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Debatte
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Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden

Heinrich Lummer, CDU/CSU Dr. Dietrich Mahlo, CDU/CSU >>

Die Unterscheidung zwischen Hauptstadt und Regierungssitz im Einigungsvertrag war gewiß ein dilatorischer Formelkompromiß. Damit wollte man eine Frage wieder zu einer offenen Frage erklären, die 40 Jahre lang eindeutig beantwortet worden war. Nun läuft die Diskussion über den Regierungssitz auf eine Entscheidung zu. In der Diskussion werden eine ganze Reihe von Argumenten genannt, die offenbar nicht die eigentliche Entscheidung begründen, sondern eher kaschieren. So hat die Diskussion über die Umzugskosten sicher eine begrenzte öffentliche Bedeutung, aber niemand wird dieses Argument als

entscheidend betrachten. Eine ganze Reihe von Gründen, die tief im Bereich des Emotionalen liegen, werden überhaupt nicht genannt. Dennoch gibt es keinen Zweifel, daß die alte (links-)rheinische Abneigung gegen alles Preußische eine Rolle spielt. Man war zum Teil Muß-Preuße. Aus Berlin kam der Kulturkampf. Ostelbien war ohnehin verdächtig und im Grunde auch zu protestantisch.

Nachdem die Bayern in den Jahrzehnten der Teilung sogar bereit waren, die letzten Preußen zu sein, finden sie nach der Einheit, daß die Preußen eben »Sau-Preußen« sind und Berlin immerhin preußische Hauptstadt war. Bei einem geteilten Berlin ohne Regierungssitz konnte man München bequem zur heimlichen Hauptstadt avancieren lassen. Ein ungeteiltes Berlin mit Regierungssitz macht einem diesen Anspruch vielleicht streitig.

Auch in Sachsen ist die Neigung zu Berlin nicht besonders groß. Dies galt oft vice versa, denn viele Berliner empfanden in den letzten Jahrzehnten die Sachsen als fünfte Besatzungsmacht. Derartig gefühlsbetonte Haltungen finden in der gegenwärtigen Diskussion keinen Widerhall. Nichtsdestoweniger sind sie von beachtlicher Relevanz. Die erzwungene Teilung hat das Denken und Fühlen des deutschen Volkes in Stämmen überlagert. Man war Deutscher und war für die Einheit. Es ist nur zu natürlich, daß das Volk in seinen Stämmen nach vollendeter Einheit wieder lebendig wird. Gerade auch in den Gebieten der ehemaligen DDR zeigte sich bei der Wiederherstellung der Länder dieser Sachverhalt.

Es könnte sein, daß diejenigen, die nun aus Abneigung gegen Berlin für Bonn stimmen, sich später wundern, wenn es zu Bonn als Regierungssitz gekommen sein sollte. Schließlich wäre Nordrhein-Westfalen das mit Abstand größte Land, das sich auch noch den Regierungssitz beschafft. Dies wäre eine Dominanz, die nun wirklich die föderale Struktur in Frage stellen würde.

Mehr als 40 Jahre hat es an der Hauptstadt Berlin keinen Zweifel gegeben. Alle wollten sie, alle legten ihre Bekenntnisse ab. Jetzt, da dieser Wille sich erfüllen kann, beginnen die Zweifel und der Aufstand gegen das Selbstverständliche. Nicht, daß Berlin als Hauptstadt ein Tabu wäre, aber eben

doch das Naheliegende, Normale, Unbezweifelte, eben das Selbstverständliche. Nur in diesem Sinne kann man verstehen, wenn Egon Bahr sagt: »Wer gegen Berlin ist, den bestraft die Geschichte.« Wer sich gegen die Selbstverständlichkeit Berlin auflehnt, handelt gegen geschichtliche Kräfte -- und nicht zuletzt gegen sich selbst. Man nehme den Bonner Oberbürgermeister Daniels. Jahrelang hat er wacker das Provisorium Bonn vertreten und sich zur Hauptstadt Berlin bekannt. Noch im Angesichte Gorbatschows 1989 wies er auf die Vorläufigkeit Bonns hin. Im Januar 1989 meinte er, die Verantwortlichen im Bonner Rathaus seien sich der Aufgabe bewußt, »Hauptstadt eines Staates zu sein, der sich selbst als nicht endgültig empfindet, dessen Ziel die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit mit der Hauptstadt Berlin ist«.

So war denn auch die Wiedervereinigung Deutschlands mit der Hauptstadt Berlin 40 Jahre lang das selbstverständliche Ziel Bonner Politik. Will man nun 40 Jahre lang die Deutschen beschwindelt haben? Man muß sich die ganze Chuzpe und Ironie der Geschichte vorstellen, wenn man

40 Jahre lang Berlin als Hauptstadt gepredigt hat, den Reichstag für das deutsche Parlament wieder aufbaute, erst unter sowjetischem Druck die Bundestagssitzungen dort aufgab, die Berliner mit Hinweis auf ihre künftige Rolle Blockade, Ultimatum und Mauer hat erleiden und tragen lassen; und nun, da das Ziel winkt und die Krone für das Ausharren vergeben werden soll, da geht es nicht mehr um die Wiedervereinigung mit der Hauptstadt Berlin, sondern da melden sich andere zu Wort. Die Berliner müssen sich da wohl an Schillers Räuber erinnern: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Man muß sich angesichts der gegenwärtigen Diskussion benutzt und zum Wegschmeißen vorkommen. Das ist unsagbar peinlich. Es legt den Verdacht nahe, man habe nur so lange und deshalb für Berlin Bekenntnis abgelegt, als es keine Chance gab und keine Befürchtung, der Fall könne auch wirklich eintreten.

Ich will nicht anderen einen Wortbruch vorwerfen. Aber ich käme mir als Wortbrüchiger vor, wenn ich nicht mit Entschiedenheit für Berlin einträte. Eine Entscheidung für Berlin ist eine Entscheidung für das Selbstverständliche. Wer sich gegen diese Selbstverständlichkeit auflehnt, der lehnt sich auch gegen eine tiefe geschichtliche Symbolik auf, der man mit dem Argument der Umzugskosten ebensowenig begegnen kann wie mit dem Prinzip der Besitzstandswahrung und anderen Zweckmäßigkeitsüberlegungen.

Berlin ist zum Symbol für die Einheit geworden. Dies hat Tränen, Tod und Geld gekostet. Und nun kommen Krämerseelen und wollen die Symbolik kommerziell bewerten. Das eben geht nicht, und das würde die Geschichte bestrafen.

Gewiß hat die Geschichte alle von uns irgendwie erwischt und uns ein Schnippchen geschlagen. Sie hat sich in der Produktion von Wendehälsen als außerordentlich fruchtbar erwiesen, weil sie entlarvt hat. Die Zeit der Sprüche hat sie beendet. Jetzt will sie Taten sehen. Die Sprüchklopfer sehen sich nun in des Kaisers neuen Kleidern. Stünden sie zu ihren Sprüchen und Worten von gestern, hätten sie das alle nicht nötig.

Dr. Dietrich Mahlo, CDU/CSU >>
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_154
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