisten, Übersetzer, Künstler, Lehrer und Erzieher. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich glaub, ich weiß noch einen!) So verschieden sie sind, so verschieden ist auch ihre soziale Lage, und so verschieden sind die politische Bedeutung und der Gestaltungsbedarf. Der Anlass für diese Debatte ist der Bericht der Bundesregierung zur Lage der Freien Berufe. Über die sozialen Unterschiede ist dort wenig zu lesen. Wir wissen allerdings, dass die Zahl der Selbstständigen unter den Freiberuflern seit dem Jahr 2000 von 700 000 auf fast 1,2 Millionen angewachsen ist. Wir wissen auch, dass die größte Gruppe davon – dazu gehören fast 300 000 Menschen – in freien Kulturberufen arbeitet. Das ist einerseits sehr schön, weil es viel Selbstverwirklichung ermöglicht und unsere Gesellschaft klüger, reicher und lebenswerter macht. Leider finden sich gerade die freien Kulturberufe am unteren Ende der Einkünfteskala. Freie Journalisten und Pressefotografen zum Beispiel kommen im Schnitt auf ein jährliches Einkommen in Höhe von 19 000 Euro. Das sind gerade einmal 1 580 Euro im Monat. Übersetzer und Dolmetscher kommen auf 18 000 Euro im Jahr. Menschen in künstlerischen Berufen kommen auf 16 000 Euro im Jahr; das gilt übrigens auch für die Heilpraktiker. Freiberufliche Lehrer kommen im Schnitt auf gar nur magere 15 000 Euro. Das sind rund 1 250 Euro im Monat für einen Beruf, der für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen so bedeutsam ist. Wie soll bei solchen Einkünften für das Alter oder für den Krankheitsfall vorgesorgt werden? Wie soll zum Beispiel für Weiterbildung gespart werden? Wer kann so ganz ohne Polster eine Familie gründen und eine gute Lebensperspektive entwickeln? Solche prekären Beschäftigungs- und Einkommensverhältnisse sind nicht akzeptabel, weder für die vielen abhängig Beschäftigten mit Niedriglöhnen und befristeten Jobs noch für die freiberuflich Selbstständigen. (Beifall bei der LINKEN) Es ist nicht so, dass alle freiwillig und leichten Herzens in die Selbstständigkeit gegangen sind. Bei der außerschulischen Bildung zum Beispiel sind unheimlich viele Stellen abgebaut und durch freie Mitarbeiter ersetzt worden. Bei Zeitungen, Rundfunk oder Privatsendern sind viele Stellen outgesourct worden, die früher feste Beschäftigungsverhältnisse waren. Jetzt werden Freiberufler kostensparend für einzelne Aufträge eingekauft. Es gibt in diesem Bereich aber noch nicht einmal feste Honorarsätze. Die Bundesregierung spricht in ihrem Bericht davon, dass die Freien Berufe Wachstumsmotor der sozialen Marktwirtschaft seien. Was ist denn daran sozial? Der Unterbietungswettbewerb ist vorprogrammiert, weil die Unternehmen vor allem gegenüber den freien Kreativen, deren Existenz nicht gesichert ist, allemal am längeren Hebel sitzen. Sie lassen diese Leute hängen. Dabei machen die großen Unternehmen in der IT- und Werbeindustrie sehr viel Gewinn, und zwar auf dem Boden, der mit den Ideen und den Experimenten der freien Kreativen bereitet wurde. Sorgen Sie dafür, dass diese Konzerne sich nicht mehr ihrer Steuerpflicht entziehen können! Dann wäre schon sehr viel für mehr Gerechtigkeit gewonnen. (Beifall bei der LINKEN) Sorgen Sie für ein Urheberrecht, das die Kreativen, die Schöpferischen, gegen die Enteignung durch die Internetkonzerne schützt und nicht die Internetnutzer gängelt. Wenn Sie mit den Selbstständigen, die nicht gut verdienen, reden, dann stellen Sie fest: Ihre größte Sorge ist, dass sie keine soziale Absicherung im Alter oder für den Fall, dass sie irgendwann nicht mehr fit sind, haben. Das muss sich ändern. Ihnen ist dieses Thema gerade mal eine halbe Seite wert. Dann schreiben Sie auch noch, dass viele Freiberufler auf eine Alterssicherung verzichten, und werfen ihnen vor, dass sie nachher der Gemeinschaft sozusagen zur Last fallen. Noch einmal in aller Deutlichkeit: Diese Menschen verzichten nicht auf eine Alterssicherung; sie können sie sich schlicht nicht leisten. Die Linke hat deshalb die solidarische Bürgerversicherung auf die Tagesordnung gesetzt. Es ist sehr gut, dass dieses Konzept inzwischen von vielen Akteuren in verschiedener Weise aufgegriffen wird. Es wäre wirklich eine vernünftige Alternative. (Beifall bei der LINKEN) Alle Erwerbstätigen, ob selbstständig oder fest angestellt, würden einkommensabhängig Beiträge einzahlen. Für diejenigen, die das Mindesteinkommen nicht erreichen, muss steuerfinanzierte Sicherheit hergestellt werden. Durch eine solche Einbeziehung würden die Selbstständigen Zugang zum kompletten Leistungspaket der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung erhalten. Wir wollen außerdem eine armutsfeste und sanktionsfreie Mindestsicherung, ein Grundeinkommen, das das unwürdige Verarmungsprogramm ersetzt, das heute mit Hartz IV verbunden ist und auch die Selbstständigen trifft. Einstweilen muss allerdings die Künstlersozialkasse stabilisiert werden, die derzeit für viele die einzig finanzierbare Versicherung darstellt. Der Bundeszuschuss müsste zumindest von 20 auf 25 Prozent erhöht werden, damit das System nicht kollabiert. Ein weiterer Problemfall müsste sofort gelöst werden: Die sogenannten Selbstständigen müssen Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung erhalten, und zwar unter allen Umständen, weil viele schlicht von den Bedingungen der privaten Krankenversicherungen überfordert sind. (Beifall bei der LINKEN) Zu diesen Problembereichen ist in Ihrem Bericht nichts zu lesen. Stattdessen lassen Sie sich lang und breit über die Verbesserungen für Anwälte, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer aus. Genau diese Gruppen sitzen aber ohnehin am reich gedeckten Tisch, manchmal sogar am Kabinettstisch. Ich erinnere an das wirklich lesenswerte Buch Die Berater von Werner Rügemer, das inzwischen vergriffen ist. Darin stellt er dar, wie ein Netzwerk hochdotierter Berater auf sämtlichen Ebenen der öffentlichen Hand agiert und Privatisierungskonzepte verbrät. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Es geht doch nichts über ein gut gepflegtes Klischee, oder?) Das könnten wir uns sparen. Stattdessen könnten wir diejenigen unterstützen, die zum guten Leben der ganzen Gesellschaft beitragen, (Beifall bei der LINKEN) zum Beispiel die Hebammen. Ich erinnere daran, dass 2011 ein großer Aufschrei durch die Presse ging, als die Hebammen mit tollen Aktionen auf ihre wirklich prekäre Situation aufmerksam gemacht haben. Diejenigen, die 45 Stunden in der Woche arbeiten, bekommen 33 000 Euro im Jahr, und sie müssen in ihrem Beruf sehr hohe Haftpflichtversicherungsbeiträge zahlen. Da fehlen nach wie vor die Lösungen. Sorgen Sie dafür, dass Honorare und Gehälter in dem Bereich auf einem Niveau sind, das der hohen Verantwortung entspricht; das ist unser Vorschlag. Ansonsten verlangen wir, dass soziale Sicherheit und gerechte Einkommen für alle garantiert werden, so wie es das Sozialstaatsgebot in unserem Grundgesetz vorsieht. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, uns allen ist bewusst, was wir an den Freien Berufen haben und welche Aufgaben und Potenziale hier liegen. Deswegen wäre es interessant gewesen, zu lesen, wie die Situation dieses Mal im Bericht analysiert wird und welche Perspektiven der Antrag der Koalition benennt. Aber da wird wirklich mit Allgemeinplätzen gearbeitet und ein wolkenweiches Bild gezeichnet. Wir hätten von diesem Bericht mehr erwartet, im Übrigen auch vom Antrag der Koalition. Sie schreiben im Antrag unter dem ersten Spiegelstrich: Der Deutsche Bundestag begrüßt: – die Unterstützung durch die Bundesregierung für freiberufliche Tätigkeiten in ihrer gesamten Bandbreite durch das Setzen effektiver Rahmenbedingungen. Herr Wegner, Sie haben schon versucht, das eine oder andere darzustellen; aber gehen wir doch einmal ins Konkrete: Was haben Sie gemacht? Sie haben den Gründungszuschuss abgeschafft. Der Gründungszuschuss bot ganz vielen, vor allem jungen Leuten, eine Riesenchance. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000, als viele Unternehmen in die Insolvenz gehen mussten, haben sich die jungen Leute, die Programmierer, ein Herz gefasst und sind in die Selbstständigkeit gegangen, als Webdesigner, als Konzepter, als Programmierer. Geholfen hat ihnen der Gründungszuschuss, weil sie so sechs Monate lang den Rücken frei hatten, weil sie nicht mit Aushilfsjobs versuchen mussten, irgendwie über die Runden zu kommen. Der Gründungszuschuss war eines der erfolgreichsten Projekte, die wir je hatten, aber Sie haben ihn abgeschafft. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Was ist das Ergebnis? Im Jahr 2012 – zugegebenermaßen in einer wirtschaftlich schwierigeren Phase, die aber lange nicht so schwierig wie 2009, 2010 oder 2011 war – haben deutlich weniger Menschen eine Firma gegründet. Die OECD bescheinigt uns: Deutschland fällt bei der Gründungsdynamik zurück. Wir werden deshalb den Gründungszuschuss wieder aufstocken und den Bereich Gründungsförderung ausbauen, weil dies für die jungen Menschen in unserem Land dringend notwendig ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Programmierer, aber auch Steuerberater und Architekten brauchen den Breitbandausbau. Er ist notwendig; denn wie wollen Sie als Architekt, als Programmierer vor Ort große Datenmengen transportieren, wenn Sie keinen vernünftigen Breitbandanschluss haben? Wie wollen Sie sich denn unter solchen Umständen ansiedeln? Das funktioniert nicht. Der Wirtschaftsminister hat sich nicht um den Ausbau der digitalen Infrastruktur in unserem Land gekümmert. (Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Na, na, na!) Er hat immer gesagt: Der Markt regelt schon den schnellen Internetzugang für alle. – Aber diese Situation ist nicht eingetreten. Wir sagen: Jeder Haushalt braucht eine gesetzlich garantierte Basisversorgung mit einem Breitbandinternetanschluss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Es geht doch nicht, dass man von Buxtehude bis ins Alpenvorland teilweise noch im Modemzeitalter lebt. So funktioniert das nicht mit Ansiedelung und Gründung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir wissen: Die Freien Berufe sind nicht einfach nur ein Wirtschaftszweig, sondern es sind Berufe, die eine besondere gesellschaftliche Aufgabe haben. Genau dies hätte die Bundesregierung in ihrem Bericht analysieren müssen. Der Bericht ist eine Lobhudelei auf das Wirtschaftsministerium. Er ist das Papier nicht wert. Sie müssen die Situation ein bisschen genauer betrachten. Nehmen wir die Energiewende. Sie wird vor Ort entschieden. Es ist wichtig, dass wir Experten haben, die den gesamten Lebenszyklus eines Projektes überwachen und berechnen. Herr Wegner, Sie haben von Vertrauensdienstleistungen gesprochen. Genau darum geht es: Diese Personen müssen unabhängig sein, man muss sich auf sie verlassen können, sie müssen Fachkenntnis haben. Es ist schon verwunderlich, dass ausgerechnet die Teile der HOAI für Architekten und Ingenieure, über die gerade diskutiert und im Bundesrat abgestimmt wird und die von besonderer Umweltrelevanz sind, unverbindlich bleiben: Bodenerkundung, Bodensanierung, Gebäudetechnik und alles, was mit Energieeinsparung zu tun hat. Gerade in diesem Bereich, der so viel Zukunft hat, wäre es doch sinnvoll gewesen, für die jungen Ingenieure Planungssicherheit und für die Verbraucher Kostensicherheit zu bieten, sodass jeder weiß, woran er ist. Nein, an dieser Stelle haben Sie nichts gemacht. Sie sind unverbindlich geblieben, und das war ein ganz großer Fehler. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Europa zwingt uns!) – Nein. Jetzt kommen wir noch zu den Hebammen. Frau Leidig, ich bin froh, dass Sie das Thema angesprochen haben. Wir erinnern uns vielleicht – oder vielleicht auch nicht –: Jeder von uns hat einmal mindestens eine gebraucht. Wir haben den Gesundheitsminister zum Jagen tragen müssen, damit es überhaupt einen Bericht über die Einkommenssituation und das Tätigkeitsfeld der Hebammen gibt. Schon diesen Bericht wollte er nicht in Auftrag geben. Die Hebammen haben enorme Probleme mit den hohen Prämien für die Berufshaftpflichtversicherung. (Rita Pawelski [CDU/CSU]: Ja, das stimmt!) Sie haben die Einkommenszahlen genannt. Die Hebammen sagen: Wir können unserem Job gar nicht mehr nachgehen. – Was sagt die Bundesregierung? Sie sagt: Bei der Berufshaftpflicht für Hebammen ist alles in Ordnung, es besteht kein Regelungsbedarf. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich! So ist es!) Ich sage Ihnen: Wenn Männer diese Jobs machen würden, dann hätten Sie schneller gehandelt, als Sie es jetzt getan haben. Hier müssen wir etwas verändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: So ein Schmarrn! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Auf was Sie so alles kommen! Darauf muss man erst einmal kommen!) – Ja, darauf muss man erst einmal kommen. Darauf muss man auch eine Antwort haben. Herr Otto, Sie haben die Kulturpolitik angesprochen. Große, etablierte Institutionen wurden mit horrenden Summen bedient. Repräsentative Häuser – Bayreuth, Staatsoper Berlin, Humboldt-Forum, Elbphilharmonie – verschlingen Millionen, aber Freiberufler – Sie haben darauf hingewiesen, wie viele im kulturellen Sektor tätig sind – müssen sich durch Stapel von Anträgen durcharbeiten und jeden Bleistiftkauf begründen. Diejenigen von uns, die in Kommunalparlamenten tätig waren, wissen, dass viele kleine Kulturschaffende um jeden Euro Zuschuss kämpfen, damit sie ihr wichtiges Kulturangebot auf die Beine stellen können. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Umweltauflagen!) Die große Mehrheit der Kulturschaffenden sind die Verlierer Ihrer Repräsentationspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie Freie Berufe einmal umfassend betrachten würden statt nur die klassischen Ingenieurberufe, dann wäre es aber auch notwendig, sich stärker auf die Situation dieser Berufe einzulassen und auch einmal darüber nachzudenken, ob man nicht auch jungen Leuten Perspektiven bieten kann. Herr Wegener, Sie haben die kommunale Wirtschaftssteuer angesprochen und gesagt, SPD, Grüne und Linke wollten die Freiberufler in die Gewerbesteuer einbeziehen. Das ist richtig. Das ist ein Konzept, das im Übrigen nicht nur wir haben, sondern das auch der Deutsche Städtetag hat und das auch Ihre Oberbürgermeister haben, Stadt für Stadt, Gemeinde für Gemeinde. Das ist ein Konzept, das Ihre Gemeinderäte vor Ort haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie sind doch total alleine in der Position, dass die Freiberufler von der Gewerbesteuer ausgenommen werden müssen. Ich bin völlig einverstanden damit, dass wir über Anrechnungen sprechen und überlegen, wie man Gewerbesteuer und Einkommensteuer miteinander verrechnen kann. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nein! Sie haben Beschlüsse! Sie haben knallharte Beschlüsse! Also diskutiert bitte nicht mehr! Ja oder Nein?) Das ist im Übrigen etwas, das Rot-Grün gemacht hat. Aber hören Sie auf, hier diesen Kampf gegen Windmühlen bzw. den Kampf gegen die Kommunen zu führen, und legen Sie ein Konzept vor, das Ihre Leute vor Ort wollen. Dies wäre eben eine kommunale Wirtschaftssteuer. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Sie müssen zum Schluss kommen, bitte. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluss. – Es ist ziemlich klar, was diese Koalition in vier Jahren gegen die Freien Berufe gemacht hat. Mir ist immer noch ein bisschen unklar, was sie für die Freien Berufe gemacht hat. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist doch nicht Ihr Ernst! Frau Andreae, das ist unter Ihrem Niveau! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Wo waren Sie denn in vier guten Jahren?) Die Lektüre des Berichts hilft dabei im Übrigen nicht weiter. Ich möchte meine Rede aber auch damit beenden, mich bei Herrn Otto zu bedanken. Wir hatten konstruktive Auseinandersetzungen, hart in der Sache, aber immer sehr freundlich. Ich danke Ihnen für unsere Zusammenarbeit. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Martin Lindner für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Ich glaube, Herr Staatssekretär Otto hat sehr eindrücklich dargestellt, was diese Koalition und die Bundesregierung in den letzten vier Jahren für die Freiberufler gemacht haben, (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit den Hebammen?) von verschiedenen Existenzgründermaßnahmen bis zum Bürokratieabbau und dem Versuch, in der einen oder anderen Frage zu einer vernünftigen Anpassung der Gebühren zu kommen. Aber ich glaube, an dieser Stelle ist es an der Zeit, zu fragen, was die Freien Berufe von der Opposition zu erwarten hatten und haben. Sie blockieren im Bundesrat unsere Initiative, die Aufbewahrungsfristen deutlich abzusenken. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Unverständlich!) Gerade das wäre für viele Freiberufler eine wirklich wichtige Maßnahme zum Bürokratieabbau, um ihren Lageraufwand zu reduzieren. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie blockieren gerade im Bundesrat die Gebührenerhöhung für die Rechtsanwälte, die längst überfällig ist. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Mindestlohn für Rechtsanwälte!) Sie haben uns vorhin vorgehalten, dass wir das Kooperationsverbot nicht lockern. Sie blockieren es doch gerade im Bundesrat da, wo wir es abschaffen wollen, nämlich im Bereich der Forschung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie möchten für die Freien Berufe die Gewerbesteuer einführen. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Jawohl!) Die SPD hat das in dieser Legislaturperiode in ihrem Antrag auf Drucksache 17/3996 gefordert, und auch der Spitzenkandidat der SPD bei der Landtagswahl in Bayern, Ude, hat das in der Welt deutlich gemacht. Sie von der SPD haben, als ich noch im Abgeordnetenhaus war, das Versorgungswerk für Psychotherapeuten blockiert. Und Sie möchten mit einer Vermögensteuer denjenigen, den Freiberuflern und Gewerbetreibenden, die selbst für ihre Existenz vorsorgen müssen, (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Den Einzelhändlern!) jede Maßnahme für eine vernünftige Altersvorsorge wegnehmen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Eine Sauerei ist das! – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Altersvorsorge kann abgezogen werden!) Ich rechne Ihnen das einmal vor, weil das sonst immer wolkig bleibt: Ein Richter am Oberlandesgericht, verheiratet, zwei Kinder, der in Pension geht, erhält zurzeit eine Pension in Höhe von 4 991 Euro, also rund 5 000 Euro – die gönne ich ihm von Herzen –, und zwar aus der Besoldungsstufe R 2. Das heißt, er ist einmal befördert worden; er liegt nicht im Spitzenbereich. Das sind 60 000 Euro im Jahr an Pension. Um als Freiberufler, beispielsweise als Rechtsanwalt, auf vergleichbare Weise leben zu können, braucht man bei einer Verzinsung von derzeit, vorsichtig geschätzt, 2,5 Prozent einen Vermögensstamm von 2,5 Millionen Euro. Ist Ihnen das – bei Ihren Vermögensteuer- und Vermögensabgabeplänen – eigentlich bewusst? Jetzt sagen die Grünen, es gebe einen Freibetrag von 1 Million Euro. Dieser Freibetrag aber wird um jeden Euro verringert, der diese 1 Million Euro übersteigt. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das heißt, bei einem Vermögensstamm von 2,5 Millionen Euro haben die Freiberufler bei Ihnen null Freibetrag. Bei einer Vermögensabgabe von 0,5 Prozent nehmen Sie ihnen also jedes Jahr 12 500 Euro von den 60 000 Euro weg – diese Summe erhält, wie gesagt, ein Richter am Oberlandesgericht bzw. Kammergericht, der in Pension geht –, die sie haben müssten, um mit den genannten Richtern gleichgestellt zu sein. Das sind über 20 Prozent dessen, was sie aus dem Vermögensstamm erwirtschaftet haben. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann? Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Selbstverständlich, gerne. Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Lindner, ich möchte Ihnen durch meine Zwischenfrage die Möglichkeit geben, wieder auf das Thema zurückzukommen, nämlich die Lage der Freien Berufe. Mich würde interessieren, was sowohl das Wirtschafts- als auch das Gesundheitsministerium, die beide – noch! – in der Verantwortung der FDP liegen, (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Noch lange!) für die Verbesserung der Lebenssituation und der beruflichen Situation – vor allem geht es dabei um die Problematik der Versicherungssituation – der Hebammen getan haben. Wir im Bundestag haben eine Petition dazu bekommen. Viele der Abgeordneten haben sich damit beschäftigt. Sie haben in Ihrer Regierungszeit nichts getan, um die Situation der Hebammen zu verbessern. Das heißt, überall müssen niedergelassene, selbstständig tätige Hebammen ihre Tätigkeit aufgeben und in Kliniken arbeiten. Das kann nicht in unser aller Interesse sein. Dazu habe ich, weil wir über Freie Berufe reden, konkrete Fragen: Was haben Sie denn konkret getan? Oder warum haben Sie nichts getan? Das würde mich interessieren – und sicher viele Bürgerinnen und Bürger auch. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Der Redner kann entscheiden, worüber er redet!) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): – Das ist mir völlig klar. Mir ist auch der Hintergrund der Frage klar. – Es ist Ihnen von der Opposition einfach unangenehm, wenn man Ihnen hier einmal Ihre eigenen Parteitagsbeschlüsse und Wahlprogramme vorhält. (Beifall bei der FDP) Deshalb wollen Sie über Hebammen reden. Wir können gerne auch über die Hebammen reden. Der Staatssekretär hat Ihnen sehr eindringlich vorgetragen, was wir tun. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Wort!) Ich will das aber gerne fortsetzen; die Gelegenheit haben Sie mir ja gegeben. Wir haben beispielsweise mit dem Programm „Gründercoaching Deutschland“ eine finanzielle Förderung für externe Beratungsleistungen und Coachingmaßnahmen zur Verfügung gestellt. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit Hebammen zu tun?) Mit der Initiative „Gründerland Deutschland“ stärkt die Bundesregierung die Gründungskultur und gibt zusätzliche Impulse, um eine höhere Gründungsdynamik zu erreichen. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht das Problem der Hebammen!) Das ist ein Teil einer etwa zehnseitigen Ausarbeitung, von der ein Stück bezüglich dessen vorgetragen wurde, was wir getan haben. Ich bin in meiner Rede jetzt bei dem, was die Freiberufler von Ihnen zu erwarten haben. Außer Restriktionen und Steuern hat man nämlich von Ihnen gar nichts zu erwarten; und das ist Ihnen unangenehm. (Beifall bei der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie tun immer so – genau deswegen habe ich Ihnen das vorgerechnet –, als würde das, was Sie da beschlossen haben, nur irgendwelche Multimillionäre angehen. Tatsächlich geht es aber die Leute an, die selbstständig gearbeitet, ihr Leben lang gebuckelt haben und nachts nicht schlafen konnten, weil sie sich über ihre Kredite Sorgen machen mussten. Die wollen Sie – was den Vermögensstand angeht, den sie nach mehrfacher Versteuerung erwirtschaftet haben – schleichend enteignen. Das ist doch der entscheidende Punkt vor der Bundestagswahl. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Das führt mich zu dem Schluss, den Sie, Kollegin Andreae, hier gezogen haben: Wir wissen alle, was wir an den Freien Berufen haben. – Ja, und spätestens nach Ihren Wahlparteitagen wissen die auch, was sie an Ihnen haben und was sie an uns haben. Nur Masochisten unter den Freiberuflern werden – das kann ich Ihnen sagen – Rot-Rot oder -Grün wählen. (Beifall bei der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Ingo Egloff für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Ingo Egloff (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte gehofft, dass wir hier eine sachliche Debatte über dieses Thema führen können. Diese Hoffnung hatte ich insbesondere nach den Ausführungen von Herrn Staatssekretär Otto, dem ich auch für die Zukunft von hier aus noch einmal alles Gute wünschen und bei dem ich mich für die Zusammenarbeit bedanken möchte. Die Rede von Herrn Lindner zeigt, dass hier einfach Wahlkampf pur betrieben wird. (Widerspruch bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Ich will Ihnen, Herr Dr. Lindner, nur zwei Punkte sagen: Erstens: Thema Gewerbesteuer. Es ist doch nicht einzusehen, warum ein Zahntechniker Gewerbesteuer zahlen muss und ein Zahnarzt nicht. Das müssen Sie schlicht und ergreifend einmal erklären. Die Kollegin Andreae hat recht: Die Finanzlage der Kommunen hat auch etwas mit dem Gewerbesteueraufkommen zu tun. Im Übrigen gibt es im Bereich der Gewerbesteuer und der Einkommensteuer Verrechnungsmöglichkeiten – das wissen Sie genauso gut wie ich –, die gerade den Freiberuflern zugutekommen würden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweitens. Sie haben sich hier zur Altersversorgung im Zusammenhang mit der Vermögensteuer geäußert. Dazu sage ich Ihnen aus eigener Anschauung: Ich habe 18 Jahre lang in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt. Dafür werde ich im Alter ungefähr 800 Euro -bekommen. Ich werde genauso lange in das Anwalts-versorgungswerk einzahlen. Dafür werde ich 1 600 Euro bekommen. Man kann sich natürlich den Kopf darüber zerbrechen, warum die einen in dieser Art und Weise privilegiert sind und die anderen nicht. Ich glaube nicht, dass der Anwalt an dieser Stelle das Problem ist. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nein! Sie sind das Problem!) Das Problem ist vielmehr – Kollegen haben es hier gesagt –: Andere Freie Berufe im Bereich des Journalismus, der Kulturindustrie etc. veranlassen uns dazu, uns sehr viele Gedanken über das Thema Altersversorgung zu machen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da werden wir in der Zukunft noch eine Menge zu tun haben. Lassen Sie mich zu zwei weiteren Punkten kommen. Der eine ist die Frage der Rahmensetzung durch den Staat, der zweite ist die Frage Europa. Rahmensetzung durch den Staat, Stichwort „Gebührenordnung“ – es ist hier ebenfalls angesprochen worden –: Natürlich ist die Vergütung für den Anwalt, den -Architekten, den Steuerberater von entscheidender Bedeutung, einmal für die Berufsgruppe selber, damit sie ihr Einkommen sichern kann, aber auch für den Verbraucher, der Sicherheit verlangt, damit er weiß, was er bezahlen muss. Es gibt ein angemessenes Spannungsverhältnis zwischen dem, was der Staat festlegt, und der sozialen Aufgabe, die erfüllt werden muss. Das Problem ist nur, dass die Europäische Kommission genau an dieser Stelle ansetzt und die Gebührenordnung infrage stellt. Dazu sage ich sehr deutlich: Wir sind aus Verbraucherschutzgesichtspunkten, aus Gründen der Existenzsicherung der Freien Berufe, Anhänger dieser Gebührenordnung. Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass die Angriffe der Europäischen Kommission auf die Honorarordnungen zurückgewiesen werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das Thema Hebammen ist hier schon mehrfach angesprochen worden. Freiberufliche Hebammen verdienen durchschnittlich 20 000 Euro und müssen Haftpflichtversicherungsprämien von 4 500 Euro bezahlen. Diese Zahlen zeigen schon, dass es hier ein Missverhältnis gibt, das dazu führt, dass dieser Beruf freiberuflich nicht mehr ausgeübt werden kann. Es ist unsere Verpflichtung, hier tätig zu werden, und zwar aus unterschiedlichen Gründen: Es geht nicht nur darum, diesen Beruf zu ermöglichen, sondern auch um die Versorgungssicherheit, insbesondere in den ländlichen Bereichen. Es kann nicht sein, dass Frauen in ländlichen Bereichen 150 Kilometer fahren müssen, um ihr Kind zur Welt zu bringen, zumal auch die Belegärzte von der gleichen Problematik betroffen sind. Vonseiten der Regierung ist erst einmal eine Lösung gefunden worden. Aber ich glaube nicht, dass wir am Ende der Fahnenstange angekommen sind. Wir werden über eine längerfristige Lösung reden müssen. Ich denke dabei etwa an einen Ausgleich der Haftpflichtversicherung innerhalb der medizinischen Berufe, indem wir -privatwirtschaftliche Lösungen finden, die genau das gewährleisten: dass einerseits ein Freier Beruf weiter ausgeübt werden kann und dass andererseits angemessene Versicherungsprämien gezahlt werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sonst kriegen wir demnächst gar keine Freien Berufe mehr!) Thema Dienstleistungsfreiheit: Dienstleistungsfreiheit kann eine große Chance innerhalb der EU sein. Ich denke, wir müssen aufpassen, dass diejenigen Dinge, die sich bei uns bewährt haben, nicht kaputt gemacht werden. Dazu gehört das Selbstverwaltungssystem. Dazu gehört das Thema Honorarordnung. Als Norddeutscher weise ich auf Folgendes hin: Die Europäische Kommission versucht beispielsweise, bei einem jahrhundertealten Gewerbe wie dem Seelotsenwesen eine Liberalisierung zustande zu bringen, was am Ende nur dazu führt, dass die Sicherheitsaspekte bei der Revierfahrt auf der Elbe oder der Weser ausgeblendet werden. Das ist ein Ansatz von Liberalisierung in einem Freien Beruf, der völlig falsch ist und den wir deswegen ablehnen. Insofern sollten wir gemeinsam dafür sorgen, da, wo es nötig und möglich ist, zu liberalisieren, aber da, wo wir bewährte Strukturen haben, diese zu erhalten. Wir sollten gemeinsam dafür kämpfen, dass in bestimmten Bereichen der deutsche Sonderweg innerhalb der Europäischen Union anerkannt wird. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Herr Egloff, das stimmt, was Sie da sagen! Bei den Seelotsen ist die Lage anders!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich danke der Bundesregierung ganz herzlich für die Vorlage dieses Berichts zur Lage der Freien Berufe und möchte mich ganz persönlich bei Ihnen, Herr Staatssekretär Otto, für die sehr vertrauensvolle und auch sehr konstruktive Zusammenarbeit in den vergangenen vier Jahren bedanken. Sie haben sich wirklich in besonderer Weise für die Freien Berufe in Deutschland eingesetzt und um sie verdient gemacht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte aber auch nicht unerwähnt lassen, dass wir in unseren Reihen einen Kollegen haben, den Kollegen Rolf Koschorrek, der sich ehrenamtlich, als Präsident des Bundesverbandes der Freien Berufe, in besonderer Weise und sehr nachdrücklich für die Freien Berufe einsetzt. Auch dies verdient meines Erachtens Anerkennung und Respekt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte weiter dem Institut für Freie Berufe in Nürnberg ganz herzlich danken. Es ist gut, dass es dieses Institut, das einzige in Deutschland, das speziell die Freien Berufe beleuchtet, nach wie vor gibt. Es hat mit seinen Zahlen die wissenschaftliche Grundlage für den Bericht geliefert, den wir heute debattieren. Die Zahlen sind wirklich eindrucksvoll, und sie belegen, dass der Stellenwert der freiberuflich Tätigen in unserer Gesellschaft außerordentlich groß ist. Wir haben zum heutigen Tag so viele Freiberufler in Deutschland wie noch nie zuvor, knapp 1,2 Millionen. Diese beschäftigen über 3,1 Millionen Personen. Die meisten davon, nämlich knapp 3 Millionen, sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Auch das, glaube ich, sollte erwähnt werden. Es gab im Jahr 1991 – das nur einmal als Vergleich – lediglich 1 Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Freiberufler sind also Arbeitgeber, und zwar Arbeitgeber, die in den letzten Jahren einen deutlichen Aufschwung erlebt haben und dadurch auch mehr Mitarbeiter beschäftigen konnten. Das ist gut für Deutschland; das ist gut für uns alle. Die Freien Berufe leisten auch einen erheblichen Beitrag zu unserem Volkseinkommen. Jeder zehnte Euro, der in Deutschland erwirtschaftet wird, wird von den Freien Berufen erwirtschaftet. Auch dies verdient aus meiner Sicht große Anerkennung und den entsprechenden Respekt. Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass sich die Freien Berufe in besonderer Weise um den Bereich der Ausbildung verdient machen. Momentan gibt es 125 000 Auszubildende in Deutschland, die bei Freiberuflern angestellt sind. Jedes Jahr beschäftigen die Freiberufler neu 43 000 Auszubildende. Das ist gut so. (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Sehr gut!) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, aus meiner Sicht ist sehr wichtig, dass die Freien Berufe die Garanten unserer sozialen Marktwirtschaft sind. Es gibt vielleicht keine andere Berufsgruppe, die so sehr für das Erfolgsmodell soziale Marktwirtschaft steht wie die Freien Berufe. Die soziale Marktwirtschaft wurde nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Gründung der Bundes-republik durch die Gründungsväter unseres Landes und insbesondere durch Wirtschaftsminister Ludwig Erhard neu geschaffen, nicht einem planwirtschaftlichen kommunistischen Wirtschaftsmodell folgend, aber auch nicht einem kapitalistischen Wirtschaftsmodell à la Manchester-Liberalismus folgend, sondern die beiden Modelle vereinend. Ich glaube, die soziale Marktwirtschaft ist -etwas ganz Besonderes. Aus meiner Sicht steht keine andere Berufsgruppe so sehr für die soziale Marktwirtschaft wie die Freien Berufe. Die Freien Berufe zeigen hohe gesellschaftspolitische Verantwortung und übernehmen in vielfältiger Hinsicht öffentliche Aufgaben. Es ist nicht so, dass jedes Mandat eines Rechtsanwalts, das er über die Prozesskostenhilfe abrechnen muss, kostendeckend ist. Nicht in jeder Nachtschicht oder Wochenendschicht eines Apothekers werden so hohe Umsätze generiert, dass der Apotheker frohlockt. Auch Ärzte sind oftmals gefordert, Menschen zu helfen, ohne dass sie dafür ein Honorar bekommen können. Ich möchte weiter die Ingenieure und die Architekten erwähnen, die in herausragender Weise insbesondere auch im öffentlichen Bereich tätig sind, und da ist die Vergütung oftmals nicht so wie in der Privatwirtschaft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Freien Berufe sind ein beredtes Beispiel für unsere Kultur von Unternehmertum und Leistungsbereitschaft. Die Leistungen in allen Freien Berufen, so heterogen und so vielfältig sie auch sein mögen, werden eigenverantwortlich und höchstpersönlich erbracht. Der Bericht zur Lage der Freien Berufe beweist sehr eindrucksvoll, dass die Struktur, auch was das Einkommen und die Umsätze anbelangt, sehr heterogen ist. Es ist nicht so, dass man, wenn man Freiberufler wird, automatisch zum Reichtum verdammt ist. Ganz im Gegenteil: Es gibt große Unterschiede; das ist schon erwähnt worden. Und auch dies gilt es, glaube ich, an dieser Stelle hervorzuheben: Viele Freiberufler wählen ihren Beruf ganz bewusst nicht, um Gewinnmaximierung zu betreiben, sondern um, vielleicht nicht zuletzt aus einem besonderen Altruismus heraus, der Gesellschaft, der Gemeinschaft zu dienen. Das, glaube ich, verdient auch den Respekt unseres Hauses. Ich glaube, dass die Freien Berufe in besonderer Weise geeignet sind, ein positives und damit auch realistisches Bild vom Unternehmertum und vom Selbstständigen in unserer Gesellschaft zu zeichnen. Ich bedauere es sehr, dass in manchen Teilen unserer Gesellschaft die Unternehmer immer mehr als Ausbeuter und als Sozialschmarotzer betrachtet werden. Ich glaube, dass Freiberufler in besonderer Weise dazu beitragen können, in unserer Gesellschaft – das beginnt mit der Bildung in der Schule – ein positiveres Bild vom Unternehmer und vom Selbstständigen zu schaffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich kann Ihnen zusagen, dass wir als christlich-liberale Koalition die Bundesregierung dabei unterstützen, dieses positivere Bild zu zeichnen. Ich möchte auch erwähnen, dass wir die Bundesregierung bei ihren Verhandlungen zur Novellierung der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie nachdrücklich unterstützen. Ich glaube, dass eine Novellierung, eine Neujustierung der Berufsanerkennungsrichtlinie zu einer Steigerung der Mobilität im Binnenmarkt beitragen kann. Die vorgesehene Einführung von Berufsausweisen kann, so glaube ich, einen wesentlichen Beitrag zur Entbürokratisierung und zur Verwaltungsvereinfachung leisten. In diesem Zusammenhang ist aus meiner Sicht zu erwähnen, dass dies nicht zulasten der hohen Qualität der Freien Berufe insbesondere in Deutschland gehen darf. Das Thema Mindestpreisbindung und Honorarordnung ist schon erwähnt worden. Ich möchte nachdrücklich betonen, dass die Mindestpreisbindungen und die Honorarordnungen bei den Freien Berufen, bei denen es sie gibt – Rechtsanwälte, Steuerberater, Architekten, Ingenieure und Ärzte –, richtig sind. Sie dienen aus meiner Sicht beiden Seiten, sowohl den Berufsträgern, den Freiberuflern, als auch den Kunden, den Verbrauchern. Im Interesse der Freiberufler dienen sie aus meiner Sicht dazu, dass ein ruinöser Wettbewerb verhindert wird. Es ist nämlich nicht so, dass der junge Rechtsanwalt oder der junge Steuerberater, der gerade von der Uni kommt und seine Arbeit aufnimmt, große Ansprüche gegenüber seinen Mandanten stellen kann. Wenn er sich an einer Honorarordnung orientieren kann, die zeigt, was seine intellektuelle Leistung wert ist, und er seinem Mandanten diese Honorarordnung vorlegen kann, dann verhindert dies aus meiner Sicht einen ruinösen Wettbewerb. Das steigert auch die Qualität der Leistung der Freien Berufe. Auf der anderen Seite tragen Honorarordnungen und Mindestpreisbindungen natürlich auch dazu bei, gegenüber dem Verbraucher für Transparenz zu sorgen. Die meisten Bürgerinnen und Bürger bauen einmal in ihrem Leben, wenn überhaupt, ein Einfamilien- oder ein Zweifamilienhaus. Sie sind nicht geübt im Umgang mit Architekten und Ingenieuren. Wenn es eine Honorarordnung gibt, die klar ausweist, wie viel die Leistung des Architekten oder des Ingenieurs wert ist, dann bedeutet dies Rechtssicherheit, Vertrauensschutz und Transparenz für den Verbraucher. Deswegen kann ich die Bundes-regierung nur ermuntern, bei den Verhandlungen über die Honorarordnungen auf europäischer Ebene nicht nachzulassen. Sehr wichtig ist auch, dass die freiberufliche Selbstverwaltung weiterhin aufrechterhalten wird. Die Freiberufler wollen nicht am Gängelband des Staates hängen. Sie wollen unabhängig sein. Sie wollen selbst über ihre Berufsausübungsregelungen entscheiden. Dies gilt es weiterhin aufrechtzuerhalten. Ich darf die Bundesregierung nachdrücklich bitten, weiterhin stabile Rahmenbedingungen für die Altersversorgungssysteme der Freien Berufe zu gewährleisten. Es ist gut, dass es die Freien Berufe in Deutschland gibt. Der Bericht zeigt eindrucksvoll, dass sich die Situation der Freien Berufe in Deutschland in den letzten zehn Jahren insgesamt deutlich verbessert hat. Das liegt aus meiner Sicht insbesondere an der sehr wohltuenden und prosperierenden begleitenden Arbeit der christlich-liberalen Koalition, was die Rahmenbedingungen anbelangt. Die Freiberufler in Deutschland können sich auf die CDU/CSU und die FDP verlassen. Das Schlimmste, was ihnen passieren könnte, wäre ein Regierungswechsel in Berlin. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Lars Klingbeil für die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD) Lars Klingbeil (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich darüber, dass wir heute in der Kernzeit über die Situation der Freien Berufe diskutieren. Wir sehen, dass die Bedeutung von Selbstständigen und Freien Berufen wächst. Das macht dieser Bericht sehr deutlich. Ich will den Fokus auf den Bereich der Kreativwirtschaft legen. Herr Staatssekretär Otto, ich will es gleich zu Beginn sagen: Ich werde gleich das eine oder andere von dem, was Schwarz-Gelb gemacht hat, negativ kommentieren. Ich will Sie aber ausdrücklich erwähnen und Ihnen für die Arbeit, die Sie geleistet haben, danken. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Wir wissen, dass Sie die Entwicklung der Kreativwirtschaft mit Leidenschaft vorangetrieben haben und immer ein wichtiger Ansprechpartner in der Bundesregierung waren. Herzlichen Dank für Ihr Engagement! Ich wünsche Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute, auch im Namen der SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir sehen, dass die Kreativbranche eine Zukunftsbranche ist. Wir sehen, dass es die Branche ist, die den digitalen Wandel an vielen Stellen schon erlebt und gestaltet. Dort entsteht eine Avantgarde. Die Kreativwirtschaftsbranche ist auch eine Art Zukunftslabor für die großen Trends, die unserer Gesellschaft noch bevorstehen. Die Wachstumszahlen sind beeindruckend. Im Jahr 2011 gab es in diesem Bereich 244 000 Unternehmen mit einem Umsatzvolumen von 143 Milliarden Euro und mit 1 Million Erwerbstätigen. Das ist eine beeindruckende Bestandsaufnahme, die Sie in diesem Bericht bringen, aber ich sage Ihnen auch, was fehlt: die Frage, was eigentlich aus dieser Bestandsaufnahme folgt. Was sind die politischen Folgen? Was hat Schwarz-Gelb in vier Jahren für die Kreativwirtschaftsbranche geleistet? Wenn wir uns das anschauen, sehen wir: Es ist nicht viel passiert. Ich will Ihnen das an einigen Beispielen deutlich machen. Wir sehen zum Beispiel, dass im Bereich der Kreativwirtschaftsbranche gerade das klassische Normalarbeitsverhältnis nicht häufig existiert. Wir sehen hybride Erwerbstätigkeiten, einen ständigen Wechsel von selbstständiger zu abhängiger Beschäftigung. Wir sehen einen wachsenden Anteil an Soloselbstständigen und dass zum Beispiel auch im Bereich der Altersabsicherung große Probleme bestehen. Schwarz-Gelb hat in vier Jahren auf die großen Herausforderungen, die im Bereich der Beschäftigung in der Kreativwirtschaftsbranche bestehen, keine Antworten gegeben. Die Einkommen von Soloselbstständigen sind häufig eher nicht existenzsichernd. Es gab keinerlei Vorstöße für Mindesthonorare, für Mindestvergütung. Herr Lindner, Sie haben sich hierhingestellt und so getan, als ob alles besser geworden wäre, aber ich will daran erinnern: Ihre Koalition war es, die den Gründerzuschuss abgeschafft hat. Das war ein wichtiges Instrument gerade für den Bereich der Kreativwirtschaft. Hier haben Sie viel Vertrauen kaputt gemacht. (Beifall bei der SPD) Wir sehen, dass ein dynamischer Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts nach wie vor auf einen Sozialstaat des 19. Jahrhunderts trifft und wir nicht ausreichend Antworten haben. Helmut Schmidt hat als Bundeskanzler damals die Künstlersozialkasse eingeführt, um den Herausforderungen auch gerade des Kunstbereichs gerecht zu werden. Gerhard Schröder hat als Bundeskanzler den Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft zentral im Bundeskanzleramt angesiedelt. Unter Angela Merkel ist bisher nichts passiert. Das ist bedauerlich, weil dieser Bereich ganz wichtig ist und gefördert werden müsste. Ich nenne das Thema Urheberrecht. Darauf gehen Sie von der Koalition auch in Ihrem Antrag ein. Dort heißt es: Wir müssen jetzt beim Urheberrecht dringend etwas machen. – Die Kanzlerin hat dies neulich bei der CDU MediaNight auch festgestellt. Ich frage Sie: Was haben Sie in vier Jahren beim Urheberrecht eigentlich gemacht? Nichts. Das ist die Bilanz. Wir haben nicht erlebt, dass der dritte Korb gekommen ist, der im Koalitionsvertrag angekündigt war. Wir haben nicht erlebt, dass im Urhebervertragsrecht etwas getan wurde, um die Kreativen zu stärken und dafür zu sorgen, dass sie eine bessere Entlohnung bekommen. Wir wissen doch, dass Künstlerinnen und Künstler heute sagen, sie können nicht mehr von dem leben, was sie schaffen. Sie wurden von dieser schwarz-gelben Regierung im Stich gelassen. Das ist die schwarz-gelbe Bilanz nach vier Jahren. Die SPD-Fraktion hat gearbeitet. Wir haben mit den Kreativen zusammen am Kreativpakt gearbeitet. Wir haben über zweieinhalb Jahre diskutiert. Wir haben unsere Vorschläge zur Stärkung der Kreativbranche, zur Stärkung des Urheberrechtes hier im Parlament eingebracht. Ich bin optimistisch, dass wir das Ganze ab September mit den Grünen umsetzen können. Ich sage Ihnen: Dann wird es der Kreativwirtschaft in Deutschland besser gehen, weil sie dann einen verlässlichen politischen Partner an ihrer Seite hat. Vielen Dank fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Der sie ohne Schaum rasiert!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Rita Pawelski für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Rita, jetzt!) Rita Pawelski (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der irische Schriftsteller George Bernhard Shaw hat einmal festgestellt: Freiheit heißt Verantwortung. Deshalb wird sie von den meisten Menschen gefürchtet. – Dieser Satz mag für viele stimmen, aber nicht für Selbstständige, nicht für Freiberufler. Sie nutzen die Freiheit, übernehmen Verantwortung. Dazu zählen Ärzte und Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, Architekten und Ingenieure, Künstler und Kreative. Sie tragen Verantwortung für sich und unsere Gesellschaft. Ärzte stellen die gesundheitliche Versorgung sicher. Ingenieure sind die geistigen Eltern unserer Technik und unserer Autos. Wirtschaftsprüfer sorgen für Transparenz und damit für das Funktionieren der Gesamtwirtschaft. Architekten gestalten unsere Städte und Gemeinden, unsere Infrastruktur und unsere Landschaften. Anwälte sichern den Rechtsfrieden. Kulturschaffende und Kreative sorgen für ein buntes und vielfältiges gesellschaftliches Leben. Das zeigt: Die Freien Berufe lassen unser Gemeinwesen funktionieren. Ihre hochwertigen Leistungen sind immens wichtig. Nicht zuletzt deshalb ist auch ihr Ansehen in der Bevölkerung hoch; die Allensbacher Berufs-prestige-Skala bestätigt das jedes Mal aufs Neue. Seit -ihrem ersten Erscheinen 1966 ist der Arztberuf unangefochten Spitzenreiter der am meisten geachteten Berufe; bei der letzten Umfrage 2011 sahen das 82 Prozent der Deutschen so. – Übrigens: Jede dritte Arztpraxis ist mittlerweile in der Hand einer Frau, und es werden immer mehr. – Der Ingenieur folgte mit 33 Prozent an der fünften, der Rechtsanwalt mit 29 Prozent an der siebten Stelle. Was uns, meine Damen und Herren, zu denken geben sollte: Auf dem drittletzten Platz der Liste finden wir uns als Politiker wieder, geachtet von nur 6 Prozent der Bevölkerung. Weniger Achtung erhalten lediglich Banker und Fernsehmoderatoren, was jedoch von Letzteren in den Talkrunden weniger erkannt wird. Die Freien Berufe sind nicht nur eine tragende Säule unserer Gesellschaft, sondern auch Wirtschafts- und Wachstumsmotor. Die Zahlen wurden hier schon sehr häufig genannt; ich brauche sie nicht zu wiederholen. Aber wie andere Bereiche auch wird die Zukunft der Freien Berufe vom demografischen Wandel und von seinen Auswirkungen geprägt. Einerseits eröffnen sich Chancen, neue Angebote für eine alternde und schrumpfende Gesellschaft zu entwickeln und anzubieten. Andererseits aber droht den Freien Berufen, gerade bei den Ärzten und Ingenieuren, ein Fachkräftemangel. Das Statistische Bundesamt hat errechnet, dass das gesamte Arbeitskräftepotenzial in Deutschland bis 2030 – das ist in 17 Jahren; es kommt aber schneller, als man manchmal denkt – um bis zu 7,6 Millionen Menschen abnehmen wird. Die Bundesregierung steuert dieser Entwicklung entgegen und hat kluge Weichenstellungen vorgenommen. Das werden wir unter Bundeskanzlerin Angela Merkel auch nach der Wahl weiter fortsetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir brauchen eine Mobilisierung der Fachkräfte. Dazu zählt ohne Frage auch, dass wir mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt, mehr Frauen in den Unternehmen, mehr Frauen als Freiberufler brauchen. Gut ist, dass der Anteil der Frauen unter den Selbstständigen in den Freien Berufen in den letzten 25 Jahren, also ab 1988, zugenommen hat: bei den Tierärzten um mehr als 25 Prozentpunkte, bei den Rechtsanwälten um 21 Prozentpunkte, bei den Zahnärzten und Ärzten um rund 16 Prozentpunkte, bei den Apothekern um mehr als 10 Prozentpunkte. Aber, meine Damen und Herren, wenn man sich alle Gruppen ansieht, stellt man fest, dass auch hier leider der Grundsatz gilt: mehr Geld – mehr Männer; weniger Verdienstmöglichkeiten – mehr Frauen. Die Situation der Hebammen wurde eben angesprochen. Die Bundesregierung hat hier etwas getan. Es werden 30 Millionen Euro jährlich zur Verfügung gestellt, um die Hebammen zu stärken. Aber ich sage ganz ehrlich: Das ist nicht genug. (Beifall der Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] und Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]) Es kann nicht sein, dass eine Frau, die einen so unglaublich wichtigen Beruf für die Frau, für das neugeborene Kind ausübt, im Schnitt einen Stundenlohn von 7,50 Euro bekommt. Wir sollten uns alle ein bisschen schämen, dass wir das so lange zugelassen haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich muss deutlich sagen: Das muss sich in der nächsten Legislaturperiode ändern. Also, liebe Frauen, es gibt noch Luft nach oben, auch beim Verdienst. Wir müssen Frauen stärker ermutigen, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Darum, liebe junge Frauen, die ihr Betriebswirtschaft, Jura, Sozialwissenschaften oder Medizin studiert und Superergebnisse erzielt: Habt keine Angst vor der Selbstständigkeit! Ja, es stimmt: Der persönliche Einsatz ist hoch, der -Arbeitsaufwand enorm, und die soziale Absicherung – Krankenkasse, Alterssicherung – muss selbst in Angriff genommen werden. Das schreckt viele auf den ersten Blick ab. Doch schaut genauer hin! Die freiberufliche Tätigkeit bietet unglaublich viele Chancen: fachliche Unabhängigkeit, Eigenverantwortung, gesellschaftliches Ansehen, hohe Flexibilität, freie Wahl der Arbeitszeiten und des Arbeitsortes. Zeigt Mut! Wagt den Schritt in die Selbstständigkeit! Denn diese Freiheit, die Freiheit, die eigene Chefin zu sein, sich die Arbeit frei einteilen zu können, hat einen bedeutenden Vorteil: Sie schafft Freiräume, auch wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Übrigens: Beim Weg in die Selbstständigkeit erhalten Frauen, wenn sie es möchten – – Eine Zwischenfrage, Herr Präsident. (Heiterkeit – Zuruf: Die hat sie bestellt!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Bitte schön, Frau Fischbach. Wenn Ihnen schon das Wort erteilt ist, will ich das nicht behindern. Rita Pawelski (CDU/CSU): Danke, Herr Präsident; ich vertrete Sie gerne. Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Ich danke Ihnen sehr. – Frau Kollegin, ich habe eine Frage. Sie haben gerade die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angesprochen. Welche Ansatzpunkte und Hilfeleistungen hat die Bundesregierung geschaffen, damit Frauen, die sich selbstständig machen wollen, Familie und Beruf auch wirklich miteinander vereinbaren können? (Andrea Wicklein [SPD]: Das Betreuungsgeld!) Rita Pawelski (CDU/CSU): Verehrte Kollegen, dass Frau Fischbach eine Frage stellt, war nicht abgestimmt; aber ich beantworte die Frage gerne. (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Ja, ja! „Herr Präsident, eine Zwischenfrage!“) Die Bundesregierung unter Angela Merkel hat wie keine andere Bundesregierung vor ihr die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert. (Ingo Egloff [SPD]: Das Betreuungsgeld, oder was?) Wir haben die Betreuung der unter Dreijährigen ausgebaut. Ab August gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Dieser Rechtsanspruch, der eigentlich von den Kommunen und den Ländern erfüllt werden müsste, wird vom Bund mit über 4,7 Milliarden Euro befördert. Wir zahlen das Elterngeld, um den Einstieg in die Elternzeit finanziell abzufedern. Wir fördern die Teilzeitarbeit. Teilzeitarbeit darf aber nicht zu einer Sackgasse, zu einem Karrierehemmer werden. Daher werden wir uns in der nächsten Regierung dafür einsetzen, dass Mütter und Väter – die ja auch zunehmend Teilzeit in Anspruch nehmen – einen Rechtsanspruch darauf bekommen, in die Vollzeitbeschäftigung zurückzukehren, damit sie ihre Karriere fortsetzen können. Angela Merkel ist die richtige Bundeskanzlerin für unser Land, und sie wird es ab September für mindestens vier weitere Jahre bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Vier gute Jahre!) Ich war gerade dabei, deutlich zu machen, dass die Bundesregierung Frauen, die in die Selbstständigkeit -gehen wollen, unterstützt. Es gibt die „bundesweite gründerinnenagentur“ mit einem entsprechenden Internetauftritt; sie hilft den Frauen auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Meine Damen und Herren, wir müssen diese Chancen, diese Vorteile und diese Möglichkeiten der Unterstützung noch populärer machen, noch stärker transportieren. Nur so werden wir erreichen, dass mehr junge Menschen – und gerade junge Frauen – den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. Herr Präsident, ich bitte um eine halbe Minute Redezeit; denn das ist möglicherweise die letzte Rede, die ich vor diesem Bundestag halte. Meine Damen und Herren, ich war sehr, sehr gerne Mitglied dieses Bundestages. Ich gehe freiwillig; ich gehe aber trotzdem schweren Herzens. Ich bitte alle um Entschuldigung, denen ich irgendwann zu nahe getreten bin, und danke allen, die mir geholfen haben. (Anhaltender Beifall) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herzlichen Dank, liebe Kollegin Pawelski. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13074 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/13714 mit dem Titel „Freie Berufe – Wachstumstreiber in der Sozialen Marktwirtschaft“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Jetzt teile ich mit, dass um circa 13 Uhr eine namentliche Abstimmung zu dem gestern verschobenen Tagesordnungspunkt 8 b – Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften – stattfindet. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 48 sowie Zusatzpunkte 18 und 19 auf: 48 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Globale Steuergestaltung verhindern – Regulierungsschlupflöcher stopfen – Drucksache 17/13716 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 18 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Mai 2013 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten und hinsichtlich der als Gesetz über die Steuerehrlichkeit bezüglich Auslandskonten bekannten US-amerikanischen Informations- und Meldebestimmungen – Drucksache 17/13704 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO ZP 19 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Steuerzahlungen multinationaler Unternehmen transparent machen – Country-by-Country-Reporting in Deutschland einführen und in Europa vorantreiben – Drucksache 17/13717 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Peer Steinbrück für die SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der SPD) Peer Steinbrück (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1 000 Milliarden Euro, so groß ist der Schaden, der jedes Jahr in der gesamten Europäischen Union durch Steuerbetrug und durch sogenannte innovative Steuervermeidung entsteht. 1 000 Milliarden Euro, das ist eine Eins mit zwölf Nullen. Das sind 20 Prozent der gesamten Steuereinnahmen und Sozialversicherungseinnahmen in den Ländern der Europäischen Union. Darüber reden wir heute. Das ist kein Randphänomen, das ist keine Bagatelle, das ist schon gar keine lässliche Sünde, und es ist auch kein Kavaliersdelikt, im Gegenteil: Das ist ein hochgiftiges Lösungsmittel, das den Zusammenhalt unserer Gesellschaft aufzulösen droht. (Beifall bei der SPD) Es ist die Pflicht dieser amtierenden Regierung, den systematischen Steuerbetrug und die legale Steuervermeidung, insbesondere von Großkonzernen, mit aller Härte zu bekämpfen. (Manfred Kolbe [CDU/CSU]: Die habt ihr vorgegeben!) Denn das Geld fehlt für Kindertagesstätten, das Geld fehlt für Verkehrsinfrastruktur, das Geld fehlt für eine umfassende Pflegereform, das Geld fehlt, um Existenzgründung oder Existenzgründer zu fördern, das Geld fehlt, um das Programm „Soziale Stadt“ wieder auszufinanzieren, um soziale Brennpunkte in Deutschland zu vermeiden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ohne Steuerbetrug und ohne dieses Ausmaß auch an legaler Steuervermeidung durch Großkonzerne, die das Steuergefälle innerhalb der Europäischen Union ausnutzen, könnten die Steuern in der Tat niedriger sein, und man könnte trotzdem mehr investieren in die wichtigsten Zukunftsbereiche unseres Landes: Das ist Bildung, die in Deutschland deutlich unterfinanziert ist; das ist eine wirtschaftsnahe Infrastruktur, insbesondere auch mit Blick auf die Breitbandverkabelung im ländlichen Raum, vor allem für mittelständische Unternehmen; das ist insbesondere eine Verbesserung der Finanzlage der Kommunen. Man könnte vielleicht sogar nicht nur die Neuverschuldung auf null bringen, sondern man könnte einsteigen in eine Schuldentilgung. All dies wäre möglich, wenn wir sehr viel ehrgeiziger, sehr viel härter gegen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung vorgehen würden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist die unabweisbare Pflicht des Staates, die Steuergesetze so durchzusetzen, dass alle Bürger, nicht nur die Normalverdiener, die abhängig Beschäftigten – die auf ihrem Gehaltskonto übrigens nur ihr Nettoeinkommen sehen, nachdem ihnen der Fiskus die entsprechenden Steuern schon mit dem Staubsauger weggenommen hat –, die Steuern bezahlen müssen, die im Gesetzblatt stehen. Ihre Regierung, Frau Merkel, hat diese Pflicht verletzt. Über vier Jahre lang hat Ihre Regierung fein unterschieden zwischen den Millionen von Bürgerinnen und Bürgern, die – wie gesagt – erst nach Zugriff des Finanzamts den Nettolohn auf ihrem Gehaltsstreifen sehen, also den vielen, die ihre Steuern ehrlicherweise abgeführt haben, und offenbar denjenigen, die den Eindruck haben, sie würden irgendwie über den Gesetzen dieses Landes stehen und es sei quasi ein Kavaliersdelikt, wenn nicht sogar eine Notwehrmaßnahme, am Fiskus vorbei Geld ins Ausland zu schaffen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihr eklatantestes Versagen – da spreche ich Sie persönlich an, Herr Schäuble – ist der Entwurf eines Steuerabkommens mit der Schweiz, das nur wegen der rot-grünen Mehrheit im Bundesrat gestoppt worden ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]) Statt auf den automatischen Informationsaustausch zu drängen – übrigens mit einem gleichgelagerten Nachdruck, wie die USA es gemacht haben –, (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: So wie Sie das gemacht haben!) sollte eine Steueramnestie verbunden werden mit einer pauschalen Besteuerung. (Manfred Kolbe [CDU/CSU]: Wer hat denn die Steueramnestie verhindert?) Das heißt, es bestand sogar die Möglichkeit, über eine pauschale Nachversteuerung sich günstiger zu stellen als zum Zeitpunkt der Steuerpflicht in Deutschland. Das wäre das Ergebnis Ihres Abkommens mit der Schweiz gewesen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) – Dass Sie deswegen ein schlechtes Gewissen haben, dass Sie jetzt nach dem Fall Hoeneß und nach den jüngsten Recherchen über Steueroasen wissen, dass Sie insoweit ein Vakuum hinterlassen – mehr als das: dass Sie dort versagt haben –, das kann ich sehr gut verstehen. Gleichzeitig sollte nicht nur die Zahl der Fälle, die pro Jahr in der Schweiz nachgeprüft werden dürfen, begrenzt werden, nein, viel mehr als das: Es sollte sogar ein Verbot geben; die deutschen Behörden und insbesondere die Staatsanwaltschaften und die Steuerfahndung sollten daran gehindert werden, Steuer-CDs aufzukaufen. So schamlos sollte in Deutschland noch nie Steuerbetrügern geholfen werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie waren es mit diesem Abkommen, die deutsche Behörden daran hindern wollten, über den Aufkauf von Steuer-CDs das größte Druckmittel auszuüben, ein Druckmittel, das eine größere Steuertransparenz und Steuerehrlichkeit in Deutschland hergestellt hätte. Anschließend kommen Sie unter dem Druck der öffentlichen Debatte auf die Idee: Wir wollen jetzt ein Steuer-FBI begründen. – Warum haben Sie denn nicht vorher gegenüber der Schweiz durchgesetzt, dass deutsche Staatsanwaltschaften und Steuerfahndungen in der Lage sind, diesen Druck weiter auszuüben? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie war das denn eigentlich im letzten Jahr vor dem Fall Hoeneß? Noch im August des letzten Jahres mussten wir uns doch von Herrn Schäuble anhören, es gibt kein ernst zu nehmendes Argument gegen das Abkommen. Im Bundestag haben Sie unsere Ablehnung dieses Steuerabkommens mit dem Ausdruck des Abscheus und der Empörung als billige Polemik bezeichnet. Würden Sie das heute noch einmal wiederholen, bitte? (Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Natürlich!) – Dann sind Sie ja noch im selben Striemel drin wie damals. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Merkel hat das Steuerabkommen noch kurz vor Weihnachten als ein – ich zitiere – „richtiges und gutes Steuerabkommen“ gelobt. Das Gegenteil ist richtig. Mit dem deutsch-schweizerischen Steuerabkommen von Frau Merkel und Herrn Schäuble wären Steuerbetrüger im großen Stil davongekommen. Hätten Sie doch nur ansatzweise einmal den Druck ausgeübt, den amerikanische Regierungen und amerikanische Behörden auf die Schweiz ausgeübt haben. Das wäre etwas gewesen, was ich heute sogar gelobt hätte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Hoeneß hat im Frühjahr an den Focus geschrieben – nachvollziehbar und nachlesbar –, er habe die „Angelegenheit“, womit er einen Steuerbetrug von mehreren Millionen bezeichnete, ursprünglich über das deutsch-schweizerische Steuerabkommen regeln wollen, das dann – Zitat von ihm – „bekanntlich Mitte Dezember nicht zu Stande gekommen“ ist. Was soll man dazu sagen? Das spricht doch für sich. Herr Hoeneß hat auf Ihre Regierung, Frau Merkel und Herr Schäuble, und auf Ihr Zitat, das sei schon ein richtiges und gutes Steuerabkommen, vertraut. (Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Reden Sie doch mal zum Thema! – Gegenruf des Abg. Joachim Poß [SPD]: Das hat mit dem Thema zu tun!) Er hat darauf vertraut, dass sein Steuerbetrug niemals herauskommt. Das haben viele andere Tausend Steuerbetrüger übrigens auch. (Johannes Selle [CDU/CSU]: Sie hätten zahlen müssen!) Nach den Handelsblatt-Angaben geht es alleine im Fall von Herrn Hoeneß um ungefähr 3 Millionen Euro. Einige schätzen sogar, dass es mehr als 3 Millionen Euro sind. Insgesamt belaufen sich die Steuerausfälle in Deutschland allein aus Steuerbetrug auf jährlich circa 30 Milliarden Euro. Wenn ich die legale Steuervermeidung, der immer noch kein Riegel vorgeschoben worden ist, hinzufüge, dann sind es insgesamt 180 Milliarden Euro, die dem Fiskus und damit für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben verloren gehen. (Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Warum habt ihr das nicht geändert?) Nun ist die Frage: Was macht die Regierung von Frau Merkel? Sie versucht, die Leute laufen zu lassen, und wirft mir vor – namentlich auch Sie immer, Herr Schäuble –, ich hätte mich mit dem Begriff „Kavallerie“ nicht sehr diplomatisch verhalten. (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das haben Sie nie beherrscht!) Hätten Sie doch bitte nur einmal eine ähnlich klare Sprache gefunden, eine Sprache, die bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung nicht folgenlos bleibt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Folgenlos war auch Ihre Aussage! – Dr. Peter Röhlinger [FDP]: Sie haben auch nichts erreicht!) Sie wollten elegant verhandeln und sich von demjenigen ein bisschen absetzen, der vorher eine klare Sprache gefunden hat. Ich sage Ihnen: Diplomatie bei Steuerbetrug heißt, dass Sie immer noch davon ausgehen, das sei ein Kavalierdelikt und deshalb müsste man sich diplomatisch verhalten. Das ist aber nicht der Fall. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist doch Blödsinn! Sie reden doch Quatsch! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Sie haben in Ihrer Zeit nichts gemacht!) Außer der Bundesregierung gibt es noch zwei weitere Regierungen in Deutschland, die, wie Sie, Steuerbetrug offenbar als Kavaliersdelikt ansehen, nämlich die schwarz-gelben Regierungen in Hessen und in Bayern. Nicht die SPD, sondern der Bayerische Oberste Rechnungshof hat festgestellt, dass es in Bayern – ich zitiere wörtlich – zu „massiven Steuerausfällen“ kommt, weil ein – ich zitiere wieder – „erheblicher Personalmangel“ besteht. Bayern ist bei der Personalausstattung im Ländervergleich absolutes Schlusslicht. Laut Bayerischem Obersten Rechnungshof und nicht irgendwelcher ausgedachter Zahlen meiner Partei fehlen in Bayern etwa 700 Stellen bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Darüber hinaus gibt es weitere 1 000 unbesetzte Stellen in anderen Bereichen der Steuerverwaltung in Bayern. Das hat doch System! Das fällt jedenfalls auf. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einerseits will Ihr Finanzminister, dass der Ankauf von Steuer-CDs unterbunden wird, und andererseits betreibt die CSU in Bayern eine systematische Personalunterbesetzungspolitik. Wer da nicht aufmerkt, der muss ziemlich eingeschlafen sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Olav Gutting [CDU/CSU]: Deswegen geht es denen in Bayern auch so schlecht!) Aber auch das ist noch nicht genug; denn Sie drücken nicht nur bei dem Steuerbetrug beide Augen zu, sondern Sie haben für international aufgestellte Konzerne mit dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz auch noch die Steuervermeidung erleichtert. (Joachim Poß [SPD]: Ja! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Was?) – Ja. – Sie haben nämlich zum einen die Zinsschranke aufgehoben. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Aufgehoben?) Die Unternehmen können jetzt Zinsausgaben aus dem Ausland wieder als volle Ausgaben geltend machen. Damit haben Sie ein riesiges Scheunentor geöffnet, um legale Steuervermeidung zu betreiben. Zum anderen haben Sie die Regeln der Hinzurechnungsbesteuerung gelockert, was bei der Gewinnverlagerung zwischen ausländischen Töchtern und inländischen Zentralen viele optimierte Verrechnungsmöglichkeiten erlaubt. Das haben Sie zu verantworten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Statt die Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende Steuerbetrüger und vor allen Dingen auch die Möglichkeiten der legalen Steuervermeidung zu verbessern, hätte Ihre Regierung längst auf einen automatischen Informationsaustausch in ganz Europa massiv hinwirken müssen. Sie hätten längst die Umsetzung einer neuen EU-Zinsrichtlinie vorantreiben müssen. Sie hätten längst sich auf internationaler Ebene für neue schwarze Listen einsetzen müssen, so wie uns das gemeinsam 2009 in der Großen Koalition gelungen ist. Sie hätten längst die Doppelbesteuerungsabkommen mit Steueroasen neu verhandeln müssen. Sie hätten längst die Straffreiheit bei Selbstanzeigen nach einer Übergangsfrist auf Bagatellfälle begrenzen müssen. Sie hätten längst die Verjährungsfristen bei Steuerbetrug auf einheitlich zehn Jahre verlängern müssen. Sie hätten längst die Beihilfe von Finanzinstituten zum Steuerbetrug über ein Unternehmensstrafrecht bestrafen müssen. Sie hätten längst die Bundesländer auffordern müssen, eine bundesweite Steuerfahndung aufzubauen. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Er hat elf Jahre lang mit seiner SPD nichts gemacht! Nichts gemacht hat er! – Manfred Kolbe [CDU/CSU]: Was hat denn Rot-Grün gemacht?) – Ich merke, da sind Sie empfindlich. Da merkt man, dass Sie nicht sehr glaubwürdig sind. Da merkt man, dass Sie drei Jahre lang nichts gemacht haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie hätten längst für eine stärkere Harmonisierung in Europa bei der Steuerbemessungsgrundlage eintreten können. (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Er hat nichts gemacht! Das ist super! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) – Der Lärm von Ihnen soll darüber hinwegtäuschen. Treffer, gesunken! Wir haben Sie bei diesem Thema schon am Wickel. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP) Sie hätten längst die Hinzurechnungsbesteuerung verschärfen müssen, um Gewinne ausländischer Töchter von deutschen Unternehmen als inländische Gewinne besteuern zu können. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Hätte, hätte, Fahrradkette!) Von all dem ist nichts geschehen. (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Können Sie auch mehr als ablesen?) – Wir vergleichen gerne Ihre und meine rhetorischen Möglichkeiten. Das können wir machen. (Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) – Komisch, da sind Sie schon wieder nervös. – Das, was Sie im Bereich der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug betrieben haben, ist in den letzten drei Jahren so schwach gewesen, dass Sie jetzt, wenige Monate vor der Bundestagswahl, merken: Da ist ein ziemlich großes Lindenblatt auf unserem Rücken. – Das merkt man auch an Ihrer Reaktion. Sie sind die Parteien, die die geringste Glaubwürdigkeit bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug in Deutschland haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das wird eine Regierung unter meiner Führung ab September dieses Jahres ändern. Bleiben Sie nervös! Das freut mich sehr. (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Bundesminister Wolfgang Schäuble. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Steinbrück, Ihre rhetorischen Fähigkeiten sind unbestritten. (Johannes Kahrs [SPD]: Und recht hat er auch noch!) Das Problem ist nur: Sie waren vier Jahre Finanzminister. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist ein Problem! – Gegenruf der Abg. Caren Marks [SPD]: Das ist Ihr Problem! – Joachim Poß [SPD]: Aber ein erfolgreicher Finanzminister!) – Sie haben ja nach jedem Zuruf gleich gesagt, wie sehr Sie die anderen getroffen hätten. Also, ich habe noch gar nichts gesagt, aber Sie haben offensichtlich schon Angst davor, getroffen zu werden. Bleiben Sie ein bisschen ernsthaft. Die Sozialdemokraten haben den Finanzminister in Deutschland seit 1998 gestellt. (Johannes Kahrs [SPD]: Das war viel besser als heute!) Bis 2009 ist nichts geschehen. Sie haben ein paar Wochen vor der Bundestagswahl Ihre schwarze Liste überhaupt erst in Kraft gesetzt. Niemand stand zu Ihrer Regierungszeit je auf dieser schwarzen Liste. Also, reden Sie doch keinen solchen Unsinn daher. Ihre Taten waren das genaue Gegenteil dessen, was Sie gesagt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ihre Rhetorik ist unbestritten. Amüsant, Ihnen zuzuhören. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Na ja!) Das Vergnügen hört aber dann auf, wenn es in der Debatte um ein ernsthaftes Thema geht. Ich weiß nicht, wie Sie auf die Zahl von 1 000 Milliarden Euro entgangener Einnahmen kommen. Diese Berechnungen zielen auf das Verständnis der Menschen ab. (Johannes Kahrs [SPD]: Deswegen tut ihr auch nichts!) Lassen Sie das doch. Vielleicht sind Sie in der Lage – Sie wollen ja Regierungschef werden –, irgendwann mal ernsthaft über ein Thema zu reden und nicht nur mit billiger Polemik. Das ist ja zum Davonlaufen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn Sie einmal darüber nachgedacht hätten, was Sie Anfang des vergangenen Jahrzehnts im Rahmen Ihrer Unternehmensteuerreform, die weit über das eigentliche Ziel hinausgegangen ist, gemacht haben und dass wir das zu Zeiten der Großen Koalition und in den letzten Jahren mühsam korrigieren mussten, dann würden Sie hier nicht solche Reden halten. Wir sollten über das Thema ernsthaft reden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben beim Informationsaustausch nichts erreicht. Wir haben ein Abkommen mit der Schweiz ausgehandelt. In den letzten Debatten haben Sie sich immer -wieder auf den Vorsitzenden der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Herrn Eigenthaler, bezogen. Nun hat Herr Eigenthaler eine Amnestie im Zusammenhang mit der Schweiz gefordert, obwohl er sie zuvor noch kritisiert hatte. Ich sage Ihnen: Was wir ausgehandelt haben, war das, was im Hinblick auf die Vergangenheit erreichbar war. Wenn wir in Zukunft einen automatischen Informationsaustausch zustande bringen, ist das gut. Aber dass sich Luxemburg und Österreich überhaupt darauf einlassen, ihr Opt-out von der Zinsbesteuerungsrichtlinie, das während Ihrer Regierungszeit so ausgehandelt wurde, aufzugeben, ist ein Erfolg unserer beharrlichen diplomatischen Bemühungen in Europa. Mit großspurigen Reden über die Kavallerie, die nur für die deutsche Öffentlichkeit gedacht sind, erreicht man so etwas nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wenn wir ernsthaft diskutieren, müssen wir zwei Sachverhalte unterscheiden. Der Kampf gegen die Steuerhinterziehung ist in einer international verflochtenen Welt und angesichts der Mobilität der Finanzmärkte, die völlig anders ist als früher, nur noch mit den Mitteln des Informationsaustauschs zu führen. Der Weg des Informationsaustauschs ist der richtige Weg. Deswegen kann das Bankgeheimnis in Zukunft keinen Bestand haben. Das ist unbestritten. (Joachim Poß [SPD]: Für diese Erkenntnis haben Sie lange gebraucht!) Richtig ist aber auch, dass Rechtsstaaten – das sind hoffentlich alle Länder, um die es hier geht – rechtliche Regelungen nicht rückwirkend abschaffen können. Das können wir – Gott sei Dank – auch in Deutschland nicht, genauso wenig wie die Schweiz. Das würde sie auch nicht wollen. Für die Zukunft haben wir den Informationsaustausch, und für die Vergangenheit brauchen wir eine pauschalierende Regelung. Das hat inzwischen sogar der Vorsitzende der Deutschen Steuer-Gewerkschaft eingesehen. Sie waren zu Zeiten von Herrn Eichel schon viel weiter und haben eine Amnestiegesetzgebung auf den Weg gebracht, die viel niedrigere Sätze vorsah. (Joachim Poß [SPD]: Unter anderen Voraussetzungen!) Ich wette, dass wir in den kommenden Jahren auf EU-Ebene eine pauschalierende Regelung auch mit der Schweiz vereinbaren werden; denn wir müssen die Altfälle irgendwie regeln. Aber dann werden wir Ihnen vorrechnen, wie viele Milliarden an Steuereinnahmen durch inzwischen eingetretene Verjährung, die Sie durch den parteipolitischen Missbrauch Ihrer Bundesratsmehrheit ermöglicht haben, für Bund, Länder und Kommunen unwiderruflich verloren gegangen sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Neben Regelungen gegen Steuerhinterziehung, die wir durch Informationsaustausch und Veränderungen in unseren Rechtssystemen – diese können wir angesichts der Globalisierung der Märkte so nicht mehr aufrechterhalten; das hat inzwischen auch die Schweiz akzeptiert – bekämpfen müssen, müssen wir etwas viel Komplizierteres hinbekommen. Wir müssen die Steuersysteme so abstimmen – und zwar möglichst global, auf OECD-Ebene –, dass die Möglichkeiten der legalen Steuervermeidung oder der Steuergestaltung – der Übergang ist hier fließend – begrenzt werden. Da eine solche Abstimmung in absehbarer Zeit nicht möglich sein wird, sollten Sie keine unrealistischen Versprechungen von Steuermehreinnahmen in Höhe von 1 000 Milliarden Euro machen. Sie können solche Reden halten, weil Sie sicher sein können, niemals Kanzler zu werden. Deswegen werden Sie nie an Ihren Reden gemessen werden, die Sie hier halten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Es war auch nicht die Rede von 1 000 Milliarden!) Wir tragen aber Verantwortung für unser Land. Wir wollen an dem gemessen werden, was wir versprechen. Deswegen wollen wir nicht mehr versprechen, als wir halten können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich bin es doch gewesen, der die BEPS-Initiative, die in der OECD ziemlich dahingestromert ist – Sie haben doch gar nicht gewusst, dass sich in den Arbeitsgruppen seit Jahren nichts bewegt hat –, auf die Ebene der G 20 gehoben hat. Inzwischen hat die Sache sehr viel Bewegung bekommen. (Peer Steinbrück [SPD]: Der Erste, der das -gemacht hat, war für den April 2009 meine Wenigkeit! Das sollten Sie wenigstens registrieren!) – Das ist leider nirgendwo bemerkt worden, insbesondere nicht bei den G 20. Herr Steinbrück, wahrscheinlich war es eine der Sitzungen, bei denen Sie gefehlt haben. Das soll ja zu Ihrer Regierungszeit häufiger vorgekommen sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Solange Sie von Ihrer Rhetorik so begeistert sind, dass Sie dafür extra Applaus einwerben, ist die Gefahr groß, dass Sie sich nicht ernsthaft um die Sache kümmern. (Sönke Rix [SPD]: Das müssen Sie gerade sagen! – Johannes Kahrs [SPD]: Sie haben ja keine Ahnung!) – Mit Ihnen kann man nicht sprechen. Wenn man einen Satz sagt, rufen Sie sofort dazwischen. Deswegen strafe ich Sie eher mit geringerer Beachtung; anderes hat keinen Sinn. Sie führen keine Debatte, sondern versuchen nur, mich am Reden zu hindern. (Sönke Rix [SPD]: Das müssen Sie gerade -sagen!) Sie wollen keine sachliche Erörterung der Themen zulassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mit dieser klassenkämpferischen Polemik, die Sie hier betreiben, wollen Sie verhindern, dass ich noch etwas zur Sache sage. Auf diesem Niveau kann ich Ihnen sagen: Sie lösen das Problem ganz einfach. Bei Ihren Steuererhöhungsorgien – man hat das Gefühl, Sie wollen alle Steuern erhöhen, vielleicht bis auf die Sektsteuer, dafür werden Sie Gründe haben – (Joachim Poß [SPD]: Jetzt werden Sie wirklich polemisch!) erreichen Sie, dass am Schluss alle Unternehmen aus Deutschland vertrieben werden. Dann haben Sie auch keine Möglichkeit der Steuergestaltung mehr. – Stimmt, das ist polemisch; aber es ist natürlich auch nicht sehr sinnvoll. (Sönke Rix [SPD]: Bleiben Sie mal sachlich!) Jetzt ernsthaft: Wir wissen, dass wir auf absehbare Zeit kein harmonisiertes Steuersystem weltweit bekommen werden. (Joachim Poß [SPD]: Sie haben doch lange blockiert!) Wir werden nicht einmal in Europa einheitliche Steuersätze bekommen; ich habe mit meinem holländischen Kollegen über die Besteuerung von Lizenzeinnahmen gesprochen. Deswegen müssen wir uns auf bestimmte realisierbare Schwerpunkte bei der Beschränkung des Spielraums für legale Steuergestaltung konzentrieren. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr richtig!) Wir müssen einerseits das Verbot der doppelten Nichtbesteuerung durchsetzen. Es ist ein realisierbares Ziel, dass es auf internationaler Ebene und in Europa keine Weißen Einkünfte gibt. (Joachim Poß [SPD]: Da haben Sie schon Schwierigkeiten in der eigenen Koalition gehabt!) – Ach Quatsch, überhaupt nicht! (Joachim Poß [SPD]: Ja sicher! – Zuruf von der SPD: Am Abend wird der Faule fleißig!) – Du lieber Gott, es ist jetzt 11.06 Uhr. Ich weiß nicht, welche Vorstellung Sie von Abend haben. Vielleicht sind Sie ein bisschen spät ins Bett gegangen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das ist ein Ziel, das wir erreichen können. Das Zweite, was wir darüber hinaus erreichen müssen, betrifft ein in Europa höchst schwieriges Thema. Sie wissen doch genau, dass jedes Mandat in Europa zur Bekämpfung schädlicher Besteuerungspraxen – harmful tax practices – im Grunde dadurch begrenzt ist, dass gesagt wird: Die Steuersätze sind keine Frage des Wettbewerbs; sie unterliegen der nationalen Steuergestaltung. – Deswegen müssen wir erreichen, dass wir in Europa Mindeststeuersätze für Lizenzeinkünfte vereinbaren. Bei Zypern haben wir zum ersten Mal erreicht, dass das -Niveau der Unternehmensbesteuerung im Zypern--Programm wenigstens auf 12,5 Prozent, also das irische Niveau, angehoben wurde. Das muss mindestens das -Niveau für die Besteuerung von Lizenzeinnahmen sein; das sehen wir als realistischen Schritt an. Andernfalls werden wir den Weg gehen müssen – darüber haben wir mit den Finanzministern der Länder in der vergangenen Woche gesprochen; Sie sollten das -übrigens auch einmal tun, wenn Sie ernsthaft über die Bekämpfung von Steuerhinterziehung reden wollen –, (Sönke Rix [SPD]: Bayern und Hessen!) der europarechtlich auch höchst kompliziert ist, Lizenzzahlungen an Unternehmen in Ländern, in denen diese Lizenzeinkünfte nicht angemessen besteuert werden, beim Betriebsausgabenabzug nicht mehr voll anzuerkennen. Dass wir damit europarechtlich jede Menge Schwierigkeiten haben, müssten Sie eigentlich aus Ihrer Amtszeit wissen. Wir müssen aber versuchen, zwischen diesen beiden Verhandlungspolen zu einer einvernehmlichen Lösung in Europa zu kommen, weil wir ohne eine einvernehmliche Lösung in Europa zwar rhetorisch immer noch eindrucksvoll sind, wenn wir weiterhin die Kavallerie ankündigen, aber in der Sache nichts bewegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich nenne einen dritten Punkt, um Sie daran zu erinnern, womit Sie sich früher, als Sie noch Verantwortung trugen, beschäftigen mussten. Wir müssen im Rahmen der europäischen Rechtsetzung bei den Briefkastenfirmen ansetzen und dafür sorgen, dass alle Gesellschaften bzw. rechtlichen Konstruktionen – Sie kennen vielleicht das Cadbury-Schweppes-Urteil des Europäischen Gerichtshofs –, jede „legal entity“, jede gesetzliche Einheit, steuerlich anerkannt wird. Wir müssen eine Klausel gegen den Missbrauch finden, damit in Europa verbindlich wird, dass Briefkastenfirmen nicht mehr als Instrument der Steuergestaltung und der Steuervermeidung in -Europa anerkannt werden. Aber auch das können wir in Europa nur einvernehmlich regeln; denn solche Regelungen erfordern nach dem Prinzip der europäischen Verträge 27 Jastimmen. Das ist ein mühsamer Weg. Mit Ihrer Art von Rhetorik aber erreichen Sie gar nichts. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, lassen Sie uns deshalb in einer globalisierten Wirtschaft unser Steuerrecht auf der einen Seite darauf ausrichten, wettbewerbsfähig zu sein, damit wir im Kampf gegen Arbeitslosigkeit weiter erfolgreich sind und nachhaltiges Wachstum haben, und lassen Sie uns auf der anderen Seite darauf achten, dass die Möglichkeiten globaler Finanzmärkte nicht dazu führen, dass global tätige Unternehmen sehr viel weniger Steuerbelastung haben, weil sie die Gestaltungsmöglichkeiten verschiedener steuerlicher Jurisdiktionen stärker nutzen können als ein kleines mittelständisches Unternehmen. Daran müssen wir arbeiten, beharrlich, geduldig und entschlossen. Allein mit Rhetorik, Herr Steinbrück, werden Sie gar nichts erreichen. Deswegen sage ich noch einmal: Hören Sie damit auf! Wenn Sie ein paar Linke in der SPD -mobilisieren wollen, dann ist es vielleicht die richtige Rhetorik. Wenn Sie unser Land in Europa und in einer eng verflochtenen Welt weiter verantwortlich voranbringen wollen, dann ist der beharrliche und stetige Weg der Bundesregierung der einzig erfolgreiche. Gemessen an dem Nichtstun sozialdemokratischer Finanzminister in elf Jahren haben wir in diesen vier Jahren unglaublich viel vorangebracht. Wir sind entschlossen, dies fortzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Dr. Sahra Wagenknecht. Bitte schön, Frau Dr. Sahra Wagenknecht. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es gibt kaum ein Thema, bei dem die Feigheit der herrschenden Politik, sich mit den oberen Zehntausend anzulegen, so deutlich wird wie beim Thema Steuerflucht. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt kaum ein Thema, das so erkennbar zeigt, dass in diesem Lande zweierlei Recht existiert: ein Recht für die große Mehrheit der Bevölkerung und ein ganz anderes Recht für die Superreichen. Ein Schwarzfahrer kann im Knast landen, wenn er fünfmal unbezahlt S-Bahn gefahren ist. Kleinen und mittleren Unternehmen werden regelmäßig die Betriebsprüfer ins Haus geschickt, und wehe, wenn sich herausstellt, dass einer 2 000 Euro Mehrwertsteuer nicht ordentlich deklariert hat. Aber ganz anders sieht die Welt der Konzerne und Superreichen aus. Das ist eine Welt, in der man sich ungestraft um einen erheblichen Teil seiner Steuerzahlungen drücken kann. Teils ermöglichen die von Ihnen gemachten Gesetze dies ganz legal – Herr Steinbrück, Sie waren doch vier Jahre Finanzminister; Sie haben an diesen Gesetzen so gut wie nichts geändert; alles ist in dieser Zeit weitergelaufen –, (Beifall bei der LINKEN – Peer Steinbrück [SPD]: Das ist doch Quatsch!) teils findet diese Steuerflucht aber auch mit einem beeindruckenden Ausmaß an krimineller Energie statt, die deutlich macht, dass die Betroffenen davon überzeugt sind, dass ihre Helfershelfer auf der Regierungsbank sitzen. Wir reden hier nicht über Leute, die vielleicht aus nackter Existenzangst bei der Steuererklärung schummeln, weil sie mit ihrem Monatseinkommen nicht klarkommen würden, sondern wir sprechen von Multimillionären und Milliardären, die sich einen regelrechten Sport daraus gemacht haben, die Allgemeinheit und den Staat zu betrügen. Wir sprechen auch von einem Staat, der sich von diesen ganz gerne betrügen lässt. Sie haben es doch alle seit vielen Jahren gewusst, und Sie haben es alle laufen lassen: SPD und Grüne in ihrer Regierungszeit genauso wie die Große Koalition und jetzt Schwarz-Gelb. Schlimmer noch: Sie haben es gedeckt. Sie haben viel dafür getan, dass dieser Großbetrug weitergehen konnte. Diese Bundesregierung hat mit der Schweiz ein Steuerabkommen ausgehandelt, das Millionenbetrüger straffrei stellen sollte. Wahrscheinlich hatte Uli Hoeneß schon den Champagner kalt gestellt. Übrigens: Ohne die Stimmen der Linken wäre es nicht verhindert worden. Das zu der Frage, was Rot-Grün geschafft hat! (Beifall bei der LINKEN) Es ist schon gesagt worden, dass es in der EU bis zu 1 500 Milliarden Euro Steuerausfälle gibt. Wenn man das auf zehn Jahre hochrechnet, dann entspricht dieser Betrag der gesamten europäischen Staatsverschuldung. Das bringt das zynische Gerede, man könne nicht dauerhaft über seine Verhältnisse leben, auf seinen rationalen Kern. Wer lebt denn in Europa über seine Verhältnisse? Nicht griechische Rentner und irische Lehrinnen und Lehrer, denen diese Bundesregierung noch das letzte Hemd auszieht, sondern diese kriminelle Vereinigung von Steuerhinterziehungsmillionären und -milliardären, die Sie gewähren lassen. (Beifall bei der LINKEN) Es ist meines Erachtens eine schäbige Heuchelei, sich als eiserne Sparkanzlerin Europas zu inszenieren und gegen diesen Raubzug der High Society gegenüber den öffentlichen Finanzen in Europa nichts, aber auch gar nichts Ernsthaftes zu unternehmen. Da liegt das Geld, das Sie zur Sanierung der öffentlichen Finanzen in Europa brauchen. (Beifall bei der LINKEN) Die Schätzungen der jährlichen Steuerausfälle in Deutschland belaufen sich auf 100  bis 160 Milliarden Euro. Das ist fast die Hälfte des gesamten Bundesetats. Trotz dieser Verhältnisse haben Sie die Stirn, uns in diesem Hohen Hause immer wieder zu erzählen, was alles nicht finanzierbar ist. Ein Kitaplatz für jedes Kind – unfinanzierbar. Mehr Lehrerstellen und bessere Gehälter für Krankenschwestern und Pflegekräfte – unfinanzierbar. Eine ordentliche Rente, die den Seniorinnen und Senioren in diesem reichen Land Deutschland ermöglichen würde, ihren Lebensabend ohne soziale Not zu genießen – unfinanzierbar. (Beifall bei der LINKEN) Ich sage Ihnen: Wenn etwas unfinanzierbar ist, dann ist es die von Ihnen geduldete Steuerflucht der Reichen. Für viele Konzerne gelten Steuerquoten von 5  bzw. 10 Prozent; davon kann jeder Facharbeiter und jeder Mittelständler nur träumen. (Beifall bei der LINKEN) Auf der Website „Panama Corporate Database“ kann jeder interessierte Bürger recherchieren, welche Familien und Unternehmerclans Briefkastenfirmen in der Steueroase Panama registriert haben. Die Liste liest sich wie das „Who is who“ des deutschen Wirtschaftsadels: die Porsches, die Piëchs, die Quandts und die Eigner der Kaffeedynastie Jacobs. Die Reaktion der Politik: keine. Zur Steuermafia gehört natürlich auch die helfende Hand der Banken; auch das ist keine neue Erkenntnis. 2009 hatte die deutsche Finanzaufsicht die deutschen Banken nach Aktivitäten in Steueroasen gefragt. Heraus kam, dass hiesige Institute mehr als 1 600 Stiftungen und Trusts in allen bekannten Steuerparadiesen dieser Welt unterhalten. Die Reaktion der Politik: keine. Die Commerzbank, die es ohne Rettung durch den Steuerzahler überhaupt nicht mehr gäbe, wirbt völlig unbeeindruckt in ihren Prospekten für Geschäfte in Steueroasen. Das heißt: Hier betrügt sich der Staat als Anteilseigner quasi selbst. Die Grundlage für diese unseligen Zustände sind in einer Zeit gelegt worden, als Sie, Herr Steinbrück, Finanzminister waren. (Beifall bei der LINKEN) Es waren auch Sie, Herr Steinbrück, der die Abgeltungsteuer eingeführt hat. Die Abgeltungsteuer bedeutet nicht nur, leistungslose Vermögenseinkommen gegenüber Arbeitseinkommen zu privilegieren – das ist ja ein sehr „sozialdemokratisches“ Anliegen –, sondern auch, dass ausländische Behörden viel schlechtere Auskunftsmöglichkeiten in Deutschland haben. Auch hierdurch wird die Steuerflucht begünstigt. Auch von Rot-Grün wurde die Steuermafia immer mit Samthandschuhen angefasst. Es war der SPD-Finanzminister Hans Eichel – das hat Herr Schäuble zu Recht angeführt –, der den kriminellen Machenschaften 2003 mit seiner Steueramnestie politischen Flankenschutz gegeben hat. Aus der Amnestie wurde bei der SPD offenbar die Amnesie; denn einer Ihrer Wahlkampfschlager ist jetzt: Steueramnestie abschaffen. Das ist ja richtig; aber Sie sind doch überhaupt nicht glaubwürdig in dieser Frage. (Beifall bei der LINKEN) Dass Deutschland heute weltweit zu den Top Ten der Steuer- und Geldwäscheparadiese gehört, hat Ihre Allparteienkoalition durchaus gemeinsam zu verantworten. Dabei haben die USA mit dem FATCA gezeigt, wie es geht. Finanzinstituten, die nicht kooperieren, wird mit drastischen Quellensteuern oder mit dem Entzug der Lizenz gedroht – und plötzlich geht es. Plötzlich verhandeln alle mit den US-Behörden. Plötzlich gibt es selbst mit den renitentesten Steueroasen Abkommen. Was die USA können, soll Deutschland nicht können? Ich glaube, statt scheinheilige Maulheldendebatten zu führen, (Joachim Poß [SPD]: Sie sind ein prächtiges Beispiel für Maulheldentum!) wie Sie es hier heute wieder tun, wäre es an der Zeit, der Steuermafia endlich das Handwerk zu legen. (Beifall bei der LINKEN) Ich kann Ihnen versprechen: Die Linke wird bei diesem Thema keine Ruhe geben, auch wenn die Wahl vorbei ist. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den nächsten Redner aufrufe, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit. Auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Sabor, des Parlaments der Republik Kroatien, Herr Josip Leko, mit seiner Delegation Platz genommen. (Beifall) Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des deutschen Parlamentes begrüße ich Sie sehr herzlich. Mit dem bevorstehenden EU-Beitritt Ihres Landes verbinden sich Chancen und Herausforderungen. Mögen Sie diesen erfolgreich begegnen! Für Ihr parlamentarisches Wirken wünschen wir Ihnen alles Gute. Einen schönen Aufenthalt hier in unserem Parlament! (Beifall) Nächster Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Dr. Volker Wissing. Bitte schön, Kollege Dr. Volker Wissing. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Volker Wissing (FDP): Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Steinbrück, Sie beschreiben mit einer Leidenschaft Probleme, die Sie 2009 als Bundesfinanzminister der Bundesrepublik Deutschland hinterlassen haben. (Beifall des Abg. Manfred Kolbe [CDU/CSU]) Woher Sie die Selbstzufriedenheit nehmen, mit der Sie hier am Mikrofon gesprochen haben, bleibt Ihr Geheimnis. Sie täuschen aber – und das tun Sie bewusst – die Öffentlichkeit, indem Sie immer wieder verschweigen, dass genau die Probleme, die Sie hinterlassen haben, seit 2009 Schritt für Schritt von der christlich-liberalen Koalition gelöst werden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Manfred Zöllmer [SPD]: Wo denn?) – Wo denn? Nehmen wir die Verschärfung bei der strafbefreienden Selbstanzeige. Unter Peer Steinbrück: Fehlanzeige. Wir haben 2009 Regierungsverantwortung übernommen. Eines der ersten Projekte, das wir in Angriff genommen haben, war die massive Verschärfung bei der strafbefreienden Selbstanzeige: Erhöhung des Entdeckungsrisikos, Einschränkung auf das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nehmen Sie den automatischen Informationsaustausch in Europa. Unter Peer Steinbrück: Fehlanzeige. Seit Schwarz-Gelb regiert, kommt Bewegung in die Sache. Sie haben in diesem Punkt nichts geliefert, und das verschweigen Sie der Öffentlichkeit. Das meine ich, wenn ich sage: Sie verschweigen, dass wir die Probleme lösen, die Sie hinterlassen haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Der automatische Informationsaustausch mit den USA: Fehlanzeige bei Peer Steinbrück. Heute: Lösung unter Schwarz-Gelb. Das FATCA-Abkommen wird umgesetzt; (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die Initiative der Vereinigten Staaten und nicht von Deutschland, Herr Wissing!) es gibt einen automatischen Austausch. Das ist Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Das, was Sie abliefern, ist nur billige Polemik und billige Rhetorik. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verdrehen die Tatsachen!) Sie sind doch der letzte Sozialdemokrat, dem man abnimmt, was Sie heute Morgen an diesem Mikrofon gesagt haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir hatten eine Expertenanhörung im Finanzausschuss, bei der wir uns mit der Frage beschäftigt haben: Wie kann man eigentlich international gegen Steueroasen vorgehen? Die Experten haben übereinstimmend gesagt: Das Problem Steueroasen kann man nicht durch nationale Gesetzgebung lösen. Wenn andere Staaten Standortpolitik betreiben, indem sie Steuerschlupflöcher schaffen, muss man das auf diplomatischem Wege über Doppelbesteuerungsabkommen und über gezielte, geschickte Verhandlungen lösen; alles andere führt nur zu einer Verschlechterung des deutschen Standortes, zu einer Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen für deutsche Unternehmen. Herr Steinbrück, Sie haben zu diesem Schritt nichts beigetragen, außer von Kavallerie zu schwadronieren. Sie haben der Öffentlichkeit gezeigt, dass Sie nichts als ein außenpolitisches Sicherheitsrisiko sind. Deswegen glaubt niemand in Deutschland, dass Sie diese Abkommen besser verhandeln können als eine außerordentlich erfolgreiche christlich-liberale Bundesregierung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD) Ihre Lösung, Ihre Logik ist eine ganz andere. Sie sagen: Wenn die Steuern im Ausland zu niedrig sind, dann muss man sie eben in Deutschland erhöhen. Das ist die Logik von Peer Steinbrück, und Sie haben sie heute wieder vorgetragen. Sie haben hier deutlich gesagt: Mit Peer Steinbrück gibt es in Deutschland höhere Ertragsteuern, höhere Erbschaftsteuern, eine Vermögensteuer und höhere Einkommensteuern. Aber das reicht noch nicht. Sie haben heute gesagt, dass Sie zusätzlich die Substanzbesteuerung der Unternehmen durch Änderungen bei der Hinzurechnung und der Zinsschranke erhöhen wollen. (Joachim Poß [SPD]: Wir wollen Schlupflöcher stopfen, die Sie geöffnet haben!) Jetzt fragt man sich: Wie kann ein Mensch, der als Minister Finanzpolitik betrieben hat, ernsthaft glauben, dass man damit das Problem der Niedrigbesteuerung im Ausland löst? Das ist doch absurd. Ihre Rede hatte nicht den Ansatz von Logik. Was Sie als Bundesfinanzminister abgeliefert haben, ist das Gegenteil von dem, was Sie an diesem Mikrofon sagen. – Wir haben die Lösung der Probleme in Angriff genommen, die Peer Steinbrück diesem Land hinterlassen hat. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie haben nicht einen intelligenten Satz über das Abkommen mit der Schweiz gesagt. (Joachim Poß [SPD]: Dafür ist jeder Satz von Ihnen dazu falsch!) Mit Ihren Äußerungen über dieses Abkommen täuschen Sie die Öffentlichkeit ganz bewusst. Sie sitzen hier und lachen sich über Ihre eigene Rede kaputt, weil Sie genau wissen, dass die rückwirkende Aufhebung der Anonymität in der Schweiz an der Verfassung scheitert. (Peer Steinbrück [SPD]: Gemach, Gemach!) Herr Steinbrück, Sie sind viel zu intelligent, um das nicht zu wissen. (Peer Steinbrück [SPD]: Also doch! – Heiterkeit bei der SPD) – Ja, das will ich Ihnen gar nicht absprechen. (Peer Steinbrück [SPD]: Sehen Sie!) Ich finde es nur schade, dass Sie die Öffentlichkeit täuschen, (Peer Steinbrück [SPD]: Sie nicht?) anstatt ihr die Wahrheit zu sagen. Sie wissen genau, dass die rückwirkende Aufhebung der Anonymität in der Schweiz unmöglich ist und dass man deswegen die Altfälle mit Ihrem Lösungsvorschlag niemals wird aufarbeiten können. (Peer Steinbrück [SPD]: Ja, arbeiten Sie sich an mir ab!) Trotzdem tun Sie so, als wäre das Steuerabkommen deshalb lückenhaft. Sie wollen nur im Wahlkampf punkten; aber die Wahrheit sagen Sie nicht. (Joachim Poß [SPD]: Von dem Thema verstehen Sie ganz viel! Sie haben selten die Wahrheit gesagt!) Man kann aber jemandem, der Bundeskanzler werden will, nicht das Vertrauen schenken, wenn er nicht den Mut hat, der Öffentlichkeit von diesem Mikrofon aus die Wahrheit zu sagen. Deswegen werden Sie das Vertrauen der Wähler auch nicht bekommen, Herr Steinbrück. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Dr. Gerhard Schick. Bitte schön, Kollege Dr. Gerhard Schick. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was Kollege Wissing hier abgeliefert hat, war wieder einmal weit von den Fakten entfernt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich habe nicht die Zeit, alle falschen Behauptungen zu widerlegen; ich möchte nur auf zwei, drei Punkte Bezug nehmen. Zur strafbefreienden Selbstanzeige. Sie haben lediglich das umgesetzt, was das Gericht Ihnen vorgegeben hat, und das waren Petitessen. Es ist noch immer so, dass jemand, der Berater beauftragt und mit viel Mühe über Steueroasen Millionen hinterzieht, nachher sagen kann: „War nicht so gemeint“, und straffrei bleibt. Hier braucht es eine echte Verschärfung der Gesetze. Das haben Sie nicht geliefert. Zum Abkommen mit der Schweiz. Fragen Sie doch unsere französischen Freunde, fragen Sie die Kolleginnen und Kollegen im Ausland! Sie können Ihnen bestätigen, was die Opposition hier sagt: Dieses Abkommen hat Fortschritte beim automatischen Informationsaustausch in Europa über Jahre verzögert. Gut, dass wir es gestoppt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Dann gab es Offshore-Leaks und es machte sich Nervosität breit, und plötzlich fängt man an, zu arbeiten. Aber ich will gar nicht in die Vergangenheit zurückblicken. Wir, SPD und Grüne, legen Ihnen heute einen konkreten Vorschlag vor zu der Frage, was wir gegen die Steuervermeidung von großen Konzernen tun können. Es ist erschreckend, was durch Recherchen ans Tageslicht kommt. Ich nenne als Beispiel Belgien. Deutsche Unternehmen schaffen es über ihre Tochtergesellschaften, die Gewinne so zu verschieben, dass sie Millionen quasi steuerfrei vereinnahmen können: Volkswagen zahlt null Prozent für seine belgischen Aktivitäten, BASF 2,6 Prozent, Bayer in den Niederlanden 4,3 Prozent. Von solchen Steuersätzen können kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland nur träumen. Wir müssen endlich für einen fairen Ausgleich bei der Steuerlast sorgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Unser Vorschlag ist: Machen wir endlich das Licht an, bringen wir Transparenz in die Strukturen! Country-by-Country-Reporting, das klingt zunächst technisch. Worum geht es? Es geht darum, dass die Unternehmen gezwungen werden, offenzulegen – die Zahlen haben sie ohnehin in ihren Büchern –, in welchem Land wie viel Gewinn gemacht wird und wie viel Steuer dafür gezahlt wird. So werden die Steuertricks großer Unternehmen endlich sichtbar. Wir fordern nicht mehr und nicht weniger als einen Atlas der Steuertricks großer Unternehmen, um dieses Phänomen endlich bekämpfen zu können und für eine faire Belastung von großen und kleinen Unternehmen zu sorgen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die Bundesregierung will dies nicht. Wir legen Ihnen heute einen entsprechenden Antrag vor. Man wird sehen, ob die Koalition wirklich bereit ist, etwas zu tun, oder ob es bei der großen Rhetorik des Finanzministers und ein paar leeren Wahlkampfsprüchen bleibt. Ich befürchte Letzteres. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Lassen Sie mich noch an einem Vergleich zeigen, was Sie tun könnten, wenn Sie nur wollten. In Großbritannien hat ein konservativer Finanzminister – (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ein Steuerabkommen mit der Schweiz gemacht, das wie unseres aussieht!) – Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen; dann habe ich noch ein bisschen mehr Zeit; aber Sie haben jetzt wohl eher ein bisschen Angst vor der Zwischenfrage und vor allem vor meiner Antwort – (Lachen bei der FDP – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Leichte Überschätzung!) mit der Parlamentsmehrheit von Starbucks gefordert, endlich anständig Steuern zu zahlen. Durch politischen Druck auf ein Großunternehmen, das sich der Steuerzahlung entzieht, und ohne eine einzige Änderung im Gesetz haben sie es geschafft, 11 Millionen Euro zusätzlich an Steuereinnahmen zu erzielen. Warum macht eigentlich diese Regierung nicht in ähnlicher Weise Druck auf Unternehmen in Deutschland, um dafür zu sorgen, dass große Unternehmen ihrer Steuerzahlung nachkommen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Daniel Volk [FDP]: Die zahlen doch in Deutschland Steuern!) Allein im Fall Starbucks wären das auch fast 3 Millionen Euro. Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns im Finanzausschuss und mit Unterstützung der Bundesregierung endlich organisieren, dass Druck aufgebaut wird und dass große Unternehmen wie kleine Unternehmen in Deutschland Steuern zahlen! Damit können Sie zeigen, ob Ihnen das Thema ernst ist oder ob das hier nur leere Rhetorik war. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner für die Fraktion von CDU/CSU unser Kollege Manfred Kolbe. Bitte schön, Kollege Manfred Kolbe. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Manfred Kolbe (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie, Herr Steinbrück, haben davon gesprochen, dass es die Pflicht jeder Bundesregierung ist, Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Das ist richtig. Aber dann frage ich mich: Was haben denn die vorangegangenen Bundesregierungen getan? (Peer Steinbrück [SPD]: Möchten Sie, dass ich antworte?) Wir haben zwischen 1998 und 2005 eine rot-grüne Bundesregierung gehabt. Herr Schick und Herr Gambke, Ihre Fraktion war auch daran beteiligt. Was ist in diesen sieben Jahren im Kampf gegen Steuerhinterziehung passiert? Nichts. Steuerhinterziehung gab es auch damals schon. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zinssteuerrichtlinie ist auf den Weg gebracht worden, wenn Sie sich erinnern!) Das Einzige, was in Erinnerung geblieben ist, ist -Eichels Steueramnestie. Die Bemessungsgrundlage bei der Einkommensteuer wurde auf 60 Prozent abgesenkt, bei der Erbschaftsteuer teilweise auf 20 Prozent. Eichels Steueramnestie: Das war das Wesentliche in sieben Jahren Rot-Grün. Dann kam die Große Koalition, und der Kampf gegen die Steuerhinterziehung begann, in der Tat, Herr Steinbrück, auch mit Ihnen. Wir haben den Tatbestand der bandenmäßigen Umsatzsteuerhinterziehung eingeführt. Wir haben die Möglichkeit der Telekommunikationsüberwachung auch bei schwerer Steuerhinterziehung eingeführt. Wir haben die Verlängerung der Verjährungsfrist für schwere Steuerhinterziehung verabschiedet. Alles Taten in der Großen Koalition. Daran haben beide große Fraktionen mitgewirkt. Nur Sie, Herr Steinbrück, waren eher für die Abteilung Klamauk zuständig: Kavallerie, dann die armen Indianer – ich weiß nicht, was sie mit Steuerhinterziehung zu tun hatten – und Ouagadougou. Ich weiß nicht, was die Republik Burkina Faso mit Steuerhinterziehung zu tun hat. Das war eher die Abteilung Klamauk, während die Sacharbeit von anderen geleistet wurde. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Berlusconi! – Bettina Hagedorn [SPD]: Mövenpick-Steuer!) Und das, was ich jetzt sage, hätte ich nicht gesagt, wenn Sie nicht so eine selbstgerechte und überhebliche Rede gehalten hätten. Wer sich von der finanziell notleidenden Stadt Bochum 25 000 Euro Honorar für einen Vortrag zahlen lässt, der hat das Recht verwirkt, hier als Moralapostel aufzutreten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dann kam die christlich-liberale Koalition 2009. Ich kann an das anknüpfen, was der Kollege Wissing gesagt hat: Wir haben ohne irgendwelchen Druck von außen den Tatbestand der strafbefreienden Selbstanzeige verschärft. Wir haben das aus eigener Initiative gemacht. (Joachim Poß [SPD]: Stimmt ja gar nicht! Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht!) Wir haben die Teilselbstanzeige abgeschafft. Wir haben den Zeitpunkt der Entdeckung vorverlegt. Wir haben einen Zuschlag auf Hinterziehungszinsen eingeführt, übrigens auch unter Beifall der damaligen sozialdemokratischen Finanzminister. Ich zitiere nur den Kollegen Kühl: „Ich bin dafür, dass wir die Möglichkeit der Strafbefreiung durch Selbstanzeige beibehalten.“ Das war eine vernünftige Position Ihres Kollegen. Was sagt Herr Steinbrück heute dazu? Am 23. April hat er um 7.05 Uhr – es war offenbar noch ein bisschen früh am Morgen – im RBB-Inforadio Brandenburg gesagt: Die SPD will das Recht auf Selbstanzeige bei Steuerstrafverfahren nicht abschaffen. – Er sagte weiter, sie dürfe jedoch nach wie vor nur dann greifen, wenn die Steuerfahndung demjenigen noch nicht auf der Spur sei. Das ist eine tolle Erkenntnis. Das ist Gesetzeslage, Herr Bundesfinanzminister a. D. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich komme zur internationalen Steuerhinterziehung. Diese ist in der Tat ein Problem. Diese Bundesregierung hat das erkannt. Keine Bundesregierung vor dieser hat so viel zur Bekämpfung der internationalen Steuerhinterziehung unternommen. Wir haben die BEPS-Projekte mit Frankreich und Großbritannien durchgeführt und den Aktionsplan der EU-Kommission unterstützt. Weiter streben wir die Revision der EU-Zinsrichtlinie an. Ich erwähne in diesem Zusammenhang auch die EU-Amtshilferichtlinie. Wir unterstützen – durch das heute in erster Lesung einzubringende Abkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika – FATCA. Das ist ein großer Schritt auf diesem Wege. Auch die G-5-Initiative unterstützen wir. Keine Bundesregierung hat auf diesem Gebiet bisher so viel geleistet; es ist nur ein schwieriges Geschäft. Auch wir in Kerneuropa sind gefordert. Nicht nur irgendwelche fernen Inseln sind Steueroasen. Es gibt Steueroasen in Luxemburg mit einer Lizenzbox, und es gibt sie in den Niederlanden mit einer Lizenzbox. Steueroasen gibt es aber auch in Irland. Trotz des Rettungsprogramms bleibt es dort bei einem Steuersatz von 12,5 Prozent. Ferner gibt es Steueroasen in Großbritannien und den zu Großbritannien gehörenden Inseln. Es ist ein schwieriges Geschäft, dies Problem zu lösen. Das muss mit Diplomatie, aber auch mit Härte geschehen. Fortiter in re, suaviter in modo – hart in der Sache, aber moderat im Ton –, das ist das Prinzip der Bundesregierung. Wir sind da auf gutem Wege, die internationale Steuerhinterziehung einzugrenzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie mich zum Schluss mit einem Zitat des deutschen Nationalökonomen Hans Karl Schneider schließen: Wer mehr als die Hälfte seines Einkommens an das Finanzamt abführen muss, ist mehr darauf bedacht, Steuern zu sparen, als darauf, Geld zu verdienen. Das ist die andere Seite der Medaille. – Wir bekämpfen die Steuerhinterziehung auch dadurch, dass wir ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit niedrigen Steuersätzen einführen. Das ist das Ziel dieser Koalition. Einkommensteuersätze bis zu 75 Prozent, wie das Ihre französischen Genossen praktizieren, sind der falsche Weg. Damit wird die Steuerhinterziehung eher befördert. Wir gehen deshalb unseren Mittelweg weiter. Das bedeutet eine energische Bekämpfung der Steuerhinterziehung sowie ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit niedrigen Steuersätzen. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Dr. Thomas Gambke. Bitte schön, Kollege Dr. Gambke. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte ganz in Ruhe zwei Versuchen der Geschichtsklitterung widersprechen. Herr Schäuble, bei allem Respekt: Sie sagen, dass Österreich und Luxemburg, was die erweiterte EUZinsrichtlinie angeht, jetzt in den Diskussionen und Gesprächen zustimmend agieren. Dazu kann ich nur feststellen, dass diese Länder das nur deshalb machen, weil durch die Verhinderung des Schweizer Steuerabkommens Druck ausgeübt wurde. Vorher haben sie nämlich erklärt, dass sie es nicht machen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Das ist falsch!) – Das sagen Sie immer wieder, Herr Flosbach. Es ist falsch. Ich komme zur zweiten Geschichtsklitterung. Herr Wissing, wenn Sie hier sagen, das FATCA-Abkommen sei eine Initiative des Deutschen Bundestages oder der Deutschen, dann ist das schlicht falsch. Das ist eine Initiative der Amerikaner, die sich seit zehn Jahren bemühen, genau das zu tun, was wir heute machen, nämlich einen offenen Informationsaustausch anzustreben. Sie haben gesagt, die Deutschen würden das tun. Leider hoppeln wir, vor allen Dingen Ihre Fraktion, da hinterher und gehen nicht voran, was wir tun müssten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Eine zweite Bemerkung in der kurzen Redezeit, die ich habe. Bei dem gesamten Problem der aggressiven Steuerplanung macht es keinen Sinn, im Trüben herumzustochern. Mir werden da zu viele Namen und Einzelfälle genannt. Das sind Einzelfälle, die das Problem eher verdecken als aufdecken. Ein Unternehmens-Bashing, wie es von linker Seite aus geschieht, ist da ganz verkehrt. Wenn man unterwegs ist, trifft man Mittelständler, die sagen: Wir sind dafür, dass da Transparenz hineinkommt. Es gibt diejenigen, die hier ihre Steuern zahlen und ganz bewusst sagen: Wir wollen Gewerbesteuer zahlen, um unsere Kommunen zu unterstützen. Sie sehen aber natürlich, wenn sich der Konkurrent nebenan mit Lizenzzahlungen vor Steuerzahlungen drückt. Dazu sagen sie: Das ist eine Wettbewerbsfrage, wir wollen Wettbewerb herstellen. – Das ist der zentrale Punkt. Wir wollen den gleichen Wettbewerb für alle Unternehmen haben. Der Amerikaner sagt dazu „equal level playing field“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die dritte Bemerkung, Herr Wissing, kann ich Ihnen nicht ersparen. Sie reden hier über Steueroasen. Vor kurzer Zeit gab es in Belgien die glorreiche Idee, kalkulatorische Zinsen auf Eigenkapital einzuführen. Auch bei uns wurde das von den Familienunternehmern vorgeschlagen. Ich glaube, wir beide waren selber dabei. Das hat dazu geführt, dass die DAX-Konzerne Eigenkapital nach Belgien verschoben haben und damit ihren Gewinn praktisch auf null minimiert haben. Dort ist eine tolle neue Steueroase entstanden. Lesen Sie einmal im Parteiprogramm der FDP: Genau das schlägt die FDP vor. Wenn die FDP sich durchsetzen würde, würde auch Deutschland zur Steueroase. Das müssen wir verhindern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir müssen sogar noch mehr verhindern. Die Fami-lienunternehmer waren nämlich so ehrlich, zu sagen: „Das kostet 9 Milliarden Euro“, und haben angeboten, den Verlust möglicherweise durch eine Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes auszugleichen. Das finden Sie nicht im FDP-Programm. Was würde das Ganze bedeuten? Dass die Unternehmen, die expandieren wollen, die mehr Fremdkapital haben wollen, noch extra bestraft würden. Das ist Steuerpolitik nach Ihrem Motto. Ich bin froh darüber, dass am 22. September darüber abgestimmt wird und Sie keine Stimme dafür bekommen werden. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aussprache für die Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Daniel Volk. Bitte schön, Kollege Dr. Volk. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Daniel Volk (FDP): Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gambke, das, was Sie gerade dargestellt haben, dass Unternehmen ihr Eigenkapital aus Deutschland ins Ausland bringen, werden Sie herbeiführen, wenn Sie Ihre Pläne zur Wiedereinführung der Vermögensteuer mit einer massiven Inanspruchnahme der Betriebsvermögen der hier in Deutschland ansässigen Betriebe einführen werden. Das ist sozusagen die Aufforderung zur Steuerflucht, wenn Ihre Steuerpläne hier in Deutschland Wirklichkeit werden. Darüber sollten Sie vielleicht erst einmal nachdenken, bevor Sie hier eine solche Behauptung aufstellen, wie Sie es gerade getan haben. (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lenken Sie doch nicht ab von der Sache!) Was mir auch ein bisschen aufstößt, ist Ihre Heran-gehensweise, Herr Kollege Schick. Sie haben zunächst einmal behauptet, sämtliche Konzerne zahlten in Deutschland keine Steuern, weil sie sämtliche Gestaltungsspielräume nutzten, um null Prozent Steuern zahlen zu müssen. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie eigentlich nicht zu? Die Steuersätze, die ich genannt habe, waren für die Tochtergesellschaften in Belgien!) Ich finde eine solche Art und Weise des Anprangerns, und zwar mit wissentlich falschen Behauptungen, nicht richtig. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich schicke Ihnen das Protokoll dazu, dass ich es richtig gesagt habe! Peinlich!) Schauen Sie doch einmal nach, wie die Kommunen von den dort ansässigen Unternehmen, insbesondere von den großen Konzernen, profitieren. (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich auch nicht gesagt! Ich habe richtig zitiert!) Angesichts dessen können Sie sich doch nicht im Deutschen Bundestag hinstellen und behaupten, die Konzerne würden eine deutlich geringere Steuerzahlung vornehmen als andere Unternehmen. Das ist eben einfach nicht zutreffend. Diese Herangehensweise schlägt sich in Ihrem Vorschlag über das sogenannte Country-by-Country-Reporting ebenfalls nieder. Was Sie dort vorschlagen, ist, dass Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind – das sind übrigens in Deutschland nicht nur Konzerne, auch Mittelständler sind grenzüberschreitend tätig; das sollten Sie nicht vergessen –, offenlegen, wo welche Finanzströme sind. Was Sie natürlich verschweigen, ist, dass diese Unternehmen gegenüber den Finanzämtern, also bei der Steuerveranlagung, das natürlich schon offenlegen müssen; das ist ja selbstverständlich. Was Sie wollen, ist, dass Offenlegung heißt: Es soll für die gesamte Bevölkerung erkennbar sein, wie das Geschäftsgebaren eines Unternehmens, eines Konzerns ist. Sie wollen damit sozusagen einen öffentlichen Pranger errichten. (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr richtig!) Sie schreiben selber in Ihrem Antrag, dass die Gesellschaft Druck auf diese Unternehmen ausüben soll, ihr Geschäftsmodell einzuschränken. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Wie weit her ist es eigentlich mit der angeblichen Bürgerrechtspartei Die Grünen, die offenbar sämtliche Themen wie Datenschutz und Ähnliches mittlerweile völlig über den Haufen geworfen hat und eher Instrumente wie einen öffentlichen Pranger, der in Deutschland eigentlich vor 500 Jahren abgeschafft wurde, wieder einführen will? Da sieht man ganz einfach: In diesem schwierigen Bereich machen auch Sie eine rein symbolische Steuerpolitik. Sie sind damit in einem Boot mit dem von Ihnen anvisierten Koalitionspartner – das wird nicht funktionieren, aber Sie wollen es ja unbedingt –, aber im Ergebnis werden Sie inhaltlich nichts erreichen können, was in die Richtung geht, dass jeder Staat tatsächlich die Steuereinnahmen erhält, die ein Staat erhalten muss, wenn wir eine internationale Zusammenarbeit anstreben. Das machen wir heute mit der Vorlage des Gesetzes zur Inkraftsetzung von FATCA, Foreign Account Tax Compliance Act. Herr Kollege Gambke hat gesagt: Zehn Jahre haben die Amerikaner sich darum bemüht. – In sechs Jahren davon gab es einen SPD-Bundesfinanzminister, der das abgewehrt hat. Insofern: Das wurde von dieser christlich-liberalen Koalition, von Bundesfinanzminister Schäuble, geschafft, (Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!) und das ist der einzige Weg, um erfolgreich eine verantwortungsvolle Steuerpolitik zu betreiben, die man ja allgemein völlig zu Recht als Ziel erkannt hat. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Nächster Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Lothar Binding. Bitte schön, Kollege Lothar Binding. (Beifall bei der SPD) Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Hätte Finanzminister Schäuble in seiner Zeit so viel erreicht wie Peer Steinbrück in seiner Zeit als Finanzminister, (Lachen bei Abgeordneten der FDP) wären wir einen großen Schritt weiter. (Beifall bei der SPD) Wir hätten eine weiterentwickelte Zinsschranke. Wir hätten uns die exorbitante Zeitverschwendung durch das miserable Steuerabkommen mit der Schweiz erspart. Wir wären längst bei FATCA. Die Zinsrichtlinie wäre weiterentwickelt worden. Wir hätten schon das Country-by-Country-Reporting. Wir hätten vielleicht sogar eine Veränderung der beschränkten Steuerpflicht im Außensteuerrecht. Sie wissen ja: Dieses Recht funktioniert in Europa nicht mehr so, wie wir das wollen. Das hätte man vielleicht sogar hin zu einer Quellensteuer entwickeln können. Das wäre eine echte Weiterentwicklung gewesen. Sie aber schauen immer zurück und rechtfertigen Ihre eigene Untätigkeit damit, dass vor zehn Jahren etwas nicht passiert ist. (Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ihr habt aber nicht gut zugehört!) Es geht hier um Weiterentwicklung, immer in der Zeit der eigenen Amtsführung. Das Interessante ist: Der Minister fordert jetzt, am Ende seiner Amtszeit, in gewisser Weise von sich selbst eine Missbrauchsklausel. Darüber hätte er schon früher nachdenken können. Er formuliert – das, finde ich, widerspricht sich – eine pauschalierende Regelung für, auch wenn er das nicht gesagt hat, Betrüger, nämlich für die, die in der Vergangenheit betrogen haben. Das wollen wir nicht mitmachen. (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Sie reden immer nur! Sie machen nie etwas mit!) Das muss nämlich jedem, der dem automatischen Lohnsteuerabzug unterliegt, den Ärger in die Augen treiben, und das kann ich sehr gut verstehen. Sie schlagen sich in gewisser Weise schon wieder auf die Seite der feinen Elite, die unter dem Deckmantel der Elite machen kann, was sie will. Um von diesem Verfahren abzulenken, fällt in dieser Debatte, die etwas ganz anderes zum Inhalt hat, das Wort „Steuererhöhungsorgie“. Ich will mit Blick auch auf die Zuschauerränge einmal sagen, worum es dabei geht. Denjenigen, der hier 65 000 Euro im Jahr verdient – die meisten von Ihnen auf den Rängen verdienen das nicht; denn das Durchschnittseinkommen beträgt 30 000 Euro; mithin verdienen sehr viele sehr viel weniger –, wollen wir tatsächlich mit 3 Euro im Monat belasten. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das auszuhalten ist! (Heiterkeit des Abg. Manfred Zöllmer [SPD]) Falls Sie aber 100 000 Euro im Jahr verdienen, was auch nicht so richtig wenig ist, wollen wir noch mehr von Ihnen, nämlich 110 Euro im Monat. Wenn Sie sich überlegen, was Ihnen dann bleibt, wenn Sie diese 100 000 Euro im Jahr verdienen, erkennen Sie: Das ist mehr als das, was die meisten heute haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peer Steinbrück [SPD]: Und das ist die Orgie!) – Und das wird hier als „Orgie“ bezeichnet! Auch im Zusammenhang mit der Vermögensteuer wurde eben von einer massiven Belastung gesprochen. Ich will jetzt einmal sagen, wie hoch diese massive Belastung ist. Wir haben 10 000 Milliarden Euro unverschuldetes Privatvermögen – das Wenigste davon gehört Ihnen, meine Damen und Herren auf den Rängen –, und die SPD-Länder haben sich überlegt, weil sie die Schuldenbremse einhalten müssen, dass es ihnen sehr helfen würde, wenn sie davon 10 oder 11 Milliarden Euro bekämen. Das wäre ein Steuersatz von 0,1 Prozent, übrigens nur auf das private Vermögen; um Unternehmen geht es hier gar nicht. Und das nennt man „massive Steuerbelastung“! Ich glaube, da sind die Begriffe durcheinandergeraten. Ich würde Ihnen eine höhere rhetorische Fähigkeit wünschen. Der Herr Wissing hat eigentlich etwas ganz Richtiges gesagt, nämlich: Was wir in der Vergangenheit gemacht haben, also in den letzten drei bis vier Jahren, ist die Lösung der Probleme. – Wenn er das so sieht, dann denke ich: Es ist alles erledigt, und die Regierung kann gehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Letzte Rednerin in dieser Aussprache ist für die Fraktion von CDU und CSU unsere Kollegin Frau Antje Tillmann. Bitte schön, Frau Kollegin Antje Tillmann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Antje Tillmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unserem Steuersystem liegt der Gedanke der Leistungsfähigkeit zugrunde. Starke Schultern sollen mehr schultern als schwache. Diejenigen, die viel verdienen, sollen stärker an den Kosten des Staates beteiligt werden. Das klappt in vielen Bereichen gut. So zahlen 25 Prozent aller Steuerpflichtigen 80 Prozent der Einkommensteuer. In den Städten tragen die ertragreichsten 10 Prozent der Unternehmen über die Gewerbesteuer den Haushalt der Kommunen zu 20 Prozent. Wer ein zu versteuerndes Einkommen von 52 881 Euro hat, führt fast die Hälfte seines Einkommens an den Staat ab. Dieses Prinzip der Leistungsfähigkeit ist gut, richtig und gerecht. In anderen Bereichen klappt das aber nicht so gut. Ein Grund dafür sind die Steuerschlupflöcher. Diese Steuerschlupflöcher hat es übrigens vor vier Jahren alle auch schon gegeben. Schon vor vier Jahren unter dem damaligen Finanzminister gab es die Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Ich will die Steuerschlupflöcher einzeln aufzählen; denn es ist bedauerlich, dass Sie trotz der Reden, die Sie heute hier so tapfer gehalten haben, bei fast allen Gesetzentwürfen, mit denen die Steuerschlupflöcher geschlossen werden sollten, dagegen gestimmt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil sie zu schwach sind!) Ich fange an mit dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz. Mit dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz haben wir drei Steuerschlupflöcher stopfen wollen. Ich nenne nur die Stichwörter Cash-GmbH, RETT-Blocker, Goldfinger-Modelle. (Lachen der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das sind Steuerschlupflöcher, durch die Millionen von Steuergeldern am Fiskus vorbeigehen. Diesen Gesetzentwurf haben Sie abgelehnt. (Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist aber dreist, was Sie jetzt machen!) Gott sei Dank wurde im Vermittlungsausschuss am Mittwoch eine Regelung dazu gefunden. Wir hätten diese Regelung ein halbes Jahr früher haben können. Wir hätten in unserem Staatshaushalt zig Millionen zusätzliche Steuereinnahmen, wenn Sie dieses Gesetz nicht blockiert hätten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ich mache weiter mit dem AIFM-Steueranpassungsgesetz. Auch hier gibt es vier verschiedene Möglichkeiten, Steuern nicht zu zahlen. Das halten wir für nicht sachgerecht. Sie haben die Möglichkeit, Ihren Reden Taten folgen zu lassen, indem Sie den Bundesrat davon überzeugen, in etwa einer Stunde diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Sonst herrscht auch hier über Monate hinweg Unsicherheit. Dann werden Steuern nicht gezahlt, die wir im Haushalt gut gebrauchen könnten. Auch diesem Gesetzentwurf haben Sie nicht zugestimmt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wir haben heute über FATCA gesprochen. Sie haben im Zusammenhang mit dem Steueranpassungsgesetz dem FATCA-Abkommen nicht zugestimmt. Sie haben abgelehnt. Heute wollen Sie davon nichts mehr wissen. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Eine sehr unehrliche Argumentation! Das wissen Sie ganz genau! – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht fair!) – Sie haben den Gesetzentwurf abgelehnt, Herr Binding. Das werden Sie doch wohl nicht bestreiten. Auch bei vielen anderen Maßnahmen – OECD-Maßnahmen, Doppelbesteuerungsabkommen – haben Sie sich entweder enthalten, oder Sie haben sie abgelehnt. Das heißt, Ihre Rede geht heute völlig ins Leere; denn Sie hätten die Chance gehabt, für die Bürgerinnen und Bürger Steuermehreinnahmen zu erzielen. Neben der Steuergestaltung ist auch die Steuerhinterziehung problematisch. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass Steuerhinterziehung am ärgerlichsten ist. Dass Bürgerinnen und Bürger auf Kosten der Allgemeinheit versuchen, sich nicht zu beteiligen, ist ärgerlich, aber auch strafrechtlich relevant. Wir gehen dagegen vor; aber immer dann, wenn es akut wird, kneifen Sie. (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist Quatsch!) Das Steuerabkommen mit der Schweiz ist mehrfach angesprochen worden. Sie erzählen den Bürgerinnen und Bürgern, dass Ihre Variante zu mehr Steuerehrlichkeit führen würde. Tatsächlich ist es aber so, dass wir heute fast 10 Milliarden Euro Steuereinnahmen mehr haben könnten. Dieses Geld hätten wir zum Beispiel für Hochwasser-/Flutopfer gut gebrauchen können. Wir haben dieses Geld nicht, weil Sie das Abkommen abgelehnt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Sie erzählen, Steuerehrlichkeit wäre eingezogen. Tatsächlich aber knallen die Sektkorken bei den Steuerhinterziehern, weil sie jetzt gar nichts zahlen müssen. Jedes Jahr verjähren die in einem Jahr hinterzogenen Beträge in der Schweiz. Dieses Geld hätten wir haben können, wenn Sie mitgemacht hätten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie lügen schneller, als ein Rennpferd laufen kann!) Das gilt auch für die Steuerabkommen. In vier Jahren haben wir 36 Doppelbesteuerungs- und Informationsaustauschabkommen geschlossen, die dazu beitragen, Steuerehrlichkeit herbeizuführen. Die letzten haben wir vor 14 Tagen mit Grenada und den Cookinseln geschlossen. Sie haben in vier Jahren 6 Abkommen geschlossen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Ich kann Sie nur auffordern – das müsste das gemeinsame Ziel aller Abgeordneten in diesem Haus sein –, mit uns gemeinsam dafür zu sorgen, dass den Bürgerinnen und Bürgern nur so viel Steuern abgenommen werden, wie sie bezahlen müssen. Wir müssen aber dafür sorgen, dass ihnen diese Summe garantiert abgenommen wird. Ich kann Sie nur auffordern, dieses Ziel gemeinsam mit uns zu verfolgen. Sie können das noch tun. Der Bundesrat kann dem Anpassungsgesetz zustimmen. Ich freue mich, wenn Sie dabei sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wort zu einer Kurzintervention hat unser Kollege Lothar Binding. Bitte schön, Kollege Lothar Binding. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Ich möchte mit Blick auf den eben formulierten Redebeitrag noch einmal daran erinnern, dass es den Entwurf eines Jahressteuergesetzes gab, in dem es auch um Cash GmbHs und RETT-Blocker ging. Für die, die das nicht wissen, sage ich: RETT steht für Real Estate Transfer Tax. (Olav Gutting [CDU/CSU]: Jetzt wissen sie es!) Der Entwurf enthielt etwa 50 oder sogar 100 Regelungen, denen wir zugestimmt haben. Wer hat diesem Gesetzentwurf nicht zugestimmt? Das waren CDU/CSU und FDP. Dann wurden Teile dieses Gesetzentwurfs in einen anderen überführt, nämlich das Amtshilferichtlinien-Sowieso-Gesetz. Warum musste dieser neue Name her? Weil Sie verhindern wollten, das zu beschließen, was Ihnen in dieser Woche das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat, nämlich korrekt mit homosexuellen Frauen und Männern umzugehen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist genau der Punkt. Weil Sie auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil gewartet haben, haben Sie die Regelungen zu RETT-Blockern und Cash GmbHs abgelehnt. Jetzt werfen Sie uns vor, dass wir ein unfertiges Gesetz – das Jahressteuergesetz hätten Sie mit Blick auf die Verfassungsgerichtsbarkeit längst beschließen können – abgelehnt haben. Das ist eine große Unehrlichkeit. Ich will noch einmal sagen: Wir wollten die Erbschaftsteuerregelungen durch die Cash GmbHs bekämpfen. Wir waren dafür, die RETT-Blocker einzuführen. Denn wenn sich hier jemand um die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerbetrug und Steuergestaltung kümmert, dann wir. Jedenfalls ist es nicht Schwarz-Gelb. Das haben Sie sogar bewiesen. Sie haben ja die Dinge, die die Große Koalition gemacht hat, zurückgedreht. Das ist der schlagende Beweis dafür, in welche Richtung Sie denken und in welche Richtung wir arbeiten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Ich gebe nun das Wort unserer Kollegin Frau Antje Tillmann. Antje Tillmann (CDU/CSU): Herr Kollege Binding, das Einzige, was ich behauptet habe, war, dass Sie dem Gesetzentwurf, in dem diese Verhinderungsmaßnahmen enthalten waren, nicht zugestimmt haben, (Peer Steinbrück [SPD]: So nicht!) weil die Zustimmung zum Jahressteuergesetz mit einem hier im Deutschen Bundestag gar nicht beantragten Vorgang, nämlich Regelungen zur gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft, verbunden wurde. FATCA war im AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz enthalten. Dem haben Sie nicht zugestimmt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht deswegen!) – Aber es war ein Gesetz, dem Sie nicht zugestimmt haben. Mehr habe ich nicht behauptet. Hinsichtlich der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften wussten Sie von Anfang an, dass wir dem zum damaligen Zeitpunkt nicht zustimmen konnten. Sie hätten den Steuerhinterziehungsmaßnahmen gut ein halbes Jahr eher zustimmen können, wenn Sie es gewollt hätten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsident Eduard Oswald: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/13716, 17/13704 und 17/13717 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind damit einverstanden? – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann haben wir gemeinsam die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Nächstes kommt der Tagesordnungspunkt 49, den ich jetzt aufrufe: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung 16. Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik 2011/2012 – Drucksache 17/12052 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Sportausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Alle sind damit einverstanden? – Dann haben wir dies so beschlossen. Nun kommen wir zur Aussprache. Als Erstes darf ich für die Bundesregierung Frau Staatsministerin Dr. Cornelia Pieper das Wort geben. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Pieper. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Danke. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich freue mich sehr, dass wir heute diesen Bericht zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik noch zu einer guten Tageszeit unter der Mitberatung der Öffentlichkeit hier vorstellen können. Ich möchte Ihnen zunächst die Frage stellen: Kann ein Land, das Bratwürste und Gartenzwerge liebt, das beliebteste Land der Welt sein? So fragten jüngst die Medien. Beantwortet wurde die Frage vor rund einem Monat durch die jährliche Umfrage des Rundfunksenders BBC World Service. 59 Prozent der mehr als 26 000 Befragten in 25 Ländern sehen den Einfluss Deutschlands in der Welt als vor allem -positiv. Mit Platz eins liegt Deutschland noch weit vor Kanada und Großbritannien. Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein vertrauenswürdiger und verlässlicher Partner. Diese Wahrnehmung hat sich seit Jahren in anderen Ländern immer mehr verfestigt. In Zeiten der Finanzkrise in Europa, in der auch manch kritische Töne zu vernehmen sind, ist das keine Selbstverständlichkeit. Viel haben dazu aus meiner Sicht die Programme der Auswärtigen Kulturpolitik beigetragen. So fördern wir den Aufbau und die Pflege nachhaltiger Netzwerke, langfristige Bildungspartnerschaften sowie den interkulturellen Dialog. Ein jüngstes Beispiel – viele Kolleginnen und Kollegen waren dabei –: die Kunstbiennale in Venedig vor zwei Jahren. 2011 hat der deutsche Pavillon mit der -Kuratorin Frau Dr. Gaensheimer und dem Künstler Christoph Schlingensief sogar den Goldenen Löwen gewonnen. Die Kunstbiennale in Venedig zeigt: Berlin -gehört zu den attraktivsten und beliebtesten Arbeitsstandorten für Künstler aus der ganzen Welt. 26 von 60 Künstlern, welche den internationalen Pavillon gestaltet haben, arbeiten hier in Berlin. Die Präsentation des deutschen Pavillons im französischen Pavillon in diesem Jahr war auch deshalb so erfolgreich, weil wir, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bewusst für die Freiheit der Kunst geworben haben und Künstlern, die nicht frei in ihrem Land arbeiten und leben können, Raum für ihre Ausstellungen gegeben haben, in diesem Jahr in Venedig zum Beispiel Ai Weiwei. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik wirbt weltweit für Vertrauen, aber auch für unsere Werte, die geprägt sind von Demokratie, Menschenrechten und Toleranz. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Schicken wir deswegen Panzer nach Saudi-Arabien?) In Istanbul wurde gemeinsam mit den Fraktionen des Deutschen Bundestages die Kulturakademie Tarabya auf den Weg gebracht – für den deutsch-türkischen Dialog der Zivilgesellschaften ein unverzichtbares Projekt, gerade jetzt, um die freiheitlichen Kräfte des Landes zu unterstützen. Auch die „Kunst der Aufklärung“ in Peking, die größte Ausstellung, die wir aus dem Haushalt der AKBP je finanziert haben, war ein prägendes Beispiel. Mehr als 600 000 Chinesen, darunter viele Schulklassen, haben sich mit europäischer Kunst und den europäischen Werten der Aufklärung unter Betreuung durch junge -Museumspädagogen auseinandergesetzt. In Budapest läuft aktuell eine Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin zum Leben von jüdischen Russen in Deutschland, die in Kooperation der beiden Außen-ministerien auch während des Jüdischen Weltkongresses gezeigt wurde. Im Lichthof des Auswärtigen Amtes werben wir für ein Welterbeprojekt in Armenien, welches mit deutscher Technologie Fotografien von 3 000 Jahre alten Felsbildern ermöglicht. Ebenso bereiten wir, auch auf Antrag aller Fraktionen des Deutschen Bundestages, für die Lutherdekade eine internationale Ausstellung 2016 in den USA und Süd-korea über die Reformation, dieses geistes- und weltgeschichtliche Ereignis mit großer Wirkung, vor. Diese Beispiele stehen für eine werteorientierte Außenpolitik, für werteorientierte Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, und das ist gut so. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich möchte an dieser Stelle aus der Präambel der UNESCO-Verfassung zitieren: Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden. Ich glaube, es ist der größte Beitrag der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, dass wir insbesondere junge Menschen erreichen, ihren Geist erreichen und natürlich auch für unsere Werte werben. Meine Damen und Herren, Tatsache ist: Keine Regierung zuvor hat so viel in Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik investiert wie diese, und keine Regierung zuvor hat so viel in die Köpfe junger Menschen im Ausland investiert. Der Haushalt 2013 umfasst 787 Millionen Euro. Er ist damit der größte Haushalt der Auswärtigen Kulturpolitik in der Geschichte des Auswärtigen Amtes. Verglichen mit dem letzten und höchsten Haushalt der vorherigen Koalition von 2009 steht diese Zahl für einen Zuwachs um 61 Millionen Euro. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit anderen Worten: Trotz der von der Bundesregierung prioritär verfolgten Haushaltskonsolidierung konnten die Aufwendungen für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik auf ein noch nie zuvor erreichtes Niveau gesteigert werden. Im Gegensatz zu öffentlichen Behauptungen, es würden Goethe-Institute geschlossen, haben wir neue eröffnet, so 2011 in Nikosia. Dort können junge Menschen aus dem griechischen und aus dem türkischen Teil Zyperns den friedlichen Dialog führen. Wir geben ihnen damit eine Plattform für Zusammenkünfte und Diskussionen. Weitere Eröffnungen wie in Riad, in Tripolis – sobald es die Sicherheitslage erlaubt – stehen an. Im kommenden Monat werde ich in Myanmar mit dem Präsidenten des Goethe-Instituts ein Kulturabkommen unterzeichnen, durch das nicht nur das Goethe-Institut, sondern auch andere Institutionen – wie der Deutsche Akademische Austauschdienst – eine rechtliche Plattform für den Aufbau von Strukturen bekommen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist nicht nur ein großartiges außenpolitisches und kulturpolitisches Signal, es hilft auch, den Umbruch in diesem Land zu verstärken bzw. diesem Land beim Aufbau von friedlichen und demokratischen Strukturen zu helfen. Auch dank der Initiative des Bundestages – das will ich hier ausdrücklich erwähnen – für ein zusätzliches Programm der deutschen Sprache konnten weltweit 59 neue Sprachlernzentren eröffnet werden. Der Zulauf zu Deutschkursen ist, wie wir wissen, enorm gewachsen, insbesondere in Südeuropa: In Griechenland ist er um 20 Prozent gewachsen, in Spanien sogar noch mehr. Sehr erfreuliche Zahlen gibt es auch im Bereich der Förderung der deutschen Sprache: 14 Millionen Menschen außerhalb des deutschen Sprachraums lernen Deutsch, über 230 000 Teilnehmer im Jahr besuchen Kurse des Goethe-Instituts. Nicht zu vergessen, die Deutschlandjahre. Wir haben gerade erfolgreich ein Deutschlandjahr in Russland durchgeführt und beginnen nun, in Brasilien für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Deutschland zu werben. Wir haben auch Aktivitäten zur dualen Berufsausbildung wieder in das Programm der Auswärtigen Bildungspolitik aufgenommen. Das war lange Jahre nicht der Fall. Gerade an den Transformationsprozessen in den arabischen Ländern wurde aber erkennbar, wie wichtig auch die Zusammenarbeit in diesem Bereich ist. Daher haben wir hier neue Aktivitäten ins Leben gerufen. Ich will nur ein Beispiel nennen: die Neugründung einer Berufsfachschule für Berufsausbildung im Bereich der erneuerbaren Energien in Tunis in Tunesien. Gestern, liebe Kolleginnen und Kollegen, fand in Berlin das Internationale Bildungsfest statt, welches von mir vor drei Jahren ins Leben gerufen wurde, weil ich der Auffassung bin, dass sich die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer und der Schulleiter der deutschen Auslandsschulen sehen lassen kann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD] und Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) Ich finde, sie verdienen unsere Anerkennung dafür, dass sie innovative Lernmethoden einführen. Vor drei Jahren haben wir die Exzellenz-Initiative „Innovatives Lernen“ gestartet. Als Pilotprojekt zwischen einer Schule in Thailand und einer Schule in Singapur wurde eine globale Schule auf den Weg gebracht. Wir haben vereinbart, dass wir den Funken überspringen lassen wollen von diesen deutschen Auslandsschulen auf unsere Schulen in Deutschland. Wir wollen dieses digitale Lernen auch mit deutschen Schulen vernetzen. Warum soll eine Schule in Berlin künftig nicht auch mit einer Schule in Singapur oder in Barcelona gemeinsam Unterricht machen? Dank der neuen Möglichkeiten des digitalen Lernens lassen sich die Voraussetzungen dafür schaffen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, ich will ausdrücklich noch einmal für das Auslandsschulgesetz werben und bedanke mich bei allen Fraktionen für die Unterstützung. Die Teilnehmer des Internationalen Bildungsfestes haben gestern noch einmal an uns appelliert, das Auslandsschulgesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Dieses Gesetz bedeutet für die deutschen Auslandsschulen Planungssicherheit; das ist ihnen sehr wichtig. Es geht dabei nicht um mehr Geld, Frau Abgeordnete Ulla Schmidt. Wir wollen auf der Basis des hohen Budgets, das wir eingestellt haben, dafür sorgen, dass die deutschen Auslandsschulen einen Rechts-anspruch auf Finanzierung für immerhin drei Jahre bekommen. Ich glaube, das ist eine hohe Anerkennung der Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer an diesen Schulen, die ja auch nach Deutschland zurückkehren und ihre Erfahrung an deutschen Schulen einbringen. (Beifall des Abg. Heiner Kamp [FDP]) Meine Damen und Herren, last, but not least: Die -Bilanz nach vier Jahren – der Bericht zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik liegt Ihnen vor – zeigt: Investitionen in die Auswärtige Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik sind nicht nur gute Investitionen in die Zukunft unseres Landes, sondern auch in eine nachhaltige Friedenspolitik. Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen, allen Partnern zu danken, insbesondere natürlich den Kulturmittlern – dem Goethe-Institut, der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, dem DAAD, dem ifa, der Deutschen Welle –, aber auch meinen Kolleginnen und Kollegen im Auswärtigen Ausschuss und vor allen Dingen im Unterausschuss für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und seinem Vorsitzenden, Peter Gauweiler. Herzlichen Dank für die faire Partnerschaft und für die erfolgreiche Zusammenarbeit, die heute erkennbar wird! Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsident Eduard Oswald: Als Nächste spricht unsere Kollegin Ulla Schmidt für die Sozialdemokraten. Bitte schön, Frau Kollegin Ulla Schmidt. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Peter Gauweiler [CDU/CSU]) Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Frau Staatsministerin für den Bericht. Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, dass der Bericht genauso bunt ist wie die mir vorliegende Broschüre. Aber bunt zu sein allein, bedeutet noch nicht, dass alles so, wie es ist, auch okay ist. Zunächst möchte ich sagen, dass die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik für uns immer eine sehr bedeutende Rolle als dritte Säule der Außenpolitik gespielt hat; denn über die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist es uns möglich, einen Prozess des offenen Austausches auf den Weg zu bringen, um die Menschen, die überall in der Welt für Freiheit und für Emanzipation kämpfen, zu unterstützen. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist auch ein unverzichtbares Element, wenn es darum geht, für bessere Lebensbedingungen der Menschen in ärmeren Ländern zu streiten. Sie dient auch der Krisenprävention und der Krisenbewältigung. Viele der Aktivitäten der jetzigen Bundesregierung stehen in der Kontinuität vieler Initiativen, die schon vorher auf den Weg gebracht worden sind. Ich denke nur an die Wissenschaftsinitiative oder an den Aufbau von Partnerschulen, den PASCH-Schulen, durch den vorherigen Außenminister Steinmeier. Wer Ihren Bericht liest, wird auch viele positive Maßnahmen darin finden. Wir begrüßen die Aktivitäten zum Jubiläum des Élysée-Vertrages, wir begrüßen Städtepartnerschaften. Wir stehen gerade in einer Diskussion über die Frage, wie wir denn mithilfe der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in den Ländern tätig werden können, die, wie zum Beispiel Griechenland, von der europäischen Krise besonders betroffen sind. Wir diskutieren in diesem Zusammenhang darüber, wie durch die Unterstützung der Kultur und durch die Begegnungen im Rahmen von Städtepartnerschaften ein gegenseitiges Verständnis gefördert werden kann. Wir begrüßen auch all die Aktivitäten, über die wir in dieser Woche im Kulturausschuss diskutiert haben: zum Beispiel Unterstützung der Deutschen Welle und Hilfe bei der Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten in den Transformationsländern. Gerade durch die anhaltende Finanzkrise – auch Sie haben sie kurz angesprochen – ist deutlich geworden, wie wichtig Deutschlands Rolle nicht nur in Europa, sondern auch global ist. Zur Stärke gehört auch, Verantwortung übernehmen zu wollen. Aber wenn man außenpolitische Verantwortung übernehmen will – und hier setzt die Kritik an –, dann ist es äußerst fahrlässig, wenn diese Verantwortung zunehmend auf Cultural Diplomacy reduziert wird; denn das greift einfach zu kurz. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik alleine daran auszurichten, was Deutschland direkt nutzt, markiert einen Paradigmenwechsel in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich habe in Ihrem Bericht gelesen, es sei kein Paradigmenwechsel auf den Weg gebracht worden. Anscheinend haben die Diskussionen darüber etwas genutzt. Diese Bemerkung im Bericht zeigt, dass man diesen Einwand zumindest zur Kenntnis genommen hat. Wer nachschaut, welches die Schwerpunkte der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik sind, der erkennt: Die Schwerpunkte werden festgemacht an Themen wie Vermittlung der deutschen Sprache, Wissenschaftsstandort Deutschland, Kunst und Kultur aus Deutschland ins Ausland und Sympathiewerbung für Deutschland. Zu kurz kommen die Fragen, die für den Austausch der Kulturen entscheidend sind. Es geht uns nicht nur darum, Kultur und Kunst aus Deutschland ins Ausland zu bringen, sondern für uns bedeutet Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik insbesondere, dass wir auch Empfänger von Kultur sind. Wir wollen den Austausch der Kulturen, damit sich Völker und Menschen dieser Welt auf Augenhöhe begegnen können. Nur so können wir verstehen, wie unsere Partner und Partnerinnen denken und welches ihre Anliegen sind. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) So verstehen wir die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Im Unterausschuss können wir Gott sei Dank fraktionsübergreifend immer über die Schwerpunkte diskutieren. Der Paradigmenwechsel, der stattgefunden hat, lässt sich so beschreiben: Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik unter Außenminister Westerwelle dient nur noch dem Ziel, Deutschland direkt zu nutzen, und nicht dem Ziel, Freunde in der Welt zu finden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich will dazu nur auf einige Punkte eingehen, weil man nicht alles erwähnen kann: Erster Punkt. In den allgemeinen Ausführungen sagen Sie zwar – Sie haben das eben auch angesprochen, Frau Staatsministerin –, dass der Dialogansatz eine wichtige Strategie ist und auch zur zivilen Krisenprävention beiträgt. Aber die zivile Krisenprävention, die immer auch Bestandteil der wichtigsten Ziele der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik war, wird unter den Hauptzielen gar nicht mehr erwähnt. Zweiter Punkt. Die Programme des Goethe-Instituts, zum Beispiel „Kultur und Entwicklung“, die wir alle unterstützen – auch im Unterausschuss – und die sich genau um diese Bereiche kümmern, finden überhaupt keine Erwähnung mehr. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Dritter Punkt. Man muss sich wundern, dass die Mittel für die zivile Krisenprävention auch im Jahre 2013 wieder um mehr als 20 Prozent gekürzt wurden, obwohl man sagt, dieses Ziel sei wichtig. Ich glaube, wer sich die Welt anschaut und sieht, dass die Krisenpotenziale zunehmen, der weiß: Nicht weniger, sondern mehr Krisenprävention wäre angebracht, um militärische Interventionen zu vermeiden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) Nächster Punkt. Sie haben das Goethe-Institut gelobt. Wir schätzen und unterstützen die gesamte Arbeit der Kulturmittler und unserer Mittlerorganisationen, weil das das Pfund Deutschlands in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist. Sie reden von einem Rekordhaushalt in diesem Jahr. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!) Ich muss sagen: Es gibt kein einziges Jahr in dieser Legislaturperiode, in dem wir im Unterausschuss keine heftigen Debatten hatten, weil die Mittel für das Goethe-Institut entgegen den erwähnten tollen Versprechen, die gemacht wurden, gekürzt wurden und weil immer mehr versucht wurde, Einfluss darauf zu nehmen, was das Goethe-Institut macht. Man hat dem Goethe-Institut auf der einen Seite eine Budgetierung zugesagt, in dessen Rahmen es selbstständig entscheiden können soll, wie es seine Aufgaben wahrnimmt. Auf der anderen Seite wird der Haushalt ständig gekürzt, und die Mittel, die das Goethe-Institut zur Verfügung hat, werden in Programme umgelenkt, die auch dem Außenminister zupasskommen. Frau Staatsministerin, Sie können jetzt sagen: Das hat der Haushaltsausschuss – genauer müsste man sagen: die Vertreter der Koalition im Haushaltsausschuss –, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist ein großer Unterschied!) zu verantworten, dass die Mittel für das Goethe-Institut um 8 Millionen Euro gekürzt wurden. – Das ist genau der Betrag, den Sie hier eben lobend erwähnt haben, als Sie davon sprachen, dass mehr Geld für die Förderung der deutschen Sprache bereitgestellt wird. Ihre Leute im Haushaltsausschuss haben die Mittel im Laufe der Jahre ständig gekürzt. Es ist nicht fair, auf der einen Seite das Goethe-Institut für seine Arbeit zur Förderung der deutschen Sprache im Ausland zu loben und auf der anderen Seite zuzulassen, dass die Mittel immer mehr gekürzt werden. Das wird der Arbeit des Goethe-Instituts nicht gerecht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Sie, Frau Staatsministerin, sagen: Das war der Haushaltsausschuss. Dann gibt es aber zwei mögliche Erklärungen: Entweder man hat mit dem Koalitionspartner gemeinsame Sache gemacht (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) nach dem Motto „Wenn ihr das macht, dann brauchen wir das nicht zu tun“, oder aber – und das wäre genauso bedauerlich – Ihre Fraktion lässt Sie, die Sie zweifelsohne großes Engagement für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zeigen, einfach im Regen stehen. Unabhängig davon, welche Erklärung zutrifft: Die Auswirkung auf die Arbeit des Goethe-Instituts ist negativ. Sie haben davon gesprochen, mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Ich erwähne hier noch einmal: 90 Millionen Euro mehr für die Finanzierung von Bildung und Wissenschaft sind zwar in Ihrem Haushalt angekommen, aber Sie haben dieses Geld dafür genutzt, Löcher zu stopfen, und nicht dafür, die Aufgaben wie beispielsweise Aufgaben im Bereich der Auslandsschulen in ausreichendem Maße zu finanzieren. Das ist der Fakt, um den es hier geht. (Beifall bei der SPD) Ein weiterer Punkt ist das Deutschlandjahr. Diesem gemeinsamen Konzept lag die Idee zugrunde, dass viele Bereiche wie Bildung, Kultur, Sport, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten -sollen, damit es gelingt, im Rahmen eines sehr ergebnisoffenen kulturellen Austausches ein positives Deutschlandbild nach außen zu vermitteln. Diesen Austausch brauchen wir zwar auch innerhalb Europas, aber vor allen Dingen außerhalb Europas müssen wir diesen Austausch fördern. Umso mehr – das sage ich hier ganz klar – bedauert meine Fraktion, dass die Projektleitung des Deutschlandjahres in Brasilien an den Bundesverband der Deutschen Industrie vergeben wurde. Wenn man einen -offenen kulturellen Austausch will, wozu das Deutschlandjahr beitragen soll, dann muss das Primat der Kulturpolitik, das in diesem Bereich immer gegolten hat, weiterhin gelten, sonst müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, dass auch die Deutschlandjahre zu nichts anderem da sind, als die Interessen der deutschen Indus-trie zu bedienen. Das entspricht nicht dem ursprünglichen Konzept und auch nicht dem, was unter Frank-Walter Steinmeier auf den Weg gebracht wurde. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) Sie haben vorhin das Auslandsschulgesetz angesprochen. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dunkles Kapitel!) Ich glaube, allen Abgeordneten im Unterausschuss ist die Wichtigkeit der deutschen Auslandsschulen klar, ebenso wie die Aufgaben, die wir dort wahrnehmen wollen. Wir haben im Unterausschuss einstimmig gesagt: Ja, wir wollen ein Auslandsschulgesetz, mit dem die Finanzierung auf eine verlässliche Basis gestellt wird. Wir wollen damit Planungssicherheit für die Auslandsschulen erreichen; denn sie ist eine Voraussetzung dafür, dass die Schulen die Qualität erbringen können, die wir uns alle wünschen. Frau Staatsministerin, Ihr Engagement in allen Ehren: Wir hätten Ihnen ein bisschen mehr Unterstützung seitens des Außenministers gewünscht und auch, dass er Sie nicht im Regen stehen lässt. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) Das, was im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Anspruch einiger Schulen und mit der Beilegung des Streites um den Versorgungsausgleich geregelt wurde, ist noch kein Gesetz. Sie haben eben gesagt, dass die Mittel für den Schulfonds nicht aufgestockt werden müssen. Darüber muss man reden. Man muss auch darüber reden, wie groß dann das Stück vom Kuchen ist, das jede einzelne Schule bekommt, zumal Sie, Frau Staatsministerin, gesagt haben, dass die Zahl der PASCH-Schulen auf 2 000 aufgestockt werden soll. Wenn dann kein Cent zusätzlich vorhanden ist und keine entsprechende Haushaltsposition dahintersteht, dann bekommt jede einzelne Schule weniger. Darüber muss man offen reden und das auch zur Abstimmung stellen. Wir wollen ein Auslandsschulgesetz. Ich sage aber auch deutlich: Wo „Auslandsschulgesetz“ draufsteht, muss auch „Auslandsschulgesetz“ drin sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) Wir fordern eine gute Qualität. Die entsprechende Verwaltungsvereinbarung und die Verwaltungsverordnung dazu wollen wir vorher sehen; denn darin wird festgelegt, wie die Förderung der einzelnen Schulen ausgestaltet wird. Ich habe noch im Ohr, was der Vertreter des Bundesrechnungshofes bei der externen Anhörung diese Woche im Haushaltsausschuss gesagt hat: Die finanziellen Schwierigkeiten, die 2010 und 2011 bei den Auslandsschulen aufgetreten sind, lagen nicht im Zuwendungsrecht begründet, sondern waren darauf zurückzuführen, dass es eine mangelnde Ausgestaltung des Haushalts aufgrund des ständigen Aufwuchses bei den PASCH-Schulen gab. – Darüber wollen wir reden. Dazu werden wir nächste Woche noch Gelegenheit haben. Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir schätzen und erkennen Ihr Engagement an. (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]) Wir sehen aber auch, dass sich Außenminister Westerwelle nicht einen Deut für diesen Bereich der auswärtigen Politik interessiert. Was könnte das Desinte-resse des Außenministers besser zeigen als die Tatsache, dass er es in der nun zu Ende gehenden Legislatur-periode nicht ein einziges Mal für nötig befunden hat, den zuständigen Ausschuss zu besuchen und dort für eine Diskussion zur Verfügung zu stehen? Ich glaube, mehr brauche ich nicht zu sagen. Er hat kein Interesse und wird auch kein Interesse zeigen. Das einzige Interesse, das er hat, ist, dafür zu sorgen, dass die Erfüllung der deutschen Wirtschaftsinteressen im Ausland gewährleistet ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Ulla Schmidt. – Nächster Redner für die Fraktion von CDU und CSU ist unser Kollege Dr. Peter Gauweiler. Bitte schön, Kollege Peter Gauweiler. (Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unser Chef!) Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es sehr nett, dass die Kollegin Schmidt als Sprecherin der Opposition trotz der Fälle, in denen sie den Finger in die Wunde gelegt hat, nicht vergessen hat, die Arbeit unserer Kollegin Pieper zu würdigen. Ich möchte mich dem im Namen der Koalition und des ganzen Unterausschusses sehr herzlich anschließen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Hauptdank gebührt den Trägern der Auswärtigen Kulturpolitik, vom Goethe-Institut – ich schließe mich an dieser Stelle Ihrer Kritik an der Haushaltspolitik an, Frau Schmidt – über den Deutschen Akademischen Austauschdienst und die Humboldtianer bis hin zu den Stiftungen, insbesondere den politischen. Diese Debatte darf nicht ohne den Hinweis zu Ende gehen, dass wir uns alle, also inklusive der Linken, hinter die Konrad-Adenauer-Stiftung stellen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) und gegen das unverschämte Urteil protestieren, das ein ägyptisches Gericht gegen den Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo verhängt hat. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass dies Konsequenzen nach sich zieht, und wir erwarten von den ägyptischen Instanzen, dass diese unerhörte Entscheidung aufgehoben wird. Wir debattieren heute nicht über Einzelpunkte, sondern über den Grundsatzbericht zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Außenpolitik wird verstanden als ein Interaktionsprozess, in dem ein Staat grundlegende Ziele und Werte in Konkurrenz zu anderen Staaten zu realisieren versucht. Auf Deutsch: Der Staat will gut dastehen. Frau Schmidt, hier unterscheiden wir uns in einer Nuance. Sie sagen, die Tatsache, dass Minister Westerwelle alles tut, was Deutschland nutzt, stehe im Widerspruch zu dem Ziel, Freunde in aller Welt zu gewinnen. Ich sehe darin keinen Gegensatz. Freunde in aller Welt zu haben, ist von großem Nutzen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Ein Minister ist nun einmal dafür da, seinem eigenen Land nutzbringend zu dienen. Wem denn sonst? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Beides ist wichtig! Der Minister macht nur eines!) – Ja, beides. Das stimmt. Das ist wie rechte Hand und linke Hand. Wenn das Ziel der deutschen Außenpolitik ist, Freunde zu gewinnen und die Interessen des eigenen Landes nutzbringend zu verfolgen, dann muss sie alles tun, damit Deutschland in der Welt – darin sind wir uns sicherlich einig – gut dasteht. Wann steht unser Land am besten da, egal ob ein rot-grünes oder schwarz-gelbes Grußwort gehalten wird? Wenn es sich als Volk der Dichter und Denker präsentiert. Insofern ist die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik nicht nur die dritte Säule der Außenpolitik, sondern auch eine Art politischer Violinschlüssel, dessen sich das Außenpolitische – wenn es denn in seiner organisierten Form überhaupt Sinn hat – in einer globalen Welt bedienen sollte. Es geht um die Vermittlung eines positiven Deutschlandbildes, um die Begegnung mit der Kultur und -Gesellschaft des Gastlandes – natürlich gibt es eine -Brückenfunktion –, und es geht auch um Konfliktprävention; deswegen reden wir ja von der Bibliothek in Nordkorea genauso wie von der Öffnung des Goethe--Institutes in Teheran. Wir reden darüber, dass im Oktober dieses Jahres auf Kuba, in Havanna, Richard Wagner zum ersten Mal seit 40 Jahren wieder in deutscher Sprache aufgeführt werden wird. Wir reden gleichzeitig von der Wertevermittlung: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte. Wir reden auch davon, dass wir mit den Deutschen im Ausland insbesondere auch auf kultureller Basis Verbindung halten und dass wir uns ihnen kulturell verpflichtet fühlen. Wir erleben doch, wenn wir mit ihnen sprechen, was es im Einzelnen für großartige Menschen sind, die oft nach besseren kulturellen Initiativen hungern und dürsten und die sich übrigens auch auf noch bessere Beiträge in der Deutschen Welle freuen. Ich will nicht deren Verdienste kleinreden. Aber nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden könnte, habe ich gerade wieder in Griechenland gedacht, als ich dort eine Sendung gesehen habe. Ich möchte aus aktuellem Anlass eine Bemerkung zu den Auslandsschulen und zu der Debatte um das -Auslandsschulgesetz machen. Diese sind – mit 141 deutschen Auslandsschulen in 72 Ländern – einer der zentralen, der wesentlichen Punkte unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Aktuell gibt es mehr als 390 000 Schüler, stellen Sie sich das bitte einmal vor. Dies ist der Anker für die Identität der Auslandsdeutschen, und es ist eine neue Verbindungslinie für die -ausländischen Schüler, die dadurch mit der deutschen Sprache und mit der deutschen Kultur in Berührung kommen. Wir haben im Bundestag im Jahre 2008 einstimmig eine Resolution über die Weiterentwicklung des deutschen Auslandsschulwesens verabschiedet. Jeder hier hat zugestimmt, und zwar nicht nur ein paar gefühlsstarke Naive aus dem Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, (Beifall der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]) sondern auch die großmächtigen Haushaltspolitiker und -politikerinnen dieses, unseres Hauses. Einstimmig! In dieser Resolution heißt es: Wenngleich die Schulen von privaten Trägervereinen eigenverantwortlich und zu einem erheblichen Umfang durch Eigenleistungen geführt werden, müssen die Möglichkeiten Öffentlich-Privater -Partnerschaft stärker als bisher genutzt werden. Innovative Ansätze müssen gefunden werden, um die gebotene Erweiterung des Auslandsschulnetzes -finanziell … zu realisieren. „Stärker“ ist in der deutschen Sprache und Grammatik ein Komparativ. „Stärker“ heißt mehr und nicht weniger. Wenn ich jetzt höre, dass der Bundesrechnungshof in einer verdienstvollen Anhörung zum neuen Entwurf des Auslandsschulgesetzes erklärt hat, das könne zu einer stärkeren finanziellen Belastung führen, dann sage ich: Bingo, liebe Freunde! Wir wollen und müssen in diesem Bereich mehr ausgeben. Das ist eine politische Richtungsbestimmung nicht nur einer Fraktion, sondern des gesamten deutschen Parlaments. (Beifall im ganzen Hause) Wenn jemand das nicht will, muss er hier einen Antrag stellen, dass das rückgängig gemacht wird. Anders geht es überhaupt nicht. Wir haben diese vier Jahre intensiv – in Anhörungen, durch Einladungen, Gespräche, Besuche, Kongresse; das war alles sehr interessant, sonst hätte ich gesagt, dass es mir zum Halse heraushängt – dazu genutzt, die Dinge im Einzelnen nach vorne zu bringen und zu behandeln. -Daraus wurde dann nach langen, qualvollen Reden ein Entwurf für ein Gesetz. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja!) Wir haben uns dann verständigt, um diesen Gesetzentwurf überhaupt auf den Weg zu bringen. Frau Pieper, Sie wissen um die Schwierigkeiten, die Sie selbst in dem gesamten Verwaltungsbiotop hatten, (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt aber freundlich!) um das überhaupt durchzubringen. Wir haben gesagt: Wir nehmen diesen Gesetzentwurf und werden die Punkte, die sich aufgrund der Resolution des Deutschen Bundestages zwingend ergeben haben, in einzelne Vorschläge umsetzen. Ich danke hier insbesondere meinem Stellvertreter, Herrn Leibrecht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Ja, da könnt ihr schon einmal klatschen. Es geht im Wesentlichen darum, wie viele Abschlüsse notwendig sind, um eine Auslandsschule im Sinne des Gesetzes anzuerkennen. Die Anerkennungsvoraussetzungen können Sie nicht mit der Lage in einer deutschen Großstadt vergleichen. Im Ausland sind die Zahlen logischerweise kleiner. Das hat damit zu tun, dass Auslandsschulprojekte nicht nur dem allgemeinen Schulverkehr dienen, sondern dass sie – wunderbarer Ausdruck – für sich genommen Leuchtturmprojekte sind. Man muss sie von weitem sehen können. Dies setzt aber auch voraus, dass man eine kleinere Schule dadurch fördert, dass nicht 20 Abschlüsse gefordert werden, sondern 5, wie wir vorgeschlagen haben. Ich verbitte mir in aller Form, mir von Leuten, die überhaupt kein Problem damit haben, innerhalb von 30 Minuten Bürgschaften in Höhe von 190 Milliarden Euro zu beschließen, sagen zu lassen, dass wir den Bundeshaushalt mit den dafür notwendigen paar Millionen maßlos belasten würden. Hier verwechselt man die Relationen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Ihr seid meine Freunde. Das, Herr Leibrecht, war unsere Initiative. Ich freue mich, dass es jetzt einen Kompromissvorschlag gibt, über den man sich einigen kann. Ich bitte in diesem Fall auch die Opposition, die in diesem Fall nicht Opposition, sondern Trägerin der Mehrheit im Bundesrat ist, ihrem Herzen einen Stoß zu geben: 20 Abschlüsse fordern die einen, 5 die anderen. Jetzt gibt es einen Vorschlag bezüglich 12. Ich danke dem Kollegen Mißfelder, dass er sich hier so massiv dafür eingesetzt hat, dass wir die Kuh vom Eis bringen und dieses Gesetz in Gottes Namen noch durchsetzen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht um jeden Preis!) Ein Letztes. Auf Seite 16 des Berichts, um den es heute geht, wird das Thema berufliche Bildung angesprochen. Inspiriert von Debatten auf allen Seiten des Hauses haben wir das Thema berufliche Bildung auch zu einem Thema der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gemacht. Ich habe mir erlaubt, den Vorschlag zu machen, dass es nicht nur um einzelne Fördertöpfe geht. Die Fachleute aus allen Richtungen sagen: Wir müssen im Ausland, insbesondere in der EU, dort, wo es dramatisch ausschaut – ich nenne die Jugendarbeitslosigkeit in Höhe von 50 Prozent –, die Arbeitsmärkte wieder zum Atmen bringen. Wir haben den Vorschlag unterbreitet – da gibt es bereits Versuche –, Berufsschulzweige an die deutschen Schulen im Ausland anzugliedern. Das sollten wir -gemeinsam mit der Wirtschaft tun; sie brauchen wir dringend dazu. Wenn Sie an der deutschen Schule in Thessaloniki 50 oder 100 Schülern ein Stipendium geben würden – ähnlich wie die Humboldt-Stiftung Akademikern –, dann wäre das billiger als der Kongress von Herrn Berggruen in Paris. (Heiterkeit des Abg. Philipp Mißfelder [CDU/CSU]) Das würde Schwung bringen; das würde die Dinge in Bewegung bringen. Noch in dieser Legislaturperiode soll dazu eine Anhörung stattfinden. Ich lade Sie herzlich dazu ein. Bei uns darf man im Gegensatz zum Haushaltsausschuss an den Anhörungen teilnehmen und auch mitreden. Ich lade Sie herzlich dazu ein und auch dazu, uns übergreifend bei dieser Initiative zu unterstützen. Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Kollege Dr. Peter Gauweiler. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist unsere Kollegin Frau Dr. Lukrezia Jochimsen. Bitte schön, Frau Kollegin Dr. Jochimsen. (Beifall bei der LINKEN) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Herr Präsident! Frau Staatsministerin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Liebe Zuhörer und Zuschauer! Es gibt diesen vielversprechenden Begriff für die Auswärtige Kulturpolitik: Sie sei die „dritte Säule“ unserer Außenpolitik. Diese Säule haben wir Parlamentarier schon in schwierigem Zustand erlebt: fast baufällig geworden um 2005, aber dann langsam wieder aufgerichtet und stabilisiert. Bis dann mit der Konzeption „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in Zeiten der Globalisierung“ 2011 deutlich wurde, dass unsere bewährte Säule neue -Elemente tragen soll: zum Beispiel „ein positives und wirklichkeitsgetreues Deutschlandbild im Ausland zu vermitteln“ und so für Deutschland als Bildungs- und Wissenschaftsstandort sowie als attraktiven Standort der Wirtschaft – in Klammern: kreativ – zu werben. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Da steckt der Teufel im Detail. Letzteres darf nämlich aus meiner Überzeugung nicht das Übergewicht bekommen. Es muss vielmehr weiterhin ein Gleichgewicht zwischen den kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aufgaben geben. Das ist aber eben nicht der Fall, wie ich Ihnen gleich an einem Beispiel ganz konkret darstellen werde. (Beifall bei der LINKEN) Es war und bleibt ein Paradigmenwechsel, auch wenn das in Ihrem Bericht verneint wird, Frau Staatsministerin. Als erstes Beispiel will ich Ihnen von der Geschichte des sogenannten German American Forums in New York berichten. 1960 bekam die Bundesregierung von privater Seite ein 1907 errichtetes sechsstöckiges Haus im Zentrum der Fifth Avenue mit der Vorgabe, hier einen Ort der Förderung transatlantischer Beziehungen zu schaffen. Jahrzehntelang hatte hier das Goethe-Institut seinen Sitz: das Goethe House. Es repräsentierte in New York auf gute alte Weise die dritte Säule deutscher Auslandspolitik, bis es vor zwei Jahren in größere Räumlichkeiten in SoHo umzog. Wie soll nun mit diesem deutsch-amerikanischen Kulturerbe 2012/2013 umgegangen werden? Zunächst hieß es: verkaufen. Solch ein Juwel an der Fifth Avenue bringt Millionen. Als dieser Barbarenplan Anfang 2012 fallen gelassen wurde, erarbeiteten Goethe-Institut und Auswärtiges Amt ein neues Konzept. Das Goethe--Institut wollte eine Nutzung im alten Sinn: Lesungen, Seminare, Kulturveranstaltungen, Ausstellungen, Artists in Residence. Das Auswärtige Amt wollte etwas ganz anderes. Ich zitiere aus dem Konzept: Das Haus in der Fifth Avenue soll ein Ort des transatlantischen Dialogs zwischen herausragenden Köpfen aus Politik, Wirtschaft, Finanzen und Kultur und Medien zu relevanten Gegenwarts- und -Zukunftsthemen werden (z. B. Finanzwelt, … Energie, neue Medien, … Deutschlands Rolle in den Vereinten Nationen …) Große Förderer des transatlantischen Verhältnisses sollen … die Möglichkeit erhalten, zukunftsweisende Ideen für den transatlantischen Dialog zu entwickeln und zu diskutieren. Sie sind auch eingeladen, an der konkreten Ausgestaltung des Konzepts mitzuwirken, um ihre Vorstellungen und Wünsche angemessen berücksichtigt zu sehen. Für den Betrieb des Forums sollen Mittel von privater und unternehmerischer Seite in Deutschland und in den USA eingeworben werden mit – man höre und staune – doppelter Spendenabzugsfähigkeit, attraktiven Mitwirkungsmöglichkeiten der Sponsoren usw., usw. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Das Auswärtige Amt setzte durch, dass das Goethe-Institut sein Konzept zurückzog. Paradigmenwechsel? Klar, Paradigmenwechsel! Statt Kulturdialog, statt Kulturaustausch: deutsche Wirtschaftsinteressen an einem attraktiven Ort, der vom deutschen Steuerzahler finanziert wird. Der Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik hat dieses Konzept einstimmig abgelehnt. Jetzt ruht das Projekt. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der nächsten Legislaturperiode wird sich entscheiden, was aus dem Goethe House in New York wird. Das zweite Beispiel für einen Paradigmenwechsel: das geplante Auslandsschulgesetz. Ja, jahrelang wurde darum gerungen, den deutschen Schulen im Ausland Rechts- und Planungssicherung einzuräumen. Nun ist das Gesetz da. Aber wem nutzt es? Die Rechts- und Planungssicherheit gilt eben nur für einen Teil der Schulen, für die großen, die wirtschaftlich starken. Nur 45 von 141 sollen in den Genuss des Gesetzes kommen, vielleicht auch ein paar mehr, wenn es zu einem Kompromiss kommt. Eklatant aber bleibt: Es wird privilegierte und benachteiligte Schulen geben, eine erste und zweite Kategorie. Das ist neu. Das verabschiedet sich von den bisherigen Förderkriterien, die für alle Schulen gleichermaßen galten. Wir werden das auf keinen Fall mitmachen. Für uns kommt da kein Kompromiss infrage. (Beifall bei der LINKEN) Paradigmenwechsel eben auch hier. So sollte es in Zukunft auf keinen Fall weitergehen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]) Da dies wahrscheinlich meine letzte Rede zur Auswärtigen Kulturpolitik in diesem Hohen Haus sein wird, (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schade!) erlaube ich mir zum Schluss, eine Idee für die Zukunft vorzutragen: Machen Sie nicht so weiter wie bisher. -Machen Sie etwas Neues. Schaffen Sie für die Zukunft ein veritables Kulturministerium mit nationalen wie internationalen Aufgaben. Wie sehr diese Aufgaben schon jetzt ineinander übergehen und kaum mehr zu trennen sind, erleben wir in der augenblicklichen Auseinandersetzung um das Freihandelsabkommen zwischen USA und EU. Also: Bundespolitische Kulturpolitik wie Auswärtige Kulturpolitik unter einem Dach! Schon 2005 haben wir in einem Sondervotum im Rahmen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ festgehalten: Die Fraktion DIE LINKE. spricht sich für eine weitere Stärkung der Bundeskulturpolitik durch die Einführung des Amtes eines Bundeskulturministers mit Kabinettsrang aus. Wir plädieren für eine Bündelung der verschiedenen Aufgabenfelder in einem Kulturministerium, um die Belange der Kultur gegenüber anderen Ressorts sowie auf europäischer Ebene wirksamer vertreten zu können. Diese Position vertreten wir bis heute. Das wäre ein Paradigmenwechsel, wie wir ihn befürworten. Also: Stärken Sie die auswärtige wie die nationale Kulturpolitik durch eine Ministerin oder einen Minister, gleichberechtigt am Kabinettstisch und in der ersten Reihe der Minister in Brüssel, mit weltweiten Möglichkeiten der friedlichen Kulturförderung. Danke. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin in unserer Aussprache ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Claudia Roth. Bitte schön, Frau Kollegin Claudia Roth. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Zum Ende dieser Legislatur ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen, nicht nur über die im vorliegenden Bericht behandelten Jahre 2011 und 2012, sondern über vier Jahre Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Da ist viel Licht mit engagierter parlamentarischer Arbeit, (Beifall bei der FDP) da ist aber auch heftiger Schatten mit absolut überflüssigen Konflikten, die den Politikbereich behindert haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ein sehr wichtiges Leitmotiv der Arbeit im Unterausschuss ist, dass Auswärtige Kulturpolitik dorthin geht, wo sonst nichts mehr möglich ist, dass sie Türen öffnet, wenn politische Diplomatie am Ende ist. Genau in diesem Sinn haben wir in einem sehr engagierten und kollegialen Unterausschuss gearbeitet, (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) der nicht zuletzt wegen seines Vorsitzenden parteilich, aber nicht parteipolitisch die Anliegen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik vertreten hat, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) zum Beispiel auf Reisen, jüngst in den Libanon, nach Beirut, mitten ins Krisengebiet, vor kurzem nach Kairo, wo wir uns mit Vertreterinnen und Vertretern der Konrad-Adenauer-Stiftung getroffen haben sowie den Umgang mit der Stiftung im Gespräch mit der politischen Führung angesprochen und kritisiert haben, in den Iran, nach Teheran und Ghom, wo wir versucht haben, die klitzekleinen Fenster des Dialogs zu öffnen, nach Nordkorea, zusammen mit dem DFB, oder nach Griechenland, wo ein expliziter Euro-Kritiker, Dr. Gauweiler, öffentlich mit der expliziten Befürworterin Roth diskutiert und bei allen inhaltlichen Unterschieden gemeinsam gegen populistische, antigriechische Hetze gekämpft hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube, das offenbart die Kultur im Unterausschuss Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Eigentlich müsste jedes Ministerium der Welt über so engagierte Abgeordnete, über eine solche parlamentarische Unterstützung froh sein. Aber wir haben in den letzten vier Jahren – das nimmt nichts von der Würdigung Ihres Engagements, Frau Pieper, weg – leider sehr oft eine Außenamtsführung erlebt, die nichts mit den Bällen anfangen konnte, die ihr aus dem Parlament zugespielt wurden, einen Außenminister, (Zuruf von der CDU/CSU: Joschka Fischer!) der in der Tat von Außenkulturpolitik als der dritten Säule der Außenpolitik redet. Jetzt zeige ich Ihnen etwas von meiner Bildung: Er ist ein bisschen wie ein Säulenheiliger, der sich dem Prinzip „Stabilitas loci“, (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Wunderbar! Sehr gut!) das heißt „Verweilen am Ort“, verpflichtet hat, also keinen Schritt vorankommt, viel redet, aber nichts sagt. (Zurufe von der CDU/CSU) – Da guckt ihr! So gebildet sind wir nämlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) Der Außenminister hat es in den letzten vier Jahren nicht geschafft – da hat Ulla Schmidt recht; das hilft ihm gar nicht – oder es nicht für nötig befunden, ein einziges Mal in den Ausschuss zu kommen, wo er Unterstützung bekommen hätte, wenn er eine richtige Politik hätte machen wollen. Er will sich zwar mit Kultur schmücken, versteht darunter aber die Umfunktionierung des Goethe-Instituts in der Fifth Avenue in New York in eine Businesslounge. So haben wir diesen historischen Ort mitten in New York definitiv nie verstanden. Das ist zum Glück mithilfe des Auswärtigen Ausschusses verhindert worden. Vielen Dank an Philipp Mißfelder und andere Kollegen, die diesen Schmarrn verhindert haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD] und Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) Statt die Chancen und Herausforderungen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zu nutzen, geht diese Regierung einen anderen Weg. Ich gebe Ihnen nicht recht, Frau Pieper, wenn Sie sich auf die menschenrechtsbasierte Außenpolitik beziehen. Was hat es denn, bitte schön, mit Menschenrechten zu tun, wenn aus Außenpolitik immer mehr Industriepolitik im Interesse der Waffenindustrie wird? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD] und Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE] – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Sonst könnte man nicht Panzer nach Saudi-Arabien liefern. Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stinner? Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, gerne, Herr Stinner. Vizepräsident Eduard Oswald: Bitte schön. Dr. Rainer Stinner (FDP): Frau Kollegin, Sie zeichnen hier ein verzerrtes Bild der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Das können wir so nicht stehen lassen. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist das die Frage? Dr. Rainer Stinner (FDP): Denn es besteht die große Gefahr, dass die vielen Zuschauer hier und die Tausende Zuhörer zu Hause glauben, was Sie erzählen. Das Gegenteil, von dem, was Sie erzählen, ist richtig. Ich bitte Sie, hier im Deutschen Bundestag der deutschen Öffentlichkeit zu erklären, dass Sie anerkennen, dass der Etat der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik noch nie so hoch war wie heute. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass unter der Ägide des Außenministers Fischer von den Grünen – das war vor langer Zeit – der Stellenwert der Auswärtigen Kulturpolitik, inklusive des Schutzes des Goethe-Instituts, im Keller war. (Zuruf von der CDU/CSU: So war das!) Erst unter dieser Bundesregierung kam es wieder zu einem Aufschwung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich finde es sehr interessant, dass Sie es wie die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die bisher gesprochen haben, denunzieren, dass deutsche Politik durchaus auch deutsche Interessen zu berücksichtigen hat. Ich bitte alle, die jetzt zuhören, sich zu vergegenwärtigen, dass die Opposition etwas dagegen hat, dass deutsche Politik auch deutsche Interessen verfolgt. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch keine Frage, mit Verlaub. Dr. Rainer Stinner (FDP): Liebe Frau Kollegin, ich weiß nicht, wie lange Sie dem Deutschen Bundestag angehören. Es ist nicht so, dass ich eine Frage stellen muss. Ich werde aber zum Schluss eine Frage stellen, nämlich ob Sie Ihre Position korrigieren wollen. Letzter Punkt. Ich finde es außerordentlich eigenartig, dass die Kolleginnen von der Opposition in den Raum stellen, dass die Förderung der deutschen Sprache, die derzeit sehr stark in den Vordergrund gestellt wird, zu kritisieren ist. Ich sage Ihnen, dass das nicht richtig ist. Fragen Sie die Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Tribünen, ob es derzeit nicht sinnvoll ist, die deutsche Sprache, zum Beispiel im Interesse der jungen Spanierinnen und Spanier, im Ausland zu fördern. Wir fördern so unsere Interessen, gleichzeitig fördern wir aber auch die Lebenschancen vieler junger Menschen im Ausland. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD], an die FDP gewandt: Warum habt ihr dem Stinner keine Redezeit gegeben?) Angesichts dieser Tatsachen frage ich Sie, Frau Kollegin: Sind Sie bereit, Ihre negative Beurteilung zu überdenken und in ein Lob für diese Bundesregierung angesichts ihrer erfolgreichen Politik einzustimmen? (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Stinner, wenn es etwas zu loben geben würde, würde ich es tun. Wir reden über eine menschenrechtsbasierte Außenpolitik; darauf hat sich Frau Pieper bezogen. Jetzt erklären Sie mir doch bitte schön: Was hat es mit menschenrechtsbasierter Außenpolitik zu tun, wenn man an ein Land wie Saudi-Arabien Panzer, Haubitzen und Handwaffen liefert, obwohl man weiß, dass dort Menschenrechte, zum Beispiel Frauenrechte, mit Füßen getreten werden? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Was hat es mit einer menschenrechtsbasierten Außenpolitik zu tun, dass exzessive Rüstungslieferungen an Katar vonstattengehen sollen? (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das kann doch wohl nicht wahr sein! Das ist unmöglich! Unsäglich!) Katar ist Hauptfinanzier der Salafisten, derjenigen, die in Mali ihr Unwesen treiben und Terror verbreiten, Hauptfinanzier jener Kräfte, die in Syrien die Al-Nusra-Front bilden und Jagd auf die Christen machen. Das hat mit menschenrechtsbasierter Außenpolitik nichts zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Sie werden niemals Staatsministerin!) Aus den genannten Gründen singe ich nicht das Hohelied dieser Bundesregierung. Die neue außenpolitische Doktrin ist nämlich: Außenpolitik wird zu Industriepolitik, Entwicklungspolitik wird zur Außenwirtschaftspolitik, (Beifall des Abg. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ein bisschen lauter bitte!) statt globale Verantwortung und Armutsbekämpfung in den Vordergrund zu stellen. – Vielen Dank für Ihre reizende Frage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf der CDU/CSU: Demagogin!) In ihrem Bericht stellt die Bundesregierung die neue Konzeption der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik heraus. Da setzt auch Kritik an. Denn die dort ver-tretenen Ideen einer weiteren Privatisierung und einer Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Wirtschaft – das zieht sich da durch wie ein vor allem gelber Faden – eignen sich nicht als wirkliche Leitlinie. Herr Dr. Gauweiler, die Interessen der deutschen Wirtschaft sind nicht automatisch die Interessen Deutschlands. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Natürlich muss eine solche Politik auch im Interesse Deutschlands sein. Auswärtige Kulturpolitik kann doch nicht zu einer Art Werbeagentur für die Interessen der deutschen Wirtschaft verkommen. Jetzt wird der Haushalt gefeiert. Herr Stinner, wir haben es natürlich sehr bedauert und auch kritisiert, dass zum Beispiel in rot-grünen Zeiten ein wichtiges Goethe-Institut fast verschwunden wäre, das jetzt wieder eröffnet werden konnte, und zwar in Zypern, direkt an der letzten Mauer in Europa. So stark und selbstbewusst sind wir schon, Fehler auch einzugestehen. Aber jetzt reden wir einmal über die Wahrheit dieses Haushalts. Die Koalition hat – immerhin, das stimmt – zu Beginn ein 12-Milliarden-Euro-Bildungsprogramm groß beworben; das war gut. Erwähnt wurde aber nicht das Löcherstopfen, für das die Sondermittel aus dem Bildungsetat zweckentfremdet wurden. Wie viel von diesen Geldern aus dem 12-Milliarden-Euro-Topf ist eigentlich in den vergangenen Jahren versickert? Was ist das überhaupt für ein Potemkin-Programm? Und was von diesen Geldern ist, bitte schön, tatsächlich bei der Auswärtigen Bildungspolitik angekommen? Ich hätte mir gewünscht – mein besonderer Freund Koppelin ist gerade nicht anwesend –, dass sich die -Koalitionshaushälter einmal um die Aufklärung dieser Sache bemühen, statt ihren Ehrgeiz nun in die Verhinderung des Auslandsschulgesetzes zu legen. Das hätte deutlich mehr gebracht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]) Eines verstehe ich wirklich nicht, Frau Pieper. Sie haben alle Kolleginnen und Kollegen vom Unterausschuss in dieser Frage hinter sich gehabt. Warum fallen Sie dem Unterausschuss in den Rücken, indem Sie den gemeinsamen Änderungsantrag ablehnen, der den viel zu eng gestrickten Entwurf des Auslandsschulgesetzes korrigiert? Wir müssen doch auch den kleineren Schulen eine Chance geben, die viel weniger als die geforderten 20 Abschlüsse im Jahr anbieten. Der Ausschuss hat es doch in Teheran erlebt. Ich möchte, dass auch die Schule in Teheran diese Möglichkeit bekommt. Denn das verstehen wir unter Demokratie und menschenrechtsbasierter Auslandsschulpolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Philipp Mißfelder [CDU/CSU]) Ich glaube, es war wichtig, dass im Haushaltsausschuss von unserem Kollegen Sven-Christian Kindler auf Art. 7 des Grundgesetzes verwiesen worden ist. Darin steht nämlich, dass Schulen keine soziale Sonderung nach Besitzverhältnissen haben sollen. Das sollte dann aber auch für die deutschen Auslandsschulen gelten. Wir wollen nicht, dass Schulen nur noch Schulen sind, in die die Geldeliten dieser Welt ihre Kinder schicken können. Das heißt, wir müssen an der sozialen Öffnung der deutschen Auslandsschulen festhalten und sogar mehr dafür tun. Das wäre Werbung für deutsche Demokratie und Menschenrechtspolitik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]) Vizepräsident Eduard Oswald: Frau Kollegin, Sie kennen das rote Licht. Es blinkt und blinkt. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich kenne es, aber ich bin ja bei den Grünen. Darf ich noch ein Lob anbringen? Vizepräsident Eduard Oswald: Also gut, ein Lob, wenn dann alle klatschen. – Bitte schön. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was wirklich gut ist – ich würde alle Kritiker bitten, vielleicht einmal hinzufahren –, ist, dass Tarabya endlich eröffnet werden konnte und die ersten Stipendiaten in Tarabya ihre kulturelle Arbeit beginnen konnten. Leider ist auch das nicht wegen, sondern trotz der Kritik und den Blockaden des Auswärtigen Amtes passiert. Vizepräsident Eduard Oswald: Sie haben gerade etwas versprochen, Frau Kollegin. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen herzlichen Dank für Ihre Arbeit. Wir werden alles dafür tun, dass sich die Situation in der nächsten Legislatur deutlich verbessert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) Vizepräsident Eduard Oswald: Vielen Dank, Frau Kollegin Claudia Roth. – Nächster Redner in unserer Aussprache für die Fraktion von CDU und CSU: unser Kollege Philipp Mißfelder. Bitte schön, Kollege Philipp Mißfelder. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Herr Präsident! Frau Kollegin Roth, zunächst einmal herzlichen Dank für die versöhnlichen Worte am Ende. – In dieser Debatte geht es auch um die Bilanzierung von vier Jahren erfolgreicher Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie einen Erfolg hier angesprochen haben, nämlich Tarabya und die dortigen Stipendiaten. Das ist etwas, worauf wir zu Recht stolz sein können. Wenn man auf die jetzige Situation der Türkei schaut, erkennt man, dass es wichtig war, diesen Schritt zu gehen. Es ist richtig, dass sich der Unterausschuss „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“ unter der Führung der Kollegen Gauweiler und Leibrecht, vor allem aber auch durch die Berichterstatter der einzelnen Fraktionen – ich nenne hier Frau Jochimsen, Frau Schmidt –, sehr engagiert. Es gibt aber noch viele andere, die sich da engagieren, wie zum Beispiel Claudia Roth. Auch aus unseren Reihen gibt es sehr viele, die in diesem Unterausschuss mit sehr viel Zeitaufwand und Herzblut arbeiten. Es ist einer der aktivsten Unterausschüsse. Ich sage in Richtung Auswärtiges Amt – dort haben wir mit Frau Staatsministerin Pieper jedoch eher eine Verbündete als jemanden, der bremst –, dass wir manche Dinge – dieser Hinweis muss erlaubt sein; Fifth Avenue in New York ist schon angesprochen worden – verhindert haben, die uns als Parlamentarier – und zwar über alle Parteigrenzen und Fraktionsgrenzen hinweg – nicht gefallen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD] und Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) Ich glaube, wenn wir hier bilanzieren, können wir sagen: Tarabya und die Stärkung der Bedeutung der deutschen Sprache im Ausland insbesondere in Form der Stärkung der Goethe-Institute – letztendlich ging es dabei auch um das Goethe-Institut in Amerika – waren ein Riesenerfolg. Ich möchte auf die grundsätzliche Ausrichtung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zurückkommen. Natürlich gibt es – Frau Roth hat es angesprochen – in der Außenpolitik nie nur Schwarz und Weiß. Auch unter Rot-Grün bzw. dem grünen Außenminister Joschka Fischer sind schwierige und schwerwiegende Entscheidungen zu Rüstungsexporten gefällt worden. Es gibt eben sehr viele Grauflächen, wenn man sich die Partnerschaften zu manchen Ländern – sei es Saudi-Arabien oder sei es Russland – anschaut. Da gibt es viele Bereiche, wo man an die Grenzen einer wertegebundenen Außenpolitik stößt. Ich finde aber, dass die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik insgesamt ein leuchtendes Beispiel dafür ist, wie wichtig es auch für eine exportorientierte Nation bzw. Industrienation ist, Geldmittel nicht nur im Hinblick auf einen direkten Nutzen zu bewerten. Vielmehr haben wir es geschafft, zu sagen: Das ist uns der Ausbau der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik wert. Rainer Stinner hat es angesprochen: Das gehört zur Erfolgsbilanz dieser Regierung. Wir messen den Erfolg nicht daran, wie hoch der Return on Investment in Euro und Cent ausgedrückt ist. Wir wollen vielmehr unsere menschenrechtsbasierte Außenpolitik auch dadurch stärken, dass die Kulturnation Deutschland eine angemessene Repräsentanz im Ausland hat. – Das zeigt Wirkung. Dass die Auswärtige Kulturpolitik in den letzten Jahrzehnten von Erfolg gekrönt war, sehen Sie auch daran, dass die BBC – sie steht nun wirklich nicht im Verdacht, besonders deutschlandfreundlich zu berichten – gemäß ihrer Umfrage sagt, dass das Deutschlandbild in den letzten Jahrzehnten positiver geworden ist. Im Zuge der Finanz- und der Euro-Krise erleben wir viele Demonstrationen, auf denen gegen die Bundesregierung bzw. die Bundesrepublik demonstriert wird. Dagegen spiegeln die statistischen Erhebungen, die es dazu gibt, wider, dass das Ansehen Deutschlands im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten gewachsen ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich glaube, dass das nicht nur an Deutschlands wirtschaftlicher Stärke liegt, sondern auch daran, dass wir im Ausland – durch unsere Diplomatinnen und Diplomaten sowie durch unsere Entwicklungshelfer, vor allem aber auch dadurch, dass wir eine sehr konsequente Strategie haben, was die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik angeht – eine hervorragende Repräsentanz haben. Ich finde, es war bei der Debatte gerade ein wenig schade, dass es zu einem Schlagabtausch meines geschätzten Kollegen Stinner mit der Kollegin Roth kam. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit der geschätzten Kollegin Roth!) Der Kollege Stinner hat nur daran erinnert, dass man die Regierung ruhig loben kann. Das folgte dann auch prompt am Schluss der Ausführungen von Frau Roth. In der Tat sollten wir – wir stellen hier ja die Lobby der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik im Deutschen Bundestag dar – in den eigenen Fraktionen mehr für unseren Bereich werben. Wir sollten versuchen, dort mehr Gehör zu finden als zu versuchen, den Kulturpolitiker der Gegenseite zu überzeugen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Frontverlauf ist hier – das muss man an der Stelle einfach so sagen – etwas komplizierter als bei anderen Themen. Insofern möchte ich mich bei Frau Pieper, nachdem sie im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des Auslandsschulgesetzes eine sehr schwierige Zeit hatte, dafür bedanken, dass sie sich so beharrlich – Herr Dr. Gauweiler hat es gesagt – gegen das Biotop der Bürokratie und der Administration durchgesetzt hat. Jetzt kommt das Auslandsschulgesetz. Es kommt nicht so, wie wir es ursprünglich gerne gehabt hätten; aber es wurde weitaus mehr erreicht, als manch einer angesichts der Ausgangssituation gedacht hat. Deshalb, Frau Pieper, ein großes Kompliment für Ihre Beharrlichkeit und ganz herzlichen Dank für Ihren großartigen Einsatz, den Sie an den Tag gelegt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Jetzt liegt es natürlich an uns, das Ganze mit mehr -finanziellen Mitteln auszustatten. Ich bin an einer Stelle anderer Meinung als Claudia Roth: Ich bin schon der Meinung, dass wir eine Kooperation mit der Industrie und mit der deutschen Wirtschaft brauchen. Allerdings sollte diese Kooperation anders als von Frau Roth vorgesehen sein: Es kann nicht sein, dass die Räumlichkeiten für Auslandsschulen genutzt werden, um Mitarbeiter anzuwerben. Ich verweise nur auf das wirklich bestürzende Beispiel der deutschen Schule in Singapur. Deutsche, die dort leben und deren Kinder diese Schule besuchen sollen, fragen den Personalvorstand des Konzerns, für den sie arbeiten: Was geschieht eigentlich im Versetzungsfall mit meinen Kindern? Wird es in Singapur weiterhin eine deutsche Schule geben? Darauf antwortet der Personalvorstand jedes großen DAX-Unternehmens: Na klar; Singapur hat eine hervorragende deutsche Schule. – Wenn es allerdings nachher darum geht, diese Liegenschaft zu bezahlen, dann kommt der Ruf aus der deutschen Wirtschaft: Das soll gefälligst die Politik machen. Ich verweise darauf, dass die Preise in Singapur – das ist ein Sonderfall – einfach utopisch sind. Damit wäre der Staat bis zu einem gewissen Maße überfordert. Deshalb rufe ich der deutschen Wirtschaft zu: Wenn Sie mit der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik schon hausieren gehen, dann beteiligen Sie sich auch in einem höheren Maße an der Finanzierung von solchen Maßnahmen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir müssen mehr Geld aus der Wirtschaft für das deutsche Auslandsschulwesen mobilisieren. Der Staat soll sich da nicht zurückziehen. Ich bin für mehr Ausgaben des Staates in diesem Punkt. Ich stimme Herrn Dr. Gauweiler zu, wenn er sagt, dass wir für manch anderes schon leichtfertiger Geld ausgegeben haben, als wir es in diesem Fall getan hätten, wenn wir es nicht wegen der großen Bedenken verhindert hätten. Aber ganz aus der Verantwortung dürfen wir die Wirtschaft an dieser Stelle nicht lassen, weil sie ein vitales Interesse daran hat, dass Deutsche im Ausland, aber auch andere unabhängig von ihrer Einkommensstruktur ihre Kinder auf eine deutsche Schule schicken können. Es darf nicht sein, dass deutsche Auslandsschulen Finanzeliteschulen werden; (Beifall der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]) vielmehr müssen es sich auch Facharbeiter, die sich im Ausland befinden, und andere leisten können, ihre Kinder dorthin zu schicken. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]) Das ist ein klares Bekenntnis. Dem gerecht zu werden, daran arbeiten wir mit der Novellierung des Auslandsschulgesetzes. Wir müssen in der nächsten Legislaturperiode etwas für eine bessere -finanzielle Ausstattung tun. Das Engagement, gegenüber den Haushaltspolitikern um mehr Verständnis zu werben, muss fortgesetzt werden. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort jetzt die Kollegin Frau Professor Monika Grütters für die CDU/CSU-Fraktion. Monika Grütters (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Schmidt, Ihre Behauptung, es habe in der Auswärtigen Kulturpolitik einen Paradigmenwechsel gegeben, wird nicht deshalb wahrer, weil Sie ihn hier immer wieder lautstark beschwören. Schauen Sie doch besser einmal genau hin! Frau Pieper hat es erwähnt: Wir haben in der vergangenen Woche auf der Biennale in Venedig – sie ist immer noch ein Parcours der Nationen – eine weltweit beachtete Premiere gefeiert, als ausgerechnet wir, die Deutschen, es waren, die ihren angestammten Platz nicht nur in Venedig, sondern sinnbildlich auch in der Kunstwelt insgesamt zur Verfügung gestellt haben, unsere eindeutige Verortung tatsächlich infrage gestellt haben, uns freigemacht haben, uns der Welt geöffnet haben und den Tausch des Pavillons mit den französischen Freunden und Nachbarn möglich gemacht haben. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das ist ein schlechtes Beispiel!) – Nein, das ist kein schlechtes Beispiel, sondern eine schöne Symbolik, und das nicht nur für Venedig und auch nicht nur im 50. Jahr nach Abschluss des Élysée-Vertrages; das ist vielmehr ein eindeutiges Statement der Kulturpolitik einer Kulturnation wie Deutschland. Ich denke, dass wir mit diesem ganz besonderen Auftritt in Venedig auch gezeigt haben, was unser Selbstverständnis als Kulturnation am Beginn des 21. Jahrhunderts ist, wofür im Übrigen auch ein Projekt wie das Humboldt-Forum steht, dessen Grundstein wir in der kommenden Woche legen wollen. Da möchten wir auf dem zentralen Platz der Republik im stadträumlichen Bezug zu unserer eigenen Kulturgeschichte den außereuropäischen Kulturen die Möglichkeit zu einer selbstbestimmten Präsentation ihrer Tradition in Deutschland geben. Ich glaube nicht, dass eine andere Nation der Welt zu solch einer Geste und zu solch einem starken Statement in der Lage wäre. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Jeder von uns – das gilt auch für jemanden wie Claudia Roth oder Frau Schmidt oder Frau Jochimsen – hat einmal Fremdheits-, Minderheits- oder Diasporaerfahrungen gemacht. Ich glaube, die werden nirgendwo so sehr aufgehoben wie in der Kultur. Gerade Museen sind Orte, die jedem offenstehen. Genau das beziehen wir im Ausland und auch hier zu Hause ganz systematisch in unsere Arbeit mit ein. Frau Jochimsen, das Beispiel „American German -Forum“ in New York hat gezeigt, dass auch wir der Meinung sind, dass Kultur nicht nur ein Standort- oder Wirtschaftsfaktor ist, sondern Auskunft über unsere Wertegrundlagen geben soll und Ausdruck von Humanität ist. Deshalb haben wir maßgeblich dafür gesorgt, dass neu darüber nachgedacht wird. Dass der Etatansatz der höchste ist, den es jemals gegeben hat – mit 1,4 Milliarden Euro liegt er sogar über dem, was der Bund zu Hause ausgibt, nämlich 1,3 Milliarden Euro –, ist ein deutliches Signal. Frau Roth, ich wende mich noch einmal an Sie. Rot-Grün hat in vier Jahren elf Goethe-Institute geschlossen. Wir haben die Standorte Zypern, Myanmar, Afrika und China gestärkt. Wir haben uns Tarabya ausgedacht. Wir haben das zäh auch gegen eine schwierige Administration durchgesetzt. (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach komm, Monika! Jetzt keine Geschichtsklitterung! Wir zusammen!) – Wir haben das gemeinsam gemacht, aber die Initiative kam aus der Großen Koalition. Es wurde in der laufenden Legislaturperiode von dieser bürgerlichen Koalition mühsam genug durchgekämpft, die deutsch-türkischen Beziehungen zu stärken, weil wir wissen, was wir da versäumt hatten. (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Wir sind auch bürgerlich!) Sie wissen, dass wir mit der großen Aufklärungsausstellung in China eine halbe Million Menschen erreicht haben. Dadurch haben wir gezeigt, dass wir Museumspolitik nicht statt, sondern im Dienste der Menschenrechte machen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Gerade in schwierigen, hermetischen Gesellschaften – liebe Claudia Roth, das wissen Sie genauso gut wie wir – erreichen wir die Zivilgesellschaft viel besser über die Kultur als mit politischen Maßnahmen. Wir haben einen Lesesaal in Nordkorea eingerichtet, in Afghanistan die Mädchenschulen. In Teheran haben wir die Verträge mit DAAD und DAI wieder unterschrieben. In Vietnam haben wir den Parzifal mit Schauspielern von dort aufgeführt. Das wäre vor kurzem noch nicht einmal denkbar gewesen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Wir alle sind nicht so naiv, zu glauben, dass wir damit auch nur einem einzigen Funktionär den Kopf verdrehen könnten. Aber für die Menschen, die unter den Restriktionen leiden, sind derartige Angebote Deutschlands im Ausland der einzige Hoffnungsschimmer. Deutschland hat in den vergangenen Jahrhunderten selbst durch Zuwanderung und Integration seine Prägung als europäische Kulturnation erfahren. Integration, auch hier zu Hause – das sage ich, weil einer der Vorredner erwähnt hat, dass wir auch etwas empfangen möchten –, wäre ohne Kultur nicht möglich. Unsere hiesige Kultur ist in ihrer stilistischen Vielfalt und der Fülle ihrer Ausdrucksformen auch das Resultat der zahlreichen Einflüsse anderer Kulturen und wäre anders nicht denkbar. Politik, Wirtschaft, Diplomatie, sie alle sind wichtig. Aber was wären sie ohne die Kultur? Kultur ist der Modus unseres Zusammenlebens. Sie können wir genauso wenig bestimmen, auch nicht durch Politik, weder hierzulande noch draußen, wie unsere Sprache. Sie war immer schon da. Deshalb kann man Kunst und Kultur auch nicht instrumentalisieren. Sie ist mehr als alles andere ein Wert an sich. Sie ist das Wie einer Gesellschaft, einer Gemeinschaft, nicht das Was. Genau diesem Bewusstsein folgt auch unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Wir alle, auch Sie von der Opposition, sind gut beraten, dieses Prinzip niemals aus den Augen zu verlieren. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12052 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten, die gestern aufgrund der Aufhebung der Sitzung nicht mehr behandelt wurden. Ich rufe zunächst noch einmal die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes von Apotheken (Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz – ANSG) – Drucksache 17/13403 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – Drucksache 17/13769 – Berichterstattung: Abgeordneter Michael Hennrich – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/13771 – Berichterstattung: Abgeordnete Alois Karl Ewald Schurer Otto Fricke Roland Claus Katja Dörner b) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften – Drucksache 17/13083 – – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften – Drucksache 17/13404 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) – Drucksache 17/13770 – Berichterstattung: Abgeordneter Michael Hennrich c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellen – Drucksachen 17/12847, 17/13770 – Berichterstattung: Abgeordneter Michael Hennrich Tagesordnungspunkt 8 a. Den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Sicherstellung des Notdienstes von Apotheken auf Drucksache 17/13081 haben wir gestern angenommen. Ich komme deshalb jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes von Apotheken. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13769, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13403 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 8 b. Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13770, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 17/13083 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und der Linken bei Enthaltung der Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Schriftführer an den Plätzen? Ich bitte um Bestätigung. – Ich eröffne die Abstimmung und bitte, die Stimmkarten einzuwerfen. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimmkarte noch nicht eingeworfen hat? – Letzter Aufruf! – Dann schließe ich den Wahlgang und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1 Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte, Platz zu nehmen, damit ich hier den Überblick behalten kann. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13770, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/13404 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 8 c. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13770 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12847 mit dem Titel „Versorgung mit Arzneimitteln sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen SPD und Linke bei Enthaltung der Grünen. Jetzt werde ich eine große Zahl von Tagesordnungspunkten aufrufen, die wir alle abarbeiten müssen, zu denen aber keine Aussprache vorgesehen ist. Die Reden werden zu Protokoll genommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Mast, Anette Kramme, Gabriele Lösekrug-Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Sofortprogramm „2. Chance auf Berufsausbildung“ für junge Erwachsene ohne Berufsabschluss – Fachkräfte von morgen ausbilden – Drucksache 17/13252 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Die Reden werden zu Protokoll genommen.2 – Damit sind Sie sichtlich einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13252 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Anette Hübinger, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Martin Neumann (Lausitz), Dr. Peter Röhlinger, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung durch kontinuierliche Impulse des Bundes konsequent weiter vorantreiben – Drucksache 17/12845 – b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Marianne Schieder (Schwandorf), Ulla Burchardt, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frauen in Wissenschaft und Forschung – Mehr Verbindlichkeit für Geschlechtergerechtigkeit – Drucksachen 17/9978, 17/12365 – Berichterstattung: Abgeordnete Anette Hübinger Marianne Schieder (Schwandorf) Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dr. Petra Sitte Krista Sager Auch hier gehen die Reden zu Protokoll.3 Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/12845. Wer stimmt für diesen Antrag? – Die Antragsteller. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und der Grünen bei Enthaltung der Linken. Tagesordnungspunkt 12 b. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12365, den Antrag der Fraktionen der SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9978 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 d sowie Zusatzpunkt 9 auf: 15 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Rüstungsexporte als Instrument der Außenpolitik – Exportverbot jetzt durchsetzen – Drucksachen 17/10842, 17/12654 – Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Barthel b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Da?delen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Alle Waffenexporte des Oberndorfer Kleinwaffenherstellers verbieten – Drucksachen 17/4677, 17/4900 – Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Hempelmann c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Lieferung von U-Booten an Israel stoppen – Drucksachen 17/9738, 17/10150 – Berichterstattung: Abgeordnete Ingo Gädechens Rainer Arnold Christoph Schnurr Inge Höger Omid Nouripour d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz Rudolf Körper, Klaus Barthel, Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Markierung deutscher Klein- und Leichtwaffen – Drucksache 17/11875 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Katja Keul, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern – Demokratische Proteste unterstützen – Drucksachen 17/13489, 17/13763 – Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz Auch hier gehen die Reden zu Protokoll.4 Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Keine Rüstungsexporte als Instrument der Außenpolitik – Exportverbot jetzt durchsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12654, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10842 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen. Tagesordnungspunkt 15 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem -Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Alle Waffenexporte des Oberndorfer Kleinwaffenherstellers verbieten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/4900, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4677 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 15 c. Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Lieferung von U-Booten an Israel stoppen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10150, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9738 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dieser Beschlussempfehlung haben die Koalitionsfraktionen und die SPD zugestimmt, die Linken haben widersprochen, und die Grünen haben sich enthalten. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/11875 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt kommen wir zum Zusatzpunkt 9. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern – Demokratische Proteste unterstützen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13763, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13489 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt – Drucksache 17/12814 – – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt – Drucksachen 17/13062, 17/13391 – Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – Drucksache 17/13774 – Berichterstattung: Abgeordnete Ingrid Fischbach Caren Marks Miriam Gruß Yvonne Ploetz Katja Dörner – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/13775 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Rolf Schwanitz Dr. Florian Toncar Roland Claus Sven-Christian Kindler b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch den Deutschen Ethikrat Stellungnahme des Deutschen Ethikrates – Das Problem der anonymen Kindesabgabe – Drucksachen 17/190, 17/13774 – Berichterstattung: Abgeordnete Ingrid Fischbach Caren Marks Miriam Gruß Yvonne Ploetz Katja Dörner Auch hier sollen die Reden zu Protokoll genommen werden.5 Es gibt allerdings einige persönliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung. Diese werden zu Protokoll genommen.6 Tagesordnungspunkt 14 a. Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13774, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/12814 sowie den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/13062 und 17/13391 zusammenzuführen und in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 14 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu der Unterrichtung durch den Deutschen Ethikrat mit dem Titel „Stellungnahme des Deutschen Ethikrates – Das Problem der anonymen Kindesabgabe“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13774, die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates auf Drucksache 17/190 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 17: Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aufnahme afghanischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeswehr in Deutschland – Drucksache 17/13729 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Verteidigungsausschuss Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Auch hier werden die Reden zu Protokoll genommen.7 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13729 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes – Drucksache 17/12957 – Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) – Drucksache 17/13558 – Berichterstattung: Abgeordnete Anita Schäfer (Saalstadt) Karin Evers-Meyer Burkhardt Müller-Sönksen Harald Koch Katja Keul Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Reden werden zu Protokoll genommen.8 Wir kommen zur Abstimmung. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13558, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12957 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Die, die zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13772. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von SPD und Grünen und Enthaltung der Linken. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13773. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit gleichem Stimmenverhältnis abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses (5. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer (Altötting), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Martin Gerster, Dagmar Freitag, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Joachim Günther (Plauen), Dr. Lutz Knopek, Hans-Werner Ehrenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Daniela Wagner, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren – Drucksachen 17/13091, 17/13092, 17/13372 – Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Martin Gerster Dr. Lutz Knopek Katrin Kunert Viola von Cramon-Taubadel Die Reden gehen zu Protokoll. Eberhard Gienger (CDU/CSU): Am 12. Februar hat die IOC-Exekutive den Tradi-tionssport Ringen vorerst aus dem Programm für die Olympischen Spiele ab dem Jahr 2020 genommen. Seitdem hat dieser Schritt nicht nur in Deutschland für viel Bewegung innerhalb des Sports, der Gesellschaft und auch der Politik geführt. Nach Initiative meines Kollegen Karl A. Lamers befassen wir uns heute im Deutschen Bundestag mit dieser Entscheidung des IOC. Die Entscheidung, das Ringen vorerst aus dem Programm zu nehmen, hat das IOC nicht aus heiterem Himmel getroffen. Offensichtlich hatte der Ringerweltverband FILA den Anforderungskatalog des IOC für eine olympische Disziplin nur ungenügend erfüllen können oder wollen. Obwohl der Beschluss für die vielen Sportler bitter ist und er in seiner Konsequenz viele – mich eingeschlossen – doch überrascht hat, so müssen wir bei der Bewertung dieser Entscheidung festhalten, dass es auch Fehler aufseiten des Ringerweltverbandes gab. Die betroffenen Sportler weltweit und auch den Deutschen Ringer-Bund möchte ich von dieser Kritik ausdrücklich ausnehmen. In der Konsequenz müssten sie jetzt aber für Versäumnisse ihres Weltverbandes büßen, wenn der Status als olympische Disziplin endgültig verloren ginge. Neben den Defiziten auf der Ebene des Weltverbandes spielte meiner Ansicht nach bei der Entscheidung des IOC gegen das Ringen aber noch etwas anderes eine große Rolle, was sich am besten mit dem Wort „Zeitgeist“ beschreiben lässt. Gerade durch seine Tradition und sein Alter könnte das Ringen gefährdet sein. Heutige Sportgroßveranstaltungen werden immer mehr nach den Bedingungen „höher, schneller, weiter“ ausgelegt. Manchem erscheint der pure Zweikampf beim Ringen ohne trendiges Sportgerät nicht mehr dem Zeitgeist zu entsprechen. Im Ergebnis besteht dann die Gefahr, dass am Ende die Inszenierung und die Show im Vordergrund stehen und nicht mehr der sportliche Wettkampf. Die Frage – aufgrund derer wir auch heute hier zusammengekommen sind – ist, ob wir das wirklich wollen. Meine Antwort ist auf jeden Fall ein klares Nein. Schon in der Antike war das Ringen eine Kerndisziplin, und es gehört heute zum kulturellen Erbe der Olympischen Spiele. Bedauerlich finde ich, dass man dem IOC nach der momentanen Herausnahme des Ringens aus dem olympischen Programm nun zumindest vorwerfen kann, es würde diesem modernen Zeitgeist hinterherlaufen und deshalb lieber Sportarten ins Programm aufnehmen, die sich scheinbar besser vermarkten lassen und somit moderner erscheinen. Dass diese Entscheidung zulasten einer der ältesten Sportarten der olympischen Bewegung gehen könnte, ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar und falsch. Mit dem Ende des Ringens bei den Spielen würde – meiner Meinung nach – ein Stück der olympischen Idee verloren gehen. Der vermeitliche Zeitgeist darf sich bei Olympischen Spielen nicht nur m Preis der Vermarktungsrechte einer Sportart messen lassen. So perfekt durchorganisiert die Spiele heutzutage auch sein mögen, so gehören doch auch die Traditionen der antiken Olympischen Spiele dazu, und das Ringen verdeutlicht diese Idee seit mehr als 2 000 Jahren. Natürlich sind die Begriffe „olympische Idee“ und „Bewegung“ sehr verklärt. In der Realität, und das wissen wir alle, sind Olympische Spiele eines der am besten durchorganisierten und vermarkteten Ereignisse weltweit mit Milliardenumsätzen. Aber gerade diese etwas verklärte Vorstellung eines Ausfechtens von Wettkämpfen nach klaren Regeln in den unterschiedlichsten Disziplinen ist es doch, die die Menschen an Olympischen Spielen so begeistert. -Einen sehr großen Beitrag zu dieser Faszination Olympia leisten die antiken Sportarten mit ihrer Tradition und Geschichte. Sie sind ein Grund dafür, dass wir die Spiele nicht nur als monumentale Vermarktungsmaschine von Sponsoren wahrnehmen, sondern als Wettkampf der Nationen. Ein Ausschluss des Ringens – als eine dieser ursprünglichen Sportarten – würde dem Bild, welches Olympische Spiele in der Öffentlichkeit noch immer vermitteln, Schaden zufügen. Ich glaube, dass es genau dieser Punkt ist, der zu dem seltenen Ereignis geführt hat, dass sich alle Fraktionen der im Bundestag vertretenen Parteien hier im Ziel einig sind. Dieses Ziel ist der klare Wunsch, Ringen weiterhin bei Olympischen Spielen im Programm zu sehen. Dem IOC muss bewusst sein, dass in 180 Ländern gerungen wird, dass bei den Spielen 2012 in London Athletinnen und Athleten aus 71 Ländern diesem Sport nachgingen. Ringen gehört ganz selbstverständlich zum Programm bei den Commonwealth-Spielen, bei den Asienspielen, der Maccabiade und den All -Africa Games. Die Ringer sind seit der Entscheidung des IOC im Februar alles andere als untätig gewesen. In den letzten Monaten haben sie viele der an sie gerichteten Forderungen erfüllt und sich neben einer neuen Verbandsstruktur auch vielen Kritikpunkten an ihrem Sport gewidmet. Sie haben die für die Zuschauer schwer verständlichen Regeln reformiert, eine Athletenkommission in Entscheidungen des Weltverbandes eingebunden und setzen verstärkt auf Frauen in ihrem Sport. Ringen vertritt in vorbildlicher Weise die Grundprinzipien des Sports. Es verbindet, überbrückt Gräben, bringt Menschen zusammen. Ringer vertreten die im Sport so wichtigen Werte wie Fairplay, Toleranz, Verantwortung und Respekt. Davon konnte man sich Anfang Mai in New York überzeugen. Denn es sind derzeit wohl nur sehr wenige in der Lage, eine Zusammenarbeit zwischen den USA, dem Iran und Russland auf die Beine zu stellen. Dem Sport ist es – in Form eines gemeinsamen Turniers ihrer besten Ringer – innerhalb kürzester Zeit gelungen. Auch in Deutschland hat der Deutsche Ringer-Bund nach der Entscheidung des IOC eine ungeahnte Welle der Unterstützung erfahren und diese zum Beispiel für einen bundesweiten -Aktionstag auch genutzt. Über 100 000 Unterschriften sind zusammengekommen, um ein Zeichen gegen das drohende Ende des Ringens bei Olympischen Spielen zu setzen. Diese internationalen und nationalen Bemühungen haben erste Erfolge gezeigt, denn bei einem Treffen der IOC-Exekutive am 29. Mai wurde Ringen – neben Squash und Baseball – in den engeren Kreis der Sportarten aufgenommen, die 2020 bei den Olympischen Spielen dabei sein können. Die endgültige Entscheidung trifft die IOC-Vollversammlung am 10. September. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion appelliert an dieses Gremium, Ringen wieder ins Programm aufzunehmen. Die letzten Wochen und Monate haben -gezeigt, dass Ringen sehr wohl zum Zeitgeist der Gesellschaft gehört und weiterhin einen wichtigen Bestandteil der olympischen Idee darstellt. Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): Das olympische Ringen schien nach der Entscheidung der IOC-Exekutive im Februar dem Untergang geweiht. Ab 2020 sollte es nicht mehr Teil der olympischen Familie sein. Das wäre für diese Sportart einem Todesurteil nahegekommen. Aber: „Die Ringenden sind die Lebendigen.“ Das wusste schon Gerhart Hauptmann. Hauptmann hat das wahrscheinlich nicht auf das olympische Ringen bezogen, aber er lag gar nicht mal weit daneben. Die Ringerverbände haben reagiert und Leben gezeigt. Nachdem die IOC-Exekutive dem Sport mangelnde Attraktivität vorgeworfen hat und den Verbleib des Ringens im olympischen Programm zur Disposition stellte, hat der Ringerweltverband FILA einen bisher nicht gekannten Reformeifer gezeigt. Es wurden Strukturen und Regeln geändert, transparenter gestaltet und die Zugangsschwelle für Laien gesenkt. Damit ist deutlich geworden, dass die Ringer die Entscheidung der IOC-Exekutive als Warnschuss aufgefasst und entsprechend reagiert haben. Dieses Engagement wurde vergangene Woche belohnt: Am 29. Mai hat die IOC-Exekutive das Ringen gemeinsam mit Baseball/Softball und Squash auf die Shortlist für die Vergabe des derzeit freien Programmplatzes für die Spiele 2020 genommen. Die Reformen der FILA haben Wirkung gezeigt: Das olympische Ringen ist durchaus zukunftsfähig. So weit, so gut, könnte man jetzt meinen. Da hat sich der Sport doch selbst geholfen. Und manche fragen sich nun, warum sich die Politik jetzt dort noch einmischt und sich der Deutsche Bundestag überhaupt um die Zukunft einer einzelnen Sportart sorgen sollte. Auf diese berechtigte Frage muss man antworten, dass es hierbei um mehr als nur um eine Sportart geht. Ringen ist olympischer Ursport. Seit den ersten Spielen der Antike ist es fester Teil des Programms gewesen. Damit bildet Ringen einen Teil des Kerns des olympischen Wettbewerbs. So sehr ist das Ringen mit der Idee von Olympia verknüpft, dass es sogar in die olympische Hymne Einzug fand, ja gerade sogar explizit als Beispiel einer „edlen Kraft, die den edlen Spielen innewohnt“ bezeichnet wird. Diese Tradition sollte erhalten bleiben. Außerdem ist Ringen eine Urform des sportlichen Messens. Prinzipiell kann jeder ringen. Für diesen Sport braucht man – theoretisch – keine besondere Ausrüstung, kein zusätzliches Sportgerät. Es ist die klassische Sportart, die Körper gegen Körper einsetzt. Damit ist Ringen auch ein Sport, der kaum finanzielle Hürden aufbaut, sondern unabhängig von Herkunft und Hintergrund jedem offensteht. Und: Ringen gibt es auf jedem Kontinent und in fast jeder Kultur in irgendeiner Form. Unter den ältesten Darstellungen von sportlichen Wettkämpfen sind Abbildungen von Ringern. Die kulturelle Bedeutung des Ringens lässt sich daran erkennen, dass es in unserer Sprache Synonym für den Einsatz für etwas, das jemandem wichtig ist, geworden ist. Sie lässt sich auch daran erkennen, dass bei den Spielen von London Athleten aus 29 Nationen Medaillen im Ringen gewannen. Das sind mehr Nationen, als in den meisten Sportarten überhaupt antreten. Durch Sport wird häufig etwas geschafft, das sonst kaum möglich scheint: eine Verbindung über Grenzen und Weltanschauungen hinweg zu schaffen. Die weite, interkulturelle Verbreitung und die niedrige materielle Schwelle des Ringens führen dazu, dass dies zu unerwarteten Partnerschaften führen kann. So hätte sich wohl kaum jemand träumen lassen, dass der Iran und die USA ein gemeinsames Ziel verfolgen und dazu friedlich kooperieren könnten. Aber vor einigen Wochen konnte man genau dies beobachten, als sich Ringer aus beiden Nationen in New York gegenüberstanden, um ihren Sport zu promoten. Umso unverständlicher muten die Gründe an, die das leitende Gremium des IOC anfangs für den möglichen Ausschluss genannt hat. Unter den entscheidenden Kriterien waren TV-Quoten, Zuschauerzahlen, -Ticketverkäufe, Verbreitung, Mitgliederzahlen und Attraktivität bei Jugendlichen. Dabei sind die olympischen Spiele doch gerade ein Forum für diejenigen Sportarten, die meistens abseits des Mainstreams existieren: für Sportarten, die nicht jedes Wochenende im Fernsehen zu sehen sind und deren Athletinnen und Athleten keine Millionengagen verdienen, für Sportarten, deren Strukturen auf das Engste mit den olympischen verknüpft sind, für Sportarten, in denen der Amateurcharakter des Olympioniken widergespiegelt wird. Es gilt, solche Sportarten davor zu bewahren, gänzlich in der Versenkung zu verschwinden und komplett aus der Öffentlichkeit verbannt zu werden. Wenn wir uns als Gesellschaft nicht für die klassischen olympischen Sportarten einsetzen, wenn wir zulassen, dass Strukturen zusammenbrechen, wird zwangsläufig eine Vielfalt verloren gehen, um die es schade wäre. Eventuell denken manche unter Ihnen – und sicher auch unter den Bürgerinnen und Bürgern, die wir hier repräsentieren –, dass man doch dem freien Markt seinen Lauf lassen soll. Wenn sich die Zuschauerinnen und Zuschauer mehr für andere Sportarten interessieren, hat das Ringen eben Pech. Ich warne aber davor, dieser Argumentation zu folgen. Denn nach ihrer Logik wäre beispielsweise auch der Einsatz für den Erhalt von Theatern infrage zu stellen, da mehr Leute ins Kino gehen. Trotzdem setzen wir uns für deren Erhalt ein, damit künftige Generationen die Möglichkeit haben, eine möglichst große Vielfalt kulturellen Lebens kennenzulernen. Ebenso sollte es im Sport sein: Es gibt Sportarten, die populärer sind, als es das Ringen ist. Das steht außer Frage. Aber diese Sportarten haben viel mehr Möglichkeiten, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren und für sich zu werben. Als Mitglied des Programmausschusses eines öffentlich-rechtlichen Senders kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung versichern, dass dem so ist. Ich bitte trotzdem auch darum, diesen Antrag nicht als Votum gegen andere Sportarten zu betrachten. Die beiden verbliebenen Wettbewerber des Ringens, Baseball/Softball und Squash, sind großartige Sportarten, die jede das olympische Programm, sollte die IOC-Hauptversammlung im September sich entsprechend entscheiden, enorm bereichern werden. Deswegen haben wir die Forderungen dieses Antrags ganz bewusst so formuliert, wie sie Ihnen jetzt vorliegen: nicht als Wertung einzelner Sportarten, sondern als unseren Beitrag zur Befähigung der Ringerverbände auf allen Ebenen, die notwendigen Reformen anzugehen und sich ihre Zukunft zu erkämpfen. Eines muss ich aber an dem vorliegenden Antrag kritisieren, und zwar, dass eine Fraktion von ihm ausgeschlossen wurde. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie haben aus diesem Grund einen wortgleichen Antrag eingebracht. Damit haben Sie versucht, die Intention des Antrags zu unterstützen, wofür Ihnen Anerkennung auszusprechen ist. Ich hätte es sehr begrüßt, wenn es uns gelungen wäre, über Fraktionsgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Aber dies zeigt, wie hartnäckig sich manche Traditionen halten. Hoffen wir, dass sich die Tradition des olympischen Ringens ebenso hartnäckig hält. Dr. Lutz Knopek (FDP): Wir alle haben die Empfehlung der Exekutive des Internationalen Olympischen Komitees zur Kenntnis genommen, die traditionelle Sportart Ringen aus dem olympischen Programm ab 2020 auszuschließen, und wir alle haben uns für einen überfraktionellen Antrag entschieden, der das Ringen vor diesem Schicksal bewahren soll. Die Gründe der IOC-Exekutive für diese Entscheidung sind im Einzelnen nicht bekannt, und auch im Sportausschuss des Deutschen Bundestages gab es leider keine Stellungnahme der deutschen Vertreter aus dem Exekutivkomitee. Im September 2013 wird das IOC abschließend über den Verbleib oder den Ausschluss der Traditionssportart Ringen entscheiden. Unter der Beachtung der Autonomie des Sports bleibt uns Sportpolitikern nur, die Bundesregierung aufzufordern, sich für die Erarbeitung von Lösungsmöglichkeiten einzusetzen, weiter zwischen den zuständigen Stellen zu vermitteln sowie den internationalen Reformprozess im Ringen beratend zu begleiten. Wir hoffen sehr, dass wir heute, neben anderen Staaten wie den USA oder Russland, bei den Entscheidern des IOC Gehör finden, unsere Argumente überzeugen und der drohende Ausschluss noch abgewendet werden kann. Neben der Tatsache, dass Ringen zum kulturellen Erbe der Olympischen Spiele der Antike gehört, welches es grundsätzlich zu schützen gilt, erfährt Ringen noch heute in vielen anderen Ländern große Aufmerksamkeit, sei es im Spitzen- oder Breitensport. In den asiatischen und osteuropäischen Ländern ist es sogar ein Volkssport. In Deutschland hat das Ringen seit vielen Jahren eine abnehmende Bedeutung, trägt aber aufgrund der hohen Anziehungskraft bei verschiedenen Zuwanderungsgruppen zur gesellschaftlichen Integration bei. Selbstverständlich hatte das IOC Gründe, es zu dieser Androhung eines Ausschlusses kommen zu lassen. Unter anderem wurden Fehler und eine nachlässige Kooperation des Internationalen Ringer-Bundes, FILA, als Gründe genannt. Mit den angekündigten Reformbestrebungen und den ersten eingeleiteten Veränderungen des Ringerbundes auf Internationaler Ebene zeigt dieser deutlich, dass er seine Fehler erkannt hat und die Warnung des IOC ernst nimmt. Wir hoffen sehr, dass es ihm gelingt, seine eigene Position sachlich zu stärken und sich zeitgemäß weiterzuentwickeln, um sich jetzt, aber auch in Zukunft an den aktuellen Standards der Sportentwicklung messen zu lassen. Ich hoffe sehr, dass das Ringen durch unseren interfraktionellen Antrag die nötigen Reformen umsetzen kann und ein Ausschluss aus dem olympischen Programm ab 2020 doch noch abgewandt werden kann. Die modernen Olympischen Spiele haben bewusst an die Tradition der Antike angeknüpft. Wir müssen also aufpassen, dass die Olympischen Spiele der Zukunft nicht zu einem Ort ständig wechselnder, beliebiger Trend- und Funsportarten werden. Katrin Kunert (DIE LINKE): Der Kampf für den Verbleib des Ringens im olympischen Programm geht in die letzte Runde. Im September wird in Buenos Aires entschieden, welche der Sportarten, die das „Finale der letzten drei“ erreicht haben, auch nach 2016 olympisch bleibt – ein Hoffnungsschimmer für die Tradition und gegen den trendigen Markt. Dass es zu diesem Zittern kommen musste, bleibt allerdings nach wie vor unverständlich. Welche bösen Geister haben die Exekutive des Internationalen Olympischen Komitees, IOC, geritten, als sie im Frühjahr eine Sportart aus dem Programm kegeln wollten, die schon in der olympischen Hymne besungen wird? Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Erwarteten die Funktionäre von modernen Trendsportarten, die sich insbesondere in Asien großer Beliebtheit erfreuen, Gewinne am ständig wachsenden Markt in Fernost? Die Intransparenz, die über den meisten Entscheidungen des großen internationalen Sports schwebt, ist auch diesmal nur schwer zu erhellen. Das IOC weigert sich nach wie vor, den Kriterienkatalog öffentlich zu machen, der anfangs noch das Aus für das Ringen festschreiben sollte. Geheimbünden ähnlich treffen IOC, aber auch die FIFA Entscheidungen hinter verschlossenen Türen, die eigentlich von großem öffentlichen Interesse sind. Das schadet dem Ansehen des Sports. Die Chancen der Ringer, im olympischen Programm zu verbleiben, sind gestiegen, seit sich eine ungewöhnliche Allianz zwischen Staaten gebildet hat, die ansonsten eher im diplomatischen Clinch liegen: USA, Russland und Iran kämpfen gemeinsam für ein Ziel. Ob aber dieser Kampf mit lauteren Mitteln geführt wird, bleibt erneut im Dunkeln. Der Einfluss des russischen Präsidenten auf den internationalen Sport scheint nach Medienberichten ein Ausmaß angenommen zu haben, das den Anforderungen an ein demokratisches Miteinander mitnichten gerecht wird. Aber dies passt zu den verkrusteten Strukturen der oligarchischen Systeme von IOC und FIFA. Neben kommerziellen Interessen geht es um Machtbedürfnisse, um -Posten und anscheinend auch oft um persönliche Bereicherung. Der Korruptionssumpf, den der amtierende Präsident des IOC trockenlegen wollte, ist immer noch tief. Es muss aber ein dringendes Bestreben auch des deutschen Sports sein, endlich mehr Transparenz in die Entscheidungen zu bringen. Das gilt nicht nur für die Vergabe von Sportgroßveranstaltungen; das gilt auch für Strukturentscheidungen und Personalfragen. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu wissen, wie Gelder fließen, welche Kriterien die Zukunft der Sportwelt bestimmen. Denn ohne Publikum ist der Sport als Ganzes tot. Der Überlebenskampf der Ringer macht jetzt offensichtlich, dass der Sport an etwas krankt. Nur eine grundlegende Kur, die mit tief verwurzelten Ursachen gründlich aufräumt, kann helfen. Ein bloßes Herumdoktern an den Symptomen greift zu kurz. Aber der Sport will autonom sein und muss sich also selber helfen. Der Politik sind eigentlich die Hände gebunden. Deshalb ist der Antrag aller Fraktionen zum Verbleib des Ringens im olympischen Programm auch nicht mehr als ein wohlgemeinter Appell. Der Sport als Beitrag zur Völkerverständigung liegt auch im politischen Interesse. Deshalb möchte ich abschließend noch einmal meine Verwunderung darüber kundtun, dass sich die Union bei einem unstrittig gemeinsamen Anliegen erneut geweigert hat, einen wirklich fraktionsübergreifenden Antrag zu verabschieden. Die Ausgrenzung der Linksfraktion an dieser Stelle ist – offen gesagt – ziemlich lächerlich. Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach dem ersten Schock des überraschenden Ausschlusses für die Zeit nach Olympia 2016 ist nun wieder etwas Ruhe eingekehrt bei den Ringerverbänden. Denn Ringen hat eine realistische Chance, sich neben den Sportarten Squash und Baseball/Softball wieder für eine Olympiaaufnahme zu empfehlen. Auch in meiner Fraktion wurde diskutiert, warum sich der Deutsche Bundestag in die Frage des Verbleibs und der Aufnahme von Sportarten ins Olympische Programm einmischen sollte. Denn es liegt ja ganz zweifellos ein Eingriff in die Autonomie des Sports vor, wenn ein fraktionsübergreifender Antrag mit dem Titel „Ringen vor dem Ausschluss aus dem olympischen Programm bewahren“ vom Deutschen Bundestag verabschiedet wird. In der Diskussion ist aber letztlich zum Tragen gekommen, dass die Frage auch eine große sportpolitische Bedeutung hat. Denn für den Ringersport in Deutschland ist es existenziell, ob man olympiazugehörig ist oder nicht. Die Zuwendungen des Bundes bemessen sich in erster Linie daran, ob man zu den olympischen Sportarten gehört. Die bisherige jährliche Förderung würde sich nach den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 mehr oder weniger ohne Übergangszeit von bisher circa 1 Million Euro auf einen Bruchteil reduzieren. Unabhängig von der Förderfrage würde ohne Olympiabezug eine entscheidende Motivation für den Nachwuchs im Leistungssport fehlen. Letztlich würden auch weniger Menschen im Breitensport ihren Platz auf der Ringermatte suchen. Ich erinnere auch an die internationale Dimension. Es gibt eine Sportallianz der Staaten Iran, Russland und USA, die in gemeinsamen bilderträchtigen Aktionen für einen Verbleib des Ringens bei Olympia geworben hat. In diesem Zusammenhang halte ich es für erwähnenswert, dass sich der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad beim Ringer-Weltcup in Teheran zusammen mit dem US-Team vor der amerikanischen Fahne gezeigt hat. Bedeutsamer als mancher Politikerbrief an das IOC ist es meiner Ansicht nach auch, dass im Mai in der New Yorker Grand Central Station bei einem Schaukampf der Ringer der USA und des Irans die iranische Nationalhymne gespielt wurde. Wir haben uns sehr bemüht, die deutschen IOC-Exekutivmitglieder Dr. Thomas Bach und Claudia Bokel zu einer Sitzung des Sportausschusses einzuladen, um dort aus erster Hand über die Gründe der Ausschlussentscheidung der IOC-Exekutive zu erfahren. Wir haben es sehr bedauert, dass es trotz mehrerer Terminvorschläge keine Zusage gab. Eine Rückkoppelung in den Deutschen Bundestag wäre sicher ein notwendiges Zeichen gewesen. Ich möchte einige Anmerkungen zur Situation des Internationalen Olympischen Komitees, IOC, machen. Als Veranstalter der Olympischen Spiele genießt das IOC in der Schweiz den Vereinsstatus und wird von Regierungen aller Staaten hofiert. Der Begriff „Olympia“ genießt in Deutschland einen gesetzlichen Markenschutz. Das IOC ist aus grüner Sicht längst ein Konzern des Sports und diktiert den Staaten eine Steuerbefreiung für sich selbst. Pierre de Coubertins im Jahre 1925 gestellte Frage nach der Zukunft von Olympia: „Markt oder Tempel? Sportsleute wählet!“ ist längst zugunsten des kommerziellen Marktes beantwortet. Eine entscheidende sportpolitische Frage der Zukunft ist daher für die grüne Bundestagsfraktion, ob die Politik ständig einem intransparenten Sportkonzern wie dem IOC mitsamt der internationalen Sportfachverbände hinterherläuft oder ob die demokratisch legitimierten Parlamente und Regierungen klare Regeln aufstellen. Denn der Weltsport hat längst kommerzielle Ausmaße angenommen, und der Anteil der durch Korruption, Doping und Wettmanipulation erreichten Marktanteile ist viel größer, als bisher bekannt ist. Wir Grünen haben beispielsweise mit einem Antrag zum Verhältnis von Sportgroßveranstaltungen und Menschenrechten einen zukunftsfähigen Vorschlag gemacht, und wir werden auch weiter kritisch nachhaken, wenn Regierungsvertreter und andere Politiker den Platz auf der Ehrentribüne einem kritischen Dialog mit Sportverbänden vorziehen. Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ringen war bereits bei den Olympischen Spielen der Antike eine der angesehensten Sportarten und steht seit Beginn der Olympischen Spiele der Neuzeit 1896 im olympischen Sportwettkampfkalender. Es ist daher nicht nachvollziehbar, Ringen aus dem Programm der Olympischen Spiele zu streichen. Ringen gehört zum Kernbestand der olympischen Disziplinen. Diese Ansicht hat Herr Minister Dr. Friedrich bereits im Februar dieses Jahres öffentlich vertreten, und er hat sich für einen Verbleib dieser olympischen Sportart eindringlich ausgesprochen. Die große Geschichte des olympischen Gedankens im traditionellen Wettbewerb weiterleben zu lassen, gerade das macht den Reiz der Olympischen Spiele aus. Die überraschende Entscheidung der Exekutive des Internationalen Olympischen Komitees, IOC, am 12. Februar 2013, die klassische olympische Sportart Ringen aus dem Programm für die Olympischen Sommerspiele 2020 zu streichen, stößt daher weltweit auf Unverständnis. Dabei kennt der Einsatz für die Sportart Ringen keine Grenzen: Selbst Staaten wie die USA, die Russische Föderation und der Iran setzen sich gemeinsam für den Erhalt des Ringens als olympische Sportart ein. So kämpften Ringer aus den USA, Iran und Russland in diesem Mai bei Schaukämpfen im alten New Yorker Bahnhof Grand Central miteinander und gemeinsam für die olympische Zukunft ihrer Sportart. Das IOC hatte unter anderem kritisiert, dass die Sportart Ringen zu unattraktiv sei, und Reformen gefordert. Der Internationale Ringer-Bund, FILA, hat inzwischen selbst Reformbedarf eingeräumt und erste Reformen auf einem Sonderkongress des Weltverbandes FILA am 18. Mai 2013 in Moskau verabschiedet. Ich hoffe sehr, dass der Internationale Ringer-Bund mit diesen Reformen überzeugen kann und dass eine Lösung gefunden wird, die der Bedeutung des olympischen Traditionssports Ringen gerecht wird. Ich gehe davon aus, dass sich hierfür alle nationalen wie internationalen Institutionen der Sportart Ringen einsetzen werden, um eine positive Entscheidung über den Verbleib der Traditionssportart Ringen im September 2013 auf der IOC-Vollversammlung in Buenos Aires zu erreichen. Das Bundesministerium des Innern, BMI, hat sich mit dem Deutschen Olympischen Sportbund, DOSB, in Verbindung gesetzt, um zu klären, ob und gegebenenfalls welche weitere Unterstützung seitens des BMI erfolgen kann, um den Verbleib des Ringens im olympischen Programm zu sichern. Auch am Rande der 5. UNESCO-Weltkonferenz der Sportminister vom 28. bis 30. Mai 2013 hat Herr Minister Dr. Friedrich persönlich in bilateralen Gesprächen für den Verbleib der Sportart Ringen im olympischen Wettkampfkalender geworben. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Sportausschusses auf Drucksache 17/13372. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13091. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13092 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist ebenfalls einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 20: Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Wicklein, Wolfgang Tiefensee, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bürokratieabbau optimieren – Mittelstands-orientierung stärken – Drucksache 17/13548 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Reden gehen zu Protokoll.9 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13548 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU – Drucksachen 17/13063, 17/13392 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/13556 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ulla Jelpke Josef Philip Winkler – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 17/13557 – Berichterstattung: Abgeordnete Stefanie Vogelsang Dr. Peter Danckert Dr. h. c. Jürgen Koppelin Roland Claus Katja Dörner b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Da?delen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE 60 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention – Handlungsbedarf auf nationaler und internationaler Ebene – Drucksachen 17/6095, 17/13564 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Daniela Kolbe (Leipzig) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ulla Jelpke Josef Philip Winkler Die Reden gehen zu Protokoll. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Auf europäischer Ebene ist zurzeit eine ganze Reihe von Richtlinien zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem in der Neufassung begriffen. Die von uns heute zu beschließende nationale Umsetzung der Neufassung der sogenannten Qualifikationsrichtlinie ist dabei bis zum 21. Dezember dieses Jahres vorzunehmen und somit noch vor der Bundestagswahl zu beschließen. Ich freue mich, dass trotz des nahenden Wahltermins die große Mehrheit der Fraktionen des Hauses diese Umsetzung mitträgt, die eine Reihe praktischer und häufig erbetener Verbesserungen im Bereich der Anerkennung von Drittstaatsangehörigen bringt. Es bleibt abzuwarten, ob dem nächsten Bundestag zum Beispiel bei der Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie ein ähnlich einhelliges Votum gelingt, wie es heute zu erwarten ist. Die breite Mehrheit für den Gesetzentwurf zeigt deutlich, dass die Koalitionsfraktionen sachgerechten Verbesserungen der Rechte von Flüchtlingen gegenüber aufgeschlossen sind und dies nicht ein Exklusivrecht der Opposition ist – anders, als von einigen gerne immer mal wieder behauptet wird. Der ebenfalls zu behandelnde Antrag der Linksfraktion zeigt dagegen im deutlichen Kontrast, wie man mit übertriebenen Maximalforderungen zwar Spezialinteressen bedienen kann, aber zur praktischen Gesetzgebungsarbeit in unserem Land wenig beiträgt. Dazu passt dann auch, dass die Linke sich als einzige Fraktion nicht dazu entschließen konnte, der Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie zuzustimmen. Für die Union gilt: Sinnvolle Regelungen mit Augenmaß sind mit uns immer zu machen – marktschreierische Forderungskataloge überlassen wir gerne anderen. Insgesamt ist der Umsetzungsbedarf aus der Neufassung der Qualifikationsrichtlinie allerdings eher gering, da unsere nationale Rechtslage weitestgehend bereits den Anforderungen der überarbeiteten Richtlinie entspricht. Im Kern haben wir insbesondere einige Verbesserungen im Bereich des Flüchtlingsschutzes und des subsidiären Schutzes vorgesehen sowie die Rechte von subsidiär Geschützten stärker an die Rechte von Flüchtlingen angeglichen und die Rechte von Familienangehörigen von international Geschützten erweitert. Bei den Verfolgungsgründen haben wir klargestellt, dass auch eine Verfolgung aus Gründen der „geschlechtlichen Identität“ zur Flüchtlingsanerkennung führen kann. Eine inländische Fluchtalternative, die Flüchtlingsanerkennung und subsidiären Schutz ausschließen könnte, haben wir auf solche Fälle beschränkt, in denen der sichere Landesteil gefahrlos -erreicht werden kann und eine Existenzgrundlage vorhanden ist oder aufgebaut werden kann. Das alles entspricht aber schon jetzt der Rechtsprechung in unserem Land. Die Angleichung der Rechte von subsidiär Geschützten und Flüchtlingen ermöglichen wir in Zukunft durch einen eigenständigen subsidiären Schutzstatus, der sich an Asylberechtigung und Flüchtlingseigenschaft orientiert, wie es auch das Bundesverwaltungsgericht gefordert hat. Dabei haben wir auch dafür -gesorgt, dass beide Gruppen zukünftig eine Aufenthaltserlaubnis nach derselben Vorschrift erhalten, um eine Angleichung bei den Folgerechten zu erreichen und damit auch bei den Leistungsgesetzen, wie zum Beispiel dem BAföG. Flüchtlinge bleiben weiterhin privilegiert bei der Dauer der Aufenthaltserlaubnis, der Aufenthaltsverfestigung und beim Familiennachzug. Die Verbesserung der Situation von Angehörigen von Flüchtlingen und subsidiär Geschützten erreichen wir durch eine Erweiterung des Familienschutzes, gemäß dem Modell des Familienasyls bzw. des Familienflüchtlingsschutzes, auf den subsidiären Schutz, und wir dehnen den Familienschutz auf Eltern von minderjährigen Kindern aus, was bisher nur in umgekehrter Richtung möglich war. Außerdem erweitern wir den Familienschutz noch auf minderjährige ledige Geschwister, auch wenn dies in der Praxis nur eine relativ kleine Zahl von bisher nicht erfassten Fällen betreffen dürfte, in denen kein eigener Schutzanspruch besteht. Wir weisen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Dublin-Verfahren die Aufgabe der Erfassung bei den sogenannten Aufgriffsfällen zu, in denen Ausländer im Inland angetroffen werden, die in einem anderen Dublin-Staat einen Asylantrag gestellt haben, aber eben nicht in Deutschland. Künftig kann das Bundesamt dadurch nach § 27 a und § 34 a Asylverfahrensgesetz Entscheidungen treffen, was bisher ohne Asylantrag in Deutschland nicht möglich war. Weiterhin schaffen wir mit dem Gesetzentwurf die Möglichkeit, gegen Überstellungen im Dublin-Verfahren innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe der Abschiebungsandrohung einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen. Diese kurze Frist ist sachgerecht, weil sie dem Geist der Grundgesetzänderung von 1993 entspricht, mit der wir – abgesichert in unserer Verfassung – erreichen wollten, dass Flüchtlinge, die bereits in einem Drittstaat vor Verfolgung sicher waren, dorthin auch sofort zurückkehren müssen. Schließlich verkürzen wir die Sperrfrist für Asylbewerber vor der Ausübung einer Beschäftigung im Bundesgebiet von bisher zwölf auf nun neun Monate und verringern dadurch die Abhängigkeit der Asylbewerber von öffentlichen Sozialleistungen, was zur Akzeptanz des Aufenthalts von Asylbewerbern in der Bevölkerung beitragen kann. Dieser Punkt wird in den Debatten zum Ausländerrecht immer wieder gerne vergessen: Wir müssen nicht nur dafür sorgen, dass die Rechte und Pflichten von zu uns kommenden Asylbewerbern und Flüchtlingen in einem ausgewogenen Verhältnis sind, sondern wir müssen auch für Akzeptanz in der Bevölkerung dafür sorgen, dass Deutschland als reiches Land eine international deutlich überdurchschnittliche Zahl von hilfsbedürftigen Asylbewerbern und Flüchtlingen in unserem Land aufnimmt. Dafür braucht es Information und Aufklärung, aber dafür bedarf es eben auch einer Gesetzgebung mit Maß und Mitte, in der nicht alles Vorstellbare und Wünschenswerte Gesetz werden kann, aber bei der jeder in Deutschland darauf setzen kann, dass wir einen gangbaren Kompromiss finden, wie das einer parlamentarischen Demokratie würdig ist. Schon der geringe Anpassungsbedarf, der sich im deutschen Recht aus der Neufassung von EU-Richtlinien ergibt, zeigt ganz deutlich, dass Deutschland keinen großen Nachholbedarf im Vergleich zu seinen -europäischen Nachbarn hat. Daraus möchte der eine oder andere vielleicht den Schluss ziehen, dass Europa insgesamt bei der Flüchtlingspolitik nicht gut genug aufgestellt ist. Diese Zweifler möchte ich dann aber bitten, einmal darzulegen, wo sonst auf der Welt über Jahrzehnte hinweg mehr Flüchtlinge aufgenommen worden sind und die Fürsorge für Flüchtlinge größer ist als in Europa. Einmal ganz davon abgesehen, was Europa außerhalb unseres Kontinents zusätzlich an dauerhafter und situationsbezogener Flüchtlingshilfe leistet. Die Union wird auch in der nächsten Legislaturperiode für eine verantwortungsvolle und angemessene Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa eintreten. Die weiteren dann anstehenden Umsetzungen neu efasster EU-Richtlinien in diesem Bereich habe ich bereits erwähnt; aber gerade auch in der Flüchtlingspolitik gibt es immer wieder neue, auch nationale, Herausforderungen, denen wir uns in der Zukunft stellen müssen. Die Union ist dazu jederzeit bereit, genauso wie wir heute gerne bereit sind, dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie zuzustimmen. Rüdiger Veit (SPD): Anfang Januar 2012 trat die Neufassung der Qualifikationsrichtlinie in Kraft. Ab diesem Datum haben die EU-Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Neuerungen dieser Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Der heute zu beratende Gesetzentwurf der Bundesregierung nimmt dies jetzt in Angriff. Die sogenannte Qualifikationsrichtlinie brachte aus unserer Sicht ein paar Verbesserungen für Flüchtlinge und ihre Familienangehörigen. So dehnt sie den Begriff des Familienangehörigen auf nicht verheiratete Partner aus. Schutzfähige Akteure sind jetzt nicht mehr per se der Staat, Parteien oder Organisationen, die große Teile des Staatsgebiets beherrschen, sondern es muss hinzukommen, dass sie „willens und in der Lage sind, Schutz zu bieten“. Die Kriterien für interne Fluchtalternativen wurden weiter ausdifferenziert und klarer gefasst, insbesondere ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch das Kriterium der Zumutbarkeit zu berücksichtigen. Bei den Verfolgungsgründen im Falle einer bestimmten sozialen Gruppe wird auch an die geschlechtliche Identität angeknüpft. Kernstück der Richtlinie ist die Angleichung des Umfangs des internationalen Schutzes von Flüchtlingen und subsidiär Geschützten. Die Mitgliedstaaten haben dafür zu sorgen, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann; Familienangehörige von Flüchtlingen oder subsidiär Geschützten haben Anspruch auf bestimmte Leistungen. Diese positiven Vorgaben werden mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung umgesetzt. Der Anwendungsbereich des Asylverfahrensgesetzes wird jetzt auf subsidiär Geschützte ausgedehnt. Bei der Bestimmung, was Verfolgungsgründe seien können, wird festgelegt, dass eine bestimmte verfolgte soziale Gruppe auch eine solche sein kann, „die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet“. Akteure, die Schutz bieten können, müssen dazu auch „willens und in der Lage“ sein. Eine interne Schutzalternative besteht nun nur noch dann, wenn von dem Ausländer, der einen Flüchtlingsstatus beantragt, „vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt“. Wie von der Qualifikationsrichtlinie vorgeschrieben, wird der Kreis der „Familienangehörigen“ -erweitert und auf nicht verheiratete Lebenspartner ausgedehnt. Der Familienschutz wird auf die Eltern minderjähriger lediger Asylberechtigter oder andere sorgeberechtigte Erwachsene ausgedehnt. Schließlich setzt der Gesetzentwurf der Bundesregierung auch Art. 33 der Richtlinie um, demzufolge die Mitgliedstaaten einem Flüchtling, dem internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Bewegungsfreiheit in ihrem Hoheitsgebiet gestatten. Im Gesetzgebungsverfahren hatte der Bundesrat gefordert, dass auch in Rücküberstellungsfällen gemäß der Dublin-II-Verordnung einstweiliger Rechtsschutz gewährt wird, so wie es deutsche Gerichte in verfassungskonformer Auslegung des § 34 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz nach Prüfung des Einzelfalls wiederholt gemacht haben und wie es auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefordert wird. Danach dürfen Mitgliedstaaten einen Flüchtling nicht in einen EU-Mitgliedstaat zurückschieben, wenn sie Kenntnis darüber haben oder hätten haben müssen, dass in diesem Staat keine konventionskonforme Durchführung des Asylverfahrens gewährleistet ist. Die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz in Dublin-II-Überstellungsfällen haben wir seit langem gefordert, nicht zuletzt deswegen, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, und der Europäische Gerichtshof, EuGH, die beiden für die Mitgliedstaaten maßgebende Obergerichte, so entschieden haben, aber auch, weil es unsere Überzeugung ist. Daher haben wir am 18. Oktober 2012 dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfahren: Konsequenzen aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ziehen“, Drucksachen 17/8460 und 17/9008, zugestimmt und in der Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem vorliegenden Gesetz der Bundesregierung eine dementsprechende Ergänzung bzw. Änderung des § 34 a Asylverfahrensgesetz gefordert. Dem sind die Regierungskoalitionen nachgekommen. Somit können wir dem Gesetz heute zustimmen. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Durch den Gesetzentwurf zur Umsetzung der überarbeiteten Fassung der sogenannten Qualifikationsrichtlinie haben wir einen weiteren wichtigen Baustein im Ausländerrecht gesetzt. Ich möchte klar sagen: Ich habe mich sehr gefreut, dass es im Innenausschuss keine Gegenstimmen gegeben hat, weder zu unserem Änderungsantrag, auf den ich gleich zu sprechen kommen werde, noch zum Gesetzentwurf als Ganzes. Das zeigt mir, dass auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Rot-Grün, vielleicht zum Ende der Wahlperiode doch erkennen, dass nicht polemische Behauptungen und Forderungen im Ausländerrecht entscheidend sind, sondern das, was man erreicht und umsetzt. Und auch draußen wird das verstanden. Dieses Gesetz ist, wie die vielen anderen Vorhaben, die wir in dieser Wahlperiode im Ausländerrecht vorangebracht haben, ein Beispiel für die gute Regierungs- und Parlamentsarbeit der schwarz-gelben Koalition. Es waren vier gute Jahre auch in diesem Bereich für Deutschland. Und, angesichts der oft haarsträubenden Debatten, die wir wegen verpasster Fristen zur Umsetzung von Richtlinien aus Europa führen: Hier haben wir weit vor Auslaufen der Frist umgesetzt. Und wir haben nicht nur eins zu eins umgesetzt, sondern wir haben den Gesetzentwurf noch angereichert. Durch den Gesetzentwurf werden zunächst die Rechte von subsidiär Schutzberechtigten gestärkt. Die Anträge sind nach der neuen Systematik Asylanträge. Wozu führt das? Dass endlich für alle Anträge das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig ist! Und das ist richtig so. Es war den Betroffenen der unterschiedlichen möglichen Aufenthaltstitel ohnehin nicht vermittelbar, dass es zwei unterschiedliche Behörden sind, die darüber befinden. Wem sind schon die komplizierten Feinheiten des deutschen Ausländerrechts gut zu vermitteln? Diese strukturelle Änderung ist daher absolut begrüßenswert. Wir haben den Gesetzentwurf noch weiter verbessert: Wir sorgen dafür, dass Asylbewerber bereits nach neun Monaten auf dem deutschen Arbeitsmarkt zugelassen werden. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube: Natürlich hätten wir uns vorstellen können, ganz auf eine Frist zu verzichten. Das ist eine langjährige liberale Forderung. Für uns ist es selbstverständlich, dass niemand zum Bezug staatlicher Leistungen gezwungen werden darf; jeder muss wenigstens die Möglichkeit haben, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Aber die Absenkung auf neun Monate ist ein ganz wichtiger Schritt. In der Tat geht die Einigung auf europäischer Ebene auch in diese Richtung. Aber da werden Richtlinien besprochen. Die müssen erst beschlossen werden, dann beginnt die Umsetzungsfrist von zwei Jahren. Wir sind also mit gutem Beispiel vorangegangen. Darüber freue ich mich sehr. Der zweite Punkt ist der einstweilige Rechtsschutz im Dublin-II-Verfahren. Deutschland ist das einzige Land, das – bisher – den einstweiligen Rechtsschutz an dieser Stelle ausschließt. Für einen vorbildlichen Rechtsstaat, wie Deutschland einer ist, war das ein Armutszeugnis. Daher haben wir endlich § 34 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz modifiziert: Anträge nach § 80 Abs. 5 der VwGO gegen die Abschiebeanordnung sind nun innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist vor der gerichtlichen Entscheidung unzulässig. Auch hier ist nun ein Paradigmenwechsel erfolgt. Alles in allem kann ich auch anhand dieses Gesetzentwurfes feststellen: Die Koalition aus CDU, CSU und FDP war und ist gut und erfolgreich. Die vergangenen vier Jahre waren gute Jahre für Deutschland! Es ist deshalb auch gut für Deutschland, wenn diese Koalition fortgesetzt wird. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Uns liegt heute ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Qualifikationsrichtlinie vor, die regelt, unter welchen Umständen Schutzsuchende als Flüchtlinge anerkannt werden und Schutz erhalten sollen. Diese Richtlinie wird weitgehend korrekt umgesetzt, nicht weniger, aber leider auch nicht mehr. Die Koalition hat im Innenausschuss noch Änderungen beim einstweiligen Rechtsschutz im Dublin-Überstellungsverfahren beschlossen, allerdings nur in einer Schmalspurvariante. Asylsuchende, die zuvor über einen anderen EU-Staat eingereist sind, müssen nach der Dublin-Verordnung dort ihr Asylverfahren betreiben. Dafür werden sie dorthin überstellt, also innerhalb der EU abgeschoben. Bislang ist es nach dem Gesetz ausgeschlossen, gegen eine solche Überstellung einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen. Künftig soll im Dublin-Verfahren nach der vorgeschlagenen Regelung innerhalb einer Woche ein Antrag auf einstweilige Aussetzung der Überstellung eingelegt werden können. Eine Klage an sich hat aber keine aufschiebende Wirkung. Auch fehlt eine Klarstellung, dass in der einwöchigen Frist eine Überstellung nicht vollzogen werden darf. Das ist ein Rechtsschutz zweiter Klasse und wird von uns deshalb als unzureichend abgelehnt. Meine Fraktion fordert in ihrem Antrag, der heute ebenfalls zur Abstimmung vorliegt, darüber hinaus, die Verfahrensrechte der Betroffenen im Asylverfahren insgesamt wieder den üblichen Standards und Vorgaben im Verwaltungsverfahrensrecht anzugleichen und das Sonderprozessrecht im Asylbereich endgültig aufzugeben. Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Dublin-Überstellungsverfahren ist zwingend! Aufgrund der teils verheerenden Zustände in den Asylsystemen anderer EU-Staaten – namentlich Griechenland, Italien, Zypern und Ungarn – haben zahlreiche Verwaltungsgerichte in den vergangenen Jahren sogar entgegen der Gesetzeslage einstweiligen Rechtsschutz angeordnet. Allein Abschiebungen nach Italien waren davon 200-mal betroffen. Das Problem ist, dass die Betroffenen nach jetziger Rechtslage bis zu einer Entscheidung des Gerichts „Freiwild“ der Exekutive sind. In der Praxis wurde sogar alles getan, um Asylsuchende davon abzuhalten, Rechtsmittel einlegen zu können, indem ihnen und ihren Rechtsanwälten die bevorstehende Überstellung nicht oder erst auf dem Weg zum Flugzeug mitgeteilt wurde. Ich kann nur hoffen, dass diese rechtbrechende Praxis in Zukunft unterbleibt, denn leider fehlt eine klare Bestimmung hierzu im Änderungsantrag der Koalition. Der Regierung bleibt gar nichts anderes übrig, als zumindest einen Minimalrechtsschutz zu gewährleisten. Denn auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht haben im Sinne des Rechtsschutzes geurteilt. Die Dublin-Verordnung wird unter anderem deshalb in diesem Punkt derzeit überarbeitet und eine Neufassung voraussichtlich Ende des Jahres in Kraft treten. Leider werden Sonderregelungen im deutschen Asylrecht ansonsten EU-rechtlich weiter legitimiert. Das gilt etwa für Asylschnellverfahren am Flughafen. Dieses rechtsstaatswidrige Schnellverfahren wollen wir mit unserem Antrag abschaffen. Auch die Widerrufsverfahren, die noch Jahre nach der Asylanerkennung zur Rücknahme des Flüchtlingsschutzes führen können, wollen wir beenden. Sie sorgen für große Verunsicherung bei den Betroffenen, die zum Teil seit vielen Jahren in Deutschland leben. Die deutsche Regelung, in allen Fällen und ohne konkreten Anlass nach drei Jahren automatisch eine Widerrufsprüfung vorzunehmen, ist in der EU einmalig und gehört abgeschafft! Schließlich fordern wir in unserem Antrag, dass die Bundesrepublik endlich eine gesetzliche Grundlage für eine dauerhafte Beteiligung an den Resettlement-Programmen des UN-Flüchtlingshilfswerks schafft. Für die Jahre 2012 bis 2014 hat die Konferenz der Innenminister und -senatoren, IMK, die Aufnahme von jährlich 300 Menschen beschlossen, die in anderen Staaten in Flüchtlingslagern leben und für die der UNHCR um Aufnahme bittet, weil in diesen Lagern keine angemessene Betreuung gegeben ist. Das betrifft beispielsweise schwer traumatisierte Flüchtlinge oder unbegleitete Kinder. Die Beteiligung an diesen Resettlement-Programmen darf in Zukunft nicht mehr von der politischen Tageslaune der Bundesländer abhängig gemacht werden, die sich auf der IMK einvernehmlich einigen müssen. Deshalb wollen wir eine eigene gesetzliche Grundlage und feste jährliche Quoten, die selbstverständlich deutlich über den genannten 300 Personen liegen müssen. Die Beteiligung an Resettlement-Programmen ist auch ein Zeichen der internationalen Solidarität an jene Staaten, die in der Nachbarschaft von Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten die Hauptlast der Flüchtlingsaufnahme tragen müssen. Die Linke fordert darüber hinaus einen weiteren Ausbau des Flüchtlingsschutzes. Bürgerkriegs-, Kriegs-, Umwelt- und Armutsflüchtlinge sind bislang von der Genfer Flüchtlingskonvention und den einschlägigen EU-Richtlinien gar nicht oder nur ungenügend erfasst. Den Schutz dieser Menschen kann die Bundesrepublik nicht im Alleingang regeln. Wir fordern daher, dass die Bundesregierung auf europäischer und internationaler Ebene aktiv wird, um auch für diese Menschen einen wirksamen Schutzstatus zu erreichen. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist es ein großer Fortschritt, dass mit der sogenannten Flüchtlingsanerkennungsrichtlinie subsidiär geschützte Personen – also Flüchtlinge, denen menschenrechtliche Abschiebungshindernisse zuerkannt wurden, wie etwa drohende Steinigung, Körperstrafen etc. – weitgehend anerkannten Flüchtlingen gleichgestellt werden. In dem vorgelegten Gesetzentwurf wird der Wille des Gesetzgebers deutlich, die Lebensbedingungen von subsidiär Geschützten in Deutschland zu verbessern und anzugleichen. Das Erfordernis der Angleichung des europarechtlichen subsidiären Schutzes erfolgt auch vor dem Hintergrund der Erfahrung, dass der subsidiäre Schutz oft ebenso wenig nur vorübergehender Natur ist wie der Flüchtlingsschutz. Es ist gut, dass der subsidiäre Schutzstatus nun auch in das Asylverfahrensgesetz aufgenommen wurde. Zu begrüßen ist außerdem, dass nicht mehr nur der Verweis in § 60 Abs. 1 AufenthG zu finden ist, wonach die Richtlinie ergänzend anzuwenden sei, sondern der Gesetzentwurf die Übernahme von Bestimmungen der Richtlinie in das Asylverfahrensgesetz vorsieht. So ist erstmals die Definition des Flüchtlings entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention im deutschen Recht zu finden. Etliche Anregungen der Flüchtlingsverbände und der Oppositionsfraktionen im Kontext der Umsetzung der Vorgängerrichtlinie (2004/83/EG) im Jahr 2007 finden sich nun im Gesetzentwurf – teilweise auch durch die wörtliche Übernahme der Richtlinienbestimmungen in den Gesetzestext – wieder. Dies ist sehr zu begrüßen. Besonders erfreulich ist es, dass die von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Änderungsanträge endlich auch die Wiederherstellung des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Rücküberstellungen in Dublin-Asylverfahren beinhalten. Bundesregierung und Koalitionsfraktionen hatten sich trotz der eindeutigen Entscheidungen des EuGH und des EGMR im Dezember 2011 bislang beharrlich geweigert, diese rechtsstaatliche Lücke, die seit 2007 im deutschen Recht klafft, wieder zu schließen. Auch der Bundesrat hatte, auf Initiative des Landes Rheinland-Pfalz hin, sich in seinem Beschluss für eine Wiederaufnahme des einstweiligen Rechtsschutzes in Dublin-Asylverfahren im Rahmen der Umsetzung der Flüchtlingsanerkennungsrichtlinie in nationales Recht ausgesprochen. Allerdings muss dann bei der Auslegung des § 34 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz in der neuen Fassung Folgendes Berücksichtigung finden: Die Praxis der Zustellung der Abschiebungsanordnung wird durch § 34 a Abs. 2 in der neuen Fassung nicht geändert. Deshalb muss klargestellt werden, dass dem Ausländer Gelegenheit zu geben ist, den Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung zu stellen. Nach der derzeit geltenden deutschen Gesetzeslage dürfen die Verwaltungsgerichte Abschiebungen in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen sicheren Drittstaat nicht nach § 80 oder § 123 VwGO aussetzen. Diese Vorschrift haben Verwaltungsgerichte zunehmend gerade in Überstellungsfällen nach der Dublin-II-Verordnung umschifft, indem sie ausführten, die Vorschrift sei dahin gehend auszulegen, dass sie entgegen ihrem Wortlaut die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht generell verbiete, sondern derartiger Rechtsschutz in Ausnahmefällen möglich bleibe; einstweiliger Rechtsschutz sei in Ausnahmefällen nämlich dann zulässig, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdränge, dass der Schutzsuchende von einem der im Konzept der normativen Vergewisserung des Bundesverfassungsgerichts nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen sei. Diese Einschränkungen und besonders hohen Anforderungen fallen mit der Aufnahme des einstweiligen Rechtsschutzes weg. Damit gilt wieder der „normale“ Prüfungsmaßstab. Ob also in einem Aufnahmestaat der Dublin-II-Verordnung systemische Mängel im Asylverfahren und in den Aufnahmebedingungen vorliegen, kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes künftig zunächst offen bleiben. Entscheidend ist nur noch – wie in jedem anderen vergleichbaren Verfahren –, ob dem Aussetzungsinteresse des Schutzsuchenden Vorrang vor dem Vollzugsinteresse der Behörde einzuräumen ist. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Abstimmung. Tagesordnungspunkt 21 a. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13556, den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksachen 17/13063 und 17/13392, in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Die, die zustimmen wollen, mögen sich erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Tagesordnungspunkt 21 b. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13564, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6095 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen und Enthaltung der SPD. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Marks, Petra Crone, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Alleinerziehende besser unterstützen – zu dem Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Alleinerziehung von Kindern würdigen – Alleinerziehende gebührend unterstützen – Drucksachen 17/11032, 17/8793, 17/13178 – Berichterstattung: Abgeordnete Nadine Schön (St. Wendel) Christel Humme Miriam Gruß Jörn Wunderlich Katja Dörner b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme, Anton Schaaf, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neue Strategien für eine bessere Förderung von Alleinerziehenden in der Grundsicherung – Drucksachen 17/11038, 17/12905 – Berichterstattung: Abgeordneter Matthias W. Birkwald Die Reden gehen zu Protokoll. Dorothee Bär (CDU/CSU): Alleinerziehende sind in unserer Gesellschaft schon lange keine Randgruppe mehr. Fast jede fünfte Familie in Deutschland ist alleinerziehend; über zwei Millionen minderjährige Kinder leben bei ihren alleinerziehenden Müttern oder Vätern. Der Wunsch alleinerziehender Eltern nach wirtschaftlicher Selbstständigkeit ist groß. 66 Prozent von ihnen sind aktiv erwerbstätig, und viele von denjenigen, die nicht erwerbstätig sind, würden gerne arbeiten. Doch oft reichen die vorhandenen Rahmenbedingungen nicht aus, um Familie und Beruf miteinander vereinbaren zu können. Obwohl Alleinerziehende den Alltag mit ihren Kindern alleine meistern müssen und sie bei Haushaltsführung, Kindererziehung und Sicherung des finanziellen Einkommens viel stärker gefordert sind als Elternpaare, sehen viele von ihnen ihre Lebenssituation positiv. Sie wollen kein Mitleid, sondern benötigen einfach nur zusätzliche Unterstützung bei der Bewältigung ihres Alltags. Die christlich-liberale Koalition setzt sich dafür mit vielfältigen Maßnahmen ein: Alleinerziehende dürfen auf unsere finanzielle Unterstützung zur Sicherung des Lebensunterhalts vertrauen. Mit der Einführung des Elterngeldes, der Weiterentwicklung des Kinderzuschlags, der Anhebung und stärkeren Staffelung des Kindergeldes und der Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets wurde Erhebliches zur Armutsvermeidung von Alleinerziehenden geleistet. Auch im BAföG ist die starre Altersgrenze für Auszubildende mit Kindern bereits deutlich flexibilisiert worden und kommt dabei insbesondere auch Alleinerziehenden zugute, deren Bildungsbiografie vielfach nicht so geradlinig verlaufen kann wie bei anderen Auszubildenden. Bund und Länder sind über eine Öffnung des BAföG für Teilzeitausbildungen im Gespräch. Ziel ist hierbei die noch bessere Vereinbarkeit von Ausbildung und Familie mit kleinen Kindern. Alleinerziehende benötigen darüber hinaus Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben. Um sie in die Lage zu versetzen, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, hat das Bundesfamilienministerium das Modellprojekt „Vereinbarkeit für Alleinerziehende“ aufgelegt. Bis März 2010 sind an zwölf Pilotstandorten die Angebote der Arbeitsagenturen und Grundsicherungsstellen mit der bestehenden In-frastruktur vor Ort verzahnt worden. Es entstanden wirksame Netzwerke aus Beratung und praktischer Hilfe vor Ort – von einem abgestimmten Angebot an Kinderbetreuung bis zur zielgenauen Qualifizierung und Beschäftigung, die Alleinerziehende in die Lage versetzen, sich aus der Abhängigkeit von Transferleistungen zu befreien. Die Pilotprojekte wurden unterstützt von den Lokalen Bündnissen für Familie und wurden in die Breite getragen. Darüber hinaus hat das Bundesarbeitsministerium dafür Sorge getragen, dass in den Jobcentern der Blickwinkel auf Alleinerziehende verändert wurde. Jobcenter sollen Alleinerziehende nicht länger als schwer vermittelbar ansehen, sondern aktiv mithelfen, ihnen konsequent alle Hürden aus dem Weg zu räumen, die einer Erwerbstätigkeit im Wege stehen: Eine gute Kinderbetreuung zu organisieren und mit den Arbeitgebern flexible und damit familiengerechte Arbeitsbedingungen auszuhandeln, ist keine familienpolitische Schwärmerei, sondern handfeste zukunftsweisende Arbeitsmarktpolitik. Für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit brauchen vor allem Alleinerziehende ausreichende und qualitativ hochwertige Angebote der Kinderbetreuung. Wir müssen dazu keinen neuen Krippengipfel abhalten – der Bund hat längst gehandelt. Von dem mit finanzieller Unterstützung der CDU/CSU-geführten Bundesregierung ermöglichten massiven Ausbau der Betreuungsplätze profitieren vor allem auch Alleinerziehende. Dabei beschränkt sich der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige ab dem 1. April 2013 nicht auf halbtägige Betreuung. Der Umfang der täglichen Unterstützung richtet sich vielmehr alleine nach dem tatsächlichen individuellen Bedarf. Der Bund beteiligt sich nicht nur an den Ausbaukosten für die Betreuungsplätze, sondern auch an den Betriebskosten. Hierzu zählen auch Kosten für zusätzlich erforderlich werdendes Personal. Bund und Länder haben bereits 2008 einen Qualifizierungspakt für Fachkräfte in der Betreuung von Kindern unter drei Jahren beschlossen. Seither wurde einiges erreicht: Seit 2009 ist die Aufstiegsfortbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher bundesweit staatlich förderfähig. Für pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen wurden Programme für die Fort- und Weiterbildung entwickelt. Über das Bundesbildungsministerium wird die Medienqualifizierung der Erzieher gefördert; das BMFSFJ hat ein Programm zur Erhöhung der Anzahl männlicher Fachkräfte in Kitas aufgelegt. Es gibt das Aktionsprogramm Kindertagespflege, mit dem Tagespflegepersonen gewonnen werden sollen. Den Forderungen nach ausreichenden Betreuungsplätzen können wir also nicht nur zustimmen, sondern wir setzen sie bereits mit unseren eigenen familienpolitischen Konzepten um. Viele andere Forderungen, die sich in beiden Anträgen finden, wie zum Beispiel die Flexibilisierung der Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen und die Schaffung von Ganztagsbetreuungsangeboten, fallen in die Zuständigkeit der Länder. Ablehnen werden wir die Forderung, auf die bereits aus gutem Grund beschlossene Einführung des Betreuungsgeldes zu verzichten, die auch den Alleinerziehenden Wahlfreiheit hinsichtlich der Art der Betreuung eröffnet. Eine Kindergrundsicherung lehnen wir ebenso ab wie die Rücknahme der Anrechnung des Elterngeldes auf SGB-II-Leistungen. Die Kindergrundsicherung verringert die Erwerbsanreize für Eltern und ist daher nach unserer festen Überzeugung gerade nicht förderlich für eine gute Entwicklung der Kinder. CDU/CSU und FDP unterstützen Alleinerziehende mit einem umfangreichen Mix aus finanzieller Förderung und der Bereitstellung von Infrastruktur. Dieser Mix macht Familienpolitik erst erfolgreich. Und daher werden wir diesen Weg weitergehen. Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): Wir widmen unsere heutige Plenardebatte erneut der Gruppe der Alleinerziehenden. Zur Verdeutlichung der Situation möchte ich uns noch einmal ein paar Daten ins Gedächtnis rufen: 19 Prozent aller Familien in Deutschland sind Familien mit einem alleinerziehenden Elternteil. Wenn wir uns die Gesamtzahl der Kinder in alleinerziehenden Familien anschauen, dann gelangen wir bei einem Alter unter 19 Jahren auf die Zahl von 2 Millionen. Die Erwerbstätigkeitsquote bei den überwiegend weiblichen Alleinerziehenden ist mit 66 Prozent sehr hoch. Daraus ergibt sich, dass Alleinerziehende eine besondere Betrachtung und entsprechende politische Weichenstellungen benötigen. Unsere Leistungen für Alleinerziehende sind eingebettet in den Rahmen einer nachhaltigen und bedarfsorientierten Familienpolitik. In diesem Sinne wurden bereits wichtige Schritte auf den Weg gebracht. Ich erinnere hier zunächst an die Erhöhung und die frühere Staffelung des Kindergeldes sowie das Elterngeld, das sich nach jüngsten Umfragen auch bei Vätern einer steigenden Beliebtheit erfreut. Alleinerziehenden wesentlich zugute kommen die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung, die eben auch von Kinderzuschlag- und Wohngeldbeziehern in Anspruch genommen werden können. Darüber hinaus arbeiten wir kontinuierlich an weiteren Verbesserungen: So ist das BAföG bereits deutlich flexibilisiert worden – im Sinne der Alleinerziehenden. Auch stehen Bund und Länder über eine Öffnung des BAföG für Teilzeitausbildungen im Gespräch mit dem Ziel, die Vereinbarkeit von Ausbildung und Familie mit kleinen Kindern zu verbessern. Ebenfalls in der Diskussion befinden sich Vorschläge zur weiteren Verbesserung arbeitszeitpolitischer Regelungen. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hat sich ja hier schon entsprechend bezüglich des Rückkehrrechts auf einen Vollzeitarbeitsplatz geäußert. Die größte Herausforderung für Alleinerziehende ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Eigenen Angaben zufolge wünscht sich nämlich ein großer Teil der nicht in Arbeit stehenden Alleinerziehenden die Rückkehr in den Job, sieht sich aber gleichzeitig mit einer Reihe von alltäglichen Herausforderungen konfrontiert, die sie alleine nicht oder nur schwerlich meistern können. Deshalb ist die erste wichtige Unterstützungsmaßnahme für Alleinerziehende, die Betreuungsinfrastruktur zu verbessern und einen Rechtsanspruch einzurichten. Denn darin sind wir uns völlig einig: Ein verbessertes Betreuungsangebot hilft den Alleinerziehenden ganz besonders, um möglichst bald wieder in einen Job einzusteigen. Wir haben daher den Anspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem 1. August gesetzlich verbrieft. Und: Keine Bundesregierung zuvor hat mehr Geld in die Hand genommen, um den qualitativen wie auch quantitativen Ausbau der Kitas erheblich zu verbessern. Ich erinnere hier an die 5,4 Milliarden Euro, die wir für diese originär den Ländern und Kommunen zufallende Aufgabe zugeschossen haben. Die Mittel abrufen und für genau den bestimmten Zweck des Kitaausbaus einsetzen, das müssen die verantwortlichen Verwaltungen und Politiker vor Ort tun. Daneben gibt es die Initiativen des Familienministeriums, im Einklang mit anderen Ministerien das Thema der Flexibilisierung von Arbeitszeiten in der alltäglichen Praxis zu verankern. Das geht natürlich nicht von jetzt auf gleich. Gerade die KMU stehen hier vor besonderen Herausforderungen. Wichtig ist jede Initiative, die dazu führt, dass die Personalverantwortlichen in den Unternehmen den Mehrwert von Flexibilität erkennen – für das Unternehmen wie auch für seine Mitarbeiter. Die Initiativen der Bundesregierung wie „Familienbewusste Arbeitszeiten“ oder das Audit Familie und Beruf sind dabei wichtige Meilensteine. Flexibilität erhalten Alleinerziehende nicht zuletzt durch funktionierende Netzwerke. Da geht es oftmals um nur ein paar Stunden in der Woche, wenn sich jemand um das Kind kümmern kann, oder um Gelegenheiten, gemeinsam einen Einkauf zu erledigen, Gänge zum Amt, die verschiedensten Dinge. Klassischerweise hat da die Familie eine große Rolle, doch man kann es sich eben nicht immer aussuchen, wo man arbeitet. Das Familienministerium hat den Wert intakter Netzwerke für Alleinerziehende erkannt und die Ergebnisse von Projekten im Onlinehandbuch „Unterstützungsnetzwerke für Alleinerziehende“ veröffentlicht. Hier kann sich jeder informieren und unter Anleitung seine Netzwerke schmieden. In meinem Wahlkreis gibt es dazu ein Modellprojekt des BMAS. Hier werden diese Netzwerke geknüpft und helfen ganz konkret den Alleinerziehenden, Familie und Beruf zu managen. Und damit bin ich an einem wichtigen Punkt, den ich schon im Ausschuss erwähnt habe: Ja, es stimmt, Alleinerziehende haben es oftmals schwerer als Mütter und Väter, die in einer Partnerschaft leben. Dennoch sehen sich die allermeisten Alleinerziehenden nicht in einer Opferrolle. Alleinerziehende Mütter sehen ihre Lebenssituation überwiegend positiv, fordern aber ganz konkrete und praktische Hilfe dort, wo sie es schwerer haben als diejenigen, die in einer Partnerschaft erziehen. Genau diese Hilfe wollen wir ihnen bieten. Auf diese lebensnahe Logik lassen sich leider die beiden vorliegenden Anträge der Oppositionsparteien gar nicht erst ein. Die Linkspartei scheint wie in vielen Fällen nur eine Größe zu kennen: mehr Geld. Ihre Forderungen sind sehr umfangreich und gehen weit über das hinaus, was realpolitisch machbar ist. Hat sich eigentlich innerhalb Ihrer Fraktion mal jemand ernsthaft die Mühe gemacht, durchzurechnen, in welchen Höhen sich Ihre Forderungen bewegen und wie das gegenfinanziert werden soll? Davon steht in Ihrem Antrag nichts drin. Jeder von uns wünscht sich mehr Geld für Familien und besonders für Alleinerziehende. Doch wir sollten ehrlich und realistisch bleiben. Sie aber bauen Luftschlösser und machen den Betroffenen was vor. Das ist keine redliche Politik, und deshalb müssen wir Ihre Anträge ablehnen. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Keine andere Familienform hat in Deutschland in den letzten Jahren so an Bedeutung gewonnen wie die Ein-Eltern-Familie. Und keine andere Familienform wird von der schwarz-gelben Bundesregierung so sträflich vernachlässigt. Die Bundesregierung hat sich über Jahre nicht darum gekümmert, den Kitaausbau sicherzustellen. Schon seit längerem wissen wir, dass es in einigen Regionen trotz des Rechtsanspruchs der Eltern nicht genügend Plätze geben wird. Eine gute Betreuung in Kita oder Krippe ist jedoch eine wichtige Grundlage gerade für Mütter und Väter, die ihre Kinder allein großziehen. Wichtig ist für viele dieser Eltern auch, dass sie für ihre Kinder eine Ganztagsbetreuung haben. Bislang besteht jedoch nur Anspruch auf einen Halbtagsplatz. Das reicht für viele berufstätige alleinerziehende Eltern nicht aus, denn sie sind in der Regel Alleinverdiener. Was nützt einer Verkäuferin oder einem Krankenpfleger im Schichtdienst ein Kindergartenplatz von maximal 8 bis 13 Uhr? Stattdessen kommt jetzt das 2 Milliarden Euro teure Betreuungsgeld, das einer eigenständigen Existenzsicherung Alleinerziehender entgegensteht und mit ihrer Lebenswirklichkeit nichts zu tun hat. Alleinerziehende, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU, profitieren außerdem mit keinem Cent von den von Ihnen so gepriesenen familienbezogenen Leistungen wie dem Ehegattensplitting oder der kostenlosen Krankenmitversicherung. Für Alleinerziehende bedeutet die Regierung Merkel verlorene Zeit. Das ist fatal: Noch immer leben 40 Prozent aller Alleinerziehenden in Deutschland von Hartz IV. Das sind fünfmal so viele wie Mütter mit Partner. Viele von ihnen arbeiten, aber müssen aufstocken. Sie sind arm, weil sie die Verantwortung für ihre Kinder alleine tragen. Gepaart mit einer anderen skandalösen Zahl, nämlich der, dass die Chance, aus Hartz IV heraus innerhalb der nächsten anderthalb Jahre eine bedarfsdeckende sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu finden, bei Müttern aktuell unter 8 Prozent liegt, kann das für uns nur heißen: Wir müssen dringend etwas tun! Und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, sparen im Ernst an der Arbeitsvermittlung? Weiten die Minijobs noch weiter aus? Führen ein Betreuungsgeld ein? Und lassen Frau Ministerin von der Leyen damit hausieren gehen, dass der Anteil der Alleinerziehenden in Maßnahmen der Jobcenter ein bisschen gestiegen ist? Sie zementieren die Situation der Alleinerziehenden! Alleinerziehende müssen nicht nur in den Jobcentern mehr gefördert und besser betreut werden – die gesamte Arbeitsmarktpolitik muss ihrer Lebenswirklichkeit Rechnung tragen. Das haben wir in unserem zweiten arbeitsmarktpolitischen Antrag ausgeführt: Geforderte Arbeits- und Wegzeiten müssen sich an der Lebenswirklichkeit Alleinerziehender orientieren. Alleinerziehende brauchen ihre privaten sozialen Unterstützungsnetzwerke dringend. Deswegen darf man sie nicht dazu zwingen, in eine andere Wohnung oder in eine andere Stadt umzuziehen. Alleinerziehende müssen genauso ein Jahr Zeit haben, sich mit einem neuen Partner zu beschnuppern, wie Kinderlose. Erst dann darf der neue Partner finanziell für die neue Familie herangezogen werden. Lässt sich eine junge Mutter oder ein junger Vater im SGB-II-Bezug freistellen, nimmt also Elternzeit, müssen sie trotzdem einen Anspruch auf Qualifizierung und Weiterbildung haben. So können sie diese Zeit nutzen, um sich gezielt auf den Wiedereinstieg vorzubereiten. Ich habe in diesem Jahr mit einer Frau gesprochen, der nicht einmal ein Tagesmutterkurs bewilligt wurde. An diesem Beispiel zeigt sich deutlich, wie die verfehlte Politik von Schwarz-Gelb sich bei jedem Einzelnen auswirken kann. Solche strukturellen Barrieren werden wir abräumen! Weil vor allem Frauen betroffen sind, muss Gleichstellungspolitik im SGB II endlich gesetzlich festgeschrieben werden. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen müssen bei Bedarf in Teilzeit angeboten werden; dazu gehört auch das Nachholen von Schulabschlüssen. Die Grundsicherungsstellen müssen ihren Auftrag wahrnehmen, Kinderbetreuung sicherzustellen. Wir können es nicht oft genug wiederholen: Machen Sie endlich ernst mit dem Kitaausbau! Es müssen überall ausreichend bedarfsgerechte und hochwertige Betreuungsangebote zur Verfügung stehen. Auch für Mütter, die zum Beispiel in Schicht arbeiten und heute besonders von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind. Vor allem brauchen wir eine familienfreundliche Arbeitswelt. Nicht nur alleinerziehende, beinahe alle Mütter kranken in ihrer beruflichen Entwicklung an der Orientierung am überkommenen männlichen Alleinverdienermodell. Mehr als die Hälfte der Mütter – 54 Prozent, Statistisches Bundesamt 2010 – arbeiten prekär: Sie sind befristet, geringfügig, in kleiner Teilzeit oder als Leiharbeiterinnen beschäftigt. Ein weiteres Drittel ist gar nicht erwerbstätig. Deshalb brauchen wir einen zügigen Ausbau von guten Betreuungseinrichtungen für die Kinder. Ganz wichtig ist darüber hinaus die Neuausrichtung des Arbeitsmarktes hin zu guter Arbeit auch für alleinerziehende Eltern. Ein gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde und gleiche, gerechte Bezahlung beider Geschlechter würde uns ein großes Stück nach vorne bringen, die hohe Quote der Alleinerziehenden als Aufstockerinnen im SGB-II-Bezug deutlich verringern und ihre Chancen auf existenz-sichernde Beschäftigung verbessern. Darum geht es uns. Wer Arbeit sucht, muss gleiche Chancen haben, in Arbeit vermittelt zu werden – ungeachtet der familiären Lebensverhältnisse. Dafür stehen wir mit unseren Anträgen. Bitte stimmen Sie zu! Caren Marks (SPD): Die EU-Kommission hat die Bundesregierung gerade letzte Woche eindringlich aufgefordert, ihre Hausaufgaben zu machen. So bemängelt Brüssel die rückständige Familien- und Frauenpolitik und fordert unter anderem bessere Arbeitsmarktchancen für Frauen und die Beendigung des Ehegattensplittings. Schon im Vorjahr hatte die Kommission auf eine Reform gepocht, war jedoch in Berlin bei der Kanzlerin und ihrer schwarz-gelben Koalition auf taube Ohren gestoßen. Peinlich für Deutschland, dass EU-Kommissionschef Barroso nun erneut an die Bundeskanzlerin appellieren muss, mehr für die Familien und insbesondere die Frauen in unserem Land zu tun. Warum ich dies anspreche? Frauen stellen den überwiegenden Teil an Alleinerziehenden, und Alleinerziehende bilden eine feste Größe unter den Familien. Die Anzahl der Einelternfamilien hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt. Das Ehegattensplitting entspricht insgesamt nicht mehr der Lebenswirklichkeit der Menschen. Denn Alleinerziehende haben nichts vom Ehegattensplitting. Aber auch für verheiratete Frauen führt das Ehegattensplitting häufig in eine berufliche Sackgasse. Klar ist also: Es nutzt den Frauen nichts. Das Problem: Dies wissen eigentlich alle. Nur die Kanzlerin und ihre Regierung zeichnen sich durch Ignoranz und Untätigkeit aus. Doch am Abend werden die Faulen fleißig. Um von der eigenen Untätigkeit abzulenken, werden im Vorfeld der Bundestagswahl jetzt noch schnell uneinlösbare Wahlversprechen abgegeben. So konnten wir ja der Presse entnehmen, was für Familien geplant ist: eine deutliche Erhöhung des Kindergeldes und der Freibeträge. Na, dann dürfen wir einmal gespannt sein auf die Vorlage zum Haushalt und die entsprechende -Finanzierung. Die SPD-Bundestagsfraktion will die Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt beenden und die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Die jetzige Situation wirkt sich insbesondere bei Alleinerziehenden negativ aus. So ist der Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung die wichtigste Voraussetzung für Alleinerziehende, überhaupt erwerbstätig sein zu können. Erwerbstätigkeit ist der Schlüssel für ein eigenständiges und sozial abgesichertes Leben. Dafür brauchen gerade Allein-erziehende gute und verlässliche Betreuungsangebote für ihre Kinder, insbesondere als Ganztagsangebote. Damit verbessern wir auch die Startchancen aller Kinder und sorgen durch die frühe Förderung für mehr Chancengerechtigkeit. Weil es an Angeboten der frühkindlichen Bildung und Betreuung mangelt, können viele Alleinerziehende nur wenige Wochenstunden oder gar nicht arbeiten, obwohl sie es sich anders wünschten. Obwohl Alleinerziehende aller Altersgruppen oft gut ausgebildet und motiviert sind, haben sie es auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor besonders schwer. Das liegt daran, dass sie zeitlich eingeschränkter sind, weil sie für ihre Kinder allein die Verantwortung tragen. Alleinerziehende brauchen nicht nur Kinderbetreuung; sie sind zudem, mehr noch als andere, auf flexible Betreuungsstrukturen angewiesen, damit auch Randzeiten abgedeckt sind. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich jedoch in den letzten Jahren nicht darum gekümmert, den Kitaausbau entsprechend voranzubringen. Der Rechts-anspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem -ersten Geburtstag in einer Krippe oder in Kindertagespflege tritt am 1. August 2013 in Kraft. Diese große Herausforderung gilt es zu meistern. Nach wie vor gibt es in einigen Regionen noch zu wenig Krippen- und Tagespflegeplätze. Fatal ist, dass viel Geld für das unsinnige Betreuungsgeld verschleudert wird, das wir dringend für den Kitaausbau brauchen. Das Betreuungsgeld steht einer eigenständigen Existenzsicherung Alleinerziehender entgegen. Es ist bildungs-, gleichstellungs- und integrationspolitisch falsch. Denn es hält die Kinder von einer frühen Förderung und die Frauen vom Arbeitsmarkt fern. Ein wichtiges Thema für Alleinerziehende ist auch der Unterhaltsvorschuss. Auch hier hat die Bundes-regierung nichts bewegt. Mit ihrem Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetz hat sie den Unterhaltsvorschuss in keiner Weise weiterentwickelt bzw. ausgebaut. Für die Kinder von Alleinerziehenden hat sich hier nichts verbessert. Nicht einmal die Ungleichbehandlung durch den vollständigen Abzug des Kindergelds beim Unterhaltsvorschuss hat sie beseitigt. Auch für die Alleinerziehenden bedeutet die Regierung Merkel einfach nur verlorene Zeit. An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen: Alleinerziehende leisten viel in unserer Gesellschaft. Mit Kindererziehung, Erwerbs- und Hausarbeit -gelingt ihnen ein gewaltiger Balanceakt. Für ihre besonderen Bedürfnisse haben wir in der SPD-Bundestagsfraktion ein Konzept entwickelt. Ziel ist, dass Alleinerziehende ihr Leben so weit wie möglich nach eigenen Wünschen gestalten und selbst für ihre Existenzsicherung sorgen können. Mit passenden und aufeinander abgestimmten Bausteinen wollen wir Alleinerziehenden helfen. Wir wollen gemeinsam mit Kommunen und Ländern alles dafür tun, dass der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung und Förderung für unter Dreijährige ab -August 2013 von den Eltern eingelöst werden kann. Mittelfristig streben wir einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an. Den Kitaausbau will die SPD-Bundestagsfraktion durch den konsequenten und flächendeckenden Ausbau von Ganztagsschulen flankieren. Junge Alleinerziehende ohne abgeschlossene Berufsausbildung brauchen besondere Unterstützung. Wir wollen deshalb einen Rechtsanspruch auf das Nachholen eines Schulabschlusses und auf Teilzeitausbildung für junge Eltern einführen. Alleinerziehende brauchen gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne. Und eine geschlechtergerechte Arbeitsmarktpolitik kommt ihnen besonders zugute. Das gilt für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn und die Durchsetzung des gleichen Lohns für gleiche und gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer. Dazu hat die SPD-Bundestagsfraktion bereits entsprechende Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht. Wir wollen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren Teilzeitanspruch befristet geltend machen können und ein Rückkehrrecht auf einen Vollzeitarbeitsplatz bekommen. Was wir also brauchen, ist eine familiengerechtere Arbeitswelt. Dazu gehören entsprechende Arbeitszeitmodelle wie die „Große Teilzeit“ für Eltern – 30 Stunden pro Woche –, damit Existenzsicherung und genügend Zeit für die Kinder unter einen Hut passen. Schließlich will die SPD-Bundestagsfraktion mit dem von ihr entwickelten neuen Kindergeld die Familienförderung vom Kopf auf die Füße stellen: Wir räumen mit der absurden Ungerechtigkeit auf, nach der die Wohlhabenden mehr Geld für ihre Kinder bekommen als Eltern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Dazu werden wir ein nach dem Einkommen -gestaffeltes Kindergeld einführen, in das der Kinderzuschlag integriert wird. Damit werden wir der Besserstellung von Familien mit hohem Einkommen über die Freibeträge ein Ende setzen. Von einer solchen Kindergeldreform profitieren besonders Alleinerziehende, die häufig sehr niedrige Einkommen haben. Kanzlerin Merkel, Bundesministerin Schröder und die schwarz-gelbe Koalition haben keinerlei Gestaltungswillen erkennen lassen, um die Situation von Alleinerziehenden zu verbessern. Klar ist deshalb: Es muss einen Richtungswechsel in der Familien- und Gleichstellungspolitik geben, und den gibt es nur mit einem Regierungswechsel. Sibylle Laurischk (FDP): Laut Mikrozensus 2009 war mit 19 Prozent Anteil – 1,6 Millionen Personen – an allen Familienformen fast jede vierte Familie eine Alleinerziehendenfamilie. Unter den Alleinerziehenden stellen die Mütter mit 87 Prozent die übergroße Mehrheit. Unter alleinerziehenden Frauen haben viele unregelmäßige Arbeitszeiten oder kommen erst spät nach Hause, um ihre Kinder aus der Kita abzuholen. Flexibilität der Betreuungsangebote ist allerdings oft nicht gegeben. Unternehmen verlangen zeitliche und räumliche Mobilität. Ohne flexible Kinderbetreuungsangebote haben es Alleinerziehende besonders schwer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Der Schlüssel gegen Kinderarmut ist deshalb der flächen- und bedarfsdeckende Ausbau der Kinderbetreuung. Die Öffnungszeiten von Kitas und Horten korrespondieren nicht mit den Arbeitszeiten von Alleinerziehenden und verhindern somit oftmals die Aufnahme einer Vollzeit-erwerbstätigkeit, was sich wiederum im Lebensverlauf nachteilig auf die Rentenanwartschaften der Allein-erziehenden auswirkt. Die Organisation von Arbeit und Karriere geht in vielen Branchen von einer „Anwesenheitskultur“ aus, in der Teilzeitmodelle und Arbeit von zu Hause aus karrierebehindernd wirken. Teilzeitarbeitsplätze sind oft schlechter bezahlt und bieten kaum Aufstiegsmöglichkeiten. Dabei wollen Alleinerziehende überwiegend Vollzeit arbeiten und ebenso Karriere machen wie Eltern in Paarfamilien. Die Doppelbelastung durch Arbeit und Alleinerziehung erfordert ein ausgeprägtes Zeitmanagement, höhere Flexibilität und Belastbarkeit von Alleinerziehenden. Traditionelle Rollenmuster und Berufsselbstverständnisse erschweren Alleinerziehenden auch den Wiedereinstieg ins Erwerbsleben. Junge Alleinerziehende wählen oft auch deshalb einen „frauentypischen“ Beruf, weil sie annehmen, dass sich Arbeit und Familie in der Ausbildung selbst und auch im späteren Arbeitsleben besser vereinbaren lassen. Dies hat langfristig negative Folgen für ihre materielle Alterssicherung. Eine an der traditionellen Ehepartnerfamilie ausgerichtete Familienpolitik berücksichtigt die Lebenswirklichkeit der Ein-Eltern-Familien nur unzureichend. Ihre Lebensform kommt beispielsweise in den Steuergesetzen gar nicht vor. Sie werden besteuert wie Singles: in Steuerklasse I, die die höchste Einkommensteuer ausweist, vergleichbar gleichgeschlechtlichen Paaren. Solche Fehlanreize für Alleinerziehende sollten zukünftig vermieden werden. Außerdem bin ich für die Abschaffung der Lohnsteuerklasse V, da diese dazu führt, dass der Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit nach einer Familienphase als unattraktiv empfunden wird. Das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur steuerlichen Gleichstellung für alle eingetragenen Lebenspartnerschaften ist ein richtiger Schritt, an dem sich auch eine steuerliche Entlastung für Alleinerziehende orientieren sollte. Dazu kommt, dass ein nicht geringer Anteil Alleinerziehender dadurch belastet wird, dass unterhaltsverpflichtete Elternteile den Kindesunterhalt nicht zahlen. Die Unterhaltsschuldner sind ganz überwiegend Väter, sodass alleinerziehende Mütter neben der Belastung durch Arbeit und Erziehung auch bürokratischen Aufwand durch Beantragung von Unterhaltsvorschuss und psychisch belastende Situationen im Unterhaltsstreit mit dem Kindsvater zu bewältigen haben. Ich wiederhole das gern: Das Nichtzahlen des Kindes-unterhalts ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat. Der Arbeitsmarkt braucht die Qualifikation von Alleinerziehenden. Flexible Arbeitszeitmodelle wie Telearbeit, Teilzeitmodelle, Arbeitszeitkonten etc. müssen besser gefördert werden. Der FDP ist es ein wichtiges Anliegen, Alleinerziehende beim Einstieg und Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu unterstützen und zu fördern. Darum -plädieren wir auch für eine familienfreundliche Arbeitswelt und familienfreundliche Arbeitszeiten. Zum Beispiel prüfen wir gerade eine spezielle Regelung für Alleinerziehende, wenn es um ein Recht zur Rückkehr in Vollzeitarbeit oder von Teilzeit- in Vollzeitarbeit geht. In Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen ist darauf hinzuwirken, dass Öffnungszeiten von Kindertagesstätten und Horten sowie die Ganztagsbetreuung in Schulen auf die Bedürfnisse einer flexiblen Arbeitswelt ausgerichtet werden und insbesondere Allein-erziehenden die Sicherheit gegeben wird, dass ihre Kinder verlässlich betreut werden. Ich vertrete die Auffassung, dass eine gut ausgebaute, bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung mit dem entsprechenden Rechtsanspruch ab August 2013 Alleinerziehende und ihre Kinder besonders unterstützt. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Es bleibt nach wie vor festzustellen, dass die frühere Ankündigung der letzten Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD, ein breites und niedrigschwelliges Angebot zur Unterstützung Alleinerziehender zu entwickeln, zu keinen konkreten Ergebnissen geführt hat, weder während der Zeit der Großen Koalition noch in der aktuellen Legislaturperiode. Deshalb listet der Antrag meiner Fraktion Die Linke die Aspekte auf, die man zur Unterstützung Alleinerziehender für notwendig hält und die erforderlich sind. Hier sind beispielsweise eine Flexibilisierung der Arbeitszeit mit einem individuellen Recht auf Teilzeit sowie ein Recht auf Rückkehr in die Vollzeit, ein Kündigungsschutz für Alleinerziehende bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres des Kindes, ein Rechtsanspruch auf Teilzeitausbildung und die Unterstützung der Alleinerziehenden bei der Rückkehr in das Berufsleben nach einer fami-lienbedingten Auszeit zu nennen. Von diesen Forderungen, deren Umsetzung den Alleinerziehenden eine echte Hilfestellung bieten würde, ist bisher nichts auf den Weg gebracht worden. Des Weiteren ist eine bessere finanzielle Ausstattung von Ländern und Kommunen notwendig, unter anderem auch für den Ausbau der gebührenfreien bedarfs- und altersgerechten Kinderganztagsbetreuung sowie für ein flächen- und bedarfsgerechtes ganztägiges Schulangebot inklusive Ferienbetreuung. Es reicht nicht aus, einfach noch Geld draufzupacken und zu sagen: Jetzt macht mal schneller! Dass die Zeit nicht reicht und das Angebot nicht langt, war schon Frau von der Leyen bewusst. Mit der notwendigen Anpassung der Ausbildung und Qualifikation von Erzieherinnen und Erziehern sowie Sozialpädagoginnen und -pädagogen ist ebenfalls noch nicht begonnen worden. Bei den Mutter-/Vater-Kind-Kuren ist seit der Zeit der Großen Koalition keine Verbesserung erzielt worden. Auch hat es keine Überlegungen gegeben, wie im Bereich des Unterhaltsvorschusses die Rückholquote erhöht werden könne; die schon lange Zeit im Raum stehende Forderung nach einem Ausbau des Unterhaltsvorschusses ist nicht erfüllt worden, obwohl im Koalitionsvertrag eine Verlängerung bis zum 14. Lebensjahr vereinbart worden ist. Eine Verlängerung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres wäre die richtige Lösung gewesen. Die hätte allerdings auch umgesetzt werden müssen. Hinsichtlich der Aufhebung der einschränkenden Bedingungen für den Entlastungsbeitrag bei Allein-erziehenden im Steuerrecht und der Rücknahme der Kürzung des Elterngeldes ist ebenfalls nichts passiert. Mit der Forderung nach einem individuellen Anspruch auf je zwölf Monate Elterngeld für beide Elternteile haben wir eine flexible Ausgestaltung im Blick. Niemand soll gezwungen werden, die Elternzeit am Stück zu nehmen, sondern sie soll dann genommen werden können, wenn die Eltern oder die Alleinerziehenden es für richtig hielten. Meiner Meinung nach muss die Elternzeit nicht direkt im Anschluss an die Geburt genommen werden, sondern kann blockweise zum Beispiel auch zur Zeit der Einschulung genommen werden. Entgegen den Ausführungen der SPD-Fraktion wird damit niemand vom Arbeitsmarkt ferngehalten. Erforderlich sind weiterhin die Weiterentwicklung des -Kindergelds und des Kinderzuschlags zu einer Kindergrundsicherung sowie die verfassungskonforme Berechnung der Hartz-IV-Sätze. Mit Ausnahme des bescheidenen, weil lediglich -finanziellen Engagements beim Ausbau der Kindertagesbetreuung hat die Bundesregierung zu den genannten Aspekten keinerlei Maßnahmen ergriffen. Und auf eines sei hingewiesen: Der Antrag der Fraktion Die Linke soll nicht dahin gehend missverstanden werden, dass man eine sofortige Umsetzung aller genannten Aspekte erwarte, sondern es handelt sich um Zielbestimmungen, bei denen wir die Bundesregierung zur Einleitung gesetzgeberischer Initiativen auffordern. Aber anscheinend soll nach dem Willen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion die Bundesregierung ja nicht einmal zu Initiativen aufgefordert werden. Oder liegt es vielleicht daran, dass die anderen Fraktionen unsere Anträge nicht lesen, sondern ausschließlich aus dem Grunde ablehnen, weil „Linke“ darüber steht? Anders kann ich es mir nicht erklären. Wir hingegen machen inhaltliche Politik und begrüßen den Antrag der SPD-Fraktion. Ein Manko ist und bleibt allerdings, dass nicht darauf eingegangen wird, dass das Elterngeld auf Transferleistungen angerechnet wird. Die alleinerziehenden Mütter und Väter müssen entsprechend abgesichert werden. Soweit die SPD-Fraktion verlangt, die Forderungen auf Bundestagsdrucksache 17/11038 – „Neue Strategien für eine bessere Förderung von Alleinerziehenden in der Grundsicherung“ – umzusetzen, stimmt die Linke dem voll zu. Dagegen lehnt meine Fraktion die Forderungen im Antrag „Chancen eröffnen und Fachkräfte sichern“, Bundestagsdrucksache 17/9725, ab. Da wir aber insgesamt das Anliegen der besseren Unterstützung der alleinerziehenden Mütter und Väter für richtig halten und Sachpolitik machen, werden wir dem Antrag der SPD-Fraktion im Ergebnis unserer Überlegungen zustimmen. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Viel Luft, nichts dahinter: So lässt sich die Politik der Bundesregierung mit Blick auf Alleinerziehende charakterisieren. Sie lässt die Alleinerziehenden weiterhin im Regen stehen. Vier Jahre hatte die Koalition Zeit, und passiert ist nichts mit Blick auf spürbare Verbesserungen für diese Familienform. Nicht einmal die richtigen Ankündigungen aus dem eigenen Koalitionsvertrag wurden von der Bundesregierung umgesetzt – mit Hinweis auf die leeren Kassen! Für das Betreuungsgeld sind Milliarden da, für Maßnahmen, die Alleinerziehenden zugutekommen, bleiben bestenfalls warme Worte. Beispiel Unterhaltsvorschuss: Angekündigt wurde, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten und bis zum 14. Lebensjahr eines Kindes zu gewähren – eine wichtige und sinnvolle Maßnahme. Es gab sogar schon einen Gesetzentwurf. Die Umsetzung hat dann aber nicht stattgefunden – Finanzierungsvorbehalt. Beispiel Abzug von der Steuerschuld: Selbstverständlich wäre es im Interesse der Alleinerziehenden, den bisherigen steuerlichen Entlastungsbetrag in einen Abzug von der Steuerschuld umzugestalten. Passiert ist auch hier nichts. Dafür hat die Regierung an Stellen gespart, die Alleinerziehende ganz besonders treffen, beispielsweise durch die Anrechnung des Sockelbetrags beim Elterngeld auf die Leistungen nach dem SGB II. Vier Jahre gab es kein Geld, und plötzlich will Kanzlerin Merkel 29 Milliarden Euro für bezahlbares Wohnen, Unterstützung für Familien und die Erhöhung des Kindergeldes ausgeben – selbstverständlich erst nach der Bundestagswahl im September. Das ist kein Wahlversprechen, das ist angekündigter Wahlbetrug! Denn eine Gegenfinanzierung für die 29 Milliarden Euro Kosten gibt es nicht. Dabei wäre mit einer Umsteuerung bei den Familienleistungen und beim Ehegattensplitting viel zu erreichen – für alle Familien, insbesondere aber auch für Alleinerziehende. Denn es sind die Alleinerziehenden, die – das liegt in der Natur der Sache – nicht vom Ehegattensplitting profitieren. Es muss uns darum gehen, Kinder zu fördern, nicht den Trauschein. Die familienbezogenen Leistungen müssen so verändert werden, dass alle Familien tatsächlich profitieren und Menschen jeden Geschlechts frei wählen können, in welchen Konstellationen sie leben wollen. Deshalb ist es folgerichtig und notwendig, das Ehegattensplitting schrittweise abzubauen und die Mehreinnahmen in den Ausbau der Kindertagesbetreuung und den Aufbau einer Kindergrundsicherung zu in-vestieren. Die Kindergrundsicherung wird aus dem Familienleistungsausgleich finanziert; sie ist keine zusätzliche Transferleistung. Ziel ist eine Kindergrund-sicherung, die der Höhe nach so bemessen ist, dass die Kinderfreibeträge verfassungskonform abgeschafft werden können. Sie wäre insbesondere die richtige Antwort mit Blick auf eine Verbesserung der materiellen Situation von Alleinerziehenden und ihren -Kindern. Hierauf hat die Vorsitzende des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter in der Anhörung zur Weiterentwicklung des Unterhaltsvorschusses ausdrücklich hingewiesen. Es wird Zeit, dass wir diese dringliche Aufgabe endlich in Angriff nehmen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zunächst Tagesordnungspunkt 22 a. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 17/13178. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11032 mit dem Titel „Alleinerziehende besser unterstützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen?  – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von SPD und Linken sowie bei Enthaltung der Grünen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8793 mit dem Titel „Alleinerziehung von Kindern würdigen – Alleinerziehende gebührend unterstützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen. Tagesordnungspunkt 22 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Neue Strategien für eine bessere Förderung von Alleinerziehenden in der Grundsicherung“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12905, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/11038 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von SPD und Linken und Enthaltung der Grünen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen – Drucksachen 17/13086, 17/13764 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Geis Ansgar Heveling Ingo Egloff Stephan Thomae Halina Wawzyniak Jerzy Montag Dr. Konstantin von Notz Die Reden gehen zu Protokoll. Auch hierzu liegen einige Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Diese nehmen wir zu Protokoll.10 Norbert Geis (CDU/CSU): Es geht in dem Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen darum, den Wettbewerb und die Innovationsdynamik im Softwarebereich zu sichern. Es geht um leistungsfähige und sichere Informationssysteme. Diese sind längst zur Grundlage der Entwicklung unserer Gesellschaft in eine Wissens- und Informationsgesellschaft geworden. „Das wird nichts“, meinte der große Computerpionier Bill Gates noch 1995. Inzwischen aber ist eine wahre digitale Revolution über die Welt gekommen. Die UN zählen rund 2,5 Milliarden Menschen, die im Netz unterwegs sind. Mehr als jeder dritte Weltbürger. Diese digitale Revolution geht über staatliche Grenzen hinweg. Eine ungeheure Informationsflut kommt täglich auf uns zu. Hauptursächlich für diese Entwicklung ist nicht nur der PC, der in fast jedem Haushalt steht, sondern vor allem die Software, mit der die Computer in Funktion gesetzt werden. Die jeweilige Software wird durch die Nutzer und vor allem auch durch die kleinen und mittleren Unternehmen ständig weiterentwickelt. Die Patentierung von Software verhindert aufgrund ihres Monopolcharakters diese Innovationsdynamik, weil sie den Wettbewerb ausschaltet. Die Patentierung trifft insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe, die bereits vorhandene Computerprogramme verbessern, auf besondere Zwecke ausrichten und weiterentwickeln. Dadurch, dass durch die Patentierung und damit Monopolisierung der Wettbewerb ausgeschaltet würde, würde die Entwicklung von leistungsfähigen und sicheren Informationssystemen im Internet behindert werden. Der jetzt schon deutlich sichtbare Erfolg des Internets ist gerade auf die ständig verbesserte Software zurückzuführen. So entstanden innerhalb von wenigen Jahren neue Anwendungsgebiete, von denen wir zuvor nur haben träumen können. Diese Entwicklung wird gekappt, wenn durch die Patentierung der Software ein Monopolrecht entsteht. Ohne Monopolrechte aber können alle ihre Verbesserungsvorschläge und ihre Ideen einbringen, und alle können davon profitieren. Insgesamt wird durch die ständig neue vielfache Verbesserung der einzelnen Programme vor allem durch die Nutzer selbst eine ungeheure Innovationskraft entfacht, die gerade in einem rohstoffarmen Land wie dem unseren, das nichts anderes einsetzen kann als sein Können, von allergrößter Bedeutung ist. Bislang werden Computerprogramme bei uns in Deutschland und in Europa grundsätzlich nicht patentiert. Ein Computerprogramm besteht aus einer Folge von Algorithmen. Algorithmen gehören der Mathematik an. Mathematische Lehren aber sind zu keiner Zeit patentierfähig gewesen. Allerdings können sie urheberrechtlich geschützt werden. Das Urheberrecht gewährt im Gegensatz zum Patentrecht dem Urheber kein einen Dritten ausschließendes Recht. Es gibt natürlich schon heute die Patentierung der Software. Dies ist jedoch nur möglich, wenn sie in ein technisches oder durch die Natur vorgegebenes Phänomen konkret eingebunden ist. So hat es der BGH in verschiedenen Urteilen dargelegt. In den USA hat sich jedoch eine andere Rechtsprechung entwickelt. Dort besteht die Tendenz, die Grenzen der technischen Einbindung sehr weit zu fassen. Es ist nicht sicher, ob der BGH nicht eines Tages dieser Tendenz folgen wird. „Es bleiben allerdings Zweifel an der Kontinuität der Rechtsprechung des BGH“, so Professor Ensthaler in der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses vom 13. Mai 2013. Jedenfalls hat der BGH zwar nicht entschieden, aber angedeutet, dass auch nichttechnische Programme dem Patentrecht unterfallen könnten. Darunter könnte, wie in der Anhörung ausgeführt wurde, ein von der Software her technisch gut aufgebautes Buchhaltungsprogramm fallen. Im Grundsatz aber hat der BGH bei seinen bisherigen Entscheidungen daran festgehalten, dass ein patentrechtlicher Schutz nur für die Lösung eines technischen Problems möglich ist. Für außerhalb der Technik liegende Lösungen gibt es bis jetzt kein Monopolrecht. Die Beschwerdekammern des europäischen Patentamtes unterscheiden sich in ihrer Spruchpraxis bisher nicht von der Rechtsprechung des BGH. Allerdings stellen die Beschwerdekammern in den Vordergrund, dass jedes Computerprogramm einen technischen Bezug hat. Dies deutet auf „eine Ausweitung des Begriffs Technik“ und insoweit auf eine Ausweitung der Patentierbarkeit von Software hin. Einer solchen Entwicklung der Rechtsprechung will der vorliegende Antrag der vier Fraktionen vorbeugen. Deshalb wird richtigerweise gefordert, dass die wirtschaftliche Nutzung von Software zwar urheberrechtlich geschützt bleibt, das Recht auf Patentierung aber ausgeschlossen ist. Der Antrag wehrt sich eindeutig gegen die Ausweitung des patentrechtlichen Schutzes der Software, fordert aber zugleich die Durchsetzung des urheberrechtlichen Schutzes. Allerdings wurde in der Anhörung auch deutlich, dass auch beim Urheberrecht Schwierigkeiten auftreten können. Der urheberrechtliche Schutz ist zuallererst ein Schutz für Kunstwerke. Der Schutz gilt deshalb auch noch 70 Jahre nach dem Tod des Schöpfers. Eine solch lange Dauer des Schutzes ist für die Erstellung einer Software nicht angebracht. Zu begrüßen ist, dass sich in der Rechtsprechung herausgebildet hat, dass das Urheberrecht nicht den Inhalt einer wissenschaftlichen Leistung schützt. Das Urheberrecht schützt also nicht die in einem Lehrbuch vorgestellte wissenschaftliche Lehre, sondern das Urheberrecht schützt bei Computerprogrammen „die eigentümliche, die originelle Verwendung der in dem Programm enthaltenen Algorithmen“ (Ensthaler). Mit dieser Einschränkung wird der Nutzer in seiner freien Nutzung der Software durch das Urheberrecht nicht behindert, die Wettbewerbsfähigkeit wird nicht eingeschränkt. Durch die Patentierung hingegen würden Monopole entstehen, die in unserer freien marktwirtschaftlichen Ordnung nichts zu suchen haben. Deshalb gilt der Auftrag an die Bundesregierung, eine Gesetzgebung zu entwickeln, die das Urheberrecht an Software sichert, aber gleichzeitig die Patentierbarkeit von Software so einschränkt, dass die Wettbewerbsfähigkeit und damit Innovationsdynamik nicht behindert wird. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Wir werden heute den gemeinsamen interfraktionellen Antrag der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD sowie von Bündnis 90/Die Grünen zur Sicherung von Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich verabschieden. Nicht zuletzt die Sachverständigenanhörung hat gezeigt, dass unsere gemeinsame Initiative, die Patentierung von Computerprogrammen zu begrenzen – und das betone ich: Es geht darum, Patentierungen zu -begrenzen, und nicht darum, sie generell auszuschließen –, ein gutes Signal insbesondere für die mittelständische IT-Wirtschaft darstellt. Denn es sind vor allem Unternehmen aus dem Mittelstand, die maßgeblich an der Erstellung und Fortentwicklung von Informationssystemen beteiligt sind. Leistungsfähige und innovative Informationssysteme sichern einen funktionierenden Zugang zu sowie Austausch von Wissen und Information. Erstes Ziel: Rechtssicherheit schaffen. In diesem Bereich besteht heute eine Vielzahl softwarebezogener Patente, wodurch Softwareentwickler oftmals ihre urheberrechtlichen Verwertungsrechte faktisch zu verlieren drohen. Sie sehen sich darüber hinaus unkalkulierbaren Kosten- und Haftungsrisiken ausgesetzt. Es hat sich durch die Konfliktsituation zwischen patent- und urheberrechtlichen Ansprüchen – nicht erst seit kurzem – eine erhebliche Rechtsunsicherheit entwickelt. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen im Softwarebereich sind durch das hohe Kostenrisiko bei Patentstreitigkeiten von dieser derzeit bestehenden Rechtsunsicherheit betroffen. Sie steht einer rechtssicheren Verwertung von Computerprogrammen durch ihre eigenen Entwickler auf der Grundlage des geltenden Urheberrechts entgegen. Damit sei ein weiteres Ziel des vorliegenden Antrages genannt: Wir wollen der bestehenden Rechtsunsicherheit entgegenwirken und mit unserem fraktionsübergreifenden Antrag rechtssichere Bedingungen für die IT-Wirtschaft schaffen. Das stärkt vor allem kleine und mittelständische Softwareunternehmen. Aber auch größere IT-Unternehmen haben keine Einschränkung des bestehenden Patentschutzes zu befürchten. Es wird nach geltendem Recht auch weiterhin möglich sein, Erfindungen im Softwarebereich zu patentieren. Zweites Ziel: Urheberrecht stärken. Ein weiteres wichtiges Ziel des Antrages ist es, das Urheberrecht im Softwarebereich gegenüber dem Patentrecht zu stärken. Grundsätzlich ist das Urheberrecht für die Rechte an geistigen Werken, wie etwa einem Computerprogramm, zuständig, das Patentrecht wiederum für die Rechte an konkreten technischen Erfindungen. Damit stellt das Urheberrecht die unbestreitbare Grundlage für Kreativität und Schaffenskraft auch in der Softwarebranche dar. Zugleich gibt es eine klare Struktur und Kontur für die wirtschaftlichen Bedingungen vor, unter denen Softwareentwickler in unserem Land tätig sind. Das Urheberrecht ist leistungsgerecht und gilt automatisch mit der Entstehung eines Werkes. Es sichert den Softwareentwicklern den wirtschaftlichen Nutzen an ihren erbrachten Leistungen. Zudem verbietet es per se das Kopieren und die Verwendung eines lauffähigen Computerprogrammes. Dadurch dass Urheberrechte auch an unterschiedlichen Implementierungen des gleichen Lösungsansatzes problemlos nebeneinander bestehen können, sorgt das Urheberrecht hier allein für zwei zentrale Bedingungen: Es schafft einen gleichberechtigten Marktzugang und einen regen Wettbewerb auf dem IT-Markt. Durch das Urheberrecht sind Softwareprogramme also grundsätzlich wirksam und effizient geschützt. Drittes Ziel: europäischen Ansatz umsetzen. Ein zusätzlicher Schutz durch Patentierungen ist somit meistenfalls eigentlich nicht notwendig. Dies entspricht auch dem europäischen Ansatz, der bereits in der Softwarerichtlinie 1991 mit dem „copyright approach“ festgeschrieben wurde. Auch das TRIPS-Abkommen sieht in Art. 10 den Schutz von Computerprogrammen durch das Urheberrecht vor. Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir also nicht zuletzt eine Umsetzung des seit nunmehr über 20 Jahren verfolgten klaren urheberrechtlichen Ansatzes seitens der europäischen Ebene erreichen. Der derzeit bestehenden Rechtsunsicherheit setzen wir mit diesem interfraktionellen Antrag eine deutliche Position zugunsten des Urheberrechts entgegen. Mit dem vorliegenden Antrag erreichen wir neben den drei genannten Zielen – Schaffung von Rechts-sicherheit, Stärkung des Urheberrechts sowie Umsetzung des europäischen Ansatzes – klare Bedingungen für alle Softwareentwickler, die in unserem Land innovative Informationssysteme und Computerprogramme schaffen. Es ist deshalb ein gutes Signal, das wir den Entwicklern von Software und Informationssystemen heute mit diesem fraktionsübergreifenden Antrag geben. Wir geben ihnen Rechtssicherheit und Klarheit, damit ihre Leistungen auch in Zukunft geschützt sind. Ingo Egloff (SPD): Wir freuen uns sehr, dass es gelungen ist, diese interfraktionelle Initiative noch vor dem Ende der Legislaturperiode zu einem gemeinsamen Abschluss zu bringen, mit dem wir als Deutscher Bundestag ein Zeichen auch für die künftige Debatte in Europa setzen. Vor dem Hintergrund der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss am 13. Mai dieses Jahres, bei der zehn von elf Sachverständigen deutliche Worte des Lobes für unsere Initiative gefunden haben, kann man -sagen, dass wir mit der Begrenzung von Softwarepatenten auf dem richtigen Weg sind und dabei von Wissenschaftlern, Juristen und Praktikern gleichermaßen Ermunterung zu unserem weiteren Vorgehen mitnehmen können. Unser Bekenntnis zu einer effektiven Begrenzung der Patentierung von Software verpflichtet die Bundesregierung, auf europäischer Ebene mit Nachdruck für den von uns geforderten Vorrang des Urheberrechts vor anderen Schutzrechten einzutreten. Das schließt den Auftrag ein, sich für eine Evaluierung der Patenterteilungspraxis der letzten Jahre stark zu machen, sei es beim Europäischen Patentamt oder in anderen nationalen Patentämtern. Patente, die dort auf einer falschen Grundlage erteilt wurden – in großer Zahl, wie wir alle wissen – dürfen in Europa nicht mehr den urheberrechtlichen Schutz torpedieren, der Softwareentwicklern die wirtschaftliche Nutzung ihrer Werke ermöglicht. Wenn dazu gesetzgeberische Präzisierungen auch innerhalb des deutschen Urheber- und Patentrechts nötig sind, um Missbrauch zu verhindern, müssen wir sie schnellstmöglich angehen. Auch in der Expertenanhörung ist uns noch einmal nahegelegt worden, eine Schutzklausel für die uneingeschränkte Verwertung von Computerprogrammen durch ihre Autoren vorzusehen, die von bereits erteilten softwarebezogenen Patenten bedroht sind. Die Erteilung solcher Patente, wie sie zu Zehntausenden erfolgt ist, war der eigentliche Rechtsverstoß, nicht die vorgebliche Verletzung durch die Wahrnehmung des – urheberrechtlich abgesicherten – wirtschaftlichen Nutzens aus dem konkreten Werk durch dessen Entwickler. Solche Tri-vialpatente und ähnlich ärgerliche Hemmnisse für Innovation in der Softwareentwicklung dürfen keinen Vertrauensschutz genießen. Im Gegenteil: Bei bereits erteilten Patenten, die nach der von uns vorgelegten Technikdefinition als nicht patentfähig gelten, muss jederzeit damit gerechnet werden, dass sie in einem Nichtigkeitsverfahren aus dem Verkehr gezogen werden, damit sie keinen wirtschaftlichen Schaden anrichten können. Jimmy Schulz (FDP): Es freut mich außerordentlich, dass wir heute im Plenum den von mir und Günter Krings erarbeiteten Antrag verabschieden, und vor allem, dass der Antrag quer durch das ganze politische Spektrum unterstützt wird. Das ist ein sehr wichtiges Zeichen. Ich setze mich schon seit über zehn Jahren für -dieses Thema ein, und deswegen war es auch mein persönliches Anliegen als Abgeordneter, das Thema voranzubringen. Mit diesem Antrag gehen wir für die mittelständische Wirtschaft endlich einen wichtigen Schritt nach vorn. Und das mit starkem Rückenwind. Am 13. Mai 2013 fand eine Anhörung im Rechtsausschuss statt. Eine große Bandbreite an Rechtsanwälten, Informatikern, Professoren und Unternehmern war eingeladen, sich ausführlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die Anhörung hat vor allem deutlich gemacht, dass wir für unseren Antrag enorme Unterstützung aus Wissenschaft und Wirtschaft haben. Eine überwältigende Mehrheit der Experten hat sich für den Antrag – den Schutz des Urheberrechts bei softwarebasierten -Lösungen – und gegen die Patentierung von Softwarelösungen ausgesprochen. In der Anhörung wurde die mittelständische IT-Wirtschaft durch Sachverständige vom Bundesverband IT-Mittelstand e. V., der über 800 mittelständische IT-Unternehmen vertritt, und vom Bundesverband Informations- und Kommunikationstechnologie sowie durch einen Rechtsanwalt, der mittelständische Softwareunternehmer berät, vertreten. Sie alle haben unsere Bedenken gegenüber der Patentierung von softwarebasierten Lösungen geteilt. Zum Beispiel sagte der Präsident des Bundesverbandes IT-Mittelstand, Dr. Oliver Grün: „Die Patenterteilung für Softwareprogramme ist unnötig, kostenintensiv, innovationshemmend und schadet der mittelständischen IT-Wirtschaft. Wir fordern daher die Unterbindung der Erteilung softwarebezogener Patente in Deutschland und Europa.“ Die immer großzügigere Erteilungspraxis des Europäischen Patentamtes stelle ein großes Problem für Softwareentwickler dar. Vor allem ist wichtig zu wissen, dass 65 Prozent der Arbeitsplätze in der IT-Branche in kleinen und mittleren Unternehmen mit bis zu 250 Mitarbeitern existieren. Auch unsere Sorgen, die wir in Bezug auf die Patentierung von softwarebasierten Lösungen haben, wurden von den anderen Experten bestätigt. Stefan Richter, Informatiker und Ingenieur mit langjähriger Erfahrung in der wissenschaftlichen- und kommerziellen Softwareentwicklung, konnte die Problematik der Trivialpatente und der daraus folgenden langen und mit hohen Kosten verbundenen Gerichtsverfahren mit praktischen Beispielen bestätigen. Das patentierbare Konzept, die Idee, sei einfach zu erstellen, im Gegensatz zum Erstellen des Quellcodes aus dem Konzept, das dem Schutz des Urheberrechts unterliegt. Der Bundesverband für Informations- und Kommunikationstechnologie bestätigte, dass Softwarepatente vor allem großen, ausländischen Unternehmen gehören. Zwei Drittel der Softwarepatente sind nicht europäisch. Die beiden Rechtsanwälte Till Kreutzer und Till -Jäger bestätigten, dass in der schnellen Softwarebranche Patente innovationshemmend wirken. Till Jäger vom Institut für Rechtsfragen der Freien und Open Source Software bezeichnete die Softwarepatente als „Zerstörungselement“ und betonte, dass die Idee, mit Patenten Innovation zu fördern, im Softwarebereich nicht funktioniere, sondern genau den gegenteiligen Effekt habe. Rechtsanwalt Rasmus Keller unterstützte die Forderung im Antrag, dass Lösungen, die von einer mechanischen oder elektromechanischen Komponente und nicht nur von einem Computer ausgeführt werden können, patentierbar sein sollen. Ich möchte hier nicht auf weitere Details eingehen, da ich viele Einzelheiten bereits in meiner letzten Rede erwähnt habe. Zusammenfassend: Im Bereich der Softwareentwicklung hat sich in den letzten Jahrzenten in Deutschland ein reichhaltiger und gut funktionierender Markt kleiner, mittelständischer und großer Unternehmen herausgebildet. Diese sichern ihre Rechte an den entwickelten Programmen über das vorhandene Urheberrecht. Eine zusätzliche marktverzerrende und innovationshemmende Regelung für Softwarepatente sehe ich sehr kritisch. Es ist jetzt Aufgabe der Bundesregierung, die Lage zu analysieren und abzuschätzen, inwiefern und welche Maßnahmen notwendig sind. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Im vorliegenden Antrag ist die grundlegende Problematik von Softwarepatenten treffend beschrieben. Nehmen wir nur folgenden Ausschnitt: „Die Abstraktheit der Patentansprüche hat zur Folge, dass ein softwarebezogenes Patent alle individuellen Ausführungen der geschützten Problemlösung in konkreten Computerprogrammen erfasst.“ Das bedeutet in einfachen Worten: Selbst wenn eine Programmiererin für ein ähnlich gelagertes Problem eine ähnliche Softwarelösung findet, kann ihr die Verwendung dieser Lösung im eigenen Programm einfach untersagt werden. Genau dies führt zu den absurden Patentstreitigkeiten, wie wir sie zuletzt rund um Smartphones erleben durften. Dies birgt massive Rechtsunsicherheiten, die ein Unternehmensrisiko darstellen, auf die ohne gut aufgestellte juristische Abteilungen eines großen Konzerns kaum eingegangen werden kann. -Somit sind insbesondere kleinere Softwarefirmen und einzelne Entwicklerinnen und Entwickler massiv benachteiligt. Matthias Kirschner von der Free Software Foundation Europe hat darauf in seiner Stellungnahme für die Anhörung zum vorliegenden Antrag hingewiesen. Er schreibt: „Dadurch, dass ein Produkt meist Hunderte von Programmen enthält, ist es auch nach Verbesserung der Suche nach Patenten unmöglich, sicherzustellen, dass keine Patente verletzt werden.“ Weiter ist ein solch umfassender Schutz schlicht -lebensfremd. Software wird ja oft inkrementell weiterentwickelt. Das heißt, bestehende Lösungen werden in neuen Code eingebunden. Programmiererinnen und Programmierer befruchten sich so in ihrer Arbeit gegenseitig. Patente auf Software behindern dieses Zusammenspiel von bestehendem und neuem Code insbesondere in der Entwicklung freier Software, aber auch Innovationen bei proprietären Systemen. Auf der anderen Seite sind komplexe Softwareprogramme derart aufwendig zu programmieren, dass heute schon viele Firmen gern auf freie Software zurückgreifen, weil ein Nachbau des Codes viel zu aufwendig wäre. Die spezifische Anpassung der Software an das eigene Produkt ist dabei oft Arbeit und Alleinstellungsmerkmal genug, um sich vor billigen Copycats zu schützen. Insofern ist auch in abschließender Lesung noch einmal zu fragen, warum der Antrag nur eine enge Beschränkung von Softwarepatenten fordert und nicht ein weitergehendes Verbot formuliert. Dennoch, die Beschränkung der Patentierungsmöglichkeiten geht in die richtige Richtung. Auch die Betonung des Urheberrechts als Schutzrahmen für die Programmierleistung ist an sich zunächst systematisch folgerichtig, stellt dieses doch auch den Rahmen für die Lizenzmodelle dar, die die Verwendung freier Software regeln. Das Urheberrecht bietet ja bereits einen einheitlichen Rechtsrahmen für freie und proprietäre Software. Gleichwohl hätte es dem Antrag gut getan, nicht nur darauf hinzuweisen, dass Softwareentwicklerinnen und -entwickler durch die aktuelle Patentierungs-praxis „faktisch die urheberrechtlich vorgesehenen Verwertungsrechte an ihren selbst geschaffenen -Computerprogrammen“ verlieren. Hier müssten sinnvollerweise Vorschläge hinzukommen, wie auch im Softwarebereich angemessene Vergütungen sowie das Recht der Urheberinnen und Urheber, selbst über die weitere Nutzung ihrer Arbeitsergebnisse zu entscheiden, flächendeckend durchgesetzt werden können. Stichwort: Buy-out. Nicht zuletzt bleibt ein großes Problem des Urheberrechts hier gänzlich unberührt: Während ein -Patentschutz maximal 20 Jahre nach Erteilung des -Patents erlischt, bleibt der urheberrechtliche Schutz bekanntermaßen bis 70 Jahre nach dem Tod der Softwareentwicklerinnen und -entwickler bestehen. Natürlich gilt das für Computerprogramme längst und würde nicht erst durch die Umsetzung des vorliegenden Antrags neu eingeführt. Ob aber eine solche Schutzdauer dauerhaft kompatibel mit den Innovationsgeschwindigkeiten der digitalen Welt ist, sei dahingestellt. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Erst vor wenigen Wochen diskutierten wir an dieser Stelle über unsere interfraktionell vorgelegte Initiative „Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen“. Als Grüne haben wir uns, auch und gerade vor dem Hintergrund so manch anderer Debatte, die wir hier in diesem Bereich in dieser Legislatur geführt haben, sehr über die interfraktionelle Initiative und die Erneuerung der gemeinsamen Absichtsbekundung, der weiter ausufernden Patentierung im Softwarebereich einen Riegel vorzuschieben, gefreut. Ich spreche sehr bewusst von „Erneuerung“ der gemeinsamen Absichtserklärung, da, wie wir ja alle wissen, eine entsprechende – ebenso interfraktionelle – Aufforderung, sich dieses drängenden Problems anzunehmen, seit etlichen Jahren vorlag, ohne dass es zu notwenigen Nachjustierungen gekommen ist. Auch an so mancher, in der nun vorgelegten Initiative zu findenden, Formulierung ist daher abzulesen, dass die Geduld der Fraktionen, dem munteren Treiben findiger Patenttrolle weiter zuzusehen, zusehends schwindet und der einhellige Wille besteht, weiter zunehmende Marktzugangsbarrieren vor allem für kleine und mittlere Unternehmen effektiv einzuschränken. Die Geduld aller Beteiligten schwindet auch vor dem Hintergrund, dass es schlicht nicht hinnehmbar ist, dass Einzelentwickler und vor allem kleine und mittlere Unternehmen bei der Entwicklung neuer Software durch eine heute in Teilen unklare Rechts- und eine häufig unüberschaubare Patentlage unbeabsichtigt riskieren, die Patente Dritter zu verletzen. Hierdurch wird Innovationskraft in einem auf Innovationen angewiesenen Bereich unnötig ausgebremst. Aufgrund immer schneller werdender Innovationszyklen und einer ganz erheblichen Anzahl gewährter Softwarepatente sowie einer – teilweise sicherlich auch bewusst – unklaren Formulierung vieler Patent-ansprüche ist es vor allem kleinen und mittleren, aber zunehmend auch großen Unternehmen heute praktisch unmöglich, die Patentlage zu überblicken. Die direkte Folge dieser heute vielfach unklaren Rechts- und unüberschaubaren Patentlage sind die Verfahren, die zahlreiche Unternehmen derzeit gegeneinander führen und von denen wir beinahe täglich in den Zeitungen lesen können. Zugleich sind sie nur die Spitze des Eisbergs. Für mich und meine Fraktion ist es nicht hinnehmbar, weiter zu beobachten, dass es sich zwar wenige große -Unternehmen leisten können, angesichts der Unwägbarkeit eines langwierigen Rechtsstreits Patentlizenzgebühren oftmals auch dann zu zahlen, wenn ein entsprechender Anspruch durchaus zweifelhaft ist, während kleine und mittelständische Unternehmen sowie einzelne Entwickler dies nicht können. Ich hoffe, uns allen – und das sage ich auch in Richtung Regierungsbank – ist mittlerweile bewusst, dass es hier einen tatsächlichen Handlungsbedarf gibt. Ziel notwendiger Reformen muss sein, der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers wieder Geltung zu verschaffen und der ausufernden Patentierung im Softwarebereich wieder deutliche Grenzen aufzuzeigen. Dazu, wie dies umgesetzt werden könnte, machen wir konkrete Vorschläge in unserem Antrag, auf die ich ja bereits ausführlich in der ersten Lesung eingegangen bin, sodass ich es uns allen an dieser Stelle erspare, noch einmal detailliert darauf zu verweisen. Das Ziel, der eigentlichen Intention des Gesetzgebers wieder Geltung zu verschaffen, sollten wir – und das sage ich noch einmal direkt in Richtung Regierungsbank – keinesfalls aus den Augen verlieren. Geschieht dies, werden wir – da bin ich mir sicher – hier in der nächsten Legislatur erneut stehen und eine ganz ähnliche Debatte führen. Als Grüne-Fraktion hatten wir bedauert, dass sich die schwarz-gelbe Koalition erneut geweigert hat, diese Initiative mit allen Fraktionen dieses Hohen Hauses vorzulegen, was wir angeregt hatten. Umso erfreulicher finden wir es, dass auch die Linke das Anliegen unterstützt und so zum Ausdruck bringt, dass der vorgelegte Antrag in der Tat den Willen aller Fraktionen widerspiegelt. Dass unser Antrag, in dem wir feststellen, dass innovative, leistungsfähige und sichere Informationssysteme heute eine „unverzichtbare Grundlage der Wissens- und Informationsgesellschaft“ sind, in der hierzu stattgefundenen Anhörung des Rechts- und des Wirtschaftsausschusses breite Zustimmung der geladenen Sachverständigen fand und vielfach gelobt wurde, hat uns sehr gefreut. Ihnen an dieser Stelle für Ihre Expertise noch einmal einen ganz herzlichen Dank. Gewiss ist der Antrag auch ein Stück weit der guten Zusammenarbeit im Rahmen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zu verdanken, die sich in einer eigenen Projektgruppe mit den Fragestellungen, die nun auch Gegenstand der Initiative sind, sehr intensiv auseinandersetzte. Ich bin mir sehr sicher, dass der heute in abschließender Beratung auf der Tagesordnung stehende Antrag nicht die letzte Initiative sein wird, die auf den vielfach wirklich progressiven – vielfach interfraktionell verabschiedeten – Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ aufbaut, und verspreche Ihnen, dass zumindest meine Fraktion an verschiedenen Stellen auf die gemeinsam gefassten Beschlüsse zurückgreifen und auch Sie gegebenenfalls an sie erinnern wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13764, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13086 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Ilja Seifert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Diskriminierungsschutz für chronisch erkrankte Menschen ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufnehmen – Drucksachen 17/9563, 17/13765 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Stephan Harbarth Sonja Steffen Stephan Thomae Jörn Wunderlich Ingrid Hönlinger Die Reden gehen zu Protokoll. Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Mit der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist Deutschland seiner Verpflichtung nachgekommen, vier Richtlinien der Europäischen Union umzusetzen, die den Schutz vor Diskriminierung regeln. Daraufhin trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG, am 14. August 2006 in Kraft. Den nun von der Fraktion Die Linke vorgelegten Antrag, den Diskriminierungsschutz für chronisch erkrankte Menschen ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufzunehmen, lehnen wir ab. Hierfür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen sahen die umgesetzten Richtlinien einen derartigen Schutz für chronisch kranke Menschen nicht vor. Meine Fraktion hält es im Übrigen für nicht geboten, über die Vorgaben von Richtlinien hinausgehend diese umzusetzen. Zum anderen ist es problematisch, das AGG nur aufgrund von speziellen gerichtlichen Einzelfallentscheidungen anpassen zu wollen. Hierzu muss man nach sechs Jahren Geltung des AGG konstatieren, dass wir in Deutschland bereits ein sehr hohes Schutzniveau vor Diskriminierungen haben. Der Verweis der Antragsteller auf die Pressemitteilung der Leiterin der Antidiskriminierungsstelle vom 30. November 2011 zeigt ebenfalls, dass dem allenfalls ein konkreter Einzelfall zugrunde lag. Grundsätzlich kann man die Frage der Einbeziehung von weiteren Tatbeständen in den Geltungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, so sie denn eine gewisse gesellschaftliche Relevanzschwelle überschreiten, diskutieren. Allerdings kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Notwendigkeit hier nicht erkennen. Dennoch rege ich an, zu evaluieren, ob beim Diskriminierungsschutz für chronisch Erkrankte ein über das hohe deutsche Schutzniveau hinausgehendes Regelungsbedürfnis besteht, welches ich derzeit allerdings nicht erkennen kann. Der heute zur Abstimmung stehende Antrag ist abzulehnen. Sonja Steffen (SPD): Seit 2006 gibt es das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG, dessen Ziel es ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Das AGG verbietet Diskriminierungen und schafft Rechtsansprüche gegen Arbeitgeber und Private, wenn diese gegen die gesetzlichen Verbote verstoßen. Es gilt für den Arbeitsmarkt, den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen sowie für einzelne sozialrechtliche Fragen. Von Kritikern wurde damals vorhergesagt, dass die Einführung des Gesetzes eine Prozessflut hervorrufen würde. Diese ist ausgeblieben. Insgesamt haben wir mit dem AGG vielmehr ein hohes Maß an Diskriminierungsschutz erreicht. Aber es gibt natürlich auch immer wieder einige Schwierigkeiten, insbesondere in Bezug auf die praktische Umsetzung des Gesetzes. Eine Problematik greift die Fraktion Die Linke mit ihrem Antrag, der heute zur Abstimmung steht, auf: die Ausweitung des Diskriminierungsschutzes auf chronisch erkrankte Menschen. Die chronischen Erkrankungen sind sehr vielfältig. Neben HIV-Infektionen, Diabetes und Krebs fallen hierunter auch Adipositas, Hautkrankheiten oder psychische Erkrankungen. Ob Menschen mit chronischen Krankheiten unter den Schutz des AGG fallen, hängt zurzeit davon ab, ob ihre Erkrankung als Behinderung gilt. Die Gruppe der chronisch kranken Menschen ist also nicht grundsätzlich vom Schutz des AGG ausgeschlossen. Aber nicht jeder chronisch Kranke ist behindert, und nicht jeder Behinderte ist chronisch krank. Und nicht jede chronische Erkrankung bedarf eines besonderen, besseren Schutzes. Die Abgrenzungen und Definitionen in diesem Bereich sind schwierig; die Grenzen verschwimmen und erscheinen teilweise willkürlich. Damit fehlt es dieser Gruppe an Rechtssicherheit. Besonders schwierig wird es, wenn eine chronische Erkrankung eine relativ geringe Funktionsbeeinträchtigung und damit auch einen niedrigen Grad der Behinderung, GdB, hat, diese Erkrankungen in der Gesellschaft aber besonders stark stigmatisiert wird. Menschen mit einer HIV-Infektion stehen oft vor diesem Problem: Statt Mitleid mit den Betroffenen steht die Angst vor einer Ansteckung im Vordergrund. Dieses Beispiel zeigt, in was für einem sensiblen Bereich wir uns mit dieser Thematik befinden. Die Antidiskriminierungsstelle, ADS, hat eine Expertise „Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit“ in Auftrag gegeben, die im Mai 2013 veröffentlicht wurde. Die Autoren fordern unter anderem die Einführung einer neuen Diskriminierungsdimension, um einen effektiven Schutz vor Diskriminierung aufgrund chronischer Krankheit zu ermöglichen. Sie stellen unterschiedliche Lösungsansätze sowie deren Vor- und Nachteile vor. Grundsätzlich unterstützen wir dieses Anliegen. Es sind rechtlich sehr unterschiedliche Wege denkbar, wie ein solcher Schutz verankert werden könnte. Neben der Einführung einer neuen Diskriminierungsdimension ist auch die Weiterentwicklung des Behindertenbegriffs zu überprüfen. All diese Vorschläge sollten wir genau prüfen und gegeneinander abwägen. Hier ist vor allem auch die Praktikabilität und Umsetzungsfähigkeit von großer Bedeutung. Die unterschiedlichen Definitionen und die Vielzahl der chronischen Erkrankungen machen diese Aufgabe sicherlich nicht einfacher. Wir werden dem Antrag der Linken daher heute nicht zustimmen, sondern uns enthalten. Ein Anliegen des AGG ist es, in Deutschland eine Kultur der Antidiskriminierung zu schaffen. Ob es mittels des AGG möglich sein wird, die Stigmatisierung bestimmter Krankheiten in der Gesellschaft zu durchbrechen, wage ich allerdings zu bezweifeln. Hier sind viele weitere, vor allem aufklärerische Maßnahmen gefragt. Stephan Thomae (FDP): Die Linke möchte mit dem vorliegenden Antrag erreichen, dass chronische Erkrankungen als Diskriminierungsmerkmal ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufgenommen werden. Menschen, die von entsprechenden Krankheiten betroffen sind, sollen dadurch vor Diskriminierungen geschützt werden. Die Bekämpfung der Diskriminierung in unserer Gesellschaft ist ein gesellschaftspolitisches Ziel der FDP. Der Auftrag zu einem umfassenden Persönlichkeitsschutz folgt unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit). Man darf in diesem Zusammenhang aber nicht vergessen, dass jede Verschärfung des AGG einen Eingriff in die Vertragsautonomie der beteiligten Privatpersonen darstellt. Der Abbau von Diskriminierungen lässt sich nicht per Gesetz verordnen, sondern ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Immer mehr Vorschriften zu erlassen – wie es die damalige schwarz-rote Bundesregierung im Fall des AGG unter Rückgriff auf einen rot-grünen Gesetzentwurf getan hat –, heißt nicht, dass die Praxis nachher auch besser funktioniert. Es kommt auf eine dauerhafte Sensibilisierung für das Thema, ein Umdenken in den Köpfen und eine Veränderung des Bewusstseins bei jedem Einzelnen an. Darüber hinaus ist es wichtig, insgesamt eine Kultur zu entwickeln, in der Vielfalt nicht nur akzeptiert und toleriert, sondern als Bereicherung empfunden wird. Die Linke beruft sich in ihrem Antrag unter anderem auf Entscheidungen des Berliner Arbeitsgerichtes und des Berliner Landesarbeitsgerichtes, die eine Kündigung eines HIV-infizierten Chemielaboranten, die aufgrund der Infektion ausgesprochen wurde, bestätigt haben. Die FDP-Bundestagsfraktion bezweifelt jedoch, ob ein einzelner Fall einen hinreichenden Grund für Änderungen am Gesetz darstellt. Vielmehr ist die Tatsache, dass es nur zu einer relativ geringen Anzahl von Klagen gegen AGG-Verletzungen gekommen ist, ein Zeichen dafür, dass der Grundsatz der allgemeinen Gleichbehandlung in Deutschland bereits weitgehend eingehalten wird. Statt unzählige neue Diskriminierungsmotive aufzuzählen und unter Strafe zu stellen, sollte man sich am Weiteraufbau einer toleranten Zivilgesellschaft beteiligen. Darüber hinaus beantwortet die Linke die Frage, was sie unter einer chronischen Erkrankung versteht, nicht konkret genug. Sie nennt in dem Antrag zwar eine HIV-Infektion, Diabetes, Multiple Sklerose und Krebs als Beispiele. Eine Abgrenzung, welche Erkrankungen nicht mehr unter diesen Begriff fallen sollen, nimmt der Antrag nicht vor. So stellt sich die Frage, welchen Belastungsgrad die Krankheit für den Einzelnen aufweisen muss, um als chronisch im Sinne des Antrags der Linken verstanden zu werden. Dürften Asthmatiker und Rheumatiker dann auch hoffen, unter das AGG zu fallen? Die Linke verweist in ihrem Antrag auf Regelungen im europäischen Ausland. Die unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Ländern sind aber ein Beleg dafür, dass die Abgrenzungsfrage, was eine chronische Krankheit ist und was nicht, überaus schwer zu beantworten ist. Daher kommt die FDP-Bundestagsfraktion zu dem Ergebnis, dass weder die Datenbasis noch die vorgebrachten Argumente ausreichen, um eine Änderung des AGG zu begründen. Wir lehnen den Antrag daher ab. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Der Bundestag wolle beschließen: „Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG, ist dergestalt zu ändern, dass eine chronische Erkrankung, zum Beispiel eine HIV-Infektion, Diabetes, Multiple Sklerose oder Krebs, als Diskriminierungsmerkmal festgehalten wird, damit chronisch erkrankte Menschen ebenso wie Menschen mit Behinderungen durch das AGG geschützt sind.“ Nicht mehr und nicht weniger fordert die Linke mit dem heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf. Dass die Koalition aus CDU/CSU und FDP diesen Diskriminierungsschutz für chronisch Kranke nicht will, wundert mich nicht. Schon mit dem – dann Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz – AGG genannten Gesetz taten sich die Schwarz-Gelben sehr schwer. Dass aber auch die SPD den Gesetzentwurf nicht unterstützt, wundert mich schon eher. Ausgangspunkt für den Gesetzentwurf der Linken war ein HIV-infizierter Chemielaborant, dem gekündigt wurde, als der Arbeitgeber von der Infektion -erfahren hatte. Die Kündigung wurde sowohl vom Berliner Arbeitsgericht als auch vom Berliner Landes-arbeitsgericht (13. Januar 2012 – 6 Sa 2159/11) bestätigt. Und dies, obwohl eine Kündigung aufgrund einer HIV-Infektion sachlich nicht mit einem Übertragungs-risiko zu begründen ist. Dies bestätigte auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke auf Bundestagsdrucksache 17/7283. Sieben Jahre nach dem Inkrafttreten des AGG ist zu resümieren, dass es hilft, Diskriminierungen zu verringern. Dennoch weist es noch erhebliche Lücken auf. Eine Lücke ist das Fehlen eines Diskriminierungsschutzes für chronisch erkrankte Menschen. Anders als in vielen anderen Ländern Europas und entgegen einer ausdrücklichen Empfehlung der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, sind chronische Krankheiten in Deutschland nicht ausdrücklich benannter Bestandteil des gesetzlichen Diskriminierungsschutzes. Im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention, die seit dem 26. März 2009 in Deutschland in Kraft ist, gilt die UN-Behindertenrechtskonvention auch für Menschen mit chronischen Erkrankungen. Deswegen wäre eine Änderung im AGG also eine – überfällige – Klarstellung, die in der Umsetzung bzw. Anwendung von Gesetzen, Verordnungen, der gesellschaftlichen Praxis bis hin zur Rechtsprechung äußerst hilfreich wäre. Wer mir bzw. der Linken nicht glauben will oder darf, sei hier auf die Studie „Schutz vor Benachteiligungen aufgrund chronischer Krankheit“ von Pro-fessor Dr. Kurt Pärli und Lic. iur. Tarek Naguib aus dem Jahr 2013 verwiesen. Sie finden Sie auf der Internetseite der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, www.antidiskriminierungsstelle.de. Über ein Jahr hat der Bundestag benötigt, um über diesen Gesetzentwurf zu beraten und abzustimmen. Über ein Jahr, in dem die Koalition und auch die SPD nicht in der Lage waren, über ihren Schatten zu springen oder einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen. Ich hoffe, die Betroffenen werden das bei der Wahl am 22. September entsprechend würdigen. Die Linke – so viel sei jetzt schon versprochen – wird das Thema nach der Wahl wieder auf die Tagesordnung setzen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der uns vorliegende Antrag der Linksfraktion will eine Klarstellung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz erreichen, wonach sichergestellt wird, dass Menschen auch vor Diskriminierung aufgrund einer chronischen Erkrankung vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geschützt sind. Dieses Anliegen ist richtig; Bündnis 90/Die Grünen unterstützen dies bereits seit längerem. Bei der ursprünglichen Fassung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sind wir gemeinsam davon ausgegangen, dass chronische Erkrankungen vom Merkmal „Behinderung“ abgedeckt seien. Inzwischen haben uns Gerichtsurteile deutlich gemacht, dass dies nicht immer der Fall ist und etwa HIV-Positive oder auch an Krebs erkrankte Menschen diskriminiert werden, obwohl sie nicht unter dieses Merkmal fallen. So hat das Berliner Landesarbeitsgericht eine Kündigung für statthaft gehalten, die erfolgte, als der Arbeitgeber von der chronischen Erkrankung seines Mitarbeiters erfuhr. Das können wir so nicht stehen lassen, sondern müssen diese ja ohnehin vom Schicksal gebeutelten Menschen schützen. Dabei ist auch klar, dass eine chronische Krankheit ebenso zu den unveränderbaren Persönlichkeitsmerkmalen gehört wie die anderen Merkmale im AGG. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat sich in diesem Jahr sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt und es zu ihrem Schwerpunkt in diesem Jahr gemacht und ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Aufnahme des Merkmales dringend empfiehlt. Die Leiterin der unabhängigen Stelle, Frau Christine Lüders, fordert deswegen eine Klarstellung im AGG. Dafür genügte es, in der Aufzählung der geschützten Merkmale einzufügen: „aufgrund einer chronischen Krankheit“. Ob es hier weiterer Folgeänderungen im Gesetz bedarf, ist noch zu erörtern. In vielen anderen Staaten der Welt werden chronisch Erkrankte bereits von den jeweiligen Antidiskriminierungsgesetzen gestützt. Es ist an der Zeit, dass auch wir hier ganz klar sind. Deswegen wird meine Fraktion diesem Antrag zustimmen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13765, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9563 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei Enthaltung der SPD. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Nutzung verwaister und vergriffener Werke und einer weiteren Änderung des Urheberrechtsgesetzes – Drucksache 17/13423 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Auch hier gehen die Reden zu Protokoll.11 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/13423 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt kommen wir zum Tagesordnungspunkt 26: Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Priska Hinz (Herborn), Tabea Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparente Kriterien und verbindliche Rahmenbedingungen schaffen für die Bundesförderung von kulturellen Institutionen und Projekten – Drucksache 17/12196 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) Haushaltsausschuss Die Reden gehen zu Protokoll. Monika Grütters (CDU/CSU): Ihr Frust über Bayreuth muss ja verdammt tief sitzen! Da legen Sie einen Antrag mit sage und schreibe 27 Unterpunkten für Förderkriterien in der Bundeskulturpolitik vor und begründen das seitenlang mit Ihrem Ärger über die Bayreuther Festspiele. Das muss man erst mal hinkriegen! Klar, die Grünen können mit Bayreuth wenig anfangen, wenn nicht gerade Claudia Roth dort zur Pre-miere erscheint. Aber reicht das aus, um die gesamte Kulturförderung des Bundes in ein Korsett zu zwängen, das an Kleinteiligkeit nicht mehr zu überbieten ist? Dass keine Partei, nicht einmal die SPD, so etatistisch agiert wie die Grünen, das ist aus allen Politikfeldern bekannt. Aber so? Und in der Kultur? Was haben Sie sich nur dabei gedacht? Zur Sache: Die Bayreuther Festspiele haben immer mal wieder Probleme, wie jede andere (Kultur-)Einrichtung auch. Und ganz sicher ist Toni Schmid auch ungeschickt im Kulturausschuss aufgetreten, was er in der Öffentlichkeit auch gerne mal macht. Aber die Schwierigkeiten bei der Ticketvergabe sind nicht zuletzt wegen der Kritik des Bundestages und des Rechnungshofes inzwischen weitgehend korrigiert worden, es sind inzwischen viel mehr Karten im freien Verkauf. Und eine wesentliche Änderung am Geschäftsgebaren der Bayreuther Festspiele ist die Einsetzung eines Geschäftsführers dort. Kann sein, dass Ihnen, liebe grüne Kollegen, das nicht reicht, dass Sie nach wie vor nicht so recht warm werden wollen mit der klassischen Hochkultur. Am besten lassen Sie Bayreuth nun aber auch mal die neue Praxis erproben, bevor dann eine ja auch in Ihrem Antrag empfohlene Evaluation unser aller Urteilsfähigkeit dazu schärft. Und dann Ihre Kritik an den „Förderentscheidungen hinter verschlossenen Türen“: Das ist nun mal das Los der Opposition, dass Sie nicht immer mit hinter diesen Türen sitzen. Daraus aber gleich den Vorwurf intransparenter Förderstrukturen abzuleiten, ist zumindest unredlich: In jedem Einzelfall prüft BKM vor der Förderung, ob ein Vorhaben von gesamtstaatlicher Bedeutung, also in einem besonderen Bundesinteresse ist. Einen für alle Bundesprogramme einheitlichen Kriterienkatalog über alle Institutionen und Projekte zu stülpen, hieße aber, ihre ungeheure Vielfalt, ihren Anspruch auf Einzigartigkeit, ja auch ihre Autonomie grob zu missachten. Für fast alle Förderungen bzw. Fördertatbestände bestehen längst Kriterien, aber spezifische halt, die sich auf die sehr verschiedenen Charaktere der Einrichtungen beziehen. Oder wollen Sie die Filmförderung, die kulturelle Bildung, den Denkmalschutz, die Geschichtsaufarbeitung, die Museen, den Tanz, die Literatur, die Musik etwa alle nach dem gleichen Muster beglücken? Oder nehmen wir Ihre Forderung nach einer Quote bei der Verteilung der Mittel auf einzelne Sparten. Der Katalog der in der Bundesförderung bereits befindlichen Einrichtungen ist ja gegeben. Wollen Sie etwa einzelne Häuser wieder aus der Bundesförderung he-rausschmeißen, um genügend andere hereinnehmen zu können? Oder wollen Sie den Etat des BKM signifikant erhöhen, um noch ein wenig mehr Tanz, Literatur oder neue Musik dazutun zu können? Das müssten Sie dann schon einmal erklären. Wollen Sie tatsächlich Förderanträge ablehnen mit der Begründung: „Von Malerei haben wir schon genug, versuchen Sie es doch mal mit Tanzen“? Da steht für uns dann doch die Freiheit der Kunst weit im Vordergrund. Die jetzige Förderung ist ausgerichtet an der Frage nach dem „erheblichen Bundesinteresse“, der „gesamtstaatlichen Bedeutung“. Ihre avisierte „Gleichberechtigung“ ist ja vielleicht gut gemeint, hier aber völlig sachfremd: Kultur und Kunstproduktion laufen einfach nicht „nach Plan“ – ein Irrtum, dem hoffentlich auch die KuPoGe mit ihrer Tagung in der kommenden Woche auf die Spur kommt …–, auch nicht nach „Fünfjahresplänen“ – das hatten wir schon mal, erinnern Sie sich?. In Ihrem Antrag können Sie es auch nicht lassen, das bekannte Lied von Mindestgagen, Tarifverträgen, Ausstellungsvergütungen, Gleichstellung von Mann und Frau, Vergabe von Praktika zu singen – gut und schön auch das. Wie selbst Sie wissen müssten, wird das alles, wirklich alles, selbstverständlich praktiziert. Das BKM hält sich an die Bundeshaushaltsordnung, an Tarifverträge, an Verwaltungsvorschriften zur Gleichstellung; Praktikanten werden korrekt behandelt. Und den vom BKM geförderten Einrichtungen unterstellen wir ein entsprechend gesetzeskonformes Verhalten auch. Im rechtsfreien Raum agiert auch die Bundeskulturpolitik nicht. Und zur Ausstellungsvergütung haben nicht nur wir von der CDU, sondern auch die meisten Museen eine sehr gut begründete, eindeutig ablehnende Haltung, die Ihnen in der Anhörung bekannt geworden ist. Wir wollen nämlich ohne noch höhere Kosten weiterhin junge lebende Künstler ausstellen, sie so bekannt machen und ihnen einen öffentlichen Auftritt ermöglichen – statt nur die bereits verstorbenen alten Meister oder die klassische Moderne zu präsentieren, die weniger kostet und ohnehin ein größeres Publikum hat. Evaluationen sind sicher oft sinnvoll und ein wirksames Instrument zur Entscheidungsfindung – aber sie binden große Kräfte: finanziell, personell und nervlich, gerade in den Einrichtungen selbst. Man sollte das also anlassbezogen tun und nicht zum Dauerstress verkommen lassen. Im Übrigen ist ja nicht zuletzt das Parlament ein wirksames Kontrollorgan. Sie verlangen die Vorlage der Haushaltsentwürfe „detailliert und in schriftlicher Form“. Wo waren Sie in den vergangenen Jahren? Der Haushalt wird von BKM wie alle anderen auch als umfangreiches Kompendium dargeboten. Der letzte hatte einen Umfang von 213 Seiten. Reicht Ihnen das nicht? Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal daran erinnern, wie man es auch machen kann: Nationale Identität erwächst zuallererst aus dem Kulturleben eines Landes. Daher folgt die Bundeskulturpolitik dem Grundsatz des Bewahrens unseres kulturellen Erbes einerseits und des Ermöglichens der Avantgarde andererseits. So fördern und schützen wir die uns anvertrauten Institutionen, und wir haben für die Künstler, die Kreativen, für die Förderung einzelner Projekte aus der freien Szene die Bundeskulturstiftung und den Hauptstadtkulturfonds eingerichtet. Obwohl die Kultur in erster Linie Sache der Länder und der Kommunen ist, übernimmt auch der Bund einen circa 13-prozentigen Anteil an der Kulturförderung. Die Grundsätze des Bundes dabei sind das „erhebliche Bundesinteresse“, die „gesamtstaatliche Bedeutung“ und natürlich auch die Anerkennung der besonderen Rolle der Hauptstadt für die Republik – woraus ein großer Anteil der Bundesförderung für Berlin resultiert. Dass wir dabei auch Prinzipien wie Staatsferne, Subsidiarität oder Pluralität beachten, versteht sich von selbst. Der deutsche Staat, auch der Bund, macht die Kultur durch seine großzügige finanzielle Förderung unabhängig von Zeitgeist und Geldgebern. Diese staatliche Fürsorge für die Kultur, ihre Freiheit, die mit dem Mut zum Experiment auch immer das Risiko des Scheiterns in Kauf nimmt, dafür aber auch immer wieder weltweit beachtete Leistungen ermöglicht hat, dieses hartnäckige Engagement für die Künste hat entscheidenden Anteil am hohen Ansehen Deutschlands in der Welt. Ein solches Verständnis von Kultur verbietet eine allzu kleinliche Steuerung, denn Kunst und Kultur brauchen Freiheit, um sich entfalten zu können. Was sie sicher nicht brauchen, sind autoritative Vorgaben. Eine so verstandene Kultur gibt Auskunft über die Wertegrundlagen einer Gesellschaft. Sie ist nicht nur ein Standortfaktor, sondern Ausdruck von Humanität. Sie stiftet Identität, die Sorge für das kulturelle Erbe einerseits und das Ermöglichen geistig-kreativer Avantgarde andererseits. Dieser Anspruch bleibt in Deutschland eine ständige Herausforderung. Diesem Geist ist auch die Kulturpolitik des Bundes verpflichtet. Kultur ist der Modus unseres Zusammenlebens. Wir können sie genauso wenig neu bestimmen wie unsere Sprache – beides war immer schon da. Man kann Kultur so verstanden auch nicht einsetzen für etwas, man kann Kultur nicht instrumentalisieren – sie ist mehr als alles andere ein Wert an sich. Sie ist das Wie einer Gesellschaft, einer Gemeinschaft, nicht das Was. Genau diesem Bewusstsein folgt auch unsere Kulturpolitik. Und vor einem „Paradigmenwechsel“ in Ihrem Sinne kann ich da nur dringend warnen! Siegmund Ehrmann (SPD): Der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist für diesen Antrag zu danken, da er zum Ende der Legislatur-periode noch einmal eine Reihe von wichtigen kulturpolitischen Fragestellungen zusammenträgt, mit -denen wir uns im Laufe dieser Legislaturperiode in unterschiedlicher Form befasst haben. Im Wesentlichen beschäftigt sich der Antrag mit der Struktur, den Kriterien und den Instrumenten der Kulturförderung des Bundes. Auch meine Fraktion hat sich in dieser Legislaturperiode mit diesem Thema beschäftigt: Ausgangspunkt war die Handlungsempfehlung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, „zeitnah eine Kulturentwicklungskonzeption für den Bund zu erarbeiten“. Meine Fraktion erachtet diese Empfehlung für sehr wichtig, weil sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Kulturförderung ändern und sich deshalb Kulturpolitik auch immer wieder neu legitimieren muss. In einer Großen Anfrage zur Musikförderung des Bundes, Bundestagsdrucksache 17/7222, haben wir genau diese Fragen zu Kriterien und Strukturen der Bundeskulturförderung beispielhaft an einem Teilbereich thematisiert. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass es etliche Ansatzpunkte für Neujustierungen gibt: keine klaren und transparenten Ziele und Kriterien, keine Evaluation, das Omnibusprinzip und die damit verbundene Benachteiligung neuerer Genres und Einrichtungen. Auf dieser Grundlage haben wir das Netzwerk für Kulturberatung und das Institut für Kultur-politik der Universität Hildesheim mit einem Gutachten beauftragt, um am Beispiel der Musikförderung auszuloten, wie auch auf Bundesebene konzeptbasierte Kulturförderung gestaltet werden könnte. Ich will damit sagen, dass der Handlungsbedarf von meiner Fraktion bereits erkannt ist und wir uns bereits auf den Weg gemacht haben, nach konkreten Wegen zu suchen, um eine, wie im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gefordert, nach transparenten Kriterien ausgestaltete und damit klar nachvollziehbare Kulturförderung zu gestalten. So verstehen wir unseren politischen Auftrag: nicht nur darüber reden, sondern auch konkrete Vorschläge entwickeln, wie man es besser machen kann. Etwas besser machen wäre eigentlich Aufgabe einer Regierung. Aber die noch amtierende schwarz-gelbe Koalition verweigert von Beginn an jedwede politische Gestaltung. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen beinhaltet neben dieser generellen Fragestellung aber auch viele weitere kulturpolitische Aufgabenstellungen, zu denen die schwarz-gelbe Koalition in dieser Legislatur jede Antwort verweigert hat. Dazu gehören die Fragen der Gleichstellung von Männern und Frauen im Kultur- und Medienbetrieb, die angemessene Vergütung im Urheberrecht bzw. im Urhebervertragsrecht, die Einhaltung sozialer Mindeststandards und das Zahlen von Mindesthonoraren in der Kulturförderung des Bundes, der Zugang zu Kultur und Medien für alle, eine Ausstellungszahlung für bildende Künstlerinnen und Künstler. Ich könnte die Liste weiter fortsetzen. Zu all diesen Punkten hat die SPD konkrete Vorschläge erarbeitet. Unseren Gesetzentwurf für Kultur und Sport als Staatziel im Grundgesetz lehnen CDU/CSU und FDP ab. Mit der Verabschiedung unseres Gesetzentwurfs könnte der Kultur in allen Belangen mehr Gewicht verliehen werden. In unserem Projekt des Kreativpaktes haben wir gemeinsam mit Künstlern und Kreativen, mit der Kreativwirtschaft und der Wissenschaft -konkrete Vorschläge erarbeitet, um die Potenziale der Kultur- und Kreativwirtschaft gezielt zu fördern. Wir haben den Kultur- und Kreativschaffenden eine Stimme gegeben und mit ihnen Vorschläge im Bereich des Urheberrechts, der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Kultur-, Medien- und Kreativschaffenden und den Instrumenten der Kultur- und Wirtschaftsförderung entwickelt. Unser Verständnis von kultureller und medialer Teilhabe für alle haben wir in unserem Antrag „Kultur für alle“, mit dem im Übrigen erstmals von einer Fraktion eine Parlamentsinitiative in leichter Sprache in den Bundestag eingebracht wurde, verdeutlicht. Darin heißt es in leichter Sprache: „Die Politikerinnen und Politiker der SPD wollen, dass alle Menschen überall mitmachen können. Sie wollen Kultur für alle.“ Und wir haben in unserem Antrag zur Gleichstellung deutlich gemacht, dass die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern auch im Kunst-, Kultur- und Medienbereich noch längst nicht erreicht ist, dass zugleich aber Möglichkeiten bestehen, diese zu fördern. Ich nehme zur Kenntnis, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag, so wie wir auch, eine kritisch-konstruktive Bewertung der bestehenden Strukturen, Kriterien und Instrumente der Kulturförderung des Bundes vornimmt. Ich sehe Ansatzpunkte, gemeinsam über Verbesserungen nachzudenken. In den noch ausstehenden Ausschussberatungen wird sich zeigen, inwieweit auch die schwarz-gelbe Koalition bereit ist, das Bestehende zu hinterfragen. Ich gehe allerdings schon jetzt davon aus, dass CDU/CSU und FDP ihrer Linie treu bleiben: Einfach nichts tun. Wenigstens darin kann man sich auf diese Regierungs-koalition verlassen. Dass das allerdings angesichts der bestehenden Herausforderungen kein überzeugendes Politikangebot sein kann, habe ich deutlich gemacht. Reiner Deutschmann (FDP): Wenn man den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen liest, dann könnte man den Eindruck bekommen, die Kulturförderung des Bundes erfolgt intransparent, willkürlich und nach undefinierbarem Bauchgefühl oder Geschmack. Diesem Eindruck muss ich entschieden entgegentreten. Gerade da es um die Kulturförderung von Projekten und Einrichtungen von gesamtstaatlicher Bedeutung geht, macht es sich der BKM nicht leicht. Für die vom BKM ausgereichten Mittel gibt es sehr wohl klar umrissene Kriterien und Bedingungen, auch wenn diese notwendigerweise wegen der Vielfalt und Heterogenität der deutschen Kunst- und Kulturlandschaft gerade nicht einheitlich und starr sein können. Hier muss ich den Kulturstaatsminister in Schutz nehmen und klar und deutlich sagen, dass der BKM eine hervorragende Arbeit macht, was man im Übrigen auch selbst wahrnehmen könnte, würde man die Kulturschaffenden einmal dazu befragen. Ganz klar ist, dass alle Formen von Kunst und Kultur ihre Daseinsberechtigung haben. Die bisher geltenden flexibel angelegten Förderbedingungen des BKM, ob mit oder ohne Jury, wirken der Gefahr entgegen, dass Projekte durch zu starre Förderkriterien aus dem Raster und somit aus der Förderungsmöglichkeit fallen, weil strenge oder kunstformfremde Kriterien nicht erfüllt werden. Entscheidungen müssen jedem Einzelfall gerecht werden können. So weist die Filmförderung ganz andere Merkmale als die Förderung der Kultur und Sprache nationaler Minderheiten auf. Ein Festival funktioniert anders als die Errichtung eines Denkmals. Wir, die Koalition, wollen die Kulturlandschaft aber stärken und nicht schwächen. Der Vorschlag der Grünen, die Förderkriterien starr zu regeln, würde unserer Meinung nach eine kontraproduktive Wirkung erzielen. Will man, wie der uns vorliegende Antrag suggeriert, den einzelnen Kunst- und Kultursparten eine feste Förderquote zuteilen? Dies birgt die Gefahr, dass Projekte, die gesamtstaatliche Bedeutung haben, wegen der Ausschöpfung einer Quotierung nicht gefördert werden können, während eine andere Kultursparte viele redundante Projekte fördern muss, weil die Quote noch nicht ausgeschöpft ist. Die Freiheit der Kunst braucht auch Freiheit und Flexibilität bei der Mittelvergabe. Dafür werden wir uns in der christlich-liberalen Koalition auch weiterhin einsetzen. Sie kritisieren schlechte soziale Standards im Kunst- und Kulturbereich und behaupten, es gäbe keine -verbindlichen staatlichen Vorgaben zur sozialen und wirtschaftlichen Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern. Mit Verlaub, das ist kompletter Unsinn. Haben Sie die Künstlersozialversicherung KSK auf einmal vergessen? Ist Ihnen entgangen, dass wir erst kürzlich hier im Deutschen Bundestag die ALG-I-Bezugsbedingungen für kurzfristig beschäftigte Arbeitnehmer verlängert und auf bis zu zehn Wochen andauernde Beschäftigungsverhältnisse ausgeweitet haben? Ist Ihnen entgangen, dass auch in der Kultur Arbeitsgesetze, Tarifverträge und Antidiskriminierungsvorschriften genauso gelten wie in anderen Branchen? Wir Liberalen können den Argumentationen Ihres Antrags nicht folgen, da sie nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. In einem Teil des Antrags ärgern Sie sich über die zusätzlichen Mittelvergaben für Kulturprojekte und Einrichtungen, die der Haushaltsausschuss in seinen abschließenden Sitzungen beschließt. Ich gebe Ihnen recht: Hier könnten wir alle gemeinsam noch besser werden und etwas strukturierter vorgehen. Ich weise Sie aber darauf hin, dass die Verhandlungen im Haushaltsausschuss doch gerade unsere eigene Angelegenheit sind und nicht die Angelegenheit der Bundesregierung. Wir können doch nicht die Bundesregierung auffordern, für mehr Ordnung in einem unserer Gremien zu sorgen. Wenn Sie etwas verbessern wollen, dann muss dies schon in unseren Ausschüssen selbst erfolgen, und zwar durch parlamentarische Arbeit, nicht durch Gesetze, Verordnungen und Aufforderungen an die Bundesregierung. Über die Frage der Anzahl der für den freien Verkauf verfügbaren Festivaleintrittskarten kann und muss man sicherlich im Gespräch bleiben. Sie sprechen hier einen Punkt an, der mir auch Kopfzerbrechen bereitet. Ich bin hier ganz auf der Seite des Bundesrechnungshofes. Ich kann mir aber keine rechtliche Vorschrift vorstellen, die den öffentlich geförderten Festivals und Projekten eine Eintrittskartenvorgabe macht. Das ist in meinen Augen schlicht nicht praktikabel und schafft zusätzliche Bürokratie und Nachweisverpflichtungen. Hier müssen sich die Beteiligten an einen Tisch setzen und sinnvolle Lösungen für den Einzelfall erarbeiten. Schließlich finanziert nicht nur der Staat hochrangige Kulturevents wie die Bayreuther Festspiele, sondern dies tun ebenso Fördervereine oder Sponsoren. Auch deren Interessen müssen meiner Meinung nach Berücksichtigung finden. Zum Schluss möchte ich deutlich machen, dass gerade im Bereich von Kunst und Kultur die Regelungs- und Verordnungsdichte nicht höher, sondern niedriger werden muss. Fragen Sie einfach mal den Leiter eines Museums oder einen Vereinsvorsitzenden! Aus den genannten Gründen werden wir Ihrem Antrag daher nicht zustimmen. Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Beispiel eins: Ein deutsches Zentrum für Poesie als Ort, an dem Poesie in all ihren Erscheinungsformen gefördert wird und der der Bewahrung und Sammlung dichterischer Quellen in einer der Allgemeinheit zugänglichen Mediathek dient, ist eine überzeugende Idee. Beispiel zwei: der Fonds Neue Musik. Ein Fonds zur Förderung von neuer, zeitgenössischer Musik, der nicht auf die Förderung der sogenannten E-Musik beschränkt ist, sondern auch all die aktuellen Musikrichtungen fördert, die sich nicht allein über den Markt -finanzieren können, würde eine Lücke in den existierenden Förderstrukturen füllen. Auch dies erscheint unmittelbar einleuchtend. Aber sind diese Projekte aus bundespolitischer Sicht förderungswürdig? Bislang nicht. Warum das so ist, wissen wir nicht. Der heute zu debattierende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der „transparente Kriterien und verbindliche Rahmenbedingungen“ für die „Bundesförderung von kulturellen Institutionen und Projekten“ fordert, ist berechtigt, ja überfällig. Die Kulturförderpraxis der Bundesregierung findet in einer Art traditioneller Fortschreibung statt und ist von daher auch willkürlich zu nennen. Es gibt eigentlich nur ein Kriterium, das nennt sich „gesamtstaatliche Bedeutung“. Das ist ein großes Wort, darüber, was darunter genau zu verstehen ist, lässt sich an jedem Fall streiten. Am Fall der Bayreuther Festspiele zum Beispiel, welchen die Antragsteller ausführlich beschreiben, ist dies besonders deutlich zu machen. Als die Bayreuther Festspiele 1953 das erste Mal vom Bund gefördert wurden, wenige Jahre nach der bereitwilligen Hingabe dieser Festspiele an die faschistische Diktatur, wurde dies recht durchsichtig sozial verbrämt und so begründet: „Mit seiner Förderung will der Bund dazu beitragen, einen maßgeblichen Beitrag zur künstlerisch-ästhetischen Auseinandersetzung mit dem Schaffen Richard Wagners in hoher Qualität am authentischen Ort zu leisten und sein Werk einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“ Einer breiten Öffentlichkeit! Wenn das damals so war, was ist heute daraus geworden? – Viele reiche und schöne Menschen kommen nach Bayreuth, eine breite Öffentlichkeit unseres Landes ist das nicht. Außerdem wird Wagner heute auf allen Bühnen landauf, landab gespielt. Niemand muss nach Bayreuth, um sich dort mit seinem Schaffen auseinanderzusetzen. Insofern wäre angebracht zu begründen – das einmal grundsätzlich –, warum 60 Jahre später diese Festspiele noch immer mit dem wahrhaft nicht kleinen Betrag von 2,3 Millionen Euro jährlich finanziert werden, zum anderen müsste es eine Auseinandersetzung mit den vielfachen Mängeln und Unzulänglichkeiten des Betriebs geben, die in der Begründung des Antrags ausführlich beschrieben sind. Über das Beispiel Bayreuth hinaus ist es vollkommen richtig, allgemein einen ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb der geförderten Institutionen zu verlangen. Vollkommen richtig ist ebenfalls die Forderung, dass 80 Prozent der Karten für den freien Verkauf zur Verfügung stehen sollten. Nicht zuletzt muss eine angemessene Entlohnung und Lohngleichheit für Männer und Frauen gefordert werden. Bei der bildenden Kunst ist eine Ausstellungsvergütung für die Künstlerinnen und Künstler überfällig. Die Linke hat sie in ihrem Antrag „Rechtliche und -finanzielle Voraussetzungen für die Zahlung einer Ausstellungsvergütung für bildende Künstlerinnen und Künstler schaffen“ vom 18. Januar 2012 gefordert, und zwar über vom Bund geförderte Ausstellungen hinaus, da aber in erster Linie. Ein anderes Beispiel ist die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Sie wird seit 2008 von der Bundesregierung auf der Grundlage eines Beschlusses des Deutschen Bundestags gefördert. Das begann 2008 mit der Summe von 148 000 Euro; diese ist im Laufe der Jahre immer weiter angestiegen und das trotz immer neuer, kritischer Nachfragen seitens des Parlamentes. Seit 2010 kritisieren wir, dass Arnold Tölg und Hartmut Saenger stellvertretende Mitglieder des -Stiftungsrates der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung sind. Beide haben sich vor ihrer Wahl mit unhaltbaren, geschichtsrevisionistischen Äußerungen exponiert. Aufgrund dieser Tatsache lässt seitdem der Zentralrat der Juden seine Mitgliedschaft ruhen – und niemanden von den Verantwortlichen scheint das zu bekümmern. Im wissenschaftlichen Beraterkreis ist nach wie vor kein Vertreter des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma vertreten. Auch das scheint niemanden zu bekümmern. Mehrfach haben wir und die Grünen in den Haushaltsberatungen eine Streichung der Mittel für die Stiftung beantragt. Dennoch wird das Projekt unbeirrt und ohne Transparenz weiter gefördert. 7,178 Millionen Euro sind bereits geflossen, politische Kritik wird ignoriert. In ihrem Antrag fordern die Grünen transparente Kriterien und verbindliche Rahmenbedingungen. Genau darum geht es. Als Mitglieder des Ausschusses für Kultur und Medien haben wir immer wieder erleben müssen, vollendete Tatsachen vorgesetzt zu bekommen, wenn es um die Kulturförderung durch den Bund geht. Nach der berühmten Methode „Friss, Vogel, oder stirb“ sind wir zum Abnicken geradezu erpresst worden. Insofern halten wir Punkt 4 des Forderungskatalogs für zentral, welcher in Zukunft regeln soll, dass die Haushaltsentwürfe des BKM in den Haushaltsberatungen des Ausschusses für Kultur und Medien so rechtzeitig, detailliert, in schriftlicher Form vorzulegen sind, dass eine Beratung noch vor den abschließenden Abstimmungen möglich ist. Die Frage bleibt, wie der Bund den Erhalt unserer Kulturtradition und ihre gegenwärtige Vielfalt gleichermaßen fördern kann. Das ist die Kernfrage, und sie ist zugegebenermaßen nicht einfach zu beantworten, insbesondere dann nicht, wenn die Mittel gleich bleiben. Auch der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gibt hier nur einen Anstoß zur Diskussion. Da heißt es: Neue Förderkriterien sollen entwickelt und veröffentlicht werden. Aber wer entwickelt sie? Alle künstlerischen Sparten – Musik, bildende Kunst, Literatur und darstellende Künste – sollen zumindest annähernd gleichberechtigt vertreten sein. Aber wie setzt man diese Forderung um? Mit einer Quotenregelung? Das wäre möglicherweise ein Ansatz. Eine Fachjury soll eingerichtet werden mit externen Expertinnen und Experten aus Kunst und Kultur, deren Besetzung im Vierjahresrhythmus wechselt. „Fachjury“ klingt immer gut. Aber welche Erfahrungen haben wir mit Fachjurys in der Vergangenheit gemacht? Einer Fachjury verdanken wir die goldene Schüssel als Freiheits- und Einheitsdenkmal. Das ist nur ein Beispiel unter vielen. Vielleicht würde ein Arts Council, wie in Großbritannien üblich, hier positive Veränderungen schaffen. Mehr Transparenz ergäbe sich auf jeden Fall. Nun muss die Ausschussarbeit uns ein Stück weiter bringen. Der Anfang ist mit diesem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gemacht. Die Fraktion Die Linke wird ihn unterstützen. Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aufgrund der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern liegen lediglich rund 13 Prozent der staatlichen Kulturausgaben beim Bund. In der Regel fördert der Bund Kulturinstitutionen, Festivals oder Modellprojekte nur dann, wenn diese von „gesamtstaatlicher Bedeutung“ sind. Aber welche Qualifikationen rechtfertigen eine „gesamtstaatliche Bedeutung“? Welche Rahmenbedingungen müssen erfüllt werden, damit eine Förderung durch den Bund erfolgt? Ein Konzept mit transparenten Kriterien liegt offiziell nicht vor. Die Gründe für die Förderung kultureller Einrichtungen und Projekte durch die Bundes-regierung sind deshalb oft nicht transparent nachvollziehbar. In Zeiten von Sparzwängen, die für manche Kultureinrichtungen existenzbedrohend sind, sorgt vor allem eine Bundesförderung von renommierten Kulturveranstaltungen und von Institutionen mit konstant hohen Besucherzahlen für Unmut. Wir sind der Überzeugung, dass die gesamtstaatliche und internationale Ausstrahlung von Festivals, Modellprojekten oder Kulturinstitutionen als Argument für eine Bundesförderung nicht ausreicht. Es muss auch wirtschaftlich begründet werden, ob und in welcher Höhe derart etablierte Veranstaltungen wie beispielsweise die Bayreuther Festspiele eine verstetigte staatliche Finanzierung des Betriebs überhaupt benötigen. Darüber hinaus haben wir in der laufenden Legislaturperiode bereits mehrfach kritisiert, dass viele Förderentscheidungen hinter verschlossenen Türen getroffen werden. Regelmäßig wurde der Kulturausschuss nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen und mit vollendeten Tatsachen konfrontiert. Dadurch wird die mitberatende Funktion eines parlamentarischen Fachgremiums durch die Bundesregierung systematisch ausgehöhlt. Aktuelle Beispiele für dieses Vorgehen sind die umstrittene Bewilligung von 10 Millionen Euro unter Sperrvermerk für die Umgestaltung der Alten Gemäldegalerie oder die Verteilung der in der Bereinigungssitzung zum Kulturhaushalt 2013 zusätzlich beschlossenen 100 Millionen Euro – allein 10 Millionen gehen an das Sudetendeutsche Museum in München. Eine Entscheidung, an der wir nicht nur das Verfahren kritisieren. Wahlkampfgeschenke können nicht mit „gesamtstaatlicher Bedeutung“ gerechtfertigt werden. Ziel unseres Antrags ist es, Willkür und Intransparenz bei der Kulturförderung des Bundes zu beenden. Wir fordern einen Kriterienkatalog, der Regeln für eine fairere Förderpraxis festlegt. Dieser soll unter anderem sicherstellen, dass bei vom Bund geförderten Kultureinrichtungen und -projekten, Stiftungen und Fonds alle künstlerischen Sparten und Ausdrucksformen Berücksichtigung finden und Künstlerinnen und Künstler angemessen bezahlt werden. Wenn der Bund mitfinanziert, muss er darauf einwirken, dass die an einem Projekt beteiligten und an einer Kulturinstitution beschäftigten Künstlerinnen und Künstler branchenspezifische Mindestgagen erhalten bzw. nach den Tarifen des öffentlichen Dienstes entlohnt werden. Dies ist momentan nicht immer der Fall. Bei einem aktuell aus dem Hauptstadtkulturfonds geförderten Projekt an der Neuköllner Oper in Berlin – das „Internationale Festival für Musiktheater unter prekären Bedingungen“ – erhalten die beteiligten Künstlerinnen und Künstler bis zu 30 Prozent unter den üblichen Tarifen des öffentlichen Dienstes. Bei den vom Bund geförderten Bayreuther Festspielen gibt es für die Orchestermusikerinnen und -musiker nach Angaben der Deutschen Orchestervereinigung eine Tagesgage von 170 Euro, was deutlich unterhalb dessen liegt, was Mitwirkende bei anderen vergleichbar renommierten Festival-orchestern – beispielsweise in Luzern – pro Tag verdienen. Bei Ausstellungen, die durch den Bund gefördert werden, sollte eine Ausstellungszahlung an die Künstlerinnen und Künstler erfolgen. Und auch die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen muss bei der Durchführung aller bewilligten Förderanträge gewährleistet sein. Wenn der Bund fördert, steht er in der Verantwortung, die Gleichstellung von Frauen zu berücksichtigen. Ein Förderkriterium muss daher sein, dass Frauen bei der Besetzung künstlerischer Projekte, in geförderten Einrichtungen sowie bei der Veröffentlichung von Werken bzw. bei Werksaufträgen nicht unterrepräsentiert sind, sofern eine anderweitige Geschlechterverteilung nicht durch künstlerische Vorgaben zu begründen ist. Ein weiteres zentrales Kriterium für eine Bundesförderung von Kulturprojekten und Institutionen sehen wir in der Einbindung von Teilhabe- und Beteiligungsformaten für möglichst viele gesellschaftliche Gruppen. Darunter verstehen wir beispielsweise programmatische Angebote für Kinder und Jugendliche, für Menschen mit Migrationshintergrund oder Ermäßigungsmodelle für Menschen mit geringem Einkommen. Auch die mediale Darstellung von Theater, Oper- und Konzertaufführungen sowie musealen Archiven auf der Homepage der jeweiligen Träger kann zu einer breiteren gesellschaftlichen Teilhabe beitragen. Die Träger staatlich finanzierter Projekte und Institutionen müssen daher die Möglichkeit erhalten, auf ihrer offiziellen Homepage Ausschnitte sowie komplette Aufführungen, Inszenierungen und Werke in Bild und Ton zu veröffentlichen – unter der Voraussetzung, dass die ausführenden Künstlerinnen und Künstler sowie die Urheberinnen und Urheber der Veröffentlichung im Internet nicht widersprechen und ihnen eine angemessene Vergütung zukommt. Außerdem fordern wir, dass zukünftig – analog zum bereits bestehenden Denkmalschutzkomitee – eine Fachjury mit Expertinnen und Experten aus den Kunst- und Kulturbranchen vom BKM eingesetzt wird. Unter Berichterstattungspflicht gegenüber dem Haushalts- und Kulturausschuss soll diese Fachjury dem BKM eine Auswahl der eingegangenen Anträge zur Förderung von Kultureinrichtungen und kulturellen Projekten vorschlagen. Damit wollen wir verhindern, dass weiterhin Förderentscheidungen intransparent im Hinterzimmer des Kulturstaatsministers getroffen werden. Auch eine regelmäßige Evaluation aller geförderten Kulturinstitutionen, Fonds, Bundesvereinigungen, Projekte und Festivals als obligatorischer Bestandteil der Bundeskulturförderpraxis ist eine Forderung unseres Antrags. Im Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ wurden Handlungsempfehlungen für objektive und transparente Förderkriterien staatlicher Kulturfinanzierung entwickelt. Die Forderungen unseres Antrags orientieren sich an diesen Handlungsempfehlungen. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Das wichtige Thema der Kulturförderung des Bundes liegt mir sehr am Herzen, und als Abgeordneter für den Wahlkreis Bayreuth habe ich einen besonders engen Bezug zur im Antrag explizit erwähnten Förderung der Bayreuther Festspiele. Die Bayreuther Festspiele sind ein weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannter und hochgeschätzter Teil der hiesigen Kulturlandschaft. Dies gilt in diesem Jahr ganz besonders: Im Jahr 2013 liegt die ganze Aufmerksamkeit der musik- und theaterinteressierten Öffentlichkeit in ganz besonderer Weise auf Richard Wagner. Anlass geben der 200. Geburtstag sowie der 130. Todestag des Komponisten. Im Fokus sind Richard Wagners Geburtsstadt Leipzig und seine Wirkungsstadt Bayreuth und die von ihm ins Leben gerufenen Bayreuther Festspiele. Trotzdem haben die hier zuständigen Stellen der Bundesregierung, insbesondere der Beauftragte für Kultur und Medien, die dafür eingesetzte Bundesförderung – wie in allen anderen Bereichen auch – immer wieder kritisch im Blick, prüfen Art, Höhe und Notwendigkeit der eingesetzten Mittel, prüfen und verbessern gemeinsam mit den lokalen Partnern Fördergrundlagen und andere Umstände. Darum bin ich mir sicher, dass auch die aktuellen Themen in gewohnter Weise von allen Beteiligten auf der Basis der geltenden Regelungen mit Blick auf eine gute Zukunft dieser wichtigen Kultureinrichtung behandelt werden. Frei nach Albert Schweitzer fällt Kultur uns nicht wie eine reife Frucht in den Schoß; vielmehr muss der Baum gewissenhaft gepflegt werden, wenn er Früchte tragen soll. Zunächst scheint der vorliegende Antrag nicht abwegig: Wer wäre zum Beispiel gegen „transparente Kriterien“? Und „verbindliche Rahmenbedingungen“ scheinen immer und selbstverständlich wichtig, wenn es um den Einsatz von Steuermitteln geht. Bei genauerem Hinsehen steckt der Teufel, wie so oft, im Detail. Insgesamt vermittelt der Antrag nämlich den Eindruck der Intransparenz der Bundeskulturförderung mangels konkreter und einheitlicher Kriterien. Das ist aber alles andere als zutreffend. Vor einer Bundesförderung wird in jedem Einzelfall geprüft, ob ein Vorhaben gesamtstaatlich bedeutsam ist und ein besonderes Bundesinteresse an der Förderung besteht. Ich will auch auf folgende problematische Aspekte des Antrags hinweisen: Ein einheitlicher Kriterienkatalog und eine Jury für sämtliche Fördertatbestände, Forderung unter Ziffer II.1 und 3 des Antrags, sind weder sinnvoll noch möglich. Das besondere Bundesinteresse und die gesamtstaatliche Relevanz müssen in jedem Einzelfall konkretisiert werden und lassen sich angesichts der Vielfalt der Sachverhalte und Förderungsgründe nicht verallgemeinern. Auch liegen unterschiedlichen Förderbereichen vollkommen unterschiedliche Überlegungen zugrunde; vielfach existieren ganz spezifische Kriterien – zum Beispiel kulturelle Vermittlung, Filmförderung, Denkmalschutz –, zum Teil votieren zudem bereits Jurys. Im Einzelfall müssen auch parlamentarische Forderungen berücksichtigt werden können. Eine übergeordnete Gewichtung oder Quote bei der Verteilung der Mittel auf einzelne Kunstgattungen oder -sparten verbietet sich, weil die Entscheidung über die Förderung ausschließlich am Vorliegen gesamtstaatlicher Bedeutung und des erheblichen Bundesinteresses ausgerichtet sein muss. Eine solche „Gleichberechtigung“ ist gut gemeint, aber sachfremd; denn Kulturförderung erfolgt nicht nach einem übergeordneten Plan. Ablehnungen mit der Begründung, man habe in dieser Sparte leider das Fördervolumen schon ausgeschöpft, wären verheerend. Soweit im Antrag, Ziffer II.2, Barrierefreiheit, Gleichstellung von Mann und Frau, ordnungsgemäße Geschäftsführung, Vergabe von Praktika etc. gefordert werden, kann ich auf Gesetze, Tarifverträge oder Verwaltungsvorschriften wie zum Beispiel die Bundeshaushaltsordnung, Gleichstellungsgesetze etc. verweisen, in deren Rahmen sich die Kulturförderung des Bundes schon jetzt bewegt. Auch die geförderten Einrichtungen müssen sich hier an Gesetze halten. Die Kulturförderung des Bundes findet nicht im rechtsfreien Raum statt. Dies gilt in besonderem Maße für die Forderung nach Anwendung des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst oder die Einführung von Mindestgagen für alle Projekte bzw. geförderten Künstler. Der TVöD gilt schon jetzt in den dafür geeigneten Bereichen der künstlerischen Tätigkeiten. In anderen Bereichen lassen sich spezifische künstlerische Tätigkeiten nicht ohne Weiteres in den TVöD einpassen. Hier müssen auch andere Überlegungen möglich bleiben. Evaluationen sind zwar grundsätzlich ein wirksames Instrument für die Entscheidungsfindung und Kontrolle von Prozessen, binden aber große finanzielle, zeitliche und personelle Ressourcen; sie erfolgen daher eher anlassbezogen. Das Erreichen der Förderziele wird schon jetzt durch Erfolgskontrolle nach den Verwaltungsvorschriften der Bundeshaushaltsordnung geprüft. Die Einführung einer Ausstellungsvergütung könnte kontraproduktiv wirken, da die Gefahr besteht, dass sich nur noch große Galerien Ausstellungen „leisten“ können und junge, unbekannte Künstler keine Chance mehr haben, ihr Wirken auszustellen. Als Parlamentarischer Staatssekretär beim für den Bundeshaushalt zuständigen Bundesfinanzminister sehe ich auch die im Antrag, Ziffer II.4, enthaltenen Vorschläge zur Änderung des Haushaltsaufstellungsverfahrens kritisch. Bis zum Kabinettsbeschluss über den Entwurf des jeweiligen neuen Haushaltsplans ist die Haushaltsaufstellung Aufgabe der Exekutive. Der Regierungsentwurf des Bundeshaushalts wird dem Deutschen Bundestag nach Kabinettsbeschluss zugeleitet, an alle Abgeordnete verteilt und an den Haushaltsausschuss zur Beratung überwiesen. Gerade im Bereich der Bundeskulturförderung wird diese Überweisung dann von einem umfangreichen Kompendium, in 2013 über 200 Seiten, mit einer Fülle von Informationen für die zuständigen Abgeordneten begleitet. Für Änderungen an diesem bewährten Verfahren sehe ich keine Notwendigkeit, und solche Änderungen könnten zudem sicher nicht auf den Kulturbereich beschränkt werden. Die vorgeschlagene urheberrechtliche Schranke, Ziffer II.5, würde an urheberrechtsfremde Erwägungen, nämlich die öffentlich-rechtliche Förderung, anknüpfen. Zudem sind Veröffentlichungen bei Einverständnis aller Beteiligten bereits heute möglich. Die Kunst- und Kulturförderung ist nach dem Grundgesetz in Deutschland in erster Linie Sache der Länder und Gemeinden. Der Bund ist – nur – für kulturelle Einrichtungen und Projekte von nationaler Bedeutung zuständig. Diese Aufgabe erfüllt der Bund schon jetzt umfassend und mit ausreichender Sorgfalt. Die hierfür geltenden Kriterien sollten nicht aufgeweicht oder ausgedehnt werden. Der Antrag ist deshalb abzulehnen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12196 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 27: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013 – Drucksache 17/13670 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Der zweite Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs, BuWiN, wurde am 18. April 2013 der Bundesregierung übergeben und veröffentlicht. Die im Bericht vorgenommene Bestandsaufnahme zeigt, dass die Bedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland sehr gut sind und sich in einigen Bereichen weiter verbessert haben. Der Zustrom von Nachwuchswissenschaftlern an unsere Hochschulen ist ungebrochen. Von 1 000 Personen eines Jahrgangs promovieren in Deutschland 2,7. Im EU-Durchschnitt sind es 1,5. Im Jahr 2010 wurden 25 600 Promotionen erfolgreich abgeschlossen. Eine Stufe darüber, bei den habilitierten Nachwuchswissenschaftlern, drängen jährlich 2 500 bis 3 000 auf den universitären Berufungsmarkt. Sie bewerben sich auf circa 600 bis 700 Stellen, hinzu kommen rund 200 Stellen an außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Diese Zahlen verdeutlichen: Für zahlreiche hochqualifizierte Menschen ist eine wissenschaftliche Karriere weiterhin sehr attraktiv. Dabei ist die Zufriedenheit der im Wissenschaftssystem verbleibenden Nachwuchswissenschaftler ebenso hoch wie die Zufriedenheit derer, die sich für eine Karriere außerhalb des Wissenschaftssystems entscheiden. Besondere Fortschritte stellt der BuWiN 2013 beim Abbau der Geschlechterdifferenzen fest. Zwischen 2000 und 2010 sind die Frauenanteile in allen untersuchten Stufen der wissenschaftlichen Qualifizierung und Karriere angestiegen. Das gilt für Promotionen, Habilitationen, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen an Universitäten, Juniorprofessorinnen, Professoren sowie Hochschulleitung. Die Maßnahmen der Bundesregierung – etwa das Professorinnenprogramm oder die Verpflichtung im Pakt für Forschung und Innovation, den Anteil von Frauen in Leitungspositionen der Wissenschaft anzuheben – zeigen Wirkung. Beim Abbau der Geschlechterdifferenzen sind wir auf einem guten Weg. Neben diesen positiven Entwicklungen benennt der BuWiN 2013 aber auch Probleme, mit denen der wissenschaftliche Nachwuchs in Deutschland zu kämpfen hat. Auf zwei wesentliche Kritikpunkte – die Vielzahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse und mangelnde Personalentwicklungskonzepte – möchte ich gerne detaillierter eingehen. Im Hinblick auf die vielerorts überbordende Befristungspraxis stellt der BuWiN 2013 zunächst richtigerweise fest, dass sich die Gestaltungsspielräume der Länder zur Veränderung der Personalstruktur an den Hochschulen im Zuge der Föderalismusreform 2006 vergrößert haben. Von diesem Gestaltungsspielraum machen die Länder jedoch nur unzureichend Gebrauch. Durch eine Änderung ihrer Landeshochschulgesetze könnten sie der um sich greifenden Befristungspraxis Einhalt gebieten. Deshalb unterstütze ich die Bundesregierung ausdrücklich, die in ihrer Stellungnahme zum BuWiN 2013 den Apell an die Länder richtet, das Verhältnis befristeter und unbefristeter Stellen an Hochschulen zu verändern und Tenure-Track-Modelle weiter auszubauen. Wie der Bericht feststellt, verlagern jedoch die Länder ihre Verantwortung für den wissenschaftlichen Nachwuchs zunehmend an die Hochschulen. Diese haben die ihnen gegebenen Freiräume jedoch ebenfalls nicht genutzt. Mit Blick auf die vorherrschende Befristungspraxis hat sich die Leiterin des BuWiN-Kuratoriums, Frau Dr. Anke Burkhardt, im gestrigen Expertengespräch vor dem Ausschuss mehr Mut von den Hochschulen gewünscht. Dem kann ich mich nur anschließen. Der Bund hat erst vor wenigen Wochen -erneut Milliardensummen zur Finanzierung des Hochschulpakts bis 2018 verbindlich zugesagt. Diese neugewonnene finanzielle Planungssicherheit muss nun von den Hochschulen genutzt werden, um längere Vertragslaufzeiten zu ermöglichen und mehr unbefristete Stellen zu schaffen. Klar ist, dass das WissZeitVG nicht die Ursache für eine Zunahme der Befristungspraxis ist und eine Änderung dieses Gesetzes allenfalls zu marginalen Verbesserungen führen könnte. Hier stehen wir mit der Bundesregierung im Dialog. Zugleich darf ich auf die bevorstehende Anhörung am 12. Juni 2013 sowie die zu diesem Thema geführten Debatten verweisen. Durch Sonderfinanzierungsprogramme wie Exzellenzinitiative und Professorinnenprogramm hat die Bundesregierung in den letzten Jahren maßgeblich zu besseren Karrieremöglichkeiten für Nachwuchswissenschaftler beigetragen. Aufgrund der grundgesetzlichen Vorgaben können Bundesmittel aber immer nur zeitlich befristet gewährt werden. Deshalb sind sie nur bedingt geeignet, langfristige personelle Planungssicherheit für die Hochschulen sicherzustellen. Keinesfalls darf zusätzliches Bundesgeld dazu führen, dass sich die Länder aus der Grundfinanzierung der Hochschulen zurückziehen. Ein solcher Rückzug hätte direkte Konsequenzen für die Anzahl unbefristeter Professorenstellen und die Laufzeiten befristeter Verträge. Ein stärkeres und dauerhaftes Engagement des Bundes für den wissenschaftlichen Nachwuchs ist nur im Zuge einer Änderung von Art. 91 b GG möglich. Die Bundesregierung hat vor einem Jahr einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht. Er wird jedoch von SPD und Grünen im Bundesrat blockiert. Diese Verweigerungshaltung ist unverantwortlich gegenüber den Hochschulen und den dort beschäftigten Menschen. Zweites Grundproblem ist die Stellenstruktur an deutschen Hochschulen. So gibt es an Universitäten unterhalb der Professur kaum unbefristete Angebote. Der BuWiN 2013 stellt hierzu fest: „Wenn man ... zwischen einer Junior-Staff-Ebene (hauptamtlich und selbstständig Lehrende und Forschende unterhalb der Professur) und einer Assistant-Staff-Ebene (weisungsgebundenes Lehr- und Forschungspersonal) unterscheidet, wird erkennbar, dass erstere in Deutschland fast völlig fehlt.“ Dieses Problem haben die Koalitionsfraktionen bereits in ihrem Antrag „Exzellente Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs fortentwickeln“ (Bundestagsdrucksache 17/9396) identifiziert und die Einführung von sogenannten Asso-ciate-Professuren angeregt. Zu wenige Länder und Hochschulen haben diese Vorschläge bislang aufgegriffen. Einzig die TU München hat mit der Einführung des Personalentwicklungskonzepts „Faculty Tenure Track“ Associate-Professuren unterhalb der Vollprofessur eingerichtet und ein zukunftsweisendes Modell auf den Weg gebracht. Ich kann nur an die Länder und Hochschulen appellieren, diesen Weg ebenfalls zu gehen. Die Legislaturperiode neigt sich dem Ende entgegen, und ich möchte die Gelegenheit nutzen, eine kurze Bilanz unserer Politik für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu ziehen. Seit 2005 haben zwei unionsgeführte Bundesregierungen die Angebote für den wissenschaftlichen Nachwuchs, die der Bund mit oder alleine verantwortet, massiv ausgebaut. Durch den Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative und den Pakt für Forschung und Innovation sind zahlreiche Stellen für Nachwuchswissenschaftler neu entstanden. Allein im Rahmen der Exzellenzinitiative sind dies bisher über 4 000, darunter viele mit langfristiger Perspektive, zum Beispiel Tenure Track. Insgesamt ist das hauptberufliche wissenschaftliche Personal an den Hochschulen von 2005 bis 2011 um 29 Prozent auf knapp 200 000 angewachsen. Die Förderung der „Eigenen Stelle“ bei der DFG wurde massiv aufgestockt, Zuwächse gab es auch bei den Programmen „Emmy Noether“ und „Heisenberg“. Die Anzahl der Nachwuchsgruppen bei der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft wurden seit 2005 verdoppelt. Die Mittel für die Promotionsförderung der Begabtenförderungswerke wurden seit 2005 um 56 Prozent angehoben. Diese Bilanz kann sich wahrlich sehen lassen. Der wissenschaftliche Nachwuchs an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen leistet einen entscheidenden Beitrag zur Zukunftsfähigkeit -unseres Landes und zum Wohlstand kommender Generationen. Wir haben das nicht nur erkannt, sondern unternehmen enorme Anstrengungen, um – soweit es dem Bund möglich ist – bestmögliche Rahmenbedingungen für die Nachwuchswissenschaftler zu schaffen. Swen Schulz (Spandau) (SPD): An diesem Mittwoch haben wir im Ausschuss für Bildung und Forschung den Bundesbericht „Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ vorgestellt bekommen – von den verantwortlichen Autoren. Und wir hatten die Gelegenheit, zu dieser umfangreichen und unabhängigen Studie mit den Autoren zu sprechen. In dieser -Diskussion haben wir – über die bisherige Presseberichterstattung hinaus – einige interessante Zusatz-informationen und Einschätzungen erhalten. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, dem Umfang der Debatte und der Fülle von Informationen und Erkenntnissen des Berichtes auch nur annäherungsweise gerecht zu werden. Darum beschränke ich mich auf einige zentrale Ergebnisse. Zunächst sollte festgehalten werden, dass Wissenschaft in Deutschland außerordentlich attraktiv ist. In den letzten Jahren sind, insbesondere durch die Zusammenarbeit von Bund und Ländern, enorm viele Stellen in der Wissenschaft geschaffen worden. Auch die Zahl der Juniorprofessuren steigt wieder an, die Frauenanteile steigen, wenn auch noch nicht ausreichend, die Internationalisierung nimmt zu und die Arbeitsmarktintegration von Wissenschaftlern ist außerordentlich erfolgreich. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass wir uns nicht nur auf die Schulter klopfen dürfen, sondern uns im Bundestag der Probleme annehmen müssen. Mit Sicherheit im Zentrum der Aufmerksamkeit – auch des medialen Interesses – steht die Feststellung, dass der Trend zu Befristungen ungebrochen ist, sich sogar verstärkt hat. In Zahlen ausgedrückt ist der Anteil von 79 Prozent im letzten Bericht auf nun 90 Prozent angestiegen. Die Teilzeitquote ist von 38 auf 45 Prozent gestiegen und die Drittmittelfinanzierung von 36 auf 43 Prozent. Die Befristungsquote ist eine eindeutige Bestätigung für unseren Vorschlag der Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, um dem Befristungsunwesen ein Ende zu setzen. Wir wollen dabei ganz und gar nicht Befristungen gänzlich verbieten. Das wäre falsch, weil es der besonderen Dynamik und Charakteristik des Wissenschaftsbereiches widerspräche. Doch die bestehenden Regelungen zur arbeitsrechtlichen Befristung in der Wissenschaft werden, anders als bei der Gesetzesformulierung intendiert, vielerorts zu lasten der Nachwuchswissenschaftler ausgenutzt. Wir wollen darum in der Qualifizierungsphase während der Promotion eine Betreuungsvereinbarung sicherstellen, nach der Promotion nur noch in begründeten Fällen Befristungen von unter 24 Monaten zulassen, die Befristungen aufgrund der überwiegenden Drittmittelfinanzierung mindestens an die Laufzeit der Drittmittelfinanzierung angleichen, dies auch für das nichtwissenschaftliche Personal gelten lassen, darüber hinaus Verbesserungen bei der Anrechnung von studienbegleitend angefallenen befristeten Beschäftigungen formulieren sowie bei der Anrechnung von Eltern-, Betreuungs- und Pflegezeiten helfen. Und wir wollen die Tarifsperre streichen. Wenn die Wissenschaft immer Autonomie einfordert, dann sollte das auch für die Tarifautonomie gelten! Wir sind – das habe ich bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfes im Plenum gesagt und bei der Anberatung gestern im Ausschuss wiederholt – nicht der Auffassung, dass dieser Gesetzentwurf unveränderbar ist. Wir hören uns gerne die Positionen und Verbesserungsvorschläge der Sachverständigen, der anderen Fraktionen und auch der Länder an. Darum ist die bisherige Haltung der Koalition von CDU/CSU und FDP umso enttäuschender, die das gesamte Anliegen einfach vom Tisch wischt. Mit hanebüchenen Argumenten! Auch die Koalition, auch die Bundesregierung hat die Handlungsnotwendigkeit eingeräumt. Und wenn dann aber einfach nur auf die Zuständigkeit der Länder und Hochschulen verwiesen wird, dann ist das ein plattes Ablenkungsmanöver: Alle müssen im Rahmen ihrer Möglichkeiten handeln – und der Bund hat eben diese, und sehr wichtige, Möglichkeit des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes! Bemerkenswert ist die Aussage des Berichtes und seiner Autoren, dass die Landeshochschulgesetze wenig differieren – und dann sogar selbst diese Differenzierungen in der Praxis kaum Wirkung entfalten. Dabei pochen die Länder doch immer darauf, dass sie ihre spezifischen Wege einschlagen können. Doch Föderalismus macht natürlich nur dann Sinn, wenn erkennbar ist, dass auf regional unterschiedliche Situationen unterschiedlich eingegangen wird – oder aber neue Ideen erprobt werden, die geprüft und gegebenenfalls anderswo übernommen werden können. So – um es hart zu sagen – beschäftigen wir nur ein Heer von Leuten, um unterschiedliche Detailregelungen zu erdenken, umzusetzen und zu kontrollieren – ohne Mehrwert, aber mit hohen Kosten und Chaos-Potenzial. Diese Frage müssen wir in den nächsten Jahren intensiver untersuchen. Leider ist die Grundlage für Aussagen über Erfolg oder Misserfolg von hochschulspezifischen Regelungen im Rahmen der Hochschulautonomie – auch hier besteht weiterer Erkenntnisbedarf in künftigen Berichten. Klar ist dagegen geworden, dass die Karrierewege von Absolventen der Fachhochschulen nicht durchlässig genug sind. Diese Frage des Verhältnisses von Universitäten und Fachhochschulen, gerade vor dem Hintergrund der Bologna-Reform, ist im Grunde weiterhin in der Schwebe. Das verwundert nicht, da ja auch innerhalb der Hochschulrektorenkonferenz, auch zwischen Universitäten die Frage von Sinn und Unsinn der Ausdifferenzierung hoch umstritten ist. In jedem Fall müssen wir erreichen, dass die wissenschaftlichen Karrierewege Absolventen der Fachhochschulen geöffnet werden! Ein letztes Thema will ich ansprechen: die Chancengleichheit. Die Benachteiligung von Frauen habe ich kurz erwähnt. Der Bericht weist darüber hinaus vollkommen zurecht darauf hin, dass ja auch Benachteiligungen aufgrund regionaler, sozialer oder ethnischer Herkunft bestehen mögen, dass der kulturelle oder religiöse Hintergrund eine Rolle spielen könnte oder familiäre Belastungen, Krankheiten, Behinderungen. Ich habe das Thema im Ausschuss nachgefragt, aber die Autoren verweisen darauf, dass sie zu wenig Daten haben, um dazu solide zu arbeiten. Auch das ist eine wichtige Stelle – für die Chancengleichheit, für die Gerechtigkeit, auch für die künftige Leistungsfähigkeit der Wissenschaft, mithin für die Zukunft unserer Gesellschaft. Wir müssen mit den Autoren klären, wie wir diesem Forschungsbedarf künftig nachkommen. Insgesamt war die Entscheidung des Bundestages richtig, einen solchen Bundesbericht „Wissenschaftlicher Nachwuchs“ unabhängig erstellen zu lassen. Er regt uns zu politischen Konsequenzen an. Da Bundesregierung und Koalition sich dem verweigern, packen wir es eben in der nächsten Legislaturperiode an. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Im Jahr 2009 beschloss der Deutsche Bundestag, dass die Bundesregierung in regelmäßigen Abständen und mindestens einmal pro Legislaturperiode über die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses im Deutschland informieren soll. Nun liegt uns seit April 2013 der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs vor, der komplett auf Basis wissenschaftlicher Unabhängigkeit erstellt wurde. Deshalb möchte ich an dieser Stelle dem verantwortlichen Konsortium aus Experten der Hochschulforschung für die Ausarbeitung dieses Berichts danken. Die Präsentation im Ausschuss hat gezeigt, dass sich der wissenschaftliche Nachwuchs in Deutschland in einer sehr guten Situation befindet. Er wird nicht nur hervorragend ausgebildet, sondern ihm bieten sich auch wirklich gute Perspektiven. Die Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache. Unser wissenschaftliches Qualifizierungssystem ist offen und von Vielfalt geprägt. In der wissenschaftlichen Qualifizierung sind Unterbrechungen und Wiedereinstieg an der Tagesordnung. Der Bundesbericht legt nahe, dass dem Großteil der Promovierten ein rascher Berufseinstieg gelingt. Zudem sind im Alter von 35 bis 45 Jahren etwa 95 Prozent aller Promovierten jedweder Fachrichtung erwerbstätig und erzielen zudem ein überdurchschnittlich hohes Einkommen. Der Bundesbericht legt ferner offen, dass sich auch in der Gleichstellung von Frauen im Wissenschaftssystem signifikante Verbesserungen ergeben haben. Selbstverständlich können wir noch nicht auf allen Ebenen des Wissenschaftssystems von einer faktischen Gleichstellung sprechen; jedoch zeigen die Zahlen auf Basis des 16. Fortschrittsberichtes der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, GWK, zu Frauen in der Wissenschaft eine positive Entwicklung. So ist der Anteil an den Promotionen von 2005 zu 2010 auf rund 44 Prozent gestiegen. Auch im Bereich der Internationalisierung an den Hochschulen zeigt sich eine positive Tendenz. Der Anteil von Ausländerinnen und Ausländern an den Promotionen hat sich im Zeitraum von 2000 bis 2010 annähernd verdoppelt. Unter diesen positiven Entwicklungen möchte ich einen ersten Strich ziehen. Genaue Zahlen und detaillierte Entwicklungen sind im Bundesbericht nachzulesen. Es zeigt aber, wie gut wir in Deutschland und wie gut diese christlich-liberale Koalition in den letzten vier Jahren gearbeitet hat. Das belegt der Bundesbericht, der dem Bund bescheinigt, gemeinsam mit den Ländern wichtige Akzente in der Nachwuchsförderung und im Wissenschaftssystem gesetzt zu haben. Beispielsweise durch die Exzellenzinitiative, die Förderung von Nachwuchsgruppen und die Einführung von Juniorprofessuren oder Tenure-Track-Angeboten. Oder zu nennen sind der Hochschulpakt 2020 oder der Qualitätspakt Lehre, die dem wissenschaftlichen Nachwuchs bessere Studienbedingungen und Karriere-perspektiven eröffnet haben, indem sie die Hochschulen dazu ertüchtigen, die steigenden Studierendenzahlen zu stemmen. Wir unterstützen die Länder und konnten vor kurzer Zeit sogar die Aufstockung des Paktes in Form von weiteren 3,8 Milliarden Euro bis zum Jahr 2018 sicherstellen. Als christlich-liberale Koalition wollten wir aber nicht nur über Behelfskrücken in die Hochschule wirken, sondern durch eine Grundgesetzänderung in Art. 91 b eine dauerhafte Beteiligung des Bundes schaffen. Denn wir wissen, dass gute Programme und erfolgreiche Maßnahmen Verstetigung brauchen, damit diese erfolgreich fortgesetzt werden können. Bedauerlicherweise sperren sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen bis heute gegen eine solche Grundgesetzänderung – aufgrund kleiner parteipolitischer Münze, weil man eben nicht an einem Fortschritt im Wissenschaftssystem interessiert ist, sondern lediglich bereits auf den Wahlkampf schielt. Neben der Grundgesetzänderung haben wir weitere Programme und Fördermaßnahmen weiterentwickelt und angestoßen. So haben wir durch stetige Impulse und Gespräche mit den Forschungseinrichtungen -erreicht, dass 2011 die Allianz der Forschungseinrichtungen sich zu ihrer Verantwortung für die Nachwuchsförderung bekannt hat und beispielsweise Leitlinien in den Organisationen entwickelt wurden. Des Weiteren haben wir mit den Ländern das erfolgreiche Professorinnenprogramm verlängert, sodass die nächsten fünf Jahre etwa 250 Professorinnenstellen an Hochschulen geschaffen werden. Wir haben zudem in die Begabtenförderung investiert. Wurden 2005 „nur“ 16 404 Stipendien vergeben, sind es in 2012 etwa 43 500 Stipendien gewesen. Die christlich-liberale Koalition hat ihre Verantwortung für den wissenschaftlichen Nachwuchs wahrgenommen. Und wir werden auch zukünftig diese Verantwortung wahrnehmen und in die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses investieren. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Der Bundestag befasst sich seit langem auch auf Initiative der Linken hin mit den Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler; er hat dazu mehrere Anhörungen und unzählige Debatten durchgeführt. Wir haben auf den Gegensatz zwischen den „exzellenten“ Aushängeschildern, die im gleichnamigen Wettbewerb gekürt worden sind, und den schlechten Perspektiven der vielen Promovierenden und Promovierten hingewiesen. Auch die Debatte um die finanziell aufwendige Anwerbung von Spitzenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus dem Ausland stand in einem starken Gegensatz zu den Bedingungen für den eigenen Nachwuchs. Dies haben wir immer wieder deutlich gemacht. Am Wissenschaftszeitvertragsgesetz übten 2007 neben uns Linken nur die Grünen noch Kritik. Der erste Bundesbericht zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses war 2008 eine Initialzündung für eine neue Richtung der Debatten um prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft. Der Bericht zeigte in seinen Zahlen das dramatisch gestiegene Ungleichgewicht zwischen den wenigen selbstständig und unbefristet tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und der übergroßen Mehrheit derjenigen, die auf befristeten, zumeist noch geteilten Stellen weisungsgebunden forschen und lehren. Gemeinsam mit der GEW, mit Verdi und anderen Akteuren haben wir seitdem immer wieder auf die strukturell schlechten Bedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterhalb der Professur hingewiesen und Lösungen vorgeschlagen. Zudem äußerten auch Akteure aus dem Wissenschaftssystem wie etwa der Wissenschaftsrat ihre Bedenken, ob eine solche Personalstruktur zukunftsfähig sei. Das Templiner Manifest der GEW bildete 2010 einen weiteren Meilenstein in der Debatte und formulierte ein mittlerweile 10 000-fach unterzeichnetes Programm für Gute Arbeit in der Wissenschaft. Die Bundesregierung und die schwarz-gelbe Koalition haben die Debatten weitgehend ungerührt gelassen. Symptomatisch für dieses Wegsehen ist die Äußerung eines Unionsabgeordneten, der im Forschungsausschuss sagte: „Von prekärer Beschäftigung kann hier keine Rede sein, schließlich handelt es sich um exzellente Spitzenwissenschaftler.“ Weder will die Koalition das Sonderbefristungsrecht in der Wissenschaft reformieren und begrenzen, noch gehen sie neue Förderprogramme an. In der Regel wird auf die Personalhoheit von Ländern und Hochschulen verwiesen. In der außeruniversitären Forschung gibt es immerhin einige positive Entwicklungen, auch bei der DFG. Der neue Bundesbericht zeigt die Ausmaße des Problems. In allen Bundesländern gibt es einen klaren Trend: mehr Befristung, kürzere Befristung, mehr Teilzeit, mehr Drittmittelfinanzierung. Es handelt sich nicht um das Phänomen einzelner Regionen, sondern ganz klar des gesamten Wissenschaftssystems. Auch die einzelnen Hochschulgesetze spielen laut des aktuellen BuWiN eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist der Trend der Verbetriebswirtschaftlichung der Hochschulen, die noch dazu auf eine stagnierende Grundfinanzierung trifft. Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler werden kurz befristet, um „Beinfreiheit“ in den Haushalten zu haben. Dies soll dem Leitbild der „unternehmerischen Hochschulen“ entsprechen. Doch fehlt diesen oftmals die Kompetenz zu einer nachhaltigen Personalplanung, wie sie zu gut geführten Unternehmen gehört. 90 Prozent der angestellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten auf befristeten Verträgen, 45 Prozent in Teilzeit, über ein Drittel auf Drittmittelstellen. Professorinnen und Professoren, die -eigentlich die alleinige Vertretungshoheit für die Wissenschaft haben, sind eine Randgruppe geworden und machen weniger als 10 Prozent des wissenschaftlichen Personals aus. Diese Ausweitung zu einem riesigen prekären Sektor in Wissenschaft und Forschung trägt nicht zur Effizienz bei. Professor Teichler vom INCHER-Institut Kassel bestätigte uns im Ausschuss, dass große „Hofstaaten“ von Assistenzstellen an Lehrstühlen auch nicht mehr Output generieren als mehr Professorinnen und Professoren mit weniger Ausstattung. Mit den angeblich „exzellenten“ Finanzierungmodellen ist eben auch die ganze Personalstruktur in Deutschland aus der Balance geraten. Nach der Promotion bis zur Professur existiert ein unübersichtlicher Bereich der Chancen und des massenhaften Ausstiegs aus der Wissenschaft – mit viel-fältigsten Personalkategorien, Beschäftigungsbedingungen, Gehaltsstufen und Aufgabenprofilen. Auf die jährlich frei werdenden lediglich 700 Professuren kommen 3 000 adäquat qualifizierte Bewerbungen. Für mehr als 2 000 dieser speziell höchstqualifizierten Fachleute ist dann Schluss. Dass es so nicht weitergehen kann, darüber sind sich inzwischen eigentlich alle einig – sogar die Bundesregierung schreibt in ihrer Stellungnahme, es solle bessere Perspektiven für die Karriereverläufe geben. Kein Unternehmen würde sich einen derartigen Verschleiß an Personal leisten, wie dies unsere Wissenschaft derzeit tut. Wir müssen die Strukturen und Rahmenbedingungen dringend ändern, damit die Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen die Möglichkeit für eine nachhaltige Personalpolitik bekommen. Zwei Dinge kann die Bundesregierung in diesem Sinne schnell auf den Weg bringen und damit das ganze Klima in unseren Wissenschaftseinrichtungen verändern: erstens eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, wie sie die Opposition, aber auch einzelne Bundesländer fordern. Die zweite Maßnahme wäre ein Bund-Länder-Programm für jährlich 5 000 unbefristete Stellen in der Wissenschaft, wie dies wir Linke und die GEW vorgeschlagen haben. Wenn die Einrichtung einer Stelle mit Tenure Track und Option auf die unbefristete Einstellung für zwei Jahre mit je 10 000 Euro gefördert würde, entstünde ein echter Anreiz für die Hochschulen. Das Programm nach dem Vorbild des Professorinnenprogramms wäre mit 100 Millionen Euro jährlich auch finanziell machbar. Ein Euro-Hawk-Desaster weniger, und das Programm ist für fünf Jahre ausfinanziert. Wir wollen es absichtlich nicht auf eine bestimmte Personalkategorie einschränken, um den unterschiedlichen Bedingungen in den Ländern gerecht zu werden. Das wäre ein echter Bottom-up-Ansatz. Der aktuelle Bundesbericht zum wissenschaftlichen Nachwuchs zeigt dramatischen Handlungsbedarf an. Deshalb ist es an der Zeit, dass der Bund endlich handelt. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor kurzem haben wir den zweiten Bundesbericht zum wissenschaftlichen Nachwuchs erhalten, zu dem die Bundesregierung inzwischen auch offiziell Stellung genommen hat. Die Detaildaten dieses Berichts werden die wissenschaftspolitischen Diskussionen sicherlich noch bis weit in die nächste Legislaturperiode hinein bereichern. Die Kernaussagen sind allerdings hinlänglich bekannt: Die Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses sind hochgradig unsicher. Inzwischen sind sogar 90 Prozent der Arbeitsverträge für wissenschaftliche Mitarbeiter befristet, die Hälfte davon mit Laufzeiten von unter einem Jahr. Gestandene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden bis ins fünfte Lebensjahrzehnt als Nachwuchs behandelt und haben kaum Möglichkeiten für selbstständige Forschung und Lehre. Der Bundesbericht bestätigt all diese Fakten über das ausufernde Befristungsunwesen im Wissenschaftsbereich und die mangelnde Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren, die wir in diesem Haus schon seit einigen Jahren diskutieren. Auch die Bundesregierung kann und will diese ernst zu nehmenden Probleme inzwischen nicht mehr länger leugnen. Das ist schon einmal ein gewisser Fortschritt. Der Erkenntniszugewinn ist aber leider auch schon der einzige Pluspunkt, der sich aus der Stellungnahme der Bundesregierung ergibt. Statt zu fragen, welchen Anteil auch die Bundespolitik an den unsicheren Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses hat, beschränkt sich die Bundesregierung auf Schuldzuweisungen an die Hochschulen und die Bundesländer. Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung nur bei den anderen. Dabei tragen zum Beispiel die begrenzten Kooperationsmöglichkeiten der Verfassung auch dazu bei, dass Unsicherheiten und Risiken einseitig auf die wissenschaftlichen Mitarbeiter abgewälzt werden. Im Gegensatz zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen erreichen Bundesmittel die Universitäten nur als Dritt- oder Projektmittel, deren Quote gegenüber der Grundfinanzierung stark gestiegen ist. Auch der Hochschulpakt ist projektförmig finanziert und bietet keinerlei längerfristige Planungssicherheit. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat ebenfalls zur Ausweitung von kurzzeitigen Befristungen beigetragen. Das sind die Rahmenbedingungen, innerhalb deren die Personalpolitik der Hochschulen stattfindet. Selbstverständlich sind die Hochschulen und Länder gefordert, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen, um das überbordende Befristungsunwesen einzudämmen und dem Nachwuchs verlässlichere Karrierewege zu bieten. Das entlastet aber nicht den Bund davon, selbst auch tätig zu werden. Von einer Stellungnahme des Bundes und von Lösungsvorschlägen des Bundes erwarte ich mir, dass der Bund zuallererst seine eigenen Handlungsmöglichkeiten nennt und wahrnimmt. Dies aber sucht man in der Stellungnahme vergeblich. Vielmehr will sich die Bundesregierung ausdrücklich auf die intensive Beobachtung und Kommentierung des Geschehens beschränken. Statler und Waldorf aus der Muppet Show lassen grüßen. Selbstverständlich kann die Bundesregierung ihren Teil dazu beitragen, die Situation des Nachwuchses zu verbessern. An erster Stelle muss hier auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz verwiesen werden. Seit der Ausweitung der Befristungsmöglichkeiten 2007 ist der Anteil der befristeten Beschäftigung massiv gewachsen. Es ist scheinheilig, hier nur auf die Hochschulen als Arbeitgeber zu zeigen, die das Gesetz nicht richtig handhaben würden. Wenn ein Gesetz andere Effekte hat als beabsichtigt und erwartet, dann ist es an der Zeit, das Gesetz zu verändern – anstatt die Nutznießer dieses Gesetzes dafür an den Pranger zu stellen, dass sie die Möglichkeiten des Gesetzes ausschöpfen. Niemand bezweifelt, dass Befristungen im Wissenschaftsbereich sinnvoll und notwendig sind. Über Jahrzehnte hinweg kamen auf eine feste Stelle drei unbefristete. Wenn aber jetzt auf jede feste Stelle neun befristete kommen, dann muss das Verhältnis zwischen berechenbaren Karrierewegen und notwendiger permanenter Erneuerung eines innovativen Wissenschaftssystems wieder ins Lot gebracht werden. Wir wollen, dass die befristeten Arbeitsverträge in der Regel mindestens über zwei Jahre laufen, die Laufzeiten der Verträge nicht unter den Bewilligungszeiträumen von Drittmittelprojekten liegen und dass die Tarifsperre aufgehoben wird. Ausnahmen im Interesse der Betroffenen sollten ausdrücklich begründet werden müssen. Durch einen Vorrang der qualifikationsbedingten Befristung gegenüber der Drittmittelbefristung wollen wir sicherstellen, dass möglichst viele junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Rechtsanspruch auf Vertragsverlängerung bei Mutterschutz-, Eltern-, Pflege- oder Mitbestimmungszeiten haben. Der Bund könnte sich aber auch ein Beispiel an der Deutschen Forschungsgemeinschaft nehmen und mehr Verantwortung in seiner Funktion als Drittmittelgeber übernehmen. Mehr als zwanzig Prozent der Drittmittel, die an die Hochschulen gehen, stammen aus der Projektförderung des Bundes. Damit ist er nach der DFG der zweitwichtigste Drittmittelgeber. Die DFG hat inzwischen eine Vielzahl von Regelungen, die eine flexible Drittmittelbewirtschaftung zugunsten berechenbarerer Karriereperspektiven ermöglichen: Zwischenfinanzierung von Haushaltsstellen, Finanzierung der eigenen Stelle, Bewilligung von Fonds zur Finanzierung von Elternzeitvertretungen, personenbezogene Nachbewilligungsmöglichkeiten bei Vertragsverlängerungen im Zuge von Familienpflichten. Warum übernimmt der Bund nicht solche Elemente in seine Projektfinanzierung? Last, but not least könnte der Bund zum Beispiel bei der gemeinsamen Forschungsförderung die Länder entlasten, damit diese im Gegenzug die Grundfinanzierung der Hochschulen verbessern. Auch das wäre ein wichtiger Schritt, der zeigen würde, dass die Bundesregierung die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses tatsächlich ernst nimmt. Aber die Länder zu beschimpfen, weil sie die Hochschulen nicht stärker unterstützen, und gleichzeitig den Ländern durch unsinnige Steuergeschenke wie die Mövenpick-Steuer das Geld aus der Tasche zu ziehen, ist billig und wohlfeil. Fast eine halbe Milliarde höhere Steuereinnahmen hätten allein die Länder im Jahr 2013, wenn es die Hotelsubventionierung nicht gäbe – Geld, das für den Ausbau der Bildungsinfrastrukturen jedes Jahr aufs Neue dringend fehlt. Verlässlichere Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs gibt es nur, wenn Bund, Länder, Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen gemeinsam diese Aufgabe angehen. Nur mit dem Finger auf andere zu zeigen, hilft nicht weiter. Anträge und Stellungnahmen, die ausschließlich Schuldzuweisungen an andere enthalten, passen vielleicht zum Wahlkampf. Dem Nachwuchs helfen sie nicht. Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung: Deutschland gehört zu den leistungsstärksten und innovativsten Gesellschaften der Welt. Einen ganz wesentlichen Anteil daran haben Wissenschaft und Forschung. Damit dies so bleibt, braucht Deutschland hervorragend ausgebildeten wissenschaftlichen Nachwuchs. Der kürzlich veröffentlichte Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs bestätigt, dass dies in Deutschland grundsätzlich der Fall ist und dass der wissenschaftliche Nachwuchs in Deutschland gute Karriereperspektiven hat. Lassen Sie mich dies an einigen Beispielen darlegen: Erstens. Das Qualifizierungssystem in Deutschland zeichnet sich durch Offenheit und Vielfalt aus. Es ermöglicht Unterbrechungen und Wiedereinstiege. Zweitens. Der ganz überwiegenden Mehrheit der Promovierten gelingt nach der Promotion ein zügiger Berufseinstieg. Im Alter von 35 bis 45 Jahren sind Promovierte in allen Fachgruppen nahezu vollständig erwerbstätig. Zudem erzielen sie ein überdurchschnittliches Einkommen. Im Bericht wird dies als Beleg für die Anerkennung der Promotion auf dem Arbeitsmarkt und ihre Attraktivität für viele berufliche Karrieren interpretiert. Drittens. Die Situation von Frauen im Wissenschaftssystem hat sich signifikant verbessert. Zwischen 2000 und 2010 sind die Frauenanteile in allen untersuchten Stufen der wissenschaftlichen Qualifizierung und Karriere gestiegen. Besonders hervorzuheben ist der Gleichstellungsfortschritt bei den Juniorprofessuren. Das Geschlechterverhältnis von Frauen zu Männern lag dort 2010 bei 37 zu 63 Prozent und übertrifft damit den Frauenanteil bei den Habilitationen, 25 Prozent, deutlich. Viertens. Die zahlreichen Internationalisierungsmaßnahmen der Bundesregierung, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung im Bereich des wissenschaftlichen Nachwuchses tragen Früchte. So konnte beispielsweise der Anteil von Ausländerinnen und Ausländern an den Promotionen von 7,5 Prozent im Jahr 2000 auf 14,9 Prozent im Jahr 2010 nahezu verdoppelt werden. Zu diesen positiven Entwicklungen tragen die Aktivitäten der Bundesregierung – die vielfach gemeinsam mit den Ländern durchgeführt werden – ganz maßgeblich bei. Die großen Initiativen, die der Bund gemeinsam mit den Ländern finanziert, und hier insbesondere die Exzellenzinitiative und der Pakt für Forschung und Innovation, befördern strukturelle Veränderungen und eröffnen die Chance, neue Qualifizierungsmöglichkeiten zu schaffen. Dazu gehören beispielsweise die Einrichtung von Nachwuchsgruppen, Juniorprofessuren und Tenure-Track-Angeboten. Darüber hinaus unterstützt der Bund den wissenschaftlichen Nachwuchs durch seine Programm- und Projektförderung einschließlich der internationalen Mobilität. Genannt seien hier beispielsweise das erfolgreiche Professorinnen-Programm, das von Bund und Ländern Anfang 2013 verlängert wurde, die Finanzierung der Programme des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung zur internationalen Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie der massive Ausbau der Begabtenförderung. Der Bund trägt entschieden dazu bei, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen verstärkt Verantwortung für den wissenschaftlichen Nachwuchs übernehmen. Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hat sich auf Initiative des BMBF Ende 2011 zu ihrer Verantwortung für die Nachwuchsförderung bekannt, bessere Planbarkeit und Transparenz wissenschaftlicher Karrierewege zu befördern. Zahlreiche außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und die Hochschulrektorenkonferenz haben inzwischen konkretisierende Empfehlungen für verbesserte Arbeitsbedingungen und Karriereperspektiven verabschiedet bzw. haben die Beratung darüber aufgenommen. Nicht zuletzt fördert die Bundesregierung die Datenerhebung und die Forschung zum wissenschaftlichen Nachwuchs. Dass dies essenziell ist, zeigt ein ganzes Kapitel im Bericht, das sich den Daten- und Forschungsdefiziten widmet. Zum ersten Mal hat ein wissenschaftliches Konsortium den Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs als unabhängigen wissenschaftlichen Bericht erstellt. Hochschulen und Hochschulpolitik in Bund und Ländern benötigen ein solches unabhängiges, wissenschaftlich fundiertes Monitoring. Dafür wurde mit dem Bericht der Grundstein gelegt. Nach wie vor gibt es zentrale Herausforderungen, vor denen die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland stehen und für die wir Lösungen finden müssen. Dies möchte ich an dieser Stelle nicht verschweigen. Es gibt im Anschluss an die in der Regel befristeten Qualifikationsstellen weiterhin so gut wie keine regulären Positionen für selbstständig forschende und lehrende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neben der Professur sowie kaum dauerhafte Funktionsstellen zum Beispiel im Bereich Forschungsmanagement und Personalentwicklung. Mit der gewachsenen Zahl an Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern ist zudem kein vergleichbarer Aufwuchs bei den Professuren einhergegangen. Außerdem ist ein Wechsel in Bereiche außerhalb der Wissenschaft in der (späten) Post-doc-Phase offenbar nach wie vor schwer. Der wissenschaftliche Nachwuchs braucht planbarere, verlässlichere und transparentere Karrierewege. Gefordert sind hier in erster Linie die Hochschulen und die Länder, die für die Personalstruktur an Hochschulen zuständig sind. Die Bundesregierung fordert daher die Hochschulrektorenkonferenz auf, einen Orientierungsrahmen zu entwickeln, der mit Blick auf eine funktionsdifferenzierte Personalstruktur Eckdaten für Transparenz und Planbarkeit der Karrierewege setzt und gleichwohl Spielraum für die Vielfalt der hochschulspezifischen Ansätze lässt. Außerdem fordert die Bundesregierung die Länder auf, für eine angemessene Grundausstattung zu sorgen und zu überprüfen, inwieweit das Verhältnis befristeter und unbefristeter Stellen an den Hochschulen verändert werden muss und Tenure-Track-Modelle weiter ausgebaut werden sollten. Die Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen müssen darüber hinaus dauerhafte Strukturen für Personalberatung und Personalentwicklung an den Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen schaffen. Die Karriereplanung der Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler ist genuine strategische Aufgabe der Leitungen dieser Einrichtungen. Die sollten auch die Länder als die für die Hochschulen Verantwortlichen verstärkt einfordern. Mit Blick auf den hohen Anteil befristet beschäftigter Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler an den Hochschulen schießen die -Oppositionsforderungen nach einer Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes über das Ziel hinaus. Starre Regeln würden nur zu Ausweichstrategien der Hochschulen führen oder sogar Anstellungen verhindern. Außerdem ist die Befristung für die Qualifikationsphase hinsichtlich der Ausbildungsfunktion der Hochschulen essenziell. Denn auch nachfolgende Generationen junger Menschen müssen die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Qualifizierung haben. Der ausgebildete wissenschaftliche Nachwuchs rutscht nach Ende des Vertrags nicht ins vermeintliche Prekariat ab. Die Handhabung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes muss dennoch aus ureigenem Interesse der -Wissenschaft, um nämlich die Besten zu halten oder zu gewinnen, verbessert werden. Aus Sicht der Bundesregierung sollten sich Vertragslaufzeiten in der Qualifikationsphase an dem für eine wissenschaftliche Qualifizierung erforderlichen Zeitbedarf orientieren und bei Befristungen wegen Drittmittelfinanzierung am Zeitraum der Mittelbewilligung. Die Arbeitgeber des wissenschaftlichen Personals sind aufgefordert, ihre Personalverantwortung verantwortungsvoller wahrzunehmen. Im Zuge des vom BMBF initiierten Diskussionsprozesses in den Allianzorganisationen sind in der Hochschulrektorenkonferenz und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen bereits Empfehlungen für diesen Bereich erarbeitet worden, die jetzt umgesetzt und öffentlich nachvollziehbar dokumentiert werden müssen. Der Bund wird die Entwicklung nicht nur weiter beobachten, sondern auch -überprüfen, ob die von den Hochschulen und Forschungseinrichtungen ergriffenen Maßnahmen Wirkung entfalten. In der Postdoc-Phase sind mehr Mobilität und größere Durchlässigkeit zwischen dem Arbeitgeber Wissenschaft und anderen Beschäftigungsfeldern erforderlich. Berufe außerhalb der Wissenschaft müssen auch für Postdocs zur attraktiven Selbstverständlichkeit werden. Hier scheint ein Mentalitätswechsel notwendig: Eine Karriere außerhalb der Wissenschaft ist keine Karriere zweiter Klasse. Dies gilt gerade in einer Zeit, in der die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse für Wirtschaft und Gesellschaft stetig zunimmt. Nach wie vor wissen wir zu wenig über die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses. Nach wie vor wissen wir beispielsweise nicht zuverlässig, wie viel Personen in Deutschland promovieren, wie viele Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler sich in der Postdoc-Phase befinden oder wie die Karriereverläufe aussehen. Belastbare Informationen hierzu sind jedoch eine zentrale Voraussetzung für eine empirisch fundierte Steuerung der poli-tischen Administration. Daher wird die Bundesregierung – in Abstimmung mit den Ländern und den Hochschulen – zügig eine breit gefächerte und kohärente Datengewinnungs- und Forschungsstrategie entwickeln. Wenn wir es schaffen, angesichts der Herausforderungen, vor denen junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland heute noch vielfach stehen, zügig Verbesserungen herbeizuführen, werden wir auch weiterhin im internationalen Wettbewerb hervorragend aufgestellt sein. Die Bundesregierung wird ihren Beitrag dazu leisten. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13670 an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes – Drucksache 17/56 – – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Markus Kurth, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der sozialen Situation von Menschen, die ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland leben – Drucksache 17/6167 – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) – Drucksache 17/13157 – Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit Serkan Tören Ulla Jelpke Memet Kilic Die Reden gehen zu Protokoll. Helmut Brandt (CDU/CSU): In den beiden uns heute vorliegenden Gesetz-entwürfen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geht es im Wesentlichen darum, die Meldepflichten öffentlicher Stellen gegenüber den Ausländerbehörden gemäß § 87 Aufenthaltsgesetz einzuschränken und die humanitär motivierte Beihilfe zum illegalen Aufenthalt straffrei zu stellen. Ferner enthält der Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Regelungen zur Umsetzung der EU-Sanktionsrichtlinie. Die Debatte, die wir zu diesen beiden Gesetzentwürfen heute in zweiter und dritter Lesung führen, ist aufgrund der mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 bereits vorgenommenen Umsetzung inzwischen weitgehend überholt. So wurde die in § 59 Abs. Satz 2 Aufenthaltsgesetz geregelte Ausreisefrist im Interesse der Opfer von Menschenhandel und illegaler Beschäftigung auf mindestens drei Monate verlängert, um diesen Menschen ausreichend Bedenk- und Stabilisierungszeit zu gewährleisten. § 62 a Abs. 4 Aufenthaltsgesetz wurde dahin gehend präzisiert, dass Mitarbeitern von einschlägig tätigen Hilfsorganisationen der Besuch von Abschiebungsgefangenen nun im Regelfall gestattet werden soll, unter der Voraussetzung, dass der Gefangene dies wünscht. Auf die bisherige Kannregelung wird verzichtet. Was die Meldepflichten anbelangt, so wurden diese ebenfalls bereits durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 eingeschränkt. Um Kindern den Besuch öffentlicher Schulen und Einrichtungen zu ermöglichen und ihren Eltern die Furcht vor Entdeckung zu nehmen, wurden öffentliche Schulen von den bislang uneingeschränkt bestehenden aufenthaltsrechtlichen Übermittlungspflichten gegenüber Ausländerbehörden ausgenommen. Das ist auch gut und richtig so. Den Nachteil, den Kinder besonders in frühen Jahren dadurch erleiden, monatelang nicht zur Schule gehen zu können, holen sie später nie wieder auf. Diese Kinder können aber gar nichts für die Situation ihrer Eltern. Deshalb wollen wir diesen Kindern die gleichen Chancen einräumen wie anderen Kindern auch. Für weitere Einschränkungen der Meldepflichten sehe ich jedoch keine Veranlassung. Denn eines möchte ich an dieser Stelle gerne einmal klarstellen: Wir unterhalten uns hier über Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhalten. Die Personen, um die es hier geht, sind grundsätzlich allesamt ausreisepflichtig. Dieser Umstand bleibt meiner Meinung nach in der Diskussion um die Einschränkung von Meldepflichten allzu häufig unbeachtet. Ich räume gerne ein, dass die Situation der in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer ohne gültige Papiere für diese sehr schwierig und unbefriedigend ist. Richtig ist auch, dass auch sich in Deutschland illegal aufhaltende Menschen das Recht auf eine menschenwürdige Behandlung und damit einen Anspruch auf eine Mindestversorgung haben. Deshalb haben wir, wie eben bereits gesagt, die Schulen von der Übermittlungspflicht ausgenommen. Deshalb haben wir für den Ausnahmefall der Notfallbehandlung durch die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz eine Verbesserung erreicht. Wir sollten aber nicht vergessen, dass die meisten Illegalen aus wirtschaftlichen Gründen hierherkommen. Auch sie haben einen Anspruch auf medizinische Versorgung; das ist unumstritten. Deshalb kann sich jeder – auch sich hier illegal aufhaltende Menschen – bei einem Arzt behandeln lassen, und er muss dabei keine Angst haben, entdeckt zu werden. Aber wenn es sich nicht um einen Notfall handelt, muss er dies auf eigene Rechnung tun. Ich finde das auch richtig so. Es ist doch nicht die Aufgabe eines Sozialstaates, Illegalität zu unterstützen. Denn genau das wäre die Konsequenz Ihrer Vorschläge. Die von Ihnen geforderte generelle Abschaffung der Meldepflichten würde zu einer Art Parallelwelt führen, in der diese Menschen zum Arzt gehen könnten, ohne gemeldet zu sein, in der sie ihre Kinder zur Schule schicken könnten, ohne gemeldet zu sein, und in der sie arbeiten gehen könnten, ohne gemeldet zu sein. Ihr Leben würde sich im Grunde nur noch wenig von dem der sich rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhaltenden Ausländerinnen und Ausländern unterscheiden. Von dem Pull-Effekt, den solch eine Regelung nach sich ziehen würde, ganz zu schweigen, käme Ihre Forderung einer Art Legalisierung des Illegalen gleich und das können wir in einem Rechtsstaat nicht dulden. Denn das hieße, dass der Ehrliche der Dumme ist. Das ist nicht nur ungerecht denen gegenüber, die einen Aufenthaltsstatus haben und mit Recht hier sind; es würde vor allem die grundsätzlich vorhandene Integrationsbereitschaft unserer Bevölkerung überstrapazieren. Nicht zuletzt wäre es das völlig falsche Signal gegenüber Menschen, die sich illegal aufhalten. Es wäre das Signal „Ihr habt keinen gesetzlichen Anspruch zu bleiben, aber irgendwie wird es schon gehen.“ Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen: Es geht eben nicht irgendwie. – Daran ist auch nichts inhuman, wie es uns von Ihrer Seite aus immer wieder unterstellt wird. Als wir vor einigen Wochen einen starken Zustrom von Flüchtlingen aus Serbien und Mazedonien erlebt haben, waren die Aufnahmelager in mehreren Bundesländern überfüllt und die zur Verfügung stehenden Kapazitäten erschöpft. Es waren gerade die SPD-geführten Kommunen, die Alarm geschlagen haben und signalisiert haben, dass sie mit diesem Andrang überfordert seien. Vor dem Hintergrund der finanziellen und wirtschaftlichen Probleme, insbesondere in den südlichen Staaten Europas, und vor dem Hintergrund einer Vielzahl an bewaffneten Konflikten auf dieser Welt ist damit zu rechnen, dass die Anzahl an Flüchtlingen, darunter viele Wirtschaftsflüchtlinge, in den nächsten Jahren eher noch zunehmen wird. Ich bin deshalb überrascht, dass Sie in Ihren Anträgen und Gesetzesentwürfen im Bereich der Ausländerpolitik immer noch nach mehr schreien und damit das Signal setzen: Kommt alle her; irgendwie schaffen wir das schon. – Ihre Politik geht damit an politischen und gesellschaftlichen Realitäten vorbei. Überdies finde ich sie inhuman. Denn wer sich unerlaubt in Deutschland aufhält, hat dieses Land zu verlassen. Mit diesem Grundsatz steht Deutschland keineswegs allein da, sondern dieses sich aus unserer Verfassung ergebende Prinzip hat sich jedes Land auf dieser Welt zu eigen gemacht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, CDU/CSU und FDP haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Erleichterungen und Verbesserungen für hier lebende Ausländer erreicht. Wir haben zum Zwecke der Arbeitsaufnahme die Residenzpflicht gelockert. Wir haben ein ganzes Paket an Maßnahmen im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex umgesetzt. Mit ihren Vorstößen versuchen SPD und Bündnis 90/Die Grünen letztlich, einen im Arbeits- und Sozialrecht unerlaubten Aufenthalt materiell abzusichern und zu legalisieren. Das können und das wollen wir nicht umsetzen. Rüdiger Veit (SPD): In den vergangenen nunmehr rund 15 Jahren, in denen wir um die Verbesserung der humanitären Situation von Menschen ohne Papiere gerungen haben, hat sich doch einiges getan. Immer schon ging es um drei Problembereiche: die gesundheitliche Versorgung, die Beschulung von Kindern von Menschen ohne Papiere und die Einklagbarkeit von Lohn für Illegale – nach Vorstellung von uns, von Bündnis 90/Die Grünen und auch von der Fraktion Die Linke ohne befürchten zu müssen, nach Inanspruchnahme dieser Rechte abgeschoben zu werden. In Teilbereichen dieser Forderungen waren auch die beiden anderen Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion und die FDP, unserer Ansicht. Eine erste deutliche Verbesserung bei der medizinischen Versorgung Illegaler erfolgte im Juli 2009 durch die Klarstellungen in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz. Danach darf das Sozialamt keine Daten weiterleiten, die den Mitarbeitern von sogenannten Geheimnisträgern übermittelt worden sind, wie zum Beispiel Ärzten, Apothekern, Hebammen und insbesondere auch den „berufsmäßig tätigen Gehilfen dieser Berufsgruppen“ und „das mit der Abrechnung befasste Verwaltungspersonal öffentlicher Krankenhäuser“. Wenn also ein Illegaler in einem Notfall direkt zum Krankenhaus geht und sich dort behandeln lässt, so muss er nicht befürchten, seine Daten würden an die Ordnungsbehörden weitergegeben. In allen anderen Fällen außer einer Notbehandlung muss ein Illegaler jedoch zum Sozialamt gehen und die Leistung bzw. Behandlung vorher beantragen. Dann erfährt der Sozialamtsmitarbeiter von der Papierlosigkeit nicht von einem Geheimnisträger und ist folglich mitteilungspflichtig. Vorsorgeuntersuchungen oder die Behandlung von chronisch kranken Illegalen finden mithin häufig nicht statt. Dass kann jedoch nicht in unserem Interesse sein: einmal aus humanitären Gesichtspunkten, aber auch, weil bei einer nicht behandelten Krankheit die Gefahr besteht, dass sie sich zum einem Notfall auswächst oder aber für die übrige Bevölkerung zu einem Gesundheitsrisiko wird. Hier wollen wir die Mitteilungspflichten weiter einschränken – zum Wohle der Illegalen, aber auch zu unserem eigenen. Auch im Bereich des Zugangs zu Bildung für die Kinder von Illegalen hat sich erfreulicherweise etwas seit unserer letzten Debatte hier im Bundestag getan. Nunmehr sind Schulen sowie Bildungs- und Erziehungseinrichtungen von der Übermittlungspflicht ausgenommen, § 87 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz. Das ist ein sehr guter Schritt gewesen. Unverändert ist allerdings die Lage für Illegale in Arbeitsverhältnissen, wenn sie um ihren Lohn geprellt werden. Wie wir wissen, können sie ihren Lohn einklagen, und wie wir auch wissen, tun sie es nicht aus Furcht davor, daraufhin das Land verlassen zu müssen; denn die Arbeitsrichter sind mitteilungspflichtig. Damit wird Ausbeutung ermöglicht. Das wollen wir nicht. Unserer Ansicht nach ist dies auch nicht nur eine Forderung von uns und den Kollegen und Kolleginnen der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken, sondern auch eine europäische Vorgabe, die die Richtlinie 2009/52/EG über „Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen“ macht. Leider hat es die Regierungskoalition im 2. Richtlinienumsetzungsgesetz versäumt, für eine dementsprechende Umsetzung der genannten Richtlinie zu sorgen. Aber Sie haben ja heute die Möglichkeit, dieses Versäumnis nun nachzuholen. Schließlich besteht für Menschen, die aus rein humanitären Beweggründen Illegalen helfen, weiterhin Unsicherheit darüber, ob sie sich strafbar machen oder nicht. Zwar ist die qualifizierte Strafbarkeit für diese Helfer schon 2007 aufgehoben worden, doch über die allgemeinen Regeln der Strafbarkeit von Beihilfehandlungen können sie sich weiterhin strafbar machen. Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, dass es bislang nicht zu Verurteilungen gekommen ist. Menschen, die Illegalen helfen und Zivilcourage zeigen, wollen wir ermutigen, nicht demotivieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU Fraktion und von der FDP, indem Sie eine Ausnahme von der Übermittlungspflicht für Schulen und sonstige Bildungseinrichtungen in das Aufenthaltsgesetz eingeführt haben, sind Sie unseren Änderungsanträgen gefolgt, was uns natürlich sehr gefreut hat. Mit dieser Entscheidung haben Sie eine Abwägung zugunsten des Rechts eines jeden Kindes und Jugendlichen auf Bildung getroffen. Sie haben diesem Recht Vorrang vor dem Interesse des Staates an der Beendigung und Aufdeckung eines illegalen Aufenthalts in Deutschland eingeräumt. Noch einmal: Hier haben Sie sich ein gutes Stück in unsere Richtung bewegt. Ich möchte Sie ermuntern, sich heute nochmal ein Stück zu bewegen und dem Recht eines jeden Menschen auf gesundheitliche Versorgung und dem Recht auf Einklagbarkeit des Lohns für geleistete Arbeit Vorrang einzuräumen. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die vorliegenden Anträge sind durchaus bizarr: Der Antrag der Grünen wurde vor fast zwei Jahren, der der SPD bereits zu Beginn dieser Legislaturperiode eingebracht, doch offenbar verloren die Antragsteller das Interesse, die Themen weiterzuverfolgen. Jetzt holen SPD und Grüne ihre alten Hüte wieder hervor; der Wahlkampf steht bevor. Ich habe bei der ersten Beratung des Grünen-Antrags hier im Hause im Jahre 2011 erklärt – diese Ausführungen sind nach wie vor aktuell und richtig –: „Wir haben … am 7. Juli dieses Jahres die dem Gesetzentwurf zugrundeliegenden Fragen geklärt. Die Richtlinienumsetzung ist bereits erfolgt.“ Warum die Grünen nicht damals schon einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, sondern jetzt erst, ist rätselhaft. Bereits im April wurden hier im Bundestag die Vorschläge der Koalition zur Umsetzung der Rückführungs- und der Sanktionsrichtlinie diskutiert. Die Grünen haben den Termin verschlafen und wollen sich nun mit einem verspäteten Aufguss alter Ideen als wach im Bereich sozialer Rechte für Illegale präsentieren. Das ist wenig überzeugend. Wir haben bei der abschließenden Beratung des genannten Richtlinienumsetzungsgesetzes zu Recht festgestellt: Es ist ein humanitärer Fortschritt, wenn wir die aufenthaltsrechtlichen Übermittlungspflichten öffentlicher Stellen ändern, um den Schul- und Kindergartenbesuch von Kindern zu gewährleisten. Bildung ist die Basis für gesellschaftliche Integration und persönlichen Erfolg. Die Koalitionsfraktionen haben sich entschieden, auch die Stabilisierungszeit für Menschenhandelsopfer auf drei Monate auszudehnen. Wir folgen damit einem dringenden Petitum von Opferverbänden, aber auch der Polizei. Wir haben dafür gesorgt, dass Abschiebehäftlinge auf ihren Wunsch hin von Nichtregierungsorganisationen besucht werden dürfen. Betonen möchte ich erneut, dass ausgerechnet große Teile der Opposition den vorgenannten Änderungen des Gesetzentwurfs nicht zugestimmt haben. Ausgerechnet diejenigen, die sich immer als Hüter des Flüchtlingsrechts erachten, haben diesen wichtigen und wegweisenden Verbesserungen nicht zugestimmt, obwohl die SPD sogar bei der Verabschiedung der Richtlinien auf europäischer Ebene noch beteiligt war. Da kann ich nur sagen: Man sieht, dass Sie nur aus taktischen Erwägungen handeln. Wenn es darum geht, Verbesserungen für die Betroffenen zu schaffen, ducken Sie sich weg. Lieber gegen die Koalition stimmen, bevor man Verbesserungen schafft. Das ist wirklich nicht an der Sache orientiert! Aktionismus wie der vorliegende, verspätete Grünen-Gesetzentwurf täuscht Handeln nur vor. Allen Unkenrufen zum Trotz: Wir haben bei den erfolgreichen Verhandlungen innerhalb der Koalition die für die Thematik wichtigen Weichenstellungen längst vorgenommen; wir haben gehandelt. Das gilt auch für den noch viel älteren Gesetzentwurf der SPD: Wir haben die aufenthaltsrechtlichen Übermittlungspflichten öffentlicher Stellen geändert, um den Schul- und Kindergartenbesuch von Kindern zu gewährleisten, und die Residenzpflicht für Geduldete und Asylbewerber gelockert, um ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung oder Ausbildung zu erleichtern. Wir haben einen echten humanitären Fortschritt erreicht, als wir die aufenthaltsrechtlichen Übermittlungspflichten öffentlicher Stellen reduziert haben. Bildung ist die Basis für gesellschaftliche Integration und persönlichen Erfolg. Die SPD hatte vor uns elf Jahre in Regierungsverantwortung gestanden und nichts dergleichen getan. Diese Koalition kann wirklich stolz darauf sein, dass sie substanzielle Verbesserungen gerade im humanitären Ausländerrecht erreicht hat. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wir debattieren hier heute zwei Gesetzentwürfe, die sich mit der Situation von Menschen befassen, deren Aufenthalt durch das deutsche Aufenthaltsrecht illegalisiert wurde. Beide Gesetzentwürfe wollen die menschenrechtliche Lage von Menschen ohne Aufenthaltsstatus verbessern. Derzeit müssen diese Illegalisierten bei vielen Kontakten mit Behörden damit rechnen, dass ihr irregulärer Aufenthalt aufgedeckt wird und sie in die Abschiebemaschinerie von Ausländerbehörden und Bundespolizei geraten. Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion setzt bei der deutlichen Einschränkung der Meldepflichten im Aufenthaltsgesetz an. Bislang sind Mitarbeiter aller öffentlichen Stellen verpflichtet, Menschen ohne Aufenthaltsstatus an die Ausländerbehörden zu melden, wenn sie in Ausübung ihrer Aufgaben Kenntnis von ihrem Status erhalten. Lediglich Schulen und Kindertageseinrichtungen sind mittlerweile von dieser Pflicht ausgenommen worden. Aber bei Zugang zu Gesundheitsversorgung oder zu Arbeitsgerichten, um entgangenen Lohn einzuklagen, greift die Meldepflicht weiter und verhindert so die effektive Wahrnehmung von Menschenrechten. Deshalb begrüßen wir den Gesetzentwurf der SPD als einen Schritt in die richtige Richtung. Er will die Meldepflicht auf die Polizei- und Ordnungsbehörden beschränken. Allerdings übersieht der Gesetzentwurf der SPD dabei die weiter bestehenden Meldepflichten im Sozialrecht. Der Gesetzentwurf der Grünen will auch diese abschaffen, und damit wäre tatsächlich ein Schritt getan, damit Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität die sozialen Menschenrechte auch ohne Angst vor Aufdeckung und Abschiebung wahrnehmen können. Leider beantwortet das noch nicht die Frage, wer dann beispielsweise medizinische Behandlungen bezahlen soll. Die medizinische Versorgung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus ist aus menschenrechtlicher Perspektive sicherlich das drängendste Problem. Aber wer keinen legalen Aufenthaltsstatus hat, der kann auch keine Krankenversicherung abschließen, weil auch hier die Meldepflicht greift. Modelle für eine medizinische Versorgung von Illegalisierten, beispielsweise Fonds oder einen durch die Sozialämter ausgegebenen anonymisierten Krankenschein, gibt es bereits. Dass die Bundesregierung an ihrer dogmatischen Haltung festhält, den Aufenthalt von Menschen ohne legalen Status allein aus ordnungspolitischer Perspektive betrachten zu wollen, ist uns schon lange bekannt. Aber auch SPD und Grüne sind von dieser inhumanen Sichtweise nicht frei; sie dokumentiert sich auch in den vorliegenden Gesetzentwürfen. So heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der SPD: „Die Durchsetzung der Ausreisepflicht dient der öffentlichen Ordnung.“ Angesichts beispielsweise der afrikanischen Libyen-Flüchtlinge, die sich derzeit in Hamburg aufhalten und ebenfalls ausreisepflichtig sind, stellt sich doch die Frage: Was ist das für eine öffentliche Ordnung, in der Menschen gezwungen werden, sich in absolut menschenunwürdige Lebensbedingungen zu begeben? Hier fehlt leider jede kritische Reflexion über die rechtlichen und politischen Bedingungen, unter -denen Menschen in Deutschland ausreisepflichtig werden. Der Gesetzentwurf der Grünen bleibt dieser ordnungspolitischen Perspektive im Umgang mit den Opfern von Menschenhandel und Arbeitsausbeutung verhaftet: Sie sollen nur dann ein Aufenthaltsrecht erhalten, wenn ihre Aussagen strafrechtlich verwertbar sind. Trotz dieser Kritikpunkte wird die Linke den vorliegenden Anträgen zustimmen. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute stimmen wir über unseren Gesetzentwurf ab, mit dem die Rechte von Menschen ohne Aufenthaltsstatus gestärkt werden sollen. In Deutschland leben viele Menschen am Rande der Gesellschaft, ohne ihre elementarsten Rechte wahrzunehmen. Diese Menschen sind nicht gewaltbereite Kriminelle, sondern Familienväter und -mütter, die in den Hinterzimmern von Restaurants arbeiten, um ihre Familie über Wasser zu halten. Sie müssen ständig in Angst leben, dass sie denunziert werden oder bei einer einfachen Kontrolle ihre Identität nicht nachweisen können. Aus Angst davor, abgeschoben zu werden, vermeiden Kranke den Kontakt mit Krankenhäusern. Eltern trauen sich nicht, ihre Kinder die Schule oder den Kindergarten besuchen zu lassen. Und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehen sich häufig in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen gefangen. Das ist nicht nur für die einzelnen Betroffenen unzumutbar, sondern widerspricht auch unserem Rechtsstaat. Unser Ziel muss es sein, allen in Deutschland lebenden Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Die deutsche Rechtslage hindert Betroffene -daran, ihre gesetzlich garantierten sozialen Menschenrechte in Anspruch zu nehmen. Die Meldepflicht aller öffentlichen Stellen gegenüber den Ausländer-behörden stellt dabei das größte Hindernis dar. Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir die Übermittlungspflichten daher auf die öffentlichen Stellen, die der Gefahrenabwehr und Strafrechtspflege dienen, beschränken. Dadurch soll insbesondere öffentlichen Stellen, deren Kernaufgabe die Gewährung sozialer Rechte ist, die Datenübermittlung untersagt werden. Denn die Übermittlungspflicht steht der Erfüllung ihrer Aufgaben entgegen. Nur wenn die Menschen sicher sein können, dass die Ausländerbehörden über ihren Aufenthalt nicht informiert werden, werden sie sich an die Leistungsträger wenden, um ihre Rechte wahrzunehmen. Die Übermittlungspflichten sind als Instrument zur Migrationskontrolle ohnehin nicht geeignet. Besonders wichtig ist es uns, die Situation für Kinder zu verbessern. Gerade Kinder in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität müssen die Chance haben, in der Kita oder in der Schule ein Stück Normalität zu erleben. Zwar hat die Bundesregierung in dieser Wahl-periode Schulen und Kindergärten von der Übermittlungspflicht nach § 87 Aufenthaltsgesetz ausgenommen. Das war ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber bei weitem nicht aus. Der Schul- und Kindergartenbesuch ist dadurch nicht sichergestellt. -Unser Gesetzentwurf sieht daher weiter gehende Änderungen vor. Bislang sind statuslose Kinder von Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz ausgeschlossen. Durch den Ausschluss wird ihnen nicht nur der Anspruch auf einen Kitaplatz verwehrt, sondern auch dessen Förderung. Wir wollen die Kinder- und Jugendhilfe für Kinder in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität öffnen, damit die Kinder einen sicheren und bezahlbaren Kitaplatz erhalten. Darüber hinaus sieht unser Gesetzentwurf aufenthaltsrechtliche Verbesserungen für Opfer von Menschenhandel und schwerer Arbeitsausbeutung vor. Im Gegensatz zur Bundesregierung beschränken wir uns nicht auf die strafrechtliche Verfolgung der Täter, sondern sorgen gleichzeitig für besseren Schutz der Opfer. Diese oft traumatisierten Personen stehen unter vielfältigen Formen von Druck, Zwang und körperlicher, sexueller sowie psychischer Gewalt. Sie benötigen ein sicheres Aufenthaltsrecht, das es zulässt, Entschädigungs-, Schadensersatz- und Lohnansprüche geltend zu machen, und zwar unabhängig von der Bereitschaft, in einem Strafprozess auszusagen. Schließlich herrscht unter helfenden Personen weiterhin Rechtsunsicherheit darüber, unter welchen -Umständen sie im Einzelnen Hilfe leisten dürfen. Insbesondere besteht bei Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften, Lehrerinnen und Lehrern und selbst bei Pfarrerinnen und Pfarrern und Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die Menschen ohne Aufenthaltsstatus unterstützen, erhebliche Unsicherheit darüber, ob sie sich durch ihr Verhalten strafbar machen. Diesem Problem helfen wir durch eine gesetzliche Klarstellung ab. Unsere Vorschläge stehen nicht im Widerspruch zu der Pflicht des Staates, illegale Einwanderung und illegalen Aufenthalt zu bekämpfen. Dabei muss der Staat aber die ihm durch die Grundrechte und Menschenrechte gesetzten Grenzen beachten. Der Gesetzentwurf definiert diese Grenzen und schafft einen Ausgleich zwischen dem ordnungspolitischen Interesse der Migrationskontrolle und dem rechtsstaatlichen Interesse der Wirksamkeit von fundamentalen Rechten für alle in Deutschland lebenden Menschen. Wir werden dem Gesetzentwurf der SPD zustimmen, weil er das gleiche Kernanliegen verfolgt. Beide Gesetzentwürfe sehen die Einschränkung der Übermittlungspflichten nach § 87 Aufenthaltsgesetz vor. Auch stimmen wir in der Frage überein, dass humanitäre Hilfe straflos sein muss und dies im Gesetz klargestellt werden muss. Dennoch geht uns der Gesetzentwurf der SPD nicht weit genug. Allein die Übermittlungspflichten nach dem Aufenthaltsgesetz einzuschränken, wird die Situation für die Betroffenen nicht verbessern. Denn vergleichbar abschreckende Regelungen finden sich auch in anderen Gesetzen. Außerdem wird der Gesetzentwurf der SPD nicht dem besonderen Schutzbedürfnis von Kindern sowie von Opfern von Menschenhandel und schwerer Arbeitsausbeutung gerecht. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13157, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/56 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13157 empfiehlt der Innenausschuss, den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6167 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes – Drucksache 17/13469 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/13766 – Berichterstattung: Abgeordnete Helmut Brandt Burkhard Lischka Dr. Stefan Ruppert Jens Petermann Jerzy Montag Die Reden gehen zu Protokoll. Helmut Brandt (CDU/CSU): Nachdem wir die Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes in der vergangenen Woche in erster Lesung debattiert haben, stehen schon heute die zweite und dritte Lesung an. Anlässlich der ersten Lesung habe ich für meine Fraktion die geplanten Änderungen ausführlich dargestellt und begründet. Dem ist nichts hinzuzufügen. Darauf möchte ich zunächst verweisen. Änderungen am Gesetzentwurf hat es nicht gegeben. Auch sonst gibt es nicht Neues. Von daher ist eine erneute Debatte eigentlich überflüssig. Ich sehe mich aufgrund des Beitrags des Kollegen Korte von der Fraktion Die Linke aus der ersten Lesung jedoch veranlasst, einige Bemerkungen zu seinen Darlegungen zu machen. Herr Korte hat es für richtig gehalten, der CDU/CSU Fraktion eine widersprüchliche Haltung, wörtlich „eine rasante Kehrtwende“, in der Frage der Transparenz für die Akten des Bundesverfassungsgerichts vorzuwerfen. Er hat es weiter für richtig gehalten, uns aufzufordern, „auch in anderen Bereichen der Innen- und Rechtspolitik“ von den Konzepten und Positionen der Fraktion Die Linke zu lernen. Dazu sage ich Ihnen ganz klar: Wenn es jemanden gibt, von dem wir in politischen Fragen keine Belehrungen entgegennehmen oder etwas lernen wollen, dann ist das die Linke. Es ist erstens falsch, dass der jetzige Gesetzentwurf dem Konzept der Linken für den Zugang zu Akten des Bundesverfassungsgerichts entspreche. Um nur einmal die beiden grundlegenden Unterschiede zu benennen: Erstens. Wir sind, im Gegensatz zur Linken, nicht für eine Regelung im Bundesarchivgesetz, sondern wollen, der besonderen Stellung des Bundesverfassungsgerichts entsprechend, eine eigenständige Regelung im Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Zweitens. Wir halten Sperrfristen von 30 bzw. 60 Jahren in Bezug auf Urteilsentwürfe, Beschlüsse etc. für grundsätzlich angemessen und sind nicht dafür, diese bereits nach 20 Jahren der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Gründe dafür habe ich anlässlich der ersten Lesung des Gesetzentwurfs erläutert. Des Weiteren ist die Selbstbeweihräucherung des Kollegen Korte aus der ersten Lesung des Gesetzentwurfs geradezu peinlich. Er hat dort allen Ernstes die Auffassung vertreten, seine Partei habe bereits vor mehr als 20 Jahren eine entscheidende Lehre aus der Geschichte gezogen. Die Linke stehe „deshalb für Transparenz“ und die „aus vordemokratischen Zeiten stammende Politik der Intransparenz, die einzig dem Machterhalt einer Minderheit diene, müsse überwunden werden.“ Selten so gelacht, kann ich da nur sagen. Das ist eine Beschreibung aus dem sozialistischen Märchenbuch. Wer die tatsächliche Haltung der Linken in Sachen Transparenz kennenlernen möchte, muss sich nur einmal den Bericht der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR, UKPV, vom 31. August 2006 anschauen. Nur einige Kostproben daraus: „Die SED/PDS verfolgte eine Strategie der Vermögensverschleierung“, Seite 29. „Es handelt sich bei den Auslandsprozessen im Zusammenhang allein mit der früheren SED-Firma Novum um in Zürich in erster Instanz noch anhängige zwei Zivilgerichtsverfahren, deren Klagesummen sich, addiert, auf 237 Millionen Euro – zuzüglich Zinsen – belaufen“, Seite 9. „Dies alles zusammengenommen bedeutet, dass es nach menschlichem Ermessen weiterhin eine Dunkelziffer an unentdecktem Parteivermögen geben dürfte“, Seite 15. „Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die PDS sich während der gesamten Arbeitsdauer der UKPV insgesamt nur wenig kooperativ gezeigt hat. Die Partei musste regelmäßig eher gezwungen werden, als dass sie den gesetzlichen Verpflichtungen von sich aus nachgekommen wäre. In seinem Bericht vom 28. Mai 1998 hat der 2. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages festgestellt, dass die Haltung der SED/PDS „…von Anfang an darauf gerichtet war, einen möglichst großen Teil der in der Zeit ihrer Herrschaft angeeigneten Vermögenswerte für sich zu sichern“. Darüber hinaus sei deutlich geworden, dass dem eine „…sorgfältig geplante Strategie der Partei zur ‚Abwehr von Angriffen auf das Parteivermögen‘ ...“ zugrunde lag. „Man kann den Eindruck haben, dass das Verhalten der PDS gegenüber der UKPV nahezu durchgängig von stets ebendiesen strategischen Zielsetzungen geprägt war“, Seite 16. Das zeigt mehr als deutlich, was die Linke unter Transparenz versteht. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf trägt unsere Handschrift, und das ist gut so! Dr. Edgar Franke (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beraten wir in zweiter und dritter Lesung die Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes. In diesem gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und der FDP wollen wir gute wissenschaftliche Rahmenbedingungen für die zeitgeschichtliche Forschung zu beiden deutschen Staaten schaffen. Konkret geht es um die Einsichtnahme in Akten und Entscheidungsvorschläge des Bundesverfassungs-gerichts zu Forschungszwecken. Zwar war das Bundesverfassungsgericht weitgehend von personellen -Kontinuitäten mit der NS-Vergangenheit verschont geblieben, doch es besteht dennoch ein Forschungsbedarf. Der Forschungsbedarf beim Bundesverfassungsgericht besteht insbesondere darin, zu erforschen, wie der Aufbau des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates erfolgen und sich das heutige Verfassungsverständnis entwickeln konnte. Die Forschung benötigt den Zugang zu Akten und Entscheidungsunterlagen der betroffenen Behörden, Gerichte und Ministerien. Wir schaffen mit unserem Gesetzentwurf die Rahmenbedingungen für eine unabhängige Einsichtnahme in die Unterlagen des Bundesverfassungsgerichts. In einer demokratischen politischen Ordnung erhält die politische Unabhängigkeit der Wissenschaften eine besondere Brisanz, da wissenschaftliches Wissen eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass Bürger politische Präferenzen ausbilden können, die ihre Interessen und Werte auf angemessene Weise widerspiegeln. Ich möchte mich nicht dahin gehend wiederholen, was ich zum Gesetzentwurf in erster Lesung vorgetragen habe. Entscheidend ist, dass wir künftig nicht nur in das Archivgut des Bundesarchivs einsehen können, sondern auch in die Akten im Zwischenarchiv, natürlich nach den bundesarchivgesetzlichen Regeln, und nach den Sperrfristen von 30 bzw. 60 Jahren. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert eine Überprüfung der 60-jährigen Geheimhaltungsfrist. Sie fordert zu Recht nicht unmittelbar eine Verkürzung. Die Diskussion ist mit Experten zu führen. Dem schließen wir uns gern an. Doch sollte zunächst dieser Gesetzentwurf in der noch laufenden Legislaturperiode verabschiedet werden. Die Frage der angemessenen Fristen kann mit der Novellierung des Bundesarchivgesetzes in der nächsten Legislaturperiode in diesem Hohen Haus diskutiert werden. Wir haben auch den hohen Rang des Beratungs-geheimnisses und dessen Schutzwürdigkeit in erster Beratung betont. Die Forderung der Fraktion der Linken auf Verkürzung der 30-jährigen Frist auf 20 Jahre muss demnach abgelehnt werden. Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Die Gesetzesänderung ist gut für Wissenschaft und Forschung, gut für die langfristige Sicherung der Gerichtsakten, ein Fortschritt für Bundesarchiv wie Bundesverfassungsgericht und ein starkes Signal an alle, denen die qualifizierte Aufarbeitung der frühen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland am Herzen liegt. Ich begrüße es außerordentlich, die Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes noch in dieser Legislaturperiode zu beraten und zu verabschieden – und lade alle Fraktionen ein, diesem Entwurf zuzustimmen. Mit der Gesetzesänderung setzen wir Forderungen um, die meine Fraktion im vergangenen November erhoben und dann in einer gemeinsamen Initiative mit der Koalition beschlossen hat. Wir wollen zur weiteren Aufarbeitung von personellen Kontinuitäten und Brüchen in Bundesministerien, -behörden und -gerichten beitragen. Denn noch immer bleibt in vielen Fällen unklar, welchen Einfluss Personen, Netzwerke und Gedankengut aus der Zeit des Nationalsozialismus auf die Entwicklung bundesdeutscher Institutionen und deren Entscheidungen hatten. Auch der Einfluss auf Institutionen in der DDR ist noch nicht ausreichend erforscht. Zwar ist in den vergangenen Jahren viel geschehen. Bundesministerien haben historische Kommissionen eingesetzt, die immer wieder über aktuelle Ergebnisse aus ihrer Arbeit berichten. Dabei werden aber auch Forschungslücken sichtbar. Am Montag beispielsweise legten Historiker im Bundesfinanzministerium erste Forschungsergebnisse zum Reichsfinanzministerium vor. Dieses war während der Zeit des Nationalsozialismus maßgeblich an der Ausplünderung von Juden beteiligt. Die geplanten Untersuchungen werden 1945 enden und weiterreichende personelle Kontinuitäten der Beamtenschaft nicht in den Blick nehmen. Es bleibt also noch einiges zu tun. Um einen verlässlichen Überblick zu erhalten, folgte der Deutsche Bundestag vergangenen November dem Vorschlag meiner Fraktion und beschloss, beim Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam eine Bestandsaufnahme zu beauftragen, die den aktuellen Forschungsstand zu Ministerien und Behörden dokumentiert und eine Grundlage für weitere Untersuchungen bereitstellt. Für gegenwärtige und zukünftige Forschungen ist es unerlässlich, dass Wissenschaftler Zugang zu entsprechenden Akten erhalten. Hier sind zunächst die Bundesministerien und -behörden selbst gefragt. Grundsätzlich aber müssen die Praxis der Aktenabgabe an das dafür zuständige Bundesarchiv und in Verbindung damit der Aktenzugang für die Wissenschaft nachvollziehbar, einheitlich und nach allgemeingültigen Regeln organisiert werden. Dies gilt auch für die Bundesgerichte. Gerade die Möglichkeiten der Einsicht in deren Akten müssen sich verbessern. Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute diskutieren, ist ein erster Schritt getan. Dass es das Bundesverfassungsgericht ist, bei dem diese Initiative ansetzt, ist kein Zufall. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinen Entscheidungen die Verfassungswirklichkeit und das Verfassungsverständnis im Deutschland der Nachkriegszeit maßgeblich geprägt. Es ist deshalb auch für die historische Forschung von besonderer Relevanz. Der Gesetzentwurf entstand nicht gegen den Willen, sondern gemeinsam mit dem Bundesverfassungsgericht. Ich denke, das ist ein weiterer Punkt, der für den Entwurf spricht. Konkret regelt er die Schutzfristen für den Aktenzugang zu den Gerichtsakten des Bundesverfassungsgerichtes. Er legt also die Rahmenbedingungen für die Einsichtnahme durch Wissenschaft und Forschung fest und – dies ist von großer Bedeutung – findet einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen des Bundesarchivs auf der einen Seite und der Schutzwürdigkeit des Beratungsgeheimnisses des Bundesverfassungsgerichts auf der anderen Seite. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz nimmt Regelungen des Bundesarchivgesetzes auf und verknüpft diese Gesetze. Dafür regelt nicht das Bundesarchivgesetz, sondern das Bundesverfassungsgerichtsgesetz den Umgang mit den Akten. Dies ist angesichts der herausragenden Stellung des Bundesverfassungsgerichtes als eines der obersten Verfassungsorgane für uns akzeptabel. Zwar wäre es schöner gewesen, wenn das Bun-desarchivgesetz bereits in dieser Legislaturperiode geändert worden wäre, sodass es auch für das Bun-desverfassungsgericht verbindliche Neuregelungen geschaffen hätte. Dies ist aber nicht erfolgt. An meiner Fraktion lag das nicht. Der Kulturstaatsminister hat dieses Thema auf die lange Bank geschoben – bis es zu spät war. Der Gesetzentwurf ist dennoch ein wirklicher Fortschritt und wird hoffentlich Signalwirkung entfalten. Ich würde mich freuen, wenn andere Bundesgerichte dem Beispiel des Bundesverfassungsgerichtes folgten. Das Vertrauen der Bürger in ihre Staatsorgane ist für unser Gemeinwesen, für unsere Demokratie unerlässlich. Die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte von Ministerien, Behörden und Bundesgerichten trägt dazu bei. Der Gesetzentwurf verbessert die Rahmenbedingungen für diese Auseinandersetzung. Deshalb stimmt meine Fraktion ihm zu. Dr. Stefan Ruppert (FDP): Wir schließen am heutigen Tag ein Gesetzgebungsverfahren im Bundestag ab, das mir als Liberaler, aber vor allem auch als Wissenschaftler und Rechtshistoriker ein besonderes Anliegen war. Wir verbessern mit dem vorliegenden Gesetzentwurf den Zugang zu den Akten des Bundesverfassungsgerichts. Bisher konnten Wissenschaftler nur sehr eingeschränkt Quellen aus dem höchsten Verfassungsgericht einsehen. Diese unbefriedigende Rechtslage werden wir nun beenden. Damit werden wir unserem liberalen Forschungsansatz – der Staat soll Forschung fördern und ermöglichen, nicht aber selbst beauftragen – gerecht. Zukünftig haben nicht nur staatlich einberufene Historikerkommissionen, die zweifellos eine wichtige Bedeutung in der Aufarbeitung der Geschichte verschiedener Behörden, Ministerien und Gerichte haben, einen freien Aktenzugang. Mit unserer Reform schaffen wir neue Möglichkeiten für alle Wissenschaftler – ganz gleich ob etablierter Professor, fleißiger Doktorand oder motivierter Hauptseminarstudent. Über diese breite Forschungsfreiheit freue ich mich besonders. Das Bundesverfassungsgericht hat die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik entscheidend geprägt. Eine umfassende und differenzierte historische Aufarbeitung dieser herausragenden Rolle war bisher ein Forschungsdesiderat. Dies haben unter anderem der Deutsche Rechtshistorikertag oder Experten wie der Frankfurter Rechtshistoriker Michael Stolleis bestätigt. Wir haben nun die Weichen gestellt, dass dieser Forschungsbedarf zukünftig bedient werden kann. Dabei ist uns eine Lösung gelungen, die eine sehr gute Balance zwischen dem Beratungsgeheimnis des Karlsruher Gerichts einerseits und dem Forschungsinte-resse der wissenschaftlichen Gemeinschaft andererseits schafft. Dass wir die SPD und zum Schluss auch die Grünen von dieser Lösung überzeugen konnten, begrüße ich ausdrücklich. Ich danke allen Beteiligten im Bundestag und natürlich ebenso den Vertretern des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere dem Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof und dem Bundesverfassungsrichter Wilhelm Schluckebier, für das sehr konstruktive Verfahren. Mit diesem sehr sachlichen und ergebnisorientierten Politikansatz sollten wir in der nächsten Wahlperiode auch gemeinsam die noch vor uns liegende Reform des Bundesarchivgesetzes angehen. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Die Rolle und Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts für die Demokratie in Deutschland ist unstrittig und allen hier im Hause bewusst. Das Verfassungsgericht gehört zu den staatlichen Organen mit dem höchsten Ansehen in der Bevölkerung, seine Entscheidungen sind in vielen Fällen wegweisend für politische Debatten im Land gewesen. Die Chefin des Allensbach-Instituts, Renate Köcher, veröffentlichte im letzten Jahr einen Artikel in der „FAZ“, in dem sie das hohe Ansehen des Gerichts und seine enorme politische Rolle für die Bundesrepublik beschrieb, „FAZ“ vom 21. August 2012. Entscheidungen zu Hartz IV, zum Wahlrecht, zur Frage der Datenüberwachung, zu Kriegseinsätzen der Bundeswehr oder zur Euro-Rettungspolitik zeigen die große politische Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts. Transparenz und Offenheit sind die Voraussetzungen für diese hohe Akzeptanz des Bundesverfassungsgerichts. Diese Transparenz und Offenheit müssen auch für die Akten des Gerichts gelten, sind sie doch eine wichtige Quelle zeitgeschichtlicher Forschung und journalistischer Recherche in der Bundesrepublik und damit die Grundlage für das Verständnis so mancher richtungsweisender Entscheidung. Die Linke hat bereits zu Beginn der Legislatur-periode einen Antrag mit dem Titel „Akteneinsichtsrechte Dritter in die Verfahrensakten des Bundes-verfassungsgericht stärken“, Drucksache 17/4037, vorgelegt. Nachdem die Koalitionsfraktionen unser Ansinnen damals noch als völlig untragbar kennzeichneten und damit den leider üblichen Reflexen bei noch so sachlich begründeten Anträgen der Linken unterlagen, haben sie sich zum Ende der Legislatur – leider nur in Ansätzen – eines Besseren belehren lassen und sind den richtigen Forderungen der Linken entgegengekommen. Dabei sind sie aber auf halbem Wege stehen geblieben und werden mit ihrem Gesetzentwurf den Forderungen einer modernen Wissens- und Informationsgesellschaft nicht gerecht. Wo liegen unsere Differenzen? Während Koalition und SPD eine Frist von 30 Jahren für die Einsichtnahme in die Akten des Bundesverfassungsgerichts vorsehen und für die Entscheidungsvorschläge, -Voten und -entwürfe sogar 60 Jahre Frist festschreiben wollen, will die Linke eine generelle Einsichtnahme nach 20 Jahren ermöglichen. Übrigens wollen wir diese Verkürzung generell, also auch für die Akten des Bundesarchivs. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum die Dokumente solange unter Verschluss bleiben sollen. Gerade vor dem Hintergrund einer immer rasanteren Entwicklung der Informationsgesellschaft, in der die Dauer und Relevanz von Entscheidungsprozessen und den ihr zugrundeliegenden Motiven einer ständigen Überprüfung unterworfen sind, wäre eine zügige -Offenlegung solcher Entscheidungsprozesse von großer Bedeutung. 20 Jahre sind unserer Ansicht nach eine ausreichend lange, aber auch eine vertretbar kurze Frist, um die Akten des Bundesverfassungsgerichts zugänglich zu machen. Eine solche 20-Jahres-Frist ändert nichts an der Unabhängigkeit des -Gerichts. Andere nachvollziehbare Interessen für eine 30- bis 60-jährige Geheimhaltung sind ebenfalls nicht erkennbar. Das Bundesarchivgesetz, das nun auch für die Bundesverfassungsgerichtsakten zur Geltung kommen soll, enthält eine Vielzahl von Ermessensvorschriften, die zu Einschränkungen der Einsichtnahme führen können, die wir nicht wollen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Rechtsschutz bei Versagung der Einsicht nicht ausdrücklich geregelt ist, erscheint uns dies problematisch. Aus diesem Grund sollten die Ermessensvorschriften des Bundesarchivgesetzes insgesamt durch Mussvorschriften ersetzt werden. Zudem sollte ein Rechtsschutz ausdrücklich geregelt werden. Denn nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom Juli 2009 ist der Ver-waltungsrechtsweg nicht eröffnet, da es sich bei der ablehnenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf Akteneinsicht Dritter „um rechtsprechende Tätigkeit“ handele. Dieses Urteil ist zwar nicht nachvollziehbar, da die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht und -auskunft offensichtlich nicht spruchrichterliche Tätigkeit, sondern materiell-rechtlich der vollziehenden Gewalt zuzurechnen ist, mithin die Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gewährleistet werden muss. Da das Urteil aber in der Welt ist, wäre die Klärung der Frage des Rechtsschutzes durch ausdrückliche Regelung im Bundesverfassungsgericht – welche auch den Antragsgegner benennt – sinnvoll gewesen. Aus Sicht der Linken enthält die vorgelegte Gesetzesinitiative zu viele Mängel, Beschränkungen und Inkonsistenzen, als dass wir ihr zustimmen könnten. Aber immerhin, sie haben sich, wenn auch spät, in die richtige Richtung bewegt. Die Linke steht für Offenheit, Transparenz und Bürgerrechte. Der vorliegende Gesetzentwurf geht einen zu kleinen Schritt in diese Richtung. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Bundesverfassungsgericht hat eine zentrale Stellung in unserem Rechtssystem. Es ist Hüter der Verfassung. Viele der für das Gemeinwesen wichtigen Kontroversen finden auch vor dem Verfassungsgericht einen Austrag. Die Entscheidungen des Gerichts haben eine große Verbindlichkeit, nicht zuletzt für den Gesetzgeber, wie aus vielen BVG-Urteilen ersichtlich. Die Arbeit eines Gerichts mit einer so hohen auch zeitgeschichtlichen Relevanz sollte keine Blackbox sein, sondern verstärkt Gegenstand von wissenschaftlicher Forschung und Debatte. An einer solchen Forschung haben wir alle ein Interesse, denn sie dient der Selbstvergewisserung im demokratischen Rechtsstaat, macht wichtige Stränge der Rechtsentwicklung nachvollziehbar und zeigt Recht als Prozess in juristischen, sozialen und politischen Kontexten. Wir wollen eine solche Forschung unterstützen und ihr einen besseren und schnelleren Zugang zu entscheidungsrelevanten Unterlagen ermöglichen. Das Verfassungsgericht selbst hat für seine Akten eine Sperrfrist von 90 Jahren vorgeschlagen. Akten zu Urteilen des Jahres 2013 könnten so erst im Jahr 2103 eingesehen werden. Und Akten zu den frühen Jahren des Gerichts würden überhaupt erst ab 2039 sukzessiv zugänglich. Das ist viel zu spät, was auch der deutsche Rechtshistorikertag 2010 in einer Resolution kritisiert hat. Nach so vielen Jahren ist mit einem deutlich abnehmenden zeitgeschichtlichen Interesse zu rechnen. Und es wäre auch eine Sonderregelung, denn üblich sind Sperrfristen von 30 respektive 60 Jahren. Der vorliegende Gesetzentwurf greift die berechtigte Kritik der Geschichtswissenschaftler auf. Wir unterstützen auch den Entwurf. Er ist ein Schritt in die richtige Richtung, hin zu einem schnelleren Aktenzugang. Wobei auch eine Sperrfrist von bis zu 60 Jahren noch sehr lange ist – auch angesichts der beschleunigten gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der wir leben. Es wäre deshalb zu prüfen, ob nicht ein schnellerer Zugang sinnvoll und möglich ist. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13766, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 17/13469 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Hartmann (Wackernheim), Sören Bartol, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Mehr Transparenz beim Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung – Bericht des Bundesrechnungshofes vollständig umsetzen – Drucksachen 17/5230, 17/13314 – Berichterstattung: Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein) Michael Hartmann (Wackernheim) Manuel Höferlin Ulla Jelpke Dr. Konstantin von Notz b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Eva Högl, Michael Hartmann (Wackernheim), Christian Lange (Backnang), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Interessenvertretung sinnvoll regeln – Lobbyismus transparent machen – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Neškovi?, Ulla Jelpke, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters – zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz schaffen – Verbindliches Register für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen – Drucksachen 17/6442, 17/2096, 17/2486, 17/13737 – Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Kaster Christian Lange (Backnang) Jörg van Essen Dr. Dagmar Enkelmann Volker Beck (Köln) Auch hier werden die Reden zu Protokoll genommen. Bernhard Kaster (CDU/CSU): Über die heute zur Debatte stehenden Oppositionsanträge zur Einführung eines Lobbyistenregisters -haben wir an dieser Stelle bereits am 10. April 2011 debattiert und jetzt noch einmal im Geschäftsordnungsausschuss intensiv diskutiert. Den Einfluss auf Abgeordnete durch Interessenvertreter werden Sie mit noch so einem detaillierten Lobbyistenregister nicht verhindern. Sie schüren mit Ihren Anträgen lediglich ein Klima des Misstrauens gegen unabhängige Abgeordnete. Offenbar haben Sie Zweifel an der grund-gesetzlich garantierten Unabhängigkeit des Abgeordneten in Ihren eigenen Fraktionen. Meinen Sie tatsächlich, die Unabhängigkeit Ihrer Entscheidungen nur mithilfe eines so bürokratischen Monstrums wie einem verpflichtenden Lobbyistenregister glaubhaft machen zu können? Damit stellen Sie Ihrer persönlichen und politischen Integrität doch ein Armutszeugnis aus. Ihre Anträge sind doch vollkommen praxisfremd. Die Grünen behaupten in ihrem Antrag, die Durchsetzung von Interessen gehe mit illegitimen Vorteilen oder Geldzahlungen einher. Korruption, Klüngelwirtschaft und undurchsichtige Mauscheleien beschädigten die demokratischen Institutionen und zerstörten das Vertrauen in die Politik. Beispiele dafür bleiben Sie schuldig. Die Linken behaupten apodiktisch, die Interessen der ökonomisch stärkeren Interessen der Wirtschaftslobbyisten würden sich gegen die Gewerkschaften durchsetzen. Die Oppositionsfraktionen wollen, dass über das bisherige Verbänderegister des Bundestages hinaus eine Vielzahl weiterer Daten aufgenommen werden, unter anderem Auftraggeber von Lobbyisten sowie verpflichtende Angaben zur Finanzierung der Interessenvertretung. Ich habe erhebliche Zweifel, wie hier noch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die berechtigten Interessen an der Vertraulichkeit von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gewahrt werden können. Ein solches verpflichtendes Lobbyistenregister würde in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, demzufolge der Betroffene grundsätzlich selbst entscheiden kann, ob, wann und wie persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Das sollte eigentlich gerade die Grünen beunruhigen, die doch bei jeder sich bietenden Gelegenheit behaupten, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung würde außer Kraft gesetzt. Das in Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz enthaltene Grundrecht der Berufsfreiheit bezieht in seinen Schutz auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ein. Dazu gehören nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Es wäre daher verfassungsrechtlich sehr problematisch, von Unternehmen die Offenlegung von Unternehmensinterna, wie finanzielle Aufwendungen und Angaben zu geschäftlichen Kontakten, zu verlangen. Darüber hinaus folgt aus dem Grundrecht der -Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände das Recht haben, im gesamten Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen die organisierten Gruppeninteressen gegenüber dem Staat und den politischen Parteien darzustellen und zu verfolgen; dies ist die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Diese Tätigkeit ist durch Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz also in ganz besonderer Weise grundrechtlich geschützt. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dürften daher nicht in ein mit Registrierungs- und Offenbarungspflichten verbindliches Lobbyistenregister einbezogen werden. Ein über das bereits jetzt eingeführte Verbänderegister im Bundestag hinausgehendes verpflichtendes Lobbyistenregister wirft also erhebliche verfassungsrechtliche Fragen auf, die in Ihren Anträgen völlig außer Acht gelassen werden. Die politische Einflussnahme von Interessenvertretern ist legitim und Bestandteil des politischen Entscheidungsprozesses. Es gehört zur Demokratie, Position zu beziehen und sich Mehrheiten zu suchen. Natürlich müssen diese Entscheidungen transparent und nachvollziehbar sein. Das wird durch die parlamentarischen Entscheidungsabläufe gewährleistet. Es fällt auf, dass gerade die größten Verfechter eines weiter gehenden Lobbyistenregisters sich nicht einmal ansatzweise mit den parlamentarischen Entscheidungsabläufen auseinandersetzen, die ja eine Vielzahl unterschiedlichster Beteiligter einbeziehen und damit für Transparenz sorgen. Fraktionen, Parlament und Fachausschüsse, öffentliche Anhörungen, Beiräte, Sachverständige sowie unterschiedlichste – auch gegensätzliche – Interessenvertreter bis hin zum Bundesrat und dem Vermittlungsausschuss wirken an den politischen Entscheidungen mit. Ein Viertel der Mitglieder eines federführenden Ausschusses kann im Bundestag die Anhörung zu einer Gesetzesvorlage verlangen. Die Fraktionen können für diese Anhörung Sachverständige benennen. Die Anhörungen sind öffentlich und werden im Internetfernsehen des Bundestages übertragen. An öffentlicher und kontroverser Debatte gibt es also keinen Mangel. Das gesamte Gesetzgebungsverfahren von der Einbringung des Gesetzentwurfs über die Plenardebatte und die Beschlussempfehlung des Ausschusses sind auf der Internetseite des Bundestages ständig abrufbar. Jedes Gesetzgebungsverfahren unterliegt darüber hinaus einer allgegenwärtigen medialen Kontrolle. Es gibt also keine Transparenz- und Informationsdefizite; den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts, dass der gesamte parlamentarische Willensbildungsprozess für den Bürger durchschaubar ist, wird umfassend Rechnung getragen. Politische Entscheidungen bestehen fast immer aus Kompromissen unterschiedlicher Interessen. Es ist wohlfeil, die Entscheidung anschließend unter Lobbyismusverdacht zu stellen, weil man sich damit sehr leicht der sachlichen politischen Auseinandersetzung entziehen kann. Tatsächlich tragen wir als Parlamentarier für alle von uns beschlossenen Gesetze die Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und müssen ihnen dafür in vielfacher Weise Rechenschaft im Wahlkreis und im Parlament ablegen. Ein Lobbyistenregister kann uns diese Verantwortung nicht abnehmen. Die Anträge der Opposition werden wir daher ablehnen. Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Ich bin seit dreieinhalb Jahren im Deutschen Bundestag, bin 52 Jahre alt und war vorher kein Politiker; ich bin also in der ersten Periode ein Externer – oder sogar ein Lobbyist? Denn: Ich vertrete Interessen, ich habe Fachwissen, und ich gestalte Politik. Das alles sind jedenfalls typische Merkmale von Lobbyisten. Als ehemaliger Bundespolizist oder als Qualitätsmanager bin ich zu meinem beruflichen Glück seit Jahren Fachmann und Interessenvertreter zugleich. Ich bin aus eigener Erfahrung noch nahe dran an den Themen, für die ich im Innenausschuss auch fachpolitisch Verantwortung habe und empfinde. Das mag mancher vielleicht seltsam finden oder sogar kritisieren. Aber Fachwissen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, vor allem von der Opposition, hat noch niemandem geschadet. Wenn ich Nichtpolitikern davon berichte, dass der eine oder andere hier findet, ich sei zu nah dran, zu sehr selbst betroffen, ernte ich nur Unverständnis. Wir alle sind Interessenvertreter, ob fachlich, parteipolitisch, regional oder ideologisch, und viele von uns sind Experten. Sie haben sich – hoffentlich – Wissen und Kenntnisse erworben in Ihrem Leben vor der Politik, Sie haben Erfahrungen gesammelt, und Sie haben sich eine Meinung zu vielen Themen gebildet. Das ist in einer repräsentativen Demokratie richtig und gut so, ja unverzichtbar. Expertenwissen sammelt man in der Wirklichkeit. Es entsteht vor allem durch eigene Erfahrungen und durch spezielle Ausbildungen. Deshalb werden wir in der Exekutive wie in der gesetzgebenden Gewalt immer auf Fachleute aus dieser Wirklichkeit angewiesen sein. Und darum sage ich ganz klar und deutlich: Wir brauchen die Unterstützung von Externen in Bundesbehörden! Und genau aus diesen Gründen lehne ich eine Stigmatisierung von externen Fachleuten in Ministerien und anderen oberen Bundesbehörden ab. Ich sehe keinen Nutzen darin, diese Experten in öffentlich zugänglichen Berichten praktisch an den Pranger zu stellen. Ich erkenne auch keinen Mehrwert darin, dem Bundesministerium des Innern weitere Berichtspflichten aufzuerlegen. Die derzeitige Praxis ist gut, sie ist transparent und schützt zugleich die Betroffenen. Seit 2008 gibt es die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Einsatz von außerhalb des öffentlichen Dienstes Beschäftigten. Dazu gehört auch, dass solche Externen nicht an der Formulierung von Gesetzentwürfen und anderen Rechtssetzungsakten beteiligt werden dürfen. Das Auswahlverfahren ist transparent zu gestalten, der Einsatz soll nicht länger als sechs Monate dauern. Die Empfehlungen des Bundesrechnungshofes aus dem Jahr 2007 wurden mit der Verwaltungsvorschrift 2008 konsequent umgesetzt; diese Praxis hat sich bewährt. Der nun schon neunte Bericht über den Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung bringt uns folgende Erkenntnisse: Die bloße Zahl von solchen Externen in den obersten Bundesbehörden ist sehr niedrig. Wir reden von gerade einmal 48 Personen; die meisten von ihnen kommen aus bundesnahen Einrichtungen, nur in acht Fällen kommen sie aus der Wirtschaft bzw. einem Wirtschaftsverband. Das ist dann wirklich nicht zu viel. Die vier sogenannten Altfälle, die im Bericht beschrieben werden, sind aus meiner Sicht eine zu vernachlässigende Größe, zumal in jedem Fall sehr gut und nachvollziehbar begründet wurde, warum diese Personen mehr als sechs Monate eingesetzt worden sind. Bereits jetzt dürfen Externe nicht an der Formulierung von Gesetzentwürfen und anderen Rechtssetzungsakten beteiligt werden. Ich bedauere es sehr, dass interessierte politische Kreise in Deutschland gerne zwischen „guten“ und „bösen“ Interessenvertretern unterscheiden und damit Vorurteile in der Öffentlichkeit schüren. So ist es offensichtlich gut und richtig, wenn in einem Ministerium ein Mitarbeiter eines großen Umweltverbandes arbeitet, aber es ist schlecht und korrupt, wenn externe Wirtschaftsvertreter das Wirtschaftsministerium unterstützen. Eine der erfolgreichsten Wirtschaftsnationen der Welt darf also nach Ansicht der SPD keine wirtschaftsnahen Experten um Rat fragen. Dagegen ist das Engagement von Umweltaktivisten zu begrüßen? Das kann nicht sein. Genauso wenig kann es sein, dass ganz bestimmte Lehrer als Gemeinschaftsschul-Chef-Lobbyisten im SPD-Bildungsministerium Baden-Württemberg plötzlich Karriere machen oder sogenannte Parkschützer im Stuttgarter Grünen-Verkehrsministerium eine Hotline zu Stuttgart21 betreuen. Welche scheinheilige Doppelmoral, meine Damen und Herren von Rot-Grün! Da machen wir nicht mit. Ich habe in den dreieinhalb Jahren als Abgeordneter viel gelernt. Eine meiner wichtigsten Erkenntnisse ist: Interessenvertretung, Expertenwissen und Lobbyismus gehören zu den wertvollsten Instrumenten unserer repräsentativen, pluralistischen Demokratie. Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Auch ich weiß: Parlamentarische Mühlen mahlen manchmal langsam. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass wir als selbstbewusste Parlamentarier aller Fraktionen in der Frage externer Beschäftigter in den Ministerien am Ende an einem Strang ziehen werden. Ich kenne jedenfalls keine Kollegin und keinen Kollegen, der oder dem es egal ist, wer an Gesetzentwürfen mitarbeitet. Genau das ist der Kern unseres Antrags. Ich möchte als Parlamentarier wissen, wer an einem Gesetz mitgewirkt hat, über das ich hier im Hohen Hause abzustimmen habe, und ob dabei die Neutralität des Verwaltungshandelns noch gewährleistet ist. Wir wollen mit unserem Antrag eben nicht die legitime Interessensvertretung verbieten, sondern die versteckte Einflussnahme offenlegen. Deshalb fordern wir, zukünftig im Vorblatt eines jeden Gesetzentwurfs aufzulisten, ob und in welcher Zuständigkeit externe Mitarbeiter an der Entstehung eines Gesetzes beteiligt waren. Nur so besteht die Möglichkeit, die seit Jahren offenkundigen Missstände abzuschaffen und vermeidbaren Schaden zu verhindern. Nur Transparenz schützt vor ungewollter Einflussnahme und schafft den nötigen Rahmen, um die Risiken des Missbrauchs zu minimieren. Ich möchte aber bei dieser Gelegenheit auch ausdrücklich anerkennen, dass durch den Druck der kritischen Öffentlichkeit und unsere parlamentarischen Aktivitäten bereits viel geschehen ist: Die Zahl der externen Mitarbeiter in den Ministerien ist seither gesunken, die Vertreter aus der Wirtschaft und den Wirtschaftsverbänden bilden nur noch eine kleine Gruppe, und viele der sogenannten Altfälle wurden beendet. Dennoch stellen mich die bisherigen Ergebnisse nicht zufrieden. Auch in dem inzwischen vorliegenden Zehnten Bericht zum Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung hält sich die Bundesregierung nicht an ihre selbst aufgestellten Spielregeln. Schon lange kritisiere ich die viel zu laxen Regeln. Wenn aber nicht einmal diese viel zu lockeren Regeln eingehalten werden, zeigt dies, wie ernst es der Bundesregierung mit der vielgepriesenen Transparenz ist. Ich möchte Ihnen daher heute gern detailliert die Missstände benennen, welche eine zukünftige rot-grüne Bundesregierung sehr schnell abstellen muss, weil Schwarz-Gelb dies zu meinem Bedauern leider vier Jahre lang versäumt hat. Erstens. Für die sogenannten Altfälle – das sind Einsätze, die vor dem Inkrafttreten der Verwaltungsvorschrift begonnen wurden und sich zudem meistens über mehrere Jahre erstrecken – gilt die Verwaltungsvorschrift aus dem Jahre 2008 nicht. Schon das finde ich schade. Warum hat man seitens der Bundesregierung eine solche Unschärfe zugelassen und nicht reinen Tisch gemacht und alle Altfälle schon 2008 beendet? Wenn ein solcher Altfall heutzutage bereits über 103 Monate – und das sind nach Adam Riese fast 8,5 Jahre – läuft, ist dies zwar unschön, aber verstößt nicht gegen die Regel. Die Forderung des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes in der Anhörung des Innenausschusses im Jahr 2009, die Altfälle zügig zu beenden, wird von der Bundesregierung weiter ignoriert. Ein paar sind beendet worden, andere nicht – wie der aktuelle Zehnte Bericht des Bundesinnenministeriums zeigt. Im Jahr 2013 schlagen immer noch vier Altfälle zu Buche. Diese Einsätze müssen besser heute als morgen beendet werden. Zweitens. Weiterhin kritisch sehe ich die Verweildauer der eingesetzten Leihbeamten. Aktuell überschreiten 64 Prozent der externen Mitarbeiter die vorgeschriebene Einsatzdauer von sechs Monaten um ein Vielfaches – ohne Konsequenzen. In neun Fällen wird die Verweildauer sogar bis auf über 24 Monate ausgereizt. Dabei kann wohl niemand mehr von einem temporären Wissensaustausch sprechen. So setzt das Auswärtige Amt die ehemalige Leiterin des Goethe-Instituts Nancy für 52 Monate im Referat Deutsch als Fremdsprache ein. Dauerhafter Bedarf an Fachwissen darf aber ausdrücklich nicht von externen Personen gedeckt werden. Solche Einsätze müssen dringend abgestellt werden, und die Missachtung der Verwaltungsvorschrift darf nicht ohne Konsequenzen bleiben. Drittens. Leider sind befristete Arbeitsverträge von der Verwaltungsvorschrift ausgenommen. Dies stellt ein Schlupfloch dar, das wir unbedingt schließen müssen. Auch befristete Arbeitsverträge müssen der Transparenzpflicht unterliegen. Viertens. Ich frage mich ernsthaft, welches Verständnis von Transparenz die Bundesregierung hat, wenn nur die Haushalts- und Innenpolitiker die Berichte erhalten und sich die interessierte Öffentlichkeit und Journalisten die Berichte seit Jahren über Umwege „besorgen“ müssen. Ohne eine kritische Medienöffentlichkeit gibt es keine Kontrolle und Prävention. Ich hoffe, das wird auch der Bundesregierung noch klar. Ich fordere deshalb schon lange, die Berichte im Internet zu veröffentlichen und jährlich im Plenum des Deutschen Bundestages zu debattieren. Fünftens. Fünf aktuelle Einsätze finden im Rahmen eines Personalaustausches zwischen den Ministerien und den entsendenden Stellen statt. Leider erfahren wir als Parlamentarier nicht, welche Aufgaben zum Beispiel ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amts beim Bundesverband der Industrie wahrnimmt, der dort als Tauschpartner für 24 Monate tätig ist. Das sollte sich im nächsten Bericht ändern; ich fordere hier lückenlose Vollständigkeit. Sechstens. Der Einsatz von externen Mitarbeitern ist zulässig, wenn Fachwissen für die Erfüllung spezifischer Aufgaben im Ministerium benötigt wird. Er ist aber nicht zulässig, wenn lediglich ein Personalmangel beseitigt werden soll. Deshalb wundert es mich schon, dass im Bundesministerium für Bildung und Forschung derzeit 30 externe Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. eingesetzt sind, deren Einsatz mit dem „Kennenlernen der Tätigkeit des BMBF“ oder „einem erhöhten Betreuungsaufwand der Forschungsmuseen“ begründet wird. Ein Mitarbeiter der VDI Technologiezentrum GmbH ist zudem im BMBF mit der „Betreuung des nanoTrucks“ beauftragt; gezahlt wird der Einsatz von der entsendenden Stelle. Insgesamt hat das BMBF somit 36 externe Mitarbeiter, wohingegen 17 von insgesamt 22 obersten Bundesbehörden gar keine Externen gemeldet haben. Leider können wir als Parlamentarier nicht nachprüfen, ob eine Nichtmeldung bedeutet, dass keine externen Mitarbeiter im betreffenden Ministerium tätig sind, oder schlicht und einfach die Meldung an das BMI vergessen wurde. Ich fordere deshalb die Einführung der Negativmeldung. Auch ein Ministerium, das derzeit keine externen Mitarbeiter beschäftigt, muss dies dem BMI verpflichtend melden. Trotz der vielen sozialdemokratischen, grünen und linken Initiativen ist es uns in dieser Legislaturperiode leider nicht gelungen, die schwarz-gelbe Koalition von der Notwendigkeit einer umfassenden Transparenzinitiative zu überzeugen. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass unsere parlamentarischen Selbstheilungskräfte uns davor bewahren sollten, auch nur den Hauch eines Anscheins zu erwecken, Deutschland würde von Lobbyisten regiert. Darin müssen wir Parlamentarier uns einfach einig sein und alles dafür tun, das Gegenteil zu beweisen. Ich hoffe, dass wir in der neuen Legislaturperiode fraktionsübergreifend endlich auf den Weg bringen können, was die Menschen in -unserem Land zu Recht von uns erwarten: die Verschärfung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung, mehr Transparenz beim Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung, ein verpflichtendes Lobbyregister für den Deutschen Bundestag, mehr Transparenz beim Einsatz externer Berater in Normsetzungsverfahren, die Einführung eines Verhaltenskodex für ausscheidende Regierungsmitglieder und die Neuregelung der Veröffentlichungspflichten für Nebeneinkünfte. Deutschland ist kein korrupter Staat, und all jenen, die daran zweifeln, sollten wir mit einer solchen Transparenzinitiative den Wind aus den Segeln nehmen. Ich fordere Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, erneut auf, gemeinsam mit uns eine transparente Regelung für den Einsatz externer Beschäftigter in Ministerien zu schaffen und somit weiteren Schaden vom Gesamtansehen der Politik abzuwenden. Christian Lange (Backnang) (SPD): Vertrauen in die Legitimität staatlicher Entscheidungen setzt Transparenz voraus. Jedoch ist gerade die Mitwirkung unterschiedlichster organisierter Interessen an der Gestaltung von Politik weitgehend intransparent. Zu oft gab es in der Vergangenheit Fälle über zweifelhaften Einfluss von Interessenvertretern oder auch externen Beratern, was aber für die interessierte Öffentlichkeit nicht ausreichend nachvollziehbar war. Das Vertrauen in die Politik leidet, wenn Bürgerinnen und Bürger befürchten müssen, dass Entscheidungen der Politik hinter verschlossenen Türen getroffen werden. „Lobbyismus“ wird inzwischen eher als illegitimer Einflussversuch anstatt als legitime Interessenvertretung angesehen. Und es ist tatsächlich für den interessierten Bürger und die interessierte Bürgerin kaum nachvollziehbar, wer in wessen Namen Kontakte im Parlament pflegt und wessen Interessen vertreten werden. Dies muss sich ändern, denn wir Politiker sind auf das Vertrauen der Bevölkerung in unsere politische Arbeit angewiesen. Nachdem sich Europäisches Parlament und Europäische Kommission darauf geeinigt haben, nun auch ein gemeinsames Lobbyistenregister zu führen, das mehr Transparenz in den Gesetzgebungsprozess bringen wird, ist es höchste Zeit, dass wir auch in Deutschland zu einer weiterführenden Regelung kommen, die mehr Transparenz als bisher gewährleisten kann. Wir müssen vor allem einen gravierenden Mangel des deutschen Lobbyistenregisters überwinden: seine Freiwilligkeit. Ein Mangel, der auch dem gemeinsamen europäischen Lobbyistenregister weiterhin anzulasten ist. 1972 richtete Deutschland als erstes Land der damaligen Europäischen Gemeinschaft ein Lobbyistenregister ein, in das sich alle Verbände einzutragen haben, die Interessen gegenüber dem Bundestag oder der Bundesregierung vertreten. Zu diesen Angaben gehören Name und Sitz des Verbandes, die Zusammensetzung von Vorstand und Geschäftsführung, der Interessenbereich des Verbandes, Mitgliederzahl, die Namen der Verbandsvertreter sowie die Anschrift der Geschäftsstelle am Sitz von Bundestag und Bundesregierung. Bei Anhörungen des Bundestags werden nur Vertreter derjenigen Verbände zugelassen, die mit den vollständigen Angaben eingetragen sind. Dies reicht allerdings bei weitem nicht aus, um beispielsweise finanzielle Verflechtungen offenzulegen. Deshalb setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion für die Schaffung einer Registrierungspflicht ein: ein verbindliches und öffentliches gesetzliches Lobbyistenregister, in das sich alle Interessenvertreter – natürliche sowie juristische Personen – eintragen müssen. Dabei ist Folgendes zu berücksichtigen: Es müssen Definitionen von Interessenvertretung formuliert werden. Dabei sind die Absicht und das Ziel der Auftraggeberinnen und Auftraggeber zentral, direkten Einfluss auf die Abläufe und Entscheidungen, also auf den demokratischen Willensbildungsprozess des Deutschen Bundestages und der Bundesbehörden auszuüben. Als entscheidendes Kriterium der Kontaktaufnahme zu Bundestagsabgeordneten oder Bundesbehörden müssen finanzielle wie zeitliche Schwellenwerte festgelegt werden. Zu den offenlegungspflichtigen Angaben gehören: Name, Anschrift, Geschäftssitz und weitere geschäftliche Kontaktinformationen sowie der finanzielle Rahmen, insbesondere Herkunft und Höhe der aus Interessenvertretung erzielten steuerlichen Einnahmen, der registrierungspflichtigen Interessenvertreterin bzw. des registrierungspflichtigen Interessenvertreters. Dazu gehört auch die Zuordnung zu einzelnen Arbeitgebern bzw. Auftraggebern, wie Name, Anschrift, Geschäftssitz, weitere geschäftliche Kontaktinforma-tionen, Geschäftsführung und Vorstand, Mitgliederzahl, Anzahl der mit Interessenvertretung beauftragten Lobbyistinnen und Lobbyisten, finanzieller Rahmen, sofern die Interessenvertretung nicht auf eigenen Namen erfolgt. Außerdem gehört dazu eine zusammenfassende Beschreibung der Tätigkeitsbereiche. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die Lobbytätigkeiten nachgehen, müssen in dem Register vermerkt werden. Die Höhe der finanziellen Aufwendungen für die Interessenvertreterin und den Interessenvertreter sind ebenfalls mit aufzunehmen. Damit wird deutlich, in wessen Namen und Auftrag Lobbyisten handeln. Zur Ahndung von vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstößen gegen die Registrierungspflicht soll ein Ordnungswidrigkeitstatbestand geschaffen werden. Außerdem brauchen wir einen sanktionsbewehrten Verhaltenskodex für Interessenvertreter mit Grundregeln für die Wahrnehmung ihrer Tätigkeit in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Offenheit, Transparenz, Ehrlichkeit und Integrität. Diesem Verhaltenskodex können sich registrierungspflichtige Interessenvertreter bei Registrierung freiwillig unterwerfen, wodurch sie seine Geltungskraft jedoch verbindlich anerkennen. Im Lobbyistenregister wird die freiwillige Annahme oder Nichtannahme des Kodex öffentlich einsehbar vermerkt, sodass ein starker Anreiz zur Unterwerfung unter den Kodex existiert. Letztlich schaffen wir erst mit einer verbindlichen Regelung ein Instrumentarium, das es der interessierten Öffentlichkeit ermöglicht, selbst zu entscheiden, wem sie ihr Vertrauen schenken will. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zum Antrag der SPD-Fraktion. Dr. Stefan Ruppert (FDP): Wir haben in dieser Legislaturperiode mehrfach das Thema „Lobbyismus und Transparenz“ behandelt. Leider muss man sagen, dass wir in der Debatte kaum vorangekommen sind. Wir Liberale wären durchaus zu sachlichen Gesprächen und Verbesserungen im Detail bereit gewesen. Aber bedauerlicherweise sind wir aufgrund des ideologisch sehr aufgeladenen und zudem noch unscharfen Lobbyismusverständnisses der Opposition in der Sache nicht über Grundsatzdebatten hi-nausgekommen. Damit wurde dem Ansehen der Politik und des Deutschen Bundestages sicher kein Gefallen getan. Interessenvertreter aus der Mitte der Gesellschaft sind für eine funktionierende Demokratie wichtig. Lobbyisten kommen im Gegensatz zum Glauben der Opposition nicht nur von Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden. Sie kommen ebenso aus Gewerkschaften, Kirchen, Hilfsorganisationen und Umweltinitiativen. Deshalb ist eine Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Interessenvertreter auch wenig sinnvoll, weil prinzipiell jedes gesellschaftliche Interesse in einer Demokratie einen Anspruch auf Gehör hat. Und das Herantragen von Anliegen aus der Mitte der Gesellschaft an die Politik ist legitim. So können neue Aspekte in die politische Diskussion eingebracht werden, die zuvor nicht gesehen wurden. Manchmal ergeben sich so auch Hinweise auf Folgen gesetzlicher Regelungen, die man zuvor nicht berücksichtigt hat und die von der Politik nicht beabsichtigt sind. Solche klärenden Gespräche können dazu beitragen, dass Gesetzentwürfe im parlamentarischen Verfahren verbessert werden. Es ist keineswegs der Fall, dass wir Bundestagsabgeordnete eins zu eins die Dinge übernehmen, die uns von Interessenvertretern vermittelt werden. Ganz im Gegenteil! Wir Abgeordnete sind mit dem freien Mandat ausgestattet und letztlich nur unserem Gewissen unterworfen. Um politisch gute Entscheidungen zu treffen, sollte sich ein Politiker aber nicht nur einseitig informieren. Vielmehr sollte er möglichst viele Argumente und Sichtweisen unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen hören und diese zur Grundlage seiner eigenen Abwägungsentscheidung machen. Das ist mein Verständnis von Politik. Ohne den eigenen inneren Kompass ist man im Berliner Politikbetrieb schnell verloren. Ein paar abschließende Anmerkungen zu den Anträgen der Opposition: Die Forderungen der SPD mit Blick auf externe Personen in der Bundesverwaltung sind größtenteils realitätsfern. Die Maßnahme einer Kennzeichnungspflicht für Externe ist nicht nur ein massiver Eingriff in deren Arbeitssituation, sondern ein ebenso starker in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen. Das halte ich für den völlig falschen Weg! Den von der SPD vorgeschlagenen legislativen Fußabdruck in der Bundesverwaltung halte ich prinzipiell für einen diskussionswürdigen Ansatz. Allerdings vergisst die SPD, dass noch andere Akteure den Gesetzestext im Verfahren entscheidend beeinflussen: der Bundestag und schlussendlich der Bundesrat. Wie dann die Idee des Fußabdrucks über alle drei Institutionen hinweg konsequent verwirklicht werden könnte, halte ich für eine sehr schwierige Frage, die auch die SPD nicht gelöst hat. Die Vorschläge der Opposition für ein Lobbyregister sind ebenso praxisfern oder haben keinen tatsächlichen Nutzen für die Transparenz. Beispielsweise ließe sich der zeitliche Aufwand für ein Vorhaben oder einen Auftraggeber nur schwer quantifizieren, wenn Interessenvertreter Gespräche zu mehreren Themen oder mit verschiedenen Abgeordneten führen. Auch sagt die Arbeitsdauer für ein bestimmtes Vorhaben noch nichts über den „Erfolg“ der Lobbytätigkeit aus. Gleiches gilt für die Forderung, die Lobbyarbeit nur ab einer finanziellen Grenze zu erfassen. Einflussnahme ist sicher auch ehrenamtlichen Interessenvertretern möglich. Viele Vorschläge wie diese sind kaum kontrollierbar oder verursachen enorme Bürokratiekosten. Daher können wir die Anträge der Opposition nur ablehnen. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Über Lobbyismus wurde in diesem Hause bereits des Öfteren diskutiert. Oft schon hat die Opposition ganz konkrete Vorschläge für mehr Transparenz bei der Interessenvertretung gegenüber Bundesregierung und Bundestag vorgelegt. Und oft schon hat die Regierungskoalition entschieden, diese Dinge im Dunkeln zu belassen. Dabei wird die Forderung nach mehr Öffentlichkeit und Nachvollziehbarkeit politischer Entscheidungsprozesse von CDU/CSU und FDP stets so behandelt, als spreche man über Almosen. Transparenz ist aber kein Almosen, sondern laut Bundesverfassungsgericht ein verbriefter Anspruch der Bevölkerung. Denn Transparenz ist die Grundlage für Vertrauen, für nicht weniger als das Vertrauen in die Politik und in unsere Demokratie. Heute geht es um unsere Forderung nach einem verbindlichen, sanktionsbewehrten Lobbyistenregister, nicht weltbewegend, aber dennoch wichtig. Die handelnden Personen und deren mögliche Einflussnahme sollen nachvollziehbar werden. Die finanziellen Aufwendungen der zu registrierenden Lobbyisten für ihre Tätigkeit sollen dazu offengelegt werden. Im Falle der Nichtbeachtung soll es entsprechende Sanktionen geben, die von unabhängiger Stelle festgelegt werden. Wenn, wie Sie von der Koalition immer behaupten, durch Lobbyismus tatsächlich keine unzulässige Einflussnahme auf die Politik erfolgt, warum sollen diese Informationen dann nicht öffentlich sein? Was hat jemand, der nur ganz legal seine Interessen gegenüber der Politik äußert, denn dabei zu befürchten? Die Antworten auf diese Fragen bleiben Sie uns schuldig. Ich muss aber auch feststellen: Ganz so harmlos wie Ihnen stellt sich mir die Lage leider nicht dar. Ein Blick in die Schlagzeilen muss einen fürchterlichen Eindruck bei der Bevölkerung hinterlassen. Und darunter leidet das Ansehen der gesamten Politik. So haben beispielsweise einige Mitglieder des Landtages in Bayern ihre Angehörigen auf Kosten der Allgemeinheit beschäftigt. Der Staatsminister Eckart von Klaeden wechselt vom Bundeskanzleramt direkt zur Lobbyabteilung bei der Daimler AG. Und er ist leider keine Ausnahme, sondern nur einer von vielen Politikern, die die sogenannte Drehtür von der Politik in die Wirtschaft aufgrund ihrer guten Kontakte für sich sehr gewinnbringend ausgenutzt haben. Umgekehrt sitzen Lobbyisten in den Ministerien; das darf nicht sein. Die Daimler AG hat übrigens – laut Veröffentlichungsbericht des Bundestagspräsidenten – noch vor kurzem jeweils 100 000 Euro an die CDU und die SPD gespendet. Wir wollen solche Unternehmensspenden – egal von wem sie kommen – verbieten. Denn wir denken, es ist schlichtweg ungerecht, wenn die Wirtschaft sich den Einfluss bei Parteien sichert und ihre Interessen dann Vorrang haben. Das sagen wir übrigens nicht nur, weil die Linke als Vertreterin der Interessen der Beschäftigten, Sozialleistungsempfängerinnen und -empfänger, Rentnerinnen und Rentner als einzige Partei keine Spenden von Unternehmen erhält. Die Reglementierung des Einflusses von Interessengruppen auf die Politik ist für uns einfach unverzichtbar, um die soziale Gerechtigkeit voranzubringen. Denn die Durchsetzbarkeit gesellschaftlicher Interessen hängt leider immer auch stark von den wirtschaftlichen und strukturellen Mitteln ihrer Vertretung ab. Oder wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass einzelne Bürgerinnen und Bürger mit ihren Sorgen im Regelfall den gleichen Einfluss auf die Politik haben wie ein Unternehmen? Dies ist offensichtlich nicht der Fall: In der Bundesregierung und im Bundestag werden immer wieder von der Unternehmerlobby konkrete Formulierungswünsche in die Gesetze übernommenen. In einem Fall am Ende des letzten Jahres wurden so beispielsweise vom Bundestag nach massivem Lobbyeinsatz der Versicherungsunternehmen finanzielle Verluste für die Verbraucherinnen und Verbraucher von mehreren Milliarden Euro beschlossen. Das ist ein Skandal. Es ist uns wichtig, solche Einflussnahme auf die Politik regulär sichtbar zu machen und nicht nur zufällig ans Licht der Öffentlichkeit gelangen zu lassen. All die erwähnten Vorgänge fanden an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten statt. Und dennoch haben sie eines gemeinsam: den stetig dahinschmelzenden Vertrauensvorschuss der Bevölkerung. Dieser Prozess muss endlich umgekehrt werden. Wir alle sind aufgefordert, nicht nur dem Eindruck, sondern auch den ganz realen Gefahren der Käuflichkeit von Politik vorzubeugen – durch Transparenz und Unabhängigkeit im Bundestag und in der Bundesregierung. In einem gleichnamigen Antrag haben wir schon vor langer Zeit unsere wichtigsten Forderungen dazu wiederholt. Sie haben diesen Antrag leider reflexartig abgelehnt. Genauso werden Sie heute mit der Forderung nach einem verpflichtenden Lobbyistenregister umgehen. Und so werden Sie auch – gegen jede Vernunft und gegen internationale Verpflichtungen – unseren konkreten Gesetzesvorschlag zur Verschärfung der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung mit Ihrer Mehrheit weiter blockieren. Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, werden auch weiter weder den Mut noch den Willen aufbringen, eine angemessene Karenzzeitregelung für Mitglieder der Bundesregierung und Parlamentarische Staatssekretäre einzuführen. Es geht dabei um den Wechsel in solche Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der vorherigen Zuständigkeit des Ministeriums stehen. Schließlich würden Sie so das lukrative Drehtürgeschäft für die Parteifreunde einschränken. Die bekannt gewordenen Fälle zeigen, dass die betroffenen Politiker selbst die Grenzen nicht mehr erkennen, wenn es um ihren persönlichen Vorteil geht. Und letztlich werden Sie, werte Abgeordnete der Regierungskoalition, auch weiterhin die von der Opposition geforderte betragsgenaue Veröffentlichung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten auf Euro und Cent ausbremsen, obwohl die Bevölkerung auf dieses Wissen einen Anspruch hat. Sie werden immer weiter so tun, als sei die Erwartung der Wählerinnen und Wähler, dass die Abgeordneten unabhängig und nur dem Gewissen verpflichtet handeln, nur ein dummer Aberglaube. Ist es denn wirklich so dumm, darauf zu vertrauen, dass Politiker nicht zum eigenen, sondern zum gemeinen Wohl entscheiden? Ich sage Ihnen: Es ist nicht dumm, sondern ganz einfach: Transparenz wird belohnt. Der Lohn ist Vertrauen. Beweisen Sie, dass Sie das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler ernst nehmen, und handeln Sie endlich! Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Organisation von Interessen gehört zur Demokratie. Der Austausch von Meinungen ist Kernbestandteil einer pluralistischen Gesellschaft. Daher sind auch der Lobbyismus und sein Ansinnen, Interessen in der Gesellschaft in organisierter Form zu kanalisieren und bei den politischen Entscheidungsträgern und in der Öffentlichkeit für deren Umsetzung zu werben, legitimer Bestandteil einer demokratischen Zivilgesellschaft. Lobbyismus ist als solcher nicht anrüchig. Wir dürfen auch die ehrlichen Lobbyisten, die uns mit Expertisen ausstatten und auf Fehler bei Gesetzentwürfen hinweisen oder auch nur ihre Interessen vortragen, die mit anderen Interessen im Widerstreit sind, nicht diffamieren. Es gibt aber auch die negativen Beispiele. Lobbyistinnen und Lobbyisten, die hier mit Geld unterwegs sind und nicht sagen, wer sie eigentlich sind, zum Beispiel die Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“, bei der die Öffentlichkeit nicht so genau weiß, wer dahintersteckt und wer ihre Kampagnen finanziert. Die beste Prophylaxe gegen Korruption und anrüchige Hinterzimmerpolitik ist Transparenz. Das ist der Ansatz für ein Lobbyistenregister. Ich hätte mir ja gewünscht, dass die Damen und Herren von der Koalition mit uns gemeinsam über die Details reden. Denn über die muss man reden, und man muss das sachlich machen. Aber wenn Sie nur diffamieren und behaupten, wir agitierten hier gegen die Interessenvertretung der Gesellschaft in diesem Land, dann zeigt das, dass Sie offensichtlich etwas befürchten, wenn das transparenter wird. Das kommt bei der Mövenpick-Koalition allerdings nicht ganz von ungefähr. Sie haben in der Tat ein Problem; denn bei Ihnen gibt es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Geldüberweisungen an die Parteien und gesetzgeberischen Bonbons hinterher, die den Steuerzahler teuer zu stehen kommen. So etwas sollten wir abstellen. Ein Beitrag dazu kann das Lobbyistenregister sein. Die Demokratie nimmt insgesamt Schaden, wenn der Eindruck entsteht, es würden mit Geld bestimmte Interessen im politischen Meinungsstreit verstärkt und es werde illegitimerweise auf Entscheidungen des Gesetzgebers oder der Exekutive Einfluss genommen. Deshalb finden wir es wichtig, dass wir Parlamentarier überlegen, wo wir durch mehr Transparenz dafür sorgen können, dass die politischen Entscheidungen nachvollziehbarer werden und dass es schwieriger wird, auf illegitime Weise auf die Gesetzgebungsorgane und auf die Exekutive Einfluss zu nehmen. Wir haben das unter Rot-Grün bei den Abgeordneten mit der von der Koalition viel gescholtenen Regelung zur Transparenz bei den Nebentätigkeiten begonnen. Keine Lösung ist da die „Ständig aktualisierte Fassung der öffentlichen Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern“. Diese Liste ist völlig intransparent und uninformativ, kostet aber Arbeit. Warum machen wir das nicht zu einem wirklichen informativen und transparenten Instrument, damit jede Bürgerin und jeder Bürger, Abgeordnete und Journalisten hier entsprechende Informationen finden kann? Auch bei den externen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss sich etwas ändern. Denn wir wollen unsere Verwaltung nicht gegen externen Sachverstand abschotten. Das muss aber transparent erfolgen und in einer Art und Weise geschehen, dass keine illegitime Einflussnahme auf exekutives Handeln möglich ist, wie es in der Vergangenheit geschehen ist, als Industriemitarbeiter Genehmigungsverfahren durchgeführt und Gesetzentwürfe formuliert haben. Wir brauchen aber auch etwas, was die Europäische Union längst hat: Eine Karenzzeit für ausgeschiedene Regierungsmitglieder, wie Herrn von Klaeden. Man hat auf EU-Ebene eine solche Karenzzeit damals wegen Herrn Bangemann eingeführt, der zu einem Telekommunikationsunternehmen gewechselt ist. Ich erinnere aber auch an Schröder, Clement und andere. Karenzzeit heißt nicht Betätigungsverbot, aber Genehmigungspflicht für Anschlussverwendungen an das Amt. Lobbyismus ist keine schlechte Sache. Ob die Deutsche Bischofskonferenz oder der Lesben- und Schwulenverband, ob die Solarindustrie oder das Deutsche Atomforum hier ihre Interessen vortragen, ist per se nichts Schlechtes. Wir haben als Parlamentarier die Aufgabe, die Argumente zu wägen und im Interesse des Allgemeinwohls auszugleichen. Dabei sind wir aber darauf angewiesen, zu wissen, mit wem wir es jeweils zu tun haben. Das Lobbyistenregister kann dazu einen wertvollen Beitrag leisten. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Tagesordnungspunkt 30 a. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Mehr Transparenz beim Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung – Bericht des Bundesrechnungshofes vollständig umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13314, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/5230 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Tagesordnungspunkt 30 b. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 17/13737. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/6442 mit dem Titel „Interessenvertretung sinnvoll regeln – Lobbyismus transparent machen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2096 mit dem Titel „Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von SPD und Grünen angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2486 mit dem Titel „Transparenz schaffen – verbindliches Register für Lobbyistinnen und Lobbyisten einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes – Drucksache 17/10511 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Bereits mit dem Neunten Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes, welches am 9. Dezember 2011 in Kraft getreten ist, hat die christlich-liberale Koalition zum Ausdruck gebracht, welche hohe Bedeutung sie den Anliegen von Spätaussiedlern und deren Familien beimisst. Durch die zwischenzeitlich in Kraft getretene Änderung haben im Bundesgebiet wohnende Spätaussiedler erstmals die Möglichkeit erhalten, im Herkunftsgebiet verbliebene Ehegatten und Abkömmlinge in den Aufnahmebescheid nachträglich einzubeziehen. Der vom Bundesrat beschlossene Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes knüpft an die von der christlich-liberalen Koalition vorgenommene Änderung an und greift einen in der Praxis äußerst bedeutsamen Aspekt bei der Umsetzung der Härtefallregelung in § 27 BVFG auf. Aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage kommt es immer wieder zu unbilligen Ergebnissen, die trotz der bereits vorhandenen Härtefallregelung im Bundesvertriebenengesetz nicht verhindert werden können. Die unbilligen Ergebnisse können vor allem dadurch entstehen, dass an der Voraussetzung des Besitzes von Grundkenntnissen der deutschen Sprache für Familienangehörige festgehalten wird und eine Ausnahme hiervon nicht zugelassen wird. Schließlich fordert das Bundesvertriebenenrecht nach der derzeitigen Rechtslage für die Aufnahme von Ehegatten oder Abkömmlingen in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers von den Ehegatten oder Abkömmlingen den Nachweis des Besitzes von Grundkenntnissen der deutschen Sprache vor der Ausreise aus dem Aussiedlungsgebiet. Die Verwaltungspraxis hat jedoch gezeigt, dass dieses unabdingbare Erfordernis in Einzelfällen zu unbilligen Härten führen kann. Diese gehen über den gesetzlich bereits gesondert geregelten Ausnahmefall der Behinderung im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch hinaus. Es handelt sich insbesondere um Fälle, in denen der Ehegatte oder Abkömmling aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder in einem vergleichbaren Fall nicht in der Lage ist, die erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben. Die Feststellungen des Bundesrates, dass es an dieser Stelle gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt, unterstütze ich. Schließlich gehen jedes Jahr weiterhin mehr als 1 500 Anträge von Spätaussiedlern beim Bundesverwaltungsamt ein. Einige davon fallen auch in den Anwendungsbereich der Härtefallregelung nach § 27 BVFG. Aus meiner Sicht geht allerdings der vom Bundesrat vorgeschlagene Lösungsansatz nicht weit genug, da die bisherigen Regelungen des Bundesvertriebenengesetzes dem Gedanken der Familienzusammenführung noch nicht ausreichend genug Rechnung tragen. Die Vorlage des Bundesrates sollte daher dafür genutzt werden, die bisherige Härtefallregelung des Bundesvertriebenengesetzes deutlich zu verbessern und zu erweitern. Eine solche Erweiterung könnte beispielsweise berücksichtigen, dass der Verlust der deutschen Sprache zum Kriegsfolgenschicksal vieler Russlanddeutschen gehört. Dementsprechend könnte zukünftig minderjährigen Kindern des Spätaussiedlers die Mitaussiedlung oder die nachträgliche Einbeziehung unter Verzicht auf Spracherfordernisse gestattet werden. Die Befreiung vom Spracherfordernis würde damit nur die wegen ihrer Minderjährigkeit besonders schutzbedürftigen noch nicht erwachsenen Abkömmlinge des Spätaussiedlers betreffen. Dem Ehegatten und den volljährigen Abkömmlingen des Spätaussiedlers wäre der Erwerb von Deutschkenntnissen vor der Aussiedlung grundsätzlich auch weiterhin zumutbar. Die bestehende Ausnahmeregelung wäre jedoch, so wie vom Bundesrat bereits vorgesehen, auch für nachvollziehbare Krankheitsfälle zu erweitern. Eine solche maßvolle Änderung wäre aus meiner Sicht auch aus integrationspolitischen Gesichtspunkten her vertretbar. Darüber hinaus sollte aus meiner Sicht auch geprüft werden, ob nicht auch bei den Anforderungen an das Bekenntnis zur Volkszugehörigkeit nach § 6 BVFG Änderungsbedarf besteht. Derzeit muss der Spätaussiedlerbewerber nachweisen, dass er sich von Eintritt der Bekenntnisfähigkeit (mit Beginn des 16. Lebensjahres) bis zur Aussiedlung „nur“ zum deutschen Volkstum bekannt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss der Spätaussiedlerbewerber durchgängig alle sich ihm bietenden Möglichkeiten zur Nationalitätenerklärung genutzt haben. Die früher bestehende Möglichkeit zur Abgabe von Nationalitätenerklärungen in Inlandspässen oder anderen amtlichen Dokumenten ist jedoch der jüngeren Generation in einigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion, wie der Russischen Föderation und der Ukraine, seit 1998 tatsächlich verwehrt. Diesen Spätaussiedlerbewerbern bleibt somit lediglich die Möglichkeit, durch Vorlage von weiteren amtlichen Dokumenten (zum Beispiel Heirats- oder Geburtsurkunden) oder aber amtlichen Anträgen (zum Beispiel universitären Formularanträgen) den erforderlichen Nachweis zu erbringen. Die Kombination von engem Gesetzeswortlaut und restriktiver Auslegung durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führt somit im Ergebnis zu unverhältnismäßig hohen Aufnahmehürden für die Bewerber. Viele scheitern an diesen, sodass die ansonsten begründeten Anträge abgelehnt werden müssen. Es erscheint daher aus meiner Sicht überlegenswert, den bisherigen Wortlaut der Vorschrift an die tatsächliche Situation in Russland und der Ukraine anzupassen und bezüglich des Nachweiserfordernisses zu lockern. Die Beibringung eines Nachweises „vergleichbarer Art“ sollte ausreichend sein, um das Bekenntnis zur deutschen Volkszugehörigkeit nachzuweisen. Die Spätaussiedlerbewerber würden mit der Lockerung der Nachweispflichten deutlich mehr Flexibilität bei der Nachweisführung erhalten. Dies könnte zu einer höheren Anerkennungsquote als bisher beitragen. Auch an anderen Stellen im Bundesvertriebenengesetz gibt es aus meiner Sicht Korrekturbedarf. So kommt aus meiner Sicht auch eine Überprüfung der Anforderungen an die bisher im Gesetz vorgesehene „fami-liäre Übermittlung“ der deutschen Sprache nach § 6 BVFG in Betracht. Bisher ist das vorgenannte Merkmal unabdingbare Voraussetzung für die deutsche Volkszugehörigkeit. Dieses Erfordernis stellt jedoch eine nicht mehr zeitgemäße Verschärfung dar, die in der Verwaltungspraxis des Bundesverwaltungsamtes immer häufiger zu unbilligen Ablehnungsentscheidungen geführt hat. Hinzu kommt, dass der Spätaussiedlerbewerber zusätzlich zur familiären Übermittlung weitere Nachweise zur Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen und zum Bekenntnis zum deutschen Volkstum vorlegen muss. Zu bedenken ist aus meiner Sicht insoweit auch, dass sich eine deutschstämmige Person auch durch das Erlernen der deutschen Sprache außerhalb der Familie mit ihrer Sprache und Kultur auseinandersetzen und zu ihrem Deutschsein bekennen kann. Es erscheint mir daher durchaus prüfenswert, einen alternativen Nachweis für den Erwerb der erforderlichen Sprachkenntnisse zuzulassen. Gleichzeitig sollte aber natürlich die Möglichkeit eines Nachweises über einen familiären Erwerb weiter möglich sein. Die von mir dargestellten Fallkonstellationen zeigen, dass der vom Bundesrat festgestellte gesetzgeberische Handlungsbedarf beim Bundesvertriebenengesetz tatsächlich noch größer ist als vielleicht auf den ersten Blick angenommen. Es ist mir ein großes Anliegen, dass wir den an uns gestellten Anforderungen noch in dieser Wahlperiode gerecht werden können und wesentliche Verbesserungen beim Bundesvertriebenengesetz erreichen werden. Über die Unterstützung eines solchen Vorhabens durch die anderen Fraktionen dieses hohen Hauses würde ich mich sehr freuen. Rüdiger Veit (SPD): Damit Ehegatten und Abkömmlinge in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers mit einbezogen werden können, müssen sie den Nachweis von Grundkenntnissen der deutschen Sprache erbringen. So fordert es das Bundesvertriebenengesetz. In Einzelfällen kann dies zu unbilligen Härten führen, zum Beispiel dann, wenn der Ehegatte oder Abkömmling aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder in einem vergleichbaren Fall nicht in der Lage ist, die notwendigen Sprachkenntnisse zu erwerben. Mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes wurden Vertriebene sonstigen Ausländern gleichgestellt. Allerdings hat Deutschland aufgrund seiner Geschichte Aussiedlern gegenüber eine besondere Verantwortung. Das Fehlen von Sprachkenntnissen ist gerade auch Teil und Auswirkung des in Russland erlittenen Verfolgungsschicksals. Anders als andere Ausländergruppen empfinden sich Aussiedler nicht als Migranten, sondern gerade als Deutsche. Wenn man jedoch Aussiedler mit Ausländern gleichstellt, dann doch auch bitte hinsichtlich der Vermeidung von ungewollten und unbeabsichtigten Härten. Für zu Ausländern nachziehende Ehegatten gibt es im Aufenthaltsgesetz eine Ausnahmevorschrift für das Beibringen von Kenntnissen der deutschen Sprache, wenn von dem nachziehenden Ehegatte eben aufgrund einer „körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit“ nicht zu erwarten ist, dass er die Sprachkenntnisse wird erlernen können. Mit dem Gesetzentwurf des Bundesrates kann die bestehende Ungleichbehandlung von Angehörigen von Spätaussiedlern und Angehörigen von Ausländern beendet werden. Ich schlage vor, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Gisela Piltz (FDP): Gestern jährte sich das Inkrafttreten des Bundesvertriebenengesetzes zum 60. Mal. Am 5. Juni 1953 trat das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge in Kraft. Dabei ist das Gesetz damals wie heute kein Akt des Revisionismus, sondern vielmehr ein Baustein zur Aufarbeitung des Unrechts des Nationalsozialismus. Die Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren Familien vertrieben wurden, haben – bei ganz nüchterner Betrachtung – viel Leid erlebt. Bei allem – menschlichen – Verständnis für ein Rachebedürfnis der Völker und Staaten, die von den Deutschen mit Krieg, Massenmord und Grauen überzogen wurden, ist für jede betroffene Familie mit Vertreibung ein bitteres Schicksal verbunden. Die unbestreitbare Kriegsschuld der Deutschen und die untilgbare Schuld an Massenmord, Vernichtung, Zwangsarbeit und zahllosen weiteren Verstößen gegen Humanität und Menschlichkeit kann und konnte nicht dadurch beglichen werden, dass wiederum Unrecht durch Vertreibung geschah. Vertreibung ist kein Akt der Wiedergutmachung oder der individuellen Verurteilung wegen Krieg und Verbrechen, die von den Deutschen begangen wurden. Dass Deutschland sich heute weltweit gegen Vertreibung einsetzt, gemeinsam mit der Europäischen Union anprangert, wo Vertreibung geschieht und damit Unrecht an vielen – auch unschuldigen – Menschen und deren Familien begangen wird, ist ein Beitrag zur Aufarbeitung von Kriegsfolgen und zur Aussöhnung. Dies gilt auch für den Umgang mit den deutschen Vertriebenen. Wichtig ist hier immer, nicht neue Konflikte heraufzubeschwören, sondern klar und unzweideutig das Ziel einer Aussöhnung vor Augen zu haben. Wir sind unserer Geschichte verpflichtet – sowohl und zuvörderst im Hinblick auf die Aufarbeitung der Gräuel des Nationalsozialismus, auf Aussöhnung und Völkerverständigung sowie Wiedergutmachung an denjenigen, die der nationalsozialistischen Barbarei zum Opfer gefallen sind, aber eben auch im Hinblick auf Unrecht, das deutschen Staatsangehörigen in der Folge widerfahren ist. Wir bekennen uns aber als Deutsche heute auch dazu, Minderheiten besonders zu schützen. Das kulturelle Erbe von Minderheiten, den Erhalt ihrer kulturellen und ethnischen Identität betrachten wir heute weltweit als Menschenrecht. Die Nachkommen der deutschen Vertriebenen, die dort, wo sie heute leben, eine solche Minderheit sind, haben dann ebenso ein Recht darauf, ihre kulturellen Wurzeln zu erhalten und zu pflegen. Vielfach ist das aber schwierig bis unmöglich. Dennoch verlangen wir aber natürlich nach wie vor, dass diejenigen, die nach dem Vertriebenengesetz nach Deutschland kommen, ihre Identifikation mit ihrer deutschen Kultur nachweisen. Daran wird auch nicht gerüttelt. Vielmehr geht es darum, für besondere Härtefälle eine vernünftige Lösung zu finden. Einen dieser Fälle greift der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates auf. Für Fälle, in denen aufgrund von körperlicher, geistiger oder seelischer Krankheit des Ehegatten oder des Abkömmlings ein Spracherwerb der deutschen Sprache nicht möglich ist, soll künftig dasselbe gelten wie für Fälle, in denen diese Personen eine Behinderung haben. Allerdings geht der Bundesratsentwurf darin zu weit, dass auch noch weitere „vergleichbare Fälle“ aufgenommen werden sollen. Die Bundesregierung hat bereits in ihrer Gegenäußerung darauf verwiesen, dass dies zu einer unabsehbaren Erweiterung des Tatbestands führen würde. Die Koalitionsfraktionen werden daher einen Änderungsantrag stellen, mit dem wir das korrigieren werden. Mit der dann erfolgenden Änderung können Härtefälle vermieden werden, wenn ein Ehepartner wegen einer Krankheit die deutsche Sprache nicht im geforderten Maße nachweisen kann. Zudem werden die Koalitionsfraktionen dahin gehend Änderungen vorschlagen, dass auch für den Betroffenen selbst für den Fall, dass wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit der Spracherwerb nicht möglich war, kein Ausschlussgrund mehr vorliegt. Weiterhin wird die Koalition vorschlagen, dass das strikte Erfordernis des familiären Spracherwerbs gelockert wird, da in vielen Familien die deutsche Sprache über Jahrzehnte aufgrund ihres Umfelds selbst im häuslichen Bereich kaum noch gesprochen werden durfte und daher vielfach nur noch sehr rudimentär vorhanden ist. Wer sich hier dann durch Erwerb der Sprache seiner kulturellen Herkunft aktiv bemüht, um sich anzueignen, was zu Hause verschütt gegangen ist, soll künftig nicht von vornherein von den Ansprüchen nach dem Bundesvertriebenengesetz ausgeschlossen sein. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Linke kämpft seit Jahren dagegen, das Recht auf Familieneinheit von der Erfüllung von Sprachanforderungen abhängig zu machen. Es ist nicht akzeptabel, dass die Geltung von Grundrechten davon abhängig sein soll, welchen Bildungsstand jemand hat, wie sprachgewandt jemand ist oder welche Noten im Deutschunterricht erzielt wurden. Doch in Deutschland wird seit 2007 der Ehegattennachzug von einem Sprachnachweis abhängig gemacht. Im Bundesvertriebenengesetz findet sich eine ähnliche Regelung bereits seit 2005. Nun hat die Forderung nach Deutschkenntnissen im Kontext des Bundesvertriebenengesetzes zumindest eine gewisse Logik. Denn wenn Einwanderungsrechte allein aufgrund der deutschen Volkszugehörigkeit bzw. Abstammung eingeräumt werden – was wir als Linke durchaus kritisch sehen –, dann können wohl zumindest Grundkenntnisse der deutschen Sprache verlangt werden. Aber etwas ganz anderes ist es, wenn es um den Nachzug von Ehegatten dieser Personengruppe geht. Denn dann müssen die Wahrung der Familien-einheit und das Recht auf Zusammenleben im Vordergrund stehen. Hier gilt nach unserer Auffassung nichts anderes als im Aufenthaltsrecht: Sprache darf nicht zum Ausgrenzungskriterium werden! Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates will für den Familiennachzug zu Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern zumindest eine Härtefallregelung hinsichtlich der geforderten Sprachkenntnisse schaffen – was wir im Interesse der Menschen als einen Schritt in die richtige Richtung begrüßen. Ausnahmen sollen gelten bei körperlichen oder seelischen Krankheiten oder vergleichbaren Fällen. Begründet wird dies mit unbilligen Härtefällen, die es in der Verwaltungspraxis gegeben habe; dauerhafte Familientrennung soll vermieden werden. In der Gesetzesbegründung wird mit einer Zahl von etwa 1 000 Menschen gerechnet, die aufgrund der Neuregelung künftig zu ihren Ehepartnern nachziehen könnten. Sie sind bislang Opfer der ausgrenzenden und unmenschlichen Sprach-anforderungen beim Ehegattennachzug für Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler geworden. Man muss daran erinnern, dass der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates eine Initiative des Landes Niedersachsen vom Juni 2012 war, getragen vom damaligen Ressortchef Uwe Schünemann, in Fragen des Aufenthaltsrechts ansonsten ein Hardliner in der Union. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass für Spätaussiedler eine Gleichstellung mit den Regeln des Ehegattennachzugs im Aufenthaltsrecht erfolgen soll. Interessanterweise geht der Vorschlag im Bereich des Vertriebenenrechts aber über die Regelung im Aufenthaltsrecht in einem entscheidenden Punkt hinaus. Denn durch den unbestimmten Rechtsbegriff des „vergleichbaren Falls“ sollen „humanitäre Lösungen“ ermöglicht werden, etwa „aufgrund des Alters oder der Gebrechlichkeit des Familienangehörigen sowie aufgrund von Lernschwäche oder Bildungsferne bei dem konkret Betroffenen“. Das wäre genau die allgemeine Härtefallregelung, die die CDU/CSU-Fraktion im Aufenthaltsrecht seit Jahren so vehement verweigert. Eine solche allgemeine Härtefallregelung würde „die ganze Vorschrift leerlaufen“ lassen, hatte der zuständige Berichterstatter Reinhard Grindel im Mai 2010 hier im Parlament erklärt (Plenarprotokoll 17/43, Seite 4 372 f.). Diese Aussage macht nur Sinn vor dem Hintergrund, dass es das eigentliche Ziel der Regelung der Sprach-anforderungen ist, den Nachzug bildungsferner -Menschen zu erschweren. Deshalb wollen die Regierungsfraktionen auch keine Ausnahmeregelung im allgemeinen Familiennachzugsrecht. Nicht Humanität und Einzelfallgerechtigkeit, sondern die Durchsetzung sozial selektiver Ausschlussmechanismen ist auch das Anliegen dieser Bundesregierung. Deshalb hat sie in ihrer Stellungnahme zum Gesetz erklärt, die Ausnahmeregelung für „vergleichbare Fälle“ sei „problematisch“, weil sie bei den Betroffenen falsche Hoffnungen wecken könne. Der Sprach-erwerb dürfe nicht auf die Zeit nach der Einreise verschoben werden. Diese unerbittliche Härte gegenüber bildungsbenachteiligten und älteren Menschen ist unerträglich! Die Regierungsfraktionen sollten deshalb an der vorliegenden Formulierung festhalten und die Gelegenheit nutzen, im Familiennachzugsrecht des Aufenthaltsgesetzes eine vergleichbare Härtefallregelung zu schaffen. Das wäre zumindest ein kleiner Schritt im Sinne der Betroffenen. Im Übrigen bleiben wir bei unserer Forderung, auf Sprachanforderungen im Familiennachzug zu verzichten. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes möchte der Bundesrat eine flexible Härtefallregelung für Familienange-hörige von Spätaussiedlern einführen, die nicht in der Lage sind, die für den Nachzug erforderlichen Deutschkenntnisse zu erwerben. Dieses Anliegen unterstützen wir. Positiv an der Regelung ist insbesondere, dass die nicht abschließende Aufzählung der Ausnahmetatbestände eine angemessene Berücksichtigung der Einzelschicksale erlaubt. Bereits im Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes im Jahr 2011 haben wir Grünen einen Änderungsantrag zu den geforderten Deutschkenntnissen eingebracht. Wir sind aber einen Schritt weiter gegangen als der Bundesrat. Wir haben die Abschaffung der Deutschkenntnisse als Voraussetzung für den Nachzug an sich gefordert. Klarstellen möchte ich, dass unsere Motivation dabei nicht die weitergehende Privilegierung von Vertriebenen im Vergleich zu Einwanderern ist, deren Nachzug sich nach dem Aufenthaltsgesetz richtet. Wir fordern die Abschaffung des Spracherfordernisses für alle Fami-lienangehörigen, unabhängig davon, auf welcher gesetzlichen Grundlage sie nach Deutschland einreisen. Als Obmann des Petitionsausschusses meiner Fraktion weiß ich, dass uns in den letzen Jahren eine Vielzahl von Petitionen erreicht hat, in denen Familien ihr schweres Leid von ungewollten Trennungen vortrugen. In vielen Fällen wurde der Familiennachzug verwehrt, weil es den Angehörigen an den erforderlichen Deutschkenntnissen gemangelt hat. Insbesondere älteren Menschen und Personen aus ländlichen Gebieten oder mit wenig Bildungserfahrung bzw. aus bildungsfernen Schichten ist der Spracherwerb im Ausland oft nicht möglich. Diese Petitionen betreffen aber nicht nur Spätaussiedler; auch Ehegatten von Deutschen, Türkinnen und Türken, Argentinierinnen und Argentiniern und anderen Drittstaatsangehörigen beklagen viel zu oft die Härten einer jahrelangen Trennung, die das deutsche Einwanderungsrecht ihnen zumutet. Es steht außer Frage, dass es für das Zusammen-leben in Deutschland wichtig ist, dass die Familienangehörigen Deutsch sprechen. Dafür ist aber ein Deutschkurs im Ausland weder notwendig noch geeignet. Den nachgezogenen Familienangehörigen steht in Deutschland ein umfangreiches Angebot an Integrationskursen zur Verfügung. Schließlich wächst der Druck aus der Europäischen Union, den Familiennachzug zu reformieren. Die Kommission hat ausdrücklich erklärt, dass Sprachtests im Ausland als Bedingung für die Einreise gegen die Familienzusammenführungsrichtlinie verstoßen. Mit einem wegweisenden Urteil in der Rechtssache -Chakroun hat der Europäische Gerichtshof, EuGH, klargestellt, dass die Genehmigung des Familiennachzugs die Grundregel darstellt. Die den Mitgliedstaaten eingeräumten Handlungsspielräume müssten dagegen eng ausgelegt werden. Betont hat der EuGH dabei auch, dass die Behörden bei jeder Entscheidung eine Abwägung im Einzelfall vornehmen müssen. Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Für Personen, denen es nicht gelingt die strengen Voraussetzungen für den Nachzug zu erfüllen, muss das deutsche Recht eine allgemeine Härtefallregelung vorsehen. Die bereits existierende Härtefallregelung im Bundesvertriebenengesetz könnte insofern als Grundlage für eine allgemeine Härtefallregelung im Aufenthaltsgesetz dienen. Die Regelung im Bundesvertriebenengesetz setzt „nur“ eine „einfache Härte“ für den Familiennachzug voraus. Dagegen setzen die im Aufenthaltsgesetz enthaltenen Sonderbestimmungen für Härtefälle bislang höhere Anforderungen an die vorgebrachte Härte. Eine unterschiedliche Behandlung von Vertrieben und sonstigen Einwanderern lehnen wir ab. Eine Härtefallregelung für den Familiennachzug ist dem deutschen Recht auch nicht ganz fremd. So enthielt bereits das Ausländergesetz von 1990 eine Klausel, nach der von dem Erfordernis der Lebens-unterhaltssicherung abgesehen wurde, wenn aus der Ehe ein Kind hervorgegangen oder die Ehefrau schwanger war. Vor zwei Jahren hat die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf zum Bundesvertriebenengesetz damit begründet, Härtefälle zu vermeiden, die durch dauerhafte Familientrennungen entstehen, und dadurch die Integration von Spätaussiedlern in Deutschland zu fördern. Genau diesem Ziel dient auch der aktuelle -Gesetzentwurf des Bundesrates. Es wäre ein gutes -Zeichen, wenn die Bundesregierung ihren positiven Absichtserklärungen Taten folgen ließe und ihre ablehnende Haltung zu diesem Gesetzentwurf noch einmal überdenkt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/10511 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Das System der Verwertungsgesellschaften grundlegend modernisieren – Drucksachen 17/11043, 17/13767 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Geis Ansgar Heveling Burkhard Lischka Stephan Thomae Halina Wawzyniak Jerzy Montag b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Diana Golze, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes – Einbeziehung von Kindertagesbetreuungseinrichtungen in die Schrankenregelungen – Drucksache 17/4876 – Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) – Drucksache 17/13768 – Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Geis Ansgar Heveling Burkhard Lischka Stephan Thomae Halina Wawzyniak Jerzy Montag Die Reden gehen zu Protokoll. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Es ist schon abenteuerlich, was die Fraktion Die Linke wieder einmal mit dem Urheberrecht vorhat. Man könnte auch sagen, die Linke wolle das Urheberrecht nahezu vollständig aushebeln. Dieser Eindruck entsteht zumindest beim Lesen des Antrags „Das System der Verwertungsgesellschaften grundlegend modernisieren“. Die sogenannte grundlegende Modernisierung bedeutet in diesem Fall eine weitestgehende Preisgabe des bewährten Systems der kollektiven Rechtewahrnehmung. Bei der Fraktion Die Linke mag man ja eigentlich nicht annehmen, dass sie Systeme kollektiver Organisation und Verwertung nicht gutheißen mag. Doch selbst darauf ist bei der Fraktion Die Linke offensichtlich kein Verlass mehr. Statt konstruktive und ernstgemeinte Verbesserungsvorschläge zur Debatte zu stellen, begnügt sich die Fraktion Die Linke wieder einmal damit, auf den Populismuszug aufzuspringen und im Rahmen der Debatte um die GEMA-Tarifreform undifferenzierte und vermeintliche Argumente munter in einem Antrag zusammenzuwürfeln. Es ist daher die einzig logische Schlussfolgerung, den vorliegenden Antrag abzulehnen. Für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion bilden Verwertungsgesellschaften nicht nur einen unverzichtbaren und integralen Bestandteil eines modernen funktionierenden Urheberrechts; sie leisten auch einen maßgeblichen Beitrag zur kulturellen Vielfalt in unserem Land und übernehmen darüber hinaus eine wichtige soziale Funktion für Künstlerinnen und Künstler. Das System der kollektiven Rechtewahrnehmung hat sich in Deutschland bewährt. Es sorgt für einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Rechteinhaber, der Urheber und der Konsumenten. Deshalb steht die kollektive Rechtewahrnehmung auch für einen funktionierenden und effizienten Verbraucherschutz. Denn mit einer vorliegenden Lizenzierung durch eine Verwertungsgesellschaft brauchen sich die Nutzer mit der Vergütung der Urheber nicht weiter zu befassen, was umgekehrt für den einzelnen Nutzer auch schwierig möglich wäre. Offensichtlich ist der Fraktion Die Linke nicht wirklich daran gelegen, etwas für den Schutz der deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher zu tun. Auch die Urheber profitieren auf der anderen Seite ebenso vom System der kollektiven Rechtewahrnehmung, da sie ihre rechtlichen Ansprüche gegenüber der Vielzahl von Nutzern kaum allein durchsetzen könnten. Natürlich ist innerhalb des lange bewährten Systems der kollektiven Rechtewahrnehmung auch Verbesserungspotenzial vorhanden, das noch nicht vollständig ausgeschöpft ist. Durch die gesetzlich legitimierte Monopolstellung der Verwertungsgesellschaften ergeben sich besondere Anforderungen an die Transparenz sowie an die Struktur der einzelnen Verwertungsgesellschaften. Doch hier ist der vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke sicher nicht der Weg zum Ziel. Denn konkrete Vorschläge für Verbesserungen sucht man in dem Antrag vergeblich. Stattdessen hatte die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ in ihrem Abschlussbericht umfangreiche Feststellungen zu Veränderungs- und Weiterentwicklungsprozessen im System der Verwertungsgesellschaften vorgebracht, von denen bereits einige Vorschläge in Gang gesetzt worden sind. Auch der ebenfalls zur Debatte stehende Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes birgt keine konstruktiven Vorschläge. Die geforderte Einbeziehung von Kindertagesbetreuungseinrichtungen in die Schrankenregelungen basiert ebenfalls – wieder einmal – auf einem populistisch motivierten vermeintlichen Aufreger, nämlich einem Anschreiben der GEMA im Auftrag der Verwertungsgesellschaft Musikedition an die Kindertagesstätten mit dem Angebot eines Abschlusses von Lizenzverträgen. Wie die Linke bereits richtig zitiert, kommt die Verwertungsgesellschaft Musikedition damit dem Wunsch vieler Kindertagesstätten nach, eine praxisorientierte und handhabbare Lösung für das Fotokopieren von Lieder- und Notenzetteln zu finden. Während die Fraktion Die Linke hierzu bemerkt, dass dieses Vorgehen „leider“ mit geltendem Recht vereinbar sei, sind wir der Auffassung, dass es keinen Änderungsbedarf gibt. Durch die einmalige Lizenzierung bei der Verwertungsgesellschaft Musikedition haben die Kindertagesstätten die Möglichkeit, ohne bürokratischen Aufwand durch die Zahlung einer Pauschale eine bestimmte Anzahl von Kopien pro Jahr anzufertigen. Im Übrigen sind mittlerweile durch Gesamtvertragsregelungen in vielen Fällen tragfähige Lösungen für viele Einrichtungen gefunden worden. Damit wird dem Bedarf der Kindertagesstätten Rechnung getragen, eben keinen „Bürokratismus“ betreiben und „realitätsferne“ Anforderungen erfüllen zu müssen, wie die Linke in ihrem Gesetzentwurf behauptet. Aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion ist an dieser Stelle im geltenden Urheberrecht keine Anpassung oder Änderung notwendig. Die aktuelle Rechtslage bietet hier bereits einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Rechteinhaber auf der einen und der Kindertagesstätten, also der Nutzer, auf der anderen Seite. Die Verwertungsgesellschaften sorgen hier für eine praktikable und transparente Wahrnehmung der Urheberrechte. Wir werden daher sowohl den vorliegenden Antrag „Das System der Verwertungsgesellschaften grundlegend modernisieren“ als auch den Gesetzentwurf zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes der Fraktion Die Linke ablehnen. Burkhard Lischka (SPD): Das Urheberrecht hat sich zu einem Dauerbrennerthema im politischen Geschäft entwickelt. Es unterliegt einem ständigen Anpassungsdruck. Die vorliegenden Initiativen der Fraktion Die Linke greifen zwei Aspekte zur Reform des Urheberrechts auf: kollektive Rechtewahrnehmung und Schranken. Zum einen wollen die Linken das System der Verwertungsgesellschaften grundlegend modernisieren. Verwertungsgesellschaften sind integraler Bestandteil des geltenden Urheberrechtssystems und leisten einen wesentlichen Beitrag für die Einräumung von Nutzungsrechten an geschützten Werken und die Vergütung der Urheber. Wir Sozialdemokraten wollen das System der kollektiven Rechtewahrnehmung in Deutschland daher nicht infrage stellen. Wir stehen ebenfalls für eine starke Aufsicht über Verwertungsgesellschaften, halten aber die im Antrag enthaltene Forderung nach einer umfassenden Staatsaufsicht mit -nahezu unbegrenzten Eingriffsbefugnissen für überzogen. Den Vorschlag, der Aufsicht vorzuschreiben, Tarife der Verwertungsgesellschaften bereits vor Veröffentlichung zu überprüfen, halten wir für verfehlt. Ziel des Gesetzgebers war und ist es, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sich die betroffenen Marktteilnehmer, das heißt Verwertungsgesellschaften und Nutzervereinigungen, auf angemessene Tarife verständigen können. Dieses Ziel gilt es weiterzuverfolgen. Der Staat sollte sich aus den Verhandlungen der Beteiligten heraushalten. Im Übrigen verfügt Deutschland im europäischen Vergleich schon heute über eine starke Aufsicht. Anstatt punktuelle Veränderungen an dem grundsätzlich funktionierenden System kollektiver Rechtewahrnehmung vorzunehmen, müssen wir vor allem unseren Einfluss in Europa geltend machen und verhindern, dass die Harmonisierungsbestrebungen der EU-Kommission zu einer Absenkung der bestehenden hohen Standards in Deutschland führen. Zum anderen sehen die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke Handlungsbedarf bei den Schrankenregelungen; insbesondere die Schranke der öffentlichen Wiedergabe geht ihnen nicht weit genug. Die Schranken der §§ 52, 53 Urheberrechtsgesetz sollen um Ausnahmen für Kitas und für Betreuungseinrichtungen von Schülern erweitert werden. Dabei geht es vor allem um die vergütungsfreie Erlaubnis zum Kopieren von Notenblättern und zum Vortragen von Kinderliedern im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen, die durch die Kita durchgeführt werden. Die vorgeschlagene Änderung geht der SPD-Fraktion – bei allem Verständnis für das Anliegen, das wir im Grundsatz unterstützen – zu weit. Eine verfassungskonforme Klarstellung des Anwendungsbereichs von § 52 wäre allerdings zum Beispiel für das Vortragen von Kinderliedern im öffentlichen Raum, das keinen Erwerbszwecken dient – zum Beispiel im Rahmen eines Laternenumzugs –, wünschenswert. Erlauben Sie mir noch ein Wort in Richtung Bundesregierung. Nach breiten Ankündigungen zu Beginn dieser Legislaturperiode stehen wir heute in Sachen Urheberrecht vor einer ernüchternden Bilanz: Neben der Verabschiedung des umstrittenen Leistungsschutzrechts für Presseverlage ist nichts geworden aus dem sogenannten dritten Korb. Auf den letzten Drücker hat die Koalition heute ihren Entwurf zur Nutzung verwaister und vergriffener Werke eingebracht, mit dem auch ein halbherziges Zweitverwertungsrecht für Autoren öffentlich geförderter wissenschaftlicher Werke geschaffen werden soll. Wir könnten und müssten schon viel weiter sein. Die „Reförmchen“, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Die drängendsten Probleme im Urheberrecht bleiben ungelöst und werden uns in der nächsten Legislaturperiode, unter einer hoffentlich anderen Bundesregierung, weiterhin beschäftigen. Stephan Thomae (FDP): Zum wiederholten Mal debattieren wir heute über das Urheberrecht. Die bisherigen Debatten und auch die nun vorliegenden Anträge der Fraktion Die Linke machen deutlich, dass die Auffassungen dabei fundamental voneinander abweichen. Das Urheberrecht soll die Urheber schützen; das wird schon anhand des Namens deutlich. Insbesondere der Antrag der Linken auf Bundestagsdrucksache 17/4876 macht jedoch deutlich, dass die Linke in diesem Zusammenhang vielmehr den Fokus auf diejenigen richtet, die urheberrechtlich geschützte Werke nutzen wollen. Dieser Ansatz geht jedoch fehl. Ein Urheberrecht macht nur Sinn, wenn es primär die Rechte der Kreativen schützt. Ich habe bereits in der Debatte vom 13. Dezember 2012 vorgetragen, warum die FDP-Bundestagsfraktion den Antrag der Linken auf Bundestagsdrucksache 17/11043 ablehnt. Insofern verweise ich auf die damals gemachten Ausführungen. Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt auch den Gesetzentwurf auf Bundestagsdrucksache 17/4876 ab. Dies hat folgende Gründe: Die Linke möchte erreichen, dass Kindergärten von der in § 53 Abs. 4 Urheberrechtsgesetz vorgesehenen Regelung, nach der Vervielfältigungen grafischer Aufzeichnungen von Werken der Musik, also von Noten, befreit werden. Allerdings versäumt es die Linke, schlüssig zu begründen, warum gerade die Träger der Kindergärten, also vor allem Kirchen und Kommunen, dieses Privileg erhalten sollen. Der Antrag stellt primär auf § 52 Urheberrechtsgesetz und auf § 53 Abs. 3 Urheberrechtsgesetz ab. Die Argumentation mit § 52 Urheberrechtsgesetz kann allein deshalb nicht überzeugen, weil es darin um die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke geht. Das Kopieren von Noten stellt aber keine öffentliche Wiedergabe eines urheberrechtlich geschützten Werkes dar. Die Urheberrechtsschranke des § 53 Abs. 3 Urheberrechtsgesetz kann nur dann greifen, wenn es um Vervielfältigungsstücke von kleinen Teilen eines Werkes, von Werken von geringem Umfang oder von einzelnen Beiträgen, die in Zeitungen oder Zeitschriften erschienen oder öffentlich zugänglich gemacht worden sind, geht. Dies trifft in aller Regel auf Noten ebenfalls nicht zu, da Noten nicht in Zeitungen oder Zeitschriften öffentlich zugänglich gemacht werden. Der Antrag sieht eine Änderung des allein einschlägigen § 53 Abs. 3 Urheberrechtsgesetz dahin vor, dass die Beschränkung der Vervielfältigungsfreiheit unter anderem für Notenblätter in Kindertagesbetreuungs-einrichtungen aufgehoben wird. Die Linke begründet jedoch nicht, warum einzig Kindergärten und ähnliche Einrichtungen von dieser Änderung profitieren sollen, Schulen zum Beispiel aber nicht. Der Grund für das Vervielfältigungsverbot für Noten in § 53 Abs. 4 Urheberrechtsgesetz liegt darin, dass der Gesetzgeber in der Kopie von Notenblättern wie auch von ganzen Büchern eine allzu große Beeinträchtigung der Absatzmöglichkeiten der Verlagsprodukte gesehen hat, die seiner Ansicht nach durch den Vergütungsanspruch nicht hinreichend abgegolten werde, vergleiche Bundestagsdrucksache 10/837, Seite 17. Die Linke führt in ihrem Antrag nicht aus, dass sich an dieser Ausgangslage etwas geändert hat, weder mit Blick auf Kindergärten noch generell. Auch die weitere Argumentation in dem Antrag überzeugt nicht. So wird der Vorwurf erhoben, die an die Kindergärten herangetragenen Forderungen seien in ihren finanziellen Auswirkungen für die Einrichtungen und Eltern unverantwortlich. Tatsächlich beträgt die Lizenzgebühr für das Erstellen von bis zu 500 Kopien 56 Euro pro Jahr; für kirchliche oder kommunale Kindergärten aufgrund von bestehenden Gesamtverträgen sogar nur 44,80 Euro. Es ist nicht ersichtlich, dass solche Beträge die Kritik der Linken rechtfertigen können. Zudem haben mit Bayern und Baden-Württemberg bereits zwei Bundesländer Pauschalverträge mit der VG Musikedition und der GEMA geschlossen. Darin verpflichten sich die Bundesländer, die jährliche Pauschale sowie die Dokumentation der hergestellten Kopien in Abstimmung mit dem Gemeinde-, Landkreis- und Städtetag zu übernehmen. Andere Bundesländer führen zurzeit entsprechende Verhandlungen mit den beiden Verwertungsgesellschaften. Dies zeigt, dass das bestehende System funktioniert und ein gesetzgeberisches Eingreifen nicht erforderlich ist. Aus den genannten Gründen lehnt die FDP-Bundestagsfraktion die hier zur Debatte stehenden Anträge ab. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Groß war die Aufregung, als die GEMA und die VG Musikedition Ende 2011 36 000 Kindertagesstätten anschrieb und von ihnen eine Gebühr für das Kopieren von Notenblättern verlangte. Die Empörung war damals sehr gerechtfertigt. Die Forderungen von GEMA und VG Musikedition ließen sich, zumindest rechtlich, nicht beanstanden. Moralisch mag das alles fragwürdig gewesen sein und realitätsfern sowieso – Erzieherinnen und Erzieher müssten akribisch Buch führen, um ja nicht mehr als die lizensierten 500 Kopien zu überschreiten –, rein juristisch waren und sind GEMA und VG Musikedition im Recht. Dabei nutzen sie eine Lücke im bestehenden Gesetz aus. Das Urheberrecht wurde nämlich zugunsten von Schulen und Aus- und Weiterbildungseinrichtungen unter anderem unter Beachtung des Erziehungs- und Bildungsauftrages des Staates beschränkt. Kindertagesstätten als Ort frühkindlicher Bildung sind jedoch davon ausgeschlossen. Dies ist nur schwer einzusehen, werden doch in Kindertagesstätten wichtige Grundlagen, insbesondere im Bereich der Spracherziehung, gelegt. Die Linke fordert deshalb, diese Sonderregelung auch für Kindertagesstätten gelten zu lassen. Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass das Image der GEMA und von Verwertungsgesellschaften allgemein stark gelitten hat. Insbesondere die GEMA fällt immer wieder durch eigenmächtiges und unsensibles Handeln auf. Das zeigt auch der Streit um die Reform der GEMA-Tarife, der erbittert geführt wurde und schließlich dazu führte, dass die GEMA ihre Tarifreform aussetzte. Inzwischen hat das Marken- und Patentamt die Reform größtenteils kassiert. Die Tarife würden in vielen Fällen zu derartigen Steigerungen führen, dass diese auch beim besten Willen „nicht als angemessen anzusehen“ seien, begründete das Marken- und Patentamt seine Entscheidung. Nun müssen die Verhandlungen neu aufgenommen werden. Doch auch aus anderen Gründen stehen Verwertungsgesellschaften bei Urheberinnen und Urhebern in der Kritik. Der VG WORT wird vorgeworfen, einen Teil des Geldes, das eigentlich den Urheberinnen und Urhebern zustünde, zu Unrecht an Verleger auszuschütten. Die Sache ist mittlerweile in der zweiten Instanz verhandelt worden. Gegen die GEMA liegt eine ähnliche Klage vor. Und die VFF, eine Filmverwertungsgesellschaft, handhabt einen Verteilungsplan, bei dem die Sender einen Teil des Geldes bekommen, das eigentlich den freien Auftragsproduzenten zustünde. Das Deutsche Patent- und Markenamt schweigt zu all diesen Prozessen, obwohl es mittlerweile sogar ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs gibt, das den originären Rechteinhabern in dieser Sache den Rücken stärkt. Ich könnte noch viele weitere Punkte anführen, die zeigen, dass das bisherige System der Verwertungsgesellschaften seine eigentliche Aufgabe nicht erfüllt. Ein weiteres Beispiel dafür ist, dass in vielen Verwertungsgesellschaften nur ein geringer Prozentteil der Mitglieder über Verteilungsschlüssel bestimmen darf – nämlich die, die das große Geld machen – oder dass aus diesem Grund Geld vor allem an die Gutverdienenden ausgezahlt wird und dass insbesondere Urheberinnen und Urheber, die von ihrem Schaffen kaum leben können, größtenteils leer ausgehen. Es ist daher an der Zeit, dieses System grundlegend zu reformieren. Wir haben deshalb einen Antrag eingebracht, der konkrete Vorschläge für eine solche Reform unterbreitet. Wir fordern, dass eine Regulierungsbehörde gebildet wird, die Tarife vor deren Inkrafttreten überprüft und billigt und darüber hinaus kontrolliert, dass Ausschüttungen den tatsächlichen Rechteinhaberinnen und Rechteinhabern zugewiesen werden. Damit würde die Monopolstellung der Verwertungsgesellschaften aufgebrochen, die die seltsamen Blüten, die dieses System derzeit treibt, erst ermöglicht. Wir fordern, dass Verwertungsgesellschaften erst dann als solche anerkannt werden, wenn sie demokratische Strukturen vorweisen können und sicherstellen, dass alle Mitglieder gleichermaßen mitbestimmen dürfen. Dass dies funktioniert und nicht, wie gerne behauptet, bei großen Verwertungsgesellschaften zu einer Handlungsunfähigkeit führt, zeigt die VG Bild-Kunst, die jedem ihrer knapp 51 000 Mitglieder gleiches Stimmrecht einräumt. Wir fordern, dass Minderheitenrechte gewahrt werden. Sobald mindestens 10 Prozent der Mitglieder dies fordern, soll die Regulierungsbehörde kontrollieren, ob die Verwertungsgesellschaft ihrem gesetzlichen Auftrag angemessen nachkommt, sprich: die Gelder fair verteilt. Wir fordern, dass die GEMA-Vermutung, wonach Veranstalter nachweisen müssen, dass die gespielte Musik nicht GEMA-pflichtig ist, dann nicht gilt, wenn mehr als 5 Prozent der gespielten Werke nicht GEMA-pflichtig sind. Das ist besonders in Bereichen der elektronischen Musik und des improvisierten Jazz der Fall. Eine generelle Aufhebung der GEMA-Vermutung halten wir für wenig praktikabel. In sehr vielen Fällen erleichtert dies nämlich die Abrechnung von Veranstaltungen. Die Linke hat einen Vorschlag für transparente und faire Verwertungsgesellschaften vorgelegt. Sie müssen nur zustimmen. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir werden heute wie auch in der kommenden Sitzungswoche und damit zum „Grande Finale“ dieser Legislaturperiode noch viele Reden zum Urheberrecht hören; denn die Anträge der Opposition dazu stauen sich. Und das tun sie aus einem guten Grund; denn kaum einen Bereich hat diese Bundesregierung sträflicher vernachlässigt als das Urheberrecht.  Sie ignoriert damit neben ihren eigenen Ankündigungen der Verabschiedung eines dritten Korbes, ihrer BMJ-eigenen Anhörungsrunde von 2010, auch die dringenden Appelle ganz vieler betroffener Gruppen einschließlich der heterogenen Gruppe der Urheber und Urheberinnen selbst, die über schwierige und schwierigste Zustände in den unterschiedlichsten Bereichen zu berichten wissen.  Darüber kann auch das jetzt vorgelegte Reförmchen zu den verwaisten Werken überhaupt nicht hinwegtäuschen. Angefangen beim Abmahnunwesen, über die Verlagsherrlichkeit im Umgang mit Autoren bis hin zum Dauerärgernis GEMA und der Intransparenz der Verwertungsgesellschaften – das Urheberrecht steht im Konflikt und verliert mit jeder neuen Streitrunde an Überzeugungskraft und innerer Bindungswirkung. Die Stärke des Urheberrechts war und ist seine zentrale Ausgleichsfunktion zwischen den zahlreichen und recht ungleich institutionalisierten Interessen im Markt der Rechteverwertung. Doch die Politik der vergangenen Jahre, oft allein getrieben von internationalen und supranationalen Initiativen zur Stärkung der Durchsetzbarkeit von Urheberrechten, hat den Ausgleich vernachlässigt und eine Unwucht zugunsten der Verwertungsseite verursacht. Es wird deshalb, neben der Sicherstellung der Effektivität des bestehenden Urheberrechtssystems angesichts neuer technischer Entwicklungen, auch Aufgabe einer umfassenderen Reform des Urheberrechts sein, zeitgemäße Gemeinwohlaspekte der Urheberrechtsgesetzgebung herauszuarbeiten und dabei für einen fairen Interessenausgleich aller Beteiligten zu sorgen. Der Reformbedarf bei den Verwertungsgesellschaften ist bereits seit vielen Jahren bundestagskundig dokumentiert. Geschehen ist auffälligerweise bis heute wenig bis nichts. Besonders ausführliche Vorschläge hatte bereits in 2008 die Enquete „Kultur“ vorgelegt. Doch auch die Enquete „Internet und digitale Gesellschaft“ hat fraktionsübergreifend erheblichen Reformbedarf diagnostiziert. Die dazu vor zwei Jahren durchgeführte Anhörung brachte ein überwältigendes Votum der versammelten Professoren und Professorinnen für eine umfassende Gesetzesreform unter dem Gesichtspunkt der Digitalisierungsfolgen, auch in Bezug auf Aspekte der Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften. Das Bekenntnis zur allgemeinen Bedeutung und wichtigen Bündelungsfunktion der Verwertungsgesellschaften, dem auch wir Grünen im Grundsatz zustimmen, sollte angesichts der zunehmend heftiger geführten Debatten auch und gerade durch betroffene Mitglieder zumindest einzelner Verwertungsgesellschaften nicht mehr ohne eine erklärende Einschränkung erfolgen: Es darf keine Denkverbote hinsichtlich eines Infragestellens des bestehenden gesetzlichen Rahmens für Verwertungsgesellschaften geben, weil sowohl deren treuhänderische Funktionen als auch deren durch den Gesetzgeber selbst zugewiesene Verteilungsaufgaben zu einer ständigen Überprüfung der Gerechtigkeitsmaßstäbe bei den internen Verfahrens-, Entscheidungs- und Verteilungsmechanismen zwingen. Zutreffend greift der Antrag der Linken eine Reihe der mittlerweile als unstreitig zu bezeichnenden Pro-blempunkte auf: verbesserte Transparenz hinsichtlich der Kriterien für die Verteilung sowie die tatsächliche Verteilung der Einnahmen selbst, Überprüfung der inhaltlichen Kriterien für die Verteilung auf ihre innere Stimmigkeit und Fairness, verbesserte Mitbestimmung, insbesondere bei Verwertungsgesellschaften mit der durchaus komplex zu nennenden und durchaus nachvollziehbar gelegentlich mit dem preußischen Dreiklassenwahlrecht verglichenen Dreiteilung in ordentliche, außerordentliche und berechtigte Mitglieder, sowie eine verbesserte Aufsichtsstruktur. Das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz trifft bei allen diesen Punkten und trotz der bislang vorliegenden Rechtsprechung immer noch allenfalls rudimentär zu bezeichnende Grundregelungen und ist ansonsten von allergrößter Zurückhaltung gegenüber den vereinsrechtlichen oder gesellschaftrechtlichen Strukturen der Verwertungsgesellschaften geprägt. Genau gegen diese Zurückhaltung bestehen zunehmende Bedenken, wenn und soweit der Gesetzgeber in immer mehr Fällen den Verwertungsgesellschaften die Einnahme- und Verteilungsrolle zuweist. Die damit wachsende treuhänderische Verantwortung der Verwertungsgesellschaften muss auch Konsequenzen für die internen Strukturen nach sich ziehen.  Ein zusätzliches Argument sind die sich weiter ausdifferenzierenden Interessen von Urhebern und Verwertungsgesellschaften angesichts eines wachsenden Marktdruckes. Ein schönes Beispiel dafür spricht der Antrag der Linken mit dem Wunsch vieler Urheber und Urheberinnen an, zumindest im Rahmen ihrer Selbstvermarktung auf ihre eigenen Werke zugreifen zu können. Einen Teil dieser Fragen, insbesondere zur Binnendemokratie von Verwertungsgesellschaften, greift auch die EU-Richtlinie auf, die allerdings darüber hinaus auch die grenzüberschreitende Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften unter Wettbewerbsbedingungen zum Ziel hat, eine Entwicklung, die keinesfalls die im Grundsatz angelegten, gleichwohl aber noch ausbaufähigen gemeinwohlbezogenen Funktionen von Verwertungsgesellschaften aushöhlen darf. Der Antrag der Linken begegnet gleichwohl einigen Bedenken, weshalb wir uns im Ergebnis enthalten wollen und müssen: Die Forderung nach einer Zuordnung der Aufsicht zu einer (noch) nicht näher benannten Regulierungsbehörde verdient zwar Verständnis. Denn das Deutsche Patent- und Markenamt betreibt die Aufsicht trotz der auf wiederholten Druck erfolgten minimalen personellen Aufstockung auf geringem, nahezu unsichtbarem Niveau. In der Konstruktion fällt dabei auch die fehlende personelle wie institutionelle Unabhängigkeit des DPMA vom Bundesjustizministerium ins Auge. Andererseits erfordert die Aufsicht einen maximal hohen Kenntnisstand der komplexen Rechtsmaterie und würde wohl auch bei jeder anderen Regulierungsbehörde Gefahr laufen, zunächst nur als ein Anhängsel im Konzert mit anderen, oftmals als wichtiger wahrgenommenen Themen mitzulaufen. Pragmatischer erscheint es deshalb, dem DPMA noch eine Chance zu geben – auf der Grundlage veränderter materiell-rechtlicher Bestimmungen und einer erneuten Ressourcenaufstockung. Auch die Forderung nach einer Vorabgenehmigungspflicht von Tarifen beim DPMA würde einen fundamentalen Paradigmenwechsel mit sich bringen. Damit würde die primäre Verantwortung – und damit auch das „blame game“ – für die destruktiven Folgen der massiven Streitigkeiten bei der Verwertung wieder primär bei der Verwaltung liegen, unter anderem ohne dass diese einen privilegierten Zugang zu den für eine sachgerechte Streitbeilegung notwendigen Informationen hätte. Realistischer erscheint es deshalb, zunächst einmal zu prüfen, wie das bestehende Aufsichtssystem die ihm zugewiesenen Möglichkeiten auszuschöpfen vermag. In diesem Zusammenhang beobachten wir auch aufmerksam die Bemühungen der Mitglieder verschiedener Verwertungsgesellschaften, notwendige Reformen anzustoßen. Wir haben in unserem Programm für die Bundestagswahl 2013 formuliert: „Die Möglichkeit der kollektiven Wahrnehmung der Rechte von Urheberinnen und Urhebern durch Verwertungsgesellschaften ist ein entscheidendes Instrument, um eine angemessene Vergütung praktikabel sicherzustellen. Auch wenn nicht alle Verwertungsgesellschaften über einen Kamm zu scheren sind, wollen wir mehr gleichberechtigte Mitsprache sicherstellen. Die Verwertungsgesellschaften müssen gerechter, transparenter und demokratischer werden, wir werden dies rechtlich soweit möglich vorantreiben und unterstützen Initiativen wie auch die Verwertungsgesellschaften selber, diese Reformschritte zu gehen. Mitglieder einer Verwertungsgesellschaft müssen alternative Lizenzmodelle wie ‚Creative Commons‘ nutzen oder andere Geschäftsmodelle entwickeln können.“ Die kommende Bundesregierung wird es sich nicht wieder erlauben können, den gesellschaftlichen Konflikt um die Verwertungsgesellschaften auf die gleiche Weise zu ignorieren, wie es diese schwarz-gelbe Merkel-Chaostruppe aufgrund ihrer Zerstrittenheit getan hat. Vor allem hilft angesichts der Komplexität der Detailprobleme keine Vogel-Strauß-Taktik; denn eine Verschleppung der Klärung zieht auch hier nur noch größere Probleme nach sich. Wir Grüne stehen ein für eine problemgerechte Lösung mit allen betroffenen Akteuren, die den fairen Ausgleich der Interessen in den Mittelpunkt rücken wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zunächst Tagesordnungspunkt 32 a. Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13767, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11043 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 32 b. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13768, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/4876 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der Grünen abgelehnt. Damit entfällt die weitere Beratung. Zusatzpunkt 10: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der Verstümmelung weib-licher Genitalien (… Strafrechtsänderungsgesetz – … StrÄndG) – Drucksache 17/13707 – Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Auch hier gehen die Reden zu Protokoll.12 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 17/13707 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 33: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute Koczy, Uwe Kekeritz, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit – Partnerschaft für eine menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung – Drucksache 17/13728 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): Als ich mir diese Initiative von der grünen Fraktion angesehen habe, war ich erst verwundert, was das denn soll. Dann stellte ich mir die grundsätzliche Frage nach den Aufgaben der Opposition in unserer parlamentarischen Demokratie. Und schließlich habe ich mich über den Antrag wegen seines verdeckten politischen Ziels geärgert. Nach allgemeinem Verständnis gehören zu den Aufgaben der Opposition in unserem Parlament in erster Linie die Kontrolle, die Kritik an den Gesetzesvorschlägen und der Arbeit der Regierung und das Aufzeigen von Alternativen. Das sind wichtige Aufgaben, und ich freue mich, dass Bündnis 90/Die Grünen sich in der Opposition befinden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Sie diese Aufgabe nach der nächsten Bundestagswahl auch weiter übernehmen werden. Ich bitte Sie dann allerdings darum, Ihre Arbeit auf höherem Niveau zu machen, als es bei diesem Antrag der Fall ist. In Ihrem Antrag finde ich Oppositionsarbeit, was die Opposition tun soll nicht wieder. Ich finde keine sinnvolle, konstruktive Kritik am Regierungshandeln; und eine Alternative zu dem, was wir in der Entwicklungspolitik unter schwarz-gelber Verantwortung leisten, fehlt auch. Es handelt sich deshalb um einen entbehrlichen Antrag, wenn man die eben genannten wichtigen, ja unerlässlichen Aufgaben der Opposition in einer Demokratie als Maßstab anlegt. Aber lassen Sie mich auch das Gute nennen: Wir haben in unserem Parlament einen bemerkenswerten Konsens, sowohl was die Bedeutung der Menschenrechte in der Entwicklungspolitik angeht als auch zur Rolle der Zivilgesellschaft. Ich begrüße es ausdrücklich, dass auch die Grünen eine menschenrechtsbasierte Entwicklungspolitik wollen. Nach dem Wahlprogramm und dem Fraktionsbeschluss gibt es nun auch einen Antrag dazu. Erforderlich wäre dies nun nicht mehr gewesen. Denn die Regierung Merkel und die Entwicklungspolitiker von CDU/CSU stehen sowieso fest mit beiden Füßen auf dem Boden der Menschenrechte, ebenso die Kollegen von der FDP übrigens. Deshalb müssen wir auch nicht dazu aufgefordert werden. Dies weiß auch jeder, und jeder kann es in zahlreichen Dokumenten nachlesen und in der Praxis unserer Entwicklungszusammenarbeit überprüfen. Wenn ich auf die Internetseiten des BMZ gehe und die Suchfunktion mit dem Suchbegriff „Menschenrechte“ anklicke, dann erscheinen 479 Treffer. Da wird über all die Dinge, die Sie in Ihrem Antrag fordern, informiert. Es bedarf also keiner Aufforderung. Die Arbeit wird schon gemacht, und zwar auf hohem Niveau. Beispiele dafür könnte ich lange zitieren. Ich fordere Sie auf, diese Informationen auch umfassend zur Kenntnis zu nehmen, bevor Sie einen Antrag in den Deutschen Bundestag einbringen. 2011 hat die Bundesregierung das Konzept „Menschenrechte in der deutschen Entwicklungspolitik“ vorgelegt. Auch darin finden Sie Ihre Forderungen ausformuliert. Lassen Sie mich auch zu Ihrer Forderung nach der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit Stellung nehmen. Auch hier rennen Sie offene Türen ein. Wir haben für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft kontinuierlich bedeutende Finanzmittel aus dem Etat des BMZ zur Verfügung gestellt. Der Dialog mit Vertretern der Zivilgesellschaft ist intensiv, konstruktiv und kooperativ. Es wurde 2012 ein neues Instrument zur Förderung der Entwicklungsarbeit von Zivilgesellschaft, Kommunen und Ländern geschaffen. Es heißt „Engagement Global“. Es trägt zu einer ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltigen Entwicklung bei, damit auch zukünftige Generationen weltweit Handlungsoptionen haben. Ich behaupte: Nie war es für die Zivilgesellschaft einfacher, ihre Entwicklungsarbeit zu planen und durchzuführen, und zwar in Kooperation, mit Unterstützung und auch Finanzierung durch den Staat. Auch durch „Engagement Global“ wird die Entwicklungspolitik in die Mitte der Gesellschaft geführt, und zwar über die Zivilgesellschaft, die Sie in Ihrem Antrag zum Thema machen. Ich habe auch den Suchbegriff „Zivilgesellschaft“ auf den Internetseiten des BMZ angeklickt und bekam noch mehr Ergebnisse: 693 Treffer. Unser Ziel ist es, die Zahl der Engagierten in der Zivilgesellschaft auf 2 Millionen zu verdoppeln. Die Haushaltsmittel für die Zivilgesellschaft, Kirchen und politischen Stiftungen ist auf hohem Niveau. Wenn ich also zu dem Ergebnis komme, dass der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen sachlich entbehrlich ist, frage ich mich, welchem Zweck er denn dienen soll. Und damit komme ich zu einer weiteren negativen Beurteilung dieser Initiative. Ich behaupte: Es geht nur um Wahlkampf, Selbstdarstellung und den Versuch, einen falschen Eindruck über die Arbeit der Entwicklungspolitik der Koalition zu erwecken. Lassen Sie mich diese Behauptung begründen: Wenn in Ihren Texten ausgeführt wird, dass Menschenrechtsschutz kein „weiches Thema“ sei, das der Realpolitik geopfert werden könne, wollen Sie dann damit sagen, dass Bündnis 90/Die Grünen die eigentliche und ehrliche „Menschenrechtspartei“ wäre? Sie implizieren, dass die Politik anderer Parteien mit „doppelten Standards“ Menschenrechte in der Realpolitik „politischem Kalkül opfern“ würde. So formulieren Sie es auch in Ihrem Fraktionsbeschluss zu Menschenrechten in der EZ vom Februar dieses Jahres. Wenn ich so etwas lese frage ich mich: Sind Sie verblendet und nehmen die Realität nicht richtig wahr oder wollen Sie bewusst einen falschen Eindruck erzeugen? Denn in Wirklichkeit sind die Menschenrechtspolitik ebenso wie die Förderung und Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft Kernthemen unserer Entwicklungspolitik, wie jeder weiß. Und wer es nicht weiß, dem habe ich einige Quellen dazu genannt. Ich unterstelle Ihnen von den Grünen den Versuch, mit diesem Antrag zu den Themen „Menschenrechte“ und „Zivilgesellschaft“ eine Abgrenzung von den anderen politischen Kräften vorzutäuschen. Dieses politische Manöver ist durchsichtig, und wir lehnen es empört ab. Stefan Rebmann (SPD): Die Zivilgesellschaft ist ein zentraler Pfeiler jedes demokratischen Staates. Ohne sie existiert demokratisches System nur auf dem Papier. Gemeinsam mit der Gewaltenteilung und der Einhaltung von Menschenrechten ist die Zivilgesellschaft Voraussetzung, Bestandteil und Zukunft einer jeden Demokratie; denn Partizipation der Bürger und kritische Begleitung der Regierungsarbeit bedeuten letztlich auch die gesellschaftliche Akzeptanz des Systems. Dies kann ohne eine funktionierende Zivilgesellschaft nicht erreicht werden; damit aber wäre ein demokratischer Staat nicht mehr als eine leere Hülse. Welch fatale Auswirkung die Verstümmelung der Zivilgesellschaft zugunsten eines zivilgehorsamen Volkes auf das Schicksal einer Nation haben kann, hat kaum ein anderes Land als das unsrige in den Jahren des Dritten Reiches und des real existierenden Deutschen Sozialismus erfahren müssen. Andererseits zeigen die Erfahrungen der Leipziger Montagsdemonstrationen, welch immense politische Macht ein partizipierendes Bürgertum beanspruchen kann. Aber auch aktuell gibt es auf der politischen Landkarte zahlreiche Beispiele, die die elementare Rolle eines partizipierenden Bürgertums belegen. Die gewalttätigen Ausschreitungen wütender Bürger auf dem Taksimplatz in Istanbul sind Ausdruck der Unzufriedenheit darüber, dass sich viele Menschen in der Türkei von der Politik Erdogans nicht mit einbezogen und mitgenommen fühlen. Sie wollen nicht länger dulden, dass die Politik ihnen Dinge vorschreibt, die weit ins Private hineinreichen, wie etwa die Anweisung für Paare, genau drei Kinder in die Welt zu setzen. Es liegt auf der Hand, dass es für die zivilgesellschaftlichen Akteure leichter ist, sich in langjährigen und institutionell wie wirtschaftlich stabilen Demokratien zu organisieren und zu agieren als in kriegsgebeutelten, wirtschaftlich schwachen und noch im Transformationsprozess befindlichen Staaten. Die Krux aber ist: Zivilgesellschaft bildet sich eben nicht einfach infolge institutioneller Demokratisierung, vielmehr ist sie zugleich wesentliche Voraussetzung für jede funktionierende und stabile Demokratie. Deshalb ist es so wichtig, dass wir – neben den sogenannten klassischen staatlichen entwicklungspolitischen Aufgaben: Armuts- und Korruptionsbekämpfung, Schutz und Einhaltung von Menschenrechten, der Ausbau demokratischer Institutionen und der Sofort- und Katastrophenhilfe – die zivilgesellschaftlichen Akteure vor Ort unterstützen. Insbesondere dort, wo staatliche Einrichtungen nicht oder nicht ausreichend als Kooperationspartner zur Verfügung stehen, muss versucht werden, die Zusammenarbeit mit den lokalen Zivilgesellschaften auszubauen. Sie sind es, die maßgeblich dazu beitragen, die Bedürfnisse und Interessen der Bürger in unterschiedlichen Gruppierungen zu artikulieren, und dafür Sorge tragen, dass sinnvoll getroffene Entscheidungen und eingeführte Maßnahmen auch wirklich bei den Betroffenen ankommen. Deshalb müssen wir weiterhin auf enge Kooperation mit den Zivilgesellschaften vor Ort setzen. Entwicklungspolitik muss stärker als bisher den Schutz und die Schaffung von günstigen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliche Akteure unterstützen, und zwar von staatlicher Seite aus wie auch durch internationale Zusammenarbeit der Nichtregierungsorganisationen. Zwei grundlegende Aspekte gilt es dabei zu berücksichtigen: Zum einen müssen wir dafür Sorge tragen, dass Mitarbeiter unserer Nichtregierungsorganisationen in Partnerländern vor Ort ihre Arbeit in Sicherheit ausüben können. Auch in der strategischen Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Akteuren muss die Wahrung von Menschenrechten und Demokratie im Fokus der Entwicklungspolitik stehen. Die jüngsten Nachrichten aus Ägypten, wo das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung und auch Vertretungen amerikanischer Organi-sationen durch ein Kairoer Gericht zwangsweise geschlossen wurden, muss uns alarmieren. Einschränkungen der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen müssen bilateral und auf Regierungsebene deutlicher thematisiert und klare Kriterien für eine Zusammenarbeit eingeführt werden. Zum anderen sollten wir aber nicht nur kritisch auf die Partnerländer schauen. Ein differenzierter Blick lohnt sich durchaus auch auf die Bedingungen, wie sie derzeit für Nichtregierungsorganisationen in Deutschland vorzufinden sind. An der zunehmenden und uns Sorgen bereitenden Einflussnahme des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen – die zunehmende Kontrolle von NRO-Publikationen sei nur als Beispiel genannt – und nicht zuletzt an der suboptimalen Ausrichtung des Deutschen Entwicklungstages 2013 ist abzulesen, welch geringen Stellenwert die Bundesregierung der Rolle von Kirchen, politischen Stiftungen, Gewerkschaften und anderen Nichtregierungsorganisationen beimisst. Helga Daub (FDP): Am Ende einer Legislaturperiode ist die Opposition einmal mehr versucht, vermeintliche Fehler und Versäumnisse der Bundesregierung zu benennen; das gehört zum politischen Geschäft. Aber offensichtlich sind Sie nicht fündig geworden, denn Sie bemühen wieder einmal das weite Feld der Zivilgesellschaft. Als Aufhänger benutzen Sie den ersten Deutschen Entwicklungstag, der am 25. Mai dieses Jahres stattgefunden hat. Diese Veranstaltung war ein Novum. Zum ersten Mal haben sich 569 Akteure in 16 Städten zusammengefunden und entwicklungspolitisches -Engagement zeigen können. Verschiedenste NGOs, Stiftungen, Kirchen, Kommunen, Bundesländer und Unternehmen haben diese Möglichkeit genutzt, ihre Ideen, Initiativen und Projekte vorzustellen. Sie haben über ihre Arbeit berichtet, sie haben informiert, haben Menschen begeistern können und Mitstreiter gewonnen. Das Besondere dieses Tages war doch, Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, Vereine, Verbände und Initiativen in Aktion zu zeigen. Hier sollten nicht wieder nur die üblichen offiziellen Vertreter zu Wort kommen. Am 25. Mai wurde der Zivilgesellschaft breiter Raum gegeben. Wenn diese nun bemängelt, sie hätte sich eine stärkere Beteiligung an der Organisation gewünscht, dann frage ich mich: Warum hat sie nicht mitgemacht? In Ihrer Presseerklärung zum Deutschen Entwicklungstag schreiben Sie: „Statt staatlicher Regulierung fordern wir die Unterstützung einer bunten, vielfältigen und unabhängigen Zivilgesellschaft.“ Diese Regierung hat immer die Zivilgesellschaft einbezogen, weil sie in ihr eine wichtige Säule der Entwicklungszusammenarbeit sieht. Es anders zu sehen, kann ich nur selektive Wahrnehmung nennen. Lassen Sie mich eines dazu bemerken: Unlängst habe ich in meinem Wahlkreis eine Schule besucht, deren Schüler sich in der Entwicklungszusammenarbeit engagieren wollen. Es war eine Freude, zu sehen, mit welchem Interesse diese Neuntklässler dabei waren, Fragen gestellt, Ideen aufgeworfen und diskutiert haben. Es gibt ein afrikanisches Sprichwort: Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, werden das Antlitz dieser Welt verändern. – Diese Schüler fangen genau damit an, und ich bin überzeugt, hier sind wir uns alle einig, diese nach Kräften zu -unterstützen. So beginnt zivilgesellschaftliches Engagement. Vielleicht wird diese Schule am nächsten Deutschen Entwicklungstag ihr Ergebnis präsentieren. Ich lade Sie alle herzlich ein, dann mit dabei zu sein und diesen Tag der Entwicklungspolitik weiter zu etablieren. Dies als kleine Einleitung vorweg. Nun konkret zu Ihren Forderungen. Aus aktuellem Anlass möchte ich dezidiert auf einen Punkt Ihres Antrages zu sprechen kommen: die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit politischer Stiftungen. Sie kennen die Reaktion der Bundesregierung auf die Ereignisse in Ägypten, und daraus dürfen Sie schließen, dass für uns Unabhängigkeit und Eigenständigkeit wichtig und unantastbar sind. Das Vorgehen gegen die Mitarbeiter von Stiftungen ist nicht hinzunehmen oder zu tolerieren. Noch einmal: Die Haltung der Bundesregierung ist hier glasklar. Des Weiteren unterzieht die Bundesregierung Staaten, die die politische Freiheit einschränken und/oder auch Korruption in ihren Ländern dulden, einer kritischen Prüfung. Wir betrachten dies als Selbstverständlichkeit. In diesem Zusammenhang möchte ich das vom BMZ eingeführte Konzept des Menschenrechts-TÜV unterstreichen. Jede neue entwicklungspolitische Maßnahme wird auf die Vereinbarkeit mit den Menschenrechten und ihre Auswirkungen darauf überprüft. Sie sprechen in Ihrem Antrag die Rolle von Engagement Global an. Diese neu geschaffene Organisation soll zusätzlich auch organisatorisch nicht gebundenes Engagement auffangen, beraten und bündeln. Sie schreiben natürlich völlig zu Recht: „Zivilgesellschaftliche Akteure verfolgen auch Eigeninteressen und stehen in Konkurrenz zueinander.“ Genau das soll durch Engagement Global zumindest vermindert werden, denn nun gibt es einen zentralen Ansprechpartner, der zivilgesellschaftliches Engagement effektiv im Sinne der Entwicklungspartnerländer verknüpft. Daher teile ich Ihre Argumentation nicht, hier würden Parallelstrukturen aufgebaut. Das wäre nur der Fall, wenn die NGOs sich der Zusammenarbeit verweigern würden. In einem Punkt Ihres Antrags sind wir uns aber einig: die Mittelvergabe stärker an eine positive Evaluierung vergangener Projekte zu koppeln. Hier geht das Ministerium mit gutem Beispiel voran. Mit der Gründung von DEval, dem unabhängigen Evaluierungs-institut, hat es diese Forderung vorweggenommen. Im Übrigen gilt diese Vorreiterrolle auch für die Forderung nach mehr Partizipation der Zivilgesellschaft. Denken Sie zum Beispiel an die Initiative -„Engagement fairbindet“. Bei der letzten Veranstaltung im Mai 2012 haben sich rund 3 500 Menschen in Bonn getroffen, erfolgreiche Ideen vorgestellt und neue Projekte entwickelt. Nur zu Ihrer Kenntnis: Der Anteil der Mittel, die das BMZ für die Förderung entwicklungspolitischer Projekte und Programme deutscher zivilgesellschaftlicher Organisationen bereitgestellt hat, ist in den Jahren 2009 bis 2013 um nahezu 20 Prozent auf rund 670 Millionen Euro gestiegen und macht inzwischen circa 11 Prozent des BMZ-Haushaltes aus. Die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen in Deutschland und in den Kooperationsländern wird weiter stärker gefördert werden. Wie, darüber werden wir gerne kontrovers, aber mit großem Engagement diskutieren. Wie Sie sehen, ist doch bereits ein großer Teil Ihrer Forderungen umgesetzt. Daher werde ich Ihren Antrag nicht unterstützen. Annette Groth (DIE LINKE): Die Bedingungen für Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland haben sich in dieser Legislaturperiode für die Akteure in den Nichtregierungsorganisationen deutlich verschlechtert: Beispiele sind die zivil-militärische Zusammenarbeit, die einseitige Stärkung der Interessen der deutschen Wirtschaft mit Mitteln aus dem Entwicklungshaushalt und die Einschränkung der Veröffentlichungen von Nichtregierungsorganisationen durch die Designrichtlinie des BMZ, die nach dem Motto „Wer zahlt, muss auch erkennbar sein“ durchgesetzt wurde. Die Fraktion Die Linke setzt sich dafür ein, dass diese fatalen Entwicklungen zurückgenommen werden. Durch die erzwungene zivil-militärische Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Nichtregierungsorganisationen wurden die Arbeit der NGOs gefährdet und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der NGOs in Gefahr gebracht. In diesem Zusammenhang will ich ausdrücklich den aktuellen Versuch der Bundesregierung zurückweisen, die Entwicklungsorganisationen für den Regimechange in Syrien einzuspannen. Nichtregierungsorganisationen sollen durch diese fatale Politik der Militarisierung aller gesellschaftlichen Bereiche degradiert werden, indem ihnen ein Kombattantenstatus zugewiesen wird. Ihre Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung, vor allem aber die Möglichkeit des ungehinderten Arbeitens durch die Akzeptanz auch der Gegenseite, geht verloren; denn sie werden von der Regierung aufgefordert, ihre Neutralitätspflicht zu missachten. Damit wird ein wichtiger Pfeiler effektiven humanitären Arbeitens infrage gestellt. Die Politik der Bundesregierung, die in allen Bereichen eine Militarisierung der Politik forciert, hat völlig versagt. Wir erwarten von der nächsten Bundesregierung, dass diese zivil-militärische Zusammenarbeit sofort beendet wird. Mit ihrem neoliberalen Grundverständnis hat die Leitung des Hauses begonnen, eine über viele Jahrzehnte gewachsene Struktur des BMZ, vor allem aber auch der staatlichen Entwicklungsorganisationen, zu zerschlagen und umzubauen. Ziel ist eine marktwirtschaftlich ausgerichtete Entwicklungspolitik, in der die GIZ als Anbieter neben Privatanbietern auf dem „Markt der Entwicklungspolitik“ positioniert werden soll. Um dies zu beschleunigen, wurden in die Leitungsfunktionen des BMZ und der GIZ FDP-treue Anhängerinnen und Anhänger installiert. „Spezlwirtschaft“ à la München wurde leider auch hier in Berlin forciert. Als besonders empörend empfinde ich die faktische Zensur der Medien der geförderten Partner des BMZ. Mit der Auflage, die Veröffentlichungen dem BMZ zur Durchsicht vorzulegen, wird eine faktische Selbstzensur der NGOs befördert. Mit einer aufgeklärten, demokratischen Zusammenarbeit mit den NGOs im entwicklungspolitischen Bereich hat dies wenig zu tun. Ins gleiche Horn stößt die Designrichtlinie des BMZ, in der unter dem Motto „Wer zahlt, muss auch erkennbar sein“ eine Werbestrategie für das BMZ entwickelt wurde. Damit werden Medien der Nichtregierungsorganisationen als Werbefläche für Regierungspolitik missbraucht. In dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stehen im innenpolitischen Teil viele Forderungen, die wir unterstützen können. Der außenpolitische Teil ist jedoch zum Teil ausgesprochen problematisch. Wenn sich die Grünen dafür einsetzen, „die finanziellen Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Beteiligung der Zivilgesellschaft“ zu schaffen, liest sich dies wie eine deutsche Nebenaußenpolitik durch zivilgesellschaftliche Akteure. Die Förderung von „genehmen“ Nichtregierungsorganisationen in den Ländern des globalen Südens als Möglichkeit der Einflussnahme deutscher Außen- und Entwicklungspolitik ist zumindest fragwürdig und fördert nicht die Entwicklung einer eigenständigen demokratischen Kultur in diesen Ländern. Die Fraktion Die Linke setzt sich vielmehr dafür ein, mit einer neuen Außenhandelspolitik den Ländern des globalen Südens Entwicklungschancen zu ermöglichen, die ihnen die notwendigen Perspektiven für eine eigenständige Entwicklung geben. Auf „unabhängige“ Nichtregierungsorganisationen zu setzen, die vom Haushalt des Auswärtigen Amtes oder des Entwicklungshilfeministeriums finanziert werden, muss zumindest kritisch hinterfragt werden. Gerade bei meinen Besuchen in Ländern des Südens ist mir aufgefallen, dass mir immer mehr politische Akteure begegnen, die in den Eliteuniversitäten der Industriestaaten ausgebildet wurden, über Stipendien der Staaten des Nordens gefördert wurden oder ihre Arbeit durch finanzielle Hilfen der nördlichen Indus-triestaaten organisieren. Dass hier auch Abhängigkeitsverhältnisse dieser Akteure gegenüber ihren Geldgebern entstehen, ist nicht von der Hand zu weisen. Viele politische Karrieren werden in diesen Ländern mittlerweile in NGOs vorbereitet, die von der EU oder westlichen Regierungen finanziert werden. Das „N“ im Begriff „NGOs“ ist insofern hinterfragbar, als diese Organisationen vielleicht unabhängig von ihrer eigenen Regierung sind, dafür aber im höchsten Maße abhängig von ausländischen Regierungen. Andere politische Akteure in diesen Ländern beklagen die Macht der NGOs und das enorme Manipulations-potenzial von außen, das damit verbunden ist. Sie sprechen von „NGOisierung“ oder der Herrschaft der NGOs. In schwach entwickelten Zivilgesellschaften des Südens kann man mit finanzieller Unterstützung einzelner Gruppen die Kräfteverhältnisse erheblich beeinflussen und selbst solche Kräfte stark machen, die eigentlich über wenig Rückhalt in der Bevölkerung verfügen. Wir erleben immer wieder, dass die EU und die Bundesregierung dieses Manipulationspotenzial gezielt einsetzen. Zuletzt hat der Umsetzungsbericht der Kommission zum Aktionsplan zur Unterstützung der Demokratie ein beredtes Beispiel dafür abgegeben. Hier ist ein sehr hohes Maß an Sensibilität gefragt. Die Grünen werden dem mit ihren sehr generellen Forderungen nicht gerecht. Ihr Antrag reiht sich in die generelle Politik von Bündnis 90/Die Grünen ein, die durch eine offensive Außenpolitik und durch militärische und zivile Einflussnahme in den Ländern des globalen Südens Politik in diesen Ländern aus Deutschland heraus gestalten wollen. Wir halten einen solchen Ansatz für falsch. Insgesamt stehen wir deshalb dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen kritisch gegenüber und werden deshalb nicht zustimmen. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was wäre Politik ohne Zivilgesellschaft? Was wären wir in der Entwicklungspolitik ohne die Informationen von Amnesty International, Terre des Femmes, Welthungerhilfe, Misereor, Brot für die Welt, urgewald, Greenpeace, Global Witness und vielen mehr? Wir wären annähernd blind und taub, weil wir nicht mitbekämen, was sich auf dieser Welt wirklich ereignet. So viele Fact Finding Missions könnten wir als Politikerinnen und Politiker nie leisten, um mitzubekommen, wo Menschenrechte verletzt, Verbrechen begangen und ökologische Wahnsinnsprojekte an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeigehen. Daher gehört die Zusammenarbeit mit einer Zivilgesellschaft, die sich den universellen Werten der Menschenrechte verschrieben hat, zum Kern der Entwicklungspolitik. Diese Nichtregierungsorganisationen sammeln Informationen, halten Kontakt zu den Menschen vor Ort und sind Botschafter für den internationalen Raum. Unsere Welt braucht deshalb eine unabhängige, fähige und engagierte Zivilgesellschaft. Sie sind für uns in der Entwicklungspolitik wichtige Partnerinnen und Partner. Deshalb auch von dieser Seite ein großes Dankeschön an eine vielfach ehrenamtliche, oft schwierige, manchmal lebensgefährliche wie auch oft hochprofessionelle Arbeit. Unser Antrag will deswegen hier ein Ausrufezeichen setzen! Das ist hochaktuell, wie uns Ägypten zeigt. Anfang dieser Woche hat ein Gericht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung – in Abwesenheit – zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Das ist ein fataler Rückschritt für die demokratische Entwicklung in Ägypten. Aber auch in anderen Teilen der Welt erleben wir, wie die Freiräume von NROs eingeschränkt werden; das reicht über Äthiopien, Angola, Kasachstan bis nach Russland und viel zu vielen anderen Ländern. Doch ich will auch nicht so tun, als ob nur heile Welt in Bezug auf Zivilgesellschaft existiert; denn zu der Zusammenarbeit gehört auch der kritische Dialog. Zivilgesellschaft ist nicht per se immer gut und richtig. So müssen auch NROs Rechenschaft über ihre Ziele ablegen und darüber, wie sie die Mittel, die sie vom Staat erhalten, umsetzen. Auch können Nichtregierungsorganisationen demokratisch gewählte Parlamente nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Außerdem gibt es Beispiele von Organisationen, die Vertrauen missbrauchen. Deswegen braucht es klare Kriterien. Wir müssen uns kritisch auseinandersetzen mit den nicht immer positiven NRO-Phänomenen, wie auf -Mittelakquise spezialisierte Hauptstadt-NROs, die -Dominanz von Nord-NROs gegenüber kleinen Organisationen aus dem Süden oder die viel zitierte Katastrophenkarawane. Erwähnen möchte ich ein positives Beispiel aus -Afghanistan. Dort wurde im Vorfeld der Afghanistan-Konferenz in Bonn vor zwei Jahren ein Prozess angestoßen, der bis heute andauert. Zivilgesellschaftliche Organisationen aus allen Teilen des Landes – eben nicht nur die hochprofessionellen Hauptstadt-NROs – haben sich zusammengeschlossen und Forderungen an die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft formuliert. Erst diese Woche konnte ich mit Vertreterinnen und Vertretern dieses afghanisch getragenen Prozesses sprechen; das macht Hoffnung. Das, was diese kriegsgebeutelte Nation durch all die weiteren schwierigen Jahre stützen kann, ist eine aktive, bunte und gut vernetzte Zivilgesellschaft. Dies gilt nicht nur für Afghanistan. Das gilt für alle Länder, und es gilt ganz besonders für die fragilen Staaten. Denn gerade in Räumen begrenzter Staatlichkeit müssen die friedlichen, vorwärtsgewandten -Akteure in Lücken springen, die von staatlicher Seite freigelassen werden. Denn sonst wird diese Lücke von radikalen Kräften gefüllt. Diese Arbeit an der gesellschaftlichen Infrastruktur muss noch mehr in unser Bewusstsein und unser Bemühen rücken. Nach wie vor ist es für NROs schwer, sich für internationale Konferenzen zu akkreditieren oder eine Teilnahme auch nur zu finanzieren. Allein dies ist schon ein einfacher Hebel für mehr „Empowerment“ von Zivilgesellschaft. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist im Bereich der Stärkung von Zivilgesellschaft bereits aktiv. Aber die natürliche Partnerin dafür ist die vielfältige Zivilgesellschaft hier in Deutschland mit ihren Projekten, Partnerschaften und Netzwerken in zahlreichen Ländern des Südens. Darum ist es so fatal, dass sich trotz gegenteiliger Ankündigungen ein größer werdender Graben auftut zwischen der Bundesregierung, konkret dem BMZ, und der Zivilgesellschaft. Jüngstes Beispiel ist der erste deutsche Entwicklungstag, der mehr wegen Ignoranz und schlechter Einbindung der Zivilgesellschaft ins Wasser fiel als durch den Regen, der zusätzlich vor allem in Berlin zum Fiasko führte. Die zentrale Botschaft unseres grünen Antrags ist: Zivilgesellschaft ist aus einem partizipativ-emanzipatorischen Grundverständnis heraus die natürliche Partnerin der internationalen Zusammenarbeit. Förderung und Einbeziehung der Zivilgesellschaft sind von großer strategischer Bedeutung für eine menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung. Ich bitte um Zustimmung. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13728 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkte 34 a und 34 b: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Harald Ebner, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kennzeichnung von Honig mit Gentech-Pollen sicherstellen – Schutz der Imkerei vor GVO-Verunreinigungen gewährleisten – Drucksachen 17/12839, 17/13273 – Berichterstattung: Abgeordnete Josef Rief Elvira Drobinski-Weiß Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Harald Ebner b) Beratung der Beschlussempfehlung und des -Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Imkerei vor der Agro-Gentechnik schützen – Drucksachen 17/9985, 17/11057 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Max Lehmer Elvira Drobinski-Weiß Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Kirsten Tackmann Harald Ebner Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. Josef Rief (CDU/CSU): Die von den Linken und den Grünen vorgelegten Anträge gehen an der Realität völlig vorbei. Aber sicher muss jeder Versuch zur Skandalisierung genutzt werden, weil der Wahlkampf unmittelbar bevorsteht und die Bienen und ihre Imker wieder einmal dafür herhalten müssen. Da wir de facto keinen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in Deutschland haben, sind der Schutz von Bienen vor Grüner Gentechnik beziehungsweise die Verunreinigung von Honig und Pollen in Deutschland kein Problem. Warum sollen nun diese Anträge beschlossen werden? Dieses Wahlkampfmanöver ist auch ohne große Fachkenntnis leicht zu durchschauen. Betrachtet man die Anbauzahlen von gentechnisch veränderten Pflanzen der letzen Jahre genauer, stellt man fest, dass es nur die Ausnahme eines Versuchs-anbaus von Stärkekartoffeln zu Forschungszwecken gab und darüber hinaus keinerlei Anbau stattfindet. Diese Zahlen kennen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, auch ganz genau. Auch wissen Sie ganz genau, dass in Deutschland weder die Bevölkerung noch die Landwirtschaft besonders an der Einführung von gentechnisch veränderten Pflanzen und der Grünen Gentechnik insgesamt interessiert sind. Bei der Zulassung gibt es hohe europäische und nationale Hürden, weshalb sich der Anbau kaum lohnt. Zudem sind die Erfolge oft auch durch konventionelle Zucht zu erreichen. Bei der Einfuhr von Saatgut gilt eine Nulltolleranz gegenüber der Verunreinigung mit gentechnisch verändertem Material, sodass auch schon minimal verunreinigte Chargen nicht zur Aussaat zugelassen und vernichtet werden. Auf dem Weltmarkt kann man sehr gut nachvollziehen, dass der vermeintliche Vorteil beim Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen oft durch einen geringeren Weltmarktpreis gegenüber dem Preis für das konventionelle Produkt aufgezehrt wird. Dies sind die Gründe, warum es in Deutschland keine Grüne Gentechnik gibt und damit die Bedrohung schlichtweg nicht existiert, die von Linkspartei und den Grünen so gefürchtet wird. Eine mögliche Verunreinigung von Honig mit Pollen von gentechnisch veränderten Pflanzen könnte also nur bei importiertem Honig vorkommen. Hier hat der Europäische Gerichtshof in seinem sogenannten Honig-Urteil entschieden, dass solch ein Honig nicht nur deklariert werden muss, sondern auch einer Zulassung bedarf. Der Antrag der Grünen geht von falschen Vorstellungen aus. Pollen sind ein natürlicher Bestandteil von Honig, der ein reines Naturprodukt ist. Hier nun die Verunreinigung durch kleinste Mengen Pollen von gentechnisch veränderten Pflanzen zuverlässig nachweisen zu wollen, ist bisher technisch nicht möglich. Für so geringe Mengen fehlt eine brauchbare Analysemethode. Aber auch hier gilt, dass im Honig nur gentechnisch veränderte Pollen von Pflanzen enthalten sein dürfen, die in der EU als Lebensmittel zugelassen sind. Aus Sicht der Verbraucher ist die Entscheidung sehr einfach: Wer reinen deutschen Honig kauft, kann sicher sein, dass er ein gentechnikfreies, hochwertiges Produkt erwirbt. Der Verbraucher trägt so dazu bei, dass heimische Imkerinnen und Imker gefördert werden und die Anerkennung erfahren, die ihnen für ihre wichtige Arbeit gebührt. Wir stärken so die Attraktivität der Imkerei und können den Nachwuchssorgen begegnen, die es momentan gibt. Der Erhalt der Honigbiene als Honiglieferant und vor allem als Bestäuber im Gartenbau und in der Landwirtschaft sollte uns allen am Herzen liegen. Die Bestäubungsleistung übersteigt dabei die volkswirtschaftliche Bedeutung der Honigproduktion bei weitem. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, nicht die unnötige Angst vor gar nicht angebauten gentechnisch veränderten Pflanzen ist bei uns ein Problem. Vielmehr sollten wir uns um den Nachwuchs bei den Imkern kümmern und für einen professionellen Umgang mit Schädlingen wie der -Varroamilbe werben. Wir lehnen Ihre Anträge, wie vom Ausschuss empfohlen, ab. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Im September 2011 hat der Europäische Gerichtshof, EuGH, ein für Imker und Verbraucher grundlegendes Urteil verkündet: Der EuGH entschied, dass Honig, der Material bzw. Pollen von GVO-Pflanzen enthält, sowohl eine Lebensmittelzulassung als auch eine entsprechende Kennzeichnung braucht. Dies gilt unabhängig davon, ob das GVO-Material absichtlich beigegeben wurde oder nicht. Wir haben dieses Urteil sehr begrüßt: Der EuGH stellte damit klar, dass die mit der Lebensmittelzulassung verbundene Prüfung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit in jedem Fall und ohne Ausnahme bei allen für den menschlichen Verzehr geeigneten Pflanzen durchgeführt werden muss, denn ein Eintrag solcher GVO-Pflanzen in die Lebensmittelkette ist nicht auszuschließen. Der Gerichtshof bestätigt den Grundsatz der Nulltoleranz für Spuren von gentechnisch verändertem Material, das nicht über die nach EU-Recht erforderliche Zulassung verfügt. Er bestätigte, dass Honig aus dem Verkehr gezogen werden muss, wenn er auch nur geringste Spuren von nicht zu Lebensmittelzwecken zugelassenen gentechnisch veränderten Pollen enthält – und dies auch unabhängig davon, ob der Pollen zufällig und unbeabsichtigt in das Produkt geriet. Daraus folgt, dass betroffene Imker Anspruch auf Schadenersatz und Anspruch auf Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verunreinigung haben. Dieses Urteil schafft Klarheit für die Imker, und es schützt und stärkt Verbraucher und ihre Wahlfreiheit. Denn erstens: Honig mit Pollenanteilen gentechnisch veränderter Pflanzen ohne Lebensmittelzulassung darf nicht verkauft werden. Der dadurch dem Imker entstehende wirtschaftliche Schaden muss vom Verursacher der Verunreinigung ausgeglichen werden. Und zweitens: Honig mit Pollen, der zu 0,9 oder mehr Prozent aus GVO-Pollen besteht, muss entsprechend gekennzeichnet werden. Solcher Honig ist also für Verbraucher zu erkennen und kann je nach Wunsch gekauft oder gemieden werden. Dass Honig ohne entsprechende Kennzeichnung auch wirklich keine GVO enthalten darf, stärkt das Image des Honigs und das Vertrauen der Verbraucher. So weit, so gut. Im September 2012 aber hat die EU-Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2001/110/EG über Honig vorgelegt, der der Intention des EuGH-Urteils zuwiderläuft. In diesem -Vorschlag ist eine Definition des Pollens als „Bestandteil“ des Honigs vorgesehen. Honig, der gentechnisch veränderte Pollen enthält, bliebe damit ohne entsprechende Kennzeichnung. Denn danach würde der Grenzwert von 0,9 Prozent GVO-Anteil (ab dem Lebensmittel nach EU-VO 1829/2003/EG als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden müssen) nicht für den Pollen im Honig gelten, sondern für das Gesamtprodukt Honig. Da der Pollenanteil in Honig sich aber nur zwischen 0,1 Prozent und 0,5 Prozent bewegt, würde also die Kennzeichnungspflicht nie ausgelöst. Der EuGH dagegen hatte im September 2011 entschieden, Pollen in Honig sei wie eine „Zutat“ zu behandeln. Damit würden im Falle der GVO-Verunreinigung die 0,9 Prozent für den Pollen selbst gelten, und Honig mit GVO-Pollen würde kennzeichnungspflichtig. Der Bundesrat hat daraufhin am 23. November 2012 den EU-Kommissionsvorschlag zur Änderung der Honig-Richtlinie abgelehnt und einen Beschluss gefasst, der der Linie des EuGH-Urteils folgt und die Kennzeichnung von Honig mit GVO-Pollen verlangt, damit Verbraucher dies erkennen können. Mit unserem Antrag „Kennzeichnung von Honig mit Gentech-Pollen sicherstellen – Schutz der Imkerei vor GVO-Verunreinigungen gewährleisten“ fordern wir die Bundesregierung auf, den Bundesratsbeschluss vom 23. November 2012 umzusetzen. Damit sollen Verbraucherinnen und Verbraucher endlich erkennen können, ob in Honig GVO-Pollen enthalten sind oder nicht. Honig, der GVO-Pollen enthält, soll als solcher gekennzeichnet werden müssen. Zudem soll die Nulltoleranz für Verunreinigungen von Lebensmitteln mit nichtzugelassenen GVO unbedingt erhalten bleiben. Um einen besseren Schutz der gentechnikfreien Land- und Lebensmittelwirtschaft zu gewährleisten, fordert der Bundesrat zudem, dass die Bundesländer über die bundesweiten Bestimmungen hinausgehende Abstandsregelungen treffen dürfen. Die Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP haben im Ausschuss beschlossen, unseren Antrag abzulehnen. Wir fordern die Regierungsfraktionen auf, diese Ausschussempfehlung abzulehnen und unserem Antrag zuzustimmen. Dafür gibt es gute Gründe: Der Vorschlag der EU-Kommission hat negative Auswirkungen: Er hat negative Auswirkungen für die Verbraucherinnen und Verbraucher, denn danach bliebe Honig, der gentechnisch veränderte Pollen enthält, ohne entsprechende Kennzeichnung. So kann ihnen Gentechnik untergeschoben und einer schleichenden Verunreinigung Vorschub geleistet werden. Dies steht im Widerspruch zu Transparenz und Wahlfreiheit für Verbraucher. Er hat negative Auswirkungen für die Imker, denn darunter leidet das Image des Honigs als gesundes, natürliches Produkt. Zudem ergeben sich aus der Kennzeichnungspflicht auch Schadenersatzansprüche und eventuell Konsequenzen hinsichtlich der Maßnahmen zum Schutz vor GVO-Verunreinigungen. Deshalb möchten die Imker den Pollen im Honig wie eine Zutat behandelt und die Interessen der Bienenwirtschaft endlich im Gentechnikrecht berücksichtigt wissen. Der Vorschlag der EU-Kommission steht nicht im Einklang mit dem EuGH-Urteil. Hier ist eine neue Sachlage entstanden, die es unbedingt notwendig macht, dass CDU/CSU und FDP ihre Haltung überdenken. Denn inzwischen soll es ein Gutachten von den Rechtsexperten des EU-Ministerrats geben, welches den Kommissionsvorschlag als „rechtswidrig“ einstuft. In dem Gutachten soll laut Informationsdienst Gentechnik die Rede davon sein, dass die Absicht der Kommissare „Anlass zu Bedenken“ gebe. Denn die Auslegung des Gerichtshofs, dass Pollen eine Zutat des Honigs sei, dürfe nicht einfach umgangen werden. Sollten Mitgliedstaaten und Parlament einer Änderung der Honigrichtlinie zustimmen und es in der Folge zu einem Rechtsstreit kommen, würde dieser „vermutlich damit enden, dass sie für rechtswidrig befunden würde“, so der juristische Dienst des Ministerrats. Die Richter würden die Ausnahme für Gentechnikpollen wohl kassieren und dies damit begründen, dass sie „dem Ziel des Schutzes der menschlichen Gesundheit zuwiderläuft“, so die Sachverständigen. Deshalb, werte Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen, fordere ich Sie auf, sich unserem gemeinsam von SPD und Grünen erarbeiteten Antrag anzuschließen und auf Einhaltung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs zu dringen. Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Nur wenn eine Gefahr besteht, ist es notwendig, Schutz zu suchen. Bei strahlend blauem Himmel braucht man auf dem Spaziergang keinen Regenschirm mitzunehmen. Beimengungen von Pollen von gentechnisch veränderten Pflanzen beeinträchtigen in keiner Weise die Qualität von Honig. Beide Anträge bewirken somit nichts für die Imkerinnen und Imker. Imkerinnen und Imker müssen ihre Bienenvölker vor verschiedenen Parasiten und Krankheiten schützen, die Varroamilbe hat einen erheblichen Anteil an den Völkerverlusten im Winter; doch dazu leisten die beiden Anträge nichts. Das heißt, sie blenden ein ganz wesentliches Problem der Imkerinnen und Imker völlig aus. Ziel der Anträge ist somit nicht die Unterstützung der Imkerinnen und Imker. Ziel ist es vielmehr, die Züchtungsmethode Grüne Gentechnik zu thematisieren und die Ablehnung dieser wichtigen und weltweit erfolgreichen Züchtungsmethode zum Ausdruck zu bringen. Die Grünen sind schon lange auf diesem Weg, die SPD hat sich nachträglich wider besseres Wissen angeschlossen und eine eigenständige Bewertung der Züchtungsmethode aufgegeben. Bei der Anwendung der Gentechnik zur Züchtung von Mikroorganismen haben die Grünen inzwischen ihren Protest aufgegeben und die Realität anerkannt. Immer mehr Wirkstoffe für Arzneimittel, Impfstoffe, Zusatzstoffe zu Lebens- und Futtermitteln wie Vitamine, Enzyme wie Chymosin zur Käseherstellung werden mithilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen produziert. Das spart Wasser, Energie und Kosten und ist damit ein Beitrag zur Nachhaltigkeit. Gentechnik ist inzwischen Alltag. Und das ist gut so. Da haben die beiden Anträge leicht anachronistische Züge. Die FDP unterstützt den Vorschlag der EU-Kommission zur Änderung der Honigrichtlinie. Die Ablehnung des Kommissionsvorschlags durch SPD und Grüne macht deutlich, dass Priorität in beiden Fraktionen die Ablehnung der Gentechnik ist und nicht die Sicherstellung des Produktes Honig. Die Änderung der Honigrichtlinie wurde notwendig durch das Fehlurteil des EuGH, in dem Pollen im Honig als Zutat bezeichnet wurde. Eine große Mehrheit in der EU unterstützt die von der Kommission beabsichtigte Klarstellung in der Honigrichtlinie. Pollen ist ein natürlicher, honigeigener Bestandteil. Pollen ist keine Zutat vergleichbar den vom Pizzabäcker auf die Pizza gelegten Tomaten, sondern wird von den Bienen eingetragen. Honig ist ein natürliches Monoprodukt. Dies wird in allen Regelungen über Honig berücksichtigt. Ein Beispiel dafür ist die Bestimmung des Pollenspektrums zum Nachweis über die Sortenreinheit des Honigs. Wäre Pollen eine Zutat, bräuchte der Honig ein Zutatenverzeichnis. Der Vorschlag der EU-Kommission stellt sicher, dass Honig auch in Zukunft kein Zutatenverzeichnis braucht. Die FDP sieht sich durch das Handeln der EU-Kommission in ihrer Auffassung bestätigt. Es ist gut, dass eine Koalition der Vernünftigen in der EU sich einig ist, die durch das Fehlurteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-442/09 verursachte Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Schon jetzt wird entsprechend dem Kommissionsvorschlag gehandelt. In keinem Land der EU wird Pollen als Zutat bei Honigen aufgeführt. Vom Kommissionsvorschlag unberührt bleibt die Tatsache, dass Honig mit Pollen aus nichtzugelassenen gentechnisch veränderte Pflanzen grundsätzlich weiterhin nicht verkehrsfähig ist. Auch das Beharren auf der sogenannten Nulltoleranz gegenüber nicht in Europa zugelassenen gentechnisch veränderten Pflanzen bringt weder für die Imker noch für sonst jemand einen Vorteil. Die Nulltoleranz für Futtermittel wurde bereits aufgehoben. Es ist überfällig, dass sie auch für Lebensmittel und Saatgut aufgehoben wird. Sie verursacht Kosten, die letztlich von den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu bezahlen sind, denen kein Nutzen gegenübersteht. Sie führt außerdem zu Rechtsunsicherheit. Es ist ein Beispiel für Heuchelei, wenn die Grünen einerseits die Verschwendung von Lebensmitteln beklagen und andererseits fordern, dass geringste Spuren von nichtzugelassenen gentechnisch veränderten Pflanzen in Lebensmitteln zum Verlust der Verkehrsfähigkeit führen und vernichtet werden müssen. Es geht offensichtlich nicht um Sicherheit, sondern um Prinzipienreiterei. Wer ein gelbes Auto bestellt und einen grünen Farbtupfer auf dem Kotflügel findet, fordert auch nicht, das Auto der Schrottpresse zuzuführen. Immerhin hat Rot-Grün inzwischen zur Kenntnis genommen, dass der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen Bienen nicht gefährdet. Das ist ein Fortschritt. Die vom Von-Thünen-Institut in Braunschweig vorgestellten Ergebnisse haben sehr überzeugend bestätigt, dass gentechnisch veränderter Mais und sein Pollen die Gesundheit von Bienen nicht gefährden. Der Anbau von insektenresistentem Bt-Mais ist schonender für die Natur als die Bekämpfung von Schadinsekten mit Pflanzenschutzmitteln. Das haben Langzeitversuche in Bayern schon vor mehreren Jahren ergeben. Die Ergebnisse der Untersuchung sollten dazu führen, die grundsätzliche Ablehnung von Bt-Mais zu überdenken und den Anbau von gentechnisch veränderte Sorten als eine Möglichkeit für eine naturverträgliche Landwirtschaft stärker in den Fokus zu rücken. Inzwischen werden weltweit auf über 170 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Es ist an der Zeit, über die Nutzung der Züchtungs-methode nachzudenken, statt die Phantasie anzustrengen, um sie weiter zu diskreditieren. Vielleicht ist eine Idee aus den USA dabei hilfreich. Dort wollen Gentechnikfans „Gentechnik für alle“ und stellen dafür Baukästen zur Verfügung. Auf die Ergebnisse sind wir alle gespannt. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die Linke will die Bienen schützen, zum Beispiel weil ihre Bestäubungsleistung für gute Ernten wichtig ist. Doch leider werden sie vielfältig bedroht: durch Blühpflanzenarmut in der modernen Agrarlandschaft, durch Pflanzenschutzmittel, durch Krankheiten oder auch durch gentechnisch veränderte Pflanzen. Wir können und sollten also nicht einfach so weitermachen, sondern müssen etwas ändern. Gerade weil Honig eines der gesündesten Lebensmittel ist, muss die Unvereinbarkeit von Agrogentechnik und der gentechnikfreien Imkerei ernst genommen werden. Riskant sind dabei zwei Effekte: Zum einen werden Bienen durch gentechnisch veränderte Pflanzen, die zu ihrem Schutz insektenschädliche Substanzen produzieren, beeinträchtigt. Zum anderen wird Honig durch den Eintrag von Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen entwertet. Deshalb wird der Schutz der gentechnikfreien Imkerei und Landwirtschaft vor transgenen Pflanzen -bereits seit Jahren von Bauern-, Umwelt- und Verbraucherorganisationen sowie kritischen Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftlern gefordert. Falls kein Verbot des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen erreicht werden kann, sollen wenigstens bienensichere Abstände zwischen Bienenstöcken und Feldern mit gentechnisch veränderten Pflanzen von bis zu 10 Kilometern eingehalten werden. So weit können Bienen fliegen, um Pollen zu sammeln. Ein solcher Abstand müsste in der Gentechnik-Pflanzenerzeugungsverordnung geregelt werden. Das Risiko für wildlebende Insekten reduziert das übrigens nicht; aus dieser Sicht wäre auch das kein guter Kompromiss. Und das Standortregister muss für mehr Bienenschutz weiterentwickelt werden. In diesem Register sind alle Gentechflächen dokumentiert, egal ob es sich um kommerziellen Anbau oder um Freisetzungsversuche handelt. Am 27. März 2012 urteilte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, dass Imkerinnen und Imker keinen Anspruch auf Schutzmaßnahmen gegen die Verunreinigung ihres Honigs durch den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen haben. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, dass Verunreinigungen des Honigs durch Pollen des gentechnisch veränderten Mais MON 810 aber dazu führen, dass dieser Honig nicht mehr verkauft werden darf. Vorausgegangen war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, EuGH. Dieser stellte am 6. September 2011 fest, dass die Verkehrsfähigkeit des Honigs durch die MON810-Pollen-Verunreinigungen beeinträchtigt wird. Im Klartext: Schutz für die Imkerei gibt es nicht, aber der Honig muss als Müll entsorgt werden. Deshalb fordert die Linke in ihrem Antrag auf Bundestagsdrucksache 17/9985, dass die Imkerei wirksamer vor Verunreinigungen durch gentechnisch veränderte Pollen geschützt werden muss. Dafür soll die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des Gentechnikgesetzes vorlegen. Das wäre ein wichtiger, wenn auch längst nicht der einzige notwendige Baustein zu einer bienenfreundlicheren Landwirtschaft. Doch die Bundesregierung hat für Bienen höchstens Aktionismus übrig. So zum Beispiel die neue Bienen-App, die Ministerin Aigner kürzlich in Berlin vorstellte. Das mag vielleicht die eine oder den anderen für die Bienen sensibilisieren – und das ist auch nicht unwichtig. Aber Bienenschutz auf dem Smartphone nutzt gar nichts, wenn er nicht auch auf dem Acker stattfindet. Die ökologischen Vorrangflächen als Teil einer neuen EU-Agrarpolitik ab 2014, die auch zu mehr Blühflächen genutzt werden können, wurden lange aus dem Aigner-Ministerium bekämpft. Dem zeitweisen Verbot besonders bienengefährlicher Pestizide hat die Bundesregierung erst nach enormem öffentlichem Druck in Brüssel zugestimmt. Dabei gibt es viel und Dringendes zu tun. Ohne umfangreiche Änderungen im nationalen und europäischen Gentechnikrecht gibt es keinen besseren Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher, die gentechnikfreie Landwirtschaft und Imkerei. Als Sofortmaßnahme wollen wir den Schutz der Imkerei wirksam verbessern. Wir halten es für richtig, dass Honig nicht verkauft werden darf, wenn er Pollen von transgenen Pflanzen enthält, die keine Lebensmittelzulassung haben. Paradox und nicht hinnehmbar ist, dass gleichzeitig kein Rechtsanspruch auf den Schutz vor solchen Verunreinigungen besteht. Deshalb muss das durch den Gesetzgeber unverzüglich geändert werden. Eine besondere Sorgfaltspflicht muss -neben dem Verursacherprinzip auch den Vorsorge-gedanken bei der Risikotechnologie Agrogentechnik stärken. Doch das Handeln der Koalition sieht ganz anders aus: Unionskollege Lehmer betonte in der ersten Lesung unseres Antrages, dass Sicherheitsabstände zu Bienenkörben nicht so groß sein dürfen, dass Gentechnikanbau verhindert wird. Statt eines konsequenten Reinheitsgebots für Honig fordert er also, nicht als Lebensmittel zugelassene Gentechbestandteile im Honig einfach zu tolerieren, das heißt eigentlich: zu ignorieren. Der Schutz der Interessen der Gentechkonzerne ist der Koalition offensichtlich wichtiger als der Schutz der Bienen und des Honigs. SPD und Grüne fordern in ihrem Antrag, den Änderungsvorschlag der EU-Kommission zur Honigrichtlinie abzulehnen. Mit diesem reagiert die EU-Kommission auf das bienen- und imkerfreundliche EuGH-Urteil. Aber statt der Intention dieses Urteils zu folgen, sucht sie nach einer Lösung im Interesse der Agroindustrie. Der Bundesrat dagegen stellte sich hinter die Imkerverbände und hat im vergangenen November ihre wesentlichen Kritikpunkte am Vorschlag der EU-Kommission aufgegriffen. Er hat die Bundesregierung aufgefordert, sich für eine eindeutige Klarstellung der rechtlichen Bewertung von Pollen im Honig einzusetzen, die der verbraucher- und bienenfreundlichen Intention des Honigurteils folgt. Das ist auch für die Linke entscheidend: Die Verbraucherinnen und Verbraucher lehnen mehrheitlich Agrogentechnik ab und wollen sie nicht in Lebensmitteln. Der Schutz der gentechnikfreien Imkerei ist also ein klarer gesellschaftlicher Auftrag an uns als Gesetzgeber. Die Argumentation des EuGH-Urteils, Pollen wäre eine Zutat, ist umstritten. Das wäre nur schlüssig, wenn Pollen durch Handlungen der Imkerin oder des Imkers eingetragen würde. Es gibt solche Arbeitsgänge, aber natürlich wird Pollen auch durch Bienen eingetragen und ist damit ein natürlicher Bestandteil des Honigs. Aber unabhängig von diesem Streitpunkt unterstützen wir als Linke die politische Intention des EuGH. Eine Änderung der Honigrichtlinie halten wir für nötig, aber eben nicht im Interesse der Gentechnik-industrie, sondern im Interesse der Gesellschaft. Der Kommissionsvorschlag hätte zur Folge, dass mit gentechnisch veränderte Pollen kontaminierter Honig nicht als solcher gekennzeichnet werden muss. Das ist definitiv nicht im Sinne eines vorsorgenden Verbraucherschutzes. Für Verbraucherinnen und Verbraucher muss klar erkennbar sein, ob ein Honig GVO-Pollen enthält oder nicht. An der Nulltoleranz gegenüber in der EU nichtzugelassenen GVO muss festgehalten werden, erst recht bei -Lebensmitteln wie Honig. Wir wollen das tolle Naturprodukt frei von Gentechpollen. Darüber hinaus fordert die Linke aber generell eine bienenfreundlichere Agrarpolitik. Auf die Agrogentechnik kann dabei völlig verzichtet werden. Sie ist teuer und riskant. Außerdem wollen acht von zehn Verbraucherinnen und Verbrauchern sie nicht haben, wie regelmäßige Umfragen immer wieder belegen. Das hat selbst die Agroindustrie verstanden. Anfang des Jahres verlegte die BASF ihre Genforschung in die USA. Vergangene Woche kündigte Monsanto an, kein Gentech-lobbying mehr in der EU machen zu wollen. Es sei kontraproduktiv, gegen Windmühlen zu kämpfen, so eine Konzernsprecherin. Da hat der Konzern einmal recht. Allerdings muss er beweisen, dass er es ernst meint, und alle Anträge auf Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen zurückziehen, egal ob für Anbau oder Handel. Alles andere ist nur Propaganda, und das werden wir Monsanto nicht durchgehen lassen. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Honig ist eines der beliebtesten Lebensmittel überhaupt. Laut einer aktuellen Umfrage essen fast zwei Drittel der Menschen in Deutschland regelmäßig Honig. Er gilt als gesundes, unverfälschtes Naturprodukt. Doch der gute Ruf dieses Lebensmittels wird durch das Ansinnen der EU-Kommission aufs Spiel gesetzt. Durch die Hintertür der EU-Honigrichtlinie wird versucht, ein sehr wichtiges Urteil des Europäischen Gerichtshofes auszuhebeln. Dieser hatte im September 2011 entschieden, dass Pollen im Honig als Zutat zu werten ist. Wenn über 0,9 Prozent des enthaltenen Pollens von gentechnisch veränderten Pflanzen, GVO, stammen, muss Honig demnach als Genfood gekennzeichnet werden. Die Kommission will nun Pollen als natürlichen Bestandteil von Honig definieren. Damit würde die Kennzeichnungspflicht de facto wegfallen. Warum ist das so? Weil der Pollenanteil im Honig von Natur aus stets weit unter 0,5 Prozent liegt. Und die Folge? Selbst wenn Honig und der darin enthaltene Pollen zu 100 Prozent von Gentechpflanzen stammen, werden Konsumentinnen und Konsumenten darüber nicht informiert. Das ist ein Skandal! Die Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten zu Recht, dass alle Lebensmittel, die unter Beteiligung von gentechnisch veränderten Pflanzen produziert werden, als solche gekennzeichnet werden. Es kann und darf nicht sein, dass GVO-Pollen im Honig durch einen juristischen Trick einfach zum „natürlichen“ Bestandteil von Honig umdefiniert wird. Doch die Bundesregierung versucht, die Änderung der EU-Honigrichtlinie als „Fortschreibung der gegenwärtigen Praxis“ zu verharmlosen und die massiven Auswirkungen auf den Verbraucherschutz als „allenfalls gering“ kleinzureden. Damit versucht Schwarz-Gelb die Öffentlichkeit für dumm zu verkaufen! Kommission und Bundesregierung nutzen die technischen Herausforderungen bei der quantitativen Bestimmung des GVO-Pollenanteils jetzt dazu, in ihren Augen unbequemes Recht durch „kreative“ Normensetzung zu umgehen. Das Vorhaben der EU-Kommission ist auch ein Anschlag auf unsere Imkerei. Wenn keine Kennzeichnungspflicht besteht, wird es für Imkerinnen und Imker fast unmöglich, bei GVO-Verunreinigungen ihrer Produkte erfolgreich Schadenersatz einzuklagen. Bei der Frage der Kennzeichnung von Honig mit GVO-Pollen geht es also um grundlegende Prinzipien des Verbraucherschutzes wie Transparenz, Wahlfreiheit und die dauerhafte Sicherung der gentechnikfreien Lebensmittelwirtschaft. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, den Kommissionsvorschlag abzulehnen und sich für eine Kennzeichnung von Honig mit GVO-Pollen einzusetzen. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes hatte Ministerin Aigner das Urteil noch ausdrücklich dafür gelobt, dass es Klarheit und Transparenz für den Verbraucher schaffe. Frau Aigner kündigte zugleich an, die Entscheidung der Richter in eine Novelle des Gentechnikgesetzes einfließen zu lassen. Heute aber will die Bundesregierung von dieser Begeisterung und ihrem Versprechen nichts mehr wissen. Schwarz-Gelb unterstützt jetzt unverblümt den verbraucher- und imkerfeindlichen Kommissionsplan und ignoriert seine fatalen Auswirkungen völlig. Der Juristische Dienst des EU-Ministerrates hat in einem Gutachten erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des aktuellen Vorschlages geäußert. Umwelt-, Verbraucher- und Imkerverbände und auch der Bundesrat lehnen den Kommissionsplan ab. Doch die Interessen der Gentechlobby, der Honigimporteure und die Angst vor WTO-Klagen sind für EU-Kommission und Bundesregierung offenbar wichtiger. Das eigentliche Motiv zur geplanten Änderung der Honigrichtlinie ist nicht etwa eine rechtliche Klarstellung oder gar das berechtigte Anliegen, den Imkerinnen und Imkern den Aufwand einer Neuetikettierung ihrer Honiggläser – mit dem Hinweis „enthält Pollen“ – zu ersparen. Dieses Ziel ließe sich auch auf anderen rechtlichen Wegen erreichen. In Wahrheit geht es um etwas ganz anderes: EU-Kommission und Schwarz-Gelb wollen die Tür für die Agrogentechnik in Europa weiter offenhalten – gegen den Willen einer breiten Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher, Imkerinnen und Imker sowie Bäuerinnen und Bauern. Da Bienen zum Pollensammeln bis zu 10 Kilometer weit fliegen, ist eine Koexistenz der – gentechnikfreien – Imkerei mit dem Anbau von Gentech-Pflanzen bei der kleingliedrigen Agrarstruktur in den meisten Regionen Deutschlands und Europas praktisch unmöglich. Bei einer Kennzeichnungspflicht für GVO-Pollen in Honig müssten die Nutzer der Agrogentechnik mit einer Welle von Schaden-ersatzklagen vonseiten der Imkerschaft rechnen. Allein das ist der Grund, warum Schwarz-Gelb die berechtigten Interessen der Imkerinnen und Imker nach wie vor ignoriert und es bis heute nicht geschafft hat, deren Schutzansprüche im Gentechnikgesetz zu verankern. Wir Grüne fordern schon seit Jahren, diesen Zustand zu beenden. Auch der Bundesrat hat mit seinem Beschluss vom 23. November 2012 die Bundesregierung beauftragt, für eine bundeseinheitliche Regelung zum Schutz der Imkerei zu sorgen sowie eine Ermächtigung der Länder für entsprechende Regelungen zum Schutz von Landwirtschaft und Imkerei vor GVO-Verunreinigungen zu schaffen. Aber selbst die Forderung ihres Parteifreundes und damaligen bayerischen Umweltministers Söder nach Mindestabständen von 3 Kilometern zwischen Bienenstöcken und Genäckern hat nichts an dieser Untätigkeit von Ministerin Aigner geändert. Diese überfälligen Hausaufgaben muss die Bundesregierung endlich erledigen! Ministerin Aigner hat jüngst werbewirksam auf dem Berliner Dom eine Bienen-App für Smartphones präsentiert. Mit diesem Programm kann man einen virtuellen Balkon mit virtuellen Blühpflanzen bestücken, welche dann von virtuellen Bienen besucht werden, um virtuellen Honig zu produzieren. Den soll man dann sogar – kein Witz – per E-Mail an Freunde verschicken. Fazit: Die Bundesregierung begnügt sich damit, in einer Parallelwelt aus Bits und Bytes für garantiert gentechnikfreien Honig und genügend Blütennahrung für Bienen zu sorgen. Das passt zum politischen Stil von Merkel und Aigner: Es wird viel versprochen, und Handeln wird durch PR-Aktionen vorgetäuscht, aber am Schluss passiert wenig bis nichts. Doch die Menschen in diesem Land erwarten auch beim Bienen- und Verbraucherschutz von dieser Regierung mehr als billige Schaufensterpolitik. Am 10. Juni dieses Jahres steht in Brüssel die Zulassung von Pollen der Gentech-Maissorte MON810 als Lebensmittel sowie eine mögliche Entscheidung über die Importzulassung des Genmaises SmartStax auf der Tagesordnung. Letzterer enthält neben zwei Herbizidresistenzen auch sechs verschiedene Insektengifte. Deutschlands Abstimmungsverhalten zu diesen Punkten wird ein weiterer Lackmustest dafür sein, wie ernst es Ministerin Aigner mit dem Schutz der Umwelt und der gentechnikfreien Lebensmittelproduktion wirklich meint. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Tagesordnungspunkt 34 a. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13273, den Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12839 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 34 b: Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11057, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/9985 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung von SPD und Grünen. Tagesordnungspunkt 35: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Sönke Rix, Ute Kumpf, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrich Schneider, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Freiwilligendienste in zivilgesellschaftlicher Verantwortung stärken – Drucksachen 17/9926, 17/12904 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Tauber Sönke Rix Florian Bernschneider Heidrun Dittrich Ulrich Schneider Die Reden gehen zu Protokoll. Dorothee Bär (CDU/CSU): Wir debattieren heute über einen Antrag von zwei Oppositionsfraktionen vom 12. Juni 2012 – einen Antrag, der fast ein Jahr alt ist und der daher die aktuellen Entwicklungen und den anhaltenden Erfolg des neuen Dienstes überhaupt nicht berücksichtigt. Der Bundesfreiwilligendienst ist knapp zwei Jahre nach seinem Start immer noch eine riesige Erfolgsgeschichte. Die Aussetzung des Zivildienstes hat die christlich-liberale Koalition dazu genutzt, freiwilliges Engagement in Deutschland auf eine breitere Basis zu stellen. Nicht mehr nur junge Männer, sondern Frauen und Männer jeden Alters können sich im Bundesfreiwilligendienst engagieren. Gleichzeitig haben wir die bereits bestehenden und bewährten Jungendfreiwilligendienste gestärkt. Neben den mehr als 200 Millionen Euro, mit denen der Bund den Bundesfreiwilligendienst fördert, haben wir auch die Mittel für die Jugendfreiwilligendienste erhöht auf über 90 Millionen Euro jährlich. Das sind fast viermal so viele Fördermittel wie in den Jahren davor. Noch nie wurden Bundesmittel in dieser Höhe für die Jugendfreiwilligendienste bereitgestellt. Das Ergebnis: Heute haben wir über 85 000 Freiwillige im Bundesfreiwilligendienst und in den Jugendfreiwilligendiensten. Mehr als 40 Prozent der Freiwilligen im Bundesfreiwilligendienst sind über 27 Jahre alt, rund 20 Prozent über 50 Jahre. Dass sich so viele Menschen, vor allem auch ältere, in Deutschland freiwillig engagieren, war bei der Einführung des Bundesfreiwilligendienstes zum 1. Juli 2011 überhaupt nicht absehbar. Vor allem die Oppositionsfraktionen, die heute in ihrem Antrag selbst zugestehen müssen, dass „die Warnungen vor Verwerfungen im Sozialbereich infolge der Zivildienstaussetzung unbegründet und übertrieben waren“ und jetzt ausdrücklich feststellen, dass „das große Interesse“ an einem Bundesfreiwilligendienst nicht verwundert, waren vorher die größten Kritiker des neuen Dienstes. Was haben Sie nicht wortreich und lautstark vor mangelnder Akzeptanz und vor Konkurrenz für die Jugendfreiwilligendienste gewarnt! Und vor allem haben Sie angezweifelt, dass es ausreichend Interessierte geben werde. Alles nicht eingetroffen – ganz im Gengenteil! Da Sie daher nun mangelndes Interesse nicht mehr überzeugt beklagen können, meinen Sie stattdessen jetzt „handwerkliche Mängel“ bei der Einführung des Bundesfreiwilligendienstes feststellen zu müssen, die zu beheben seien. Es ist Ihnen ein Dorn im Auge, dass die Freiwilligendienste nicht vollständig zivilgesellschaftlich organisiert sind. Um das zu erreichen, stellen Sie einige Forderungen, auf die ich gerne eingehe: Sie fordern, das Trägerprinzip im Bundesfreiwilligendienst zu stärken, indem es gesetzlich verpflichtend vorgeschrieben werden soll. Wir dagegen sehen dazu keine Notwendigkeit, da die Einsatzstellen und Verbände ihre internen Strukturen im Bundesfreiwilligendienst sehr gut selbst gestalten können. Ihre Forderungen zur Verbesserung der Anerkennungskultur wurden von uns längst in vielfältiger Weise umgesetzt: Nicht nur die Freiwilligen im Bundesfreiwilligendienst, sondern auch die in den Jugendfreiwilligendiensten erhalten einen kostenlosen Freiwilligenausweis. Nun ist es Aufgabe der Kommunen und der Privatwirtschaft, diesen Ausweis für Vergünstigungen, zum Beispiel bei Eintrittsgeldern für kulturelle oder sportliche Veranstaltungen, anzuerkennen. Bei der Vergabe von Studienplätzen wird die Zeit, die sich Jugendliche in Freiwilligendiensten engagieren, bereits in vielen Fällen als Wartezeit berücksichtigt. Insoweit kann der Bund nur weiter an die zuständigen Länder und Hochschulen selbst appellieren, den Freiwilligendienst anzuerkennen; er kann dies seinerseits nicht gesetzlich vorschreiben. Die Öffentlichkeitsarbeit für die Freiwilligendienste betreibt der Bund effektiv: Obwohl es immer noch mehr Bewerberinnen und Bewerber gibt als offene Stellen, werden weiterhin Informationsmaterialien für die Öffentlichkeitsarbeit hergestellt. Einem Aspekt, auf den Sie in Ihrem Antrag hinweisen, widmen auch wir unsere volle Aufmerksamkeit: Die Sicherstellung der Arbeitsmarktneutralität der Freiwilligendienste ist von entscheidender Bedeutung für deren gesamtgesellschaftlichen Erfolg. Gerade dadurch, dass wir den Bundesfreiwilligendienst auch für ältere Interessierte und arbeitslose Menschen geöffnet haben, müssen wir genau hinsehen, dass die Tätigkeiten, die die Freiwilligen ausführen, wirklich arbeitsmarktneutral ausgestaltet sind. Wir stellen dies sicher, indem sich die Einsatzstellen gegenüber dem Bund nicht nur zur Wahrung der Arbeitsmarktneutralität verpflichten müssen, sondern auch bestätigen müssen, dass der Betriebs- oder Personalrat bei der Entscheidung über den Einsatz Freiwilligendienstleistender beteiligt wurde. Außerdem überprüft das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben alle Hinweise auf die Verletzung der Arbeitsmarktneutralität und verhängt Sanktionen bei Verstößen: Rückforderungen der Förderung bis hin zum Entzug der Zulassung als Träger sind möglich. Noch ein Wort zur Rolle des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Sie kritisieren und befürchten einen Interessenkonflikt dadurch, dass das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben sowohl für die administrative Durchführung des Bundesfreiwilligendienstes zuständig, zugleich aber auch Träger der Zentralstelle ist. Doch dadurch, dass beide Aufgabenbereiche von getrennten Organisationseinheiten im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben durchgeführt werden, kann es zum einen gar nicht zu einem Interessenkonflikt kommen. Zum anderen wurde die Funktion des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben als Zentralstelle von den Bundesländern und auch von vielen zivilgesellschaftlichen Einsatzstellen und Trägern ausdrücklich gewünscht. Für alle, die sich keiner anderen Zentralstelle zuordnen wollten, wurde so die Möglichkeit geschaffen, am Bundesfreiwilligendienst teilzunehmen. Was die von Ihnen geforderte Information über Zwischenergebnisse der Evaluation der Dienste betrifft, so ist geplant, dass erste Ergebnisse bereits Ende 2013 in einem Zwischenbericht vorgelegt und auch dann schon diskutiert werden, um möglicherweise noch an der einen oder anderen Stelle nachjustieren zu können. Meine Damen und Herren von der Opposition, die Realität des erfolgreichen Bundesfreiwilligendienstes hat Ihren Antrag bereits überholt. Springen Sie über Ihren Schatten und freuen Sie sich mit uns über den Erfolg, von dem unsere ganze Gesellschaft profitiert. Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Es ist nun nahezu ein Jahr her, dass wir den vorliegenden Antrag von SPD und Grünen auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestags stehen hatten. Schon damals hatte ich zu Protokoll gegeben, dass der Antrag nicht sonderlich gelungen ist. Daran hat sich, ein Jahr später und damit auch einige Entwicklungsschritte weiter, nichts geändert. Im Gegenteil: Eine Reihe der Forderungen, die in dem Antrag erhoben werden, sind nun noch mehr überholt, als sie damals schon waren. Ich verrate Ihnen insofern wahrlich kein Geheimnis, wenn ich schon vorab erkläre, dass meine Fraktion diesen Antrag auch dieses Mal ablehnt. Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, einige Worte zum Verhältnis von Bundesfreiwilligendienst und den Jugendfreiwilligendiensten zu verlieren. Zwischenzeitlich hat der BFD nunmehr fast sein zweites Jahr abgeschlossen. Vorausgegangen war ein unsägliches Gezeter der versammelten Opposition: Der Bundesfreiwilligendienst wird als Lückenbüßer für den Zivildienst nicht funktionieren und kein Erfolgsmodell sein. – Das war die Aussage eines grünen Redners von damals; um nur ein Beispiel zu nennen. Heute wissen wir, dass diese vom Pessimismus geprägten Aussagen gravierende Fehleinschätzungen gewesen sind. Zwei Jahre nach seiner Einführung läuft der Bundesfreiwilligendienst sehr erfolgreich. Neben der Tatsache, dass die Bundesregierung die Weichen bei der Einführung richtig gestellt hat, ist dies ganz entscheidend auch der sehr klugen und hochprofessionellen Organisation von Herrn Dr. Jens Kreuter, dem ehemaligen Bundesbeauftragten für den Zivildienst, und seinem Team zu verdanken. Herr Dr. Kreuter hat den höchsten Respekt aller Beteiligten für den Kraftakt verdient, den er zu bewältigen hatte, um den Bundesfreiwilligendienst zu dem zu machen, was er heute ist. Mein Dank gilt Ministerin Schröder und dem gesamten Haus für ihren Einsatz und die ambitionierte Arbeit. Der große Erfolg des BFD gibt ihnen allen recht! Natürlich spielen auch die Einsatzstellen und Träger eine ganz entscheidende Rolle. Dass wir einen derart bunten, vielfältigen und spannenden BFD anbieten können, hängt letztendlich mit der Vielfalt der vielen fantastischen Einsatzstellen zusammen, die ganz oft ihren Beitrag dazu leisten, unsere Gesellschaft ein Stück menschlicher und lebenswerter zu machen. Natürlich sind insbesondere die vielen jungen Menschen zu nennen, die den BFD mit Leben füllen, die sich einbringen und in beeindruckender Art und Weise Zeichen der Menschlichkeit setzen. Dass der BFD auch der älteren Generation offensteht, macht ihn zusätzlich einmalig. Der Erfolg des Bundesfreiwilligendienstes ist aber auch eine Lehrstunde für die Opposition gewesen. Unterschätzt unsere Jugendlichen nicht! Dies rufe ich all jenen zu, die ein Scheitern herbeigeredet haben und damit explizit immer auch ein Desinteresse der Jugend an freiwilligem Engagement unterstellt haben. Es ist ein Grundproblem der politischen Linken in diesem Land, den Bürgerinnen und Bürgern zu wenig zuzutrauen und immer wieder Lösungen anzustreben, die die Menschen bevormunden. Dies soll heute aber nicht unser Thema sein, auch wenn wir uns dringend einmal darüber unterhalten müssten. Eine weitere Fehleinschätzung der Opposition war die lautstark vorgetragene Befürchtung, die Freiwilligendienste gingen aus dem Systemwechsel geschwächt hervor. Auch diese Mutmaßung bewahrheitete sich nicht. Gerade das Gegenteil ist der Fall, denn – ich denke, das bestreitet heute niemand – die Freiwilligendienste sind gestärkt aus dem gesamten Prozess hervorgegangen. Dies bestätigen mir die vielen Ge-sprächspartner, die sich tagtäglich für die Freiwilligendienste engagieren. Wir alle wissen um die massive Mittelaufstockung für die Freiwilligendienste, die diese Bundesregierung trotz Schuldenbremse möglich gemacht hat. Genauso wenig ist die von der Opposition immer wieder vorgetragene Befürchtung wahr geworden, die Zivilgesellschaft und ihre Akteure würden durch den Bundesfreiwilligendienst zugunsten staatlicher Strukturen geschwächt. Die Jugendfreiwilligendienste mit ihrer wichtigen Rolle für die Gesellschaft bleiben eine starke Säule mit selbstbewussten zivilgesellschaftlichen Akteuren, wie sie es schon immer waren. Ich habe die Diskussionen und Gespräche mit ebendiesen Akteuren und ihren verschiedenen Verbänden als sehr wohltuend und sehr konstruktiv erlebt. Die Detailkenntnisse und das Know-how in einer ganz heterogenen Bandbreite von Feldern sind immer wieder beeindruckend. Der von der Opposition erweckte Eindruck, zumindest zum Zeitpunkt der Antragstellung, wir setzten nicht auf diese zivilgesellschaftlichen Kräfte, erscheint uns heute allen sicherlich als ziemlich absurd und abwegig. Ich bin davon überzeugt, dass die Freiwilligendienste und der Bundesfreiwilligendienst in eine sehr positive und vielversprechende Zukunft gehen werden. Die christlich-liberale Koalition hat mit ihrem Ansatz, mit dem BFD eine zweite gleichberechtigte Säule neben die etablierten Freiwilligendienste zu stellen, recht behalten und richtig gehandelt. Gewiss gibt es immer noch Verbesserungspotenziale und Optimierungsmöglichkeiten; aber die Richtung stimmt. Allein die Tatsache, dass wir ganz allgemein mehr Bewerber als freie Plätze haben, zeigt uns, dass die Freiwilligendienste ein Riesenerfolg sind. Lassen Sie mich abschließend noch einmal meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass wir in einem Land leben, in dem sich junge Menschen gerne für ihre Gesellschaft einsetzen. Als früherer Vorsitzender einer politischen Jugendorganisation habe ich gelernt, dies zu ermessen und wertzuschätzen. Genau diese Beobachtungen mache ich heute wieder bei den Jugendfreiwilligendiensten und beim BFD. Gleiches gilt aber auch für die ältere Generation, die ja auch ein wichtiger Bestandteil des Bundesfreiwilligendienstes ist. Ohne die Älteren in der Gesellschaft mit ihrem individuellen Einsatz und ihrer Erfahrung wäre so vieles gar nicht erst möglich. Allein diese Bereitschaft zum Engagement für andere gibt uns einigen Anlass, positiv in unsere Zukunft zu blicken. Sönke Rix (SPD): In den letzten Jahren hat sich in der Freiwilligendienstlandschaft viel bewegt: Die beliebten Formate FSJ und FÖJ wurden evaluiert und weiterentwickelt. Mit „kulturweit“ und „weltwärts“ haben sich zwei internationale Jugendfreiwilligendienste etabliert. Der Freiwilligendienst aller Generationen schloss als Modellprojekt an die Generationsübergreifenden Freiwilligendienste an und natürlich – last, but not least – wurden der Bundesfreiwilligendienst, BFD, und der Internationale Jugendfreiwilligendienst, IJFD, eingeführt, nachdem der Wehr- und der Zivildienst ausgesetzt wurden. Die Freiwilligendienstlandschaft stellt sich damit so vielfältig dar wie noch nie. Als Berichterstatter für die Jugendfreiwilligendienste wusste ich um das hohe Interesse an dem Freiwilligen Sozialen und dem Freiwilligen Ökologischen Jahr: Auf einen Freiwilligendienstplatz bewarben sich zwei bis drei junge Menschen. Vor diesem Hintergrund ist der große Erfolg des neuen Bundesfreiwilligendienstes nicht verwunderlich. Als Jugendpolitiker und Mitglied im Familienausschuss liegt mein größtes Interesse darin, für junge Menschen gute und sinnvolle Rahmenbedingungen zu schaffen und ihnen dadurch eine sinnstiftende Freiwilligendiensterfahrung zu ermöglichen. Denn für uns – meine Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Bundestagsfraktion und mich – sind Freiwilligendienste nicht nur eine besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements, sondern viel mehr: Junge Menschen können als Freiwilligendienstleistende ihre sozialen Kompetenzen festigen, Neues erlernen und sich auf ihrem Weg in eine berufliche Laufbahn orientieren. So entsteht auch ein ganz persönlicher Nutzen für die Teilnehmenden. Dass für uns das Wohl der jungen Frauen und Männer im Vordergrund steht, wird unter anderem in diesem Antrag deutlich, den wir gemeinsam mit Bünd-nis 90/Die Grünen in den Deutschen Bundestag eingebracht haben. Wie Sie dem Antrag entnehmen können, sieht die SPD-Bundestagsfraktion den vor zwei Jahren eingeführten Bundesfreiwilligendienst, BFD, kritisch. Die hastige Gesetzgebung und Einführung des BFD führten zu Unsicherheiten und Unstimmigkeiten aufseiten aller Beteiligten, insbesondere waren viele junge Menschen verunsichert. Deshalb haben wir einen Antrag vorgelegt, der unter anderem fordert, den Bundesfreiwilligendienst stärker in zivilgesellschaftliche Verantwortung zu geben und ihn den Jugendfreiwilligendiensten anzugleichen. Auch wenn an einigen Stellen bereits nachgebessert wurde, gibt es doch weiterhin grundsätzliche Schwachstellen, die sich aus der „Pflichtdienstlogik“ ergeben – schließlich sollte der BFD die Lücke schließen, die der Zivildienst vermeintlich hinterlassen hat. Zusätzlich gibt es Probleme bei der Umsetzung, der Verzahnung zwischen BFD und FSJ/FÖJ und der Arbeitsmarktneutralität. Man kann es aufgrund der aktuellen Entwicklungen nicht oft genug sagen: Die Freiwilligendienste sind weder Ausfallbürgen noch Lückenbüßer für sozialstaatliche Aufgaben – daran kann auch der Erste -Engagementbericht der Bundesregierung und das Zitat von der „Bürgerpflicht“ nichts ändern. Engagement im Rahmen eines Freiwilligendienstes ist für die Gesellschaft, aber eben auch für den einzelnen Freiwilligen ein großer Gewinn. Freiwilligendienste sind Bildungsdienste. Das muss auch für den BFD gelten. Die Verankerung des Trägerprinzips im Bundesfreiwilligendienstgesetz ist uns ein großes Anliegen. Es kann nicht sein, dass die Träger, die wichtige Ansprechpartner für ihre Freiwilligen sind, eine koordinierende Funktion wahrnehmen und für die Qualitätssicherung zuständig sind, im BFD aber keine Vertragspartner sind. Neben dem Grundsatz der Subsidiarität, den es hier zu wahren gilt, stellt die momentane Situation die Träger allein schon verwaltungstechnisch vor unlösbare Aufgaben – müssen sie doch auch hinsichtlich ihres Kontingents den Überblick über die Anzahl und die Daten „ihrer“ Freiwilligen behalten. Das ist momentan jedoch nicht der Fall. Meine Erfahrungen mit dem BFD zeigen: Das Fachpublikum, also die Trägerlandschaft und auch einige Einsatzstellen, weiß, was den BFD ausmacht. Viele von ihnen geben sich Mühe, die Freiwilligendienstleistenden gemeinsam pädagogisch zu begleiten und ihnen möglichst gleiche Rahmenbedingungen zu bieten, egal, ob sie ein FSJ, FÖJ oder einen BFD absolvieren. Das lässt sich leichter bei denjenigen unter 27 Jahren handhaben als bei den Älteren. Die pädagogische Begleitung der teilnehmenden Ü 27 ist ein wichtiges Thema. Wir wollen, dass auch der BFD in diesem Bereich – genau wie die Jugendfreiwilligendienste – seinen Anspruch als Bildungsdienst ernst nimmt. Noch ist dies nicht der Fall. Manche von den Älteren, die einen BFD absolvieren, wissen nicht, dass dies auch ein Bildungsdienst ist, und fordern somit auch nicht die entsprechenden Maßnahmen ein. Einige vermuten dahinter gar eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme. Leider finden wir diese Unwissenheiten nicht allein bei den Teilnehmenden vor, sondern in einigen Fällen auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Argen und Jobcenter. In einigen Jobcentern wird der BFD durchaus als Alternative zu Arbeitsmarktmaßnahmen beworben. Und ich habe Kenntnis von zumindest einem Fall, in dem die Leistung für einen SGB-II-Empfänger gekürzt wurde, als dieser nach sechs Monaten den BFD abbrach. Genau diese Konsequenzen wollen wir nicht; sie müssen verhindert werden. Neben vielen anderen Punkten, die wir (immer) noch kritisieren, ist mir ein Thema besonders wichtig: die Doppelrolle des BAFzA. Diese sehen wir mehr als kritisch. Denn einerseits ist das BAFzA steuernde, koordinierende und kontrollierende Behörde und verwaltet die Zuschüsse an die zivilgesellschaftlichen Zen-tralstellen. Andererseits ist es selbst Zentralstelle und Dienstleister insbesondere für kleine und kommunale Träger. Somit tritt das BAFzA in Konkurrenz zu den Zentralstellen aus dem Dritten Sektor. Das widerspricht wiederum dem Subsidiaritätsgebot. Wir fordern, dass diese zweite Rolle des BAFzA aufgegeben wird. In einem ersten Schritt muss die Konkurrenzsitua-tion durch eine Angleichung der Verwaltungskostenpauschale aufgelöst werden. Grundsätzlich müssen wir uns die Frage stellen, wie wir uns die Freiwilligendienstlandschaft in Zukunft vorstellen. Ich begrüße, dass es mit dem BFD nun auch eine Möglichkeit für Menschen über 27 gibt, einen Freiwilligendienst zu leisten. Diese Altersöffnung bringt Chancen, birgt aber auch Risiken. Die Abgrenzung zum Arbeitsmarkt und zu anderen Formen des bürgerschaftlichen Engagements muss gewährleistet sein. Tätigkeitsfelder müssen neu definiert und stets kontrolliert werden. Untersuchungen zeigen, dass der BFD insbesondere für Freiwillige im erwerbsfähigen Alter eine Alternative darstellt. Freiwillige über 65 finden sich wenig – für diese Gruppe sind andere, niedrigschwellige Formate wie der Freiwilligendienst aller Generationen offenbar attraktiver. Wir brauchen ein kluges, durchdachtes und zivilgesellschaftlich orientiertes Konzept für eine Zukunft der Freiwilligendienste. Wir wollen im Sinne der Freiwilligen die Dienste qualitativ und quantitativ weiterentwickeln. Wir wollen jede Altersgruppe einschließen und deshalb unterschiedliche Formate fördern. Die Anliegen, die an mich in den letzten Jahren herangetragen wurden, und die es bei diesen Planungen zu berücksichtigen gilt, sind unter anderem eine mögliche Taschengelduntergrenze, eine Übernahme bzw. Bezuschussung der Fahrtkosten, die Anerkennung eines Freiwilligendienstes als doppelte Wartesemester und eine Ombudsstelle für Freiwilligendienstleistende. Alles in allem bleibt es eine spannende Zeit für diejenigen, denen die Freiwilligendienste am Herzen liegen. Insbesondere, wenn die politischen Vorzeichen ab Herbst anders stehen, bin ich zuversichtlich, dass es auch eine gute Zeit werden kann. Florian Bernschneider (FDP): Diese Woche könnte man problemlos unter das Motto stellen: Je näher der Wahltermin, desto kopfloser die Opposition. Die Pirouetten, die im vorliegenden Antrag von der Opposition gedreht werden, sind beeindruckend. Erinnern wir uns knapp zweieinhalb Jahre zurück: Erst hieß es, insbesondere von der SPD, die Wehrpflicht könne nicht ausgesetzt werden. Man trete für einen freiwilligen Pflichtdienst ein – was ein Widerspruch in sich ist. Aber damit war immerhin klar, dass die Sozialdemokraten sich nie für die Aussetzung der Wehrpflicht eingesetzt haben. Dann, wiederum in paar Monate später, hieß es, die Aussetzung sei überhastet. Nun wird diese von SPD und Grünen im vorliegenden Antrag gelobt. Ein Sinneswandel, den ich als Liberaler nur begrüßen kann und der diese Regierung in ihrer Arbeit bestätigt. Aber dass SPD und Grüne in diesem Antrag versuchen den Anschein zu erwecken, als hätten Sie diese mutige Reform aktiv begleitet oder gar gefordert, gehört nun wahrlich ins Reich der Fabeln. Die Opposition war in dieser Frage erst zerstritten, dann zögerlich und am Ende haben Sie uns auch noch ein Scheitern der auf die Aussetzung folgenden Freiwilligendienstreform prophezeit. Nur taugen die Vorhersagen von SPD und Grünen mittlerweile weniger als die Wettervorhersage: Denn sie lagen in allen Punkten daneben. Stattdessen schreiben die Jugendfreiwilligendienste und der neue Bundesfreiwilligendienst eine Erfolgsgeschichte. Über 80 000 Freiwillige engagieren sich im Jahr für die Allgemeinheit. Und diesem Engagement, dieser Einsatzbereitschaft gebührt unserer Respekt und unsere Anerkennung. Schade ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Opposition bis heute bekannte Realitäten ignoriert. So stehen die ohne Zweifel erfolgreichen Jugendfreiwilligendienste in der Verwaltungszuständigkeit der Länder. Wenn Sie in Ihrem Antrag also schreiben, dass mit der Einführung des BFD die „Chance einer Weiterentwicklung der Freiwilligendienste […] vertan“ wurde, weil Sie der Auffassung sind, dass es gereicht hätte, FSJ und FÖJ noch stärker auszubauen als wir es getan haben, dann ignorieren Sie schlicht und einfach unsere Verfassung, der auch Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages verpflichtet sind. Der Bund nutzt schon heute die gegebenen Finanzierungsspielräume, das hat der Bundesrechnungshof mehrfach unterstrichen, maximal aus. Und Ihr beredtes Schweigen, wie Sie denn die Freiwilligendienste ohne den BFD hätten ausbauen wollen, verrät, dass Sie versuchen, mit Ihrer Kritik die Menschen im Lande hinters Licht zu führen. Sie haben im Gegensatz zu Union und FDP weder Alternativen noch ein tragfähiges Konzept für die Freiwilligendienste. Sie betreiben Miesmacherei und verlegen sich, wenn Sie nach Alternativen gefragt werden, auf das Werfen von Nebelkerzen. Was ich Ihnen zugestehen möchte, ist, dass Sie in Ihrem Antrag einige Punkte aufgreifen, an denen noch gefeilt werden muss. Das negiert auch niemand und gerade mein geschätzter Kollege von der Union, Herr Tauber, wie auch ich haben in den Debatten immer wieder darauf hingewiesen, dass mit der Einführung des BFD die Messe natürlich nicht gesungen ist. FSJ und FÖJ haben sich über vier Jahrzehnte zu erfolgreichen Bildungsdiensten entwickelt, mit vielschichten, abwechslungsreichen Konzepten, Trägern usw. All dies lässt sich für den neuen Bundesdienst, zumal auch die Altersgruppe über 27 Jahre mitzudenken ist, nicht über Nacht bewerkstelligen. Hierfür brauchen wir Augenmaß und einfach Zeit – auch wenn sie erfahrungsgemäß knapp ist. Anstatt sich aber auf die Punkte zu konzentrieren, an denen wir noch arbeiten müssen, und hier Vorschläge zu unterbreiten, konzentrieren Sie sich wieder einmal darauf, altbekannte Forderungen aus der Mottenkiste zu holen. In der Folge gibt es eine Reihe von Punkten in Ihrem Antrag, bei denen ich nur noch den Kopf schütteln kann. Denn eigentlich wissen Sie es selbst besser. Wenn Sie fordern, dass der Bund einen einheitlichen Freiwilligendienstleistendenausweis schaffen solle, muss ich mich schon fragen, ob Sie die letzten Wochen und Monate engagementpolitisch geschlafen haben. Diesen Ausweis gibt es doch im BFD längst. Und es steht den FSJ/FÖJ-Trägern, der Zivilgesellschaft, selbstredend frei, diesen Ausweis ebenfalls anzufordern und an ihre Freiwilligen auszugeben. Die Tür steht sperrangelweit offen. Durchgehen muss die Zivilgesellschaft aber selbst. Das kann nicht der Bund regeln und das sollte er auch nicht. All dies wissen Sie – und fordern trotzdem solchen Unfug. Ausgesprochen interessant ist auch, was Sie nicht schreiben bzw. nur verklausuliert fordern. Wenn unter Punkt 3 bei den Bildungszentren davon die Rede ist, dass diese „zu reformieren“ und „anzupassen“ seien, um „… damit möglichweise erzielte Einsparungen für die Träger flexibel nutzbar zu machen“, kann wohl nur gemeint sein, dass Sie die Bundesregierung auffordern, hier zu kürzen. Dann schreiben Sie doch, dass Sie die Bildungszentren offen zur Diskussion stellen und im Zweifel dort Stellen abbauen und massiv Mittel kürzen wollen. Oder fehlt Ihnen hierzu der Mut? Warum schwurbeln Sie hier so rum? Wenn das der neue Stil der Opposition sein soll, Herr Steinbrück hatte ja „Klartext“ angekündigt, dann kann das ja heiter werden. Im Übrigen sollte Ihnen eines klar sein: Geld, das an dieser Stelle eingespart wird, wird nicht den Trägern zur Verfügung stehen. Es handelt sich hier nicht um flexibilisierte Haushaltstitel. Einsparungen kommen direkt dem Gesamthaushalt zugute. Auch das müssten Sie eigentlich wissen, ansonsten lassen Sie sich bitte die Grundzüge des Haushaltsrechtes von Ihren zuständigen Fachkollegen erklären. Was die Konzepte und die Überprüfung der Bildungszentren unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten angeht, kann ich Sie beruhigen: Eine Überprüfung der Zentren ist längst ausgeschrieben worden. Aber im Gegensatz zu Ihnen warten wir die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Untersuchung ab, um auf Basis von Fakten vernünftige und tragfähige Entscheidungen treffen zu können. Das unterscheidet uns offensichtlich von Ihnen, der Opposition. Die Umsatzsteuerproblematik sprechen Sie zurecht an, nur ist da auch zu Ihrer Regierungszeit nichts passiert. Und warum nicht? Weil wir uns hier in einem schwierigen Feld bewegen. Wir alle wissen doch, wie langsam die Mühlen malen und wie schwierig es ist, sich auf EU-Ebene zu verständigen. Aber immerhin haben wir, die Engagementpolitiker der Koalition und das Bundesfamilienministerium, mittlerweile eine Expertise vorliegen, die klarstellt, dass eine Umsatzsteuerbefreiung auch im derzeit geltenden Rechtsrahmen prinzipiell möglich ist. Der Bundesfinanzminister ist hier zwar noch anderer Auffassung, aber ich bin guter Dinge, dass wir auch diese Widerstände in der kommenden Wahlperiode überwinden können. Auch das bekommen wir eher hin als Sie. Geradezu absurd wird es allerdings, verehrte Kollegen von Rot-Grün, wenn Sie vom Bund fordern, die -Anerkennungskultur zu stärken, indem ein Freiwilligendienst zum Beispiel als Wartesemester an einer Universität oder als Praktikum für eine Ausbildung anerkannt werden soll. Das ist Sache der Länder. Nun haben sich in diesen Fragen gerade rot-grün regierte Länder wie NRW nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Und die Resonanz auf das Schreiben von Bundesministerin Schröder an ihre Länderkollegen mit der Bitte, die Gesetze der Länder auf Möglichkeiten für eine bessere Anerkennung von ehrenamtlichem Engagement zu durchforsten, war mehr als mau – um nicht zu sagen: nicht vorhanden. Daher verstehen Sie bitte, dass ich bei entsprechenden Forderungen aus Ihrem Munde hellhörig werde. Denn es drängt sich der Eindruck auf, dass Sie nicht zum ersten Mal Politik nach dem Stankt-Florians-Prinzip machen. Zuständig sind bei Ihnen immer die anderen. Vor diesem Hintergrund werbe ich dafür, dass wir alle zusammen unseren Landesregierungen in dieser Frage Druck machen und gemeinsam für ein Mehr an Anerkennungskultur werben, anstatt hier in Anträgen „Schwarzer Peter“ zu spielen. Denn das hilft den Freiwilligen nicht, es hilft den Freiwilligendiensten nicht, nein, dieses Spielchen auf Kosten der Hoffnungen von Trägern und Engagierten schafft nur Verdruss. Und das haben die Freiwilligendienste nun wirklich nicht verdient. Harald Koch (DIE LINKE): Mit Studien und Statistiken sollte man immer erst einmal vorsichtig umgehen. Aber die Untersuchung der Hertie School of Governance, des CSI, Centrum für soziale Investitionen und Innovationen, sowie der Universität Heidelberg zum Bundesfreiwilligendienst und speziell zu dessen Altersöffnung sind als seriös zu bezeichnen. Und sie sollten ernst genommen werden – nicht nur, weil sie schon seit langem geäußerte Befürchtungen und Kritikpunkte der Linken aufgreifen. Circa 40 Prozent der Engagierten im Bundesfreiwilligendienst sind laut Studie 27 Jahre und älter. Mehr Frauen als Männer über 27 Jahre leisten einen solchen Dienst. Vor allem die Ost-West-Unterschiede haben sich zuletzt verstärkt – es dominieren gerade im Osten immer stärker die Älteren. Rund drei Viertel aller Freiwilligen in Ostdeutschland sind 27 Jahre und älter. Dies gibt ebenso Anlass zur Sorge wie der Punkt der Studie, dass über 60 Prozent aller 27-Jährigen und Älteren ihren Dienst auf 18 Monate ausdehnen. Ein Großteil dieser Freiwilligen ist arbeitsuchend und sieht den Dienst als Alternative zur Erwerbstätigkeit. Für sie stellt ein Bundesfreiwilligendienst nicht nur eine Übergangsphase dar. Doch soll das so sein? Sollte der Bundesfreiwilligendienst nicht wie die bisherigen Jugendfreiwilligendienste eher ein Lern- und Bildungsdienst sein? Zum wiederholten Male stellt sich hier die Frage nach der Abgrenzung des Bundesfreiwilligendienstes von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Insofern bin ich froh, dass die Linke wieder einmal gewirkt hat und die SPD sowie die Grünen in ihrem Antrag endlich deutlich fordern, die Arbeitsmarktneutralität der Einsatzstellen sicherzustellen und regel-mäßig auf ihre Arbeitsmarktneutralität zu überprüfen. Weiter heißt es: „Wird die Arbeitsmarktneutralität verletzt und handelt es sich bei der Einsatzstelle um einen regulären Arbeitsplatz, so können hierfür keine Freiwilligen eingesetzt werden. Wird ein Arbeitsverhältnis fälschlicherweise als Bundesfreiwilligendienst bezeichnet, führt dies zu einem regulären Vergütungsanspruch des/der Freiwilligen.“ Bleibt die Frage, wie effektiv und gewissenhaft dies überprüft wird und werden kann. Auch mit anderen Forderungen im Antrag ist die Linke durchaus einverstanden. Ich möchte nur ein paar herausgreifen: Freiwilligendienste sollen vollständig zivilgesellschaftlich organisiert und Mindeststandards unterworfen werden. Das Trägerprinzip soll im Gesetz über den Bundesfreiwilligendienst verankert werden. Die pädagogische Begleitung soll verbessert sowie flexible, zielgruppengerechte Konzepte für die Bildungszentren entwickelt werden. Eine bessere Anerkennung für das Ableisten eines Freiwilligendienstes, zum Beispiel durch Fahrtkostenerstattung, ermäßigte Eintrittspreise und eine Anerkennung als Wartesemester, begrüßen wir ebenso wie das Einziehen einer Taschengelduntergrenze. Rot-Grün stellt also Forderungen auf, die sich zu einem gewissen Teil mit denen aus unserem Antrag „Jugendfreiwilligendienste weiter ausbauen statt Bundesfreiwilligendienst einführen“ (Drucksache 17/4845) decken bzw. unsere Forderungen ausschmücken. Doch warum haben SPD und Grüne dann nicht bereits im Februar 2011 unserem Antrag zugestimmt? Dies liegt vor allem daran, dass SPD und Grüne für den Bundesfreiwilligendienst sind und trotz anfänglicher vereinzelter Kritik vollends auf Regierungskurs umgeschwenkt sind. Die Linke lehnt nach wie vor den Bundesfreiwilligendienst ab und will stattdessen die rechtlichen Grundlagen schaffen, um die durch den Wegfall des -Zivildienstes frei werdenden Mittel für den weiteren Ausbau der etablierten Jugendfreiwilligendienste, FÖJ/FSJ, mithilfe erfahrener zivilgesellschaftlicher Akteure zu verwenden. Hier sind die Länder in der Mitverantwortung. Wir sehen Parallelstrukturen aus Bundesfreiwilligendienst und den Jugendfreiwilligendiensten als kritisch an, denn es dürfen keine engagierten Menschen durch Kompetenzwirrwarr und unterschiedliche Ausgestaltung der Dienste den Kürzeren ziehen. Dies schadet der Engagementkultur. Zudem bemängeln wir an vorliegendem Antrag, dass er sich völlig unzureichend mit Zugangsbarrieren zu Freiwilligendiensten auseinandersetzt. Die Linke möchte durch niedrigschwellige Zugangsmöglichkeiten jugendliche Migrantinnen und Migranten, Menschen mit Behinderung sowie sozial Benachteiligte für etablierte Jugendfreiwilligendienste motivieren. Wir möchten motivieren, freiwillig, ohne äußere Zwänge, einen solchen Lerndienst zu absolvieren. Indem SPD und Grüne zum Bundesfreiwilligendienst stehen, stehen sie auch zu der Altersöffnung für über 27-Jährige. Doch genau an dieser Stelle wird ihr Antrag unglaubwürdig, wenn sie zugleich Arbeitsmarktneutralität sicherstellen wollen. Sie sprechen zwar die Gefahr von Mitnahmeeffekten durch die Altersöffnung an, ziehen aber keine Konsequenz. Es muss eine klare Abgrenzung erfolgen, um eine Vermischung zwischen Arbeitsmaßnahmen und Freiwilligendiensten zu vermeiden, doch die wird durch die Altersöffnung geradezu unmöglich. So bleiben ihre Forderungen zur Arbeitsmarktneutralität reine Lippenbekenntnisse. Nicht zuletzt oben erwähnte Studie hat gezeigt: Die Öffnung des Bundesfreiwilligendienstes für alle Altersgruppen hat dazu geführt, dass vor allem in Ostdeutschland, aber nicht nur dort, immer mehr Erwerbslose und Ältere in den Bundesfreiwilligendienst strömen. Oftmals werden sie durch sanften Zwang von Arbeitsagenturen hineingedrückt. Oder sie müssen und wollen sich etwas dazuverdienen, weil zum Beispiel die Rente nicht reicht. Die mehr oder weniger Freiwilligen erledigen nun für ein Taschengeld wichtige Aufgaben im sozialen Bereich. Doch hier ist mehr qualifiziertes als mehr prekär beschäftigtes Personal nötig. Gerade durch die Altersöffnung kann man also beim Bundesfreiwilligendienst kaum mehr von Arbeitsmarktneutralität sprechen. Wo die Vermittlung in echte sozialversicherungspflichtige Jobs nicht funktioniert, arbeitsmarktpolitische Instrumente weggekürzt werden und Angebote für Menschen jeden Alters fehlen, bleibt als Alternative eben oft nur der Bundesfreiwilligendienst. Jüngst hat sich wieder einmal die katastrophale Renten- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung gezeigt, indem offensichtlich wurde, dass das Beschäftigungsprogramm „Perspektive 50 plus“ grandios gescheitert ist. Ältere Menschen sind weiter ziemlich chancenlos auf dem Arbeitsmarkt. Wir brauchen statt mehr Bundesfreiwilligendienst zielgerichtete, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahmen. Und die Wirtschaft muss von der Bundesregierung viel stärker in die Pflicht genommen werden, dauerhafte und gut bezahlte Arbeitsplätze auch für Ältere zu schaffen. Freiwilligendienste dürfen dabei genauso wenig als Warteschleifen für betriebliche Ausbildungsplätze oder einen Studienplatz dienen wie als Zuverdienstmöglichkeit für ältere Menschen, weil reguläre Arbeitsplätze fehlen, Löhne oder Renten nicht zum Leben ausreichen. Freiwilligendienste sollen auch nicht -Arbeitskräfte für eine zusammengekürzte soziale Infrastruktur liefern. Trotz einiger sinnvoller Forderungen zur Stärkung der Freiwilligendienste enthält sich die Fraktion Die Linke zu diesem Antrag. Denn wie die Bundesregierung bleibt Rot-Grün in der Logik des Bundesfreiwilligendienstes verhaftet und unterstützt damit die gefährliche Altersöffnung. Wir wollen, dass solche Dienste wirklich arbeitsmarktneutral sind und dass in erster Linie mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen werden und für gute Löhne und Renten gesorgt wird. Mit dem Bundesfreiwilligendienst kann keine Altersarmut bekämpft werden! Ulrich Schneider (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was hat sich seit dem letzten Jahr, als wir die Debatte zu Freiwilligendiensten schon einmal geführt haben, geändert? Nichts! Der Erfolg des Bundesfreiwilligendienstes ist nur scheinbar und liegt vor allem in der Quantität, weniger in der Qualität. Wir haben den Antrag gemeinsam mit der SPD im Juni 2012 eingebracht, weil die schwarz-gelbe Bundesregierung den Aufbau des Bundesfreiwilligendienstes auf Kosten der Qualität vorantreibt. An dem dringenden Bedarf, nachzubessern, hat sich nichts geändert: Die Bundesregierung spart auf Kosten der Freiwilligen und der Einsatzstellen. Die Freiwilligen haben ein Recht auf gute Betreuung und Begleitung. Das kostet Geld. Stattdessen wurden die Verwaltungsnachweise noch aufwendiger. Und ausgerechnet für die Betreuung der älteren Freiwilligen wurde im Januar 2013 die Bildungspauschale um 25 Prozent monatlich gekürzt. Dabei braucht gerade diese Gruppe individuelle Konzepte, die erst entwickelt werden und zusätzliches Geld kosten. Es gibt eine lange Liste an Aufgaben, die bisher nicht angegangen wurden. Um nur vier Punkte zu nennen: Erstens: Bildungsgutscheine. In der Sitzung des Unterausschusses am 29. Februar vergangenen Jahres hatte der Leiter des Arbeitsstabes Freiwilligendienste im Bundesfamilienministerium, Herr Kreuter, noch zugesichert, dass das System der Bildungsgutscheine kurzfristig geändert würde. Bis heute hat sich hier nichts, aber auch gar nichts getan. Zweitens: Mitbestimmung Freiwilliger. In § 10, „Beteiligung der Freiwilligen“, des Bundesfreiwilligendienstgesetzes steht ausdrücklich, dass es Sprecherinnen und Sprecher für die Vertretung der Freiwilligen gegenüber Einsatzstellen, Zentralstellen und der zuständigen Bundesbehörde geben muss. Jetzt, zwei Jahre nach Einführung des Bundesfreiwilligendienstes, gibt es den ersten Entwurf einer Wahlverordnung, die allerdings wenig durchdacht ist: Unklar bleiben die Rechte und Aufgaben der zukünftigen Sprecherinnen und Sprecher. Das Wahlverfahren findet ohne größere demokratische Meinungsbildung ausschließlich elektronisch statt. Drittens: Ältere Freiwillige: In der aktuellen Statistik vom April 2013 zählt das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in seiner Statistik 14 444 Bufdis im erwerbsfähigen Alter zwischen 27 und 65 Jahren. Den Rekord hält Sachsen mit fast 80 Prozent Bufdis im erwerbsfähigen Alter. Eine aktuelle Studie des Centrum für soziale Investitionen und Innovationen bescheinigt, dass viele der Bufdis den Dienst als eine Alternative zu Erwerbsarbeit oder 1-Euro-Jobs sehen. Diese Entwicklung finde ich äußerst besorgniserregend. Die Freiwilligendienste sind Lern- und Orientierungsdienste. Dieses Profil müssen wir dringend stärken. Angesichts der Zahlen ist es umso schlimmer, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung so tut, als wäre alles in bester Ordnung und der Dienst ein riesiger Erfolg. Viertens: Die anfallende Umsatzsteuer in den Freiwilligendiensten. Mit dem Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts wäre es endlich an der Zeit gewesen, die Umsatzsteuerproblematik zu beheben. Auch hier hat die Bundesregierung die Lösung umschifft. Ich möchte noch einmal betonen, dass wir der Bundesregierung in unserem Antrag zahlreiche Vorschläge gemacht haben. Diese Vorschläge hätten kurzfristig umgesetzt werden können. Ich fordere von der Bundesregierung, hier endlich nachzubessern: für eine bessere Anerkennung Freiwilligendienstleistender, für eine Interessenvertretung Freiwilligendienstleistender, für eine Ombudsstelle für Freiwilligendienstleistende, damit die Freiwilligen mit ihren Sorgen und Nöten neutrale Anlaufstellen haben, für mehr Qualität in Betreuung und Begleitung, für eine Prüfung der Arbeitsmarktneutralität, für ein transparentes System, in dem beispielsweise die Rolle der vielen Regionalbetreuerinnen und -betreuer endlich klar würde. Im Ergebnis hat sich die Situation – besonders im Bundesfreiwilligendienst – verfestigt und verschlechtert. Mein Fazit deshalb: Wir müssen überlegen, ob wir den Bundesfreiwilligendienst mittelfristig brauchen oder ob wir ihn nicht in die Jugendfreiwilligendienste überführen und dabei zum Trägerprinzip zurückkehren. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12904, den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/9926 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD und der Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke. Tagesordnungspunkt 36: Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Obdach- und Wohnungslosigkeit erkennen und bekämpfen – Drucksache 17/13105 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Die Reden gehen zu Protokoll. Karl Holmeier (CDU/CSU): Hartnäckigkeit zahlt sich ja bekanntlich oftmals aus. Im Fall der Linken und ihrer Anträge zum sozialen Wohnungsbau hat man jedoch das Gefühl: Die sind nicht hartnäckig, sondern etwas schwer von Begriff. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, erkläre ich es Ihnen einfach noch einmal: Der Bund ist für die soziale Wohnraumförderung nicht zuständig. Das ist Ländersache. Im Rahmen der Föderalismusreform 2006 haben sich Bund und Länder darauf verständigt, dass jeder künftig nur noch das zahlt, wofür er auch zuständig ist. Ihre Forderung an den Bund nach einer bedarfsgerechten Bereitstellung von sozialem Wohnraum ist also grundgesetzwidrig. Im Übrigen weise ich auch hier noch einmal darauf hin, dass der Bund den Ländern für einen Übergangszeitraum bis 2019 Kompensationszahlungen leistet, die gerade auch für den sozialen Wohnungsbau bestimmt sind. Konkret hat er den Ländern bis zum Ende des Jahres 2013 jedes Jahr mit 518 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau unter die Arme gegriffen. Der Bund hilft den Ländern also bereits, und er hat angekündigt, dies auch weiterhin zu tun, wenn die Länder das Geld zweckgemäß einsetzen. Berechtigt ist in diesem Zusammenhang natürlich die Frage, ob die Länder das auch tatsächlich tun und entsprechend verantwortungsvoll mit den Kompensationszahlungen des Bundes umgehen. Ich erinnere mich jedoch, dass gerade das Land Berlin unter Regierungsbeteiligung der Linken das Geld, das eigentlich für Investitionen in den sozialen Wohnungsbau vorgesehen war, zweckentfremdet hat. Damals hätten Sie zeigen können, wie sehr Ihnen der soziale Wohnungsbau wirklich am Herzen liegt. Doch was haben Sie stattdessen getan? Sie haben das Geld genommen, um damit alte Schuldenlöcher zu stopfen. Eigentlich ein waschechter Skandal. Doch statt sich in Demut zu üben, kommen Sie jetzt und wollen noch mehr Geld. In Bezug auf die in dem vorliegenden Antrag ebenfalls geforderte Einführung einer bundesweiten Wohnungslosenstatistik scheint sich mein eingangs erwähnter Eindruck zu bestätigen, dass die Linken etwas schwer von Begriff sind. Denn bereits vor knapp einem Jahr hat die Bundesregierung auf Drucksache 17/10414 in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage, an der auch die Fraktion Die Linke beteiligt war, erklärt, dass über die Einführung einer bundeseinheitlichen Statistik über die Zahl der Wohnungslosen Mitte der 90er-Jahre eine Machbarkeitsstudie durchgeführt worden ist. Diese Studie kam zu dem Ergebnis, dass lediglich die Erfassung der ordnungs- und sozialhilferechtlich untergebrachten Haushalte sowie derjenigen, die wegen Mietrückständen räumungsbeklagt sind, in einer amtlichen Statistik vertretbar und praktikabel ist. Bei den übrigen Gruppen von Wohnungsnotfällen wurde dagegen die Durchführbarkeit einer genaueren Erfassung als problematisch und kaum realisierbar eingestuft. Die Bundesregierung hat vor diesem Hintergrund festgestellt, dass es nur konsequent war, von der Einführung einer bundesweiten Wohnungslosenstatistik abzusehen. Dieser Einschätzung schließe ich mich an. Darüber hinaus hat die Bundesregierung mitgeteilt, dass sich in den vergangenen Jahren die allgemeine Versorgungslage mit Wohnraum insgesamt ständig verbessert hat. Zugleich ist die Zahl der Wohnungs-losen in den vergangenen 20 Jahren nicht zuletzt -aufgrund einer verbesserten Präventionsarbeit der kommunalen Stellen und freien Träger deutlich zurückgegangen. Wohnungslosigkeit beruht zudem nicht mehr in erster Linie auf einem Fehlbestand an Wohnungen, sondern hat in der Regel eine Reihe anderer sozialer und zum Teil auch psychosozialer Ursachen. Hilfen bei Problemlagen, die zur Wohnungslosigkeit führen können, können sinnvoll nur auf örtlicher Ebene geleistet werden. Die Zuständigkeit für die Vermeidung und Bekämpfung von Obdachlosigkeit liegt daher auch in erster -Linie bei den Kommunen. Und damit schließt sich auch wieder der Kreis zu dem, was ich den Kollegen von der Linken nun schon häufiger erklärt habe: Sie sind mit Ihren Anliegen zu sozialen Wohnraumfragen beim Bund an der falschen Adresse. Das ist Ländersache. Insofern bleibt mir nicht viel, als Ihre Anträge mit derselben Hartnäckigkeit, mit der sie vorgebracht werden, zurückzuweisen. Gero Storjohann (CDU/CSU): Im vorliegenden Antrag wird von der Fraktion Die Linke die Einführung einer bundesweiten Statistik zur Wohnungslosigkeit gefordert. Ganz gleich welcher Fraktion man angehört: Ein Leben ohne feste Bleibe, ohne den Schutz der Privatsphäre, einer Haustür, die man einfach hinter sich schließen kann, das wünschen wir alle niemandem. In dieser Frage setze ich Einigkeit voraus. Uneinig sind wir uns jedoch in der Frage, ob eine bundesweite Statistik zur Wohnungslosigkeit die Situation von Obdachlosen oder von Obdachlosigkeit bedrohten Menschen in Deutschland verbessern kann. Zu den Rahmenbedingungen eines solchen Vorhabens ist festzustellen, dass seit der Föderalismusreform die Länder für die Soziale Wohnraumförderung zuständig sind. Konkrete Hilfsmaßnahmen und Beratungsangebote für Obdachlose oder von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen fallen in die Zuständigkeit der Kommunen. Die Frage ist daher, ob eine Statistik des Bundes helfen kann, wenn die eigentliche Zuständigkeit für Maßnahmen, die bei den Betroffenen direkt ankommen, bei Ländern und Kommunen liegt. Weder Bund noch Länder verfügen über flächendeckende Daten zur Obdachlosigkeit. Dennoch liegen uns Zahlen vor. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe veröffentlicht in einem jährlichen Turnus Schätzungen zur Zahl der Wohnungslosen in Deutschland. Laut aktuellen Angaben ist die Zahl der Wohnungslosen auch in den letzten Jahren weiter gesunken. Im Jahr 2002 ging man von insgesamt 410 000 Wohnungslosen in Deutschland aus, immerhin 6,8 Prozent weniger als im Vorjahr. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 waren es nur noch 248 000. Diese Zahlen lassen hoffen, dürfen unsere Aufmerksamkeit für dieses gesellschaftliche Problem aber nicht schmälern. Die CDU/CSU-Fraktion folgt einem christlichen Menschenbild und unterstützt jede Anstrengung, um Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Deutschland zu bekämpfen. Wenngleich in den letzten Jahren offensichtlich viel im Kampf gegen die Obdachlosigkeit erreicht wurde, gilt es, für neue Wege zur Eindämmung der Obdachlosigkeit offen zu sein. Ob jedoch eine weitere Statistik für Betroffene wirklich hilfreich wäre, wage ich zu bezweifeln. Wichtiger sind mir zielgruppengerechte und konkrete Maßnahmen für Betroffene. Unser Sozialstaat bietet bereits viel an. Wir alle stimmen wohl darin überein, dass ein Dach über dem Kopf zu einem menschenwürdigen Leben dazugehört. Es ist der Sozialstaat, der Menschen in Not hilft. Darum halten wir finanzielle Mittel zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit im Sozialhaushalt bereit. Damit leisten wir konkrete Hilfe bei Betroffenen, etwa durch Zuwendungen an Wohneinrichtungen, die ein Ausweg aus der Wohnungslosigkeit sein können. Das ist konkrete Sozialpolitik, die ankommt. Eine bloße Statistik ohne Aussagekraft hält die CDU/CSU-Fraktion nicht für hilfreich. Das hängt auch mit praktischen Problemen zusammen, die die Erstellung und das Führen einer solchen Statistik mit sich bringen würde. Dieser Punkt wurde durch meine Fraktion bereits in den letzten Debatten zu diesem Thema genannt. Es ist Fakt, dass Nichtsesshafte kaum statistisch zu erfassen sind. Wie soll das geschehen? Eine vom Bund in Auftrag gegebene Studie wäre folglich wenig aussagekräftig und darüber hinaus erst mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung verfügbar. Das ist das Ergebnis einer Machbarkeitsstudie des Statistischen Bundesamtes, die Ende der 1990er-Jahre durchgeführt wurde. Das reicht nicht aus, weil die Bedürfnisse der Wohnungslosen sich dynamisch entwickeln. Ganz gleich ob mit oder ohne Statistik, die CDU/CSU steht für gute und pragmatische Sozialpolitik. Wir helfen von Wohnungsnot Betroffenen, indem wir versuchen, sie in ihrer Notsituation aufzufangen, etwa durch finanzielle Hilfen und karitative Einrichtungen. Eine Statistik zur Zahl der in Deutschland Betroffenen würde nach unserem Erkenntnisstand nicht über die Aussagekraft einer Schätzung hinausgehen. Vielleicht liegen inzwischen ja neue Ansätze vor, die eine Bundesstatistik zur Wohnungslosigkeit in Deutschland sinnvoll erscheinen lassen. Ich bin gespannt auf die Beratungen im Ausschuss. Michael Groß (SPD): Gerade heute Morgen wurde im Plenum die Wohnungsnot debattiert. In diesem Zusammenhang ist auch die jetzige Debatte zur Wohnungslosigkeit unbedingt mit anzuschließen. Wohnungslosigkeit gibt es in Deutschland leider nicht so selten, wie oft angenommen wird. Eine konkrete Statistik über die Wohnungs- oder Obdachlosigkeit wird von der Bundesregierung nicht geführt. -Bisher gab es, trotz überfraktioneller Nachfragen der Opposition, in der schwarz-gelben Bundesregierung jedoch kein Einsehen für eine Notwendigkeit hierfür. Es gibt aber eine Reihe von Erhebungen und Analysen auf der Landes- oder kommunalen Ebene, wie etwa in Nordrhein-Westfalen. Ebenso schätzt die BAG Wohnungslosenhilfe regelmäßig die Zahl der Wohnungslosen. Die Schätzungen beruhen auf Beobachtung der Veränderungen des Wohnungs- und Arbeitsmarktes, der Zuwanderung, der Sozialhilfebedürftigkeit sowie der Auswertung regionaler Wohnungslosenstatistiken, und es kommen noch eigene Umfragewerte hinzu. Wohnungslos, das heißt kein Mietvertrag, Notunterkünfte, elende, unzumutbare, beengte Wohnverhältnisse oder kurz vor dem Verlust der eigenen vier Wände – zumindest ist dies die definierende Beschreibung. Laut dem 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung waren die Fallzahlen von 2006 bis 2008 zunächst rückläufig. Dies waren wohlgemerkt die Jahre von SPD-Regierungszeiten. Erst ab 2010 ist die Zahl der Wohnungslosen wieder angestiegen. Insbesondere die Zahl der alleinstehenden Wohnungslosen stieg nach Aussagen des Armuts- und Reichtums-berichts von geschätzten 132 000 Personen auf 152 000 Personen um 15 Prozent deutlich an. Dieser Anstieg ist sicher auch ein deutlicher Indikator für die schlechte Sozial- und Wohnungspolitik der derzeitigen Bundesregierung. Die Gründe für Wohnungslosigkeit sind vielfältig. Oftmals geht die Wohnungslosigkeit einher mit fami-liären Problemen, Trennung vom Partner, Verlust von Arbeit, Drogen- oder auch anderen Abhängigkeiten, wie beispielsweise Spielsucht. Viele Betroffene sind hoch verschuldet, haben auch Mietschulden und verlassen in den meisten Fällen freiwillig die Wohnungen. Die Mehrzahl der Wohnungslosen ist männlich und liegt im Alter zwischen 39 und 50 Jahren. Die meisten werden theoretisch arbeitsfähig eingestuft, kommen aber ohne Hilfe und Begleitung nicht mehr aus den oft ausweglos erscheinenden Situationen heraus. Die Schicksale, die sich hinter Wohnungslosigkeit verbergen, sind sehr unterschiedlich. Dennoch bedeutet der Verlust der Wohnung nicht nur Armut, sondern auch einen Ausschluss aus der Gesellschaft. Teilhabe ist ohne ein Zuhause – eine Wohnung – nicht mehr möglich. Es bedeutet, keinen Zugang zu zentralen gesellschaftlichen Bereichen wie Bildung, Arbeitsmarkt und Gesundheit zu haben. Gerade in Stadtteilen, die als soziale Brennpunkte gelten, werden oft auch die Wurzeln hierfür gelegt. Geringere Bildungschancen, erhöhte Kriminalität, schlechtere Gesundheitsvoraussetzungen können mit geeigneten sozialen und wohnungspolitischen Maßnahmen, wie dem ursprünglich erfolgreichem Programm „Soziale Stadt“, abgefedert werden. Ebenso kann die gesicherte Kompensationszahlung des Bundes für die Soziale Wohnraumförderung sehr gut zu einem ausgeglichenen Wohnungsmarkt beitragen. Doch hier folgt die Bundesregierung leider weder Vernunft noch Verstand, sondern kürzte die Mittel für das ressortübergreifende Programm „Soziale Stadt“ um 60 Prozent und bleibt die Verlässlichkeit der Mittelbereitstellung bis 2019 für die Soziale Wohnraumförderung schuldig. Die Verschärfung des Mietrechts durch die Bundesregierung hat auch den Kündigungsschutz für Mieter aufgeweicht und trägt somit zur Verschärfung der Lage und zur schnelleren Wohnungslosigkeit bei. Ein weiterer besorgniserregender Aspekt der Wohnungslosigkeit sind die seit drei Jahren zunehmenden Berichte vieler Projekte und Dienste der kommunalen Notversorgung für wohnungslose Menschen über eine steigende Anzahl wohnungs- und obdachloser Migranten insbesondere aus osteuropäischen Ländern der -Europäischen Union, EU. Berichtet wird besonders oft über Menschen aus den EU-Staaten Polen, Rumänien, Bulgarien, Lettland und Litauen. Die oft als -Arbeitsmigranten nach Deutschland Gekommenen sind mit dem Scheitern dieses Anliegens teilweise obdachlos geworden. In niedrigschwelligen Projekten der Wohnungslosenhilfe, wie Notschlafstellen, beträgt der Anteil von EU-Osteuropäern teilweise mehr als 70 Prozent. Folgen der Obdachlosigkeit sind Konflikte und Verelendung bis hin zu Kriminalität. Hilfen und Beratungen scheitern oft an Sprachbarrieren. Zwar liegt die Zuständigkeit für die Gewährung von Sozialhilfe und Notversorgungsangeboten bei den Kommunen; diese sind jedoch weder finanziell noch personell ausreichend ausgestattet, um eine ausreichende Notversorgung mit Schlafangeboten, ein Angebot kostenloser medizinischer Notbehandlung, Beratungsangebote mit spezifischen Sprachkompetenzen sowie mehrsprachige Informationsmaterialien für wohnungslose Personen und letztendlich eine funktionierende Kooperation mit Institutionen der Herkunftsländer leisten zu können. Die Praxis der zuständigen Behörden vor Ort ist in vielen Fällen von Unwissenheit, Hilflosigkeit und abweisender Verfahrenspraxis geprägt. Hier ist dringend die besondere Verantwortung des Bundes und der EU gefragt – ein weiterer Punkt, den die Bundesregierung jedoch laut Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion ignoriert. Petra Müller (Aachen) (FDP): Der Antrag der Partei Die Linke kommt mal wieder zur rechten Zeit: im Wahlkampf. Dieses Hohe Haus hat die Debatte über Wohnungslosigkeit und Forderungen zur Einführung einer bundesweiten Wohnungslosenstatistik geführt. Dieses Hohe Haus debattierte heute schon über Wohnungsbau und Mietpreisgestaltung. Keiner der im Antrag formulierten Punkte ist neu oder innovativ oder in Gefahr, vergessen zu werden. Aber die Linke stellt wieder einen Antrag, um im Wahlkampf – so darf ich vermuten – ihre vermeintliche Unverzichtbarkeit demonstrieren zu können. Im Deutschen Bundestag, unter allen Parteien herrscht Konsens: Jede Bürgerin und jeder Bürger ohne eine Wohnung, ohne ein zuhause ist einer zu viel. Der Staat setzt alles daran, denen zu helfen, die unverschuldet in Not geraten sind. Seit der Jahrtausendwende sind nach Schätzungen der Bundesgemeinschaft Wohnungslosenhilfe die Zahlen rückläufig: Über 350 000 waren es noch vor 13 Jahren; heute -gehen wir von mehr als 100 000, etwa einem Drittel, weniger aus. Auch wenn wir in letzter Zeit (sicher krisenbedingt) einen leichten Anstieg zu verzeichnen haben, eine Trendwende hat damit nicht eingesetzt. Doch selbst wenn die Wohnungslosigkeit im vergangenen Jahrzehnt abgenommen hat, die gesellschaftliche Aufgabe bleibt bestehen. 250 000 Menschen ohne Obdach sind 250 000 zu viel. Soweit zur Einigkeit auf sicherlich allen Seiten. Sie aber, liebe Kolleginnen und Kollegen zur Linken, machen es sich zu einfach. Und ich spreche bewusst nicht von der Partei Die Linke, sondern vom -gesamten politischen Spektrum links der Mitte. Wahlkampfprogramme sind eine herzerwärmende Lektüre: Da werden mit der Gießkanne Steuergelder verteilt für jedermann. Auf 50 Milliarden Euro summieren sich die Wahlkampfversprechen der SPD. Die Grünen legen da noch die teure Reichensteuer oben drauf. Und die Linken schrauben den Mindestlohn im linken Überbietungswettstreit auf 9 Euro. Wohltätigkeit kann so -einfach sein, wenn man nicht in der Regierungsverantwortung steht. Doch selbst die Union verspricht inzwischen Wohltaten im Umfang von 30 Milliarden Euro. Das Problem aber ist doch komplexer – es ist vor allem ernster. Wir Liberale sagen: Der Sozialstaat soll niemanden alleinlassen, der in Not geraten ist. Es ist unsere ethische Pflicht und moralische Verantwortung, „Notanker“ zu sein für alle, die sich selbst nicht mehr helfen können. Ja, wir tun das mit dem gesamten Spektrum des sozialstaatlichen Leistungspakets, mit konkreter öffentlicher Fürsorge. Nein, wir tun es nicht mit einer zusätzlichen Statistik, die sie fordern. Ich glaube nicht daran, dass uns ein Zahlenwerk hilft, mehr -Menschen Obdach zu geben. Im Gegenteil: Die Machbarkeitsstudie und der Praxistest in NRW haben gezeigt, dass erstens überhaupt nur eine „Teil-Erfassung“ der Wohnungslosen möglich ist. Zweitens sind der bürokratische Aufwand dafür und die damit verbundenen Kosten schlicht zu hoch. Wir müssen das Problem nicht bürokratisch behandeln, sondern an der Wurzel packen. Erstens. Der Weg aus der Wohnungslosigkeit führt über Chancengerechtigkeit: die Chance, selbst wieder auf die Füße zu kommen und in den Arbeitsmarkt. Zweitens. Der Weg aus der Wohnungslosigkeit führt über einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt und nicht über Kürzungen beim sozialen Wohnungsbau, wie es die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW demonstriert. Wenn die vom Bund für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellten Mittel – in diesem Jahr immerhin 528 Millionen Euro – endlich auch für diesen Zweck eingesetzt werden und nicht, wie zum Beispiel in Berlin, zum Stopfen von Haushaltslöchern, dann hilft das dem Wohnungsmarkt und auch den Wohnungslosen am meisten. Drittens. Der Weg aus der Wohnungslosigkeit führt über staatliche Unterstützung, zum Beispiel das Wohngeld. Das alles sind konkrete, realistische, wirksame Maßnahmen der Hilfe und Problembeseitigung. Denn was zählt am Ende: Ein Stapel Papier mit bunten Diagrammen oder vier Wände und ein Dach überm Kopf? So konkret muss Politik sein, dann hilft sie. Um die Wohnungslosigkeit in Deutschland weiter zu minimieren, müssen wir, muss die christlich-liberale Koalition Menschen befähigen, ihr Leben selbst zu gestalten und aus eigener Kraft Chancen zu nutzen, Ihr Antrag trägt nichts dazu bei. Deshalb sagen wir Nein zu Ihrem Antrag. Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Die BAG Wohnungslosenhilfe hat erst kürzlich festgestellt, dass sich das Problem der Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Deutschland weiter verschärft: So schätzt die BAG für das Jahr 2010  248 000 Wohnungslose. Das bedeutet einen deutlichen Anstieg in den letzten zehn Jahren. Bis 2015 prognostiziert die BAG -Wohnungslosenhilfe einen Anstieg um weitere 10 bis 15 Prozent. Als Hauptursachen gelten steigende Mieten und wachsende Armut. Es handelt sich bei den Zahlen aber nur um grobe Schätzungen. Laut neuester Ausgabe des „Mieter-Magazins“ gibt es allein für Berlin diverse Schätzungen unterschiedlicher Institutionen, wie etwa dem -Arbeitskreis Wohnungsnot und der Landesarmutskonferenz. Im „MieterMagazin“ heißt es dazu weiter: Der Berliner Senat operiert seit über zehn Jahren mit einer Zahl von 2 000 bis 4 000 Obdachlosen in Berlin – ohne sagen zu können, wie er auf diese Zahl kommt. Es wäre aber durchaus möglich, regelmäßig verlässliche und belastbare Zahlen über das wahre Ausmaß der Wohnungs- und Obdachlosigkeit und über Umfang und Entwicklung von Räumungsklagen in Deutschland zu erhalten. Es sollte in einem modernen Staat ein Grundkonsens sein: Verlässliche Zahlen sind die Grundlage jeder sinnvollen Planung. Eine solche Statistik ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass den Menschen gezielter geholfen werden kann, ihnen Wege aus der Wohnungslosigkeit heraus aufgezeigt werden, die Hilfsangebote in den Städten und Gemeinden ausgebaut und bedarfsgerecht angepasst werden und vor allem auch ein Bewusstsein für das gesellschaftliche Problem der Wohnungslosigkeit in Deutschland geschaffen wird. Hinter den Wohnungslosen steht eben keine finanzstarke und öffentlichkeitswirksame Lobbyvertretung, die regelmäßig Gespräche mit Politikern anbietet und mit ihrem Thema in den Medien große Aufmerksamkeit erhält, so wie es dem Ausmaß des Problems eigentlich zustehen müsste. Kann es sein, dass die Koalitionäre unseren Antrag „Wohnungslosigkeit in Deutschland – Einführung einer Bundesstatistik“ –, den wir 2010 in den Bundestag eingebracht haben, abgelehnt haben, weil sie das Problem lieber ausblenden? Wir dulden aber nicht, dass die Koalition einfach die Augen vor diesem sozialpolitischen Missstand verschließt. Die Ablehnungsgründe der anderen Fraktionen für den Antrag waren unter anderem eine fehlende Einsicht in die Notwendigkeit und Zweifel an der Machbarkeit. Das ist nicht nur scheinheilig; es ist auch offensichtlich falsch bzw. zeugt vor allem von mangelndem politischen Willen. Ein Fachgespräch meiner Fraktion Die Linke im vergangenen Jahr mit Statistikern, Wohnungsloseninitiativen und Kommunalvertretern führte zu einem eindeutigen Ergebnis: Eine solche Statistik ist machbar. Ein Vertreter des Statistischen Bundesamtes stimmte ausdrücklich zu und sah weder organisatorische noch datenschutzrechliche Aspekte, die dagegensprechen. Zu diesem Gespräch waren übrigens auch Abgeordnete der Koalition eingeladen. Das Ergebnis einer Machbarkeitsstudie des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 1998 gibt es dazu auch schon. Die Statistik muss und kann auch Zahlen über die jährliche Erfassung der unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen liefern. Selbstverständlich bleibt auch bei einer Wohnungslosenstatistik eine gewisse Unschärfe und Ungenauigkeit, was aber in jedem Fall die Aussagekraft insgesamt nicht infrage stellt, wie Ihnen jeder Statistiker erklären kann. Wenn man auf jede Statistik verzichtet, weil eine kleine Teilgruppe nicht erfasst wird, kann man zahlreiche Statistiken in Deutschland vergessen. Das Statistische Jahrbuch des Statistischen Bundesamtes gibt über alle Lebensbereiche in Deutschland detailliert Auskunft, nur nicht über die Menschen, die in Deutschland unter würdelosen Bedingungen ohne ein festes und sicheres Zuhause leben. Das ist ein Skandal, den wir als Volksvertreter nicht weiter ignorieren dürfen. Dem Problem muss endlich mit der notwendigen Vehemenz begegnet werden. Doch davon kann bei der Bundesregierung nicht die Rede sein. In ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage mit dem Titel „Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik“ kommt sie zu dem Schluss: „Aus Sicht der Bundesregierung ist der erhebliche finanzielle und bürokratische Aufwand für die Einführung einer neuen Statistik auf Bundesebene mit sehr begrenzter Aussagekraft nicht zu rechtfertigen. Sie sieht daher für die Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik weder einen Bedarf noch hält sie angesichts der Zuständigkeitsverteilung im Wohnungswesen eine solche für geeignet …“ Die Bundesregierung sieht sich also nicht in der Verantwortung für das Problem der Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Stattdessen setzt sie sich für die Interessen der Vermieter ein. Mit dem Ende 2012 verabschiedeten Mietrechtsänderungsgesetz hat die Bundesregierung die Kündigung durch den Vermieter weiter erleichtert. Das ist aus unserer Sicht das völlig falsche Signal. Hier wird Klientelpolitik für die Vermieter gemacht und eine Schlechterstellung von Millionen Mieterhaushalten in Kauf genommen. Räumungen auf die Straße sind nun einfacher, was zweifelsohne auch einen Anstieg der Zahl der Wohnungslosen zur Folge hat. Ich bin der festen Überzeugung, dass es eines modernen Sozialstaates unwürdig ist, dass Menschen von Obdachlosigkeit und Zwangsumzügen bedroht sind, wenn sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Kündigungen auf die Straße darf es daher nicht geben. Einen geschützten Rückzugsraum, eine Privatsphäre sind unbedingte Voraussetzungen für ein Leben in Würde. Ursache für den Anstieg der Obdach- und Wohnungslosigkeit ist auch die völlig verfehlte Wohnungspolitik in den letzten Jahren. Die Situation auf dem Wohnungsmarkt wird für einkommensschwache Mieterinnen und Mieter in den letzten Jahren immer -schwieriger. In vielen Regionen gibt es kaum noch preisgebundene Sozialwohnungen, geschweige denn preisgünstige Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt. Für viele ALG-II-Bezieher sind die sogenannten angemessenen Kosten der Unterkunft ein Problem, wenn in ihren Städten und Kommunen zu den vom Amt geforderten Mieten überhaupt keine Angebote vorhanden sind. Die Folge sind Zuzahlungen aus dem Regelsatz und Mietschulden, die am Ende zu einer Kündigung führen können – eine fatale Abwärtsspirale, die von der Bundesregierung hingenommen wird. Sicher gibt es auch viele Fälle unter den Obdachlosen, die in erster Linie medizinische, sozialpsychologische Beratungsangebote benötigen. Bund, Länder und Kommunen sind verpflichtet, hier auch ein Beratungsnetz und Anlaufstellen anzubieten. Aber auch hier gilt: Damit ein solches Netz effektiv und bedarfsgerecht aufgebaut werden kann, brauchen wir richtige und aktuelle Zahlen. Selbstverständlich ist aber auch: Allein die Zahlen taugen nichts, wenn mit ihnen nicht entsprechend gearbeitet wird, Maßnahmen und Programme entwickelt werden, mit denen den Betroffenen geholfen werden kann. Es geht nicht darum, das Problem zu verwalten, sondern Problembewusstsein zu entwickeln und den Ehrgeiz, es auch zu lösen. Die vielen Dienste und Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe in den Ländern und Kommunen – seien es kirchliche oder gemeinnützige, medizinische oder städtische Träger – brauchen beispielsweise mehr finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern. Hier liegen noch viel Überzeugungsarbeit und auch weitere Gespräche und eine enge Kooperation mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. vor uns. Es wird höchste Zeit, jetzt gemeinsam mit den Ländern die Grundlage für eine bundesweite Wohnungslosenstatistik in Deutschland zu schaffen. Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu meinem Bedauern war es nicht möglich, die schwarz-gelbe Regierungsmehrheit von der Schaffung einer Grundlage für eine bundesweite Wohnungsnotfallstatistik zu überzeugen. Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD und Linken haben wir intensiv darum geworben. Mitte 2012 haben wir mit der SPD und der Linken eine Kleine Anfrage gestellt, in deren Beantwortung deutlich wurde, dass eine solche Statistik unter bestimmten Bedingungen möglich ist. Sicherlich ist eine statistische Erfassung von Wohnungs- und Obdachlosen äußerst schwierig. Allerdings zeigt Nordrhein-Westfalen einen möglichen und gangbaren Weg durchaus auf. Dennoch dürfen wir nicht blauäugig sein; denn mit einer bundesweiten Statistik werden längst nicht alle Betroffenengruppen abgebildet. Dennoch kann sie uns Wohnungspolitikerinnen und Wohnungspolitikern auf Bundesebene zeigen, an welchen Stellen unsere Gestaltungsinstrumente verändert und weiterentwickelt werden müssen. Denn anders als die Bundesregierung meinen wir, dass Wohnungspolitik nicht nur Ländersache ist. Das Mietrecht liegt zum Beispiel in der Hand des Bundes, und es bildet den Rahmen für die Mietpreise in Deutschland. Genau hier können wir ansetzen, doch dafür müssen wir alle die Augen für die Realitäten auf unseren Wohnungsmärkten öffnen. Eine bundesweite Wohnungsnotfallstatistik kann hierbei helfen. Doch auch für andere Politikbereiche kann eine bundesweite Statistik helfen, entsprechende Steuerungen vorzunehmen und vorzubeugen. So hätte eine Statistik mit der Erfassung der Nationalität den Städten helfen können, sich besser auf die Wanderungsbewegung von Menschen aus Rumänien und Bulgarien vorzubereiten, was ganz sicher für alle Beteiligte von großem Vorteil gewesen wäre. Deswegen unterstützen wir den Antrag der Linken. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13105 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 54 g: Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Brigitte Pothmer, Arfst Wagner (Schleswig), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fortführung der arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge in der nächsten Förderungsperiode des Europäischen Sozialfonds – Drucksache 17/13718 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Die Reden gehen zu Protokoll.13 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13718 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 11 sowie Tagesordnungspunkt 38 c auf: ZP 11 Beratung des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuss) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung – zu dem von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Aufnahme von Kultur und Sport in das Grundgesetz – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kultur gut stärken – Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankern – Drucksachen  17/10644,  17/10785 (neu), 17/13750 – Berichterstattung: Abgeordnete Wolfgang Bosbach Ingo Wellenreuther Dr. Dieter Wiefelspütz Dr. Stefan Ruppert Frank Tempel Wolfgang Wieland 38 c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses (5. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Dietmar Bartsch, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Die Förderung des Sports ist Aufgabe des Staates – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Petermann, Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Sportförderung neu denken – Strukturen verändern – Drucksachen 17/6152, 17/11374, 17/13751 – Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Martin Gerster Dr. Lutz Knopek Jens Petermann Viola von Cramon-Taubadel Die Reden gehen zu Protokoll. Klaus Riegert (CDU/CSU): Ich freue mich sehr, heute zu den sportpolitischen Initiativen der Fraktion Die Linke Stellung nehmen zu können. Beide Anträge enthalten eine Vielzahl an Fehlern und Widersprüchen und ignorieren zahlreiche Grundsätze des Zuwendungsrechts im Allgemeinen wie auch der Sportförderung im Speziellen. Die Fraktion Die Linke verbindet mit der Forderung nach der Aufnahme des Sports in das Grund-gesetz eine Reihe weiterer Verpflichtungen. Schaut man sich diese einzelnen Forderungspunkte an, so wird schnell ersichtlich, warum neue Staatszielbestimmungen in diesem Kontext nicht notwendig sind. Denn: Die einzelnen anvisierten Aspekte gehören seit langem zur (sportbezogenen) Förder- und Verwaltungspraxis der einzelnen Bundesministerien. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern haben wir in Deutschland einen freien Zugang zu Sportstätten für alle Bürgerinnen und Bürger. Die ungebrochen hohe Nachfrage nach Sportangeboten – über die Genera-tionsgrenzen hinweg – spiegelt sich in der lebendigen Sportvereinslandschaft in Deutschland wider. In über 91 000 Sportvereinen finden Angebot und Nachfrage nach diversen Sportaktivitäten erfolgreich zusammen. Dass dies nicht in allen Ländern so selbstverständlich ist wie hierzulande, musste man erneut bei der 5. UNESCO-Weltsportministerkonferenz im Mai 2013 in Berlin feststellen. Ein übergeordneter Themenkomplex hat sich bei der Weltsportministerkonferenz genau mit diesem Aspekt beschäftigt. Aus Sicht der Sportförderung ist in Deutschland zu beachten, dass der Bund für die Unterstützung des Leistungssports und die Bundesländer für die Unterstützung des Breitensports zuständig sind. Beide Ebenen setzen sich förderpolitisch kraftvoll für den Sport ein, obwohl immer höhere Zuwendungen wünschenswert sind. Vor dem Hintergrund der Haushaltskonsolidierung müssen diese Bestrebungen jedoch auch haushälterisch bewertet und verantwortet werden. Auch bei der Betrachtung der Forderungen der Fraktion Die Linke bezüglich des Behindertensports zeigt sich: Seit langem wird der Behindertensport nach den gleichen Kriterien gefördert wie der Sport von Menschen ohne Einschränkung. Dies spiegelt sich überdies in den finanziellen Zuwendungen des Bundes im Bereich des Spitzensports von Menschen mit Behinderungen wider. In Relation zur Anzahl der Kaderathleten wird der Spitzensport von Menschen mit und ohne Behinderung in gleicher Weise und Höhe gefördert. Erst in der gestrigen Sitzung des Sportausschusses haben wir darüber hinaus von den diversen Initiativen bezüglich weiterer Qualifizierungsmaßnahmen für Trainer, Übungsleiter und Lehrkräfte erfahren. -Sicherlich ist man auch in Deutschland bei dem Thema Inklusion noch nicht am Ziel, aber dennoch auf einem sehr guten und ambitionierten Weg. Der Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sowie die Berichte des Bundesbeauftragten bestärken uns in unseren Bemühungen. Der Antrag der Fraktion Die Linke spricht weiterhin die Chancengleichheit und Repräsentation von Frauen in der Selbstverwaltung des Sports an. Wenn Sie sich die Zusammensetzung des Präsidiums oder das Organigramm des DOSB einmal angeschaut hätten, wäre dieser Punkt vielleicht erst gar nicht in dem Antrag genannt worden. Der Deutsche Olympische Sportbund, DOSB, als Spitzenverband ist ein positives Beispiel und Vorbild in dieser Sache. Seit langem setzt sich der DOSB-Geschäftsbereich „Sportentwicklung“ mit dem Ressort „Chancengleichheit/Diversity“ sehr erfolgreich für unterschiedlichste Themen in diesem Feld ein. Der Antrag nimmt ferner Bezug zur Förderung von Sportstätten in Deutschland und beklagt den schlechten Zustand vieler Anlagen. Nicht zu vergessen ist auch hier, dass der Bund für die Sportstätten des Spitzensports und die Bundesländer für die Sportstätten des Breitensports zuständig ist. Vor dem Hintergrund der Haushaltskonsolidierung muss individuell die -Situation bewertet sowie lokal nach soliden Finanzierungsmodellen und realistischen Sanierungsplänen gesucht werden. Neben der rein ökonomischen Betrachtung wird uns im Kontext des demografischen Wandels künftig noch viel stärker die Frage beschäftigen, welche veränderten Nutzungsanforderungen überhaupt nötig sein werden. Welche Sportanlagen und welche Funktionen werden zukünftig zum Beispiel ältere Generationen benötigen? Überdies stellt sich die Frage nach der Auslastung der lokalen Infrastruktur im Sport und nach dem (Struktur-)Wandel ganzer Regionen. In einem anderen Punkt werden im Antrag der Fraktion Die Linke die Förderung des Antidopingkampfes und der Gewaltprävention genannt und eine Förderung durch Sportwetten und Werbeeinnahmen gefordert. Auch hierfür haben sich die Koalitionsfraktionen bereits erfolgreich eingesetzt. Nach dem neuen Glücksspielstaatsvertrag sind hierfür jedoch die Bundesländer verantwortlich. Bei der Novellierung des Gesetzes haben wir uns im Sportausschuss dafür eingesetzt, dass die Bundesländer ihrerseits eine Absichtserklärung zur Förderung des Antidopingkampfes mit aufnehmen. Hervorzuheben ist: Bei der Finanzierung des Antidopingkampfes hat der Bund bisher die meisten Zuwendungen aufgebracht. Dies trifft auf das Stiftungskapital der NADA wie auch auf die Zuwendungen bezüglich des Geschäftsbetriebes zu. Bei der Gewaltprävention zeigt sich ein ähnliches Bild. Auch hier bleibt kaum genügend Raum, um auf alle positiven Maßnahmen und Initiativen der Bundesregierung und der Verbände und Institutionen im Sport einzugehen. Das vor kurzem gefeierte 20-jährige Jubiläum der Koordinationsstelle Fanprojekte, KOS, steht übergreifend für eine lange Erfolgsgeschichte. Gemeinsam mit den unzähligen Fanprojekten in den einzelnen Städten zeigt sich, wie man erfolgreich gegen Gewalt im und um den Sport vorgehen kann und sozialpädagogisch wirksam wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke: Hierfür braucht man keine neuen Staatszielbestimmungen! Der neue Bundesfreiwilligendienst und das Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes stehen bereits jetzt für ein Erfolgsmodell, das den im Sport engagierten Bürgerinnen und Bürger wesentlich zugutekommt. Beim neuen Freiwilligendienst war nach der Bundeswehrreform und Ende des Zivildienstes überhaupt nicht klar, wie hoch die Nachfrage sein wird. Heute stellen wir mit Freude fest, dass alle 35 000 Stellen besetzt sind und sogar die Nachfrage weiter anhält. Das Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes steht hingegen für eine Entbürokratisierung des „Dritten Sektors“ mit unzähligen gemeinwohlorientierten Organisationen und Stiftungen. Weiterhin wurde eine deutliche Anhebung der Ehrenamts- und Übungsleiterpauschale beschlossen, die rückwirkend zum 1. Januar 2013 greift. Ferner wurden die haftungsrechtlichen Risiken für freiwillig Engagierte deutlich minimiert. Mit Blick auf die Gesundheitsförderung durch den Sport wurde gerade das Präventionsgesetz beschlossen, in dem der Sport selbst direkt benannt wird. Jetzt liegt es an den Bundesländern, dem Gesetz zuzustimmen, damit die Vorteile auch den Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen. Der Antrag der Fraktion Die Linke scheint sich – mit vielen Forderungen, die gegen die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern verstoßen – gleichsam gegen die föderale Struktur in Deutschland zu richten. Dies trifft im Besonderen auf den Sport an Schulen und Hochschulen zu. Zusammenfassend wird deutlich, dass die Forderungspunkte im Antrag der Fraktion Die Linke seit langem umgesetzt werden und zur sportbezogenen Förder- und Verwaltungspraxis der einzelnen Ressorts gehören. Der Antrag „Die Förderung des Sports ist Aufgabe des Staates“ ist schon bei der Einbringung im Juni 2011 „ins Leere gelaufen“. Es verwundert schon sehr, dass der Antrag nun – nach fast genau zwei Jahren – im Plenum beraten wird. Allein die zeitliche -Dimension offenbart, wie wichtig der Fraktion Die Linke die Sportförderung tatsächlich ist. Der zweite Antrag der Fraktion Die Linke, „Sportförderung neu denken – Strukturen verändern“, ist im November 2012 eingebracht worden, und auch hier stellt sich – mit Blick auf die zeitliche Dimension – die Frage nach der Ernsthaftigkeit der Initiative. Der Vorschlag, ein eigenständiges Sportsministerium einzurichten, ist seit langem überholt. Zudem besteht über die Fraktionsgrenzen hinweg weitestgehend Einigkeit darüber, dass mit der Auslagerung ein starker Bedeutungsverlust einhergeht. Unabhängig von den strukturellen Aspekten hat sich das Bundesministerium des Innern, BMI, seit den Olympischen Spielen von London 2012 massiv dafür eingesetzt, eine stärkere Transparenz bei der Mittelvergabe zu ermöglichen. Die zum Teil hitzig diskutierten „Zielvereinbarungen“ – als Vereinbarungen zwischen dem Deutschen Olympischen Sportbund, DOSB, und seinen Sportfachverbänden – werden als Evaluations- und Steuerungsinstrument künftig öffentlich dargelegt. Die datenschutzrechtlichen Anforderungen werden künftig so gestaltet, dass hier keine Konflikte entstehen können. Auf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Bereich der Sportförderung, die Unterstützung des Behindertensports sowie die Sportstätten will ich nicht erneut eingehen. Die Sportförderung in Deutschland wird kontinuierlich weiterentwickelt, ohne dass hierfür neue Staatszielbestimmungen nötig sind. Die vielen Arbeitsbereiche und Ressorts, die an der Sportförderung in Deutschland beteiligt sind, stehen für eine kraftvolle, solide und verantwortungsvolle Unterstützung durch die Bundesregierung. Lassen Sie uns gemeinsam im Sportausschuss weiterhin für eine kontinuierliche Verbesserung der Spitzensportförderung eintreten. Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages behandeln wir den Stand der Beratungen im federführenden Innenausschuss zu dem Gesetzentwurf der SPD zur „Aufnahme von Kultur und Sport in das Grundgesetz“ und dem Antrag der Linken „Kultur gut stärken – Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankern“. Wir haben beide Vorlagen am 28. September 2012 in erster Lesung debattiert und an den federführenden Innenausschuss sowie den Rechtsausschuss, den Sport-ausschuss, den Ausschuss für Kultur und Medien und den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen. Die Beratungen im Innenausschuss wurden sowohl in der 107. Sitzung am 15. Mai 2013 als auch in der 109. Sitzung am 5. Juni 2013 vertagt. Beide Vorlagen fordern eine Verfassungsänderung, gegen die wir als Koalitionsfraktionen verfassungsrechtliche Bedenken haben. Eine mögliche Änderung unseres Grundgesetzes ist von großer Bedeutung und erfordert daher jedenfalls weitere Beratungen. Sowohl der Gesetzentwurf der SPD als auch der Antrag der Linken haben zum Inhalt, Sport und Kultur ins Grundgesetz aufzunehmen und damit als Staatsziele zu verankern. Die SPD sieht vor, den Art. 20 a des Grundgesetzes um folgenden Satz zu erweitern: „Er [der Staat] schützt und fördert ebenso die Kultur und den Sport.“ Die Linke geht mit ihrem Antrag gedanklich den gleichen Weg für die Kultur. Niemand bestreitet die enorme Wichtigkeit, die Sport und Kultur in Deutschland haben. Wir definieren uns als Kulturnation, und Sport ist die größte Bürgerbewegung Deutschlands. Sport als Bewegungskultur fördert Gesundheit und Gemeinsinn der Menschen. Außerdem sind beide ein verbindendes und ein inte-gratives Element unserer Gesellschaft. Der Anspruch, dass Kultur und Sport geschützt und gefördert werden sollen, klingt daher logisch und selbstverständlich. Es stellen sich jedoch zwei Fragen: Erstens. Welchen verfassungsrechtlichen Status haben Kultur und Sport derzeit? Zweitens. Was würde die Ergänzung des Art. 20 a verfassungsrechtlich bedeuten? In unserem Grundgesetz sind Rechte, Pflichten und Ziele verzeichnet, die dem Staat und seinen Bürgern am wichtigsten sind, als besonders schützenswert angesehen werden und das Fundament unserer Demokratie bilden. Sie können deshalb im Erfordernisfall auch vom Bundesverfassungsgericht durchgesetzt werden. Den ersten Teil unserer Verfassung bilden die Grundrechte, also die wesentlichen Rechte, die den Mitgliedern unserer Gesellschaft gegenüber dem Staat als beständig, dauerhaft und einklagbar garantiert werden. Der von der SPD und den Linken geforderte „Schutz“ für Sport und Kultur ist hier bereits zu finden. Art. 5 Abs. 3 unseres Grundgesetzes garantiert ein Freiheitsrecht für alle in den Bereichen der Kunst und Wissenschaft schöpferisch tätigen Personen, um vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu schützen. Das Bundesverfassungsgericht leitet aus dieser Grundsatzentscheidung die Aufgabe des Staates ab, ein freiheitliches Kunst- und Wissenschaftsleben zu erhalten und zu fördern. Der Schutz und die Förderung der Kultur werden so automatisch zu Staatszielen, da sich der moderne Staat als Kulturstaat versteht. Auch für den Sport gilt: Alle sportliche Betätigung findet ihren verfassungsrechtlichen Schutz im Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit, Art. 2 Abs. 1 GG. Darüber hinaus können sich Sportvereine und Sportverbände wie auch die Sportlerinnen und Sportler selbst auf die im Grundgesetz verbürgte Vereinigungsfreiheit, Art. 9 Abs. 1 GG, berufen. Der -Gestaltungsauftrag, den das Sozialstaatsprinzip mit Art. 20 GG an den Gesetzgeber stellt, umfasst damit auch den Bereich des Sports. Als explizit unter Art. 20 a GG aufgenommene Staatsziele würden dem Sport und der Kultur nicht mehr Rechte zuwachsen, als ihnen das Grundgesetz bereits jetzt verbürgt. Wie sieht es mit der Förderung aus? Gemäß unserem Grundgesetz liegt die Kulturförderung generell im Verantwortungsbereich der Bundesländer und der Kommunen. Doch der Bund fördert insgesamt rund 70 Kultureinrichtungen und Projekte von nationaler und internationaler Bedeutung. Vorrangig zu nennen sind dabei die Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der NS-Terrorherrschaft, Gedenkstätten und Institutionen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Er fördert aber ebenso Kultureinrichtungen, Museen und Stiftungen, unterstützt den Deutschen Film und finanziert die Deutsche Welle als mediale Visitenkarte Deutschlands im Ausland. Diese Liste ist nicht vollständig, sondern gibt nur einen begrenzten Überblick über den Geschäftsbereich des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Beachtlich aber ist der Etat. Er beträgt zurzeit 1,2 Milliarden Euro. Zusätzlich dazu hat der Bundestag in den vergangenen Jahren in großem Umfang stets weitere Mittel für Kultur bewilligt, um kulturelle Projekte und kulturhistorisches Erbe zu finanzieren. Wenn man die Subventionen für die Länder und Kommunen hinzurechnet, fließen jedes Jahr rund 9 Milliarden Euro in den bezuschussten Bereich der Kultur. Beim Sport gilt Folgendes: Die Förderung des Breitensports tragen grundsätzlich die Länder und Kommunen. Der Bund unterstützt den Spitzensport. Die Schwerpunkte liegen dabei in der Förderung der Bundessportfachverbände und Bundesleistungszentren. Bezuschusst werden der Bau und Unterhalt von Sportstätten, Lehrgänge, Trainings- und Wettkampfprogramme, die Ausrichtung von Welt- und Europameisterschaften in der Bundesrepublik Deutschland, der Leistungssport von Menschen mit Behinderungen und Maßnahmen zur Dopingbekämpfung, um einige Beispiele zu nennen. Das Bundesministerium des Innern stellt dafür im Jahr 2013 circa 129 Millionen Euro zur Verfügung. Hinzu kommen noch die mittelbaren Transferleistungen, die sich aus den gewährten Steuervorteilen ergeben. Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Bund finanziert im Sinne der von der Verfassung vorgegebenen Zuständigkeitsverteilungen all jene kulturellen und sportlichen Bereiche, die eine überregionale und nationale Bedeutung haben. In ihrem Gesetzentwurf argumentiert die SPD, dass sowohl die Kultur als auch der Breitensport eine herausragende gesellschaftspolitische Bedeutung haben und wichtige Bereiche des gesellschaftlichen Miteinanders sind. Das ist richtig, und deshalb werden auch beide Bereiche allen Teilen der Bevölkerung mithilfe der kommunalen Daseinsvorsorge zur Verfügung gestellt, unterhalten und gefördert. Auch sozial schwächere Bevölkerungsgruppen sind davon nicht ausgeschlossen. Das ergibt sich aus Art. 20 Abs. 1 GG und wird durch verschiedene Sozialleistungen des Bundes finanziert. Aber eine Aufnahme einer Kultur- und Sportförderung ins Grundgesetz, die auf eine rechtliche Verpflichtung des Staates zur Finanzierung einer allgemeinen Teilhabe abzielte, würde den Rahmen unserer Verfassung sprengen. Daher muss die Frage gestattet sein, ob wir unser Grundgesetz immer weiter ausdehnen wollen, indem wir stets neue Staatsziele definieren. Schlussendlich käme dies einer Verwässerung unserer Verfassung gleich. Wir von der Koalition sehen dies mit Skepsis. Aus diesem Grund kann unser Votum zum Gesetzentwurf der SPD als auch zum Antrag der Linken nur eine Kenntnisnahme sein. Deshalb sind weitere Beratungen im Innenausschuss erforderlich. Siegmund Ehrmann (SPD): Es ist schon ein Armutszeugnis, welches die schwarz-gelbe Koalition hier abliefert. Da Sie selbst keine eigene Haltung zu dem von uns unterbreiteten Vorschlag, Kultur und Sport als Staatszielbestimmungen im Grundgesetz zu verankern, haben, vertagen Sie die Entscheidung Woche um Woche. Dabei hat sich doch mittlerweile eine Reihe von Abgeordneten aus den Reihen der Koalition zumindest für ein Staatsziel Kultur ausgesprochen. Zuletzt der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Siegfried Kauder. Aber auch Staatsminister Bernd Neumann, die Vorsitzende des Ausschusses Monika Grütters und der Sprecher für Kultur und Medien, Wolfgang Börnsen, haben immer wieder ihre Sympathie für dieses Anliegen deutlich gemacht. Die FDP hatte in der letzten Legislaturperiode sogar einmal einen eigenen Gesetzentwurf zur Verankerung von Kultur als Staatsziel im Grundgesetz eingebracht. Und in der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ haben alle Fraktionen den Vorschlag unterstützt, den Satz „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ im Grundgesetz zu verankern. Ich erzähle Ihnen somit nichts Neues. Die Argumente, die für ein Staatsziel Kultur sprechen, habe ich bereits in der Debatte zur ersten Lesung unseres Gesetzentwurfs ausführlich dargelegt. Vielmehr möchte ich meiner ausdrücklichen Verwunderung Ausdruck verleihen, warum sich die Abgeordneten der Koalitionsfraktion immer dann, wenn es gilt, darüber endlich auch abzustimmen, daran nicht mehr erinnern können. Bei der Einbringung des Gesetzentwurfs -signalisierten alle Fraktionen noch Interesse, sich -darüber auszutauschen. Bei diesem Signal ist es aber auch geblieben; passiert ist nichts. Das wiederum verwundert mich überhaupt nicht, entspricht es doch dem üblichen Muster der schwarz-gelben Regierungskoalition. Wohlfeile und vollmundige Versprechen und Ankündigungen nach allen Seiten – wenn es aber darauf ankommt, passiert genau nichts. Wir haben gestern im Ausschuss für Kultur und Medien einen fast schon skandalösen Vorgang beobachtet. Nicht nur, dass CDU/CSU und FDP die Beratung über den Gesetzentwurf zum Staatsziel Kultur und Sport erneut vertagt hätten, sie haben sich auch in zwei weiteren wichtigen kulturpolitischen Fragen absolut kulturfeindlich verhalten. Mit dem Beschluss, die ursprünglich im Entwurf -eines Gesetzes zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung anderer Gesetze, BUK-Neuorganisationsgesetz – BUK-NOG, – Bundestagsdrucksache 17/12297 – vorgesehene turnusmäßige Überprüfung der Künstlersozialabgabepflicht von Unternehmen durch die Träger der Rentenversicherung aus dem Gesetz zu streichen, bringt Schwarz-Gelb die Künstlersozialkasse, KSK, in große Not. Weil diese Überprüfung nun nicht mehr verbindlich geregelt ist, besteht die Gefahr, dass der Abgabesatz in den kommenden Jahren deutlich steigen könnte. Damit gerät die Stabilität der KSK insgesamt in Gefahr. Zudem werden gerade die ehrlichen Unternehmen, die ihrer Abgabepflicht nachkommen, bestraft, indem die dringend notwendige Verbesserung der Kontrolle vor allem der säumigen Unternehmen nicht erfolgt. Das widerspricht der Beitragsgerechtigkeit. Am Ende sind viele Kultur- und Kreativschaffende betroffen. Das für sie wichtigste Instrument für eine angemessene soziale Absicherung wird ohne Not gefährdet. Zudem haben sich CDU/CSU und FDP einer gemeinsamen Erklärung des Ausschusses für Kultur und Medien verweigert, die audiovisuellen und kulturellen Dienstleistungen aus den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP, auszunehmen. Das ist dringend notwendig, weil nach vielfacher Expertenmeinung zu befürchten ist, dass wichtige Instrumente der Kulturförderung in Deutschland gefährdet sind, sollte der Bereich der Kultur- und der audiovisuellen Medien nicht von Anfang an und grundsätzlich aus dem Freihandelsabkommen ausgenommen werden. Damit wären beispielsweise die Filmförderung, das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem, die Buchpreisbindung und die Förderung von kleinen Kultur- und -Medienunternehmen bedroht. Schwarz-Gelb handelt damit absolut gegen die Interessen der für uns so wichtigen Kultur- und Kreativwirtschaft. Es wäre also wünschenswert, wenn die schwarz-gelbe Koalition wenigstens einmal ihre Argumente für oder gegen ein Staatsziel Kultur benennen würde. Das Thema einfach auszusitzen und der sogenannten Diskontinuität anheimfallen zu lassen, ist die komplette Verweigerung jeder inhaltlichen Debatte, beschreibt aber die Haltung dieser Koalition sehr treffend. Martin Gerster (SPD): Wir hätten gern heute über unseren Gesetzentwurf abgestimmt. Jedoch hat gestern die Koalition im federführenden Innenausschuss bereits zum zweiten Mal hintereinander gegen die Stimmen der Opposition unseren Gesetzentwurf vertagt, ohne Angabe von Gründen. Aber ich kann Ihnen den Grund nennen: Der FDP-Fraktion fehlt es als Koalitionspartner der CDU/CSU an Courage. Denn die FDP setzte sich noch vor der Bundestagswahl 2009 lautstark für die Aufnahme des Sports ins Grundgesetz ein, brachte mit dieser Forderung auch einen Antrag in der vergangenen Legis-laturperiode ein. Auf einem Wahlkampfhearing des -Deutschen Olympischen Sportbundes tönte Herr Westerwelle 2009 noch: „In einer Koalition würden wir versuchen, Herrn Schäuble von seiner irrigen Meinung abzubringen“, und ergänzte, dass der Sport „auf Augenhöhe mit anderen Rechtsgütern stehen“ müsse. Alles Schnee von gestern? Mitnichten! Auf der Internetseite der FDP-Fraktion steht noch heute: „Wegen der hohen gesellschaftlichen Bedeutung des Sports spricht sich die FDP im Deutschen Bundestag dafür aus, den Schutz und die Förderung des Sports auch im Grundgesetz zu verankern.“ Dann frage ich: Warum stimmt die FDP-Fraktion unserem Gesetzentwurf nicht zu? Warum versucht die FDP nicht, ihren Koalitionspartner von der „irrigen Meinung abzubringen“? Dieses Verhalten ist absolut unglaubwürdig. Interessant ist, dass die Koalition zumindest in der gestrigen Sportausschusssitzung nach all der Hinhaltetaktik wieder einmal ihr wahres Gesicht in der Sportpolitik gezeigt hat: Denn zumindest dort kam unser Gesetzentwurf zur Abstimmung, und CDU/CSU und FDP lehnten ihn ab. Dies ist eine verpasste Chance für den Sport in Deutschland. Der organisierte Sport stellt mit seinen 28 Millionen Mitgliedschaften in 91 000 Vereinen die größte Bürgerbewegung des Landes dar und hat damit eine herausragende gesellschaftspolitische Bedeutung. Der Sport leistet mit seinen Millionen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern einen wichtigen Beitrag für unser Land, sei es in der Integrationsarbeit, der Wertevermittlung, der Identifikationsstiftung oder auch der Gesundheitsvorsorge. Die Bedeutung des Sports für das Individuum und die Gesellschaft unterstreichen in Deutschland inzwischen 15 von 16 Landesverfassungen mit der Normierung der Förder- und Schutzpflicht des Sports. In Art. 165 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union wird die Bedeutung des Sports für -Europa ausdrücklich gewürdigt und die Förderung des Sports als ein Ziel der Union hervorgehoben. Darüber hinaus ist Sport auch Gegenstand anderer europäischer Verfassungen. Auch die 5. Weltsportministerkonferenz MINEPS V hat letzte Woche in ihrer abschließenden „Berliner Erklärung“ die besondere Rolle des Sports betont und das fundamentale Recht auf Zugang und Teilhabe am Sport eingefordert. Eben dieser herausragenden gesellschaftspolitischen Bedeutung gilt es mit der Verankerung des Sports als Staatsziel im Grundgesetz die entsprechende Wertschätzung und Anerkennung auszusprechen. In der Verfassung findet sich kein an den Staat gerichteter Auftrag zur Förderung des Sports. Dies stellt eine grundgesetzliche Regelungslücke dar, die es zu beseitigen gilt. Der Bund tritt mit circa 250 Millionen Euro jährlich als Förderer des Spitzensports auf. Der Bundesrechnungshof stellte dazu fest: „Der Bund fördert den Sport trotz unklarer und fehlender Aufgaben- und Finanzierungszuständigkeit seit Jahrzehnten … Der Bundesbeauftragte hält es für geboten, dass sich der Bund in diesem Zusammenhang auf die Spitzensportförderung beschränkt. Dies sollte im Grundgesetz, in einem Ausführungsgesetz oder in einer Vereinbarung im Rahmen der Föderalismuskommission II klargestellt werden.“ Mit der Aufnahme des Sports ins Grundgesetz bestünde somit eine wichtige rechtliche Grundlage für eine transparente Ausgestaltung der Spitzensportförderung in Deutschland. Momentan wird die Sportförderung lediglich durch Rechtsverweisung hergeleitet. Aber eine transparente Sportförderung ist nach all den Geheimhaltungsaktionen um die Zielvereinbarungen durch Herrn Innenminister Dr. Friedrich ganz offensichtlich nicht im Interesse der Koalition. Auch in anderen Bereichen würde das Staatsziel Sport wichtige Wirkung entfalten: Beispielsweise könnte die Stufensituation zwischen bestehenden Staatszielen und dem Sport aufgelöst werden. Derzeit erfährt der Sport hierbei eine eindeutige Benachteiligung bei gerichtlichen Auseinandersetzungen. Diese und zahlreiche weitere Argumente haben wir Ihnen bereits in der ersten Lesung und in der Debatte im Sport-ausschuss genannt. DOSB-Präsident Dr. Bach sagte zu unserem Gesetzentwurf: „Wir danken der SPD, dass sie diesen Antrag eingebracht hat … Niemand verspricht sich davon einen Euro mehr für den Sport. Dadurch würde aber der Sport in den Abwägungsprozessen mit anderen Bereichen der Gesellschaft gestärkt. Ich appelliere an die Unionsfraktion, endlich ihre formaljuristisch begründete Verweigerungshaltung aufzugeben und dem Sport den Wert zu geben, den jeder Politiker in jeder seinen Sonntagsreden betont.“ Es ist bedauerlich, dass nach der ablehnenden Haltung der Fraktion der CDU/CSU nun die FDP-Fraktion trotz anderslautender Bekundungen umgefallen ist und die Koalition dem Sport die Aufnahme in das Grundgesetz verwehrt. Reiner Deutschmann (FDP): Die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hat in der 15. und 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages einstimmig die Aufnahme des Staatsziels Kultur in das Grundgesetz empfohlen. Die FDP-Bundestagsfraktion ist ohne Wenn und Aber für die Aufnahme des Staatsziels Kultur in das Grundgesetz. In der FDP gibt es eine diesbezügliche Beschlusslage des Bundesparteitages aus dem Jahr 2007, die weiterhin Bestand hat. Bereits in der 16. Wahlperiode haben meine Kollegen Hans-Joachim Otto und Christoph Waitz für unsere Fraktion einen Grundgesetzänderungsantrag vorgelegt, um die Diskussion über die Aufnahme des Staatsziels Kultur in das Grundgesetz mit allen im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen beginnen zu können. Zu unserem Erstaunen haben alle anderen Fraktionen unsere Initiative von damals abgeblockt und unseren Antrag auf Eis gelegt, um ihn dann nach über drei Jahren im Verfahren des Deutschen Bundestages mit fadenscheiniger Begründung abzulehnen. Eine echte Diskussion, die der Empfehlung der Enquete-Kommission gerecht geworden wäre, haben sie nicht mit uns führen wollen. Nun, in der 17. Wahlperiode, kommen SPD und Linke mit eigenen Anträgen zur Aufnahme des Staatsziels Kultur bzw. Kultur und Sport, ohne vorher mit uns darüber ins Gespräch zu kommen. Schaut man sich das Verfahren an, das die SPD gewählt hat, kann man den Eindruck gewinnen, dass es Ihnen nur um einen Schaufensterantrag geht, aber nicht um die Sache selber. Andere Grundgesetzänderungen wie die des Wahlrechts haben gezeigt, wie man für erfolgreiche Grundgesetzänderungen agieren sollte. Stattdessen legen Sie uns einen Antrag vor, der die Belange von Kultur und Sport scheinbar belanglos verknüpft. Dabei gibt es für beide Bereiche eigene Aspekte, die durch die beliebige Verquickung keine ausreichende Würdigung finden. Der Antrag der Fraktion Die Linke fokussiert zwar auf die alleinige Aufnahme des Staatsziels Kultur in unser Grundgesetz. Leider wird der Antrag dann aber mit weiteren Forderungen überfrachtet, wie der Einbeziehung kommunaler Spitzenverbände, der Ausgestaltung des kooperativen Kulturföderalismus oder Wünschen nach Veränderungen in der Finanz- und Steuerpolitik. Damit konterkarieren Sie unsere Anstrengungen, die Kultur überhaupt als Staatsziel festschreiben zu können. Das ist bedauerlich, wie ich es schon in der ersten Lesung feststellen musste. Uns Liberalen geht es darum, ein Ungleichgewicht in unserem Grundgesetz zu beseitigen. Neben den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen muss ganz selbstverständlich auch der Schutz der kulturellen Leistungen unseres Landes treten. Doch anstatt über dieses Ungleichgewicht zu reden und gemeinsam zu schauen, wie wir dieses entschärfen können, müssen wir uns mit Anträgen auseinandersetzen, die wieder einmal mehr wollen, als der Sache dienlich ist. So kommen wir nicht zu einer Änderung unseres Grundgesetzes im Sinne unserer Kunst- und Kulturlandschaft. Wir haben in den letzten Monaten vieles über die neue Kräfteverteilung im Bundesrat gehört. SPD und Grüne wollten von dort mitregieren und Bundespolitik mitgestalten, so die vollmundige Ankündigung der Parteispitzen. Ich vermisse aber bis zum heutigen Tag die Einbindung der Bundesländer, ohne die wir diese wichtige Grundgesetzänderung gar nicht abschließen können. Auch daran erkennt man, wie unausgegoren Ihre Initiative ist und wie viel man wirklich davon halten kann. Wir alle müssen den Fakten in die Augen schauen. Ohne die notwendige Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag wird eine Grundgesetzänderung im Sinne eines Staatsziels Kultur niemals eine Chance haben. Ich wünsche mir für die nächste Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, dass wir uns frühzeitig und interfraktionell zusammensetzen, um gemeinsam mit allen, die daran ein Interesse haben, einen neuen Anlauf für die Aufnahme des Staatsziels Kultur zu unternehmen. Ich bin auch dafür, dass wir dabei keine sachfremden Inhalte verquicken. Jedes Staatsziel muss für sich allein werben und auch allein zur Abstimmung gestellt werden. Ich bin gegen die Verabschiedung von großen Wohlfühlpaketen, in denen wir vier oder fünf zum Teil sicherlich gut gemeinte Staatszielwünsche bündeln. Staatsziele sind keine Inflationsware. Ein Staatsziel verdient meiner Meinung nach die Aufnahme in das Grundgesetz nur, wenn es zu den wirklich essenziellen Grundlagen unserer Gesellschaft gehört. Wer will diese Voraussetzung der Kultur absprechen? Die Sache jetzt in den letzten Wochen noch übers Knie zu brechen, entbehrt jeder Würde und wird dem Staatsziel Kultur nicht gerecht. Für die FDP-Bundestagsfraktion erkläre ich hiermit, dass wir in der nächsten Legislaturperiode zu offenen, konstruktiven und ernst gemeinten Gesprächen, die der Sache dienen, gerne zur Verfügung stehen. Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Heute waren als TOP 38 unser Antrag „Kultur gut stärken – Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankern“ – Bundestagsdrucksache 17/10785 (neu) – und der Gesetzentwurf der SPD „Entwurf eines Gesetzes zur Aufnahme von Kultur und Sport in das Grundgesetz“ – Bundestagsdrucksache 17/10644 – auf der Tagesordnung vorgesehen – und wurden wieder abgesetzt. Wegen der nicht mehr hinnehmbaren Verzögerungstaktik der Koalition hat die SPD, unterstützt von der Linken, den nun vorliegenden Bericht des federführenden Innenausschusses zum Beratungsverlauf angefordert. Dieser listet den Gang des Gesetzentwurfes der SPD und unseres Antrages durch die Ausschüsse Innen, Recht, Sport und Kultur und Medien auf und hält fest, dass in drei Fällen noch kein Votum abgegeben ist – ohne Angabe von Gründen. Der Bericht gibt nun die Möglichkeit, sich hier im Parlament auch zu den inhaltlichen Punkten der beiden abgesetzten Anträge zu äußern. Gerne hätte ich hier heute eine flammende Rede gehalten, etwa des Inhalts: Endlich hat das Parlament es geschafft! Das Staatsziel Kultur wird im Grundgesetz verankert – und der einfache Satz „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ gilt nun für uns alle. Die Fraktion Die Linke ist während der Arbeit der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ für dieses Staatsziel eingetreten. 2009 hat sie hier im -Hohen Haus mit der FDP für die Aufnahme ins Grundgesetz gestimmt, und rot-rot regierte Bundesländer haben sich für diese Aufgabe eingesetzt. Wir haben einen Fraktionsbeschluss aus der letzten Legislatur, dass wir uns sowohl für das Staatsziel Kultur als auch für das Staatsziel Sport in jeweils gesonderten Initiativen einsetzen, ohne eine Vermengung beider Ziele in einem Formulierungsvorschlag. Insofern war es konsequent, dass wir jetzt zwei Anträge neben den Gesetzentwurf der SPD gelegt haben. In unserem Antrag „Kultur gut stärken – Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankern“ – Bundestagsdrucksache 17/10785 (neu) – fordern wir eine Verankerung im Grundgesetz auf der Grundlage der Empfehlung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ und stellen darüber hinaus dar, welche weiteren Voraussetzungen nötig sind, um zu gewährleisten, dass dieses Staatsziel auch umgesetzt werden kann. Wie schön wäre es, wie gesagt, wenn das Ziel heute endlich erreicht würde. Eine Kulturnation ist stolz auf ihre kulturelle Vielfalt – und bekennt sich dazu in ihrer Verfassung. So lautet im Kern auch unser heutiger Antrag. Wie schön, wenn er heute eine Mehrheit finden würde. Aber wieder wird es nichts werden mit dem Staatsziel Kultur – und wir führen nur eine Art Schautanz hier auf. Um einen Kompromiss wird gerungen, den unglückseligen Mix von Kultur und Sport. Dieser wiederum hat keine Aussicht auf eine Mehrheit. Ich persönlich begrüße das, denn ich halte diesen Kompromiss für einen faulen Kompromiss. Die Mehrheit meiner Fraktion sieht das anders und begründet das, mit Bezug auf den Sport, folgendermaßen: Aus linker Sicht ist die Forderung, Sport und Kultur im Grundgesetz zu verankern, alles andere als „Verfassungsakrobatik“, wie im Herbst 2012 die Süddeutsche Zeitung titelte. Es geht vielmehr darum, Ziele im Grundgesetz zu bestimmen und daraus Aufgaben abzuleiten. Weil wir die Bedeutung des Sports anerkennen, müssen wir auch dementsprechend handeln. Dort, im Grundrechtsteil vor allem, steht das, was für Bürger und Staat wichtig ist. Rechte, Pflichten und Ziele, die dort formuliert sind, haben außerordentliche Bedeutung und werden, wenn es sein muss, vor dem Verfassungsgericht durchgesetzt. Deshalb wollen wir den Sport im Grundgesetz verankern. Allerdings muss solch eine Verankerung aus Sicht der Linken gut unterfüttert werden – alles andere wäre ein bloßes Lippenbekenntnis: Deshalb haben wir zwei Anträge zum Thema Sportförderung zur Debatte gestellt. Die Linke sagt: Es fehlt ein Sportfördergesetz des Bundes, in dem der Sport als Ganzes gesehen und behandelt wird. Und die Linke sagt auch: Die althergebrachte Sportförderung ist inzwischen überholt und muss neu strukturiert werden. In der ersten Lesung des Gesetzentwurfes der SPD gab es den Vorwurf, unser Antrag zur Staatszielbestimmung wäre zu allgemein. Mit dem Antrag, den wir -anschließend ohne Debatte in die Beratung gegeben haben, sind die Anliegen zu Änderungen in der Sportförderung genauer beschrieben. Deshalb hoffen wir auf breite Zustimmung. In der ersten Lesung äußerten zudem verschiedene Rednerinnen und Redner Unmut darüber, dass die SPD ihren Gesetzentwurf ohne vorherige Absprache aus dem Hut gezaubert habe. Wir hatten jetzt mehr als ein halbes Jahr Zeit, uns zu den Inhalten zu verständigen, an einem gemeinsamen Text zu arbeiten. Passiert ist – zumindest im Sportausschuss – seither nicht viel. Vorgestern nahm sich der Sportausschuss eine knappe halbe Stunde Zeit. Dabei ist diese Debatte dringend notwendig. Es darf nicht sein, dass sich der Bund weiterhin der Verantwortung für den Breiten- und den Schulsport entzieht. Die Schwachstellen sind nicht zu übersehen und lassen sich nicht mit dem Verweis auf Zuständigkeiten beheben. Wie oft verwenden wir Zeit darauf, zu sagen, wofür wir alles nicht zuständig sind? Wir sollten uns endlich in die Pflicht nehmen lassen. Da geht es zum einen darum, dass unzählige Sportstätten in alten und neuen Bundesländern unbedingt saniert werden müssen. 66 Prozent dieser Anlagen sind in kommunaler Hand. Nur haben viele Kommunen kein Geld für solche Aufgaben, weil der Bund ihnen immer mehr Pflichten zugeschoben hat, ohne eine entsprechende Mittelvergabe zu gewährleisten. Deshalb kann oft genug auch die Barrierefreiheit nicht geboten werden, die aber zwingend hergestellt werden muss, damit auch Menschen mit Behinderung am Sport teilhaben können. Lassen Sie uns doch einfach einmal über den Tellerrand schauen: Warum kann die Politik in Österreich etwas und die Politik in Berlin sagt einfach „geht nicht“? Im österreichischen Bundes-Sportförderungsgesetz steht unter § 1 Abs. 3 Punkt 5: „Maßnahmen zur Umsetzung eines österreichweiten Sportstättenentwicklungsplanes unter den Gesichtspunkten der Schaffung von vielfältig und nachhaltig nutzbaren Spiel-, Sport- und Bewegungsräumen“ sind besonders zu fördern. Unsere Nachbarn gehen sogar noch einen Schritt weiter, wenn sie in dem Gesetz ebenfalls unter § 3 in Abs. 4 festschreiben, dass die „Erhaltung von Sportstätten … neben der sportgerechten Instandhaltung der Anlage erforderlichenfalls die Beistellung von Sportlehrern und Trainern sowie von Sportärzten“ umfasse. In der Unterstützung des Breitensports haben wir in Europa derzeit definitiv keine Spitzenposition. Also lassen Sie uns eine Aufholjagd starten und guten Beispielen nacheifern. Ein weiterer wichtiger Aspekt für unsere Anträge ist die Situation im Schulsport. Im Sportausschuss fordern wir einmütig, den Beschluss der Kultusministerkonferenz endlich umzusetzen, der eine dritte Sportstunde einführt. Aber was passiert? Nicht viel. Was spricht denn dagegen, dass der Bund ein Programm auflegt, das den Ländern ermöglicht, diese dritte Sportstunde tatsächlich durchzuführen? Immer wieder belegen Studien, dass mehr Schulsport die Lernbereitschaft und die Ausgeglichenheit der Kinder fördert. Nicht vergessen werden darf dabei der gesundheitliche Aspekt. Der Bund muss jährlich Milliarden ausgeben, um für die Folgen von Fettsucht und Bewegungsarmut aufzukommen. Lohnt sich das? Sollten wir diese Gelder nicht lieber präventiv einsetzen? Auch da können wir übrigens von Österreich lernen. Schauen Sie sich einmal die Kampagne „Kinder gesund bewegen“ des Sportministeriums an. Das funktioniert auch bei uns; da können Sie sicher sein. Dieses Programm hat noch einen entscheidenden Vorteil: Nicht der Geldbeutel der Eltern entscheidet über die Teilnahme der Kinder an Sportangeboten. In Deutschland gilt diese finanzielle Hürde leider weiterhin für Bildung wie für den Sport. Daran hat bisher auch das Bildungs- und Teilhabepaket wenig geändert. In einem Sportfördergesetz möchte die Linke noch weitere Richtschnüre festzurren, Grauzonen bei Übergängen von Zuständigkeiten beseitigen und vor allem Planungssicherheit für den Sport schaffen. Der Vorwurf, dass wir das föderale Prinzip aushebeln wollten, verfängt daher überhaupt nicht. Wir wollen, dass der Sport in der Bundesrepublik von der einfachen Basisarbeit im Verein bis hin zur Spitzensportförderung strukturiert wird. Deshalb haben wir den Antrag, den Sport als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern und ein Sportfördergesetz des Bundes aufzulegen, vorgelegt und unsere Vorschläge im Antrag „Sportförderung neu denken“ noch einmal präzisiert. Denn so, wie es jetzt ist, funktioniert die Sportförderung nicht mehr; das haben die Debatten im Rahmen der Olympischen und Paralympischen Spiele in -London offenbart. Die Linke will deshalb neue Wege gehen. Trotzdem bitte ich vor allem um Zustimmung zu unserem Antrag „Kultur gut stärken – Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankern“. Dem SPD-Antrag stimmt die Linksfraktion ebenfalls mehrheitlich zu. Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute liegt erneut ein Beleg dafür vor, dass die Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP am Ende ist. Es ist ein Trauerspiel, wenn parlamentarische Initiativen der Opposition mit der Stimmenmehrheit der Regierungskoalition von der Tagesordnung abgesetzt werden. Diesmal hat es die Sportpolitik getroffen. Offensichtlich passen Vorschläge zur Aufnahme von Kultur und Sport ins Grundgesetz und zur Sportförderung sowie zur Dopingopferrente nicht ins Machtkalkül der Sportpolitiker der Koalition. Bei all diesen Themen hat sich die Koalition einer Debatte in den Ausschüssen verweigert. Ich möchte einige inhaltliche Anmerkungen zur Aufnahme neuer Staatsziele in das Grundgesetz machen. Die SPD möchte Kultur und Sport ins Grundgesetz aufnehmen. Die Fraktion Die Linke plädiert für eine Aufnahme der Kultur als Staatsziel und wertet somit schon innerhalb des Antrages den Sport ab. In der grünen Bundestagsfraktion wurden beide Anträge sehr sorgfältig geprüft und beraten. Wir können jedoch beiden Initiativen zu diesem Thema keine Zustimmung geben. Denn es wurden vonseiten der antragstellenden Fraktionen keine überzeugenden Argumente vorgelegt, die eine Aufnahme in den Staatszielkatalog des Grundgesetzes rechtfertigen würden. Das waren zwei Anträge, die lediglich mit halber Kraft vertreten und mit schwacher Stimme im parlamentarischen Verfahren beworben wurden. Meine Fraktion hat in dieser Legislaturperiode gute Vorschläge in zahlreichen parlamentarischen Initiativen zur Kultur- und Sportpolitik vorgelegt. In der Sportpolitik nenne ich unseren aktuellen Antrag zur Nachhaltigkeit von Sportgroßveranstaltungen. Wir haben uns darüber hinaus dafür eigesetzt, die Ehrenamtspauschale auf 1 500 Euro zu erhöhen, um nicht nur die Funktionsträger im Verein mit der Übungsleiterpauschale zu unterstützen, sondern das bürgerschaftliche Engagement breiter zu fassen und anzuerkennen. Wir sprechen uns gegen Korruption und Missstände in Sportorganisationen aus. Wir unterstützen die immer zahlreicher werdenden Initiativen des Sports im Umwelt- und Klimaschutz. Es liegen also außerhalb der heutigen Debatte gute Vorschläge meiner Fraktion für eine moderne Sportpolitik vor, die belegen, dass es auch ohne ein Staatsziel Sport vorangehen kann. Ich komme zum Hauptberatungsgegenstand der heutigen Debatte: die Sportförderung. Für uns steht fest: Deutschland hat eine vielfältige und lebendige Sportkultur. Unsere Sportvereine und Sportstätten sind Orte der Begegnung zwischen Menschen unterschiedlichen Geschlechts und Alters, unterschiedlicher Herkunft, sexueller Identität und Religion. Schon die Kleinsten lernen beim Sport Teamgeist sowie einen fairen Umgang miteinander und erlangen soziale Kompetenzen wie den Umgang mit Erfolgen und Misserfolgen. Aus unserer Sicht steht fest: Die Autonomie des Sports gebietet es, dass Vereine und Verbände die Träger für Ideen und Innovationen im Sport sind. Die Hoheit über Personalentscheidungen und über die inhaltliche Ausrichtung sowie die Regelsetzung muss beim Sport bleiben. Einen Staatssport nach dem Muster der Fraktion Die Linke lehnen wir ab. Wir fordern als grüne Bundestagsfraktion eine Art „Zukunftsplan Sport“, in dem sich alle wichtigen Akteure für die Sportentwicklung in Deutschland, also Sportorganisationen, Wissenschaft und staatliche Institutionen, über eine zukunftsfähige und moderne Sportentwicklung abstimmen. Es muss ein verbindliches Maßnahmenbündel festgelegt und im Rahmen der Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen auf der einen Seite und staatlichen Institutionen und Sportorganisationen auf der anderen Seite umgesetzt werden. Lassen Sie mich einige Ausführungen zur Sportstättensituation machen. Hier sehe ich in den Forderungen der Fraktion Die Linke einige gute Ansätze. Wir brauchen endlich eine Sportstättenkonzeption, die sich an den Kriterien der energetischen Sanierung, der Inklusion und des barrierefreien Zugangs sowie an der sportfachlichen Zukunft der jeweiligen Sportart ausrichtet. Der demografische Wandel hat bisher kaum Berücksichtigung in der Sportpolitik erhalten. Es wäre daher sicher sehr sinnvoll, wenn wir das Thema Sportstätten gleich zu Beginn der nächsten Wahlperiode gemeinsam angehen. Denn aus den Debatten, die wir im Sportausschuss in der letzten Zeit geführt haben, leite ich durchaus ab, dass fraktionsübergreifende Lösungsansätze eine wichtige Unterstützung für Sportvereine und verbände in unserem Land sein würden. Ich möchte an dieser Stelle nochmals besonders darauf hinweisen, dass die Mitglieder des Sportausschusses sich fraktionsübergreifend im letzten Jahr für eine breitensportfreundliche Verwendung der Erlöse aus dem modifizierten Glücksspielstaatsvertrag eingesetzt haben. Daran sollten wir uns erinnern, wenn wir im nächsten Deutschen Bundestag einen guten Einstieg in gemeinsame Gespräche finden wollen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Tagesordnungspunkt 38 c: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Sportausschusses auf Drucksache 17/13751. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/6152 mit dem Titel „Die Förderung des Sports ist Aufgabe des Staates“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/11374 mit dem Titel „Sportförderung neu denken – Strukturen verändern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Tagesordnungspunkt 39: Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Elvira Drobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Barrierefreier Zugang zu Großveranstaltungen und Reisen – Drucksache 17/13550 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Die Reden gehen zu Protokoll. Christian Hirte (CDU/CSU): Man merkt an vielen Dingen, dass sich die Legislaturperiode dem Ende zuneigt. Die deutlichsten Indikatoren sind wachsende Schattenkabinette und im Deutschen Bundestag eine Antragsflut der Oppositionsparteien. Viele Medienvertreter machen Bilanzen auf, in denen die Arbeit von uns Abgeordneten daran gemessen wird, wie viele Reden gehalten wurden oder wie viele Anträge und Gesetzentwürfe mitformuliert wurden. Insofern auf diesem Weg ein Glückwunsch an die Kollegen der SPD, dass sie sich auch mit dem hier vorliegenden Antrag noch ein paar Fleißbienchen verdienen. Barrierefreies Reisen stand im Tourismusausschuss in der nun zu Ende gehenden Legislatur immer wieder im Mittelpunkt. 2012 haben wir eine Anhörung hierzu gehabt, und ich kann mich entsinnen, dass bei nahezu jeder anderen Anhörung immer auch ein Experte eingeladen war, der das jeweilige Thema unter dem Blick des barrierefreien Tourismus beleuchtet hat. Ich finde, das zeigt, dass das Thema wirklich in der Mitte unserer inhaltlichen Auseinandersetzungen angekommen ist. Zumindest für uns Parlamentarier möchte ich doch über die Parteigrenzen hinweg sagen, dass Barrierefreiheit sich wie ein roter Faden durch unsere Diskussionen und auch Beschlüsse zieht. Das ist angesichts der wachsenden Bedeutung des Themas auch geboten. Denn seit der Studie des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2003 zu den ökonomischen Impulsen des barrierefreien Tourismus wissen wir, dass es hier nicht allein um Hilfestellungen oder Komfort geht, sondern dass – um es flapsig zu formulieren – hier richtig Musik drin ist. Urlaube und Kurzurlaube von Menschen mit Behinderung würden nach den Ergebnissen von damals allein einen Nettoumsatz von circa 2,5 Milliarden Euro im Jahr generieren. Das Potenzial wurde jedoch sogar auf bis zu 4,5 Milliarden Euro geschätzt. Und hier reden wir noch nicht von all den älteren Menschen, die aufgrund des Alters bestimmte Einschränkungen haben, oder von Familien, bei denen Barrierefreiheit bedeuten würde, den Kinderwagen überall unproblematisch mitzunehmen. Das Potenzial ist also sehr groß; der Bedarf ist da. Die immer wieder zitierten Zahlen haben wir alle verinnerlicht: Für 10 Prozent der Bevölkerung ist Barrierefreiheit zwingend erforderlich, für 30 Prozent ist sie hilfreich, aber für 100 Prozent ist sie komfortabel. Über all dies gibt es hier im Haus keinen Dissens. Einen Dissens gibt es, wenn wir darüber reden, was alles bereits auf den Weg gebracht wurde, und wenn wir darüber reden, in welchen Bereichen wir von hier aus auch die Chance haben, gesetzgeberisch einzugreifen. Vor wenigen Wochen erschien der tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung. Dort wird deutlich, dass auch der barrierefreie Tourismus seinen Platz hatte und hat. Denken wir an das Projekt des BMWi „Entwicklung und Vermarktung barrierefreier Angebote und Dienstleistungen in Deutschland“ mit seinen Modulen. Ende der letzten Legislaturperiode gab es mit der Studie „Barrierefreier Tourismus für Alle in Deutschland“ ja bereits eine Aufstellung mit Handlungsempfehlungen. Bei all diesen Projekten und Studien haben wir letztlich immer die Herausforderung, dass wir die Situation beschreiben können, Potenziale darstellen können und Handlungsempfehlungen gegeben werden können. Damit ist aber auch die große Herausforderung beschrieben, die all diesen Dingen innewohnt. Wir stoßen bei der Umsetzung immer auch an die Grenzen der Zuständigkeiten. Der Tourismus ist eine klassische Querschnittsaufgabe. Das gilt für die unterschiedlichen Fachressorts; das gilt aber eben auch für die unterschiedlichen politischen Ebenen. Grundsätzlich gilt aber, dass die Bundesländer hier am Zug sind. Ich will uns als Bundestag gar nicht aus der Verantwortung entlassen. Dort, wo es möglich und nötig ist, sind wir gefordert. Aber auch Ihr vorliegender Antrag ist voll von Forderungen, der Bund solle auf die Länder einwirken, bestimmte Dinge einzuführen. Da muss ich ehrlich sagen, dass mich so etwas in einem Antrag der SPD einfach ärgert. Die SPD ist an 14 von 16 Landesregierungen beteiligt. Ich wünschte, es wäre anders, aber so sieht es im Moment nun einmal aus. Unter diesen Umständen im Deutschen Bundestag zu fordern, die Bundesregierung solle darauf hinwirken, dass die Länder dies und jenes tun sollten, ist schon ganz schön dreist. Ich möchte mal ein anderes Beispiel in diesem Zusammenhang ansprechen: In immer mehr Städten gibt es immer strengere Umweltzonen. Seit einigen Jahren weisen Union und FDP darauf hin, dass wir deutschlandweite einheitliche Ausnahmeregelungen brauchen. Gerade bei unserem Thema, dem Tourismus, haben Busunternehmen mit ihren Euro-3-Bussen riesige Probleme. Seit mehreren Jahren ist dieses Thema in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Und die Vertreter des Bundes, allen voran unser Staatssekretär Ernst Burgbacher, versuchen hier immer wieder, eine Lösung hinzubekommen. Das Ergebnis ist aber ernüchternd. Die Länder stellen sich quer; jeder meint, mit seinen Regelungen tue man bereits genug. Leider muss ich feststellen, dass da manchmal die Landesgrenze für einige Landesregierungen auch der Denk-Limes ist. Leidtragende sind Touristen, vor allem aber die Unternehmen, die mit einem Dschungel von Regelungen klarkommen müssen. Nun habe ich nichts gegen Bund-Länder-Arbeitsgruppen. Aber wir müssen doch feststellen, dass die besten Ideen und wohlsten Ansinnen des Bundes am Ende nichts nützen, wenn die Länder es eben anders sehen. Und in den Bereichen, in denen die Länder eben die Hoheit haben, wie im Tourismus, ist es schwer, einen gemeinsamen Weg einzuschlagen. Deshalb halte ich es für einen Schaufensterantrag, wenn Sie hier Punkt um Punkt auflisten und neue Kataloge aufstellen, was dann zwischen Bund und Ländern besprochen und verabredet werden sollte. Fürs Schaufenster reicht das alles, aber politisch arbeiten lässt sich damit nicht wirklich. Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, dass Barrierefreiheit in die Leistungsbeschreibung von Ausschreibungen und Konzessionsvergaben des Bundes aufgenommen werden solle. Sie fordern die Überprüfung von öffentlichen Bauten auf Barrierefreiheit. Sie fordern barrierefreie Fahrgast- und Tarifinformationen. Ich möchte einmal nur diese Punkte herausgreifen. In den Förderkriterien für alle Programme der Wirtschaftsförderung, insbesondere der Mittelstandsförderung, ist Barrierefreiheit ein Kriterium. Die Tourismuswirtschaft ist ein Adressat dieser Programme; insofern findet das Thema seine Berücksichtigung. Ich möchte aber auch hier ein konkretes Beispiel benennen. In meinem Wahlkreis steht die berühmte Wartburg; viele von Ihnen werden zu den Millionen Menschen gehören, die sie schon besucht haben. Als die Burg im 12. Jahrhundert errichtet wurde, gab es noch kein Baugesetzbuch, keine Flächennutzungspläne, keine B-Pläne und auch keine Bauordnung. Deshalb störte sich damals noch niemand daran, dass es sich um eine Bebauung im Außenbereich handelte, und auch nicht daran, dass die Burg nicht barrierefrei war. Martin Luther hat das Neue Testament dort trotzdem übersetzt; das Wartburgfest fand 1817 trotzdem statt. Heute ist die Burg aber eben ein touristischer Ort; die Burg ist aber nach wie vor nicht barrierefrei. Die Wartburg-Stiftung als Burgherr bekommt übrigens auch jedes Jahr Mittel des Bundes. Es gibt eine Reihe von Überlegungen, wie man die Barrieren dort verringern kann. Der Aufstieg ist steil, steinig usw. – für nicht wenige Besucher ein echtes Problem. Wenn aber etwa über eine Art Lift nachgedacht wird, meldet die UNESCO ihre Bedenken an und sagt, das sei nicht mehr vereinbar mit dem historischen Bild und der Authentizität des Ortes und droht mit Aberkennung des UNESCO-Titels. Luther und die heilige Elisabeth hatten eben keinen Lift. Was ich damit sagen möchte, ist, dass wir gerade im so wichtigen Bereich des Kulturtourismus und unserer zahllosen Denkmale immer auch vor der Herausforderung stehen, dass wir nicht überall problemlos so bauen und umbauen können, wie es unter Gesichtspunkten der Barrierefreiheit nötig wäre. Die Welt ist also etwas komplexer als ein Spiegelstrich in Ihrem Antrag. Wenn wir nun nach Ihren Ansätzen gehen, dürfte die Wartburg vielleicht gar kein Geld des Bundes mehr erhalten, weil sie eben nicht barrierefrei ist. Auch aus dem Förderprogramm für die Luther-Dekade hat die Burg aber naheliegenderweise Geld erhalten. Und ich halte dies auch für richtig. Wir müssen bei allen Fragen und Themen einfach ehrlich sein und die jeweiligen Umstände ganz konkret bewerten. Ich bin im konkreten Fall der Wartburg natürlich sehr dafür, dass wir einen barrierefreien Zugang hinbekommen. Denn natürlich soll so ein wichtiger Ort der Geschichte für alle zugänglich sein. Es kommt derzeit sogar vor, dass Menschen sich übernehmen und Herzinfarkte, auch mit Todesfolge, zu beklagen sind. Insofern ist eine Lösung dringend angebracht. Aber ich muss hier auch sagen: Was am wenigsten dazu beitragen kann, ist ein allgemeiner Beschluss des Deutschen Bundestages, in dem man beschreibt, wie man sich idealerweise die Welt vorstellt, sondern hier sind alle Verantwortlichen vor Ort gefordert. Und was hier für die Wartburg gilt, das gilt auch für viele andere Orte und Einrichtungen. Ich glaube, gerade als Bund gehen wir bei Bauten und Ausschreibungen ja mit sehr gutem Beispiel voran. Und auch vor Ort ist Barrierefreiheit doch längst angekommen. Viele von uns sind Mitglieder von Gemeinderäten oder Kreistagen. Und wir alle sehen hier doch regelmäßig, welche Bedeutung bei Baumaßnahmen dem Thema beigemessen wird. Allein die Behindertenbeauftragten oder die Seniorenbeauftragten, die Seniorenbeiräte, die es oft gibt, und viele andere Gremien und Mitentscheider stellen sicher, dass Barrierefreiheit kein hohler Begriff ist, sondern mit Leben gefüllt wird. Und ehrlich gesagt finde ich, dass dort, auf diesen unteren Ebenen der Entscheidungen, dies auch gut aufgehoben ist. Ich möchte unsere Bedeutung als Bundesparlament ja nicht unnötig herunterspielen, aber wir werden nicht jedes Thema und jedes Problem erschöpfend mit Gesetzen, Initiativen und Verordnungen von Berlin aus in alle Winkel der Republik abhandeln können. Und wir sollten auch gar nicht den Anschein erwecken, als könnten wir dies. Im Gegenteil: Ich möchte auch nicht eine solche Republik, in der alles in Berlin vorgedacht wird. Als Mitglied eines Gemeinderates einer 4 000-Einwohner-Gemeinde bin ich froh, dass wir auch eigene Schwerpunkte setzen können. Sie haben barrierefreie Fahrgast- und Tarifinformationen eingefordert. Auch hier muss ich sagen, dass sich das zunächst gut anhört. Aber in der Praxis hieße das, wir schreiben vor, dass jedes Busunternehmen zum Beispiel auf seiner Internetseite eine barrierefreie Darstellung benötigen würde. Sie müssten also auf die Syntaxanalyse achten, auf „einfache Sprache“; sie müssen bei Linksetzungen ganz besondere Kriterien erfüllen usw. Wenn sie dann auch noch ein Buchungssystem, etwa für den Ticketkauf oder Reisekauf, inte-griert haben, wird es noch komplizierter. Was für einen Großkonzern wie die Bahn oder die großen der Branche wie TUI vielleicht sogar noch zu stemmen wäre, ist für den kleinen Busunternehmer aus Aachen oder Görlitz aber vielleicht doch etwas zu viel. Dieser hat schon genug mit der Bürokratie um die Umweltzonen zu tun und muss seine Euro-3-Busse nachrüsten, und da fehlt dann eben der fünfstellige Betrag, um sein Internetangebot barrierefrei zu machen. Ich möchte dabei der SPD gar nicht darin widersprechen, dass barrierefreies Reisen ein riesiges Potenzial besitzt und es auch eine Frage der Teilhabegerechtigkeit ist, hier immer weitere Verbesserungen zu erreichen. Aber im Gefühl, Gutes tun zu wollen, wird hier ausgeblendet, unter welchen Rahmenbedingungen am Ende der Einzelne all diese Forderungen umsetzen soll. Gerade die Studie des BMWi über barrierefreien Tourismus für Alle aus dem Jahr 2008 listet zahlreiche Beispiele auf, wie einzelne Kommunen, Destinationen, Länder mit dem Thema umgehen. Und ich finde diesen Ansatz richtig. Auch bei den jüngsten Studien zum Gesundheitstourismus oder aktuell beim Tourismus in ländlichen Räumen geht das Wirtschaftsministerium wieder diesen Weg. Mit dem Herausstellen von Beispielen soll allen Akteuren gezeigt werden, was konkret vor Ort getan werden kann. Es ist eine Art Hilfe zur Selbsthilfe. Die Sorgen und Hemmungen sollen verringert werden; es soll eine Ermunterung sein – aber auch ein positives öffentliches Lob für die Akteure, die vorbildhaft agieren. Das Potenzial für barrierefreies Reisen ist immens; Sie schreiben es in Ihrem Antrag ja auch selbst. Ich glaube aber auch bei diesem Thema an die Kraft der Marktwirtschaft. Denn wir sehen ja, dass die Destinationen und Anbieter, die vorangehen, damit auch gute Erfolge erzielen. Auf der ITB hatten wir 2012 etwa einen eigenen Schwerpunkttag zum Thema und konnten sehen, dass letztlich Geld zu verdienen ist mit barrierefreiem Reisen. All diejenigen, die sich das entgehen lassen, dürfen am Ende eben nicht über den demografischen Wandel jammern. Aber nicht immer ist hier der Bundestag gefragt, sondern eben auch der Einzelne. Zum Schluss noch ein Wort zu Großveranstaltungen, die ja in dem vorliegenden Antrag hier besonders hervorgehoben werden. Herr Hacker, man sieht, dass Sie als Schweriner diesen Antrag offenbar maßgeblich formuliert haben. Ob die BUGA 2009 nun so viel barrierefreier war als andere Großveranstaltungen, vermag ich nicht zu sagen. Aber so ein ganz leuchtendes Beispiel war die BUGA vielleicht auch nicht, wie Sie es hier schildern. Der Platz am Schweriner „Beutel“ wurde für viel Geld so hergerichtet, dass er auch hohen Belastungen standhält, etwa auch für Fahrgeschäfte von Jahrmärkten. Er ist aber seither nicht einmal genutzt worden – insofern gibt es auch bei BUGAs noch andere Kriterien als die Barrierefreiheit. Aber ich möchte die Erfolge, gerade auch für die Umgestaltung des Seeareals nicht kleinreden. Mir ist es aber nicht genug, auf Bundesgartenschauen zu blicken und daraus abzuleiten, wir müssten generell bei Großveranstaltungen hier von Berlin aus so tun, als ob wir alles regulieren könnten. Und ich frage mich dann auch: Wann und wo beginnt und endet eine Großveranstaltung? Ein Fußballspiel mit 50 000 Zuschauern ist wahrscheinlich ein Großereignis. Veranstalter ist aber ein Verein, die DFL oder der DFB. Für welche Kategorie von Konzerten würden Ihre Ansätze gelten? Das ist mir dann doch ein wenig zu schwammig. Der Antrag der SPD ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir durchaus parteiübergreifend gemeinsame Ziele haben. Aber in der Analyse, wie wir diese anpacken können, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ich möchte jedenfalls nicht in Ihren Chor einstimmen, der so tut, als sei Deutschland in Sachen Barrierefreiheit ein Brachland. Gerade in den letzten zehn Jahren ist viel passiert. Der Boom im Deutschlandtourismus ist auch gar nicht denkbar ohne eine immer weitere Verbesserung der Angebote im Bereich der Barrierearmut und Barrierefreiheit. Ich denke, wenn wir die bisherigen Wege weiterverfolgen, kommen wir Stück für Stück weiter voran. Dabei sollte niemand den Eindruck erwecken, er könne alles binnen kurzer Zeit mit ein paar Forderungen hier aus dem Bundestag heraus lösen. Wir brauchen Zeit, Geduld und natürlich auch Geld. Das ist mitunter mühsam; ich verstehe auch jeden, der manchmal ungeduldig wird. Aber lassen Sie uns die einzelnen Mosaiksteine immer weiter zusammenfügen und auch ein bisschen Vertrauen haben in alle Akteure und alle Verantwortungsträger vor Ort. Nur im Verbund können wir Schritt für Schritt vorankommen. Hans-Joachim Hacker (SPD): Weltweit können Millionen von Menschen mit Behinderungen wegen unzureichender Einrichtungen nicht oder nur eingeschränkt an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Das betrifft nicht nur Menschen, die in ihrer Bewegung eingeschränkt sind, sondern auch Menschen, die nicht hören, sehen oder sprechen können oder die in ihren kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt sind. In Europa sind das 80 Millionen und weltweit – so wird geschätzt – 600 Millionen bis 900 Millionen Menschen. Das sind weltweit nahezu 10 Prozent der Bevölkerung. Dabei ist Barrierefreiheit nicht nur für Menschen mit Behinderungen Grundlage für einen stressfreien Urlaub, sondern sie kommt allen Menschen zugute. Besonders Eltern mit Kleinkindern, Unfallgeschädigte oder Senioren profitieren von barrierefreien Angeboten. Die Teilnahme an Großveranstaltungen, wie Messen, Ausstellungen oder Konzerten, ist für Menschen mit Behinderungen wegen ihrer eingeschränkten motorischen, sensorischen und kognitiven Fähigkeiten häufig nicht realisierbar. Ein gelungenes Beispiel für eine barrierefreie Großveranstaltung war die Bundesgartenschau 2009 in Schwerin. In Vorbereitung dieser BUGA wurde eine Kooperationsvereinbarung zwischen der BUGA 2009 Schwerin GmbH und dem Haus der Begegnung Schwerin e.V. mit dem Ziel abgeschlossen, die Veranstaltung umfassend barrierefrei zu -gestalten. Den Belangen von Menschen mit Behinderungen im umfassenden Sinne – Seh-, Hör-, Mobilitätsbehinderungen unter anderem – aber auch Senioren und Familien wurde Rechnung getragen und somit den Besuchern ein entspannter und erlebnisreicher BUGA-Besuch gewährleistet. Ein Beispiel dafür ist, dass eine Assistenz für Menschen mit Behinderungen angeboten wurde. Die Assistenten leisteten Hilfestellung bei der Anreise der Busse auf den Parkplatz, sie begleiteten behinderte Menschen zum Infostand, sie gaben eine Einweisung, und sie halfen bei der Ausgabe der Hilfsmittel für Menschen mit Hör-, Seh- und Mobilitätsbehinderungen. Auch leisteten die Assistenten unterstützende Begleitung während der Gästeführungen und dienten als sehende Begleitung. Die BUGA Schwerin bot darüber hinaus blindengerechte Führungen und Tourguidesysteme für hörgeschädigte Menschen an. Für mobilitätseingeschränkte Besucher wurden kostenlos Rollstühle und E-Scooter zur Verfügung gestellt. Auch Führungen in Gebärdensprache wurden angeboten. Also eine breite Palette von unterstützenden Maßnahmen für Menschen mit Handicaps, die von den betroffenen BUGA-Besuchern gerne in Anspruch genommen wurden. Diese guten Ergebnisse und Erfahrungen müssen wir verallgemeinern. Darauf zielt der Antrag meiner Fraktion ab. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird sich das Nachfragepotenzial des barrierefreien Tourismus verbunden mit der zunehmenden Reisefreudigkeit der Senioren in den nächsten Jahren und Jahrzehnten beträchtlich erhöhen. Deshalb wird die Bedeutung der barrierefreien Tourismusangebote deutlich steigen; die Erwartungen an diese Angebote wachsen. Eine gute Vorbereitung und Planung sind bei Großveranstaltungen der Schlüssel zum Erfolg. Denn mit einem beschwerlichen Anfang für behinderte Besucherinnen und Besucher oder Teilnehmerinnen und Teilnehmer kann jede – ansonsten noch so gut organisierte – Veranstaltung zum Problemfall für behinderte Menschen werden. Oft sind es nur Kleinigkeiten, die für die Betroffenen große Erschwernisse darstellen, jedoch mit geringem Aufwand hätten vermieden werden können. Veranstaltern fällt es nicht immer leicht, einen Veranstaltungsort aus der Perspektive eines Menschen mit Behinderung zu betrachten und zu erkennen, dass unterschiedliche „Stolpersteine“ auf dem Weg zu einer erfolgreichen Veranstaltung liegen können. Deshalb ist es wichtig, dass bereits im Ausschreibungsverfahren für die Organisation einer Großveranstaltung das Kriterium Barrierefreiheit enthalten ist. Barrierefreiheit bedeutet nicht nur, dass Menschen mit Einschränkungen ihrer motorischen, sensorischen und kognitiven Fähigkeiten ohne Probleme auf das Veranstaltungsgelände gelangen, sondern sich dort auch frei bewegen können. Im Sinne der in ihrer Mobilität eingeschränkten Menschen und der Menschen mit Einschränkungen ihrer sensorischen oder kognitiven Fähigkeiten wäre es, wenn alle Veranstalter von positiven Beispielen einer barrierefreien Großveranstaltung profitieren könnten. Dazu ist es notwendig, dass die Erfahrungen aus solchen Veranstaltungen in einer Studie zusammengetragen werden, um daraus in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden in den Ländern, den Kommunen und den Akteuren einheitliche nationale Kriterien für jeden Veranstaltungstyp entwickeln zu können. Um eine barrierefreie Großveranstaltung genießen zu können, ist natürlich auch die barrierefreie Anreise ein wichtiger Punkt. Deshalb fordern wir die Bundesregierung unter Mitwirkung der Landesbehörden und der Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen auf, sich dafür einzusetzen, dass Fahrgast- und Tarifinformationen barrierefrei für Menschen mit Seh- und Hörbeeinträchtigungen gestaltet, in Leichter Sprache formuliert und unter weitgehender Verwendung von Piktogrammen dargestellt werden. Die Bundes-regierung soll gemeinsam mit der Deutschen Bahn AG und den Landesregierungen mittelfristig ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, -damit alle Bahnhöfe bis 2020 barrierefrei umgebaut werden können. Die im Personenbeförderungsgesetz verankerte Barrierefreiheit im Fernlinienbusverkehr ab 2016 für neue bzw. Ende 2019 für alle Busse muss gewährleistet werden. Es muss ein Verschlechterungsverbot für die barrierefreie Gestaltung beim Bau von Flugzeugen und die Ausstattungen von Bussen gelten. Die Bundesregierung hat mit dem Projekt „Tourismus für Alle“ einen Kriterienkatalog vorgelegt, der nun in der Praxis angewendet werden und der auch für die Vergabe von öffentlichen Mitteln angewendet werden muss. Wir benötigen eine Dokumentation über den Ostzustand von barrierefreien Veranstaltungen, damit jeder Veranstalter von den Erfahrungen erfolgreich durchgeführter barrierefreier Großveranstaltungen profitieren kann. Jens Ackermann (FDP): Auf der ganzen Welt leben mehr als 7 Milliarden Menschen, die alle unterschiedlich sind. Die einzige Gemeinsamkeit: Jeder von ihnen hat irgendwelche Behinderungen: Einige können nicht tanzen, für einige ist es schwer, Fremdsprachen zu beherrschen. Diese Behinderungen sind aber nicht sofort bemerkbar und machen das Leben nicht schwerer. Jedoch müssen circa 10 Millionen Menschen in Deutschland mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen leben. Aufgrund dieser Einschränkungen ist das Leben für sie mehr oder weniger kompliziert. Was ist unter dem Begriff der Barrierefreiheit zu verstehen? Barrierefreiheit ist vielfältig und bezieht sich auf Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen und auf unterschiedliche Lebensbereiche. Das macht auch die UN-Behindertenrechtskonvention deutlich, die den Aspekt der Barrierefreiheit im Art. 9 festschreibt und die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Beseitigung von Hindernissen und Zugangsbarrieren zu treffen. Barrierefreiheit bedeutet, dass Gebäude und Orte, Verkehrsmittel und Gebrauchsgegenstände, Veranstaltungen, Dienstleistungen und Freizeitangebote so gestaltet werden, dass der Zugang zu ihnen allen Menschen zur Verfügung steht. Auch Menschen mit Behinderung sollen sie also ohne besondere Erschwernis und möglichst ohne fremde Hilfe benutzen bzw. betreten können. Es gibt wenige Menschen, die nicht gern reisen. „Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen“, meinte schon Goethe. Für Menschen mit einem körperlichen oder geistigen Handicap ist es nicht selbstverständlich und unproblematisch, zu verreisen. Das zu verändern, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Tourismusindustrie. Für uns steht die Berücksichtigung der Barrierefreiheit bei allen Projekten und Maßnahmen der Bundesregierung in der Tourismuspolitik im Vordergrund. Dieses Thema ist der Bundesregierung wichtig. Sie setzt sich dafür ein, dass barrierefreies Reisen im gesamten Spektrum der touristischen Leistungskette verankert wird. Eine gute Vorbereitung und Planung ist in vielen Fällen der Schlüssel zum Erfolg. Dieses gilt auch im Bereich des Veranstaltungsmanagements. Veranstaltern fällt es nicht immer leicht, einen Veranstaltungsort aus der Perspektive eines Menschen mit Behinderung zu betrachten. Es fällt auch nicht immer leicht, zu erkennen, dass vielerlei „Stolpersteine“ auf dem Weg zu einer erfolgreichen Veranstaltung liegen können. Eine bessere und einfachere Planung von barrierefreien Veranstaltungen zu ermöglichen, die von allen selbstverständlich und ohne Hindernisse besucht werden können, ist eine erhebliche Herausforderung. Es ist bereits deutlich geworden: Das Thema liegt uns am Herzen, es ist wichtig. Gerade deswegen ist es bedauerlich, dass der hier vorliegende Antrag der SPD nicht nur positiv zu betrachten ist. So möchte die SPD mit staatlichen Sanktionen und Zwang ihre Ziele erreichen. Das kann und darf nicht unser Anspruch sein. Wir als Liberale setzen auf die Eigenverantwortung der Menschen – auch in der Tourismuswirtschaft. Jedem Veranstalter und Gastwirt ist doch klar, dass er sich einen Wettbewerbsvorteil verschafft, wenn er auf die stetig wachsende Bevölkerungsgruppe der Älteren und Behinderten eingeht. Gerade angesichts der demografischen Entwicklung ist die Teilhabe aller Menschen am Tourismus von zentraler Bedeutung. Wir begrüßen deshalb jedwede Art von Initiativen und Projekten von Verbänden und Vereinen, um die Öffentlichkeit und die Tourismuswirtschaft weiter für das Thema „barrierefreier Tourismus“ zu sensibilisieren. Die Bundesregierung hat die zentrale Aufgabe, die Rahmenbedingungen für barrierefreien Tourismus in Deutschland zu verbessern. Aus diesem Grund hat das Bundeswirtschaftsministerium mehrere Studien zum Thema Barrierefreiheit gefördert. In diesen Studien wurde nicht nur die ökonomische Bedeutung des -barrierefreien Tourismus in Deutschland untersucht, sondern wurden durch Erfolgsfaktoren und Maßnahmen zu dessen Qualitätsverbesserung herausgearbeitet. Die Bundesregierung begleitet die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Bereich Tourismus mit flankierenden Projekten. Sie fördert die Entwicklung und Vermarktung barrierefreier Tourismus-angebote und Dienstleistungen. Im November 2011 konnte der Startschuss für das Projekt „Tourismus für alle: Entwicklung und Vermarktung barrierefreier Angebote und Dienstleistungen in Deutschland“ gegeben werden. Am 31. Mai 2012 hat der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Ernst Burgbacher, das Projekt in Berlin vorgestellt. Es läuft bis 2013 und trägt zur Erfüllung des Nationalen Aktionsplanes der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bei. Träger des Projekts ist das Deutsche Seminar für Tourismus in Kooperation mit der Nationalen Koordinierungsstelle Tourismus für Alle, NatKo. In die Durchführung eingebunden sind die Tourismuswirtschaft, die Deutsche Zentrale für Tourismus, die Behindertenverbände, Verkehrsunternehmen, Landesmarketingorganisationen sowie eine Reihe weiterer fachlicher Einrichtungen. Die Bundesregierung unterstützt das Projekt mit knapp 500 000 Euro. Ziel ist es, eine einheitliche Kennzeichnung zu entwickeln und damit die vielen verschiedenen Kennzeichnungen durch ein einheitliches System zu ersetzen. Damit fördern wir eine Transparenz der bestehenden Angebote und Leistungen. Darüber hinaus sollen Führungspersonal und Mitarbeiter der Tourismusbranche für das Thema sensibilisiert und geschult werden. Außerdem wird eine Internetplattform erarbeitet, auf der sich Reisende über barrierefreie Angebote informieren können. Die Arbeitsgemeinschaft „Barrierfreie Reiseziele in Deutschland“ hat von 2008 bis heute mehrere Modellregionen in sich vereint und engagiert sich für die Entwicklung von Angeboten für behinderte Gäste. In -Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft hat die Deutsche Bahn Mobilitätspakete geschnürt, die sowohl die An- und Abreise mit möglicher Ein-, Um- und Ausstiegshilfe, die Anschlussmobilität am Urlaubsort und die Übernachtung als auch ein mögliches Ausflugs- und Kulturprogramm beinhalten. Solche positiven Nachrichten zeigen, dass die Branche auch hier auf dem richtigen Weg ist. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es hohen Aufwand und hohe Kosten bedeutet, auf alle Bedürfnisse gleichzeitig einzugehen. Dennoch, die Barrierefreiheit bleibt das Ideal, was verwirklicht werden muss – zugunsten der Menschen mit Behinderung, aber auch mit Blick auf Menschen ohne Behinderung: So ist ein Aufzug eine Erleichterung sowohl für Senioren als auch für Eltern mit Kinderwagen. Texte in vereinfachter Sprache sind nicht nur für Menschen mit – geistiger – Behinderung geeignet. Sie können nämlich auch anderen helfen: Kindern, Menschen, die nicht oder kaum lesen können, oder Leuten, die sich an einem bestimmten Ort nicht auskennen. Für Menschen mit Behinderung bedeutet Barrierefreiheit viel mehr als nur Komfort. Das ist etwas ganz Grundsätzliches: So können sie selbst am Leben der Gesellschaft teilnehmen. Deswegen meine ich, wir sind alle damit einverstanden, dass Barrierefreiheit zu den Markenzeichen des deutschen Tourismus gehören muss und kann. Die Teilnahme aller Menschen am Tourismus muss ermöglicht werden. Dieses Ziel ist nur zusammen, in Absprache mit den Ländern, Regionen, Kommunen und den verantwortlichen Akteuren der Tourismuswirtschaft erreichbar. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Als ich diesen Antrag zum ersten Mal las, war ich ratlos. So ein wichtiges Thema und dann so ein schlechter Antrag. Und das zum Ende einer Wahlperiode, vier Jahre nach dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. Wozu dieser Antrag? Um zu zeigen, dass man weiß, was man gelernt hat? Dann ist es einfach nur peinlich. Als Wahlangebot und Ausblick? Dann ist er keine Wahlempfehlung. Lieber Kollege Hacker, Sie sind nun seit 1990 im Bundestag, arbeiten seit mehreren Jahren an meiner Seite im Tourismusausschuss und im Bau- und Verkehrsausschuss an der Seite von meiner Kollegin Heidrun Bluhm. Sie hatte als Schweriner Baudezernentin maßgeblichen Anteil am Erfolg der Bundesgartenschau in der Hauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Anstatt ihr zuzuhören, anstatt mit mir und anderen Experten aus der Behindertenbewegung – auch aus der Bundesarbeitsgemeinschaft der SPD „Selbst aktiv“ – zu reden, fassen Sie ziemlich wahllos Richtiges, Halbwahres und Unnötiges in einem Antrag zusammen. Großveranstaltungen und Reisen haben einige Schnittstellen. Sie haben auch etwas mit Tourismus und Tourismuspolitik zu tun. Sie sind aber nicht dasselbe. Und in Ihrem Antrag steht nichts Neues. Alle Punkte finden sich bereits in vorherigen Anträgen und anderen parlamentarischen Initiativen der Linken, aber auch bei der SPD und der Koalition wieder. Zum Thema „Barrierefreier Tourismus“ gibt es vielfältige Aktivitäten und auch gute parlamentarische Initiativen. Stellvertretend verweise ich auf den Antrag der Linken „Barrierefreier Tourismus für alle in Deutschland“ (Drucksache 16/10317 vom 24. September 2008). Sie verweisen in Ihrem Antrag unter den Punkten 1 und 2 auf das Projekt „Tourismus für Alle“, welches zurzeit vom Deutschen Seminar für Tourismus, DSFT, sowie der Nationalen Koordinierungsstelle Tourismus für Alle, NatKo, realisiert wird. Einen Zwischenbericht erhielten wir vor einigen Wochen auf meine Initiative hin im Tourismusausschuss. Spätestens seit diesem Zeitpunkt müssten Sie wissen, dass das Projekt noch nicht abgeschlossen ist – Sie fordern aber jetzt schon die Umsetzung der Ergebnisse –, und ich frage mich, welche in dem Projekt entwickelten Kriterien auch „für die Vergabe öffentlicher Mittel anzuwenden“ sind. Dann fordern Sie in Punkt 3, „den Istzustand von barrierefreien Großveranstaltungen in Form einer Dokumentation darzustellen“. Welche meinen Sie? Es gibt keine „barrierefreien Großveranstaltungen“. Es gab Großveranstaltungen, wo Fragen der Barrierefreiheit insgesamt gut und umfassend berücksichtigt wurden, und Großveranstaltungen, die diesbezüglich eher eine Katastrophe waren. Einige Großveranstaltungen – ich denke hier an die Fußballweltmeisterschaften der Männer und der Frauen – waren auch -Beratungsgegenstand im Tourismus- sowie im Sportausschuss des Bundestages. Vielleicht erinnern Sie sich noch an meine Fragen, Kritiken und Vorschläge zur Barrierefreiheit bei den Veranstaltungen selbst, in den Sportstadien, zur barrierefreien Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Nah- und Fernverkehr, zum Angebot an barrierefreien Hotelzimmern im Umfeld dieser Großveranstaltungen und vieles andere mehr. Was aber soll die von Ihnen geforderte Dokumentation? Dann fordern Sie in Punkt 4, „die Vergabe öffentlicher Mittel stärker mit dem Thema Barrierefreiheit zu verknüpfen“. Einmal davon abgesehen, dass dieser Punkt nicht nur mit dem barrierefreien Zugang zu Großveranstaltungen und Reisen verbunden ist, ist er in seiner Formulierung typisch sozialdemokratisch, also „windelweich“. Seit Jahren fordere ich, die Frage der Barrierefreiheit zu einem zwingenden Kriterium für die Vergabe öffentlicher Mittel zu machen. Bei dieser Forderung haben Sie mich bisher ziemlich allein gelassen – davon zeugen die Antworten der Bau- und Verkehrsminister von Eduard Oswald, CSU, über Franz Müntefering, Reinhard Klimmt, Kurt Bodewig, Manfred Stolpe, Wolfgang Tiefensee, alle SPD, bis zu Peter Ramsauer, CSU, auf meine diesbezüglichen Anfragen im Bundestag. In weiteren Punkten stellen Sie Forderungen zur Barrierefreiheit von öffentlich zugänglichen Bauten des Bundes. Auch das ist ein wichtiges Thema. Aber ist es angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit dieser Gebäude weder für touristische Aktivitäten noch für Großveranstaltungen im engeren Sinne zur Verfügung steht, hier an der richtigen Stelle? Und wenn schon, dann reicht es nicht, nur diese Gebäude auf ihre Barrierefreiheit hin zu überprüfen. Nötig ist auch hier, mit einem ambitionierten Konzept und finanziell untersetzt die bestehenden Barrieren schrittweise abzubauen und dafür zu sorgen, dass keine neuen Barrieren mehr entstehen können. Ähnliche Anmerkungen könnte ich auch zu weiteren Forderungen aus diesem Antrag machen, möchte aber an dieser Stelle darauf verzichten. Sehr geehrter Herr Hacker, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, mir ist das Thema zu wichtig, als dass man es mit solch einem Antrag „abfrühstücken“ dürfte. Hier machen Sie es sich zu leicht, ebenso wie viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen in (Regierungs-)Verantwortung, wenn es um die Umsetzung geht. Das betrifft – um nur drei Beispiele zu nennen – den Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit, der wissentlich zulässt, dass trotz millionenschwerer Investitionen der Berliner Fernsehturm, das Schloss in Friedrichsfelde und viele weitere kulturelle und touristische Attraktionen nicht barrierefrei sind. Das betrifft den DGB-Chef Michael Sommer, der seit Jahren zu seinem Maifest auf den Berliner Fernsehturm einlädt und dabei in Kauf nimmt, dass Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen von dieser Veranstaltung ausgeschlossen sind. Und es betrifft unseren Kollegen Wolfgang Thierse, der als Vizepräsident des Bundestages und Vorsitzender der Bau- und Raumkommission trotz meines seit Monaten hartnäckigen Drängens nicht dafür sorgt, dass dringende Fragen der Barrierefreiheit einschließlich der Sicherheit in Notsituationen für Menschen mit Behinderungen in den Gebäuden des Deutschen Bundestages auf die Tagesordnung gesetzt werden. Vielleicht verstehen Sie meine Ratlosigkeit im Umgang mit diesem Antrag. Ich kann nur hoffen, dass er aufgrund der Diskontinuität infolge des nahenden Endes dieser Wahlperiode verfällt und wir in der kommenden Wahlperiode ernsthafter und zielorientierter über diese Themen reden. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In Deutschland leben etwa 8,7 Millionen Menschen mit einer Behinderung, Menschen, die wegen ihrer motorischen, sensorischen oder kognitiven Fähigkeit in ihrer Lebensweise eingeschränkt sind. Menschen ohne Behinderung können sich schwer vorstellen, mit welchen Schwierigkeiten diese Menschen jeden Tag konfrontiert sind. Wo beispielsweise jede Stufe Probleme bereitet, stellt eine Reise oder die Teilnahme an einer Großveranstaltung eine enorme Herausforderung dar. Wir Grünen setzen uns dafür ein, dass aus der Freiheit, zu reisen, auch für Menschen mit einer Behinderung ein Recht auf Reisen wird. Auch für Veranstaltungsorganisatoren ist es nicht immer leicht, Bedürfnisse von behinderten Gästen zu verstehen und mögliche Schwierigkeiten vorherzusehen. Hier brauchen wir insgesamt mehr Sensibilität. Trotz all unserer Beteuerungen attestieren uns diverse Studien in Sachen Barrierefreiheit einen Nachholbedarf. Wir begrüßen deshalb den Antrag der SPD. Von Barrierefreiheit profitieren alle. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes ist die Hälfte der Bevölkerung im Jahr 2050 älter als 48 Jahre. Jeder Dritte ist über 60. Wir reden also nicht nur über einen kleinen Teil der Bevölkerung. Denken wir nur noch einmal an die für Dezember 2011 vom Deutschen Bundestag geplante Behindertenkonferenz, die dann wegen „zu vielen“ angemeldeten Rollstuhlfahrern abgesagt werden musste. Es sollte zu unserem gesellschaftlichen Selbstverständnis gehören, dass auch Großveranstaltungen für alle ohne Einschränkungen zugänglich werden. Das muss Bestandteil jeglicher Planungen werden und entspricht im Übrigen auch der ratifizierten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Eine barrierefreie Großveranstaltung kann ein großer Erfolg sein. Die Bundesgartenschau, BUGA, 2009 in Schwerin ermöglichte auch mobilitätseingeschränkten Besuchern einen weitgehend uneingeschränkten Zugang. Barrierefreie Großveranstaltungen und auch bar-rierefreies Reisen sind möglich. Der Fachkongress zum barrierefreien Tourismus auf der diesjährigen Internationalen Tourismus-Börse zeigte: Wir können und müssen auf der internationalen Ebene noch viel voneinander lernen. Um bessere barrierefreie Reisemöglichkeiten zu schaffen, muss in Infrastrukturen, Hotels und Räumlichkeiten für Großveranstaltungen investiert werden. Hier verbirgt sich auch ein großes wirtschaftliches Potenzial. Barrierefreies Reisen und auch der barrierefreie Zugang zu Großveranstaltungen sind eine große Chance für die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit von touristischen Destinationen. An dieser wichtigen Investition in die Zukunft sollten wir dringend arbeiten. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13550 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 40: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zugang zu medizinischem Cannabis für alle betroffenen Patientinnen und Patienten ermöglichen – Drucksachen 17/6127, 17/13620 – Berichterstattung: Abgeordnete Karin Maag Die Reden gehen zu Protokoll. Karin Maag (CDU/CSU): Mit ihren Anträgen fordert die Opposition, künftig kein betäubungsmittelrechtliches Strafverfahren mehr einzuleiten, wenn Tatverdächtige Cannabis aufgrund einer ärztlichen Empfehlung verwenden und eine Expertengruppe Off-Label-Use am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einzurichten, deren Aufgabe es sein soll, Empfehlungen für die zulassungsüberschreitende Anwendung, Off-Label-Use, von Arzneimitteln auf der Basis von Cannabis zu erstellen. Das Anliegen, bei schwerkranken Patientinnen und Patienten die Versorgung mit cannabishaltigen Arzneimitteln zu verbessern, ist grundsätzlich richtig und wird von mir geteilt. Wir unterscheiden uns allerdings gravierend in den Lösungsvorschlägen. Cannabis ist vor allem auch eine berauschende Substanz, deren Konsum grundsätzlich gesundheitsgefährdend ist. Cannabis als Arzneimittel muss also auch stets im Kontext der Verhinderung von Missbrauch gesehen werden. Dieser Spagat, auf der einen Seite ausreichend Möglichkeiten vorzuhalten, Schmerzen zu lindern und trotzdem Missbrauch zu verhindern, gelingt meines Erachtens am besten mit Fertigarzneimitteln, weshalb ich es als es unsere gemeinsame Aufgabe ansehe, die Versorgung mit cannabishaltigen Fertigarzneimitteln zu verbessern und den schwerkranken Patientinnen und Patienten Zugang zu diesen zu ermöglichen. Fertigarzneimittel bieten die Sicherheit, dass diese im Rahmen des Zulassungsverfahrens nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts eine standardisierte Qualität haben. Deren Wirksamkeit in einer Indikation wurde über entsprechende klinische Studien nachgewiesen. Andere Anwendungsformen haben diese standardisierte Qualität nicht und sind aus unserer Sicht folgerichtig abzulehnen. Für den medizinischen Einsatz von cannabishaltigen Fertigarzneimitteln hat diese Koalition deshalb mit der 25. Betäubungsmittelrechtsänderungsverordnung die betäubungsmittelrechtlichen Voraussetzungen für die Zulassungs- und Verschreibungsfähigkeit geschaffen. Auf dieser Grundlage können weitere Arzneimittel entwickelt und für diese und andere Indikationen eine Zulassung beantragt werden. Für die bei schwerkranken Patientinnen und Patienten erforderliche Therapie mit cannabishaltigen Fertigarzneimitteln ist seit Juli 2011 mit Sativex ein Arzneimittel auf dem Markt, dass bei der durch Multiple Sklerose induzierten Spastik durch den Arzt verordnet und erfolgreich eingesetzt werden kann . Bezogen auf diese Indikation ist die Kostenübernahme durch die Krankenkasse dann auch gegeben. Das Medikament wird aber auch im Off-Label-Use verwendet. Bereits seit 1998 sind überdies die Cannabisinhaltsstoffe Dronabinol und Nabilon nach der Anlage III zum BtMG verkehrs- und verschreibungsfähige Betäubungsmittel. Dronabinol ist ein teilsynthetisch hergestellter Stoff, der in Deutschland verkehrs- und verschreibungsfähig im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes ist. In Deutschland kann Dronabinol für die individuelle Therapie als Rezepturarzneimittel verordnet werden. Die Fertigarzneimittel Marinol und Nabilon können im Wege des Einzelimportes nach § 73 Abs. 3 AMG von den Apotheken nach Deutschland verbracht und auf ärztliche Verschreibung hin abgegeben werden. Daneben kann das BfArM im Einzelfall die Ausnahmeerlaubnis zur Anwendung von Cannabis zu medizinischen Zwecken erteilen. Demgegenüber hat auf die Frage nach dem Erfolg einer Therapie mit ungeprüften Cannabiszubereitungen Professor Dr. Radbruch von der Arzneimittelkomission der deutschen Ärzteschaft eindeutig klar und deutlich festgestellt: „Die Behandlung mit ungeprüften Substanzen birgt das Risiko, dass der Wirkstoffgehalt nicht sicher ist und sehr stark schwanken kann. Darüber hinaus gibt es das Risiko der Kontamination.“ Jede weitere Form, eigene, sozusagen hausgemachte, Cannabiszubereitungen für die medizinische Anwendung zu verwenden, lehnen wir deshalb vor allem auch aus Gründen der Patientensicherheit ab. Das mit dem Antrag einhergehende Aussetzen eines betäubungsmittelrechtlichen Strafverfahrens wegen des Gebrauchs von Cannabis auf ärztliche Empfehlung lehnen wir damit folgerichtig ebenfalls ab. Aus unserer Sicht bieten die vorhandenen gesetzlichen Rahmenbedingungen noch ausreichend Spielraum, um bei schwerwiegenden, lebensbedrohlichen Erkrankungen cannabishaltige Arzneimittel zulasten der GKV zu verordnen. Dem Antrag ist zuzugeben, dass das Angebot an Fertigarzneimitteln derzeit noch dünn ist und die Kosten für die Behandlung zum Beispiel mit Dronabinol hoch sind. Allerdings sind weitere Fertigarzneimittel vom Markt angekündigt. Liebe Kollegen von den Oppositionsparteien, wir haben heute den Herstellern die Wege im AMNOG bei der Vergleichstherapie wirklich minimal erleichtert. Auch Sativex ist davon betroffen. Gerade mit dem Argument der Sicherstellung von Versorgung heißt es, hier den forschenden Unternehmen auch einen Spielraum für die Entwicklung neuer Medikamente, nicht zuletzt im Bereich der Schmerzbehandlung, zu geben. Hier geht es nicht, wie Sie uns stets vorwerfen, um Pharmalobby, sondern um die Entwicklung sicherer Medikamente. Dort sollten Sie unterstützen und nicht den ungehinderten Zugang und damit auch die unkontrollierte Verbreitung von Cannabis fordern. Der ungefilterte, unkontrollierbare Zugang von Cannabis auf dem Markt und die Gefahr der Weitergabe ist für mich, jedenfalls bei den vorhandenen Möglichkeiten, keine Alternative. Der des Weiteren gestellte Antrag, eine Expertengruppe für die Anwendung von Arzneimitteln auf Basis von Cannabis ins Leben zu rufen, läuft aus unserer Sicht ebenfalls fehl. Für den Off-Label-Use haben wir ebenfalls bereits mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22. Dezember 2011 in § 35 c SGB V die Voraussetzungen dafür geschaffen, eine „ständige Expertengruppe Off-Label-Use“ ins Leben zu rufen. Für die Indikationsbereiche Onkologie, Infektiologie, Neurologie/Psychiatrie und Ophtalmologie sind bereits Expertengruppen gebildet. Weitere Expertengruppen befinden sich in Vorbereitung. Im Rahmen der bereits bestehenden Expertengruppen sowie der ständigen Expertengruppe können, aus unserer Sicht, alle Fragen eines notwendigen und medizinisch sinnvollen Einsatzes von Arzneimitteln, die Cannabis enthalten, bereits jetzt durch den G-BA in Auftrag gegeben werden. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die für die Berufung einer neuen Gruppe im Antrag erhobenen Forderungen alleine nicht ausreichen. Voraussetzung ist hier vielmehr, dass ein Bewertungsauftrag im Rahmen der Regelversorgung vom G-BA zu erteilen ist. Ein solcher Bewertungsauftrag liegt zurzeit nicht vor. Festzuhalten ist des Weiteren, dass der G-BA im Auftrag der gemeinsamen Selbstverwaltung für die Konkretisierung des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung im Bereich der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln zuständig ist. Die Beauftragung der Expertengruppe Off-Label zur Bewertung erfolgt nach dem Errichtungserlass des BMG durch den G-BA. Eine Beauftragung durch das BMG ist nur für besondere Situationen zulässig, wenn zum Beispiel wichtige Fragen zur Versorgung der Bevölkerung in Krisenzeiten zu klären sind. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der gesetzgeberische Weg für eine Medikation mit medizinischem Cannabis aufgezeigt ist. Eine weitere Öffnung im Sinne des Antrages halte ich für nicht angezeigt. Gehen Sie mit uns den sicheren Weg, und verunglimpfen Sie nicht weiter diejenigen, die sich für Forschung und Versorgung einsetzen! Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Seit dem Inkrafttreten der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften im Mai 2011 ist die Herstellung und Zubereitung von Cannabisprodukten zu medizinischen Zwecken gestattet. Dadurch sind cannabishaltige Fertigarzneimittel verschreibungsfähig geworden. Ich freue mich, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung, die, was Betäubungsmittel betrifft, ja eher ideologisch konservativ einzuordnen ist, hier über ihren Schatten gesprungen ist und die besagte Verordnung auf den Weg gebracht hat. Der Zugang zu medizinischem Cannabis wurde und wird von der SPD unterstützt. Im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass über die bisherigen Regelungen zur therapeutischen Verwendung von Cannabis beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, nur eine sehr kleine Anzahl von Patienten eine Erlaubnis zum Bezug eines Cannabisextraktes oder von Cannabisblüten bekommen hat. Nach Gesprächen und Briefkontakten mit onkologischen Schmerzpatienten und Spastikern, die uns über die lindernde Wirkung von Cannabis bei ihrem Krankheitsbild berichtet haben, sind wir der festen Überzeugung, dass Cannabis einer größeren Patientengruppe als bisher festgestellt helfen könnte. Und auch wenn wir weiter an der grundsätzlichen Strafbarkeit von Cannabis festhalten, wollen wir doch weniger bürokratische Regelungen für die Verschreibbarkeit von Cannabisextrakten zu medizinischen Zwecken. Ich bin sicher: Wir werden in den nächsten Jahren medizinische Innovationen erleben, und es werden cannabishaltige Fertigarzneimittel zukünftig auch für weitere Krankheitsbilder auf den Markt kommen. Und die Kassen werden diese neuen Arzneimittel erstatten. Wir müssen aber bei jedem Arzneimittel immer auf den Zusatznutzen gegenüber dem bisher gebräuchlichen Medikament schauen. Generell haben die Patientinnen und Patienten einen Anspruch darauf, dass sie nur Arzneimittel erhalten, die erwiesenermaßen wirksam sind. Die Anhörung im Deutschen Bundestag am 9. Mai 2012 hat gezeigt, dass wir nicht generell und pauschal bei jedem cannabishaltigen Arzneimittel vom Nutzen ausgehen können. So wurde der Zusatznutzen von Sativex als zugelassenem Arzneimittel für eine Therapie bei Multiple-Sklerose-induzierter Spastik vom Gemeinsamen Bundesausschuss als gering bewertet. Eine Erstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung bei Off-Label-Use ist nur ausnahmsweise möglich, wenn keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht. Den Betroffenen sei in diesen Fällen dringend empfohlen, sich an die Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss zu wenden. Bei Arzneimitteln auf Basis von Cannabis jedoch pauschal auf den Nachweis eines Nutzens durch die entsprechenden Verfahren zu verzichten – so wie es die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen letztlich fordert –, halte ich für problematisch. Da sollten wir nicht das Kind mit dem Bad ausschütten und auch keine Politisierung der Medizin betreiben. Ich sagte es schon: Ich erwarte für die Zukunft mehr cannabishaltige Arzneimittel für mehr medizinische Indikationen, die auch ihren Nutzen belegen können. Besondere Probleme haben wir mit der Forderung des Antrags nach der faktischen Legalisierung der Selbstmedikation mit Cannabis. Selbstmedikation ist generell oft problematisch, und auch bei Cannabis ist sie aus ärztlicher und wissenschaftlicher Sicht keineswegs wünschenswert. Dies hat die Sachverständigenanhörung deutlich gemacht. So hat zum Beispiel die Bundesärztekammer vor einer Legalisierung von Therapien, die auf im Eigenanbau erzeugtem Cannabis beruhen, gewarnt. Diese könnten „Patienten ernsthaft gefährden“. Auch die Forderung, auf Strafverfahren generell zu verzichten, wenn jemand Cannabis auf der Basis einer ärztlichen Empfehlung besitzt, anbaut oder sich verschafft, halten wir nicht für zielführend. Der Antrag der Grünen hinterlässt in diesem Punkt den Eindruck, dass es nicht wirklich um eine sachgerechte medizinische Versorgung geht, sondern um einen Umweg zugunsten der generellen Legalisierung von Cannabis. So ist in Ihrem Antrag auch nicht von einer Obergrenze für den Cannabisanbau die Rede, sodass theoretisch eine ganze Plantage straffrei betrieben werden könnte, wenn der Anbauer nur eine ärztliche Empfehlung hat. Das geht so nicht und würde mehr Probleme schaffen als lösen. Ich fasse zusammen: Wir haben kein Problem mit Cannabis als Medizin; wir haben allerdings ein Problem mit einer totalen oder Hintertür-Legalisierung von Cannabis. Laut Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung weisen 525 000 bis 750 000 Menschen in Deutschland einen problematischen Cannabiskonsum auf, und etwa 220 000 Menschen sind hierzulande cannabisabhängig. Cannabiskonsum kann schwere psychische und physische Schäden verursachen, insbesondere bei jungen Konsumenten. Wir werden in den nächsten Jahren eine Reihe neuer cannabishaltiger Fertigarzneimittel erhalten, die entwickelt werden. Wenn diese ihren Nutzen – und zwar so wie alle anderen Arzneimittel auch – wissenschaftlich solide nachweisen, besteht kein Hindernis für deren Verschreibungsfähigkeit. Und auch die Erstattungsfähigkeit durch die Krankenkasse darf dann nicht in Zweifel gezogen werden. Entscheidend ist für die SPD der nachgewiesene und tatsächliche Nutzen für die Patientinnen und Patienten mit dem Ziel der objektiv bestmöglichen Versorgung. Wir haben lange geschwankt, ob wir den Antrag wegen einer Reihe von kritischen Punkten ablehnen sollen oder ob wir uns wegen der grundsätzlichen Zustimmung zu cannabishaltigen Medikamenten vielleicht doch enthalten sollen. Wir haben uns für die Enthaltung entschieden. Wir wollen in Zukunft die Entwicklung von Cannabis als Medizin und die Forschung in diesem Bereich weiter voranbringen. Wir stehen hier noch am Anfang, und mit entsprechenden parlamentarischen Mehrheiten werden wir hier sicher in der nächsten Legislaturperiode auch zu gemeinsamen Verbesserungen kommen. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Der Zugang zu medizinischem Cannabis ist für viele Patientinnen und Patienten sehr wichtig. Gerade im Hinblick auf die immer besseren Erkenntnisse zur Wirksamkeit cannabishaltiger Arzneimittel ist es von zentraler Bedeutung, schwerkranken Patientinnen und Patienten Zugang zu cannabishaltigen Fertigarzneimitteln zu ermöglichen. Fertigarzneimittel haben gegenüber anderen Anwendungsformen von Cannabis große Vorteile. Denn sie müssen im Rahmen des Zulassungsverfahrens nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts eine standardisierte Qualität und eine relative Unbedenklichkeit nachweisen. Und auch die Wirksamkeit in einer Indikation muss über klinische Studien belegt sein. Seit Juli 2011 ist mit Sativex ein cannabishaltiges Fertigarzneimittel zur Behandlung der durch Multiple Sklerose induzierten Spastik verfügbar. In dieser Indikation ist eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen gegeben. Mit der 25. Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung wurden die Voraussetzungen für den medizinischen Einsatz von zugelassenen Fertigarzneimitteln auf Cannabisbasis geschaffen. Auf dieser Grundlage können weitere Arzneimittel entwickelt und für diese und andere Indikationen eine Zulassung beantragt werden. Nach Aussagen von Sachverständigen ist auch der als Rezepturarzneimittel verwendete Cannabiswirkstoff Dronabinol in bestimmten Fällen zur Therapie geeignet. Ähnlich ist es mit unter kontrollierten qualitätssichernden Bedingungen angebautem Medizinalhanf. Aus Gründen der Patientensicherheit erachten wir illegale Cannabiszubereitungen für die medizinische Anwendung als ungeeignet. Aus diesem Grund lehnen wir auch die im Antrag geforderte Regelung ab, dass ein betäubungsmittelrechtliches Strafverfahren wegen des Gebrauchs von Cannabis auf ärztliche Empfehlung auszuschließen ist. Hinsichtlich der Fragestellung des Off-Label-Use ist festzuhalten, dass mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz die Voraussetzungen geschaffen wurden für eine neue, ständige Expertengruppe Off-Label-Use, die fachgebietsbezogen ergänzt werden kann. Die jetzigen rechtlichen Rahmenbedingungen reichen vollkommen aus, sich mit sämtlichen Fragestellungen des medizinischen Gebrauchs von Cannabis anzunehmen. Was die Konkretisierung des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung angeht, ist diese grundsätzlich im Aufgabenbereich der gemeinsamen Selbstverwaltung zu finden. Für Fragen rund um die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln ist der Gemeinsame Bundesausschuss zuständig. Die geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen bieten ausreichenden Spielraum, eine Kostenübernahme von Arzneimitteln auf Cannabisbasis durch die gesetzliche Krankenkasse in besonderen Einzelfällen zu gewähren. Insbesondere dann, wenn für die Behandlung einer lebensbedrohlichen bzw. schwerwiegenden Erkrankung keine andere Therapie zur Verfügung steht. Ob im jeweiligen Einzelfall diese Voraussetzung vorliegt, beurteilen Experten des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse. Aber die fehlende Kostenübernahme kann kein Argument dafür sein, dass auf Eigenanbau oder die Beschaffung von Cannabis ausgewichen wird. Denn Qualität, eine relative Unbedenklichkeit und auch die Wirksamkeit eines Medikaments sind im Sinne der Patientensicherheit unverzichtbar. Frank Tempel (DIE LINKE): Wir behandeln heute den Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen auf erleichterten -Zugang zu Cannabis zur medizinischen Verwendung. Cannabis kann bereits heute in Deutschland zur medizinischen Verwendung genutzt werden. Bei einer Vielzahl von chronischen Erkrankungen bewirkt die Einnahme von Cannabis eine Linderung von Begleiterscheinungen oder Symptomen der Grunderkrankung, unter anderem Multiple Sklerose, Glaukom, HIV/Aids, Krebs, Hepatitis C. Gerade die medizinische Verwendung von Cannabis genießt in der Bevölkerung immer größere Unterstützung. Es ist zu beobachten, dass auch die allgemeine Presse über diesen Gegenstand vermehrt sachlich und am Thema orientiert -berichtet. Das war bisher leider nicht immer so und ist in vielen anderen Bereichen der Drogenpolitik leider auch noch immer nicht der Fall. Durch die Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfG, vom 20. Januar 2000 sowie eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 wurde die Möglichkeit zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung eröffnet. Leider neigt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-produkte, BfArM, zu einer restriktiven Auslegung der eingehenden Anträge. So sind die Hürden des Antragsverfahren für die Konsumentinnen und Konsumenten viel zu hoch angesetzt, und das jeweilige Verfahren dauert im Allgemeinen viel zu lange. Bisher wurden beim BfArM seit 2005 von 156 Patientinnen und Patienten ein Antrag auf Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG gestellt. Es erhielten nur 54 Patientinnen und Patienten eine entsprechende Erlaubnis, wobei derzeit noch 42 von ihnen über diese verfügen. 12 Patientinnen und Patienten sind mittlerweile verstorben oder haben ihre Erlaubnis an das BfArM zurückgegeben – Stand: 18. November 2010; „Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke „Legalisierung von Cannabis-Medikamenten zur Therapie von schweren Erkrankungen“, Drucksache 17/ 3810. Die monatlichen Therapiekosten sind enorm: Wie im Antrag richtig festgestellt, liegen diese bei bis zu 1 500 Euro im Monat. Diese werden von den Krankenkassen bis heute nicht übernommen. Die Bundesregierung hat in der Antwort auf unsere obengenannte Kleine Anfrage selbst zugegeben, dass „bei der Abgabe einer Zubereitung aus einem Stoff oder mehreren Stoffen ein Festzuschlag von 90 Prozent auf den Apothekeneinkaufspreis ohne Umsatzsteuer für Stoffe und erforderliche Verpackung, ein nach Art der Darreichungsform festgelegter Rezepturvorschlag sowie die Umsatzsteuer zu erheben“ ist. Bis heute hat sich die Bundesregierung aber nicht dafür eingesetzt, dass für die betroffenen Patientinnen und Patienten ein Anspruch auf Kostenübernahme bei ihren Krankenkassen besteht. Die anderen Patientinnen und Patienten sowie -Konsumierende, welche die hohen Antragshürden scheuen oder für die langwierige Antragsdauer keine Kraft mehr aufbringen können, sind weiterhin auf den unregulierten Cannabisschwarzmarkt – ohne existierenden Verbraucherschutz – angewiesen. Völlig unbeachtet blieb bisher auch die Problematik des Auslandsaufenthaltes für Patientinnen und Patienten. So hat es das BfArM bis heute nicht geschafft, ein Formular zu entwickeln, das es den Betroffenen erlaubt, ihre Medizin mit ins Ausland zu nehmen. Für viele ist der Verzicht auf das Medikament mit Schmerzen verbunden, was wiederum Grund dafür ist, dass viele Patientinnen und Patienten nicht mehr ins Ausland fahren können. Auch in der öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses am 9. Mai 2012 wurde in zahlreichen Stellungnahmen deutlich Kritik am bisherigen Gesetzeszustand formuliert. So schreibt die Bundesärztekammer in ihrer Stellungnahme (Ausschussdrucksache 17(14)0265(6)) – ich zitiere: „Zurzeit ist die Kostenerstattung durch die Kostenträger weiterhin häufig schwierig und vom Arzneimittel und der Indikation abhängig. Die Patienten, bei denen Cannabis indiziert ist, sind in der Regel nicht in der Lage, die Medikation selbst zu bezahlen, da sie an einer unheilbaren Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium leiden oder im Rahmen einer Schmerzerkrankung nicht nur körperlich, sondern auch sozial und wirtschaftlich stark eingeschränkt sind. In einer Reihe von Einzelfällen wurde THC erfolgreich in einer spe-zialisierten Einrichtung, Schmerzklinik oder Palliativstation, initiiert und nach Entlassung des Patienten in die hausärztliche Weiterbetreuung nicht mehr verabreicht, weil die Kosten nicht übernommen wurden. Wir sind der Auffassung, dass eine Ablehnung der Kostenübernahme durch die Kostenträger nicht durch den Verweis auf eine unzureichende wissenschaftliche Beweislage erfolgen darf, wenn in einem individuellen Heilversuch für den Patienten bestätigt worden ist, dass die Medikation mit dem cannabinoidhaltigen -Arzneimittel effektiv und verträglich ist. Bei den Patienten, bei denen eine Therapie mit cannabinoidhaltigen Arzneimitteln indiziert ist, muss daher eine vollständige Kostenübernahme für den gesamten Zeitraum der Medikation über die Kostenträger sichergestellt werden.“ Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin e. V. hat sich dieser Stellungnahme der Bundesärztekammer angeschlossen. Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e. V. führte in ihrer Stellungnahme zahlreiche Länder auf, in denen Cannabis zu medizinischen Zwecken mittlerweile flächendeckend ohne hohe Hürden angeboten und von den Betroffenen genutzt wird. Warum ist das nicht in Deutschland möglich? USA: 330 000 registrierte Patientinnen und Patienten, Kanada: 12 116 -registrierte Patientinnen und Patienten, Israel: 6 000 registrierte Patientinnen und Patienten, Deutschland: 65 registrierte Patientinnen und Patienten. Im Anhang der Stellungnahme Ausschussdruck-sache 17(14)0265(4)). befanden sich zudem insgesamt 110 Literaturhinweise für bereits durchgeführte kontrollierte Studien mit Cannabis und Cannabinoiden bei wichtigen Indikationen. In ihrer Antwort auf unsere obengenannte Kleine Anfrage gab die Bundesregierung zu, keine Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der medizinischen Verwendung von Cannabis zu unterstützen. Dabei schätzt sie die Datenlage zur Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabinoiden folgendermaßen ein: „Zur Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabinoiden in der Therapie von chronischen neuropathischen Schmerzen und Schmerzen von Krebspatientinnen und -patienten liegen soweit ersichtlich nur wenige Daten aus kontrollierten klinischen Studien vor.“ (Drucksache 17/3810). Der Antrag der Grünen geht daher in die richtige Richtung. Die Bundesregierung sollte die hohen -Hürden abbauen und den Zugang zur medizinischen Verwendung von Cannabis vereinfachen. Die Bundestagsfraktion Die Linke hatte einen entsprechenden -Antrag bereits 2008 in den Bundestag eingebracht (Antrag „Cannabis zur medizinischen Behandlung freigeben“, Drucksache 16/9749). Dieser wurde damals gegen die Stimmen der Linken und Grünen abgelehnt. Gleichwohl muss festgehalten werden, dass eine -Legalisierung des Anbaus von Cannabis für den Eigenbedarf, wie es Die Linke in dieser Legislatur-periode gefordert hat (Antrag „Legalisierung von -Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs, Drucksache 17/7196), jeder Patientin und jedem -Patienten ermöglichen würde, Cannabis auch ohne ärztliche Verschreibung zu nutzen. Leider wurde dieser Antrag ebenso gegen die Stimmen der Linken und Grünen abgelehnt. Der Antrag der Grünen ist daher ein kleiner, aber dennoch richtiger Schritt in die richtige Richtung. Konsequenterweise müsste der Antrag zusätzlich einfordern, die betäubungsmittelrechtlichen Hindernisse für eine Erforschung von Cannabispräparaten zu beseitigen. Er beinhaltet aber die weitere -Entkriminalisierung des Cannabiskonsums. Die Linke wird diesem Antrag daher zustimmen. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Union und FDP haben im Gesundheitsausschuss gegen diesen Antrag gestimmt. Sie haben das damit begründet, dass inzwischen ja bereits ein cannabishaltiges Fertigarzneimittel zugelassen sei und der Bedarf der Patientinnen und Patienten damit gedeckt sei. Außerdem könnten die Kosten eines nicht zugelassenen Arzneimittels in lebensbedrohlichen Fällen auch von den Kassen übernommen werden. Da muss ich Sie gleich mehrfach korrigieren: Erstens gibt es derzeit kein Medikament auf dem Markt. Man kann darüber streiten, warum das Verfahren beim Gemeinsamen Bundesausschuss so ausgegangen ist, wie es ausgegangen ist; aber derzeit gibt es kein Medikament, für das die Kassen regulär die Kosten übernehmen. Zweitens würde dieses Medikament nur einem kleinen Teil von Patienten helfen; denn es ist nur für die Linderung der Spastik bei Multipler Sklerose zugelassen. Patienten, die etwa wegen einer Krebserkrankung an Appetitlosigkeit oder an schweren Schmerzen leiden, gehen leer aus. Drittens kann die von Ihnen lediglich ins Gesetz geschriebene sogenannte Nikolaus-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur denjenigen helfen, die an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leiden. Patienten, die an einer schweren chronischen, aber nicht zum Tode führenden Erkrankung leiden, nützt dieses Urteil und Ihre neue Regelung im Sozialgesetzbuch V nichts. Es bleibt im Übrigen eine Einzelfallentscheidung, bei der die Patienten vom Gutdünken eines Sachbearbeiters abhängig sind. Von Dichtem besehen ist also die Begründung, warum sie unseren Antrag abgelehnt haben, nicht stichhaltig. In Wahrheit hat Ihre Ablehnung ideologische Gründe. Man kann das sehr schön nachvollziehen anhand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens um die von einem Patienten beantragte Ausnahmegenehmigung zum medizinischen Anbau von Cannabis. Das Bundesgesundheitsministerium hat mit allen juristischen Mitteln versucht, diese Genehmigung zu verhindern. Selbst das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte war am Ende dafür, den Antrag zu bewilligen. Aber das hat diese Regierung nicht daran gehindert, vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster in die nächste juristische Runde zu gehen. Eine schwere Schlappe blieb Ihnen im konkreten Fall nur deswegen erspart, weil sich urplötzlich doch noch eine Krankenkasse fand, die die Kosten einer Behandlung mit einer Cannabismedizin übernehmen wollte. Dennoch hilft ein Blick in das Urteil. Denn das Gericht hat auch dieses ganz klar gesagt: Die vom FDP-geführten Bundesgesundheitsministerium zu verantwortende grundsätzliche Ablehnung von Anträgen zum Eigenanbau ist rechtswidrig. Die Gesundheitspolitik hat sich in dieser Frage insgesamt nicht mit Ruhm bekleckert. Das muss man klar sagen. Denn jeden kleinen Fortschritt mussten sich die Patienten vor Gericht erkämpfen. Schon die Möglichkeit, überhaupt Anträge für den Bezug eines Cannabis-extraktes oder von Pflanzenbestandteilen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu stellen, geht auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes von 2005 zurück. Und jetzt war schon wieder ein Gerichtsurteil nötig, damit sich wenigstens etwas verbessert. Dieses Antragsverfahren ist im Übrigen ein hochgradig bürokratisches, fast unmenschliches Verfahren. Damit werden in der Regel schwerkranke Patienten zu Bittstellern degradiert. Und wenn das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, den Antrag dann am Ende bewilligt, müssen die Patientinnen und Patienten die Kosten des Cannabismedikaments selbst tragen. Diese monatlichen Therapiekosten können bis zu 1 500 Euro betragen. Bei den Betroffenen handelt es sich aber in der Regel nicht um Einkommensmillionäre, sondern um schwerkranke, häufig auch erwerbsunfähige Menschen. Es ist daher verständlich, dass zahlreiche Patientinnen und Patienten daran denken, Cannabis illegal anzubauen oder sich auf dem Schwarzmarkt zu besorgen. Die derzeitige Rechtslage zwingt Betroffene, zur Linderung ihrer Erkrankung eine Straftat zu begehen. Gegen etliche Menschen laufen Ermittlungsverfahren, sie stehen vor Gericht, manche bekommen sogar Haftstrafen. Dies ist der Hintergrund, vor dem wir unseren Antrag gestellt haben und insbesondere vorschlagen, Patienten, die ein ärztliches Attest haben, den straffreien Anbau, Besitz und Erwerb von medizinischem Cannabis zu ermöglichen. Wir hatten diese Debatte ja bereits im Jahre 2008. Ich will Ihnen, also von der Koalition wie auch der SPD, zugestehen, dass Sie sich an der Stelle zumindest argumentativ etwas bewegt haben. Damals behaupteten Sie noch, Cannabis sei gar nicht wirksam oder Cannabis sei keine Spaßdroge und mache abhängig und dürfe daher nicht an schwerkranke Patienten abgegeben werden. Heute verwenden Sie andere Argumente. Im Kern hat sich aber an Ihrer rein ideologisch motivierten Haltung nichts verändert. Im Gesundheitsausschuss wurde aus meiner Sicht kein einziges Argument genannt, das substanziell gegen unseren Antrag spricht. Die FDP behauptet zum Beispiel, die Entkriminalisierung würde zur Selbstmedikation führen, und damit würde die Patientensicherheit gefährdet. Abgesehen davon, dass diese Behauptung nirgends belegt ist, müssten Sie damit auch die derzeit bestehende Möglichkeit eines Antrags beim BfArM ablehnen. Denn auch die über die Apotheke zu beziehenden Extrakte oder Cannabisblüten sind keine Fertigarzneimittel. Fraglich ist auch, warum aus Ihrer Sicht die Patientensicherheit durch den Status quo gestärkt wird. Statt es sich zu Hause straffrei anbauen zu können, wie von uns vorgeschlagen, müssen sich die Patienten Cannabis auf dem Schwarzmarkt besorgen. Die besonderen gesundheitlichen Risiken von auf dem Schwarzmarkt gehandelten Substanzen waren ja hier oft genug Thema; das müsste Ihnen also noch geläufig sein. Und auch Ihnen von der SPD kann ich den Vorwurf nicht ersparen, dass Sie sich mal wieder wegducken. Zwar werden Sie sich bei der Abstimmung enthalten. Allerdings halte ich das für wenig glaubwürdig, wenn Sie uns vorwerfen, wir wollten uns mit unserem Vorschlag eine Hintertür zur Legalisierung des Eigenanbaus offenhalten. Ihr Vorwurf belegt sehr gut, dass es hier nicht um Patienten, sondern vor allem um eine prohibitive drogenpolitische Ideologie geht. Sie machen die Betroffenen zu reinen Objekten dieser Ideologie. Insofern muss ich meine Aufforderung von 2008 auch für die jetzige Bundesregierung und die SPD aufrechterhalten: Kommen Sie endlich raus aus Ihrem weltfremden, drogenpolitischen Elfenbeinturm und helfen Sie den Patientinnen und Patienten! Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13620, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/6127 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Linken und der Grünen und Enthaltung der SPD-Fraktion. Ich rufe Tagesordnungspunkt 41 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Willi Brase, Ulla Burchardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ausbildungssituation im Hotel- und Gaststättengewerbe verbessern – Drucksache 17/13549 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus (f) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Die Reden gehen zu Protokoll. Heike Brehmer (CDU/CSU): Die Hotels und Gaststätten in Deutschland stehen für eine hohe Qualität, exzellenten Service und Gastfreundschaft. Dass dies so ist, ist vor allem der Arbeit der engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hotel- und Gaststättengewerbe zu verdanken. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hotel- und Gaststättengewerbe arbeiten fleißig und engagiert – und das auch am Wochenende und an Feiertagen. Diese Einsatzbereitschaft verdient Anerkennung und Respekt. Von 2002 bis 2012 hat sich die Zahl der sozialver-sicherungspflichtig Beschäftigten im Hotel- und -Gaststättengewerbe um 13,3 Prozent erhöht. Rund 8 Prozent aller Ausbildungsverträge werden im Gastgewerbe abgeschlossen. Trotz dieser positiven Entwicklung steht die Ausbildung im Hotel- und Gast-stättengewerbe vor den Herausforderungen des demografischen Wandels. Das Erwerbspersonenpotenzial wird in Deutschland voraussichtlich von heute 55 Millionen auf 44 Millionen Menschen im Jahr 2050 zurückgehen. Im Jahr 2030 werden bereits mehr als 5 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Im September 2013 beginnt das neue Ausbildungsjahr. Für die Hotels und Gaststätten vor Ort wird es immer schwieriger, Lehrlinge zu finden und offene Stellen zu besetzen. Schon heute werden in vielen -Regionen angehende Köche, Hotel- und Restaurantfachleute, Hotelkaufleute und Fachleute für System-gastronomie sowie Fachkräfte im Gastgewerbe händeringend gesucht. Die Bundesagentur für Arbeit verzeichnete im August 2012 ein Minus von bei 6,3 Prozent bei der Bewerbernachfrage im Bereich Hotellerie. In der Gastronomie lag das Minus der Bewerbernachfrage bei 12,7 Prozent. Wir müssen uns die Frage stellen, weshalb sich gerade im Gastgewerbe immer mehr junge Menschen gegen eine mögliche Ausbildung entscheiden. In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollen wir, dass das Gastgewerbe ein wichtiger Jobmotor bleibt. Deshalb ist die Sicherung des Fachkräftebedarfs eine wichtige Aufgabe unserer zukünftigen Arbeitsmarktpolitik. In ihrem Antrag geht die Fraktion der SPD auf die mangelnde Attraktivität eines Berufes im Gastgewerbe ein. Sie fordert – ich zitiere –: „Die Politik muss Akteure zusammenbringen und Vorschläge entwickeln.“ Junge und motivierte Menschen für eine Ausbildung im Gastgewerbe zu begeistern, ist eine Aufgabe, der sich alle verantwortlichen Akteure am Ausbildungsmarkt gleichermaßen stellen müssen. Mit dem Konzept zur Fachkräftesicherung geht unsere christlich-liberale Bundesregierung auf politischer Ebene einen wichtigen Schritt voran. In diesem Konzept werden Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt untersucht, um geeignete Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel in den einzelnen Branchen zu entwickeln. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und der Bundesagentur für Arbeit die Fachkräfteoffensive ins Leben gerufen. In enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Netzwerken bietet die Fachkräfteoffensive Experten, Unternehmen und Arbeitnehmern eine Chance, sich über das regionale Fachkräftepotenzial zu informieren. In diesem Zusammenhang müssen wir uns auch mit dem Thema Bildung auseinandersetzen. Die Fraktion der SPD fordert in ihrem Antrag – ich zitiere – „zusammen mit den Ländern darauf hinzuwirken, gemeinsame Standards für Leistung und Qualität von Schule und Ausbildung sicherzustellen“. Die SPD geht hier nicht mit gutem Beispiel voran, wie man derzeit in Niedersachsen beobachten kann, wo die SPD in der Regierungsverantwortung ist und das Sitzenbleiben in der Schule abschaffen will. Die Qualität der Bildung, welche in der Zuständigkeit der Länder liegt, hat in Deutschland eine sehr hohe Priorität. Bildung ist und bleibt die Grundvoraussetzung für den Einstieg ins Berufsleben. Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollen, dass alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen Schul-abschluss erreichen. Deswegen wollen wir in der christlich-liberalen Koalition Deutschland zur „Bildungsrepublik“ machen. Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und sie ist Aufgabe der Bundesländer und Kommunen. Jugendliche müssen auf ihre spätere Berufswahl durch ihre Eltern, durch die Schule und durch eine qualifizierte Berufsberatung vorbereitet werden. Um eine mögliche Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe für junge Menschen attraktiv zu machen, hat der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband e. V., DEHOGA, einen Zehnpunkteplan zur Fach- und Arbeitskräftesicherung erarbeitet. Darin ruft der -DEHOGA Betriebe und Unternehmen auf, die Möglichkeit der Selbstdarstellung durch Schnupperpraktika, Tage der offenen Tür und Kooperation mit Schulen aktiv zu nutzen. Klar ist, kaum eine Branche hat so gute Möglichkeiten, Jugendliche und junge Erwachsene neugierig auf einen Beruf zu machen wie das -Hotel- und Gaststättengewerbe. Die DEHOGA-Landesverbände bauen ein flächendeckendes Ausbildungsnetzwerk auf, welches Betrieben, Berufsschulen, IHKs und Arbeitsagenturen die Möglichkeit bietet, sich über offene Stellen zu informieren und gemeinsam in Kontakt zu treten. In ihrem Antrag formuliert die SPD – ich zitiere –: „Die Qualität und die Rahmenbedingungen für die Ausbildung im Hotel- und Gastgewerbe müssen dringend verbessert werden.“ Die genannten Praxisbeispiele zeigen deutlich, dass es hier großes Engagement der Betriebe und Unternehmen gibt, das Thema Ausbildung aktiv mitzugestalten. Dabei spielt insbesondere die Qualität der Ausbildung eine wichtige Rolle für die Unternehmen. Das hat sich in meinen persönlichen Gesprächen mit den Ausbildungsbetrieben in meinem Wahlkreis Harz sowie mit dem DEHOGA-Landes- und Bundesverband bestätigt. Der DEHOGA-Bundesverband hat zur Unterstützung der Hotel- und Gaststättenbetriebe vor Ort einen innovativen Wegweiser für Ausbilder ins Leben gerufen. Dieser hervorragende Wegweiser wurde bundesweit verbreitet und unterstützt die Betriebe dabei, die Qualität ihrer Ausbildung zu verbessern und junge Frauen und Männer in ihren Ausbildungsberufen zu fördern. So erläutert der Wegweiser für Ausbilder praxisnahe Themen wie die Strukturierung der Ausbildung oder die Kommunikation mit dem Azubi. Darin heißt es: „So wie ein gutes Gericht ein Rezept benötigt, so benötigt gute Ausbildung strategische und strukturelle Planung sowie Fachwissen.“ Auch der nationale Azubiwettbewerb, welcher von der DEHOGA ins Leben gerufen wurde und der uns jedes Jahr einen deutschen Jugendendmeister in der Hotellerie und Gastronomie kürt, zeigt einmal mehr das Engagement unserer Unternehmen für die Ausbildung junger Menschen. Bereits in drei großen Landesverbänden der DEHOGA, beispielsweise in Bayern, wurde das Projekt der Ausbildungsbotschafter ins Leben gerufen. Dieses Projekt bietet Ausbildern die Möglichkeit, ihr Wissen weiterzugeben und mit den Unternehmen vor Ort ihre Erfahrungen auszutauschen bzw. Hilfestellung zu leisten. Dabei kommt unserem deutschen System der dualen Ausbildung, das heißt der praxisorientierten Arbeit im Betrieb verbunden mit einer Berufsschule, eine entscheidende Bedeutung zu. Es ist wichtig, dass sich junge Menschen nach ihrem Schulabschluss neben der Möglichkeit eines Studiums ebenso interessiert für eine duale Ausbildung entscheiden. Nur so werden wir dauerhaft offene Lehrstellen besetzen und den Fachkräftebedarf der einzelnen Branchen sichern können. Unsere duale Ausbildung in Deutschland steht als Vorbild für viele andere europäische Länder. Das zeigt die von der Europäischen Kommission ins Leben gerufene Ausbildungsallianz. Dazu haben Deutschland, Spanien, Griechenland, Portugal, Italien, die Slowakei und Lettland ein Memorandum zur Bildungskooperation unterzeichnet, welches Maßnahmen zur Einführung der beruflichen Bildung nach deutschem Vorbild vorsieht. Am 3. Juni 2013 hat unsere Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel verschiedene europäische Staats- und Regierungschefs sowie die Arbeitsminister der EU-Staaten zu einer Konferenz geladen, um die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in der EU zu diskutieren. Unsere Bundesrepublik hat heute die zweitniedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Dies ist der nachhaltigen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik unserer unionsgeführten Bundesregierung zu verdanken. Wir verfügen über ein umfangreiches Know-how bei der Ausbildung junger Menschen. Das gilt auch für die Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe. Wir in der CDU/CSU wollen, dass wir dieses Know-how in Zukunft verstärkt nutzen und die weltweit anerkannte duale Ausbildung im eigenen Land vorantreiben. In Zukunft wird die nachhaltige Investition in die Qualität der Ausbildung immer bedeutender werden, um im nationalen und internationalen Wettbewerb zu bestehen. Bei einer innovativen Branche wie dem Gastgewerbe kommt es darauf an, stets für den Gast interessant zu bleiben, neue gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen und Traditionen zu pflegen und weiterzuentwickeln. Wir müssen uns stets vor Augen führen, um wen es bei der Frage der Ausbildung geht. Es geht um Jugendliche und junge Erwachsene, denen eine Ausbildung den Weg ins Berufsleben ebnet. Insbesondere im Gastgewerbe sind der Arbeitsschutz und die Arbeitszeiten wichtige Kriterien für diesen Start ins Berufsleben. In Ihrem Antrag fordert die Fraktion der SPD die Bundesregierung auf – ich zitiere – „einen Gesetzentwurf vorzulegen, um die Kontrolle der Regelungen gemäß Jugendarbeitsschutzgesetz, insbesondere in Bezug auf Arbeits- und Urlaubszeiten sowie den Freizeitanspruch, wirksam durchzusetzen und Missstände aufzudecken und zu sanktionieren“. Um das aus dem Jahr 1976 stammende Jugendarbeitsschutzgesetz auf die Bedürfnisse unserer heutigen Zeit hin zu prüfen, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf Fachebene eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt. Im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe heißt es zum Thema Arbeitszeiten und Arbeitsschutz: „Sowohl die Ergebnisse der Forschungsprojekte als auch die Expertengespräche legen den Schluss nahe, dass es in der Praxis Defizite in der Umsetzung des Jugendarbeitsschutzgesetzes gibt, etwa in Bezug auf die Vorschriften zur Dauer der Arbeitszeit und zur Nachtruhe. Daher empfiehlt die Arbeitsgruppe, dass sich die für den Vollzug des Jugendarbeitsschutzgesetzes zuständigen Länder mit dieser Thematik weiter befassen.“ An dieser Stelle möchte ich an die Länder appellieren, im Rahmen der Umsetzung des Jugendarbeitsschutzgesetzes dafür zu sorgen, dass Jugendliche in ihren Ausbildungsberufen den ihnen zustehenden Jugendschutz genießen. Neben den Aufsichtsbehörden der Länder sind aber vor allem die Ausbildungsbetriebe vor Ort gefordert, ihrer Verantwortung für die Lehrlinge und Auszubildenden gerecht zu werden. Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wollen, dass alle verantwortlichen Akteure gemeinsam Anstrengungen unternehmen, um mögliche Ausbildungshemmnisse bei den Unternehmern und den Auszubildenden abzubauen. Klar ist, die Auszubildenden von heute sind die Fachkräfte von morgen. Eine Ausbildung stellt die entscheidenden Weichen für die spätere Selbstständigkeit und Verantwortung im Beruf. Eine praxisnahe und fachlich fundierte Ausbildung bildet die Basis dafür, dass unser deutsches Hotel- und Gaststättengewerbe auch in Zukunft über geeignetes Fachpersonal verfügt und wettbewerbsfähig bleibt. Das ist nur möglich, wenn Politik und Wirtschaft gemeinsam mit den Berufsbildungseinrichtungen an einem Strang ziehen. Nur so können wir in Zukunft dauerhaft junge Leute dazu motivieren, sich für eine Ausbildung in einem Hotel oder einer Gaststätte zu bewerben. Dies kann jedoch nur im konstruktiven Miteinander aller Beteiligten geschehen und darf nicht, wie im Antrag der SPD gefordert, allein vom Staat gesteuert werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt den Antrag der Fraktion der SPD ab. Ich möchte mich abschließend dem Zitat unserer Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel, anschließen, welche im April 2013 auf dem Kongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion „Fit für die Zukunft durch gute betriebliche Qualifikationen“ sagte: „Alle wollen mehr Wohlstand, alle arbeiten daran. Ich glaube, wir können es schaffen, mitzuhalten, aber wir dürfen nicht einfach hocken bleiben, sondern wir müssen neugierig in die Zukunft schauen.“ Gabriele Hiller-Ohm (SPD): In diesen Tagen hören wir bei den Arbeitsmarktzahlen wieder sehr oft: Der Tourismus belebt den Arbeitsmarkt. Besonders in Küstenregionen – aber nicht nur – stützt sich der Aufschwung am Arbeitsmarkt auf den Tourismus. Aber nicht nur, wenn gerade einmal wieder neue Arbeitsmarktzahlen veröffentlicht werden, zeigt sich: Der Tourismus in Deutschland ist ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Für das Jahr 2010 gab es in diesem Bereich eine Bruttowertschöpfung in Höhe von rund 100 Milliarden Euro. Das entspricht 4,4 Prozent der Bruttowertschöpfung der deutschen Volkswirtschaft. Und das sind nur die direkten Effekte. Nehmen wir auch alle anderen Effekte hinzu, kommen wir auf eine Bruttowertschöpfung von 214 Milliarden Euro. Das entspricht rund 10 Prozent der gesamten bundesdeutschen Bruttowertschöpfung. Diese Zahlen müssen auch der Bundesregierung bekannt sein. Sie stammen nämlich aus der Studie „Wirtschaftsfaktor Tourismus“. Herausgeber ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Die Tourismusbranche ist für Deutschland demnach sehr wichtig. Darin sind wir uns mit der Studie aus dem Wirtschaftsministerium einig. Zu kurz kommt dabei aber: Wer hält diesen wichtigen Wirtschaftszweig eigentlich am Laufen? Allein im Hotel- und Gaststättengewerbe arbeiteten im Jahr 2010 über 1,7 Millionen Menschen, sozusagen direkt am Gast. Das sind 59 Prozent der im Tourismus beschäftigten Menschen. Deswegen ist es selbstverständlich, dass man für diese Branche auch gute Bedingungen schafft, um Nachwuchs zu begeistern. Und gerade hier gibt es eine Riesenbaustelle. Das Hotel- und Gaststättengewerbe steht personell vor seiner vielleicht größten Herausforderung. Zum einen führt der demografische Wandel dazu, dass immer weniger junge Menschen da sind, die ins Berufsleben starten. Mit diesem Aspekt bezüglich des drohenden Fachkräftemangels haben fast alle Branchen zu kämpfen – keine Frage. Aber im Hotel- und Gaststättengewerbe haben wir zum anderen deutlich verschärfte Bedingungen: Eine Ausbildung in dieser Branche ist zurzeit leider wenig attraktiv, und das, obwohl Deutschland immer häufiger als Reiseland entdeckt wird, übrigens auch von den Deutschen selbst. Rund 27 Prozent der Deutschen machen Urlaub im eigenen Land. Und gerade bei diesen Urlauben scheint „das Geld locker zu sitzen“. Zumindest ist eine sehr hohe Ausgabebereitschaft im Urlaub in Deutschland zu verzeichnen. Aber diesen Entwicklungen müssen gut ausgebildete Fachkräfte im Hotel- und Gaststättenbereich gegenüberstehen. Und genau hier steuern wir in den kommenden Jahren auf deutliche Probleme zu. Schauen wir uns die Zahl der geschlossenen Ausbildungsverträge an. Sechs gastgewerbliche Ausbildungsberufe haben wir vom Koch über Restaurant- oder Hotelfachmann bzw. -frau bis zur Hotelkauffrau bzw. Hotelkaufmann. Für das Jahr 2012 haben wir bei diesen sechs Ausbildungsberufen einen Rückgang bei den geschlossenen Ausbildungsverträgen von 10,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen. Vergleicht man alle IHK-Ausbildungsberufe, beträgt der Rückgang hier vergleichsweise niedrige 2,8 Prozent. Im Jahr 2007 war es noch ganz gut um neue Auszubildende im Hotel- und Gaststättengewerbe bestellt. Im Vergleich dazu haben wir bei den geschlossenen Verträgen ein Minus von 36 Prozent. Bei allen anderen Ausbildungsberufen sind es im Schnitt rund 10 Prozent. Allein die IHK-Statistiken zeigen bereits, dass bei einer Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe etwas nicht stimmt. Die Dramatik verdeutlicht sich, wenn wir schauen, wie viele Ausbildungen vorzeitig enden. Der Berufsbildungsbericht 2013 spricht eine deutliche und verheerende Sprache: 51 Prozent brachen ihre Ausbildung zum Restaurantfachmann bzw. zur -fachfrau ab. Bei der Ausbildung zur Köchin oder zum Koch waren es 49,9 Prozent. Angehende Fachkräfte im Gastgewerbe warfen zu 44 Prozent vorzeitig das Handtuch. Hier muss man die Frage stellen: Warum kommt es zu diesen Situationen? Wie würden Sie reagieren, wenn Ihre Tochter oder Ihr Sohn sagt, dass sie oder er in der Gastronomie oder Hotellerie arbeiten möchte? Würden Sie zuraten? Zuraten, in einer Branche zu arbeiten, in der niedrige Löhne und Ausbildungsvergütungen bezahlt werden? Hinzu kommt, dass die Tarifbindungen in der Branche insgesamt eher schwach sind. Würden Sie zuraten, in einer Branche zu arbeiten, in der man befürchten muss, trotz Arbeit arm und auf zusätzliche Sozialleistungen angewiesen zu sein? Viele Arbeitsplätze sind befristet – oftmals saisonal. Leiharbeit und Teilzeitarbeit sind weit verbreitet, ebenso die Minijobs: Etwa jeder Dritte in der Branche wird geringfügig bezahlt. Ob er (oder meistens sie) auch geringfügig arbeitet, ist mehr als fraglich. Das sind mit Sicherheit die Hauptkriterien, warum die Zahl der geschlossenen Ausbildungsverträge sinkt. Trotzdem gibt es Auszubildende, die aus Idealismus oder Leidenschaft im Tourismus arbeiten wollen. Aber auch bei ihnen stellt sich dann oft der Frust ein: Frust über häufige Wochenendarbeit und Überstunden, die nicht mit Freizeit ausgeglichen werden. Frust über die ungenügende Vermittlung von Ausbildungsinhalten. Frust auch bedingt dadurch, dass der Jugendarbeitsschutz zu schlecht kontrolliert und durchgesetzt wird. Und genau an diesen Punkten setzt unser Antrag an. Die Bundesregierung muss hier aktiv werden. In vie-len Fällen nicht nur sie allein, aber sie muss koordinieren – Bund, Länder, Industrie- und Handelskammern, DEHOGA und Gewerkschaften müssen endlich an einen Tisch gebracht werden und an einem Strang ziehen, damit der Fachkräftemangel nicht so groß wird und einer ganzen Branche das Wasser abgräbt. Wir müssen gemeinsam ran an die niedrigen Ausbildungsvergütungen. Dazu brauchen wir nationale Ausbildungsstandards, die eine Mindestausbildungsvergütung nicht unterhalb der BAföG-Höchstsätze vorsieht. Wir brauchen gesetzliche Regelungen, die bessere Kontrollen und Regelungen zulassen, damit Missstände bei Arbeits- und Urlaubszeiten und beim Freizeitanspruch aus Überstunden nicht mehr vorkommen. Genauso müssen Auszubildende vor Prüfungen rechtzeitig freigestellt werden. Auch hier gibt es immer wieder Missstände und zu knappe Fristen – auch für eine angemessene Vorbereitungszeit der Prüflinge. Die Ausbildungsberatung muss besser und transparenter werden. Auszubildende brauchen niedrigschwellige Angebote und zentrale Ansprechpartner vor Ort. Auch so können wir – neben effektiveren Kontrollen – Auszubildende vor schlechten oder ungenügenden Arbeitsbedingungen besser schützen. Die Minijobs haben ihr Ziel weitgehend verfehlt – auch im Hotel- und Gaststättengewerbe. Sie müssen sehr stark eingedämmt werden. Die Ausbildung, insbesondere im Hotel- und Gaststättengewerbe, muss noch mehr junge Menschen ansprechen. Dafür gilt es Hemmnisse abzubauen. Das gilt für vorgeschaltete Qualifizierungsmaßnahmen wie für Barrierefreiheit in Berufsschule und am Ausbildungsort gleichermaßen. Integrationsbetrieben kommt eine besondere Bedeutung dabei zu. Sie gilt es zu fördern. Und auch wer seine Ausbildung abbricht, darf nicht auf die Straße gesetzt werden. Auch hier muss qualifiziert werden, damit Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Chance – manchmal auch eine zweite – bekommen können. Wir hatten dazu schon einmal für begleitende Hilfen 200 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt gefordert. Mit unserem Antrag unterstreichen wir diese Forderung noch einmal. Zusammen mit den Ländern muss der Bund gemeinsame Standards für Leistung und Qualität von Schule und Ausbildung sicherstellen. Darüber hinaus brauchen wir endlich einen Gesetzentwurf, der das völlig unsinnige Kooperationsverbot in Bildungsfragen zwischen Bund und Ländern aufhebt. Außerdem müssen Ausbildung und Forschung besser voneinander profitieren. Auch hier sind Bund und Länder gleichsam gefordert. Wissenschaftlichen Einrichtungen zur Ausbildung von touristischen Fachkräften fällt eine besondere Position zu. Sie gilt es aus unserer Sicht strukturell und finanziell zu fördern. Unser Ziel ist dabei, die Ausbildung und die Ausbildungsinhalte passgenauer an die aktuellen und sich abzeichnenden Bedürfnisse anzupassen. Der Tourismus ist eine starke Branche. Sie kann aber nur stark bleiben, wenn wir gut ausgebildete und motivierte junge Fachkräfte jedes Jahr neu hinzubekommen. Mit unseren Vorschlägen wollen wir das zu oft schlechte Erscheinungsbild stoppen. Unser Ziel ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn in ein paar Jahren Ihre Tochter oder Ihr Sohn sagt, dass sie oder er eine Ausbildung im Tourismusbereich machen möchte, dass Sie dann aus vollen Stücken zuraten können. Unser Antrag bietet dafür heute die Grundlage. Willi Brase (SPD): Die Ausbildungssituation im Hotel- und Gaststättengewerbe ist derzeit eines der Sorgenkinder in der beruflichen Bildung. Um es gleich vorweg zu sagen: Es geht nicht darum, ein ganze Branche zu verunglimpfen, aber leider steht es mit der Ausbildungssitua-tion nicht zum Besten. Das ist sehr bedauerlich, da -besonders dieser Bereich den jungen Menschen grundsätzlich gute Aufstiegschancen und Perspektiven eröffnen kann. Kaum ein anderer Bereich bietet eigentlich derart gute Voraussetzungen, um international zu arbeiten und die Welt kennenzulernen. Dagegen wird der HoGa-Bereich mit ausbildungsfremden Tätigkeiten, schlechter Entlohnung, nicht bezahlten Überstunden und nicht eingehaltenem Jugendschutz in Verbindung gebracht. Das bedeutet: Die Qualität der Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe lässt sehr zu wünschen übrig. Einer der Gradmesser sind die Lösequoten bei den Ausbildungsverträgen. Meine Kollegin Gabi Hiller-Ohm hat Ihnen bereits die aktuellen – erschreckend hohen – Zahlen genannt. Es lässt sich nicht leugnen: Der Hotel- und Gaststättenbereich trägt die rote Laterne. Wir müssen an das Thema ran. Der SPD-Antrag zeigt dazu den richtigen Weg. Denn am Ende geht es um zwei Dinge: Wir müssen den jungen Menschen, die sich für diesen Bereich interessieren, eine qualifizierte Ausbildung mit vernünftigen Perspektiven bieten. Gleichzeitig müssen wir vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung dazu beitragen, dass der Fachkräftebedarf für diese Branche gesichert wird. Wir haben in Deutschland das Problem, dass der Ausbildungsmarkt stark von regionalen Disparitäten geprägt ist. Das macht sich auch im Hotel- und Gaststättengewerbe bemerkbar. Das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage sowie das sogenannte Matching zwischen potenziellem Azubi und Unternehmen ist nicht ausgewogen. Das geht so weit, dass in einigen Teilen des Landes freie Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können. Diese Tatsache ist umso erstaunlicher, als dass es circa 80 000 Markbenachteiligte gibt, die alle Voraussetzungen für den Start in eine Ausbildung erfüllen. Weiterhin sind 280 000 Jugendliche im Übergangsbereich zwischen Schule und Beruf, von denen allerdings der Großteil über mindestens einen Hauptschulabschluss verfügt. Trotzdem werden diese Jugendlichen als nicht ausbildungsreif diskriminiert. Wenn ich mir allerdings die Ausbildungsqualität in einigen Betrieben anschaue, frage ich mich, ob die Betriebe ausreichend ausbildungsreif sind. Die SPD will nicht nur gute Arbeit, sie will auch gute Ausbildung als Einstieg in das Berufsleben. Neben vielen anderen Aspekten haben wir 2005 während der rot-grünen Regierungszeit das Thema bei der Reform des Berufsbildungsgesetzes verankert. Durch die Gesetzesnovellierung ist es den Berufsausbildungsausschüssen bei den zuständigen Stellen übertragen worden, die Qualität der dualen Ausbildung zu gewährleisten und zu verbessern. Diese müssen ihre Aufgabe kontinuierlich wahrnehmen. Außerdem wollen wir von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden getragene branchenbezogene Ausbildungsfonds etablieren. Sie tragen nicht nur zur Sicherung eines ausreichenden Angebots von Ausbildungsplätzen bei, sondern garantieren auch ein hohes Maß an Qualität. Ein Beispiel zur Qualitätssicherung ist die Initiative der IHK Siegen und des DGB Südwestfalen aus meiner Heimat. Dort sind die Probleme im Hotel- und Gaststättenbereich selbstverständlich auch bekannt. Gemeinsam wurden Bausteine zur Verbesserung des gastgewerblichen Ausbildungsniveaus erarbeitet. Es ist ein weiterer Beweis dafür, dass Ausbildungsmärkte regionale Märkte sind. Die IHK stellt für alle Ausbildungsbetriebe die auf NRW-Ebene erarbeiteten inhaltlichen Mindestanforderungen zu den einzelnen gastgewerblichen Ausbildungsberufen ins Internet. In diesem Zusammenhang wird noch einmal besonders auf die Bedeutung einer ordnungsgemäßen Dokumentation hingewiesen. Das Berichtsheft ist kein Buch der sieben Siegel, sondern ein Tätigkeitsnachweis, der vom Betrieb kontrolliert werden muss. Laut DGB-Ausbildungsreport gaben 35,5 Prozent der Auszubildenden an, dass sie ihr Berichtsheft trotz eindeutiger Regelungen nie während der Arbeitszeit führen konnten. Die Initiative hat noch weitere Bausteine verabredet. Vierteljährlich führen Ausbilder und Auszubildende Feed-back-Gespräche. In einer Liste mit den Mindestanforderungen werden dabei die vermittelten Kenntnisse und Fertigkeiten von beiden Vertragspartnern abgezeichnet. Gut finde ich auch, dass weitere Bereiche ins Visier genommen werden. So prüft die IHK, inwieweit dem gestiegenen Beratungsbedarf der Unternehmen aus dem HoGa-Bereich in der Erstausbildung durch eine Verstärkung der eigenen Beratungskapazitäten entsprochen werden kann. Des -Weiteren werden mit den Mitgliedern der Prüfungsausschüsse Workshops für die Ausbildungsbetriebe angeboten. Alles in allem zeigt sich, dass durch Kooperation vor Ort und gutem Willen einiges im Sinne der jungen Leute auf den Weg gebracht werden kann. Horst Meierhofer (FDP): Ich teile mit der SPD die Freude darüber, dass die Tourismusbranche in Deutschland erheblich wächst und immer mehr an Bedeutung gewinnt. Ein Anteil an der gesamten Bruttowertschöpfung in Höhe von 4,4 Prozent und 407,4 Millionen Übernachtungen aus dem In- und Ausland 2012 sind stolze Werte. Ebenfalls teile ich mit der SPD die Sorge über den bevorstehenden oder teilweise bereits vorhandenen Fachkräftemangel in der Hotel- und Gaststättenbranche. Die Zahl der Arbeitsplätze im Tourismus ist in den letzten Jahren aufgrund des Booms der Branche natürlich gestiegen. Der Anstieg betrug von 2007 auf 20012 ganze 17 Prozent. Das Interesse an einer Ausbildung im Tourismusbereich sinkt hingegen. 2011/12 haben sich 4 Prozent weniger Jugendliche bei der Bundesagentur für Arbeit für eine Ausbildung in Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen interessiert. Konkret bleiben mit 14 Prozent überdurchschnittlich viele Stellen unbesetzt. Bei so viel Übereinstimmung mit der SPD hat es ja fast den Anschein, als ob ich mit dem Gedanken spielen würde, eine sozialliberale Koalition aufleben zu lassen. Aber freuen Sie sich nicht zu früh, denn da muss ich Sie leider enttäuschen. Die vermeintliche Harmonie trügt! Ich stimme mit der SPD absolut nicht in der Analyse der Lage überein. Ich denke vielmehr, dass die SPD hier eine Entwicklung, auf die die Politik wenig Einfluss hat, für Stimmungsmache instrumentalisiert. Zunächst einmal gehören übrigens nicht nur die klassischen Berufe im Hotel- und Gaststättengewerbe zur Tourismusbranche, sondern auch Tätigkeiten wie die des/der Reiseverkehrskaufmanns/-frau, Veranstaltungskaufmanns/-frau etc. Der Antrag der SPD befasst sich aber ausschließlich mit der Hotel- und Gaststättenbranche. Betrachtet man nämlich die ganze Bandbreite der Jobs, die die Tourismuswirtschaft in Deutschland trägt, ergibt sich ein differenziertes Bild: So steigt zum Beispiel das Interesse an Berufen im Bereich Tourismus und Sport – 2011/12: plus 3 Prozent – und im Veranstaltungsservice und -management; 2011/12: plus 7 Prozent. Man muss also das gesamte Bild betrachten, und das lässt erkennen, dass an Ausbildungen in der Tourismusbranche teilweise auch viel Interesse besteht. Das heißt, dass die Branche eigentlich gute Perspektiven haben könnte. Nehmen wir aber einfach auch mal den eingeschränkten Blickwinkel der SPD ein und beschränken uns nur auf die Ausbildungsberufe im Hotel- und Gaststättengewerbe. Das fehlende Interesse an einer Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe ist ein allseits bekanntes Problem. Ein ausschlaggebender Grund für den fehlenden Nachwuchs ist der demografische Wandel. Die schwindende Anzahl an jungen Menschen ist verbunden mit der Tatsache, dass sich immer mehr für ein Studium entscheiden statt für einen Ausbildungsberuf. Dazu kommt, dass sich die Branchen im Industriebereich in den Jahren zuvor zurückgehalten haben mit dem Werben von Auszubildenden. Dies hat sich geändert, der Industriebereich ist wieder oben auf und wirbt verstärkt um Auszubildende. Das hat den Wettbewerb um die Jugendlichen verstärkt. Dienstleistungsberufen im Hotel- und Gaststättengewerbe haftet ein schlechtes Image an: schwierige Arbeitszeiten, harte Arbeit, relativ niedrige Gehälter und oftmals raue Umgangsformen. Da ist es keine Überraschung, dass sich die jungen Leute heute, wo sie dank der tollen Wirtschaftslage eine breit gefächerte Auswahl an attraktiven Berufen haben, eher gegen den Weg in das Hotel und Gaststättengewerbe entscheiden. Hier ist es aber vornehmlich an der Branche selbst, attraktiv für den Nachwuchs zu sein. Den wachsenden Tourismus in Deutschland lässt die Branche wachsen. Die gute Wirtschaftslage führt zu einem höheren Angebot an Arbeitsplätzen. Ich sehe hier das Hotel- und Gastgewerbe im Zugzwang, aktiv zu werden und sich im Wettbewerb mit anderen Ausbildungsstätten als gute Alternative zu behaupten und seinen Nachwuchs zu sichern. Der DEHOGA hat sich dieser Aufgabe hier auch bereits in seinem Zehn-Punkte-Maßnahmenplan von 2011 gewidmet. So will er darin unter anderem die Ausbildungsqualität verbessern, bessere Perspektiven für die Auszubildenden entwickeln, Weichen in den Tarifverträgen stellen, die Gestaltung der Information über die Ausbildungen und den Zugang dazu optimieren, Fortbildungsmöglichkeiten verbessern. Das ist schon einmal ein Anfang, aber sicherlich noch nicht ausreichend. So viel Kritik gegenüber der Branche sei erlaubt: Die Werbung um die jüngeren Menschen muss erfolgreicher werden. Es gibt doch viele Positivbeispiele: Betriebe, die viel verlangen von ihren Nachwuchskräften, diesen aber auch ein großes Entwicklungspotenzial zutrauen. Ohne gute Auszubildende fehlen die Fachkräfte von morgen. Dieser Impuls muss aus der Branche selbst kommen. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Übernachtungen war gerade auch als Impuls gedacht. Investitionen wurden getätigt, vielleicht aber teilweise noch zu wenig in die Mitarbeiter. Dass die Politik das von oben verhindern kann, ist ein frommer Wunsch, erfolgreich sein wird er nicht. Deshalb geht der Antrag der SPD im Ergebnis leider am Problem vorbei. Agnes Alpers (DIE LINKE): Als Wahlgeschenk wurde 2009 die Mehrwertsteuer im Hotelbereich gesenkt. Mit diesem Milliardengeschenk wollte das Hotel- und Gaststättengewerbe auch die Situation in der Ausbildung verbessern. Ich wollte 2010 wissen: Was genau hat sich getan? In meinem Bundesland Bremen habe ich die Qualität und Zufriedenheit in Ausbildungen des Hotel- und Gaststättengewerbes unter die Lupe genommen. Auszubildende wurden befragt, aber auch die Sichtweisen der Gewerkschaft NGG, des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes und der Handelskammer Bremen aufgenommen. Heraus kam eine Broschüre mit folgenden Ergebnissen: Für den hohen Arbeitsaufwand empfanden 60 Prozent der Auszubildenden die Ausbildungsvergütung als zu gering. Mehr als 60 Prozent der Auszubildenden mussten regelmäßig Überstunden leisten. Mehr als zwei Drittel mussten nach der Schule und an den Wochenenden, vor einem Blockunterricht in der Schule, arbeiten. Mehr als ein Drittel verübten ausbildungsfremde Tätigkeiten. Über 40 Prozent gaben an, dass die Vorgaben aus dem Ausbildungsrahmenplan nicht eingehalten wurden. Ich könnte diese Liste fortführen. Fakt ist: Aufgrund der Bedingungen würden 57 Prozent der Befragten den Beruf nicht noch einmal ergreifen. Meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, ich sage Ihnen: Statt milliardenschwere Wahlgeschenke zu verteilen, hätten Sie sich längst für die Verbesserung der Ausbildungsqualität in der Hotel- und Gaststättenbranche einsetzen müssen. Die Branche klagt, dass sie ihre Ausbildungsstellen nicht besetzen kann. Auch der Berufsbildungsbericht 2013 bestätigt das: Platz eins bei den unbesetzten Ausbildungsstellen: Restaurantfachfrau/-mann, Platz zwei: Fachfrau/-mann für Systemgastronomie. Es folgen die Fachkraft im Gastgewerbe, Hotelkauffrau/-mann und Koch/Köchin. Wer durch geringe Qualität und prekäre Arbeit nach der Ausbildung glänzt, muss sich nicht darüber wundern, dass die Stellen nicht besetzt werden. Und Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und FDP, hören Sie endlich auf, diese unbesetzten Stellen zu instrumentalisieren, um ständig einen allgemeinen Fachkräftemangel heraufzubeschwören! Ich sage es deutlich: Das sind in dieser Branche keine Einzelfälle. Es wird Ihnen Jahr für Jahr im Berufsbildungsbericht und im Ausbildungsreport des DGB bestätigt: Die Berufe des Hotel- und Gastgewerbes gehören zu den Berufen mit den höchsten Vertragsauflösungen und Ausbildungsabbrüchen. Deshalb müssen wir endlich umschalten: Gut ausbilden, statt auszubeuten, und Zukunft im Beruf sichern, statt prekäre Arbeit auszuweiten. Als Linke fordern wir: Erstens. Der Jugendarbeitsschutz und das Arbeitszeitgesetz müssen eingehalten und ausgebaut werden. Viele Auszubildende sind über 18 Jahre alt; deshalb muss für alle Auszubildenden gelten: keine Überstunden, denn Lehrzeit ist Lernzeit. Nach der Schule und an Wochenenden vor dem Blockunterricht wird nicht im Betrieb gearbeitet. Junge Menschen brauchen Zeit, um sich in Ruhe auf die Schule vorzubereiten und um Familie und Freunde zu sehen. Zweitens. Die Ausbildungsvergütung muss hoch genug sein, um den Schritt in ein selbstständiges Leben zu gestalten. Hier begrüße ich ganz ausdrücklich die Forderung der SPD nach einer Mindestausbildungsvergütung. Drittens. Die Qualität der Ausbildung muss gesichert werden. Zeit zum Lernen, die hohe fachliche Qualität der Ausbilderinnen und Ausbilder, die Einhaltung der Ausbildungsrahmenpläne, aber auch eine gute Ausstattung der Berufsschulen sind die Grundlage, um allen eine gute Ausbildung mit Perspektiven zu sichern. Viertens. Nach der Ausbildung muss die Übernahme in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit guten Tarifen gesichert sein. Es muss Schluss damit sein, dass nur 14 Prozent der Auszubildenden im Gastgewerbe übernommen wurden. Das veröffentlichte 2011 der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Und es muss endlich Schluss sein mit Minijobs und anderen prekären Arbeitsverhältnissen. Prinzipiell gilt: Menschen mit Behinderung dürfen nicht von Ausbildung ausgegrenzt werden. Das darf sich eine inklusive Gesellschaft nicht leisten. Ich habe 16 Jahre im Berufsbildungswerk Bremen gearbeitet, wo Menschen mit Behinderungen ausgebildet werden, auch in Berufen des Hotel- und Gaststättengewerbes. Sie benötigen individuelle Unterstützung in der Schule, eine hohe Qualität in der Praxis und die gleichwertige Chance, eine Ausbildung und danach eine gute Arbeit zu erhalten. Deshalb sollte nicht nur der Zugang zu Hotels und Restaurants barrierefrei sein, sondern wir müssen auch die Barrieren und Ausgrenzungen in den Köpfen abbauen. Konkret heißt das: Wir müssen das Recht auf Ausbildung umsetzen, und zwar für alle. Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in der Tourismuswirtschaft sind eindeutig verbesserungswürdig. Zuletzt haben wir gestern im Tourismusausschuss mit Bundesagentur-für-Arbeit-Vorstand Raimund Becker darüber diskutiert, und dabei sind erneut Zahlen genannt worden, die meine Skepsis über die Bedingungen in großen Teilen der Branche bestätigt haben. Alleine die Tatsache, dass von den rund 1,9 Millionen Beschäftigten in der engeren Tourismusbranche nur rund die Hälfte sozialversicherungspflichtig sind, sollte uns mehr als nachdenklich machen. Im Gesamtranking der 25 meistgewählten Ausbildungsberufe im DGB-Ausbildungsreport belegen die Ausbildungen „Hotelfachmann/-frau“ und „Restaurantfachmann/-frau“ die letzten beiden Plätze. Als Gründe hierfür werden unter anderem harte Arbeit, viele Überstunden ohne Lohn- oder Freizeitausgleich und ein enormer Druck von Ausbildern und Kunden ohne ausreichende fachliche Anleitung genannt. Wir haben als Grüne das Thema schon vor mehr als einem Jahr, im März 2012, auf die Agenda genommen und in einem Fachgespräch mit Auszubildenden und Praktikern debattiert, was man tun kann, um diese Problematik konstruktiv anzugehen. Das ist nicht nur im Interesse der Beschäftigten, sondern auch und vor allem im Interesse der Unternehmen in diesem Wirtschaftszweig. Vor dem Hintergrund sich verändernder Arbeitsmärkte ist es doch oberstes Gebot, gut ausgebildetes Fachpersonal zu halten, neues auszubilden und damit ein hohes qualitatives Niveau in der touristischen Angebotskette zu garantieren. Durch Veränderungen auch der demografischen Strukturen werden wir in den kommenden Jahren einen Arbeitsmarkt bekommen, der die Bedürfnisse des Arbeitnehmers stärker in den Mittelpunkt rücken muss. Deshalb müssen wir die Nachwuchsgewinnung verbessern. Die Realität spricht aber eine andere Sprache: Die neu begonnenen Ausbildungsverhältnisse in der Tourismuswirtschaft sind im Jahr 2009 gegenüber 2008 um insgesamt 9,1 Prozent zurückgegangen, und die Vertragslösungsquoten durch Auszubildende liegen deutlich über dem Durchschnitt. Bisher hat die Bundesregierung noch keine erkennbaren Schritte unternommen, um diese Situation zu verbessern. Im Gegenteil: Im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass Sie Ausbildungshemmnisse durch ein flexibleres Jugendarbeitsschutzgesetz abbauen wollen. Wir wollen, dass die Arbeitsbedingungen in der Tourismusbranche wieder attraktiver werden, ohne dass der Arbeitsschutz für Jugendliche abgebaut wird. Angesichts eines permanent steigenden Fachkräftemangels ist dies auch aus ökonomischer Sicht notwendig. Deshalb muss sich die Qualität der Ausbildungen „Hotelfachmann/-frau“ und „Restaurantfachmann/-frau“ verbessern. Im Gesamtranking der 25 meistgewählten Ausbildungsberufe im DGB-Ausbildungsreport belegen die Ausbildungen „Hotelfachmann/-frau“ und „Restaurantfachmann/-frau“ die letzten beiden Plätze. Das spiegelt sich auch in den einzelnen Bewertungen im Ausbildungsreport wider. Gründe: Harte Arbeit, permanent viele Überstunden, ein oftmals rauer Ton und der Eindruck, ausgenutzt zu werden, hinterlassen bei vielen Auszubildenden in dieser Branche ein Gefühl der Enttäuschung. Die in aller Regel noch jugendlichen Auszubildenden sind dem enormen Druck von Ausbildern und Kunden teilweise rücksichtslos ausgesetzt. Wenige Lehrinhalte, dafür aber eine hohe Arbeitsintensität führen dabei bei so manchen zu körperlichen und geistigen Erschöpfungszuständen, wie der DGB-Ausbildungsreport bescheinigt. Ein weiteres Problem und auch Symptom der schwierigen Arbeits- und Ausbildungsbedingungen ist die außerordentlich hohe Vertragslösungsquote in -diesem Bereich. Die Berufe des Hotel- und Gaststättengewerbes wiesen zum Beispiel im Jahr 2008 vergleichsweise höhere Vertragslösungsquoten durch die Auszubildenden auf. Der DGB-Ausbildungsreport 2010 hat bestätigt, dass die hohen Abbrecherquoten bei den gastronomischen Ausbildungsberufen insbesondere auf die schlechten Ausbildungsbedingungen zurückzuführen sind. Nach den Ergebnissen des IAB-Betriebspanels 2009 liegt die Übernahmequote der jugendlichen und erwachsenen Ausbildungsabsolventen durch den Ausbildungsbetrieb im bundesweiten Durchschnitt aller Branchen bei 57 Prozent. Im Gastgewerbe werden weniger als die Hälfte der Ausbildungsabsolventen übernommen (38 Prozent). Das bedeutet, dass wir die -Abbrecherquote deutlich reduzieren und die Übernahmequote erhöhen müssen. Um das zu erreichen, müssen wir uns doch zunächst einmal für faire Arbeitsbedingungen und gegen den Abbau von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen einsetzen. 50 Prozent der Beschäftigten einer Branche in Minijobs, das ist kein Aushängeschild, wenn es darum geht, Menschen für die Arbeit in dieser Branche zu begeistern. Da ist die Altersarmut doch vorprogrammiert. Wir brauchen Begeisterungsfähigkeit für die Arbeit mit unseren Gästen und keine prekären Arbeitsverhältnisse. Und genau aus diesem Grund müssen wir auch -verhindern, dass der Jugendarbeitsschutz sukzessive aufgeweicht wird, wie es die Koalitionsfraktionen in -ihrem Koalitionsvertrag ja als sogenannte Flexibilisierung des Jugendarbeitsschutzes im Bereich der Ausbildungen im Hotel- und Gaststättengewerbe angekündigt haben. Schon heute nehmen viele Arbeitsgeber es nicht so genau damit. Studien deuten darauf hin, dass es in der Ausbildungs- und Arbeitspraxis zu zahlreichen Verstößen gegen das geltende Jugendarbeitsschutzgesetz kommt. Im Hotel- und Gaststättengewerbe leisten etwa zwei Drittel der Auszubildenden Überstunden. Deshalb müssen Gewerbeaufsichtsämter und Kammern ihre Kontrollfunktion endlich stärker wahrnehmen und muss die Bundesregierung die Finger lassen von einer Novellierung des Jugendarbeitsschutzes, die einer weiteren Ausbeutung Tür und Tor öffnet. Und zum guten Schluss: Auch in der Tourismusbranche gilt, was in allen anderen Wirtschaftszweigen gilt: Wer hart arbeitet, muss auch gut entlohnt werden! Das Versprechen der Branche, den zusätzlichen Verteilungsspielraum durch die Reduzierung der Mehrwertsteuer zu einem erheblichen Teil dazu zu nutzen, das Entgeltniveau deutlich anzuheben und zusätzliche Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen, wurde laut NGG Branchenreport nicht eingehalten. Das Thema Mindestlohn ist deshalb auch hier ein drängendes, das wir nach der Bundestagswahl mit Nachdruck angehen werden. Insgesamt kann man festhalten: Die Tourismusindustrie ist in Deutschland von so großer Wichtigkeit, dass uns die absehbaren Schwierigkeiten bei der Gewinnung von qualifiziertem Fachpersonal nicht kaltlassen können, von der sozialen Situation vieler Beschäftigter ganz zu schweigen. Die Bundesregierung hat auch hier wieder eine Wahlperiode verschlafen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13549 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 42 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Meeresforschung stärken – Potentiale ausschöpfen und Innovationen fördern – Drucksachen 17/9745, 17/13699 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Philipp Murmann René Röspel Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dr. Petra Sitte Krista Sager Die Reden gehen zu Protokoll. Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Der Antrag der SPD-Fraktion beschreibt über mehrere Seiten durchaus präzise die Rolle und Bedeutung der Meeresforschung in und für Deutschland. Dabei stellt die SPD zu Recht fest, dass Deutschland im Bereich der Meeresforschung gut aufgestellt ist. Angesichts dieser sehr gut getroffenen Zustandsbeschreibung der Meeresforschung in Deutschland wird deutlich, warum der vorliegende Antrag nur mit weichen Forderungen aufwartet. Die SPD fordert von der Bundesregierung etwa eine Roadmap zur Stärkung der Meeresforschung, ein Konzept zur internationalen Sichtbarkeit, mehr Profilschärfung und Vernetzung, eine Landkarte und mehr Forschung zu sozialethischen Fragen der Meeresforschung. Um es gleich vorwegzunehmen: Dies alles ist bereits in Arbeit oder in Planung. Die Koalition wird die von der SPD gesucht wirkenden Forderungen deshalb in Gänze ablehnen. Ich will Ihnen natürlich nicht vorenthalten, warum wir dies tun. Die Forderungen der SPD nach einer Roadmap und einer stärkeren Vernetzung zwischen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Wirtschaft sind durch das BMBF-Rahmenprogramm „Forschung für nachhaltige Entwicklungen“, FONA, umgesetzt bzw. durch das Nachfolgerahmenprogramm ab 2015 in Planung. Neben FONA bildet die Hightech-Strategie mit dem Bedarfsfeld Klima/Energie den gemeinsamen programmatischen Rahmen für die Aktivitäten des BMBF im Bereich der Meeresforschung. Auch an der geforderten Konzeption zur Stärkung der internationalen Sichtbarkeit, der Forschungskooperationen und der Forschungsinfrastruktur wird bereits gearbeitet. So erarbeitet das BMBF in Zusammenarbeit mit dem Konsortium Deutsche Meeresforschung, KDM, und den Ländern derzeit eine Forschungsprogrammatik für die nächste Dekade im Rahmen eines Agendaprozesses „Nationale Plattform Küste“ mit dem Ziel, eine übergeordnete Klammer zwischen Meeresforschung, Küsteningenieurwesen und relevanten landbezogenen Forschungsarbeiten unter Berücksichtigung internationaler Aktivitäten darzustellen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die zwischen Bund und dem Land Schleswig-Holstein zu Beginn der Legislaturperiode vereinbarte Überleitung des IFM-GEOMAR in die Helmholtz-Gemeinschaft zum 1. Januar 2012 eine deutliche Stärkung der Meeresforschung in Deutschland bedeutet. Künftig wird dem Bund hierdurch ermöglicht, die Meeresforschung finanziell und strategisch zu stärken. So können Infrastrukturen synergetisch genutzt, vorhandene Kompetenzen gebündelt und Kooperationen zwischen dem GEOMAR und den am Forschungsbereich „Erde und Umwelt“ beteiligten HGF-Einrichtungen, WGL-Instituten sowie weiteren nationalen und internationalen Partnern intensiviert werden. Auch die Verstärkung von Transferprojekten zwischen Meeresforschung und Wirtschaft, als Beitrag zur Lösung großer Zukunftsherausforderungen, wurde durch die Bundesregierung längst angepackt. Mit dem Nationalen Masterplan Maritime Technologien, NMMT, hat die Bundesregierung ein strategisches Instrument für eine zielgerichtete, abstimmte und zusammenhängende Meerestechnik entwickelt. Ziel des NMMT ist es, einen Prozess anzustoßen, der die nationalen Kräfte in den maritimen Technologien bündelt, Forschung und Wirtschaft noch enger zusammenbringt und die Wahrnehmung der Meerestechnik als Branche mit großem Zukunftspotenzial in der Öffentlichkeit stärkt. Denn von der Rohstoffversorgung bis zur Ernährung der Menschheit ist das Meer auch zukünftig eine wichtige Quelle, deren Nutzbarmachung ein breites Spektrum an Meerestechnik und maritimen Technologien notwendig macht. Das BMWi stellt im aktuellen Haushalt rund 32,3 Millionen Euro im Titel „Maritime Technologien“ zur Verfügung. Für die Meerestechnik stehen davon 13,2 Millionen zur Verfügung. In dieser Legislaturperiode hat die Bundesregierung für die maritimen Technologien insgesamt rund 120 Millionen Euro verausgabt. Gegenüber dem Jahr 2009 wurden die Mittel um über 25 Prozent gesteigert. Im letzten rot-grünen Haushalt 2005 wurden die maritimen Technologien lediglich mit 17 Millionen Euro gefördert, darunter die Meerestechnik mit spärlichen 3,8 Millionen Euro. Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache: Die meerestechnische Industrie wurde seit Regierungsbeteiligung der Union kontinuierlich gestärkt und wird auch weiterhin eine angemessene Unterstützung erfahren. Schaufensteranträge der SPD wirken vor diesem Hintergrund geradezu grotesk, da hier einmal mehr die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit sozialdemokratischer Politik offenbart wird. Die Forderung nach neuen Fördermaßnahmen insbesondere zur Entwicklung von neuen Technologien zum Einsatz in extremen Umweltbedingungen wird durch die Fortschreibung des NMMT abgedeckt. So wurden bei der diesjährigen Achten Maritimen Konferenz innerhalb des Workshops „Versorgungssicherheit durch maritime Technologien – Energie, Rohstoffe und Nahrungsmittel aus dem Meer“ Handlungsempfehlungen zu der strategischen Ausrichtung des NMMT, der Stärkung der Förderinstrumente oder auch der Intensivierung einzelner Anwendungsfelder erarbeitet. An diesem Workshop haben im Übrigen auch Vertreter des BMBF teilgenommen. Eine besondere Stärkung hat die deutsche Meeresforschung in dieser Legislaturperiode durch den Beschluss des Haushaltsausschusses zu einer Gesamtschiffsstrategie im Mai 2012 erfahren, durch den für die Erneuerung und den Ausbau der deutschen Forschungsflotte in den nächsten Jahren ein finanzielles Volumen von 845 Millionen Euro vorgesehen worden ist. Für diese Gesamtschiffsstrategie dienten die Gesamtempfehlungen des Wissenschaftsrates als Grundlage. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen hervorgehoben hat, dass Deutschland eines der führenden Länder in der Erforschung der globalen Ozeane und ihrer Randgebiete ist. Die Erneuerung der Flotte mit Nachfolgebauten betrifft in dieser Dekade vier der derzeit acht hochseetauglichen Forschungsschiffe. Der erste in Auftrag gegebene Nachfolgebau, die FS „Sonne“ – die die 44 Jahre alte Vorgängerin ablösen soll – wurde im April dieses Jahres auf Kiel gelegt. Das Schiff soll Anfang 2015 an die Wissenschaft übergeben werden. Mit Einsatz im Indischen und Pazifischen Ozean soll die FS „Sonne“ dazu beitragen, relevante Forschungsfragen hinsichtlich des Klimawandels, der Versorgung mit Rohstoffen aus dem Meer und der Folgen des Eingreifens in die Ökosysteme zu beantworten. Bis zum Ende dieser Dekade wird das BMBF die weiteren Forschungsschiffsbauten „Polarstern“, „Poseidon“ und „Meteor“ beauftragen. Damit deckt die -Palette der Forschungsschiffsneubauten alle Forschungsbereiche ab, in denen Deutschland eine Führungsrolle innehat. Im Zusammenhang mit dem Neubau der FS „Polarstern“ hatte der Wissenschaftsrat angesichts der sich beschleunigenden Klimaveränderungen in den Polarregionen angeregt, die jetzige „Polarstern“ für drei bis fünf Jahre parallel zum Nachfolgebau zu betreiben, um an Arktis und Antarktis gleichzeitig zu forschen. Aus Kosten und Kapazitätsgesichtspunkten ist dieser Vorschlag nicht in die Gesamtschiffsstrategie der Bundesregierung aufgenommen worden, zumal sich eine internationale Kostenbeteiligung derzeit nicht abzeichnet. Daher ist vorgesehen, den jetzigen Forschungseisbrecher „Polarstern“ möglichst zu ver-kaufen, wenn der Nachfolgebau der Wissenschaft übergeben worden ist. Eine kleine Randnotiz: In der Sitzung des Haushaltsausschusses am 9. Mai 2012 hat der Kollege Hagemann an dieser Entscheidung der Bundesregierung keinerlei Kritik geübt. Das spricht Bände! Zu den Forderungen von Herrn Röspel und seinen Kollegen, den ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen einer verstärkten Nutzung der Meere und Küsten in der Meeresforschung eine größere Rolle beizumessen und die Begleitforschung und Folgenabschätzungen zu unterstützen, möchte ich auf das internationale Nagoya-Protokoll verweisen, welches auf einen völkerrechtlichen Rahmen für den Zugang zu biologischen Ressourcen und einen gerechten Vorteilsausgleich zugunsten der Ursprungsländer abzielt. Die EU-Kommission hat kürzlich einen Entwurf zur Umsetzung des Nagoya-Protokolls vorgelegt, der zurzeit mit den Mitgliedstaaten verhandelt wird. Die Federführung liegt hier beim BMU. Was die Begleitforschung der ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen der Meeresforschung angeht, so bleibt festzustellen, dass diese Aspekte in den modernen Lebenswissenschaften sowie in der Biotechnologie seit 1997 vom BMBF gefördert und diese Förderbekanntmachungen in der Vielzahl themenoffen ausgeschrieben werden. Auch wenn Forschungsprojekte mit direktem Bezug zur Meeresforschung bislang nicht im BMBF gefördert wurden, so sind Projekte mit den beschriebenen Fragestellungen grundsätzlich förderfähig. Nächster Griff der SPD in die Mottenkiste: Die Bundesregierung soll die marine Biotechnologie als innovatives Forschungsfeld stärken und sichtbarer machen. Die marine Biotechnologie wurde vom BMBF im Rahmen eines eigenen Förderschwerpunktes von 1998 bis 2008 mit 20 Millionen Euro unterstützt. Trotz Einbindung der pharmazeutischen Industrie, die sich mit erheblichem Eigenmitteleinsatz beteiligt hat, konnten keine neuen Wirkstoffe bis zur Marktreife geführt werden. Die identifizierten Wirkstoffe unterschieden sich in großen Teilen nicht wesentlich von bereits bekannten Verbindungen, sodass geschlussfolgert werden konnte, dass im Bereich der Naturstoffforschung nicht in terrestrische und marine Biotechnologie unterschieden werden sollte. Des Weiteren wird die Bundesregierung aufgefordert, mit den Bundesländern und der EU-Kommission ein abgestimmtes Forschungsprogramm für die biologische Taxonomie des Lebens zu initiieren. Auch hier rennen Sie offene Türen ein, meine Damen und Herren von der SPD. Das BMBF unterstützt diese Taxonomie bereits im Rahmen des Programms „Forschung für nachhaltige Entwicklungen“. So wurden Bestandsaufnahmen bei Fahrten der deutschen Forschungsschiffe durchgeführt und damit ein wichtiger Beitrag zum „Census of marine Life“ geleistet. Daneben wurde die Entwicklung moderner molekularbiologischer Verfahren zur Artbestimmung gefördert. Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, AWI, in Bremerhaven, welches im Übrigen neben dem IFM GEOMAR oder dem Marum an der Universität Bremen eines der weltweit angesehensten Meeresforschungseinrichtungen ist, beteiligt sich aktiv an einer europaweiten und von der EU unterstützten Initiative zur Koordination mariner Infrastrukturen zur Aus- und Weiterbildung von Wissenschaftlern und Studenten im Bereich mariner Biodiversität. Im Rahmen der europäischen Joint-Programming-Initiative „Healthy and Productive Seas and Oceans“ werden der Erhalt der Biodiversität und die Entwicklung der für die Umweltüberwachung erforderlichen Infrastrukturen (Datenbanken) thematisiert. Auch im Hinblick auf das EU-Forschungsprogramm „Horizont 2020“ hat die Bundesregierung mit der BMBF-Fachstrategie „Umwelt und Nachhaltigkeit“ eine strategische Orientierung für die aus deutscher Sicht gewünschte Zusammenarbeit in der Meeresforschung auf europäischer Ebene. Zusammenfassend können wir also festhalten, dass die deutsche Meeresforschung heute und für die Zukunft gut aufgestellt ist und bereits hervorragend international vernetzt ist. Die Forderungen der SPD-Fraktion sind insbesondere durch die Programme im BMBF und BMWi umgesetzt oder befinden sich aktuell in Planung. Daher werden wir den Antrag der SPD ablehnen. René Röspel (SPD): Sie wissen sicherlich alle, dass circa 70 Prozent der Erde von Wasser bedeckt sind. Aber ist Ihnen auch bekannt, dass man davon ausgeht, dass der größte Teil der dort lebenden Organismen bisher noch nicht entdeckt, beschrieben oder katalogisiert worden ist? Und wer, glauben Sie, hat eine der wichtigsten Forschungsflotten der Welt? Ja, genau, Deutschland. Denn trotz unserer eher überschaubaren Küste sind wir eine wahre Forschungs-Seefahrernation. Unsere Forschungsschiffe finden sich auf allen Meeren zwischen Arktis und Antarktis, und ihre Arbeit ist weltweit hoch angesehen. Fast alle von uns haben sicherlich schon einmal vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven oder dem IfM-Geomar in Kiel gehört. Aber auch an vielen weiteren deutschen außeruniversitären Forschungseinrichtungen, wie zum Beispiel dem Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg oder dem Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde, bzw. an vielen Universitäten wie der Jacobs University Bremen oder der Universität Oldenburg leisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler großartige Meeresforschung. Unter Meeresforschung summieren sich verschiedenste Fachbereiche, die Meeresbiologie genauso wie sozialwissenschaftliche oder ingenieurwissenschaftliche Fächer. Denn beim Thema Meer geht es eben nicht allein um das „nasse Element“ und seine Bewohner, sondern auch um das Leben der Küstenbevölkerung, neue ökologischere Schiffstechnologien, völkerrechtliche Fragen oder die Rolle des Meeres für unser Klima. Oft sind die Ergebnisse nicht nur für die Bewohnerinnen und Bewohner der Küstengebiete wichtig, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger, unabhängig davon, wie weit vom Meer entfernt sie leben. Denn immer mehr gesellschaftliche Herausforderungen hängen mit Lösungsnotwendigkeiten aus den Meereswissenschaften zusammen. Ich denke da nur an die Energiefrage und den Bau von Windparks auf dem offenen Meer oder maritime Strömungsdaten zum besseren Verständnis unseres Klimas. In einem kurzen Video habe ich übrigens einmal versucht zu erklären, warum das Forschungsschiff Polarstern auch für die Menschen in meinem doch etwas weiter vom Meer entfernten Wahlkreis Hagen/Ennepe-Ruhr-Kreis wichtig ist. Wen es interessiert: Das Video findet sich auf Youtube. Aufgrund der enormen Bedeutung für unsere Gesellschaft und der großen Vielfalt der Meeresforschung ist es wichtig, in regelmäßigen Abständen innezuhalten und Prioritäten für die nächsten Jahre zu setzen. Für andere Forschungsbereiche, zum Beispiel der Nanotechnologie, erarbeitet die Bundesregierung deshalb Roadmaps oder Strategien. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten glauben wir, dass zur nachhaltigen Stärkung der Meeresforschung ebenfalls eine solche Strategie vonnöten ist. Wir sind davon überzeugt, dass der Wissenschaftsrat deshalb beauftragt werden sollte, eine Stellungnahme zur Schwerpunktsetzung in der Meeresforschung zu erarbeiten. Ebenso setzen wir uns dafür ein, dass die Gelder für die Meeresforschung erhöht und die Transferprojekte von Wissenschaft und Wirtschaft mit einem eigenen Forschungsprogramm unterstützt werden. All dies fordern wir in dem aktuell vorliegenden Antrag. CDU/CSU und FDP haben unseren Antrag im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ohne Begründung abgelehnt. Ein eigenes Konzept haben sie nicht vorgelegt. Scheinbar sieht die Bundesregierung also keinen Bedarf für eine stärkere Unterstützung der Meeresforschung. Das ist in Anbetracht der von mir skizierten gesellschaftlichen Herausforderungen nicht nachvollziehbar. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, WBGU, spricht in seinem neuesten Gutachten zu Recht von einem „Menschheitserbe Meer“. Deutschland hat hier eine große Verantwortung. Diese müssen wir wahrnehmen. Aus diesem Grund werbe ich an dieser Stelle noch einmal für eine Zustimmung zu unserem Antrag. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Die grundsätzliche Bedeutung der Meeresforschung haben wir in unserem Antrag in der Beschreibung und Analyse hinreichend deutlich gemacht. Auch der Forderungskatalog macht die Agenda deutlich, nach der sich die Meeresforschung entwickeln muss, um alle Potenziale auszuschöpfen und die notwendigen Innovationen zu fördern. Es ist für uns bedauerlich, dass es hierzu bisher weder im Plenum noch im Ausschuss eine diskursive Aussprache gegeben hat und Sie von den Regierungsfraktionen dennoch diesen Antrag abgelehnt haben. Allerdings bestärkt uns dieses Verhalten vonseiten der Regierungsfraktionen darin, dass es auch in der Forschungspolitik zu einem neuen Regierungsverhalten mit mehr Transparenz, mehr politischer Prioritätensetzung und Zuspitzung und mehr Nachhaltigkeit kommen muss. Dass dies auch für die Meeresforschung gilt, hat sich für uns in der SPD-Fraktion auch in einem Workshop zur Meeresforschung gezeigt, den wir in der Begleitung zu unserem Antrag durchgeführt haben und der uns in vielen Punkten sehr intensiv seitens der Experten bestätigt hat in den Forderungen, die in unserem Antrag niedergelegt sind. Als Abgeordneter für den Kreis Pinneberg, zu dessen Wahlgebiet die einzige deutsche Hochseeinsel Helgoland gehört, 70 Kilometer von jeder Küste entfernt in der Nordsee gelegen, möchte ich für meine Darlegung einen anderen Zugang, jenseits der im Antrag hinreichend ausgeführten politischen Konzeption, wählen. Mir sind fünf Aspekte zum Anliegen der Meeresforschung wichtig, die ich auch aus der konkreten Begleitung und Mitwirkung an den Anliegen der biologischen Anstalt auf Helgoland, mit einer über 150-jährigen Geschichte eine der traditionsreichsten deutschen Meeresforschungseinrichtungen überhaupt, in den letzten Jahren entwickeln konnte. Erstens. Die Biologische Anstalt Helgoland ist Teil des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung mit Sitz in Bremerhaven. Dieses Zentrum aus dem Bundesland Bremen hat zwei Außenstellen in Schleswig-Holstein, nämlich Helgoland und List. Gleichwohl funktioniert die Arbeit mit den Behörden und im Kontakt zu den jeweiligen Wissenschaftsministerien in den Ländern sehr gut, weil dahinter die gewachsene Wahrnehmung und Erfahrung steht, dass es in den Fragen von Meeres-, Polar- und Küstenforschung keine Ländergrenzen im Norden geben darf, sondern die Nordländer hier zusammenzustehen, zusammenzuarbeiten und sich auch zusammen zu profilieren haben. Was in der Tradition eines gewissen Freibeutertums an der Küste bei Schiffsbau, Häfen und Fähren noch immer nicht ganz überwunden ist, darf für die Meeresforschung nicht gelten: Nur wenn alle wissenschaftlichen Potenziale hier unabhängig von ihrem jeweiligen Sitzland und Standort zusammenarbeiten, kommt von der Sache her das beste Ergebnis zustande, was eben auch mit dem gemeinsamen Gegenstand der Forschung, den Meeren und ihrem Umfeld, zu tun hat. Denn der Zustand unserer Meere ist nicht an deutsche Länder- und internationale Staatengrenzen gebunden, sondern ähnlich wie bei der Luft handelt es sich hier um sprichwörtlich grenzüberschreitende natürliche Güter, die es zu schützen, zu pflegen, sorgsam zu nutzen und vor allen Dingen zu analysieren und damit noch besser zu verstehen gilt. Die Stärke der deutschen Meeresforschung lebt jedenfalls auch von der Stärke der Zusammenarbeit der norddeutschen Meeresforschungsländer, um das ganze Gewicht dieser fünf Bundesländer dann auch in den Forschungsschwerpunkten, der Forschungsinfrastruktur und den Forschungsperspektiven abzubilden. Zweitens. Die Biologische Anstalt Helgoland ist Teil des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung, das zur Helmholtz-Gemeinschaft gehört. In der Biologischen Anstalt Helgoland wird tatsächlich keine Polarforschung, sondern Meeresforschung in einem bestimmten Bereich betrieben. Konkret geht es im Wesentlichen um die komplexen Ökosysteme in Flachmeeren, wie sie beispielhaft durch die Nordsee abgebildet werden, die Wechselwirkungen zwischen den großen Flussläufen rund um dieses Flachmeer sowie die Wirkung von Einträgen von Schad- und Nährstoffen einerseits und die Auswirkungen von Fischerei, Schifffahrt und Klimaveränderung andererseits. Gleichzeitig wird ein Schwerpunkt auf die Analyse und Bewertung von marinen Naturstoffen in Bezug auf mögliche Nutzung gesetzt. Dass die Küstenforschung in vielfacher Hinsicht ein besonders relevantes Teilgebiet von Meeresforschung ist, wird nicht breit erklärt werden müssen. Ein überwiegender Teil der Menschheit lebt in Küstenregionen. Die Küstenregionen sind besonders intensiven Belastungen ausgesetzt, und zwar vom Land wie vom Meer aus. In den Küstenregionen ist zugleich ein besonders intensives wie auch gefährdetes Potenzial an Meeresorganismen und marinen Grundstoffen vorhanden. Die Küstenregionen sind auch vielfach wichtig für die Regeneration von Fischbeständen und deren Fortpflanzungspotenzialen. Dies alles zusammengenommen muss die Aufforderung auch an die Bundespolitik sein, dies – neben den starken Leuchttürmen für die Polarforschung, wie sie das AWI in Bremerhaven bildet, und die Meeresforschung, wie sie durch das IfM-GEOMAR in Kiel gebildet werden – in gleicher Weise auch für die Küstenforschung zu profilieren. Nicht umsonst haben wir deshalb von der Sozialdemokratie aus die Aufforderung zu einer institutionellen Stärkung der Küstenforschung und entsprechenden Wissenschafts- und Forschungsstrategien in den Antrag aufgenommen. Drittens. Die Meere sind international und die Meeresforschung entsprechend auch. Um auf mein Wahlkreisinstitut in Helgoland zurückzukommen, hat dieses relativ kleine Institut auf der noch kleineren einzigen deutschen Hochseeinsel Helgoland jährlich deutlich mehr als 100 Gastforscher und 700 Kursteilnehmer zu verzeichnen, die die Angebote der Biologischen Anstalt nutzen. Sie kommen aus dem In- und Ausland und stehen in Verbund mit der ganzen Welt der Meeresforschung. Diese Internationalität ist ein Pfund, mit dem die deutsche Meeresforschung insgesamt noch mehr wuchern kann und muss. Denn was für das kleine Helgoland gilt, ist genauso beim AWI in Bremerhaven oder beim IfM-GEOMAR in Kiel oder an anderen Meeresforschungseinrichtungen entlang der deutschen Küsten oder auch im wissenschaftlichen Hinterland zu beobachten. Hierin liegen große Chancen. Internationalität, wie sie auch im Einsatz auf den Forschungsschiffen und an den Forschungsprojekten praktiziert wird, lässt eine internationale Community zum Schutz der Meere entstehen, die am Ende allen zugutekommt, und das Know-how eines so entwickelten Landes wie Deutschland als Teil der Europäischen Union kann und muss in seiner Wirkung auch für andere Länder und Kontinente fruchtbar gemacht werden; denn hier verschränken sich das nationale Eigeninteresse und die internationalen anderen Interessen im besten Fall zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur der Meere und deren Ressourcen insgesamt. Gerade wenn Zeiten vor uns liegen, in denen die wirtschaftliche Nutzung der Meere und Küsten in der Meeresforschung eine immer größere Bedeutung bekommen wird, sind gleichzeitig, wie in unserem Antrag gefordert, die ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen umso intensiver zu diskutieren. Dies tun wir dann aber am besten von vorneherein in internationalen Netzwerken mit internationaler Reputation, wie sie auch durch eine noch weitere Internationalisierung unserer Meeresforschungseinrichtungen wie programme mit vorbereitet und vernetzt werden kann. Viertens. Nicht ohne Grund ist der ganze Stolz der 1959 auf der vollkommen zerstörten Insel wieder aufgebauten Biologischen Anstalt Helgoland die seit diesen Jahren Tag für Tag durchgeführte Langfristmessung zu den wichtigsten Parametern des Wassers in der Deutschen Bucht vor Helgoland. Eine solche Langfristmessreihe ist in der Meeresforschung noch weniger verzichtbar als in anderen Bereichen der Geowissenschaft und in dieser Form, wie sie auf Helgoland vorliegt, eine wahre Fundgrube für die ganze Internationale der Meereskundler. Ein vergleichbarer wissenschaftlicher Schatz wird neben dem traditionellen Messsystem über die Wasserentnahme per Schiff und an entsprechenden Entnahmestellen jetzt eingeleitet über ein neu aufgebautes elektronisch vollkommen vernetztes Unterwassermessfeld, das aus einem künstlich angelegten Tetrapodenareal in der Nordsee vor Helgoland Zugriff auf dortige Beobachtungsdaten von Wissenschaftlern aus und in der ganzen Welt in Echtzeit zulässt. Beides wird als Beispiel dafür herangezogen werden können, wie wichtig Langfristigkeit in der Meeresforschung ist und wie sehr die Qualität von Meeresforschungsprogrammen sich auch an der Nachhaltigkeit solcher Arbeiten festmacht. Dies muss auch Kriterium für die Meeresforschung insgesamt sein. Um hier eine kleine politische Spitze einzubringen: Dass der damalige, längst vergessene CDU-Zukunftsminister Rüttgers, der auch für Bildung und Forschung zuständig war, der Meeresforschung beinahe den Garaus gemacht hätte, wird jetzt niemand mehr wahrhaben wollen, weil doch in Zeiten von Klimawandel und damit einhergehenden Zusammenhängen zur Meeresforschung und in Zeiten der Suche nach marinen Grundstoffen bis hin zu marinen Bodenschätzen und bei wachsender Einsicht in die Bedeutung von mariner Ernährung und des Schutzes von Aquakulturen im weitesten Sinne sich niemand mehr ernsthaft trauen würde, die Meeresforschung und darin eingeschlossen die Polar- und die Küstenforschung in Deutschland zu marginalisieren. Dass wir in Rüttgers Zeiten hieran aber beinahe gescheitert wären, ist jetzt zum Glück nur noch Historie. Das Kriterium von Nachhaltigkeit und Langfristigkeit bleibt für die Zukunft jedenfalls umso wichtiger. Dies muss dann auch Messlatte sein, an der zukünftige Forschungshaushalte und auch die Mittel zur Meeresforschung mit gemessen werden. Fünftens. Wissenschaft braucht Verständnis. Wissenschaft braucht Neugierde. Und Wissenschaft braucht Menschen, die sich auch als Laien mit den Anliegen ihrer Umwelt und deren wissenschaftlicher Erkundung und Bearbeitung auseinandersetzen mögen und können. Wo Wissenschaft sich viel zu lange im Elfenbeinturm bewegt und bewegt hat, hat es jetzt zum Glück eine Wende gegeben, nach der Wissenschaft auch die Schaufenster und die Begegnungsräume für die Teilhabe von interessierten Menschen an Wissenschaft mit organisiert. Für die Biologische Anstalt Helgoland heißt dies zum Beispiel, über das immer schon vorhandene und jetzt notwendig zu modernisierende Aquarium hinaus jetzt auch ein sogenanntes Blue-Haus mit aufbauen zu wollen, was in einer modernen und attraktiven Form den zahlreichen Besuchern der Insel gleichzeitig auch die Insel als Ort von Meeresforschung und die Meeresforschung in der Biologischen Anstalt als Zukunftsforschung im besten Sinne des Wortes nahebringt. Die Biologische Anstalt in Helgoland will damit etwas umsetzen, was auch die übrigen Helmholtz-Institute und Forschungsinstitute anderer Forschungsgemeinschaften bis hin zu den Universitäten zunehmend praktizieren. Ich spreche dies deshalb hier an, weil auch dafür, nämlich die Vermittlung und Zugänglichkeit von Forschung für die wissenschaftlich interessierten Laien, eine strukturelle und finanzielle Perspektive über Wissenschaftsparks und Darstellung in Museen hinaus gefunden werden muss. Dort wo sich Wissenschaft abspielt, müssen Bürgerinnen und Bürger Wissenschaft erleben können. Auch dies ist ein Aspekt, den ich als Wahlkreisabgeordneter für Helgoland gerne in die Debatte um die Meeresforschung, ihre Potenziale und ihre Innovationen einbringen möchte. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Wie die Fraktion der SPD in ihrem Antrag „Meeresforschung stärken – Potentiale ausschöpfen und Innovationen fördern“ richtig bemerkt, braucht es heute und auch zukünftig eine leistungsfähige Meeresforschung und Forschungsschiffflotte. Denn die Meere und Ozeane sind nicht nur Wirtschafts- und Lebensraum, sondern auch ein wichtiges gesellschaftliches Gut. Die Auswirkungen menschlichen Handelns auf dieses Ökosystem sind gerade in den letzten Dekaden enorm gestiegen. Ebenso wirken die Klima- und -Ozeanschwankungen in unterschiedlichen Effekten nach Regionen und Ausmaß. So drängen beispielsweise zahlreiche Fragen über die Auswirkungen des Klimawandels, Fragen zur Förderung von Ressourcen und Rohstoffen unterm Meeresboden, zur Artenvielfalt in den Meeren oder zur Offshorewindkraft und dem Meeresboden in Küstennähe. Der Förderung und Weiterentwicklung der Meeresforschung kommt deshalb eine große Bedeutung zu, damit zukünftig Antworten auf die sich stellenden Fragen gegeben werden können. Hinter dem Schlagwort Meeresforschung verbirgt sich ein sehr differenzierter Forschungsbereich. So grenzt sich die Forschung zu Küsten- und Schelfmeeren von dem Bereich der Ozeanforschung oder der Meeresbodenforschung ab. Ebenso differenziert man die Tiefseeforschung und die Polarforschung. Der Antrag der SPD und deren Forderungen machen diese Unterscheidungen nicht, sondern greifen einzelne -Forschungsfragen und Schwerpunkte auf, die in den Mittelpunkt gerückt werden. Die christlich-liberale Koalition hat sich demgegenüber jedoch den wissenschaftlichen Herausforderungen der Meeresforschung gestellt und bereits weitreichende Maßnahmen und Entscheidungen getroffen. Die christlich-liberale Koalition hat die Forschungsinfrastruktur in den Blick genommen, denn eine exzellente Forschung benötigt eine hervorragende Forschungsinfrastruktur. Wissenschaftler und Forschungseinrichtungen brauchen eine leistungsfähige Forschungsschiffflotte. Diese leistungsfähige und hervorragende Forschungsinfrastruktur haben wir bereits in Deutschland. Der Wissenschaftsrat attestiert 2010 in seinen „Empfehlungen zur zukünftigen Entwicklung der deutschen marinen Forschungsflotte“, dass „Deutschland eines der führenden Länder in der Erforschung der Rolle, Beschaffenheit und Prozesse der globalen Ozeane“ ist. Weiterhin wird Deutschland durch den Wissenschaftsrat eine gute wissenschaftliche Schwerpunktsetzung und internationale Sichtbarkeit in der Meeresforschung bescheinigt. Um die Leistungsfähigkeit der deutschen Meeresforschung zu erhalten, wird aktuell die Forschungsschiffflotte modernisiert. In dieser Phase wurde selbstverständlich geprüft, ob ein Parallelbetrieb der Forschungsschiffe Polarstern I und II für kurze Zeit möglich ist, um sowohl Arktis als auch Antarktis gleichzeitig durch Forschungsprojekte zu erforschen. Dieser Forderung vom Wissenschaftsrat, die die SPD in ihrem Antrag aufgreift, kann aufgrund der hohen Betriebskosten und geringen Kapazitäten leider nicht gefolgt werden. Aus Sicht der FDP muss sichergestellt werden, dass im Falle eines Parallelbetriebes die in der Diskussion stehende internationale Finanzierung folgt. Diese internationale Finanzierung, so die Information der Bundesregierung, ist jedoch nicht absehbar. Zudem existiert mit dem aktuellen Rahmenprogramm Forschung für nachhaltige Entwicklungen, FONA, bereits eine sehr gute Förderung zur Stärkung der Meeresforschung in Deutschland. Mit dem geplanten Nachfolgerahmenprogramm, welches ab 2015 neue Akzente aufgreift, werden nach Information des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, BMBF, auch eine engere Vernetzung von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Wirtschaft zur Stärkung der marinen Forschung gefördert. Darüber hinaus erarbeitet das BMBF aktuell mit dem Konsortium Deutsche Meeresforschung, KDM, und den Bundesländern eine Forschungsprogrammatik zur Meeresforschung. Im Rahmen des geplanten Agendaprozesses „Nationale Plattform Küste“ sollen Fragestellungen identifiziert werden, die auch auf eine Zusammenarbeit zwischen Meeresforschung und Wirtschaft abzielen. Insofern sind die Forderungen der SPD in diesen Punkten bereits obsolet. Als christlich-liberale Koalition haben wir im Bereich Meeresforschung und Forschungsschiffflotte bereits zu Strategien gefunden, die weiter sind als die Opposition mit ihrem Antrag. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderungen, WBGU, der Bundesregierung hat am gestrigen Tag sein neues Gutachten zur Zukunft der Meere übergeben und darin vorgeschlagen, dass alle Meereszonen mit Ausnahme der Küstenmeere zum gemeinsamen Erbe der Menschheit erklärt werden sollten. Damit würden die Meere einerseits zu einem schützenswerten Gut erklärt, aber zugleich auch in einer Art Allmende überführt. Die Erhaltung der Meere sollte, so der Beirat, ein Leitprojekt einer „großen Transformation“ zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Gesellschaft sein. Wir finden diesen Vorschlag richtig und freuen uns, dass auch die Bundesregierung ihn unterstützt. Die Meere sind ein zuverlässiger Indikator für Klima- und Umweltprobleme. So thematisiert der WBGU die steigenden Meeresspiegel, die Erwärmung, aber auch die Überfischung und Vermüllung maritimer Gebiete. Nicht zuletzt droht den Meeren die Ausbeutung der im Meeresboden versteckten Bodenschätze, die im Fall einer Havarie mit katastrophalen Folgen für die Umwelt verbunden sein kann. Forschung und Innovation können zur Lösung wie auch zur Verschärfung dieser Prozesse beitragen. Wir brauchen Wissen, um die Zusammenhänge und Prozesse etwa des Klimawandels im komplexen maritimen Ökosystem zu verstehen. Zugleich können Großtechnologien wie Tiefseebohrungen, aber auch Geo-Engineering dieses Ökosystem zerstören. Das Experiment -Lohafex zur Eisendüngung im Südatlantik haben wir hier in Erinnerung. Es hat eine breite und gewinnbringende Debatte über Wissenschaftsfreiheit und Biodiversität, über die Bedeutung der Meeresforschung, aber auch die Grenzen der Anwendbarkeit von Zukunftsvisionen hervorgerufen. Die SPD springt hier für die Meeresforschung in die Bresche, obwohl sie dieser eigentlich einen sehr guten Stand attestiert. Die maritime Forschung scheint aus Sicht der Kolleginnen und Kollegen eher so etwas wie einen neuen Schub und in begrenztem Maß mehr Geld zu benötigen. Die Forschungsbedarfe, die im Antrag aufgezählt werden, stehen jedoch nur wenig im Zusammenhang mit den finanziellen und strukturellen Forderungen an die Bundesregierung. Diese Zwiespältigkeit haben wir auch bei den Forderungen zur maritimen Biotechnologie beobachtet: Erst rät die SPD im Feststellungsteil den Firmen, statt auf transgene Pflanzen und Tiere auf weniger umstrittene Züchtungsmethoden zu setzen. Dann fordert sie aber ein deutlich stärkeres Engagement in der Biotechnologie für die „internationale Sichtbarkeit“. Offenbar ist man noch unentschieden, ob man die Meere jetzt eher schützen oder durch Innovationen noch besser wirtschaftlich nutzen will. Zwei Aspekte vernachlässigt der Antrag aus unserer Sicht: Dem Schutz der Meere vor Umweltverschmutzung und Vermüllung wird nur eine sehr untergeordnete Bedeutung beigemessen. Er taucht zwar als Forschungsthema auf, aber es fehlt an Vorschlägen für ganz praktische Konsequenzen und Vorhaben. Angesichts der Müllstrudel oder der Umweltkatastrophen etwa bei Tiefseebohrungen nach Öl ist es unverständlich, wie hier eine weitere Exploration von Rohstoffen oder die industrielle Nutzung so unkritisch gefordert werden kann. Auch die Biodiversität kommt zu kurz: Zwar soll die Taxonomie als Forschungsgebiet gefördert werden; die Erfassung des Artenschwunds ist aber noch kein Konzept dagegen. Die Überfischung der Meere, aber auch ihre Verschmutzung und Erwärmung tragen zum dramatischen Rückgang der Artenvielfalt bei. An dieser Stelle sollten praktische Innovationsallianzen – etwa mit Umweltschutzverbänden – ansetzen. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir begrüßen die Initiative der SPD-Kolleginnen und -Kollegen, die Meeresforschung abermals auf die Tagesordnung des Bundestages zu setzen. Deutschland ist ein wichtiger und renommierter Akteur in der internationalen Meeresforschung und muss dies auch bleiben. Die Meeresforschung ist von herausragender Bedeutung, und das nicht nur, weil die Meere und das Leben in den Meeren zu einem großen Teil noch unerforscht sind. Der Meeresforschung kommt auch eine zentrale Rolle zu, wenn es darum geht, die Meere und die Biodiversität der Meere gerade auch in sensiblen Bereichen wie den Polarregionen zu schützen. Wir teilen deshalb die Forderung, dass die Nutzung der Ressourcen der Meere und Küstenregionen von einer verstärkten Begleitforschung flankiert wird. Wir haben uns aber doch sehr gewundert, dass die SPD in ihrem Antrag nur den Ausbau einer ethischen, rechtlichen und sozialen Begleitforschung fordert. Denn wir brauchen doch gerade auch eine Stärkung der umweltorientierten Meeresforschung. Dieser Aspekt kommt im vorliegenden Antrag leider deutlich zu kurz. Das gilt sowohl für die Forschung zum Schutz besonders sensibler Bereiche wie der Arktis als auch für die Forschung zur Beseitigung von Schäden und Abfällen wie radioaktiven Abfällen in der Nordsee und Kampfstoffen in der Ostsee. Meine Fraktion, Bünd-nis 90/Die Grünen, hat in dieser Legislaturperiode bereits mit einem Antrag auf das zunehmende und bislang ungelöste Problem der Vermüllung der Meere hingewiesen. So gehört etwa die Nordsee mit circa 600 000 Kubikmetern Müll im Wasser und auf dem Meeresboden zu den Meeren mit dem höchsten Verschmutzungsaufkommen. Ein besonders Problem in diesem Zusammenhang ist der erdölbasierte Kunststoffmüll. Dieser stellt mit rund 70 Prozent am Gesamtaufkommen den größten Teil der Abfälle in den Meeren. Erdölbasierter Kunststoffmüll wird im Meer in kleinste Partikel zerlegt und ist besonders schwer zu entfernen. Seine Abbauzeit wird auf bis zu 450 Jahre geschätzt. Um zum Beispiel solche Probleme zu lösen, brauchen wir eine Meeresforschung, die sich solcher ökologischen Fragen annimmt. Technologische Innovationen, wie die SPD sie in ihrem Antrag fordert, könnten auch zur Lösung der Verschmutzungsproblematik einen wichtigen Beitrag leisten. Technologische Innovationen sollten nicht nur mit Blick auf die Ausbeutung von marinen Rohstoffen diskutiert werden. Die Meeresforschung braucht Planungssicherheit sowie eine leistungsstarke Forschungsinfrastruktur; dies gilt insbesondere für die Forschungsschiffe. Eine deutliche Stärkung der Infrastruktur in diesem Bereich wäre die zeitweise parallele Nutzung zweier eisbrechender Forschungsschiffe. Hierin stimmen wir mit der SPD überein und fordern daher auch von der Bundesregierung, dass die neue und die alte „Polarstern“ eine Zeit lang parallel eingesetzt werden sollten. So könnten mehr exzellente, positiv bewertete Forschungsvorhaben durchgeführt werden und müssten nicht jahrelang auf Wartelisten verbannt werden. Zur Planungssicherheit bei den Forschungsschiffen gehört, dass Versuche des Finanzministeriums, die Schiffsneubauten zeitlich zu strecken, auch in Zukunft abgewehrt werden. Die Entscheidungen über die Zuordnung der deutschen Forschungsschiffe zu den jeweiligen wissenschaftlichen Einrichtungen sollten in einem streng wissenschaftsgeleiteten Verfahren getroffen werden und nicht durch Bund-Länder-Deals, die nicht wissenschaftsadäquat sind. Die aktuelle Umsatzsteuerproblematik bei der Helmholtz-Gemeinschaft gefährdet die Planungssicherheit verschiedener Helmholtz-Einrichtungen auch im Bereich der Meeresforschung, wie etwa die des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel. Diese Einrichtungen brauchen eine Zusage, dass die Lösung des Umsatzsteuerproblems in keinem Fall auf Kosten ihrer Forschungsmöglichkeiten gehen wird. Innovative Projekte wie die öffentliche und freie Zurverfügungstellung von Forschungsdaten durch das Alfred-Wegener-Institut in Form der Datenbank -PANGAEA sind von großem Wert für die internationale Forschungscommunity. Die Weiterentwicklung dieser Datenbank sollte durch die Bundesregierung unterstützt werden. Wenn wir über die Bedeutung der Meeresforschung sprechen, darf nicht unerwähnt bleiben, dass noch immer ein internationales Abkommen zum Schutz der Arktis fehlt. Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat auch hierzu in dieser Legislaturperiode bereits einen Antrag vorgelegt, in dem wir fordern, die internationale Zusammenarbeit zum Schutz der Arktis zu intensivieren. In einem Arktis-Vertrag in Anlehnung an den Antarktis-Vertrag aus dem Jahre 1959 könnte ein geeigneter Weg bestehen, um Schutzmechanismen gegen eine zerstörerische Ressourcenausbeutung in der hochsensiblen Arktis zu etablieren. Die große Bedeutung der Meeresforschung für den Schutz des marinen Ökosystems kann nicht genug betont werden. Die Meere sind wichtige Seismographen des Klimawandels und der Biodiversität. Dieser -Aspekt liegt meiner Fraktion Bündnis 90/Die Grünen besonders am Herzen. Im vorliegenden SPD-Antrag wurde dies leider aus unserer Sicht zu wenig gewürdigt. Deshalb werden wir uns trotz vieler Gemeinsamkeiten enthalten. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13699, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/9745 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung der Linken und der Grünen angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 12 und 13 auf: ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Künast, Jürgen Trittin, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Empfehlung für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein umfassendes Handels- und Investitionsabkommen, transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft genannt, zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika KOM (2013)136 endg.; Ratsdok. 7396/13 hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäische Union Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft nur mit starker Parlamentsbeteiligung – Drucksache 17/13733 – ZP 13 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD zu der Empfehlung für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein umfassendes Handels- und Investitionsabkommen, transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft genannt, zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika KOM (2013)136 endg.; Ratsdok. 7396/13 hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäische Union Vereinbarung über die Herausnahme von audiovisuellen und kulturellen Dienstleistungen von den Verhandlungen der EU mit den USA zu einem transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) erzielen – Drucksache 17/13732 – Die Reden gehen zu Protokoll.14 Zusatzpunkt 12. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13733. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Zustimmung der Linken und der Grünen abgelehnt. Zusatzpunkt 13. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache  17/13732. Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken abgelehnt. Ich rufe Tagesordnungspunkt 43 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Lars Klingbeil, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Freier Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen – Drucksachen 17/12300, 17/13701 – Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Philipp Murmann René Röspel Dr. Martin Neumann (Lausitz) Nicole Gohlke Krista Sager Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. Florian Hahn (CDU/CSU): Das Internet hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten rasant entwickelt. Wo vormals 54KB-Modems den Ton angaben, sind heute Breitbandverbindungen mit mehreren hundert Megabit pro Sekunde Standard. Neben dem Internetzugang im Haushalt sind immer mehr Menschen mit dem Handy oder Tablet mobil erreichbar. Die CDU/CSU-Fraktion ist überzeugt, dass das Internet unsere Kommunikationsweise wie auch den Informationsaustausch in den letzten Jahren drastisch, aber auch auf positive Weise verändert hat. Der vereinfachte Informationsaustausch hat zu großen wissenschaftlichen Fortschritten beigetragen und ist ein Grundbaustein für unseren wirtschaftlichen Erfolg. Wir schreiten in ein Zeitalter, in dem man dauerhaft erreichbar ist und jederzeit Zugang zu dem Wissen der Menschheit hat. Es obliegt der Politik, konstruktiv an diesem fortlaufenden Prozess mitzuwirken, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, aber auch Schaden für die Gesellschaft abzuwenden. Eine blauäugige Herangehensweise, die eine vollständige Entblößung und willkürliche Veröffentlichungswelle nach sich ziehen würde, kann niemand von uns wollen. Das derzeitige Urheberrecht hat sich bewährt, und die CDU/CSU-Fraktion hat bereits auf die Digitalisierung reagiert und richtige Justierungen vorgenommen. Wir werden dies auch weiterhin tun und den Trend zum „Open Access“, zu fortschreitendem Wandel, mit positiven Anreizen und Förderaktivitäten begleiten. Dem Antrag der SPD kann man den positiven Aspekt abgewinnen, dass sie das Thema „Open Access“ ebenfalls beschäftigt. Die CDU/CSU-Fraktion erachtet den Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen als anzustrebendes Ziel. Jedoch bedarf es hierbei einiger Vorgaben und Einschränkungen. Der von der Opposition präsentierte Antrag lässt viele Fragen, bezüglich bekannter Problemstellungen offen, die von einem ungeregelten „Open Access“ ausgehen. Dies sind vor allem Fragen zum Eigentumsrecht und zur Publikation von Forschungsergebnissen, die mit sensiblen Bereichen verbunden sind. Im Vergleich zur Opposition steht die CDU/CSU-Fraktion nicht für den bedingungslosen „Open Access“, sondern sie unterstützt den Trend zur sogenannten Qualified Openness. Es muss uns klar sein, dass ein Zweitverwertungsrecht und verbindliche Vorgaben in den Förderbedingungen in gewissen Bereichen möglich und machbar sind. Dies haben wir uns ebenfalls auf die Agenda gesetzt. Die SPD lässt aber gerade hier einen wichtigen Aspekt aus. Nicht jeder öffentlich finanzierte Forschungsbereich sollte für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Dies trifft besonders auf solche zu, die im Falle einer Veröffentlichung eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen könnten. Ich will hier nur die Themen Sicherheitsforschung oder auch biologisch-chemische Forschung erwähnen. Am kommenden Montag befassen wir uns bei der Anhörung mit dem Thema und werden konstruktive Gespräche führen. Diesem Termin sollte nicht voreilig mit dem Antrag der Opposition vorgegriffen werden. Das Thema ist zu wichtig und weitgreifend. Wir müssen gemeinsam einen Weg finden, um geistiges Eigentum in Einklang mit öffentlichem Interesse zu bringen. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Wir debattieren heute einen Antrag der SPD-Fraktion zur freien Zugänglichmachung öffentlich finanzierter Forschungsergebnisse. Drei Kernforderungen werden formuliert. Erstens sollen Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung nach einer Embargofrist von maximal zwölf Monaten frei zugänglich gemacht werden müssen. Dies soll vom Gesetzgeber über eine Festschreibung in den Zuwendungsbedingungen erzwungen werden. Zweitens soll ein verbindliches Zweitverwertungsrecht für Ergebnisse aus überwiegend mit öffentlichen Mitteln finanzierter Lehr- und Forschungstätigkeit eingeführt werden. Drittens soll ein Diskussionsprozess mit Interessengruppen und der interessierten Öffentlichkeit zur Open-Access-Politik in Gang gesetzt werden. Lassen Sie mich auf diese drei Punkte eingehen und erläutern, warum wir den vorgelegten Antrag für überflüssig halten. Erstens. Bei der Forderung nach verbindlichen Vorgaben zur freien Zugänglichmachung von mit öffentlichen Mitteln finanzierten Forschungsergebnissen muss ein Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Wissenschaftler und der interessierten Öffentlichkeit hergestellt werden. Dabei sind die Grundsätze unserer Rechtsordnung zum geistigen Eigentum zu beachten. Zudem möchte ich daran erinnern, dass Forschungsergebnisse nur durch das Zusammenwirken von wissenschaftlicher Leistung und der Bereitstellung staatlicher Fördermittel zustande kommen. Diese ko-gnitive Eigenleistung des Wissenschaftlers blendet der SPD-Antrag aus. Ferner gibt es Forschungsbereiche – insbesondere bei Ressortforschungseinrichtungen; denken Sie nur an die wehrtechnische Forschung – mit sensiblen Daten und Geschäftsgeheimnissen, die unbedingt gewahrt bleiben müssen und nicht veröffentlicht werden können. Hinzu kommt, dass es bereits viele Instrumente zur Partizipation der Bevölkerung am Forschungsprozess gibt. So gibt es bereits die Datenbank Gepris der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder aber auch den Förderkatalog der Bundesregierung. Die Freiheit der Wissenschaft ist für uns ein hohes Gut. Administrative Belastungen für die Wissenschaft müssen abgebaut und nicht neu aufgebaut werden. In diesem Geist haben wir vor wenigen Monaten das Wissenschaftsfreiheitsgesetz verabschiedet. Zusätzliche Vorschriften und neue Pflichten wie im SPD-Antrag gefordert sind mit dieser politischen Grundausrichtung unvereinbar. Aus diesen Gründen ist der erste Forderungspunkt des SPD-Antrags abzulehnen. Zweitens. Nun zum unabdingbaren Zweitverwertungsrecht: Wir haben in der Arbeitsgruppe „Bildung und Forschung“ der Enquete-Kommission „Internet und Digitale Gesellschaft“ intensiv über dieses Thema diskutiert. In den abschließenden Handlungsempfehlungen ist fraktionsübergreifend festgehalten: „Die Kommission empfiehlt … ein verbindliches Zweitveröffentlichungsrecht für alle wissenschaftlichen Beiträge in Periodika und Sammelbänden anzustreben, die aus überwiegend mit öffentlichen Mitteln finanzierter Lehr- und Forschungstätigkeit entstanden sind ...“ Mit dieser Forderung tragen wir unter anderem dem Umstand Rechnung, dass der Markt wissenschaftlicher Publikationen aufgrund der hohen Marktmacht einzelner Anbieter zwischen den wissenschaftlichen Autoren und den Verlagen oft asymmetrisch ist. Gegenwärtig räumen die Autoren wissenschaftlicher Beiträge daher den Wissenschaftsverlagen vielfach ausschließliche Rechte zur kommerziellen Verwendung ihrer Beiträge ein. Sowohl das BMBF als auch die Forschungspolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werben mit Nachdruck für die Einführung eines verbindlichen Zweitverwertungsrechts. Wie fraktionsübergreifend in der Enquete-Kommission verabredet, halten wir weitere Beratungen im Deutschen Bundestag für notwendig, um das Vorhaben zu einem guten Abschluss zu führen. Neben dem Zweitverwertungsrecht plant das BMBF zudem, in seinen Förderbestimmungen eine Open-Access-Klausel als Sollbestimmung aufzunehmen. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat in ihren Verwendungsrichtlinien die Erwartung formuliert, etwaige Publikationen auch über Open Access zugänglich zu machen. Bevor – wie von der Europäischen Kommission in Horizont 2020 entschieden – eine Open-Access-Pflicht eingeführt wird, sollte zunächst die Auswirkung der geplanten Sollbestimmung abgewartet werden. Aufgrund der geschilderten Absicht zur Verabschiedung eines verbindlichen Zweitverwertungsrechts und der Einführung von Open-Access-Klauseln als Sollbestimmung in die Fördervorgaben des BMBF ist der zweite Forderungspunkt des SPD-Antrags weitgehend gegenstandslos. Drittens fordert die SPD, einen Diskussionsprozess mit Interessengruppen und der interessierten Öffentlichkeit einzuleiten. Hierzu kann ich nur feststellen, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion diesen Diskussionsprozess bereits seit langer Zeit und sehr intensiv führt. So stehen wir in regelmäßigem Kontakt mit dem Deutschen Bibliotheksverband, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie beispielsweise der Max-Planck-Gesellschaft. Wichtige Ergebnisse dieser Gespräche haben wir im Diskussionspapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Urheberrecht in der digitalen Gesellschaft zusammengefasst, das bereits vor einem Jahr, am 12. Juni 2012, veröffentlicht wurde. Darin machen wir konkrete Vorschläge, zum Beispiel zu den Themen Rechtsdurchsetzung im Internet, Digitalisierung des kulturellen Erbes, Leistungsschutzrecht für Presseverlage und selbstverständlich auch zum wissenschaftsfreundlichen Urheberrecht. Zusammenfassend möchte ich also festhalten: Die öffentliche Zugänglichmachung von mit öffentlichen Geldern finanzierten Forschungsergebnissen ist wissenschaftspolitisch wichtig und richtig. Jedoch gilt es, hier einen sinnvollen Ausgleich zwischen Wissenschaftlern und Öffentlichkeit zu finden. Mit Blick auf das verbindliche Zweitverwertungsrecht haben wir fraktionsübergreifend einen Konsens in der Enquete-Kommission gefunden, den wir vereinbarungsgemäß in der nächsten Legislaturperiode gesetzlich kodifizieren wollen. René Röspel (SPD): Der heute zur Debatte stehende Antrag der SPD-Bundestagsfraktion mit dem Titel „Freier Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen“ greift sowohl Impulse der Europäischen Kommission als auch der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zum Thema Open Access auf. Die Diskussion um das Thema haben wir bereits einige Male sowohl im Ausschuss als auch im Plenum geführt. So habe ich selbst zuletzt am 29. September 2011 anlässlich des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema meine Auffassung und Standpunkte zum Themenkomplex Open Access zu Protokoll gegeben. Folglich verzichte ich an dieser Stelle darauf, nochmals in aller Ausführlichkeit den Open-Access-Ansatz zu erklären. Die SPD-Bundestagsfraktion tritt seit Jahren für dieses für viele Menschen, aber auch für die Wissenschaft wichtige Thema ein, während die Merkel-Regierung diese Fragen genauso lange ignoriert bzw. blockiert. So haben die Koalitionsfraktionen nicht nur unserem Gesetzentwurf vom Herbst des letzten Jahres, in dem wir ein Zweitveröffentlichungsrecht für überwiegend mit öffentlichen Mitteln finanzierte Forschung festschreiben wollten, ihre Zustimmung im Ausschuss verweigert. Auch unser erneuter Vorstoß in Form des vorliegenden Antrags wird erneut abgeblockt. Einen triftigen Grund hierfür nennen die beiden Koalitionsfraktionen nicht. Die Gründe für dieses Verharren in Untätigkeit scheinen anderswo zu liegen. Wie bereits in der Debatte hinsichtlich der Entfristung der in § 52 a Urheberrecht kodifizierten Wissenschaftsschranke deutlich wurde, hat diese Regierung ihren gesetzgeberischen Gestaltungsanspruch in Fragen des Urheberrechts in Wissenschaftsfragen längst aufgegeben. Offenbar aus der Furcht, sich verbindlich festlegen zu müssen, ist auch in allen Fragen rund um das Thema Open Access seitens der Regierungsfrak-tionen keine verbindliche Initiative zu spüren. Es scheint, als sei insbesondere in den Reihen der Unionsfraktion der Disput zwischen Wissenschaftspolitikern, die dem Thema Open Access offen gegenüberstehen, und den Rechtspolitikern der Unionsfraktion, die in rechtspositivistischen Dogmen verhaftet bleiben, noch nicht beigelegt. Ohne die Spekulation über Interna der Unionsfraktion zu weit zu treiben, ist klar, dass unter diesem fraktionsinternen Streit der Union der Wissenschaftsstandort Deutschland leidet. Denn der Versuch, lediglich mit Sollbestimmungen dem Problem beizukommen, die zudem nur Anwendung auf einen kleinen Teil der Wissenschaftslandschaft Anwendung finden sollen, wird den Bedarfen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unserem Land nicht gerecht. Die Wissenschaft – nicht nur in Deutschland – hat seit über einem Jahrzehnt die Forderung an die Politik, die rechtlichen Rahmenbedingungen für Open Access endlich zu schaffen. Denn gute Wissenschaft lebt vom offenen und ungehinderten Austausch von Informationen und Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung. Eine rechtliche Verankerung von Open Access im nationalen Urheberrecht stellt somit eine wichtige Rahmenbedingung für forschende Wissenschaftler in Deutschland dar. Insbesondere im Zeitalter der Digitalisierung ist eine schnelle und ungehinderte Wissenskommunikation eine unabdingbare Voraussetzung für Innovation und Fortschritt. Ein zeitgemäßes und an den Bedarfen der Wissenschaft ausgerichtetes Urheberrecht ist demnach ein wichtiger Standortfaktor für Wissenschaft und Forschung. Dies hat – im Gegensatz zur Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen – auch die Europäische Kommission erkannt. Folgerichtig hat sie sich dazu entschieden, im künftigen 8. Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ die Open-Access-Publikation zum Regelfall zu erklären. Paradoxerweise unterstützt Deutschland bereits heute indirekt Open-Access-Publikationen über den European Research Council; denn Forschungsergebnisse, die mit Mitteln des ERC ermöglicht worden sind, müssen binnen sechs Monaten frei zugänglich gemacht werden. Warum nach Auffassung dieser Regierung national nicht das möglich sein sollte, was international bereits Standard ist, bleibt nicht nur mir verschlossen. Die zögerliche Haltung der Koalitionsfraktionen bei diesem Thema ist umso verwunderlicher, als im Ausschuss die zuständigen Berichterstatter im Namen der Koalitionsfraktionen die Bedeutung der Open-Acces-Publikation betonen. Umso bedauerlicher ist es, dass trotz der Einsicht der beteiligten Berichterstatter sowohl der vorliegende Antrag als auch unser Gesetzentwurf vom letzten Herbst mit dem Hinweis abgelehnt wurden, dass seitens des BMBF künftig sogenannte Sollbestimmungen in den Förderrichtlinien aufgenommen werden sollen. Eine solche Argumentation bzw. Regelung kann nur als Placebo-Gesetzgebung bezeichnet werden, die den blinden Aktionismus dieser Bundesregierung beim Thema Urheberrecht entlarvt. Denn das Zugestehen einer Open-Access-Option an einen Fördermittelempfänger ist alles andere als die Schaffung von Rechtssicherheit mit den Mitteln der Gesetzgebung. Eine Politik dieser Art stärkt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutschland jedenfalls nicht den Rücken. Zudem sei an dieser Stelle der Hinweis gestattet, dass eine Implementierung von Regelungen zu Open Access über die Förderrichtlinien des BMBF alles andere als eine saubere Form der Rechtssetzung darstellt; insbesondere vor dem Hintergrund, dass auf Nachfrage im Ausschuss eine Veröffentlichung der besagten Passage aus dem Förderhandbuch abgelehnt wurde. Wie dem auch sei: Bei dem Elan und der Arbeitsweise, den diese Bundesregierung in Fragen des Urheberrechts im Wissenschaftsbereich an den Tag legt, ist nicht mehr mit einem vernünftigen Ergebnis in dieser Legislatur zu rechnen. Dies ist bedauerlich! Doch die Aussicht auf eine neue Bundesregierung im Herbst, die sich aus fähigeren Koalitionsparteien konstituiert, lässt Hoffnung aufkommen. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Um es vorweg zu sagen: Für uns Liberale ist in der Wissenschaftspolitik die Freiheit der Wissenschaft und des einzelnen Wissenschaftlers das kostbarste Gut. Deshalb setzen wir Liberale uns für den Schutz der Wissenschaftsfreiheit und die Selbstbestimmung des Wissenschaftlers ein. Aus diesem Grund lehnen wir den Antrag der Fraktion der SPD „Freier Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen“ entschieden ab. Denn die Forderungen der SPD zielen darauf, den Wissenschaftler zu entmündigen, ihm sein Urheberrecht abzusprechen. So soll nach dem Willen der SPD eine neue Förderpolitik festgeschrieben werden. Danach sollen alle öffentlich finanzierten Forschungsergebnisse nach einer sogenannten Embargofrist von längstens zwölf Monaten frei zugänglich gemacht werden müssen. Ebenso sollen die Forschungsergebnisse aus den Einrichtungen mit Ressortforschungsaufgaben nach einer Embargofrist von zwölf Monaten frei zugänglich gemacht werden. Die Finanzierung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen soll nach dem Willen der SPD davon abhängig gemacht werden, ob diese entsprechende Veröffentlichungen nach zwölf Monaten machen oder nicht. Das ist aus Sicht der FDP Diebstahl bzw. Enteignung geistigen Eigentums. Die SPD erpresst Geld gegen frei zugängliche Forschungsergebnisse. Dabei missachten sie aufs Gröbste das Urheberrecht und die Freiheit der Wissenschaftler, über ihre Forschungs-ergebnisse frei zu entscheiden. Wir Liberale nehmen hingegen den Wissenschaftler ernst. Transparenz und eine frei zugängliche Veröffentlichung muss von den Wissenschaftlern und der Wissenschaft gewollt sein und aus sich selbst heraus vorangetrieben werden. Der Staat kann dies begleiten und durch Anreize fördern, jedoch nicht durch einen Zwang vorzeichnen. Anders als die SPD haben wir Liberale uns mit dem Thema Urheberrecht, Zweitveröffentlichungsrecht und Open Access in den letzten Monaten ernsthaft aus-einandergesetzt. So wird von uns Liberalen ein gesetzlich geregelter, kostenloser Zugang aller Nutzer und im Speziellen aller Wissenschaftler zu allen wissenschaftlichen Veröffentlichungen abgelehnt. Denn für uns Liberale bleibt es grundsätzlich in der Entscheidungsgewalt des Urhebers, sprich eines jeden Wissenschaftlers, ob er sein geistiges Eigentum frei zugänglich machen will oder ob er die Verwertung über einen Verlag oder andere Wege sucht. Das gilt ebenso für die öffentlich geförderten Forschungsprojekte, bei denen die Förderrichtlinien eine Veröffentlichungspflicht vorsehen sollten. Denn Forschung und Lehre sind, solange die SPD nicht regiert, frei, und ein vom jeweiligen Forscher geschaffenes Werk ist direkt und unmittelbar das Produkt seiner Urheberschaft – egal in welchem Maße finanziert. In diesem Zusammenhang setzen wir Liberale uns dafür ein, dass das geltende Urheberrecht Bestand hat. Das von der SPD geforderte gesetzlich verankerte Zweitverwertungsrecht lehnen wir ab. Denn nach Auslegung des Urheberrechts hat ein Autor etwa ein Jahr nach Veröffentlichung seines Werks ein Zweitverwertungsrecht. Deshalb setzen wir Liberale uns dafür ein, dass den Verlagen gesetzlich untersagt wird, in den Vertragsverhandlungen die Zweitverwertung auszuschließen. Damit erhielte der Urheber die Möglichkeit, seine Forschungsergebnisse bereits nach einem Jahr nochmals zu veröffentlichen und so den gewünschten vereinfachten Zugang, beispielsweise via Open Access, zu seinem wissenschaftlichen Werk zu ermöglichen. Der Antrag der SPD ist als direkter Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit und die Entscheidungsgewalt des Urhebers zu verstehen. Es ist der Versuch, den Wissenschaftler zu enteignen. Wir Liberale lehnen den Antrag, wie eingangs erwähnt, entschieden ab, denn wir schützen das geistige Eigentum. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Um es kurz zu sagen: Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion geht aus unserer Sicht in die richtige Richtung. Meine Fraktion hat bereits 2011 mit einem Antrag weitergehende Vorschläge eingebracht. Open Access ist keine Randerscheinung mehr, sondern wird zum Megatrend in der Wissenschaft. Weil die Vorteile auf der Hand liegen: Öffentlich finanziertes Wissen sollte ein Gemeingut sein. Dazu muss es unkompliziert zugänglich gemacht werden. Digitale Pu-blikationsformen sind dafür ideal: Sie vereinfachen Vernetzung, Austausch, Auffindbarkeit, Zitierfähigkeit. Diese Vorteile sprechen sich auch unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern herum. Die Nachteile herkömmlicher Publikationsformen auch. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, hat die Sicht der Universitäten noch einmal klar und deutlich auf den Punkt gebracht: In acht Jahren stiegen die Erwerbsausgaben der Bibliotheken um 38 Prozent, die für elektronische Publikationen um 325 Prozent. Diese Preissteigerungen setzten, so Hippler, allein die drei größten Verlage in Umsatzrenditen von heute 38 Prozent um. Er macht dafür die „zum Teil marktbeherrschende Stellung“ der großen Verlage verantwortlich. Es ist aber niemandem zu vermitteln, warum eine Verlagsleistung, die gerade in den Natur- und Technikwissenschaften zumeist vor allem auf dem Marketing besteht, in derartiger Höhe vergütet werden soll. Zudem geben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im herkömmlichen Publikationsmodell in der Regel die Rechte an ihren Texten an die Verlage ab. Es ist an der Zeit, den wissenschaftlichen Autorinnen und Autoren die Verfügungsmacht über ihr Schaffen und die Möglichkeit ihrer professionellen Informationsbeschaffung wieder in die eigenen Hände zu legen. Die Rolle der Verlage ändert sich und wird stärker eine Dienstleistungsfunktion ausfüllen. Verschwinden werden die Verlage trotz allen Gejammers dadurch nicht. Sie leben bereits jetzt gut von Open-Access-Publikationen. Es gibt keinen Grund, mit der Umsetzung einer konsistenten Open-Access-Strategie zu warten. Deutschland hinkt dabei ohnehin anderen Wissenschaftsnationen hinterher, die längst viel weiter sind. In den USA ist eine Open-Access-Publikation Teil der Förderbedingungen der großen staatlichen Drittmittelgeber. Und auch die Europäische Union wird eine freie Publikation zum Bestandteil des kommenden Forschungsrahmenprogrammes „Horizont 2020“ machen. Unsere Fraktion hat diese Dynamik wie jetzt auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD zum Vorbild genommen, auch für die deutsche Forschungsförderung eine Open-Access-Publikation Schritt für Schritt verbindlich zu gestalten. Dabei ist auch der Grüne Weg möglich, also die freie Zweitveröffentlichung. Voraussetzung dafür ist die Schaffung eines unabdingbaren Zweitverwertungsrechts im Urheberrechtsgesetz. Dieses gibt den Autorinnen und Autoren die Möglichkeit, über ihr Werk auch nach einer Übertragung der Nutzungsrechte an einen Verlag frei zu verfügen. Die Koalition hat nun kurz vor Ende der Wahlperiode einen aus unserer Sicht unzureichenden Vorschlag vorgelegt. Die Vorschläge der Opposition scheinen uns und auch den Wissenschafts- und Gedächtnisorganisationen hier deutlich tauglicher. Natürlich gibt es auch Unterschiede: Die Linke hält eine Embargofrist, die den Verlagen die Exklusivität der Publikation sichert, von sechs Monaten statt zwölf – wie bei der SPD – für ausreichend. Zudem wollen wir eine formatgleiche Zweitveröffentlichung ermöglichen. Dem Antrag fehlt auch die notwendige Unterstützung beim Aufbau der IT-Infrastrukturen, die für eine breite Durchsetzung von Open Access notwendig sind. Die Linke hat hier ein eigenes Förderprogramm des Bundes vorgeschlagen, das etwa bei einer Fortführung der derzeitigen Entflechtungsmittel geschaffen werden könnte. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Durch den vorliegenden SPD-Antrag haben wir eine gute Gelegenheit, vor Ende der Legislatur einen Blick darauf zu werfen, wie weit die Regierung eigentlich bei der Unterstützung von Open Access und wissenschaftsadäquaten Regelungen im Urheberrecht gekommen ist. Das ist nämlich ein ziemlich trauriges Kapitel. Lassen Sie mich vorausschicken, dass die Förderung von Open-Access-Publikationen im Wissenschaftsbereich für uns ein sehr wichtiges Thema ist. Wir haben dazu bereits 2011 einen sehr umfassenden Antrag in den Bundestag eingebracht, der die verschiedenen Aspekte der Open-Access-Diskussion aufgreift. Wir waren maßgeblich daran beteiligt, dass das Thema Open Access auch im Rahmen der Internet--Enquete intensiv bearbeitet wurde. Die Empfehlungen dazu wurden von allen Abgeordneten und Experten einvernehmlich beschlossen und sollten vom Deutschen Bundestag in der nächsten Legislatur zügig aufgegriffen werden. Dies ist schon notwendig, um nicht den Anschluss an internationale Entwicklungen in der Scientific Community zu verlieren. Die große Bedeutung des freien Zugangs zu publizierten Ergebnissen aus öffentlich geförderter Forschung ist inzwischen unbestritten und muss hier nicht noch einmal erläutert werden. Die Kernforderungen des SPD-Antrages stimmen mit den Enquete-Empfehlungen und den Vorschlägen aus unserem grünen Antrag weitgehend überein, was erfreulich ist – auch wenn ich mir zu den -Embargofristen bei der gesetzlichen Regelung eines unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrechts klarere Aussagen gewünscht hätte. Werfen wir aber jetzt mal einen Blick auf die traurige Gestaltungsbrache auf der Seite der Regierung: Wenn es nach dem schwarz-gelben Koalitionsvertrag ginge, müsste der Bundestag in diesem Monat eigentlich endlich das „Dritte Gesetz zur Regelung des -Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ verabschieden. Das war nämlich für diese Legislatur angekündigt. Doch aus diesem „dritten Korb“ mit Schrankenregelungen zugunsten von Bildung und Wissenschaft ist bekanntlich leider nichts geworden, weil die Koalitionäre sich nicht einigen konnten. Als einzige kleine Notmaßnahme hat es jetzt nur zu einem Gesetzentwurf für ein unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht für wissenschaftliche Autorinnen und Autoren gereicht. Ohne eine entsprechende Regelung würde das deutsche nationale Recht dem Open-Access-Publizieren entgegenstehen. Das wäre schon ziemlich peinlich, wenn man bedenkt, dass die Bundesregierung gerade nach Brüssel rapportiert hat, dass sie dem freien Zugang zu wissenschaftlichen Informationen eine hohe Bedeutung beimisst und die EU--Kommission plant, Open Access zu einer ihrer Förderbedingungen im neuen Programm Horizont 2020 zu machen. Aber leider springt die Bundesregierung selbst bei diesem kleinen überfälligen Schritt zu kurz: Statt der geforderten Rechtssicherheit will die Bundesregierung nun zweierlei Recht beim wissenschaftlichen Publizieren schaffen. Wer nicht aus einer außeruniversitären Forschungseinrichtung oder einer Projektforschungsförderung heraus publiziert, sondern aus seiner normalen Arbeit an der Universität, soll vom Zweitveröffentlichungsrecht explizit ausgeschlossen werden. Das ist natürlich Unsinn und wird von der -Allianz der Wissenschaftsorganisationen zu Recht kritisiert, genauso wie die vorgesehenen Embargofristen, die fehlende Regelung zur Formatgleichheit und zur Einbeziehung von Sammlungen. Liebe Kollegen von der Koalition, da waren wir in der Internet-Enquete doch schon gemeinsam weiter. Auch mit dem Regelungsvorschlag des Bundesrates gibt es doch eine brauchbare Vorlage. Geben Sie sich bitte nicht mit dieser Open-Access-Alibivorlage der Regierung zufrieden! Und lassen Sie um Gottes Willen nicht zu, dass Ihre Rechtspolitiker noch weitere wissenschaftsfremde Verschlimmbesserungen hinzufügen! Ich würde mich gerne am kommenden Mittwoch im Wissenschaftsausschuss einmal positiv von den Koalitionsvertreterinnen und -vertretern überraschen lassen. Dann würde ich Sie vielleicht doch noch in guter Erinnerung behalten. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13701 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12300. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 44 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Silvia Schmidt (Eisleben), Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Teilhabe ermöglichen – Forschung und Entwicklung von Technologien und Design für Alle intensivieren – Drucksachen 17/13085, 17/13702 – Berichterstattung: Abgeordnete Marcus Weinberg (Hamburg) Oliver Kaczmarek Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dr. Petra Sitte Kai Gehring Die Reden gehen zu Protokoll. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Heute debattieren wir über das „Design für Alle“ und die Chancen, die es allen Menschen bietet, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Wir sind uns darin einig, dass wir eine inklusive Gesellschaft sein wollen, dass wir diese fördern wollen. Alle Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, sind wichtig. Unser Ziel ist es, eine barrierefreie Gesellschaft in allen Lebensbereichen zu gestalten. Es soll jedem möglich sein, ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben zu führen. Das „Design für Alle“ ist ein wichtiger Baustein dieser Freiheit. Das „Design für Alle“ vereinfacht das Leben aller Menschen, indem es Barrieren für Menschen mit Behinderung vermeidet, aber auch die Bedürfnisse verschiedener Altersgruppen und Kulturkreise berücksichtigt. Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Wir haben uns damit dazu verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit Menschen mit Behinderungen umfassend an der Gesellschaft teilhaben können. Zur Umsetzung der Konvention wurde vor zwei Jahren der nationale Aktionsplan beschlossen. Dieser beinhaltet zwölf Handlungsfelder und sieben Querschnittsthemen für einen Zeitraum von zehn Jahren. Er dient dazu, die Konvention Schritt für Schritt umzusetzen. Unter dem Begriff der Barrierefreiheit hat das Thema „Design für Alle“ Berücksichtigung gefunden. Die Kollegen der SPD lassen im vorliegenden Antrag und auch in jeder Diskussion zu diesem Thema unerwähnt, dass dieser Aktionsplan existiert, dessen zentraler Aspekt das „Design für Alle“ ist. Auch der Koalitionsvertrag beschäftigt sich mit dieser Frage. Wir haben gezeigt, dass uns dieses Anliegen besonders wichtig ist. Die christlich-liberale Koalition hat sich zur Förderung der Barrierefreiheit und des Designs für alle bekannt. Wir haben daher zu Beginn der Legislatur vereinbart, Vorhaben in den Bereichen Bildung, Ausbildung und Beruf, Verkehr und Tourismus, Medien und Kommunikationstechnik bis hin zum Städtebau zu befördern: „Wir treten für eine tatsächliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am -gesellschaftlichen Leben ein. Unser Ziel ist, die Rahmenbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderungen positiv zu gestalten. Voraussetzung hierfür ist unter anderem die Barrierefreiheit in allen Bereichen von Schule über Ausbildung bis zum Beruf sowie von Verkehr über Medien und Kommunikationstechnik bis hin zum Städtebau. Politische Entscheidungen, die Menschen mit Behinderungen direkt oder indirekt betreffen, müssen sich an den Inhalten der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen messen lassen. Deshalb werden wir einen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen entwickeln.“ Der Bund betont also erkennbar die Bedeutung behinderungskompensierender Technologien und der Umsetzung des universellen Designs in die Lebenswelt. Die Oppositionskollegen fordern nun eine nationale Strategie zur Forschung und Entwicklung von Technologien und des „Designs für Alle“. Dafür ist zunächst eine Bestimmung des Begriffs entscheidend. „Design für Alle“ ist vor allem etwas, das nicht erklärt, nicht definiert, nicht gemessen und nicht standardisiert werden kann. Aus diesem Grund ist es auch nicht möglich, ein fertiges Endprodukt zu präsentieren; denn das universelle Design charakterisiert einen facettenreichen Prozess, der durch spezifische Ausgangsvoraussetzungen gekennzeichnet ist. Der nicht eng begrenzte Begriff des „Designs für Alle“ führt deshalb dazu, dass laufende Prozesse nicht ohne Weiteres in bestimmte Regularien gepresst werden können, da es äußerst schwierig ist, Forschungs- und Entwicklungsaufgaben eindeutig abzugrenzen. Dies müsste jedoch einer, wie von der SPD in ihrem Antrag gefordert, nationalen Strategie zur Forschung und Entwicklung zugrunde liegen. Auch die geforderte Einrichtung einer neuen öffentlich geförderten Agentur, die bestehende Forschungsansätze bündelt, Initiativen bündelt und mit den bestehenden Akteuren weiterentwickelt, ist daher wenig sinnvoll. Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, TAB, interpretiert das universelle Design als singuläre Forschungsanstrengungen, die dezentral in der Industrie, in Forschungseinrichtungen und an Hochschulen durchgeführt werden, an Orten, an denen die Kompetenzen vorhanden sind. Diese Interpretation überzeugt angesichts der Definition und der bereits dargestellten Prinzipien des „Designs für Alle“. Die Förderanstrengungen, die bisher existierten, erfüllen also diese Interpretation und werden damit dem Facettenreichtum und der Bedeutung als des „Designs für Alle“ als Querschnittsaufgabe gerecht. Die Forderung der SPD, Forschung und Entwicklung in diesem Bereich zu verstärken, ist nicht haltbar. Behinderungskompensierende Technologien begrüße ich, und ich kann auch die Forderung nach einem Konzept des universellen Designs nachvollziehen, jedoch ist der Bund bei den Forschungsvorhaben und Projekten in allen Ressorts bereits engagiert und aktiv tätig. So fördert er beispielsweise Modellvorhaben und Projekte wie das INCOBS, Informationsportal Computerhilfsmittel für Blinde und Sehbehinderte, oder die -Datenbank REHADAT, die zum Ziel haben, den Hilfsmittelmarkt transparent darzustellen. Diese Hilfswerkzeuge sind nützlich, um schwerbehinderte Menschen ins Arbeitsleben zu integrieren. In den Rahmenprogrammen „IKT 2020“ und „Gesundheitsforschung“ sind beim BMBF mehrere Förderschwerpunkte angelegt, mit denen derzeit in -Projekte investiert wird, die Technologien und Forschungsvorhaben aufgreifen, die zur Kompensation von Behinderungen geeignet sind. Darüber hinaus dienen diese als Grundlage, um behinderungskompensierende Technologien zu entwickeln. Zu diesen Rahmenprogrammen zählen 130 Teilprojekte mit dem Bezug zu behinderungskompensierenden Technologien. Das Bundeswirtschaftsministerium hat darüber hinaus im Jahr 2011 eine Studie mit dem Thema „Impulse für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Orientierung von Unternehmen und Wirtschaftspolitik am Konzept für Design für Alle“ veröffentlicht, die die wirtschaftlichen Vorteile für Unternehmen deutlich macht, die sich am Konzept des universellen Designs orientieren. Regelmäßig finden Konferenzen statt, die die Ergebnisse der Studie verbreiten und Entscheidungsträger in der Wirtschaft für dieses Thema sensibilisiert. Diese Beispiele zeigen – ich hoffe, ich konnte das veranschaulichen –, dass der Bund nicht untätig ist. Was heute noch einmal deutlich wird: Das Thema geht uns alle an; es ist uns wichtig und lässt niemanden unberührt. – Der Antrag der SPD stellt allerdings bei der Frage der Umsetzung des „Designs für Alle“ keine konstruktive Erörterungsgrundlage dar. Wir streben weiterhin gemeinsam die inklusive Gesellschaft an und setzen uns zunehmend für das immer wichtiger werdende Ziel ein, die Lebensumwelt barrierefrei zu gestalten. Der hier zu beratende Antrag ist nicht ausschließlich geeignet, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Es ist wahrscheinlich noch ein nicht einfacher Weg zu einer universell designten Lebenswelt; dennoch werden wir diesen weiterhin konsequent begleiten. Oliver Kaczmarek (SPD): Barrieren prägen unseren Alltag. Für die meisten Menschen ist es kein Problem, diese zu umgehen. Für Menschen mit Behinderung, aber auch für alte oder psychisch kranke Menschen stellen Barrieren oft unüberwindbare Hindernisse dar. Sie schließen diese Menschen vom Alltag und damit von Teilhabe aus. Die einzige Chance für sie, eigenständig teilhaben zu können, besteht oft darin, sie mit technischen Hilfsmitteln auszustatten, die ihre Einschränkung kompensieren, oder Produkte, Bauten und Dienstleistungen so zu gestalten, dass sie barrierefrei nutzbar sind. Genau an diesen Punkten setzt „Technologien und Design für Alle“ an. Behinderungskompensierende Technologien besitzen im Rahmen der Inklusionsdebatte einen wichtigen Stellenwert. Hinter diesem sperrigen Begriff verbergen sich alle Technologien, durch die individuelle Fähigkeiten unterstützt werden, damit für Menschen mit -Behinderung möglichst geringe Barrieren für ihre Teilhabe entstehen. Das Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages hat vor vier Jahren einen Bericht zu den Chancen des Einsatzes dieser Technologien vorgelegt. Dabei stand im Mittelpunkt die Frage, wie diese Technologien entwickelt werden können und -warum die Forschung zu diesen Technologien in Deutschland geringer ausgeprägt ist als in anderen Ländern. Dabei sind sicher historische Entwicklungen in Deutschland zu berücksichtigen. Das darf aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass in anderen Ländern die Entwicklung von behinderungskompensierenden Technologien durch zahlreiche positive Rahmenbedingungen gefördert wird. Der TAB-Bericht ist seinerzeit zu dem Schluss gekommen, dass strukturierte Forschung und Forschungsförderung in Deutschland nicht in dem Ausmaß vorhanden sind wie in anderen Nationen. Ein Erfahrungsaustausch, wie Technologien für Menschen mit Behinderung entwickelt und weiterentwickelt werden könnten, ist nicht gewährleistet. Dabei ist dieses Thema nicht nur im Rahmen der Inklusionsdebatte von herausragender Bedeutung. Infolge des demografischen Wandels haben immer mehr ältere Menschen in Deutschland einen immer größer werdenden Bedarf an Technologien und Dienstleistungen, die ihnen ermöglichen, ihren Alltag barrierefrei zu bewältigen. Unser Antrag zielt darauf ab, den Bereich der behinderungskompensierenden Technologien mit dem Konzept des Designs für alle zu verbinden. Design für alle ist die Gestaltung von Produkten, Umfeldern, Programmen und Dienstleistungen in der Weise, dass sie von allen Menschen möglichst weitgehend ohne eine Anpassung oder ein spezielles Design genutzt werden können. Sie ermöglichen einen unkomplizierteren Einsatz von behinderungskompensierenden Technologien auf dieser Grundlage. „Technologien und Design für Alle“ sollen nach unserer Auffassung dabei Leitprinzipien einer Strategie für Forschung und Entwicklung entsprechender Produkte, Bauten und Dienstleistungen sein. Wir wollen, dass bei der Konstruktion schon mitgedacht wird, dass die Produkte den Prinzipien von „Technologien und Design für Alle“ entspricht, also barrierefrei nutzbar sind. Drei Aspekte der Positionierung der SPD möchte ich dabei besonders beleuchten: Erstens geht es in unserem Antrag um den Bereich der Forschungsförderung. Es ist unbestritten, dass es seit Jahren etliche im Haushalt finanzierte Förderungsvorhaben gibt. Noch nicht ausreichend gewährleistet ist, wie diese bestehenden Ansätze zusammengeführt und akzentuiert werden könnten, um ihnen einen höheren Stellenwert und damit auch eine größere -Verbreitung zu geben. Aus diesem Grund fordern wir die Entwicklung einer nationalen Strategie für „Technologien und Design für Alle“, an der alle relevanten Akteure aus Forschung und Entwicklung sowie der -Behindertenverbände beteiligt werden. Diese Strategie könnte Teil eines neuen, klarer und zielorientierteren Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention werden. Die Forschungsförderung wollen wir durch eine öffentlich geförderte Agentur koordinieren. Das entspricht auch den Überlegungen vieler Forscherinnen und Forscher in diesem Bereich, die wir in den letzten Monaten dazu sprechen konnten. Zweitens ist es natürlich notwendig, Vorgaben und Leitlinien für die Produktion und Konstruktion zu entwickeln, die sowohl von Forschungseinrichtungen wie auch der privaten Wirtschaft angewendet werden können. Hier geht es wiederum um einen breiten Erfahrungsaustausch. Auch vonseiten der Wirtschaft gibt es hieran ein großes Interesse, um eigene und öffentliche Forschungsergebnisse zu bündeln und zu strukturieren. Drittens sollte „Technologien und Design für Alle“ fester Bestandteil bei entsprechenden Ausbildungscurricula werden. Nur wenn Ingenieure, Techniker, Konstrukteure, Informatiker usw. Kenntnis davon haben, welchen Leitprinzipien „Technologien und Design für Alle“ folgt, können sie sie auch in der Entwicklung und Konstruktion anwenden. Deshalb ist die Aus- und -Weiterbildung der entsprechenden Berufsgruppen eine zentrale Größe für behinderungskompensierende Technologien. Beispielsweise sind für die Barrierefreiheit am Arbeitsplatz die Informations- und Kommunikationstechnologien von zentraler Bedeutung. Zurzeit behandeln in Deutschland angehende Informatikerinnen und Informatiker das Thema Barrierefreiheit jedoch in der Regel während ihres gesamten Studiums nicht und schon gar nicht verpflichtend. Ähnliche Beispiele lassen sich für viele andere Disziplinen finden. Umfassende Barrierefreiheit und „Technologien und Design für Alle“ bedingen einander. Wir wollen mit unserem Antrag einen Anstoß liefern, diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit verleihen und es ermöglichen, über Inklusion nicht immer wieder nur zu reden, sondern endlich konkret zu handeln. Von diesem Anspruch scheint die noch amtierende Bundesregierung nur leider immer noch weit entfernt zu sein. Dr. Peter Röhlinger (FDP): Unsere Gesellschaft besteht aus lauter verschiedenen Menschen, manche mit leicht erkennbarer Behinderung, andere mit Beeinträchtigungen, die nicht auf den ersten Blick zu sehen sind; alle mit den unterschiedlichsten Eigenschaften, die ihnen das Leben leichter oder schwerer machen. Unsere Aufgabe als Politiker ist es, dafür zu sorgen, dass alle Menschen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. In dem Bericht zu „Chancen und Perspektiven -behinderungskompensierender Technologien am Arbeitsplatz“ beschreibt das Büro für Technikfolgen-abschätzung, welche gesamtgesellschaftliche Gestaltungsaufgabe hier vor uns liegt im Hinblick auf die Beteiligung am Arbeitsprozess und im Arbeitsleben. Im täglichen Leben hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Das Stichwort heißt „Barrierefreiheit“, man könnte das vielleicht als den Vorläufer unseres heutigen Themas „Design für Alle“ bezeichnen. Rampen und schiefe Ebenen sorgen dafür, dass Menschen mit Gehhilfen oder mit Rollstuhl Gebäude betreten und verlassen können. Das Vermeiden von Schwellen, -Stufen und Absätzen dient demselben Zweck. Sich selbst öffnende Türen und Fahrstühle mit erreichbaren Bedienfeldern, mit großer Schrift, mit für Blinde lesbaren Schriftzügen und akustischen Signalen sind weitere Beispiele. Es ist also möglich, vielfältige mögliche Beeinträchtigungen im täglichen Leben zu berücksichtigen. Viele Produkte und Dienstleistungen können so gestaltet werden, dass sie weitestgehend von jedermann benutzt werden können. Die Notwendigkeit für ein spezielles Design sehe ich eher nicht. Wenn das Konzept „Design für Alle“ eine Weiterentwicklung des Prinzips der Barrierefreiheit darstellt, dann ist es Teil eines Gestaltungsprozesses mit dem Ziel, die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit möglichst für alle Menschen zu gewährleisten. Das bedeutet, dass die gebaute Umwelt, Produkte und Dienstleistungen immer konsequenter so gestaltet sein sollen, dass sie sicher, gesund, funktional, leicht verständlich, ästhetisch anspruchsvoll und auch nachhaltig sind. Sie sollen die menschliche Vielfalt berücksichtigen und sich nicht diskriminierend auswirken. Daraus ergibt sich nach und nach ein Paradigmenwechsels weg vom Fürsorgeprinzip, hin zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe auch der Menschen mit Einschränkungen, Beeinträchtigungen oder Behinderungen. Eine wichtige Voraussetzung für mehr Selbstbestimmung ist die möglichst dauerhafte Teilhabe am -Arbeitsleben. Das bedeutet auch für Menschen mit -Behinderung weit mehr als nur finanzielle Unabhängigkeit. In diesem Bereich ist noch viel zu tun; hier gibt es zwischen Menschen mit und ohne Behinderung noch erhebliche Unterschiede. Eine inklusive Gesellschaft, wie wir sie uns vorstellen, muss sich daher auch der Aufgabe stellen, Technologien zu entwickeln und einzusetzen, die bestimmte Behinderungen kompensieren können. Es geht um die Frage: Wie geht ein Mensch mit einer oder mehreren Behinderungen mit dem von mir entwickelten Produkt um, und ist es für „multiple use“ geeignet? Das ist wichtig, aber das erreichen wir nicht mit mehr Bürokratie, sondern auf dem Weg, den wir längst beschritten haben. „Design für Alle“ soll überall als Thema präsent sein. Es soll als Führungsaufgabe in allen Bundesministerien verankert werden. Es soll auch in allen Forschungs- und Entwicklungsstrukturen berücksichtigt werden. Es soll auf allen Ebenen ins Bewusstsein dringen und üblich werden. Eine eigene Förderlinie, über die bestehenden Instrumente hinaus, halten wir demgegenüber eher für kontraproduktiv. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Die Linke wird dem Antrag zustimmen, denn er geht in die gleiche Richtung wie viele parlamentarische Initiativen meiner Fraktion. Und er ist nötig und hilfreich: vier Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention als innerstattliches Recht in Deutschland und vier Jahre nach Vorlage des Berichts „Chancen und Perspektiven behinderungskompensierender Technologien am Arbeitsplatz“, Bundestagsdrucksache 16/13860, vom Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, TAB. Vergangen sind vier Jahre, in denen zwar viel über die UN-Behindertenrechtskonvention geredet wurde, aber sich kaum etwas im wirklichen Leben von Menschen mit Behinderungen zum Positiven veränderte. Vier Jahre brauchte es, um das Unwort „Inklusion“ – immerhin gibt es dieses Wort in der „amtlichen“ deutschen Übersetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht – zu einem Modewort zu entwickeln. Heutzutage vergeht kaum ein Tag, an dem nicht wichtige oder sich wichtig nehmende Politikerinnen und Politiker über „Inklusion“ reden, ohne zu wissen oder zu begreifen, was damit gemeint ist, geschweige denn, sich ernsthaft für eine inklusive Gesellschaft einzusetzen. Denn: Hätten sie es verstanden, wären wir bei der Entwicklung und Herstellung von Produkten und Dienstleistungen, die dem Konzept des universellen Designs entsprächen, schon viel weiter. Deswegen ärgern mich – in der Beschlussempfehlung auf Bundestagsdrucksache 17/13702 für alle nachlesbar – die Ablehnung des Antrags durch CDU/CSU und FDP und die dafür herangezogenen Begründungen ebenso wie die Stimmenthaltung der Grünen. Hilfreicher wäre gewesen, mit Änderungsvorschlägen den Antrag zu verbessern. Dafür schien aber Wille und Geist zu fehlen. Der Antrag fordert dazu auf, im Rahmen einer nationalen Strategie Leitlinien festzulegen und Barrierefreiheit zum festen Bestandteil auch von Berufsausbildung und Hochschulstudium zu machen. Dies hält die Fraktion Die Linke für sehr wichtig. Ergänzen möchte ich: Es sollte auch zum Grundlagenstudium für jede Politikerin und für jeden Politiker gehören. Notwendig ist auch, Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen wesentlich mehr Mitsprache bei Technologieförderungen einzuräumen. Sie sind die Experten in eigener Sache und sie haben auch nach der UN-Behindertenrechtskonvention, Art. 4, einen Anspruch darauf. Natürlich geht es nicht nur um ein „paar Behinderte“; es geht um Ältere, um Schwangere, um Kranke, um Menschen mit kleinen Kindern etc., um alle, die im Alltag oftmals auf ganz einfache Probleme stoßen. Und es schafft mehr Komfort für alle. Zu den inhaltlichen Aspekten des Antrags möchte ich mich hier nicht noch einmal ausführlich äußern, sondern ich möchte auf meine Rede in der ersten Lesung am 18. April 2013 verweisen. Diese und vieles Weitere dazu finden Sie auf meiner Homepage www.ilja-seifert.de. Barrierefreiheit und „Design für Alle“ sind kein neues Thema. Bereits am 15. August 1991 hatte ich mich dazu in einer für mich eigenen Art, nämlich mit einem Gedicht geäußert, welches ich Ihnen hiermit zum Abschluss mit auf den Weg geben möchte: Die Alpen sind Nicht für mich gefaltet. Berge Verweigern Dem Rollstuhl Den Weg. Aufwärts Nicht anders Als abwärts. – Trotzdem War ich da. Venedig ist Nicht für mich gebaut. Kanäle Tragen Den Rollstuhl Nicht. Und viele Brücken Sind stufig. – Dennoch War ich da. Freunde Traf ich und Weniger Erfreute. Die Welt ist Nicht eingestellt Auf mich, auf Meine Lebensweise. – Aber Ich bin da! Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Damit das für die Entwicklung unserer Gesellschaft zentrale Ziel der Inklusion auch durch technischen Fortschritt befördert wird, bedarf es einer bewussten forschungs- und wissenschaftspolitischen Schwerpunktsetzung in diesem Bereich. Im Zuge dessen müssen Forschung, Entwicklung und Wissenstransfer bei behinderungskompensierenden Technologien verstärkt werden. Technik kann und muss dazu beitragen, behindernde Faktoren zu beseitigen oder zumindest abzumildern. Technologien und Prozesse müssen so verändert werden, dass sie unterschiedlichen Fähigkeiten Rechnung tragen und allen Menschen zugänglich sind. Inklusion ist in diesem Sinne ein wichtiger Anwendungsbereich innovativer Forschung und Entwicklung. Ihre Forschungsergebnisse und daraus resultierende Innovationen können das Leben vieler Menschen erleichtern und Teilhabe besser ermöglichen. Ein praktisches Beispiel sind spezielle Smartphone-Funktionen, die es stark kommunikationseingeschränkten Menschen ermöglichen, intensiver und zielgerichteter mit personellen Assistenzen zu kommunizieren. Auch die Sicherheit der betroffenen Menschen kann durch neue Notruffunktionen verbessert werden. Durch vernetzte und interdisziplinäre Forschungsansätze gilt es, gerade auch die Forschung über die Zusammenarbeit mit personellen Assistenzen zu verstärken und bei der weiteren technologischen Entwicklung von Anfang an mitzudenken. Forschung und Entwicklung in diesem Bereich nützen der gesamten Gesellschaft. Von ihr profitieren neben Menschen mit Behinderungen auch eine wachsende Zahl von Hochbetagten. Ich begrüße am vorliegenden Antrag der SPD, dass er sich auf den von unserer Fraktion in der letzten Legislatur initiierten Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung „Chancen und Perspektiven behinderungskompensierender Technologien am Arbeitsplatz“ bezieht und einige darin enthaltene Aspekte aufgreift. Der Bericht hat einen Beitrag zum Perspektivwechsel von der Behindertenfürsorge zur echten Inklusion geleistet. Allerdings betrachtet die SPD das Thema leider nicht in der auch im Bericht dargestellten Bandbreite. Umfassende Teilhabe setzt aus unserer Sicht einen integrativen technologiepolitischen Ansatz voraus: Neben den in dem Antrag genannten Konzepten von „Technologie und Design für alle“, die sich auf die Beseitigung von Beschränkungen in Umwelt und Umgebung beziehen, müssen auch die bereits erwähnten assistiven Technologien einbezogen und integriert betrachtet werden. Der Antrag fordert die Bundesregierung unter anderem auf, eine nationale Strategie zu entwickeln, Forschung zu intensivieren, das Thema als Querschnittsaufgabe voranzutreiben sowie es in der Ausbildung zu verankern. Diese Forderungen gehen in die richtige Richtung. Nicht benannt wird jedoch, welche Fragestellungen konkret angegangen werden sollen. So fehlt zum Beispiel eine Forderung nach empirischer Bedarfserhebung, damit die Forschung nicht an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbeigeht. Notwendig sind vermehrte Bedarfsforschung und Anwendungsanalysen verbunden mit einer besseren Einbeziehung der Anwenderinnen und Anwender. Die Bundesregierung hat mit der Antwort auf unsere Kleine Anfrage „Forschung an behinderungskompensierenden Technologien am Arbeitsplatz“ gezeigt, dass sie ihrer Verantwortung für eine solche koordinierte Bedarfserhebung nicht nachkommen will. Die Identifikation von Implikationslücken wurde von der Regierung zwar bereits 2011 angekündigt – ebenso wie die Erarbeitung von Maßnahmen –, um den Transfer von der Modellphase in die Regelversorgung zu beschleunigen. Die Umsetzung dieser Ankündigungen ist die Bundesregierung leider weitgehend schuldig geblieben. Auch die Situation von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt ist nicht hinreichend empirisch erfasst. Deshalb ist eine Markt- und Potenzialanalyse kaum möglich. Wir halten es insofern für sinnvoll, einen mehrdimensionalen Ansatz im Bereich behinderungskompensierender Technologien zu verfolgen und das Thema nicht auf „Technologien und Design für alle“ einzuengen. Bei der Beratung des Themas im Bildungsausschuss wurde kontrovers diskutiert, ob eine eigene Förderlinie für diesen Bereich tatsächlich der richtige Weg ist. Denkbar und möglicherweise zielführender wäre es, das Thema „behinderungskompensierende Technologien“ stärker in andere Förderlinien mit anwendungsorientierten Forschungsvorhaben zu integrieren. Eine zu starke Einengung der Forschungsförderung würde nämlich die Breite der Thematik verkennen, die von der Zugänglichkeit im Bereich E-Learning bis hin zur Berücksichtigung des „Designs für alle“ bei der Stadtplanung und im Bauordnungsrecht reicht. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland verpflichtet, die volle Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten und eine umfassende Teilhabe zu ermöglichen. Auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft kommt es darauf an, die möglichst umfassende Teilhabe aller Menschen auch technologisch zu ermöglichen. Unser Ziel ist es deshalb, die Ansätze behinderungskompensierender Technologien zu integrieren und bei Forschung, Entwicklung und Umsetzung umfassend mitzudenken. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13702, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/13085 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 14 und 15 auf: ZP 14 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Renate Künast, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine moderne und nachhaltige Verbraucherpolitik – Drucksachen 17/12694, 17/13761 – Berichterstattung: Abgeordnete Mechthild Heil Elvira Drobinski-Weiß Dr. Erik Schweickert Caren Lay Nicole Maisch ZP 15 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern – Drucksachen 17/12689, 17/13274 – Berichterstattung: Abgeordnete Mechthild Heil Elvira Drobinski-Weiß Dr. Erik Schweickert Caren Lay Nicole Maisch Die Reden gehen zu Protokoll.15 Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst Zusatzpunkt 14. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13761, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/12694 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei Enthaltung der SPD. Zusatzpunkt 15. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/13274, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12689 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken. Tagesordnungspunkt 45 sowie Zusatzpunkt 16: 45 Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wildtierhandel und -haltung in Deutschland einschränken und so den Tier- und Artenschutz stärken – Drucksache 17/13712 – ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Tier- und Artenschutz durch Beschränkung des Wildtierhandels stärken – Drucksache 17/13713 – Die Reden gehen zu Protokoll.16 Wir kommen zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13712 sowie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13713. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen sowie die Fraktion Die Linke wünschen jeweils Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP wünschen jeweils Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie mitberatend an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Wir stimmen nach ständiger Übung über die Anträge auf Ausschussüberweisung zuerst ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Überweisungen sind damit so beschlossen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Deswegen stimmen wir heute noch nicht in der Sache ab. Das ergibt sich ja automatisch. Tagesordnungspunkt 46: Beratung des Antrags der Abgeordneten Stefan Schwartze, Gabriele Fograscher, Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anerkennung der an den ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen begangenen Verbrechen als nationalsozialistisches Unrecht und Gewährung eines symbolischen finanziellen Anerkennungsbetrages für diese Opfergruppe – Drucksache 17/13710 – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Innenausschuss (f) Petitionsausschuss Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Federführung strittig Die Reden gehen zu Protokoll. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Nach allgemeinem Völkerrecht wird ein Ausgleich für Kriegsgefangenschaft ausschließlich durch Reparationsvereinbarungen auf der Ebene der beteiligten Staaten geregelt. Nach umfangreichen Reparationsentnahmen aus der sowjetischen Besatzungszone hat die ehemalige Sowjetunion durch eine Regierungserklärung vom 22. August 1953 gegenüber Deutschland ausdrücklich auf weitere Reparationen verzichtet. Nach Völkerrecht gilt dieser Verzicht auch für die Russische Föderation, die die ehemalige Sowjetunion fortsetzt, sowie die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion und alle Staatsangehörigen dieser Staaten. Mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 zwischen beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs, dem die der KSZE angehörenden Staaten in der Charta von Paris am 21. November 1990 zugestimmt haben, fanden die äußeren Aspekte des deutschen Einigungsprozesses ihre endgültige Erledigung. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag hatte abschließenden Charakter. Den Vertragspartnern sowie den zustimmenden KSZE-Staaten war bewusst, dass es weitere (friedens-)vertragliche Regelungen über rechtliche Fragen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg einschließlich der Reparationsfrage nicht geben werde. Im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung wurden im Jahre 1993 Vereinbarungen zugunsten von NS-Opfern mit den Nachfolgestaaten der So-wjetunion, der Republik Weißrussland, der Russischen Föderation und der Ukraine, geschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland stellte dabei Mittel in Höhe von 1 Milliarde D-Mark den Stiftungen in Minsk, Moskau und Kiew zur Verfügung. Die Mittel waren für ehemals sowjetische Bürger bestimmt, die durch das nationalsozialistische Regime verfolgt wurden, dadurch schwere Gesundheitsschäden erlitten und sich in einer wirtschaftlichen Notlage befinden. Die Leistungsvoraussetzungen im Einzelnen wurden von den jeweiligen Stiftungen bzw. den Regierungen festgelegt, einschließlich der Schwere des zugefügten Gesundheitsschadens und der gegenwärtigen Notlage. Die Bundesrepublik Deutschland hatte auf die Mittelvergabe keinen Einfluss, die Verteilung geschah eigenverantwortlich seitens der Empfängerstaaten. Bei den internationalen Verhandlungen im Jahr 2000, die der Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, EVZ, unter Beteiligung auch der Nachfolgestaaten der Sowjetunion vorausgingen, bestand Einigkeit, vormalige Kriegsgefangene von den Leistungen der Stiftung ausdrücklich auszunehmen. Dem ist der deutsche Gesetzgeber in § 11 Abs. 3 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, EVZStiftG, gefolgt. Alle übrigen Zwangsarbeiter, die nicht den Status von Kriegsgefangenen hatten, konnten unter den im Gesetz genannten Bedingungen Leistungen aus den Mitteln der Stiftung EVZ erhalten. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die Zahlungen für diesen Personenkreis abschließenden Charakter haben. Nach Beendigung des Auszahlungsprogramms der Stiftung EVZ wurden durch einen Beschluss des Kuratoriums und der Rechtsaufsicht Restmittel in Höhe von 40 Millionen Euro für humanitäre Maßnahmen zugunsten von NS-Opfern bereitgestellt. Die Programme beinhalteten Kuraufenthalte, Augenoperationen und andere medizinische Hilfen. Diese Programme standen auch ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen offen. Diese Möglichkeit haben die genannten drei Partnerorganisationen in Belarus, der Ukraine und Russland in unterschiedlichem Umfang genutzt. Im Rahmen weiterer Programme der Stiftung aus Mitteln des Fonds „Erinnerung und Zukunft“ wurden einzelne Projekte bewilligt, die eine Würdigung des Schicksals der sowjetischen Kriegsgefangenen zum Gegenstand hatten. Dies waren Begegnungsprogramme junger Menschen mit Zeitzeugen oder bestimmte medizinische Hilfsprojekte. Die jetzt von SPD und Bündnis 90/Die Grünen beabsichtigte Anerkennungsleistung ließ sich aus Gleichbehandlungsgründen nicht auf sowjetische Kriegsgefangene beschränken. Auch die Kriegsgefangenen anderer Länder, zum Beispiel aus Polen, wurden äußerst schlecht behandelt und weisen eine hohe Sterblichkeitsrate auf. Umgekehrt war zudem nicht zuletzt zu berücksichtigen, dass unrechtmäßig zugefügte Leiden auch deutschen Kriegsgefangenen widerfahren sind und einseitige Regelungen nicht infrage kommen sollten. Gerade die Sowjetunion hat im Übrigen in den von ihr im Rahmen des Hitler-Stalin-Paktes 1939 überfallenen Gebieten Ostpolen, Finnland und im Baltikum Kriegsverbrechen begangen, zum Beispiel Katyn, und dies bis zum Ende geleugnet, geschweige denn Anerkennungen irgendwelcher Art geleistet. Meine Fraktion lehnt deshalb den Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ab, da, wenn überhaupt, diese Frage nur einmal in einem internationalen Rahmen einer befriedigenden Lösung zugeführt werden kann. Stefan Schwartze (SPD): Fünfeinhalb Jahre ist es nun her. Seitdem beschäftigt sich der Deutsche Bundestag mit dem Anliegen: Wie können wir die an den ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen begangenen Verbrechen anerkennen? Und ich möchte klar deutlich machen: Ich bedaure diese lange Zeitspanne sehr. Denn diese Zeitspanne und die Handlungsverweigerung der Koalitionsfraktionen haben enorme Auswirkungen auf die überlebenden Opfer nationalsozialistischer Kriegsgefangenschaft. Denn das Vergeuden der Zeit führt dazu, dass wir bald niemanden mehr haben, den wir entschädigen können. Als der Verein Kontakte-Kontakty vor über fünf Jahren, also noch in der vergangenen Legislaturperiode, seine Petition einreichte, war das Ziel, über 10 000 ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen eine symbolische finanzielle Anerkennung zu gewähren. Heute leben nur noch circa 4 000 betroffene Opfer. Daher müssen wir jetzt handeln; denn eines ist klar: Wir haben keine Zeit mehr. Ich fordere die Regierungsfraktionen auf, sich uns anzuschließen, damit wir den verbliebenen Opfern schnell helfen können. Doch leider bleibt es mir verwehrt, nochmals direkt im Plenum auf die Koalition einzuwirken. Unser Antrag wurde als fast letzter Punkt auf die Tagesordnung gesetzt. Es zeichnet sich ein Muster ab. Denn wir als SPD-Fraktion haben einiges unternommen, um mit der Koalition ins Gespräch zu kommen. Diverse Berichterstattergespräche fanden statt. Bis auf die Union zeigten alle Fraktionen Interesse an dem Thema. Die Union war teils nicht einmal vertreten. Es fehlte uns gänzlich die Möglichkeit, in einen fairen Diskussionsdialog einzusteigen. Sogar die FDP zeigte Verständnis für das Anliegen, nur möchte man es sich nicht mit dem Regierungspartner verscherzen, jedenfalls nicht bei diesem Thema. Dabei liegen die Fakten auf dem Tisch. Im Rahmen des Petitionsverfahrens haben wir den Wissenschaftlichen Dienst mit verschiedenen Ausarbeitungen beauftragt. Die Ergebnisse sind klar. An den sowjetischen Kriegsgefangenen wurde Völkermord begangen. Es ist dokumentiert, dass die sowjetischen Kriegsgefangenen unter dem NS-Regime ein Schicksal zu -erleiden hatten, das sie von allen anderen von Deutschland im Zweiten Weltkrieg inhaftierten Kriegsgefangenen unterschied. Etwa 5 Millionen sowjetische Militärangehörige wurden gefangen genommen, 3,2 Millionen von ihnen völkerrechtswidrig ermordet oder durch die grausamen Bedingungen in den Gefangenenlagern getötet. 630 000 sowjetische Kriegsgefangene wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Nach der jüdischen Opfergruppe sind die ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen die zweitgrößte Opfergruppe des Nationalsozialismus. Unter KZ-ähnlichen Bedingungen wurden sie millionenfach „durch Arbeit vernichtet“ oder man hat sie verhungern lassen. Im Gegensatz zu anderen alliierten Kriegsgefangenen gab es bei sowjetischen Kriegsgefangenen einen klaren Vernichtungswillen. Sie waren rechtlos der rassistischen Ideologie des NS-Regimes ausgesetzt. Sie galten – wie die zivilen sowjetischen Zwangsarbeiter – dem NS-Regime als „Untermenschen“. Der Schutzstatus des Kriegsgefangenen nach der Genfer Konvention, der ihnen ein Minimum an menschlichen Bedingungen garantiert hätte, wurde den sowjetischen Kriegsgefangenen – im Gegensatz zu den Kriegsgefangenen aus den westalliierten Streitkräften – vom NS-Regime bewusst verwehrt. Die Überlebenden sahen sich bei ihrer Rückkehr in die Sowjetunion mit Vorwürfen der Kollaboration konfrontiert; viele erlebten erneute Verfolgung und Repression. Die Kriegsgefangenen, die die Verfolgung und den unmenschlichen Einsatz überlebt haben, leiden bis heute unter den gesundheitlichen, sozialen und moralischen Auswirkungen der genannten Verfolgung. Dazu gehört auch, dass ihnen ein Status als Verfolgte des NS-Regimes und eine Berücksichtigung in dem System der Entschädigung von NS-Unrecht durch Deutschland verwehrt blieb. Bei der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter gab es circa 20 000 Anträge auf Entschädigung, die alle abgelehnt werden mussten unter Hinweis auf § 11 Abs. 3 StiftG: „Kriegsgefangenschaft begründet keine Leistungsberechtigung.“ Kriegsgefangene erhalten nach der Praxis der Bundesregierung und der Bundesstiftung nur Leistungen, wenn sie in einem Konzentrationslager inhaftiert wurden. Die überlebt haben, wurden nach der Rückkehr in die Sowjetunion der Kollaboration verdächtigt. 13 Prozent kamen in Lagerhaft; viele kamen in „Arbeitsbataillone“, wurden gesellschaftlich diskriminiert und erst 1995 vollständig rehabilitiert. Bis heute ist ihr Leben von den Erfahrungen dieser Jahre überschattet. Doch diese Informationsdichte, die wir nun haben, war nicht die einzige Möglichkeit, sich über dieses Thema zu informieren. An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich für die Arbeit des Vereins Kontakte-Kontakty bedanken. Nicht nur, dass sie uns ihr Anliegen geäußert haben, nein, sie standen uns jahrelang als Gesprächspartner zur Verfügung und brachten uns dem Thema äußerst nah. Nicht zu vergessen ist auch die Ausstellung „Russenlager“ – Erinnerungen sowjetischer Kriegsgefangener. Gerne hätte ich diese Ausstellung hier im Bundestag gesehen. Vielleicht hätte eine anschauliche Darstellung der Einzelschicksale geholfen, den Verweigerern die Augen zu öffnen. Schaut man sich die Ausstellung an und liest die Briefe der Betroffenen, kommt man nicht umher, die erlittenen Schicksale zu würdigen. Zudem möchte ich hier das enorme Engagement des Vereins würdigen. Der Verein schafft es von Jahr zu Jahr, Spenden zu sammeln, um dieses Geld den vergessenen sowjetischen Opfern des Nationalsozialismus zukommen zu lassen. Dies ist nicht nur ein außerordentlicher Akt der Nächstenliebe. Der Verein leistet einen außerordentlichen Beitrag für die Völkerverständigung zwischen Deutschland und Russland und ehemaligen Ländern der Sowjetunion. Nicht umsonst erhielt er 2002 die Carl-von-Ossietzky-Medaille für die Ost-West-Völkerverständigung. Ich bewundere diesen Einsatz; denn dadurch erhalten die Opfer zumindest eine kleine Entschädigung und sehen Deutschland aus einem anderen Blickwinkel – eine Aufgabe, die eigentlich vom Deutschen Bundestag übernommen werden müsste. Ich erinnere auch an die vereinbarte Debatte am 30. Juni 2011 zum 70. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion. Dort sagte Wolfgang -Gerhart: „Wir müssen täglich ein Stück menschliches Zusammenleben organisieren.“ Dazu ist nun Gelegenheit. Ich bitte Sie noch einmal, Ihre Haltung zu überdenken. Nächste Woche werden wir in den Ausschüssen darüber sprechen. Die Zeit drängt! Holger Krestel (FDP): Das im Zweiten Weltkrieg verübte Unrecht sprengt unsere Vorstellungkraft. Die menschenunwürdige Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener war nur eine von vielen Menschenrechtsverletzungen, die sich die Kriegsgegner gegenseitig antaten, und bis heute bedauern wir all ihre Opfer. Im Bewusstsein ihrer Verantwortung für das von Deutschen verursachte Unrecht haben alle Bundesregierungen daher nach Kräften auf Wiedergutmachung und Versöhnung hingewirkt. Die Bundesregierung hat sich dabei stets bemüht, keine einseitigen Lösungen zu finden, sondern stets mit den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zusammenzuarbeiten. Ein Ausgleich für Kriegsgefangenschaft wird nach allgemeinem Völkerrecht ausschließlich durch Reparationsvereinbarungen auf Ebene der beteiligten Staaten geregelt. Am 22. August 1953 hat die ehemalige Sowjetunion in einer Regierungserklärung ausdrücklich auf weitere Reparationszahlungen gegenüber Deutschland verzichtet, nachdem umfangreiche Reparationsentnahmen aus der sowjetischen Besatzungszone vollzogen wurden. Als völkerrechtlicher Rechtsnachfolger gilt dies auch für die Russische Föderation sowie die weiteren Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. Keiner dieser Staaten hat bis heute weitere Ansprüche an die Bundesrepublik Deutschland geltend gemacht. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 wurde dieser abschließende Charakter noch einmal bestätigt. Sämtliche Vertragspartner haben zugestimmt, dass es weitere vertragliche Regelungen über rechtliche Fragen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg einschließlich der Reparationsfrage nicht geben werde. Um sämtliche Restzweifel aus dem Weg zu räumen und möglicherweise nichtbeachtete Opfer auch entschädigen zu können, wurden im Jahre 1993 im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung und in Kooperation mit der Republik Weißrussland, der Russischen Föderation und der Ukraine Stiftungen in Minsk, -Moskau und Kiew gegründet. Diesen wurde 1 Milliarde D-Mark zur Verfügung gestellt, um ehemalige sowjetische Bürger entschädigen zu können, welche durch die Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime schwere Gesundheitsschäden erlitten hatten und sich in einer schweren wirtschaftlichen Lage befinden. Die Verteilung der Gelder unterlag hierbei ausschließlich den Stiftungen bzw. den Regierungen der Empfängerstaaten. Am 2. August 2000 wurde zudem die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ von der damals rot-grünen Bundesregierung und der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ins Leben gerufen und mit 10 Milliarden D-Mark ausgestattet, um ehemalige Zwangsarbeiter des NS-Regimes zu entschädigen. Das bisherige Rechtsverständnis wurde hierbei bestätigt, und es war Konsens zwischen allen beteiligten Staaten, Rechtsfolgen aus der Kriegsgefangenschaft angesichts der Reparationsthematik grundsätzlich auszuschließen. Die einzige Ausnahme bildeten Kriegsgefangene, welche sich in Konzentrationslagern befanden. Diese Position entspricht dem Gegenteil dessen, was die heutigen Antragsteller im Jahr 2000 umgesetzt haben. Es wurden also sämtliche völkerrechtliche Vorgaben eingehalten und über viele Jahrzehnte zahlreiche Zahlungen getätigt. In den meisten Fällen hat es dabei den Staaten der betroffenen ehemaligen Gefangenen selbst oblegen, diese Zahlungen angemessen zu verteilen. Diese bis ins Letzte zu rekonstruieren, ist für uns heute nicht mehr möglich. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Linke fordert schon seit Jahren, den überlebenden sowjetischen Kriegsgefangenen Entschädigung zu gewähren. Denn die Behandlung gefangener Rot-armisten gehört zu den größten Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Rund 3 Millionen Angehörige der Roten Armee kamen in deutschen Lagern ums Leben. Sie sind erfroren, verhungert, an Entkräftung gestorben. Wir wissen schon längst, dass das nicht an fehlenden Transportkapazitäten lag. Die Wehrmacht hätte durchaus Nahrung, Unterkunft, Heizmaterial und Kleidung liefern können, aber sie wollte nicht. Sie wollte die Gefangenen sterben lassen. So sehr Die Linke eine Entschädigung befürwortet, so sehr sind wir auch über den Zeitpunkt dieses Antrages von SPD und Grünen verwundert, unmittelbar vor dem Ende der Legislaturperiode. Ich bin auch deswegen verwundert, weil die SPD noch vor wenigen Jahren, als sie in der Regierung war, eine Entschädigung explizit abgelehnt hat. Ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken aus dem Jahr 2006: „Eine Entschädigung sowjetischer Kriegsgefangener durch die Bundesrepublik Deutschland hat es ebensowenig gegeben wie eine Entschädigung deutscher Kriegsgefangener durch die Sowjetunion oder deren Nachfolgestaaten.“ (Drucksache 16/2423). Die Rot-armisten sollten keine Entschädigung erhalten, weil auch deutsche Kriegsgefangene „unrechtmäßig zugefügte Leiden“ erlitten hätten. Verfasst wurde diese Begründung vom Finanzministerium, das damals in der Hand der SPD war, geführt von Herrn Steinbrück. Was der damals hat aufschreiben lassen, strotzt von Zynismus, Gleichsetzung und Verharmlosung von NS-Verbrechen. Er hat völlig ausgeblendet, dass es die Nazis waren, die entschieden hatten, einen räuberischen Vernichtungskrieg zu führen und millionenfache Morde zu begehen. Man kann nicht allen Ernstes die Leiden der deutschen Kriegsgefangenen, die es natürlich gegeben hat, mit dem Schicksal der sowjetischen Gefangenen gleichsetzen. Die 3 Millionen Rotarmisten starben nicht aufgrund von vereinzeltem willkürlichen Verhalten ihres Aufsichtspersonals, auch nicht an logistischen Problemen, sondern ihr Tod war Ausdruck der Absicht, das vermeintliche Untermenschenvolk systematisch zu dezimieren. Schon 1984 hat der Historiker Rolf-Dieter Müller festgehalten: Dass mit der Hungerpolitik gegenüber der sowjetischen Zivilbevölkerung und den Kriegsgefangenen eine konkrete Vernichtungsabsicht verbunden gewesen ist, lässt sich zumindest für die politische Führungsspitze des Dritten Reiches eindeutig feststellen. Vielleicht haben die Kollegen von der SPD seit 2006 dazugelernt. Vielleicht legen sie es auch nur darauf an, kurz vor Schluss der Legislaturperiode noch rasch einen Schauantrag einzubringen, den sie schnellstmöglich abhaken wollen. Dennoch: Für Die Linke ist klar, dass wir jeden Ansatz mittragen, das Unrecht an NS-Opfern so gut wie möglich zu entschädigen. Allerdings ist der Antrag von SPD und Grünen von Zögerlichkeit und Halbherzigkeit geprägt. Zum einen, weil er die Vernichtungsabsicht, also die gewollte Ermordung von Millionen Gefangenen durch die Wehrmacht, verharmlosend auf ein „billigend in Kauf genommen“ reduziert. Zum anderen, weil der Antrag in sich inkonsequent ist. Denn wenn man die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen ausdrücklich als NS-Unrecht anerkennt, dann muss man ihnen wenigstens die gleiche Entschädigung zugestehen wie den -zivilen Zwangsarbeitern, also 7 500 Euro. SPD und Grüne wollen ihnen nur ein Drittel davon zugestehen, und sie wollen ausdrücklich den Rechtsweg ausschließen, was wiederum der Willkür in der Entschädigungsbürokratie Tür und Tor öffnet. Bei der NS-Opfer-Entschädigung sind lange genug halbe Sachen gemacht worden. Notwendig ist es, das Bundesentschädigungsgesetz wieder zu öffnen, um den Überlebenden einen regulären Entschädigungsanspruch zuzugestehen. Die Soldatinnen und Soldaten der Roten Armee haben den größten Beitrag zur Niederwerfung des Faschismus in Europa geleistet. Sie verdienen auch aus diesem Grund eine würdevolle Behandlung, und sie haben ein Recht darauf, endlich Entschädigung für die Verbrechen zu erhalten, die die Nazis an ihnen begangen haben. Ich schlage im Übrigen vor, auch die Angehörigen der Partisanenverbände und die Opfer der -sogenannten Bandenbekämpfung in eine Entschädigungsregelung einzubeziehen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der ab Juni 1941 begonnene Angriffskrieg gegen die Sowjetunion war nach den eigenen Zielsetzungen des NS-Regimes ein rassistisch begründeter Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen ein aus Sicht der Nationalsozialisten „rassisch minderwertiges“ Volk bzw. Völker. Die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen im Verlauf dieses Krieges folgte dieser Logik, indem man diese millionenfach verhungern ließ, deportierte und beispielsweise auch zur Zwangsarbeit einsetzte. Sowjetische Kriegsgefangene wurden meist in sogenannten Russenlagern untergebracht. In diesen lag eine besondere, durch die nationalsozialistische Ideologie geprägte Verfolgung vor, die den Kriegsgefangenenstatus völlig in den Hintergrund treten ließ. Die wissenschaftliche Forschung belegt, dass die Bedingungen für die Betroffenen, was Todesraten, Ernährung, gesundheitliche Versorgung etc. anbelangt, -ausdrücklich mit jenen in Konzentrationslagern vergleichbar sind. Die Verfolgungshandlung des NS-Re-gimes gründete sich klar auf eine rassistische Mo-tivation, die sowjetische Kriegsgefangene in ihrer Ideologie als sogenannte Untermenschen sah und sie unmenschlich behandelte. Während westeuropäische Kriegsgefangene grundsätzlich nach den Regeln der Genfer Konvention behandelt wurden, galt dieser Schutzstatus für sowjetische Kriegsgefangene ausdrücklich nicht, beispielsweise durch den historisch nachgewiesenen Einsatz als Zwangsarbeiter, auch auf „Bestellung“ der deutschen Industrie. Von den schätzungsweise 4,5 bis 6 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen starben bis 1945 etwa 60 Prozent. Unter Josef Stalin setzte sich für viele überlebende Kriegsgefangene das Leid und Sterben fort, da er diese nach der Befreiung unter dem Vorwurf des Vaterlandsverrats oder der Spionage ins Arbeitslager schickte. Erst 1995 ließ Boris Jelzin diese als Opfer des Stalinismus vollständig rehabilitieren. Schätzungsweise -leben heute noch 4 000 ehemalige sowjetische Kriegsgefangene. Überwiegend leben diese bis heute ausgegrenzt und benachteiligt im Vergleich zu anderen Kriegsveteranen, beispielsweise auch bei der Auszahlung von Renten. Bis heute gelten sowjetische Kriegsgefangene, die nach Deutschland deportiert und zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden, nicht als anerkannte Verfolgte des NS-Regimes. Zudem gab es für diese Opfergruppe nie einen gesetzlichen oder außergesetzlichen Anspruch auf eine materielle Entschädigung, auch nicht in symbolischer Form. Auch in der deutschen Erinnerungskultur haben sie keinen ihrem Schicksal angemessenen Platz. Das Leid der sowjetischen Kriegsgefangenen ist ein blinder Fleck in der bundesdeutschen Erinnerungskultur. Von den Deutschen geschunden, von Stalin diskriminiert, hatten sie nie eine kraftvolle Lobby für ihre Rehabilitierung und Entschädigung. Dem rassistisch motivierten Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion fielen mehrere Millionen sowjetische Kriegsgefangene zum Opfer. Dahinter stand ein klarer Vernichtungswille der Deutschen, der gegenüber den anderen Kriegsgefangenen nicht bestand. Deshalb ist es die historische Verantwortung der Bundesrepublik, dieses Verbrechen anzuerkennen und den noch wenigen Überlebenden eine einmalige Entschädigung zuzugestehen. Diese Verantwortung vor unserer Geschichte sollte auch die Union und die FDP bewegen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13710 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP wünschen die Federführung beim Finanzausschuss. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wünschen die Federführung beim Innenausschuss. Lassen Sie uns zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, also Federführung beim Innenausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Federführung beim Finanzausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Zusatzpunkt 17: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Hofmann (Volkach), Michael Hartmann (Wackernheim), Christine Lambrecht, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD System der Kriminal- und Rechtspflegestatistiken in Deutschland optimieren und auf eine solide rechtliche Grundlage stellen – Drucksache 17/13715 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Rechtsausschuss Auch hier gehen die Reden zu Protokoll.17 Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13715 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkte 50 a und 50 c: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE 10 Euro Mindestlohn jetzt – Drucksache 17/13551 – c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit einem einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn Lohndumping bekämpfen und fairen Wettbewerb schaffen – Drucksache 17/13719 – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, teile ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Gesetzentwurf zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften mit: abgegebene Stimmen 476. Mit Ja haben gestimmt 278, mit Nein haben gestimmt 144, Enthaltungen 54. Der Gesetzentwurf ist angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 475; davon ja: 277 nein: 144 enthalten: 54 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) Manfred Behrens (Börde) Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer (Göttingen) Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Michael Frieser Erich G. Fritz Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Peter Gauweiler Dr. Thomas Gebhart Norbert Geis Alois Gerig Eberhard Gienger Michael Glos Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Olav Gutting Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Ernst Hinsken Christian Hirte Robert Hochbaum Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dieter Jasper Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung (Konstanz) Dr. Egon Jüttner Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen-Schw.) Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Ewa Klamt Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Hans-Georg von der Marwitz Stephan Mayer (Altötting) Dr. Michael Meister Maria Michalk Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann (Bremen) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht (Weiden) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt (Fürth) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Stefanie Vogelsang Andrea Astrid Voßhoff Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg (Hamburg) Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier-Becker Dagmar G. Wöhrl Dr. Matthias Zimmer Wolfgang Zöller Willi Zylajew FDP Jens Ackermann Christine Aschenberg-Dugnus Daniel Bahr (Münster) Florian Bernschneider Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Nicole Bracht-Bendt Angelika Brunkhorst Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Gerhard Drexler Mechthild Dyckmans Hans-Werner Ehrenberg Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth (Kyffhäuser) Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Lars Lindemann Dr. Martin Lindner (Berlin) Michael Link (Heilbronn) Dr. Erwin Lotter Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Petra Müller (Aachen) Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Cornelia Pieper Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Hagen Reinhold Dr. Peter Röhlinger Björn Sänger Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Torsten Staffeldt Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Manfred Todtenhausen Dr. Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel (Lüdenscheid) Dr. Daniel Volk Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Nein SPD Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heinz-Joachim Barchmann Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Bärbel Bas Sabine Bätzing-Lichtenthäler Lothar Binding (Heidelberg) Klaus Brandner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Dr. Peter Danckert Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Sebastian Edathy Ingo Egloff Siegmund Ehrmann Dr. h.c. Gernot Erler Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Graf (Rosenheim) Gabriele Groneberg Michael Groß Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann (Wackernheim) Hubertus Heil (Peine) Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Petra Hinz (Essen) Dr. Eva Högl Josip Juratovic Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Lars Klingbeil Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Daniela Kolbe (Leipzig) Fritz Rudolf Körper Angelika Krüger-Leißner Ute Kumpf Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Petra Merkel (Berlin) Ullrich Meßmer Dr. Matthias Miersch Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Aydan Özo?uz Heinz Paula Johannes Pflug Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Stefan Rebmann Dr. Carola Reimann Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Marlene Rupprecht (Tuchenbach) Annette Sawade Axel Schäfer (Bochum) Marianne Schieder (Schwandorf) Ulla Schmidt (Aachen) Carsten Schneider (Erfurt) Swen Schulz (Spandau) Dr. Martin Schwanholz Stefan Schwartze Rita Schwarzelühr-Sutter Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Dr. h.c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Wolfgang Tiefensee Rüdiger Veit Ute Vogt Dr. Marlies Volkmer Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Matthias W. Birkwald Heidrun Bluhm Steffen Bockhahn Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Da?delen Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Diana Golze Heike Hänsel Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Caren Lay Sabine Leidig Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Niema Movassat Thomas Nord Jens Petermann Paul Schäfer (Köln) Dr. Ilja Seifert Kathrin Senger-Schäfer Raju Sharma Dr. Petra Sitte Sabine Stüber Alexander Süßmair Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Johanna Voß Halina Wawzyniak Jörn Wunderlich fraktionsloser Abgeordneter Wolfgang Neškovi? Enthalten BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Katja Dörner Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Britta Haßelmann Priska Hinz (Herborn) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Uwe Kekeritz Katja Keul Susanne Kieckbusch Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth (Quedlinburg) Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Kerstin Müller (Köln) Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Claudia Roth (Augsburg) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn Hans-Christian Ströbele Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Arfst Wagner (Schleswig) Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Jetzt eröffne ich die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Jutta Krellmann (DIE LINKE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über Mindestlohn sprechen, reden wir über das Schicksal und die Würde von Tausenden Menschen in diesem Land. Ich möchte Ihnen diesbezüglich zunächst ein Beispiel aus meiner Region berichten. Es ist typisch für die derzeitige Situation. Eine Freundin von mir, qualifizierte Facharbeiterin, hat unverschuldet ihre Arbeit verloren. Zuvor war sie 30 Jahre beschäftigt und das sehr gut bezahlt. Um ihre gute Qualifikation den neuen Entwicklungen anzupassen, macht sie eine Anschlussqualifizierung über die Agentur für Arbeit. Danach bewirbt sie sich und bekommt ein Jahr lang nur Angebote aus dem Bereich Leiharbeit. In Niedersachsen kommen über 30 Prozent der Angebote für Erwerbslose aus dem Bereich Leiharbeit. Nach einem Jahr Arbeitslosengeldbezug ist sie bereit, den Beruf zu wechseln. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber nicht repräsentativ!) Sie versucht sich jetzt als ungelernte und über 50-jährige Arbeitnehmerin im Einzelhandel: Unterwäsche verkaufen in einem Hamelner Einkaufszentrum. Man hätte sie gerne genommen – zu einem Stundenlohn von 7 Euro. Das ist das Allerletzte, dass so etwas in Deutschland im Jahre 2013 überhaupt möglich ist. (Beifall bei der LINKEN) Der Laden gehört einem holländischen Unternehmen. Wenn meine Freundin in Holland arbeiten würde, hätte sie einen Anspruch auf einen Mindestlohn von 9,01 Euro. 1,5 Milliarden Euro, also 1 500 Millionen Euro, gibt der deutsche Staat jährlich aus, um die niedrigen Löhne im Einzelhandel mit Hartz IV aufzustocken. Ohne diese Zuschüsse hätten die Beschäftigten nicht genug zum Leben. Das hat eine Anfrage meiner Fraktion ergeben. Wenn wir einen Mindestlohn in Deutschland hätten, wäre es einfach nicht möglich, dass so etwas passiert. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Stimmt doch gar nicht!) – Stimmt natürlich. Sie können gleich reden und mir das Gegenteil erzählen. Wenn der Tarifvertrag Einzelhandel allgemeinverbindlich wäre, wäre so etwas nicht möglich. Diesem unglaublichen Lohndumping muss ein Riegel vorgeschoben werden. (Beifall bei der LINKEN) Mein zweites Beispiel: Ein Werkvertragsarbeitnehmer, der über einen Industriedienstleister bei VW im Logistikbereich im Dreischichtbetrieb mit Zulagen als Gabelstaplerfahrer arbeitet, erhält einen Bruttomonatslohn in Höhe von 1 404 Euro. Netto sind das 1 072 Euro. Der Grundlohn orientiert sich an dem Mindestlohn in der Zeitarbeit in Höhe von 8,19 Euro. Der Mindestlohn gilt für einen Werkvertragsarbeitnehmer aber nicht. Der Arbeitgeber wendet ihn nur an. Der Kollege von VW, der die gleiche Arbeit verrichtet, bekommt im Vergleich zum Werkvertragsnehmer im selben Betrieb mehr als das Doppelte. Das ist Deutschland zehn Jahre nach der Agenda 2010, zehn Jahre unter einem Kanzler Schröder und einer Kanzlerin Merkel. Wegen solcher und anderer Beispiele brauchen wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, und zwar schnell. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Reden Sie doch mal über den Mindestlohn in der DDR! 40 Jahre lang!) Alle, die das nicht sehen, nicht sehen wollen oder es bewusst in Kauf nehmen, halten im Grunde Tausende Beschäftigte arm. (Pascal Kober [FDP]: Sie machen Tausende Beschäftigte arbeitslos!) Deutschland wird in Europa mehr und mehr zu einem Problem für andere Länder. Belgien hat sich beschwert und wirft Deutschland offiziell Lohndumping vor. Die ILO hat angemahnt, dass die große Anzahl an Niedriglohnjobs die soziale Ungleichheit vergrößert. Diese Bundesregierung sitzt auch dieses Problem kontinuierlich aus. Dabei ist der Mindestlohn nicht der einzig mögliche Weg, damit umzugehen: Man könnte die bestehenden Lohnbremsen der Agenda 2010 wieder aus dem Gesetz streichen; das wäre eine andere Variante. Man könnte alternativ auch die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen, (Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gute Idee!) die Leiharbeit verbieten, die Werkverträge strikt regulieren oder die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen erweitern. (Beifall bei der LINKEN) Bis dahin brauchen wir, damit nicht noch mehr Menschen in den Niedriglohnbereich gezwungen werden, einen Mindestlohn von mindestens 10 Euro pro Stunde. Wer behauptet, das vernichte Arbeitsplätze, hat keine Beweise dafür. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie müssen sich die Statistiken der Arbeitsagentur einmal anschauen!) Ich behaupte: Das schafft Arbeitsplätze. Das schafft zusätzliche Kaufkraft. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Alles Behauptungen!) Es verhindert Altersarmut, und es gibt Menschen, wenn sie von ihrer Arbeit wieder leben können, die Würde zurück. (Beifall bei der LINKEN) Verkaufen Sie die Menschen nicht länger für dumm. Handeln Sie endlich und hören Sie auf mit diesen taktischen Spielchen. Der Mindestlohn muss jetzt kommen, nicht erst in fünf Jahren! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU hat jetzt der Kollege Dr. Matthias Zimmer das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren über die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro oder von 10 Euro; das ist die Antragslage, über die wir heute diskutieren. Wenn mich jemand fragen würde, ob ich etwas dagegen hätte, einen Mindestlohn von 8,50 Euro oder von 10 Euro einzuführen, würde ich sagen: Nein, natürlich habe ich nichts dagegen. Wir haben nämlich selbst festgestellt – das ist Beschlusslage –: Wir wollen eine unabhängige Kommission einrichten. Wenn diese unabhängige Kommission in der Frage des Mindestlohns zu einem Ergebnis kommt, setzen wir es um. Wenn das Ergebnis ein Mindestlohn von 10 Euro ist, setzen wir es auch um. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie doch einmal einen Gesetzentwurf vor!) Insofern kann ich nur sagen, wir streiten uns heute nicht über die Frage: „Mindestlohn, ja oder nein?“, sondern über die Frage: Wie kommen wir auf einem vernünftigen, verantwortbaren Weg da hin, einen Mindestlohn festsetzen zu können? (Beifall des Abg. Axel Knoerig [CDU/CSU]) Unser Modell zeichnet sich dadurch aus, meine Damen und Herren, dass wir einen nachgeordneten, subsidiären Mindestlohn für solche Bereiche, in denen es keine branchenspezifischen Mindestlöhne gibt, fordern. Lassen Sie mich, um das ein bisschen zu verdeutlichen, kurz die beiden Alternativen darstellen, die wir haben: Die erste Alternative ist, einen Mindestlohn lediglich durch den Markt darstellen zu lassen. Hans-Werner Sinn hat einmal gesagt: Man muss den Lohn nur so weit fallen lassen, dass er niedrig genug ist, damit alle Menschen eine Arbeit finden. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Na toll!) Nun kann ich sagen, Frau Krellmann: Wenn ein hochbezahlter C-4-Professor einen solchen inhumanen Unsinn schreibt, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dann müsste man ihn eigentlich zwingen, hundertmal auf die Tafel zu schreiben: Die Wirtschaft ist für den Menschen da, und nicht der Mensch für die Wirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, meine Damen und Herren, dass Heiner Geißler recht hat, der diese Form der Auslieferung des Menschen an den Markt einmal als einen ökonomischen Absolutismus bezeichnet hat. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Der hat eigentlich nie recht!) Diese Form des ökonomischen Absolutismus lehnen wir ab, weil wir schon der Meinung sind, dass das Marktgeschehen etwas mit den Menschen zu tun hat und es eine moralische Dimension hat. Mit unserer Meinung stehen wir übrigens nicht alleine da. Schon Adam Smith, der Erfinder des Kapitalismus, hat gesagt: Wir brauchen einen gerechten Lohn. Diesen gerechten Lohn hat er definiert als Lohn, der es einem Arbeitnehmer und seiner Familie gestattet, vernünftig über die Runden zu kommen. Die katholische Kirche hat das dann später aufgenommen. Das sind Zeiten gewesen, in denen die Ökonomie noch etwas mit Moral zu tun hatte. Im ökonomischen Absolutismus hat sie das nicht mehr. Wir möchten aber auch keinen politischen Absolutismus haben. Wie der aussieht, kann man sich anhand eines Gesetzentwurfs verdeutlichen, den die SPD vor über einem Jahr eingebracht hat. Bezüglich der Frage: „Wie kommt so ein Mindestlohn überhaupt zustande?“, haben die Kolleginnen und Kollegen von der SPD folgenden Vorschlag gemacht: Wir richten eine Kommission ein, und wenn sich diese Kommission nicht einig ist, dann entscheidet das Ministerium über den Mindestlohn. – Das kann man machen. Außerdem haben die Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten gesagt: Wenn dieser Mindestlohn dem Ministerium nicht gefällt, dann wird der Vorschlag in die Tonne getreten und es setzt selber einen Mindestlohn fest. (Zuruf von der FDP: Oje!) Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon, wie das abläuft: Im SPD-Parteivorstand wird darüber beraten, wie hoch der Mindestlohn sein soll. (Lachen der Abg. Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]) Das ist ein politischer Mindestlohn; das bezeichne ich als eine Art politischen Absolutismus in der Lohnfeststellung. Den will ich an dieser Stelle letztendlich auch nicht haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD) Meine Damen und Herren, wir haben demgegenüber einen subsidiären, einen nachgelagerten Mindestlohn vorgeschlagen, das heißt, eine Kommission bestimmt, und wir setzen das dann als eine Mindestlohnforderung um. Ich glaube schon, dass das die Stärke des christlich-sozialen und des christlich-demokratischen Denkens kennzeichnet; denn Subsidiarität ist das Kennzeichen einer freien Gesellschaft. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Zimmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst? Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Aber natürlich. (Pascal Kober [FDP]: Es ist doch Freitag!) Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Zimmer, mir haben Ihre Ausführungen zu Herrn Sinn gut gefallen. Ich habe allerdings eine Frage zum politischen Absolutismus beim Mindestlohn. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass es bei der hier vorgetragenen Forderung nicht darum geht, die Löhne in der Bundesrepublik Deutschland in Gänze staatlich festzusetzen, sondern eine Grenze nach unten festzulegen? Was spricht eigentlich dagegen, mittels politischer Vorgaben festzulegen, wie gering ein Lohn sein darf? Die Linke fordert einen Mindestlohn von 10 Euro; denn sie geht davon aus: Wenn jemand sein ganzes Leben zu diesem Mindestlohn arbeiten muss, dann bekommt er eine Rente, die gerade über dem Grundsicherungsniveau liegt, sodass er seine Rente nicht staatlich bezuschussen lassen muss. Es wäre doch sozusagen der Auftrag des Gesetzgebers, zu sagen: Die Menschen müssen einen Lohn beziehen, von dem sie leben können und auf dessen Basis sie hinterher eine Rente bekommen, die einigermaßen zum Leben reicht. Das ist das Ziel. Ist es nicht geradezu geboten, diese Ziele auch politisch durchzusetzen, um genau das zu ermöglichen, und zwar, ohne die Löhne in Gänze festzulegen? Dagegen wäre ich natürlich auch. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Lieber Herr Kollege Ernst, ich bewundere Ihren Scharfsinn, mit dem Sie immer knallhart neben dem Thema liegen. In diesem Fall haben Sie das auch wieder geschafft. (Beifall der Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU] und Pascal Kober [FDP] – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ich verstehe nicht, warum Sie klatschen! – Gegenruf des Abg. Pascal Kober [FDP]: Er hat recht!) Ich will Ihnen erklären, warum. Ich selbst habe vor zwei Jahren in diesem Haus auch einmal den Vorschlag gemacht, indem ich gesagt habe: Es könnte ein vernünftiges Modell sein, dass wir eine Indexierung des Mindestlohns an der Rentenhöhe vornehmen, also schauen, wie hoch der Mindestlohn sein müsste, damit jemand, der 45 Jahre gearbeitet hat, am Ende seines Arbeitslebens eine Rente bezieht, die über der Grundsicherung liegt. Das ist eine spannende Frage; denn aus unserer Sicht muss sich Arbeit auch lohnen, gerade denjenigen gegenüber, die nicht arbeiten. Das darf allerdings nicht der einzige Gesichtspunkt bei der Festlegung eines Mindestlohnes sein, sondern es müssen auch andere Aspekte – Sie sind ja Gewerkschafter – in diese Frage hineinfakturiert werden. Ich nenne beispielhaft die Fragen: Wie sieht es mit der Produktivität aus? Ab wann gehen Arbeitsplätze verloren? In welchen Branchen haben wir welche Situation? Nur einen Faktor herauszugreifen und zu sagen: „Das ist der Faktor, der letztlich den Mindestlohn bestimmt“, (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Grundlage, dass man davon leben kann!) das ist der falsche Weg. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle den Versuchungen des Politischen widerstehen und es tatsächlich den Gewerkschaften und Arbeitgebern überlassen müssen, den Mindestlohn festzulegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja, für die Gewerkschaften einmal eine tolle Aufgabe! – Zuruf von der FDP: Was machen denn die Gewerkschaften?) Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir mit unserer Vorstellung von einem subsidiären Mindestlohn, den Gewerkschaften und Arbeitgeber im Konsens vorgeben und der dann auch umgesetzt wird, einen Weg gehen, der in der Lohnfindung die Extreme zwischen einem politischen Absolutismus und einem ökonomischen Absolutismus vermeidet. Ich glaube, das ist insgesamt der richtige Weg einer freiheitlichen Gesellschaft, um moralische Anliegen auch in der Ökonomie durchzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Statt des angekündigten Redners Klaus Barthel erteile ich jetzt das Wort der Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller, die ihre und die Redezeit von Herrn Barthel zusammen nutzen kann. (Beifall der Abg. Iris Gleicke [SPD] – Zuruf von der CDU/CSU: Das letzte Aufgebot!) Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, vielen, die heute zuhören, geht es wie mir. Sie fragen sich: Wann kommt endlich das, was nicht nur Sie, Herr Zimmer, sondern viele aus Ihrer Fraktion ankündigen? Wann kommt endlich ein Gesetzentwurf, der Ihren hohen Maßstäben gerecht wird und über den wir dann diskutieren und auch entscheiden können? – Wir warten schon so lange, und mit uns Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich sagen: Es kann doch nicht sein, dass wir in diesem Land noch immer keine absolut verbindliche Lohnuntergrenze haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Selber nichts machen und nur meckern!) Das will ich gerne voranstellen. Denn über dieses Problem reden wir heute. Ich habe nicht mitgezählt, wie oft wir an dieser Stelle schon über die Frage eines Mindestlohns, der gesetzlich geregelt ist, diskutiert haben. Ich glaube, die Zahl wäre bald dreistellig. Ich fürchte – das muss ich annehmen –, auch heute wird es nicht das letzte Mal sein. Wir alle wissen, Die unendliche Geschichte ist eigentlich ein wunderhübscher Roman. Aber an dieser Stelle ist eine unendliche Geschichte ein Faustschlag ins Gesicht von Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland, (Beifall bei der SPD – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja! Weil die Gewerkschaften das nicht hinkriegen!) die ihre Hoffnung darauf gesetzt haben, dass das Parlament eine Lösung bietet. Bis heute steht sie aus. Dabei ist der Niedriglohnsektor in Deutschland groß und damit die Zahl der abhängig Beschäftigten, die für einen Niedriglohn arbeiten, konstant hoch. Aus Auswertungen des Statistischen Bundesamtes wissen wir: Jeder oder jede fünfte Beschäftigte erhält trotz Vollzeitarbeit einen Niedriglohn. Wir haben ohne jeden Zweifel einen sich verstetigenden Niedriglohnsektor. Das hat zur Folge, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergeht, trotz Arbeit, Fleiß und Anstrengung. Es gibt einen schleichenden Abgrenzungsprozess zwischen denen, die gut verdienen – das ist ihr gutes Recht –, und denen, die genauso gut arbeiten, aber nicht über die Armutsschwelle kommen. Wir alle wissen: Fängt das im Arbeitsleben an, setzen sich die Armuts-bedrohung und die faktische Armut im Alter fort. Wer daran Zweifel hat, dem empfehle ich die Lektüre des Vierten Armuts- und Reichtumsberichtes. Er ist zwar von der Regierung ein bisschen schönkorrigiert worden, (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Die Zahlen sind eindeutig!) aber dennoch sprechen die Fakten Bände, dass es dringend Zeit ist, etwas vorzulegen, Herr Kollege Zimmer. Das fehlt bisher. (Beifall bei der SPD) Ich habe ein paar Argumente genutzt. Sie finden sich in der Problembeschreibung des Gesetzentwurfs des Bundesrates, der dankenswerterweise den Deutschen Bundestag erreicht hat. Wir haben am Mittwoch im Ausschuss eine Debatte dazu geführt, aber FDP, CDU und CSU hat leider der Mut gefehlt, sich dazu zu positionieren. Ich finde, das war ein Tiefpunkt parlamentarischer Arbeit. (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Was ich am Mittwoch erlebt habe, ging wirklich zu weit. Da gibt es diesen Entwurf des Bundesrates. Ich glaube, er datiert vom Februar oder März; es war also hinreichend Zeit, sich damit zu befassen. Er ist klar. Er ist eindeutig. Er ist in seiner Begründung sozusagen absolut sicher. Was passiert aber? FDP, CDU und CSU haben nicht einmal den Mut, zu sagen: Nein, das ist nicht unser Weg. – Herr Zimmer, das ist die Wirklichkeit, über die wir reden. Heute stellen alle, die in die Tagesordnung schauen, fest: Die Beratung des Entwurfs ist für heute abgesetzt. Sie haben dabei nicht einmal den Mut, zu sagen: Nein, das wollen wir hier im Parlament nicht. Da nutzen Parteitags- und sonstige Beschlüsse auch nichts. Der Entwurf ist definitiv nicht zur Abstimmung gestellt worden, obwohl Sie die Möglichkeit gehabt hätten, sich dazu zu verhalten. Ich finde, das ist wirklich feige. Das muss ich Ihnen sagen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSE 90/DIE GRÜNEN) Was müssen wir eigentlich daraus schließen? Offenbar gibt es – trotz aller philosophischen Erörterungen – nicht hinreichend Bereitschaft, die Dimension des Pro-blems zu erkennen. Es gibt eben nicht den Mut, bestehendem Lohndumping, und zwar in allen Branchen und für alle Beschäftigten, wirklich etwas entgegenzusetzen. Es ist ja nicht so, dass Sie gar nichts tun. Ich möchte nicht, dass später gegen mich der Vorwurf erhoben wird, dass ich diese Sichtweise hätte. Nein, ich attestiere deutlich: Sie haben etwas getan. Das werden Sie ja bei den folgenden Reden auch noch abfeiern. Nur zu reden, reicht eben nicht aus; denn da, wo Sie mit den bestehenden Regelungen nicht hinkommen, gibt es immer noch schlechte Arbeitsbedingungen und viel zu niedrige Löhne. Deshalb – da bin ich mir ziemlich sicher – brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn. Herr Kollege Zimmer, ich weiß nicht, ob Sie nur einem potenziell SPD-geführten Ministerium so misstrauen. Ich höre daraus eher, dass Sie dem jetzigen Ministerium mit der Frau Ministerin an der Spitze eigentlich auch nicht trauen. (Beifall bei der SPD) Insofern finde ich, dass die Debatte, die Sie da aufgemacht haben, ein bisschen neben der Spur ist. (Iris Gleicke [SPD]: Das sind Nebelkerzen!) Worauf kommt es der SPD in diesem Zusammenhang an? Uns kommt es auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen an, denn wir sagen: Für Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt brauchen wir den gesetzlichen Mindestlohn, zugleich brauchen wir aber noch mehr. Das haben wir in einer Fülle von Anträgen deutlich gemacht. Sie können das auch in unserem Regierungsprogramm nachlesen. Vielleicht besteht der Unterschied darin, dass man in Bezug auf die SPD sehr präzise sagen kann: Aha, das möchten die machen, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einem solchen Wohlstandsland wie Deutschland sicher sein können, dass der Wettbewerb nicht über Lohndumping auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Das ist der Punkt, um den es uns geht. Deshalb sagen wir: Da muss etwas passieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wie intensiv ihr das macht, zeigt sich daran, dass nur zwei Leute von euch da sind!) Wir sind der festen Überzeugung, dass man für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit auch gleichen Lohn bekommen muss. Das hat übrigens noch eine ganz andere Dimension, nämlich die der Geschlechter. Wir wissen, dass wir auch da noch jede Menge zu tun haben. Die Lohndifferenz beträgt 22 Prozent. Auch wissen wir, dass das Verhältnis beim Lohngefüge zwischen Ost und West noch lange nicht in Ordnung ist; denn in dem Augenblick, wo wir über „Gefälle“ reden, reden wir über Ungleichheit. Deshalb sagen wir zum Beispiel: Beim gesetzlichen Mindestlohn – da sind wir uns mit den Grünen und den Linken einig – gibt es logischerweise überhaupt keinen Unterschied zwischen Ost und West. (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das ist auch ein Schritt, von dem ich denke, dass er unbedingt getan werden muss. Ich will noch einen weiteren Punkt anführen, denn in dieser Debatte – ich nehme an, das wird gleich kommen – wird sicher noch das Hohelied auf die Tarifvertragsparteien und die Tariffreiheit gesungen. Ich kann Ihnen nur sagen: Die SPD ist volle Lotte dafür. Genau das sind wir! (Heiterkeit des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU] – Michaela Noll [CDU/CSU]: „Volle Lotte“? Kommen Sie von der Küste?) – Ja, Herr Straubinger, wir freuen uns, dass die Gewerkschaften alle unsere Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn ausnahmslos ausdrücklich unterstützen. Sie haben dann nämlich die Chance, „on top“ zu verhandeln. Das ist es, was ich gerne haben möchte und was sozusagen Konsens ist. Wenn die Idee aufkommt, sich auf eine Gewerkschaft zu berufen, die diese Forderung nicht unterstützt, dann schauen Sie erst einmal, welche das ist. Dann wissen Sie auch, wo Sie die einzuordnen haben. Insofern steht, wie ich finde, die Stärkung der Tarifvertragsparteien auf der Tagesordnung. Das müssen wir uns alle ins Stammbuch schreiben. Jeder in der Gesellschaft muss das machen. Ich hoffe, Arbeitgeber und -Arbeitnehmer sind gleichermaßen daran interessiert; denn überall, wo es eine hohe Tarifbindung gibt, gibt es auch solide Bedingungen für Arbeit. Das ist gut für die Unternehmen, aber genauso gut für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn ich mir das Kapitel Lohndumping noch einmal vor Augen führe, dann will ich Ihnen sagen: Wir haben hier überhaupt kein Manko an Erkenntnis. Wir haben eine Datenlage, die überhaupt keinen Zweifel daran lässt, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Deshalb will ich noch einmal sagen: Auch die SPD tritt für eine Kommission ein. Herr Zimmer hat ja versucht, das, wie ich finde, zu parodieren. Wir sagen: Wir wollen eine Low Pay Commission, ähnlich wie Großbritannien sie hat. Da sind wir im Übrigen ähnlich aufgestellt wie die Linken und die Grünen, die das ebenfalls fordern. Ich denke, über die Frage, wer am Ende bei Nichteinigung entscheidet, kann man in diesem Haus sehr wohl noch einmal debattieren. Da lasse ich mich nicht hinter eine Fichte führen, die für mich sowieso viel zu schmal wäre. Damit kommen wir nicht weiter. Wir sagen eben: Ein gesetzlicher Mindestlohn muss eingeführt werden. Wir wollen nicht noch jahrelang warten, bis CDU, CSU und FDP vielleicht eine Idee haben, mit welchem Gremium wie genau man herausfinden könnte, wie man einsteigt. Nein, das dauert uns zu lange. (Beifall bei der SPD) Deshalb sagen wir: 8,50 Euro sind ein fairer Einstieg. Auch wir wissen, dass ein Lohn von 8,50 Euro in der Stunde auf Dauer nicht zu einer auskömmlichen Rente führt. Wir gehen aber davon aus, dass es im Verlauf des Berufslebens zu höheren Löhnen kommt. Wir können im Übrigen auch davon ausgehen – das zeigen die Vergleiche mit anderen europäischen Ländern –, dass es in der Regel nicht bei diesem Mindestlohnniveau bleibt. Auch das ist eine Erkenntnis. Deshalb will ich Ihnen sagen: Wir wollen diesen Überbietungswettbewerb der Linken nicht mitmachen. Wir sagen ganz deutlich: Wir wollen diesen Einstieg. Wir sind sehr beim Antrag der Grünen, über den wir in unserem Fachausschuss beraten werden. Aber ich will auch sagen: Viele Menschen in diesem Land verstehen überhaupt nicht mehr, warum wir immer noch diskutieren und immer noch reden und immer noch suchen, wo doch die Lösung so offenkundig da ist. Ich glaube, es wird Zeit, dass das Ringen um den gesetzlichen Mindestlohn ein Ende hat und seine Einführung kommt. Offenkundig brauchen wir dafür einen Regierungswechsel. Er wird kommen und mit ihm ein gesetzlicher Mindestlohn. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist der Sieg der Hoffnung über die Erfahrung!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Liebe Frau Kollegin Lösekrug-Möller, ich nehme Ihnen ja ab, dass der Mindestlohn für Sie ein Herzensanliegen ist. Aber Sie scheinen die Einzige, jedenfalls eine von wenigen in der SPD-Fraktion zu sein. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nachdem Sie Platz genommen haben, hat sich die Zahl der Zuhörer bei der SPD immerhin verdoppelt. Das ist erfreulich. Aber dafür, dass von Montag bis Freitagmorgen die SPD und ihr Parteivorsitzender durch die Lande ziehen und den Eindruck erwecken, es gäbe kein wichtigeres Thema für die SPD als einen gesetzlichen Mindestlohn, ist es wirklich blamabel, wie die SPD-Fraktion heute Nachmittag hier vertreten ist. Das muss man einmal sehr deutlich sagen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der LINKEN) Ich will genauso deutlich sagen, Frau Kollegin Lösekrug-Möller: Für unsere Fraktion ist klar: Wir brauchen und wir wollen keinen flächendeckenden gesetz-lichen Mindestlohn. (Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]: Das weiß ich!) Wir haben – und das ist auch gut so – eine ganze Reihe von branchenbezogenen, tarifbasierten Mindestlöhnen. Für fast 4 Millionen Menschen in Deutschland gelten solche tarifbezogenen Lohnuntergrenzen. Diese Lohn-untergrenzen wurden übrigens für fast 3,8 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter einer schwarz-gelben Bundesregierung eingeführt. Auch das muss man hier einmal sehr deutlich sagen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es nach der FDP gegangen wäre, wären die nie gekommen! – Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) – Die Kollegin Krellmann möchte etwas fragen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich sehe, Sie erlauben die Zwischenfrage der Kollegin Krellmann. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ja. Bitte eine kurze Frage, damit ich lange antworten kann. (Heiterkeit) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Frau Krellmann. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Die von Ihnen angesprochenen Löhne sind oftmals grottenschlecht und unterschiedlich zwischen Ost und West, zum Beispiel in der Leiharbeit. Sie erzählen uns: Wir müssen ganz vorsichtig sein; vielleicht vernichtet das Arbeitsplätze. – Wir haben jetzt schon Erfahrung mit Mindestlöhnen. Ich möchte gerne von Ihnen wissen: Wurden irgendwo Arbeitsplätze vernichtet? Wir haben positive Erfahrungen in bestimmten Bereichen gemacht. Wieso dauert das bei Ihnen so lange? Wieso muss man stundenlang, tagelang, jahrelang Untersuchungen machen, bis man politisch endlich einen Schritt in die Richtung macht, dass wir Mindestlöhne bekommen, und zwar überall? (Beifall bei der LINKEN) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Frau Kollegin Krellmann, diese Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag zweierlei vereinbart, was hier einschlägig ist. Wir haben erstens klipp und klar gesagt: Einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn lehnen wir ab. Zweitens haben wir gesagt: Wir wollen eine -Evaluation bestehender Mindestlöhne. – Dies ist auch geschehen. Jetzt muss man aufpassen, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleicht. Sie wollen auf den gesetzlichen Mindestlohn hinaus, und Sie wollen jetzt eine Unschädlichkeit des gesetzlichen Mindestlohns mit Verweis auf Erfahrungen bei tarifbasierten Mindestlöhnen suggerieren. Sie haben es in Ihrer Frage auch selbst angesprochen. Die Bandbreite der tarifbezogenen Mindestlöhne geht von 7 Euro bei den Wäschereidienstleistungen in den neuen Bundesländern bis hin zu fast 14 Euro am Bau im Westen, in den alten Bundesländern. Der obere Wert ist das Doppelte des unteren. Das zeigt, dass von den Tarifpartnern sehr wohl Differenzierungen vorgenommen wurden. Die sind auch notwendig, um auf die Produktivität und die Möglichkeiten der jeweiligen Branche angemessen reagieren zu können. Um Ihre Frage kurz zu beantworten – ich könnte das auch länger tun, aber die Kollegen wollen heute Nachmittag auch noch nach Hause –: Ich halte es nicht für -zulässig, dass man die Evaluation von Branchenmindestlöhnen heranzieht, um die Wirkungen eines gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohns, der undifferenziert in allen Teilen unseres Landes gelten würde, zu beschreiben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Oft wird hier angeführt, Mindestlöhne stünden nur auf dem Papier, es werde nicht kontrolliert. Man muss ja auch einmal einen neuen Aspekt in die Debatte einbringen: Ich habe mir angeguckt, wie die Finanzkontrolle Schwarzarbeit in einzelnen Branchen tätig wird. Ich kann nur sagen: Es findet ein dichtes Prüfungsgeschehen statt, mit dem nachgehalten wird, dass das, was der -Verordnungsgeber bei der Allgemeinverbindlichkeits-erklärung zum Ausdruck gebracht hat, auch tatsächlich eingehalten wird. Es gibt Abweichungen, Verstöße in einzelnen Branchen, aber das liegt im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Es gibt immer schwarze Schafe – das ist vollkommen klar –, aber die Mehrzahl der Unternehmen in den Branchen mit tarifbasierten Mindestlöhnen hält sich genau an das, was der Verordnungsgeber wollte; das will ich an dieser Stelle und in dieser Debatte festhalten. Heute steht nicht der Vorschlag des Bundesrates auf der Tagesordnung. Damit muss man sich noch sehr intensiv befassen; denn der wirft mehr Fragen auf, als er Antworten gibt. Ich will nur so viel sagen: Ich finde, es ist schon ein dreistes Stück der SPD-Mehrheit im Bundesrat, auf der einen Seite zu sagen: „Wir wollen keine politische Lohnfindung“ und auf der anderen Seite in diesem Entwurf eines Mindestlohngesetzes sozusagen einen Mindestmindestlohn vorzugeben. Die Mindestlohnkommission darf tagen, sie darf auch zu einem Ergebnis kommen, aber wenn das Ergebnis unter dem Wert von 8,50 Euro ist, wird das nicht akzeptiert. – Das ist politische Lohnsetzung; das ist ein vollkommen klarer Fall. (Widerspruch der Abg. Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]) So, Frau Kollegin Lösekrug-Möller, geht es auf keinen Fall. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]: Deshalb können Sie nicht zustimmen oder ablehnen?) Jetzt gucken wir einmal weiter. Nach dem Gesetzentwurf ergibt sich auch Folgendes: Wenn das Verfahren gestartet wurde und die Kommission in den nächsten Jahren irgendwann Mindestlohnvorschläge macht, die dem BMAS nicht gefallen, dann soll das Votum der Kommission belanglos sein und – so steht es in diesem Entwurf – soll das Ministerium allein einen Mindestlohn, der flächendeckend in ganz Deutschland gelten soll, festsetzen. Auch das ist für mich nichts anderes als eine politische Lohnfindung. Ich weiß nicht, wie Sie das nennen. Für mich ist das eine politische Lohnfindung. So geht es nicht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Auch dann, wenn die Kommission bis zu dem vorgesehenen Datum im Jahr – ich glaube, das ist der 31. August – noch nicht so weit ist, würde das BMAS in die Bresche springen. Das kann man von der einen und der anderen Seite natürlich auch taktisch handhaben. Ein gutes, ein geordnetes Verfahren sieht anders aus. Unser Vorschlag ist ein anderer. Wir wollen – ich will das am Schluss noch kurz sagen – auf dem Weg, der sich in den letzten Jahren ganz offensichtlich, auch nach den Evaluationen, bewährt hat, vorangehen. Wir glauben, dass die tarifbasierten Branchenmindestlöhne ein Weg sind. In Übereinstimmung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern wird ein Antrag gestellt, der Tarifausschuss votiert, und der Mindestlohn wird dann in Kraft gesetzt. Das hat sich bewährt. Wir wollen den Katalog im Arbeitnehmer-Entsendegesetz, der heute abschließend ist, öffnen, erweitern. Das ist der eine Weg. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben es schon mal beantragt! Sie haben es abgelehnt!) Da, wo die Tarifbindung in der Branche unterdurchschnittlich oder kritisch ist, glauben wir, wird es darauf ankommen, das Mindestarbeitsbedingungengesetz zu überprüfen und mit seiner Hilfe einen Weg gangbar zu machen. Da, wo heute soziale Verwerfungen sind, die operativ schwer handhabbar sind, muss man gucken, was man an die Stelle dessen setzen kann. Vielleicht werden wir schon bald die Möglichkeit haben, etwa im Bereich Schlachthöfe zu zeigen, dass man, wenn auf allen Seiten ein guter Wille vorhanden ist, den Weg über das Mindestarbeitsbedingungengesetz nutzen kann, um in einzelnen Wirtschaftsbereichen zu geltenden Lohn-untergrenzen zu kommen. Das ist ein guter, gangbarer Weg. Das, was die Linke vorschlägt, geht unseres Erachtens gar nicht. Dazu habe ich jetzt nichts gesagt, Frau Kollegin Krellmann. Das tut mir leid. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das überrascht uns nicht!) Das, was der Bundesrat will, geht meines Erachtens auch nicht. Ich glaube, unsere Fraktion hat einen guten und gangbaren Weg vorgeschlagen. Die Praxis hat gezeigt, dass dieser Weg erfolgreich sein kann. Diesen Weg wollen wir mit Ihnen gemeinsam gehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer das Wort. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Zimmer und Herr Kolb, Sie wissen, dass ich Ihr Mindestlohnkonzept für falsch halte. Ich fände es aber redlich – das wäre ein angemessenes Verhalten einer Regierungsfraktion –, wenn Sie Ihr Konzept hier einmal zur Diskussion stellen und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen würden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Dann würde nämlich einiges deutlich werden. Aber die Strategie dieser Koalition lautet: verhindern, verschleppen, verschleiern. (Widerspruch bei der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bei der Rente!) Diese Strategie haben Sie gewählt, weil Sie verschleiern wollen, dass das, was Sie hier Mindestlohn und Lohnuntergrenze nennen, eine Mogelpackung ist und kein Mindestlohn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Nehmen wir einmal das Beispiel FDP. Sie haben sich mit der Frage ja tatsächlich beschäftigt. Kurz vor Ende dieser Wahlperiode fällt Guido Westerwelle ein, dass ein Stundenlohn von 3 Euro möglicherweise doch nicht ganz fair ist. Ich frage Sie: Was heißt das eigentlich? Sind 4 Euro gerecht? Sind 5 Euro gerecht? Oder verstehen Sie das als gerecht, was Ihr Fraktionsvize Martin Lindner nach Ihrem Lohnuntergrenzenbeschluss in einem Radiointerview gesagt hat? Er hat gesagt, dass er es ganz und gar nicht für unwürdig hält, wenn zum Beispiel ein Rentner für 4,50 Euro und ein Bierchen obendrauf in der Pförtnerloge sitzt oder ein Rentner für Bier und Buletten abends in der Kneipe Gläser spült. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was zahlt denn Frau Höhn? 4 Euro! Bei Frau Höhn gibt es 4 Euro!) Bedeutet das Mindestlohnkonzept der FDP Naturalien für Rentner und ein paar Euro zusätzlich für die übrigen Beschäftigten? Nehmen wir das Beispiel CDU. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nehmen wir das Beispiel Bärbel Höhn!) Ich frage Sie: Was bedeutet es eigentlich konkret, wenn Ihre Kanzlerin bei der CDA sagt – ich zitiere –: Wir sehen auch, dass die Beschäftigungsvielfalt so groß ist, dass es nicht … ausreicht, branchenspezifisch zu arbeiten. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was ist dagegen zu sagen?) Dieser Satz ist ein echter Merkel. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nein, das ist ein Merksatz! Das ist etwas anderes!) Es gibt viel Interpretationsspielraum. Ich frage Sie: Heißt das, dass Sie verbindliche Lohnuntergrenzen nur für die Branchen wollen, in denen es keine Tarifverträge gibt? Dann frage ich Sie: Was bedeutet das für die mehr als 1 Million Beschäftigten, die in Branchen arbeiten, die zwar Tarifverträge haben, nach denen aber die Lohnuntergrenze bei unter 8,50 Euro liegt? (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das bedeutet, dass die Gewerkschaften dort versagt haben! Ganz einfach!) Heißt das für diese Menschen: Einmal Hungerlohn – immer Hungerlohn? (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das heißt es!) Oder ist vielleicht die Interpretation von Herrn Laumann aus NRW richtig? Er war neulich gemeinsam mit mir auf einer Tagung des DGB zum Thema „Neue Ordnung der Arbeit“. Vor über 200 Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, (Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: „200 Millionen“! Bravo!) vor über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat er gesagt: Ich trete für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ein. Bei dieser Aussage hat er sich ausdrücklich auf das Konzept und den Beschluss der CDU bezogen. Was ist eigentlich richtig? Wie ist das Vorgehen von Frau Kramp-Karrenbauer, Ministerpräsidentin des Saarlands, zu verstehen? Sie hat die Bundesratsinitiative, die Sie hier heute so kritisieren und in der 8,50 Euro festgeschrieben sind, mitunterzeichnet, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Recht hat sie!) also genau das Konzept, das Sie hier seit Jahren mit Schaum vor dem Mund bekämpfen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Wer hat denn hier Schaum vor dem Mund?) Die Wahrheit ist: Sie lassen diese Kakofonie in dieser Frage sehr bewusst zu, weil Sie den Menschen Sand in die Augen streuen wollen. Sie haben in Ihrer Fraktion keine Mehrheit für den Kampf gegen Lohndumping. Das wollen Sie den Wählerinnen und Wählern nicht sagen; das wollen Sie verschleiern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN) In anderen Lebensbereichen würde das, was Sie hier als Regierungsfraktionen machen, als Arbeitsverweigerung gewertet werden, (Zuruf von der LINKEN: Genau!) und zwar mit entsprechenden Konsequenzen. Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass die Wählerinnen und Wähler am 22. September genau diese Konsequenzen ziehen werden. Sie werden Ihnen die fristlose Kündigung auf den Tisch legen. Ich bin ja sonst sehr für Kündigungsschutz, Sie aber haben ihn nicht verdient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Guter Schlusssatz!) Nach dem 22. September ist der Kampf um den Mindestlohn erledigt. Dann wird es nicht nur eine gesellschaftliche Mehrheit für den Mindestlohn geben, sondern endlich auch eine parlamentarische Mehrheit. Der Mindestlohn wird kommen. Sie stehen in dieser Debatte auf der falschen Seite der Geschichte. Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Das merken Sie doch auch selber. Bei Ihrem Mitmachprogramm, bei dem Mitmachprogramm der CDU, haben Ihre Mitglieder die Durchsetzung des Mindestlohns an die erste Stelle als ihre Herzensangelegenheit gewählt. Bei der Delegiertenkonferenz der CDU haben Ihre Mitglieder der Kanzlerin „Mindestlohn jetzt“-Schilder entgegengestreckt. Das ist doch für einen Laden wie Ihren schon so was wie eine Kulturrevolution. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Ich frage mich: Was denken Sie sich? Wenn 80 Prozent der Bevölkerung für einen Mindestlohn sind, dann müssen darunter doch auch einige CDU-Wählerinnen und -Wähler sein. Die Menschen sind längst weiter als diese Bundes-regierung. Für die Menschen ist der Mindestlohn das zentrale Gerechtigkeitskonzept. Es steht nicht nur symbolisch für Wert und Würde der Arbeit. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Genau! Dafür steht Steinbrück! Der ist der richtige Vertreter dafür!) Aber Gerechtigkeit hatte in den letzten vier Jahren und in Ihrer Regierungszeit insgesamt keine Konjunktur. Ich verspreche Ihnen: Das werden wir ändern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So viel Pathos war nie!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die CDU/CSU hat jetzt das Wort der Kollege Dr. Johann Wadephul. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Pothmer, wir sind ja engagierte Reden von Ihnen hier gewohnt, aber angesichts dieser Thematik und der Vergleiche, die Sie gezogen haben, kann ich nur fragen: Geht es vielleicht auch eine Nummer kleiner? Das wäre angesichts der Thematik etwas treffender gewesen. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wir reden über die Einkommen von Menschen!) Wir diskutieren hier in diesem Hohen Hause zum wiederholten Male über diese Frage, Frau Krellmann, und das vor dem Hintergrund, dass wir in Deutschland die höchste Beschäftigungsquote seit der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes haben. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Davon kann man nicht leben!) – Entschuldigung, es ist immer noch besser, Arbeit zu haben, als arbeitslos zu sein. Sozial ist, was Arbeit schafft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sozial ist, was gute Arbeit schafft!) Frau Krellmann, das ist der ganz entscheidende Punkt. Auch die Zahlen im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit sind gut. Ich darf gleich vorweg sagen, dass ich meine Gedanken ganz kurz vortragen möchte, um es allen Kollegen zu ermöglichen, relativ bald nach Hause zu ihren Familien und in die Wahlkreise zu fahren. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Also keine Zwischenfragen. Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Wir haben Arbeitslosenzahlen, die ermutigend und rückläufig sind, insbesondere bei jungen Menschen; das ist eine der wichtigsten Fragen für die Zukunft. Wenn Sie sich angucken, warum wir, etwa im mediterranen Raum, das Problem haben, dass gerade junge Menschen nicht in den Arbeitsmarkt hineinkommen, stellen Sie fest: Das liegt daran, dass es dort an Flexibilität fehlt. Man hilft natürlich der Bevölkerung insgesamt und gerade jungen Menschen nicht, wenn man sich sozusagen nur um die Bestandsarbeitskräfte kümmert. Wenn man für die alles abriegelt, dann kann die Wirtschaft nicht atmen, und dann werden Sie nicht die Voraussetzungen dafür schaffen können, dass auch junge Menschen eine Chance bekommen. Deswegen sage ich Rot-Grün, auch wenn die Zuhörerschaft bei den Sozialdemokraten klein ist: Es war richtig, dass die Hartz-IV-Reformen durchgeführt und dieser gesamte Bereich angepackt wurde. Das ist Ihr Verdienst. Sie haben den Niedriglohnsektor geöffnet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Sie haben dafür gesorgt, dass Menschen in diesem Bereich Arbeit bekommen haben. Es ist im Grunde verkehrte Welt: Sie wollen das alles nicht mehr wahrhaben, (Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]: Das ist doch Quatsch!) und wir haben Anlass, Ihnen dafür wirklich Dank auszusprechen. Stellen Sie Ihre eigene Arbeit von vor zehn Jahren hier doch nicht infrage! Herr Schröder würde sich wahnsinnig ärgern, wenn er Ihre Rede gehört hätte, Frau Lösekrug-Möller. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]: Das habe ich mit keiner Silbe getan, Herr Wadephul! Bleiben Sie auf dem Teppich!) Es ist nämlich so, dass auch gering bezahlte Arbeit für ganz viele Menschen eine Option schafft, zu einem besser bezahlten Job zu kommen und mehr zu verdienen. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ach, das ist ja gar nicht wahr!) Das wünschen wir jedem. Dafür muss man die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Nun stellt sich in der Tat die Frage – ich bin sicher, Frau Pothmer, der nächste Deutsche Bundestag wird sich mit dieser Frage auseinandersetzen, und wir werden auch zu einer Regelung kommen –, wie ein tariflicher Mindestlohn nach unseren Vorstellungen aussehen sollte. Das wollen wir gemeinsam, lieber Heinrich Kolb, mit den Freien Demokraten vereinbaren; die Chancen stehen übrigens ganz gut, dass wir diese Koalition fortsetzen können. (Lachen des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Wir werden das in angemessener Weise machen; denn man bewegt sich in diesem Bereich zwischen verschiedenen Polen. Auf der einen Seite geht es um die Gerechtigkeitsfrage. Natürlich müssen wir uns um die betroffenen Menschen kümmern, und natürlich wissen wir, dass es etliche Menschen gibt, die zu wenig verdienen; das ist klar. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann machen Sie doch vielleicht einfach mal was!) Auf der anderen Seite wissen wir aber auch, dass ein zu hoch angesetzter Mindestlohn die Gefahr birgt, dass es Schwarzarbeit gibt, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden und dass Scheinselbstständigkeit entsteht oder Werkverträge abgeschlossen werden; (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber tun Sie doch einfach mal was! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ach, jetzt kommt er auch noch damit! So ein Quatsch!) all das beklagen ja auch Sie. Deswegen kommt es gerade darauf an, dass man die Höhe des Mindestlohns klug bestimmt. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Aber von irgendwas müssen die Menschen doch leben!) Es spricht vieles dafür – darauf hat der Kollege Kolb hingewiesen –, dass man in einzelnen Branchen differenzierte Regelungen treffen sollte. (Beifall des Abg. Pascal Kober [FDP]) Die Lohnfindung liegt in Deutschland in den erfolgreichen Händen der Sozialpartner. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sind 3,50 Euro ein erfolgreicher Lohn?) – Ja, wenn Sie sich mittlerweile für Ihre eigene Gewerkschaftsarbeit schämen, dann tun Sie mir leid. Die -Gewerkschaften haben erfolgreich Arbeitnehmerrechte verteidigt und dafür gesorgt, dass Arbeitnehmer Arbeitsplätze bekommen haben und regelmäßig gut beschäftigt worden sind, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dass man das jetzt gegen Sie hier verteidigen muss, Herr Ernst, das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein! (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) Das ist ja unglaublich! Das empört mich geradezu. (Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) – Ja, es gab doch gerade neue Abschlüsse. Schauen Sie sich an, was die IG Metall in Bayern ausgehandelt hat. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja, bei den Friseuren! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Unglaublich, was hier abgeht! Reden Sie davon, wovon Sie was verstehen!) Es wurden Lohnzuwächse für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vereinbart. Das ist doch eine gute Sache. Wir wollen starke Gewerkschaften. Es muss sich lohnen, in eine Gewerkschaft einzutreten. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das lohnt sich nur für die Gewerkschaftsfunktionäre!) Mensch, dass ich die Gewerkschaften und deren Rechte hier gegen Sie verteidigen muss, das ist heute Nachmittag ja wirklich verkehrte Welt! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie verteidigen das Mindestlohnkonzept!) Aber das machen wir. Wir stehen zu unseren Gewerkschaften. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Gewerkschaften wollen den Mindestlohn, Herr Kollege!) Sie sollen die maßgebliche Rolle spielen, wenn es darum geht, die richtige Lohnhöhe zu finden. Gerade deswegen sieht unser Modell vor, dass diese Entscheidung dann bindend sein soll. Eines will ich den Grünen an dieser Stelle in aller Ernsthaftigkeit sagen: Für Sie hat das, was die Kommission vorschlägt, nur Empfehlungscharakter, die Entscheidung wollen Sie hinterher aber doch politisch treffen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein, nein! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie müssten nur mal unseren Antrag lesen! Mein Gott, immer nur falsche Dinge behaupten!) Nein, das, was von einer solchen Kommission vorgeschlagen wird, muss dann bindend sein. Das müssen wir durchsetzen. Deswegen ist diese Entscheidung gerade bei den Sozialpartnern in guten Händen. Abschließend möchte ich Ihnen sagen: Es wird auch danach noch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geben, die den Mindestlohn, der dann tariflich festgelegt ist, erhalten und trotzdem, Herr Ernst, keinen eigenständigen Rentenanspruch, der über dem Grundsicherungsniveau liegt, haben. Das liegt daran – das können Sie nie ausschließen –, dass eine ganze Reihe von Arbeitnehmern nur Teilzeit arbeitet – einige wollen nur Teilzeit arbeiten, andere können nur Teilzeit arbeiten – und dass es unterbrochene Erwerbsbiografien gibt. Das wird es immer geben. Deswegen werden Sie das Problem auf diese Art und Weise nicht lösen können. Wir werden uns in der Rentengesetzgebung auch um diese Fälle noch kümmern müssen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weder Mindestlohn noch Garantierente!) Diese Menschen werden staatliche Leistungen wie die Grundsicherung in Anspruch nehmen müssen. Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Ich möchte die linke Seite dieses Hauses abschließend auffordern: Diskreditieren Sie nicht den Empfang staatlicher Sozialleistungen als Empfang von Almosen! Das sind gesetzliche Ansprüche; die stehen den Menschen zu, und die Menschen sollen diese Leistungen in Anspruch nehmen; denn dafür sind sie da. (Karin Binder [DIE LINKE]: Dafür muss man sich aber ausziehen bis aufs Hemd!) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus Ernst. Klaus Ernst (DIE LINKE): Lieber Herr Wadephul, Sie haben sich hier als Vorreiter der Gewerkschaften präsentiert. Sie wollen Mindestlöhne verhindern. Ihr Argument in diesem Zusammenhang ist die Stärkung der Tarifautonomie. Zur Stärkung der Tarifautonomie gehört doch aber, dass man es vereinfacht, dass Tarifverträge in diesem Land für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Das wiederum lehnen Sie – übrigens in trauter Einigkeit mit der FDP – ab. Gleichzeitig verwenden Sie das Argument von der Stärkung der Tarifautonomie. Zweitens. Zu einer Stärkung der Tarifautonomie würde auch gehören, dass Gewerkschaften ein eigenes Klagerecht bekämen, wenn es darum geht, die Geltung von Tarifverträgen durchzusetzen. Genau das lehnt Ihre Fraktion zusammen mit der FDP ab. Sie werden mir verzeihen, dass ich Ihnen kein Wort glaube, wenn Sie behaupten, Sie wollten die Tarifautonomie verteidigen. Wenn Sie sich um die Qualität von Tarifverträgen sorgen, dann ist das so, als ob sich ein Vegetarier um die Qualität von Schweinefleisch sorgt, Herr Wadephul. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zu dem Argument: Weil die Gewerkschaften Löhne von 3,50 Euro vereinbart haben – und das haben sie –, ist der Tarifvertrag schon gut. – Ich weiß, wie man Tarifverträge schließt; ich habe selber welche geschlossen, übrigens mit höheren Löhnen. Wenn ich Tarifverträge mit höheren Löhnen durchsetzen konnte, dann hatte ich entsprechend viele kampfbereite Mitglieder. In vielen Bereichen – das wissen Sie alle, die Sie da sitzen – ist diese Voraussetzung nicht gegeben. Wie soll man Friseure organisieren? (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die Friseure haben doch gerade einen Tarifvertrag abgeschlossen!) Wie soll man Steuerberatergehilfen organisieren? Wie soll man Leute organisieren, die im Blumenbereich arbeiten, (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: „Blumen-bereich“?) Floristinnen und Floristen? Dass dort laut Tarifvertrag so niedrige Löhne gezahlt werden, liegt schlichtweg daran, dass die Arbeitgeber die Tarife diktieren können. Weil das so ist, reicht es nicht aus, zu sagen: Das sollen mal die Gewerkschaften regeln! (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]) Union und FDP wollen erstens schwache Gewerkschaften und zweitens keine Mindestlöhne, um für die Arbeitgeber möglichst niedrige Löhne durchsetzen zu können. Was Ihre eigene Klientel angeht, haben Sie nichts gegen staatlich aufgestockte Löhne. Das haben die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land inzwischen erkannt. Die Menschen in diesem Land – quer durch alle Wählerschichten, auch Ihre eigenen Wähler – sind längst für einen Mindestlohn. Ich hoffe – das würde ich mir sehr wünschen –, dass sie endlich merken, dass Sie hier im Bundestag gegen die Interessen Ihrer eigenen Wähler handeln. (Beifall bei der LINKEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wünschen kann man sich viel! – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Der ist immer noch bei Robotron!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zur Erwiderung Kollege Wadephul. Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Herr Kollege Ernst, das Gegenteil von dem, was Sie gerade behauptet haben, ist wahr. Ich will Sie einmal darauf hinweisen, dass mittlerweile in 15 Branchen tarifliche Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz oder nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gelten. Die Anzahl der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge ist gewachsen: Nach einem Tiefstand von 446 Tarifverträgen im Jahre 2006 sind es 2012 bereits wieder 502 Tarifverträge gewesen. Das heißt, die Allgemeinverbindlichkeitserklärung – das ist unter dieser Bundesregierung, unter dieser Koalition geschehen – hat Konjunktur. Wir praktizieren branchenangemessene Lösungen, und – das muss man eindeutig sagen – diese Lösungen funktionieren, Herr Kollege Ernst. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie produzieren Armut trotz Arbeit!) Zweitens. Herr Kollege Ernst, Sie sind schon etwas länger aus der gewerkschaftlichen Arbeit heraus. In der Friseurbranche ist jetzt eine Einigung gelungen. Die Verhältnisse in dieser Branche sind immer wieder beklagt worden. Gerade in dieser Branche hat man sich jetzt auf eine stufenweise Erhöhung der Löhne geeinigt: In der ersten Stufe sind es 6,50 Euro in Ostdeutschland und 7,50 Euro in Westdeutschland; (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Arbeiten Sie mal für 6,50 Euro!) in der dritten Stufe – im August 2015 – werden es 8,50 Euro in ganz Deutschland sein. Das haben Gewerkschaften erstritten. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das ist nicht deren Aufgabe!) Wenn Sie davon nichts wissen, dann ist das in der Tat traurig. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie sind für niedrige Löhne verantwortlich! Sie auch! Unglaublich!) Aber ich sage Ihnen: Diejenigen, die sich in Gewerkschaften engagieren, wissen, warum sie das machen, wissen, welchen Nutzen sie haben. Reden Sie die Tarifautonomie, die wir in unserem Land haben, nicht schlecht! Sie funktioniert, und sie ist ein Teil des Erfolgsmodells Bundesrepublik Deutschland. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das ist nicht die Aufgabe von Gewerkschaften! Es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Menschen nicht arm werden!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Johannes Vogel. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe dem flammenden Plädoyer des Kollegen Wadephul für die Tarifautonomie nichts hinzuzufügen. Ich schließe mich dem vollinhaltlich an. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie haben ja noch weniger Ahnung!) – Lieber Herr Ernst, wer hier Ahnung davon hat, das, glaube ich, haben Sie eben mit entlarvender Klarheit deutlich gemacht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wer hier im Deutschen Bundestag als Ex-Gewerkschafter sagt: „Wie soll man Friseurinnen organisieren?“, wenn für die Friseurbranche gerade ein tariflicher Mindestlohn beschlossen wurde, der entlarvt sich und seine Glaubwürdigkeit bei diesem Thema selber, Herr Ernst. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Keine Ahnung!) Apropos „entlarven“. Wir reden heute auch über einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Frau Kollegin Pothmer, auch Sie haben ein großes Rad gedreht und uns zum Beispiel eine Mogelpackung vorgeworfen. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!) Wer das tut, der muss natürlich selber bei den Fakten sicher sein. Ich habe mir Ihren Antrag durchgelesen. Auch wenn wir die Diskussion über den Mindestlohn hier nicht zum ersten Mal führen, lesen wir jedes Mal wieder, was Sie uns als Antrag vorlegen. Als Verweis auf einen angeblich katastrophal hohen Niedriglohnsektor in Deutschland führen Sie das Jahr 2010 an. Ich habe mich gefragt, warum. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil das die neuesten Zahlen sind!) Vielleicht deshalb, weil seit 2010 der Anteil des Niedriglohnsektors in Deutschland zurückgegangen ist, vielleicht also, weil unter dieser Koalition der Niedriglohnsektor geschrumpft ist. Wollten Sie das außen vor lassen, oder warum stellen Sie hier falsche Fakten dar? (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind die neuesten Zahlen!) Aktuelle Fakten sind es jedenfalls nicht. Festzuhalten bleibt: Seitdem diese Koalition regiert, ist nicht nur die Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau gesunken. Auch der Niedriglohnsektor ist geschrumpft, und das ist gut. Deshalb waren das vier gute Jahre für Deutschland. Das wollen wir fortsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ein zweiter Punkt, der in meinen Augen belegt, dass Sie bei den Fakten bestimmte Dinge außen vor lassen: Sie schreiben in Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, die Bundeskanzlerin habe zu Unrecht gesagt, es gebe einen Zusammenhang zwischen Mindestlöhnen und Arbeitslosigkeit. Man muss einfach einmal den Bericht der OECD lesen, die uns noch Anfang 2012 wieder bescheinigt hat, dass es gerade bei der hohen Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern Europas einen Zusammenhang mit den bestehenden zu hohen Einheitsmindestlöhnen gibt. Liebe Frau Kollegin Pothmer, wollen Sie das auch für Deutschland? Wir wollen den französischen Weg mit extremer Jugendarbeitslosigkeit nicht gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ist deshalb nichts zu tun? Doch, es ist etwas zu tun. Natürlich gibt es Branchen, bei denen wir für eine faire Entlohnung sorgen müssen, weil dort Löhne gezahlt werden, die niemand akzeptieren will. Deshalb ist es auch richtig, wie der Kollege Wadephul und der Kollege Kolb schon ausgeführt haben, dass diese Koalition in unzähligen neuen Branchen tarifliche Lohnuntergrenzen eingeführt hat. Das ist in den letzten Jahren dieser Regierungskoalition aktuell allein für mehr als 2 Millionen Menschen geschehen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gedrängt wurden Sie! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit vorgehaltener Pistole mussten wir Sie dazu zwingen!) Weil diese Löhne von konkret betroffenen Tarifpartnern, von Arbeitgebern und Gewerkschaften, branchendifferenziert festgelegt werden, wird auf der einen Seite für faire Entlohnung gesorgt; die Löhne sind aber auf der anderen Seite nicht so hoch angesetzt, dass sie Einstiegschancen verhindern und zur Arbeitslosigkeit beitragen. Das ist genau die Balance, die wir in Deutschland am Arbeitsmarkt brauchen. Deswegen ist es richtig, dass wir diesen Weg gegangen sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Vogel, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Krellmann? (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Merkt ihr eigentlich nichts mehr? – Zuruf von der FDP: Nein, keine Fragen mehr!) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Eine Frage der Kollegin Krellmann lasse ich zu. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Das ist sehr nett von Ihnen. – Wir sind alle noch bei der Arbeit. Auch ich möchte gerne nach Hause. Aber ich möchte, dass wir diesen Punkt der Tagesordnung so lange diskutieren, wie dies notwendig ist. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Am Mittwoch hat mein Kollege Klaus Ernst sehr genau erklärt, wie das in Österreich und Frankreich mit der Jugendarbeitslosigkeit ist. Er hat deutlich gemacht, dass das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun hat. Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie das mitbekommen. Welche Aufgaben billigen Sie denn den Gewerkschaften in dieser Gesellschaft zu? Sie setzen doch politisch die Rahmenbedingungen für Gewerkschaften. Das bedeutet auch, dass Sie für Gewerkschaften einen Mindestlohn setzen. Gewerkschaften müssen darauf aufsetzen und nicht schaffen, was Sie bisher nicht geschafft haben. Sie müssen auch nicht den Trümmerhaufen von Niedriglöhnen wegräumen, den es in diesem Land gibt. (Beifall bei der LINKEN) Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Liebe Frau Kollegin Krellmann, ich finde es interessant, dass Sie sich hier als Vertreterin der Linken für ausführliche Beratungen und langes Tagen des Deutschen Bundestages aussprechen. Gestern Abend haben wir das Gegenteil erlebt, beantragt durch Sie. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie haben die Feststellung der Beschlussfähigkeit beantragt und waren selber nur mit 11 von 75 Abgeordneten anwesend. Gestern hätten wir noch lange tagen können. (Patrick Döring [FDP]: Sie sind durch die -Dorotheenstraße spazieren gegangen, Frau Kollegin! Ich habe Sie gesehen! – Gegenruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Unglaublich!) – Frau Kollegin Krellmann, haben Sie Interesse an der Antwort? Dann würde ich sie gerne geben. Österreich ist ein gutes Beispiel. Sie gehen übrigens, wie auch unsere skandinavischen Nachbarn, nicht den Weg eines Einheitsmindestlohnes, sondern haben branchendifferenzierte Lohnuntergrenzen eingeführt. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja, genau! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was ist der niedrigste Lohn?) – Lieber Herr Ernst, Sie greifen sich Österreich heraus und sagen: Wir setzen diesen Lohn in Deutschland gesetzgeberisch fest. Das ist keine gute Politik. Erstens würden Sie mit Ihrer Forderung von 10 Euro bei vielen Branchen, die Löhne auf einem Niveau von knapp unter 10 Euro vereinbart haben, als Zensor der Tarifpartner auftreten. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Jawohl!) Die Tarifpartner werden Gründe für ihren Abschluss gehabt haben, zum Beispiel, weil sonst die Arbeitslosigkeit steigen würde. Zweitens zeigt doch Ihre Bemerkung am Mittwoch im Ausschuss, die ich genau verfolgt habe, Herr Ernst, dass Sie den Kern der Sache nicht verstanden haben. Der Unterschied ist: Die Tarifpartner legen Branche für Branche die konkrete Lohnhöhe fest. Wenn Sie daraus ableiten, das gesetzlich festzulegen, ist das das genaue Gegenteil. Wenn Politiker die Löhne bestellen, dann zahlen die Menschen die Rechnung dafür, Herr Ernst, indem sie keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt haben. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das wollen wir nicht. Wir gehen den Weg tariflicher Lohnuntergrenzen Branche für Branche schon in dieser Legislaturperiode. Wir wollen das in der kommenden Legislaturperiode fortsetzen. Wir wollen die Gesetze so reformieren, dass überall dort, wo es ein Problem gibt, eine Lohnuntergrenze möglich ist, aber eben im Einklang mit der Tarifautonomie und der sozialen Marktwirtschaft. Dann haben wir auf der einen Seite faire Löhne für alle Menschen und auf der anderen Seite weiterhin gute Einstiegschancen und eine niedrige Arbeitslosigkeit. Das ist der bessere Weg für Deutschland. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Max Straubinger hat nun für die Unionsfraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Max Straubinger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Anträge sind nicht neu; wir diskutieren das Thema zum x-ten Male. Es geht um die Frage: Soll es einen gesetzlichen Mindestlohn geben oder nicht? Ich glaube, die Antworten sind sowohl jetzt als auch in den vergangenen Debatten deutlich geworden. Dass es letztendlich um einen politischen Lohn geht, belegen ja die beiden Anträge. Die Linken fordern einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro, und die Grünen verlangen 8,50 Euro, wie die SPD in der Regel auch. Das zeigt sehr deutlich, dass hier eine politische Lohnfestsetzung stattfinden soll. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Das ist mit unserem System der Tarifautonomie meines Erachtens in keinster Weise zu verbinden und wäre auch schädlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir sehen, dass in anderen europäischen Ländern, in denen es zu hohe Mindestlöhne gibt, die Jugendarbeitslosigkeit enorm gestiegen und darüber hinaus grundsätzlich eine weit höhere Arbeitslosigkeit als bei uns zu verzeichnen ist. (Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]: Der Zusammenhang ist ja wohl weit hergeholt! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sieht es denn in den Niederlanden aus?) In Frankreich zum Beispiel, Frau Kollegin Pothmer, einem der größten Länder in Europa, ist die Jugendarbeitslosigkeit wesentlich höher als bei uns. Das ist traurig für die Jugendlichen dort. Der Mindestlohn nützt dort niemandem; denn wenn jemand auf Mindestlohnbasis eingestellt wird, zahlt der französische Staat 26 Prozent des Sozialversicherungsbeitrages und zusätzlich noch Unterstützungsleistungen. Das bedeutet nach Berechnungen von wissenschaftlichen Instituten, dass jeder dieser Arbeitsplätze mit 70 000 Euro subventioniert wird. Das kann letztendlich keine zielführende Politik sein und zeigt sehr deutlich, dass wir gut daran tun, weiterhin an der bewährten Tarifautonomie, nämlich der Festsetzung der Löhne durch die Tarifpartner, festzuhalten. Sie sind letztendlich die Grundlage für ein gutes und wettbewerbliches System. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch!) – Das wollen Sie nicht. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) – Nein. Sie widersprechen sich ja auch in Ihrem Antrag. Sie fordern zum Beispiel, „eine Mindestlohnkommission nach britischem Vorbild aus Vertretern der Gewerkschaften, der Arbeitgeber und der Wissenschaft“ einzurichten. So weit, so gut. Aber mir ist nicht bekannt, dass in Großbritannien von politischer Seite eine Vorgabe gemacht wird und dass diese Kommission nur einen Mindestlohn vereinbaren darf, der oberhalb einer von der Politik gezogenen Grenze liegt. Dann könnten Sie sich diese Kommission sparen, liebe Frau Kollegin Pothmer. Ich möchte das lieber den Tarifpartnern überlassen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind doch die Tarifpartner!) Sie zitieren immer die Umfrage – das hat auch der Kollege Klaus Ernst getan –, wonach 80 Prozent der Menschen in unserem Land für Mindestlöhne seien. Ich bin dafür, dass die Menschen höhere Löhne bekommen. Nach meinen Umfrageergebnissen sind die Menschen auch für höhere Löhne, aber nicht für Mindestlöhne, Herr Kollege Ernst. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Das ist doch das Entscheidende: Es geht nicht um den Kampf für einen Mindestlohn, sondern um eine bessere Bezahlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dafür stehen die Union, die FDP und diese Regierungskoalition. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir stehen auch dafür, dass es Arbeit gibt in unserem Land. Das sind die Erfolge dieser Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen. Seit dem Ende der rot-grünen Regierungszeit haben wir 2 Millionen mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geschaffen, weil wir wettbewerbsfähiger geworden sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir wären nicht wettbewerbsfähig geworden, wenn wir den Arbeitsmarkt stranguliert hätten. Wir sind nur wettbewerbsfähig geworden, weil wir manche Regelung gelockert und flexiblere Beschäftigungsformen ermöglicht haben. Das war in der Vergangenheit ein Erfolg; aber das wird auch in der Zukunft ein Erfolg sein. Das wissen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Deshalb werden sie am 22. September wieder großes Vertrauen in die CDU und in die CSU setzen. In diesem Sinne: Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Karl Schiewerling hat ebenfalls für die Unionsfraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Karl Schiewerling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ursprünglich sollte die Kollegin Connemann sprechen. Sie ist heiser geworden; aber als sie dann noch die Rede der Frau Pothmer gehört hat, hat es ihr die Stimme verschlagen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war mein größter Erfolg heute!) Deswegen stehe ich hier. Bei all dem, was wir hier diskutiert haben, will ich Ihnen sagen, dass Frau Pothmer in einem Punkt völlig recht hat: Der Mindestlohn wird kommen, aber nicht der gesetzliche, sondern der tarifliche, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) nicht der Mindestlohn, den der Deutsche Bundestag festgesetzt hat, sondern der, den die Tarifpartner festgesetzt haben, nicht ein Mindestlohn, der in Verhandlungen in diesem Hause entstanden ist, sondern ein Mindestlohn, der von einer Kommission entwickelt wurde, paritätisch besetzt mit Vertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaftern. Damit das gar nicht erst missverstanden wird: Wir nehmen die Rolle der Tarifpartner so ernst, dass wir keine Zahl vorgeben. Wir sagen lediglich: Ihr habt eine Lösung zu finden, und zwar überall da, wo Tarifverträge nicht greifen oder nicht vorhanden sind. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie das noch nicht gemacht, Herr Schiewerling?) Wir schreiben den Tarifpartnern nicht vor, möglichst viele Mindestlöhne für viele kleine Branchen in vielen kleinen Regionen zu schaffen. Wir sind für einen möglichst einheitlichen Mindestlohn. Aber letztendlich -entscheiden sie, ob das sinnvoll ist oder ob man einen anderen Weg gehen sollte. Diese Freiheit hat die Kommission; das ist unser erklärtes Ziel. Das hat etwas mit Tarifautonomie zu tun und übrigens auch mit wirtschaftlichem Sachverstand, der sich in der Bundesrepublik Deutschland in dieser Konstellation über 65 Jahre bewährt hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Kollege Ernst, ich will Ihnen deutlich sagen: Es ist nicht so, dass wir hier ständig über den Mindestlohn reden, aber nichts passiere. Wir werden wahrscheinlich, so vermute ich, in den nächsten verbleibenden zwei Sitzungswochen noch heftig darüber diskutieren. In der Zeit, in der wir hier diskutieren, passiert aber eine ganze Menge. Die von Ihnen oft zitierte Friseurin mit einem Stundenlohn von 3,52 Euro hat mittlerweile einen Tarifvertrag. Wir haben für Branchen Lösungen gefunden. Wenn Sie behaupten, diese Koalition handle nicht, will ich Ihnen deutlich sagen: Diese Koalition hat in einer zentralen Branche, nämlich im Bereich der Zeitarbeit, für Regulierungen und Strukturen gesorgt; Sie hingegen hatten hier dereguliert. Wir haben über diesen Weg wieder für mehr Gerechtigkeit gesorgt. Das lassen wir uns weder von Ihnen noch von jemand anderem kaputtreden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben vielfältige Instrumente, um zu Lohnuntergrenzen oder zu tariflichen Mindestlöhnen zu kommen. Da gibt es das Mindestarbeitsbedingungengesetz und die Allgemeinverbindlicherklärung. So hat zum Beispiel der ehemalige nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann Allgemeinverbindlicherklärungen für verschiedene Branchen erreicht. Zudem gilt das Arbeitnehmer-Entsendegesetz mit all seinen Gestaltungsmöglichkeiten. Wer so tut, als würde das Heil der Welt ausschließlich von einem Mindestlohn von 8,50 oder 10 Euro abhängen, weil dann alle Fragen geklärt wären, der erzählt den Menschen dummes Zeug. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Probleme der Alterssicherung werden wir mit einem Mindestlohn nicht lösen können. Zudem richtet sich ein tariflicher Mindestlohn – genauso wie ein Tarifvertrag – in der Regel nicht danach, wie groß die Familie ist, die zu ernähren ist. Wir werden immer wieder – auch in Zukunft – Familien unterstützen müssen, damit sie auskömmlich leben und ihren Aufgaben nachgehen können. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch nicht Thema heute!) Hier ist ein Mindestlohn keine Lösung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Die Unionsfraktion hat ein Konzept entwickelt. Wir werden dieses nach dem 22. September im Koalitionsvertrag festschreiben. Wir werden für mehr Gerechtigkeit in diesem Land sorgen. Ich bin sicher, dass den Menschen mehr gedient ist, wenn diejenigen, die den nötigen Sachverstand haben, einen tariflichen Mindestlohn festlegen, als wenn andere Vorgaben machen. Alles andere haben die Vorredner aus meiner Fraktion präzise, gut und ordentlich dargelegt. Das brauche ich nicht mehr zu ergänzen. Ich danke Ihnen herzlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/13551 sowie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/13719. Die Fraktion Die Linke sowie die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünschen jeweils Abstimmung in der Sache. Die Fraktion der CDU/CSU und die Fraktion der FDP wünschen jeweils Überweisung federführend an den Ausschuss für Arbeit und Soziales und mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über die Anträge auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragten Überweisungen? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir stimmen heute nicht in der Sache ab. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 51 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 – Drucksache 17/13661 – Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU) Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor gut einem Monat, am 19. April, unterzeichneten der serbische Premierminister und sein kosovarischer Amtskollege eine Erste Vereinbarung von Prinzipien zur Regelung der Normalisierung der Beziehungen. Hinter diesem sperrigen Titel verbirgt sich eine ganz bedeutende politische Entwicklung, die wir würdigen wollen; denn die Normalisierung der Beziehungen ist die Voraussetzung dafür, dass das, was vor anderthalb Jahrzehnten als Krieg und Unglück über die gesamte Region und Europa gekommen ist, durch Stabilität und Ausgleich überwunden werden kann. Natürlich ist eine solche Vereinbarung nur ein erster Schritt. Der Implementierungsplan, der vor wenigen Tagen in Brüssel unterzeichnet worden ist – übrigens unter sehr konstruktiver Beteiligung von Cathy Ashton und des Europäischen Auswärtigen Dienstes –, ist der zweite. Jetzt geht es darum, dass mit konkreten, nachprüfbaren Umsetzungsschritten der Implementierung dieser Normalisierung nachgegangen wird. Der Plan ist ambitioniert, aber er hat eine positive Dynamik erzeugt. Beide Seiten zeigen den politischen Willen zur Normalisierung und zur Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen. Wenn ich die Beschlüsse des Deutschen Bundestages, dieses Hohen Hauses, der letzten Jahre richtig bewerte, werden wir über die Fraktions- und Parteigrenzen hinweg diese Entwicklung der Normalisierung gemeinsam begrüßen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich habe auch persönlich den Eindruck gewonnen, dass Belgrad und Pristina die Einigung wollen. Trotz aller gebotenen Vorsicht kann man sagen, dass die politische Führung in Belgrad eine strategische Entscheidung getroffen hat: Sie will die Beziehungen zu Kosovo normalisieren. In dieser entscheidenden Weichenstellung wollen wir sie bestärken. Deshalb war und ist es richtig, die Frage der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Union und Serbien mit der Frage der Normalisierung des serbisch-kosovarischen Verhältnisses zu verknüpfen. Unsere Botschaft ist ganz klar: Die territoriale Integrität von Staaten auf dem westlichen Balkan darf nicht infrage gestellt werden. Wir konnten erste Etappenerfolge erzielen. Das liegt nicht zuletzt auch an dem Stabilisierungseinsatz, an dem sich Deutschland seit nunmehr 14 Jahren beteiligt. Die NATO-geführte Operation KFOR hat Entscheidendes geleistet. Das militärische Engagement der Bundeswehr hat sich bewährt und eine politische Lösung des Ausgleichs und der Annäherung ermöglicht. Letzten Endes wird es eine langfristige Perspektive für Frieden und Stabilität auf dem westlichen Balkan nur durch eine entsprechende politische Entwicklung geben; aber unsere Frauen und Männer der Bundeswehr, das internationale Engagement im Rahmen der Operation KFOR, haben Entscheidendes geleistet. Dies ist ein Beispiel dafür, dass wir mit der richtigen Balance von politischen Ansätzen und militärischer Unterstützung gemeinsam Großes bewirken können. Über viele und oft sehr unruhige Jahre hinweg war KFOR das Rückgrat der Sicherheitspräsenz in Kosovo. Inzwischen ist die Lage in Kosovo insgesamt grundsätzlich ruhig und stabil. Im Norden musste KFOR allerdings auch im vergangenen Jahr mehrfach aktiv werden. Ich will ausdrücklich sagen: Zwischenfälle bleiben weiter möglich; denn wir wissen, dass es sich dort zum Teil auch um organisierte Kriminalität handelt. Es gibt eine Form von Radikalität, der wir gewahr sein müssen. Deswegen ist es wichtig, dass wir weiter wachsam bleiben. Ermutigend ist neben den politischen Vereinbarungen zwischen Belgrad und Pristina auch der Aufbau einer kosovarischen Polizei und von kosovarischen Sicherheitskräften, die rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen. Dem Ziel multiethnisch organisierter und professionell geführter Einheiten ist Kosovo schon viel näher gekommen. Viele Kolleginnen und Kollegen in diesem Saal kennen die Entwicklungen in diesem Bereich seit 15 Jahren und erinnern sich sicher auch noch an die Debatten, die wir im alten Plenarsaal des Deutschen Bundestages in Bonn geführt haben. Viele sind selbst in der Region gewesen und werden auch die Truppen besucht haben. Ich finde, es ist Anlass, gerade dann, wenn sich ein Erfolg abzeichnet, in Dankbarkeit auf diejenigen zu schauen, die diesen Erfolg in eineinhalb Jahrzehnten ermöglicht haben, indem sie dort ganz persönlich mit ihrer Gesundheit, mit Leib und Leben, geradegestanden haben. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen diesen erfolgreichen Stabilisierungsein-satz fortführen. Der Bundesverteidigungsminister und ich empfehlen Ihnen – das beantragen wir auch –, dass Personalobergrenze, Auftrag und Einsatzgebiet unverändert bleiben. Unverändert bleiben auch unsere Ziele, nämlich Kosovo stabil zu halten und den Frieden in der Region zu sichern. Dafür arbeitet KFOR. Im Namen der Bundesregierung bitten wir deshalb um die Zustimmung zu diesem Mandat. Danke schön. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Petra Pau: Der Kollege Gernot Erler hat nun für die SPD-Fraktion das Wort. Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil KFOR zur Absicherung von Frieden und Stabilität im Kosovo immer noch gebraucht wird, wird die SPD-Bundestagsfraktion der Verlängerung des Einsatzes deutscher Soldaten im Rahmen der Kosovo Force zustimmen. Wir sind uns als eine von 30 Nationen, die sich an KFOR beteiligt, unserer Verantwortung bewusst. Mit 830 tatsächlich eingesetzten Soldaten stellen wir das größte Kontingent, gemessen am Gesamtumfang von 5 500 Soldatinnen und Soldaten. Seit fast vier Jahren tragen wir vor Ort die Führungsverantwortung. Wir halten es auch für richtig, bei der bisherigen Obergrenze von 850 Kräften zu bleiben. Schließlich haben wir im letzten Jahr erlebt, dass die operative Reserve eingesetzt werden musste und dabei der deutsche Anteil vorübergehend sogar auf 1 250 eingesetzte Kräfte anstieg. Solche Fälle kann man leider für die Zukunft nicht völlig ausschließen. KFOR wird aber auch gebraucht, um die größte zivile Mission der EU, die Rechtsstaatsmission EULEX, in die Lage zu versetzen, ihren unverzichtbaren Beitrag zum Aufbau von Polizei, Gerichtswesen und Zoll im Kosovo durchzuführen. Schließlich hilft die Anwesenheit von KFOR-Kräften auch beim Aufbau der KSF, der kosovarischen Sicherheitskräfte, die gute Fortschritte machen, die immer mehr Aufgaben übernehmen und zukünftig die Verantwortung für die Sicherheit im Kosovo tragen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere heutige Entscheidung erinnert uns daran, wie oft wir das KFOR-Mandat schon verlängert haben – seit 1999 immerhin 13-mal. Über 100 000 deutsche Soldaten sind schon im Kosovo eingesetzt worden. Man kann sagen: Heute steht es zum ersten Mal gut für die Perspektive, dass wir vielleicht bald auf diese Mission verzichten können. Sie, Herr Minister, haben das eben angesprochen. Der Grund liegt darin, dass zuletzt die Weichen in Richtung einer Normalisierung des Verhältnisses von Serbien und Kosovo gestellt werden konnten. Die SPD-Bundestagsfraktion schließt sich ausdrücklich der Bewertung an, dass dieses Erste Abkommen über die Prinzipien über die Normalisierung der Beziehungen – so heißt es wörtlich – zwischen Belgrad und Pristina als politischer Durchbruch zu werten ist. Wir gratulieren Baroness Ashton zu ihrem Erfolg vom 19. April dieses Jahres, zu dem zehn schwierige Verhandlungsrunden geführt haben. Wir wissen natürlich, dass es die europäische Perspektive war, die bei beiden Partnern, bei Serbien wie beim Kosovo, zu der nötigen Kompromissbereitschaft geführt hat. Wir sind fest davon überzeugt, dass diesmal kein Spiel betrieben wird, was wir leider in der Vergangenheit gelegentlich erlebt haben. Dafür spricht, dass von beiden Seiten schon am 22. Mai ein verbindlicher Implementierungsplan vorgelegt und bis zum 26. Mai angenommen wurde. Dieser Implementierungsplan scheint sehr ambitioniert zu sein. Bis Mitte Juni – das ist nicht lange hin – sollen wichtige Fragen behandelt sein, nämlich die -Beendigung der Parallelstrukturen im Norden, die Beendigung der Paralleljustiz, die Transparenz serbischer Geldzahlungen, die Vorbereitung der Gründung des Gemeindeverbandes, die Vorbereitung der Kommunalwahlen, bestimmte Gesetzesänderungen – ich nenne das -kosovarische Amnestiegesetz – sowie Vereinbarungen zu den bisher offengebliebenen Themen Energie und Telekommunikation. Auch die weitere Roadmap für diese Implementierung ist mit konkreten Zieldaten verknüpft. Ich sage noch einmal: Nicht das erste Abkommen zur Normalisierung, aber seine offensichtlich engagiert angegangene Implementierung kann sehr bald dazu führen, dass wir hier im Deutschen Bundestag über eine Verkleinerung oder gar ein Auslaufen von KFOR sprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist im deutschen Interesse, die Motivation zur Umsetzung des ersten Abkommens aufrechtzuerhalten. Die Frage ist: Tut dies die Bundesregierung im Moment? Diese Frage ist verbunden mit Serbiens Interesse an einer raschen Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU. Die EU-Kommission hat sich in ihrem letzten Fortschrittsbericht zu Serbien vom 22. April dieses Jahres eindeutig für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ausgesprochen und dies aus unserer Sicht überzeugend begründet. Das Auswärtige Amt teilt ganz offensichtlich diese Position. Jedenfalls war das noch am 27. Mai der Fall, als Staatsminister Link im Rahmen der sogenannten Einvernehmensherstellung zwischen Bundesregierung und Bundestag an den Bundesratspräsidenten schrieb und dabei engagiert für die Verhandlungsaufnahme warb. Wörtlich heißt es in dem Schreiben: Eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen unter den genannten Maßgaben würde nach Auffassung der Bundesregierung auch dazu beitragen, die Fortsetzung des Normalisierungsprozesses zwischen Serbien und Kosovo sicherzustellen und einen wichtigen Beitrag zur weiteren Stabilisierung der Region leisten. Da können wir nur zustimmen. Aber leider sehen das nicht alle so. Inzwischen hat offensichtlich das Kanzleramt interveniert und Sie, Herr Westerwelle, auf Linie gebracht. Das ist auch der Grund, warum Sie jetzt zu einem Punkt nicht Stellung bezogen haben: ob Sie dafür sind, dass der Europäische Rat am Ende dieses Monats den Weg für die Verhandlungen frei macht oder nicht. Die Koalition wird ganz offensichtlich ihre Mehrheit dazu nutzen, ein Einvernehmen zwischen der Bundestagsmehrheit und der Bundesregierung dergestalt herzustellen, dass es beim Europäischen Rat am 27./28. Juni 2013 entweder gar keinen oder einen abschlägigen Beschluss in Sachen Verhandlungsaufnahme mit Serbien geben wird. Ausdrücklich wird gesagt, das soll dann nicht vor 2014 erfolgen. Die Bundeskanzlerin, in der Durchdrückung ihrer Meinung gegen andere europäische Staaten geübt, wird kein Problem haben, diese Blockadehaltung durchzu-setzen, weil eine Verhandlungsaufnahme in der EU -einstimmig beschlossen werden muss. Den positiven Beitrag zur Fortsetzung des Normalisierungsprozesses zwischen Serbien und Kosovo, wie es das Auswärtige Amt angekündigt hat, wird es also nicht geben. Für alle sichtbar wird es stattdessen Deutschland sein, das die Tür aus wahlpopulistischen Gründen jetzt zuknallt, und das mitten in einer entscheidenden Phase der Lösung der uns schon so lange beschäftigenden Kosovo-Probleme. Schade, Herr Minister Westerwelle, dass Sie hier nach dem Motto „Hier stehe ich, ich kann auch anders“ schlicht umgefallen sind. (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Warten Sie es doch einmal ab!) Sie von der Regierungskoalition – um das einmal ganz deutlich klarzustellen – tragen hierfür die volle Verantwortung, auch für alle politischen Folgen, die das hat, bis hin zur weiteren Verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr im Namen von KFOR. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung: Frau Präsidentin, gestatten Sie mir eine ganz kurze Vorbemerkung. Ich war eben in Sachsen-Anhalt und habe die Soldaten besucht, die gegen die Fluten kämpfen. Das sind im Moment 11 500. Das sind mehr als im Jahre 2002. Die Hilfeleistung funktioniert also auch ohne Wehrpflicht. Die Stimmung ist sehr gut, und es gibt ein unglaubliches Miteinander von Bevölkerung und Bundeswehr. Das wollte ich Ihnen mitteilen, verbunden mit einem lauten Dankeschön. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN  – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist unmöglich!) Herr Kollege Westerwelle hat darauf hingewiesen, dass die politischen Bemühungen um eine Befriedung des Balkans Früchte zeigen. Dieser Erfolg zeigt: Unser Engagement lohnt sich. Er zeigt auch, dass unser Vorgehen richtig war und ist. Wir stimmen uns eng mit unseren internationalen Partnern ab. Wir verfolgen hier insbesondere mit dem Konzept der vernetzten Sicherheit den richtigen Ansatz zur dauerhaften Stabilisierung der Region. Wir zeigen politische Ausdauer und stehen zu unseren Zusagen. Zum Konzept der vernetzten Sicherheit gehört viel, in diesem Fall auch die Präsenz und der Einsatz von Sol-daten. Der Kosovo braucht, wie der Balkan insgesamt, eine politische Lösung. Darin sind sich Regierung und Opposition einig. Die NATO-Mission spielt eine eigene, wichtige Rolle in diesem Friedensprozess; ich begrüße, dass hier Übereinstimmung besteht. Die Lage in der Republik Kosovo ist zwar grundsätzlich ruhig und stabil; allerdings ist das Eskalationspotenzial nach wie vor erheblich, besonders im Norden. Die jüngsten Meldungen zeigen – Sie haben es gehört –: Längst nicht alle Kosovo-Serben im Norden sind davon überzeugt, dass die von Belgrad und Pristina beabsichtigte Normalisierung auch ihnen neue Perspektiven bietet. Wir müssen daher weiterhin auf Unruhen vorbereitet sein. Wir haben zwar die operative Reserve, wie Sie wissen, im Dezember 2012 zurückziehen können; aber während die Bewegungsfreiheit der KFOR wiederhergestellt ist, gilt dies für die Polizei- und Rechtsstaatsmission -EULEX nicht uneingeschränkt. Deshalb ist die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen der NATO an dieser internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo unverändert notwendig. Die deutschen Kräfte werden gebraucht. Die -internationale Truppenpräsenz KFOR ist so lange erforderlich, bis die Sicherheitsorgane Kosovos, unterstützt durch EULEX, die Sicherheit aller Bevölkerungsgruppen in ganz Kosovo gewährleisten können. Die Entwicklung dieser Sicherheitskräfte hat Fortschritte gemacht. Das gilt für die Polizei ebenso wie für die Kosovo Security Force. Ein Beispiel für die Polizei – das hat hier in früheren Jahren eine große Rolle gespielt –: Sieben der neun besonders schützenswerten serbischen Denkmäler und serbisch-orthodoxen Klöster im Kosovo werden inzwischen durch die kosovarische Polizei gut geschützt. Bei einem achten Kulturgut, einem Kloster, steht die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Polizei unmittelbar bevor. Die Kosovo Security Force ist ein wichtiges, stabilisierendes Element in diesem Land, weil sie multiethnisch zusammengesetzt ist, sich auch so versteht und deswegen eine Klammer in diesem komplizierten Gebilde des Kosovo bildet. Die Einsatzbereitschaft ist in einzelnen Aufgabengebieten bereits gegeben. Wir werden ihre weitere Ausbildung und Entwicklung in Form von Verbindungs- und Beratungsteams begleiten. Es ist schon gesagt worden: Die Personalobergrenze von 1 850 Soldatinnen und Soldaten bleibt erhalten. Darin ist gedanklich eine Reserve enthalten; im Moment sind im Durchschnitt 750 Soldatinnen und Soldaten dort. Wir wollen dort nicht mehr Personal als nötig haben, aber der Puffer nach oben ist nötig. Wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass wir damit verantwortungsvoll umgehen. So können wir auf Lageänderungen entsprechend reagieren. Die Obergrenze hat, selbst wenn sie nicht ausgeschöpft ist, eine stabilisierende Wirkung. Die Zusagen der NATO und der EU gelten. Kosovo und Serben sind angehalten, weiter aufeinander zuzugehen und ihre Vereinbarungen rasch, sicher und nachhaltig in die Tat umzusetzen. Wir bitten um eine Verlängerung des Mandats, diesmal in unveränderter Weise. Wir hoffen, dass wir beim Personal, was den Sicherheitsbereich angeht, über kurz oder lang zu Verringerungen kommen, aber erst und immer im Einklang mit der politischen Lage. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat die Kollegin Inge Höger für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Inge Höger (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Teile und herrsche“ war stets die Maxime deutscher Politik auf dem Balkan; das zieht sich wie ein roter Faden durch die letzten 100 Jahre. Das wurde beim Zerfall Jugoslawiens und der frühen Anerkennung Kroatiens durch die BRD 1991 deutlich. Mit der Bombardierung Belgrads und anderer Orte hat diese Geschichte 1999 einen traurigen Höhepunkt erreicht. Diese gescheiterte Politik führen Sie nun Jahr für Jahr mit der Verlängerung des KFOR-Mandats fort. Die Linke akzeptiert das nicht. (Beifall bei der LINKEN) Ich war im April erneut in der Region und habe mit Friedensgruppen, Frauengruppen, Gewerkschaftern, Wissenschaftlern, Regierungs- und Oppositionsvertretern gesprochen. Viele kritisieren den Ausverkauf der Region. Sie kritisieren die EU-Politik der Privatisierung. Von 2 Millionen Einwohnern des Kosovo sind 1 Million erwerbslos. Viele haben gesagt, dass die Einmischung der EU und der USA einen nachhaltigen Frieden zwischen den verfeindeten ethnischen Gruppen im Kosovo eher behindert. Aktuell ist zu hoffen, dass das unter dem Druck der EU zustande gekommene Abkommen zwischen Albanern und Serben für Entspannung sorgen wird. Allerdings habe ich da meine Zweifel. Nach meinem Eindruck werden die Menschen im Nordkosovo auf absehbare Zeit nicht mit der Idee einverstanden sein, zu Pristina statt zu Belgrad zu gehören; Herr de Maizière wies eben auch darauf hin. Die für diese Woche geplante Gründung eines autonomen Parlaments Nordkosovo bezeugt das. Aber auch nationalistische Kräfte unter den Kosovo-Albanern lehnen das Abkommen ab, weil es ihnen gegenüber den Serben zu mild ist. Nach den Erfahrungen, die ethnische Minderheiten im Kosovo seit 1999 machen mussten, sind die Ängste der Kosovo-Serben vor der Vertreibung nicht ganz unbegründet. Der ethnische Nationalismus ist eines der Grundübel auf dem Balkan. Die Mehrheit im Bundestag hat dieses durch ihre Politik befördert. Rot-Grün hat 1999 die albanisch-nationalistische UCK mit NATO-Bombern unterstützt. Die Geister, die Sie damals riefen, sollen nun -jedes Jahr aufs Neue durch die neokolonialen Überwachungsmissionen KFOR und EULEX unter Kontrolle gehalten werden. (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Allerdings ist bislang nicht ersichtlich, dass diese Missionen die Konflikte entschärft hätten. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das hätte Karl-Eduard von Schnitzler nicht besser sagen können!) Ein anderes Thema ist mir besonders wichtig: die schlimmen Folgen des Einsatzes von Uranmunition im Kosovo. Die Linke hat dazu einen Antrag vorgelegt, der die umfassende Ächtung dieser Waffe fordert. Die USA und Großbritannien haben beim NATO-Krieg 1999 auf dem Gebiet von Serbien und Kosovo massiv Munition mit abgereichertem Uran eingesetzt. Vor allem im Kosovo ist die Munition bis heute nicht geräumt worden. Die Krebsraten steigen. Vor Ort wurde mir gesagt, dass KFOR den Behörden im Pristina davon abgeraten hat, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Die KFOR-Soldaten trinken das lokale, wahrscheinlich uranverseuchte Wasser nicht. Sie importieren ihr Wasser. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollegin Höger, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Otte? Inge Höger (DIE LINKE): Es wurde eben schon gewünscht, dass wir die heutige Debatte zügig führen, von daher möchte ich fortfahren. (Henning Otte [CDU/CSU]: Oh!) Gleichzeitig bestreitet die Bundesregierung den Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Uranmunition und Krebserkrankungen. Dabei liegen beängstigende Studien über steigende Krebsraten in den betroffenen Gebieten vor. Über 100 italienische KFOR-Soldaten sind bereits an Krebs gestorben. Italienische Behörden erkennen als Grund dafür die Uranverseuchung im Kosovo an. Die Bundeswehr hält sich in dieser Frage sehr bedeckt, aber es gibt Hinweise darauf, dass auch deutsche Soldaten betroffen sind. Die Linke fordert Sie auf, die Umstände zu klären und Maßnahmen zum Schutz der Soldaten und der Zivilbevölkerung einzuleiten. (Beifall bei der LINKEN) Am Beispiel Uranmunition wird besonders deutlich, dass Krieg auch eine krasse Form der Umweltzerstörung ist. Die Linke lehnt Krieg und Umweltzerstörung ab. Wir fordern den Abzug aller Soldatinnen und Soldaten und eine friedliche Politik auf dem gesamten Balkan. Die Linke wird niemals ihre Zustimmung zu Auslands-einsätzen der Bundeswehr geben. (Beifall bei der LINKEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Mourir pour Dantzig? Non“, hieß das mal!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich zitiere: Die EU trägt seit Jahren die Hauptlast für die Befriedung der Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Weil die Militärinterventionen, die seinerzeit unter der Führung der USA erfolgten, Hard Power mit mas-sivem Engagement für den zivilen Wiederaufbau verknüpften und die Attraktivität der EU als Soft Power nutzten, ist der Balkan nicht mehr das sprichwörtliche Pulverfass Europas – insofern kann man von Interventionen mit glücklichem Ausgang sprechen. Dieser Erfolg hat mit spezifischen Bedingungen dieser Region zu tun und lässt sich kaum verallgemeinern. Gleichwohl widerlegte er die verbreitete Behauptung, humanitäre Interventionen seien per se zum Scheitern verurteilt. Frau Kollegin Höger, das ist aus der Stellungnahme des diesjährigen Friedensgutachten. Wenn Sie das nicht gelesen haben und hier am Ende sagen, es gehe um eine neokoloniale Überwachungsmission, dann ist das ein schlichtes Ignorieren der Realität. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Die Soft Power, die hier beschrieben wird, sind die politischen Spielräume, die durch die militärische Präsenz geschaffen werden konnten. Es ging und geht im Kosovo auf und ab, aber es ist auch einiges gelungen. Ich kann denjenigen, die im militärischen und zivilen Bereich dafür gearbeitet haben, und ihren Familien nur danken. Man darf aber an dieser Stelle eines nicht vergessen, Herr Kollege: Über 20 Jahre nachdem der Krieg in Jugoslawien begonnen hat (Zuruf von der LINKEN: Mit Zustimmung der Grünen!) und 14 Jahre nachdem der Krieg im Kosovo begonnen hat, ist es nicht selbstverständlich, dass heute nicht geschossen wird. Es ist nicht selbstverständlich, dass der Kosovo befriedet ist. Es ist nicht selbstverständlich, dass Kroatien demnächst Mitglied der Europäischen Union wird. Es ist nicht selbstverständlich, dass mit Serbien Aufnahmegespräche geführt werden. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass, kaum ein Jahr nachdem es an der Grenze zwischen Kosovo und Serbien noch Schießereien gegeben hat, diese beiden Länder dieses historische Abkommen miteinander geschlossen haben. Das sollten Sie zumindest zur Kenntnis nehmen und vielleicht auch einmal hier erwähnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Diese Errungenschaften sind in erster Linie natürlich ein Erfolg und ein Verdienst derjenigen, die das vor Ort miteinander ausgehandelt haben. Aber es ist auch ein Beitrag der Europäischen Union. Warum, habe ich Ihnen gerade aus dem Friedensgutachten vorgelesen. Aber es gab auch Versäumnisse. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man wohl sagen!) Natürlich muss man endlich dazu kommen, dass die Europäische Union auch in zentralen Fragen wie der An-erkennung geschlossen reagiert. Natürlich müssen wir dahin kommen, dass die Rechtsstaatsmission EULEX auch handlungsfähig wird. Natürlich müssen wir dahin kommen, dass nach dem Abkommen, das jetzt abgeschlossen worden ist, auch im Norden des Landes ein anderer Fokus gelegt wird – auch von der Pristina-Regierung –, dass die ökonomische Entwicklung dort besser vorankommt. Es wäre auch von großer Bedeutung, genauer hinzuschauen, wie es den Minderheiten in dem Land geht. Es ist wirklich nicht hilfreich – im Gegenteil, es ist gerade für die Leute vor Ort, die Roma und andere Minderheiten, eine ziemliche Katastrophe –, wenn unser Bundes-innenminister permanent davon spricht, dass sie nur deshalb das Land verlassen, weil sie Armutsflüchtlinge, Armutsmigranten sind. Die Leute haben dort massive Diskriminierungen zu ertragen, und das einfach nur auf ihre ökonomische Situation zu schieben, wird ihrem Leiden nicht gerecht. Im Gegenteil, das gibt denjenigen, die sie diskriminieren, sogar noch mehr Ausreden, dies weiter zu tun. Es wäre hilfreich, Herr Außenminister, wenn Sie mit Ihrem Innenminister ein Gespräch darüber führen würden, was er im Kosovo mit den unsäglichen Einlassungen, die er von sich gibt, eigentlich anstellt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Das wichtigste Ziel von KFOR ist wie bei allen Militärmissionen, dass sie am Ende überflüssig ist. Wir sind auf einem guten Wege. Es ist aber nicht in erster Linie Aufgabe des Militärs, diese Mission zu beenden und die Rahmenbedingungen zu schaffen, sondern der Politik. Deshalb sollten wir an dieser Stelle nicht nachlassen. Das, was jetzt geleistet worden ist, sollten wir zur Kenntnis nehmen und begrüßen. Aber es ist Aufgabe der Politik, am Ende dazu beizutragen und zu helfen, dass diese beiden Länder sich hoffentlich eines Tages nicht nur gegenseitig anerkennen, sondern auch in dauerhaftem Frieden und guter Koexistenz miteinander leben können. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der EU, bitte!) – In der Europäischen Union. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Philipp Mißfelder für die Unionsfraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich zum Verhalten der Linksfraktion etwas anmerken. Nachdem der Minister richtigerweise auf die übermenschlichen Anstrengungen der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in den Gebieten der Flutkatastrophe hingewiesen hat und Sie nicht applaudiert haben, sondern demonstrativ durch Verweigerung des Applauses und damit der Anerkennung der großartigen Leistung unserer Soldatinnen und Soldaten im Katastrophengebiet deutlich gemacht haben, dass Sie nicht nur das Militär grundsätzlich ablehnen, sondern auch die deutsche Bundeswehr, ziehe ich daraus den einzig möglichen Schluss, dass Sie den Einsatz der Bundeswehr in den Flutgebieten ablehnen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Falsch!) Ich kann Ihnen als regionale Ostpartei nur sagen: Schreiben Sie das auf die Plakate im Bundestagswahlkampf! Dann werden Sie in Ostdeutschland in den nächsten Wochen aber ziemlich viel Ärger bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Mißfelder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäfer? Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Selbstverständlich. Dann kann er das gleich richtigstellen und sich entschuldigen. (Lachen bei der LINKEN) Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Lieber Kollege Mißfelder, gut, dass ich die Gelegenheit habe, dazu Stellung zu nehmen. Ich mache das auch gerne öffentlich. Ich habe mich gestern als verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke bei Radio Andernach – der Name dürfte Ihnen bekannt sein –, dem Sender für die Bundeswehr, ausdrücklich für die Leistungen der Soldaten bei der Bekämpfung des Hochwassers bedankt und habe meinen Respekt für diese Leistung bekundet. (Zuruf von der CDU/CSU: Das wissen die anderen aber nicht!) – Ich bitte, das doch einfach einmal zur Kenntnis zu nehmen. – Deshalb ist all das, was hier gesagt wurde, falsch. Wir diskutieren über KFOR. Der Minister hat das genutzt, an dieser Stelle sehr plakativ etwas zu sagen. Das hat uns wahrscheinlich gestört, und es hatte für uns einen schalen Beigeschmack. Deshalb haben wir nicht applaudiert. (Zurufe von der CDU/CSU: Bringen Sie einmal Ihre Fraktion auf Spur!) – Bitte, Sie können da krakeelen, wie Sie wollen. – Mit der Sache hatte es nichts zu tun. Wir haben an dieser Stelle eine eindeutige Position. Das habe ich für die Fraktion Die Linke erklärt. Die Öffentlichkeit wird das auch entsprechend zur Kenntnis nehmen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Abg. Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Dem Kollegen Wellmann antworte ich auch gerne. Vizepräsidentin Petra Pau: Moment, der Kollege Wellmann will eine Frage stellen oder eine Bemerkung machen? Darf ich das jetzt erst einmal erfahren? (Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Ich möchte dem Kollegen Mißfelder eine Frage stellen!) – Aha! Und der Kollege Mißfelder lässt eine Frage des Kollegen Wellmann zu. Damit hat der Kollege Wellmann das Wort. Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Der Kollege Wellmann ist mein Stellvertreter, der kann mich jederzeit alles fragen. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich mache vorsorglich darauf aufmerksam, dass wir eine Verabredung haben, es bei so kurzen Redezeiten mit zwei Fragen oder Bemerkungen bewenden zu lassen. (Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Das ist ja erst die zweite Frage!) – Ich habe ja „vorsorglich“ gesagt. Bitte. Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Ich möchte den Kollegen Mißfelder fragen, ob er die Bemerkung des Kollegen Gehrcke mitbekommen hat, der, als der Minister den Einsatz der Bundeswehr lobte, gesagt hat, der Minister solle sich schämen. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!) Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Nein, das habe ich nicht mitbekommen. Ich werde es im Protokoll nachher noch einmal nachlesen. Herr Gehrcke, dazu muss ich Ihnen sagen: Stellen Sie sich einmal vor, der Verteidigungsminister hätte dazu nichts gesagt. Was wäre dann los gewesen? Dann hätten Ihre Leute direkt gefragt: Warum sagt er denn den Soldaten keinen Dank? Und so weiter und so fort. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich finde es richtig, dass der Minister bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Soldatinnen und Soldaten – ob im Inland oder im Ausland – dankt. – Vielen Dank, Herr Kollege Wellmann, für den Hinweis. Zum Mandat selber. Ich möchte an das anschließen, was der Kollege Nouripour richtigerweise sagte, als seine Redezeit schon vorbei war und Frau Kollegin Beck ihn dann noch einmal durch einen Zwischenruf animierte, dazu etwas zu sagen. Wenn wir einen Beitrag zur dauerhaften politischen Stabilisierung des Balkans leisten wollen, muss die Perspektive im Hinblick auf einen EU-Beitritt für alle Länder offenbleiben, gar keine Frage. (Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir wissen, dass das – gerade auch aufgrund der schwierigen Entscheidungen der beiden letzten Mitglieder, die der Europäischen Union beigetreten sind, nämlich Rumänien und Bulgarien – im Einzelnen nicht einfacher, sondern schwieriger geworden ist. Wir sehen die Herausforderungen in Bezug auf den Integrationsprozess innerhalb der Europäischen Union. Gerade im Hinblick darauf, was Menschenhandel, Prostitution und organisierte Kriminalität angeht, bringt der Balkan sehr große innenpolitische Herausforderungen mit sich. Ich bin der Bundesregierung außerordentlich dankbar, dass sie die Integration des Westbalkans in die Europäische Union betreibt. Den entsprechenden politischen Prozess betreiben die Außen- bzw. Europapolitiker bei uns ja mit großer Intensität. Das wird vom Innenministerium mit sehr viel Aufwand betrieben. Es wird versucht, dem organisierten Verbrechen Herr zu werden. Es wurde vorhin schon gefragt: Was macht unser Innenminister? Er leistet dort dahin gehend sehr gute Arbeit. Wir können diesen Ländern keine ernsthafte Perspektive auf einen Beitritt zur Europäischen Union bieten, wenn wir die Probleme der organisierten Kriminalität in dieser Region nicht massiv bekämpfen. Das machen, wie ich finde, das Bundesinnenministerium und die Sicherheitsbehörden in vorzüglicher Weise. Zur außenpolitischen Situation gehört: Wenn wir den politischen Prozess der Integration des Westbalkans verfolgen wollen, müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass das leider ohne diese militärische Komponente nicht möglich ist. Wir würden uns natürlich wünschen, das Mandat auslaufen zu lassen, so wie wir uns bei jedem Mandat wünschen würden, dass es nicht notwendig wäre. Es ist aber in diesem Rahmen notwendig, egal welche Verschwörungstheorien vonseiten der Linksfraktion hier vorhin aufgestellt worden sind. Frau Höger, ich möchte darauf gar nicht mehr im Einzelnen eingehen. Die Rückkoppelung zur Zivilbevölkerung im Kosovo (Inge Höger [DIE LINKE]: Habe ich doch -gesagt!) zeigt doch schon, wie notwendig dieses Mandat ist. Das hat nichts mit Neokolonialismus oder mit der Aufteilung des Balkans in irgendeiner Form zu tun. Wie kann man die Geschichte dieses Mandats so verfälschen? Im Gegenteil ist es gerade so: Wenn wir zu Beginn des Jugoslawien-Krieges genauso entschlossen gewesen wären, wie wir es heute in der politischen Begleitung eines Aussöhnungsprozesses im Balkan sind, und wenn wir nicht so lange auf die Amerikaner gewartet hätten, dann wären nicht so viele Menschen gestorben. Das gehört mehr zur historischen Wahrheit dazu als das, was Sie gesagt haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Insofern ist es richtig, dass wir dieses Mandat heute hier verlängern, selbst wenn wir uns, wie bei den meisten Mandatsverlängerungen, wie gesagt, wünschen, dass dies eigentlich nicht nötig wäre. Ich finde richtig, was Herr Minister Westerwelle zur politischen Situation gesagt hat. Wir haben in den Gesprächen mit Serbien ganz klare Bedingungen gestellt, was wir von Serbien erwarten. Es gibt immer wieder Ausreißer, mit denen klargemacht wird, welche Anschlussbestrebungen vom Nordkosovo ausgehen könnten. Das ist etwas, was wir politisch so nicht akzeptieren und dem wir massiv widersprechen. Jedem Gesprächspartner in Belgrad und jedem serbischen Besucher hier bei uns machen wir ganz klar, auf welcher Seite wir stehen, dass wir die Unabhängigkeit des Kosovo vorantreiben wollen und dass wir die Implementierung vernünf-tiger Regierungsstrukturen und einer nachhaltigen Regierungsführung dort überhaupt möglich machen wollen. Das geht natürlich nicht, wenn Hass gesät wird. Das geht nicht, wenn Konflikte wieder aufgerissen werden. Insofern verurteile ich für meine Fraktion Äußerungen Einzelner, die von autonomen Provinzen sprechen oder den Anschluss an Serbien fordern. Das ist etwas, was wir ablehnen. Wir müssen uns politisch immer gewiss sein, dass der Konflikt leider immer noch nicht beigelegt ist, sondern dass er nach wie vor vorhanden ist, dass nach wie vor große Probleme in der Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit vorhanden sind, dass nach wie vor militärische Auseinandersetzungen, gewaltsame Auseinandersetzungen drohen könnten. Deshalb ist eine militärische Präsenz unsererseits notwendig. Wir unterstützen dieses Mandat. Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihren politischen Bemühungen, die weit umfangreicher sind als dieses Mandat allein. Herzlichen Dank an die Fraktionen, die dieses Mandat zum größten Teil unterstützen! Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort. (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Na, na,! Das ist ja schäbig, das Ganze!) Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ich will nur deswegen etwas sagen, weil Kollege Wellmann und Kollege Mißfelder mich persönlich angesprochen haben. Ich finde, der Bundestag hat jegliche Veranlassung, sich bei allen Menschen in der Katastrophenregion, die helfen – Feuerwehrleuten, Nachbarn, die ihren Nachbarn helfen, Schülern, die im Einsatz sind –, zu bedanken (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Und Soldaten!) – hören Sie doch einmal zu! –, einschließlich der ein-gesetzten Bundeswehrsoldaten. Ich sage noch einmal: Feuerwehrleuten, Nachbarn, Schülern, Helfern, Technischem Hilfswerk und Bundeswehrsoldaten; damit das klar ist. Ich finde allerdings – das können Sie geschmäcklerisch finden oder nicht –, oftmals machen die allzu plakativen Danksagungen den Eindruck, dass man nicht den eingesetzten Menschen, sondern sich selber Dank sagt. Ich will das dem Minister nicht unterstellen. Ich hoffe, dass mein Eindruck mich täuscht, aber das war mein Eindruck. Herr Minister der Verteidigung, Herr de Maizière, gerade nach dieser Woche hätten Sie etwas einfühlsamer mehr Menschen gedankt, wenn Sie Ihrer Rede diesen Dank vorangestellt hätten. Das wäre für Sie gut, und das wäre für die Gesellschaft gut. Das war Gegenstand meiner Empörung. Der habe ich Ausdruck gegeben. Damit müssen Sie leben. Man ist auch manchmal emotional. Danke. (Beifall bei der LINKEN – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Wir nehmen die Entschuldigung an!) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Wellmann, mögen Sie antworten? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/13661 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 52 a und 52 b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Ulrich Schneider, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 38) – Drucksache 17/13238 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ingrid Hönlinger, Ulrich Schneider, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des aktiven Wahlrechts ab 16 Jahren im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz – Drucksache 17/13257 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.18 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/13238 und 17/13257 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 20 auf: ZP 20 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Sibylle Pfeiffer, Hartwig Fischer (Göttingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Helga Daub, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Zerstörung des kongolesischen Naturerbes verhindern – Drucksache 17/13711 – Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden.19 – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksa-che 17/13711. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 12. Juni 2013, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich danke Ihnen für die Zusammenarbeit auf diesem letzten Stück und wünsche Ihnen gute Erholung am Wochenende. (Schluss: 16.01 Uhr) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 05.06.2013 van Aken, Jan DIE LINKE 07.06.2013 Behrens, Herbert DIE LINKE 07.06.2013 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 07.06.2013 Börnsen (Bönstrup), Wolfgang CDU/CSU 07.06.2013 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 07.06.2013 Brackmann, Norbert CDU/CSU 07.06.2013 Dr. Bunge, Martina DIE LINKE 07.06.2013 Crone, Petra SPD 07.06.2013 Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 07.06.2013 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 07.06.2013 Dr. Friedrich (Hof), Hans-Peter CDU/CSU 07.06.2013 Gabriel, Sigmar SPD 07.06.2013 Gerdes, Michael SPD 07.06.2013 Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 07.06.2013 Gohlke, Nicole DIE LINKE 07.06.2013 Groth, Annette DIE LINKE 07.06.2013 Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 07.06.2013 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 07.06.2013 Hiller-Ohm, Gabriele SPD 07.06.2013 Hintze, Peter CDU/CSU 07.06.2013 Hofmann (Volkach), Frank SPD 07.06.2013 Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 07.06.2013 Jarzombek, Thomas CDU/CSU 07.06.2013 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 07.06.2013 Kilic, Memet BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 07.06.2013 Korte, Jan DIE LINKE 07.06.2013 Kühn, Stephan BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 07.06.2013 Kunert, Katrin DIE LINKE 07.06.2013 Laurischk, Sibylle FDP 07.06.2013 Lenkert, Ralph DIE LINKE 07.06.2013 Mattfeldt, Andreas CDU/CSU 07.06.2013 Dr. h. c. Michelbach, Hans CDU/CSU 07.06.2013 Möhring, Cornelia DIE LINKE 07.06.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 07.06.2013 Nahles, Andrea SPD 07.06.2013 Nietan, Dietmar SPD 07.06.2013 Nink, Manfred SPD 07.06.2013 Petzold, Ulrich CDU/CSU 07.06.2013 Piltz, Gisela FDP 07.06.2013 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 07.06.2013 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 07.06.2013 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 07.06.2013 Rawert, Mechthild SPD 07.06.2013 Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 07.06.2013 Schäffler, Frank FDP 07.06.2013 Dr. Scheuer, Andreas CDU/CSU 07.06.2013 Schlecht, Michael DIE LINKE 07.06.2013 Schneider, Ulrich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 07.06.2013 Schwabe, Frank SPD 07.06.2013 Schwanitz, Rolf SPD 07.06.2013 Simmling, Werner FDP 07.06.2013 Steinke, Kersten DIE LINKE 07.06.2013 Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 07.06.2013 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 07.06.2013 Vogel (Kleinsaara), Volkmar CDU/CSU 07.06.2013 Werner, Katrin DIE LINKE 07.06.2013 Ziegler, Dagmar SPD 07.06.2013 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Birgitt Bender, Marieluise Beck (Bremen) und Priska Hinz (Herborn) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt (Tagesordnungspunkt 14) Wir enthalten uns, wie auch unsere Fraktion. Dieses Votum wird sehr unterschiedlich begründet. Für uns steht die Wahrung der Rechte der Kinder im Vordergrund. Daher kritisieren wir, dass im Zusammenhang mit der Einführung der vertraulichen Geburt die Angebote Babyklappe und anonyme Geburt nicht klar und deutlich als Auslaufmodelle gekennzeichnet werden. Eine gesetzliche Regelung der vertraulichen Geburt muss Kindern zuverlässig einen späteren Zugang zu den Daten ihrer Mütter/der Eltern erlauben – Ausnahmen im Sinne einer dauerhaften Anonymität sind für uns nur nach gerichtlicher Überprüfung akzeptabel. Es kann Gründe für eine dauerhafte Anonymität geben, etwa wenn das Leben der Mutter durch das soziale Umfeld oder die Familie gefährdet ist. Insofern sollte es in konkreten Einzelfällen nach der Abwägung der Rechte und Schutzbedürfnisse im Fall der Mutter möglich sein, eine Kenntnis der Abstammung zu verweigern. Diese Entscheidung in das Belieben der Mutter zu stellen, halten wir für nicht vertretbar mit den Kinderrechten – Art. 7 bis 9 der UN-Kinderrechtskonvention – und dem im Grundgesetz verankerten Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Wir wissen, dass Kinder nach ihren Wurzeln suchen und wissen wollen, wer sie und aus welchen Gründen nicht aufziehen wollte. Während der Pubertät wächst das Interesse an der eigenen Herkunft, gleichzeitig sollte jedoch eine gewisse Reife bestehen, um gegebenenfalls Enttäuschungen zu verarbeiten. Das Alter von 16 Jahren, für das der regelhafte Zugang zu den Abstammungsdaten vorgesehen ist, entspricht der Regelung der Inkognito-Adoption und sichert eine gewisse Reife, um Enttäuschungen zum Beispiel bei einer Kontaktaufnahme zu verarbeiten. Daher eröffnet der vorgelegte Gesetzentwurf mit der Hinterlegung des Herkunftsnachweises einen wichtigen Weg. Der Vorschlag ist jedoch nicht konsequent, da er sich nicht klar und deutlich gegen Babyklappe, anonyme Übergabe und anonyme Geburt ausspricht. Babyklappen und die anonyme Geburt stehen dem Grundrecht des Kindes auf Kenntnis der Herkunft entgegen. Eine Legalisierung kommt für uns daher nicht infrage. Eine befristete Duldung, verbunden mit einer direkten Schließung der Angebote, bei denen die Qualifikation der Erstansprechpartner und Erstansprechpartnerinnen nicht gegeben ist und es an der Kooperation mit dem Jugendamt mangelt, ist für uns jedoch denkbar. Für das häufig angeführte Argument, dass die anonyme Abgabe ein geeignetes Mittel zur Rettung des Lebens von Neugeborenen sei, sieht der Deutsche Ethikrat keine validen Hinweise. Dies wird durch die Studie des Deutschen Jugendinstituts bestätigt. Auch die Träger geben in dieser Studie diese Ursprungsidee vielfach nicht mehr als vorrangiges Motiv zur Weiterführung der Angebote an. Die Hoffnung, dass doch einmal ein Kind gerettet werden könne, legitimiere nicht, dass viele andere Kinder auf ihr Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Herkunft lebenslang verzichten müssen, weil anonyme Angebote vorhanden sind und genutzt werden. Der Gesetzentwurf lässt diese Parallelangebote bestehen und ist daher halbherzig. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ekin Deligöz, Katja Dörner, Dr. Thomas Gambke, Kai Gehring, Britta Haßelmann, Bettina Herlitzius, Ingrid Hönlinger, Maria Klein-Schmeink, Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Nicole Maisch, Jerzy Montag, Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann E. Ott, Lisa Paus, Tabea Rößner, Ulrich Schneider, Dorothea Steiner, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe und Arfst Wagner (Schleswig) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt (Tagesordnungspunkt 14) Die Ziele, die mit dem Gesetzentwurf zur Regelung der vertraulichen Geburt verfolgt werden, befürworten wir eingeschränkt. Es ist wichtig, eine rechtssichere Alternative zur Babyklappe und auch zur anonymen Geburt zu schaffen und damit insbesondere die Babyklappen möglichst überflüssig zu machen. Frauen, die sich in einer solchen psychosozialen Ausnahmesituation befinden, dass sie die Babyklappe in Erwägung ziehen, sollen sich nicht gezwungen sehen, ohne medizinische Begleitung zu entbinden und damit ihr eigenes Leben und das Leben ihres Kindes zu gefährden. Mit der neuen gesetzlichen Regelung soll zudem für das betroffene Kind die größtmögliche Chance sichergestellt werden, Kenntnis über seine Abstammung zu erlangen. Die Kenntnis der Abstammung ist ein Grundrecht. Viele Menschen, die ihre Wurzeln nicht kennen, leiden oft ein Leben lang unter diesem Umstand. Damit diese Ziele erreicht werden können, müssen die neuen gesetzlichen Regelungen einen für die betroffenen Frauen tatsächlich gangbaren Weg gewährleisten. Wir sind sehr skeptisch, ob dies mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gelingt. Aus unserer Sicht werden die Interessen der Mütter mit Blick auf deren Anonymitätsbedürfnis und die Interessen der Kinder mit Blick auf deren Recht auf Kenntnis der Abstammung nicht in einen guten und tragbaren Ausgleich zueinander gebracht. Wir sind skeptisch, weil es um Frauen geht, die sich in einer von ihnen als absolut ausweglos empfundenen Situation befinden; viele verdrängen die Schwangerschaft oder verheimlichen die Schwangerschaft selbst vor den engsten Familienangehörigen; ein reguläres Adoptionsverfahren wird aufgrund der eigenen Situation als völlig unmöglich erachtet, ein gemeinsames Leben mit dem Kind sowieso. Studien belegen, dass die Zusicherung absoluter Anonymität für viele Frauen eine Grundvoraussetzung dafür ist, sich überhaupt auf einen Beratungs- und Unterstützungsprozess einzulassen. Zu diesem Ergebnis kommt auch die DJI-Studie „Anonyme Geburt und Babyklappe in Deutschland“ aus dem Jahr 2012. Es muss Hauptinteresse des Gesetzgebers sein, Frauen in ihrer Notlage zu erreichen, zu stabilisieren, Wege und Alternativen aufzuzeigen. Mit der im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelung ist die Anonymität der Mutter letztlich nicht sichergestellt. Wir halten das für einen Webfehler im Gesetzentwurf. Es ist schwerlich vorstellbar, dass es für eine werdende Mutter in einer solchen Ausnahmesituation wie beschrieben, die sich über das Verfahren einer vertraulichen Geburt beraten lässt, akzeptabel ist, dass im Zweifelsfall ein Familiengericht darüber entscheidet, ob ihre Anonymität dem Kind gegenüber aufgegeben wird – selbst wenn dies frühestens 16 Jahre nach der Geburt geschieht. Donum Vitae e.V. kommt in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf auf der Grundlage seiner Beratungserfahrung zu dem Schluss: „Keine Frau, die sowieso schon in einer extrem schwierigen Situation lebt, wird sich darauf einlassen." Es ist ein großer Vorteil einer vertraulichen Geburt, dass die Daten der Mutter hinterlegt werden und damit die Möglichkeit eröffnet wird, dass das betroffene Kind Kenntnis über seine Abstammung erlangt, dass Mutter und Kind sich eventuell auch kennenlernen, denn auch viele Mütter haben später den dringenden Wunsch, mit ihren Kindern doch in Kontakt zu treten. Damit die vertrauliche Geburt aber ein wirklich gangbarer Weg für die Mütter ist, halten wir es für notwendig, dass wirklich beide, Mutter wie Kind, die Preisgabe der Identität wollen und kein Zwang im Spiel ist. Angesichts unserer Skepsis, was das mit dem Gesetzentwurf vorgeschlagene Verfahren der vertraulichen Geburt angeht, halten wir es für konsequent und notwendig, dass die bestehenden Angebote anonymer Kindsabgabe und die vorhandenen Babyklappen bestehen bleiben und im Kontext der neuen Regelung zur vertraulichen Geburt zunächst evaluiert werden sollen. Da wir die Zielsetzung des Gesetzentwurfs teilen und die vertrauliche Geburt als eine zusätzliche Möglichkeit, nicht als Ersatz für anonyme Geburt und Babyklappe eingeführt wird, enthalten wir uns in der Abstimmung über den Gesetzentwurf. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gabriele Groneberg, Christel Humme, Gabriele Lösekrug-Möller, Caren Marks und Dagmar Ziegler (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt (Tagesordnungspunkt 14) Grundsätzlich ist der Gesetzentwurf, der die Einführung der vertraulichen Geburt in Verbindung mit einem Ausbau des Hilfesystems sowie einer besseren Beratung der Schwangeren und der Möglichkeit der zeitlich befristeten Anonymität der Mutter regelt, zu begrüßen. Es wird ein neues niedrigschwelliges Hilfsangebot für schwangere Frauen in belastenden Konfliktsituationen geschaffen, das dazu beitragen soll, die Gefahren einer unbegleiteten Geburt zu vermeiden und Mutter und Kind besser zu schützen. Der Gesetzentwurf schafft erstmals die legale Möglichkeit, medizinisch betreut zu entbinden und gleichzeitig der Mutter eine über 16 Jahre währende Anonymität gegenüber ihrem sozialen Umfeld und gegenüber ihrem Kind zu gewährleisten. Die Akzeptanz dieses Hilfsangebots und deren Wirkung werden zu beobachten sein. Insofern ist die vorgesehene Evaluierung und der entsprechende Bericht der Bundesregierung, mit dem im Jahr 2017 zu rechnen ist, abzuwarten und umfassend auszuwerten. Es ergeben sich jedoch wesentliche Probleme aus der Tatsache, dass der Gesetzentwurf zur vertraulichen Geburt die anonyme Geburt und die anonyme Kindesabgabe in Babyklappen ungeregelt bestehen lässt. Dies kam auch in der kürzlich durchgeführten Anhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 13. Mai 2013 zum Tragen. Auf die Problematik der anonymen Geburt und der Babyklappen hat der Deutsche Ethikrat bereits in seiner Stellungnahme „Das Problem der anonymen Kindesabgabe“ vom 26. November 2009 – Bundestagsdrucksache 17/190 – deutlich hingewiesen. Die vom Ethikrat aufgeworfenen rechtlichen und ethischen Fragen werden durch den vorliegenden Gesetzentwurf nicht gelöst. Die Angebote anonymer Kindesabgabe – „Babyklappen“ und Arm-zu-Arm-Übergabe – und anonymer Geburt – Schwangere wird medizinisch zum Beispiel in einer Klinik betreut, macht aber keine Angaben zur eigenen Person – sollen Tötung und Aussetzung Neugeborener verhindern. Tatsächlich haben aber diese Angebote, die in Deutschland seit 1999 existieren und stetig ausgeweitet wurden – es existieren heute zum Beispiel rund 100 Babyklappen bundesweit; verlässliche Angaben liegen nicht vor –, nicht zu einer Reduzierung der Zahl der Neonatizide – Tötungen von Neugeborenen durch ihre Mütter unmittelbar in bzw. kurz nach der Geburt – geführt. Jährlich werden rund 20 bis 30 tot aufgefundene Neugeborene registriert. Diese Zahl ist seit 1999 relativ konstant. Dies lässt erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Wirksamkeit der bestehenden anonymen Angebote aufkommen, die der Gesetzentwurf nicht aufgreift und auch nicht entsprechend würdigt. Wichtig wäre ebenfalls, die vorliegenden Erkenntnisse zu berücksichtigen, wonach es innerhalb der Gruppe von Schwangeren und Müttern, die Schwangerschaft und Geburt in ihrem Umfeld verschweigen, große Unterschiede gibt. Auch stellt der Deutsche Ethikrat dar, dass die Gründe für die Inanspruchnahme von Babyklappen und Angeboten der anonymen Geburt nicht deckungsgleich mit den Gründen der Anbieter solcher Angebote sind – Stellungnahme des Ethikrats, Bundestagsdrucksache 17/190, Seite 6 bis 7. Mütter, die ihr Neugeborenes töten oder unversorgt liegen lassen, sind in einer psychischen Ausnahmesituation und handeln oftmals im Affekt. Das legt den Schluss nahe, dass sie gar nicht in der Lage sind, Babyklappen oder Angebote der anonymen Geburt anzunehmen, für deren Inanspruchnahme es einer Planung bedarf. Anders ist es bei denjenigen Frauen, die überlegt das Aussetzen ihres Kindes in einer Babyklappe planen und ausführen. Mit der weiteren Duldung der Angebote von anonymer Kindesabgabe und anonymer Geburt klammert der Gesetzentwurf das Problem aus, dass diese Angebote nicht dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung Rechnung tragen. Jeder Mensch hat aufgrund seines Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit seiner Menschenwürde – Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz – ein Grundrecht auf Kenntnis seiner biologischen Abstammung. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in zwei Leitentscheidungen verdeutlicht. Das Recht des Kindes auf Identität ist auch in Art. 8 der UN-Kinderrechtskonvention festgehalten. Weiter kennt das deutsche Rechtssystem keine Elternlosigkeit. Der Deutsche Ethikrat stellt beispielsweise bezüglich des Familienrechts fest: „Durch die anonyme Kindesabgabe werden die Rechtsbeziehungen zwischen Eltern und Kind zwar nicht aufgehoben; sie können aber wegen der Anonymität nicht mehr wahrgenommen und durchgesetzt werden. Alle auf der Abstammung beruhenden Familienrechte des Kindes wie sein Recht auf Fürsorge und Erziehung durch die Eltern, auf Unterhalt und sein Erbrecht fallen ins Leere. Dies ist mit dem geltenden System des Familienrechts nicht vereinbar“ – Stellungnahme des Ethikrats, Bundestags-Drucksache 17/190, S. 12. Die anonyme Kindesabgabe und die anonyme Geburt widersprechen also in mehrfacher Hinsicht geltendem Recht. Das begrüßenswerte Anliegen des Gesetzentwurfs zur vertraulichen Geburt, bessere Beratung für die Schwangeren in Konfliktsituationen anzubieten, über die Rechte des Kindes und des Vaters aufzuklären und dem Kind im Rahmen der vertraulichen Geburt die eigene Herkunft nicht vorzuenthalten, löst die Probleme der anonymen Geburt und der Babyklappen nicht. Es erscheint zumindest fraglich, dass eine Schwangere in einer für sie vorhandenen Konfliktsituation, in der sie die Anonymität sucht, vertraulich entbindet, wenn sie nach wie vor das Angebot der anonymen Geburt und der Babyklappe vorfindet. Somit wird im Ergebnis die vertrauliche Geburt lediglich ein weiteres Angebot sein, dessen Inanspruchnahme erst noch abzuwarten bleibt. Diese dargelegten Bedenken machen uns eine Zustimmung zum Gesetzentwurf unmöglich. Aufgrund der geplanten Einführung der vertraulichen Geburt und des Ausbaus des Hilfesystems, die wir durchaus für sinnvolle und notwendige Schritte halten, werden wir uns enthalten. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Georg Nüßlein und Dr. Matthias Heider (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Bericht: Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen (Tagesordnungspunkt 23) Den Antrag „Wettbewerb und Innovationsdynamik im Softwarebereich sichern – Patentierung von Computerprogrammen effektiv begrenzen“ sehen wir kritisch, weil er die rechtliche Praxis unseres Erachtens nicht richtig einschätzt, daraus falsche Schlüsse zieht und die Innovations- und Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft einschränkt. Erstens. Software ist über das Urheberrecht geschützt. Patentschutz genießt Software bereits heute nur dann, wenn sie Bestandteil einer neuartigen technischen Lösung ist. In der Praxis bedeutet dies, dass nur wenige Computerprogramme – die wirklich innovativen und mit einer technischen Lösung verbundenen – Patentschutz genießen. Die sachgerechte Anwendung dieser Grundsätze stellt auch sicher, dass keine Trivialpatente erteilt werden. Zweitens. Ohne Anlass – es gibt bereits klare Grenzen für die Patentierbarkeit softwarebezogener Erfindungen – wirft der vorliegende Antrag die Frage nach der Begrenzung von Softwarepatenten erneut auf und setzt damit ohne Not die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft branchenübergreifend aufs Spiel. Weil sich der Antrag dabei sehr einseitig auf eine Stärkung des urheberrechtlichen Schutzes im Softwarebereich fokussiert, gefährdet er den Wirtschaftsstandort Deutschland, insbesondere den innovativen Mittelstand. – Computerbasierte Erfindungen, die nach geltendem Recht dem Patentschutz unterliegen, wären zukünftig im Sinne des Antrags nicht mehr patentierbar. – Der Patentschutz von Erfindungen begründet jedoch einen unverzichtbaren wirtschaftlichen Anreiz, in technische Innovationen zu investieren, und ist damit eine zentrale Basis der volkswirtschaftlichen Wohlfahrt. – Patente gewähren effektiven Schutz vor Nachahmung technischer Innovationen. Ohne diesen effektiven Schutz wäre Nachahmung wirtschaftlicher als die eigene Forschung und Entwicklung. – Gerade im Hinblick auf den technischen Fortschritt in Asien – vor allem in China – sind deutsche Firmen auch auf den rechtlichen Rahmen angewiesen, der ihnen Schutz vor äußeren Angriffen bietet. – Diese zentrale Schutzfunktion kann das Urheberrecht alleine nicht leisten – der Antrag verkennt diesen wichtigen Zusammenhang eindeutig. Drittens. Gegner von Softwarepatenten bemühen immer wieder den gleichen Argumentationsansatz, der besagt, dass Software durch das Urheberrecht ausreichend schützbar sei. Dieses Argument ist jedoch ungültig. Das Urheberrecht schützt die Ausdrucksform eines Programms, jedoch nicht eine technische Lehre in ihrer Funktionalität nach formaler und sachlicher Prüfung, das heißt den wesentlichen Bestandteil einer Softwareerfindung. Es bestünde unseres Erachtens das Risiko, dass Plagiate im Softwarebereich legalisiert werden. Das kann nicht das Ziel sein. Aus den oben genannten Gründen sehen wir den Antrag in seiner Zielsetzung und seinen Inhalten kritisch. Es ist Aufgabe der Politik, unserer Volkswirtschaft einen rechtlichen Rahmen zu geben, in dem sie wachsen kann, weshalb es keine dem Antrag entsprechende Gesetzesinitiative in dieser wie auch in den kommenden Legislaturperioden geben sollte. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung : – Antrag: Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung durch kontinuierliche Impulse des Bundes konsequent weiter vorantreiben – Beschlussempfehlung und Bericht: Frauen in Wissenschaft und Forschung – Mehr Verbindlichkeit für Geschlechtergerechtigkeit (Tagesordnungspunkt 12 a und b) Monika Grütters (CDU/CSU): Der uns allen vertraute und kurz vor dem Reformationsjubiläum wieder hoch im Kurs stehende Martin Luther wusste: „Weibern mangelt es an Stärke und Kräften des Leibes und am Verstand.“ So aufgeschlossen und „reformationsfreudig“ Luther auch war, in Fragen der Gleichberechtigung der Frau war er seiner Zeit eher nicht voraus. Doch Luthers Ansichten sind anderen Einsichten gewichen, und so ist es gut, dass wir uns heute in diesem Hohen Hause erneut der Situation von Frauen in Wissenschaft und Forschung zuwenden. Ich freue mich auch, dass wir uns in vielen Punkten, gerade was die Problemanalyse angeht, einig sind: Ja, auch heute noch ist der Weg in Führungspositionen für Frauen bedeutend länger und beschwerlicher als für ihre männlichen Kollegen auch ohne so derbe Ansichten wie die des Reformators. Das gilt für alle Branchen, und es gilt auch – und vielleicht gerade – für den Wissenschaftsbetrieb. Aber im Ernst: Noch immer liegt der Frauenanteil an den Professorenstellen bei nur knapp 20 Prozent, obwohl die Promotionsquote inzwischen bei 44 Prozent liegt und die Mehrzahl der Studienabschlüsse in Deutschland inzwischen von Frauen absolviert werden – circa 52 Prozent. Die fehlende Gleichstellung in Spitzenpositionen der Wissenschaft und Forschung ist dabei übrigens nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern verursacht großen gesamtgesellschaftlichen Schaden: In Zeiten des demografischen Wandels und des internationalen Wettbewerbs um Wissen und Innovation können wir es uns schlicht nicht leisten, gut ausgebildete Frauen und ihre Potenziale nicht zu nutzen. Und wir wissen auch, dass die Produktivität in gemischten Teams deutlich über denen reiner Männergesellschaften liegt. Wenn wir diese Potenziale nutzen wollen, sollten wir in der Tat bei Wissenschaft und Forschung beginnen, denn diese besitzen große Prägekraft für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen. Auch deshalb muss es uns allen ein Anliegen sein, dass das Wissenschaftssystem in Fragen der Chancengleichheit von Frauen und Männern Vorbild für die Gesamtgesellschaft wird. Und die Voraussetzungen dafür sind denkbar gut: Eine wesentliche Stärke des deutschen Wissenschaftssystems ist es ja, bestehende Strukturen und auch Rollenverständnisse kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu dekonstruieren. Auch deshalb hat sich mittlerweile innerhalb der „Wissenschaftsgemeinde“ die Erkenntnis durchgesetzt, dass echte Chancengleichheit von überragender Bedeutung für die Zukunft unseres Wissenschaftssystems ist. Immerhin hat das doch zu bemerkenswerten Entwicklungen geführt, was sogar die Opposition in ihrem Antrag anerkennt: Die Verdopplung der Zahl der Professorinnen in den letzten zehn Jahren zeigt, dass lange verkrustete Strukturen auch durch politische Impulse in Bewegung geraten sind. Aber das reicht noch nicht. Es braucht eine ganz andere Dynamik. Wir müssen jetzt die Chancen nutzen: Bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts wird circa ein Drittel aller Professorinnen und Professoren altersbedingt ausscheiden. Spätestens dann gibt es keine Ausreden mehr: Dann muss der Frauenanteil spürbar steigen! Ich halte es heute für ein sehr gutes Zeichen, dass viele außeruniversitäre Einrichtungen sich „schon“ Selbstverpflichtungen auferlegt haben, mit denen sie sich selbst unter Druck setzen. Die Leibniz-Gesellschaft nimmt seit Beginn des Jahres Zielvereinbarungen zur Gleichstellung in die Programmbudgets der 86 Institute auf und will bis 2017 die Vorgaben des Kaskadenmodells erfüllen. Auch die Sachverständigen, die in der Anhörung zu diesem Thema im Bildungsausschuss gesprochen haben, haben sich für einen solchen Ansatz ausgesprochen, der aber die Autonomie der Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen wahrt. Professor Marquardt als Vorsitzender des Wissenschaftsrates hat sich dafür ausgesprochen, den sozialen Druck, der etwa nach dem „Name und Shame“-Prinzip im DFG-Förderatlas verankert ist, als Triebfeder der Veränderung auszubauen. Dass finanzielle Sanktionsmechanismen hingegen eher Probleme schaffen, hat nicht nur Professor Marquardt zu bedenken gegeben, sondern auch der Rektor der Universität Gießen, Professor Mukherjee, der vor „großen Beharrungskräften“ an den Universitäten warnt und an die vielen „kleinen Sabotagemöglichkeiten“ gegenüber einer von oben verordneten Gleichstellungspolitik erinnert. Anreizsysteme schaffen und den sozialen Druck nutzen, das ist aus unserer Sicht erfolgversprechend, um damit die Institutionen mitzunehmen. Und hier setzt die Politik der christlich-liberalen Koalition an: Im Exzellenzwettbewerb hat Frauenförderung eine maßgebliche Rolle gespielt. Die Universitäten können nur mit einem klaren Bekenntnis zu größerer Beteiligung von Frauen reüssieren. Und an ihren Zusagen werden die Universitäten jetzt gemessen. Als Abgeordnete, die neben dem Mandat seit vielen Jahren an einer Universität als Dozentin tätig ist, kann ich Ihnen versichern, dass derartige öffentliche Zusagen durchaus große Bindungswirkung und Rechtfertigungszwänge für eine Universität entwickeln. Die christlich-liberale Koalition wird auch weiterhin Impulse und Anreize schaffen, um an den Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen für eine engagiertere Gleichstellungspolitik zu werben: Mit dem Professorinnenprogramm der Bundesregierung wurden seit 2007 mehr als 260 zusätzliche Professuren für Frauen geschaffen, und bis 2017 stehen noch einmal 150 Millionen Euro für dieses Programm zur Verfügung. Auch das Programm „Zeit gegen Geld“ ist ein wichtiges Signal, weil hier zum ersten Mal Mittel aus Stipendien im Bedarfsfall auch für die Kinderbetreuung genutzt werden können. Aber auch Wissenschaft und Forschung müssen sich innerhalb des gesamtgesellschaftlichen Kontextes bewegen. Deshalb wird auch für die Chancengleichheit von Männern und Frauen an der Universität entscheidend sein, wie wir in der Gesellschaft insgesamt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern. Das Phänomen der „leaky pipeline“, das durch die Unterbrechung der wissenschaftlichen zugunsten der Familienarbeit gekennzeichnet ist, beweist, dass die Last der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in unserer Gesellschaft – und damit auch in Wissenschaft und Forschung – noch immer im Wesentlichen von den Frauen getragen wird. Also setzen wir weiter wissenschaftsspezifische Anreize, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern: der Kinderbetreuungszuschlag im BAföG, das Elterngeld, das explizit auch Studierenden mit Kindern zugutekommt, oder auch das Förderprogramm „Betrieblich unterstützte Kinderbetreuung“, mit dem an Hochschulen in ganz Deutschland Betreuungsangebote realisiert werden konnten. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie insgesamt zu verbessern, bleibt aber eine der zentralen gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit, an der alle politischen und gesellschaftlichen Akteure mitwirken müssen. Nur wenn wir hier erfolgreich sind, wird auch eine große Hürde für Frauen in Wissenschaft und Forschung verschwinden, die innerhalb des Wissenschaftssystems allein nicht aus dem Weg geräumt werden kann. Dieser Herausforderung stellt sich diese Bundesregierung nicht nur – aber auch im Wissenschaftsbereich mit großer Entschlossenheit; denn den „lutherischen“ Gedanken von der Frau als „Mangelwesen“, den jedenfalls haben zumindest die meisten von uns im Lauf der vergangenen 500 Jahre „erledigt“. Anette Hübinger (CDU/CSU): Das Ziel gelebter Chancengleichheit von Frauen und Männern in Wissenschaft und Forschung beschäftigt uns seit vielen Jahren. Im letzten Jahrzehnt hat sich viel in dieser Gerechtigkeitsfrage getan. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass wir in dieser Zeit der angestrebten Chancengleichheit ein großes Stück näher gekommen sind. Es ist überaus positiv, dass unsere Wissenschafts- und Forschungslandschaft seit Jahren immer weiblicher wird. Seit den ersten systematischen Erhebungen Anfang der 90er-Jahre ist auf allen Karrierestufen eine kontinuierliche Aufwärtsbewegung des Frauenanteils zu verzeichnen. Das gilt für Erstimmatrikulationen genauso wie für die Studienabschlüsse. Hier liegt der Frauenanteil bei ungefähr 50 Prozent. Das gilt aber auch für Promotionen, bei denen der Frauenanteil aktuell rund 44 Prozent ausmacht. Trotz all dieser Erfolge sind wir uns fraktionsübergreifend darüber einig, dass wir künftig noch mehr Dynamik in diesem Prozess brauchen. Dies betrifft vor allen Dingen die weitere Entwicklung des Frauenanteils in wissenschaftlichen Führungsfunktionen. Denn im aktuellen GWK-Bericht „Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung“ sind auch folgende Zahlen zu finden: Frauenanteil bei den Habilitationen nur 24,9 Prozent, Frauenanteil bei den Professuren nur 19,2 Prozent. Dieser Einbruch des Frauenanteils nach der Promotion kann uns als Wissenschafts- und Forschungspolitiker nicht zufriedenstellen. Das Potenzial bei Frauen ist da, und es kann nicht hingenommen werden, dass sich die Aufstiegszahlen nach der Promotion halbieren. Hier muss gegengesteuert werden! Ich bin der Meinung, dass wir die positive Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte nicht einfach ignorieren können. Die erfreuliche Entwicklung an unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen muss konstruktiv und vor allen Dingen mit positiven Impulsen weiter vorangetrieben werden. Welcher Weg an dieser Stelle eingeschlagen werden soll, darin unterscheiden sich die Geister. Die zur Abstimmung vorliegenden Anträge spiegeln die Meinungsvielfalt in dieser Frage trefflich wider. Zu den Gemeinsamkeiten zählt sicherlich die Ansicht, dass das sogenannte Kaskadenmodell im Mittelpunkt einer jeden modernen Gleichstellungsstrategie stehen muss. Der dahin gehende GWK-Beschluss „Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung“ vom 7. November 2011 war längst überfällig, und er kann auch nur ein Anfang gewesen sein. Alle relevanten Akteure der deutschen Wissenschafts- und Forschungslandschaft sollten das Kaskadenmodell als zentrales Instrument ihrer Gleichstellungspolitik verankern. Das Kaskadenmodell biete nämlich die Chance, die Realität der einzelnen Fachbereiche sehr treffend abzubilden und unterschiedliche Ausgangslagen und Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Bei der Ausgestaltung dieses Instrumentes unterscheiden sich allerdings unsere Herangehensweise und die der Opposition. Die grundsätzliche Frage ist, ob das Kaskadenmodell mit Anreizen oder mit Sanktionen flankiert wird. Im vorliegenden Oppositionsantrag ist in dieser Frage von Druck in Form von finanziellen Sanktionen in der Projekt- und institutionellen Förderung die Rede. Diese Kopplung verwundert mich, weil uns in der noch nicht lange zurückliegenden Anhörung „Frauen in Wissenschaft und Forschung“ des Ausschusses für Bildung und Forschung doch ganz andere Empfehlungen mit auf den Weg gegeben wurden. So hat beispielsweise der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Professor Marquardt, in der Anhörung des Ausschusses am 11. Juni 2012 zu Recht ambitionierte, verbindliche und realistische Gleichstellungsziele auf Basis des Kaskadenmodells gefordert. Danach haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, aber anscheinend nicht mehr zugehört. Professor Marquardt merkte im zweiten Teil seiner Ausführungen nämlich an, dass dieser Dreiklang aus ambitionierten, verbindlichen und realistischen Zielen durch positive Anreize flankiert werden sollte. Ich will nicht ausschließen, dass man den von Ihnen aufgezeigten Weg grundsätzlich gehen kann, aber es passt doch ganz und gar nicht in die Entwicklung der letzten Jahre. Auf Basis von Selbstverpflichtungen und durch positive Anreize – das Professorinnenprogramm ist doch das beste Beispiel dafür – wurde in den vergangenen Jahren die Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung erfolgreich vorangetrieben. Wir starten in unseren Bemühungen nicht bei Null. Gleichstellungspolitische Zielsetzungen wurden in den Pakt für Forschung und Innovation, in die Exzellenzinitiative und den Hochschulpakt integriert. Auch sind die erfolgten Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher Karriere zu begrüßen. Diese vorhandene Dynamik und das vielfältige Engagement an unseren Hochschulen sowie Forschungseinrichtungen müssen wir positiv unterstützen. Darauf zielt unser Antrag ab. Wir wollen, dass die Bundesregierung als Impulsgeber in Fragen der Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung durch ein gleichstellungspolitisches Konzept die bisherigen Maßnahmen weiterentwickelt und neue Instrumente installiert. Mit diesem Konzept soll das Ziel verfolgt werden, mittel- und langfristig zu einem Frauenanteil in Höhe von 30 bis 40 Prozent auf allen Karrierestufen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu gelangen, um damit selbsttragende Veränderungsprozesse zu erreichen. Das Kaskadenmodell in Verbindung mit Anreizen wird diesem Anspruch am besten gerecht. Damit Frauen die Entscheidung zu einer Karriere in der Wissenschaft leichter fällt, brauchen sie aber auch eine Planbarkeit ihrer Karriere. Sie brauchen transparente Aufstiegsmöglichkeiten sowie flexiblere Arbeitszeitmodelle. Daneben brauchen sie bessere Rahmenbedingungen und flexiblere Lösungen zur Kinderbetreuung vor Ort. Daher fordern wir die Bundesregierung auf, zu prüfen, inwieweit das Audit „Beruf und Familie“ als erforderliches Förder- bzw. Begutachtungskriterium bei zukünftigen Bundesforschungsprogrammen und Auswahlprozessen der außeruniversitären Forschungseinrichtungen implementiert werden kann. Nur ein Prozess, der von allen Akteuren positiv wahrgenommen, angenommen und unterstützt wird, kann mittel- und langfristig so wirken, wie wir es uns alle wünschen und sich selbst tragen. Die Kombination von Zielvorgaben mit Sanktionen befeuert dagegen bei den betroffenen Akteuren und in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass von „oben“ mit Druck etwas umgesetzt werden soll. Mit einer solchen Vorgehensweise werden wir den Frauen im Wissenschaftssystem genauso wenig gerecht wie den Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen, die das Thema seit Jahren auf dem Schirm haben und vorantreiben. Ulla Burchardt (SPD): Die mangelnde Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen auch in Wissenschaft und Forschung ist hinreichend belegt und vielfach beklagt: zuletzt in der Studie der EU-Kommissarin für Forschung, Innovation und Wissenschaft, im Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation und in den Berichten und Beschlüssen der GWK. Wenn man die bescheidenen Verbesserungen der letzen Jahre als Fortschritt bezeichnen will, dann ist er bestenfalls eine Schnecke. Dynamik sieht anders aus; da hat die amtierende Fachministerin recht. Dass es Bewegung gab, ist auch einigen klugen Männerköpfen im Wissenschaftssystem zu verdanken, die angesichts der Erfahrungen der eigenen Töchter dankenswerterweise als Impulsgeber und Promotoren von Gleichstellung gewirkt haben, besonders mit den Gleichstellungsstandards der DFG. Es waren aber vor allem die Initiativen von Ministerin Bulmahn und der rot-grünen Koalition, die das Ziel Gleichstellung systematisch in strategische Politik mit konkreten Maßnahmen umgesetzt hatten. Als Meilensteine rufe ich in Erinnerung: die Frauenförderung in Hochschulwissenschaftsprogrammen, die Doktorandinnen- und Professorinnenförderung, die Spitzenförderung mit dem Sofja-Kovalevskaja-Preis der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die Förderung junger Wissenschaftlerinnen überhaupt erstmals in größerer Zahl mit der Einführung der Juniorprofessuren, die Einrichtung von Kinderbetreuung in den Forschungsorganisationen, auf die jetzt alle stolz hinweisen, die strukturellen Impulse in der Exzellenzinitiative und im Pakt für Forschung und Innovation, den wir ins Leben gerufen haben. Doch das alles hat nicht gereicht. Vor allem gab es Stillstand in der Gleichstellungspolitik im BMBF. Selbst im Antrag der Koalitionsfraktionen schimmern diese Defizite durch: Da wird die Bundesregierung aufgefordert, ihre Möglichkeiten zur Akzentsetzung zu nutzen. Ist das ein bescheidener Anspruch! Aber selbst der wird offensichtlich vermisst. Am Ende der Legislaturperiode kommt endlich die Erkenntnis, ein gleichstellungspolitisches Konzept vorzulegen. Das heißt doch: Es gab bislang keines. Deutlicher kann man die Versäumnisse kaum benennen! Aber war da nicht noch etwas auf der Habenseite der Regierung? Ach ja, das Professorinnenprogramm! Dazu das Sachverständigenurteil aus unserer Anhörung: Für die Frauen selbst ist es leider nicht nachhaltig, weil dieses Programm einen Drehtüreneffekt hat, da es auf fünf Jahre beschränkt bleibt und eine zu miserable Ausstattung hat. Das ficht die Koalition nicht an. Sie legt ein zweites Programm auf, ohne die Wirksamkeit des ersten evaluiert zu haben, und vergibt so die Möglichkeit, nachzubessern. Engagement und effektive Regierungsarbeit sehen anders aus. Fortschritte erreichen wir nur durch konkrete Zielvorgaben, die kontrollierbar und sanktionierbar sind. Deswegen fordern wir, Fördermittel an den Erfolgsnachweis zu koppeln. Leider fehlt diese Kopplung beim GWK-Beschluss. Die Bundesregierung blieb untätig, obgleich ihr das eigene Rechtsgutachten von Professor Susanne Baer beste Argumente vorgelegt hatte. Und das gilt auch für den eigenen Verantwortungsbereich der Regierung: Die Beteiligung von Frauen in Leitungspositionen der Forschungsressorts und in den wissenschaftlichen Beratungsgremien bleibt blamabel. Die Reform der Bundesgesetze ist überfällig, um endlich die Gleichstellung in den Gremien zwingend zu machen. Wer politisch nicht mit gutem Beispiel vorangeht, ist mit seinen Forderungen an die Wissenschaft alles andere als glaubwürdig. Leider sind im Koalitionsantrag mehr als Appelle und Applaus für die Regierung nicht zu finden. Es wird allerhöchste Zeit für ein wirksames politisches Programm der Gleichstellung in Wissenschaft und Forschung mit Anreizen, Quoten und Sanktionen. Dieses Programm ist unser Antrag! Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Wie dick die Bretter sind, die wir noch bohren müssen, um für mehr Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und Forschung zu sorgen, wird mir unter anderem jedes Jahr im Sommer wieder sehr deutlich, dann, wenn ich bei mir zu Hause ein Kinderzeltlager mit 360 Kindern zwischen 10 und 13 Jahren leite. Fragt man die Mädchen und Jungen nach ihren Berufsvorstellungen, so sieht sich selbst heute noch kaum ein Mädchen in einem wissenschaftlichen Beruf. Welche Vorstellungen Grundschüler von einer Professorin bzw. einem Professor haben, thematisierte vor einiger Zeit ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung. Ein Großteil malt diese mit einem Bart, selbst wenn sie darauf hingewiesen werden, dass sie auch eine Frau malen dürfen. An diesen beiden Bildern wird deutlich, wie umfassend die Aufgabe ist, wenn wir mehr Frauen in Wissenschaft und Forschung haben wollen, ja haben müssen, wenn wir nicht 50 Prozent des in der Gesellschaft vorhandenen Know-hows vergeuden wollen. Die Prognos AG geht in einer Studie davon aus, dass der volkswirtschaftliche Schaden durch die unzureichende Ausschöpfung des Arbeitsmarktpotenzials von Frauen allgemein, kumuliert bis 2030, bei rund 2 Billionen Euro liegt. In der Studie wird der mögliche volkswirtschaftliche Gewinn durch die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Hochschulabsolventinnen bis 2015 auf 70 Milliarden Euro beziffert. Ich frage sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Können wir uns das wirklich leisten? Mit unserem Antrag zeigen wir, die Oppositionsfraktionen, sehr deutlich, was es braucht, um das Ruder herumzureißen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der schwarz-gelben Koalition, wir fordern darin Maßnahmen, die tatsächlich für mehr Gleichberechtigung sorgen und sich nicht mit Appellen zufriedengeben. Die Große Anfrage zu diesem Thema, die wir in dieser Legislaturperiode in diesem Haus thematisiert haben, hat sehr deutlich gezeigt, dass es nicht reicht, wenn die aktuelle Bundesregierung von einer Frau geführt wird. Wir brauchen in diesem Land bessere Rahmenbedingungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Doch hier hat diese Bundesregierung leider nichts weiter vorzuweisen als das Fortführen bestehender Programme. Es fehlt gänzlich an neuen Ansätzen. Vor allem aber fehlt es an Verbindlichkeit. Was nützen die bestgemeinten Absichtserklärungen, wenn sie nicht fruchten? Was nützen die Appelle an die Bundesregierung, die die Koalition in ihrem Antrag formuliert? Ohne klare gesetzliche Vorgaben und verbindliche monetäre Instrumente, werden wir auch in 20 Jahren noch die Schieflage beklagen. Wir dürfen nicht länger auf Ermahnungen vertrauen. Wie sehr die Zeit drängt, zeigt ein Blick in die Statistik. In den nächsten fünf bis sechs Jahren wird rund ein Drittel der Professuren in Deutschland neu zu besetzen sein. Dafür brauchen wir dringendst qualifizierten Nachwuchs beiderlei Geschlechts. Da dürfen wir es nicht mehr hinnehmen, dass gerade Frauen nach der Promotion die wissenschaftliche Laufbahn verlassen. Wir dürfen uns auch nicht mit den bisher erreichten Fortschritten zufriedengeben. Vielmehr sollte uns das bisherige Tempo warnen und zu mehr Bemühungen anspornen. Denn wenn es mit derselben Geschwindigkeit wie in den letzten Jahren weitergeht, brauchen wir noch bis zum Ende des Jahrhunderts, bis wir die Parität der Geschlechter in Wissenschaft und Forschung erreichen. Das wäre fatal. Daher kann ich auch nicht verstehen, warum die Koalition in ihrem Antrag so tut, als müsse man nur die Dinge so weiterführen wie bisher. Neben wissenschaftspolitischen Instrumenten müssen wir aber auch die Familienpolitik in den Blick nehmen. Diese Bundesregierung hat auf diesem Feld leider nichts vorzuweisen. „Außer Spesen nichts gewesen“, muss man zusammenfassen. Gerade jungen Wissenschaftlerinnen bringen Betreuungsgeld oder die von Teilen der Union geforderten Haushaltshilfegutscheine relativ wenig. Stattdessen bräuchte es erheblich mehr, bessere und flexiblere Betreuungsangebote; um nur ein Problemfeld zu benennen. Leider fehlt im Antrag der Koalition auch jeglicher Ansatz zu Initiativen, bei denen die Bundesregierung selbst schnell und unkompliziert Fakten schaffen könnte, zum Beispiel in den von ihr eingerichteten wissenschaftlichen Beratungsgremien. Von den 88 Gremien sind kaum welche paritätisch oder annähernd gleichberechtigt besetzt. Manche sind sogar zu 100 Prozent männlich dominiert. Wieso nutzt die Bundesregierung hier nicht ihre Einflussmöglichkeiten? Es ist doch wirklich nicht nachvollziehbar, dass man nicht nach Frauen sucht, die diesen Gremien angehören könnten. Es gibt solche Frauen nämlich. Man muss sie nur berufen! Dies sind nur einige Beispiele, bei denen deutlich wird, wie dringend der Handlungsbedarf ist und wie man das Ruder herumreißen könnte, wenn man nur will und wenn man verbindliche Vorgaben macht. Ich möchte nochmals meine Erfahrungen vom Anfang meiner Rede aufgreifen. Neben konkreten Rahmenbedingungen und verbindlichen Instrumenten im Wissenschaftsbetrieb brauchen wir einen generellen Bewusstseinswandel in unserer Gesellschaft. Auch wenn von mancher Frau aus dem Unionslager so getan wird, als hätten wir bereits die volle Gleichberechtigung erreicht, so sprechen die klaren Fakten eine andere Sprache. Wie schwierig es ist, als Frau Karriere zu machen, wird auch an der Vorsitzenden der JU in Bayern deutlich, die vergeblich versucht hat, mit der CSU in den nächsten Landtag zu kommen. Nun wurde sie mit einem Listenplatz für den Bundestag abgespeist. Ein Instrument wie die Quote, das sie massiv bekämpft hat, hätte ihr sicherlich helfen können. Doch ist es mir egal, wen die CSU für die Wahlen nominiert. Mir ist es jedoch nicht egal, wie es zukünftig um den Wissenschaftsstandort Deutschland bestellt ist. Daher fordere ich sie alle hier in diesem Haus auf: Sorgen Sie gemeinsam mit uns dafür, dass wir nicht länger einen beachtlichen Teil unseres größten Rohstoffs, des Wissens unserer Bevölkerung, brachliegen lassen! Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Frauen in der Wissenschaft, Chancengerechtigkeit bzw. Chancengleichheit beschäftigen uns in der Politik und im Deutschen Bundestag als Thema seit vielen Jahren. Es begleitet mich ebenso seit vielen Jahren als Professor an der Hochschule. Und es wird auch weiterhin ein aktuelles und diskutiertes Thema bleiben, solange nicht die vollständige Gleichstellung faktisch umgesetzt ist. Anders als die Opposition glauben machen möchte, verfolgen wir als FDP selbstverständlich das Ziel der vollkommenen Gleichstellung. Denn für uns Liberale geht es darum, jedem Menschen die Chance zur Selbstverwirklichung zu geben. Jeden Menschen in seinen Möglichkeiten zu unterstützen. Dass wir von den erwünschten Gleichstellungszielen im Wissenschaftssystem noch entfernt sind, darüber brauchen wir uns hier nicht zu streiten. Jeder von uns kennt den 16. Fortschreibungsbericht der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz zu Frauen in der Wissenschaft. Jeder kann lesen, und die Zahlen des 16. Fortschrittsberichtes sprechen eine eindeutige Sprache – ebenso, wie der am gestrigen Tag im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung diskutierte „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ von einer anderen Seite deutliche Worte findet. Fakt ist: Auf allen Stufen der wissenschaftlichen Qualifizierung hat sich alleine im Zeitraum von 2000 bis 2010 der Anteil von Frauen an der Gesamtzahl merklich gesteigert. Es gibt diese überaus positiven Entwicklungen in Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Während wir bei den Studienanfängern und den Absolventen sowie den Promotionen schon von einer faktischen Gleichstellung sprechen können, sind wir bedauerlicherweise bei den Habilitationen und den Professuren noch erheblich davon entfernt. Aber wir dürfen bei alledem nicht vergessen, dass wir hier über Lebensläufe sprechen. Wir reden hier vor ganz persönlichen Lebensentwürfen und individuellen Karrierewegen. Wohlgemerkt: Eine Dekade ist nicht viel, um einen Menschen von der Schule zur Professur zu bringen. Vom Studiumsanfang bis zum Abschluss, von Promotion und Habilitation bis zur Professur sprechen wir alleine schon von einem Zeitraum von etwa 20 bis 25 Jahren. Positive Entwicklungen über eine Dekade sind deshalb nur ein Auszug und sollten jetzt nicht dazu führen, dass wir überall Negatives sehen. Natürlich müssen wir weiter auf die Gleichstellung drängen. Natürlich wollen wir, dass genauso viele Frauen wie Männer eine Professur innehaben. Das ist alles Potenzial und Kompetenz, die wir nicht verschwenden dürfen. Aber dann müssen Bund und Länder gemeinsam mit den Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen eine Strategie finden. Worin wir uns in der heutigen Diskussion aber merklich unterscheiden, ist der Weg, wie wir das gemeinsame Ziel der Gleichstellung erreichen wollen. Sie wollen Verpflichtungen und Sanktionen aufbauen. Sie wollen, wie in Ihrem Antrag formuliert, die Forschungsförderung an Quoten und Verpflichtungen knüpfen. Das geht uns Liberalen aber entschieden zu weit. Denn damit bewirken sie eine wissenschaftspolitische Dysfunktion – wo Projekte und Forschung nicht mehr nach der Leistung und Themen gefördert werden. Und das konterkariert das Anliegen der Förderung der Besten und besten Projekte, zumal Ihr Vorschlag im Antrag überhaupt nicht konkret wird und unsauber gearbeitet ist. In den Mathematischen, Naturwissenschaftlichen, Ingenieur- und Technikwissenschaften ist die Frauenförderung vielmehr eine Aufgabe für den schulischen Bereich statt für die Wissenschaftseinrichtungen. Da geht es um Begeisterung für diese Fächer, um eine Art Kulturwandel unseres Bildungssystems. Da kommt man mit Quoten für Berufungen und Professuren nicht weiter. Es sei denn, man reduziert den Anteil der Stellen. Statt Sanktionsmechanismen und feste Quoten wollen wir Anreize schaffen, Impulse in das Wissenschaftssystem geben und das Kaskadenmodell als Gleichstellungsziel implementieren. Das Kaskadenmodell erläutert, dass wir den Frauenanteil einer Karrierestufe nach dem Anteil einer darunterliegenden Qualifikationsstufe anstreben. Das ist keine lose Gleichstellungsrhetorik, wie es die Opposition hier gerne darstellt, sondern ein realitätsnahes und vernünftiges Modell, mit dem wir eine Grundlage für Überprüfung und Selbstverpflichtung haben. Die großen Wissenschaftseinrichtungen haben das Kaskadenmodell bereits für sich als praktikables Instrument adaptiert. Durch die in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz erarbeiteten Ausführungsvereinbarungen und den Pakt für Forschung und Innovation existiert für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen eine Gleichstellungsstrategie bzw. ein Gleichstellungsziel auf Grundlage des Kaskadenmodells. In der öffentlichen Anhörung im Ausschuss gab es sowohl vonseiten des Wissenschaftsrates als auch vonseiten der anderen geladenen Experten hierzu positive Resonanz sowie die Aufforderung, mit Nachdruck weiter auf die Chancengleichheit zu drängen. Deshalb wollen wir gemeinsam mit den Ländern im Rahmen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) einen gemeinsamen Weg und Lösungen finden. Aber nicht, wie im Antrag der Opposition zu lesen, dass der Bund alleine aktiv wird oder die Länder bittet. Es kann nur so sein, dass die Länder eigene Maßnahmen für ihre Hochschulen ergreifen und Fördermodelle entwickeln. Und wenn die SPD und die Grünen der Meinung sind, verbindliche Quoten einführen zu wollen, dann sollen diese es für die Hochschulen ihrer Länder auch tun. Bislang aber vernehme ich aus den von SPD und Grünen regierten Ländern weder politisches Handeln noch irgendwelche Diskussionen über Quoten. Insofern zeigt die Opposition heute vor allem wieder nur Gleichstellungsrhetorik, dafür aber weniger politische Ehrlichkeit. Den Antrag der Opposition lehnen wir deshalb ab, denn viele Forderungen sind eher schädlich denn hilfreich. Demgegenüber steht der Antrag dieser christlich-liberalen Koalition. Wir fordern neben der Verantwortung der Wissenschaft für Geschlechtergerechtigkeit insbesondere die Länder dazu auf, mit dem Bund und alleine weitere Maßnahmen und Anstrengungen zu unternehmen. Zudem wollen wir die Begleitforschung zu den vielfältigen und unterschiedlichen Gleichstellungsfragen weiter stärken, damit geeignete Maßnahmen und Instrumente entwickelt werden können. Dabei soll insbesondere ein Schwerpunkt auf den Bereich der MINT-Fächer gelegt werden. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): In dem Fachgespräch unserer Fraktion zur Situation des wissenschaftlichen Mittelbaus brachte der Kollege Matthias Neis von Verdi das hier zu diskutierende Problem auf den Punkt: „Bis zur Promotion sind etwa gleich viel Frauen und Männer in der Wissenschaft. Danach steigen Frauen aus und Männer auf.“ Forschung und Lehre prägen unsere Gesellschaft mehr denn je. Wir nähern uns der Marke von 50 Prozent jeder Generation, die ein Studium durchlaufen. Mehr als 200 000 Menschen promovieren; mehr als 500 000 Menschen arbeiten allein an unseren Hochschulen. Wir reden über einen quantitativ und qualitativ entscheidenden Schüsselsektor unserer wissensgeprägten Gesellschaft. Mittlerweile seit Jahrzehnten diskutieren wir die Frage, wie wir eine Gleichstellung von Frauen und Männern in der Wissenschaft erreichen. Neben dem Argument der Gerechtigkeit, das für sich steht, werden dabei auch immer Eigenmotivationen der Wissenschaft angeführt, Vielfalt in den Ansätzen und Methodiken etwa, aber auch die Lenkung des Blicks auf alternative gesellschaftliche und wissenschaftliche Pro-blemstellungen. Dabei geht es um eine andere Qualität von Wissenschaft. Die Genderdimension in Forschung und Lehre bedeutet viel mehr als die reine Steigerung von Frauenanteilen in Führungspositionen. Aber sie ist ohne Frauen in Führungspositionen und im Mittelbau eben nicht auszufüllen. 14,6 Prozent der ordentlichen Professuren sind von Frauen besetzt. Bezieht man die befristeten Juniorprofessuren ein, kommt man auf einen Anteil von 19,2 Prozent. Hier hat es langsame, aber sichtbare Fortschritte auf niedrigem Niveau gegeben. Besonders düster sieht es im Hochschulbereich bei den Topfunktionen im Management, Hochschul- und Institutsleitungen etwa, aber auch bei wissenschaftlichen Direktorinnen in der außeruniversitären Forschung aus. Diese Anteile bewegen sich nur knapp über oder sogar unter 10 Prozent. Die Fortschritte hier laufen derart langsam, dass Jutta Dalhoff vom Center of Excellence Women and Science, CEWS, in der Süddeutschen Zeitung in dieser Woche schrieb: „Es ist an der Zeit, die Geduld zu verlieren.“ So wird es vielen jungen und nicht mehr ganz so jungen Frauen gehen, die auf die Chance warten, sich und ihre großartigen Kenntnisse in die Wissenschaft einzubringen. Konzepte zur besseren Durchsetzung von Frauen liegen reichlich auf dem Tisch, Expertisen zur Ursache des Ausstiegs vieler Frauen ebenso. Wir wissen längst, dass Frauen sowohl an tatsächlicher Ausgrenzung und Vorurteilen durch männlich dominierte Netzwerke, als auch an strukturellen Barrieren scheitern. Diese Hemmnisse lassen sich nicht mit einer Maßnahme beheben, sondern benötigen vielfältige Ansätze. Diese haben wir in der Initiative der Opposition aufgelistet: von der transparenten Ausschreibung von Stellen über die anonymisierten Bewerbungsverfahren bis zur Schaffung familiengerechterer Arbeitsbedingungen und sicherer Karriereperspektiven – auf einen Lehrstuhl hin oder eben auch ohne Professur. Denn viele Frauen in der Wissenschaft, das hörte ich in Gesprächen immer wieder, streben nicht unbedingt auf eine Professur. Sie wollen Wissenschaft betreiben, manchmal eben auch ohne den spezifischen Habitus des Ordinariats. Nicht zuletzt, auch das steht in unserem Antrag, brauchen wir auch eine nach Fächern differenzierte, aber durchsetzungsfähige Quote in der Wissenschaft. Diese sollte durch finanzielle Anreize, aber auch durch Sanktionen abgesichert werden. Die Mittelvergabe ist ein echter Hebel, der da, wo er angewandt wird, gut funktioniert. Dieser Hebel kann ergänzt werden durch individuelle Förderprogramme, wie sie der Bund mit dem Professorinnen-Programm, aber auch das damals rot-rot regierte Berlin mit dem Programm für Gleichstellung erfolgreich umsetzt. Ich freue mich, dass wir mit dem Antrag der drei Oppositionsfraktionen den Druck bei diesem Thema gemeinsam aufrechterhalten konnten. Dieser Druck hat bei der Koalition immerhin die Erstellung eines Antrags bewirkt. Ich wünschte mir, dass auch die Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP die verbleibende Zeit zur Weichenstellung nutzen. Dabei geht es nicht nur um die Bundesländer, sondern um die ganz konkreten Bedingungen in der außeruniversitären Forschung, für die der Bund eine starke Verantwortung trägt. Schaffen Sie die in Ihrem eigenen Antrag geforderte Verbindlichkeit der Quote nach dem Kaskadenmodell in allen Einrichtungen! Das wäre ein wirklicher Fortschritt. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In den vergangenen zwei Legislaturperioden haben wir uns im Plenum, im Forschungsausschuss, im Rahmen zweier Anhörungen und durch verschiedene Anträge der Oppositionsfraktionen intensiv mit der Unterrepräsentanz von Frauen vor allem in den oberen Statusgruppen unseres Wissenschaftssystems beschäftigt. Wir haben über Strategien für mehr Gleichstellung beraten und auch gestritten. Heute sind wir bei der Diskussion über mehr Verbindlichkeit bei gleichstellungspolitischen Zielsetzungen durchaus einen Schritt weiter: Der Antrag der Koalition bezieht sich erstmals positiv ausdrücklich auf das Kaskadenmodell. Das heißt: Der Frauenanteil in einer oberen Statusgruppe muss sich in der Zielstellung an dem Frauenanteil in der darunterliegenden Statusgruppe als Pool of Talents orientieren, etwas, was man vonseiten der Großen Koalition in der vergangenen 16. Legislaturperiode nur überprüfen wollte. So erfreulich diese Weiterentwicklung aufseiten der Koalition zunächst auch erscheinen mag, kommt man doch nicht an der Feststellung vorbei, dass die Koalition damit der Entwicklung in der deutschen Science Community hinterherhinkt. Die führenden Vertreter der deutschen Wissenschaftsorganisationen haben schon vor Jahren mehr verbindliche Zielvorgaben bei der Gleichstellungspolitik für das Wissenschaftssystem angemahnt. Vor allem die Gleichstellungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft haben sich nachhaltig auf die Gleichstellungspolicy der deutschen forschungsstarken Universitäten ausgewirkt. Im letzten Jahr hat sich auch die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz in Bezug auf die außeruniversitären Forschungseinrichtungen positiv auf das Kaskadenmodell bezogen. Vergessen sollte man in diesem Zusammenhang auch nicht, dass die Diskussion über die Position von weiblichen Wissenschaftlern im deutschen Wissenschaftssystem eine neue Relevanz erhielt, als in den Begutachtungsverfahren der Exzellenzinitiative die internationalen Peers die einfache Frage stellten: Wo sind denn bei euch die Frauen? Da dämmerte es auch den männlichen Führungskräften deutscher Wissenschaftsorganisationen, dass es bei der Unterrepräsentanz von Frauen in den Führungsebenen nicht nur um Gerechtigkeit geht, sondern auch um Qualität und Innovationsfähigkeit. Denn die Rekrutierung des Führungspotenzials vorrangig aus einer Geschlechtergruppe spricht nicht dafür, dass es sich dabei um eine Bestenauslese handelt. Es geht also sowohl um Chancengleichheit als auch um die optimale Nutzung des Pools of Talents im Wissenschaftsbereich. Inzwischen werden im Zusammenhang mit der Gleichstellungsfrage aber längst weiter gehende Fragen diskutiert: Wie soll die Kaskade einrichtungs- und fachspezifisch verbindlich gestaltet werden? Wie ambitioniert sollen die Steigerungsschritte auf der Zeitschiene sein? Wie soll es mit den Gleichstellungsstandards der DFG weitergehen? Mit welchen Konsequenzen sollen die Erreichung bzw. die Verfehlung der Zielvereinbarungen flankiert werden? Zu diesen aktuellen Fragestellungen leistet der vorliegende Antrag der Regierungsfraktionen keinen Beitrag. Stattdessen versucht die Koalition, ihr Hinterhertrippeln dadurch zu kaschieren, dass sie Pappkameradinnen aufbaut oder versucht, Schlachten der Vergangenheit durch Scheindebatten noch zu gewinnen. Denn eine Einheitsquote nach dem Gießkannenprinzip für alle Fachrichtungen wird und wurde nie gefordert. Die Koalition verfolgt offenbar immer noch das Ziel, das Gleichstellungsthema unter Ideologieverdacht zu stellen. Damit kommen Sie aber mindestens 15 Jahre zu spät. Die Wissenschaftsallianz committete sich 2006 in der „Offensive“ dazu, bei den Anteilen von Wissenschaftlerinnen einen deutlichen Sprung nach vorne zu schaffen. Der Grund, warum wir heute die Unterrepräsentanz von Frauen in der Wissenschaft immer noch debattieren, ist schlicht der, dass die Bilanz der „Offensive“ fünf Jahre später ernüchternd war. Vielerorts blieb es bei bloßer Gleichstellungsrhetorik. Gleichzeitig trat die Schwäche vieler gleichstellungspolitischer Ziele offen zutage: Sie waren unverbindlich und schwer überprüfbar, und wo Ziele nicht erreicht wurden, hatte das offenkundig keine Konsequenzen. Mehr Verbindlichkeit und Überprüfbarkeit gleichstellungspolitischer Ergebnisse – das waren die zwei Kernforderungen, die wir in der letzten Legislaturperiode vor diesem Hintergrund auf die Agenda hoben. Mittlerweile hat sich der damalige Grundsatzstreit immer mehr zugunsten von mehr Verbindlichkeit entschieden. Ich habe den GWK-Beschluss von 2011 für die außeruniversitären Forschungsorganisationen und die Gleichstellungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft von 2007 bereits erwähnt. Wenn Sie sich in Ihrem Antrag jetzt zu der Forderung durchgerungen haben, zu prüfen, inwieweit sich die DFG-Gleichstellungsstandards in die Projekt- und Ressortforschung des Bundes übertragen und integrieren lassen, ist das für die Koalition sicher eine Weiterentwicklung. Es wäre sicher auch sinnvoll, dieses Instrument auf die europäische Ebene zu heben. Ich kann nur hoffen, dass die Weiterentwicklung der DFG-Gleichstellungsstandards – in Anlehnung an den Antrag der Opposition – in der nächsten Legislatur rechtzeitig auf die Agenda gesetzt wird. Insgesamt muss die institutionelle und projektgebundene öffentliche Forschungsförderung stärker mit gleichstellungspolitischen Zielen verknüpft werden, zum Beispiel indem die Vergabe eines Teils der Mittel des Pakts für Forschung und Innovation an die Erfüllung gleichstellungspolitischer Ziele gebunden wird. Unabdingbar für eine erfolgreiche Gleichstellungspolitik sind aber auch mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit bei den wissenschaftlichen Karrierewegen. Auch damit haben wir uns in dieser Legislatur mehrfach vor allem durch Anträge der Opposition befasst. Eine Modernisierung der Personalstrukturen an den Hochschulen und verbesserte Beschäftigungsperspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs sind unabdingbar, wenn man die besten weiblichen Nachwuchskräfte für die Wissenschaft als Beruf gewinnen will. Wie ernst die Politik es mit der Gleichstellung in der Wissenschaft meint, muss sich in Taten erweisen und nicht in vollmundigen Erklärungen. Ich hoffe, dass sich in der nächsten Legislatur politische Mehrheiten ergeben, um mehr Verbindlichkeit in der Gleichstellung voranzubringen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Sofortprogramm „2. Chance auf Berufsausbildung“ für junge Erwachsene ohne Berufsabschluss – Fachkräfte von morgen ausbilden (Tagesordnungspunkt 13) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Wir haben in Deutschland mit aktuell 7,5 Prozent mit Abstand die geringste Jugenderwerbslosenquote in ganz Europa. An der Spitze stehen Griechenland und Spanien mit 62,5 bzw. 56,4 Prozent. Im europaweiten Durchschnitt beträgt die Jugendarbeitslosenquote 24,4 Prozent. Das sind die Erträge erfolgreicher christlich-liberaler Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Um unseren robusten und stabilen Arbeitsmarkt werden wir in ganz Europa beneidet. Die Arbeitsmarktpolitik der unionsgeführten Bundesregierung und unser erfolgreiches Bildungssystem mit der dualen Berufsausbildung haben wesentlich dazu beigetragen, dass wir die Krise so gut wie kein anderes Land überstanden haben und die Arbeitslosigkeit – besonders unter Jugendlichen – derart gering ist. Unser Bildungssystem mit einer Kombination aus Theorievermittlung und praktischer Anwendung dient vielen anderen Ländern als Vorbild. Zur Wahrheit gehört an dieser Stelle auch, dass immer weniger Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen. Der Anteil derjenigen Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, ist zwischen 2006 und 2011 von 8 auf 6,2 Prozent zurückgegangen. Und auch der Anteil junger Menschen, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung, die Hochschulreife oder gar einen Hochschulabschluss verfügen, ist in den vergangenen Jahren gestiegen und bleibt mit 86 Prozent auf einem hohen Niveau. Nichtsdestotrotz weisen Sie zu Recht darauf hin – liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD –, dass es eine Reihe junger Menschen gibt, die keine Ausbildung oder keinen Berufsabschluss haben: Jugendliche, die die Lehre abgebrochen oder erst gar keine Lehrstelle gefunden haben oder einige, die noch nicht einmal die Schule abgeschlossen haben. Derzeit sind etwa 300 000 Arbeitslose zwischen 25 und 35 Jahren ohne Ausbildung, und in der gleichen Gruppe der Beschäftigten haben gut eine halbe Million keinen Berufsabschluss. Diese jungen Erwachsenen müssen ebenfalls ihre Chance auf eine Ausbildung bekommen. Als Arbeitsmarktpolitiker sind mir jeder verlorene Arbeitsplatz und jeder Arbeitslose einer zu viel. Niemand darf zurückgelassen werden. Bildung ist die wichtigste Investition in unsere Zukunft, und wir müssen dafür Sorge tragen, dass jeder – unabhängig von der sozialen Herkunft – die bestmöglichen Chancen auf Bildung und Beschäftigung hat. Nicht nur im Hinblick auf das Gebot der individuellen Chancengleichheit, sondern auch in Anbetracht des demografischen Wandels und des drohenden Fachkräftemangels müssen wir die Potenziale, die in diesen jungen Menschen schlummern, wecken. Bildung ist für junge Menschen der Schlüssel für individuelle Identität, Orientierung und gesellschaftliche Teilhabe. Aus diesem Grund hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit kürzlich eine Initiative zur Erstausbildung junger Erwachsener gestartet. Mit der Kampagne „AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht“ sollen junge Erwachsene dabei unterstützt werden, einen beruflichen Abschluss zu erwerben. Sie rücken verstärkt in den Fokus der Arbeitsagenturen und werden dabei unterstützt, eine Aus- oder Weiterbildung zu absolvieren, die zu einem Berufsabschluss führt. Hierfür brauchen wir aber nicht nur die Unterstützung der Politik und der Bundesagentur für Arbeit, sondern wir benötigen auch die Bereitschaft der Wirtschaft und der Unternehmen, diesen jungen Menschen eine Chance zu geben. Auch für einen jungen Menschen mit Mitte/Ende 20 macht eine Ausbildung noch Sinn, da noch knapp 40 Jahre in Erwerbstätigkeit vor ihm liegen können. Hinweisen möchte ich auch auf das ESF-Programm „Schulverweigerung – Die 2. Chance“ des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend. Mit diesem Programm bekommen Schulverweigerer, die der Schule wiederholt und über einen längeren Zeitraum unentschuldigt ferngeblieben sind, eine zweite Chance auf einen Schulabschluss. In meinem Wahlkreis Würzburg kam die Don-Bosco-Berufsschule Würzburg – eine Berufsschule zur sonderpädagogischen Förderung, die sich hervorragend für Schülerinnen und Schüler mit dem Ziel der sozialen, schulischen und vor allem beruflichen Integration engagiert – in den Genuss dieser Förderung und hat vor Ort einen erheblichen Beitrag dazu geleistet, dass die Zahl der Jugendlichen, die die Schule ohne Schulabschluss verlassen, nachhaltig verringert wurde. In den bundesweit lokalen Koordinierungsstellen der „2. Chance“ werden bereits seit 2006 Jugendliche, die aktive oder passive Formen von Schulverweigerung aufweisen, aufgefangen und wieder in das reguläre Schulsystem integriert. Durch feste Ansprechpartner werden schulverweigernde Schülerinnen und Schüler dabei unterstützt, wieder regelmäßig die Schule zu besuchen, und so werden die Chancen auf einen Schulabschluss und damit auch auf einen Ausbildungsplatz deutlich erhöht. Im Gegensatz zu Ihrem Antrag – wo Sie lediglich diejenigen jungen Menschen in den Fokus nehmen, die keinen Berufsabschluss haben – setzen wir auch bereits bei der Schulausbildung an. Denn mit einem erfolgreichen Schulabschluss steigen die Chancen auf eine Berufsausbildung automatisch. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass wir mit den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten zudem zahlreiche passgenaue Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung haben, um junge Erwachsene ohne Berufsausbildung in Arbeit zu bringen – Beispiel: Programm U 25. Nach dem Leistungsgrundsatz in § 3 Abs. 2 SGB II müssen die Grundsicherungsstellen versuchen, hilfebedürftige junge Menschen in eine Ausbildung, eine Arbeit oder eine Arbeitsgelegenheit zu vermitteln. Hierfür stehen insbesondere die Leistungen zur Eingliederung nach § 16 SGB II, aber auch berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen der Agenturen für Arbeit zur Verfügung. Können Hilfebedürftige ohne Berufsabschluss nicht in eine Ausbildung vermittelt werden, soll die vermittelte Arbeit oder Arbeitsgelegenheit auch zur Verbesserung ihrer beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten beitragen. Des Weiteren möchte ich noch kurz auf die kürzlich durch den Rat Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz, EPSCO, beschlossene Jugendgarantie zu sprechen kommen. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich entschlossen, die Jugendarbeitslosigkeit gemeinsam zu bekämpfen und den fast 6 Millionen arbeitslosen jungen Menschen eine Perspektive zu bieten. Unsere Bundesarbeitsministerin Dr. von der Leyen hat die Arbeitsminister der EU im Juli zu einem Runden Tisch zur Förderung der Jugendbeschäftigung nach Berlin eingeladen, um eine gemeinsame nachhaltige Beschäftigung für junge Menschen zu schaffen. Mit der Jugendgarantie will die Kommission erreichen, dass jeder EU-Bürger unter 25 Jahren innerhalb von vier Monaten nach Abschluss einer Ausbildung oder bei Arbeitslosigkeit eine Beschäftigung, Weiterbildung oder einen Ausbildungsplatz erhält. Ich könnte noch zahlreiche weitere Initiativen und Maßnahmen der Bundesregierung – des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – nennen, wollte aber aufgrund der begrenzten Zeit nur auf einige wenige genauer eingehen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der SPD, lassen Sie mich eine kurze Anmerkung zu dem in Ihrem Antrag enthaltenen Seitenhieb auf die flexiblen Beschäftigungsverhältnisse machen. Wenn Sie diese als prekäre oder atypische Beschäftigung diffamieren, dann schießen Sie über das Ziel hinaus. Flexible Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeit, Zeitarbeitsverhältnisse, geringfügige oder befristete Beschäftigung stellen für viele Menschen nicht nur eine Brücke in den Arbeitsmarkt dar, sondern schaffen für die hiesigen Unternehmen auch die nötige Flexibilität, um im Zuge des Wettbewerbsdrucks auf punktuelle Auftragsspitzen reagieren zu können. Auch der von Ihnen oft verbreitete Mythos, flexible Beschäftigung verdränge „Normalarbeitsverhältnisse“, ist falsch. Im Zeitraum von 2006 bis 2011 ist die Zahl der regulären Arbeitsverhältnisse um 1,5 Millionen gestiegen, die Zahl der flexiblen Beschäftigungsverhältnisse jedoch nur um 450 000. Fakt ist, dass flexible Beschäftigungsformen nicht nur vielen Menschen die gewünschte Flexibilität – beispielsweise zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf – bieten, sondern auch für viele Menschen den Weg in den Arbeitsmarkt eröffnen und Arbeitsplätze schaffen. Meine sehr geehrten Damen und Herren der Fraktion der SPD, wie Sie sehen, ist die christlich-liberale Koalition hier bereits seit langem intensiv an der Arbeit. Sie können uns nicht vorwerfen, dass wir nichts für die Gruppe der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss getan haben und tun werden, wie Sie es in Ihrem Antrag schreiben. Die unionsgeführte Bundesregierung hat schon zahlreiche Maßnahmen für junge Erwachsene ohne Berufsabschluss auf den Weg gebracht, als Sie noch mit dem Verfassen Ihres Antrages beschäftigt war. Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Die duale Berufsausbildung hat einen hohen Stellenwert in Deutschland. Ein entscheidender Vorzug des dualen Berufsausbildungssystems ist die Nähe zum Beschäftigungssystem. Einerseits ermöglicht sie Unternehmen, ihren Fachkräftenachwuchs praxisnah und bedarfsgerecht auszubilden. Andererseits sichert sie den Auszubildenden hohe Quoten der Übernahme in Beschäftigung und ist somit für viele junge Menschen eine wichtige Voraussetzung für eine eigenständige Lebensführung und gesellschaftliche Teilhabe. Die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt ist für viele Jugendliche nach wie vor gut. Deutschland hat EU-weit die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit und weist eine Rekordzahl an unbesetzt gebliebenen betrieblichen Ausbildungsplätzen in 2012, plus 3 586 bzw. plus 12,1 Prozent, gegenüber dem Vorjahr aus. Ebenso zeigen sich Verbesserungen bei jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss, nachdem die Bundesregierung gezielte Maßnahmen für besonders förderbedürftige Altbewerber aufgelegt hat. Altbewerber und Altbewerberinnen sind auch eine wichtige Zielgruppe im Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs 2010 bis 2014. Es ist gelungen, die Zahl der Altbewerber und Altbewerberinnen deutlich zu reduzieren. So ist die Zahl der Altbewerber von 342 000 im Jahr 2005 auf 162 000 zurückgegangen, minus 180 000 Altbewerber bzw. minus 52,6 Prozent. Exemplarisch einige Maßnahmen der letzten Jahre: Seit 2008 wurden für 450 000 Schüler Bewilligungen für jeweils Potenzialanalyse und Berufsorientierungsmaßnahme erteilt. Dafür wurden 200 Millionen Euro bereitgestellt. Dadurch ist die Zahl der Schulabbrecher von knapp 8 Prozent, im Jahr 2008, auf 6,2 Prozent gesunken. 2010 hat das BMBF das Sonderprogramm „Berufseinstiegsbegleiter“ gestartet. Bis 2014 werden rund 1 000 hauptamtliche Berufseinstiegsbegleiter an über 1 000 Schulen Jugendliche individuell begleiten. Die Bundesregierung hat mit ihren vielfältigen Initiativen – Qualifizierungsinitiative von Bund und Ländern, Fachkräftesicherungskonzept, Ausbildungspakt, Pflegepakt, Spätstarterprogramm – die erforderlichen Initiativen ergriffen, um das in der Qualifizierungsinitiative 2008 vereinbarte Ziel – Halbierung der Ungelerntenquote bis 2015 – nachhaltig zu verfolgen. Mit der vom BMAS und der BA im Februar gestarteten Initiative „Erstausbildung junger Erwachsener“ sollen in den nächsten drei Jahren 100 000 junge Erwachsene zwischen 25 und 35 Jahren für das Nachholen eines Berufsabschlusses gewonnen werden. Dafür stehen ausreichend Mittel in der Weiterbildungsförderung zur Verfügung. 2013 sind insgesamt 2,6 Milliarden Euro für die Weiterbildungsförderung vorgesehen und damit rund 600 Millionen Euro mehr, als 2012 ausgegeben wurden. Wir sind also auf einem guten Weg. Deswegen war ich gespannt, was ich in Ihrem Antrag finde. Die SPD fordert ein Recht auf Ausbildung. Hier stellen sich mir zwei Fragen: Erstens. Hätten wir es – wenn die jungen Menschen keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden – im Endeffekt nicht einfach mit einer Ersatzausbildung durch den Staat zu tun? Meine Befürchtung ist, dass diese Abschlüsse am Markt keine so hohe Akzeptanz erfahren würden wie betriebliche Berufsausbildungen. Zweitens. Ist wirklich das „Recht auf Ausbildung“ die Schraube, an der wir drehen müssen? Ein solches Recht im Sinne eines einklagbaren Anspruchs – etwa auf Abschluss eines konkreten Berufsausbildungsvertrages – wäre mit unserem Recht und unserem Berufsbildungssystem nicht vereinbar. In Vorwahlkampfzeiten blühen ja die seltsamsten Blüten, aber ich glaube nicht, dass sie so weit gehen würden, die Freiheit, privatrechtliche Verträge abzuschließen, untergraben zu wollen. Vielmehr sollten wir schauen, wie wir die zunehmende Zahl an unbesetzten Ausbildungsstellen mit den Menschen ohne Berufsausbildung zusammenbringen können. Die SPD fordert einen Vorrang der Vermittlung in Ausbildung im SGB II. Der Vorrang der Vermittlung in Ausbildung ist ein allgemeiner Grundsatz. Durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt wurde mit der Verschiebung der Reihenfolge „Arbeit, Ausbildung“ in „Ausbildung oder Arbeit“ deutlich gemacht, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte ohne Berufsabschluss, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, primär in Ausbildung vermittelt werden sollen. Dies gilt auch für Leistungsberechtigte ohne Berufsabschluss. Die SPD fordert finanzielle Anreize für junge Erwachsene, eine Ausbildung zu beginnen. Wenn wir das weiterdenken, stellen wir demnächst Anreize, damit Schüler in die Schule gehen. Ich meine: Einen Ausbildungsplatz zu bekommen ist bereits ein Anreiz. Hier wird ein grundsätzlich anderes Verständnis des Menschen deutlich. Die SPD kennt nur den betreuten Menschen, der in Formen großer Sozialexperimente normiert wird. Unser Leitbild ist der selbstverantwortliche Mensch und damit der Mensch, der freie Entscheidungen treffen kann, übrigens auch gegen sein wohlverstandenes Eigeninteresse. Dann muss er aber auch die Konsequenzen tragen. Wir helfen dort, wo sich der Einzelne nicht helfen kann. Dort aber, wo er keine Hilfe will, drängen wir uns auch nicht auf. Uns eint das Ziel, möglichst allen jungen Menschen die Chance auf einen guten Ausbildungsplatz zu geben. Wir wollen sie auch denjenigen ermöglichen, die aufgrund persönlicher Lebensumstände erst später eine Berufsausbildung aufnehmen können. Alles in allem ist der SPD-Antrag ein Antrag für das Wahlkampfschaufenster und ein Antrag, der ein wenig die Untiefen sozialdemokratischen Politikverständnisses zeigt, aber leider kein Antrag, der in seiner Schlichtheit einen substanziellen Beitrag zur Problemlösung bringt. Deswegen ist es vernünftig, ihn zu debattieren, aber ebenso vernünftig, ihn abzulehnen. Katja Mast (SPD): Bildung und Ausbildung sind die beste Arbeitslosenversicherung! Wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte. Deutschland kann sich 1,5 Millionen junge Erwachsene zwischen 25 und 35 Jahren ohne Berufsabschluss in unserem Land nicht leisten. Deshalb wollen wir Sozialdemokraten ein 10-Punkte-Sofortprogramm auflegen. Denn unsere jungen Menschen haben eine zweite Chance auf einen Berufsabschluss verdient. Wenn wir sie heute ausbilden, also den Einstieg in den Aufstieg am Arbeitsmarkt ermöglichen, schaffen wir Lebenschancen und entlasten unsere Sozialkassen auf Dauer! Auch wenn die Situation auf dem deutschen Ausbildungsmarkt im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn auf den ersten Blick entspannt scheint, muss man doch etwas genauer hinschauen. Doch genau das tut diese Bundesregierung nicht! Schlimmer noch, sie redet die Lage schön; die Augen werden vor den Problemen auf dem heimischen Ausbildungsmarkt verschlossen. Handlungsbedarf sieht diese Bundesregierung nicht. Doch wie kann das sein, wenn im letzen Ausbildungsjahr fast 80 000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz geblieben sind, wenn der Bundesagentur für Arbeit, BA, der Verbleib von fast 90 000 Bewerbern und Bewerberinnen unbekannt ist, wenn noch immer fast 300 000 Jugendliche im sogenannten Übergangssystem verharren, wenn die Zahl der Betriebe, die ausbilden, immer weiter schrumpft, wenn 1,5 Millionen junge Erwachsene zwischen 25 und 35 Jahren keinen Berufsabschluss haben und davon jeder Fünfte arbeitslos ist? Statt die Probleme anzupacken, tut die Regierung so, als ob alles in Ordnung sei, und wirbt in ganz Europa für eine Ausbildungsaufnahme in Deutschland, um dem drohenden Fachkräftemangel zu begegnen. Diese Ausbildungs- und Arbeitsmarktpolitik ist scheinheilig! Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um den Jugendlichen und jungen Erwachsenen in unserem Land die besten Bildungs- und Ausbildungschancen zu geben! Nur so sichern wir in Zeiten des demografischen Wandels unseren Fachkräftebedarf von morgen! Für uns ist gute Arbeit viel mehr als Broterwerb; gute Arbeit sichert die gesellschaftliche Teilhabe. Deshalb müssen wir alle mitnehmen, auch die, die es im ersten Anlauf vielleicht nicht geschafft haben, einen Berufsabschluss zu machen. Wir müssen uns diesen jungen Menschen zuwenden, dürfen uns nicht von ihnen abwenden, wie es die Regierung macht. Die Bundesagentur für Arbeit hat das erkannt und ihren Handlungsschwerpunkt auf die Gruppe der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss gelegt. Mit der Initiative „AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht“ sollen in den nächsten drei Jahren 100 000 junge Erwachse zum Berufsabschluss geführt werden. Die Bundesagentur hat den richtigen Weg eingeschlagen. Die Anstrengungen müssen unterstützt und weiter vorangetrieben werden. Doch von unserer Bundesarbeitsministerin gibt es außer schöner Worte keine Unterstützung! Zusätzliches Geld gibt es nicht. Das Gegenteil ist der Fall; denn Ministerin von der Leyen betreibt eine Politik des sozialen Kahlschlags sondergleichen. Allein in den Jahren 2011 bis 2013 belaufen sich die Mittelkürzungen in der Arbeits- und Sozialpolitik auf 36,5 Milliarden Euro. Diese schwarz-gelbe Kürzungsorgie bei den Mitteln für die aktive Arbeitsmarktpolitik geht auch zulasten der jungen Generation, der Alleinerziehenden und Langzeitarbeitslosen – eine fatale Entscheidung; denn gerade die jungen Erwachsenen haben noch 30 bis 40 Jahre Erwerbsarbeit vor sich, die ohne ausreichende Qualifizierung vom Wechsel zwischen Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung bestimmt sein können. Und das bedeutet eine starke Belastung unserer Sozialkassen und der Kommunen. Hier ist vorsorgende, vorausschauende und aktivierende Politik gefordert. Genau das wollen wir Sozialdemokraten. Wir wollen mehr Geld für die Qualifizierung und Ausbildung der jungen Erwachsenen in die Hand nehmen, um ihnen ihre zweite Chance und manchmal auch ihre dritte Chance zu geben. Neben zusätzlichen finanziellen Mitteln braucht es auch gesetzliche Änderungen. Auch das unterscheidet uns Sozialdemokraten von dieser So-tun-als-ob-Arbeitsmarktpolitik der Regierung Merkel. Kernpunkt unseres heute hier eingebrachten 10-Punkte-Programms ist die Einführung eines Rechts auf Ausbildung. Kein Jugendlicher soll ohne Abschluss bleiben. Dabei setzen wir zuallererst auf eine Stärkung der betrieblichen Ausbildungsplätze, die Neuorganisation des Übergangssystems und mehr Teilzeitausbildungsplätze. Doch für diese jungen Erwachsenen brauchen wir auf ihre spezielle Lebenssituation maßgeschneiderte Ausbildungsangebote. Sie arbeiten teilweise und verdienen jetzt gerade durch Hilfsjobs auch deutlich mehr, als sie durch eine Ausbildungsvergütung bekommen könnten. Der eine oder die andere hat auch Kinder zu versorgen. Deshalb wollen wir mit einem finanziellen Anreizsystem auch die jungen Menschen zur Aufnahme einer Ausbildung motivieren, die bereits arbeiten. Zusätzlich zum Arbeitslosengeld I und II sollen die jungen Erwachsenen monatlich 150 Euro erhalten. Bei erfolgreichem Abschluss der Zwischen- und Abschlussprüfung soll es als weiteren Motivationsschub Prämien in Höhe von bis zu 900 Euro geben. Weitere wichtige Stellschraube ist, dass wir bereits bestehende Arbeitsmarkt- und Eingliederungsinstrumente der Gruppe der jungen Erwachsenen zugänglich machen. Wir müssen mit passgenauen Instrumenten reagieren; denn die Lebenslagen der jungen Menschen sind sehr unterschiedlich. Dazu gehört, den Vorrang der Vermittlung in Ausbildung vor Arbeit bis zum 35. Lebensjahr zu verlängern; heute gilt dies nur bis 25 Jahre. Dazu gehört auch, Berufseinstiegsbegleitung und ausbildungsbegleitende Hilfen für junge Erwachsene bis 35 Jahre anzubieten. Die Vorschläge der Sozialdemokraten liegen auf dem Tisch. Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich Taten sprechen zu lassen, nicht nur warme Worte zu finden! Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Sie beklagen in Ihrem Antrag, dass es in Deutschland 1,5 Millionen Menschen im Alter zwischen 25 und 35 gibt, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben – das kann man mit Recht beklagen, wie ich gerne festhalte. Das ist für sich genommen schon ein Problem. Es wird ein größeres dadurch, dass schon aktuell ein Fachkräftemangel diagnostizierbar ist, der in Zukunft eher noch zunehmen wird. Auch hierauf weisen Sie ja hin. Dann erläutern Sie einigermaßen umfangreich, warum ein fehlender Berufsabschluss ein Problem darstellt bzw. ein erhebliches Risiko birgt, wenn es um die individuelle Erwerbsbiografie geht. Und dann gibt es bei Ihnen noch einen Satz, den ich einmal zitieren möchte: „Eine gute Qualifizierung und Ausbildung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist Grundlage für den Einstieg in den Aufstieg am Arbeitsmarkt. Nur so können die Fachkräfte von morgen gewonnen und die Spaltungen am Arbeitsmarkt überwunden werden.“ Ich zitiere das gerne; denn ich sehe das im Wesentlichen genauso. Einigkeit ist ja immer etwas Schönes, allerdings hört es jetzt auf damit. Denn einige Fragen müssen Sie sich schon gefallen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Erstens: Wenn der Fachkräftemangel die zentrale Herausforderung ist, vor der wir stehen, dann frage ich mich doch, ob nicht wer A sagt, auch B sagen muss. Dann gehören nämlich mehrere Themen dazu, beispielsweise Einwanderung. Sie hingegen thematisieren Arbeitsmigration oft genug negativ. Ich erinnere mich noch gut an unsere Diskussion um die auslaufenden Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit für unsere europäischen Nachbarn. Und was war da von Ihnen zu hören? Das letzte Stündlein für die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer habe geschlagen. Ein Heer unwillkommener Konkurrenten stehe vor der Türe, die nichts anderes im Sinn hätten, als die deutschen Standards zu untergraben. So gut wie alle Ihre damaligen Diskussionsbeiträge standen unter der Überschrift, dass Einwanderung etwas sei, das in erster Linie Probleme bereitet. Den deutschen Bürgerinnen und Bürgern solle vor allem eines beim Thema Einwanderung einfallen, nämlich die Frage danach, wie man sich eigentlich davor schützen könne. Das ist grundfalsch, schädlich und häufig genug auch schändlich. Wir müssen den Talenten aus aller Welt den roten Teppich ausrollen, sonst kriegen wir den Fachkräftemangel nie in den Griff – ich hoffe, Sie verinnerlichen das jetzt ein für alle Mal. Und zweitens: Der Fachkräftemangel hat vor allem etwas mit dem demografischen Wandel zu tun. Wir werden immer älter, wir leben immer länger, und wir können immer länger arbeiten. Deshalb ist die Rente mit 67 auch der richtige Schritt. Franz Müntefering hatte das verstanden, Sie hingegen nicht. Sie überschlagen sich bei Ihrer blamablen Rückwärtsrolle in der Rentenpolitik. Auch hier liefern Sie keinen vernünftigen Beitrag zur Bekämpfung des Fachkräftemangels, sondern entwerfen irrwitzige Szenarien abseits der Realität, um aus den Sorgen der Menschen Ihr politisches Kapital zu schlagen. Zumal: Wer sich über Ausbildungschancen Gedanken macht, sollte sich doch erst einmal darüber im Klaren sein, wo diese entstehen. Richtig, es ist der deutsche Mittelstand. Wenn dort die Auftragslage passt, das Umfeld für Wachstum und Investitionen stimmt und Sicherheit über die politischen Rahmenbedingungen herrscht, dann wird auch ausgebildet. Da wird der deutsche Mittelstand seiner Verantwortung seit Jahrzehnten in vorbildlicher Art und Weise gerecht. Doch was wollen Sie? Sie wollen mittelständische Unternehmen mit Ihren populistischen Wahlkampfvorhaben kaputtbesteuern, weil Sie ihnen mit Ihren Vermögen- und Erbschaftsteuerplänen an die Substanz gehen. Es ist geradezu heuchlerisch, auf der einen Seite von Ausbildungschancen zu sprechen und auf der anderen Seite derart kontraproduktive Pläne zu schmieden. Abgesehen davon finde ich es doch bemerkenswert, dass Sie in Ihrem Antrag einen klaren Zusammenhang zwischen niedriger Entlohnung und niedrigem Qualifikationsniveau herstellen. In den Debatten zum Thema Mindestlohn hört sich das oft ganz anders an. Dabei haben Sie völlig recht: Es ist in erster Linie das Qualifikationsgefälle, das den Arbeitsmarkt spaltet. Ich will gerne anerkennen, dass Sie mit Ihrer Idee eines, übrigens laut Ihres Antrags offensichtlich durch Voodoo finanzierten – weil Sie nur Kosten benennen und keinen Finanzierungsvorschlag machen – Sofortprogramms für junge Erwachsene ein wichtiges Thema ansprechen und vielleicht sogar die eine oder andere gar nicht so schlechte Idee haben. Darüber können wir uns gerne im Ausschuss unterhalten. Beispielsweise habe ich auch schon einmal überlegt, ob man nicht eventuelle Verdienstausfälle arbeitsmarktpolitisch zumindest teilweise kompensieren könnte, die auftreten, wenn jemand, der keine Ausbildung hat, aber sehr wohl beschäftigt ist, seine Beschäftigung aufgibt, um doch noch eine Ausbildung zu absolvieren. Aber eines ist ja wohl ein starkes Stück. Dass ausgerechnet Sie die teilweise mangelnde Qualifikation von jungen Erwachsenen beklagen, kann man ja wohl nicht ernst meinen. Das statistisch größte Qualifikationsrisiko haben nämlich diejenigen, die in Bundesländern mit einer traditionell von der SPD dominierten Bildungspolitik auf die Welt kommen. Ich sage nur: Bremen. Dass die Landesregierung in NRW jetzt ausgerechnet bei der Bildung, genauer gesagt bei den Vertretungsstunden, kürzt und damit Unterrichtsausfälle in Kauf nimmt, passt haargenau ins Bild. Und wie kommt es eigentlich, dass in Bundesländern wie Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern – entgegen dem allgemeinen Trend in Deutschland – die Schulabbrecherquote deutlich zunimmt? Das hat bestimmt rein gar nichts mit sozialdemokratischen Regierungschefs zu tun, nicht wahr? Und noch ein Zufall: Im letzten Regierungsjahr von Rot-Grün im Bund, also 2005, war die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen doppelt so hoch wie heute, wo wir an der Regierung beteiligt sind. Also, nichts für ungut, ich denke, wir sollten uns im Detail über alles unterhalten, aber bei diesem Thema würde ich Ihnen wirklich empfehlen, nicht zu sehr auf andere zu zeigen. Agnes Alpers (DIE LINKE): In Deutschland haben insgesamt 2,2 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das ist absolut inakzeptabel! Die SPD nimmt nun einen Teil, Menschen zwischen 25 und 34 Jahren, in den Fokus. Für sie soll unter anderem gelten: Vermittlung in Ausbildung geht vor Vermittlung in Arbeit. Das finden wir richtig; denn das, wie übrigens viele andere Punkte in Ihrem Antrag, fordern wir bereits seit langer Zeit. Wie Sie wissen, bin ich Pädagogin. Deshalb erzähle ich Ihnen von Martin, 27 Jahre alt. Ohne abgeschlossene Ausbildung jobbt er als Aushilfe und bekommt dafür 950 Euro. Er hofft, dass er in drei Monaten nicht wieder arbeitslos ist. Martin würde gerne eine Familie gründen. Aber wie soll das gehen? Die Linke sagt: Jeder Mensch braucht echte berufliche Perspektiven. Konkret heißt das: Das Recht auf Ausbildung muss umgesetzt werden! Für die 2,2 Millionen Menschen ohne Berufsabschluss brauchen wir eine Ausbildungsgarantie neben einem Rechtsanspruch mit verlässlichen Ausbildungsplätzen in den Betrieben. Weiterhin fordern wir ein 1,5 Milliarden Euro schweres Sofortprogramm und verbindliche arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, um möglichst alle mitzunehmen. Das aber sagen wir Ihnen nun schon seit geraumer Zeit. Und nun endlich scheint Bewegung in die Sache zu kommen: Die Bundesregierung hat im Februar das Programm „AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht“ auf den Weg gebracht. Hier sollen die Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung über eine Weiterbildung einen Berufsabschluss erreichen. Das klingt erst einmal gut, aber schauen wir uns das mal näher an: Erstens. Das Programm soll mit laufenden Haushaltsmitteln finanziert werden. Ich sage Ihnen, so eine Aufgabe kann man nicht mal so nebenbei finanzieren. Auch der DGB geht davon aus, dass pro Jahr 400 bis 500 Millionen Euro investiert werden müssten, damit 30 000 Menschen einen Berufsabschluss machen können. Investieren Sie jetzt in Ausbildung, dann haben wir auch genügend Fachkräfte. Zweitens. Das Spätstarter-Programm ist nur für die nächsten drei Jahre angedacht und soll 100 000 jungen Erwachsenen einen Ausbildungsabschluss sichern. Und ich erinnere Sie als Bundesregierung: Sie wollten bis 2015 die Zahl der Menschen ohne Berufsabschluss halbieren. Machen Sie also keine Schaufensterprogramme, schaffen Sie mindestens die angekündigten 700 000 Ausbildungsplätze! Drittens. Mithilfe des Programms soll in den Berufen ausgebildet werden, in denen die Betriebe nicht ausreichend Bewerberinnen und Bewerber finden. Das betrifft vor allem das Hotel- und Gaststättengewerbe. Hier sind schlechte Ausbildungsqualität, Überstunden und vor allem Niedriglohn normal. Wir wollen Menschen doch aus ihrer prekären Lebenssituation herausholen. Menschen wieder in prekäre Arbeitslagen abzudrängen, ist mit uns als Linke nicht zu machen. Viertens, als letzter Punkt: Vor wenigen Tagen hat Ministerin Wanka hier in der Befragung der Bundesregierung gesagt: Wenn die duale Ausbildung das Rückgrat dieses Systems ist, dann ist es wichtig, dass genügend Ausbildungsplätze in der Wirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Frau Wanka und Kollegen, wenn Sie Rückgrat haben, dann machen Sie Schluss mit der Selbstverpflichtung der Betriebe! Führen Sie eine Umlagefinanzierung ein, setzen Sie das Recht auf Ausbildung um und bringen Sie ein Sofortprogramm für Ausbildung auf den Weg! Nur das schafft Perspektiven für alle. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Junge Menschen ohne Berufsabschluss sind häufiger arbeitslos, häufiger prekär beschäftigt und bekommen weniger Geld als Gleichaltrige mit Berufsabschluss. Im Jahr 2011 waren 2,2 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne Berufsabschluss. Von den 25- bis 35-Jährigen hatten 1,5 Millionen keinen Abschluss. Das sind 16 Prozent der Altersgruppe. Diese Zahlen zeigen den enormen Handlungsbedarf. Hier liegt ein gigantisches Fachkräftepotenzial brach. Und es wird sehenden Auges von der Bundesregierung verschenkt. Anstatt den jungen Menschen neue Perspektiven zu bieten, werden die Zahlen mit einem Achselzucken hingenommen. Ein Beispiel: Die Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, den Anteil junger Erwachsener zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsabschluss bis 2015 auf 8,5 Prozent zu senken. Dies hat sie in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage noch einmal bekräftigt. Aber nach den letzten uns zur Verfügung stehenden Zahlen sind immer noch über 15 Prozent dieser Altersgruppe ohne Berufsabschluss. Nach Adam Riese bleiben also noch zwei Jahre, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn es in diesem Schneckentempo weitergeht, dauert das aber noch zwanzig Jahre. Ich frage Sie ernsthaft, wie Sie das schaffen wollen. Denn ein Gesamtkonzept kann ich bei den verschiedenen Initiativen derzeit nicht erkennen. Es ist wichtig, dass alle Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung ein Angebot bekommen. Das schließt auch diejenigen ein, die ohne Abschluss bereits berufstätig sind. Dafür braucht man ausreichend finanzielle Mittel und die richtigen Instrumente, die auf die Problemlagen und die Situation der Betroffenen zugeschnitten sind. Dafür brauchen wir berufsbegleitende Angebote, erheblich mehr Teilzeitausbildungen, bessere Beratung sowie individuelle Förderung. Wenn wir dafür sorgen wollen, dass nicht jedes Jahr immer neue Schulabgänger vor den immer gleichen Problemen stehen, muss der Dschungel der Förderprogramme von Bund, Ländern und Kommunen im Übergangsbereich gelichtet und in eine klare Einstiegsphase in die berufliche Ausbildung umgestaltet werden. Außerdem müssen kleine und mittlere Betriebe, die keine Ausbildungsbefähigung haben, besser unterstützt werden, damit auch sie sich an der Ausbildung beteiligen können. Das grüne Konzept „DualPlus“ liefert hier Lösungen. Es ist erst wenige Wochen her, da wurde der Berufsbildungsbericht 2013 vorgestellt. Das war wahrlich kein Anlass für Freudensprünge. Im Gegenteil: Von guter Ausbildung für alle sind wir noch weit entfernt. Es ist doch längst erwiesen: Weder eine gute Konjunktur noch der demografische Wandel oder der zunehmende Fachkräftemangel sorgen dafür, dass alle jungen Menschen erfolgreich eine Berufsausbildung absolvieren. Der Berufsbildungsbericht liefert die Zahlen schwarz auf weiß: Trotz guter Wirtschaftslage ist die Zahl der Ausbildungsbetriebe auf einem historischen Tiefstand. So gut unser duales System der betrieblichen Berufsausbildung auch ist, es gelingt nicht, darüber allen jungen Menschen Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. 4,3 Milliarden Euro werden jedes Jahr für perspektivlose Warteschleifen verplempert. Das ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. DualPlus liefert hier Lösungen, um allen Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine anerkannte Berufsausbildung zu ermöglichen. Denn eine abgehängte Generation können wir uns nicht leisten – weder hier noch in Europa. Es ist ganz einfach: Ausbildungsgarantie statt Warteschleife bringt Perspektiven statt Frust. Das wollen wir, und das gelingt mit DualPlus. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt – Beschlussempfehlung und Bericht zur Stellungnahme des Deutschen Ethikrates – Das Problem der anonymen Kindesabgabe (Tagesordnungspunkt 14 a und b) Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Was lange währt, wird endlich gut! Heute bringt die christlich-liberale Koalition mit dem vorliegenden Gesetz eine Regelung auf den Weg, die den Interessen der betroffenen Mütter, Kinder und auch Väter gerecht wird. Es ist uns gelungen, nach elf Jahren endlich Rechtssicherheit zu schaffen. Und darauf sind wir heute auch etwas stolz. Mit Einführung der vertraulichen Geburt tragen wir Sorge, dass schwangere Frauen, die ihre Identität nicht preisgeben möchten, Handlungssicherheit und umfassende Hilfen erhalten. Das Interesse an ihrer Anonymität wird gewahrt: Ihre Daten bleiben geheim, damit sie Hilfe annehmen können. Die gesetzliche Regelung der vertraulichen Geburt bietet beste Gewähr dafür, dass betroffene Frauen ihre Kinder medizinisch gut versorgt in einer Klinik zur Welt bringen können. Die Gefahren und Risiken einer unbegleiteten Geburt werden vermieden – für Mutter und Kind. Uns war wichtig, dass die betroffenen Frauen schon während der Schwangerschaft besser erreicht werden. Deswegen wird das bereits bestehende Hilfesystem weiter ausgebaut und die Schwangerschaftsberatung gestärkt. Dieses Ziel macht auch der Name des Gesetzes deutlich: Gesetz zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt. Gleichzeitig wird das Grundrecht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Herkunft abgesichert: Dem Kind soll es ab dem 16. Lebensjahr möglich sein, zu erfahren, wer seine Mutter ist. Wir halten uns hier an die bereits geltende Rechtslage bei der Adoption. Die Interessen des Kindes werden durch diese Regelung deutlich besser gewahrt als bei den bestehenden Angeboten der Babyklappe und der anonymen Geburt. Durch die Abwägung dieser Rechtsgüter erhalten die betroffenen Frauen und alle anderen Beteiligten eine rechtssichere Entscheidungsgrundlage, auf die sie sich in dieser schwierigen Situation verlassen können. Wesentliche Grundlage für unser gesetzgeberisches Handeln waren die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates „Das Problem der anonymen Kindesabgabe“ vom 26. November 2009 wie auch die Studie des DJI „Anonyme Geburt und Babyklappen in Deutschland – Fallzahlen, Angebote, Kontexte“, die im Januar 2012 veröffentlicht wurde. In den Gesetzentwurf sind die Erfahrungen vieler Träger von Babyklappen und von Anbietern anonymer Geburten eingeflossen. Diese Erfahrungen waren äußerst wertvoll. Denn sie haben gezeigt, wie wichtig es ist, den Frauen in Not- und Konfliktsituationen Schutz und konkrete Hilfe zu bieten. Umso wichtiger ist eine Beratung, die jederzeit erreichbar, verlässlich, dauerhaft und qualifiziert ist. Dafür hat sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eingesetzt. Mit Blick auf die Babyklappen ist festzuhalten, dass deren Betrieb Sache der Länder ist; der Bund hat hier nur einen begrenzten Einfluss. Da die Studie des Deutschen Jugendinstituts deutlichen Handlungsbedarf aufgezeigt hat, begrüßt es die Union, dass die Bundesfamilienministerin eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat, die gemeinsam mit den Ländern Mindeststandards für den Betrieb der Babyklappen entwickelt. Die erste Lesung am 21. März 2013 hat bereits gezeigt, dass der Gesetzentwurf in seiner Konzeption überzeugt. Auch der Bundesrat hat den Gesetzentwurf in seiner Stellungnahme vom 3. Mai 2013 grundsätzlich begrüßt. Als christlich-liberale Koalition haben wir die Anregungen des Bundesrates geprüft und in einem Änderungsantrag insbesondere einen Aspekt aufgenommen: die Kostenübernahme durch den Bund. Der Bundesrat wendet ein, dass unverhältnismäßig hoher Aufwand entstehen würde – wegen der bundesweit zu erwartenden geringen Fallzahl abzurechnender Fälle und des erforderlichen Aufbaus neuer Verwaltungsstrukturen in den Ländern. § 34 regelt nun, dass der Bund die Kosten übernimmt, die im Zusammenhang mit Geburt, Vor- und Nachsorge entstehen. Dies erfolgt entsprechend der Vergütung für Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei Schwangerschaft und Mutterschaft; die Kosten können unmittelbar gegenüber dem Bund geltend gemacht werden. Aus der Anhörung des Ausschusses FSFJ am 13. Mai 2013 sind ebenfalls einige Ergebnisse in den Änderungsantrag eingeflossen: Die Beratungsziele werden nochmals stärker berücksichtigt. Und in den §§ 25, 29 und 30 stärken wir die anonyme Beratung. Auch Frauen, die sich nicht für eine vertrauliche Geburt entscheiden, sollen kontinuierlich betreut werden. Hier spielten vor allem die Erfahrungen der Beratungsstellen eine große Rolle; mein Dank geht an dieser Stelle an meine ehemalige Kollegin Maria Eichhorn, die während der letzten Legislaturperioden intensiv an dem Thema gearbeitet und unsere Beratungen auch in dieser Legislatur immer begleitet hat. Dass alle elf Sachverständigen in der Anhörung den Gesetzentwurf einhellig begrüßten, war bemerkenswert und hat uns bestärkt. An diesem erfolgreichen Ergebnis sind viele Personen beteiligt: Ich danke meiner Kollegin Beatrix Philipp, die sich von Anfang an, also auch über elf Jahre, für eine gesetzliche Regelung eingesetzt hat. In vielen intensiven Beratungen mit den Familien- und Innenpolitikern haben wir gerungen um ein ausgewogenes Verhältnis der Rechtsgüter – um eine Regelung, die auch praxistauglich ist. Liebe Beatrix, herzlichen Dank! Mein Dank gilt den Kolleginnen der FDP-Bundestagsfraktion, mit denen wir für dieses konstruktive Ergebnis gearbeitet haben. Ausdrücklich danke ich auch den Berichterstatterinnen der anderen Fraktionen, die eine wirklich sachliche und ergebnisorientierte Debatte ermöglicht haben. Und nicht zuletzt gilt mein großer Dank dem Bundesfamilienministerium und der Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder. Mit der im Gesetz vorgesehenen Evaluation werden wir überprüfen, wie das Angebot der vertraulichen Geburt tatsächlich angenommen wird und welche Änderungen erforderlich sind. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird die Umsetzung des Gesetzes aufmerksam begleiten. Wir sind zuversichtlich, dass es sich in der Praxis bewährt, und wir sind zuversichtlich, dass es für viele Frauen in Notsituationen echte Hilfe vorsieht. Norbert Geis (CDU/CSU): Die Kindesaussetzung und die Kindestötung unmittelbar nach der Geburt gibt es seit Anfang der Menschheitsgeschichte. Ein Beispiel dafür ist die Aussetzung des Moseskindes. Auch heute noch werden Kinder nach der Geburt ausgesetzt oder gar getötet. Es ist ein menschlicher Ausnahmezustand, in dem sich diese Mütter unmittelbar nach der Geburt befinden. Sie halten das Kind, das sie und, was noch schlimmer ist, das ihre Umgebungen nicht wollen, in ihren Armen. In ihrer völligen Hilflosigkeit und Verzweiflung entsteht die Bereitschaft, das Kind auszusetzen oder gar zu töten. In dieser Verzweiflung haben früher viele Frauen ihre neugeborenen Kinder vor der Kirchentüre oder der Pforte eines Klosters abgelegt. Heute gibt es dafür die Babyklappen. Die Babyklappe wurde aber nie als eine gute Lösung akzeptiert. Dies schon allein deshalb nicht, weil die Mutter oft völlig allein, ohne Unterstützung einer ausgebildeten Kraft, das Kind zur Welt gebracht hat. Die Skepsis bestand aber auch deshalb, weil die Mutter keine Chance mehr hat, mit dem Kind Kontakt aufzunehmen, und weil das Kind niemals mehr erfahren kann, wer seine Mutter, wer seine Eltern sind. Wegen all dieser Gefahren haben freie und kirchliche Träger und vor allem Krankenhäuser die anonyme Geburt angeboten. Die Frau kann unter ärztlicher Aufsicht und Mitwirkung von Fachkräften ihr Kind zur Welt bringen. Das Kind wird in die Fürsorge und die Vormundschaft des Jugendamtes gestellt werden. Bei der anonymen Geburt ist es der Mutter nach wie vor möglich, Kontakt mit ihrem Kind zu haben. Seit 1999 gibt es im Parlament die Bemühungen, sowohl die Babyklappe als auch die anonyme Geburt gesetzlich zu regeln. Dies ist bislang nicht gelungen. Auch der vorliegende Entwurf bringt keine rechtliche Regelung für die Babyklappe und die anonyme Geburt. Der Entwurf scheut sich auch, beide Möglichkeiten, die Babyklappe und die anonyme Geburt, zu verbieten. Dies, obwohl es Missstände gibt und gute Argumente dafür sprechen, ein Verbot der Babyklappe oder der anonymen Geburt auszusprechen. Der vorliegende Entwurf lässt also diese Frage offen. Er ordnet aber an, dass nach drei Jahren Evaluation vorgenommen wird. Danach ist dann zu entscheiden, ob die beiden Möglichkeiten für die Anonymität der Frau bei einer Geburt erhalten bleiben oder verboten werden müssen. In diesem Entwurf geht es allein darum, die Anonymität der Mutter im Regelwerk einer vertraulichen Geburt zu sichern und zugleich das Interesse des Kindes an der Kenntnis seiner eigenen Identität umzusetzen. Es ist ein Grundrecht des Kindes, seine Herkunft zu erfahren. Aus vielen Studien wissen wir, dass es ganz entscheidend für die Entwicklung der eigenen Identität darauf ankommt, zu wissen, wer Vater und Mutter sind. In dem jetzt vorliegenden Entwurf der vertraulichen Geburt wird der Versuch unternommen, dem Bedürfnis der Mutter, anonym zu bleiben, und zugleich dem Interesse des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung Rechnung zu tragen, einen vernünftigen Ausgleich zu finden. Die Anonymität ist für die betroffene Frau in ihrer Not von allergrößter Bedeutung. Deshalb sieht das Gesetz das Angebot einer anonymen Beratung vor. Anlaufstellen für diese Beratung sind die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen. Durch entsprechende Werbung und durch die Onlinedienste rund um die Uhr ist es der in Not geratenen schwangeren Frau möglich, jederzeit kurzfristig zu einer solchen Beratungsstelle vermittelt zu werden. In der Beratung wird die Frau darauf hingewiesen, welch entschiedenes Grundrecht das Kind auf Kenntnis seiner Herkunft hat und welche Rechte auch dem Vater zustehen. Will die Frau dennoch anonym bleiben, kann sie das Kind mit ärztlicher Betreuung zur Welt bringen. Das Jugendamt nimmt das Kind in Obhut und übernimmt die Vormundschaft. Öffnet sich die Frau aber in der Beratung dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung, dann gelten die im Gesetz dafür vorgesehenen Regelungen. Mit dieser Regelung der sogenannten vertraulichen Geburt ist es nach meiner Auffassung gelungen, das Bedürfnis der Mutter nach Anonymität und das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Das vorgesehene Widerspruchsrecht der Mutter gegen die Einsichtnahme des Kindes in ihre Personalien ist nur unter ganz bestimmten engen Voraussetzungen möglich. Damit wird das Kind in seinem Anspruch, seine eigene Abstammung zu kennen, geschützt. Über die Parteigrenzen hinweg wurde eine gute Lösung gefunden. Ich bitte deshalb um Zustimmung. Caren Marks (SPD): Regierungskoalition wie Bundesregierung regeln in ihrem Gesetzentwurf die Möglichkeit einer vertraulichen Geburt. Dass wir nun endlich ein Gesetz hierzu auf den Weg bringen können, ist unter anderem dem Deutschen Ethikrat zu verdanken, der bereits 2009 in seiner Stellungnahme forderte, eine vertrauliche Kindesabgabe zu ermöglichen. Grundsätzlich ist der Gesetzentwurf, der die Einführung der vertraulichen Geburt in Verbindung mit einem Ausbau des Hilfesystems sowie einer besseren Beratung der Schwangeren und der Möglichkeit der zeitlich befristeten Anonymität der Mutter regelt, zu begrüßen. Es wird ein neues niedrigschwelliges Hilfsangebot für schwangere Frauen in belastenden Konfliktsituationen geschaffen, das dazu beitragen soll, die Gefahren einer unbegleiteten Geburt zu vermeiden und Mutter und Kind besser zu schützen. Der Gesetzentwurf schafft erstmals die legale Möglichkeit, medizinisch betreut zu entbinden und gleichzeitig der Mutter eine über 16 Jahre währende Anonymität gegenüber ihrem sozialen Umfeld und gegenüber ihrem Kind zu gewährleisten. Gleichzeitig – das möchte ich betonen – wird dem Recht des Kindes auf Wissen um seine Herkunft Rechnung getragen. Das Kind bekommt mit der Neuregelung die Möglichkeit, etwas über seine Herkunft zu erfahren. Ab dem 16. Lebensjahr kann das Kind eine nur ihm zugängliche Herkunftsakte einsehen. So weit, so gut. Es ergeben sich jedoch wesentliche Probleme aus der Tatsache, dass der Gesetzentwurf zur vertraulichen Geburt die anonyme Geburt und die anonyme Kindesabgabe in Babyklappen ungeregelt bestehen lässt. Dies kam auch in der kürzlich durchgeführten Anhörung im Ausschuss zum Tragen. Auf die Problematik der anonymen Geburt und der Babyklappen hat der Deutsche Ethikrat bereits in seiner Stellungnahme aus 2009, Bundestagsdrucksache 17/190, deutlich hingewiesen. Die vom Ethikrat aufgeworfenen rechtlichen und ethischen Fragen werden durch den vorliegenden Gesetzentwurf nicht gelöst. Das deutsche Rechtssystem kennt keine Elternlosigkeit. Der Deutsche Ethikrat hat zum Beispiel bezüglich des Familienrechts festgestellt – ich zitiere: „Durch die anonyme Kindesabgabe werden die Rechtsbeziehungen zwischen Eltern und Kind zwar nicht aufgehoben; sie können aber wegen der Anonymität nicht mehr wahrgenommen und durchgesetzt werden. Alle auf der Abstammung beruhenden Familienrechte des Kindes wie sein Recht auf Fürsorge und Erziehung durch die Eltern, auf Unterhalt und sein Erbrecht fallen ins Leere. Dies ist mit dem geltenden System des Familienrechts nicht vereinbar.“ Stellungnahme des Ethikrats, Bundestagsdrucksache 17/190, Seite 12. Die anonyme Kindesabgabe und die anonyme Geburt widersprechen also geltendem Recht. In der Anhörung äußerten Sachverständige erhebliche Bedenken, Babyklappen noch weiter ohne zeitliche Begrenzung zu dulden, und bezeichneten dies als Entwertung des Gesetzentwurfes zur vertraulichen Geburt. Dem kann ich nur zustimmen. Das Recht eines jeden Menschen auf Wissen um seine biologische Herkunft darf nicht missachtet werden. Dieses Recht hat grundgesetzlichen Charakter. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in zwei Leitentscheidungen dargelegt. Auch in Art. 8 der UN-Kinderrechtskonvention ist das Recht des Kindes auf Identität festgehalten. Das Oberlandesgericht Hamm hat in einer Entscheidung Anfang dieses Jahres festgestellt, dass das Recht eines Kindes auf das Wissen um die eigene Abstammung Vorrang vor der Anonymität hat, die in diesem Fall einem Samenspender einst zugesichert worden war. Die Mutter hatte sich vor 22 Jahren anonym befruchten lassen – die Tochter sucht heute nach ihrem Vater. Ich möchte noch auf einen anderen Gesichtspunkt eingehen. Die Studie „Anonyme Geburt und Babyklappen in Deutschland“ des Deutschen Jugendinstitutes, die vom Familienministerium in Auftrag gegeben wurde, führt Folgendes aus: Bei den Anbietern und Trägern von Babyklappen fehlen bei gut einem Fünftel der anonym abgegebenen Kinder Informationen über deren Verbleib. Fakt ist: Mit den Babyklappen bleibt eine rechtliche Grauzone bestehen, die in vielerlei Hinsicht für alle Beteiligten problematisch ist. Es gibt keine Regelungen, weder zum Datenaustausch zwischen Träger und Jugendamt noch zur fachlichen Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Babyklappen noch zu Betriebsgenehmigungen – um nur einige zu nennen. Da der Gesetzentwurf nach drei Jahren evaluiert werden soll und dabei auch seine Auswirkungen auf die anonyme Kindsabgabe, stelle ich die Frage, was in drei Jahren evaluiert werden soll? Das immer wiederkehrende alte Argument, Babyklappen retten Leben, ist entkräftet. Die jährliche Statistik von Terre des Hommes über Zahlen zum Beispiel von getöteten Neugeborenen zeigt, dass hier kein Rückgang festzustellen ist – obwohl die Anzahl der Babyklappen und die Angebote der anonymen Entbindung stetig zugenommen haben. Mütter, die ihr Neugeborenes töten, sind in einer psychischen Ausnahmesituation und handeln oftmals im Affekt. Das legt den Schluss nahe, dass sie gar nicht in der Lage sind, Babyklappen oder Angebote der anonymen Geburt anzunehmen, für deren Inanspruchnahme es einer Planung bedarf. Anders ist es bei denjenigen Frauen, die überlegt das Aussetzen ihres Kindes in einer Babyklappe planen und ausführen. Das heißt: Die Zielgruppe der Frauen, die ein Neugeborenes töten, und die Zielgruppe der Frauen, die eine Babyklappe aufsuchen, sind nicht identisch. Daraus folgt dann: Babyklappen retten kein Leben, denn das Leben dieser dort abgelegten Neugeborenen war nicht bedroht. Im Übrigen: Was wissen wir darüber, wer Neugeborene in Babyklappen ablegt? Sind es wirklich die Mütter, sind sie aus eigenem Antrieb gekommen oder vielleicht gar gezwungenermaßen durch Partner und/oder Familie? Wir wissen es eben nicht, und keine Evaluation wird uns darauf eine Antwort geben können. Im Ergebnis ist die vertrauliche Geburt lediglich ein weiteres Angebot, dessen Inanspruchnahme abzuwarten bleibt. Diese Punkte sollten uns zu denken geben und haben meine Fraktion dazu bewogen, dass wir uns bei der Abstimmung enthalten. Miriam Gruß (FDP): Von Hannah Ahrendt stammt der Satz, dass mit jeder Geburt ein neuer Anfang verbunden ist. Ein Mensch kommt auf die Welt und hat – theoretisch – ein langes, aufregendes und chancenreiches Leben vor sich. Für 27 Neugeborene galt dies im letzten Jahr nicht. 27 Babys wurden 2012 entweder nach der Geburt getötet oder starben, weil sie nicht versorgt wurden. Ihre Mütter – das darf man annehmen – waren in schweren Notlagen und sahen keinen anderen Ausweg, als ihr Kind zu töten oder seinen Tod in Kauf zu nehmen. Mit dem Gesetz zur Regelung der vertraulichen Geburt bieten wir nun einen solchen Ausweg an. Ich bin sehr froh, dass es uns nach langen Verhandlungen gelungen ist, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Schwangeren ein zusätzliches Angebot macht, um ihr Kind im Krankenhaus sicher zur Welt zu bringen und dennoch ihre Anonymität zu wahren, um auch sich selbst zu schützen. Für die Liberalen war es wichtig, den schwierigen Balanceakt zwischen dem Schutzbedürfnis der Mutter und dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft erfolgreich zu bestehen. Nur wenn die Anonymität gewahrt wird, wird das Angebot der vertraulichen Geburt auch auf Akzeptanz stoßen. Deshalb haben wir den Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen eine zentrale Rolle zugewiesen, die durch ihre jahrelange gute Beratungsarbeit gezeigt haben, dass sie das Vertrauen der Schwangeren eher besitzen, weil sie trotz ihrer staatlichen Anerkennung als „staatsfern“ betrachtet werden. Mit dem Änderungsantrag haben wir noch einmal ganz deutlich gemacht, dass eine Frau, die die vertrauliche Geburt ablehnt, natürlich trotzdem die Unterstützung der Beratungsstelle erhält, um nach alternativen Lösungskonzepten zu suchen. Und das kann dann auch die anonyme Geburt sein. Mit dem neuen Satz 2 im § 29 Abs. 2 SchKG wird noch deutlicher, dass keinerlei Druck auf die Schwangere ausgeübt werden darf, das Angebot der vertraulichen Geburt anzunehmen. Ihr Wunsch, anonym zu bleiben, ist ausnahmslos zu befolgen. Das Gesetz sichert der hilfesuchenden Frau die Vertraulichkeit zu, aber es ermöglicht auch den betroffenen Kindern ab dem 16. Lebensjahr, ihre eigene Identität festzustellen. Damit haben wir eine lange Frist durchsetzen können, nach der mit einer hohen Wahrscheinlichkeit die Umstände, die die Mutter bei der Geburt abgehalten haben ihre Identität preiszugeben, vorbei sind. Hat die Mutter trotz dieser langen Frist immer noch Gründe, die einer Kenntnis der Abstammung des Kindes entgegenstehen, kann sie diese einer Beratungsstelle ihrer Wahl vortragen. Sie kann dies unter Pseudonym tun, und sie kann eine Person ihrer Wahl benennen, zu der sie Vertrauen hat und die als Ansprechpartner in einem möglichen familiengerichtlichen Verfahren fungiert. So kann das Familiengericht unter Wahrung der Anonymität entscheiden, ob die Gründe noch bestehen oder ob die Rechte des Kindes höherrangig sind. Wird der Antrag des Kindes zurückgewiesen, kann nach drei Jahren erneut ein Antrag gestellt werden. Der zweite Punkt, der uns als FDP wichtig ist, betrifft die Babyklappen. Wir sind uns der rechtlichen Grauzone der bestehenden Babyklappen durchaus bewusst und nehmen auch den Bericht des Ethikrates sehr ernst. Auch hier galt es, einen Balanceakt zu vollbringen: Die einen wollen Babyklappen verbieten, die anderen sehen in ihnen die letzte Rettung für Kinder, die ansonsten getötet oder ausgesetzt würden. Unser Gesetzentwurf arbeitet nach dem Motto: Die vertrauliche Geburt kann helfen, Babyklappen überflüssig zu machen. Ein Verbot wäre der falsche Weg, denn schon die Rettung eines einzigen Kindes rechtfertigt die Existenz von Babyklappen. Wenn aber Mütter in schweren psychosozialen Notlagen wissen und sicher sein können, dass ihre Situation vertraulich behandelt wird, dann werden sie sich aus Sorge um ihr Kind für eine sichere Geburt im Krankenhaus entscheiden, anstatt ihr Kind irgendwo zur Welt zu bringen und in einer Babyklappe abzulegen. Deshalb noch einmal ganz klar: Für Liberale ist das Problem nicht die Babyklappe, sondern die Geburt unter zum Teil extremen Umständen, die wir vermeiden wollen. Deshalb ergänzen wir das Hilfesystem auch noch durch einen bundesweiten zentralen Notruf, damit Schwangere jederzeit an eine Beratungsstelle vermittelt werden können. Nach drei Jahren – so sieht es das Gesetz vor – wird evaluiert, wie das Angebot der vertraulichen Geburt angenommen wird. Deshalb ist von entscheidender Bedeutung, dass Frauen Kenntnis von dieser Möglichkeit haben, und das sollte nicht nur Aufgabe des Familienministeriums sein, sondern alle Parlamentarier sollten in ihren Wahlkreisen über die Möglichkeit der vertraulichen Geburt informieren und das Infomaterial, das entstehen wird, verbreiten. Viele Abgeordnete haben über die Jahre an einer gesetzlichen Regelung gearbeitet, und ich möchte mich bei allen bedanken, die in früheren Legislaturperioden mit viel Herzblut versucht haben, eine Lösung zustande zu bringen. Wir konnten auf ihrer Arbeit aufbauen. Ich denke, denjenigen geht es wie mir: Heute fällt mir ein großer Stein vom Herzen, dass es uns gelungen ist, endlich eine gute Regelung auf den Weg zu bringen. Der zweite große Stein wird fallen, wenn die Regelung auch im Gesetzblatt steht und ein Angebot absichert, das Leben retten kann und Frauen Schutz bietet. Bis dahin ist noch ein parlamentarischer Weg zu gehen, aber das Ziel ist in greifbarer Nähe. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Schwangerschaft, Babyklappe, anonyme Geburt, vertrauliche Geburt, Adoption – es kann einem fast schwindlig werden, will man die Hilfen – sowohl die alten als auch die, die jetzt neu hinzukommen sollen – für verzweifelte schwangere Frauen verstehen, insbesondere dann, wenn eine schwangere Frau kurz vor der Entbindung steht und sich damit vielleicht schon hoffnungslos überfordert fühlt, wenn sie aus Verzweiflung ihr Kind in fremde Hände geben will, wenn sie aus einer völlig verfahrenen Situation keinen Ausweg sieht. So geht es manchen werdenden Müttern. Lange Zeit wird die Schwangerschaft verdrängt. Ein Kind, das darf einfach nicht sein. Nicht jetzt. Im Grunde ist man starr, alleingelassen, hat keine Ansprechpartner, fühlt sich völlig hilflos. Aber man weiß, das Kind kommt bald zur Welt. Mancher Mutter schießt dann eines in den Sinn: Babyklappen. Darüber gab es mal Berichte im Fernsehen. Eine bekannte Einrichtung. Doch genauso bekannt wie sie sind, so stark werden sie auch kritisiert. Praktisch jeder kann eine solche betreiben. Vorgaben zur Ausstattung gibt es keine; genauso wenig wie eine bundeseinheitliche Verpflichtung, die Kinder den Behörden zu melden. Womit keinesfalls angezweifelt werden soll, wie liebevoll der größte Teil der Babyklappen betrieben wird. Und so manche Mutter hat bestimmt den Gedanken, ihr Baby in einer Babyklappe abzulegen, durchgespielt. Aber was wird dann aus ihrem Kind? Es wird zeitlebens nicht wissen, wo es seine Wurzeln hat, und beschäftigt sich womöglich immer mit der Frage „Warum? Warum wurde ich weggegeben? Warum bin ich es noch nicht einmal wert, einen Namen zu bekommen?“ Eine belastende Vorstellung. Aber noch grausamer wäre der Gedanke, dass ein Kind vielleicht nicht überlebt hätte, gäbe es die Babyklappe nicht. Aber das Kind muss zunächst auf die Welt kommen. Vielleicht zu Hause? Allein? Nicht unbedingt die Vorstellung, welche man von Geburt hat, dann doch lieber in einem Krankenhaus, sich selbst und dem Kind zuliebe. Und die Möglichkeit gibt es, auch auf anonymem Weg. Medizinisch unterstützt und fachlich beraten. Natürlich mit dem gleichen schweren Nachteil für das Kind. Es würde vermutlich ein Leben lang den Gedanken um die eigene Herkunft mit sich tragen. Manchmal gelingt dem beratenden Personal aber eine kleine Sensation: Plötzlich entstehen doch Bindungen zwischen Mutter und Kind, und sie nimmt es doch an. Sie können Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen, die weit über die Geburt hinausreichen. Manchmal gelingt es auch nur, dass die Mütter etwas hinterlegen: Name, Wohnort, medizinische Angaben, einen kleinen Brief. Mit dem Gesetz, welches heute verabschiedet wird, haben werdende Mütter nun auch eine dritte Möglichkeit: die sogenannte vertrauliche Geburt. Sie können als Mutter ihre Daten in einem Umschlag hinterlassen, der für 16 Jahre versiegelt wird. Nach dieser Zeit hat das Kind das Recht, die Daten zu erfahren, die Mutter aufzusuchen und seine Wurzeln kennenzulernen. Mit Einverständnis der Mutter auch schon früher. Mütter würden heute in einer für sie unerträglichen Notsituation ihr Kind weggeben. Aber niemals so ganz. Die vertrauliche Geburt würde Wege zueinander offenhalten. Die meisten werdenden Mütter möchten ihrem Kind gegenüber oftmals nicht völlig anonym bleiben. Sie reagieren mit größtem Verantwortungsgefühl gegenüber ihrem Nachwuchs. Die Schwangerschaft, die Geburt sollen allerdings der Umgebung nicht bekannt werden. Und dafür bietet der Gesetzentwurf Lösungen an. Ich glaube fest, dass der Gesetzentwurf ein Fortschritt ist. Denn so können die Rechte von Mutter und Kind ausbalanciert werden. Aber es bleiben Schwachstellen, die dringend nachgebessert werden müssen: Frauen müssen um das Angebot neben der völlig anonymen Geburt wissen. Sie müssen Vertrauen in diese Form haben. Sie dürfen keine Angst vor Behörden haben. Sie müssen Gewissheit haben, dass ihre persönlichen Daten sicher verwahrt werden. Leider sind die Pläne zur Bekanntmachung nicht ausgereift. Eine Hotline soll eingerichtet werden. Aber mit welchem Personal, mit welcher Finanzausstattung? Und was ist mit den schwangeren Frauen, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Identität nicht preisgeben wollen, insbesondere werdende Mütter, die sich illegal in Deutschland aufhalten? Ihre Entbindungsmöglichkeiten bleiben noch völlig unberücksichtigt. Eins lässt der Gesetzentwurf auch vermissen: ein schlüssiges Konzept aus Beratungsmöglichkeiten, sei es die Schwangerschaftskonfliktberatung, die Erziehungsberatung oder Lebenshilfen. Ebenso hätten in das Gesetz auch Qualitätsstandards für Babyklappen aufgenommen werden können bzw. müssen. Natürlich muss der Ausweitung der Hilfen für schwangere Frauen in Not eine Chance gegeben werden, und niemand kann dagegen sein. Wegen der Punkte, die ich Ihnen gerade genannt habe, werden wir uns jedoch enthalten und an den notwendigen Verbesserungen arbeiten. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich glaube, wir alle sind froh, dass wir heute abschließend den Regierungsvorschlag zur vertraulichen Geburt debattieren. Diesen Versuch einer Regelung eines schwierigen Politikfeldes begrüße ich ausdrücklich. In den letzten Jahren haben wir alle es uns mit der Entscheidung nicht einfach gemacht und haben sehr genau überlegt, wie wir schwangeren Frauen in großer Not helfen können. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung. Für mich persönlich stellt die vertrauliche Geburt ein weiteres Angebot neben anonymer Geburt und Babyklappe dar. Bei dem Vorschlag, über den wir heute abstimmen, werden die Interessen der Mutter wie auch des Kindes berücksichtigt, die Möglichkeiten von Beratung und medizinischer Betreuung ausgeweitet. Das berechtigte Bedürfnis des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft wird anerkannt. Allerdings sind die Details der Regelung aus meiner Sicht unnötig bürokratisch und auch nicht umfassend genug. Die Mutter muss ihre Daten angeben, ihr wird Anonymität nur bis zum 16. Lebensjahr des Kindes zugesichert. Es ist schwer vorstellbar, dass im Zweifelsfall ein Familiengericht darüber entscheidet, ob ihre Anonymität dem Kind gegenüber preisgegeben wird. Das halte ich für schwierig. Die Frauen befinden sich in einer Ausnahmesituation. Sie haben häufig kein Vertrauen zu staatlichen Beratungsstellen, sonst hätten sie diese im Verlauf der Schwangerschaft bereits aufgesucht. Jetzt von ihnen die Angabe ihrer Daten zu fordern – auch wenn diese nur einer Fachstelle gemeldet werden müssen, werden sie dann doch beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben hinterlegt – stellt aus meiner Sicht eine sehr hohe Hürde dar. Studien belegen, dass die Zusicherung absoluter Anonymität für viele Frauen eine Grundvoraussetzung ist, sich überhaupt auf Beratung und Unterstützung einzulassen. In vielen Fällen entscheiden sich die Mütter doch noch für ihr Kind – allerdings nur, wenn ihnen zuvor die Anonymität zugesichert worden ist. Ich hätte mir gewünscht, dass diese bekannte Lage berücksichtigt worden wäre. Und ich denke auch, dass es immer wieder – einige wenige! – Mütter geben wird, die anonym bleiben wollen oder müssen. Ebenfalls bleibt unklar, wie mit den Babyklappen perspektivisch umgegangen werden soll. Wir sind uns fast alle einig, dass die Babyklappen den schlechtesten Weg darstellen. Sie ermöglichen keine medizinische Betreuung von Mutter und Kind, wir wissen nicht, wer die Kinder abgibt, und die Möglichkeit einer Beratung und späteren Kontaktaufnahme ist deutlich eingeschränkt. Dennoch gibt es eine klare Aussage zu den Babyklappen im Entwurf, sie werden praktisch weiterhin geduldet und sollen nach drei Jahren evaluiert werden. Hier wäre eine deutliche Entscheidung aus meiner Sicht besser. Das Angebot Babyklappe ist sicher in allen Fraktionen am umstrittensten. Ich persönlich finde, als Ultima Ratio ist sie nötig, allerdings sollten einheitliche Standards vereinbart werden. Das ist noch sehr unterschiedlich geregelt. Bei den Angeboten in Sachsen zum Beispiel gibt es klare Vorgaben, wie verfahren wird. Das finde ich gut und nötig. In Leipzig und Dresden etwa beruht die Einrichtung der jeweiligen Babyklappe auf einem Stadtratsbeschluss und es gibt eine enge Abstimmung mit dem jeweiligen Jugendamt, ähnlich läuft es in Chemnitz. Allerdings gibt es auch in unserer Fraktionen Abgeordnete, die die Babyklappen so schnell wie möglich abschaffen wollen und sie mit dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft als nicht vereinbar ansehen. Daher können wir dem vorliegenden Entwurf, trotz der deutlichen Verbesserungen, nicht zustimmen, sondern werden uns enthalten. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Keine Rüstungsexporte als Instrument der Außenpolitik – Exportverbot jetzt durchsetzen – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Alle Waffenexporte des Oberndorfer Kleinwaffenherstellers verbieten – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Lieferung von U-Booten an Israel stoppen – Antrag: Markierung deutscher Klein- und Leichtwaffen – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Export von Überwachungs- und Zensurtechnologie an autoritäre Staaten verhindern – Demokratische Proteste unterstützen (Tagesordnungspunkt 15 a bis d und Zusatztagesordnungspunkt 9) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Wir debattieren über Punkte einer verbundenen Tagesordnung, die sich mit verschiedenen Anträgen von Oppositionsfraktionen zu Fragen der Rüstungsexportpolitik beschäftigen. Über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10842 bzw. 17/12654 zu einem generellen Exportverbot, den Antrag der gleichen Fraktion auf Drucksache 17/4677 und 17/4900 zu Kleinwaffenexporten sowie zu U-Bootlieferungen an Israel – Drucksachen 17/9783, 17/10150 – haben wir an anderem Ort bereits mehrfach diskutiert. Deshalb möchte ich mich heute hauptsächlich mit dem Antrag der Fraktion der SPD beschäftigen, der uns als Drucksache 17/11875 vorliegt und den Titel trägt: „Markierung deutscher Klein- und Leichtwaffen“. Ich gehe davon aus, dass wir uns in der Beurteilung einig sind, dass Kleinwaffen aufgrund ihrer langen Lebensdauer, ihrer relativ einfachen Handhabung und wegen international operierender illegaler Waffenvermittler zu den gefährlichsten Waffen unserer Zeit gehören. Auch bei genehmigten Exporten war das Risiko, dass sie auf grauen oder schwarzen Märkten auftauchen, in der Vergangenheit offensichtlich nicht ganz auszuschließen. Die Verbreitung illegaler Kleinwaffen behindert die wirtschaftliche und soziale Entwicklung und trägt maßgeblich zur gewaltsamen Eskalation von Konflikten bei. Sie hemmt Investitionen und verbraucht Ressourcen für private Sicherheitsvorkehrungen, ganz zu schweigen von den unmittelbaren Folgen für die von Konflikten Betroffenen. Die Liste der schwerwiegenden Folgen könnte man noch weiterführen. An dieser Stelle gilt es, konstruktiv über realistische Kontrollmöglichkeiten zu diskutieren. Schon jetzt flankiert Kleinwaffenkontrolle die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Das Ziel, überschüssige Kleinwaffen zu zerstören, um ihren Weiterverkauf oder illegalen Transfer zu verhindern, eint uns, wie ich meine, fraktionsübergreifend. Vor diesem Hintergrund genehmigt die Bundesregierung grundsätzlich keine Exporte von Herstellungsausrüstung und Technologie im Zusammenhang mit der Eröffnung neuer Herstellungslinien für militärische Kleinwaffen und leichte Waffen, kurz: Kleinwaffen, und deren Munition in Drittländer, also in Nicht-EU-, Nicht-NATO- oder gleichgestellte Staaten. Zudem wendet die Bundesregierung im Rahmen ihrer restriktiven Rüstungsexportkontrollpolitik bei Ausfuhren von Kleinwaffen in Drittländer den Exportgrundsatz „Neu für Alt“ an, wo immer dies möglich ist. Danach werden kleinwaffenexportierende Firmen aufgefordert, ihre Lieferverträge so auszugestalten, dass die staatlichen Empfänger die Kleinwaffen, die aufgrund der Neulieferung ausgesondert werden, nicht weiterverkaufen, sondern vernichten. Darüber hinaus soll der Exporteur die staatlichen Empfänger nach Möglichkeit darauf verpflichten, im Fall einer späteren Außerdienststellung der neu gelieferten Waffen diese zu vernichten. Die Vernichtung von im Bestimmungsland vorhandenen Altbeständen von noch funktionsfähigen Waffen wird bei der Genehmigung oder Ablehnung von Exportanträgen für vergleichbare Ware berücksichtigt. Der vorliegende Antrag der SPD enthält hehre Ziele, an deren Verwirklichung unsere Bundesregierung schon lange mit viel Einsatz arbeitet. Hier müssen wir uns, ob wir es wollen oder nicht, im Bereich des Möglichen bewegen. Wie immer in diesem komplizierten Feld unterschiedlicher Politikbereiche hilft deklamatorischer Aufwand genau so wenig wie immer wiederkehrende moralische Appelle. In diesem Fall kommt auch noch dazu, dass man sich bei einem so wichtigen Antrag schon bemühen sollte, zunächst den Sachverhalt genau zu klären. So müsste die SPD-Fraktion natürlich wissen, dass einiges, was sie offensichtlich aus einer Fernsehsendung in den Text übernommen hat, gar nicht der Praxis der Exportkontrolle der Bundesrepublik Deutschland entspricht und dass entsprechende Vorwürfe deshalb auch nicht angebracht sind. Ich beglückwünsche unseren Außenminister Westerwelle und danke ihm sehr für sein unermüdliches Engagement, das zu einem erfolgreichen Abschluss des Vertrags über die Regulierung von Waffenhandel, ATT, am 3. Juni 2013 beitragen konnte. Erstmals haben wir damit international verbindliche Regeln und gemeinsame Mindeststandards für den Export von Rüstungsgütern erreicht, unabhängig davon, ob Ausführer oder Endverwender staatliche oder andere Stellen sind. Der vorliegende Vertragstext schließt Kleinwaffen und leichte Waffen ausdrücklich mit ein. Er enthält insbesondere umfangreiche Regeln zur Verhinderung der Umleitung von Waffen. Die Verhinderung von Umleitungsgefahren war für eine Reihe von Staaten im Verhandlungsprozess zum ATT ein besonders wichtiges Anliegen. Ihr wurde ein eigener Art. 11 im Vertragstext gewidmet, der sämtliche an einer Transferkette beteiligte Vertragsparteien, also vom Exportstaat über die Transit- bzw. Umschlagstaaten bis hin zum Importstaat, verpflichtet, Maßnahmen zur Vermeidung der Umleitung zu ergreifen. Dieser Vertrag wird nicht nur seitens der Politik, sondern ausdrücklich auch von anerkannten Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International und Oxfam als „Meilenstein“ und „historischer Moment“ in der Geschichte der internationalen Rüstungsexportkon-trolle gelobt. Der Vertrag steht am Ende eines fast siebenjährigen Verhandlungsprozesses, und doch bedeutet er auch einen Anfang. Natürlich möchte unsere Bundesregierung noch mehr erreichen. Der illegale Handel mit Waffen aller Art muss von dieser Welt verschwinden! Natürlich ist dieser Vertrag im Ergebnis ein Kompromiss. Er markiert den ersten Schritt auf dem Weg zu einer umfassenden internationalen Abrüstung, Nichtverbreitung und Rüstungskontrolle. Dieser Erfolg kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutschen Regeln in fast allen Teilen über das jetzt vereinbarte internationale Regelungsniveau hinausgehen. Es ist aber auf jeden Fall ein Fortschritt, der auf Dauer seine positiven Wirkungen haben wird. Was mich an dem vorliegenden Antrag der SPD ärgert, ist, dass man versucht, der Öffentlichkeit weiszumachen, das Thema „internationale Abrüstung“ sei eine Hauptauseinandersetzung zwischen Opposition und Regierung. Das entspricht einfach nicht den Tatsachen. Der SPD-Fraktion sollte aus langjähriger Regierungserfahrung klar sein, dass internationale Vertragsverhandlungen immer das Bohren dicker Bretter bedeuten. Die Bundesregierung hat sich im Zuge der Verhandlungen für noch stärkere und robustere Regeln für die Kontrolle und Begrenzung des Waffenhandels eingesetzt. Dies ist jedoch am Widerstand einiger Länder gescheitert. Daran hätte auch eine rote Bundesregierung nichts ändern können. Auch ihre Forderungen nach deutschem Engagement auf internationaler Ebene für eine vollständige Implementierung des VN-Kleinwaffenaktionsprogrammes laufen ins Leere: Die Bundesregierung setzt das VN-Kleinwaffenaktionsprogramm in ihrem Bereich vollständig um. Sie übermittelt alle zwei Jahre fristgerecht den Bericht hierzu an die Vereinten Nationen. Der Bericht ist einsehbar auf der von den Vereinten Nationen für das Kleinwaffenaktionsprogramm eingerichteten Webseite www.poa-iss.org. Die Bundesregierung genießt in der Kleinwaffenkontrolle international zu Recht ein großes Ansehen. Als Mitbegründer und Kovorsitzender der einschlägigen Arbeitsgruppe „Gruppe interessierter Staaten für praktische Abrüstungsmaßnahmen“ setzt sich Deutschland für den Austausch von Erfahrungen für Projekte und Konzepte der Kleinwaffenkontrolle weltweit ein. Zudem ist Deutschland Autor der entsprechenden alle zwei Jahre im Konsens in der Generalversammlung verabschiedeten Resolution zu praktischen Abrüstungsmaßnahmen. Die Bundesregierung finanziert jedes Jahr eine Reihe von Projekten der Kleinwaffenkontrolle, hauptsächlich in Post-Konflikt-Gebieten wie derzeit in Libyen, im Südsudan und in Côte d’Ivoire. Davon konnte ich mich bezogen auf Libyen letzten Winter persönlich überzeugen. Deutschland unterstützt auch die Vereinten Nationen bei der Umsetzung des Kleinwaffenaktionsprogramms. So hat sie den Aufbau der oben genannten Webseite gefördert. Weiterhin finanziert sie gegenwärtig die Schaffung eines Softwareinstruments zur Anwendung der kürzlich fertiggestellten Internationalen Standards der Kleinwaffenkontrolle ISACS, International Small Arms Control Standards. Zu meinem Bedauern sind Munition und deren Markierung nicht Bestandteil des Kleinwaffenaktionsprogramms. Aber auch hier wissen wir alle, dass der Grund dafür der entschiedene Widerstand anderer Staaten, unter anderem der USA, ist. Unser bestehender Rechtsrahmen verlangt von einigen Partnerstaaten, noch viel höhere Hürden zu überspringen, als sie es bisher bereit waren. Dem folgt die sehr unterschiedliche Ausstattungs- und die Rüstungswirtschaftspolitik, die ein Zusammenkommen nicht so einfach macht. Wir werden unseren Ansatz und unsere Sicherheitskultur keinem Staat aufzwingen können. Das gilt für die Rüstungsexportpolitik im Allgemeinen wie im Speziellen. Dennoch setzt sich unsere Bundesregierung für eine angemessene Behandlung der Munitionsproblematik ein. Gemeinsam mit Frankreich wurden seit 2005 Resolutionen zur Frage des Umgangs mit Munitionsbeständen in der VN-Generalversammlung eingebracht. Auf dieser Grundlage erarbeitete eine VN-Expertengruppe Empfehlungen zum Umgang mit konventionellen Munitionsüberschüssen, die den Mitgliedstaaten zur Umsetzung empfohlen wurden. In dieser Resolution wurde auch zur Erarbeitung von technischen Leitlinien zur Umsetzung dieser Empfehlungen aufgerufen. Diese IATGs, International Ammunition Technical Guidelines, wurden inzwischen von einer Expertengruppe unter deutscher Beteiligung fertiggestellt. Sie geben Staaten ein umfassendes Kompendium zum Umgang mit Munition und Explosivstoffen an die Hand, das diese auf freiwilliger Basis nutzen können. Die IATGs wurden der Öffentlichkeit im letzten Herbst vorgestellt. Die Anforderungen des „Internationalen Rechtsin-struments zur Ermöglichung der rechtzeitigen und zu-verlässigen Identifikation und Rückverfolgung illegaler Kleinwaffen und leichter Waffen durch die Staaten“ vom 8. Dezember 2005 werden durch die derzeitige Gesetzeslage erfüllt. Nach § 13 der 2. Durchführungsverordnung zum Kriegswaffenkontrollgesetz ist die Kennzeichnung an sichtbarer Stelle anzubringen und muss dauerhaft sein. Der geltende Rechtsrahmen ist vielleicht noch nicht ideal. Wir können aber nicht so tun, als könnten wir völlig unabhängig von außen- und sicherheitspolitischen Erwägungen ein neues Rüstungsexportkonzept entwickeln. Daher lehne ich die vorliegenden Anträge ab. Dass wir innerhalb Deutschlands eine sachliche Debatte brauchen, die sich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzt, wie wir die Zukunft von deutschen Rüstungsexporten gemeinsam gestalten können, steht auf einem anderen Blatt. Diese Fragen müssen aber vor dem Hintergrund von sicherheits- und außenpolitischen Debatten beantwortet werden. In diesem Zusammenhang müssen wir über die Zukunft der Bundeswehr sprechen, die weitgehende Veränderungen zu bewerkstelligen hat, und darüber, was das für ihre Ausstattung bedeutet. Wir müssen auch über die Veränderung der NATO reden, die ebenfalls Konsequenzen zu erwarten hat. Das kann ich nicht oft genug betonen. Ich ermuntere Sie erneut, die Debatte fortzuführen, und zwar in einer Art und Weise, dass man einander zuhört, aufeinander zugeht und die grundsätzlichen Erfordernisse, mit denen wir als großes Land in der Mitte Europas, als wichtiger Bündnispartner und als eine führende Nation in der Europäischen Union konfrontiert sind, nicht aus den Augen verliert. Klaus Barthel (SPD): Laut Auswärtigem Amt sind über 875 Millionen Kleinwaffen mit einer durchschnittlichen Verwendungsdauer von 30 bis 50 Jahren weltweit im Umlauf (Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/ Aussenpolitik/Friedenspolitik/Abruestung/MinenKlein waffen/KleinLeichtWaffen_node.html). Jede dieser Waffen wurde produziert, von einem Händler an einen Interessenten verkauft und dann an einen Käufer geliefert. Des Öfteren soll es vorkommen, dass die Waffen nicht am ursprünglichen Bestimmungsort bleiben, sondern weiterverkauft werden. So genau scheint das niemand zu wissen. Oder wissen zu wollen. Die bisherige Markierung für Leicht- und Kleinwaffen ist leicht zu entfernen, sodass die illegale Proliferation nicht mehr nachvollziehbar ist. So können Kleinwaffen aus deutscher Produktion, deren Lieferung in einen Staat A durch den Bundessicherheitsrat genehmigt worden ist, über die nächste Grenze wandern und dort im Staat B eingesetzt werden. Absurd an dem Prozedere des Verkaufs von Klein- und Leichtwaffen und der Lieferung in das Empfängerland ist die Tatsache, dass die beziehenden Staaten oder Unternehmen schriftlich einen Endverbleib garantieren müssen, dass aber dieses Schriftstück nach Abschluss des Geschäftes oft nicht einmal das Papier wert ist. Zwar verpflichten sich die Empfänger, die Klein- und Leichtwaffen im Zielland zu behalten, jedoch sind diese durch ihre Größe und ihr Gewicht leicht zu transportieren und damit auch leicht zu schmuggeln. Das sind in der Tat Massenvernichtungswaffen der Gegenwart. Im Jahr 2011 wurden deutsche Sturmgewehre von Heckler & Koch in Libyen gefunden. Auffallend war, dass Libyen keine offiziellen Lieferbeziehungen für Waffen aus Deutschland unterhielt. Demnach mussten die Gewehre in ein anderes Land exportiert worden sein und wurden danach weiterverkauft. Man kann nur noch sehr schwer, wenn überhaupt, überprüfen, aus welchem Land die Waffen stammten. Es fehlten die Seriennummern. Sie wurden herausgefräst. Die weitere Nachverfolgung scheint kaum noch möglich. Aufgedeckt wurde der Fehler im Exportkontrollsystem in diesem Fall durch das ARD-Magazin Kontraste (Sendung vom 19. Juli 2012) . Ein weiteres Beispiel: Die Bundesregierung konnte auf meine schriftlichen Fragen hin nicht klären, ob, wie viele und auf welchen Wegen deutsche Waffen im Bürgerkrieg in Mali aufgetaucht sind. Auch hat sie sich geweigert, dieser Frage überhaupt nachzugehen. Somit kann es sogar als wahrscheinlich gelten, dass Gewehre aus deutscher Produktion oder Lizenzproduktion gegen die von der Bundesregierung politisch unterstützte französische Armee in Mali gerichtet werden (siehe Antwort auf die schriftliche Frage vom Januar 2013) . In unserem Antrag „Markierung deutscher Klein- und Leichtwaffen“ fordern wir das Schließen dieser technischen Lücke, um den möglichen Schmuggel zu unterbinden oder im Nachhinein Sanktionen gegen Erstempfängerländer auszusprechen, die zu wenig Wert auf Kontrolle gelegt haben. Generell muss das Problem des Endverbleibs und dessen Kontrolle neu angegangen werden. Der Endverbleib muss regelmäßig überprüft werden. Dies haben wir bereits in unserem Antrag „Frühzeitige Veröffentlichung der Rüstungsexportberichte sicherstellen – Parlamentsrechte über Rüstungsexporte einführen“ im März 2012 gefordert. Ebenfalls haben wir damals gefordert, dass ein parlamentarisches Kontrollgremium geschaffen werden soll, das über wichtige oder brisante Rüstungsexportentscheidungen informiert wird. Wie schon bei der Mietpreisbremse, so kann man auch jetzt feststellen, wie die Koalition gute Ideen der SPD verbal übernimmt. Außenminister „Westerwelle schwebe vor, ein besonderes Vertrauensgremium des Bundestags über wichtige Exportbeschlüsse des vertraulich tagenden Bundessicherheitsrats regelmäßig in Kenntnis zu setzen“ (aus: Frankfurter Rundschau, 28. Mai 2013: „Deutsche Waffen sind Exportschlager“). Auch Frau Merkel kann sich auf einmal vorstellen, das Parlament häufiger als nur einmal jährlich zu informieren (aus: Der Spiegel, 3. Juni 2013: „Wir sitzen in einem Boot“). Schwarz-Gelb übt sich einmal mehr im Anscheinerwecken: Alle Initiativen aus den Reihen der Opposition, bei Eindämmung und Transparenz bei Rüstungsexporten voranzukommen, wurden bisher abgelehnt. Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung haben es nicht einmal für nötig befunden, sich dazu überhaupt zu äußern. Alle Anfragen sollten ins Leere laufen. Die Vierjahresbilanz der Fakten spricht eine klare Sprache: Erstens gibt es einen Paradigmenwechsel weg von einer zurückhaltenden Rüstungsexportpolitik hin zur Ausweitung ohne erkennbare Grenzen, weg von sicherheitspolitischen und menschenrechtlichen Zweifeln: Panzer, Gewehre, Dual-Use-Güter – alles muss raus. Zweitens kann man feststellen, dass sich hinsichtlich der parlamentarischen Kontrolle nichts getan hat. Ganz im Gegenteil: Die Rüstungsexportberichte der letzten Jahre kamen derartig spät, dass die darin enthaltenen Informationen keine aktuelle Rolle mehr gespielt haben. Es ist völlig grotesk, dass dem Parlament unter Hinweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Informationen verweigert werden, während gleichzeitig die angeblich zu schützenden Betriebe mit ihren genehmigten Lieferungen Reklame für weitere Verkäufe machen. Drittens hat es die schwarz-gelbe Koalition durch ihr Verständnis von Rüstungsexportpolitik geschafft, ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen sich zu formieren. Wissenschaftler, Bürgerinitiativen und Nichtregierungsorganisationen werben Hand in Hand mit der Opposition auch in diesem Bereich für einen Politikwechsel. Die letzten Jahre haben uns aber gelehrt: Den wird es nur mit einem Regierungswechsel geben. Einen klaren Wechsel hin zu einer restriktiven Anwendung der Rüstungsexporte wird es unter Rot-Grün auch beim Export von Spionagesoftware geben. Der Antrag der Fraktion der Grünen, der das Problem der unzureichenden Kontrolle von Überwachungssoftware aufgreift, wird in Teilen der Koalition – nachzulesen in der zu Protokoll gegebenen Rede vom 16. Mai 2013 – gleichzeitig als gelöstes und weiter existierendes Problem gesehen, jedenfalls nicht als eines, das sie jetzt bearbeiten will. Richtig ist, dass die Bundesregierung hierbei bewusst wegsieht und keine Kontrollmechanismen für Spionagesoftware besitzt oder entwickelt. So sieht keine verantwortungsbewusste Rüstungsexportpolitik aus. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Wie schon in meinen vorherigen Ausführungen am 16. Mai 2013 zu diesem Antrag stelle ich nochmals fest: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen möchte ihrem allseits bekannten Hobby frönen: der Schaffung neuer Restriktionen für deutsche und europäische Exportgüter. Das hehre Ziel, die demokratischen Prozesse in Krisenregionen zu unterstützen, verfehlt dieser Antrag komplett. So ist einer der Hauptangriffspunkte dieses Antrages, dass die Bundesregierung auf den Stand internationaler Verhandlungen verweise und nicht proaktiv genug handele. Nationale Alleingänge sind bei diesem Thema wieder fehl am Platz. Wir stehen zu unseren internationalen Verpflichtungen und Verträgen, wir stehen zu unseren Verbündeten und befreundeten Nationen in Europa und in der Welt. Die Bundesregierung hat sich aktiv für die Kontrolle von Überwachungstechnik in den Sanktionen gegen Iran und Syrien eingesetzt. Mit diesen Sanktionen ist es uns gelungen, den Export von Ausrüstung, Technologie und Software zur Überwachung des Internets und des Telefonverkehrs nach Syrien und Iran ohne vorherige Genehmigung mit Inkrafttreten der Syrien-Embargo-Verordnung (EU) Nr. 36/2012 am 19. Januar 2012 und der Iran-Embargo-Verordnung (EU) Nr. 264/2012 am 24. März 2012 zu verbieten. Die bestehenden Regelungen der Ausfuhrliste zu Rüstungsgütern oder Dual-Use-Gütern aus Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 428/2009 (Dual-Use-Verordnung) werden strikt angewendet. Auch bei der Einzelfallprüfung gilt der gemeinsame Standpunkt 2008/944/GASP des Rates der Europäischen Union und wird auch für den Export von Dual-Use-Gütern angewendet. Ausfuhrgenehmigungen werden beim hinreichenden Verdacht des Missbrauchs zur inneren Repression oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen grundsätzlich nicht erteilt. Ein Export ohne vorherige Genehmigung ist streng verboten. Die Bundesregierung wirkt erfolgreich auf multilateraler Ebene an den relevanten internationalen Verhandlungen mit und stimmt sich regelmäßig und sehr erfolgreich mit den internationalen Partnern über weitere Möglichkeiten der Exportkontrolle von Überwachungstechnik ab. Eine Ausweitung der Kontrollen des Wassenaar-Arrangements in dem von den Grünen geforderten Rahmen hätte dagegen internationale Kontrollen unbekannten und unpraktikablen Ausmaßes zur Folge. Ein weiterer unbegründeter Vorwurf der Grünen ist, dass der damalige Bundeswirtschaftsminister Brüderle 2011 Verschärfungen der Kontrolle von Dual-Use-Gütern verhindert habe. Dabei ging es damals weder um die Ausweitung von Exportkontrollen noch um Überwachungstechnologie. Richtig ist vielmehr, dass das Europäische Parlament damals Verfahrenserleichterungen für die Ausfuhr bestimmter genehmigungspflichtiger Güter für unkritische Zwecke an einen begrenzten Länderkreis verabschiedet hat. Die dort verabschiedeten EU-Allgemeingenehmigungen betreffen indes keine Güter der Überwachungstechnik. Auch in der Stellungnahme zu dem entsprechenden Grünbuch der EU-Kommission im Oktober 2011 hat die Bundesregierung das Bestreben der Europäischen Kommission begrüßt, die Effizienz und Wirksamkeit des europäischen Ausfuhrkontrollsystems für Dual-Use-Güter zu optimieren. Denn wir unterstützen grundsätzlich weitergehende Harmonisierungsbestrebungen. Natürlich unterliegen die Exportkreditgarantien des Bundes wie auch die anderen staatlichen Kreditversicherungen der OECD-Länder umfangreichen internationalen Regeln wie dem OECD-Konsensus und den Leitlinien zum Umgang mit Umwelt- und Sozialaspekten. Diese sind bei der Vergabe zu berücksichtigen. Wir lehnen daher den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab. Jan van Aken (DIE LINKE): Es ist kein Zufall, dass Deutschland der weltweit drittgrößte Exporteur von Rüstungsexporten ist. Alle Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte haben hemmungslos und ganz bewusst Waffen und andere Rüstungsgüter in alle Welt exportiert. Sie alle hier haben zu diesem traurigen Spitzenplatz beigetragen. Mit dem Export deutscher Rüstungsgüter wurde seit der Wiederbewaffnung Deutschlands Außenpolitik gemacht. Angefangen im Kalten Krieg werden bis heute strategische Partner mit Waffen aufgerüstet: die Türkei, Iran und Pakistan als Frontstaaten im Kalten Krieg, Israel im Rahmen der Wiedergutmachungspolitik, die Mubarak-Diktatur als Stabilitätsanker in Nordafrika, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Tatsache, dass Kanzlerin Merkel diese Politik der Aufrüstung ganz unverhohlen vertritt, ändert nichts daran, dass auch ihre Vorgänger genauso gehandelt und Rüstungsgüter in Massen exportiert haben. Ein Blick in die Rüstungsexportberichte belegt das. Die erste rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer hat pro Jahr Rüstungsexportgenehmigungen von durchschnittlich 5,4 Milliarden Euro erteilt. In ihrer zweiten Regierungszeit von 2003 bis 2005 hat dieselbe Regierung diesen Wert auf 6,2 Milliarden Euro pro Jahr gesteigert. Die darauf folgende Große Koalition von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier legte noch mal drauf, 7,9 Milliarden pro Jahr. Und Schwarz-Gelb liegt jetzt bei durchschnittlich 8,1 Milliarden Euro. Rüstungsexporte sollten kein Instrument der deutschen Außenpolitik sein, aus vielen Gründen: Weil der Verbleib der Waffen gar nicht kontrolliert werden kann. Weil Regime sich ändern und plötzlich auf der anderen Seite der Barrikade stehen. Weil sie zur Militarisierung und Destabilisierung von Gesellschaften führen. Weil sie zum weltweiten Wettrüsten beitragen. Weil sie die nachhaltige Entwicklung in den Empfängerländern unterlaufen können. Und weil sie Konflikte nicht dauerhaft lösen, sondern sie eher verlängern und eskalieren. Auch SPD und Grüne sollten, bevor sie jetzt mit dem Finger auf andere zeigen, ihre eigene Regierungszeit selbstkritisch unter die Lupe nehmen. Und sie sollten endlich die Konsequenzen ziehen und dieser Politik ein Ende machen, anstatt nur lautstark Opposition zu spielen. Zugegeben, die Grünen zeigen sich immerhin selbstkritisch, was ihre eigene Regierungszeit betrifft. Sie wollen nun, dass keine Waffenfabriken mehr an Länder außerhalb der NATO/EU exportiert werden. Das ist gut; das ist ein Anfang. Aber es ist mir völlig unverständlich, warum Sie nach wie vor entschieden gegen ein Exportverbot für Kleinwaffen sind, obwohl damit weltweit die meisten Menschen getötet werden. Nun fordern die Grünen in ihrem Wahlprogramm ein Rüstungsexportgesetz, durch das die jetzigen unverbindlichen „Politischen Grundsätze“ in Gesetzesform gefasst werden sollen. Sie behaupten, dass damit Rüstungsexporte beschränkt werden könnten. Aber solange diese Grundsätze explizit das Abwägen von Interessen erlauben, solange Kriterien wie das der Einhaltung von Menschenrechten butterweich formuliert sind, ist gar nichts gewonnen und kein Rüstungsexport verhindert. Die Entscheidung der Bundesregierung etwa, Kampfpanzer nach Saudi-Arabien zu liefern, steht nämlich im Einklang mit den Politischen Grundsätzen – weil die Bundesregierung abwägen und zugunsten außenpolitischer Interessen entscheiden kann, trotz der massiven Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien. Und das würde auch ein Gesetz auf Basis der Politischen Grundsätze nicht ändern. Nun zur SPD. Als Sie noch mitregiert haben, hatten Sie keine Probleme mit dem hemmungslosen Waffenexport. Und bis heute sperren Sie sich dagegen, wenigstens einzelne Rüstungsexporte zu verbieten. Nicht einmal den Verkauf ganzer Waffenfabriken möchte sie verbieten. Gar nix. Im Jahre 2012 hat die SPD im Bundestag einen Antrag zu Waffenexporten vorgelegt, in dem sie eigentlich nur fordert, dass alles bleiben soll, wie es ist – von ein paar minimalen kosmetischen Korrektürchen abgesehen. Nur an einem Punkt möchte die SPD Veränderung: Sie fordert mehr Transparenz, das heißt einen zeitnahen Rüstungsexportbericht. Das ist gut, aber das reicht nicht. Denn mehr Transparenz wird keinen einzigen Rüstungsexport verhindern. Rüstungsexporte dürfen kein Instrument der deutschen Außenpolitik sein. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Nur ein Verbot von Waffenexporten ohne Ausnahmen wäre ein wirklicher Beitrag zu einer friedfertigen deutschen Außenpolitik. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Nachrichten der letzten Woche haben wieder klargemacht, wie wichtig es ist, dass der Deutsche Bundestag endlich sein Recht auf parlamentarische Kontrolle im Bereich der Rüstungsexportpolitik einfordert. Erst auf einzelne parlamentarische Anfragen kommt immer Neues ans Licht, wie der Rekord bei der Ausfuhr von Kleinwaffen oder der Verkauf gebrauchter Panzer an Indonesien gezeigt haben. Zuletzt haben wir so erfahren, dass die Bundesregierung dafür sorgt, dass das ägyptische Militär ausreichend Ersatzteile für seine Radpanzer erhält, anstatt die Zivilbevölkerung im Transformationsprozess in Ägypten zu unterstützen. Wir Grünen haben im letzten Jahr konkrete Vorschläge gemacht, wie der Bundestag künftig systematisch und zeitnah über beabsichtigte Genehmigungen informiert und im Entscheidungsprozess beteiligt werden sollte. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich für diese Vorschläge werben, und zwar fraktionsübergreifend; denn parlamentarische Kontrolle ist unser aller Aufgabe. Heute stehen unter anderem drei Anträge der Linken zur Entscheidung an, denen wir Grünen am Ende allen nicht zustimmen können, obwohl dort teilweise Richtiges drinsteht. Auch wir sind der Auffassung, dass Rüstungsexporte nicht Mittel der Außenpolitik sein dürfen. Die Kanzlerin macht einen strategischen Fehler, wenn sie glaubt, Staaten durch deutsche Waffen befähigen zu müssen, sich international zu engagieren. Selbst Länder, denen der Menschenrechtsbericht der Bundesregierung schwere Menschenrechtsverletzungen attestiert, werden von derselben Regierung zu strategischen Partnern erklärt, und das, obwohl sie in Konfliktregionen liegen, zum Teil sogar Konfliktparteien sind. Leider fordert die Linke in allen Anträgen immer wieder ein Totalverbot von Rüstungsexporten, ohne zwischen EU-Mitgliedstaaten, Bündnispartnern und Drittstaaten zu unterscheiden. Meine Fraktion ist dagegen der festen Auffassung, dass Abrüstung in Europa nur durch mehr und nicht durch weniger Kooperation möglich ist. Wir sehen es daher auch nicht für sinnvoll an, innerhalb von Europa zu nationalen Rüstungsmärkten zurückzukehren, indem wir jeden Handel verbieten. Die Forderung nach einer Aussetzung aller Genehmigungsanträge der Firma Heckler & Koch ist völlig berechtigt. Wir haben alle die Meldungen gelesen, dass Mitarbeiter des Unternehmens den illegalen Verkauf von Sturmgewehren zugegeben haben. Im „Schwarzbuch Waffenhandel“ packt ein Mitarbeiter aus, dass Heckler & Koch sogar Waffenschulungen in den Regionen durchgeführt hat, in die der Waffenexport offiziell untersagt war. Und wenn sich jetzt auch noch bewahrheiten sollte, dass Heckler & Koch Geld gezahlt hat, damit die Bundeswehr mangelhafte Waffen anschafft, dann weiß ich nicht, auf was die Exekutive noch wartet, um dem Unternehmen endgültig die Zuverlässigkeit für den internationalen Waffenhandel abzusprechen. Leider verzichtet die Linke auch hier wieder nicht auf ihre Forderung nach einem generellen Verbot jeglichen Handels mit Rüstungsgütern und sorgt dafür, dass auch dieser Antrag ohne grüne Zustimmung auskommen muss. Gleiches gilt für den Antrag, die U-Boot-Lieferungen an Israel zu beenden. Wir unterstützen die Forderung nach einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten und hoffen, dass die lange geplante Konferenz dieses Jahr endlich zustande kommt. Die Genehmigung und Lieferung von nuklearen Trägersystemen steht diesem Prozess entgegen und sollte daher unterbleiben. Die Rückabwicklung von bereits geschlossenen Verträgen dürfte allerdings schwierig werden. Hier werden wir uns enthalten. Der SPD-Forderung nach einer unauslöschlichen Markierung von Waffen, ihren Bestandteilen und der Munition stimmen wir zu; denn wir brauchen dringend eine bessere Endverbleibskontrolle, besonders bei Kleinwaffen. Die Markierung ist nur ein Schritt auf dem Weg zu einer wirkungsvolleren Endverbleibskontrolle, aber ein sehr wichtiger. Bei allen Debatten über Rüstungsgüter dürfen wir nicht vergessen, dass es auch Güter gibt, die nicht zu militärischen Zwecken hergestellt oder verwendet werden, die aber trotzdem in erheblichem Maße zu einer Gefährdung von Frieden und Menschenrechten beitragen. Überwachungssoftware ist derzeit nirgends gelistet und kann ungehindert ohne Genehmigung exportiert werden. Im arabischen Frühling haben wir gesehen, wie wichtig die Information und die Kommunikation über das Internet gerade für diejenigen war, die sich für mehr Demokratie und Menschenrechte in ihren Heimatländern eingesetzt haben. Und wir haben gesehen, wie beispielsweise gerade in Syrien das Regime Überwachungssoftware auch deutschen Ursprungs eingesetzt hat, um diese Bewegung zu unterdrücken und zu verfolgen. Wir fordern mit unserem heutigen Antrag daher, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene für eine Regulierung zu sorgen und künftig keine undemokratischen Regime mehr mit solchen Softwareprodukten zu beliefern. Auch wenn es sich nicht um klassische Dual-Use-Güter handelt, sollten wir darüber nachdenken, eine entsprechende europäische Regelung auf den Weg zu bringen. Wenn es möglich ist, EU-Embargos in Bezug auf solche Überwachungssoftware zu erlassen, sollte es auch möglich sein, eine allgemeine und dauerhafte Regelung durchzusetzen. Stimmen Sie deswegen jetzt für diesen überfälligen Antrag! Die Demokratiebewegungen in aller Welt haben es verdient. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 16) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Mit der laufenden Strukturreform passen wir die Bundeswehr grundlegend den Realitäten und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts an. Mit der Ausrichtung auf die wahrscheinlichsten Einsatzarten im Rahmen von UNO, NATO und EU bei gleichzeitiger Beibehaltung unseres Beitrages als großer zentraleuropäischer Partner bei der Landesverteidigung im Bündnis geht der tiefgreifendste Wandel in der Geschichte der Truppe einher. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht wird sie kleiner, aber gleichzeitig auch einsatzfähiger. Die Reduzierung der Personalstärke und Verschlankung von Strukturen hat aber auch Nebenwirkungen, für die es Vorsorge zu treffen gilt. Durch den Abbau von Hierarchieebenen, die Auflösung von Dienststellen und die Zusammenfassung von militärischer und ziviler Personalbearbeitung in einem neuen Organisationsbereich fallen zum Beispiel verschiedene Stellen für Gleichstellungsbeauftragte weg. Der Aufgabenbereich der verbleibenden Beauftragten wird entsprechend größer und komplexer. Zudem gibt es bislang keine Rechtsgrundlage für die Wahl einer militärischen Gleichstellungsbeauftragten in einer zivilen Dienststelle wie der künftigen gemeinsamen Personalbearbeitung. Mit dem vorliegenden Entwurf zur Änderung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes schaffen wir diese und ermöglichen gleichzeitig die Wahl mehrerer Stellvertreterinnen für eine Gleichstellungsbeauftragte, um die breiter gefächerten Aufgaben zu bewältigen. Darüber hinaus werden künftig auch Reservisten und freiwillig Wehrdienstleistende vom Gesetz berücksichtigt, da beide Statusgruppen mittlerweile ebenfalls für Frauen zugänglich sind. Es ist unerlässlich, diese Änderungen noch vor der Sommerpause zu verabschieden, damit die notwendige Rechtsgrundlage für die Beteiligung der Personalvertretungen – insbesondere der Gleichstellungsbeauftragten – rechtzeitig für die Umsetzung der laufenden Reform geschaffen wird. Die öffentliche Anhörung hat keine grundsätzlichen Bedenken der Experten und keinen inhaltlichen Änderungsbedarf ergeben. Die Sachverständigen haben übereinstimmend bestätigt, dass der Gesetzentwurf verfassungsgemäß und rechtskonform ist. Darüber hinaus wurden die Klarstellung und Dynamisierung einzelner Regelungen begrüßt, die den notwendigen Spielraum für weitere Anpassungen bieten. Auch die Behandlung der Thematik in einem eigenständigen Gesetz wurde unter Hinweis auf die besonderen Anforderungen des Dienstes bei und der Strukturen in der Bundeswehr als berechtigt begründet. Das ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt. Schließlich haben wir alle, die wir uns um weitere Verbesserungen für die Soldatinnen und Soldaten bemühen, immer betont, dass dieser Dienst eben kein Job wie jeder andere ist. Die Anforderungen an sie sind eben andere als an zivile Arbeitnehmer. Selbst mit Polizisten und Feuerwehrleuten sind sie nur schwer vergleichbar. Denn in keinem anderen Beruf wird so offen verlangt, dass seine Angehörigen auf Befehl äußerstenfalls ihr Leben einsetzen. Und in keinem anderen Beruf können Mitarbeiter zu einem solch gefährlichen Dienst so einfach ins Ausland kommandiert werden. Gerade diese Anforderungen bedingen ja viele strukturelle Besonderheiten der Bundeswehr. Und gerade mit dieser Begründung haben wir immer wieder Sonderregelungen gefordert und teilweise auch durchgesetzt – auch gegen den Widerstand von anderen Interessengruppen aus dem öffentlichen Dienst. Deswegen hat es mich, ehrlich gesagt, etwas gewundert, dass ausgerechnet der Bundeswehrverband in dieser Frage gefordert hat, die Soldaten wie jeden anderen öffentlichen Bediensteten zu behandeln und ihre Beteiligungsrechte an die Regelungen des Bundesgleichstellungsgesetzes anzupassen. Das läuft der bisherigen Argumentationslinie schon etwas zuwider. Denn es impliziert, dass Soldaten unter denselben Bedingungen dienen wie der Rest des öffentlichen Dienstes. Dann bräuchten wir in der Tat kein eigenes Gleichstellungsgesetz für die Bundeswehr, allerdings auch keine anderen Sonderregelungen und – der kleine Hinweis sei auch gestattet – keine eigene Interessenvertretung. Ich glaube aber, dass die Alleinstellungsmerkmale des soldatischen Dienstes nach wie vor gelten und dass der Weg über ein eigenes Gesetz daher der richtige ist. Die Ausgestaltung im Detail wird dabei sicherlich ein fortlaufender Prozess bleiben. Teilweise wurde in der Anhörung auch eine Evaluation von Regelungen nach ein oder zwei Jahren empfohlen. Das kann durchaus geschehen, etwa durch das So-zialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr. Jedoch bestand Einigkeit, dass der Entwurf so schnell wie möglich zu verabschieden sei, um die notwendigen Anpassungen der aktuellen Rechtslage an die geänderten Organisationsstrukturen der Bundeswehr zeitgerecht vornehmen zu können. Andernfalls hätte das für die Arbeit der militärischen Gleichstellungsbeauftragten fatale Folgen. Dass die Opposition solch einen Zustand durch eine Verzögerungstaktik gerne herbeigeführt hätte, um der Bundesregierung dann eine mangelnde Zufriedenheit der betroffenen Soldaten durch die Bundeswehrreform vorzuwerfen, ist auch klar. Für politische Spielchen auf dem Rücken der Soldaten stehen wir aber nicht zur Verfügung. Deswegen ist es gut, dass wir dieses Gesetz heute in der vorgeschlagenen Form verabschieden werden. Es gab in der Anhörung natürlich auch die eine oder andere kritische Anmerkung über das eben dargestellte Grundsätzliche hinaus. Einige Anmerkungen betrafen die Größe der Wählerinnengruppe für die einzelnen Gleichstellungsbeauftragten. Beispielsweise wird ja ab der Divisionsebene jeweils eine Gleichstellungsbeauftragte gewählt und im Bundesamt für Personalwesen der Bundeswehr auch eine. Hier gab es Bedenken, dass die einzelnen Beauftragten je nach Größe des Anteils weiblicher Soldaten in den einzelnen Bereichen ihrer Aufgabenstellung aufgrund des Umfangs nicht hinreichend gerecht werden könnten. Auch da wurde wieder das Bundesgleichstellungsgesetz zum Vergleich herangezogen, wonach bekanntlich für Dienststellen mit regelmäßig 100 Beschäftigten eine Gleichstellungsbeauftragte zu wählen ist. Da zeigt sich aber schon wieder der Unterschied zwischen dem zivilen Bereich und der Bundeswehr. Der Anteil weiblicher Soldatinnen in den unterschiedlichen Laufbahnen ist eben höchst unterschiedlich. Deswegen war auch die Empfehlung des Bundeswehrverbands für eine Gleichstellungsbeauftragte ab 3 000 Mitarbeitern nicht zielführend. Stattdessen sehen wir im Gesetz die Möglichkeit vor, bei großen Zuständigkeitsbereichen bis zu zwei vollständig von Routineaufgaben entlastete Stellvertreterinnen zu wählen, die die Gleichstellungsbeauftragte unterstützen. Das ist eine sehr viel flexiblere Regelung und stellt gerade für das Bundesamt für Personalwesen eine Verbesserung der jetzigen Situation dar, wobei aber auch Hinweise aus der Praxis, dass der Zuständigkeitsbereich einer Gleichstellungsbeauftragten zu groß sei und sie ihre Aufgaben daher nicht sachgerecht wahrnehmen könne, bislang nicht vorliegen. Insofern ist es gerechtfertigt, diese Stellen weiterhin entsprechend der Organisationsstruktur ab der Divisionsebene einzurichten. Auch die militärischen Gleichstellungsbeauftragten dürfen im Übrigen gegen ihren Willen nur dann versetzt oder kommandiert werden, wenn dies aus wichtigen dienstlichen Gründen unvermeidbar ist. Insofern sind deren persönliche Schutzrechte denen der Personalvertretung bereits weitgehend angeglichen. Die verbleibenden Unterschiede zum Bundesgleichstellungsgesetz, das die Beauftragten vor Kündigung, Versetzung und Abordnung schützt, sind wiederum den strukturellen Besonderheiten des militärischen Dienstes geschuldet. Ein anderer Komplex betraf die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Dienst unter den Aspekten von Teilzeit- und Telearbeit. Nach dem Bundesgleichstellungsgesetz ist Anträgen von Beschäftigten mit Familienpflichten auf Teilzeitbeschäftigung oder Beurlaubung zu entsprechen, sofern dem nicht zwingende dienstliche Belange entgegenstehen. Das Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz verweist diesbezüglich auf das Soldatengesetz, das Teilzeit und Beurlaubungen grundsätzlich ebenfalls ermöglicht. Auch die Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Einrichtung von Telearbeitsplätzen im Geschäftsbereich des BMVg sind einheitlich für zivile und militärische Mitarbeiter durch eine entsprechende Rahmenanweisung geregelt. Diese Regelungen sind aber nicht Gegenstand des heute behandelten Gesetzes. Es verweist lediglich auf sie. Und es ist schlechterdings nicht möglich, die Regelungen des Soldatengesetzes im Rahmen einer Überarbeitung des Gleichstellungsgesetzes zu ändern. Eine Ermessensreduzierung bei der Bearbeitung von Anträgen auf Teilzeit, Telearbeit und Beurlaubungen auf dem Weg über das Gleichstellungsgesetz, wie teilweise gefordert, wäre systemwidrig. Zudem gibt es auch hier wieder militärspezifische Besonderheiten, die zu berücksichtigen sind, insbesondere die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte als limitierender Faktor. Mit der heutigen Verabschiedung der Gesetzesänderung schaffen wir also die Voraussetzungen dafür, dass die Soldatinnen und Soldaten ihre Beteiligungsrechte auch in den neuen Strukturen der Bundeswehrreform weiter uneingeschränkt verwirklichen können. Noch einmal: Kein Gesetz ist jemals aller Weisheit Schluss. Eine Evaluierung nach einiger Zeit ist durchaus sinnvoll, wie bei vielen anderen Regelungen auch. Verbesserungen bringt es aber allemal. Und die heutigen Änderungen müssen jetzt umgesetzt werden, insbesondere um der Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten in den künftigen Strukturen eine Rechtsgrundlage zu geben. Vor allem aber ist mir eines wichtig: Der Dienst der Soldatinnen und Soldaten bei der Bundeswehr ist und bleibt ein besonderer. Er ist nicht vergleichbar mit allem anderen, was private und auch öffentliche Arbeitgeber von ihren Beschäftigten verlangen. Deswegen muss es auch weiterhin Sonderregelungen für diesen Dienst geben. Mit dem Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz tragen wir dieser Erfordernis Rechnung. Karin Evers-Meyer (SPD): Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den Regierungsentwurf zum Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz. Um es gleich vorwegzunehmen: Echte Gleichstellung sieht anders aus. Der Entwurf, entstanden auf den letzten Metern der schwarz-gelben Regierung, ist gespickt mit handwerklichen Fehlern und inhaltlichen Mängeln. Der vorliegende Gesetzentwurf bleibt um Längen hinter dem Bundesgleichstellungsgesetz zurück. Beispielsweise werden Gleichstellungsbeauftragte nach dem Bundesgleichstellungsgesetz in Dienststellen ab 100 Beschäftigten gewählt. Die militärischen Gleichstellungsbeauftragten sollen jedoch auf der Ebene der Division oder vergleichbar gewählt werden. Sie sind somit für bis zu 18 000 Soldatinnen und Soldaten zuständig. Nur noch einmal zum Verständnis: Sie wollen, dass ein Gleichstellungsbeauftragter für bis zu 18 000 Soldatinnen und Soldaten da ist? Jemand, der das kann, ist nicht nur Gleichstellungsbeauftragter par excellence, sondern muss überdies noch ein Zauberer sein. So eine utopische Anzahl überhaupt ins Spiel zu bringen, finde ich wirklich reichlich achtlos. Und noch mehr: Ihr Entwurf ist verfassungsrechtlich bedenklich. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 19. September 2012 festgestellt, dass unterschiedliche Regelungen im Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz gegenüber dem Bundesgleichstellungsgesetz bei Fehlen eines triftigen Grundes verfassungswidrig sind. Triftige Gründe für die im Entwurf bestehenden Abweichungen sind nicht nur mir nicht bekannt. Einen verfassungsrechtlich unter Umständen nicht haltbaren Entwurf vorzulegen, ist fahrlässig. Oder vielleicht Absicht, wenige Monate vor der Bundestagswahl. Nehmen Sie bitte wenigstens heute zur Kenntnis, meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, dass sich auch während der öffentlichen Anhörung am 13. Mai 2013 die Kritik am Gesetzentwurf noch einmal manifestiert hat. Ich weiß, Sie waren auch da. Aber richtig verstanden scheinen Sie nicht zu haben. Sonst hätten Sie die Unzulänglichkeiten Ihres Papiers doch längst behoben. Nun, Zuhören war nie eine wirkliche Stärke der Bundesregierung in den letzten vier Jahren. Im Fall dieses Gesetzentwurfes ist das nun besonders sträflich, denn Sie tragen Ihre Uneinsichtigkeit auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten aus. Einfach so, wieder einmal über die Köpfe aller Betroffenen hinweg. Aber zurück zum Fachlichen: Ihr Entwurf wird den Rechten und Pflichten sowie der Gleichstellung von Soldatinnen gegenüber ihren männlichen Kameraden nicht gerecht. Wie man im Jahr 2013 dem Parlament so ein Papier zur Beratung vorlegen kann, ist für eine breite Mehrheit in der Bevölkerung völlig unverständlich. Der Entwurf ist halbherzig, handwerklich fehlerhaft, inhaltlich butterbrotpapierdünn. Sie hätten die Chance gehabt, mit uns gemeinsam nachzubessern, aber Sie wollten nicht. Unser Entschließungsantrag lag Ihnen rechtzeitig vor; wir waren gesprächsbereit. Wissen Sie, manchmal habe ich das Gefühl, wir von der SPD-Bundestagsfraktion sind in dieser Legislaturperiode so eine Art „Regierungs-ADAC“: Immer, wenn Sie eine Panne haben, müssen wir kommen und das Auto zum Laufen bringen. Und das, ohne dass Sie bei uns Mitgliedsbeiträge bezahlen müssen. Wir hätten mit unserem Entschließungsantrag gemeinsam für eine wirksame Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten sorgen können. Aber Sie haben stattdessen darauf beharrt, den Holzweg, den Sie mit Ihrem Gesetzentwurf beschreiten, weiterzugehen. Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung ab: Wir haben einen eigenen Entschließungsantrag formuliert, der das Gesetz zu dem macht, was es leisten soll: echte Gleichberechtigung als Selbstverständlichkeit zu manifestieren. In unserem Antrag fordern wir: Frauen den Zugang zur Telearbeit, zu flexiblen Arbeitszeitmodellen und familiengerechten Arbeitsbedingungen zu ermöglichen; militärische Gleichstellungsbeauftragte bei Versetzung und Kommandierung wie ein Mitglied der Personalvertretung zu schützen; gleichstellungsrelevante Maßnahmen und Verfahrensschritte in gleicher Weise dokumentieren zu lassen wie im Bundesgleichstellungsgesetz; militärischen Gleichstellungsbeauftragten dieselben Unterrichtungspflichten, Akteneinsicht und Vortragsrechte einzuräumen, die den nach dem Bundesgleichstellungsgesetz gewählten Gleichstellungsbeauftragten zustehen; den Umfang der Wählergruppen so zu regeln, dass eine Gleichstellungsbeauftragte für maximal 3 000 Wahlberechtigte zuständig ist. Ohne diese zentralen Änderungen ist der vorlegte Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht tragbar. Die SPD-Bundestagsfraktion duldet auch auf den letzten Metern vor der Bundestagswahl keine Halbherzigkeiten der schwarz-gelben Koalition. Gerade für die Soldatinnen und Soldaten kommt es in besonderem Maße auf Verlässlichkeit und Qualität an. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Liebe Generälinnen und Admiralinnen, die ich hiermit am Beginn meiner Rede ganz besonders grüße. Sie fremdeln mit diesem Gruß? Das ist jedoch die Zukunftsvision zukünftiger Anreden beim Thema Bundeswehr. Wir wollen Frauen in den höchsten Führungspositionen unserer Streitkräfte! Aktuell sind in der Bundeswehr rund 18 000 engagierte Soldatinnen tätig, und die Tendenz ist weiter steigend. Aber die durchaus positiven Zahlen dürfen nicht den Blick auf manche aktuell vorherrschende Problemlage verstellen. Der jetzige 10-prozentige Frauenanteil in der Bundeswehr ist noch immer viel zu gering. Während in anderen, bisher von Männern dominierten Berufsfeldern wie den technischen Berufen der Anteil von Frauen in den letzten Jahren rasant gestiegen ist, erlebten wir bei der Bundeswehr in den letzten Jahren nur moderate Anstiege. Die Integration von Frauen in unseren Streitkräften ist ein langfristiger Prozess, der uns auch in den nächsten Jahren begleiten wird und der eines verstärkten Einsatzes sowohl der Politik als auch der Führung der Bundeswehr bedarf. Warum ist die Bundeswehr vor allem für Frauen – und auch für viele Männer aus gleichen Gründen – momentan kein attraktiver Arbeitgeber? Es sind mehrere Faktoren, die den Arbeitgeber Bundeswehr für Frauen nicht attraktiv erscheinen lassen. Bis zur Aussetzung der Wehrpflicht im letzten Jahr war der Pflichtdienst das wichtigste Rekrutierungsinstrument der Streitkräfte. Die Bundeswehr musste nicht um Personal werben. Es wurde ihr förmlich zugespielt. Ihre Aufgabe bestand dann nur darin, die jungen Menschen auf Dauer an sich zu binden. Frauen, die zur Bundeswehr wollten, hatten es ungleich schwerer. Sie mussten sich ganz aktiv für einen Dienst bei der Bundeswehr entscheiden, und manche von ihnen mussten auch Widerstand in ihrem persönlichen Umfeld überwinden. Spätestens seit Aussetzung der Wehrpflicht ist nun endlich der nötige Druck für die Bundeswehr vorhanden, aktiv um ihr zukünftiges Personal zu werben. Die Bundeswehr kann es sich nicht leisten, auf eines der Geschlechter zu verzichten. Die Bundeswehr braucht mehr denn je intelligente und engagierte Frauen. Die Streitkräfte anderer Nationen sind in diesem Punkt viel weiter als unser Militär. Engagierte Frauen und Männer gewinnt man nicht durch breit angelegte Werbekampagnen, sondern durch ein Arbeitsumfeld, welches Aufstiegschancen ermöglicht und gleichzeitig die Vereinbarkeit von Dienst und Familie sicherstellt. Niemand ist ein besserer Werbeträger als zufriedene Soldatinnen und Soldaten, die mit Stolz über ihren Beruf in ihrem persönlichen Umfeld und auch in der Öffentlichkeit sprechen. Der Soldatenberuf ist ein einzigartiger Beruf, nicht nur für die Soldatinnen und Soldaten selbst, sondern vor allem für ihre Familien. Nicht nur die Auslandseinsätze, sondern auch die häufige Ortsabwesenheit durch Lehrgänge oder, wie bei der Marine, im Rahmen der ganz normalen Arbeit stellen enorme Belastungen für die Familien dar. Umso wichtiger ist es, dass dort, wo wir die Möglichkeiten zur Entlastung haben, wir diese auch konsequent nutzen. Der Bundestag hatte ein ganzes Paket von Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit auf den Weg gebracht. Mit Bedauern stelle ich fest, dass vieles von dem was wir damals beschlossen haben, wie die Einrichtung der Eltern-Kind-Arbeitszimmer, noch immer nicht vollständig umgesetzt ist. Auch bei der Einrichtung von Kinderbetreuungsangeboten steht die Bundeswehr noch weit hinter der zivilen Wirtschaft zurück. Hier ist das Bundesverteidigungsministerium in der Pflicht, die notwendigen vom Parlament beschlossenen Schritte zeitnah umzusetzen. Der respektvolle Umgang zwischen den Geschlechtern, wie ich ihn bei meinen Besuchen bei den Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten und an den Heimatstandorten selbst erleben durfte, ist eine weitere wichtige Grundvoraussetzung, um als moderner Arbeitgeber attraktiv zu sein. Die jährlichen Berichte des Wehrbeauftragten zeichnen die erfolgreichen Entwicklungen in der Bundeswehr in diesem Bereich nach. Die Diskriminierungsfälle haben in den letzten Jahren abgenommen. Aber – und auch dieses zeigen die Berichte des Wehrbeauftragten –, noch immer gibt es, gerade was das Führungsverhalten angeht, immer wieder gravierende Fälle, in denen Defizite zu beklagen sind. Ohne diese Schwächen aus dem Blick zu nehmen, sind wir Politiker jedoch gefragt, uns nicht eines stereotypen, überkommenen Bildes der Soldaten und der Bundeswehr zu bedienen. Unsere Streitkräfte sind ein Abbild unserer Gesellschaft. Wie in der Gesamtgesellschaft so hat sich auch in den Streitkräften in Fragen der Gleichstellung vieles bewegt in den letzten Jahren. Diese positiven Entwicklungen verdienen unsere Anerkennung. Die Unterschiede in der Ausgestaltung zwischen dem Soldatengleichstellungsgesetz und dem Bundesgleichstellungsgesetz liegen in der Besonderheit des Soldatenberufs begründet. Einhellig haben uns die Sachverständigen in der Anhörung des Verteidigungsausschusses daher die Verfassungsmäßigkeit des vorgelegten Gesetzentwurfs bestätigt. Die Bundeswehr erhält durch die Strukturreform ein neues Gesicht. Mit der vorgelegten Neufassung des Soldatengleichstellungsgesetzes modernisieren wir die Strukturen der Gleichstellungsinstitutionen innerhalb unserer Streitkräfte und stellen damit eine effektive Interessenvertretung für unsere Soldatinnen sicher. Harald Koch (DIE LINKE): Um es hervorzuheben: Die Linke setzt sich generell für eine Gleichstellung von Frauen und Männern auf allen Gebieten und natürlich auch für Gleichstellungsbeauftragte in allen Institutionen ein. Zu oft sind Frauen historisch schon diskriminiert oder aus wichtigen Positionen herausgehalten worden. Trotz verfassungsrechtlich normiertem Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 des Grundgesetzes sind Frauen mit nur circa einem Prozent in den Vorständen der 100 größten deutschen Unternehmen vertreten und bilden mit 65 Prozent die größte Gruppe im Niedriglohnsektor. Im Berufs- und Familienleben werden Frauen noch immer mit herkömmlichen Geschlechterrollen konfrontiert und diskriminiert. Geht der Blick nach Europa, gehört Deutschland zu den Schlusslichtern in Sachen Gleichstellung der Geschlechter. Die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit ist daher eines der zentralen Ziele meiner Fraktion. Mit vorliegendem Gesetzentwurf soll mehr Geschlechtergerechtigkeit auch in der Bundeswehr hergestellt werden – und zwar durch eine Änderung des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes. Neben wenigen guten Ansätzen bleibt der Gesetzentwurf der Bundesregierung insgesamt enttäuschend, weshalb wir ihn in der Summe ablehnen werden. Die guten Ansätze liegen zum Beispiel darin, Entlastungsstrukturen für Gleichstellungsbeauftragte, also Stellvertretungs- und Kompensationsregelungen einzurichten. In Einzelfällen können der Stellvertreterin dauerhaft eigene Aufgaben bei gleichzeitiger Entlastung von ihren üblichen dienstlichen Tätigkeiten übertragen werden. Enttäuschend ist der Gesetzentwurf, weil die Streitkräfte von wirklicher Gleichstellung noch weit entfernt sind. Soldatinnen und Soldaten werden in Gleichstellungsfragen schlechter gestellt als beispielsweise Beamtinnen und Beamte. Letztere werden nämlich nach dem Bundesgleichstellungsgesetz behandelt. Auch werden Soldatinnen ohne triftigen Grund wie „Beeinträchtigung der militärischen Funktionsfähigkeit“ gegenüber weiblichen Zivilbeschäftigten benachteiligt. Dieses Gefälle des Schutzniveaus ist aus unserer Sicht nicht haltbar. Auch beim Versetzungs- und Kommandierungsschutz ist einiges im Argen. Die militärischen Gleichstellungsbeauftragten sind bezüglich des Versetzungsschutzes gegenüber den zivilen Gleichstellungsbeauftragten gleichzustellen. Dies leistet der Gesetzentwurf nicht, worauf der Entschließungsantrag der Grünen zu Recht hinweist. Aus dem SPD-Entschließungsantrag unterstützen wir insbesondere die Forderung, militärischen Gleichstellungsbeauftragten dieselben Unterrichtungspflichten, Akteneinsicht und Vortragsrechte einzuräumen, die den nach dem Bundesgleichstellungsgesetz gewählten Gleich-stellungsbeauftragten zustehen. Gleichstellungsbeauftragte werden nach dem Bundesgleichstellungsgesetz in Dienststellen ab 100 Beschäftigten gewählt. Militärische Gleichstellungsbeauftragte sind hingegen für bis zu 18 000 Soldatinnen und Soldaten zuständig. Eine effektive Ausübung des Amtes ist wegen der hohen Fallzahl kaum mehr möglich. Die Linke ist der Meinung, die Rolle der Gleichstellungsbeauftragen und deren Stellvertreterinnen zu stärken und ihre Zahl in den Streitkräften gemäß der Größe der Zuständigkeitsbereiche deutlich zu erhöhen. Im Gesetzentwurf werden zudem die Vorschriften zur Wahl einer Gleichstellungsbeauftragten angepasst. Somit wird die Möglichkeit geschaffen, dass eine militärische Gleichstellungsbeauftragte auch in zivilen Dienststellen gewählt wird, anstatt die Stelle wegfallen zu lassen. Mehr Gleichstellungsbeauftragte zu haben, ist gut. Unabhängig von der Gleichstellungsfrage lehnen wir aber die weitere Durchziehung ziviler Bereiche mit militärischen Stellen und Rängen ab – dies gilt für Frauen und für Männer. Aus gleichstellungspolitischer Perspektive ist vor allem fragwürdig, warum im Gesetzentwurf besonders auf Vertretungs- und Entlastungsstrukturen für Gleichstellungsbeauftragte rekurriert wird, nicht aber der Ausbau der eigentlichen, inhaltlichen Arbeit in Angriff genommen wird, sprich: Betriebsvereinbarungen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, gegen Diskriminierung von Frauen bei Lohn- und Rangverhandlungen, gegen Sexismus allgemein in der Bundeswehr. Diese Lücken müssen dringend geschlossen werden! Ein weiteres Ziel des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz ist es, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Dienst zu schaffen. Hier liefert die Bundesregierung gar nichts. Daher ist es gut, dass die Entschließungsanträge von den Grünen und der SPD zum Beispiel Fragen der Teilzeitbeschäftigung von Soldatinnen und Soldaten, der Möglichkeiten zur Telearbeit und anderen flexiblen, familienfreundlichen Arbeitsmodellen oder auch Freistellungen aus familiären Gründen aufgreifen. Doch eines sollte sich jede und jeder vor Augen führen: Die Bundeswehr ist gerade kein Arbeitsplatz wie jeder andere. So wünschenswert auch dort eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Dienst für die Einzelne und den Einzelnen ist, führen und dienen letztlich solche Maßnahmen gleichfalls dazu, den Dienst an der Waffe attraktiver zu gestalten und Nachwuchs zu aktivieren und zu rekrutieren. Durch Gleichstellungsbeauftragte wird das Klima in der Bundeswehr gewiss etwas verbessert, dennoch ist mehr als offensichtlich, dass die Bundeswehr in Zeiten ihrer Neuausrichtung auf eine „Armee im Einsatz“ ausgerichtet sowie in Zeiten des Nachwuchsmangels gerade für Frauen attraktiver gemacht werden soll. Dies führen Grüne und SPD auch unverblümt aus – weswegen wir uns zu beiden Anträgen nur enthalten können. So schreiben beispielsweise die Grünen, dass sich die Bundeswehr „verstärkt dem Wettbewerb um qualifiziertes Personal stellen“ muss; „die Streitkräfte können sich nicht mehr darauf ausruhen, dass ihnen automatisch junge Männer zum Dienst zugeführt werden“. Die ehemalige Friedenspartei will die „Streitkräfte als Arbeitgeber attraktiver machen“. Genau das möchte die Bundesregierung auch. Die Linke lehnt jedoch eine Aktivierungs- und Rekrutierungspolitik unter dem Deckmantel einer besseren Gleichstellungspolitik in den Streitkräften ab. Dazu muss mit der durch die Neuausrichtung der Bundeswehr einhergehende Fixierung auf militärische Interventionen und Auslandseinsätze gebrochen werden. Die Bundeswehr muss wieder auf ihren grundgesetzlichen Auftrag der Landesverteidigung zurückgeführt und verkleinert werden. Schließlich sollte sich die Bundesregierung ernsthaft auch um die inhaltliche, nicht nur strukturelle Gleichstellungsarbeit kümmern. Denn es ist auf diesem Gebiet noch sehr viel zu tun – nicht nur in der Bundeswehr! Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundeswehrreform stellt die Streitkräfte vor enorme Umbauaufgaben. Unter anderem werden künftig deutlich mehr Soldatinnen und Soldaten in zivilen Bereichen ihren Dienst tun. Im Moment fehlt es aber an einer Rechtsgrundlage für die Wahl von militärischen Gleichstellungsbeauftragten in diesen Bereichen. Deswegen hat das Bundesverwaltungsgericht Ende letzten Jahres zu verstehen gegeben, dass es nicht gewillt ist, diesen Zustand länger hinzunehmen, und eine Regelung angemahnt. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf meint es dann allerdings mit der Gleichstellung nicht allzu wörtlich. Einige Probleme werden durch den Entwurf sogar noch verschärft. So wird im neuen Personalamt der Bundeswehr künftig lediglich eine militärische Gleichstellungsbeauftragte mit ihren zwei Stellvertreterinnen für die Begleitung von Tausenden Personalentscheidungen im Jahr zuständig sein. Jeder vernünftige Mensch kann sich an einer Hand ausrechnen, dass das schlichtweg unmöglich ist. Selbst wenn man den Mitarbeiterstab etwas aufstockt, bleibt das Problem, dass lediglich die Gleichstellungsbeauftragten selbst persönlich Zugang zu den Personalgesprächen haben. Effektive Gleichstellungspolitik sieht anders aus. Es gibt auch keinen einzigen militärischen Grund, warum Anträge auf Teilzeitarbeit von Soldatinnen und Soldaten leichter abgelehnt werden dürfen als bei zivilen Angestellten. Genauso wenig gibt es einen sachlichen Grund für den geringeren Versetzungsschutz bei militärischen Gleichstellungsbeauftragten. Auch die Experten von Union und FDP konnten in der Anhörung hierfür keine Gründe benennen. Weder ist der Verteidigungsauftrag gefährdet noch steht die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte auf dem Spiel. Es gilt das Prinzip aus Art. 3 GG, dass Ungleiches ungleich und Gleiches gleich zu behandeln ist. Was ist aber bitte der sachliche Grund dafür, dass sich in zivilen Behörden eine Gleichstellungsbeauftragte um 100 Mitarbeiter kümmert, während es in der Bundeswehr eine für 16 000 Soldatinnen und Soldaten ist? Die nationale Sicherheit ist es jedenfalls nicht. Dabei wäre mehr Gleichstellung dringend geboten. Auch mehr als zehn Jahre nach der Öffnung aller Teilbereiche der Streitkräfte für Frauen ist die Bundeswehr von der Zielmarke eines 15-prozentigen Frauenanteils meilenweit entfernt. Im Moment leisten lediglich 9 Prozent Frauen dort ihren Dienst. Auf Dienstposten der Besoldungsstufen A 16 bis B 3 befinden sich zurzeit lediglich zehn Frauen. Auch in der Sanität, wo Frauen schon sehr viel länger Dienst leisten dürfen, gibt es lediglich eine Frau im Rang Generalarzt. Die Generalität ist somit weiterhin ein vollständig männlich dominierter Bereich. Die gläserne Decke ist bei der Bundeswehr aus Stahlbeton! Dabei ist es im ureigenen Interesse der Bundeswehr, mehr qualifizierte Frauen für den Dienst in den Streitkräften zu gewinnen. Heutige Bewerberinnen und Bewerber sind zu Recht anspruchsvoller und suchen einen Arbeitgeber, der auch ihre familiären Bedürfnisse im Blick hat und sich um ein Mindestmaß an Planbarkeit der Arbeitszeiten bemüht. Mangelnde Aufstiegschancen und familienfeindliche Dienstzeitmodelle schrecken sowohl Frauen als auch Männer ab. Es fehlt uns übrigens immer noch die von der Bundeswehr angekündigte Nachfolgestudie zu der Studie „Truppenbild mit Dame“ zu sexueller Diskriminierung in der Bundeswehr. Der Verteidigungsausschuss wollte sich eigentlich noch in dieser Legislaturperiode damit befassen. Dafür müsste die Studie aber so langsam einmal beim Bundestag ankommen. Angekündigt war sie schon für März 2013. Also: Wo bleibt sie? Es wäre insgesamt eine gute Gelegenheit gewesen, das geltende Recht für Soldatinnen und Soldaten dem für Beamtinnen und Beamte geltenden Bundesgleichstellungsgesetz anzupassen. Schade, dass Sie sie versäumt haben. Stattdessen soll künftig weniger und seltener über die Probleme berichtet werden. Den Berichtszeitraum möchten Sie von zwei auf vier Jahre heraufsetzen, obwohl alle Experten sich in der Anhörung einig waren, wie wichtig eine kontinuierliche Evaluierung des Gesetzes wäre. Aufgrund der Anhörungsergebnisse haben wir Grüne im Ausschuss den Änderungsantrag gestellt, den Berichtszeitraum bei zwei Jahren zu belassen. Warum in aller Welt haben Sie das eigentlich abgelehnt? „Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.“ (Brecht) Ich bitte Sie daher, den Gesetzentwurf abzulehnen. Besser kein Gesetz als dieses Gesetz! Dann bleibt nämlich zumindest noch die Hoffnung, dass das Bundesverwaltungsgericht fortschrittlicher ist als die Regierung und künftig einfach das Bundesgleichstellungsgesetz anwendet! Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Aufnahme afghanischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeswehr in Deutschland (Tagesordnungspunkt 17) Robert Hochbaum (CDU/CSU): Ende 2014 werden wir den ISAF-Einsatz in Afghanistan beenden. Ich denke, wir sind alle einer Meinung, dass dies gut so ist. Was jedoch die Bewertung des Einsatzes anbelangt, so scheint es mir, unterscheiden sich die Ansichten. Ich bin überzeugt davon – und da spreche ich für einen Großteil hier im Hause –, dass unser Einsatz erfolgreich war. Dafür sei an dieser Stelle den vielen Tausend Soldatinnen und Soldaten, den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Entwicklungshelfern und all jenen gedankt, die seit Beginn von ISAF – unter Einsatz ihres Lebens – für unsere Sicherheit und für den Wiederaufbau Afghanistans gekämpft und hervorragend gearbeitet haben. Afghanistan gilt es nicht verloren zu geben, sondern in seinem Wiederaufbau zu stärken und die Zivilgesellschaft sowie die Sicherheitskräfte zu unterstützen. Wie viele von Ihnen, so habe auch ich mir oft, über viele Jahre hinweg, ein Bild vom Erfolg vor Ort gemacht – und dies nicht nur beim Besuch von Bundeswehrliegenschaften, sondern konkret und direkt auch in den Städten und Dörfern. Wer diese Entwicklung mit offenen Augen verfolgt hat, wer sie jetzt gerade vor den Wahlen nicht nur durch die parteipolitische Brille sieht, müsste mir in meiner Einschätzung von einem erfolgreichen Einsatz zustimmen. Der beste Beweis sind für mich immer die Tausenden von Kindern, die morgens in ihren Schuluniformen in den Straßen zu sehen sind. Übrigens auch viele Mädchen, was früher undenkbar gewesen wäre. Diese Kinder, die nicht in Koranschulen gehen, sondern in weltlichen Schulen lernen, sind in der Zukunft ein Garant für die Sicherheit in Afghanistan und dadurch auch für die Sicherheit bei uns in Deutschland und Europa. Doch diese Erfolge waren nur gemeinsam mit den Afghanen zu erzielen. Und dazu zählen mit Sicherheit auch die 1 500 afghanischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der beteiligten Ressorts. Wenn diese wegen ihrer Zusammenarbeit mit uns an Leib und Leben bedroht sind, müssen wir helfen. Das ist oberste Maxime, das ist unsere Verantwortung und unsere menschenrechtliche Verpflichtung. Ich denke, da sind wir uns alle in diesem Hause einig. Verantwortung und Verpflichtung sind die Beweggründe, warum Prüfverfahren und Asylanträge großzügig gehandhabt werden sollten. Nicht nur in den vergangenen Jahren, sondern auch beim Folgemandat waren und werden wir auf die Kooperation mit unseren afghanischen Partnern angewiesen sein. Wir sollten deshalb zeigen – auch im Hinblick auf andere Einsätze –, dass wir ebenso in diesem Punkt ein verlässlicher Partner sind. Die von den beteiligten Ressorts erarbeitete Vorgehensweise ist deshalb der richtige Weg, unserer Verantwortung gerecht zu werden. Dennoch hat auch diese Medaille zwei Seiten. Mit einer pauschalen Aufnahme aller Ortskräfte, die mehr oder weniger Kontakt mit der Bundeswehr hatten, ist weder dem Land Afghanistan noch uns in Deutschland geholfen. Zum einen würden wir Afghanistan die Menschen „entziehen“, die aufgrund ihrer Kenntnisse und ihrer Ausbildung Garanten für einen weiteren Aufbau und eine positive Entwicklung im Land sind. Selbst die afghanische Regierung sieht das so und bittet darum, die Fachkräfte im Land zu lassen. Zum anderen müssen wir auch verhindern, dass wir, durch pauschale und ungeprüfte Verfahren, den Terrorismus ins eigene Land holen. Leider gibt es diese schrecklichen Beispiele aus der Vergangenheit, als angeblich vertraute Sicherheitskräfte zu Mördern wurden. Auch wenn der ein oder andere diese Argumente nicht hören möchte, so dürfen wir vor diesen nicht die Augen verschließen und müssen uns diesen stellen. Kurzum, für uns steht außer Frage: Die Ortskräfte, die bedroht sind, werden in Deutschland aufgenommen. Aus den oben genannten Gründen muss dies jedoch im Einzelfall geprüft werden. Ich bin mir sicher, dass das unter Federführung unseres Innenministeriums gut gelingt und dort die richtigen und für die Betroffenen sinnvollen Entscheidungen getroffen werden. Die verschiedenen Möglichkeiten, wie Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, landesweite Versetzung etc., hat der Kollege Schröder ja bereits genannt. Der vorliegende Antrag, der wohl auch dem naheliegenden Wahlkampf geschuldet ist, ist sicherlich in weiten Teilen inhaltlich richtig, jedoch fehlt der für uns wesentliche Aspekt der sorgfältigen Prüfung. Deshalb ist er aus unserer Sicht nicht zustimmungsfähig. Rüdiger Veit (SPD): Wir stimmen dem Antrag zu. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die FDP-Bundestagsfraktion hat schon im Jahr 2010 begonnen, auf das Problem im Umgang mit den afghanischen Ortskräften nach einer Rückverlegung der Bundeswehr hinzuweisen. Meine Kollegin Frau Hoff hat sich schon frühzeitig und mit großem persönlichen Engagement mit der Lage vor Ort vertraut gemacht und die notwenigen Entscheidungen aufgezeigt. Eine Gefährdung für einen Teil der Ortskräfte ist real gegeben. Rund 1 500 Personen haben mit den deutschen Soldaten vor Ort zusammengearbeitet – und sich damit den Zorn derer zugezogen, die mit Gewalt und Unterdrückung eine fundamentalistisch-islamistische Herrschaft in Afghanistan errichten wollen. Afghanische Frauen und Männer, die für die Bundesregierung, zum Beispiel als Sprachmittler, tätig geworden sind, können einer eklatanten Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt sein. Die Taliban scheinen schon jetzt solche Helfer als „Kollaborateure“ ins Visier zu nehmen. Hier gilt es, unbürokratisch zu helfen. Reguläre Asylverfahren dauern zu lange. Daher bedarf es eines schnellen Aufnahmeprogramms für die, die ausreisen wollen und tatsächlich gefährdet sind. Die FDP-Bundestagsfraktion will verhindern, dass der durch die betroffenen Ministerien unter Federführung des BMI ausgearbeitete Kriterienkatalog zu einem bürokratischen Ungetüm wird, dem die afghanischen Ortskräfte ausgeliefert sind. Des Weiteren fordern wir, dass die Gefährdungslage im Zuge der Einzelfallprüfung nicht an einem Berliner Schreibtisch, sondern durch entsprechende Stellen vor Ort in Afghanistan beurteilt wird, die dafür aufgrund der Nähe zum Geschehen besser geeignet erscheinen. Wir müssen mit den Menschen, die für uns vor Ort gearbeitet haben, verantwortungsvoll umgehen. Ansonsten laufen wir nicht zuletzt Gefahr, Probleme bei der Anstellung von Ortskräften in zukünftigen deutschen Militärengagements im Ausland zu bekommen. In den meisten Fällen ist davon auszugehen, dass die betroffenen Personen Deutsch können und auch sonst für den Arbeitsmarkt qualifiziert sind. Allerdings sollten wir auch die Verbalnote der afghanischen Republik ernst nehmen, in der Besorgnis dahin gehend geäußert wird, dass solche Qualifizierten in Afghanistan selbst für den Aufbau von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft dringend gebraucht würden. Nicht nur deshalb geht die Forderung der Grünen nach einer Pauschalregelung zu weit. Auch ist die von den Grünen zu Recht angesprochene Information der Betroffenen nicht nur auf die rechtliche Lage zu beziehen. In vielen Fällen werden die Betroffenen selbst abwägen wollen, welche Lösung für ihren zukünftigen Lebensweg die bessere ist – wenn sie denn genügend Informationen erhalten, auch über die Lebensbedingungen und Perspektiven in Deutschland, vor allem aber über die persönliche Bedrohungslage in Afghanistan. Wir unterstützen daher den Bundesinnenminister, wenn er eine unkomplizierte und schnelle Lösung für die Vor-Ort-Kräfte findet, die die Betroffenen vor Gefährdung schützt, gegebenenfalls Perspektiven in Deutschland eröffnet, diese realistisch den Betroffenen vermittelt und auch die afghanischen Interessen im Blick behält. Die FDP setzt sich mit Nachdruck für eine solche Lösung ein. Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Der Umgang der Bundesregierung mit den afghanischen Ortskräften steht geradezu exemplarisch für die Widersprüche in der deutschen Afghanistanpolitik. Mehr als zehn Jahre lang hat die Bundesregierung der Öffentlichkeit erzählt, dass die afghanische Bevölkerung die Militärintervention der NATO wollte und diese Militärintervention Frieden und Wiederaufbau bringen wird. Jetzt gibt es aber keinen Zweifel mehr, dass NATO und Bundeswehr dort gescheitert sind. Das macht sich auch im Kleinen bemerkbar. Die Sicherheit der Afghanen, die für die Bundeswehr oder andere ausländische Akteure gearbeitet haben, und ihrer Familien ist nicht zu gewährleisten. Die Personen, die für die Bundeswehr gearbeitet haben, werden von den Aufständischen und ihren Sympathisanten als Kollaborateure betrachtet. Mit dem Abzug erhöht sich die Gefahr, dass sie als Racheopfer nach dem Abzug der NATO herhalten müssen. Mehr als zehn Jahre lang hat die Bundesregierung der Öffentlichkeit erzählt, dass man für die afghanische Bevölkerung in Afghanistan interveniert. Jetzt, wo es ganz konkret um die Sicherheit von etwa 1 500 Afghaninnen und Afghanen geht, die für die Bundeswehr gearbeitet haben, und um viele weitere, die für deutsche Ministerien, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen gearbeitet haben, tritt die Bundesregierung auf die Bremse. Statt eine großzügige Aufnahmeregelung zu schaffen, beharrt sie auf einer Einzelfallprüfung. Das Verfahren ist zudem intransparent; die Kriterien werden nicht veröffentlicht und können deswegen auch nicht überprüft werden. Das Verhalten der Bundesregierung wird dem Ernst der Materie nicht gerecht. Von Anfang an war die Bundeswehr bei der Beteiligung an der militärischen Intervention in Afghanistan auf lokale Unterstützer angewiesen – allein wegen der Sprache. Je tiefer sich die Bundeswehr in die Aufstandsbekämpfung verstrickte, als sie 2003 nach Kunduz ging, als sie ab 2005 die Verantwortung im Regionalkommando Nord übernahm und vor allem als sie ab 2009 auf eine immer engere Anbindung an die afghanischen Sicherheitskräfte setzte, desto höher wurde zum Beispiel der Bedarf an afghanischen Übersetzern, die auch mit der Bundeswehr in gefährliche Einsätze gingen. Damals waren sie nützlich, heute werden sie als Ballast begriffen – so sieht anscheinend das Fürsorgeverständnis der Regierung aus. Die Bundesregierung blendet außerdem gerne aus, dass sie durch die Unterstützung und Mitentwicklung der NATO-Intervention einen beträchtlichen Anteil an der desolaten Sicherheitslage hat. Für die Linke ist aber auch wichtig, dass das Problem nicht auf die afghanischen Ortskräfte reduziert wird. Die Bundesregierung hat neben der grundsätzlichen humanitären Verantwortung aufgrund der Interventionsbeteiligung auch eine erhebliche politische und moralische Mitverantwortung für sämtliche afghanischen Flüchtlinge. Bereits 2007 haben wir mit einem Antrag die Bundesregierung aufgefordert, alle afghanischen Flüchtlinge aus humanitären Gründen aufzunehmen und auf Abschiebungen zu verzichten. Leider wurde dieses Ansinnen abgelehnt. Die Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan ist nicht von der Hand zu weisen; die Zahl der afghanischen Personen, die einen Antrag auf Asyl in Deutschland stellen, ist rasant gestiegen: 2009 wurden insgesamt etwa 3 300 Asylanträge von Afghanen gestellt; 2013 waren es alleine in den ersten vier Monaten schon 2 300 – davon knapp 1 000 Anträge von Minderjährigen. Dagegen hat sich der Anteil der positiven Asyl- und Schutzentscheidungen von knapp 60 Prozent auf etwa 40 Prozent reduziert. Asyl wird kaum gewährt. In der Regel wird nur ein Abschiebungsverbot gewährt – selbst für die besonders schutzbedürftigen Minderjährigen. Diese Praxis ist völlig inakzeptabel. Wir fordern die Bundesregierung zu einem Umdenken in ihrer Asylpolitik auf. Sie muss Fürsorge ernst nehmen. Sie muss Solidarität ernst nehmen, und zwar nicht mit der afghanischen Regierung, sondern mit den Menschen in Afghanistan, das heißt im konkreten Fall eine unbürokratische Handhabung der Anträge der afghanischen Ortskräfte, die generelle Erleichterung des Asylverfahrens für Afghanen sowie ein pauschaler Abschiebestopp, bis sich die Situation in Afghanistan nachhaltig verbessert hat. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Ortskräfte der Bundeswehr, diejenigen, die mit uns in Afghanistan zusammengearbeitet haben, befürchten nun Repressalien und Verfolgung. Deutschland hat Verantwortung für diese Menschen bis 2014 und nach 2014, solange die Bundeswehr in Afghanistan ist und wenn die Kampfgruppen abgezogen sind. Die Bundesregierung muss den Ortskräften, die für die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet und für uns Gefahren auf sich genommen haben, eine Aufnahme in Deutschland anbieten. Das gebieten nicht nur militärische Vernunft, sondern auch Kameradschaft und Anstand. Seit Januar 2002 ist die Bundeswehr im Einsatz am Hindukusch. Von Anfang an waren wir auf die Unterstützung heimischer Mitarbeiter angewiesen. Die afghanischen Ortskräfte sind und waren wichtig für die Arbeit der Bundeswehr. Sie haben zwischen den deutschen Soldaten und der afghanischen Zivilgesellschaft vermittelt. Aus dieser Zusammenarbeit hat sich auf beiden Seiten Vertrauen entwickelt. Aus Kollegen wurden Kameraden und Freunde. 2014 wird die Bundeswehr abziehen. Keiner kann voraussagen, wie sich die Sicherheitslage entwickeln wird. Noch arbeiten etwa 1 500 Ortskräfte mit den deutschen Soldaten zusammen. Wie es mit ihnen nach einem Abzug der Bundeswehr weitergeht, ist unklar. Zum Beispiel ist da Nasir Ahmad Jusufi, 25 Jahre alt; er hat für die Bundeswehr in Kunduz als Übersetzer gearbeitet. Nun fürchtet er: „Wir selber können uns nicht schützen. Meine größte Sorge ist, was passiert, wenn die ISAF hier abzieht.“ Wie Jusufi geht es vielen Ortskräften. Die Taliban haben Übersetzern der Internationalen Schutztruppe ISAF Rache angedroht. Dass ganze Gruppen nach dem Abzug einer ausländischen Macht um ihr Leben fürchten, ist nicht neu. Viele von uns kennen die Bilder aus Saigon von 1975. Damals flohen 1,6 Millionen Südvietnamesen per Boot über das Südchinesische Meer. Man nannte sie Boatpeople. 1962 konnten die Algerier den Dekolonialisierungskrieg für sich entscheiden. Algerien wurde von Frankreich unabhängig. Diejenigen, die aufseiten Frankreichs gekämpft haben – oder kämpfen mussten ?, wurden verfolgt, gefoltert und ermordet. Bis zu 150 000 Harkis, vermuten einige, sollen nach 1962 umgebracht worden sein. Vorsichtigere Schätzungen gehen von 40 000 Toten aus. Ein Aufnahmeprogramm für die wenigen betroffenen Afghanen wäre ein wichtiges Signal: Keiner, der seine Haut für Deutschland riskiert hat, wird im Stich gelassen! – Andere Staaten sind da weiter. Die USA haben bereits seit 2009 ein Aufnahmeprogramm; auch in Norwegen, Dänemark, Kanada und Neuseeland gibt es großzügige Lösungen. Die britische Regierung hat jüngst zugesichert, dass 600 afghanische Dolmetscher – auf einen Schlag! ? nach dem Ende des Einsatzes mit nach Großbritannien kommen dürfen. Eine Einzelfalllösung reicht dagegen nicht aus; die Bundesregierung hält aber daran fest. Sie setzt zähe Asylverfahren voraus. Bisher haben nur wenige Ortskräfte einen Aufnahmeantrag für Deutschland gestellt. Das Bundesministerium des Innern blockiert jeden anderen Weg der Aufnahme in Deutschland. Möglich wäre zum Beispiel die Gruppenaufnahme nach § 23 Abs. 2 oder die Einzelfallaufnahme nach § 22 Satz 2 Aufenthaltsgesetz. Die Bundeswehr wird auch zukünftig im Ausland arbeiten. Sie sollte keinen negativen Präzedenzfall schaffen. Was werden sonst Leute, auf die wir angewiesen sind, zu uns sagen, wenn wir sie fragen: Kannst du uns als Dolmetscher in Mali helfen? Kannst du uns im Kongo unterstützen, wo wir in einer UN-Mission sind? Die werden doch fragen: Und wie werdet ihr uns behandeln, wenn ihr abzieht? Wenn wir auch in anderen Missionen mit einheimischen Mitarbeitern zusammenarbeiten wollen, müssen wir unseren afghanischen Ortskräften ein großzügiges Angebot machen, das ein Leben in Sicherheit für sie und ihre Familien nach dem Abzug 2014 möglich macht. Wir sind sehr freundlich aufgenommen worden in Afghanistan. Das ist auch diesen Vermittlern, diesen Brückenbauern zu verdanken. Jetzt müssen auch wir Brücken bauen. Die afghanischen Ortskräfte haben uns geholfen. Jetzt müssen wir ihnen helfen. Ein Aufnahmeprogramm für alle Ortskräfte der Bundeswehr ist der richtige Weg – eine schnelle und einfache Lösung, die Leben rettet. Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Es ist vereinbart, dass bis Ende 2014 die Sicherheitsverantwortung vollständig an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben wird. Insgesamt verläuft dieser Prozess bisher erfolgreich. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben gute Fortschritte gemacht und sind in der Lage, eine relative Stabilität herzustellen. Wir gehen davon aus, dass dies auch nach dem Abzug von ISAF so bleibt und die Schreckensszenarien, die in einigen Medien derzeit gezeichnet werden, nicht eintreten. Dies betrifft sowohl die Lage im Land selbst als auch die Situation der Ortskräfte, die für verschiedene Bundesressorts arbeiten. Die Bundesministerien der Verteidigung und des Innern sowie das Auswärtige Amt beschäftigen insgesamt circa 1 500 Afghanen und Afghaninnen. Auf diese Mitarbeiter konzentriert sich wegen der deutlichen Reduzierung der Präsenz von Bundeswehr und deutscher Polizei die Diskussion um die Ortskräfte. Darüber hinaus arbeiten etwa 1 800 Ortskräfte im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere bei der GIZ und der KfW. Uns bewegt die Frage nach der Zukunft dieser Menschen, wenn Deutschland sein Engagement in Afghanistan signifikant verringert. Sie sind Mitarbeiter und Kollegen, die uns vor Ort unterstützen und wertvolle Hilfe leisten. Wir werden der Verantwortung für unsere Mitarbeiter gerecht. Es ist auch für zukünftige Auslandseinsätze wichtig, dass Deutschland ein verlässlicher Partner ist. Wir arbeiten daran, für jeden Einzelnen individuelle Lösungen zu finden. Dabei behalten wir sowohl die persönliche Sicherheit der Ortskräfte als auch ihre berufliche Zukunft im Blick. Lassen Sie mich mit der beruflichen Perspektive beginnen: Natürlich werden von deutscher Seite Arbeitskräfte vor Ort in Afghanistan abgebaut, wenn Bundeswehrstandorte geschlossen und Bundeswehr und deutsche Polizei abgezogen bzw. reduziert werden. Die Stellen der Entwicklungszusammenarbeit bleiben aber vor Ort und werden auch nach 2014 weiter auf die Mitarbeit von Ortskräften angewiesen sein. Darüber hinaus gibt es auch Perspektiven in der afghanischen Verwaltung. Ich denke hierbei zum Beispiel an Elektriker, Handwerker oder an Ortskräfte, die erforderlich sind, um den Betrieb der von Deutschland geschaffenen Infrastruktur für das Polizeitrainingszentrum zu gewährleisten. Aus unserer Sicht wäre es für den Aufbau in Afghanistan von erheblichem Nachteil, wenn die Ortskräfte in großer Zahl das Land verlassen würden. Viele von ihnen gehören zu den am besten ausgebildeten Fachkräften und sind deshalb für die Entwicklung des Landes wichtig. Die afghanische Regierung hat das in einer Verbalnote deutlich unterstrichen. Die Ortskräfte helfen ja nicht nur uns, sondern vor allem ihrem eigenen Land. Vor diesem Hintergrund kümmert sich die Bundesregierung auch um Möglichkeiten der Qualifizierung und Weiterbeschäftigung. So wurde ein Weiterbildungsfonds aufgelegt, der vom Auswärtigen Amt und vom Bundesministerium der Verteidigung finanziert wird. Der Fonds steht allen Ortskräften offen und soll ihnen die Möglichkeit geben, sich zusätzlich zu qualifizieren. Hierfür wurde an der deutschen Botschaft in Kabul eine Weitervermittlungsbörse eingerichtet. Wenn wir zur Sicherheitslage kommen, ist eines klar: Wer aufgrund seiner Tätigkeit für deutsche Behörden wirklich gefährdet ist und deshalb nicht in Afghanistan bleiben kann, wird selbstverständlich in Deutschland aufgenommen. Um dies zu gewährleisten, haben die Ressorts ein Verfahren erarbeitet, das sowohl in Afghanistan als auch in Deutschland durchgeführt wird. Jedes Ressort hat jeweils einen Beauftragten vor Ort in Afghanistan benannt, der sich um die Ortskräfte kümmert. An ihn können sie sich jederzeit wenden, wenn sie sich um ihre Sicherheit sorgen. Dieser Ressortbeauftragte prüft die Gefährdungsanzeigen anhand eines Kriterienkatalogs. Ergibt diese Prüfung eine besondere Gefährdung, entscheidet auf dieser Grundlage das Bundesinnenministerium über eine Aufnahmezusage. Wir beschränken uns dabei auch nicht auf ein bestimmtes Kontingent von Ortskräften, sondern wir prüfen jeweils im Einzelfall vor Ort die Gefährdung des Betroffenen. Bei positiver Entscheidung können die Ortskräfte und ihre Familienangehörigen mit einem Visum nach Deutschland einreisen und erhalten eine Aufenthaltserlaubnis, die auch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt. Von den Ortskräften der Durchführungsorganisationen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung liegen keine Meldungen und Gefährdungsanzeigen vor. Wir sind uns unserer Verantwortung gegenüber den afghanischen Ortskräften bewusst. Wir unterstützen sie dabei, eine berufliche Perspektive zu finden, und nehmen diejenigen auf, die aufgrund ihrer Unterstützung für Deutschland in Afghanistan ernsthaft gefährdet sind. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bürokratieabbau optimieren – Mittelstandsorientierung stärken (Tagesordnungspunkt 20) Kai Wegner (CDU/CSU): Um beim Bürokratieabbau dauerhaft erfolgreich zu sein, braucht man einen langen Atem: weil irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem der Bürokratieabbau nicht mehr zur Freude aller Beteiligten weiter vorangetrieben werden kann, weil man an lang bestehenden Strukturen rühren muss, weil man dort auf Beharrungskräfte stößt. Gleichzeitig verabschiedet der Bundestag kontinuierlich neue Gesetze, die potenziell neue bürokratische Belastungen mit sich bringen. Um einmal eine Zahl zu nennen: In dieser Wahlperiode wurden vom Deutschen Bundestag bis Stand 31. Januar 2013 409 Gesetze verabschiedet. Um die Mühen der Ebene beim Bürokratieabbau zu verdeutlichen, zeichne ich gerne folgendes Bild: Bürokratieabbau ist wie das Schwimmen gegen die Strömung: Wer sich treiben lässt, fällt zurück. – Vor diesem Hintergrund begrüße ich es immer wieder, wenn wir das Thema Bürokratieabbau in diesem Hause diskutieren. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn ich mir dann Ihren Antrag genauer anschaue, kann ich nur sagen: Gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht! Denn: Das Gute in Ihrem Antrag ist nicht neu, und das Neue in Ihrem Antrag ist nicht gut. Zunächst zu den Informations- und Statistikpflichten der Wirtschaft. Sie fordern in Ihrem Antrag die Bundesregierung auf, das 25-Prozent-Abbauziel zu erreichen. Da kann ich Ihnen nur zurufen: Schauen Sie doch mal in den Jahresbericht der Bundesregierung zum Bürokratieabbau! Dann werden Sie sehen: Mission erfüllt! Die Bürokratiekosten der Wirtschaft wurden im Vergleich zu den Bürokratiekosten im Jahr 2006 um netto 25 Prozent gesenkt. Das freut mich insbesondere für den deutschen Mittelstand. Denn gerade kleine und mittlere Unternehmen leiden überproportional unter bürokratischen Regelungen. Sie können Zeit und Geld jetzt in ihre Wettbewerbsfähigkeit investieren und nicht in überflüssige Bürokratie. Auf diesem Erfolg ruhen wir uns natürlich nicht aus. Um die Informationspflichten dauerhaft auf niedrigem Niveau zu halten, haben wir den Bürokratiekostenindex eingeführt. Seit Ende letzten Jahres kann jeder anhand einer grafischen Umsetzung die Entwicklung der Bürokratiekosten der Wirtschaft verfolgen. Wir stellen uns also bewusst der kritischen Öffentlichkeit, sorgen für Transparenz und Kostenbewusstsein. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, recht haben Sie damit, dass der sogenannte Erfüllungsaufwand – also die Kosten, die beim Vollzug von Gesetzen entstehen – den größten Teil der Bürokratielasten ausmacht. In der Tat liegt hier ein großes Potenzial für weiteren Bürokratieabbau. Aber die Koalition hat dies bereits lange erkannt und diesem Umstand nachhaltig Rechnung getragen. Wir haben das NKR-Gesetz entsprechend geändert, und seit März 2011 erstreckt sich der Prüfauftrag des Nationalen Normenkontrollrats auch auf die Nachvollziehbarkeit und Methodengerechtigkeit der Darstellung des Erfüllungsaufwands neuer Regelungen. Das sind Änderungen, die bereits Früchte tragen. Im Ergebnis ist der laufende Erfüllungsaufwand der Wirtschaft im vergangenen Jahr bereits gesunken, und zwar um immerhin rund 100 Millionen Euro. Darauf gilt es aufzubauen. Und wir haben bereits die Weichen gestellt, dem Erfüllungsaufwand in Zukunft weiter zu Leibe zu rücken und dafür zu sorgen, insbesondere die Spürbarkeit des Bürokratieabbaus bei den Unternehmen zu erhöhen. Im Januar dieses Jahres haben wir beschlossen, eine systematische Ex-post-Evaluierung für alle Gesetze mit Folgenkosten ab 1 Million Euro in Deutschland einzuführen. So bekommen wir belastbare Antworten auf die Frage, wie sich neue Regelungen in der Praxis bewährt haben: Sind die mit dem Gesetz verfolgten Ziele erreicht worden? Haben die geschätzten Folgekosten sich in der Realität bestätigt? Die Ex-post-Evaluierung wird uns ermöglichen, zukünftig zielgerichtet Nachjustierungen an bestehenden Regelungen vorzunehmen. Ich nenne Ihnen einen weiteren Punkt für die Stärkung des Bürokratieabbaus bzw. in diesem Fall für die vorausschauende Bürokratievermeidung. Sie alle wissen, dass mindestens die Hälfte der Gesetzgebung des Deutschen Bundestages auf rechtliche Vorgaben aus Brüssel zurückgeht. Deshalb untersuchen die Bundesministerien künftig das jährliche Arbeitsprogramm der Kommission und auch ihre Roadmaps, also die Kurzbeschreibungen beabsichtigter Kommissionsinitiativen. Die Ministerien werden fragen: Welche möglichen Kostenfolgen können da aus Europa auf uns zukommen? So werden sie in der Lage sein, in den Verhandlungen des Ministerrates angemessen zu reagieren. Dergestalt werden unnötige Belastungen unserer Unternehmen bereits ex ante verhindert oder zumindest abgemildert werden können. Denn die beste Bürokratie ist diejenige, die gar nicht erst entsteht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, einen Gedanken Ihres Antrages teile ich vollumfänglich. Angesichts der Bedeutung der EU-Ebene für die nationale Gesetzgebung wäre es wünschenswert, endlich einen eigenständigen, wirklich unabhängigen Normenkontrollrat auf Brüsseler Ebene einzurichten. Mit dieser Forderung rennen Sie bei uns offene Türen ein. Und in der Tat wirbt die Bundesregierung seit langem bei den Partnern in Brüssel für einen Kontrollrat nach dem Vorbild des deutschen NKR. Dass es auf europäischer Ebene dafür gegenwärtig noch keine Mehrheit gibt, ist bedauerlich. Aber im Gegensatz zu manch anderem wird die Bundesregierung deshalb nicht damit drohen, die Kavallerie ausreiten zu lassen. Das ist nicht der Stil unserer Bundeskanzlerin. Wir setzen auf partnerschaftliche Verhandlungen und darauf, dass sich die Vernunft letztendlich bei unseren europäischen Partnern und Freunden durchsetzen wird. Liebe Kollegen von der SPD-Fraktion, eines stößt mir noch schwer auf. Denn wenn ich mir Ihren Antrag so anschaue, wenn ich lese, dass Sie explizit fordern, die Mittelstandsorientierung beim Bürokratieabbau zu optimieren, dann kann ich nicht umhin, diese hehre Forderung mit dem konkreten Handeln der SPD in Sachen Bürokratieabbau ins Verhältnis zu setzen. Und dann sehe ich das Verhalten der SPD im Bundestag und im Bundesrat bei der Verkürzung der Aufbewahrungsfristen. Zur Erinnerung: Hier geht es darum, unsere Unternehmen von Bürokratiekosten in Höhe von jährlich 2,5 Milliarden Euro zu entlasten und Freiräume für Investitionen in die Zukunft zu schaffen. Und was macht die SPD? Sie blockiert! Statt konkret etwas für den Mittelstand – das Rückgrat unserer Wirtschaft – zu bewegen, betreibt die SPD eine Feigenblattpolitik und verschanzt sich hinter wohlfeilen Anträgen wie dem, über den wir gerade beraten. Wenn ich Ihnen diesen Rat geben darf: Unterschätzen Sie die Menschen im Lande nicht. Die Leute sind klug genug, zwischen bloßen Absichtserklärungen und konkretem Handeln zu unterscheiden. Am Ende gilt immer noch die alte Weisheit: An den Taten sollt ihr sie messen! Im Übrigen darf ich Sie daran erinnern: Es war kein Geringerer als Ihr Kanzlerkandidat, der genau das – die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen – in seinen Siegener Thesen vom 4. März dieses Jahres gefordert hat. Und dann haben Sie Ihren Kandidaten schön im Regen stehen lassen. Mit dem Programm Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung haben wir die Unternehmen in Deutschland von überflüssigen bürokratischen Fesseln befreit. Wir haben die Weichen gestellt, um zukünftig auch den Erfüllungsaufwand spürbar zu reduzieren. Wir haben das Mandat des NKR kontinuierlich erweitert und werben dafür, dass NKR-Erfolgsmodell auch auf europäischer Ebene einzuführen. Der Bürokratieabbau, die bessere Rechtsetzung, ist bei dieser Bundesregierung in guten Händen. Andrea Wicklein (SPD): Wir diskutieren heute über ein populäres Thema: Bürokratieabbau. Bürokratie ist bei vielen Menschen negativ besetzt. Per Definition ist sie die „Herrschaft der Verwaltung“ und wird oftmals als ein unbeherrschbares Monster erlebt. Aber Bürokratie- und Folgekosten sind per se nichts Schlechtes. Deshalb ist es wichtig, auch einmal die Vorteile zu betonen: Gesetze, Richtlinien und Verordnungen geben Rechts- und Planungssicherheit und sind dadurch auch ein wichtiger Standortfaktor für Deutschland. Bürokratie ist als Organisationsform eines modernen Staatswesens unerlässlich. Sie schützt Bürgerinnen und Bürger ebenso wie den Mittelständler vor willkürlichen Entscheidungen und sichert Chancengleichheit. Es gibt viele Beispiele anderswo, wo dies nicht der Fall ist und wo uns die Menschen um unser funktionierendes Staatswesen beneiden. Es geht also darum, überflüssige Bürokratie abzubauen. Unser Ziel muss eine bürger- und unternehmerfreundliche, transparente und moderne Bürokratie sein. Dieses Ziel ist Konsens: Gesetze besser, einfacher und kostengünstiger in ihrer Umsetzung zu machen. Um es einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Deutschland hat ohne Zweifel bei Bürokratieabbau und Kostentransparenz viel erreicht. Aber der Titel des heutigen Newsletters des Deutschen Industrie- und Handelskammertages bringt es gut auf den Punkt: „Bürokratieabbau – es bleibt viel zu tun“. Die Bundesregierung hat Mitte Mai in ihrem Bericht „Bessere Rechtsetzung 2012: Belastungen vermeiden. Bürokratischen Aufwand verringern. Wirtschaftliche Dynamik sichern“ erklärt, das 25-Prozent-Ziel erreicht zu haben. Das ist ja erstaunlich! Herzlichen Glückwunsch, Herr von Klaeden. Kurz nach der Vorlage unseres Antrages, der heute zur Debatte steht, erreicht die Bundesregierung ihr Bürokratieabbauziel innerhalb kürzester Zeit. Da sehen Sie, was für eine Wirkung ein solcher parlamentarischer Antrag der Opposition haben kann. Was auf den ersten Blick als Erfolgsmeldung daherkommt, entpuppt sich also bei näherer Betrachtung in mehrfacher Hinsicht als verwaschenes Ergebnis. Werfen wir einen kurzen Blick zurück: Vor sieben Jahren war die Bundesregierung eindrucksvoll mit dem Bürokratieabbau gestartet. In kurzer Zeit gelang es, den Nationalen Normenkontrollrat zu etablieren, das Standardkostenmodell einzuführen und drei Mittelstandsentlastungsgesetze zu verabschieden. So konnten die Belastungen der Wirtschaft durch unnötige Bürokratie um 20 Prozent abgebaut werden. Einer der bisherigen Erfolgsfaktoren waren die verbindlichen Abbauziele des Regierungsprogramms. Nach 2009 stagnierte diese unter maßgeblicher SPD-Beteiligung gestartete Erfolgsgeschichte. Noch im vergangenen Jahr kritisierte der Normenkontrollrat in seinem Jahresbericht den Stillstand bei der Umsetzung des Bürokratieabbaus durch die Bundesregierung. Seine genauen Worte waren: „ ... dass das Engagement, mit dem einzelne Ressorts an der Reduzierung und Vermeidung von Bürokratie und Erfüllungsaufwand arbeiten, erkennbar an Schwung verloren hat.“ Und nun erklärt die Bundesregierung Mitte Mai das Ziel also für erreicht. Natürlich klingt das erst einmal positiv. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten – das wird anhand des Berichts der Bundesregierung mehr als deutlich. Denn angekündigt hatte die Bundesregierung das Erreichen des 25-Prozent-Ziels bis Ende 2011. Fällt Ihnen etwas auf, meine Damen und Herren von der Koalition? Das wäre bereits vor anderthalb Jahren gewesen. Oder anders ausgedrückt: Die Bundesregierung hat 18 Monate verschenkt. Verstrichene Zeit, die vor allem dem deutschen Mittelstand Kosten verursacht hat, die effektiv hätten reduziert werden können. Auch Ihnen war das klar, meine Damen und Herren von CDU, CSU und FDP. Anders kann ich mir Ihren im November 2011 eingebrachten Antrag „Weniger Bürokratie für den Mittelstand“ nicht erklären. Schon damals sahen Sie sich genötigt, Ihre Kolleginnen und Kollegen in der Bundesregierung zum Handeln aufzufordern. Und selbst jetzt ist nicht alles Gold, was glänzt: In seiner Stellungnahme zum aktuellen Bericht der Bundesregierung hat der Nationale Normenkontrollrat mehrere Punkte in der Darstellung der Bundesregierung kritisiert: Stichwort „Folgekosten“: Zwar stellt der Normenkontrollrat fest, dass sich die Transparenz zu den Folgekosten gesetzlicher Regelungen weiter verbessert hat. Aber – Zitat –: „Diese Folgekosten finden allerdings in den vorbereitenden politischen Diskussionen in der Regel noch nicht genügend Aufmerksamkeit.“ Stichwort „Erfüllungsaufwand“: Der Normenkontrollrat stellt positiv fest, dass es an dieser Stelle deutliche Entlastungen für Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger gibt. Allerdings kommt er bei drei Regelungsvorhaben zu einer höheren Einschätzung der Belastungen als die Bundesregierung in ihrem Bericht. Stichwort „quantitatives Gesamtziel“: Der Normenkontrollrat empfiehlt der Bundesregierung am Schluss seiner Stellungnahme, „ein quantitatives Gesamtziel zur Begrenzung bzw. Reduzierung des Erfüllungsaufwands“ festzulegen. Diese Forderung unterstützt die SPD uneingeschränkt. In all unseren bisherigen Anträgen zum Thema Bürokratieabbau haben wir dieses verbindliche Gesamtziel gefordert – so auch wieder in unserem heute zu beratenden Antrag „Bürokratieabbau optimieren“. Zudem fordern wir den Ausbau des Programms Bürokratieabbau vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. Wir halten es außerdem für dringend geboten, die bestehenden Programme zum Bürokratieabbau zur Chefsache im Kanzleramt zu machen. Machen Sie Bürokratieabbau zur Daueraufgabe – ohne zeitliche oder inhaltliche Begrenzung! Nach wie vor gibt es auf europäischer Ebene immer noch keinen europäischen Normenkontrollrat. Vor dem Hintergrund, das circa 50 Prozent der in Deutschland geltenden Regelungen unmittelbar auf EU-Recht basieren, ist ein solches Gremium wirklich notwendig, um spürbare Entlastungen zu erreichen. Wir brauchen einen europäischen Normenkontrollrat, der Regelungsvorhaben der EU schon in der Frühphase auf mögliche Bürokratiekosten hin kontrolliert. Den Nationalen Normenkontrollrat gilt es nach unserer Meinung weiter zu stärken. Wir brauchen ihn als starkes, unabhängiges Gremium bei der Bewertung und Begleitung der Initiativen. Johannes Ludewig hat es in seinem Gastkommentar im Handelsblatt treffend beschrieben: Bürokratieabbau bedeutet das Bohren dicker Bretter. – Machen wir uns gemeinsam an die Arbeit. Die Zustimmung zu unserem Antrag wäre dazu ein erster Schritt! Frank Schäffler (FDP): Der bisher betriebene Bürokratieabbau bezieht sich vor allem auf die Informationspflichten. Bürgern und Verwaltung entsteht Aufwand, wenn sie solche Informationspflichten erfüllen wollen. Der Bürger muss Formulare ausfüllen, die Verwaltung muss die darin enthaltenen Informationen und Angaben erfassen, auswerten und speichern. Diese Pflichten sind in der Tat nur ein Teil der Bürokratiekosten. Sie sind kein geringer Anteil. Im Gegenteil, sie sind ziemlich bedeutend. Jeder Bürger weiß, dass der Informationshunger des Staates kaum zu lindern ist. Daher haben die Antragsteller völlig recht, wenn sie erklären, dass Bürokratiekosten nicht nur aus Informationspflichten stammen. Die Antragsteller haben völlig recht, dass Belastungen vor allem auch durch den Vollzug von bundesrechtlichen Vorschriften entstehen. Die Analyse ist richtig. Gut gemacht, SPD! Doch wären wir in der Schule, käme nach dem Abfragen des Wissensteils die Transferleistung. An diesen nur leicht höheren, für die Versetzung aber notwendigen Anforderungen scheitern Sie jedoch. Wenden Sie doch einmal die Fakten auf Ihre eigenen Vorhaben an! Ich will gern dabei behilflich sein: Die Grundlage für bürokratische Vollzugskosten sind bürokratieverursachende bundesrechtliche Regelungen. Ganz spontan fallen mir aus meinem eigenen Arbeitsfeld, Finanzmärkte und Steuerpolitik, höchst bürokratieträchtige Forderungen ein, mit denen Sie seit Jahren hausieren gehen. Erstens erinnere ich an die steuerlichen Aufbewahrungsfristen. Die Koalition wollte die Aufbewahrungsfristen verkürzen. Dazu gibt es mittlerweile einen zweiten Anlauf. Den ersten haben Sie im Bundesrat blockiert. Mit dem Regierungsentwurf zum Jahressteuergesetz 2013 wollten wir diese von der Wirtschaft seit langem geforderte Entlastungsmaßnahme umsetzen. Die Verkürzung der steuerlichen Aufbewahrungs- und Prüffristen hätte ein jährliches Einsparpotenzial von 2,5 Milliarden Euro gebracht. Hätte der Bundesrat, hätten Sie im Bundesrat zugestimmt, dann hätten wir 2,5 Milliarden Euro Bürokratiekosten gespart. Das entspricht den Aufwendungen des Bundes im Jahr 2012 für seine Bundesfernstraßen. Machen wir uns nichts vor: Wer Bürokratie abbauen will, der muss auch loslassen können. Der muss den Bürger loslassen können. Der muss dem Bürger die Freiheit einräumen, seine Steuerbelege nicht zehn Jahre aufheben zu müssen. Zweitens erinnere ich an die Vermögensteuer – also eine laufende Vermögensabgabe. Gerade eben haben Sie wieder einmal eine solche Vermögensabgabe gefordert. Das sei erforderlich, um die Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise zu stemmen. Ich kann mir den Seitenhieb nicht ersparen: Erst beteiligen Sie sich an der Rettung der Banken auf Kosten der ersten Gruppe der Steuerzahler. Dann wollen Sie eine zweite Gruppe der Steuerzahler belasten, um die erste zu entschädigen. Die Bankenrettungen selbst hinterfragen Sie nicht. Die Sozialdemokraten sind eben auch nicht mehr mit denen von früher vergleichbar. Doch zurück zur Vermögensteuer. Es gab wohl keine einzige Steuer, die einen so hohen Bürokratieaufwand bedeutet hat wie die Vermögensteuer. Sie müssen Finanzbeamte einstellen, um die Privat- und Betriebsvermögen zu erfassen, die Vermögensgegenstände zu bewerten und die Bewertungen zu überprüfen. Die Erhebungskosten einer Vermögensteuer werden auf bis zu 33 Prozent vom Aufkommen geschätzt. Und das wären nur die Erhebungskosten aufseiten der Verwaltung. Die Befolgungskosten aufseiten des Bürgers fehlen noch. Angenommen, Ihre Vermögensabgabe beträgt 15 Milliarden Euro, dann verursachen Sie Erhebungskosten von 5 Milliarden Euro plus Befolgungskosten bei den Bürgern. Aber die Bürger sind Ihnen ja egal. Die Bürger wollen Sie nicht loslassen. Die Bürger sollen Ihr Versagen bei der Bankenrettung bezahlen. Drittens erinnere ich an die Finanztransaktionsteuer. Das ist ein weiteres Wunderwerk sozialdemokratischer Gesetzgebungsvisionen. Für was alles haben Sie das Aufkommen dieser Steuer nicht schon verplant! Ich habe den Überblick verloren. Denn die Finanztransaktionsteuer ist für Sie so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau der Staatsausweitung. Sie wollen eine Steuer auf jede Art der Finanztransaktionen. Doch was bedeutet das für die Betroffenen? Devisenhändler erklären, dass jeder Euro Steueraufkommen die Betroffenen einen gleichen Betrag kosten wird, der durch die Befolgungskosten verursacht wird. Das ist ja auch kein Wunder, denn eine FTT würde eine Herausforderung fürs Datenmanagement und die IT-Infrastruktur jeder Finanzinstitution bedeuten. Jeder Transaktionstyp bräuchte gesonderte Verfahren, möglicherweise erhebt jedes Land einen eigenen Steuersatz, die vom Kommissionsvorschlag vorgesehenen Ausnahmen müssen erfasst werden, den zentralen Gegenparteien müssen die Daten geliefert werden, den Kunden müssen die Steuern offengelegt werden und die womöglich tägliche automatische Abführung der Steuer eingerichtet werden. Und schließlich werden Dutzende von Großkanzleien europaweit die Compliance der Finanzinstitutionen bewerten, mehrere Zehntausend Seiten Rechtsgutachten dazu verfassen und Honorarrechnungen schreiben. Diesen bürokratischen Wahnsinn fordert, wer eine FTT fordert. Wer Bürokratieabbau will, der muss den Bürger gehen lassen. Der muss ihm vertrauen. Der muss dem Bürger Freiheit geben. Nichts davon wollen Sie. Hören Sie auf, davon zu sprechen, den bürokratischen Vollzugsaufwand abbauen zu wollen. Bürokratie abbauen kann nur, wer dem Bürger vertraut, wer einen schlanken Staat, wer staatliche Selbstbeschränkung will. Bürokratie abbauen kann nur, wer auf staatliche Regelungen verzichten kann. Bürokratie abbauen kann nur, wer auf Steueraufkommen verzichten kann. Bürokratie abbauen kann nur, wer den Primat des Rechts statt des Primats der Politik verficht. Bürokratie abbauen kann nur, wer liberal ist. Michael Schlecht (DIE LINKE): Das Wort Bürokratie hat bei vielen Bürgerinnen und Bürgern einen schlechten Klang. Millionen von Menschen in Deutschland sind regelmäßig mit den Mühlen der Bürokratie beschäftigt, wenn es darum geht, ihren Anspruch auf ALG II einzufordern oder ihre Steuererklärung zu machen. Alles Bereiche, in denen ein Bürokratieabbau millionenfache Jubelstürme auslösen würde. Doch im vorliegenden Antrag zeigt die SPD, für wen ihr Herz beim Thema Bürokratieabbau schlägt: nicht etwa für die Bürgerinnen und Bürger, sondern für den Mittelstand. Nun ist die Reduzierung von unnötiger Bürokratie auch für den Mittelstand, welcher erheblich zum Wohlstand in Deutschland beiträgt, insbesondere bei der Beschäftigung, nichts Verwerfliches. Bedenklich wird es nur, wenn der Abbau von Berichts-, Informations- und Aufbewahrungspflichten zu einer Verschlechterung im Bereich des Arbeitnehmer- oder Verbraucherschutzes oder im Bereich der Steuerbefolgung führt. Der Normenkontrollrat gab in seinem Bericht aus dem Jahr 2012 freimütig zu: „Die vom NKR abschließend geprüften Regelungsvorhaben führen im Saldo zu einer Reduzierung des jährlichen Erfüllungsaufwands von rund 1,4 Milliarden Euro. Dieser Rückgang des Aufwands geht allerdings im Wesentlichen auf eine einzige Maßnahme zurück – die Reduzierung der Aufbewahrungsfristen nach dem Steuer- und Handelsrecht. Ohne diese Maßnahme wäre ein Anstieg des Erfüllungsaufwands seit Juli 2011 von rund 1,1 Milliarden Euro zu verzeichnen.“ Auch wenn in die berechnete Reduzierung des Erfüllungsaufwandes durch die Aufbewahrungsfristen nach Steuer- und Handelsrecht hoffentlich nicht die hierdurch erleichterte Steuerhinterziehung mit eingegangen ist, bleibt der Eindruck nicht nur bei dieser Maßnahme, dass der Abbau von Bürokratie zu weniger Transparenz und weniger Gerechtigkeit führt. Die Unehrlichen profitieren doppelt: von der offiziellen Entlastung bei der Bürokratie und durch ihre Unredlichkeit. Bei aller Sinnhaftigkeit von Bürokratieabbau darf damit keine Reduzierung von Arbeitnehmer- und Verbraucherschutzrechten einhergehen und keiner Steuervermeidung Vorschub geleistet werden. Dazu sagt der Antrag leider viel zu wenig; daher können wir ihm so nicht zustimmen. Darüber hinaus würden wir uns von der SPD einmal ebenso viel Engagement bei der Überwindung des Bürokratiemonsters Hartz IV wünschen, wie sie mit diesem Antrag für den Mittelstand an den Tag gelegt hat. Susanne Kieckbusch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich finde Bürokratie, ich finde Verwaltung mehr als wichtig. Bürokratie, Verwaltung sorgen für Gerechtigkeit. Bürokratie, Verwaltung sorgen für Entlastung. Sie sorgen für Entlastung bei den Beamten, weil diese nicht mehr persönlich in der Verantwortung stehen und sich nicht rechtfertigen müssen für das, was sie im Auftrag des Staates tun und entscheiden müssen. Sie sorgen für Entlastung bei der Bürgerschaft, weil diese ihre Möglichkeiten abschätzen kann; sie kann sich die Wahrscheinlichkeit ausrechnen für ihr Begehren. Die Bürgerinnen und Bürger wissen schon vorher über ihr Anrecht Bescheid und können Abweisungen einordnen. In den letzen zwei Monaten habe ich sehr viele Bürgermeister, einige Landräte, IHKs und Betriebe besucht. Der allgemeine Tenor war: Uns geht es eigentlich ganz gut. Aber wenn man einmal sagen dürfte, was richtig drückt, dann wäre das die ständig wachsende und anspruchsvoller werdende Bürokratie. Alle gaben zu, dass unsere Bürokratie dabei hauptsächlich selbstgemacht ist. EU-Verordnungen werden im Bundestag ergänzt, im Landtag ausgeweitet und in den Regierungspräsidien verfeinert. Vor Ort muss dies im Detail abgearbeitet werden, ohne dass der Sinn und Zweck dieser ordnungspolitischen Maßnahmen zu erkennen ist. Es besteht Dokumentationspflicht: Dokumentationspflicht für Betriebe. Dokumentationspflicht für Arztpraxen. Dokumentationspflicht für Schulen. Dokumentationspflicht für Altenheime. Dokumentationspflicht für Verwaltungen. Dokumentationspflicht für alles und jedes. Wer wertet diese Daten alle aus? Wo fließen die Erkenntnisse wieder in Verwaltungshandeln zurück? Hochqualifizierte Fachkräfte vernutzen ihre teure Arbeitszeit für die Eingabe statistischer Daten, und die Kernaufgaben bleiben liegen. Und wie verhält sich die Bevölkerung bei diesem Irrsinn? Anträge auf berechtigte Leistungen werden erst gar nicht gestellt. Das läuft natürlich gegen jede soziale Gerechtigkeit, wenn nur noch Nervenstarke ihre Anträge ausgefüllt bekommen oder aber beim Ausfüllen etwa von Bildungsgutscheinen ohne tatkräftige Unterstützung von studierten Sozialpädagogen gar nichts läuft. Aus der Haltung „Das liest sowieso niemand“ entsteht ein völlig beliebiges Füllen der Vorlagen mit ausgedachten Daten. Nicht wenige mittelständische Unternehmen gehen diesen Weg, weil sie anders den Datenwust nicht bewältigt bekommen. Bürokratisches Handeln ohne Rückwirkung auf das wirkliche Leben wird nicht ernst genommen, führt sich selber vor, lässt staatliches Handeln lächerlich wirken. Wie am Anfang bereits gesagt: Ich finde Verwaltung, eine gut aufgestellte Bürokratie ungemein wichtig; ich halte sie sogar für eine Voraussetzung für demokratisches, staatliches Handeln. Aber mit dem momentanen Bürokratiemoloch vergeuden wir Geld, Zeit, Nerven und sorgen für ständig schwindende Akzeptanz und wachsende Staatsverdrossenheit. Die Kolleginnen und Kollegen der SPD haben zum Ende der Legislaturperiode das wichtige Thema Bürokratieabbau nochmals auf die Tagesordnung gesetzt und ihm damit die angemessene Wichtigkeit gegeben. Da die Bundesregierung auch hier nicht ausreichend handelt, muss eben die Opposition übernehmen. Die Forderungen der SPD unterstützen wir und werden dem Antrag daher zustimmen. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Nutzung verwaister und vergriffener Werke und einer weiteren Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 25) Ansgar Heveling (CDU/CSU): In öffentlichen Bibliotheken oder Archiven kommt es regelmäßig vor, dass sich bei Büchern, Filmwerken, Tonträgern oder sonstigen Werken wie Computerspielen oder anderen Softwareprogrammen der oder die Urheber nicht oder nicht mehr ermitteln lassen. Dies sind dann sogenannte verwaiste Werke. Den Bibliotheken und Archiven ist es in diesen Fällen zwar erlaubt, diese Werke zu digitalisieren und in ihren Datenbanken zu archivieren, sofern kein technischer Kopierschutz besteht, eine rechtssichere Möglichkeit, die angefertigten Digitalisate im Anschluss auch für die öffentliche Nutzung zugänglich zu machen, gibt es jedoch nicht. Deshalb hat sich die Europäische Union dieses Themas angenommen und im Oktober des vergangenen Jahres die Richtlinie über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke beschlossen, um eine einheitliche europäische Regelung zu schaffen. Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Nutzung verwaister und vergriffener Werke und einer weiteren Änderung des Urheberrechtsgesetzes wollen wir nun diese Richtlinie in deutsches Recht umsetzen. Dabei gehen wir über die Vorgaben der Richtlinie hinaus und regeln zusätzlich zu den verwaisten Werken auch die Nutzung vergriffener Werke. Denn eine der zentralen Grundlagen unserer Informationsgesellschaft ist ein freier, aber damit nicht zwangsläufig kostenfreier und ungehinderter Zugang zu und Austausch von Wissen, Forschungsergebnissen und anderen Informationen. Durch die Digitalisierung sind die entsprechenden Möglichkeiten schier unendlich geworden. Doch damit die auch in verwaisten oder vergriffenen Werken enthaltenen Daten, Inhalte und Informationen einer möglichst großen Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden können, wird dies durch die neue gesetzliche Regelung künftig möglich sein. Denn wir dürfen nicht riskieren, dass einige oder möglicherweise sogar viele Werke nicht öffentlich zugänglich gemacht werden und damit kulturelles Erbe verloren gehen könnte. Im Rahmen eines gemeinsamen Projektes sind Bund, Länder und Kommunen derzeit dabei, die Deutsche Digitale Bibliothek, DDB, aufzubauen und einzurichten. Die DDB ist nicht zuletzt auch Bestandteil der europäischen digitalen Bibliothek Europeana, die durch die DDB einen erheblichen quantitativen wie qualitativen Mehrwert erhält. Mit der neuen gesetzlichen Regelung ermöglichen wir die Weitergabe unseres wertvollen kulturellen Erbes auch an künftige Generationen. Mithilfe der Digitalisierung unseres wissenschaftlichen und kulturellen Erbes wollen wir sicherstellen, dass dauerhaft Schriften, Filme und Tonträger zugänglich sind. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält außerdem eine neue Regelung für das Zweitverwertungsrecht für Autoren wissenschaftlicher Beiträge. Dennoch soll das Recht auf diejenigen Beiträge in Zeitschriften beschränkt werden, die mindestens zur Hälfte öffentlich finanziert wurden. Zudem wird es bis zur Möglichkeit einer Zweitveröffentlichung eine angemessene Frist von zwölf Monaten nach der Erstveröffentlichung geben. Die Zweitveröffentlichung darf darüber hinaus nur zu nichtgewerblichen Zwecken erfolgen. Wir setzen uns dafür ein, dass zwischen den berechtigten Interessen der Autoren auf der einen und der Verleger auf der anderen Seite ein angemessener Ausgleich hergestellt wird. Dabei ist zu überlegen, wie die Rechte und Pflichten zwischen Urheber und Verleger genau geregelt werden. Es geht hierbei darum, das Zweitverwertungsrecht so auszugestalten, dass der Urheber die zusätzliche Option haben sollte, ein Angebot seines Verlegers wahrzunehmen, das auf einer gegenseitigen Vereinbarung beruht. Diese allgemein als Golden Open Access bezeichnete Regelungsvariante sollte aus unserer Sicht in die Überlegungen im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahren mit einbezogen werden. Aus unserer Sicht ist dabei sogar die Variante zu bedenken, dem Golden Open Access Vorrang vor einem Zweitveröffentlichungsrecht zu geben, nämlich in den Fällen, in denen der Verlag dem Autor gegen eine angemessene Vergütung ein Angebot zur Zweitveröffentlichung unterbreitet. Insbesondere im Rahmen der anstehenden Sachverständigenanhörung werden wir uns noch im Einzelnen mit den in dem vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen auseinandersetzen. Dort wird auch Gelegenheit bestehen, offene Fragen zum Thema Zweitverwertungsrecht sowie die oben ausgeführten Überlegungen zu erörtern und zu klären. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich stets für einen „dritten Korb“ im Urheberrecht stark gemacht. Es ist bedauerlich, dass von der ursprünglichen Fülle urheberrechtlicher Themen zunächst nur der nun vorliegende kleine Rest übrig geblieben ist. Wir werden uns jedenfalls auch in Zukunft für einen „dritten Korb“, der dieses Namens würdig ist, einsetzen. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Urheber haben ein Recht darauf, dass ihre geistige Schöpfung geschützt wird. Deshalb räumt ihnen das Urheberrecht die Rechte am eigenen Werk ein. Wer fremde Werke nutzen möchte, muss dafür die Zustimmung des Urhebers einholen. Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod des Schöpfers. Das erklärt, weshalb es vielfach verwaiste Werke gibt, deren Urheber nicht auffindbar oder identifizierbar sind. Da hier die Zustimmung der Rechteinhaber nicht eingeholt werden kann, ist eine Nutzung der Werke unmöglich. Auch bei mehreren Miturhebern ist eine Werknutzung so lange unmöglich, bis alle Miturheber ihre Zustimmung zur Nutzung erteilt haben. Besonders evident wird diese Problematik bei der derzeit stattfindenden Digitalisierung wertvoller Kulturgüter. Aufgrund von verwaisten Werken können Millionen von Büchern, Fotos, Filmen und Tonträgern weder kopiert noch anderweitig verwendet werden. Damit droht ein Teil unseres kulturellen Erbes für immer verloren zu gehen. Der Aufbau der Digitalen Deutschen Bibliothek – auch als Unterstützung der europäischen digitalen Bibliothek EuroPEANA – wird durch diesen Umstand erheblich erschwert. Um hier entgegenzusteuern, soll die Nutzung verwaister Werke künftig in engem Rahmen zugelassen werden. Danach können privilegierte Institutionen – das sind Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen, Archive sowie Einrichtungen im Bereich des Film- oder Tonerbes – verwaiste Werke aus ihren Beständen vervielfältigen und öffentlich zugänglich machen, wenn sie dabei zur Erfüllung ihrer im Gemeinwohl liegenden Aufgaben handeln. Damit setzen wir zugleich die EU-Richtlinie über verwaiste Werke in deutsches Recht um. Vor einer solchen Nutzung hat die privilegierte Einrichtung eine sorgfältige Suche in Bezug auf die Urheberschaft durchzuführen und gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt entsprechend zu dokumentieren. Sofern der Rechteinhaber im Nachhinein ausfindig gemacht wird, verbleibt ihm ein Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung für die erfolgte Nutzung unter Aufrechterhaltung seiner Nutzungsrechte. Auch für vergriffene Printwerke werden im Rahmen des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes Regelungen getroffen, um die Digitalisierung und Archivierung von solchen Werken zu ermöglichen. Hierzu bildet der Gesetzentwurf einerseits eine bereits etablierte Praxis der Verwertungsgesellschaften ab, die sich vertraglich die entsprechenden Rechte ihrer Mitglieder für die Nutzung vergriffener Werke einräumen lassen. Darüber hinaus wird die Möglichkeit geschaffen, auch vergriffene Werke, deren Urheber nicht Berechtigter einer Verwertungsgesellschaft ist, zu digitalisieren und online zu stellen. Umgesetzt wird dies durch eine gesetzlich jederzeit durch den Rechteinhaber widerlegbare Vermutungsregelung für Printwerke, die vor dem 1. Januar 1966 veröffentlicht wurden. Eine Lizenzierung von solchen Werken durch eine Verwertungsgesellschaft wird allerdings erst dann zulässig sein, wenn das Werk in ein neu zu schaffendes Register vergriffener Werke eingetragen wurde und der Rechteinhaber der Wahrnehmung seiner Rechte durch die Verwertungsgesellschaft nicht widersprochen hat. Flankierend zu der bereits beschlossenen Verlängerung der Wissenschaftsschranke in § 52 a UrhG wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schließlich ein verbindliches Zweitverwertungsrecht für Autoren von wissenschaftlichen Beiträgen und Periodika einführen, die überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden. Dies ist ein weiterer wichtiger Baustein zur Weiterentwicklung des Bildungs- und Wissenschaftsstandorts Deutschland. Denn Wissenstransfer ist die Grundlage für Bildung, Forschung und Entwicklung und damit eine wichtige Voraussetzung, um unserem Land auch in Zukunft einen Spitzenplatz im internationalen Wettbewerb zu sichern. Im Bereich wissenschaftlicher Publikationen müssen öffentliche Bibliotheken oft hohe Summen entrichten, um Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, obwohl die Forschungen selbst überwiegend durch öffentliche Gelder finanziert wurden. Diese Schieflage wollen wir beseitigen und damit sicherstellen, dass Forschungsergebnisse zu annehmbaren Konditionen verfügbar sind. Nicht zuletzt werden dadurch die Potenziale des Internets für die Wissensgesellschaft besser erschlossen. Dem Urheber eines überwiegend durch öffentliche Mittel finanzierten wissenschaftlichen Beitrags wird deshalb nach einer Karenzzeit von zwölf Monaten das Recht eingeräumt, seinen Beitrag öffentlich zugänglich zu machen, soweit dies keinem gewerblichen Zweck dient. Diese Regelung soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem wirtschaftlichen Interesse der Verlage und dem öffentlichen Interesse am Zugang zu Forschungsergebnissen schaffen. Im weiteren Verfahren sollten wir jedoch noch einmal sorgfältig überlegen, wo genau die Trennlinien dieses Interessenausgleichs im Detail zu ziehen sind. Siegmund Ehrmann (SPD): „Das Urheberrecht hat in der modernden Medien- und Informationsgesellschaft eine Schlüsselfunktion. Wir werden das Urheberrecht deshalb entschlossen weiterentwickeln, mit dem Ziel ein hohes Schutzniveau und eine wirksame Durchsetzbarkeit des Urheberrechts zu gewährleisten. Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir zügig die Arbeit an einem Dritten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft („Dritter Korb“) aufnehmen.“ Das ist ein Auszug aus dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP. Ich weise auf die Begrifflichkeiten hin: „entschlossen weiterentwickeln“, „zügig die Arbeit ... aufnehmen“ für einen „Dritten Korb“. Wir sind nun in der drittletzten Woche vor Ende der Legislaturperiode, und Schwarz-Gelb hat bislang lediglich ein Leistungsschutzrecht für Verlage auf den Weg gebracht, was auch von wohlmeinenden Experten als handwerkliche Katastrophe bezeichnet wird. Über das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken wird wohl bis zur letzten Sitzungswoche gestritten; jedenfalls konnte es bis heute noch nicht abschließend beraten werden. Dass es wirklich kommt, glaube ich noch nicht. Ich erwähne das so detailliert, um deutlich zu machen, dass die Koalition beim Urheberrecht komplett versagt hat. Weder wurde das Urheberrecht entschlossen weiterentwickelt noch gibt es einen Dritten Korb und damit eine echte Reform. Stattdessen haben wir lauter kleine Puzzleteilchen, die noch nicht einmal ein Reförmchen ergeben. Zudem war es, bezogen auf die verwaisten und vergriffenen Werke – das soll der Fokus meiner Rede sein, da mein Kollege René Röspel den zweiten Schwerpunkt des heute zu debattierenden Gesetzesvorhabens, das Zweitverwertungsrecht, bewerten wird –, ein Leichtes, dazu einen Gesetzentwurf vorzulegen; denn dazu gibt es seit Oktober 2012 eine EU-Richtlinie, die damit mehr oder weniger eins zu eins umgesetzt wird. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte bereits im November 2010 ein Gesetz vorgelegt, um die überfällige Frage zu verwaisten und vergriffenen Werken zu regeln. Mit der Digitalisierung und der damit verbundenen und kulturpolitisch gewünschten öffentlichen Zugänglichmachung von Kulturgütern gehen bislang eine Reihe ungeklärter Rechtsfragen einher. Am Beispiel des aus meiner Sicht sowohl kulturpolitisch als auch technologisch hoch spannenden Projektes der Deutschen Digitalen Bibliothek wird deutlich, wie zwingend notwendig es ist, die Rechtefrage zu klären, um verwaiste Werke digitalisieren und damit in neuen Nutzungsformen zur Verfügung stellen zu können. Schätzungen über die Zahl der verwaisten Werke gehen weit auseinander. Jedoch gelten wohl zwischen 5 Prozent und circa 40 Prozent aller urheberrechtlich geschützten Titel als verwaist; im Bereich der Fotografie sind es sogar bis zu 90 Prozent. Das ist eine immense Zahl von kulturellen Werken, die sonst drohen dem kulturellen Gedächtnis verloren zu gehen. Die EU hat nun eine Richtlinie vorgelegt, die es ermöglicht, verwaiste Print-, Musik- und Filmwerke in neuen digitalen Nutzungsformen durch öffentlich zugängliche und im Gemeinwohl errichtete Institutionen, insbesondere Bibliotheken, Museen, Archiven, Film- und Tonerbeinstitutionen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zugänglich zu machen. Die nun vorliegende Umsetzung in deutsches Recht geht über diesen Kreis der durch diese Schrankenregelung Privilegierten und auch die darunter fallenden Werkformen nicht hinaus. Soweit ich das sehe, werden Zeitungen, Fotografien und Werke der bildenden Kunst nicht erfasst. Damit zählen beispielsweise Zeitungsverleger nicht zu den von der EU-Richtlinie begünstigten Nutzern und werden auch im vorliegenden Gesetzentwurf nicht berücksichtigt. Auch die Frage der kommerziellen Nutzung wird nicht berücksichtigt. All das sind Beschränkungen, die in einem ersten Schritt der EU-Richtlinie sicherlich gut begründet waren. Gleichwohl gäbe es in der nationalen Umsetzung sicherlich noch den einen oder anderen Punkt, über den man noch einmal intensiver nachdenken müsste. Doch dafür bleibt in den verbleibenden zwei Sitzungswochen schlicht keine Zeit. Das kann nun nicht mehr zuverlässig, beispielsweise in Form einer Anhörung, geprüft werden. Das ist sehr bedauerlich, handelt es sich doch um wichtige Fragen. Und damit komme ich zum Ausgangspunkt meiner Rede: Hätte die Koalition tatsächlich zügig die Arbeit an einer Reform des Urheberrechts aufgenommen, wie sie es vollmundig angekündigt hat, hätten viele dieser detailreichen Fragen auch im parlamentarischen Verfahren vernünftig geklärt werden können. Es wird also Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein, diese nun hastig noch auf den Weg gebrachten – ich gehe davon aus, dass die schwarz-gelbe Koalition in der Lage sein wird, wenigstens eine EU-Richtlinie noch rechtzeitig und ohne Streit in der Koalition umzusetzen – Gesetzesänderungen zu überprüfen und gegebenenfalls an den richtigen Stellen nachzustellen. Diese Aufgabe werden wir ab Herbst übernehmen. Das tun wir gern. Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass nun endlich auch CDU/CSU und FDP verstanden haben – auch wenn es des Anstoßes der EU bedurfte –, dass das Problem der verwaisten und vergriffenen Werke geregelt werden musste. René Röspel (SPD): Da mein Fraktionskollege Siegmund Ehrmann sich in seiner Rede mit den geplanten Gesetzesänderungen zur Nutzung verwaister und vergriffener Werke befasst hat, möchte ich mich in meiner Rede auf die Teile des vorliegenden Gesetzentwurfs beschränken, die die Einführung eines unabdingbaren Zweitverwertungsrechts für Autoren von wissenschaftlichen Beiträgen vorsehen. Mit der im Gesetzentwurf geplanten Änderung des § 38 des Urheberrechtsgesetzes soll erstmalig in Deutschland ein Zweitverwertungsrecht für die Wissenschaft im Urheberrecht verankert werden. Sinn und Zweck eines solchen Zweitverwertungsrechtes ist es, den Autoren von wissenschaftlichen Beiträgen ein Stück mehr Unabhängigkeit vom derzeit herrschenden Oligopol der Wissenschaftsverlage zu verschaffen. Dies ist nicht nur im Interesse der publizierenden Forscherinnen und Forscher in Deutschland, sondern auch im Sinne des Steuerzahlers; denn die bisherige restriktive Regelung des Urheberrechtsgesetzes führte letztlich dazu, dass das Oligopol der Wissenschaftsverlage seine Marktmacht ungehemmt ausnutzen kann mit dem Ergebnis, dass viele Hochschulen und Bibliotheken mit Steuergeld das Wissen zurückkaufen, das ebenfalls mit öffentlichen Geldern geschaffen wurde. Es ist daher erfreulich, dass die Bundesregierung diese wichtige – und vonseiten der Wissenschaft und uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schon lange geforderte – Änderung des Urheberrechts nun in Angriff nehmen will. Leider muss ich mit großem Bedauern feststellen, dass diese gute Idee offenbar in den langwierigen Verhandlungen zwischen Justiz- und Forschungsministerium derart zerrieben worden ist, dass von der Grundidee nur wenig übrig geblieben ist. Dies ist umso bedauerlicher, als den handelnden Akteuren in den jeweiligen Ressorts bereits seit März 2011 eine hervorragende Arbeitsgrundlage vorliegt: Ich spreche hier von dem tragfähigen Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion zum Zweitverwertungsrecht. Dieser berücksichtigt nicht nur die Empfehlungen der großen Wissenschafts- und Forschungsorganisationen in Deutschland, sondern auch die differenzierten Vorschläge des Bundesrates zum Thema. Doch leider scheint es die Bundesregierung mit ihrem versuchten Bekenntnis zum Zweitverwertungsrecht nicht wirklich ernst zu meinen. Bei ausführlicher Lektüre des vorgelegten Gesetzentwurfes wird deutlich, dass dies kein echtes Zweitverwertungsrecht ist, sondern eher ein Notlösungsmogelkompromiss. Denn wie aus der Begründung hervorgeht, soll der Anwendungsbereich des § 38 Urheberrecht gravierend eingeschränkt werden: Auf ein Zweitverwertungsrecht können sich nach dieser Begründung nur die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berufen, die entweder an einer außeruniversitären Forschungseinrichtung tätig sind oder die ihre zu publizierenden Forschungsergebnisse im Rahmen der öffentlichen Projektförderung getätigt haben. Diese willkürliche Beschränkung des Personenkreises wird zudem rechtlich sehr fragwürdig begründet: So bestehe angeblich ein besonders hohes staatliches Interesse an der Verbreitung der Forschungsergebnisse des genannte Personenkreises. Auch wenn sie dies gerne so hätte, bestimmt das Interesse an der Verbreitung bzw. die Relevanz von wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht die Bundesregierung, sondern die forschende Community selbst. Eine auf diese Weise begründete Einschränkung des Personenkreises halte ich für eine verfassungsrechtlich fragwürdige Ungleichbehandlung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Hochschulen. Ein solches – exklusives – Zweitverwertungsrecht für bestimmte, von der Bundesregierung als besonders relevant erachtete Forschungskreise ist nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich, sondern setzt zudem die Forschungsleistung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an deutschen Hochschulen herab. Es ist folglich nicht verwunderlich, wenn der Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz, Professor Horst Hippler, zu dem Ergebnis kommt, „dass durch den vorliegenden Gesetzentwurf der Eindruck entstehe, dass die Bundesregierung die Forschung an deutschen Hochschulen für zweitklassig halte“. Dass er mit seinem Urteil nicht allein dasteht, unterstreichen auch die Stellungnahmen der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, die ebenfalls eine solch unsachgemäße Einschränkung des Personenkreises ablehnt. Als sei dies nicht genug, unternimmt die Bundesregierung in ihrem vorliegenden Gesetzentwurf einen weiteren Versuch, ein echtes Zweitverwertungsrecht für die Forschung in Deutschland zu konterkarieren: Die in § 38 Abs. 4 vorgeschlagene Norm schränkt die Zweitveröffentlichung auf die „akzeptierte Manuskriptversion“ ein. Für das Zitieren von Beiträgen ist bekanntermaßen jedoch nicht die Manuskriptversion, sondern die publizierte Version relevant. Hier wurde eine Hürde aufgebaut, um das geplante Zweitverwertungsrecht für Wissenschaft und Forschung – im Interesse der großen Wissenschaftsverlage – möglichst unattraktiv zu machen. Zudem beeinträchtigt eine solche Einschränkung die Qualität der wissenschaftlichen Zweitpublikation in Deutschland. Weiterhin erschließt sich mir nicht, warum die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf nicht nur eine direkte Diskriminierung zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung, sondern auch eine indirekte zwischen den Fachdisziplinen anstrebt. Denn nichts anderes als eine einseitige Benachteiligung der Geistes- und Sozialwissenschaften ist die Konsequenz der geplanten gesetzlichen Einschränkung des Zweitverwertungsrechts auf „periodisch mindestens zweimal jährlich erscheinenden Sammlungen“. Denn gerade in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachdisziplinen zählt die wissenschaftliche Publikation in Sammelbänden und Proceedings zu den am weitesten verbreiteten Publi-kationsformen. Und warum soll überhaupt das Kriterium „zweimal jährlich“ relevant sein für das Recht, seine Erkenntnisse nach Einhaltung einer Embargofrist zweitverwerten zu dürfen? Lassen Sie mich abschließend Ihren Gesetzentwurf unseren Vorschlägen gegenüberstellen bzw. deutlich machen, was Ihren Entwurf von unserem unterscheidet: Erstens. Sie wollen ein Zweitverwertungsrecht lediglich einem Teil der Forschungsgemeinde zugestehen. Wir hingegen wollen es für alle Forschenden, deren Forschung mindestens zur Hälfte öffentlich finanziert wurde. Zweitens. Sie wollen ein Zweitverwertungsrecht für Sammlungen, die mindestens zweimal jährlich erscheinen. Wir hingegen setzen uns dafür ein, dass dieses Recht auf alle Publikationen – so auch Periodika und Sammelwerke – Anwendung findet. Drittens. Sie wollen den Forschenden die Veröffentlichung nur in der Manuskriptversion zugestehen. Wir hingegen bekennen uns zu wissenschaftlicher Qualität und befürworten die Zweitveröffentlichung in der publizierten Version. Dies sind aus unserer Sicht die wesentlichen Unterschiede zwischen Ihnen und uns. Unser Vorschlag wird von der Wissenschaftsgemeinde und dem Bundesrat unterstützt. Da stellt sich mir die abschließende Frage: Wer unterstützt eigentlich Ihren Entwurf außer dem Bundesministerium der Justiz? Geben Sie sich einen Ruck: Machen Sie einen Gesetzentwurf, der der Wissenschaft dient! Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Eines vorweg: Die beantragte Regelung zu verwaisten und vergriffenen Werken ist zwar nicht ganz das, was wir uns erhofft hatten. Die Linke hat eigene, weiter gehende Regelungsvorschläge in den Bundestag eingebracht. Aber es wäre möglich gewesen, hier politisch zusammenzukommen, denn das Grundanliegen teilen wir. Wir freuen uns, dass die Bundesregierung sich hier für eine Schrankenregelung entschieden hat. Das ist regelungstechnisch noch die sauberste Lösung, weshalb wir sie ja bereits vor zwei Jahren vorgeschlagen haben. Und schön, dass die Bibliotheken jetzt nicht vorab für jedes digitalisierte Werk zahlen müssen, sondern nur, wenn im Nachhinein ein Rechteinhaber bekannt wird. Die Bundesregierung greift Vorschläge der Linken auf – das freut uns, denn das passiert nicht alle Tage. Wir bedauern jedoch, dass das Bundesjustizministerium diesen sinnvollen Vorschlag im vorliegenden Gesetzentwurf mit der Einführung eines wissenschaftlichen Zweitveröffentlichungsrechts verknüpft, dem wir in der von Ihnen vorgelegten Fassung ganz und gar nicht zustimmen können. Dem ursprünglichen Sinn eines Zweitverwertungsrechtes nach sollte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglicht werden, ihre eigenen Arbeiten auch dann zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen, wenn sie zunächst in einer kommerziellen Zeitschrift erschienen waren. Stattdessen will die Regierung nun festschreiben, dass ein Verlag im Zweifel ein ausschließliches Recht zur Zugänglichmachung von Beiträgen seiner Autorinnen und Autoren im Internet erhält, auch wenn dies vertraglich gar nicht vereinbart ist. Bislang gilt eine solche Vermutungsregelung lediglich für die Druckausgabe einer Zeitschrift. Das ist eine unerhörte rechtliche Schlechterstellung der Autorinnen und Autoren! Damit wird den Urheberinnen und Urhebern ein Rechteverlust ungekannten Ausmaßes beschert. Bisher dürfen diese mit ihren Texten online machen, was sie wollen, es sei denn, sie haben vertraglich etwas anderes vereinbart. In Zukunft darf ihr Verlag es ihnen verbieten. Diese urheberfeindliche Neuregelung soll mit einem Zweitveröffentlichungsrecht verknüpft werden, das weitgehend leerläuft. So gilt es nur für die „Manuskriptversion“ – eine Veröffentlichung im Format und mit den Seitenzahlen der Druckfassung soll nicht drin sein. Damit führt die Bundesregierung unter der Hand einen rechtlichen Schutz des Druckbilds ein, das bislang aus gutem Grund urheberrechtsfrei ist. Zudem soll es nur für nichtgewerbliche Onlineveröffentlichungen gelten, obwohl in der Gesetzesbegründung ausdrücklich von einem „Verwertungsrecht“ gesprochen wird, das per definitionem gewerblichen Zwecken dient. Und vor allem soll es nur für Beiträge gelten, die „im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschungstätigkeit entstanden und in einer periodisch mindestens zweimal jährlich erscheinenden Sammlung erschienen“ sind. Indem auf die öffentliche Forschungsförderung abgestellt wird, schließt der Vorschlag die rein universitäre Grundlagenforschung von vornherein aus. Zukünftig sollen also Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die viele Drittmittel erhalten, im Urheberrecht besser gestellt sein als ihre Kolleginnen und Kollegen. Ich bezweifle, dass dies verfassungsgemäß ist. Nicht zuletzt soll die Zweitveröffentlichung erst nach einer Frist von zwölf Monaten erlaubt sein. Das ist gerade für Wissenschaft mit Aktualitätsbezug eine quälend lange Zeit, die eine Zweitveröffentlichung nochmals unattraktiv macht. Allem Anschein nach soll jetzt nach jahrelangem Zögern dieser Gesetzentwurf im Schnelldurchlauf noch diesen Monat durchs Parlament gebracht werden. Angesichts der offensichtlichen Mängel beim Vorschlag für das Zweitverwertungsrecht der Wissenschaft schlagen wir Folgendes vor: Trennen Sie es von den geplanten Regelungen zu den verwaisten Werken ab. Diese könnten wir zügig beschließen. Beim Zweitveröffentlichungsrecht schauen Sie besser noch einmal in Ruhe auf unsere wissenschaftsfreundlichen Vorschläge vom April 2011. Da schlagen wir fünf einfache Punkte vor: Erstens. Das Zweitverwertungsrecht soll sich auf alle wissenschaftlichen Publikationen erstrecken, die überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert worden sind. Zweitens. Eine Zweitveröffentlichung wird für alle Publikationsformen ermöglicht. Drittens. Die Sperrfrist, nach der das Zweitverwertungsrecht in Anspruch genommen werden kann, beträgt höchstens sechs Monate. Viertens. Eine formatgleiche Zweitveröffentlichung ist erlaubt, wenn die Erstveröffentlichung angegeben ist. Fünftens. Vertragliche Vereinbarungen, die das Zweitveröffentlichungsrecht einschränken, sind unwirksam. Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach Schätzungen der Deutschen Nationalbibliothek beträgt der Anteil der verwaisten Werke 30 bis 50 Prozent. Bei der British Library sind es ungefähr 40 Prozent. Wir reden also über eine beachtliche Zahl von Werken, die aufgrund der urheberrechtlichen Unsicherheit momentan nicht der Öffentlichkeit in elektronischer Form zugänglich gemacht werden können. Mehrfach haben wir die Bundesregierung in der laufenden Legislaturperiode aufgefordert, endlich eine Regelung für den Umgang mit verwaisten und vergriffenen Werken zu finden, und haben dazu zwei Anträge vorgelegt. Nun soll eine entsprechende EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. Was die rechtlichen Regelungen zur Nutzung verwaister Werke betrifft, schafft die Bundesregierung im vorliegenden Gesetzentwurf Rechtssicherheit für die betreffenden digitalisierenden Institutionen. Bei der entscheidenden Frage, wie jedoch das Problem der angemessenen Vergütung für die Rechteinhaber gelöst werden kann, dass möglicherweise nach der Veröffentlichung auftritt, lässt die Bundesregierung die nutzenden Institutionen im Regen stehen. Gemäß der EU-Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten selbst festlegen, wie die Umstände dieser Zahlung sind und zu welchem Zeitpunkt sie erfolgt. Die Bundesregierung aber legt gar nichts fest, sondern schiebt hier die ganze Verantwortung ab auf die nutzenden Institutionen: Diese müssen – wenn es nach dem vorliegenden Gesetzentwurf geht – zeitlich unbefristet Kosten für eine mögliche Ausschüttung an Rechteinhaber einkalkulieren und müssen gegebenenfalls ausschütten. Das bedeutet nicht nur einen unverhältnismäßigen bürokratischen Aufwand für die Institutionen. Unklar bleibt auch, woher sie diese Mittel nehmen sollen. Denn die gesetzlich für zulässig erklärte Nutzung darf laut EU-Richtlinie nur im Interesse des Gemeinwohls erfolgen, nicht zu kommerziellen Zwecken. Offensichtlich war die Bundesregierung nicht in der Lage, für dieses Problem eine praxistaugliche Lösung zu finden. In unseren Anträgen haben wir deutlich gemacht, wie die Ausschüttung und die Verwaltung von Vergütungsansprüchen für nachträglich auftretende Rechteinhaber geregelt werden sollten. Eine neu zu gründende und von den Verwertungsgesellschaften gemeinsam verwaltete Zentralstelle sollte – ähnlich der Zentralstelle Bibliothekstantieme, ZBT, – für die Verwaltung und für die Zurückstellung der nicht vermittelbaren Einnahmen zuständig sein. Der Anspruch auf eine angemessene Vergütung muss auf fünf Jahre ab Veröffentlichung begrenzt werden. Die Mittel, die nicht ausgeschüttet werden, sollten nach Ablauf der Frist an die Sozialwerke der Verwertungsgesellschaften gehen. Auch was den Umgang mit vergriffenen Werken betrifft, bietet der Gesetzentwurf unserer Ansicht nach keine befriedigende Lösung. Es wird zwar Rechtssicherheit im Umgang mit vergriffenen Werken geschaffen, die vor 1966 veröffentlicht wurden. Aber es fehlt eine Regelung, um zukünftig einer Unternutzung von Werken vorzubeugen. Wir fordern die Verankerung einer „Use it or loose it“-Regelung im Urheberrecht, die übertragene Werkrechte mit deren obligatorischer kommerzieller oder nichtkommerzieller Verbreitung verbindet. Damit würde nicht nur einer Unternutzung von vergriffenen Werken vorgebeugt, sondern auch sichergestellt, dass Nutzungsrechte automatisch wieder an den Urheber oder Lizenzgeber zurückfallen, wenn Werke nicht innerhalb einer angemessenen Frist verfügbar gemacht wurden. Auch für die Einführung eines unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrechtes für öffentlich finanzierte wissenschaftliche Autorinnen und Autoren enthält der vorliegende Gesetzentwurf Regelungen. Bereits 2011 hat meine Fraktion einen Antrag zu diesem Thema vorgelegt. Seitdem ist ein großer gesellschaftlicher Konsens in diesem Bereich zustande gekommen: Wissenschaft und Politik sind sich weitgehend einig, dass und wie ein unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht eingeführt und ausgestaltet werden muss. Ziel des Rechtes ist es, die Rechtssicherheit beim Open-Access-Publizieren im sogenannten grünen Weg herzustellen. Dadurch können wissenschaftliche Autorinnen und Autoren, deren Forschung und Lehre mit öffentlichen Mitteln finanziert wurden, ihre Publikationen rechtssicher nach einer angemessenen Frist im Sinne des Open-Access-Prinzips frei zugänglich machen. Dass sich das Justizministerium mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gegen den öffentlichen Konsens in diesem Bereich stellt, ist schon bemerkenswert. So sollen zum Beispiel Publikationen der Hochschulforschung von dem Zweitveröffentlichungsrecht ausgeschlossen werden, sofern diese nicht drittmittelfinanziert sind. Die Bundesregierung schafft – ohne sachliche Grundlage – zweierlei Recht beim wissenschaftlichen Publizieren. Eine Anpassung des Gesetzentwurfes in den anstehenden Ausschussberatungen gemäß der Stellungnahme des Bundesrates, Bundesratsdrucksache 265/13, und der Position der Kultusministerkonferenz sowie der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen – und natürlich gemäß unseres Antrages von 2011 – ist dringend notwendig. Leider ist Ihnen, liebe Koalition, wie so häufig in dieser Wahlperiode, anscheinend vor dem Ziel die Puste ausgegangen; denn die Einführung eines unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrechtes ist kein Ersatz für das 2009 im Koalitionsvertrag von Ihnen angekündigte „Dritte Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“. Zahlreiche weitere Änderungen im UrhG zugunsten von Wissenschaft und Bildung sind dringend notwendig. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz: Wir behandeln heute in erster Lesung den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Nutzung verwaister und vergriffener Werke und einer weiteren Änderung des Urheberrechtsgesetzes. Dieser Entwurf schafft Klarheit für wichtige Teilbereiche der aktuellen rechtspolitischen urheberrechtlichen Diskussion: Der Allgemeinheit wird der Zugang zu urheberrechtlich geschützten Werken über digitale Bibliotheken im Internet ermöglicht, wie beispielweise über die Deutsche Digitale Bibliothek und das entsprechende europäische Vorhaben, die Europeana. Damit tragen wir dazu bei, dass wesentliche Teile unseres Kulturgutes für die interessierte Öffentlichkeit erhalten bleiben. Außerdem wollen wir mit diesem Gesetz erreichen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse unter bestimmten Voraussetzungen breiter im Internet verfügbar sind als bisher. Wir wollen noch in dieser Legislaturperiode mit dem vorgeschlagenen Gesetz die EU-Richtlinie über die zulässige Nutzung verwaister Werke in deutsches Recht umsetzen und dabei zugleich auch die Nutzung von vergriffenen Printwerken erleichtern. Damit schaffen wir eine rechtlich sichere Grundlage für Digitalisierungsvorhaben, mit denen die Onlinebibliotheken aufgebaut werden. Dies ist also das kulturpolitisch wichtige Element des Regierungsentwurfs. Darüber hinaus wollen wir ein unabdingbares Zweitverwertungsrecht für Autoren von wissenschaftlichen Beiträgen einführen. Dieser Regelungsvorschlag trägt wissenschaftspolitischen Bedürfnissen Rechnung. In aller Kürze möchte ich Ihnen diese Regelungen vorstellen: Zunächst die Regelungen zu verwaisten Werken: Hiermit ermöglichen wir einen rechtmäßigen Zugang zu verwaisten Werken. Denn nach geltendem Urheberrecht ist die Onlinenutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten nur mit Zustimmung des jeweiligen Rechtsinhabers zulässig. Weil aber bei „verwaisten“ Werken, also Werken, deren Urheber oder Rechtsinhaber nicht bekannt oder auffindbar sind, diese erforderliche Zustimmung nicht eingeholt werden kann, besteht die Gefahr, dass diese Werke nicht im Internet verfügbar gemacht werden können und damit dem kulturellen Erbe verloren gehen. Die Richtlinie und dementsprechend auch der vorliegende Gesetzentwurf sehen vor, die Nutzung von verwaisten Werken durch eine gesetzliche Nutzungserlaubnis zu ermöglichen. Welche Werke von der Regelung erfasst werden und unter welchen Voraussetzungen dies geschieht, wird von der EU-Richtlinie zwingend vorgegeben. Unser Spielraum als nationaler Gesetzgeber ist begrenzt. So gilt die neue Regelung für Print-, Musik- und Filmwerke. Auch diejenigen Institutionen, die von der neuen gesetzlichen Nutzungserlaubnis Gebrauch machen dürfen, sind abschließend aufgezählt. Privilegierte Nutzer sind Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen, Archive, Film- oder Tonerbe-Institutionen. Genutzt werden dürfen nur verwaiste Werke. Ob ein Werk verwaist ist, muss durch eine sorgfältige Suche ermittelt werden. Für die Durchführung der sorgfältigen Suche sind die privilegierten Einrichtungen verantwortlich. Eine sorgfältige Suche darf aber auch durch andere Organisationen, zum Beispiel Verwertungsgesellschaften, durchgeführt werden, die wiederum ein Entgelt für diese Dienstleistung verlangen können. Wird ein Rechtsinhaber nachträglich bekannt, so erhält er eine angemessene Vergütung. Eine Vergütung ist von den nutzenden Einrichtungen nur dann nicht zu zahlen, wenn der Rechtsinhaber auch weiterhin unbekannt bleibt. Ergänzend zu den Regelungen für verwaiste Werke enthält unser Gesetzentwurf Regelungen zur Erleichterung der Onlinezugänglichmachung von vergriffenen Printwerken, die vor 1966 veröffentlicht wurden. Wir greifen damit die Vorschläge von den beteiligten Kreisen auf, die in Deutschland und auf europäischer Ebene gemacht wurden. Danach gilt für Verwertungsgesellschaften, die bereits die Rechte für die Onlinezugänglichmachung vergriffener Printwerke wahrnehmen, eine gesetzliche Vermutung dahin gehend, dass diese Verwertungsgesellschaften auch die Rechte von Außenseitern vertreten, also von Rechtsinhabern, die diesen Verwertungsgesellschaften nicht die Wahrnehmung ihrer Rechte übertragen haben. Die Vermutung gilt aber nur dann, wenn das jeweilige Werk in das „Register vergriffener Werke“ eingetragen wurde, das neu beim Deutschen Patent- und Markenamt eingerichtet wird, und wenn der Rechtsinhaber des Werkes der Wahrnehmung der Rechte durch die Verwertungsgesellschaft nicht widersprochen hat. Nun zum dritten Element des Entwurfs, dem unabdingbaren Zweitverwertungsrecht für Autoren von wissenschaftlichen Beiträgen in Periodika. Für Deutschland als „Land der Ideen“ ist ein möglichst effektiver Wissenstransfer von fundamentaler Bedeutung. Dieser Transfer ist Grundvoraussetzung für innovative Forschung und für die Umsetzung wissenschaftlicher Ergebnisse in Produkte und Dienstleistungen. Die Potenziale des Internets für die digitale Wissensgesellschaft sind aber noch nicht vollständig erschlossen. Gegenwärtig räumen die Autoren wissenschaftlicher Beiträge den Wissenschaftsverlagen vielfach ausschließliche Rechte zur kommerziellen Verwertung ihrer Beiträge ein. Damit verfügen allein die Wissenschaftsverlage über das Recht, diese Inhalte über Onlinemedien zugänglich zu machen. Hier wollen wir ansetzen und mit dem Zweitverwertungsrecht die urheberrechtlichen Rahmenbedingungen verändern. Das Zweitverwertungsrecht soll nur Beiträge betreffen, die im Rahmen der öffentlichen Förderung von Forschungsprojekten oder an einer institutionell geförderten außeruniversitären Forschungseinrichtung entstanden sind. Der Autor des jeweiligen Beitrages erhält nach unserem Gesetzentwurf das Recht, seinen Beitrag nach einer Frist von zwölf Monaten seit der Erstveröffentlichung zu nicht gewerblichen Zwecken erneut im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Mit diesem neuen Zweitverwertungsrecht für Wissenschaftler bringen wir Autoren und Nutzer näher zueinander und stärken die Wissenschaft. Wenn eine Forschungsarbeit mit öffentlichen Mitteln gefördert wird, ist es sachgerecht, wenn diese Arbeit nach der Fertigstellung auch im Internet als Grundlage für weitere Forschungen auf den Webseiten nicht gewerblich handelnder Wissenschaftsinstitutionen bzw. deren Repositorien verfügbar ist. Zudem verbessert der Gesetzentwurf die Stellung des Urhebers. Viele Wissenschaftler haben ein großes Interesse daran, ihre veröffentlichten Forschungsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auch praktische Erwägungen sprechen für das neue Zweitverwertungsrecht: Aufgrund der uneinheitlichen Praxis der Verlage und komplexer Regelungen in den allgemeinen Geschäftsbedingungen der entsprechenden Verträge der wissenschaftlichen Autoren mit ihren Verlagen ist für die Wissenschaftsinstitutionen oft nicht klar, unter welchen Bedingungen der jeweilige Verlag eine Zweitveröffentlichung gestattet. Die neue Regelung bringt jetzt Rechtssicherheit. Gleichzeitig berücksichtigt unser Gesetzentwurf die legitimen Interessen der Verlage. Durch die vorgesehene Karenzzeit soll eine Amortisation verlegerischer Investitionen gewährleistet werden. Zudem wird lediglich eine öffentliche Zugänglichmachung zu nichtgewerblichen Zwecken erlaubt. Im Interesse der Verleger ist stets die Quelle der Erstveröffentlichung anzugeben. Auch darf die Zweitveröffentlichung nur in dem Format der akzeptierten Manuskriptversion erfolgen. Wir haben also bei dem Gesetzentwurf auch zu diesem Bereich die unterschiedlichen Interessen gerecht gegeneinander abgewogen und die Anliegen der betroffenen Seiten einfließen lassen. Für eine Unterstützung dieses kultur- und wissenschaftspolitisch wichtigen Gesetzgebungsvorhabens bin ich Ihnen dankbar. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Wildtierhandel und -haltung in Deutschland einschränken und so den Tier- und Artenschutz stärken – Tier- und Artenschutz durch Beschränkung des Wildtierhandels stärken (Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 16) Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Wie wichtig uns als Unionsfraktion das Thema Tierschutz und Artenschutz ist, machen wir dadurch deutlich, dass Deutschland bereits heute bei den Tierschutzstandards weltweit führend ist. Im Hinblick auf Handel und Haltung von Wildtieren prüfen wir daher laufend, wie wir weitere Verbesserungen erreichen können. Im Zuge der letzten Novelle des Tierschutzgesetzes haben wir schon große Fortschritte erzielt: Das Verbringen oder die Einfuhr von Wirbeltieren, außer Nutztieren, zum Zwecke der Abgabe an Dritte bedarf künftig der Erlaubnis. Der Veranstalter einer Tierbörse braucht künftig einen Sachkundenachweis. Beim gewerbsmäßigen Handel mit Wirbeltieren, außer landwirtschaftlichen Nutztieren, sind dem künftigen Tierhalter bei der erstmaligen Abgabe eines Wirbeltieres schriftliche Informationen über die wesentlichen Bedürfnisse des Tieres, insbesondere über seine angemessene Ernährung und Pflege sowie über verhaltensgerechte Unterbringung und artgemäße Bewegung, zu übergeben. Selbstverständlich war die Unionsfraktion bereit, weitere Verbesserungen für die Wildtiere zu prüfen. Auch einen gemeinsamen fraktionsübergreifenden Antrag hätten wir uns vorstellen können. Umso bedauerlicher ist es, dass die Oppositionsfraktionen mit der Aufsetzung dieser neuen Anträge heute im Plenum bekundet haben, dass sie an einem gemeinsamen Vorgehen und damit an tatsächlichen Fortschritten für die Praxis kein Interesse haben. Offenbar geht es einem Teil dieses Hauses nur noch um parteipolitische Spielchen, während die christlich-liberale Koalition sich nach wie vor um sachliche und fachlich fundierte Arbeit bemüht. Die vorliegenden Oppositionsanträge zeigen klar, wie nötig eine genauere Befassung mit dem Thema vor Antragstellung gewesen wäre. Zur Überprüfung und Bewertung der auf dem Tisch liegenden Ansatzpunkte hätten wir eine weitere Diskussion und eine Einbeziehung externen Sachverstandes durch eine öffentliche Anhörung befürwortet. Angesichts der Verweigerungshaltung der Opposition müssen wir diese genauere Prüfung von Verbesserungsmöglichkeiten aber leider auf die nächste Legislaturperiode verschieben. Der Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen weist schon handwerkliche Fehler auf. Wie hätte es sonst zum Beispiel passieren können, Buntfrösche – die Amphibien sind – als Reptilien zu bezeichnen? Sie sehen, eine weitere Befassung mit dem Antrag wäre dringend nötig gewesen. Leider setzt sich diese Unausgegorenheit auch bei den Inhalten des Antrages fort. Der Antrag ist inhaltlich einseitig und die einzelnen Forderungen sind weder zielführend, praxistauglich durchsetzbar noch verhältnismäßig – von der Akzeptanz auf europäischer und internationaler Ebene einmal ganz abgesehen. Der naheliegende Gedanke, dass eine verbesserte Information der Bürger ein sinnvoller, schnell umsetzbarer erster Schritt zur Verringerung des Wildtierhandels ist, fehlt im Antrag vollkommen. Statt gleich Verbote zu fordern, wäre es viel sinnvoller, weitere Initiativen zur Stärkung des öffentlichen Bewusstseins über die mit Handel und Haltung von wildlebenden Tierarten verbundenen Probleme im Tier-, Arten- und Ökosystemschutz anzuregen. Aber der Antrag spricht von einem Importverbot von Wildfängen, „wenn es sich um gefährliche Arten handelt oder wenn die Tiere gefährliche Krankheitserreger in sich tragen“. Was ist denn mit „gefährlich“ in diesem Sinn gemeint? Dazu schweigt der Antrag. Er verschweigt zusätzlich, dass wir ja ein umfangreiches europäisches Veterinärrecht mit Gesundheitsanforderungen für die Einfuhr von Tieren haben. Darauf sollte man meiner Meinung nach auch aufbauen: Wissenschaftlich begründet und fachlich differenziert könnte man diese Gesundheitsanforderungen bei Bedarf nachjustieren. Ein weiteres Beispiel, wie praxisfern der rot-grüne Antrag ist, ist die Forderung, „die Importe von Nachzuchten bzw. Farmzuchten nach Deutschland kritisch prüfen zu lassen“. In Deutschland wird bereits sorgfältig und sachangemessen geprüft, ob die Tiere, die als Nachzucht deklariert und damit bei den Schutzvorschriften privilegiert sind, auch tatsächlich gezüchtet sind und nicht etwa Naturentnahmen sind. Weiterer Regelungen dazu bedarf es nicht. Die Forderung nach einem Handels- und Haltungsverbot für alle Tierarten, deren Haltung aus Tier-, Naturschutz und Artenschutzgründen, aber auch aus Gesundheits- und Sicherheitsaspekten nicht unbedenklich ist, schießt ebenfalls über das Ziel hinaus. Sie wirft zudem verfassungsrechtliche Fragen auf. Wir hätten gerne mit Experten erörtert, ob nicht andere gleich geeignete Mittel denkbar oder sinnvoll wären, zum Beispiel eine Erlaubnispflicht für die Haltung bestimmter Tierarten, gekoppelt an den Nachweis von Sachkunde und von geeigneten Haltungseinrichtungen. Letztlich dürfte es bei den Fragen, ob ein Tier artgerecht untergebracht ist und ob von ihm unverantwortbare Risiken ausgehen können, immer auf den konkreten Halter und auf die konkreten Haltungsbedingungen ankommen. Die Unionsfraktion lehnt es ab, die Tierhalter generell vorzuverurteilen. Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum Antrag der Fraktion Die Linke sagen. Die Verwandtschaft der vorliegenden Anträge ist ja klar erkennbar, weshalb ich nicht mehr auf die einzelnen Punkte eingehen muss. Eine Forderung der Linken möchte ich dennoch herausgreifen: ein generelles Importverbot von Wildfängen für den kommerziellen Lebendtierhandel in der EU gehe weit über das hinaus, was verfassungsrechtlich möglich und europaweit konsensfähig wäre. – Statt unsinnige und unrealistische Forderungen aufzustellen, sollten wir uns lieber darum kümmern, den Tier- und Artenschutz in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten tatsächlich schrittweise zu verbessern. Im Gegensatz zu den Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke sind die Koalitionsfraktionen hier auf dem richtigen Weg. Diesen Weg wollen wir auch fortsetzen. Wir sind stolz darauf, dass Deutschland heute bei den Tierschutzstandards weltweit führend ist. Und das soll auch so bleiben! Dieter Stier (CDU/CDU): Wir befassen uns heute mit zwei Anträgen der Opposition zur Beschränkung des Wildtierhandels in Deutschland. Auch die Regierungskoalition sieht den Handel und die Einfuhr von Wildtieren nach Deutschland als nicht unproblematisch an. Insbesondere der Handel mit Tieren über das Internet und über Tierbörsen kann aus unserer Sicht teilweise zu tierschutzrelevanten Problemen führen. Darüber hinaus haben wir auch Bedenken, ob Privatpersonen den teilweise sehr hohen Haltungsansprüchen vieler exotischer Arten in ausreichender Weise Rechnung tragen können. Die einschlägigen Bestimmungen des Tierschutzgesetzes, die Konkretisierungen durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes sowie die vom BMELV im Jahr 2006 herausgegebenen „Leitlinien zur Ausrichtung von Tierbörsen unter Tierschutzgesichtspunkten“ regeln bisher schon in großem Maße diesen Bereich. Meine Damen und Herren der Opposition, in der Sache sind wir doch überwiegend auf einer gemeinsamen Linie. Wir alle haben doch die gemeinsame Absicht, nachhaltige Verbesserungen beim Wildtierhandel und bei der Wildtierhaltung zu erzielen. Ein fraktionsübergreifender Antrag war bereits in Arbeit, wir hätten ihn gern weiter beraten, um zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Umso bedauerlicher, dass Sie jetzt jeweils mit einem eigenen Antrag vorgeprescht sind und der Regierungskoalition den Stempel der Tatenlosigkeit aufdrücken wollen. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Intention der beiden vorliegenden Anträge grundsätzlich unterstützt. Gleichzeitig möchte ich aber hervorheben, dass die auftretenden tierschutzrelevanten Probleme nicht fehlenden Gesetzen und Vorschriften geschuldet sind, sondern vielmehr durch Vollzugsdefizite der Kontrollbehörden nicht wirksam abgestellt werden. Wir brauchen keine neuen gesetzlichen Einschränkungen und Verbote, sondern die Einhaltung der bisher geltenden einschlägigen rechtlichen Bestimmungen muss gewährleistet sein. Im Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wird kritisiert, dass beim Kauf von Wildtieren über Tierbörsen, Baumärkte, Gartencenter, Internet und Zoogeschäfte eine umfassende Käuferberatung hinsichtlich der Haltungsansprüche der Tiere unterbleibt. Dass dieses Problem auftreten kann, ist schon lange bekannt. Deshalb haben wir im Dritten Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes eine neue Vorschrift eingeführt, welche vorsieht, dass dem privaten Tierhalter bei der erstmaligen Abgabe des Wildtieres eine schriftliche Information über die wesentlichen Bedürfnisse des Tieres bezüglich Ernährung, Pflege, Unterbringung und artgerechte Bewegung auszuhändigen ist. Und ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die überwiegende Anzahl der Privathalter ihre Tiere vorbildlich halten. Natürlich gibt es immer wieder schwarze Schafe unter den privaten Tierhaltern – wie in allen anderen Lebensbereichen der Gesellschaft auch. Wenn ich in der vergangenen Woche in der Zeitung lesen musste, dass in Straubing die Leiche eines 40-jährigen Schlangenzüchters im eigenen Haus unter nahezu 50 Riesen- und Würgeschlangen geborgen werden musste, dann ist das sicherlich ein schockierender Einzelfall, welcher für Schlagzeilen sorgt. Das Halten solcher Tiere sollte aus meiner Sicht jedoch zum Beispiel an Sachkunde und räumliche Gegebenheiten gebunden sein, ein Verbot wäre aus Sicht eines solchen Falles aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt. Die Forderung nach einem bundesweiten Netz von Auffangstationen für Wildtiere ist für mich ebenfalls nicht nachvollziehbar. In meinem Wahlkreis stelle ich keine steigende Anzahl von Fund- und Abgabetieren fest. Wir sollten nicht die Symptome eines verantwortungslosen Umgangs mit Wildtieren bekämpfen, sondern bereits bei der Kaufentscheidung intervenieren. Unerwünschte Spontankäufe können durch qualifizierte Beratung durch den Händler verhindert werden. Das bereits angesprochene Merkblatt zu den Haltungsanforderungen wird nach der Übergangsfrist von einem Jahr verpflichtend sein. Dem Verkäufer von Wildtieren kommt somit eine entscheidende Bedeutung zu. Für den gewerbsmäßigen Anbieter von Wildtieren gilt dieselbe gesetzliche Anforderung wie für den Zoofachhandel. Diese Händler bedürfen einer Genehmigung gemäß des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 b des Tierschutzgesetzes, wonach eine Verkaufserlaubnis nur dann erteilt wird, wenn ein Sachkundenachweis und die erforderliche Zuverlässigkeit vorliegen. Die in Kürze in Kraft tretende novellierte Regelung aus dem Tierschutzgesetz beinhaltet zudem, dass auch der Händler auf Tierbörsen einen solchen Sachkundenachweis erbringen muss. Beide Anträge fordern strengere rechtsverbindliche Auflagen für die Durchführung von Tierbörsen, insbesondere den Verkauf von Wildfängen betreffend. Anders als in den Anträgen zum Ausdruck gebracht, sind wir der Auffassung, dass eine tierschutzgerechte Durchführung von Tierbörsen sehr wohl auf der Grundlage der bestehenden Rechtslage möglich ist. Strengere Auflagen für Tierbörsen und strengere Anforderungen an Händler auf Tierbörsen sind nicht notwendig. Der § 2 des Tierschutzgesetzes und dessen Durchführungsvorschrift in Verbindung mit den vom BMELV herausgegebenen Börsenleitlinien „Leitlinien zur Ausrichtung von Tierbörsen unter Tierschutzgesichtspunkten“ bieten eine ausreichende Rechtsgrundlage zur tierschutzgerechten Durchführung von Tierbörsen. Die konsequente Umsetzung des bestehenden Rechtsrahmens durch die Vollzugsbehörden reicht aus. Verbote dürfen nicht erlassen werden, nur um den Vollzug zu erleichtern. Wir reden immer von Entbürokratisierung. Die Opposition fordert aber gleichzeitig immer neue Gesetze und Verbote. Lassen Sie uns das vorhandene Gesetzesinstrumentarium ausschöpfen und die zuständigen Kontroll- und Vollzugsbehörden stärker in die Pflicht nehmen. Heinz Paula (SPD): Schätzungsweise 200 Millionen Tiere – Wirbellose und Fische nicht mitgerechnet – gibt es in Deutschland. Diese Tiere haben Anspruch auf ein Leben ohne Leiden, auf ein tiergerechtes Leben. Dieser Anspruch muss verwirklicht werden – im Privathaushalt, in der Wirtschaft, in der Forschung und wo immer der Mensch mit Tieren Umgang hat. Wir brauchen ein Umdenken in der Gesellschaft, der Wirtschaft und vor allem endlich bei allen in der Politik. Dafür habe ich mich gerne eingesetzt. Dafür werden wir Sozialdemokraten auch in Zukunft kämpfen. Unter SPD-Regierungsverantwortung ist es 2002 gelungen, den Tierschutz als Staatsziel in Art. 20 a des Grundgesetzes zu verankern. Diesen Auftrag müssen wir mit Leben füllen und in der konkreten Gesetzgebung entsprechend umsetzen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in dieser Wahlperiode 14 Anträge eingebracht, die die dringendsten Probleme angehen: klare Regelungen für Intensivtierhaltung, Kaninchenhaltung verbessern, Tierschutz-TÜV, Tierschutz bei Katzen, Tierheime entlasten, Verbot des Heißbrands bei Pferden, Wildtierverbot im Zirkus, Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung senken, Kleingruppenhaltung für Legehennen beenden, Bedingungen bei Tiertransporten und in Schlachtbetrieben verbessern, die umfassenden Änderungs- und Entschließungsanträge zum Tierschutzgesetz – die unter anderem ein Pelztierhaltungsverbot und eine Verringerung der Tierversuche fordern –, das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen und nun Wildtierhandel und -haltung in Deutschland einschränken und damit den Tier- und Artenschutz stärken. Alle 14 Anträge gehen konkrete Probleme an. Sie beziehen sich auf bestehende Missstände und fehlenden Tierschutz. Alle 14 Anträge wurden von den Kolleginnen und Kollegen der christlichen und liberalen Parteien systematisch, wider besseres Wissen, blockiert; der Auftrag des Grundgesetzes wurde ignoriert. Die Debatten dazu gerieten oftmals zur bloßen Schau der Agrarlobby. Außer Ankündigungen, PR-Aktionen und langen Übergangsregelungen bestehen bei der Regierungskoalition und der Bundesregierung weder Wille noch Konzept für eine vernünftige Tierschutzpolitik. Die sogenannten christlichen Parteien nehmen das C und damit eine Verantwortung gegenüber unseren Mitgeschöpfen nicht einmal im Ansatz ernst. Die Novellierung des Tierschutzgesetzes bot 2012 Gelegenheit, das Staatsziel Tierschutz mit Leben zu füllen. Diese Gelegenheit wurde vonseiten der Regierungskoalition und der Bundesregierung verpasst. Dringende Probleme im Tierschutz wurden ignoriert und Verantwortung an die Länder weitergegeben. Das größte Problem in den vergangenen Jahren war vielleicht nicht einmal, dass all diese Anträge abgelehnt wurden, dass jede sinnvolle Initiative blockiert oder verschleppt wurde, dass die Regierungskoalition bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Probleme schönredet. Das ewige Mantra, Deutschland habe europa- und weltweit die höchsten Tierschutzstandards, klingt zwar gut, macht es aber auch nicht wahrer. Nein, das größte Problem sind die Millionen Tiere, die dabei auf der Strecke bleiben. Wie können Sie nur die Augen vor diesem Elend verschließen? Unverantwortlich! Wann nehmen Sie endlich zur Kenntnis: Tierschutz ist nicht länger ein Nischenthema, es betrifft nicht länger einige Wenige, es ist lange nicht mehr eine Frage zwischen überambitionierten Aktivisten und verknöcherten Lobbyverbänden. Tierschutz ist ein breites gesellschaftliches Verlangen geworden, das eine ehrliche Politik verdient. Diese Ehrlichkeit bleibt bei der Regierungskoalition zu oft auf der Strecke. Beispielhaft dafür steht unser heutiger Antrag für besseren Arten- und Tierschutz bei Wildtieren. Die bestehenden Probleme sind frappierend: Laut Statistischem Bundesamt und Eurostat werden jährlich zwischen 440 000 und 840 000 lebende Reptilien sowie bis zu 380 000 Süßwasserfische nach Deutschland eingeführt. Trotz des Washingtoner Artenschutzübereinkommens CITES machen Fänge von gefährdeten Wildtierarten immer noch einen großen Anteil der Importe nach Deutschland aus. Besonders bedenklich sind dabei Importe von Arten, die im Herkunftsland bereits nationalen Schutzbestimmungen unterliegen, jedoch nicht international geschützt sind. Fast die Hälfte der Reptilien- und Amphibienarten aus Indonesien, die für den internationalen Heimtiermarkt exportiert werden, dürfen eigentlich nach den nationalen Bestimmungen nicht gefangen und dann ausgeführt werden. Zu oft werden laut Robert-Koch-Institut gefährliche Arten und Tiere mit Krankheitserregern nach Deutschland eingeführt. Die reptilienassoziierten Salmonelleninfektionen bei Kleinkindern haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen, während die klassischen Infektionswege für Salmonellosen rückläufig sind. In den letzten beiden Jahren starben bereits zwei Kleinkinder aus Reptilienhaushalten an einer schweren Salmonellose, hinzu kommen zahlreiche schwere Krankheitsverläufe. Auch werden die Tiere häufig ohne Beratung über die richtige Haltung in Baumärkten, Gartencentern, auf Tierbörsen und über das Internet verkauft. Der Tierschutz und der Artenschutz werden mit Füßen getreten. Ich spreche hier auch aus eigener Erfahrung als Vorsitzender des Tierschutzvereins Augsburg. Ich kenne mit der Haltung überforderte Tierbesitzer, die dann die Tiere in Tierheimen und Auffangstationen abgeben. Wir kommen an den Rand unserer Aufnahmekapazitäten und unserer finanziellen Möglichkeiten. In vielen Bundesländern gibt es überhaupt keine geeigneten Auffangstationen für Reptilien und andere Exoten. Vielleicht haben mir deshalb mehrere Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition einen gemeinsamen Antrag vorgeschlagen. Denn dass wir hier etwas unternehmen müssen, war allen klar. Deshalb ist schließlich in enger Zusammenarbeit aller Fraktionen ein fundierter Antrag entstanden, den wir heute zur Abstimmung stellen. Gemeinsam haben wir Lösungen gefunden, den Artenschutz in den Herkunftsländern und den Tierschutz bei uns zu stärken. Wir haben sachlich miteinander diskutiert und das gesamte Meinungsspektrum der betroffenen Menschen und Fachverbände berücksichtigt. Im Zentrum unserer Forderungen stehen der Schutz der Arten und ein Verbot von Naturentnahmen. Gemeinsam wollten wir den Import von Wildfängen nach Europa und Deutschland einschränken, die gefährlich oder Überträger von Krankheitserregern sind. Der Import von Naturentnahmen bzw. im Herkunftsland geschützten Wildfängen muss für den kommerziellen Lebendtierhandel in die Europäische Union verboten werden. Auch müssen endlich falsch deklarierte Wildfänge kritisch geprüft und strenger kontrolliert werden. Wir wollen den Handel mit und die Haltung von Tieren, insbesondere auch von Wildtieren und exotischen Tieren, bundeseinheitlich regeln. Die Arten in den Herkunftsländern müssen stärker geschützt werden. Leider mussten wir feststellen, dass sich bei Schwarz-Gelb dann nicht die vernünftige, sondern die Betonkopffraktion durchsetzte und einen Rückzieher machte. Wie so oft auch in der Vergangenheit saßen die Lobbyvertreter im Bremserhäuschen – wohl aus kalkulierten Wahlkampfgründen. Die CDU/CSU und die FDP blockieren heute nun ihren eigenen, bis ins Detail mit ihren Fachleuten abgestimmten Antragstext. Um das ganze Verfahren zu verschleppen, wurde nicht einmal davor zurückgeschreckt, eine öffentliche Anhörung zu fordern und alle betroffenen Fachverbände aus dem ganzen Bundesgebiet anreisen zu lassen. Dabei sind deren Stellungnahmen schon lange bekannt und wurden selbstverständlich bei dem gemeinsamen Erarbeiten des Antrags berücksichtigt. In der Bevölkerung indes schürte diese Narrenposse nur noch Unsicherheit. Heute habe ich mit Vertretern der Terrarienkunde telefoniert, die in der Öffentlichkeit das Ende des Abendlandes herbeibeschworen haben: Die SPD würde Reptilienimporte, Wildtiere und alle Tierbörsen verbieten. Die SPD würde das Grundrecht auf freie Selbstbestimmung beschneiden. Ich kann derartigen Lobbyisten nur entgegnen: Raus aus den Schützengräben! Schluss mit den pauschalen Vorhaltungen und den Barrikaden! Ich kann nur raten, den Antragstext einmal zu lesen, statt für Verunsicherung bei ihren eigenen Mitgliedern zu sorgen. Wir haben dieselben Ziele wie die Hobbytierhalter. Denn im Zentrum unserer gemeinsamen Forderungen stehen der Schutz der Arten und bessere Haltungsbedingungen für exotische Tiere. Wir wollen Sachkundenachweise, eine Stärkung der Nachzuchten, ein Ende der Wildfänge, bessere Bedingungen auf den Tierbörsen. Selbst beteiligte Verbände, wie der BNA, kritisieren die Zustände auf vielen kommerziellen Tierbörsen. So werden beispielsweise auch dieses Mal wieder zahllose bedrohte Tierarten im Vorfeld der Terraristika in Hamm im Internet angeboten, auf Kosten des Arten- und Tierschutzes. Die SPD-Positionen für den Schutz der biologischen Vielfalt sind da ganz klar. Selbstverständlich beginnt er beim Erhalt des Lebensraumes bedrohter Arten. Es ist für uns vorderstes Anliegen, die Räume zu schützen, sei es im Zuge des Klimawandels, von Rodungen, Vermüllung oder Verschmutzung. In diesem Zusammenhang möchte ich auf unsere zahlreichen konkreten Anträge für den Schutz der Arten und der natürlichen Lebensgrundlagen hinweisen. Selbstverständlich müssen Lebensräume erhalten und Tiere in situ geschützt werden. Dies allein ist jedoch kein Argument, den Lebendtierhandel nach Deutschland und Europa nicht weiter infrage zu stellen. Beispielsweise verschweigen inzwischen immer mehr Feldforscher bei Neuentdeckungen in ihren wissenschaftlichen Publikationen den Fundort, um ein gezieltes Absammeln für den Heimtierhandel zu verhindern. Da „bedroht“ ja nicht automatisch „geschützt“ heißt, ist der internationale Handel selbst mit vielen akut vom Aussterben bedrohten Arten noch immer erlaubt und wird in keiner Weise international reglementiert. So sind zum Beispiel der Türkise Zwerggecko aus Tansania als „critically endangered“, die Grüne Baumschleiche aus Honduras sowie die Hornagame aus Sri Lanka als „endangered“ eingestuft – und trotzdem oder gerade deswegen blüht der Handel mit diesen Arten. Wir müssen uns also die Frage stellen, ob wir in 30 oder 40 Jahren die exotischen Arten nur noch hier hinter Glas halten wollen oder diese lieber in ihren angestammten Lebensräumen schützen. Diese Weichen müssen wir heute stellen. Die SPD ist beim Thema Tierschutz sachlich fundiert aufgestellt. Wir haben dazugelernt und die Zeichen der Zeit erkannt. Sowohl im Regierungsprogramm als auch in unseren Anträgen wird klar, wo die Reise hingehen soll. Der heutige Wildtierantrag steht dabei für viele unserer Forderungen in der Vergangenheit. Wie so oft konnten wir bei dem Thema Tierschutz gut mit der Grünen- und mit der Linken-Fraktion zusammenarbeiten. Auch mit engagierten Kolleginnen und Kollegen der schwarz-gelben Koalition gelingt mitunter der Dialog. Aber wenn es dann um konkrete Politik geht, stoßen wir auf Granit. Das Tierwohl wird der Angst vor Veränderung geopfert. Ewiggestrige Lobbyisten haben das Sagen und verhindern jeden Kompromiss. Das, was mich in den letzten Jahren dennoch angetrieben hat und was mir auch in Zukunft Kraft geben wird, ist das Engagement unzähliger Menschen. Tausende setzen sich für das Wohl unserem Mitgeschöpfe ein. Zehntausende Menschen gehen in diesen Monaten auf die Straßen für mehr Tierschutz und eine bessere Agrarpolitik. Hunderttausende wollen Veränderungen sehen. Die SPD-Bundestagsfraktion und ich bedanken uns sehr herzlich für dieses großartige Engagement und werden uns auch weiterhin gemeinsam mit diesen Tierschützern für die Belange der Tiere einsetzen. Egal ob in der Massentierhaltung, bei Heimtieren, bei Tierversuchen oder beim Artenschutz, es gibt noch viel zu tun. Dafür lohnt es sich zu kämpfen. Hans-Michael Goldmann (FDP): Ich freue mich, dass die SPD das wichtige Thema des Wildtierhandels und der Wildtierhaltung angestoßen hat. Dafür danke ich Ihnen, Herr Paula. Im Ausschuss haben wir uns darauf geeinigt, über die Fraktionsgrenzen hinweg eine gemeinsame Lösung zu finden. So hatten wir Mitte April ein sehr konstruktives Arbeitstreffen, bei dem viele Ideen von allen Fraktionen eingebracht wurden. Es sind aber auch viele fachliche Fragen aufgekommen, die wir selber nicht beantworten können. Denn keiner von uns ist ein Wildtierexperte. Deswegen wollte ich externen Sachverstand zu den offenen Fragen einholen und eine öffentliche Anhörung durchführen. Leider war Ihnen, lieber Herr Paula, dieser Weg zu lang. Sie haben das als Verzögerungstaktik bezeichnet; ich nenne es gründliche Facharbeit. Jetzt haben Sie einen Antrag zusammen mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt. Auch die Fraktion Die Linke hat einen beinahe inhaltsgleichen Antrag eingebracht. Schade, dass Sie den gemeinsamen Weg, auf den wir uns im Ausschuss geeinigt hatten, verlassen haben. Denn wir haben in der Tat ein ähnliches Anliegen. Auch meine Fraktion ist der Ansicht, dass die Haltung von exotischen Wildtieren in privaten Haushalten einer kritischen Überprüfung unterzogen werden muss, da exotische Tierarten besonderer Pflege und Sachkunde des Halters bedürfen. Nicht selten sind die Halter wegen hoher Unterbringungskosten, Gefährlichkeit der Tiere oder mangelnder Fähigkeiten und Kenntnisse über die gehaltene Tierart überfordert und setzen die Tiere aus. Insbesondere bei Reptilien ist die Aussetzungsgefahr groß, wodurch nicht nur die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt wird, sondern auch heimische Tiere in ihren Lebensräumen bedroht werden. Beim Handel mit Tieren, insbesondere über das Internet und über Tierbörsen, kommt es des Öfteren zu tierschutzrelevanten Problemen. Deswegen muss der Handel mit Exoten strenger reglementiert werden. Denkbar ist hier auch ein Sachkundenachweis für den Tierhalter. Ich weiß, dass sich die Halterverbände bereits in ihren Strukturen für die Vermittlung der Sachkunde einsetzen. Das ist ein guter Ansatz, der die Eigenverantwortung des Tierhalters stärkt und eine tierschutzgerechte Haltung gewährleistet. Die FDP kann sich statt einer Positivliste, welche einer sehr häufigen Überprüfung bedürfte, eine Negativ-Liste vorstellen mit Tierarten, deren Haltung als Heimtier nicht möglich ist. Der Handel und die Privathaltung von Wildfängen sind unter den Gesichtspunkten des Artenschutzes – Gefährdung in freier Wildbahn – und des Tierschutzes – Überlebensrate beim Transport – kritisch zu überprüfen. Auch hier befürwortet die FDP eine Negativliste von Arten, deren Handel aus Wildfängen verboten ist. Wir setzen uns für eine stärkere Regulierung von Tierbörsen ein. Zwar muss auf den Tierbörsen das Tierschutzgesetz, das durch die „Leitlinien zur Ausrichtung von Tierbörsen unter Tierschutzgesichtspunkten“ konkretisiert wird, eingehalten werden, aber es werden immer wieder Missstände dokumentiert. Der Vollzug des Tierschutzrechts unterliegt den Bundesländern. Es ist aber die Aufgabe des Bundes, für Vorschriften zu sorgen, deren Einhaltung eine schonende Haltung von Tieren gewährleistet. Deswegen muss die Regierung Informationen über die Anzahl der hierzulande stattfindenden Tierbörsen und deren Verlauf zusammentragen und evaluieren. Nur dann werden wir eventuellen Handlungsbedarf erkennen und weitere Schritte bestimmen können. Wir werden das Thema „Wildtierhandel und Wildtierhaltung“ weiterhin auf unserer Agenda haben. Bereits im Zuge der letzten Novelle des Tierschutzgesetzes haben wir einige Verbesserungen in diesem Bereich getroffen: Es gibt eine neue Vorschrift, dass derjenige, der Tierbörsen durchführt, einen Sachkundenachweis erbringen muss, um die erforderliche Erlaubnis zu erhalten. Eine weitere neue Regelung führt zur besseren Beratung des Käufers über die wesentlichen Bedürfnisse des Tieres, insbesondere im Hinblick auf artgemäße Ernährung, Pflege, Unterbringung und Bewegung. Wir wissen, dass damit das Thema „Wildtierhandel und -haltung“ nicht abgeschlossen ist. Ich werde weitere Fachgespräche mit Halterverbänden sowie Tier- und Artenschutzverbänden führen, um ein differenziertes Bild zu bekommen und dem komplexen Thema mit klugen und eigenverantwortungsorientierten Lösungen zu begegnen. Die heute zu beratenden Anträge werden diesem Ansatz nicht gerecht, und deswegen lehnen wir sie ab. Sabine Stüber (DIE LINKE): Beim Handel und vor allem beim illegalen Handel mit exotischen Tieren geht es mir um zwei Dinge: Es geht um den Schutz der biologischen Vielfalt, denn in manchen Regionen werden durch Wilderei und illegalen Handel ganze Arten ausgerottet. Und es geht um den Schutz der Tiere selbst vor Tierquälerei oder Tötung. Denn die Nachfrage nach wilden Tieren oder auch nur nach Teilen, wie Elfenbein oder das Horn von Nashörnern, ist besonders in Asien, aber auch weltweit enorm angestiegen und damit auch ihr illegaler Handel. Es geht um Geld, um viel Geld. In Kenia bringen Stoßzähne eines ausgewachsenen Elefanten so viel ein, wie ein Wildhüter in eineinhalb Jahren verdient oder ein ungelernter Arbeiter in 15 Jahren. „Was hat das mit uns zu tun?“, könnte man fragen. Bei uns ist der Glaube an die Heilwirkung zum Beispiel des Horns von Nashörnern doch eher weniger ausgeprägt. Das ist so, bedeutet jedoch nicht, dass es bei uns keinen illegalen Handel mit den sogenannten Exoten gibt. In Deutschland wird es immer angesagter, ein wildes Tier aus fernen Ländern in der eigenen Wohnung zu halten oder besser gesagt: vegetieren zu lassen. Laut Statistischem Bundesamt werden beispielsweise zwischen 440 000 und 840 000 lebende Reptilien pro Jahr nach Deutschland eingeführt – mit steigender Tendenz. Das Geschäft boomt, die Nachfrage nach immer neuen, exotischen Tierarten für die private Haltung wächst. Dieser „Bedarf“ wird großenteils durch Wildfänge aus der freien Natur oder auch Wilderei gedeckt. Besonders bedenklich sind Importe von Tieren, die zwar in ihrem Herkunftsland geschützt sind, aber keinen internationalen Schutzstatus haben. Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Artenvielfalt und um den Tierschutz, die irgendwie beide keine besonders starke Lobby haben. Nein, es geht auch um Risiken für die Menschen, die, vielleicht aus Unwissenheit, einen Exoten als Haustier halten möchten. Es können fremde Krankheitserreger eingeschleppt werden. Manche Tiere sind ausschließlich auf spezielles Futter angewiesen, ohne dass mal so nebenbei improvisiert werden kann, wenn gerade Wochenende ist. Manche Tiere werden auch viel größer und älter, als beim Kauf gedacht. So kann es zu einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten kommen, mit denen ein Privathaushalt überfordert ist und die den exotischen Traum schnell zum Albtraum werden lassen. Es gibt also mehr als einen Grund, den Wildtierhandel vernünftig zu regeln und vor allem dem illegalen Handel einen Riegel vorzuschieben. Und wenn das schon global momentan nicht durchzusetzen ist, so können und sollten wir das zumindest für Deutschland tun. Der Abgeordnetenwille dazu ist grundsätzlich da, auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Koalition. Es war sogar von einem gemeinsamen Antrag aller Fraktionen die Rede. Doch das war, wie üblich, nur eine Phrase. Nachdem die Koalition wieder einmal eine sachbezogene Zusammenarbeit mit uns abgelehnt hatte, ist sie irgendwann ganz aus dem Thema ausgestiegen. Warum eigentlich? Trotzdem stehen heute zwei Anträge mit einem gemeinsamen Ziel zur Debatte, nämlich den Wildtierhandel zu beschränken. Dem Antrag von SPD und Grünen hätten wir in einigen Punkten etwas mehr Courage gewünscht. Es fehlt aus unserer Sicht noch der eine oder andere Schritt, um sowohl den Tierschutz als auch den Schutz der biologischen Vielfalt konsequent gegenüber dem Wildtierhandel zu stärken. Dazu soll die Bundesregierung erstens sich auf EU-Ebene für ein generelles Importverbot von Wildfängen für kommerzielle Zwecke einsetzen, zweitens gewerbliche Anbieter von Tierbörsen ausschließen und den Verkauf von Tieren verbieten, die in der freien Natur eingefangen werden, und drittens den kommerziellen Handel sowie die Haltung von Wildtieren nur für Arten gestatten, die Privatpersonen auf Dauer nicht überfordern. Mit diesen Ergänzungen können wir einen Meilenstein im Tier- und Artenschutz setzen. Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Ergebnisse der vergangenen Washingtoner Artenschutzkonferenz in Bangkok sind der beste Beleg dafür, wie notwendig wir einen besseren Schutz für gefährdete Tierarten auf deutscher, europäischer und globaler Ebene brauchen. Für 65 bedrohte Tierarten wurde ein besserer Schutz und eine Einschränkung des Handels beschlossen. Das ist aber nur ein kleiner Indikator für die rapide Zunahme des ausufernden Wildtierhandels und der damit verbundenen Wildtierentnahme. Ich freue mich sehr, dass die Erkenntnis über nötige und wichtige Korrekturen beim Handel und bei der Haltung von Wildtieren allgemein gewachsen ist. Umso bedauerlicher ist es, dass diese Erkenntnis anscheinend nur in kleinen Teilen der schwarz-gelben Koalitionsfraktionen gereift ist. Ich habe den Eindruck, dass CDU/CSU und FDP einmal mehr ihrer Linie treu bleiben und im Tier- und Artenschutz weiter auf der Bremse stehen. Ich kann nicht verstehen, warum wir erfolgreich und sehr konstruktiv einen gemeinsamen Antrag zwischen allen Fraktionen verhandeln und mit dem Wissen aus unzähligen Berichterstattergesprächen, Kleinen Anfragen und Studien abstimmen, nur um dann festzustellen, dass die Regierungsfraktionen von Bord gehen. Mit verantwortlichem Regieren hat das nun wirklich nichts zu tun. Ich bedaure es sehr, dass sie den Tier- und Artenschutz Lobbyinteressen und dem bevorstehenden Wahlkampf opfern und nicht die Courage besitzen, gemeinsam verhandelte Positionen auch gemeinsam zu beschließen. Den vorliegenden Antrag haben wir auf Grundlage einer sehr guten Initiative der SPD-Fraktion beraten. Namentlich möchte ich an dieser Stelle dem Kollegen Heinz Paula für diesen Antrag und insgesamt für sein langjähriges Engagement für den Tier- und Artenschutz danken. Er hat dazu beigetragen, dass der Tier- und Artenschutz in seiner Fraktion erfreulich an Stellenwert gewonnen hat. Der Antrag, der hier beschlossen werden soll, behandelt die beiden entscheidenden Ebenen, die im Zusammenhang mit dem Handel von Wildtieren stehen: den Artenschutz und den Tierschutz. Aufgrund des Klimawandels und fortschreitender Umweltzerstörung sind die Lebensräume vieler Arten ohnehin schon sehr bedroht. Die Nachfrage nach Exoten als exklusiven Haustieren verschlimmert dieses Problem, da durch die Entnahme der Tiere aus der Natur die Populationen geschwächt werden und das ökologische Gleichgewicht von Lebensräumen zusätzlich gestört, der Artenschwund forciert wird. Wie auch in unserem Antrag erwähnt, weigern sich immer mehr Feldforscher und Taxonomen, in ihren wissenschaftlichen Veröffentlichungen die genauen Fundstellen neu entdeckter und meist noch ungeschützter Arten zu benennen, um so ein gezieltes Einsammeln für den internationalen Handel zu verhindern und die Ökosysteme zu schützen. Ansonsten könnten sie gleich einen Hubschrauberlandeplatz für einfallende Wildtiersammler errichten. Aber nicht nur in den Herkunftsgebieten stellt der ungebändigte Handel mit Wildtieren ein Problem dar. Auch für unsere Ökosysteme hat er dramatische Folgen. Immer wieder werden unliebsam oder lästig gewordene Tiere in die freie Wildbahn entlassen, wo sie entweder das heimische Ökosystem gefährden oder jämmerlich (und dem Tierschutzgesetz widersprechend) zugrunde gehen. Die glücklicheren Exoten werden in sogenannten Auffangstationen untergebracht, die allerdings schon heute am Rande ihrer Kapazitäten arbeiten und völlig überlastet sind. Auch deshalb fordern wir mit unserem Antrag auf, die Länder zum Aufbau neuer Auffangstationen zu bewegen und diese zu unterstützen. Ich betone immer wieder, wie sehr das grundgesetzlich festgeschriebene Staatsziel Tierschutz die Rechtsstellung der Tiere verändert hat. Es erteilt uns allen den Auftrag, die Tiere auch um ihrer selbst willen zu schützen. In meiner langen Zeit als Mitglied des Bundestages bin ich immer wieder auf engagierte Tierschutzorganisationen und Bürgerinnen und Bürger gestoßen. Auch der Wildtierhandel bewegt viele Menschen in unserem Land. Sie erwarten, dass wir handeln. Wir sollten ihre Forderungen ernst nehmen – und zwar jetzt. Wenn Sie von den Regierungsfraktionen versprechen, dass Sie sich in der kommenden Legislatur für einen besseren Tier- und Artenschutz einsetzen wollen, dann sind das nichts als ungedeckte Schecks. Sie müssen aber nicht so lange warten und können sich heute schon für ein Einfuhrverbot von Wildfängen für den kommerziellen Lebendtierhandel einsetzen, wenn es sich um gefährliche Arten handelt oder wenn die Tiere gefährliche Krankheitserreger in sich tragen. Sie können sich heute Abend für eine umfassende und dem Sinne des Vorsorgeprinzips entsprechende Regelung einsetzen, die versucht, die Ausbreitung invasiver nicht heimischer Arten zu verhindern. Sie können schon heute etwas für Einfuhr- und Haltungsverbote tun, damit die weitere Ausbreitung potenziell invasiver Arten verhindert wird. Sie können genau jetzt beschließen, dass die Importe von „Nach-“ bzw. „Farmzuchten“ nach Deutschland kritisch geprüft werden, um die Einfuhr falsch deklarierter Wildfänge zu verhindern. Sie können ein besseres Capacity Building in den Herkunftsländern von CITES-Anhang-III-Listungen auf den Weg bringen und sich dafür einsetzen, dass Deutschland im Rahmen des Washingtoner Artenschutzabkommens prüft, ob gefährdete endemische Arten nicht mehr gehandelt werden dürfen. Sie können heute Abend verpflichtende und verbindliche Auflagen zur tierschutzkonformen Durchführung von Tierbörsen beschließen und den Verkauf von Wildfängen über Tierbörsen verbieten. Sie müssen nicht auf die kommende Legislaturperiode warten, wenn Sie es richtig finden, den kommerziellen Handel und die Haltung von Wildtieren auf die Arten zu beschränken, deren Haltung aus Tier-, Natur- und Artenschutzgründen, aber auch unter Gesundheits- und Sicherheitsaspekten unbedenklich und dauerhaft zu leisten ist. All dies können Sie heute schon haben. Sie müssen nur unserem Antrag zustimmen. Nur Mut! Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 38) – Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des aktiven Wahlrechts ab 16 Jahren im Bundeswahlgesetz und im Europawahlgesetz (Tagesordnungspunkt 52 a und b) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Es ist schon ein wenig enttäuschend, wie wenig Ihnen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen noch einfällt. Es könnte sicher auch so gedeutet werden, dass Sie mit der Politik der christlich-liberalen Regierungskoalition einverstanden sind und daher so häufig alte und längst debattierte Anträge einreichen, bei denen Sie das Ergebnis der Beratung schon kennen. Meines Erachtens ist es aber schlicht unangemessen, hier immer wieder mit den gleichen, aussichtlosen Anträgen Anläufe zu unternehmen. Schließlich haben die drei größten Fraktionen dieses Hauses bereits in der vergangenen Wahlperiode deutlich zu verstehen gegeben, dass wir für Ihr „Wahlkampfgeplänkel“ kurz vor Toresschluss nicht zur Verfügung stehen. Ihr erneuter Anlauf wäre somit wirklich entbehrlich gewesen. Wer von seiner Wahlberechtigung zu einer staatlichen oder gemeindlichen Volksvertretung Gebrauch macht, übernimmt damit nicht nur Verantwortung für sich, sondern auch für die Allgemeinheit. Wählen gehen heißt Einfluss nehmen und seiner Stimme Gehör verschaffen. Folglich darf es bei der Bestimmung des richtigen Wahlalters nicht darauf ankommen, ob es Rechtsvorschriften in einzelnen Gesetzen gibt, die vielleicht nicht an die Volljährigkeit, sondern an ein anderes Alter anknüpfen. Vergleiche mit dem Taschengeldparagrafen im BGB, dem Alter für die Strafmündigkeit nach dem Strafgesetzbuch oder aber mit dem Alter für das Abwählen des Religionsunterrichts in der Schule hinken somit nicht nur, sie machen auch schlicht keinen Sinn. Selbstverständlich gibt es eine Vielzahl von Rechtsvorschriften in einzelnen Sachbereichen, die nicht das Mindestalter von 18 Jahren vorsehen, bevor Kinder oder Jugendliche Träger von Rechten oder Pflichten sein können. Dies ist nicht nur richtig, sondern selbstverständlich auch unterstützenswert. Schließlich bieten wir so den nachfolgenden Generationen auf der einen Seite den erforderlichen Schutz, den sie benötigen, und auf der anderen Seite ermöglichen wir ihnen hierdurch eine schrittweise Integration in unsere Gesellschaft. Auch die ausführlichen Verweise im Gesetzentwurf der Grünen auf die erfolgten Absenkungen beim Wahlalter auf kommunaler und Landesebene vermögen mich im Ergebnis nicht zu überzeugen. Zum einen sind sie wohl eher selektiv von den Antragstellern ausgewählt worden. So hat Hessen beispielsweise nach nur einem Jahr das Wahlalter wieder von 16 Jahre auf 18 Jahre heraufgesetzt. Nennenswerte Proteste hierzu gab es übrigens nicht. Zum anderen zeigt eine Untersuchung anlässlich der Wahl der Bezirksverordneten in Berlin, dass die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre keinesfalls zu einer höheren Wahlbeteiligung führen muss. Im Jahr 2006 gaben sogar nur 45,6 Prozent aller 16- und 17-Jährigen ihre Stimme ab. Die Wahlbeteiligung insgesamt lag dagegen bei 59,6 Prozent. Dies lässt aus meiner Sicht zusammen mit den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für die Landtagswahl in Niedersachsen im Jahr 1996 veröffentlichten Zahlen durchaus den Schluss zu, dass auch das Hauptargument für eine Absenkung des Wahlalters nicht durchschlagend ist. Der starke Wunsch der Jugendlichen nach größerer politischer Teilhabe basiert letztlich auch nur auf Spekulationen, die wissenschaftlich nicht belegbar sind. Eine Erkenntnis, die übrigens auch schon Ihr Kollege Cem Özdemir am 17. November 2000 in diesem Hohen Hause äußerte, als er in seiner Rede zu einer möglichen Absenkung des Wahlalters für Jugendliche darauf verwies, dass die Rückmeldungen, die er von Jugendlichen hierzu erhalte, durchaus unterschiedlich seien. Aus meiner Sicht sollte die Volljährigkeit auch weiterhin der entscheidende Anknüpfungspunkt für die Ausübung des Wahlrechts bleiben. Rechte und Pflichten sollten auch weiterhin zusammengehören und nicht auseinanderfallen. Der Gleichlauf von staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten sowie zivilrechtlicher Verantwortlichkeit hat sich mehr als bewährt. Die Gesetzentwürfe der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sind daher abzulehnen. Reinhard Grindel (CDU/CSU): Regelmäßig vor Bundestags- oder Europawahlen kommen die Grünen mit dem Antrag an, das Alter für das aktive Wahlrecht auf 16 abzusenken. Sie liefern allerdings seit Jahren keine neuen Argumente, und deshalb dürfen sie sich auch nicht wundern, wenn wir bei unserer Ablehnung bleiben. Dazu will ich gerne ein bemerkenswertes Zitat aus einer früheren Debatte an den Beginn meiner Ausführungen stellen: „Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre ist der falsche Weg. So ehrenwert das Anliegen auch ist – Symbolpolitik hilft uns hier nicht weiter.“ Dieses Zitat stammt von unserem früheren SPD-Kollegen Klaus-Uwe Benneter, der nun nicht gerade unter dem Verdacht steht, ein besonders konservativer Mensch zu sein. Ich kann nur sagen: Wo Herr Benneter Recht hat, hat er Recht! Es ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässig, Begrenzungen der Allgemeinheit der Wahl vorzunehmen, sofern für sie ein zwingender Grund besteht. So ist es etwa von jeher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Ausübung des Wahlrechts an die Erreichung einer Altersgrenze geknüpft wird. Bei der Bestimmung dieser Altersgrenze muss man die Einheit der Rechtsordnung im Blick haben. Da fällt natürlich sofort auf, dass im Zivilrecht die Volljährigkeit auf 18 Jahre festgelegt ist, dass junge Menschen erst mit 18 die volle Geschäftsfähigkeit besitzen, dass sie erst mit 18 Jahren voll strafmündig sind, aber bis zum 21. Lebensjahr sogar noch Jugendstrafrecht angewandt werden kann. Auch beim Jugend- und beim Arbeitsschutz endet der besondere Schutz des Jugendlichen erst mit 18. Wenn Jugendliche einerseits – zu Recht – wegen ihrer noch nicht abgeschlossenen Entwicklung geschützt werden, wenn dieser Schutz – zu Recht – auch eine geringere Verantwortlichkeit für eigenes Tun und Wollen beinhaltet, wäre es ein Wertungswiderspruch, Jugendlichen andererseits bereits eine vollständige Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen zu gewähren. Wer für den Abschluss eines Kauf-, Miet- oder Darlehensvertrages der Zustimmung der Sorgeberechtigten bedarf, dem kann die Rechtsordnung nicht andererseits bereits die Befugnis einräumen, über grundsätzliche politische Fragen des Staates mitzuentscheiden. Mit einer Entkoppelung der Altersgrenze für Volljährigkeit und für Wahlfähigkeit bestünde die Gefahr, dass die Politik zu einem Lebensbereich nachrangiger Bedeutung abgewertet wird, was dem demokratischen Prozess eher zum Nachteil als zum Vorteil gereichen würde. Es ist auch nicht richtig, wenn man dem Minderjährigen volle Verantwortung und Verantwortlichkeit für das Gemeinwesen zubilligen würde, wenn man ihm aber diese Verantwortung für Entscheidungen in seiner privaten Lebensgestaltung, also etwa beim Abschluss von Verträgen oder im Haftungsrecht, nicht zumutet. Auch das ist ein Wertungswiderspruch. Im Übrigen erscheint die Anknüpfung an die Altersgrenze von 16 relativ willkürlich. Warum dann nicht gleich auf 14 absenken, womit wir bei der Altersgrenze der Religionsmündigkeit wären? Es gibt bestimmt Jugendliche, die sich bereits mit 14, 15 für politische Fragen interessieren und mehr wissen als so mancher 17-Jäh-rige. Bei der Religionsmündigkeit geht es um höchstpersönliche, innere Fragen des Glaubens, der Gedanken- und Gewissensfreiheit. Beim Wahlrecht geht es dagegen um ein Recht mit größtmöglicher Auswirkung auf die Allgemeinheit. Schon deshalb ist ein Vergleich der beiden Lebenssachverhalte nicht möglich, womit natürlich auch eine Altersgrenze von 14 Jahren nicht sinnvoll ist. Auch das Argument der Grünen, man könne mit der Einräumung des aktiven Wahlrechts etwas an der Politikverdrossenheit ändern, überzeugt nicht. Einmal zeigen alle Untersuchungen, dass leider in kaum einer Altersgruppe die Wahlbeteiligung so niedrig ist wie in der Gruppe der Jungwähler. Es gibt also den Zusammenhang gerade nicht, dass man sich mehr für Politik interessiert, wenn man selbst als Wähler gefragt ist. Im Übrigen setzt eine Bekämpfung der Politik- oder vielleicht sogar Politikerverdrossenheit voraus, dass man den jungen Menschen dann auch das Recht einräumt, nicht nur wählen zu dürfen, sondern sich auch selbst an der parlamentarischen Debatte beteiligen zu dürfen. Es wäre also nur konsequent, dass man dann nicht nur die Altersgrenze für das aktive, sondern auch für das passive Wahlrecht absenkt. Das machen die Grünen aber nicht und bleiben dafür eine schlüssige Begründung schuldig. Gegen Politikverdrossenheit muss man durch ganz viele Gespräche mit Gruppen von Schülern und Jugendlichen ankämpfen, in denen man diesen über unsere Arbeitsabläufe berichtet, die schwierigen Rahmenbedingungen, unter denen wir Entscheidungen zu treffen haben. Da muss man deutlich machen, dass es in der Politik nur selten schwarz und weiß gibt, sondern dass man nach Konsenslösungen suchen muss, die keine faulen Kompromisse sein dürfen. Viele Kollegen hier im Haus führen doch diese Gespräche beinahe täglich. Wir sind als Wahlkreisabgeordnete da wahrscheinlich auch mehr gefordert als die Grünen-Kollegen, die, mit Ausnahme von Herrn Ströbele, alle über die Landesliste ins Parlament gekommen sind. Also erzählen Sie uns nichts über Bürgernähe und Kampf gegen Politikverdrossenheit! Dagegen machen wir vor Ort jeden Tag mobil. Sehr problematisch finde ich die Argumentation der Grünen, durch eine Absenkung des Wahlalters würden die jungen Leute als Wählergruppe stärker wahrgenommen und ihre Interessen in der Politik stärker berücksichtigt. Was stellen sich die Grünen denn da selbst für ein Zeugnis aus? Wenn das für sie gilt, dass sie sich nur um die kümmern, bei denen es in ihrer Wahlkasse klingelt, dann sagt das viel über ihr Politikverständnis aus. Wir als CDU/CSU kümmern uns auch um die, die nicht wählen dürfen: um die Belange von behinderten Menschen unter Vollbetreuung, um die Probleme von Ausländern oder die Interessen unserer Kinder. Ich glaube, es wirkt viel überzeugender, dass man sich für die unter 18-Jährigen besonders stark macht, obwohl sie kein Wahlrecht haben, anstatt hier wie die Grünen immer kurz vor Wahlen sich nicht um ihre Interessen zu kümmern, sondern schlicht und ergreifend nach Stimmen zu schauen. Wir sind aber Abgeordnete des ganzen deutschen Volkes. Es liegt in der Verantwortung eines jeden Abgeordneten, die Interessen aller Menschen im Blick zu haben, ob mit oder ohne Wahlrecht. Gewiss ist es zutreffend, dass junge Menschen heute viel früher und umfassender über die Medien Zugang zu allen denkbaren Informationen haben und damit über mehr Wissen verfügen als junge Menschen früher im vergleichbaren Alter. Zugleich betonen allerdings Pädagogen, dass gerade diese medienvermittelten Informationsbruchstücke zu einem verzerrten Weltbild führen können. Diese Bruchstücke bedürfen somit dringend einer Einordnung und einer kritischen Verarbeitung und führen für sich genommen gerade nicht zu einer Verbesserung der Urteilsfähigkeit. Wir wissen doch, wie die Lage heute ist. Natürlich gibt es auch viele Jugendliche, die mit der Fernbedienung in der Hand wie der Slalomfahrer um die Torstange gerade um die Informationsprogramme herumzappen und auch im Internet vielleicht nicht die Seiten mit Politikinformationen anklicken. Früher konnten Jugendliche in den tiefsten Friedenszeiten, wo es nur ARD und ZDF gab, Nachrichtenangeboten praktisch nicht entrinnen und mögen deshalb teilweise besser informiert gewesen sein. Zugegeben: In einigen Bundesländern gibt es das Wahlrecht auf der kommunalen Ebene für 16-Jährige. In der Regel haben wir als CDU/CSU das aber nicht unterstützt, und insoweit brauchen wir jetzt keinen Folgefehler auf Bundesebene zu machen. Andererseits wird man auch argumentieren können, dass die Sachverhalte auf der kommunalen Ebene auch leichter zu überschauen und aufgrund eigener Anschauung zu beurteilen sind als die sehr komplizierten Sachverhalte, um die es bei einer Bundestags- oder sogar Europawahl geht. Insgesamt bleibt festzuhalten: Wer Rechte haben will, muss auch Pflichten tragen. Wer entscheiden will, muss auch die Konsequenzen seiner Entscheidungen tragen. Deshalb ist es sachgerecht, die Altersgrenze für das Wahlrecht zum Bundestag an den Eintritt in die Volljährigkeit zu knüpfen. Ich denke, damit ist den jungen Menschen auch mehr geholfen. Gabriele Fograscher (SPD): Die Anforderungen an die junge Generation sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten gestiegen. Gründe dafür sind gestiegene Bildungsansprüche, die Globalisierung von Wirtschaft und Arbeitsmärkten und die demografische Entwicklung. Dieser Wandel stellt die Politik vor neue Aufgaben. Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, damit junge Menschen die Herausforderungen bestehen und ihr Leben selbst gestalten können. Wir können nicht immer mehr von den Jugendlichen erwarten, ohne dass sie die Möglichkeit haben, mitzureden oder mitzuentscheiden. Zigtausende Jugendliche engagieren sich freiwillig. Sie leisten einen wichtigen Dienst an unserer Gesellschaft in Vereinen, bei freiwilligen Feuerwehren, beim Technischen Hilfswerk, in Bürgerinitiativen oder den Jugendorganisationen der demokratischen Parteien. Sie bilden damit eine tragende Säule unserer Zivilgesellschaft, ohne die vieles in unserem Land nicht funktionieren würde. Wenn junge Menschen so viel für unsere Gesellschaft, für unsere Demokratie leisten, dann müssen sie auch die Möglichkeit haben, Entscheidungen, die sie heute und vor allem in der Zukunft betreffen, mit zu beeinflussen. Es wird immer behauptet, die heutige Jugend sei unpolitisch. Das ist falsch, denn Studien, wie zum Beispiel die Shell-Studie, belegen, dass das Interesse junger Menschen an der Politik in den letzten Jahren zugenommen hat. Nur die Art des Engagements hat sich verändert: Junge Menschen wollen konkrete Ziele erreichen. Sie fordern nicht mehr die Revolution, sondern engagieren sich bei ganz konkreten Projekten. Wir unterstützen das Anliegen von Bündnis 90/Die Grünen, das Wahlalter für Bundestags- und Europawahlen auf 16 Jahre zu senken. Unser Regierungsprogramm und Anträge wie zum Beispiel der Antrag „Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben“, die wir in den Bundestag eingebracht haben, beinhalten diese Forderung. Wir wollen die Absenkung des Wahlalters auf 16, weil wir die jungen Menschen als gleichberechtigte Partnerinnen und Partner ansehen. Es ist gut für unser Land, wenn sich junge Menschen politisch engagieren, ihre Ideen einbringen und unsere Gesellschaft mitgestalten. Durch eine ernsthafte Einbindung und frühe Teilnahme von Jugendlichen an Politik und an politischen Prozessen kann Demokratie gelernt und gelebt werden und damit positive Erfahrungen mit der Demokratie gemacht werden. Das sind der beste Schutz und die beste Prävention gegen Radikalisierung und Extremismus. Jugendliche mit 16 sind strafmündig. Sie müssen für ihr Verhalten die Verantwortung übernehmen. Am demokratischen Gemeinwesen dürfen sie sich nicht beteiligen. Das passt nicht zusammen. Das Wahlrecht ab 16 muss flankiert werden. Erziehung zur Demokratie muss früh beginnen, beispielsweise in der Kita. Es ist wichtig, dass bereits Kinder beteiligt und ermutigt werden, ihre Lebenswelt mitzugestalten. Demokratieerziehung und Gesellschaftskunde müssen zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Schulunterrichts werden, und außerschulische Jugendarbeit und politische Bildung müssen ausgeweitet und intensiviert werden. Möglichkeiten der Partizipation wie der „Wahl-O-Mat“ der Bundeszentrale für politische Bildung oder die U18-Wahlen zeigen, dass junge Menschen eine bewusste Wahlentscheidung treffen können. Österreich hat das Wahlrecht ab 16 auf allen staatlichen Ebenen, auch für Europawahlen. Es ist damit bislang das einzige EU-Land, aber auch in anderen Ländern wird die Absenkung diskutiert. In Deutschland haben bereits drei Bundesländer das aktive Wahlalter auf 16 Jahre für die Landtagswahlen gesenkt. Mehr als die Hälfte der Bundesländer haben ihr Kommunalwahlrecht in dieser Weise geändert. Am 13. Februar dieses Jahres hat Hamburg als drittes Bundesland das Wahlalter für die Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft auf 16 Jahre gesenkt. In der Debatte erklärte der Abgeordnete Dr. Andreas Dressel (SPD): „Natürlich gibt es bei dem Thema ein Pro und Contra, das ist ganz normal. Deshalb war uns an der Stelle auch wichtig, nicht einfach zu sagen, wir senken die Grenze des Wahlalters ab, sondern wir müssen das Ganze mit dem Thema verbinden, wie wir die politische Bildung ausweiten und wie wir hier etwas zu einem wirklichen Gewinn für die Demokratie gestalten.“ Dieser Meinung kann ich mich nur anschließen. Deshalb sage ich: Setzen wir das Wahlalter herab und stärken unsere Jugend durch mehr Demokratieerziehung von früh an! Beides gehört für mich zusammen. Die Absenkung des Wahlalters für Bundestags- und Europawahlen kann nur ein Teil einer ressortübergreifenden Gesamtstrategie für eine eigenständige Jugendpolitik sein. Neben der Stärkung der Rechte und der Partizipationsmöglichkeiten von Jugendlichen brauchen wir gleiche Chancen für alle in der Bildung, Verbesserungen beim Einstieg in Studium oder Beruf, den Kampf gegen die Jugendarmut und Jugendarbeitslosigkeit sowie die Möglichkeit der gesunden Entwicklung. Das Wahlrecht ist ein bürgerliches Grundrecht in unserem demokratischen Rechtsstaat. Geben wir jungen Menschen die Chance, aktiv mitzuwirken! Fördern wir die soziale Kompetenz, die Urteilsfähigkeit und die Reife, um bei Bundestags- und Europawahlen verantwortungsbewusst Entscheidungen zu treffen! Jörg van Essen (FDP): Meine Fraktion lehnt die Initiative der Grünen ab. Es war interessant, dass ich am gestrigen Tag eine Diskussion mit Schülerinnen und Schülern in genau diesem Alter hatte. Ich habe unter anderem ausgeführt, dass ich morgen zu einer Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre sprechen würde, und die Gründe für meine Ablehnung benannt. Selten findet man bei einem Vortrag so viel zustimmendes Kopfnicken, wie ich es in dieser Frage beobachten konnte. Die Möglichkeit der Teilnahme an Wahlen hängt aus gutem Grund mit der Volljährigkeit zusammen. Da, wo Rechte verliehen werden, müssen auch Pflichten übernommen werden. Es kann nicht einfach zu einer Ausweitung von Rechten ohne korrespondierende Pflichten kommen, und das Wahlrecht darf sich nicht von der bestehenden Lebens- und Rechtswirklichkeit abkoppeln. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Auffassung wiederholt bestätigt. Eine Mindestaltersgrenze für die aktive Wahlberechtigung in Art. 38 Abs. 1 GG stellt keinen Widerspruch zum Demokratieprinzip und zum Prinzip der Allgemeinheit der Wahl dar. Das Wahlalter 18 hat sich sowohl in Europa als auch weltweit im Vergleich bewährt. Im europäischen Ausland gilt generell eine Wahlberechtigung ab 18 Jahren. Ausnahme bei nationalen Wahlen ist im europäischen Kulturkreis lediglich Österreich; international gibt es nur in Brasilien, Nicaragua und Kuba ein Wahlrecht auf nationaler Ebene ab 16 Jahren. Es ist richtig, dass Jugendliche im Alter von 16 oder 17 Jahren ein deutlich geringeres Interesse an Politik als ältere Jugendliche oder junge Erwachsene haben. Das haben viele Studien, wie zum Beispiel eine Jugendstudie der Konrad-Adenauer-Stiftung von 1991 und eine Befragung der Universität Hohenheim von 2008, deutlich gemacht. Wer glaubt, dass Jugendliche, die in diesem Alter mit vielen anderen Dingen beschäftigt sind, mit einer Absenkung des Wahlalters für Politik stärker interessiert werden können, wird durch wissenschaftliche Untersuchungen widerlegt. Selbst da, wo 16- und 17-Jährige wählen konnten, war deren Wahlbeteiligung unterdurchschnittlich. Das hat sich zuletzt bei den Kommunalwahlen in Bremen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein erneut bestätigt. Wichtig ist auch, dass die Wahlbeteiligung von Jugendlichen auch dort nicht zunahm, wo das Wahlalter schon seit längerem herabgesetzt ist. Die Herabsetzung des Wahlalters ist deshalb weder ein Mittel gegen Politikverdrossenheit unter Jugendlichen noch ein Mittel zur Stärkung unserer Demokratie. Es gibt bessere und erfolgreichere Modelle, Jugendliche an die Politik heranzuführen. Jugendparlamente, wie sie auch im Deutschen Bundestag erst in dieser Woche wieder durchgeführt wurden, sind ein guter Weg, demokratische Prozesse vor dem Erreichen der Volljährigkeitsgrenze kennenzulernen. Dass die Jugendlichen, mit denen ich am gestrigen Tag gesprochen habe, keine Ausnahme darstellen, hat die Shell-Studie von 2006 bestätigt. 52 Prozent der befragten Jugendlichen lehnen ein Wahlrecht ab 16 ab, nur knapp 25 Prozent würden einen solchen Schritt befürworten. Es zeigt, dass die Jugendlichen viel vernünftiger als die Antragsteller von Bündnis 90/Die Grünen sind. Sie geben nämlich an, dass sie in ihrem Alter mit der Verantwortung für politische Entscheidungen in der Regel überfordert sind. Zudem ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Politik in der Regel nicht das Thema, dass ihnen in ihrem Lebensalter wichtig ist. Gut, dass die jungen Leute so realistisch und vernünftig sind. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beantragen heute (Drucksachen 17/13238 und 17/13257), jungen Menschen ab 16 Jahren das Wahlrecht zur Bundestagswahl zu geben. Selbstverständlich unterstützen wir dieses Anliegen. Wir Linke haben bereits in unserem umfassenden Antrag zum Wahlrecht, den wir Mitte der Legislaturperiode vorgelegt haben, die Absenkung des aktiven Wahlrechts auf 16 Jahre gefordert. Und bei einer unserer Quellparteien, der PDS, stand die Forderung schon 1998 im Bundestagswahlprogramm. Die Einwände der Kritiker und Kritikerinnen des Vorschlages, die wir heute hören konnten, sind wenig überzeugend, aber auch wenig überraschend. Bereits in der 111. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. Mai 2011 wurden sie so oder so ähnlich vorgetragen. Besser geworden sind sie dadurch nicht. Der Kollege Krings hielt damals den Vorschlag für „Unsinn“ und meinte in Bezug auf den Vorschlag der Linken, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken: „Rechte und Pflichten gehören zusammen.“ Entschuldigung, Herr Krings, aber Sie scheinen das mit dem Wahlrecht nicht verstanden zu haben. Das Wahlrecht ist gerade nicht an die Erfüllung von Pflichten geknüpft. Das Recht, zu wählen, an die Erfüllung von Pflichten zu knüpfen ist vordemokratisch und würde im Übrigen der Willkür Tür und Tor öffnen. Wollen Sie das Wahlrecht irgendwann auch an die Pflicht zur Zahlung von Steuern knüpfen? Nein, das Wahlrecht ist das urdemokratischste Recht der Einwohner und Einwohnerinnen. Es gibt kein „bedingtes“ Wahlrecht. Das Wahlrecht ist gerade nicht an eine Pflicht gebunden! Die Argumente, warum ein Wahlrecht bedingungslos zu gewähren ist, wurden im Übrigen in einem interessanten Gruppenantrag aus der 16. Wahlperiode (vgl. Drucksache 16/9868) aufgelistet. Zwar kommt der Gruppenantrag aus meiner Sicht mit der Forderung nach einem Familienwahlrecht zu einem falschen Ergebnis, aber die Argumente für eine Absenkung des Wahlalters seien allen hier noch einmal empfohlen. Das Familienwahlrecht fordert – zumindest per Antrag oder Gesetzentwurf – niemand mehr, was ausgesprochen klug ist. Nach meiner festen Überzeugung würde das Familienwahlrecht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verstoßen. Leider habe ich nicht die Zeit, jetzt umfassende Ausführungen zum Wahlrecht als Grundrecht der Einwohnerinnen und Einwohner zu tätigen. Aber ich empfehle den Kritikern und Kritikerinnen des Vorschlages, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken, einfach mal einen Blick in ihre juristischen Datenbanken, Kommentare und Aufsätze. Da finden Sie genügend Argumente, weshalb das Wahlrecht den Einwohnerinnen und Einwohnern bedingungslos zu gewähren ist. Geben Sie einfach Art. 38 GG ein. Dort finden Sie die Wahlrechtsgrundsätze, die als allgemeine Verfassungsprinzipien gelten. Im BeckOK finden Sie zum Beispiel in Rundungsnummer 51 folgende Formulierung: „Ein Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen von der Ausübung des Wahlrechts aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen ist unzulässig (BVerfGE 58, 202, 205, mwN = NJW 1982, 817). Auch darf die Teilnahme an der Wahl nicht von besonderen, nicht von jedermann erfüllbaren Voraussetzungen (zum Beispiel Vermögen, Einkommen, Steuerentrichtung, Bildung, Lebensstellung) abhängig gemacht werden.“ Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zu den Begründungen im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen machen. Auch wenn wir den beiden Drucksachen zustimmen werden, will ich die zum Teil in der Begründung auftauchenden Differenzen nicht unerwähnt lassen. Im Rahmen der Gesetzentwürfe – hier dem zur Änderung des Grundgesetzes – formulieren Sie: „Diese Verweigerung der Mitgestaltung widerspricht dem Gestaltungswillen der Jugendlichen, die von den parlamentarischen Beschlüssen auch dann noch betroffen sind, wenn sie selbst längst erwachsen geworden sind.“ Ich finde diese Begründung nicht nur nicht überzeugend, sondern auch gefährlich. Das Wahlrecht ist ein grundlegendes Recht, welches Bürgerinnen und Bürgern zukommt. Es kann und darf weder vom Gestaltungswillen noch von der Frage, wie lange jemand von Beschlüssen betroffen ist, abhängig gemacht werden. Weiter formulieren Bündnis 90/Die Grünen: „Die bisher für die Ausübung des aktiven Wahlrechtes geltende Grenze der Vollendung des achtzehnten Lebensjahres ist zu hoch und wird der Einsichtsfähigkeit und dem Verantwortungsbewusstsein einer wachsenden Zahl von Jugendlichen nicht mehr gerecht.“ Wir sind uns einig, die Grenze von 18 Jahren ist zu hoch. Aber wieso stellen Sie auf die Einsichtsfähigkeit ab? Bitte schauen Sie sich noch einmal Ihren Antrag zur Drucksache 17/12608 an und lesen Sie die Rede ihres Kollegen Markus Kurth. Sie widersprechen sich selbst. Denn der Kollege Kurth und Ihr Antrag begründen, warum es bei der Frage, wem das Wahlrecht zusteht, überhaupt nicht auf die Einsichtsfähigkeit ankommt. Als Alternative führen Sie an, dass auch ein Familienrecht denkbar wäre. Hierzu habe ich bereits alles gesagt, was gesagt werden musste. Unabhängig von diesen Einwänden jedoch ist Ihrem Antrag zuzustimmen. Es wird Zeit, das Wahlrecht auch denjenigen zu geben, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Die Welt vergöttert die Jugend, aber regieren lässt sie sich von den Alten.“ Das ist ein sehr zutreffender Satz des französischen Schriftstellers Henri de Montherlant. Dieser Satz ist heute so wahr wie damals. Meine Fraktion und ich wollen diese Situation ändern. Wir wollen Jugendlichen mit 16 und 17 Jahren die aktive Teilnahme an den Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europäischen Parlament ermöglichen. Sie sollen über die Zusammensetzung der Parlamente mitentscheiden können. Die schwarz-gelbe Bundesregierung will den jungen Leuten dieses Recht nicht zubilligen. Sie ignoriert seit Jahren 16- und 17-Jährige konsequent als potenzielle Wählerinnen und Wähler. Dabei verfügt eine stetig wachsende Zahl von Jugendlichen über die notwendige Einsichtsfähigkeit und das Verantwortungsbewusstsein, um eine Wahlentscheidung treffen zu können. Sie machen heute mit 17 Jahren ihr Abitur und fangen an zu studieren. Oder sie starten nach der zehnten Klasse ins Berufsleben und zahlen Steuern. Warum sollten wir ihnen dann nicht auch das aktive Wahlrecht zubilligen? Damit erreichen wir mehr Generationengerechtigkeit. Junge Leute können doch am besten selbst beurteilen, welche Partei dazu in der Lage ist, eine gesunde Umwelt für sie zu gewährleisten oder die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wenn wir Jugendliche an den Wahlen beteiligen, ermöglichen wir es ihnen, ihre Ansprüche und Anliegen besser zu vertreten. Und junge Menschen wollen mehr Entwicklung, mehr Zukunft, mehr Gerechtigkeit. Sie wollen Teilhabe und mitreden können, sie wollen also letztlich mehr Demokratie. Daran sollten wir sie nicht hindern. Viele Bundesländer machen uns schon vor, wie es richtig geht. In meinem Heimatbundesland Baden-Württemberg hat die grün-rote Regierungsmehrheit beschlossen, dass 16- und 17-Jährige bei den Kommunalwahlen im nächsten Jahr mitwählen dürfen. Und Baden-Württemberg ist nicht das erste Bundesland, das das Mindestalter für Kommunalwahlen gesenkt hat. In Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und in Schleswig-Holstein können Jugendliche ab 16 Jahren an den Kommunalwahlen teilnehmen. Und Bremen, Brandenburg und Hamburg gehen noch weiter: Dort können 16-Jährige auch schon bei den Landtagswahlen wählen. Vorreiter in Sachen aktives Wahlrecht aber ist Österreich. Dort nehmen seit 2007 Jugendliche ab 16 Jahren an allen Wahlen teil. Und die Wahlstatistik zeigt, dass 16- und 17-Jährige sehr rational mit ihrer Stimmvergabe umgehen. Extremistische Ideen fanden bei den Jugendlichen keinen Widerhall. Warum also sollten wir diesen Schritt nicht endlich auch in Deutschland wagen? In Deutschland haben wir das Wahlalter schon einmal abgesenkt. Das war 1970. Bis dahin durfte nur wählen, wer das 21. Lebensjahr vollendet hatte. Können Sie sich heute vorstellen, dass 18-Jährige nicht wählen dürfen? Wohl kaum! Es ist doch nur sachgerecht und konsequent, wenn wir diesen Weg weiter beschreiten. Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist in vielem gescheitert, unter anderem auch darin, erfolgreich Maßnahmen für eine generationengerechtere Politik zu ergreifen. Schwarz-Gelb steht für eine Politik der Ausgrenzung – nicht nur der Ausgrenzung von jungen Menschen, auch der Ausgrenzung von Migrantinnen und Migranten, von Frauen aus Führungspositionen, von Homosexuellen und von vielen anderen mehr. Wir brauchen einen neuen Aufbruch, ganz besonders auch in der Jugendpolitik. Wir brauchen eine Politik, die den Jugendlichen eine stärkere Stimme bei politischen Entscheidungen gibt. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Fortführung der arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge in der nächsten Förderungsperiode des Europäischen Sozialfonds (Tagesordnungspunkt 54 g) Ulrich Lange (CDU/CSU): Der Europäische Sozialfonds, ESF, wurde gleich mit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 ins Leben gerufen. Seit dieser Zeit verbessert er die Beschäftigungschancen, unterstützt die Menschen durch Ausbildung und Qualifizierung und trägt zum Abbau von Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt bei. Ein wichtiges Programm des ESF war die arbeitsmarktliche Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge. Die Ergebnisse des Bleiberechtsprogramms als Teil des Nationalen Aktionsplans Integration, Teil des Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz, war erfolgreich. Gefördert werden Netzwerke auf lokaler und regionaler Ebene unter Einbeziehung der Arbeitsgemeinschaften und der zugelassenen kommunalen Träger, um möglichst vielen Begünstigten zu einer auf Dauer angelegten Erwerbstätigkeit zu verhelfen. Die miteinander vernetzten Beratungsstellen erhöhen unter anderem in Zusammenarbeit mit Unternehmen durch berufsbegleitende Qualifizierung den Beschäftigungserhalt der Zielgruppe sowie deren Aussichten, auf Dauer einen Arbeitsplatz zu behalten. 10 200 Personen nahmen an dem Programm teil. 54 Prozent, das heißt mehr als jeder zweite Teilnehmer, konnten erfolgreich in Arbeit oder Ausbildung integriert werden. Mit dem Auslaufen der zweiten Förderrunde muss dieses Programm trotz des Erfolges überprüft und die aktuellen Gegebenheiten müssen berücksichtigt werden. Wichtigste Änderung ist, dass sich in der kommenden ESF-Förderperiode nach 2014 ein erheblicher Rückgang der Strukturfondsmittel für Deutschland abzeichnet. Für die nächste Förderrunde erhält Deutschland rund 35 Prozent weniger Fördermittel, berechnet auf der Basis der Preise von 2011. Hintergrund für diese Kürzung der EU-Gelder ist die positive wirtschaftliche Entwicklung bei uns in Deutschland, insbesondere im Vergleich zu anderen europäischen Mitgliedstaaten. Auch wenn wir uns nicht darüber freuen, dass die Finanzmittel reduziert werden, sind die Entwicklung unseres Arbeitsmarktes und unsere wirtschaftliche Konjunktur für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein Grund zur Freude. Dennoch können wir bei dieser drastischen Reduzierung der Gelder die Augen nicht verschließen und sagen, wir machen einfach weiter wie bisher. Die Situation muss grundlegend neu bewertet werden, eine neue Fokussierung ist notwendig. Deshalb hat sich die Bundesregierung entschlossen, den ESF neu zu strukturieren und das ESF-Bundesprogramm zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge in der ESF-Förderperiode 2014 bis 2020 nicht fortzusetzen. Dies bedeutet jedoch nicht, wie die Grünen suggerieren, dass wir den Bleibeberechtigten und Flüchtlingen keine Finanzmittel zur Integration bereitstellen. Durch die Streichung des Programms ergeben sich für die betroffenen Personengruppen keine Nachteile, da diese über die noch bestehenden acht Förderprogramme unterstützt werden. Die Verbesserung der sprachlichen und beruflichen Qualifizierung von EU- und Drittstaatsangehörigen wird weiterhin unterstützt und künftig neben Angeboten der Regelförderung insbesondere über die geplanten ESF-Programme für die Anpassungs- und Nachqualifizierungen sowie die berufsbezogenen Sprachförderangebote für Migrantinnen und Migranten gewährleistet. Die bisherigen Aufgaben der Projektverbünde im ESF-Bleiberechtsprogramm können grundsätzlich weitestgehend im Rahmen des bereits genehmigten ESF-Programms „IsA – Integration statt Ausgrenzung“ gefördert werden. Zudem möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass auch die Bundesländer operationelle Programme für den ESF 2014 bis 2020 auflegen werden. Bei diesen speziellen Programmen haben die Bundesländer die Möglichkeit, auf ihre ganz speziellen Probleme und Bedürfnisse punktgerecht zu reagieren und den Bedarf zu bedienen und entsprechende eigene Programme zu erstellen. Es ist ein Erfolg dieser Koalitionsregierung, dass trotz der kommenden drastischen Reduzierung der Finanzmittel seitens der EU den berechtigten Anliegen der Betroffenen des ESF-Bleiberechtsprogramms auch weiterhin Rechnung getragen wird. Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordern in dem uns vorliegenden Antrag, dass die arbeitsmarktlichen Unterstützungen für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge in der kommenden achten Förderperiode 2014 bis 2020 des Europäischen Sozialfonds, ESF, fortgeführt werden, schreiben in der Begründung ihres Antrags jedoch selbst, dass die Bundesrepublik in der kommenden ESF-Förderperiode 9,5 Milliarden Euro weniger Fördermittel zugewiesen bekommt. Die Bundesregierung erwartet tatsächlich einen drastischen Rückgang der Strukturfondsmittel. Durch die Arbeit der Regierungen Merkel wandelte sich die Bundesrepublik vom Träger der roten Laterne unter Rot-Grün zur europäischen Lokomotive. Im Vergleich zu vielen europäischen Partnern stehen wir Gott sei Dank bestens da. So ist es natürlich schmerzhaft, aber logisch, dass unsere europäischen Freunde Fördergelder wesentlich nötiger haben als wir. Fragen Sie sich bitte selbst, wie sie reagieren würden, wenn andere Länder in Europa dringend Fördergelder nötig haben und wir, die wir dank der guten Arbeit und Politik der christlich-liberalen Bundesregierung sehr gut dastehen, das Geld, das andere bitter nötig haben, mit vollen Händen ausgeben. Das XENOS-Sonderprogramm „ESF-Bundesprogramm zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge mit Zugang zum Arbeitsmarkt“ wird von Juni 2008 bis Juni 2014 in zwei Förderrunden umgesetzt und soll Bleibeberechtigte und Flüchtlinge, die einen – mindestens nachrangigen – Zugang zum Arbeitsmarkt haben, bei der Integration in den Arbeitsmarkt unterstützen. Es ist natürlich eine polemische Haltung, zu behaupten, dass die Bundesregierung offenkundig plane, das Programm auslaufen zu lassen. Es stand von Anfang an fest, dass das XENOS-Sonderprogramm eine festgelegte Laufzeit hat. Bis zum 31. Dezember diesen Jahres werden 28 Beratungsnetzwerke mit gut 230 Einzelprojekten gefördert. Allen Beteiligten war klar, dass das ESF-Bundesprogramm für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge nach der Zweiten Förderrunde zu diesem Zeitpunkt ausläuft. Wir sollten die Situation aber nicht von irgendwelchen Förderzeiträumen von Projekten betrachten, sondern von den Menschen, die mit diesen Projekten gefördert werden sollen. Und seien wir ehrlich, wenn ein Fördertopf um rund 35 Prozent kleiner wird, dann muss man die Karten neu mischen. Das tun wir, und wir tun das mit Blick auf die Menschen, die zu uns gekommen sind. Für die Bleibeberechtigen und Flüchtlinge bringt das zeitgerechte Auslaufen des XENOS-Sonderprogramms keine Nachteile. Eine Vielzahl von Angeboten der Regelförderung und geplante ESF-Programme gewährleisten die Anpassung- und Nachqualifizierung sowie Sprachförderangebote für Migrantinnen und Migranten. Die Antragsteller haben auch übersehen, dass das ESF-Programm „IdA-Integration“ durch Austausch bereits genehmigt ist und die bisherigen Aufgaben der Projektverbünde im ESF-Bleiberechtsprogramm durch IdA gefördert werden können. Darüber hinaus werden auch die Bundesländer operationelle Programme für die achte Förderperiode 2014 bis 2020 des ESF auflegen, und sie haben die Möglichkeit, entsprechende eigene Programme für die bereits bestehenden Strukturen und Hilfeangebote einzuplanen. Die Bundesländer haben nun in der kommenden Förderperiode die großartige Möglichkeit, in eigener Zuständigkeit maßgeschneiderte und passgenaue Programme aufzulegen, die auf die lokalen Bedürfnisse eingehen können und den Gegebenheiten vor Ort Rechnung tragen. Das ist gut und richtig und hilft, den Bleibeberechtigen und Flüchtlingen in den jeweiligen Regionen zielgerichtet zu helfen und zu sie fördern. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, Ihr Antrag liest sich, als würde unser Land mit dem bekannten Ende der Zweiten Förderrunde in vorsintflutliche Zustände zurückfallen. Zum einen war allen Projektbeteiligten von Anfang an klar, dass Projekte nun mal zeitlich befristet sind und auch das ESF-Bundesprogramm für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge zum festgelegten Zeitpunkt endet, zum anderen besteht eine Vielzahl von Förderprogrammen wie „Integration durch Qualifizierung – IQ“ oder „IsA – Integration durch Ausbildung“ weiter, und neue werden geschaffen. So soll das vom ESF geförderte Programm zur berufsbezogenen Sprachförderung für Menschen mit Migrationshintergrund in der achten Förderperiode bis 2020 wieder aufgelegt werden und wir prüfen derzeit, ob auch Menschen, die im Leistungsbezug des Asylbewerberleistungsgesetzes sind, an diesen Programm teilnehmen können. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber wir und vor allem Sie müssen verstehen, dass europäische Fördermittel, die zur Förderung und Verbesserung des sozialen Zusammenhalts und der wirtschaftlichen Entwicklung in den Regionen der Europäischen Union eingesetzt werden sollen, in anderen Regionen wesentlich stärker benötigt werden. Die Erfolge des ESF-Bundesprogramms für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge werden sehr gerne in den Fokus der Betrachtung gestellt, jedoch kennt weder die Statistik der Bundesagentur für Arbeit noch die Ausländerstatistik differenzierte und belastbare Aussagen zur Erwerbsintegration von geduldeten Flüchtlingen in der Bundesrepublik. Die durch das Bleiberechtsprogramm selbst erhobenen Daten beziehen sich jedoch nur auf die durch das Programm erreichten Personen, und diese Statistikdaten sind bei weitem nicht repräsentativ für die in Deutschland lebenden Bleibeberechtigten und Flüchtlinge. Sie können uns gerne alles Mögliche unterstellen, aber ein Rückgang der Fondsmittel um 35 Prozent, der der positiven Entwicklung in unserem Land im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten geschuldet ist, macht eine stärkere Fokussierung der Mittel notwendig. Das tun wir nun, und wir tun das mit Blick auf die Menschen. Für die Bleibeberechtigen und Flüchtlinge wird das zeitgerechte Auslaufen des ESF-Bundesprogramms für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge keine Nachteile bringen. Josip Juratovic (SPD): Ich danke den Grünen für die Einbringung dieses Antrags. Wir sprechen heute über ein Programm, mit dem Bleibeberechtigte und Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden. Dieses Programm zielt auf diejenigen ab, die in unserer Gesellschaft nur wenige Chancen bekommen. Die Menschen, die bei uns als Flüchtlinge oder Bleibeberechtigte leben, kommen aus schwierigen Situationen zu uns und werden hier meist nicht in den Arbeitsmarkt integriert. Wir alle wissen, dass es in der Flüchtlingspolitik immer um Einzelschicksale geht. Dem müssen wir gerecht werden, und zwar nicht nur mit Paragrafen, sondern auch mit eindeutigen Aussagen, dass wir uns um die Menschen kümmern, die in unserem Land sind, die meisten übrigens seit mehreren Jahren. Das ESF-geförderte Programm für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge ist ein Programm, das sich genau um diese Einzelschicksale kümmert. Mit der Arbeitsmarktintegration erhalten die Menschen eine neue Chance. Sie können durch eine Chance auf Arbeit nicht nur ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen, sondern sie erhalten oft auch einen neuen Sinn in ihrem Leben. Wir müssen uns bewusst sein, dass viele Flüchtlinge, die zu uns kommen, traumatisiert sind. Viele Menschen können ihre schrecklichen Erlebnisse nicht einfach wegstecken und sind nicht so sicher im Umgang mit unserer Gesellschaft. Wir müssen Respekt haben vor den traumatischen Erlebnissen dieser Flüchtlinge und sie gerade durch solche Programme wie das, über das wir heute sprechen, fördern. Umso trauriger stimmt es mich, dass dieses Programm vermutlich nicht weitergeführt wird. Die Konferenz der für Integration zuständigen Ministerinnen und Minister hat im März den Beschluss gefasst, dass das ESF-Programm für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge fortgeführt werden soll. Mehrere SPD-Landesminister haben sich in Schreiben an Bundesministerin von der Leyen dafür eingesetzt, dass das Programm fortgesetzt wird. Leider waren die Aufforderungen und Bitten bislang nicht erfolgreich. Ich hoffe, dass nach dem Antrag der Grünen und den Reden dazu ein Umdenken bei der Ministerin einsetzt, um dieses Programm doch weiter zu fördern. Sollte das ESF-Programm tatsächlich nicht weiterlaufen, müssen alternative Programme für Flüchtlinge und Bleibeberechtigte geöffnet werden. Es kann nicht sein, dass die außerordentlich hilfsbedürftige Gruppe von Bleibeberechtigten und Flüchtlingen allein gelassen wird. Es ist aus humanitären Gründen notwendig, dass wir uns hier engagieren. Es ist aber auch aus arbeitsmarktpolitischen Gründen sinnvoll: Es hilft niemandem, wenn wir Flüchtlinge und Bleibeberechtigte in dauerhafter Abhängigkeit von unserem Sozialsystem lassen. Auch dafür ist das vom ESF geförderte Programm sinnvoll. Die Evaluierung des Programms war zudem eindeutig: Das ist ein Programm mit hohem Wirkungsgrad und beeindruckenden Erfolgen. Knapp 5 500 Menschen konnten in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden; das ist fast die Hälfte der gesamten Programmteilnehmer. Diese Evaluation spricht für sich. Es macht keinen Sinn, ein so erfolgreiches Programm sang- und klanglos zu streichen. Erfolgreich ist das Programm auch noch in einer weiteren Hinsicht: Es wurden wichtige Netzwerke geschaffen, die vor Ort zusammenarbeiten, um Bleibeberechtigte und Flüchtlinge zu unterstützen. Würde das Programm nicht weitergeführt, gehen auch diese Netzwerke verloren, und damit verlieren wir eine Menge Wissen um diese spezifische Personengruppe. Ich wurde von einigen Mitarbeitern in diesen Netzwerken angesprochen, die schon heute fürchten, dass die Unterstützung für Flüchtlinge und Bleibeberechtigte bei der Arbeitsmarktintegration extrem abnehmen wird, wenn das Programm nicht weitergeführt wird, und dass alle aufgebauten Netzwerke und Erfolge verloren gehen. Erlauben Sie mir zum Schluss, Ihnen meine persönlichen Erfahrungen in der Flüchtlingspolitik mit auf den Weg zu geben: Während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien in den 90er-Jahren war ich in der Friedenspolitik aktiv. Ich war im Kreis Heilbronn eine Anlaufstelle für Flüchtlinge aus den Kriegsländern des ehemaligen Jugoslawien. In meinem Haus lebten teilweise bis zu 18 Flüchtlinge, übrigens aus verschiedenen Ethnien aus dem ganzen ehemaligen Jugoslawien. Zum Glück durften diese Menschen hier arbeiten und konnten sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen; aber auch für sie wäre das Programm, über das wir heute sprechen, eine Chance gewesen. Es wäre nicht nur eine Chance für diese Menschen gewesen, sondern auch für unsere gesamte Gesellschaft. Wir sprechen sehr oft über die Fachkräfteentwicklung in unserem Land. Wir sollten daher dringend daran arbeiten, dass wir Flüchtlingen und Geduldeten, die oft von uns ausgebildete Fachkräfte sind, eine Chance auf unserem Arbeitsmarkt und in unserer Gesellschaft geben. Daher appelliere ich an die Bundesregierung: Führen Sie das erfolgreiche ESF-geförderte Bundesprogramm weiter, und geben Sie den Bleibeberechtigten und Flüchtlingen, aber auch unserem ganzen Land damit eine Chance! Pascal Kober (FDP): Das ESF-Bundesprogramm zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge läuft noch bis zum 30. Juni 2014. Gefördert werden dabei Netzwerke auf lokaler und regionaler Ebene unter Einbeziehung der Arbeitsgemeinschaften und der zugelassenen kommunalen Träger, um möglichst vielen der infrage kommenden Menschen zu einer auf Dauer angelegten Erwerbstätigkeit zu verhelfen. Die miteinander vernetzten Beratungsstellen sollen unter anderem in Zusammenarbeit mit Unternehmen durch berufsbegleitende Qualifizierung den Beschäftigungserhalt der Zielgruppe sowie deren Verbleibsaussichten auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. Das Sonderprogramm, das unter dem Dach des Programms Xenos läuft, hat ein Gesamtvolumen von rund 34 Millionen Euro, wovon 19 Millionen aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds sind und 12 Millionen eigene Haushaltsmittel des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Für eine abschließende Bewertung des Erfolgs des Projektes ist es zum jetzigen Zeitpunkt noch etwas früh, aber die Grundrichtung scheint mir die richtige zu sein. So hat eine Zwischenevaluation der Lawaetz-Stiftung Hamburg ergeben, dass bis Dezember 2009 12 300 Personen an Maßnahmen des Programms teilgenommen haben und dass davon 22 Prozent in Arbeit oder eine duale Ausbildung vermittelt wurden. Dies halte ich für bemerkenswert, weil über 80 Prozent der Teilnehmenden keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Uns muss allen klar sein, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung, um den Herausforderungen des demografischen Wandels gewachsen zu sein und den daraus resultierenden Fachkräftemangel lindern zu können. Daher hat diese christlich-liberale Regierungskoalition Hürden gesenkt, um mehr Zuwanderung von Fachkräften nach Deutschland lancieren zu können. Ich möchte an dieser Stelle zum Beispiel nur an das Absenken der Mindesteinkommensgrenze für Fachkräfte von 66 000 auf 48 000 Euro pro Jahr erinnern. Oder an die Verlängerung des Zeitraums, in dem ausländische Hochschulabsolventen nach Abschluss ihres Studiums in Deutschland aufenthaltsberechtigt sind. Programme des ESF sind zumeist als Modellprojekte ausgelegt. Eine dauerhafte Fortführung des Programms über Mittel des ESF ist vonseiten der Bundesregierung nicht geplant. Dies liegt auch am finanziellen Volumen der Strukturfondsmittel, wie es Deutschland nach 2014 erhalten wird. Nach derzeitiger Einschätzung wird es einen Rückgang um circa 35 Prozent geben. Dies ist unter anderem der relativ positiven Entwicklung in Deutschland im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten geschuldet und macht eine stärkere Fokussierung der Mittel erforderlich. Aber klar ist, dass wesentliche Bestandteile des Programms über andere Programme weitergeführt werden können. Durch die Beendigung des Programms ergeben sich für die Bleibeberechtigten und Flüchtlinge jedoch keine Nachteile. Die Verbesserung der sprachlichen und beruflichen Qualifizierung von EU- und Drittstaatsangehörigen wird weiterhin unterstützt und künftig neben Angeboten der Regelförderung insbesondere über die geplanten ESF-Programme für die Anpassungs- und Nachqualifizierungen sowie die berufsbezogenen Sprachförderangebote für Migrantinnen und Migranten gewährleistet. Zudem können weitere Aufgaben des Programmes über das bereits genehmigte ESF-Programm „Integration durch Austausch“ gefördert werden. Auch die Bundesländer werden eigene Programme für den ESF in den Jahren 2014 bis 2020 auflegen. Dabei haben sie die Möglichkeit, entsprechende eigene Programme einzuplanen. In Anbetracht der zurückgehenden Mittel des ESF und der Möglichkeit, dass die Programminhalte durch andere Programme ersetzt werden können, halte ich es für vertretbar, das Programm nicht weiterlaufen zu lassen. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung plant, eines der erfolgreichsten Programme zur Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt einzustampfen. Was sich zunächst nach einem Schildbürgerstreich anhört, ist leider bittere Realität. Ein Aufschrei bleibt aber aus; denn bei den Betroffenen handelt es sich um Flüchtlinge, Geduldete, Menschen mit einer unsicheren Bleiberechtsperspektive in Deutschland. Diese Gruppe hat bislang von einem Förderprogramm profitiert, das auch aus dem Europäischen Sozialfonds finanziert wurde. In diesem Programm zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge mit Zugang zum Arbeitsmarkt wurden in den vergangenen sechs Jahren 11 000 Menschen erreicht; die Hälfte von ihnen fand in der Folge eine Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt. Beteiligt waren insgesamt 28 regionale Netzwerke mit insgesamt 230 Projektpartnern. In diesen Netzwerken ist über die Jahre ein riesiger Schatz an Erfahrung in der Qualifizierung und Vermittlung von Flüchtlingen und Geduldeten mit Bleiberechtsperspektive entstanden. Diese Menschen werden durch zahlreiche Maßnahmen beim Zugang zum Arbeitsmarkt diskriminiert: das Arbeitsverbot im ersten Jahr des Aufenthalts in Deutschland, den nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt in den drei Jahren danach – was faktisch einem Arbeitsverbot gleichkommt –, die fehlende Anerkennung von erworbenen Berufsqualifikationen, keinen Zugang zu Sprach- und Integrationskursen. Dass es dennoch gelungen ist, so vielen einen Arbeitsplatz zu verschaffen und anderen wenigstens eine Perspektive aufzuzeigen, ist ein großer Erfolg. In einer Kleinen Anfrage hat meine Fraktion die Bundesregierung nach der Fortführung dieser Programme befragt. Die Antwort, die mir seit zwei Tagen vorliegt, ist ein Dokument der Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber den Betroffenen. Aus der Einstellung des Programms ergäben sich „für die betroffenen Personengruppen keine Nachteile“, wird da begründungslos behauptet. Da drängt sich allerdings die Frage auf, wofür 50 Millionen Euro in drei Jahren ausgegeben wurden, wenn es egal sein soll, ob es dieses Programm gibt oder nicht. Für jedes der bislang aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds geförderten Programme haben wir gefragt, ob eine gezielte Ausweitung auf die Gruppe der Flüchtlinge und Bleibeberechtigten geplant ist. Die Antwort lautet ganz klar Nein. Die Bundesregierung verweist zwar darauf, dass einige dieser Programme, etwa zur Nachqualifizierung im Ausland erworbener Berufsabschlüsse für den deutschen Arbeitsmarkt, unabhängig vom Aufenthaltsstatus allen offen stehen. Ganz wesentlich für den Erfolg des ESF-Bundesprogramms „Bleiberecht“ war aber das Funktionieren der regionalen Netzwerke, die auch potenziellen Arbeitgebern halfen, sich durch das Dickicht der deutschen Ausländerverwaltung zu kämpfen. Diese Netzwerke werden nun nicht mehr gefördert, und auch die Einrichtung von Fachstellen, die diesen Wegfall kompensieren könnten, lehnt die Bundesregierung explizit ab. Auch ansonsten zeigt die Bundesregierung in ihrer Antwort keinerlei Willen, die arbeitsmarktliche Lage von Asylsuchenden, Geduldeten und bleibeberechtigten Menschen zu verbessern. Im Zuge der Neuordnung des Ausländerbeschäftigungsrechts soll nun auch asylsuchenden und geduldeten Flüchtlingen nach vier Jahren ein gleichrangiger Arbeitsmarktzugang geschaffen werden. Aber ohne weitere Unterstützung werden diese Menschen es nach vier Jahren erzwungener Untätigkeit, abgeschoben in Sammelunterkünfte und durch die Residenzpflicht in ihrer Mobilität massiv beschnitten, kaum schaffen, einen Arbeitsplatz zu finden. Die Bundesregierung muss an dieser Stelle endlich umdenken und auch für diese Gruppe Instrumente für die Integration in Beschäftigung schaffen – ob mit oder ohne die Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds. Ich will am Ende noch darauf hinweisen, dass etwa jeder achte Teilnehmer des Bleiberechtsprogramms zur Gruppe der Roma gehört. Roma beispielsweise aus dem Kosovo konnten sich über diese Programme einen Weg aus der Kettenduldung in einen sicheren Aufenthalt bahnen. Für diese Gruppe gibt es sonst keinerlei zielgerichtete Förderung, wie schon frühere Anfragen meiner Fraktion ergeben haben. Auch das scheint für die Bundesregierung also keine Rolle zu spielen. Die Kanzlerin hat den Roma bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma im vergangenen Oktober Unterstützung beim Kampf für ihre Rechte zugesagt. In ihrem Regierungshandeln ist davon nichts zu bemerken. Ich fordere Sie auf: Lassen Sie es nicht bei Sonntagsreden, handeln Sie aktiv für die Integration von Roma und anderen Flüchtlingen! Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesarbeitsministerin will die Bundesförderung für Projekte aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) der in 16 Bundesländern engagiert arbeitenden Netzwerke zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge mit Zugang zum Arbeitsmarkt nicht über das laufende Haushaltsjahr hinaus fortführen. Das ist ein integrations- und arbeitsmarktpolitisch unsinniger Beschluss der Ministerin von der Leyen und ihres Ministeriums. Seitdem hat es aus Politik und Gesellschaft zahlreiche kritische Stellungnahmen gegenüber dem BMAS bzw. der Bundesregierung gegeben. Exemplarisch sei hier nur auf den einstimmigen Beschluss der Integrationsministerkonferenz vom März 2013, auf die Stellungnahmen der BAG der Wohlfahrtsverbände, der Landesflüchtlingsräte sowie der EKD verwiesen. Die Ministerin reagiert, wie zum Beispiel in einem Antwortschreiben an mich, in dieser Thematik unsensibel und verweist darauf, dass ja die Länder in die Projektfinanzierung stärker eintreten könnten. Daher hat meine Fraktion vorliegenden Antrag eingebracht, der sich für die Fortführung des Bundesprogrammes zur arbeitsmarktlichen Unterstützung von Bleibeberechtigten und Flüchtlingen einsetzt. Denn das ESF-Bundesprogramm für Bleibeberechtigte ist ein Erfolgsmodell. Dies belegt auch die im März 2013 vorgelegte Programmevaluation: Danach konnte rund die Hälfte der knapp 11 000 Teilnehmenden in Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt bzw. in eine Ausbildung vermittelt werden. Die Autoren dieser – durch das BMAS geförderten – Evaluierungsstudie kommen zu der unmissverständlichen Empfehlung, „das Bleiberechtsprogramm in seiner jetzigen Struktur neu aufzulegen“. Dies deckt sich auch mit dem einstimmigen Beschluss der 8. Integrationsministerkonferenz von Bund und Ländern von Ende März 2013. Darin wird einstimmig gefordert, die Fortführung des Bundesprogramms mit seinen Hilfeangeboten und Strukturen auch über 2013 hinaus zu gewährleisten. Selbst angesichts des Umstandes, dass der Bundesrepublik Deutschland für die kommende ESF-Förderperiode seitens der EU rund 9,5 Milliarden Euro weniger Fördermittel zur Verfügung gestellt werden, erscheint mir das Anliegen der Integrationsministerkonferenz sachgerecht und notwendig. Es wird meines Erachtens erforderlich sein, die Zielgruppe des Bundesprogramms – Asylsuchende, Geduldete und Bleiberechtigte – auch in Zukunft gesondert zu adressieren, denn der Arbeitsmarktzugang bzw. die Inanspruchnahme von Arbeitsförderungsmaßnahmen nach dem SGB ist für diese Personengruppe nach wie vor rechtlich beschränkt bzw. ausgeschlossen. Zudem kommt es bei diesem Personenkreis, aber auch beim tatsächlichen Arbeitsmarktzugang zu erheblichen Vermittlungsschwierigkeiten. Zum einen sind hier Bildungsaspekte – Sprachkenntnisse, Ausbildungsgrad oder nicht anerkannte Bildungsabschlüsse – zu nennen. Flüchtlinge leiden aber auch unter psychischen oder psychosozialen Belastungen durch Fluchterfahrungen und/oder als Folge von Arbeitsverboten bzw. einer langjährig erzwungenen beruflichen Untätigkeit. Gerade auch wegen der vielfältigen und zum Teil unübersichtlichen rechtlichen Besonderheiten des Arbeitsmarktzugangs bzw. bei der Inanspruchnahme von Arbeitsförderungsmaßnahmen hat sich eine intensive und – gerade auch rechtlich – spezialisierte Beratung bewährt. Insofern erscheint mir eine Fortführung gerade der Beratungsstrukturen unerlässlich, die sich innerhalb des Bundesprogramms entwickelt und die zu dessen außerordentlich positiver Zwischenbilanz maßgeblich beigetragen haben. Den Menschen, die diese Beratungsleistung erbracht haben, gebührt unser Dank – und nicht die Abwicklung. Auch werden die Bedarfe steigen, allein schon im Hinblick auf steigende Zahlen von Asylsuchenden und die geplante Ausweitung von Formen der aktiven Aufnahme von Flüchtlingen, zum Beispiel über Resettlement-Kontingente. Erst recht wird ein erhöhter Bedarf bestehen, wenn der Beschluss des Bundesrates für die Schaffung einer sogenannten rollierenden Bleiberechtsregelung umgesetzt wird. Auch die fortschreitende Öffnung der Arbeitsmarktzugangsregelungen für die Zielgruppe des jetzigen Bundesprogramms, zum Beispiel die Verkürzung des Arbeitsverbotes für Asylsuchende auf neun Monate, wird zu einer Steigerung des Bedarfs von Arbeitsförderungsmaßnahmen führen. Daher ist es sinnvoll, das erfolgreiche ESF-Bundesprogramm zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge mit Zugang zum Arbeitsmarkt weiterzuführen. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien (…Strafrechtsänderungsgesetz – …StrÄndG) (Zusatztagesordnungspunkt 10) Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Strafrechtsänderung, mit der wir durch die Schaffung eines eigenen Straftatbestandes zur Genitalverstümmelung den Opferschutz verbessern und das Problembewusstsein der Öffentlichkeit schärfen wollen. In diesem Haus besteht Einigkeit, dass die Verstümmelung der weiblichen Genitalien, in welcher Form auch immer, eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung mit einem besonderen Unrechtsgehalt ist. Sie wirksam zu verfolgen und überführte Täter angemessen zu bestrafen, ist unbestritten die Aufgabe der staatlichen Strafverfolgungsorgane. Eine Rechtfertigung für derartige Eingriffe unter Verweis auf religiöse Gebote oder Traditionen gibt es nicht. Das Grundgesetz garantiert das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Es ist demnach verfassungsrechtlich geboten, die Praxis der Genitalverstümmelung mit Nachdruck zu bekämpfen. Auf internationaler Ebene verpflichten uns unter anderem sowohl die UN-Kinderrechtskonvention als auch die UN-Frauenrechtskonvention zum entschlossenen Einsatz gegen die Genitalverstümmelung. Am 20. Dezember 2012 hat die UN-Vollversammlung die von 110 Ländern eingebrachte Resolution „Intensifying global efforts for the elimination of female genital mutilations“ angenommen. In der Resolution werden die UN-Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, wirksame Maßnahmen zur Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung zu ergreifen. Dazu gehören neben einem gesetzlichen Verbot landesweite Sensibilisierungskampagnen und Präventionsmaßnahmen zum Schutz gefährdeter Mädchen. Auch wenn die Resolution rechtlich nicht bindend ist, ist sie ein wichtiges Signal der Staatengemeinschaft zur weltweiten Überwindung dieser schweren Menschenrechtsverletzung. Lassen Sie mich zunächst einige Bemerkungen zur Ausgangssituation machen, bevor ich kurz die Genese des heute beratenen Gesetzentwurfes skizzieren und die zentralen Punkte unseres rechtspolitischen Vorhabens zusammenfassen werde. Seit einigen Jahren ist auch in Deutschland die Verstümmelung weiblicher Genitalien in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Die aus religiösen oder traditionellen Gründen vorgenommenen Genitalverstümmelungen kommen vor allem in Ländern Afrikas, aber auch in einzelnen Ländern Asiens und Südamerikas vor. Der Anteil der betroffenen Frauen und Mädchen liegt je nach Land zwischen 1 und 98 Prozent. Laut UN-Kinderhilfswerk UNICEF werden weltweit jeden Tag mehr als 8 000 Mädchen an ihren Genitalien verstümmelt. Gesicherte empirische Erkenntnisse bzw. Daten dazu, wie viele in Deutschland lebende Frauen und Mädchen von Genitalverstümmelung betroffen und bedroht sind, liegen zwar nicht vor. Es gibt aber Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen, die sich auf Prävalenzraten stützen, die in den Herkunftsländern dieser Frauen und Mädchen für die weibliche Genitalverstümmelung angenommen werden. So geht die Nichtregierungsorganisation Terre des Femmes beispielsweise für 2012 von knapp 24 000 betroffenen Frauen (über 20 Jahre) und etwa 6 000 von Genitalverstümmelung bedrohten Frauen und Mädchen in Deutschland aus. Die körperlichen Folgen der weiblichen Genitalverstümmelung sind vielfältig und hängen unter anderem vom Typ der Verstümmelung, den hygienischen Durchführungsbedingungen und dem allgemeinen Gesundheitszustand des Mädchens oder der Frau ab. Sie umfassen akute Komplikationen wie zum Beispiel Infektionen, Probleme beim Wasserlassen, Verletzung benachbarter Organe oder Blutungen. Als längerfristige bzw. dauerhafte Folgen werden zum Beispiel Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt sowie psychische Folgen wie Angst, Depressionen und chronische Reizbarkeit genannt. Zwar kann schon heute die Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien nach den §§ 223 und 224 StGB mit Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren bestraft werden. Für einen höheren Schutz der Betroffenen soll die Bekämpfung der Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien aber durch die Strafrechtsänderung weiter verstärkt und das Bewusstsein der Öffentlichkeit für das Unrecht, das in jeder Genitalverstümmelung liegt, geschärft werden. Zwar ist klar, dass der Schwerpunkt bei der Bekämpfung der Genitalverstümmelung in erster Linie im präventiven und sozialen Bereich liegen muss. Die bereits angesprochenen Erfahrungen in vielen anderen europäischen Ländern haben aber gezeigt, dass auch in strafrechtlicher Hinsicht ein weiterer wichtiger Beitrag geleistet werden kann. Dem Bundestag liegen mit dem Bundesratsentwurf und je einem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion und der Fraktion der Grünen bereits drei weitere Vorschläge vor, die sich dieser rechtspolitischen Herausforderung auf unterschiedliche Art und Weise stellen. Eine Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 24. April 2013 hat gezeigt, dass die in den Gesetzentwürfen entwickelten Ansätze in der vorliegenden Form nicht geeignet sind, die von allen Fraktionen grundsätzlich begrüßte Zielsetzung eines besseren Opferschutzes und einer effektiveren Strafverfolgung in diesem Bereich zufriedenstellend zu erreichen. So sieht der Gesetzentwurf des Bundesrates die Einführung eines Tatbestandes der Genitalverstümmelung (§ 226 a StGB neu) mit einer Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren vor. Strafbar soll dabei die Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien durch Beschneidung oder auf andere Weise sein. Zusätzlich soll der Tatbestand in den Katalog des § 5 StGB aufgenommen werden, um dem Phänomen der sogenannten Ferienbeschneidungen zu begegnen. Eine Tat im Ausland soll danach auch strafbar sein, wenn das Opfer zum Zeitpunkt der Tat seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Ferner soll der neue Straftatbestand auch in § 78 b StGB berücksichtigt werden. Damit würde die Verjährungsfrist bis zur Volljährigkeit des Opfers ruhen. Hier haben sich in der Anhörung einige Kritikpunkte ergeben. So erscheint zum Beispiel die vorgesehene Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren als zu hoch. Sie ermöglicht im konkreten Fall nur sehr selten eine Strafaussetzung zur Bewährung, weil § 56 StGB diese nur bei einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zulässt und zudem § 56 Abs. 2 StGB eine Strafaussetzung zur Bewährung bei einer Freiheitsstrafe von über einem und bis zu zwei Jahren an besondere Umstände knüpft. Bei den sogenannten Ferienbeschneidungen ist in der Regel bereits deutsches Strafrecht anwendbar, weil aufgrund der Mitwirkungshandlungen der Eltern – und sei es deren Unterlassen – zugleich eine Inlandstat gegeben ist. Soweit der Gesetzentwurf auch Fälle erfassen soll, in denen Eltern keinerlei Vorbereitungshandlung bzw. Unterlassen in Deutschland nachgewiesen werden kann und die Tat am Tatort auch nicht strafbewehrt ist, werden erhebliche Beweiserhebungs- und Rechtshilfeschwierigkeiten eine Strafverfolgung häufig unmöglich machen. Dies gilt erst recht, wenn die Tat am Tatort gar nicht strafbar ist, das dortige Justizsystem per se erhebliche Defizite aufweist oder aus sonstigen Gründen schon eine rein inländische Strafverfolgung auf erhebliche Schwierigkeiten stößt. Die vorgeschlagene Ausweitung hätte somit voraussichtlich insgesamt nur symbolische Bedeutung. Der Bundesratsvorschlag, die Ruhensregelung des § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB so zu erweitern, dass auch bei Genitalverstümmelungen die Verjährung bis zum 18. Lebensjahr des Opfers ruht, wurde – der Sache nach – bereits mit der am 1. Oktober 2009 durch das 2. Opferrechtsreformgesetz in Kraft getretenen Erweiterung des § 78 b Abs. 1 StGB um § 225 StGB zur Misshandlung von Schutzbefohlenen umgesetzt. Bei der Schaffung eines expliziten Tatbestandes der Genitalverstümmelung ist es naheliegend, die Ruhensregelung durch Aufnahme dieses neuen Tatbestandes anzupassen. Der Grünen-Entwurf schlägt die Einfügung der Genitalverstümmelung in den Katalog des § 226 Abs. 1 StGB als schwere Körperverletzung vor, die mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren geahndet werden kann. Danach soll eine schwere Körperverletzung vorliegen, wenn die verletzte Person die weiblichen Genitalien verliert oder diese auf andere Art verstümmelt werden oder dauernd nicht gebraucht werden können. Auch hier ist eine Einstellung des Tatbestandes in den Katalog des § 5 StGB vorgesehen, wonach § 226 Abs. 1 Nummer 3 StGB neu auf im Ausland begangene Taten Anwendung finden soll, wenn die Person, gegen die die Tat begangen wird, zur Tatzeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat oder – zusätzlich zum Gesetzentwurf des Bundesrates und der SPD-Fraktion – der Täter Deutscher ist. Der Vorschlag der Grünen geht in seiner Begrifflichkeit zu weit, da hier auch die inneren weiblichen Genitalien einbezogen werden. Wie die Begründung ausführt, mag es zwar sein, dass in einigen Fällen nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren Geschlechtsorgane von der Verstümmelung mitbetroffen sind. Es ist aber keine traditionelle Praktik bekannt, die nicht auf die äußeren Geschlechtsorgane zielt. Die „Unbrauchbarmachung“ und der Verlust der inneren Geschlechtsorgane dürfte schon unter § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Unfruchtbarkeit) fallen, die der äußeren dürfte bereits durch die Verstümmelung erfasst sein. Die Einfügung der Genitalverstümmelung in den Katalog des § 226 Abs. 1 StGB hätte zur Folge, dass bei wissentlicher oder beabsichtigter Genitalverstümmelung nach § 226 Abs. 2 StGB Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren angedroht ist. Da die Voraussetzungen des § 226 Abs. 2 StGB ausnahmslos vorliegen werden, wird die Genitalverstümmelung nach diesem Gesetzentwurf immer mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft werden. Das erscheint unangemessen. Nach § 226 Abs. 2 StGB wirkt die „niedrige Gesinnung“ strafverschärfend, die sich darin zeigt, dass das Opfer besonders schwer und in der Regel irreversibel getroffen werden soll. Diese niedrige Gesinnung kann man in den Fällen der traditionellen „Beschneidung“, bei denen die Eltern den Geboten ihrer Tradition folgen und ihren Töchtern nicht böswillig schaden wollen, nicht feststellen. Zudem ergeben sich aufenthaltsrechtliche Folgen, da ein Ausländer – darum wird es sich in der Mehrzahl der Fälle handeln – bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren nach § 53 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes zwingend ausgewiesen werden muss. Eine Strafaussetzung zur Bewährung ist ebenfalls ausgeschlossen. Bereits in der Bundestagsanhörung zum Thema Genitalverstümmelung 2007 ist dieses Spannungsfeld zwischen einer angemessenen Bestrafung der Täter auf der einen und den sich daraus ergebenden aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen für die betroffenen Familien auf der anderen Seite thematisiert worden. So ist es fraglich, ob es im Sinne der Opfer ist, die Familien durch die Folgen eines Strafprozesses – sprich: die Ausweisung der Eltern – auseinanderzureißen. Hier gilt es einen Kompromiss zu finden, der die strafrechtlichen Regelungen auch auf das abgestufte System der Rechtsfolgen nach §§ 53 bis 56 Aufenthaltsgesetz angemessen abstimmt. Auch im Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen ergeben sich mit Blick auf die Aufnahme des Tatbestandes in den Katalog des § 5 StGB die gleichen Bedenken wie beim Bundesratsentwurf. Soweit der Entwurf vorsieht, zusätzlich auch den reinen Auslandsfall zu erfassen, bei dem der Täter Deutscher ist – auch wenn sein Opfer seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hat –, ist anzumerken, dass eine entsprechende Ausweitung zwar nicht systemwidrig wäre, die praktische Relevanz aber wiederum äußerst gering sein dürfte. Der SPD-Entwurf sieht als Lösung die Einfügung eines neuen Abs. 3 in § 224 StGB, wonach die Körperverletzung mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft wird, wenn sie in der Beschneidung oder Verstümmelung der weiblichen Genitalien besteht. Auch hier ist analog zum Bundesratsentwurf eine Einstellung des Tatbestandes in den Katalog des § 5 StGB vorgesehen, wonach § 224 Abs. 3 StGB neu auf im Ausland begangene Taten Anwendung findet, wenn die Person, gegen die Tat sich richtet, zur Zeit der Tat ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Wie beim Gesetzentwurf der Grünen ist die Begrifflichkeit auch hier zu weit gefasst, da hier ebenfalls die inneren weiblichen Genitalien einbezogen werden. Aus systematischer Sicht ist eine Erfassung der Genitalverstümmelung durch eine Ergänzung von § 224 StGB nicht zu befürworten. § 224 StGB bedroht bestimmte gefährliche Begehensweisen mit höherer Strafe und stellt – anders als § 226 StGB – nicht auf die durch die Handlung verursachten schweren Folgen ab. Bezüglich der Aufnahme des Tatbestandes in den Katalog des § 5 StGB ergeben sich die entsprechenden Bedenken entsprechend der Gesetzentwürfe des Bundesrates und von Bündnis 90/Die Grünen. Vor diesem Hintergrund hat sich die Koalition dazu entschlossen, mit dem heute von uns beratenen Gesetzentwurf einen eigenen Vorschlag vorzulegen, der den Ergebnissen der Anhörung und der bisherigen Beratungen Rechnung trägt. Auch wir schlagen wie der Bundesratsentwurf die Schaffung eines eigenständigen Straftatbestands für die Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien im Strafgesetzbuch – § 226 a StGB-E – vor. Dieser sieht im Vergleich zur geltenden Rechtslage – Strafbarkeit im Regelfall nach den §§ 223, 224 StGB: sechs Monate bis zehn Jahre Freiheitsstrafe – eine Erhöhung des Strafrahmens auf ein bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe vor. Als Folge ist die Verjährungsregelung des § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB an die Neuregelung anzupassen. In der Strafprozessordnung sind als weitere Folge der Einführung des § 226 a StGB-E die Vorschriften über die Nebenklageberechtigung (§ 395 StPO) und zur Bestellung eines Rechtsbeistandes (§ 397a StPO) anzupassen. In der Anhörung ist ein weiterer Aspekt sehr kontrovers diskutiert worden, der sich so nicht in den drei genannten Gesetzentwürfen wiederfindet. Um Genitalverstümmelung wirksamer bekämpfen zu können, wurde die Einführung eines Melderechts bzw. einer Meldepflicht für Ärzte erörtert. So wurde unter anderem vermutet, dass die Meldepflicht in Frankreich dafür mitverantwortlich ist, dass Frankreich der einzige europäische Staat ist, in dem es bislang zu nennenswerter Strafverfolgung in diesem Bereich gekommen ist. Gegen eine Meldepflicht spricht nach unserer Auffassung, dass es damit für Ärzte schwerer wird, Opfer zu versorgen. Aus Angst vor einer Meldung würden Eltern ihre betroffenen Kinder nach einer Genitalverstümmelung nicht mehr versorgen lassen. Nach dem am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz, KKG, ist nach § 4 Abs. 3 die ärztliche Schweigepflicht bereits heute bei einer anderweitig nicht zu beseitigenden Gefährdung des Kindeswohls aufgehoben. Der Arzt ist in einem solchen Fall befugt, das Jugendamt einzuschalten. Die Bundesärztekammer weist in ihren Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung zudem zutreffend darauf hin, dass unabhängig davon die Schweigepflicht beim Vorliegen der Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB entfällt. Dies kann besonders dann in Betracht kommen, wenn ein Arzt aus Gesprächen mit einer Patientin Hinweise auf die bevorstehende Verstümmelung eines weiteren Familienmitglieds erhält. Ein Melderecht ist also bereits grundsätzlich durch die Vorgaben des KKG und des Strafrechts gegeben. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, diesen Aspekt nicht in den Gesetzentwurf aufzunehmen – also weder ein Melderecht noch eine Meldepflicht explizit einzufügen. Wir sind der Auffassung, dass unser Vorschlag unter den möglichen Alternativen den besten Weg aufzeigt, wie wir den Schutz der Betroffenen durch eine effektivere Bekämpfung der Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien verbessern können. Zusätzlich wird das Bewusstsein der Öffentlichkeit für das Unrecht, das in jeder Genitalverstümmelung liegt, deutlich geschärft. Sonja Steffen (SPD): Das Thema Genitalverstümmelung beschäftigt uns schon lange. Es liegen bereits drei Gesetzentwürfe vor, die wir im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss beraten haben. Ich freue mich, dass sich nun auch die Koalitionsfraktionen einen Ruck gegeben und einen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Der stete Druck von Verbänden und Vereinen, von Oppositionsparteien und Bundesrat hat Wirkung gezeigt. Das bedeutet, dass wir uns in diesem Hause fraktionsübergreifend einig sind, dass es sich bei der Verstümmelung der weiblichen Genitalien um eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung handelt und die Aufnahme in das Strafgesetzbuch eine notwenige Maßnahme ist, um Mädchen und Frauen zu schützen und das Praktizieren von Genitalverstümmelung einzudämmen. Die verschiedenen Formen der Genitalverstümmelung rufen gravierende gesundheitliche Schäden bei den betroffenen Frauen hervor. Neben Schmerzen, Blutungen, Infektionen und anderen akuten Komplikationen treten häufig auch langfristige und chronische Schäden auf. Die verstümmelten Frauen sind traumatisiert und leiden unter langfristigen psychischen Folgen: seelische Wunden, die nicht heilen. Nichtregierungsorganisationen wie Terre des Femmes gehen davon aus, dass neben den bereits betroffenen Frauen und Mädchen weitere 4 000 bis 6 000 in Deutschland lebende von einer Genitalverstümmelung bedroht sind. Diese Zahlen zeigen, dass wir mit aufklärerischen und präventiven Maßnahmen alles versuchen müssen, um weitere Genitalverstümmelungen zu verhindern. Auch das Strafrecht kann hier einen Beitrag leisten. In der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses wurde vor allem auf die systematischen Schwierigkeiten der einzelnen Vorschläge hingewiesen. Der von den Koalitionsfraktionen nun vorgelegte Gesetzentwurf sieht die Schaffung eines eigenständigen Straftatbestandes für die Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien im Strafgesetzbuch vor. Wir werden hier im Nachhinein prüfen müssen, welche Anregungen und Vorschläge aus der öffentlichen Anhörung aufgenommen wurden. Was sofort auffällt, ist, dass die Aufnahme in den in § 5 StGB geregelten Katalog der Auslandstaten gegen inländische Rechtsgüter fehlt. Sie lassen damit weiterhin das Schlupfloch für im Ausland durchgeführte Genitalverstümmelungen offen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir die uns verbleibenden Sitzungswochen für eine offene Zusammenarbeit nutzen. Es wäre ein wichtiges Signal, wenn wir bei diesem sensiblen Thema einen gemeinsamen Weg finden, um den betroffenen und gefährdeten Frauen und Mädchen zu helfen. In diesem Sinne hoffe ich auf eine konstruktive Zusammenarbeit. Marco Buschmann (FDP): Wir beraten heute über den Gesetzentwurf der Regierungskoalition zum Thema Genitalverstümmelung. Mit dem Gesetz schaffen wir einen eigenen Straftatbestand, um den betroffenen Mädchen und Frauen noch effektiver zu helfen. Die Bundesärztekammer schätzt nach aktuellen Angaben die Zahl der Betroffenen deutschlandweit auf 18 000 und weitere 5 000, die konkret gefährdet sind. Die Opfer und die gefährdeten Mädchen und Frauen stellt das Strafrecht schon heute nicht schutzlos. Die weibliche Genitalverstümmelung erfüllt nach geltendem Recht bereits den Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Strafgesetzbuch, der mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bedroht ist. Verlieren die betroffenen Mädchen oder Frauen ihre Fortpflanzungsfähigkeit, ist die schwere Körperverletzung gemäß § 226 Strafgesetzbuch einschlägig. Das materielle Strafrecht stellt daher bereits heute unmissverständlich klar, dass es sich bei der Verstümmelung weiblicher Genitalien um schweres Unrecht handelt, das mit hohen Strafen geahndet werden kann. Man könnte nun den Standpunkt einnehmen, dass technisch betrachtet kein Handlungsbedarf bestehe und man doch gar keinen neuen Tatbestand im Strafgesetzbuch benötige. Es gibt jedoch zwei Argumente, die uns zu einer anderen Entscheidung geführt haben: Zum einen wird die Appellfunktion des Tatbestandes gestärkt. Indem wir einen eigenen Straftatbestand schaffen, erleichtert dies die Aufklärungsarbeit bei den Opfern und gefährdeten Personen über die Rechtslage. Dieser Punkt wird immer wieder von Beratungsorganisationen betont. Mit einem speziellen Tatbestand kann künftig jeder ohne Zuhilfenahme weiterer Literatur unmittelbar aus dem Strafgesetzbuch erkennen, dass im Falle der weiblichen Genitalverstümmelung schweres Unrecht vorliegt. Dieses Argument allein genügt natürlich nicht. Denn unser Rechtssystem baut ja gerade auf abstrakt-generellen Tatbeständen auf, sodass sich immer wichtige Fallgruppen finden lassen, die nicht unmittelbar aus dem abstrakt formulierten Tatbestand heraus für jedermann erkennbar sind. Bei der Einführung eines eigenen Straftatbestandes stützen wir uns daher zum anderen auf ein Argument, das systematischer Natur ist: Schutzgüter der Körperverletzungsdelikte sind die körperliche Unversehrtheit und die Gesundheit eines Menschen. Diese werden durch die weibliche Genitalverstümmelung verletzt. Aber das Unrecht, das sich in der Genitalverstümmelung manifestiert, wird nicht vollständig erfasst. Denn die weibliche Genitalverstümmelung verletzt die körperliche Integrität mit der Absicht, die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers unwiderruflich einzuschränken. Das Unrecht richtet sich mithin gegen zwei Rechtsgüter, von denen aber bislang nur die Verletzung eines dieser beiden Rechtsgüter mittels der im Strafgesetzbuch geregelten Körperverletzungsdelikte erfasst wird. Der Gesetzentwurf schafft daher mit § 226 a Strafgesetzbuch einen eigenen Straftatbestand für die Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien. Das Strafmaß liegt zwischen 1 und 15 Jahren, in minder schweren Fällen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. Der spezielle Tatbestand wie auch die höhere Strafandrohung machen deutlich, dass es sich hier um eine besondere Form des Unrechts handelt, das gleich zwei Rechtsgüter in erheblicher Weise schädigt. Von einer höheren Mindeststrafe als ein Jahr haben wir jedoch bewusst abgesehen. Die Anhörung des Rechtsausschusses hat unserer Ansicht nach ergeben, dass eine Mindeststrafe von zwei oder mehr Jahren zu aufenthaltsrechtlichen Folgen führen könnte, die auch die effiziente Strafverfolgung beeinträchtigen. Wenn etwa eine Verurteilung der Täter zwingend zu Ausweisung und Abschiebung führt, hemmt das die Opfer, Anzeige zu erstatten oder durch ihre Zeugenaussage eine Verurteilung herbeizuführen. Denn häufig bestehen enge familiäre Beziehungen zwischen Täter und Opfer. Nicht enthalten im Gesetzentwurf sind Änderungen im Rahmen der Auslandsstrafbarkeit, die verschiedentlich für die Fälle sogenannter Ferienbeschneidungen im Ausland gefordert wurden. Die Anhörung hat unserer Ansicht nach ergeben, dass die teilweise beklagten Strafbarkeitslücken wohl eher theoretisch und allenfalls in ganz wenigen Fällen existieren. Aber selbst für diese denkbaren Fälle wäre eine entsprechende Regelung nur dann sinnvoll, wenn die Chance auf eine Verurteilung bestünde. Denn sonst nährt man bei den Opfern die Hoffnung auf Sühne, obwohl klar ist, dass diese unmöglich zu erreichen ist. Genau so liegen die Dinge aber hier. Denn denkbar sind Strafbarkeitslücken nur dann, wenn die Beschneidung ohne Anknüpfungstat in Deutschland in einem Land stattfindet, in der die weibliche Genitalverstümmelung nicht unter Strafe steht. In einem solchen Land werden die Strafverfolgungsbehörden aber mangels Strafbarkeit keine Ermittlungshilfe leisten, und die deutsche Staatsanwaltschaft kann nicht im Ausland ermitteln. Dazu hat sie schlichtweg keine Befugnis. Am Ende wird also immer die Einstellung des Verfahrens stehen. Im Interesse der vielen Mädchen und Frauen und für eine effektiverer Strafverfolgung bitte ich Sie um Unterstützung für das weitere parlamentarische Verfahren bei diesem Gesetzentwurf. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Dieses Thema beschäftigt uns seit langem: am 1. Februar 2007 eine Stunde Beratung, am 26. Juni 2008 dreißig Minuten, am 14. Mai 2009 zu Protokoll, am 9. Februar 2012, am 21. Februar 2013 zu Protokoll, öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss am 24. April 2013. Lassen Sie mich deshalb zunächst noch einmal darauf verweisen, dass der hier vorliegende Sachverhalt an sich bereits strafbar nach §§ 223, 224 StGB ist. Darauf weist der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen auch hin. In der Anhörung wurde von mehreren Sachverständigen, die sich für einen neuen und eigenen Straftatbestand ausgesprochen haben, mit systematischen Gründen argumentiert. Die Koalitionsfraktionen schlagen nunmehr vor, eine Neuregelung in § 226 a StGB vorzunehmen. Das ist aus meiner Sicht zunächst unproblematisch. Problematisch wird es aber, wenn eine Erhöhung des Strafrahmens auf 15 Jahre vorgenommen werden soll. Welchen Sinn und Zweck soll die Erhöhung des Strafrahmens eigentlich haben? Meinen Sie denn wirklich, dass Täter bzw. Täterinnen sich von einer erhöhten Strafandrohung abschrecken lassen? Ich halte das für einen Aberglauben, und es ist das Gegenteil von rationaler Kriminalpolitik. Mit einer solchen Strafrahmenerhöhung werden Sie dem kriminellen Verhalten, welches der Genitalverstümmelung zugrunde liegt, nicht Einhalt gebieten. Wenn die Koalitionsfraktionen schon einen Gesetzentwurf nach einer Anhörung vorlegen, hätte ich mir gewünscht, dass sie Lösungsvorschläge für die im Rahmen der Anhörung aufgeworfenen Probleme, zum Beispiel im Hinblick auf die Vollzugsdefizite bei der Verfolgung der weiblichen Genitalverstümmelung, unterbreiten. Der Sachverständige Carstensen hat darauf verwiesen, dass ihm derzeit keine aktuellen Ermittlungsverfahren diesbezüglich bekannt sind. Ohne einen Vorschlag zur Lösung des Vollzugsdefizites bleibt Ihr Antrag eine rein symbolische Handlung. Die Frage, ob nicht – anstatt auf den Weg neuer Strafgesetze mit erhöhtem Strafrahmen zu vertrauen – mehr auf Prävention, Aufklärung, Beratung, Hilfe gesetzt werden sollte, was mehr Geld und mehr Kraft und mehr Zeit kostet als eine Änderung des Strafrechts, müssen wir aus meiner Sicht weiter debattieren. Ich bin auch heute der Überzeugung, dass die Diskussion zu diesem Thema nicht auf strafrechtliche Aspekte reduziert werden darf. Und ich befürchte, wenn wir einmal beschlossen haben, das Strafgesetzbuch zu ändern und die Strafen für den Tatbestand der Verstümmelung weiblicher Genitalien zu verschärfen bzw. einen eigenen Straftatbestand zu schaffen, ist das Thema für lange Zeit vom Tisch. Die Politik hat dann ja etwas getan; sie hat das Problem vorrangig auf strafrechtliche Aspekte reduziert und dafür eine Lösung gefunden. Damit wird es schwerer sein, das Thema auf der Tagesordnung zu behalten, um das Hauptaugenmerk politischen Handelns darauf legen zu können, alle Mittel und Möglichkeiten zu nutzen, um die Straftat der Genitalverstümmelung zu verhindern. 90 Prozent aller von Genitalverstümmelung betroffenen Frauen leben nicht in Deutschland. Denen wird eine Verschärfung des Strafgesetzes hierzulande nichts nützen. Was ihnen nützte, wären mehr Aufklärung, mehr Beratung, mehr Entwicklungshilfe. Das verbale Bekenntnis, dass der Schwerpunkt bei der Bekämpfung der Genitalverstümmelung im präventiven und sozialen Bereich liegen müsse, steht im Widerspruch zu den vorliegenden Lösungsansätzen, die vor allem in strafrechtlicher Hinsicht einen Beitrag zu Bekämpfung dieser schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung an Mädchen und jungen Frauen leisten wollen. Meine Zweifel daran, dass die Androhung schärferer Strafen zur Folge haben wird, dass weniger Frauen Opfer dieser schweren Körperverletzung werden, sind nicht kleiner geworden. Für mich kann auch mit dem vorliegenden Vorschlag nicht schlüssig und abschließend beantwortet werden, ob eine Änderung des Strafgesetzes wirklich notwendig im Sinne von hilfreich ist. Hingegen kann sehr klar beantwortet werden, dass wir Prävention, Aufklärung und Entwicklungshilfe verstärken sollten. Ich finde, dass dem dann auch Priorität eingeräumt werden muss, anstatt das Thema auf strafrechtliche Aspekte zu reduzieren. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Verstümmelung der Genitalien von Mädchen und Frauen ist eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung und irreversible Körperverletzung, die weder mit Religion noch Tradition zu rechtfertigen ist. Die Eingriffe, die meistens an Mädchen kurz vor der Pubertät bis zum 18. Lebensjahr erfolgen, beschädigen die Sexualorgane oder entfernen sie sogar ganz und zielen auf die Verhinderung der sexuellen Selbstbestimmung ab. Der Staat insgesamt und wir als Gesetzgeber haben die Pflicht, die gefährdeten Mädchen und Frauen vor einem solch massiven Eingriff in ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit zu schützen. Seit vielen Jahren setzen wir Grüne uns dafür ein, eine Regelung betreffend die Verstümmelung der weiblichen Genitalien explizit in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. In vielen parlamentarischen Initiativen – Kleinen Anfragen, Anträgen und Gesetzentwürfen – haben wir bereits in vergangenen Legislaturperioden die Bundesregierung aufgefordert, das Problem anzugehen und eine Regelung zu finden. In der letzten Legislaturperiode haben wir einen Gruppenantrag einer fraktionsübergreifenden Initiative unterstützt, um endlich die Grabenkämpfe von Opposition und Regierungskoalition zu verlassen und zu einem Ergebnis in der Sache zu kommen. Auch in dieser Legislaturperiode haben wir vor nunmehr zweieinhalb Jahren einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die rechtlichen Schutzlücken bei der aktuellen Gefährdungslage für Mädchen und Frauen bezüglich der weiblichen Genitalverstümmelung in Deutschland schließen soll. Die von uns initiierte Anhörung im Rechtsausschuss hat die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung noch einmal deutlich gemacht. Das haben nun endlich auch Sie, meine Kolleginnen und Kollegen der Koalition erkannt, und einen eigenen Gesetzentwurf zur Regelung der Strafbarkeit der Verstümmelung der weiblichen Genitalien vorgelegt. Dieser kommt angesichts der langjährigen intensiven Debatte zu diesem Thema, der vielen Aufforderungen aus der Opposition und der Gesellschaft, endlich etwas zu tun, eigentlich viel zu spät. In der Rechtspolitik der Koalition scheint sich die Regel eingebürgert zu haben, alles auf den allerletzten Drücker und nur „schnell-schnell“ zu machen. Sie entziehen sich damit auch der Bewertung Ihres Vorschlags durch Sachverständige, wenn Sie Ernst machen und den Gesetzentwurf vor Ende der Legislaturperiode verabschieden wollen. Dennoch sage ich Ihnen, dass es uns Grünen lieber ist, dass dieser Gesetzentwurf spät kommt, als dass er überhaupt nicht kommt. Denn dass die Entscheidungsunfähigkeit und Blockadehaltung der Regierungskoalition dazu geführt hat, dass es zu gar keiner Regelung kommt, haben wir am Ende der letzten Legislaturperiode mit dem Scheitern des Gruppenantrags erlebt. Der vorgelegte Entwurf von CDU/CSU und FDP enthält alle wesentlichen und richtigen Elemente, die wir uns für die Strafbarkeit der weiblichen Genitalverstümmelung gewünscht haben: eine einheitliche und in sich stimmige Norm, die Begrenzung der Strafbarkeit auf die Verstümmelung weiblicher Genitalien, ein ausreichendes Strafmaß und eine Regelung zur Nebenklageberechtigung und zur Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand auf Antrag des Opfers. Wir hätten die Einordnung der weiblichen Genitalverstümmelung als schwere Körperverletzung in § 226 StGB bevorzugt, da sie in der Schwere einer schweren Körperverletzung gleichzusetzen ist. Zudem hätten wir uns gewünscht, etwaige Verfolgungslücken dadurch zu schließen, dass die weibliche Genitalverstümmelung in den Katalog der Auslandsstraftaten aufgenommen wird. Es bleibt nunmehr genau zu beobachten, ob sich daraus ernsthafte Strafbarkeitsdefizite ergeben werden. Notfalls werden wir für eine entsprechende Regelung zu sorgen haben. Auch wenn der Gesetzentwurf der schwarz-gelben Koalition an einigen Stellen hinter unseren grünen Forderungen zurückbleibt, so ist er doch gut genug, um ihm im Ergebnis zuzustimmen. Denn was hier an vorderster Stelle stehen muss, ist das Signal an die nach Schätzungen der Nichtregierungsorganisation Terre des Femmes mittlerweile 24 000 betroffenen und 6 000 gefährdeten Mädchen und Frauen: In Deutschland ist die Verstümmelung der weiblichen Genitalien ein Verbrechen; der Staat schützt Frauen und Mädchen vor diesem schwerwiegenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit durch Schaffung von Rechtsklarheit und Bewusstsein für das Thema in der Öffentlichkeit. Noch sind die Opfer fast vollständig im Dunkelfeld, aber weibliche Genitalverstümmelung findet aufgrund von Migration und Flucht aus betroffenen Ländern heute auch in Deutschland statt. Dagegen etwas zu unternehmen, bedeutet auch und nicht zuletzt, Information, Beratung und Unterstützung in den Blick zu nehmen. Aus- und Fortbildung müssen dem über Leitlinien von Organisationen von Ärztinnen und Ärzten, Hebammen- und Pflegeorganisationen Rechnung tragen. Die weibliche Genitalverstümmelung muss als Menschenrechtsverletzung gebrandmarkt und ihr Charakter als Unterdrückung weiblicher Sexualität und Unterordnung unter patriarchale Verhältnisse muss offengelegt werden. Die weibliche Genitalverstümmelung endlich ausdrücklich ins Strafrecht aufzunehmen, ist hierbei ein besonders wichtiger Schritt. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Antrag: zu dem Entwurf der Europäischen Kommission für das Verhandlungsmandat zu einem neuen Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika (TTIP) – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union – Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft nur mit starker Parlamentsbeteiligung – Antrag: Audiovisuelle und kulturelle Dienstleistungen von den Verhandlungen der EU mit den USA zu einem transatlantischen Handel- und Investitionsabkommen (TTIP) ausnehmen (Zusatztagesordnungspunkte 12 und 13) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Seit 23 Jahren bin ich nun Mitglied des Deutschen Bundestages. Und genauso lange beschäftige ich mich im Auswärtigen Ausschuss und Wirtschaftsausschuss (und auf vielen anderen Ebenen) mit Fragen des internationalen Handels und wie wir ihn weltweit zum Vorteil der Menschen besser gestalten können. So ist auch die Idee einer Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, TTIP, nicht neu, auch wenn die Begrifflichkeiten schon einmal wechseln. Ich glaube, es war im Jahr 1998 und zuletzt noch einmal 2007 während der deutschen Ratspräsidentschaft in der EU, dass wir ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU wirklich ernsthaft diskutiert haben. Es war zuletzt eine erfolgreiche Initiative der Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die Idee konkret wurde, und es war die positive Aufnahme durch den amerikanischen Präsidenten Barack Obama, dass nun auch jenseits des Atlantiks die Bereitschaft zu einem ernsthaften Anlauf besteht. Wir wissen alle, dass mit der beabsichtigten Erteilung eines Verhandlungsmandates für die Europäische Kommission durch den Rat am 14. Juni 2013 noch nichts erreicht ist, sondern das Bohren dicker Bretter erst einmal beginnt. Deshalb, liebe Kollegen, bitte ich Sie, zunächst einmal die Dimension, die Bedeutung der anstehenden Verhandlungsaufnahme des TTIP anzuerkennen. Jetzt geht es nicht nur um irgendein Freihandelsabkommen, das da Vorteile und dort den einen oder anderen Anpassungsdruck für Deutschland und seine Wirtschaft bringt. Jetzt geht es darum, dass die beiden bedeutendsten Wirtschaftsräume der Welt die selbst verursachten Hindernisse für eine noch bessere wirtschaftliche Zusammenarbeit beiseiteräumen. Das TTIP kann ein Quantensprung in der Geschichte der Freihandelsabkommen werden. Allein für Deutschland gehen wir von einem Wirtschaftswachstum von einem halben Prozentpunkt pro Jahr als dauerhafte positive Wirkung aus. Ein Abkommen kann noch so reizvoll und sinnvoll sein, wenn es politisch nicht erreichbar ist – das hat die Vergangenheit gezeigt –, ist die Diskussion nutzlos. Daher sollten wir das politische Momentum dieser Tage alle erkennen und nutzen. Nie war der politische Wille und waren die Erfolgsaussichten für den Abschluss eines solchen Abkommens besser. Und nie waren die Aussichten für ein umfassendes Abkommen besser, das heißt ein Abkommen, das weit über den Zollabbau im klassischen Sinne hinausgeht und dessen positive Auswirkungen somit auch eine neue Dimension erreichen könnten. Wir haben gute Erfolgsaussichten, weil sich die geopolitischen Verhältnisse wie die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse auf unserer Welt mit dem Aufstreben der neuen Gestaltungsmächte verändert haben und wir somit auf EU- und besonders auf US-Ebene eine neue politische Notwendigkeit erkennen, diesen Kraftakt anzugehen. Eine Liberalisierung unserer Handelsbeziehungen enthält das Potenzial, die gemeinsame Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen Märkten zu verbessern. Eine TTIP richtet sich gegen niemanden; es hebt nur zusätzliche Chancen, die bisher aus kurzsichtigen Interessen nicht genutzt werden sollen. Das Abkommen enthält für die Verhandlungspartner so viele Vorteile, dass es eine Herausforderung für alle anderen Beteiligten am Welthandel darstellen und eine Ermunterung für Fortschritte auch im multilateralen Handelssystem sein wird. Ziel muss sein, Regeln zu entwickeln, die weltweit anwendbar und vor allem in den sich entwickelnden Märkten vorbildlich sein können. Das gilt besonders in Bezug auf Innovationen, deren Markteinführung und weltweite Nutzung nicht durch interessengesteuerte Standards behindert werden dürfen. Nun kann man argumentieren, dass eine direkte weltumspannende, multilateralen Regeln folgende Liberalisierung des Handels noch erstrebenswerter wäre. Und das finde ich auch. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die WTO-Doha-Runde so schnell nicht aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen wird. Sie bleibt der „Königsweg der Marktöffnung“, stellt aber derzeit keine realistische Alternative dar. Das heißt nicht, dass wir nicht weiterhin an einem Abschluss der WTO-Verhandlungen arbeiten müssen, aber es heißt, dass wir auf transatlantischer Ebene beginnen sollten, um so den Weg ein Stück weit für multilaterale Verhandlungen zu ebnen. Deshalb sehe ich die Doha-Runde und TTIP auch nicht im Wettbewerb miteinander. Im Gegenteil, von TTIP wird ein wichtiger Impuls für den weiteren Verlauf der Doha-Runde ausgehen. Wenn wir die Globalisierung mitgestalten wollen, müssen wir es jetzt tun. Dass eine große bilaterale Freihandelszone Anstoß zu mehr internationaler Kooperation geben kann, hat auch die Geschichte gezeigt. So fand die Kennedy-Runde unter dem Eindruck der Etablierung der EG-Zollunion statt, und die Uruguay-Runde folgte der Einrichtung des Europäischen Binnenmarktes und der Nordamerikanischen Freihandelszone. Ich würde mich über ein „offenes Abkommen“ freuen, das es auch anderen interessierten Ländern langfristig ermöglicht, sich der TTIP anzuschließen, soweit diese bereit sind, die Verhandlungsergebnisse zu akzeptieren. Auf bilateraler Ebene kann unser (EU-)Verhältnis zu den USA durch die TTIP eine neue Dimension erhalten. Das ist nicht unerheblich in Zeiten des amerikanischen „Pivot to Asia“. Es sind allerdings nicht ausschließlich politisch-strategische Überlegungen, die die positive Einstellung und Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion bei der Aufnahme von Verhandlungen einer TTIP begründen. Die wirtschaftliche Dimension sollten wir nicht unterschätzen. Die TTIP kann einen erheblichen Beitrag zu dauerhafter transatlantischer wirtschaftlicher Stärke leisten, den wir uns nicht entgehen lassen sollten. Beide Regionen leiden unter schwachem Wirtschaftswachstum und hoher Staatsverschuldung und haben Anteile am Weltmarkt eingebüßt. Die zwei Regionen, die seit jeher wirtschaftlich eng verknüpft sind, haben also mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Uns in Deutschland geht es dank der Politik der christlich-liberalen Koalition noch relativ gut, aber ein Blick auf unsere Nachbarländer Spanien, Griechenland oder Frankreich reicht aus, um sich der alarmierenden Situation bewusst zu werden. Europa muss sich in diesen Zeiten auf seine Stärken besinnen. Das, was bei uns gut funktioniert, ist der Handel. Ich habe das Gefühl, dass das in Zeiten der Betrachtung von europäischen Krisenszenarien schon mal vergessen wird. Um es mit den Worten des europäischen Handelskommissars zu sagen: „Dies ist das günstigste Stimulierungspaket, das man sich vorstellen kann“. Die TTIP könnte uns in Europa helfen, aus dem Teufelskreis von Schulden, Rezession und Produktivitätskrise herauszukommen. In monetären Dimensionen sprechen wir von einer jährlichen Steigerung der Wirtschaftsleistung der EU um 50 Milliarden Euro. Es handelt sich bei der TTIP um ein Abkommen, das in seiner Bedeutung weit über Handel und Investitionen hinausgeht, sofern wir denn ein möglichst umfassendes Verhandlungsmandat umsetzen können. Und genau darin liegt die Krux. Zwar ist der Abbau von Zöllen wichtig und sollte nicht kleingeredet werden. Der durchschnittliche Zoll liegt allerdings bei nur knapp 3 Prozent mit einigen Ausnahmen vor allem im Agrarsektor. Ein Zollabbau würde sich dennoch sehr positiv auf das Wirtschaftswachstum in den USA und der EU auswirken. Laut einer Studie des U. S. Department of Commerce würde ein Zollabbau den Handel zwischen den USA und der EU innerhalb von fünf Jahren um 90 Milliarden Euro wachsen lassen. Gerade Deutschland als eine der größten Exportnationen könnte davon profitieren. Wechselseitige Investitionen bilden eine tragende Säule für den transatlantischen Handel. Wenn wir auch hier Erleichterungen schaffen, ist das sehr zu begrüßen. Derzeit klagen viele Unternehmen über Investitionshemmnisse, die das wirtschaftliche Potenzial des transatlantischen Marktes unnötig begrenzen. Doch die wichtigste Herausforderung, sozusagen „des Pudels Kern“, wird darin bestehen, die nichttarifären Handelshemmnisse abzubauen. Darunter versteht man eine Vielzahl von unterschiedlichen Barrieren, die den Zugang zu dem jeweils anderen Markt erheblich erschweren: die Pflicht, Produkte separat für beide Märkte zulassen zu müssen, oft bei unterschiedlichen Zulassungsbedingungen und -prozeduren, unterschiedliche Standards der Umwelt-, Gesundheits-, oder Konsumentenschutzpolitik, Industrienormen, Verpackungsvorschriften usw. Man könnte nun eine Vielzahl von teilweise sehr skurrilen Beispielen derzeitiger Regelungen anbringen, zum Beispiel im Bereich der Automobilindustrie: Weil die Sicherheitsvorschriften bei Blinkern, Nebelschlussleuchten oder der Krümmung von Autospiegeln sich unterscheiden, müssen nach wie vor verschiedene Versionen ein und desselben Automodells für den amerikanischen und europäischen Markt gebaut werden. Das Gleiche trifft auf den Pharmasektor zu: Neue Medikamente müssen teuren Verfahren unterzogen werden. Gemeinsame Standards und Normen würden die Warenprüfung vereinfachen und die Kosten erheblich senken. Daher wäre es sehr zu begrüßen, wenn wir die jahrzehntelangen Rufe nach Harmonisierung im Rahmen der TTIP nun erhörten. Wir brauchen nicht zwangsläufig eine Vereinheitlichung dieser Normen und Standards. Zumindest sollte es aber möglich werden, die Normen und Standards des jeweils anderen anzuerkennen. Den enormen bürokratischen Mehraufwand gilt es abzubauen, um reale Ressourcen freizusetzen. Die Ergebnisse einer umfangreichen Ifo-Studie bestätigen enorme Wohlfahrtsgewinne durch die gegenseitige Anerkennung der unterschiedlichen Standards. So kommt die Ifo-Studie zu dem Ergebnis, dass umfassende Abkommen zu einer Zunahme des Handels um durchschnittlich etwa 80 Prozent führen. Die weltweite Wohlfahrt, gemessen als reales Einkommen, würde langfristig um 3,3 Prozent steigen; in Deutschland nähme sie sogar um 4,7 Prozent zu. Die klassische Handelstheorie, aus der viel Kritik resultiert, basiert auf Modellen mit reinem Zollabbau. Werden zusätzlich nichttarifäre Handelshemmnisse abgebaut, ist diese Kritik obsolet. Und genau darin besteht das Ziel von TTIP. Im Übrigen wird die Frage der Anerkennung von Standards immer nur unter der Befürchtung diskutiert, damit sei zwangsläufig eine Senkung des Niveaus verbunden. Das ist mit Sicherheit nicht der Fall; vor allem ist es nicht ein notwendigerweise zu erwartendes Verhandlungsergebnis. Einer der großen Profiteure einer umfassenden TTIP wäre der deutsche Mittelstand. Denn die Größe einer Firma trägt maßgeblich dazu bei, ob sie sich die „Marktzutrittskosten“ in den USA leisten kann oder nicht. Durch TTIP könnten auch kleinere mittelständische Unternehmen erstmals ihre Produkte in die USA exportieren und sich so ein neues „Standbein“ schaffen. Das sorgt für mehr Umsatz und Beschäftigung. Mit Blick auf den deutschen und besonders auch den angeschlagenen europäischen Arbeitsmarkt sollten wir die Chance auf 400 000 neue Arbeitsplätze in der EU insgesamt und 110 000 Arbeitsplätze in Deutschland nicht verpassen, Ifo-Studie. Natürlich sind niedrigere Kosten auch gut für Großkonzerne. Nur wird deren Außenhandel weniger von diesen Kosten beeinflusst. Sie sind im Übrigen auch heute bereits in beiden Märkten durch Investitionen „Marktinsider“. Sie können sich schon jetzt viele Vorteile verschaffen, die kleine und mittlere Unternehmen durch die Aussperrung aus der öffentlichen Beschaffung zum Beispiel nicht erreichen können. Aus diesem Grund möchte ich noch einmal an alle beteiligten Akteure appellieren, sich nicht schon im Vorfeld der Verhandlungen innerhalb der einzelnen Bereiche zu verstricken. Wir brauchen ein offenes flexibles Mandat. In den letzten Wochen stand besonders der Bereich der audiovisuellen Dienstleistungen im Fokus der Diskussionen. Ich möchte es nicht versäumen, den Kollegen von der SPD-Fraktion für ihren hilfreichen Antrag zu der besonderen Rolle des kulturellen und audiovisuellen Sektors in Deutschland und Europa zu danken. Da steht ja sehr viel Richtiges drin. Das hält auch die Bundesregierung alles für richtig. In Übereinstimmung mit der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen legen auch die Koalitionsfraktionen viel Wert auf den Schutz und die Förderung des kulturellen Sektors. Die kulturelle Vielfalt der Europäischen Union ist nicht nur zu erhalten, sondern auch weiter zu entwickeln. Unser kulturelles Erbe ist über Jahrhunderte gewachsen, und es ist ein selbstverständlicher Anspruch, den europäischen Staaten und Regionen auch weiterhin alle Möglichkeiten zu erhalten, in der Kulturförderung individuelle Wege zu gehen. Gerade diese Bundesregierung hat durch ihre Politik die Bedeutung der Kultur für das Zusammenleben in Deutschland und Europa besonders deutlich gemacht. Anders als in dem SPD-Antrag befürchtet, sehe ich die kulturelle Diversität durch das geplante Handelsabkommen mit den USA aber nicht gefährdet. Liebe Kollegen der SPD, die Sorge etlicher Betroffener um die kulturelle Vielfalt in Europa durch eine Öffnung im Bereich der audiovisuellen Dienstleistungen gilt es mit Sachargumenten auszuräumen, anstatt sie durch Polemik zu befeuern. Das gilt auch für den Rest der Opposition im Bundestag und im europäischen Parlament. Um für die Verhandlungen aber weitestmögliche Absicherungen zur kulturellen Diversität und der Weiterentwicklung des audiovisuellen Sektors zu erhalten, haben wir in Brüssel auf Klarstellungen gedrungen. Diese Klarstellungen und Absicherungen sind in der letzten Fassung des Mandats noch stark ausgebaut worden. So sieht die Kommission ein Mandat vor, das den Bedenken der Betroffenen in umfassender Weise Rechnung trägt. Bestehende Quoten im Rundfunkbereich werden nicht angetastet. Die öffentliche Unterstützung des Sektors durch das jetzige Subventionssystem, steuerliche Anreize, Schutz kultureller Werke in öffentlichen Sendern und Kino bleiben unverändert und stehen gar nicht zu Debatte. Es wird auch in Zukunft ein angemessener Politikspielraum für neue Maßnahmen zur Wahrung der kulturellen Diversität garantiert. Damit können Herausforderungen durch die zunehmende Digitalisierung in den neuen Medien bewältigt werden. Sogar die Filmförderung ist ausdrücklich erwähnt worden. Diese darf nach Vorschlag der Europäischen Kommission nicht von Verpflichtungen des Abkommens erfasst werden. Die Bundesregierung hat weder die Absicht, mit ihrer Zustimmung zum Verhandlungsmandat das Grundgesetz infrage zu stellen, noch die Zuständigkeit der Bundesländer zu überspielen oder über das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) der WTO hinauszugehen. Es geht in dem Mandat also nicht um eine spektakuläre Öffnung, sondern nur um die grundsätzliche Liberalisierungsmöglichkeit für interessierte Mitgliedstaaten der EU. Kein Mitgliedstaat, also auch nicht Deutschland, wird gezwungen, etwaige Verpflichtungen einzugehen. Für Deutschland gilt: Verpflichtungen bei Audiovision oder Kultur könnten nur im Konsens mit den Bundesländern eingegangen werden. Gegen neue Verpflichtungen haben sich die Länder bereits deutlich ausgesprochen. Dies wird vom Bund respektiert werden. Ein vollständiger Ausschluss von audiovisuellen Dienstleistungen ist daher weder notwendig noch gerechtfertigt. In der jetzigen Form arbeitet das Mandat die für die EU sensiblen Bereiche viel deutlicher heraus, als es eine pauschale Ausnahme tun würde. Natürlich gibt es auch noch andere Bereiche, in denen sich die Verhandlungen schwierig gestalten werden, zum Beispiel im Agrarbereich oder beim Verbraucherschutz. Erlauben Sie mir, hierzu eine strategisch wichtige Überlegung anzustellen: Wenn wir bestimmte Bereiche a priori aus dem Mandat ausklammern, tun wir uns selbst keinen Gefallen. Denn alles, was wir damit erreichen könnten, wäre, dass die US-Seite ihrerseits mit Einschränkungen kontert, sodass wir am Ende im schlimmsten Fall nur noch über eine sehr abgespeckte Version der TTIP sprechen. Damit wäre niemandem geholfen. Aus EU-Sicht wäre es sehr bedauerlich, sollten die Amerikaner im Gegenzug zum Beispiel den Bereich des Lufttransports oder des öffentlichen Auftragswesens ausklammern. Daher sind Bereichsausnahmen wie bei Audiovision und Investitionsschutz für die EU verhandlungstaktisch von großem Nachteil. Die USA gehen taktisch klug vor, indem sie per se keine Bereiche ausnehmen. Und an sensiblen Themen mangelt es auch auf der anderen Seite des Atlantiks nicht. Bitte lassen Sie uns auch nicht vergessen, dass wir derzeit noch keine Verhandlungen führen. Es geht darum, die Weichen für Verhandlungen zu stellen, und hier sollten wir uns möglichst viel Spielraum geben, um ein umfassendes Abkommen nicht von vorneherein auszuschließen. Denn die Verhandlungen werden schwierig und komplex; sie müssen sich auf strategische Ziele konzentrieren, anstatt sich in kleinteiligen Interessen zu verzetteln. Daher lehnen wir den vorliegenden SPD-Antrag ab. Die Resolution des Europäischen Parlaments hat im Unterschied zum SPD-Antrag keine Bindung der Kommission zum Ziel, sondern macht – zum Beispiel beim Datenschutz – Warnlichter an. Wenn Sie in der SPD-Fraktion Ihren Antrag genauso sehen, hat er seinen Sinn bereits jetzt erfüllt. Entscheidend für den Verlauf der Verhandlungen ist, das EU-Parlament und den US-Kongress genau wie alle anderen Akteure aus Wirtschaft, Politik und Industrie in einen offenen Dialog einzubinden, um einen möglichst transparenten Verhandlungsprozess zu gewährleisten. Die EU-Kommission hat bereits zugesagt, den öffentlich tagenden Handelsausschuss im EU-Parlament sowohl vor als auch nach den einzelnen Verhandlungsrunden ausführlich zu informieren. Die Bundesregierung hat im Wirtschaftsausschuss bereits erklärt, den Bundestag regelmäßig und ausführlich zu informieren, wie sie das vergleichbar bei den WTO-Verhandlungen zur Zufriedenheit der Abgeordneten regelmäßig praktiziert hat. Angesichts der Fülle der Themen möchte ich auch für einen möglichst strukturierten Ansatz der TTIP werben. Denn das hat den Vorteil, dass auch nach Abschluss des Abkommens bei neuen Zertifizierungen und Normen besser zusammengearbeitet werden kann. Erlauben Sie mir noch eine abschließende Bemerkung zu dem Aspekt der Parlamentsbeteiligung: Der Bundestag ist im Rahmen der Berichterstattung des BMWi im Wirtschaftsausschuss vollumfassend beteiligt worden. Dabei wurden keine Stellungnahmen angekündigt oder Forderungen nach einer Verschiebung der Beschlussfassung gestellt. Ich fühle mich von der Bundesregierung umfassend informiert und lehne den vorliegenden Grünen-Antrag daher ab. Wir sprechen heute über ein Abkommen, das in seiner Dimension weit über Handels- und Investitionen hinausgeht und eine eminente politische Bedeutung hat. Lassen Sie uns offensiv an die Verhandlungen herangehen, damit wir alle möglichst bald von den positiven Auswirkungen profitieren können. Die Amerikaner sind zwar anders als wir, doch sind sie uns viel näher als die meisten anderen. Das Ziel einer gemeinsamen transatlantischen Wirtschaft dürfte die Anstrengung allemal wert sein. Rolf Hempelmann (SPD): In der vergangenen Sitzungswoche berichtete im Wirtschaftsausschuss das Bundeswirtschaftministerium zum Stand der Verhandlungen über eine Reihe von Freihandelsabkommen. Bestandteil der Diskussion war unter anderem auch ein geplantes Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA bzw. die Mandatierung der Europäischen Kommission zur Aufnahme und Durchführung von Verhandlungen zu einem solchen umfassenden Handels- und Investitionsabkommen. Ziele sollen dabei der Abbau von Zöllen, die Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse und die Verbesserung der regulatorischen Kooperation sein. Die Verabschiedung des Verhandlungsmandates für die Europäische Kommission ist für den 14. Juni 2013 geplant, den letzten EU-Handelsministerrat während der irischen Ratspräsidentschaft. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die Absicht zur Schaffung eines transatlantischen Handelsabkommens zwischen der Europäischen Union, ihren Mitgliedstaaten und den USA; Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP. Wir sehen in einem solchen Abkommen die Chance, dass qualitative wirtschaftliche Wachstumspotenziale auf beiden Seiten des Atlantiks generiert und wirtschafts-, wettbewerbs- und handelspolitische Interessen harmonisiert werden können. Jedoch legt die SPD-Bundestagsfraktion Wert darauf, dass bei den Verhandlungen und auch im möglichen späteren Abkommen die jeweils fortschrittlichsten Regeln hinsichtlich ökonomischer, sozialer und ökologischer Standards, der Regulierung der Finanzmärkte und deren Transparenz zugrunde gelegt werden. Denn durch solche Abkommen dürfen nicht das EU-Vorsorge-Prinzip aushöhlt und die hohen europäischen Standards, zum Beispiel bei den Arbeitsrechten, beim Schutz der personengebundenen Daten oder auch im Bildungs- und Wissenschaftsbereich, aufgeweicht werden. Eine besondere Gefahr sieht die SPD-Bundestagsfraktion für die Eigenständigkeit des Kultur- und Mediensektors, wie sie unter anderem in der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen festgelegt ist. Für uns sind audiovisuelle und kulturelle Dienstleistungen nicht lediglich Wirtschaftsgüter, sondern vielmehr Kulturgüter, welche eine zentrale Bedeutung haben für die demokratische Willensbildung, die Integration und die Erhaltung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt in Deutschland und in Europa. Und hier sehen wir beim bisherigen Mandatsentwurf Probleme. Dieser Entwurf bezieht sich allein auf die Regeln der Welthandelsorganisation, WTO, ohne Berücksichtigung der Verpflichtungen aus dem UNESCO-Abkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Hier wird das Risiko eingegangen, dass künftige Verpflichtungen der Europäischen Union und der EU-Mitgliedstaaten aus dem Freihandelsabkommen mit den USA mit den bestehenden Verpflichtungen aus dem UNESCO-Abkommen kollidieren. Bekanntermaßen haben die USA dieses UNESCO-Abkommen nicht ratifiziert. Die SPD-Bundestagsfraktion befürchtet außerdem, dass die Kulturförderung und die bestehenden beziehungsweise künftigen Regelungen für Rundfunk oder Telemedien, die der Sicherung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt dienen, einer Liberalisierungslogik unterworfen werden könnte. Auch das widerspricht deren Bedeutung für unsere Demokratie und der Vielfalt in Europa. Darüber hinaus ist im Grundgesetz und im Gesetz über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union, EUZBLG, festgelegt, dass die Bundesländer die Leitlinien der Medien- und Kulturpolitik bestimmen. Das gilt sowohl innerstaatlich als auch im Rahmen der Vertretung auf europäischer Ebene. Das Lindauer Abkommen von 1957 legt fest, dass die Bundesregierung völkerrechtliche Verträge, die ausschließlich Landeskompetenzen betreffen, nur mit vorherigem Einverständnis der Länder schließen kann. Dieses Einverständnis der Länder für den Kultur- und Medienbereich liegt nicht vor. Aus diesen Gründen sieht die SPD-Bundestagsfraktion die Notwendigkeit, den Medienbereich sowie audiovisuelle und kulturelle Dienstleistungen aus den Verhandlungen auszunehmen und das Mandat für die Verhandlungen dementsprechend zu beschränken. Denkbar wäre durchaus auch die Herausnahme weiterer sensitiver Bereiche. Und wir stehen nicht allein: Neben vielen Medien- und Kulturschaffenden, wie zum Beispiel dem Deutschen Kulturrat, fordert der Ausschuss „Internationaler Handel“ im Europäischen Parlament, audiovisuelle Dienste einschließlich der Onlinedienste von den Verhandlungen auszunehmen. Das Europäische Parlament hat im Mai beschlossen, dass der Kultur- und Medienbereich in den Verhandlungen ausgenommen werden soll. Und auch die Kulturpolitiker der Regierungsfraktionen möchten den Kultur- und Medienbereich aus dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA ausklammern. Jetzt ist hier die Bundesregierung gefordert, auf europäischer Ebene auf diese Beschränkung des Verhandlungsmandats der Kommission hinzuwirken. Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen hat das Potenzial, die EU und die USA in eine neue Ära einer transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft zu führen. Seitens der Europäischen Union wird davon ausgegangen, dass mit Ratifizierung des Abkommens die Wirtschaftsleistung der EU um etwa 50 Milliarden Euro steigt. Der Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen, wie Sondervorschriften und speziellen Standards, entlastet die Unternehmen und sorgt für reibungslosen Austausch zwischen Europa und den USA. Insbesondere die deutsche Exportwirtschaft würde hiervon deutlich profitieren. Schon seit 20 Jahren wird das TTIP, Transatlantic Trade and Investment Partnership, diskutiert. Nun stehen die Verhandlungen seitens USA und EU kurz bevor. Der Zeitplan ist ambitioniert; aber es ist von höchster Priorität, diese Chance zu nutzen und ein Abkommen abzuschließen, das Einfluss auf den ganzen Welthandel hat. Für Europa und Deutschland bleiben die USA und Kanada die wichtigsten außereuropäischen Partner. Im Rahmen der NATO sind wir einander verlässliche Verbündete. Auch in zahlreichen anderen internationalen Fragen arbeiten wir Europäer eng mit unseren nordamerikanischen Partnern zusammen. Beispielsweise bei der wirtschaftlichen Bewältigung der derzeitigen Schulden- und Finanzkrise. Ebenso in regionalen Fragen, wie der Entwicklung in Afghanistan, Syrien und Nahost oder dem iranischen Atomprogramm, stimmen sich die transatlantischen Partner eng miteinander ab. Auch die Verhandlungen der EU mit Kanada sind bereits weit fortgeschritten und könnten bei einem erfolgreichen Abschluss als Blaupause für die Verhandlungen mit den USA dienen. Die Liste der Themen ist lang und komplex. Obwohl die Zölle zwischen der EU und den USA im Durchschnitt bereits heute niedrig sind, gilt dies nicht für alle Güter. Wichtiger noch sind die nichttarifären Handelshindernisse, die es abzubauen gilt. Schon vor Beginn der Verhandlungen Barrieren von deutscher Seite aufzubauen, ist grundfalsch aber typisch für die Denkmuster der Opposition. Wie es die linken Oppositionsparteien in ihren Wahlprogrammen für Deutschland vorsehen, will man auch bei diesem zukunftsweisenden, international wegweisenden Projekt Verbote schaffen und die Verhandlung über das Freihandelsabkommen von Anfang an stören. Weitere Felder dieses weitreichenden Abkommens betreffen öffentliche Ausschreibungen, Haftungsfragen, den Schutz geistigen Eigentums und mehr Freiheit bei Dienstleistungen. Die schwarz-gelbe Koalition tritt für eine Stärkung des Investitionsklimas und die soziale Marktwirtschaft ein. Diese Ziele werden wir auch im Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen verfolgen. Dabei wird es in den Verhandlungen nicht so sehr um Schutz von Investitionen vor Übergriffen durch Dritte gehen, sondern den Abbau von Investitionshemmnissen, die in vielen Bereichen für ausländische Investoren immer noch bestehen. Die rot-rot-grüne Opposition versucht durch diese hier zu beratenden Anträge nur, eine Plattform zu finden, um ihre wirtschaftsfeindliche Politik zu verbreiten. Eine Gefahr durch das TTIP auf die demokratische Willensbildung, die Integration und die Erhaltung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt ohne Sonderbehandlung für audiovisuelle Dienstleistungen in den Verhandlungen ist mehr als abwegig. Im Gegenteil: Durch den Austausch von Kulturgütern profitieren beide Partner. Die Diversität beiderseits des Atlantiks wird erhöht! Wir bekräftigen auch die Haltung der Bundesregierung zur UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, welche das Recht eines jeden Staates beinhaltet, regulatorische und finanzielle Maßnahmen zu ergreifen, die darauf abzielen, die Vielfalt der kulturellen Ausdrucksformen auf seinem Staatsgebiet zu schützen. Selbstverständlich teilen wir auch das Ziel, die kulturelle Vielfalt der Europäischen Union zu fördern und auch weiterzuentwickeln. Gerade das über Jahrhunderte gewachsene kulturelle Erbe verlangt es, dass die europäischen Staaten und Regionen Spielraum haben, um in der Kulturförderung eigene Wege zu gehen. Dies gilt auch in Zeiten einer immer stärkeren digitalen Verbreitung von Medien. Wir lehnen daher die Anträge der Fraktionen Bünd-nis 90/Die Grünen und SPD ab. Ulla Lötzer (DIE LINKE): Nachdem es auf WTO-Ebene keine Fortschritte bei den Verhandlungen über die Liberalisierung des Welthandels gibt, setzt die EU seit Jahren verstärkt auf bilaterale Freihandelsabkommen. Die EU unterstreicht zwar das fortbestehende Interesse Europas am WTO-Multilateralismus, zugleich findet aber eine offene Verschiebung hin zum Bilateralismus statt. Seit der globalen Finanzkrise und der weltweiten Rezession ab 2007 werden einige der traditionellen Exportmärkte vor allem Deutschlands durch die strenge Austeritätspolitik kaputtgespart. Schwellenländer mit großen Binnenmärkten wie Indien, China, Brasilien und Indonesien bieten sich daher ebenso als Kompensation an wie der verstärkte Freihandel mit den USA. Das Mandat für Verhandlungen mit den USA geht weit über Zollabbau, Marktöffnungen für Investitionen, Dienstleistungen und die öffentliche Beschaffung hinaus. Im Zentrum des Mandats steht die Beseitigung „unnötiger Regulierungsschranken". Doch was sind denn „Regulierungsschranken“? Es sind vor allem die Gesetze und Vorschriften, die zum Nutzen der Gesellschaft, zum Nutzen von Mensch und Umwelt aufgestellt worden sind. Sicher, die Regulierungen sind in den jeweiligen Ländern verschieden. Das hat politische und kulturelle Hintergründe. Doch eines ist klar: Wenn die Regeln angeglichen werden, dann niemals nach oben. Es geht immer um die Beseitigung von Regulierungen zugunsten der Konzerne und zum Schaden von Mensch und Umwelt. Als Beispiel sei auf der einen Seite die Zulassung von Arzneimitteln genannt. Die Zulassungsregeln sind in den USA rigider. Klar, dass die europäischen Pharamakonzerne die Hürden für den Eintritt in den amerikanischen Markt senken wollen. Umgekehrt drängen die US-amerikanischen Lebensmittelkonzerne mit gentechnisch veränderten Pflanzen, Chlorhähnchen oder Hormonfleisch auf den europäischen Markt. Es geht aber nicht nur um den gegenseitigen Zugang zu den vorhandenen Märkten, sondern auch um die Zurückdrängung des Staates auf beiden Seiten des Atlantiks, um weitere Deregulierungen und Privatisierungen. Was die GATS-Verhandlungen und die Kommission nicht schaffen, soll dieses Abkommen bringen: den Abbau jeglichen Schutzes des Dienstleistungssektors vor dem Profitstreben privater Unternehmen. Das betrifft die Kultur und audiovisuelle Dienstleistungen, die die SPD mit ihrem Antrag herausnehmen lassen will, aber auch das Gesundheitswesen und andere Bereiche. Nun ist das Credo von Bundesregierung und EU-Kommission, dass Freihandel Wachstum und Beschäftigung schaffen würde. Für bestimmte Sektoren wird das stimmen. Doch bei einem fairen Freihandel, also bei einer ausgeglichenen Handelsbilanz, geht es eher um ein Nullsummenspiel. Der Freihandel wird ja zum Beispiel nicht dazu führen, dass die Menschen mehr Medikamente zu sich nehmen. Sie kommen nur von einem anderen Konzern. Das heißt, auf beiden Seiten des Atlantiks wird es Gewinner, aber eben auch Verlierer geben, mit dementsprechenden negativen Auswirkungen auf die Beschäftigten in dieser Branche – es sei denn, man schafft sich durch den Abbau und die Angleichung von Regeln einen gemeinsamen Wettbewerbsvorteil gegenüber China, Japan und anderen Regionen der Welt. Dann gibt es Wachstum in der EU-USA-Zone – zum Nachteil des Rests der Welt. Während soziale und ökologische Regulierungen beiderseits des Atlantiks abgebaut werden, sollen im Gegenzug die Rechte der Konzerne durch ungehinderte Niederlassungsfreiheit und umfangreichen Investitionsschutz gestärkt werden. Wohin solche Investitionsschutzabkommen führen, kann man am Beispiel Vattenfall sehen. Vattenfall hat die Bundesregierung vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten wegen der gesetzlichen Stilllegung von Brunsbüttel und Krümmel verklagt. Ein Schiedsspruch aus Washington würde Vattenfall die Vollstreckung in allen 158 ICSID-Vertragsstaaten eröffnen. Der Schiedsspruch selbst ist einer Überprüfung durch nationale Stellen entzogen. So werden demokratisch gewählte Parlamente ihrer Gesetzgebungsgewalt beraubt. Wir lehnen ein solches Abkommen zulasten von Mensch und Umwelt ab. Wir unterstützen den Antrag der Grünen, dass der Deutsche Bundestag von seinem Recht zur Stellungnahme Gebrauch machen wird. Wir unterstützen auch das Anliegen des SPD-Antrages, audiovisuelle und kulturelle Dienstleistungen keiner weiteren Liberalisierungspflicht zu unterwerfen. Leider, meine Damen und Herren von der SPD, ist Ihr Antrag ansonsten blind gegenüber den anderen Gefahren und negativen Folgen dieses Verhandlungsmandates, weswegen wir uns zu diesem Antrag enthalten werden. Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die langjährige Debatte um eine transatlantische Freihandelszone und ein entsprechendes Partnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA hat in den letzten Monaten konkrete Formen angenommen. US-Präsident Obama hat sich in einer Rede zu Beginn dieses Jahres für ein solches Abkommen ausgesprochen. Auch der Europäische Rat unterstützt das Vorhaben und will weitere Maßnahmen ergreifen. Die EU-Kommission wird voraussichtlich am 14. Juni ein Mandat für die Aushandlung dieses Abkommens erhalten. Sollten die Verhandlungen erfolgreich sein, wäre der Weg frei für die größte Freihandelszone der Welt, die zugleich aber wirtschaftliche Regeln und handelspolitische Standards von globaler Bedeutung setzen könnte. In einem solchem Abkommen liegen natürlich große Chancen, aber – das möchte ich hervorheben – es birgt auch viele Risiken. Denn es gibt einige schwierige Fragen zu klären, bevor dieses Abkommen tatsächlich Realität werden kann. Daher plädieren wir Grüne dafür, dass in den Verhandlungen gilt: Sorgfalt vor Schnelligkeit! Angesichts der Tragweite und der Bedeutung, die dieses Abkommen haben wird, müssen im Verhandlungsprozess neue Standards in Sachen demokratischer Beteiligung der Parlamente und der Zivilgesellschaft gesetzt werden. Deshalb ist es wichtig, dass die Verhandlungen so transparent wie möglich gestaltet werden. Die Bundesregierung und die Europäische Kommission stehen hier in der Pflicht. Sie müssen die Parlamente unaufgefordert, zeitnah und umfassend über die Ziele, Inhalte und Fortschritte der Verhandlungen informieren. Dieses Abkommen – sollte es irgendwann beschlossen werden – wird einen großen Einfluss auf das Leben vieler Menschen in der Europäischen Union und in den Vereinigten Staaten haben. Deshalb ist eine starke Legitimationsgrundlage durch die Parlamente von größter Bedeutung. Wenn ein Abkommen dieses Umfangs erfolgreich umgesetzt werden soll, braucht es die aktive parlamentarische Einbindung. Ansonsten wird es zum Scheitern verurteilt sein. Doch nicht nur die Parlamente der Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament müssen angemessen in die Verhandlungen einbezogen werden. Auch die Zivilgesellschaft muss über die Verhandlungen regelmäßig informiert werden und die Möglichkeit erhalten, Stellungnahmen abzugeben. Die Fehler, die bei den Verhandlungen vergleichbarer internationaler Abkommen zum Scheitern beigetragen haben, dürfen diesmal nicht wiederholt werden. Ein transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen braucht klare Leitlinien. Die Sorgen und Befürchtungen sind groß, dass es zu einer Aufweichung von europäischen Standards, im Umweltbereich, bei der Lebensmittelsicherheit, im Verbraucherschutz oder beim Datenschutz kommt. Das ist kein Geheimnis. Deshalb ist es wichtig, im Verhandlungsmandat, das der Rat nächste Woche beschließen wird, festzuschreiben, dass europäische Standards im Bereich der Produktsicherheit, des Umweltschutzes, des Gesundheitsschutzes, des Datenschutzes und Tierschutzes sowie der ILO-Standards nicht zur Diskussion stehen werden. Hier darf es keine Verschlechterung geben. Wir haben nicht zuletzt bei der Finanz- und Bankenkrise gesehen, dass es solide internationale Standards braucht. Eine transatlantische Freihandelszone kann dazu einen Beitrag leisten, aber nur dann, wenn soziale und ökologische Standards auf beiden Seiten des Atlantiks gestärkt werden und damit eine Leitplanke für Globalsierung setzen. Ein Abkommen dieses Ausmaßes birgt aber auch noch weitere Gefahren. Denn es könnte als protektionistische handelspolitische Blockbildung, insbesondere gegen Asien, wahrgenommen werden und damit die Bemühungen um ein multilaterales Handelsregime im Rahmen der WTO konterkarieren. Die Bundesregierung und die Europäische Kommission müssen alles tun, um den Eindruck aus dem Weg zu räumen, bei der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft handele es sich um eine „NATO für die Wirtschaft“. Das wäre fatal. Ein solcher Vertrag darf nicht den gegenseitigen Protektionismus zwischen den verschiedenen Weltregionen verstärken. Er darf nicht dem Duktus unterliegen: Wir gegen den Rest der Welt. – Stattdessen sollte er so angelegt sein, dass er in einen multilateralen Prozess münden kann. Meine Fraktion hat heute diesen Antrag in den Bundestag eingebracht, um deutlich zumachen, dass wir als Parlament ein entscheidendes Mitspracherecht bei der anstehenden Vergabe des Verhandlungsmandats in Anspruch nehmen. Der Bundestag hat das Recht, zum Verhandlungsmandat eine Stellungnahme abzugeben. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, erst dann dem Verhandlungsmandat im Rat zuzustimmen, wenn der Bundestag von diesem Recht Gebrauch gemacht hat. Die Bundesregierung darf in diesen Fragen keine Fakten schaffen. Der Bundestag muss immer die Möglichkeit haben, seine im Grundgesetz verankerten Kontroll- und Beteiligungsrechte gegenüber der Regierung vollumfänglich wahrzunehmen. Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Für eine moderne und nachhaltige Verbraucherpolitik (Zusatztagesordnungspunkte 14 und 15) Mechthild Heil (CDU/CSU): Im Ausschuss haben wir Ihre Anträge, liebe Kollegen der Grünen und der SPD, „Für eine moderne und nachhaltige Verbraucherpolitik“ und „Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern“, abgelehnt, nicht weil die christlich-liberale Koalition gegen moderne und nachhaltige Verbraucherpolitik wäre und auch nicht, weil wir die Verbraucherpolitik nicht immer weiter verbessern wollen. Wir haben die Anträge abgelehnt, weil wir schon längst moderne und nachhaltige Verbraucherpolitik machen und unsere Verbraucherpolitik immer weiter entwickeln. Ehrlich gesagt: Wir sind ja auch dankbar für Hinweise und Verbesserungsvorschläge. Wir wissen, dass sich die Politik an die ständig verändernden Realitäten anpassen muss, und die Welt ändert sich immer schneller und wird immer komplexer. Nur leider helfen Ihre Forderungen uns nicht weiter. Sie sind entweder überholt oder abwegig, liebe Kollegen von SPD und den Grünen. Über die SPD-Forderung nach einem Finanzmarktwächter oder gar gleich einer ganzen Wächterschar haben wir heute bereits ausgiebig debattiert. Ich bleibe dabei: Ihre Vorstellung eines Marktwächters ist nicht realistisch. Wir brauchen ihn auch nicht, weil wir gute und verbraucherschützende Strukturen haben. Diese Strukturen werden den komplexen Märkten gerecht. Sie dagegen setzen auf Vereinfachung und Bevormundung – in allen Bereichen. Lebensmittel sollen farbig gekennzeichnet sein, ob sie „gesund“ oder „ungesund“ sind. Mit Smileys sollen Restaurants in „sauber“ oder „dreckig“ eingestuft werden, und der Finanzmarktwächter teilt jedes Finanzprodukt in „gut“ oder „schlecht“ ein. In was für einer Welt leben Sie eigentlich? Vielleicht sollten Sie einmal von Ihrem Elfenbeinturm der hehren Forderungen herabsteigen und sich mit der unbequemen Realität auseinandersetzen: Die Welt ist komplexer als das. Unsere Gesellschaft und unsere Märkte lassen sich nicht einfach in Gut und Böse einteilen. Mancher mag diese Forderungen niedlich finden; aber leider reflektieren Sie ein erschreckendes Menschen- und Gesellschaftsbild. Sie glauben nicht an den mündigen Verbraucher. Obwohl auch ich zugebe, dass dieser ein Idealbild ist, so trauen wir den Menschen aber mehr zu. Wir trauen ihnen zu, dass sie selbst besser wissen, als es der Staat jemals könnte, was gut für sie ist und was sie brauchen. Der Staat ist nicht der bessere Verbraucher. Für uns ist der Verbraucher kein Opfer der Märkte. Er ist es, der die Marktmacht hat. Er ist es, der die Entscheidungen trifft, die die Unternehmen in die Knie zwingen können. Darum schaffen wir die Bedingungen, damit er seine Marktmacht auch nutzen kann, und schützen ihn dort, wo es nötig ist. Das aktuellste Beispiel: Seit Anfang dieses Monats müssen Warteschleifen kostenlos sein. Der Verbraucher soll nur noch dann zahlen, wenn sein Anliegen auch bearbeitet wird. Wir schaffen also den Rahmen, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher in den Markt vertrauen können, und wir setzen auf Information und Transparenz, damit sie ihre Marktmacht nutzen können. Insofern ist unsere Verbraucherpolitik auch modern und nachhaltig, weil sie sich an den Realitäten orientiert und weil sie anerkennt, dass Verbraucher und Wirtschaft sich nicht voneinander abgrenzen lassen. Wirtschaft braucht Verbraucher – klar ; aber Verbraucher brauchen auch die Wirtschaft. Ihr Pessimismus, was Unternehmen und Wirtschaft angeht, ist jedenfalls erschreckend und auch realitätsfern. Deshalb haben wir auch Ihre Anträge abgelehnt. Denn wir brauchen diese Forderungen nicht. Die sinnvollen Forderungen sind entweder schon längst umgesetzt oder werden es im Moment, und die anderen sind nicht abwegig. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Die Bundesregierung hat keine systematische Strategie zur Verbesserung der Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland. Sie geht in ihrer Verbraucherpolitik weiterhin davon aus, dass der einzelne Verbraucher jederzeit und überall in der Lage ist, alle vorhandenen Informationen wahrzunehmen, einzuordnen und auf dieser Grundlage die für ihn optimale Entscheidung zu treffen. Sie setzt voraus, dass Verbraucherinnen und Verbraucher auch den größten Informationswirrwarr durchblicken und sehr komplexe Informationen bewerten können. Die Erkenntnisse der Verbraucherforschung zeigen, dass das leider nicht der Realität entspricht. Klar ist: Wenn das zugrunde liegende Bild von den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht stimmt, können die verbraucherpolitischen Maßnahmen genauso wenig stimmen. Dies zeigt sich an der schlechten Verbraucherpolitik dieser Bundesregierung. Diese Bundesregierung ignoriert das am Markt herrschende Ungleichgewicht zwischen Anbietern und Verbrauchern. So stellt das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene „Gutachten zur Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland“ vom September 2012 fest: „Auf der Nachfrageseite besteht ein strukturelles Wissens- und Kompetenzdefizit gegenüber den Anbietern von Gütern und Dienstleistungen, das es auszugleichen gilt.“ Auch wenn das Gutachten wissenschaftlich umstritten ist und Datenlage und fehlende Vergleichsmöglichkeiten manche dort getroffenen Aussagen nicht wirklich zulassen, gibt es doch ein paar Hinweise im Gutachten auf Handlungsbedarf: „Marktintransparenz“ und „erhebliche Informationssuchkosten bei den Konsumenten“. Doch die Bundesregierung pflegt weiterhin ihr Bild von den Verbrauchern und ihrer „Mündigkeit“, die in Wahrheit nur Ausrede für politische Untätigkeit ist. Wir wollen die Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich verbessern. Deshalb legen wir unseren Aktivitäten ein realistisches Bild zugrunde. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten unterscheiden zwischen einerseits den realen Verbraucherinnen und Verbrauchern mit all ihren Unterschieden, Bedürfnissen und Problemen auf einem sehr komplexen Markt und andererseits dem mündigen, selbstbestimmten Verbraucher als Leitbild. Der mündige Verbraucher, der stets rational entscheidet und gut informiert und bewusst auswählt, ist ein Ideal. Weder der Markt selbst noch die realen Verbraucherinnen und Verbraucher entsprechen diesem Bild. Der Markt bzw. das Angebot ist in vielen Bereichen zu intransparent, um Verbrauchern informierte und selbstbestimmte Entscheidungen zu ermöglichen. Und das Verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher ist so unterschiedlich wie sie selbst. Die Verhaltensforschung zeigt, dass wir alle als Verbraucher häufig nicht rational entscheiden, sondern von vielen unterschiedlichen Faktoren beeinflusst werden. Nicht umsonst setzt die gesamte Werbebranche auf Emotionen und Stimmungen. Wir sind alle Verbraucher, aber unsere Interessen und Probleme sind so verschieden wie unsere Lebenssituation, unser Bildungsstand, Einkommen, Herkunft, Alter, Geschlecht. Es gibt verschiedene Verhaltensmuster, die können sowohl zu unterscheidbaren Verbrauchertypen führen als auch gleichzeitig in einer Person auftreten – je nach Produkt, Laune oder Einkaufssituation. Manche informieren sich gern und ausführlich vor einer Anschaffung von Elektrogeräten, greifen aber bei Lebensmitteln blind zu. Andere vertrauen aus Bequemlichkeit oder Zeitmangel auf das, was der Anbieter sagt. Manche wählen danach aus, ob ein Unternehmen faire Löhne zahlt. Und für andere sind Informationen wie Inhaltsstoffangaben oder Allgemeine Geschäftsbedingungen so unverständlich, dass sie sie gar nicht lesen. In der Verbraucherforschung wird oft zwischen den drei „V“-Mustern unterschieden, den „verletzlichen“, „vertrauenden“ und „verantwortungsvollen“ Verbrauchern. Gute Verbraucherpolitik muss die unterschiedlichen Verhaltensmuster berücksichtigen. Wir wollen die Erkenntnisse der Verbraucherverhaltensforschung nutzen, um wirksame Instrumente und Maßnahmen zu entwickeln, die Verbraucherinnen und Verbraucher stärken und schützen. Wir wollen, dass der Markt für die Menschen da ist – und nicht umgekehrt. Wir wollen einen anderen Markt, einen sicheren und transparenten, gerechten und nachhaltigen. Wir wollen einen verbraucherfreundlichen Markt. Aber der Markt muss von allen Beteiligten gestaltet werden. Mit einfach nur mehr Informationen für Verbraucher ist wenig erreicht. Wir brauchen gute Informationen für Verbraucher, und wir brauchen Kriterien dafür, wie gute Information aussehen muss. Wir müssen alle vorhandenen Instrumente nutzen für eine gute Verbraucherpolitik – und wir wollen auch neue Instrumente entwickeln. Wir wollen gegen das zulasten der Verbraucher herrschende Ungleichgewicht der Kräfte angehen. Wir müssen Verwerfungen und Fehlentwicklungen am Markt nachgehen und Verbraucher damit nicht alleinlassen. Wir haben dazu jede Menge guter Vorschläge gemacht. Aber diese Bundesregierung ist nicht offen dafür, und die Regierungsfraktionen lehnen unsere Vorschläge ab. Wer die Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland wirklich verbessern will, muss zunächst für die Ablösung dieser Bundesregierung sorgen. Dr. Erik Schweickert (FDP): Verbraucherschutz ist Kernanliegen der schwarz-gelben Regierungsfraktionen. Es mag vielleicht daran liegen, dass ihre Anträge schon etwas älter sind. Aber viele ihrer Forderungen hat diese schwarz-gelbe Bundesregierung bereits erfüllt. Dagegen haben, wenn ich mir diese Spitze erlauben darf, SPD und Grüne die Verbraucherpolitik in ihrer Regierungszeit viel zu sehr schleifen lassen. Deshalb sind sie aus meiner Sicht auch wenig glaubwürdig. Die Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland ist so gut wie nie zuvor. Auch das ist eine Erkenntnis der Prognos-Studie. So stellt diese Studie fest, die Verbraucher seien „überwiegend in der Lage, ihren Konsum selbstbestimmt zu gestalten“. Außerdem existiere „vielfach bereits eine hohe Regulierungsdichte“. Ihnen geht es meines Erachtens mit Ihren Anträgen um etwas ganz anderes. In erster Linie dient Ihnen diese Debatte vor allem zum Zurschaustellen Ihres Wahlprogramms. Aber hinter den Forderungen steckt noch mehr. Denn Sie wollen letztlich die Entmündigung des Verbrauchers, weil Sie der Ansicht sind, die Politik wisse besser, was für den Einzelnen gut und richtig ist. Sie schwingen sich auf zu den Tugendwächtern der Nation. Wir Liberale aber maßen uns nicht an, besser zu wissen, ob der Verbraucher Fleisch essen sollte oder Salat. Wir maßen uns nicht an, Strafsteuern auf Süßigkeiten zu erheben, um den Verbraucher über seinen Geldbeutel zu lenken. Wir maßen uns nicht an, Produktwerbung zu verbieten, um zwischen guten und schlechten Produkten zu bewerten und Wahlmöglichkeiten der Verbraucher einzuschränken. Wir maßen uns nicht an, den moralischen Zeigefinger zu erheben und Verbraucher in die Ecke zu schicken, die sich nicht so verhalten, wie es die Tugendwächter gerne hätten. Das liberale Verbraucherbild ist ein anderes. Liberale trauen den Verbrauchern etwas zu. Unser Ziel ist es, Verbraucher in die Lage zu versetzen, souverän zu entscheiden, aber nicht in Ketten zu legen. Wir geben dem Verbraucher das Rüstzeug und schaffen Rahmenbedingungen, um eigene Entscheidungen treffen zu können. Und genau das hat diese schwarz-gelbe Bundesregierung in den letzten Jahren auch getan. Ich möchte nur einige Dinge einer langen Liste von Maßnahmen nennen, die genau dazu geführt haben, dass die Verbraucher in Deutschland besser informiert sind, dass der Markt transparenter geworden ist, dass die Rechtsdurchsetzung im Streitfalle leichter möglich ist und dass schwarze Schafe vom Markt verschwunden sind. Ich bin bei Ihnen, wenn es darum geht, Verbraucherkompetenzen zu stärken. Deshalb haben wir bereits die Bundesmittel für den Verbraucherzentrale Bundesverband erhöht, die Stiftung Warentest mit einem höheren Stiftungskapital versehen, ihre Haushaltsmittel für die Analyse des Finanzmarktes erhöht und zusammen mit dem Verbraucherzentrale Bundesverband die Stiftung Verbraucherschutz ins Leben gerufen. Wir haben Schlupflöcher für Betrüger und Abzocker geschlossen, beispielsweise durch die Vorgaben zur kostenfreien Warteschleife, durch eine Preisansagepflicht beim Call-by-Call oder durch den Internetbutton. Bis zur Sommerpause werden wir noch das Gesetz gegen unseriö-se Geschäftspraktiken verabschieden und damit auch dem unseriösen Inkasso, unerlaubter Telefonwerbung und dem Abmahnmissbrauch wirksame Riegel vorschieben. Mit der Markttransparenzstelle für Strom und Gas haben wir im Energiebereich eine neue Institution geschaffen, die den Markt überwacht und dem Schutz der Verbraucher dient. Wir haben mit den Schlichtungsstellen Energie und Luftverkehr neue Anlaufstellen für die Verbraucher geschaffen, um die Verbraucherrechte besser durchsetzen zu können. Wir haben das Verbraucherinformationsgesetz unbürokratischer gestaltet, Auskunftsansprüche erweitert und dafür gesorgt, dass die Behörden Verstöße und Täuschungen schneller veröffentlichen. Auf dem Finanzmarkt haben wir eine umfassende Anlegerschutzgesetzgebung vorgenommen, die zu mehr Transparenz am Markt und zu mehr Schutz vor Falschberatung beiträgt. All diese Maßnahmen zeigen beispielhaft, wie modern und nachhaltig die Verbraucherpolitik der schwarz-gelben Regierungsfraktionen ist. Sie ist nachhaltig, weil sie vor Abzocke schützt und die guten Anbieter am Markt fördert. Sie ist modern, weil wir, anders als die Opposition von SPD, Grünen und Linken, nicht Modernität mit Bevormundung verwechseln, sondern auf Befähigung setzen. Caren Lay (DIE LINKE): Am vergangenen Montag stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Deutschen Verbrauchertag ihrer Bundesregierung ein überraschend gutes Zeugnis aus. Die Menschen werden ihr dieses Zeugnis nicht unterschreiben können. Laut einer am gleichen Tag vorgestellten Studie der Verbraucherzentrale misstrauen fast zwei Drittel der Befragten den Angeboten des Finanzmarkts und der Lebensmittelbranche. Die Bundeskanzlerin betonte gleichzeitig, dass der Verbraucherschutz gestärkt werden müsse. Warum dies in vier Jahren Schwarz-Gelb nicht passiert ist, verriet Angela Merkel den Zuhörern nicht. Tatsächlich ist die Liste der Versäumnisse lang: Erstens: Etikettenschwindel statt sichere Lebensmittel. Dioxin im Ei, Krankheitskeime im Schulessen, Antibiotika im Huhn, Pferdefleisch in der Lasagne: Lebensmittelskandale zogen sich wie ein roter Faden durch diese Wahlperiode. Die Lebensmittelkonzerne sind in der Politik gut vernetzt, um Regulierung zu verhindern. Die Betriebe dürfen Qualität und Sicherheit der Lebensmittel selbst kontrollieren. Wenige amtliche Kontrolleure in den Kommunen stehen globalen Konzernen gegenüber. Essen darf außerdem kein Betriebsgeheimnis sein. Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Behörden müssen ungehindert Zugang zu Unternehmensdaten bekommen. Die Lebensmittelüberwachung muss auf Bundesebene gebündelt und personell aufgestockt werden. Die Linke fordert einen lückenlosen „Reisepass für Lebensmittel“, damit die Herkunft aller Zutaten klar erkennbar ist. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen wissen, wo ihr Essen herkommt und auch was drin ist. Kennzeichnung und Aufmachung müssen verständlich sein. Eine Nährwertampel soll den Anteil von Fett, Zucker und Salz in den Farben Rot, Gelb oder Grün hervorheben. Auch ein „Hygiene-Smiley“, der die Ergebnisse der amtlichen Kontrollen an der Tür des Restaurants oder Supermarktes sichtbar macht, dient dem Verbraucherschutz. Zweitens: Bezahlbare Strompreise. Seit 2000 hat sich der Strompreis mehr als verdoppelt. 2011 wurde über 300 000 Haushalten der Strom abgeklemmt, weil sie die Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten. Immer mehr Menschen brauchen Hilfe wegen der explodierenden Strom- und Gaspreise. Gleichzeitig machen die Stromkonzerne Milliardengewinne. Die Bundesregierung hingegen entlastet die Großindustrie von den steigenden Preisen und bürdet dies zusätzlich den Verbraucherinnen und Verbrauchern und kleinen Firmen auf. Gleichzeitig entlastet sie die energieintensive Industrie mit 16 Milliarden Euro jährlich. Das ist eine soziale Schieflage, die wir als Linke so nicht hinnehmen. Hier muss dringend gehandelt werden. Wir wollen eine effektive staatliche Preisaufsicht, die die Preise genehmigt und die eingreifen kann. Ungerechtfertigte Industrierabatte müssen abgeschafft und einkommensschwache Haushalte mit Sozialtarifen unterstützt werden. Außerdem wollen wir die Stromsteuer, auch Ökosteuer genannt, senken und die Stromsperren gesetzlich verbieten. Drittens: Verbraucherinnen und Verbraucher auf dem Finanzmarkt schützen. Die Banken verdienen gut an Verbraucherinnen und Verbrauchern. Während sie selbst ihr Geld für 0,5 Prozent einkaufen können, geben sie es bei Dispokrediten für über 10 Prozent an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiter. In der Finanzkrise haben viele Menschen ihr Geld verloren, weil ihnen unseriöse Berater risikoreiche Finanzprodukte verkauft haben. Bis zu 20 Milliarden Euro verlieren Verbraucherinnen und Verbraucher jährlich durch falsche Anlageberatung und schlechte Finanzprodukte. Der sogenannte Beipackzettel für Finanzprodukte ist das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt wurde. Das sagt nicht nur die Linke, sondern auch die Stiftung Finanztest in ihrer aktuellen Ausgabe, und das sagte sogar die BaFin bereits 2011. Die Linke will ihr Geld schützen. Die Zinsen für Dispo- und Überziehungskredite müssen gesetzlich auf 5 bzw. 8 Prozent über dem Leitzins gedeckelt werden. Ein Finanz-TÜV soll alle Finanzprodukte prüfen, damit Schrottpapiere gar nicht erst auf den Markt kommen. Eine Verbraucherschutzbehörde soll den Finanzmarkt kontrollieren, und zwar bevor gefährliche Produkte auf den Markt kommen. Zusätzlich muss ein Finanz-TÜV für Transparenz im Finanzdschungel sorgen. Die Verbraucherzentralen müssen gestärkt werden, damit sie weiter gute, bezahlbare und unabhängige Finanzberatung leisten können. Die Linke fordert außerdem das Recht auf ein Girokonto für alle. Viertens: Unseriöse Geschäftspraktiken unterbinden. Unseriöse Geschäftspraktiken sind an der Tagesordnung. Am Telefon werden Verträge untergeschoben und persönliche Daten entlockt. Bei vielen Kaffeefahrten werden versteckte Extrakosten fällig. Das Geld wird dann mit teils aggressiven Methoden über unseriöse Inkassounternehmen eingetrieben, wie die Verbraucherzentrale feststellte zu 99 Prozent unberechtigt. Die Linke fordert eine bundesweite Verbraucherschutzbehörde, die alle Märkte verbraucherorientiert kontrolliert. Parallel sind die Verbraucherzentralen als wichtigste Anlaufstelle für Verbraucheranfragen finanziell und rechtlich zu stärken. Über Sammelklagen sollen Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Rechte gemeinsam und effektiv einfordern können. Verträge aus Telefonwerbung müssen erst schriftlich bestätigt werden, bevor sie wirksam werden. Die Inkassogebühren müssen gedeckelt und unseriöse Methoden unterbunden werden. Fazit: Schwarz-Gelb hat keinen Grund, sich selbst auf die Schultern zu klopfen, auch wenn Angela Merkel im Wahlkampf die engagierte Verbraucherschützerin mimt. Die zu Ende gehende Legislatur war und ist geprägt von Mutlosigkeit und Ideenmangel unter der Ankündigungs- und Aktionsplanministerin Ilse Aigner. Wir als Linke sagen: Echte Verbraucherpolitik schafft klare Regeln auf den Märkten und nicht nutzlose Selbstverpflichtungen. Verbraucherinformation allein genügt nicht. Nur aktives Handeln hilft. Das bedeutet auch, sich mit den Konzernen anzulegen, wozu Schwarz-Gelb nie den Mut hatte. Meine Fraktion hat bereits zu Anfang der Legislatur ein Umdenken gezeigt. Leider wurden in den vergangenen knapp vier Jahren viele Chancen vertan, eine verbrauchergerechte Politik zu machen. Die hier vorliegenden Anträge der Grünen und der Sozialdemokraten gehen zumindest in die richtige Richtung, doch leider nicht weit genug. Ich möchte dies am Beispiel Dispozinsen und Stromsperren illustrieren. So sprechen sich die Grünen beispielsweise auch für eine Deckelung der Dispozinsen aus, bleiben aber ungenau in der Höhe. Sie wollen das Sperren von Strom und Gas einschränken; wir wollen es ganz verbieten. Im SPD-Antrag fehlt das Thema völlig. Die Deckelung der Dispozinsen soll auf 8 Prozent erfolgen, was immer noch viel zu hoch ist und gegenüber den derzeit durchschnittlich 10 Prozent eine geringe Verbesserung für Verbraucherinnen und Verbraucher darstellt. Somit bleibt die Linke die einzige Partei, die sich für konsequenten Verbraucherschutz einsetzt. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Politik von Schwarz-Gelb und die Arbeit von Ilse Aigner werden den Anforderungen an moderne Verbraucherpolitik nicht gerecht. Nehmen wir exemplarisch den Bereich digitaler Verbraucherschutz: Neue Herausforderungen, wie die zunehmende Aushöhlung von Bürgerrechten und Privatsphäre durch Unternehmen wie Google oder Facebook und die Quasi-Monopolisierung digitaler Geschäftsbereiche, blieben unbeackert. Schlimmer noch: Aigner bedauert, dass es keine entsprechenden Datenschutzregelungen auf EU-Ebene gibt, und sieht gleichzeitig zu, wie Innenminister Friedrich diese torpediert. Das zeigt: Ministerin Aigner ist mit den Herausforderungen des digitalen Wandels für den Verbraucherschutz schlicht überfordert. Doch selbst Brot-und-Butter-Verbraucherschutzthemen, wie der Kampf gegen das Abmahnungswesen, überfordern die selbsternannte Wunschkoalition. Das Gesetz gegen unlautere Geschäftspraktiken – wie das Warten auf Godot. Der Kampf gegen betrügerisches Inkasso, unlautere Telefonwerbung und Abmahnfirmen muss wohl von einer anderen Mehrheit in diesem Haus geführt werden. Aber auch in den Bereichen, die bearbeitet wurden, ist die Bilanz von fünf Jahren Ministerin Aigner und vier Jahren schwarz-gelber Mehrheit mager. Nehmen wir den finanziellen Verbraucherschutz: Aus dem großen Versprechen des Koalitionsvertrages, kein Produkt und kein Vertriebsweg werde unreguliert bleiben, wurde ein halbherziges Stückwerk. Statt den Verbraucherschutz als Kernaufgabe der BaFin zu verankern und die Verbraucherzentralen in ihrer Marktwächterfunktion zu stärken, wurde ein Verbraucherbeirat eingeführt. Freie Vertriebler werden von der Gewerbeaufsicht reguliert. Klarer kann man nicht sagen, dass man Verbraucherschutz nicht für systemrelevant hält. Auf die Testkäufer, die die Arbeit der BaFin ergänzen sollten, warten wir noch heute. Unseren Antrag, die gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, hat die Koalition abgelehnt. Ihre Ausrede, das sei aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht einführbar, hat der Wissenschaftliche Dienst in einem Gutachten widerlegt. Die Protokollpflichten in der Anlageberatung haben sich zum Bumerang für den Verbraucherschutz entwickelt. Statt den geprellten Kunden Beweise für Falschberatung zu liefern, sichern sie die Anbieter gegen Ansprüche ab. Überhöhte Dispozinsen und die hohe Anzahl kontoloser Menschen in Deutschland wurden von Aigner zwar pressewirksam beklagt – passiert ist jedoch nichts. Auch bei der Reform der privaten Altersvorsorge ist eine Unionsministerin als Raubtier gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Ursula von der Leyens medial vortrefflich inszenierte Vorschläge zur verbraucherfreundlichen Regulierung von Riester und Co verschwanden mit wenigen Ausnahmen in der Schublade und ihr Gesetz zur Honoraranlagenberatung ist so schlecht gemacht, dass es Honorarberatung eher verhindern als fördern wird. Wir Grüne stehen für eine bessere Verbraucherpolitik; wir schaffen das Fundament dafür, dass Konsumentinnen und Konsumenten auf Augenhöhe mit Produzenten und Handel agieren können. Wir wollen Verbraucherinnen und Verbraucher befähigen, aktiv am Markt teilzuhaben und bewusste Entscheidungen zu treffen – durch Transparenz und unabhängige, leicht nutzbare Verbraucherinformationen sowie bessere Auskunftsansprüche gegenüber Behörden und Unternehmen. Wir Grüne stehen für bessere Verbraucherrechte und deren institutionelle Stärkung – beispielsweise durch die Möglichkeit einer Gruppenklage und durch die Abschöpfung von Unrechtsgewinnen. Wir wollen einen Finanzmarktwächter unter dem Dach der Verbraucherzentralen, der die Verbraucher im Fokus hat, der mit einem Beschwerderecht gegenüber staatlichen Institutionen ausgestattet ist und Verbraucherinnen und Verbraucher schützt. Wir sind davon überzeugt, dass sich Verbraucherpolitik stärker an den Bedürfnissen und Problemen der Verbraucherinnen und Verbraucher orientieren muss. Basis einer modernen Verbraucherpolitik muss daher die Verbraucherforschung sein, die den Markt im Blick hat, politische Instrumente auf ihre Effizienz und Verbrauchertauglichkeit überprüft und die Bedürfnisse und Anforderungen der Verbraucherinnen und Verbraucher zur Grundlage der strategischen Ausrichtung der Verbraucherpolitik macht. Deshalb fordern wir einen Sachverständigenrat für Verbraucherfragen. Mit unserem Antrag legen wir ein umfassendes verbraucherpolitisches Programm vor, das von bezahlbaren Energiepreisen bis hin zur gesunden Schulverpflegung die Breite moderner Verbraucher- und Ernährungspolitik abbildet. Die Bürgerinnen und Bürger wissen es zu schätzen, wenn eine politische Kraft konzeptionell arbeitet. Die Kompetenzwerte der Union in Sachen Verbraucherschutz liegen nach acht Jahren im Ministerinnenamt bei 9 Prozent. Das zeigt: Es ist Zeit für den Wechsel. Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: System der Kriminal- und Rechtspflegestatistiken in Deutschland optimieren und auf eine solide rechtliche Grundlage stellen (Zusatztagesordnungspunkt 17) Clemens Binninger (CDU/CSU): Wie sicher leben wir in Deutschland? Brauchen wir strengere Gesetze, höhere Strafmaße? Brauchen wir mehr Polizisten vor Ort? Sollen Polizei und Strafverfolgungsbehörden mehr Befugnisse oder andere Ausstattung haben? Urteilen die Gerichte zu milde? Ist der Strafvollzug konsequent genug? Wird die Gefährlichkeit von Straftätern, die wieder auf freien Fuß gesetzt werden, unterschätzt? Diese und andere Fragen stellt sich die Öffentlichkeit immer wieder, wenn in den Medien über schwere Straftaten berichtet wird. Wir als Politik haben uns mit diesen Fragen immer wieder auseinanderzusetzen, und wir müssen darauf Antworten geben. Dass wir dies nicht im luftleeren Raum oder allein mit Blick auf einzelne Straftaten, die vielleicht öffentlich für großes Aufsehen sorgen, tun, liegt auf der Hand. Genau dafür brauchen wir belastbare Statistiken. In diesem Punkt stimmen sicher alle mit dem Antrag der SPD überein. Nicht nur für uns als Politik und für die Verwaltung sind belastbare Zahlen wichtig, sondern auch für Gerichte, Strafverfolgungsbehörden, Polizei, Verfassungsschutz, Opferhilfeorganisationen oder Präventionsprojekte. Kriminalstatistiken und Strafverfolgungsstatistiken sollen dabei Aufschluss geben über Täter, Opfer, Fälle, Verfahren, Schäden und strafrechtliche Folgen, also die Beobachtung und Analyse des gesamten Systems strafrechtlicher Verbrechenskontrolle ermöglichen. Das kann die polizeiliche Kriminalstatistik allein nicht leisten. Ihr Aussagewert wird dadurch eingeschränkt, dass nur die der Polizei bekanntgewordenen Straftaten und Tatverdächtigen gezählt werden können und dass der Umfang des Dunkelfeldes von der Art des Deliktes und anderen Faktoren abhängt, die auch im vorliegenden Antrag angesprochen sind. Anzeigeverhalten, Kontrollintensität, statistische Erfassungsvorgaben, strafrechtliche Änderungen und nicht zuletzt natürlich auch Änderungen im realen Kriminalitätsaufkommen wirken sich hier aus. Strafverfolgungsstatistiken liefern darüber hinaus weitere Daten. Hier sehe ich in der Tat ein Defizit. Eine Verknüpfung der vorhandenen Daten von der Anzeige der Straftat über die Verurteilung bis hin zum Strafvollzug ist bislang kaum möglich, weder für einzelne Personen noch für einzelne Deliktsbereiche. Bislang gibt es keine Stelle, die bundesweit auf statistische Einzeldatensätze der Strafrechtspflege zugreifen und diese für eine Verlaufsstatistik nutzbar machen kann. Es wäre also wünschenswert, eine Verlaufsstatistik an der Hand zu haben, die Details über bestimmte Phänomenbereiche und einen Überblick über die Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen des Strafverfahrens geben kann. Soweit ist auch die Analyse, die der SPD-Antrag vorlegt, richtig. Allerdings wirkt der Antrag im Weiteren eher wie ein Wunschkonzert der Kriminal- und Strafverfolgungsstatistik und weniger wie eine realistische Perspektive, die uns am Ende auch einige Schritte weiter zu einer verbesserten Statistik führt. Ich möchte das auch ganz konkret an einzelnen Punkten festmachen: Erstens: zum Periodischen Sicherheitsbericht. Die SPD fordert, den Periodischen Sicherheitsbericht wieder einzuführen, weil er eine übergreifende Kommentierung mit zusätzlichen Informationen bietet. Ich möchte die Qualität der bisherigen Periodischen Sicherheitsberichte auch überhaupt nicht in Zweifel ziehen. Wir stehen aber bei dieser Frage vor einem ganz anderen Problem: Die Überarbeitung des 700 Seiten dicken Periodischen Sicherheitsberichts nimmt erfahrungsgemäß mehr als zwei Jahre in Anspruch und löst einen immensen Arbeits, Abstimmungs- und Kostenaufwand aus. Jeder Fachmann weiß aber, dass sich die Kriminalitätslage und damit auch ihre Beschreibung in ihren Grundzügen binnen überschaubarer Zeiträume nicht grundlegend ändern. Das heißt, ein solcher Bericht ist nur in längeren zeitlichen Abständen sinnvoll, weil er nur dann signifikante Veränderungen dokumentieren kann. Die statistischen Angaben der Periodischen Sicherheitsberichte wiederum sind bei einer Bearbeitungsdauer von mehr als zwei Jahren bereits im Zeitpunkt des Erscheinens schon wieder überholt, sodass auch aus dieser Perspektive kein wirklicher Gewinn zu erwarten ist. Stattdessen ist es viel effektiver und sinnvoller, die verfügbaren Ressourcen auf die Untersuchung und Erläuterung spezifischer Phänomene zu konzentrieren. Genau diesen Weg beschreiten wir und das Innenministerium, indem regelmäßige und anlassbezogene Lagebilder vorgelegt werden. So erstellt das Bundeskriminalamt Lageberichte zu mittlerweile elf verschiedenen Deliktsbereichen, zum Beispiel zur organisierten Kriminalität, zum Menschenhandel oder zu Cybercrime. Sie basieren größtenteils auf den Daten der PKS sowie den kriminalpolizeilichen Erkenntnissen wie auch auf Mitteilungen über staatsanwaltschaftliche bzw. gerichtliche Entscheidungen, binden also verschiedene Quellen zu einem Gesamtbild zusammen. Zweitens: zur Dunkelfeldforschung. Der SPD-Antrag fordert regelmäßige repräsentative Erhebungen über Opfererfahrungen und Sicherheitsempfinden zur Dunkelfeldforschung und wirft der Koalition vor, hier angeblich nichts zu unternehmen. Ich kann nur sagen: Offensichtlich ist da etwas an der SPD vorbeigegangen. Das Bundeskriminalamt führt seit vielen Jahren wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Dunkelfeld durch. Zu nennen sind beispielsweise Projekte, die einen starken deliktischen Schwerpunkt haben und vor allem die polizeiliche Praxis bei der Bekämpfung von verschiedenen Kriminalitätsformen unterstützen sollen. Eine umfassende Dunkelfelduntersuchung führt das Bundeskriminalamt derzeit auf Grundlage eines vom Nationalen Sicherheitsforschungsprogramm finanzierten Projektes namens „Barometer Sicherheit in Deutschland“ zusammen mit weiteren Partnern durch. Dabei wird eine in dieser Form und in diesem Umfang bislang in Deutschland noch nie da gewesene bundesweite Dunkelfeldbefragung durchgeführt. Es werden 35 000 Personen zu Opfererlebnissen, zum Sicherheitsgefühl und zur Kriminalitätsfurcht sowie zum Anzeigeverhalten befragt. Ein Nachfolgeprojekt ist bereits in Planung, um diese Forschung zu verstetigen. Die SPD fordert hier also etwas, was wir schon lange machen. Drittens: zur Verlaufsstatistik. Hier verlangt die SPD, langfristig die Voraussetzungen für ein Datenbanksystem zu schaffen, das eine verlaufsstatistische Analyse der Daten von der Anzeige bis zum Strafvollzug oder gar zur Rückfallquote ermöglicht. Auch hier gilt: Was die SPD heute fordert, sind wir schon angegangen. Die Frühjahrskonferenz 2012 der Innenminister und -senatoren hat auf Antrag des Bundesinnenministeriums beschlossen, eine länderoffene Arbeitsgruppe unter Leitung des BMI und unter Beteiligung des BMJ einzurichten, die die Möglichkeiten für den Aufbau und die Nutzung einer Verlaufsstatistik prüft. Das erste Treffen der Arbeitsgruppe fand im letzten September statt. Dabei wurden auch verschiedene Probleme bei diesem Vorhaben im technischen, im finanziellen und im rechtlichen Bereich deutlich. Dennoch bleibt das Projekt weiter auf der Agenda. Zunächst werden hier der Istzustand der Datenerfassung bei den Polizei- und Justizbehörden sowie die technischen, tatsächlichen und rechtlichen Fragestellungen für eine Verknüpfung der Daten der polizeilichen Kriminalstatistik mit Daten der Justizstatistiken aufbereitet. Auf dieser Grundlage lässt sich dann der nächste Schritt für eine Verlaufsstatistik angehen. Viertens: zum Thema neue Statistiken. Auf Seite 1 des SPD-Antrags heißt es: „Es fehlt in Deutschland nicht an Statistiken, es existieren genügend.“ Wenn das so ist, warum möchte die SPD dann in demselben Antrag zwei Seiten weiter gleich vier neue Statistiken einführen? Das erschließt sich nicht nur nicht, sondern wäre für die Einführung einer Verlaufsstatistik problematisch. Denn wir sehen jetzt schon, dass es in unserem föderalen System eine ganze Reihe von unterschiedlichen Statistiken und Erfassungsstandards bei Polizei und der Justiz gibt. Insofern wäre mein Vorschlag, erst einmal auf Basis der vorhandenen Daten eine bessere Vernetzung und Auswertung zu erreichen, bevor wir neue Statistikpflichten einführen, die letztlich ja auch zusätzlichen Aufwand für Polizei und Justiz bedeuten. Zusammenfassend: Der SPD-Antrag stellt zwar die richtigen Fragen, aber die Vorschläge überzeugen am Ende nicht. Daher stimmen wir dem Antrag nicht zu. Ich kann aber meinem sehr geschätzten Kollegen Frank Hofmann versichern, dass er ein wichtiges Thema angestoßen hat, das wir angehen müssen – was wir auch bereits tun. Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Alle Jahre wieder verkündet der Bundesinnenminister die Kriminalitätslage der Bundesrepublik Deutschland anhand der Polizeilichen Kriminalstatistik, so auch vor circa vier Wochen vor der Bundespressekonferenz. Prozentzahlen, Häufigkeitsziffern und Aufklärungsquoten werden der Presse und der Öffentlichkeit bis auf die Stelle nach dem Komma vorgelegt und hinterlassen ein Gefühl der Exaktheit und Genauigkeit. Aber dieses Gefühl trügt. Wir erfahren hier nichts über die Kriminalitätswirklichkeit, sondern nur über den Teil der Kriminalität, der von der Polizei registriert wird, das sogenannte Hellfeld. Die Dunkelfeldforschung ist jedoch für eine rationale Kriminalpolitik ebenso unverzichtbar wie die Polizeiliche Kriminalstatistik selbst. Es ist an der Zeit, endlich fortlaufend Dunkelfelduntersuchungen durchzuführen. Die Strafverfolgungsbehörden und der Gesetzgeber müssen wissen, ob die registrierte Kriminalität die Entwicklung der Kriminalitätswirklichkeit widerspiegelt, wie die Bevölkerung die Kriminalität wahrnimmt, wie hoch die Kriminalitätsfurcht ist, welche Erfahrungen die Bürgerinnen und Bürger mit den Strafverfolgungsbehörden und den Strafverfolgungsmaßnahmen gemacht haben. Deshalb fordern wir, nicht nur sporadisch und selektiv Opfer zu befragen, sondern regelmäßig und umfassend. Eine Forderung, die in anderen Staaten seit langer Zeit umgesetzt ist – zum Beispiel USA, Großbritannien–. Ich bin davon überzeugt, dass die politisch motivierte Kriminalität im rechten Spektrum und der rechtsextremistische Alltagsterror dem Staat nicht entgangen wären, wenn in diesem Bereich Bevölkerungsbefragungen stattgefunden hätten und auch im Rahmen der Polizeilichen Kriminalstatistik diskutiert worden wären. Wir brauchen keine intransparente Sonderstatistik im Phänomenbereich „Politische Kriminalität“. Die Aufklärungsquote, ein Indikator, den die Innenminister gerne benutzen, muss sich messen lassen, zum Beispiel an den Verurteilungen und Freisprüchen. Weshalb erfährt man zum Beispiel nicht, ob der Tatverdächtige durch den Anzeigeerstatter, durch einen Zeugen oder durch die Polizei benannt wurde? Die Aufklärungsquote als alleiniger Maßstab erfolgreicher Polizeiarbeit wird der Arbeit der Polizei in keinster Weise gerecht. Im Jahr 2010 kamen auf 100 wegen Mord oder Totschlag ermittelte erwachsene Tatverdächtige nur 24 Tatverdächtige, die auch wegen dieser Delikte verurteilt wurden. Dies ist kein statistischer Ausrutscher, sondern letztlich auch in anderen Kriminalitätsbereichen nachzuzeichnen: Bei Körperverletzungsdelikten sind es 15 bzw. 17 Prozent, bei Raub und Ähnlichem 28 Prozent. Da muss doch die Frage beantwortet werden, ob die anderen Verfahren eingestellt wurden, ob es Freisprüche gab oder Verurteilungen wegen anderer Delikte, ob die Polizei dramatisiert oder die Justiz zu lasch ist. Wir haben genügend Statistiken in der Bundesrepublik: sieben oder acht, die sich mit dem Kriminalitätsphänomen beschäftigen, die aber nicht miteinander verbunden sind. Die Behörden verfolgen mit ihren Statistiken eigene Interessen, und der Bundesgesetzgeber hat lediglich für die Polizeiliche Kriminalstatistik eine gesetzliche Grundlage geschaffen. Es ist eine gesetzliche Grundlage nötig für die Statistiken, die der Bundesgesetzgeber braucht und die den Verlauf der Tatverdächtigen und Straftäter durch die Institutionen nachzeichnen (Verlaufsstatistik). Der Bundesinnenminister wirkt gegenüber dieser Forderung hilflos. Er hat eine Arbeitsgruppe aus Behördenvertretern eingerichtet, die bislang lediglich festgestellt hat, dass es nicht einfach ist, eine Verlaufsstatistik zu entwickeln, und die die Probleme aufgelistet hat, ganz nach dem Motto: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis. Bereits 2007 gab es eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung von BMI, BMJ, Landesjustizverwaltungen, BKA und den Statistischen Ämtern, die Empfehlungen erarbeitet hat. Der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten, ein vom Bundesforschungsministerium berufenes, aber unabhängiges Gremium, hat sich die Empfehlungen der Arbeitsgruppe zu eigen gemacht. Diese Empfehlungen liegen dem BMI und der Öffentlichkeit vor. Ich fordere den Bundesinnenminister auf, sich diese Empfehlungen zu eigen zu machen und an deren Umsetzung zu arbeiten. Es ist doch eigentlich nicht zu fassen. Jedes Jahr sprechen Staatsanwaltschaften und Richter hunderttausendfach Sanktionen aus, und niemand weiß, ob sie wirken und was sie bewirken. Also, Richter und Staatsanwaltschaften wissen nicht, was sie anrichten, wenn sie richten. Und ich füge hinzu: Der Gesetzgeber, der die gesetzlichen Grundlagen dafür schafft, weiß es auch nicht. Der Staat ist hier organisiert wie ein Kaufmann ohne Buchhaltung. Und die vom Bundesinnenminister eingerichtete Arbeitsgruppe stellt bisher nur fest, dass es schwer ist, eine Buchhaltung zu installieren. Aufgabe des Bundesinnenministers sollte jedoch sein, die Probleme aus dem Weg zu räumen. Wir haben uns in diesem Jahr intensiv mit dem Armuts- und Reichtumsbericht beschäftigt, in Ausschüssen, im Plenum, in der Öffentlichkeit. Die Schere geht immer weiter auseinander. Hat dies Einfluss auf Ersatzfreiheitsstrafen? Können zu Geldstrafen Verurteilte die Schuld nicht begleichen, so führt dies zu Ersatzfreiheitsstrafen. Wir haben keine statistische Grundlage, um dieses Problem zu analysieren. Ich habe lediglich einen Hinweis gefunden, wonach 2008 circa 4 000 Personen nur deshalb inhaftiert wurden, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen konnten. Wir diskutieren – sehr abstrakt – über Freiheit und Sicherheit, holen uns schöne Aphorismen aus der Literatur, belegen diese Aussagen mit namhaften Persönlichkeiten, kümmern uns aber nicht um die Realität; denn wir schränken bürgerliche Rechte ein, ohne eine Kontrolle über die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zu haben. Ich sage: So kann es nicht weitergehen. Die SPD hatte 1998 einen vielversprechenden Anfang gestartet und in den Koalitionsvertrag im Kapitel „Sicherheit für alle – Bürgerrechte stärken“ einen periodischen Sicherheitsbericht auf wissenschaftlicher Grundlage eingebracht. Auch im Koalitionsvertrag der Großen Koalition fand sich dieser Passus wieder. Ein Gremium wurde eingerichtet und zwei Sicherheitsberichte erstellt, die weit über die bloße Analyse der Kriminalstatistiken hinausgehen. Für jeden, der sich mit dem Phänomen „Kriminalität“ beschäftigt, ob in der Wissenschaft, ob in der Lehre, ob in der Exekutive, ob in der Legislative, finden sich hier wertvollste Informationen. Die seit 2009 bestehende schwarz-gelbe Koalition hat sich das Konzept des Periodischen Sicherheitsberichtes nicht zu eigen gemacht, aber auch nichts anderes geschaffen. Das ist ein Rückschritt, der Deutschland mit seinem kriminalstatistischen System weit hinter andere europäische Länder zurückgeworfen hat. Ein Neuanfang ist zwingend für alle, die eine rationale Kriminalpolitik betreiben wollen und sich der europäischen Aufklärung verpflichtet fühlen. Gisela Piltz (FDP): „Politiker benützen die Statistik oft wie einen Laternenpfahl: nicht um sich erleuchten zu lassen, sondern um sich im Rausch daran festzuhalten.“ Der Fernsehmoderator David Frost bringt damit auf den Punkt, dass es bei der Nutzung von Statistiken oftmals gar nicht wirklich um die Sache geht, sondern darum, die passenden Zahlen zu finden, um die eigene Meinung zu stützen und mit dem Verweis auf die vermeintlich objektive Zahl jeder Gegenwehr die Grundlage zu entziehen. Das ist nämlich auch genau das Problem: Man findet eigentlich immer eine passende Statistik. Und damit ist die Krux schon offenbar. Eine Zahl allein sagt noch nicht aus, was richtig und falsch ist, wenn es darum geht, wie eine Entscheidung zu treffen ist. Falsch ist, zu glauben, dass die Statistik die eigene Meinungsbildung ersetzt. Statistik ist im besten Falle per se erst einmal neutral – und welche Schlussfolgerungen man daraus zieht, ist nicht vorgegeben. Wäre es anders, könnten wir uns den Bundestag sparen und stattdessen die Gesetzgebung dem Statistischen Bundesamt überlassen. Aber wir wissen natürlich auch, dass der Idealfall auch schon nicht immer gegeben ist. Wir wissen, dass eine Statistik auch immer stark davon abhängt, wie etwa eine Frage gestellt wird. Außerdem hängt die Aussagekraft einer Statistik natürlich immer auch davon ab, was alles in dieser Statistik abgebildet wird. Deshalb ist es in der Tat richtig, wenn von der SPD hier beklagt wird, dass etwa allein die Polizeiliche Kriminalstatistik als Basis für eine umfassende Bewertung der Lage in Deutschland im Hinblick auf die Innere Sicherheit nur bedingt hilfreich ist. Der „Periodische Sicherheitsbericht“ hatte hier deutlich mehr zu bieten. Das ist unbestritten. Allerdings bedeutete dieser einen ungeheuren Aufwand, weil die Daten zur Justiz und auch zur Polizei ja im Wesentlichen von den Ländern eingeholt werden müssen. Und dass die Länder in ihren Justizverwaltungen – und leider oft genug auch bei der Polizei – eher sparen als noch zusätzliche Aufgaben mit Freude anzunehmen, ist bekannt. Insofern ist hier erster Ansprechpartner gar nicht die Bundesregierung, sondern es sind die Länder. Bevor die SPD also hier im Bund auf den Putz haut, sollte sie einmal mit ihren Innen- und Justizministerin in den Ländern reden, denn eine Statistik ohne Zahlen, nun ja ... Völlig unberücksichtigt bleibt in dem Antrag der SPD, dass Statistik, die ja auf Daten basiert, immer auch den Aspekt des Datenschutzes hat. Natürlich ist die Statistik nachher anonym. Aber wir wissen doch etwa vom Zensus, dass es eine höchst knifflige Angelegenheit ist, die – personenbezogenen oder personenbeziehbaren – Daten an die Stellen zu übermitteln, die daraus statistische Daten gewinnen, ohne dabei in datenschutzrechtliche Probleme zu geraten. Und in diesem besonders sensiblen Bereich von Daten zu Verdächtigen, Tätern oder Opfern und Zeugen von Straftaten das Thema Datenschutz nicht ernsthaft zu beleuchten, ist schon ein grober Schnitzer. Was ganz sicher nicht hilft, ist, bei der Debatte gängige Klischees zu bedienen. Wenn die SPD etwa schreibt, die bestehenden Statistiken könnten die Frage nicht beantworten, „ob die Polizei den Tatverdacht dramatisiert hat oder die Justiz zu ‚lasch‘ ist“, dann kann ich Ihnen sagen, dass keine Statistik der Welt diese Frage beantworten kann – weil es nämlich eine Frage der Bewertung und nicht der Statistik ist, ob man es für zu „lasch“ ansieht, wenn zum Beispiel eine Bewährungsstrafe ausgesprochen wird, oder ob man es für eine unzulässige Dramatisierung hält, wenn Herr Ziercke davon spricht, terroristische Anschläge auf die Fanmeilen seien zu befürchten. Wenn der Innenminister dann dem BKA-Chef widerspricht, hilft auch die Statistik nur begrenzt weiter. Ganz zum Schluss gebe ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten, noch eine statistische Zahl mit auf den Weg: „Doch weist die Aktenanalyse selbst unter den heutigen rechtlichen Bedingungen nur für etwa 2 Prozent der Abfragen nach, dass sie wegen Löschungen ins Leere gehen.“ (Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, „Schutzlücken durch Wegfall der Vorratsdatenspeicherung?“, Freiburg, 2011) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Wir haben uns mit einem Antrag der SPD-Fraktion zu befassen, der darauf zielt, das System der Kriminal- und Rechtspflegestatistiken in Deutschland zu optimieren. Was die SPD unter Optimierung versteht, führt sie aus, und sie unterbreitet Vorschläge, die aus ihrer Sicht zu aktuellen, umfassenden und verlässlichen kriminalstatistischen Daten führen, auf deren Grundlage kriminal- und strafrechtspolitische Maßnahmen ergriffen und bestehende Systeme besser kontrolliert werden können. Ich habe meine Zweifel, ob das mit den hier vorliegenden Vorschlägen tatsächlich erreicht werden kann, auch wenn ich der SPD zustimme, dass für eine rationale Kriminalpolitik valide Fakten und solide Statistiken unerlässlich sind. Und ich stimme ihr auch darin zu, dass wir nicht an einem Mangel an Statistiken leiden, sondern eher das Problem haben, dass die Statistiken aufgrund unterschiedlicher Erhebungsmethoden und mangelnder Abgleichung untereinander nicht ausreichend hilfreich und verlässlich sind. Legt man die verschiedenen Statistiken nebeneinander, kommt dies gegenwärtig einem Vergleich von Äpfeln und Birnen gleich, und so lassen sich verlässliche Schlussfolgerungen nicht ziehen. Was mich zweifeln lässt, ob der Antrag der SPD den richtigen Weg beschreitet und die passende Lösung für dieses Problem darstellt, ist die unter Punkt 2 beschriebene Forderung nach einer statistikbegleitenden, bundesweit repräsentativen und in regelmäßigen Abständen durchzuführenden Bevölkerungsbefragung über Opfererfahrungen und Sicherheitsempfinden, die als Ergänzung des Systems der Kriminal- und Strafrechtspflegestatistiken dienen soll. Nicht die Befragungen an sich sind problematisch. Im Gegenteil, sie sind nützlich und notwendig. Schwierig ist, die Ergebnisse dieser Befragungen mit den Statistiken zu verknüpfen. Ich erinnere an die Erkenntnis, dass hierzulande Frauen über 60 Jahre die größte Furcht vor Kriminalität haben, die meisten Opfer von Kriminalität aber junge Männer sind. Wenn wir uns jetzt vorstellen, dass am Ende einer Befragung sozusagen das gefühlte Sicherheitsempfinden Eingang findet bzw. verknüpft wird mit statistischen Erhebungen und daraus politische Schlussfolgerungen gezogen werden, müssen wir feststellen, dass dies eher kontraproduktiv, denn hilfreich sein wird. Unsere gesetzgeberische Motivation aber, das unterstelle ich jetzt mal auch der SPD, ist eine rationale Kriminalpolitik. Verbrechensfurcht ist im Bereich der Kriminologie jedoch der am schwächsten operationalisierte Bereich. Subjektives Sicherheitsempfinden und Viktimisierungsängste bedürften – bevor sie sozusagen Eingang in politische Entscheidungen finden – einer viel stärkeren Erforschung. Denn wir haben es fast immer mit einem Paradoxon zwischen objektiver Sicherheitslage und subjektivem Sicherheitsgefühl zu tun. Wir wissen aus verschiedenen Untersuchungen, dass die Furcht vor Kriminalität dort am höchsten ist, wo am wenigsten Menschen von ihr betroffen sind. Es ist also notwendig und wichtig, dass wir in Ruhe und ausführlich darüber nachdenken und diskutieren, ob die Optimierung der Kriminalstatistik einhergehen sollte mit einer Verknüpfung von subjektiver Wahrnehmung von Kriminalität. Ich denke, nein, aber ich denke auch, wir sind da erst am Beginn der Diskussion. Ich will im Hinblick auf meine Erfahrungen in diesem Bundestag allerdings noch eines anmerken. Die besten Kriminalstatistiken nützen uns nichts, wenn wir diese in unserem Handeln nicht berücksichtigen. Und leider muss ich feststellen, dass in vielen rechtspolitischen Fragen in der vergangenen Legislaturperiode gerade nicht auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Sachverständige gehört wurde. Vielmehr wurde zu häufig Kriminalpolitik auf Stammtischniveau betrieben. Das können wir aber nicht auf andere schieben, sondern müssen uns an die eigene Nase fassen. Ich hoffe, der nächste Bundestag wird dieses Niveau verlassen und rationale Kriminalpolitik machen. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Satz, der einem zu Statistiken immer als Erstes einfällt, ist: „Statistik beweist alles und das Gegenteil.“ Das gilt auch hier; das ist leider im Bereich der Kriminalitätsstatistik wirklich die traurige Wahrheit. Wir haben in Deutschland eine sehr große Zahl von sehr sinnvollen und qualitativ auch sehr wertvollen Statistiken. Die Staatsanwaltschaften führen Buch, es gibt die Justizgeschäftsstatistik der Strafgerichte, die Strafverfolgungsstatistik, die Polizeiliche Kriminalstatistik in Bund und Ländern, Statistiken zu Bewährungshilfe und zum Strafvollzug. Alleine aus der Zahl der Statistiken könnte man schon eine beeindruckende Tabelle machen und statistisch auswerten, wie oft welche Statistik veröffentlicht wird. Also: Zahlen gibt es genug; das ist nicht das Problem. Eigentlich könnte man auf dieser Grundlage ganz hervorragend bewerten, welches Gesetz sich wie ausgewirkt hat, welche Delikte mehr geworden sind, wo es mit der Aufklärung hapert usw. usf.; also eine Politik betreiben, die sich nicht an Ahnungen und Meinungen orientiert, sondern bei der man zunächst einmal weitestgehend objektiv Problembereiche erkennen kann und entsprechende polizeiliche Mittel und gesetzgeberische Lückenschließungen planen könnte. „Könnte“ ist leider das entscheidende Wort, also der Konjunktiv; denn so wie all diese schönen Statistiken sind, kann man es eben dann doch nicht. Denn so groß die Zahl der Statistiken schon ist, die Unterschiede zwischen den Zählweisen sind noch größer. Einmal wird die Zahl der Delikte aufgelistet, einmal die Zahl der Täter oder Verdächtigen, manche Sanktionen sind erfasst, andere nicht. Dazu kommen Probleme der Vergleichbarkeit: Bei einem in flagranti erwischten Ladendieb wird mit dem Diebstahl auch gleich der Täter mitgeliefert; das Delikt ist, wenn es zur Anzeige kommt, sozusagen selbstaufklärend, und nicht aufgeklärte Ladendiebstähle sind die, die gar nicht erst bemerkt wurden. Ganz ähnlich ist es bei den Kontrolldelikten. Bei anderen Delikten ist das ganz anders, sodass die Aufklärungsquoten sehr unterschiedlich sind. Trotzdem ist die Aufklärungsquote ein Argument, das auch in unseren Debatten hier immer herangezogen wird, um gesetzliche Veränderungen oder das Schaffen oder Streichen von Stellen zu begründen. Der Antrag sagt ganz richtig, was wir brauchen: gemeinsame statistische Verfahren, die die Zahlenwerke vergleichbar machen, bei denen man von der statistischen Erfassung der Anzeige bis zur Auswertung der Verurteilungen auf festem Boden bleibt und bei denselben Bezugsgrößen. Und wir brauchen regelmäßig eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung, so wie wir es bei den periodischen Sicherheitsberichten hatten. Denn nur auf diesem Weg können auch die Konturen herausgearbeitet werden, die eine Statistik nicht zeigen kann – die aber mindestens genauso wichtig sind. Das ist es, was der Antrag fordert, und das ist sinnvoll. Deswegen werden wir diesem Antrag auch zustimmen. Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zu dem Antrag: Zerstörung des kongolesischen Naturerbes verhindern (Zusatztagesordnungspunkt 20) Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Wieder einmal diskutieren wir heute über die derzeitige Situation in der Demokratischen Republik Kongo. Ich bin der festen Überzeugung, dass es richtig ist, die Situation im Kongo – egal in welcher Form – immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Als ich 2002 gewählt wurde, wurde ich von der Gesellschaft für bedrohte Völker auf das Thema Coltan angesprochen. Ich habe dann versucht, mich in die Situation im Kongo zu versetzen. In deutschen Medien gab es kaum Informationen; lediglich die Neue Zürcher Zeitung und die taz haben damals berichtet. Als ich im Mai 2003 das erste Mal hier im Bundestag reden durfte, ging es um den Haushalt, und ich habe mich nicht an das Thema gehalten, sondern über den Kongo geredet, weil ich den Eindruck hatte, dass viel zu wenige Kolleginnen und Kollegen die Situation dort kennen. Inzwischen müsste sie jeder hier im Bundestag kennen: ein Krieg, der bereits doppelt so lange dauert wie der Zweite Weltkrieg, ein Bürgerkrieg mit über 4 Millionen Toten, ein Bürgerkrieg, der auch aus einem Genozid entstanden ist. Aber was ist effektiv bis heute passiert? Lassen Sie es mich mit wenigen Worten zusammenfassen: fast nichts! Die Weltgemeinschaft hat sich nach dem Genozid in Ruanda geschworen, ein solches Sterben nie wieder zuzulassen. Aber sie tut es wieder einmal. Ich will dabei nicht einzelne Länder des Nichtstuns beschuldigen, aber der UN werfe ich ein Versagen auf der ganzen Linie vor. Die UN ist mit ihrer Mission MONUSCO, mit 22 000 Mann eine der größten UN-Blauhelmmissionen, seit Jahren vor Ort. Die jährlichen Kosten für diesen Einsatz werden auf circa 1,4 Milliarden US-Dollar geschätzt. Deutschland als viertgrößter Zahler ist mit rund 10 Prozent an den Kosten beteiligt. Die Mission hat die Aufgabe, die Bevölkerung zu beschützen. Aber immer wieder erreichen uns in den letzten Monaten schreckliche Nachrichten von Massenvergewaltigungen, Verschleppungen und Raub aus dem Osten der Demokratischen Republik Kongo. Marodierende Milizen treiben dort weiter ihr Unwesen und betreiben bewusst eine Destabilisierung der gesamten Region. MONUSCO schaut dabei weitestgehend tatenlos zu. Beim Vorstoß der M23-Miliz bleiben ihre Truppen in den Kasernen, und die kongolesische Armee flieht aufgrund absoluter Überforderung. Die Zivilbevölkerung wird dabei ihrem Schicksal überlassen und leidet. Anstatt ihrem Auftrag zu folgen, nämlich den Schutz der Bevölkerung zu garantieren, schreibt die UN lieber Berichte und verklärt die Wirklichkeit. Laut einem UN-Bericht vom November 2012 soll für die derzeitige Situation im Osten der Demokratischen Kongo die M23-Miliz verantwortlich sein. Die UN betreibt großen Aufwand, um dieser Miliz Kontakt zur ruandischen Regierung nachzuweisen, bringt dabei aber kaum neue Beweise hervor. Es erinnert mich viel mehr an „Schaufensterpolitik“, was die UN da gerade tut. Sie sollte sich endlich ihrem eigentlichen Auftrag zuwenden und das Töten, die Massenvergewaltigungen und die Verschleppungen im Osten der Demokratischen Republik Kongo stoppen. Die UN verliert sonst nicht nur das Vertrauen der Weltgemeinschaft, sondern auch noch das restliche Fünkchen von Vertrauen der Zivilbevölkerung im Kivu. Trotz dieses Versagens der Vereinten Nationen steht die Bundesrepublik Deutschland weiterhin an der Seite der Zivilbevölkerung. Jedoch macht die unsichere Situation eine effektive Arbeit vor Ort sehr schwierig. Einen besonderen Schwerpunkt legen wir dabei auf die Zertifizierung der Rohstoffe in der rohstoffreichen Region des Ostens der Demokratischen Republik Kongo. Wir sehen darin zum einen die Möglichkeit, einer unkontrollierten Ausbeutung vorzubeugen, zum anderen versuchen wir, dadurch einen effektiven Schutz der Biodiversität zu garantieren. Weiterhin möchten wir damit verhindern, dass unkontrolliert Waffen gegen Rohstoffe getauscht werden und dadurch immer mehr Tod und Leid ins Land gebracht werden. Die Demokratische Republik Kongo, DR Kongo, ist ein häufig zitiertes Beispiel für das sogenannte Paradox of Plenty. Über 60 Prozent der Bevölkerung des rohstoffreichen Staates leben in extremer Armut. Die industrielle und systematische Rohstoffproduktion ist im Zuge von jahrzehntelanger Misswirtschaft, Bürgerkrieg und politischer Instabilität heute zu einem großen Teil durch informellen und unkontrollierten Abbau ersetzt. Der Nutzung des Rohstoffpotenzials für wirtschaftliches Wachstum und Armutsbekämpfung stehen grundlegende Probleme wie mangelnde Staatlichkeit und Korruption entgegen; physische und rechtliche Sicherheit fehlen. Der Staat ist derzeit nicht in der Lage, gesetzliche Regelungen weiträumig durchzusetzen. Die Erhebung von Steuern und Abgaben ist lückenhaft und erfasst nur einen Teil der tatsächlich abgebauten Rohstoffe. Unkontrollierter Handel mit Rohstoffen, fehlende Transparenz der Abgabenzahlungen und entgangene Staatseinnahmen beeinträchtigen den Aufbau einer neuen Staatlichkeit und stehen einer Nutzung des Rohstoffreichtums für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Landes entgegen. Folglich leistet der Rohstoffsektor gegenwärtig nur einen geringen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der DR Kongo. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstützt seit 2007 die internationale Transparenzinitiative EITI im Kongobecken, Extractive Industry Transparency Initiative, zur Offenlegung der Zahlungsströme im Rohstoffsektor. In der DR Kongo unterstützt die GIZ gezielt die Reformbemühungen der Regierung, in einer gemeinsamen Wahrnehmung von Verantwortung durch Staat, Konzerne und Zivilgesellschaft ihre staatlichen Einnahmen aus den Rohstoffvorkommen offenzulegen. Das GIZ-Modul ist seit 2008 Teil eines gemeinsamen Programms mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR. Das BGR-Modul konzentriert sich auf die nachhaltige Einführung eines Zertifizierungsmechanismus für ausgewählte Rohstoffe. Dieser Mechanismus soll Modellcharakter für die gesamte Region der Großen Seen haben. Das Ziel des deutschen EZ-Programms ist es, den Nutzen des Rohstoffsektors für die nachhaltige Entwicklung der DR Kongo zu erhöhen. Zielgruppe ist die Bevölkerung der DR Kongo, die vom Aufbau des Staates profitiert und in die Lage versetzt ist, ihre Regierung für die Verwendung der öffentlichen Einnahmen aus dem extraktiven Sektor in die Verantwortung zu nehmen. Die vorgesehene Gesamtlaufzeit des TZ-Programms umfasst acht Jahre. Die Kosten für die zum 1. Juli 2013 beginnende zweite Phase – Laufzeit drei Jahre – belaufen sich auf 11,5 Millionen Euro. Als Hebel für seine Zielsetzungen bedient sich das Programm dreier Instrumente: der Zertifizierung von Rohstoffen und Handelsketten im östlichen Kongo, der Förderung eines öffentlich-privaten Dialogs für erhöhte und transparente nachhaltige Investitionen in der Bergbauregion Katanga sowie der Unterstützung der Transparenzprinzipien der EITI. Letzteres geschieht im Rahmen des EITI-Prozesses selbst, aber auch vor allem durch die Unterstützung des Aufbaus und der Stärkung einer transparenten und effizienten öffentlichen Finanzverwaltung für den Bergbausektor. Wie Sie sehen, setzt die Bundesrepublik Deutschland große Bemühungen in einen transparenten und umweltverträglichen Abbau von Rohstoffen im Osten der DR Kongo. Das Kongobecken ist nach dem Amazonas-Gebiet das zweitgrößte zusammenhängende Regenwaldgebiet der Welt. Es ist nicht nur eine einzigartige Pflanzen- und Tierwelt, sondern auch ein wichtiger Beitrag für das Weltklima. Dieses Gebiet gilt es auch weiterhin zu schützen. Die Regierung des DR Kongo hat uns dabei mehrfach versichert, diese Anstrengungen in vollem Umfang zu unterstützen. Daher verwundert es umso mehr, dass sich derzeit ein Gesetzentwurf zur Beratung im kongolesischen Parlament befindet, der die Ölförderung in Nationalparks bei Vorliegen eines nationalen Interesses erlauben würde. Dies steht im absoluten Gegensatz zu unseren Grundsätzen der Zusammenarbeit sowie den Zusagen der kongolesischen Regierung. Ich fordere daher die kongolesische Seite auf, diesen Gesetzentwurf sofort zu stoppen und einer unkontrollierten Ölexploration in Nationalparks entschieden entgegenzutreten. Wir wollen der Demokratischen Republik Kongo helfen, erwarten aber als Gegenleistung, dass man sich an seine Zusagen hält. Entwicklungszusammenarbeit darf nicht nur eine Einbahnstraße sein. Wir haben in diesem Hohen Hause nicht das letzte Mal über die Demokratische Republik Kongo gesprochen, allerdings das letzte Mal in dieser Wahlperiode. Daher möchte ich Sie zum Abschluss meiner Rede bitten, auch in Zukunft den Fokus weiter auf dieses wundervolle Land zu richten. Die Bevölkerung setzt auf uns. Einen weiteren Genozid darf es nicht mehr geben. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Aktuelle Entwicklungen im Kongo haben uns bewogen, kurzfristig den vorliegenden Antrag zur Entscheidung zu stellen. Dort befasst sich das Parlament mit einem Gesetzentwurf, der den Schutz der Wälder und der biologischen Vielfalt aufs Höchste gefährdet. Dagegen müssen wir uns stellen. Uns betrifft dies auch deshalb in besonderer Weise, weil Deutschland allein in den letzten drei Jahren mehr als 60 Millionen Euro Unterstützung für den Schutz der Wälder in der Demokratischen Republik Kongo zugesagt hat. Deutschland und die Demokratische Republik Kongo sind hier gemeinsam in der Verantwortung, dass dieses Geld nicht vergebens bereitgestellt wird. Ich glaube, es besteht ein fraktionsübergreifender Konsens über die Bedeutung eines effektiven Schutzes des Waldes und der Biodiversität. Deutschland, das in den letzten Jahren seine finanziellen Beiträge hierfür immer weiter gesteigert hat und ab 2013 500 Millionen Euro pro Jahr dafür in Entwicklungsländern einsetzt, hat eine internationale Führungsrolle beim Waldschutz eingenommen. Es ist daher auch richtig, wenn der Deutsche Bundestag zu dem kongolesischen Gesetzentwurf Stellung nimmt, und ich würde mich freuen, wenn das Votum zu unserem Antrag ein deutliches Signal aussenden würde. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass in allen Nationalparks und Schutzgebieten der Demokratischen Republik Kongo Rohstoffe abgebaut werden können, wenn dies im nationalen Interesse ist. Mit „nationalem Interesse“ ist die Generierung von Finanzmitteln für die Entwicklung gemeint. Mit „Rohstoffabbau“ ist primär, aber nicht nur, Öl gemeint, wie insbesondere die Planungen für Ölbohrungen im Virunga-Nationalpark an der Grenze zu Uganda und Ruanda belegen. Ölbohrungen dürften der dortigen einmaligen Natur den Garaus machen und zum Beispiel den Schutz der dort heimischen Berggorillas weiter erschweren. Die Demokratische Republik Kongo würde mit der Legalisierung des Rohstoffabbaus in Schutzgebieten die jahrzehntelange Zusammenarbeit mit Deutschland und der EU im Bereich des Naturschutzes infrage stellen. Es müsste dann auch ernsthaft geprüft werden, wie die Zusammenarbeit überhaupt weitergehen kann. Mit der Erlaubnis für Ölbohrungen würde die Demokratische Republik Kongo zudem die Erreichung ihrer eigenen Schutzziele und ihren Beitrag zur Umsetzung des Strategischen Plans der Konvention über Biologische Vielfalt, CBD, infrage stellen. Außerdem würde sie gegen internationale Verpflichtungen zum Schutz des Virunga-Nationalparks im Rahmen der UNESCO verstoßen. Natürlich ist es legitim, wenn Entwicklungsländer Rohstoffe abbauen wollen, um mit den Erlösen Entwicklungsmaßnahmen finanzieren zu können. Als Entwicklungspolitiker wissen wir aber alle, dass die Praxis eher im Rohstofffluch geendet hat und nicht den Rohstoffsegen gebracht hat. Die Nichtregierungsorganisation ONE hat in ihrem jüngsten Jahresbericht eine Auflistung zu den Fortschritten der Länder Afrikas bei den Millenniumszielen vorgenommen. Dabei fällt auf, dass die größten Fortschritte in den letzten Jahren gerade nicht in rohstoffreichen Ländern gemacht wurden, sondern in rohstoffarmen Ländern wie Malawi, Ruanda oder Benin. Rohstoffreiche Länder wie Tschad, beide Kongos und der Sudan stehen dagegen am Ende der Liste. Die Ursachen für die schlechte Bilanz bei den rohstoffreichen Staaten sind vielfältig. Einige Elemente sind aber immer dabei: Korruption, Gewalt und schwache staatliche Strukturen. Der faktisch nicht existierende Staat im Ostkongo hat dazu geführt, dass der Rohstoffabbau illegal erfolgt und eine der zentralen Quellen der Gewalt gegen Mensch und Natur ist. Insbesondere Frauen und Kinder sind hierbei von schwersten Menschenrechtsverletzungen betroffen. Ohne eine Änderung der Rahmenbedingungen gibt es wenig Anlass zur Hoffnung, dass die Ausweitung des Rohstoffabbaus nicht in genau der gleichen menschen-, natur- und entwicklungsfeindlichen, ja sogar -verachtenden Gemengelage ablaufen wird. Es ist deshalb umso wichtiger, gemeinsam international abgestimmte Lösungen zu finden, die zu einer Befriedung des Kongos, insbesondere im Osten, führen. Die UN-Mission MONUSCO muss daher endlich gestärkt werden und einen effektiven Beitrag hierzu leisten. Gleichzeitig müssen wir die Demokratische Republik Kongo unterstützen, für seine drängenden Entwicklungsprobleme nachhaltige Lösungsansätze umzusetzen, die im Einklang mit dem Schutz der Natur stehen und die den Menschen im Land und lokal in der Region helfen. Die Natur bietet hier über den Wert ihrer Ökosystemdienstleistungen vielfältige Möglichkeiten – von nachhaltiger Waldbewirtschaftung bis zum Ökotourismus. Auch im Rohstoffbereich müssen wir dem Kongo direkt helfen. Dem Kongo zu sagen, er dürfe Rohstoffe nicht abbauen, ist sicher keine Lösung. Aber Deutschland ist hier bereits gut und breit positioniert. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstützt mithilfe der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR, den Übergang zum kontrollierten und zertifizierten Abbau der im Ostkongo vorhandenen Rohstoffe. Wir fördern auch die internationale Transparenzinitiative EITI im Kongobecken zur Offenlegung der Zahlungsströme im Rohstoffsektor. Dabei ist es wichtig, Regierung, Rohstoffunternehmen, auch die internationalen Unternehmen, und die Zivilgesellschaft an diesem Prozess zu beteiligen. Diese Ansätze müssen alle konsequent umgesetzt werden. Perspektivisch sollten wir auch an eine Rohstoffpartnerschaft mit der Demokratischen Republik Kongo denken, die deutsche Lieferinteressen mit Entwicklungsbedürfnissen und dem Naturschutz vor Ort in Einklang bringt. Alle Ansätze werden aber scheitern, wenn es nicht gelingt, den großen „Player“ auf dem afrikanischen Rohstoffmarkt, nämlich China, mit ins Boot einer verantwortungsbewussten und nachhaltigen Rohstoffpolitik zu nehmen. Auch China zählt zu den rohstoffarmen Ländern, die sich erfolgreich entwickeln und Riesenfortschritte bei den Millenniumszielen gemacht haben. Um den damit gewachsenen chinesischen Rohstoffbedarf aber zu decken, setzt China in Afrika eine strategische Rohstoffpolitik um, indem es vor Ort durch chinesische Staatsunternehmen den Rohstoffabbau vornimmt, während es sich durch begleitende signifikante Finanzierungen von Infrastruktur die Rechte dafür erkauft. Aber auch China hat die internationalen Vereinbarungen zum Schutz der Wälder und der biologischen Vielfalt unterzeichnet. Ich fordere die chinesische Regierung daher auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und sich an internationale Vereinbarungen zu halten. Dazu müssen Deutschland und die EU China verstärkt politisch in die Pflicht nehmen. Dies gilt in gleicher Weise für Aktivitäten westlicher Firmen, die zum Teil mit Unterstützung ihrer Heimatregierungen in Schutzgebieten Rohstoffe abbauen wollen. Ich fasse zusammen: Zweck unseres Antrags ist es, ein Signal an das kongolesische Parlament zu senden, dass der Deutsche Bundestag den Kongo und insbesondere die Bedeutung der Natur im Kongo für den internationalen Klima- und Waldschutz im Blick hat und dass wir nicht zusehen werden, wenn dieses Naturerbe zerstört wird. Wir signalisieren aber auch, dass wir die Entwicklungsbedürfnisse des Kongo anerkennen und gemeinsam nachhaltige Lösungen dafür finden wollen. Damit dieses Signal deutlich ausfällt, hoffe ich auf eine breite Zustimmung. Dr. Sascha Raabe (SPD): Wer einmal die Möglichkeit hatte, das unendlich erscheinende Grün eines tropischen Regenwaldes zu erleben, die Geräusche des Waldes gehört und die Tiere, die dort leben, gesehen hat, der weiß, wie wichtig der Schutz dieser einmaligen Wälder mit ihren unglaublichen Biodiversitätsvorkommen ist. Sie wirken undurchdringlich und sind doch so verletzlich. Sind sie erst einmal durch Menschenhand zerstört, sind diese Vorkommen unwiederbringlich verloren. Der Regenwald – sei es in Afrika, in Asien oder auch in Lateinamerika – ist ein Naturerbe, und es ist unser aller Aufgabe, dieses Erbe zu erhalten. Es ist daher ausdrücklich zu begrüßen, dass die Koalition mit dem vorliegenden Antrag auf das Problem des Virunga-Nationalparks in der Demokratischen Republik Kongo aufmerksam macht, wo durch die von der Regierung geplante Ölförderung die Zerstörung eines Teils dieses Naturerbes droht. Mein besonderer Dank an dieser Stelle an den Kollegen Christian Ruck, der diesen Antrag initiiert hat. Ich hoffe sehr, dass diese Warnung der Koalitionsfraktionen bei der Bundesregierung Gehör findet und entsprechende Schritte zum Erhalt des Virunga-Nationalparks in die Wege geleitet werden. Ich möchte ganz klar zum Ausdruck bringen, dass wir uns in dem Ziel, die Wälder in diesem Gebiet zu schützen, selbstverständlich absolut einig sind und jede Initiative, die diesem Ziel dient, willkommen ist. Es geht um eines der artenreichsten Gebiete Afrikas, das die UNESCO 1979 sogar zum Weltnaturerbe erklärt hat. In der Bergregion des Virunga-Nationalparks leben einige der letzten Berggorillas in freier Wildbahn. Dieses Paradies ist akut bedroht, denn in dem Gebiet werden große Ölvorkommen vermutet, und offenbar ist die kongolesische Regierung gewillt, diese zu nutzen. Das wäre das Ende für große Teile des Virunga-Parks: Straßen würden gebaut, Pipelines gezogen. Die Bilder von lecken Ölleitungen, die Boden und Wasser verseuchen, kann man sich wohl ohne große Phantasie vorstellen. Zwar gab es zuletzt die einigermaßen gute Nachricht, dass der französische TOTAL-Konzern auf Druck von Nichtregierungsorganisationen wie dem WWF keine Bohrungen innerhalb der Grenzen des Parks mehr durchführen will, aber diese Nachricht könnte sich als Pyrrhus-Sieg erweisen, denn es gibt weitere Konzessionen für andere Unternehmen. Und es ist zu befürchten, dass nicht alle dem Beispiel TOTAL folgen werden. Hier ist weiterer politischer und öffentlicher Druck sicher notwendig. Zumal nicht erst die Förderung dem Park schaden würde, sondern bereits die Voruntersuchungen mit sämtlichen Erschließungsarbeiten schwere Schäden für Fauna und Flora zur Folge hätten. Wir müssen also jetzt den Anfängen wehren. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wird dieses atemberaubende Naturerbe ein für allemal verloren geht. Insoweit sage ich: Ja, es ist richtig und wichtig, dass wir uns des Problems annehmen, dass wir hier und heute darüber diskutieren, dass wir die kongolesische Regierung in die Pflicht nehmen. Ja, der Antrag von CDU/CSU und FDP ist eine gute Grundlage, und wir sollten versuchen, auf dieser Grundlage zusammen und parteiübergreifend das gemeinsame Ziel, den Schutz des tropischen Regenwaldes im Kongobecken, zu verfolgen. Trotzdem können wir dem Antrag in dieser Form leider nicht zustimmen und werden uns enthalten. Ich will auch gerne erläutern, warum, denn vielleicht zeigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, sich ja offen für unsere Argumente. Dann könnten wir sicher im weiteren Verlauf auch an eine gemeinsame Initiative denken. Aus unserer Sicht zeigt der Antrag viele Probleme richtig auf, so etwa die Intransparenz im Rohstoffhandel, der gerade im Kongo viele Folgeprobleme nach sich zieht. Allerdings sind die Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden, in einigen Punkten zu kurz gesprungen. So ist nach wie vor nicht erkennbar, dass Sie sich von freiwilligen Regelungen hin zu dringend erforderlichen verbindlichen Transparenzregeln und Zertifizierungssystemen bewegen wollen. Völlig zu Recht stellen Sie ja fest, dass der illegale Rohstoffabbau im Kongo die dortigen Auseinandersetzungen verschärft. Der Handel zum Beispiel mit Konfliktmineralien blüht, und die verdeckten Zahlungsströme sind das perfekte Schmiermittel für den illegalen Waffenhandel. Sie halten den Konflikt am Laufen. Die Profiteure sind die Warlords im Land, aber auch jene Konzerne hier bei uns, die sich an den schmutzigen Geschäften beteiligen. Dem muss ein Ende gesetzt werden. Davor aber scheut die schwarz-gelbe Bundesregierung zurück. Wirkliche Transparenzregeln, wie sie etwa die USA mit dem Dodd-Frank-Act umgesetzt haben, sind nicht erwünscht. Regelungen auf europäischer Ebene werden so lange wie möglich blockiert. Wer wirklich etwas ändern und Mensch und Natur im Kongo helfen will, der muss sich in diesen Fragen endlich bewegen. Die SPD-Fraktion hat bereits Ende letzten Jahres einen Antrag mit dem Titel „Transparenz in den Zahlungsflüssen im Rohstoffbereich und keine Nutzung von Konfliktmineralien“ hier im Bundestag eingebracht. Darin schlagen wir ganz konkrete Maßnahmen vor, unter anderem eine Zertifizierung ab der Mine mit eindeutigen Herkunftsnachweisen. Für die Zahlungsflüsse wollen wir Regelungen entsprechend dem sehr strikt formulierten Dodd-Frank-Act, wir wollen die Offenlegung von Zahlungen auf Länder- wie auch auf Projektebene, also sowohl ein Country-by-Country-Reporting als auch ein Project-by-Project-Reporting. Wir setzen uns dafür ein, dass es kein Tyrannenveto gibt und eine Offenlegungsuntergrenze eingeführt wird. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ihre Kollegen im Wirtschaftsausschuss haben sie aber bereits abgelehnt. Über unseren Antrag wird endgültig in der nächsten Woche hier im Hause abgestimmt. Wenn Sie es ernst meinen mit der Transparenz im Rohstoffhandel, dann stimmen Sie in der nächsten Woche dem SPD-Antrag zu. Das wäre ein großer Schritt, um Licht ins Dunkel des illegalen Rohstoffhandels zu bringen und die Situation wirklich zu verbessern. Ihr Antrag heute jedenfalls ist zwar im Feststellungsteil richtig, im Forderungsteil aber bleibt er in der Transparenzfrage viele Antworten schuldig. Alles in allem ist der Antrag aus unserer Sicht auch zu viel erhobener Zeigefinger und zu wenig ausgestreckte Hand. Ihre Forderungen richten sich im Wesentlichen an die Regierung der Demokratischen Republik Kongo. Sie fordern sie letztlich auf, kein Öl im Virunga zu fördern. Das ist zwar richtig, aber zu einseitig. Selbstverständlich steht die kongolesische Regierung in der Verantwortung, dieses Weltnaturerbe zu erhalten, und wir müssen alles tun, sie in die Pflicht zu nehmen. Hierfür bedarf es Überzeugungsarbeit. Die dortige Regierung muss davon überzeugt werden, welches wirtschaftliche Potenzial ein intakter Nationalpark bietet und dass sein Erhalt auch der ökonomischen Vernunft entspricht. Andererseits ist der Wunsch der Regierung, das schwarze Gold unter dem Park zu heben, aber durchaus nachvollziehbar. Schließlich geht es um Hunderte Millionen, wenn nicht gar Milliarden Petrodollars. Eine ähnliche Situation finden wir im ecuadorianischen ITT-Yasuní-Gebiet vor. Auch dort geht es um viel Geld. Hier gibt es einen UN-Ausgleichsfonds, der einmal die Hälfte der entgangenen Gewinne auffangen soll. Wohl wissend, dass beide Fälle schwer miteinander zu vergleichen sind, würde ich anregen, vielleicht auch für den Verzicht auf die Förderung im Virunga-Nationalpark über eine vergleichbare Teilkompensationslösung nachzudenken und so der kongolesischen Regierung entgegenzukommen. Hierzu fehlt im Antrag jeglicher Ansatz. Der Schutz des Regenwaldes ist aber in unser aller Interesse. Dementsprechend müssen wir uns aktiv daran beteiligen und Anreize setzen, die den Waldschutz für die Regierungen der betreffenden Länder attraktiv machen. Wir dürfen sie beim Schutz des Regenwaldes eben nicht im Regen stehen lassen, sondern müssen unseren Teil beitragen. Sollte es wirklich dazu kommen, dass am Ende im Virunga-Nationalpark Öl gefördert wird, wäre das eine schwere Niederlage für uns alle, denen der tropische Regenwald und die biologische Vielfalt am Herzen liegen. Die Folgen für Natur und Menschen wären unabsehbar, die Risiken einer Förderung mitten im Krisengebiet kaum einzuschätzen. Wir müssen jetzt handeln, wenn die Berggorillas vom Virunga auch morgen noch ein Zuhause haben sollen. Michael Kauch (FDP): Das Kongo-Becken ist neben dem Amazonas die wichtigste tropische Waldregion der Welt. Diese Region ist deshalb so bedeutend für das Klima und die Biodiversität in der Welt. Zugleich ist sie eine der ärmsten Regionen in der Welt und, wenn man sich die Demokratische Republik Kongo anschaut, auch eine der konfliktreichsten. Der teilweise Raubbau an natürlichen Ressourcen, mangelnde Transparenz von Interessen in der Rohstoffausbeutung und die instabile Sicherheitslage – all das gefährdet den Wald und auch die Tiere, die in ihm leben. Deshalb sind Maßnahmen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, Maßnahmen gegen Korruption und die dauerhafte Befriedung des Landes zentrale Strategien, um auch die Umwelt in der Demokratischen Republik Kongo wirksam zu schützen. Das sieht man exemplarisch an der Gefährdung der Gorillas in den Virungas im Ostkongo – auch im Kontrast zur stabilen Situation in Ruanda. Wenn Wald und Biodiversität zerstört werden, verliert auch die von Dienstleistungen und Produkten des Waldes lebende Bevölkerung ihre Existenzgrundlage. Hier zeigt sich, wie wichtig das Naturkapital ist. Hier zeigt sich, wie es durch politische, wirtschaftliche und militärische Unsicherheit gefährdet wird. Und hier zeigt sich, dass mit dem Verlust an Naturkapital auch die Menschen weniger haben. Deshalb haben wir in unserem Antrag geschrieben: „Es erfüllt daher mit großer Sorge, dass die Demokratische Republik Kongo die Ölexploration in allen Nationalparks, einschließlich des Virunga-Vulkan-Gebiets mit seinen unersetzlichen Naturschätzen, und in den UNESCO-Weltnaturerbegebieten, gesetzlich erlauben will. Zu befürchten ist, dass dadurch die unermessliche Biodiversität und der Regenwald in der Demokratischen Republik Kongo aufs Höchste gefährdet würden. Die Ergebnisse und Weiterführung der langjährigen deutsch-kongolesischen Zusammenarbeit beim Biodiversitäts- und Waldschutz würden hierdurch massiv infrage gestellt.“ Besser kann man es nicht ausdrücken. Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung unserer Sorge bereits Ausdruck verliehen hat und sich gegen den Gesetzentwurf zur Legalisierung von Ölbohrungen in Schutzgebieten ausgesprochen hat. Das muss mit Nachdruck weiterverfolgt werden. Wichtig ist auch der Dialog mit China, um dessen Handelsinteressen mit nachhaltigem Abbau von Rohstoffen in Einklang zu bringen. Klar ist: Der Kongo hat das Recht, seine Rohstoffe für seine nachhaltige Entwicklung zu nutzen. Es ist aber eben Nachhaltigkeit notwendig beim Rohstoffabbau in diesen sensiblen Ökosystemen, und wir wollen die Regierung der Demokratischen Republik Kongo bei der Schaffung nachhaltiger Rahmenbedingungen unterstützen. Um so wichtiger ist es, dass mit dem neuen Gesetz nicht Fakten geschaffen werden, die dann schwer korrigierbar sind. Niema Movassat (DIE LINKE): Der vorliegende Antrag der Regierungskoalition zum Schutz der kongolesischen Wälder beweist wieder einmal, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Während Sie sonst Industrialisierungs- und Infrastrukturprojekten bei jeder Gelegenheit eine größere Wichtigkeit einräumen als den Ökosystemen, die sie zerstören, verhält es sich hier genau umgekehrt. Sie reden von „fragiler Natur“, die durch den Bau von Straßen und Siedlungen gefährdet sei. Ausgerechnet Sie von der Koalition wettern gegen den Rohstoffabbau zum Aufbau einer Bergbauindustrie und der Energieversorgung – alles wirtschaftliche Aktivitäten, die Ihr Entwicklungsministerium überall in der Welt massiv unterstützt. Da stellt sich natürlich dringend die Frage: Woher rührt dieser plötzliche Sinneswandel? Sie argumentieren, es handele sich schließlich nicht um irgendeinen Wald, sondern um das Kongobecken, das mit seinen tropischen Regenwäldern eine entscheidende Pufferfunktion für den Klimawandel hat. Genau das Gleiche gilt übrigens für den Yasuní-Nationalpark in Ecuador. Hätte die internationale Gemeinde Kompensationen direkt an die ecuadorianische Regierung gezahlt, hätte sie das im Urwald schlummernde Erdöl nicht gefördert und stattdessen das Ökosystem erhalten. Sie waren aber paternalistisch genug, mitbestimmen zu wollen, wofür Ecuador das Geld ausgeben soll. Sie tragen die Verantwortung für das Scheitern dieses international hochangesehenen Pilotprojekts. Der Vergleich zwischen Ecuador und Kongo hinkt aber selbstverständlich: Die Menschen im Kongo benötigen noch viel dringender Infrastrukturprojekte als die meisten Menschen in Ecuador. Nur eben genau dies scheint Ihnen völlig gleichgültig zu sein. Sie räumen mit Ihrem Antrag dem Biodiversitäts- und Waldschutz eine höhere Priorität ein als den Bedürfnissen der Menschen vor Ort. Das Kongobecken ist nicht unser Ökopark. Seine Funktion ist nicht die Kompensation des CO2-Ausstoßes Ihrer Mercedes-S-Klasse. Die Bürgerinnen und Bürger der Demokratischen Republik Kongo haben das Recht, es so zu nutzen, wie sie es für ihre Lebensqualität als am besten erachten. Der kongolesische Wald ist in erster Linie Angelegenheit der kongolesischen Regierung. Dies ist ebenso eine souveräne Regierung wie die von Ecuador. Wir hier im Norden haben den Klimawandel erst verursacht. Und nun kommen Sie mit oberschlauen Hinweisen zur Rettung des Klimas und empfehlen den Menschen im Kongo, sie sollten doch lieber ihre Entwicklung einstellen, denn das sei besser fürs globale Klima. Was glauben Sie eigentlich, wie diese Haltung auf die Menschen vor Ort wirkt? Haben Sie über den Begriff „Neokolonialismus“ überhaupt jemals nachgedacht? Im Übrigen gibt es im Kongo sehr viele Probleme, die den Menschen dort das Leben zur Hölle machen. Warum verlieren Sie darüber kein Wort? Wollen Sie am Ende etwa nur den Wald retten? Weil er ja auch wichtig für uns ist? Haben Sie die Menschen in dieser seit langem bestehenden humanitären Katastrophe bereits aufgegeben? Das Thema muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Der Schutz von Wäldern und Gebieten mit besonders hoher Artenvielfalt ist eben kein Selbstzweck, sondern ein Gebot der Vernunft, damit das Leben von vielen Menschen über viele Generationen hinweg überhaupt möglich ist. Genau das aber bleibt weiten Teilen der kongolesischen Zivilbevölkerung seit vielen Jahren vollkommen versagt: Schätzungen gehen inzwischen von über 5 Millionen getöteten Zivilisten seit Kriegsbeginn 1998 aus. Für Frauen ist die Demokratische Republik Kongo das gefährlichste Land weltweit. Seit 1998 wurden schätzungsweise eine halbe Million Frauen und Mädchen vergewaltigt. Kinder werden in Rebellengruppen zwangsrekrutiert. Es gibt keinen Zweifel: Die kongolesische Zivilbevölkerung, insbesondere im Osten des Landes, geht durch die Hölle. Und selbst wer bisher von Gewalt verschont blieb, lebt in ständiger Angst. Allein 2012 gab es 2,4 Millionen Binnenflüchtlinge. Die Rolle der kongolesischen Regierung ist dabei, ohne Frage, keine rühmliche. Aber auch die internationale Gemeinschaft hat sich längst zum Mittäter gemacht: mit Aufrüstung und Ausrüstung für die kongolesische Polizei. Selbst die größte internationale Friedensmission MONUSC mit 19 000 Blauhelmen hat der Region keinen Frieden gebracht und musste auch bei der Übernahme der Stadt Goma im November 2012 durch M23-Rebellen zuschauen. Die Linke fordert deshalb die Bundesregierung auf, ihre Strategie radikal umzukehren und sich für eine nachhaltige Demilitarisierung der Region einzusetzen. Doch davon liest man in Ihrem Antrag nichts. Stattdessen nutzen Sie die internationale Klimapolitik, um die Zusammenarbeit der kongolesischen Regierung mit Ländern wie China anzuprangern. Dabei wäre es viel angebrachter, erst einmal vor der eigenen Haustür zu kehren. Das deutsch-schweizerische Holzhandelsunternehmen Danzer ist laut Medienberichten mitverantwortlich für den Überfall auf ein Dorf im Nordosten des Landes, das 2011 geplündert und niedergebrannt wurde und dessen Bewohner die Polizei verschleppt hat. Erst im Mai 2013 haben Menschenrechtsorganisationen Anzeige gegen den Manager erstattet. Ein umfassendes Unternehmensstrafrecht würde dazu beitragen, dass solche Verstrickungen schneller aufgedeckt und die Profiteure der Rohstoffausbeutung zur Verantwortung gezogen werden. In Ihrem Antrag ist davon jedoch wiederum nichts zu lesen. In Wirklichkeit geht es Ihnen nur um die eigenen Interessen in diesem rohstoffreichen Land. Der vorliegende Antrag ist ein Paradebeispiel dafür, dass Sie aus unserer kolonialen Vergangenheit überhaupt nichts gelernt haben. Wir stimmen deshalb selbstverständlich gegen diesen Antrag. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Schutzgebiete und Nationalparks in der Demokratischen Republik Kongo stehen auf dem Spiel. Das kongolesische Parlament diskutiert aktuell einen Gesetzesvorschlag, der einer Rohstoffförderung in geschützten Gebieten Tür und Tor öffnen wird. Die Lage ist also äußerst brenzlig. Es ist eine wichtige Initiative, lieber Kollege Ruck, an die Verantwortlichen in der Demokratischen Republik Kongo zu appellieren, den Ausverkauf des Landes an Rohstoffinteressen zu verhindern. Deshalb stimmen wir Ihrem Antrag zu. Es gilt alles daranzusetzen, dass das Gesetz nicht verabschiedet wird und unwiderruflich Fakten geschaffen werden. Hier ist auch die Bundesregierung gefragt – es braucht einen politischen Dialog. Die Konsequenzen des Gesetzes müssen auf den Tisch: Denn neben den unmittelbaren Auswirkungen in den geschützten Gebieten für Mensch und Natur würde die Ölförderung etwa im Virunga-Nationalpark im Osten des Landes die Sicherheitsprobleme in der Region weiter anheizen. Alternativen zur Rohstoffförderung müssen aufgezeigt werden. Denn es gibt sie, die Möglichkeiten, wie das Land von seinen Naturschätzen profitieren kann, ohne dass Menschen und Natur den Kürzeren ziehen. Ökotourismus und Forschungsvorhaben könnten ein Schritt in die richtige Richtung sein. Wir rufen die explorierenden Unternehmen und die kongolesische Regierung auf: Lasst das Öl im Boden! Das einzigartige UNESCO-Weltnaturerbe Virunga und die Nationalparks in der DRC dürfen nicht zerstört werden. Klar ist aber auch: Die drohende Zerstörung der Nationalparks ist bei weitem nicht das einzige Problem. Ihr Antrag fokussiert angesichts der aktuellen Gefährdungslage zwar darauf, aber andere Entwicklungen im kongolesischen Rohstoffsektor dürfen nicht unter den Tisch fallen: Erst vor kurzem hat das Africa Progress Panel, zu dem unter anderem Kofi Annan, Peter Eigen und Graça Machel gehören, berichtet, dass ausländische Konzerne im großen Stil Zugriff auf Rohstoffe der DRC erhalten haben. Über undurchsichtige Verflechtungen wurden Lizenzen für den Rohstoffabbau weitergegeben; dem Kongo sollen laut Africa Progress Panel etwa 1,3 Milliarden Dollar entgangen sein. Und Sie erwähnen im Antrag zwar, dass Deutschland die EITI-Bemühungen im Kongobecken unterstützt, gehen aber nicht darauf ein, dass der EITI-Kandidatenstatus der DRC seit April suspendiert ist. Deshalb geht es bei weitem nicht nur darum, die Rohstoffausbeutung in geschützten Gebieten zu verhindern. Ein neues Gesetz zur Ölförderung muss Vorkehrungen enthalten, um Korruption wirksam verhindern und um sicherzustellen, dass die Bevölkerung von den Erlösen profitiert. Die Bietverfahren müssen transparent und öffentlich sein. Konzerne müssen zur Einhaltung von Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards verpflichtet werden. Und wir brauchen Transparenz: über Zahlungen, über Fördermengen, über Verträge. Die vom Rohstoffabbau betroffene Bevölkerung muss in Entscheidungen einbezogen werden. Und sie muss im Sinne des „free, prior and informed consent“ auch die Möglichkeit haben, ihr Nein zu Rohstoffprojekten auszusprechen. Die Herausforderungen sind groß, und ohne internationale Unterstützung und internationale Lösungen wird es nicht funktionieren. Hier muss die Bundesregierung endlich engagiert vorangehen, dazu fordern wir sie auf. Mit dazu gehört auch, vor der eigenen Haustüre zu kehren – und mehr Nationalparks in Deutschland einzurichten. Wie können wir dem Kongo bei der Zerstörung von Urwäldern einen Vorwurf machen, wenn wir selbst in Deutschland nicht bereit sind, Natur Natur sein zu lassen und die Einrichtung von Nationalparks durch konservative Kräfte verhindert wird? Ich möchte in unserer heutigen Debatte abschließend den Bogen schlagen von den aktuellen Entwicklungen im Kongo zum neuen Bericht an den Club of Rome, der gestern in Berlin vorgelegt wurde. Aus dem Bericht „Der geplünderte Planet, Die Zukunft des Menschen im Zeitalter schwindender Ressourcen“ von Ugo Bardi lässt sich nur eine Konsequenz ziehen: Wenn wir die schon sehr weit fortgeschrittene Plünderung des Planeten noch an irgendeiner Stelle aufhalten wollen, müssen wir sofort und konsequent umsteuern! Sonst drohe ein „Verglühen des Planeten“. Mit solch dramatischen Worten warnt der Club of Rome vor einem Zusammenbruch des Ökosystems. Und weil diese Warnung real ist, müssen wir – dieser Hinweis geht an die Bundesregierung – raus und weg vom Weiter-so! Doch schwarz-gelbe Rohstoffpolitik ist bislang das Weiter-so par excellence. Bilaterale Rohstoffpartnerschaften ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft und ohne umfangreiche Anforderungen an Transparenz und Menschenrechte sind der falsche Weg. Es ist unsere Sucht nach Rohstoffen, die in eine globale Sackgasse führt, denn unser Bedarf ist nur für wenige möglich. Wenn alle Menschen so viel Rohstoffe verschwenden würden wie wir, wären nicht nur die Reserven am Ende, sondern der Treibhauseffekt katastrophal. Die Ursache für die Zerstörung der Regenwälder liegt in unserer Abhängigkeit von Rohstoffen. Die wissenschaftlich begründete Erkenntnis, dass die plündernde Menschheit den Planeten ruiniert, wenn wir das Ruder nicht schleunigst herumreißen, muss handlungsleitend für unsere Politik werden: Respekt vor den Grenzen des fossilen Wachstums heißt auch: Stoppt den Wettlauf um die letzten Ressourcen! Schutz der Wälder – Rettung der Nationalparks – hier, im Kongo und anderswo! Anlage 22 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mitgeteilt, dass sie nachfolgende Anträge zurückzieht: – Unterstützung für Alleinerziehende verbessern auf Drucksache 17/2330 – Grundrechte von intersexuellen Menschen wahren auf Drucksache 17/5528 – Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention zur Individualbeschwerde schnellstmöglich ratifizieren auf Drucksache 17/8917. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2012 – Drucksachen 17/12994, 17/13311 Nr. 3 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2012 – Drucksachen 17/12995, 17/13311 Nr. 4 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand der Unterzeichnung und Ratifizierung europäischer Abkommen und Konventionen durch die Bundesrepublik Deutschland für den Zeitraum März 2011 bis Februar 2013 – Drucksachen 17/12996, 17/13311 Nr. 5 – Ausschuss für Kultur und Medien – Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Elfter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik für die Jahre 2011 und 2012 – Drucksachen 17/12600, 11/12909 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/11919 Nr. A.2 Ratsdokument 15180/1/12 REV 1 Drucksache 17/13340 Nr. A.6 EP P7_TA-PROV(2013)0095 Drucksache 17/13340 Nr. A.7 EP P7_TA-PROV(2013)0097 Drucksache 17/13340 Nr. A.8 Ratsdokument 8044/13 Drucksache 17/13595 Nr. A.1 EuB-BReg 37/2013 Innenausschuss Drucksache 17/12911 Nr. A.1 Ratsdokument 6931/13 Drucksache 17/13183 Nr. A.4 Ratsdokument 6928/13 Drucksache 17/13183 Nr. A.5 Ratsdokument 6930/13 Drucksache 17/13340 Nr. A.10 Ratsdokument 7869/13 Rechtsausschuss Drucksache 17/136 Nr. A.30 Ratsdokument 14722/09 Drucksache 17/720 Nr. A.7 Ratsdokument 17513/09 Drucksache 17/2994 Nr. A.17 Ratsdokument 12564/10 Drucksache 17/4598 Nr. A.8 Ratsdokument 18101/10 Drucksache 17/5302 Nr. A.9 Ratsdokument 7145/11 Drucksache 17/5822 Nr. A.18 Ratsdokument 8786/11 Drucksache 17/5822 Nr. A.19 Ratsdokument 8787/11 Drucksache 17/5822 Nr. A.22 Ratsdokument 9224/11 Drucksache 17/5822 Nr. A.23 Ratsdokument 9226/11 Drucksache 17/6010 Nr. A.4 Ratsdokument 17564/10 Drucksache 17/6176 Nr. A.7 Ratsdokument 10610/11 Drucksache 17/6407 Nr. A.8 Ratsdokument 10668/11 Drucksache 17/6407 Nr. A.9 Ratsdokument 10832/11 Drucksache 17/12244 Nr. A.17 Ratsdokument 17983/12 Finanzausschuss Drucksache 17/13183 Nr. A.11 Ratsdokument 7029/13 Haushaltsausschuss Drucksache 17/13340 Nr. A.16 Ratsdokument 7935/13 Drucksache 17/13340 Nr. A.17 Ratsdokument 8041/13 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/13183 Nr. A.13 EuB-BReg 18/2013 Drucksache 17/13183 Nr. A.14 Ratsdokument 6844/13 Drucksache 17/13183 Nr. A.15 Ratsdokument 6950/13 Drucksache 17/13183 Nr. A.16 Ratsdokument 7081/13 Drucksache 17/13183 Nr. A.17 Ratsdokument 7268/13 Drucksache 17/13183 Nr. A.18 Ratsdokument 7396/13 Drucksache 17/13183 Nr. A.19 Ratsdokument 7438/13 Drucksache 17/13183 Nr. A.20 Ratsdokument 7735/13 Drucksache 17/13340 Nr. A.18 Ratsdokument 7999/13 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 17/13595 Nr. A.14 Ratsdokument 8340/13 Drucksache 17/13595 Nr. A.15 Ratsdokument 8883/13 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 17/11919 Nr. A.23 EP P7_TA-PROV(2012)0401 Drucksache 17/11919 Nr. A.24 EP P7_TA-PROV(2012)0402 Drucksache 17/12126 Nr. A.43 EP P7_TA-PROV(2012)0463 Drucksache 17/12126 Nr. A.44 EP P7_TA-PROV(2012)0464 Drucksache 17/12244 Nr. A.25 EP P7_TA-PROV(2012)0503 Drucksache 17/12244 Nr. A.26 EP P7_TA-PROV(2012)0504 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 17/11617 Nr. A.15 Ratsdokument 15110/12 Drucksache 17/13183 Nr. A.28 Ratsdokument 7521/13 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 17/178 Nr. A.39 Ratsdokument 15298/09 Drucksache 17/8515 Nr. A.53 Ratsdokument 18719/11 Drucksache 17/10710 Nr. A.82 Ratsdokument 12495/12 Drucksache 17/10710 Nr. A.83 Ratsdokument 12676/12 Drucksache 17/11617 Nr. A.17 Ratsdokument 15305/12 Drucksache 17/12244 Nr. A.27 Ratsdokument 17784/12 Drucksache 17/13340 Nr. A.29 Ratsdokument 7995/13 Anlagen 1Ergebnis Seite 31029 D 2Anlage 7 3Anlage 6 4Anlage 9 5Anlage 8 6Anlagen 2 bis 4 7Anlage 11 8Anlage 10 9Anlage 12 10Anlage 5 11Anlage 13 12Anlage 17 13Anlage 16 14Anlage 18 15Anlage 19 16Anlage 14 17Anlage 20 18Anlage 15 19Anlage 21 ______ ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 30882 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung, Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung, Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 30883 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 38. Sitzung – 4. April 2003 4 31072 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung, Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung, Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31071