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Debatte
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Wortlaut der Reden

Hans-Dietrich Genscher, FPD Robert Antretter, SPD >>

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem ich mich in der Öffentlichkeit oft für Berlin als Hauptstadt und als Parlaments- und Regierungssitz ausgesprochen habe, möchte ich vor dem Deutschen Bundestag begründen, warum ich diese Haltung einnehme. Wenn ich Argumente wiederhole, bitte ich um Nachsicht. Ich hatte heute eine Konferenz in Berlin zu leiten.

Solange ich nach der deutschen Spaltung auf die deutsche Einheit gewartet und gehofft und für sie gearbeitet habe, so lange habe ich auch darauf gehofft, daß Berlin wieder deutsche Hauptstadt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Ich verstehe Hauptstadt nicht als Aushängeschild, sondern als Sitz des frei gewählten Parlaments und der frei gewählten Regierung aller Deutschen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Nachdem wir nun unsere Einheit und die Freiheit wiedergewonnen haben, selbst über den Sitz unserer Hauptstadt zu entscheiden, möchte ich nicht von dem abweichen, was ich in der Vergangenheit gedacht, gewünscht, gewollt und versprochen habe.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Als Außenminister habe ich mich für Berlin als deutsche Hauptstadt eingesetzt. Ich habe es meinen Gesprächspartnern aus dem Ausland gesagt. Ich habe sie gebeten, als Zeichen ihrer Verbundenheit nach Berlin zu kommen. Ich habe um jeden Zentimeter gerungen, um mehr Bundespräsenz in Berlin zu ermöglichen. Jetzt ist die ganze Bundespräsenz möglich. Dafür möchte ich im Deutschen Bundestag stimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/

GRÜNE)

Ich halte es für legitim, nach den Kosten zu fragen, aber ich halte es für falsch, den Eindruck zu erwecken, als sei nur die Entscheidung für Berlin kostenwirksam. Soll die Entscheidung gegen Berlin bedeuten, daß dann keine Kosten entstehen, weder in Bonn noch in Berlin?

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber weniger!)

Könnte es nicht sein, daß bei einer Entscheidung gegen Berlin auch ein Preis entrichtet werden muß, der sich nicht in Mark und Pfennig ausdrücken läßt und der länger nachwirkt?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD, der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/

GRÜNE)

Die deutsche Geschichte ist überall in Deutschland zu Hause, mit ihren guten und ihren schlechten Zeiten. Das taugt nicht als Argument, weder gegen Bonn noch gegen Berlin.

Der deutsche Föderalismus, der unserer deutschen Demokratie so viel an Vielfalt, an Kreativität und Stabilität gegeben hat, wird gewiß nicht beschädigt, wenn wir eine größere Hauptstadt haben. Es gibt übrigens nicht wenige Bundesländer, die sich ganz wohl fühlen mit der größten Stadt als Hauptstadt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Ich gehöre zu den wenigen Abgeordneten, die hier in Bonn leben, die hier gerne leben und die hier ein neues Zuhause gefunden haben. Aber meine Entscheidung über den Sitz von Bundestag und Bundesregierung möchte ich davon nicht abhängig machen. Aber weil ich hier lebe, weiß ich, was vielen Menschen abverlangt wird, wenn jetzt das geschieht, was 1949 erklärt und seitdem immer wieder bestätigt wurde. Deshalb ist es richtig und legitim, auch über die sozialen und die regionalen Probleme und vor allem über die Menschen zu sprechen, die davon betroffen sind, und sie mit ihren Problemen nicht allein zu lassen. Ich sage das nicht nur für viele Mitbürger hier, sondern auch für viele meiner Mitarbeiter. Dieser Verantwortung können auch wir, die wir für Berlin sind, uns nicht entziehen. Aber Berlin dürfen wir auch nicht allein lassen mit seiner Zukunft. Sie wird schwer genug sein, und eine Abwendung von Berlin wird sie noch schwerer machen.

Es ist richtig: Es ist nicht eine Entscheidung zwischen zwei Städten. Es ist gewiß mehr. 1989/90 ist immer wieder davon gesprochen worden: Nichts wird mehr so sein, wie es war, weder im Westen noch im Osten. Wir werden das noch spüren. Eine Entscheidung gegen Berlin wird niemanden davor bewahren. Vereinigung heißt auch: aufeinander zugehen. Mit der Hauptstadtentscheidung können wir hier ein Zeichen setzen.

Es geht übrigens nicht nur um die Entscheidung über die Hauptstadt. Aber wir setzen ein Signal für andere Entscheidungen. Ein lebendiger Föderalismus im ganzen Land verlangt doch auch obere Bundesbehörden in den östlichen Bundesländern.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Das Einen durch Teilen darf nicht auf die Hauptstadtfrage verkürzt werden. In Leipzig fragt man sich besorgt, ob Leipzig als Messeplatz überlebt oder ob nicht die etablierten Messeplätze in Westdeutschland für ausreichend befunden werden. Wird es chemische Standorte nur noch in Westdeutschland geben, oder braucht man die auch im Osten noch? Gibt es in Zukunft Werften nur noch im Westen oder auch im Osten? Natürlich kann das vereinigte Deutschland auch von hier regiert werden. Natürlich kann auch der wirtschaftliche Bedarf für das ganze Deutschland von hier

gedeckt werden. Viele Menschen im Osten haben das mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes deutlich erfahren.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Ich denke, so haben wir die Einheit nicht gewollt. Wie wollen wir den freiheitlichen Rechtsstaat im Osten aufbauen und trotzdem alle obersten Gerichte im Westen lassen? Wir werden noch viele solcher Fragen zu beantworten haben. Was wir in der Hauptstadtfrage, was wir für Bundestag und Bundesregierung entscheiden, wird dafür Signalwirkung haben.

Man wende nicht ein, die Entscheidung für Berlin würde unsere Einbindung in die demokratische Wertegemeinschaft in Frage stellen. Wir erleben doch gerade, wie sich diese demokratische Wertegemeinschaft immer weiter nach Osten ausdehnt. Europa -- das kann nicht oft genug gesagt werden -- ist mehr als die Europäische Gemeinschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Unsere Nachbarn im Osten bedeuten uns nicht weniger als unsere Nachbarn im Westen.

War nicht Berlin über Jahrzehnte das Symbol der Freiheit? Es ist schon richtig, daß der Vereinigungsvertrag sagt: Unsere Hauptstadt ist Berlin. Diese Stadt bringt die Erfahrung der Deutschen aus dem Osten und aus dem Westen ein. Diese Stadt ist auch mit dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und der Öffnung der Mauer verbunden. Jeder von uns muß heute die Frage beantworten, was er mit Hauptstadt meint: nur eine symbolische Hauptstadtbezeichnung oder die Stadt, in der die Entscheidungen über die Zukunft unseres Volkes getroffen werden. Meine Antwort ist: Ich stimme für Berlin.

(Anhaltender Beifall bei der FDP sowie Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der PDS/Linke Liste und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun erteile ich dem Abgeordneten Antretter das Wort.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_094
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