Künstler und ihre Kunstwerke im
Reichstagsgebäude
- Eine Fotofolge von Jens Liebchen im Auftrag des Deutschen
Bundestages -
Der Kunstbeirat des Deutschen Bundestages hat ein Kunstkonzept
beschlossen, das alle drei Parlamentsbauten im Spreebogenbereich in
ein Gesamtkonzept einbindet. Im Rahmen dieses Gesamtkonzeptes wurde
für jeden der drei Baukomplexe ein Kunstkonzept entwickelt,
das von der parlamentarischen Nutzung des jeweiligen Baus, seiner
Architektur und seiner historischen Bedeutung ausgeht.
Das von seiner parlamentarisch-historischen Wertigkeit her
zentrale Gebäude der drei Baukomplexe ist das
Reichstagsgebäude, in dem das Parlament als "Forum der Nation"
tagt. Das Reichstagsgebäude hat seit der
Schlußsteinlegung im Jahre 1894 die Geschichte der Deutschen
in ihren Höhen und Tiefen begleitet und verfügt trotz
aller Zerstörungen und vielfacher Renovierungen - im
Unterschied zu den beiden anderen Parlamentsbauten, bei denen es
sich um Neubauten handelt - über eine bedeutende historische
Bausubstanz.
Für die Kunst-am-Bau-Projekte im Reichstagsgebäude
wurden, diesem politisch und historisch herausgehobenen Rang des
Gebäudes entsprechend, Künstlerpersönlichkeiten in
die engere Auswahl gezogen, die das Bild der deutschen
Nachkriegskunst international bestimmt haben. Als Reverenz an den
ehemaligen Vier-Mächte-Status von Berlin wurden Künstler
aus den USA, Frankreich und Rußland für das
Reichstagsgebäude beauftragt, dessen Umbau von einem
Architekten aus Großbritannien geplant wurde.
Es lag daher nahe, diese bedeutenden Künstler mit ihren
Werken im Reichstagsgebäude in einer Fotofolge zu
porträtieren. Einige der Fotos sind als Doppelporträts
konzipiert: Die Schwarzweiß-Aufnahme läßt den
Künstler als Individuum, die Farbaufnahme hingegen das Werk in
den Vordergrund treten, so dass Werkaufnahme und Charakterstudie
sich gegenseitig erhellen. Die bisher vorliegenden Porträts
werden in dieser Ausstellung erstmals umfassend der
Öffentlichkeit gezeigt. Die noch fehlenden Porträtstudien
werden in naher Zukunft die Reihe ergänzen.
Den Auftakt bilden vier Schwarzweiß-Aufnahmen. Die erste
zeigt die beiden Kunstsachverständigen für das
Reichstagsgebäude, Dr. Karin Stempel und Prof. Dr. Götz
Adriani, auf dem Weg ins Reichstagsgebäude.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, zugleich Vorsitzender
des Kunstbeirates, ist in der Cafeteria des Reichstagsgebäudes
vor dem Gemälde von Bernhard Heisig zu sehen. Der Maler
Bernhard Heisig, einer der bedeutendsten Vertreter der sog.
Leipziger Schule in der ehemaligen DDR, entwirft in seinem an die
Tradition des deutschen Expressionismus anknüpfenden
Gemälde "Zeit und Leben" ein aufwühlendes Panorama
deutscher Geschichte. Eine kaum erfaßbare Fülle von
Bildmotiven kreist u.a. um Themen aus der Geschichte Friedrichs des
Großen, entlarvt das opportunistische Mitläufertum des
"Pflichttäters" oder greift die für die Kunst in der DDR
so bedeutende Ikarus-Metapher auf.
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Norman Foster vertritt als Künstler-Architekt im
Kunstkonzept für das Reichstagsgebäude
Großbritannien. Im Hintergrund der Porträtaufnahme ist
der beidseitig gestaltete Adler für den Plenarsaal zu sehen.
Seine Vorderseite orientiert sich an dem Entwurf von Ludwig Gies
für den ersten Plenarsaal in Bonn, die Rückseite wurde
von Lord Foster gestaltet.
Carlfriedrich Claus, ein in der ehemaligen DDR in die innere
Emigration gedrängter Künstler, ist mit seinem Hauptwerk,
dem "Aurora-Experimentalraum", im Reichstagsgebäude
vertreten.
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Der Künstler hatte noch kurz vor seinem Tod die
Installation seiner Arbeiten bestimmen können. Er verstand
sich selbst als überzeugten Kommunisten. Aber im Gegensatz zum
dogmatischen Schulmarxismus beharrte er so entschieden auf einem
mystisch verstandenen utopischen Charakter der Ideologie, dass er
sich die Gegnerschaft des SED-Regimes zuzog. Mit dem Aurora-Raum
will er das Morgendämmern der Utopie verkünden und seiner
Sehnsucht "nach der Aufhebung des Entfremdetseins von sich selbst,
von der Welt und von den anderen Menschen" Ausdruck verleihen. Bei
seiner Arbeit handelt es sich um skripturale Notate - eigene
Gedankengänge, Zitate aus der Kabbala und anderen mystischen
Schriften - die er auf Vorder- und Rückseite von Pergament
oder Glastafeln aufträgt und immer wieder überschreibt
bis sie sich zu eigenen ästhetischen Gestaltungen formen.
Für das Reichstagsgebäude ließ er sie als Fotofilm
auf Acryl-Platten aufbringen.
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Auf der gegenüberliegenden Wand beginnt die Reihe der
Fotoporträts mit Jenny Holzer, die im Januar 2000 nach Berlin
zur American Academy als Stipendiatin des Philip Morris Fellowship
Programms kommt. Die amerikanische Künstlerin läßt
in der Nordeingangshalle auf einer Stele digitale
Leuchtschriftbänder mit Reden von Reichstags- und
Bundestagsabgeordneten aus der Zeit von 1871 bis 1992 ablaufen. Die
Reden wurden von der Künstlerin ausgewählt und zu
Themenblöcken zusammengestellt und sollen bis zur Gegenwart
fortgeführt werden. Die auf der Stele zur Deckenmitte hin
aufsteigenden Parlamentsreden bilden symbolisch einen tragenden
Pfeiler des Parlamentes als dem Haus der politischen Rede.
Gleichzeitig spiegeln sie sich vielfach gebrochen in den
Glaswänden der Eingangshalle. So reflektiert Jenny Holzer
bildkräftig mit den ihr eigenen künstlerischen
Ausdrucksmitteln die Geschichte des Parlamentarismus in
Deutschland.
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In der Südeingangshalle greift Georg Baselitz in
großformatigen Leinwandgemälden Motive des Malers der
Romantik, Caspar David Friedrich, auf. Auch in diesen Bildern hat
er, wie er es seit Ende der sechziger Jahre zu tun pflegt, seine
Motive auf den Kopf gestellt, um die formale Gestaltung der
Komposition in den Vordergrund zu stellen. Als Vorlage haben ihm
Holzschnitte nach Caspar David Friedrichs Motiven Frau am "Abgrund"
und "Schlafender Knabe" gedient, die er in einer leichten und
transparenten Malweise seiner künstlerischen Ausdrucksweise
anverwandelt hat. Baselitz schlägt mit diesen motivischen
Anklängen im Medium der traditionellen Leinwandmalerei eine
Brücke von der Gegenwart zu der für die Selbstfindung der
Deutschen so bedeutenden Epoche der Romantik.
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In der Westeingangshalle wird der Besucher des
Reichstagsgebäudes von Arbeiten von Sigmar Polke und Gerhard
Richter empfangen. Beide Künstler standen vor der schwierigen
Aufgabe, sich mit ihren Werken gegen jeweils 30 Meter hohe
Wände zu behaupten. Sigmar Polke installierte als formalen und
inhaltlichen Kontrast zu Richters Arbeit Leuchtkästen mit
heiter-ironischen Bildzitaten aus Politik und Geschichte. Sie
zeigen u.a. (links), wie Adenauer Journalisten fröhlich mit
seinem Stock droht, während über ihm die Germania des
Niederwalddenkmals in bedrohlicher Schräglage in den Wolken
schwebt. Andere Motive greifen den "Hammelsprung" auf oder
verweisen mit einem der Streiche Till Eulenspiegels auf die
Schwierigkeit des politischen Drahtseilaktes. Der Neigung Polkes
zum Experimentieren mit ungewohnten Techniken entspricht die
Verwendung eines im Leuchtkasten verborgenen Linsensystems. Es ruft
beim Betrachter, wenn er an den Leuchtkästen vorübergeht,
den optischen Eindruck hervor, dass sich die einzelnen Bildmotive
bewegen und übereinander verschieben.
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Gerhard Richter hat an der gegenüberliegenden Wand der
Westeingangshalle ein Farbkunstwerk von 21 Metern Höhe und 3
Metern Breite in den Farben Schwarz-Rot-Gold gestaltet. Die Farben
wurden auf die Rückseite großer Glastafeln aufgetragen
und erinnern - jedoch nicht ohne Hintersinn - an die Farben der
deutschen Bundesflagge. Aber sowohl das hochrechteckige Format als
auch die spiegelnden Glasflächen (in denen sich von einem
bestimmten "point de vue" aus die reale Bundesflagge vor dem
Reichstagsgebäude spiegelt) machen deutlich, dass es sich
nicht um die Abbildung einer Flagge handelt, sondern um ein
autonomes Farbkunstwerk. So ist es Gerhard Richter gelungen, mit
sparsamen künstlerischen Mitteln eine zurückhaltende und
gerade dadurch überzeugende künstlerische Gestaltung zu
finden.
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Der russische Künstler Grisha Bruskin ironisiert im
Clubraum in einem dreiteiligen Triptychon ideologische Mythen,
insbesondere die "Skulptur-Manie" Sowjetrußlands. Wie auf
einer Ikonenwand reihen sich 115 Einzelbilder aneinander, jeweils
eine Person als weißlich-monochromer Schemen, der erst durch
seine farbigen Attribute als Individuum identifizierbar wird, sei
es als Kolchosbäuerin mit übergroßen
Feldfrüchten, als russischer Soldat mit den Wappen von
Bundesrepublik und DDR oder als Kosmonaut mit dem Porträt von
Juri Gagarin.
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Der französische Künstler Christian Boltanski hat die
Frage nach der Wahrnehmung von Vergangenheit zum Hauptthema seines
künstlerischen Schaffens gewählt. Für das
Reichstagsgebäude hat er daher in ortsbezogener
Fortführung dieses Gedankens im Untergeschoß des
Osteingangs das "Archiv der Deutschen Abgeordneten" entworfen.
Kästen aus Metall sind mit den Namen derjenigen Abgeordneten
beschriftet, die von 1919 bis heute demokratisch gewählt
wurden. Die Kästen sind so übereinandergestapelt, dass
zwischen ihnen ein schmaler Gang entsteht, nur wenig durch
Kohlefadenlampen erhellt. Innerhalb dieses "Kellerarchivs"
entwickelt sich ein Gefühl von stiller Abgeschiedenheit bis
hin zur Klaustrophobie, während sich nach außen hin die
angerosteten Metallkästen zu einem pittoresken Muster
zusammenfügen.
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Die Düsseldorfer Künstlerin Katharina Sieverding hat
die Gedenkstätte für die verfolgten
Reichstagsabgeordenten der Weimarer Republik bereits im Jahre 1992
für das Reichstagsgebäude gestaltet. Das fünfteilige
Fotogemälde erweckt mit dem Motiv der lodernden Sonnenkorona
Assoziationen sowohl an den Reichstagsbrand und den von den
Nationalsozialisten ausgelösten Weltenbrand als auch an die
geläuterte Wiedergeburt des demokratischen Deutschland als
"Phoenix aus der Asche". Auf den Tischen vor dem Gemälde
liegen Gedenkbücher aus, die die Schicksale der einzelnen
verfolgten Abgeordneten würdigen.
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Günther Uecker hat mit dem Andachtsraum die umfassendste
künstlerische Gestaltung im Reichstagsgebäude
vorgenommen. Ihm ist es gelungen, auf der Grundlage theologischer
Überlieferungen mit sparsamen bildnerischen und
architektonischen Ausdrucksmitteln einen Raum zu gestalten, der zu
Meditation und innerer Einkehr anregt. Durch den Einbau einer zur
Seite hin offenen Zwischenwand vor den Fenstern führt Uecker
das Licht indirekt in den Raum, der auf diese Weise die mystische
Aura einer frühmittelalterlichen Krypta gewinnt. Eine Kante im
Boden zeigt die Ostrichtung an. Der zurückhaltend
ausgestaltete Raum erhält seine Akzentuierung durch kraftvolle
skulpturale Elemente wie den Altar aus sandgestrahltem Granit,
durch eigens entworfene Stühle und Bänke sowie durch
sieben hohe Holzbildtafeln, die in leichter Schräge an die
Wände gelehnt sind. Auf diesen Tafeln hat Günther Uecker
mit Nägeln, Farbe, Sand, Asche und Steinen bildnerische
Gestaltungen vorgenommen. Elementare menschliche Seinserfahrung
wird thematisiert und zu eindrucksvollen suggestiven Bildern
verdichtet.
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Der Leipziger Künstler Lutz Dammbeck hat mit seinen
"Herakles-Notizen" eine vielteilige Arbeit aus Collagen und
Überzeichnungen geschaffen. Im Mittelpunkt seiner Arbeiten
steht der immerwährende Konflikt zwischen der von der
Gesellschaft geübten Konditionierung und Disziplinierung des
Individuums auf der einen Seite und dessen notwendigem Mut zum
Widerstand und zur Selbstbewahrung auf der anderen Seite.
Der Raumeindruck der Protokoll- und Sitzungsräume im
zweiten Obergeschoß wird von den Holzpaneelen des Architekten
und deren Farbkonzeption durch den dänischen Designer Per
Arnoldi bestimmt. Für die Gestaltungen in diesen Räumen
wurden daher Künstler ausgewählt, die sich mit der Farbe
als eigenständigem Ausdrucksträger auseinandergesetzt
haben. Gotthard Graubner spielt in seinem "Kissenbild" mit den
unterschiedlichen Farbabstufungen, wie sie sich aus dem
Zusammenwirken mit den weich verlaufenden Lichtgradationen auf der
Wölbung des Farbraumkörpers ergeben.
Auch Emil Schumacher stand vor der Herausforderung, sich gegen
die dominierenden Wandpaneele des Architekten durchsetzen zu
müssen. Er bewältige diese Herausforderung, indem er
seine Malweise auf den Aluminiumplatten zu furiosen,
expressionistisch-gestischen Ausdruckslinien steigerte. In ihrer
Transparenz und kühlen Eleganz scheinen sie jedoch mit
virtuoser Beiläufigkeit gezügelt.
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Den Sitzungssaal für eines der wichtigsten
parlamentarischen Gremien, den Ältestenrat, hat der
Stuttgarter Künstler Georg Karl Pfahler gestaltet. In
Fortentwicklung seiner Serie der "Espan"-Bilder scheinen farbige
Rechtecke, mit einer geschickten optischen Täuschung
inszeniert, von den Wänden herabzufallen, ja geradezu
über die Holzpaneele hinwegzutanzen. Souverän reagiert
der Künstler auf die vorgegebenen starkfarbigen Holzpaneele
und setzt ihnen ein durchdachtes eigenes Farbkonzept entgegen, das
vom Gegen- und Miteinanderspielen der Farben, ihrer
Überlagerung und Weiterentwicklung lebt und auf diese Weise
eine eigene Farbräumlichkeit schafft. Durch Pfahlers
spezifisch süddeutschen Akzent ist das Reichstagsgebäude
um einen heiter-festlichen Raum reicher geworden.
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Die Folge der Fotos endet mit den Aufnahmen von Markus
Lüpertz. Der Maler hat sein Leinwandgemälde "1840"
bündig in die Stirnwand des Abgeordnetenrestaurants
eingelassen. Er greift Motive aus Turners Rheinreise sowie aus
eigenen früheren Werken auf und schlägt spielerisch eine
gedankliche Brücke von der Spree zum Rhein. Zugleich
läßt er Hinweise auf die Phase deutscher
Nationalstaatsgründung anklingen.
Dr. Andreas Kaernbach
Projektbetreuer "Kunst am Bau" für die Parlamentsbauten
in Berlin