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Stand: 13.07.2001
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Bundestagspräsident Wolfgang Thierse würdigt UN-Generalsekretär Kofi Annan

Sperrfrist: 13. Juli, 9.30 Uhr

Es gilt das gesprochene Wort


Bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, durch den Fachbereich "Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin (Auditorium Maximum, Henry-Ford-Bau, Garystraße 35) am 13. Juli 2001 hält Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die Laudatio und führt dabei aus:

Sehr geehrter Herr Präsident Prof. Dr. Gaehtgens,
sehr geehrter Herr Dekan Prof. Dr. Sandschneider,
sehr geehrter Herr Generalsekretär der Vereinten Nationen,

Wozu, fragt man sich, sollen wir Ihnen, Herr Annan, zuerst gratulieren: zu Ihrer Wiederwahl zum Generalsekretär der Vereinten Nationen oder zu der Ehrendoktorwürde der "Freien Universität Berlin", die Ihnen heute verliehen wird?

Am besten wird sein, Ihnen zur Wiederwahl vor allem Glück zu wünschen, denn das braucht man neben den persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten, die Sie längst bewiesen haben, auch für dieses schwierige Amt und Ihnen zur Ehrendoktorwürde herzlich zu gratulieren und Ihnen für Ihre bisherige Amtsführung Dank zu sagen.

Als die "Freie Universität Berlin" am 4. Dezember 1948 gegründet wurde, wählte sie für ihr Universitätssiegel die Worte "Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit". Dieses Motto bezog sich damals auf die konkrete politische Krisensituation in Berlin und Deutschland. Aber Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit sind zugleich universelle Werte. Welche Persön-lichkeit wäre geeigneter, den wahrhaft weltumspannenden Stellenwert von Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit zu verdeutlichen als der Generalsekretär der Vereinten Nationen?

Schon der Lebens- und Berufsweg von Kofi Annan könnte internationaler, kosmopoliti-scher kaum sein. Geboren in Kumasi in Ghana, studierte er in seiner Heimatstadt und in St. Pauls, Minnesota, Betriebswirtschaft, dann in Genf und Massachusetts Management. 1962 begann seine Karriere bei den Vereinten Nationen, damals bei der Weltge-sundheitsorganisation in Genf. Seine weiteren Stationen innerhalb der UN-Verwaltung haben ihn rund um den Globus geführt: Addis Abeba (die dortige Universität ist übrigens seit 1996 Partneruniversität der FU), Ismailea, New York und Kairo. Nachdem er sich ab 1974 als Manager für die Entwicklung des Tourismus in seinem Heimatland Ghana engagierte, kehrte er 1976 zu den UN zurück.

Im UN-Hochkommissariat für Flüchtlingswesen (UNHCR), sammelte Kofi Annan intensive Erfahrungen mit Krisen und Krisenbewältigung - Kenntnisse, die für sein nächstes Amt als stellvertretender Generalsekretär für Programmplanung, Budget und Finanzen der UN zwischen 1990 und 1996 nützlich waren. Als Untergeneralsekretär für Friedenssicherung übernahm Kofi Annan 1993 eine der politisch sensibelsten und schwierigsten Aufgaben überhaupt. Nicht weniger als 16 UN-Operationen mit etwa 75000 Blauhelmen galt es damals in aller Welt zu koordinieren - bei steigendem Bedarf an "Peace Keeping Operations" und zurückgehenden finanziellen Möglichkeiten der UN. Welch große Verdienste er sich unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen erworben hat, wurde mit seiner Wahl zum UN-Generalsekretär im Dezember 1996 deutlich. Kofi Annan ist der erste Generalsekretär, der aus der UN-Verwaltung selbst hervorgegangen ist. Die einstimmige Nominierung für eine zweite Amtszeit war die beste Bestätigung seiner klugen, umsichtigen und im wörtlichen Sinne weltweit geschätzten Amtsführung.

"Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit": diese Werte prägen die politische Arbeit von Kofi Annan. Wahrhaftigkeit und mitunter entwaffnende Offenheit zeichnen ihn in unverwechselbarer Weise aus. Der Mann, der von sich sagt, dass er als Generalsekretär der UN nicht viel mehr Mittel einsetzen kann als Überzeugungskraft und Vernunft, ist nicht nur ein Mann des Wortes, sondern vor allem ein Mann des offenen Wortes. Immer wieder nutzt er die Möglichkeiten der globalen Kommunikationsmittel, um politisches Bewusstsein zu schärfen und politisches Handeln auf den Weg zu bringen. Kofi Annan ist auf diplomatische, angenehme Weise unangenehm: er redet den Menschen und Völkern, den Regierungen und Staatschefs ins Gewissen. Beim Umweltschutz, bei der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen drängt er auf Handeln. Die Verbesserung der Stellung der Frauen ist ihm ein erklärtes Anliegen. Er fordert nachdrückliche Schritte zu Lösung der weltweiten Flüchtlingsproblematik. Die Frage der Menschenrechte hat für ihn oberste Priorität.

In seiner Berliner Rede 1999 über die weltpolitische Rolle Europas im 21. Jahrhundert hat der UN-Generalsekretär deutlich gemacht, dass politische und wirtschaftliche Großmächte mehr denn je globale Verantwortung wahrzunehmen haben. Und er hat uns Europäer eindringlich daran erinnert, dass die EU neben den östlichen auch die südlichen Nachbarn im Nahen Osten und in Nordafrika nicht aus den Augen verlieren darf. Für die Situation auf dem afrikanischen Kontinent insgesamt werden die europäischen Staaten mehr Sensibilität und Engagement beweisen müssen.

Das Streben nach "Gerechtigkeit" im juristischen, politischen und sozialen Sinn ist der zweite zentrale Wert im Denken und Handeln von Kofi Annan. Es liegt nahe, dass der erste schwarzafrikanische UN-Generalsekretär immer wieder auf die Not seines Heimatkontinentes aufmerksam macht. Damit verbindet er die Forderung nach einer Verstärkung der Entwicklungshilfe - eine Hilfe zur Selbsthilfe, die von dem Respekt vor unterschiedlichen Kulturen und Traditionen geprägt sein muss. Kofi Annan hat auch den Skandal global öffentlich gemacht, dass den 25 Millionen Menschen in Afrika, die an AIDS leiden, bezahlbare Medikamente vorenthalten werden sollten, weil weltweit agierende Pharmakonzerne um ihre Gewinne fürchteten. Dem Einsatz des Generalsekretärs der Vereinten Nationen ist es zu verdanken, dass zumindest einem Teil der kranken und notleidenden Menschen inzwischen bezahlbare Medikamente zur Verfügung gestellt werden. Die UN-Generalversammlung zur Bekämpfung von AIDS, Ihre Rede und Ihr Beitrag zum Gelingen dieser Konferenz soll hier nicht nur aus Gründen der Aktualität besonders hervorgehoben werden.

Für Kofi Annan ist Afrika jedoch nur ein Beispiel für die Folgen einer wirtschaftlichen Globalisierung, die - an rücksichtslosen kapitalistischen Kriterien orientiert - die Welt erneut in Gewinner und Verlierer aufteilt. Immer wieder legt er den Finger in diese Wunde, weist darauf hin, dass dem beispielslosen Wohlstand in den entwickelten Ländern fast drei Milliarden Menschen - also nahezu die Hälfte der Menschheit - gegenüberstehen, die von zwei US-Dollar oder weniger pro Tag leben müssen, an Hunger, Durst, Kranheiten oder Unterernährung leiden und sterben.

Kofi Annan geht es keineswegs um eine pauschale Verurteilung der gobalen Wirtschaftsentwicklung, wohl aber um die gerechte Verteilung jener Chancen, die sie eröffnet. Die Globalisierung wird nur dann der internationalen Gemeinschaft insgesamt zugute kommen, wenn sie die sozio-ökonomischen Bedürfnisse der schwächeren Weltregionen berücksichtigt. Das aber kann allein dann gelingen, wenn den benachteiligten Ländern die Möglichkeit gegeben wird, an den Gewinnen zu partizipieren, Armut durch Exporte zu überwinden. Kofi Annan fordert die Öffnung der Märkte Europas und Amerikas für die Produkte der ärmeren Länder. Und er drängt ebenso, die bestehende "Wissenskluft" zu schließen durch Bildung und Wissenschaft, insbesondere durch den Zugang zu den neuen, globalen Kommunikationstechnologien. Schließlich, so Kofi Annan, ist Verstand ein Rohstoff, der auf unserem Globus gleichmäßig verteilt ist. Es kommt darauf an, allen die Chance zu eröffnen, diese Ressource auch nutzen zu können.

"Freiheit", verstanden als Freiheit in Frieden, steht schließlich im Zentrum des politischen Wirkens von Kofi Annan. In einer Welt, die immer wieder auf's Neue von Kriegen und Bürgerkriegen, militärischen Konflikten und politischen Krisen geschüttelt wird, sind Verteidigung der Menschenrechte, Friedenssicherung und friedliche Konfliktlösung für ihn zentrale Anliegen. Die bloße Aufzählung gegenwärtiger Krisenherde und -regionen macht die Schwere dieser Aufgabe bewusst: der Nahe Osten, Nigeria, Angola, Irak, Sudan, Zimbabwe, Kosovo, Ost-Timor, Sierra Leone, Mazedonien und und und...

Kofi Annan hat sich entschieden für UN-Interventionen bei Völkermord oder schwersten Menschenrechtsverletzungen eingesetzt. Diese Forderung ist von der mitunter bitteren Erfahrung geprägt, dass die Vereinten Nationen nur so handlungsfähig sind, wie es ihre Mitglieder zulassen. Der Spagat zwischen gemeinsamen Anliegen der Völkergemeinschaft und den Interessen einzelner Staaten ist oft schwierig. Nicht selten mündet er in Hilflosigkeit und Verzweiflung. Und nicht immer waren in der Vergangenheit diejenigen Länder besonders hilfreich, die die größte weltpolitische Verantwortung tragen.

Mit der ihm eigenen Offenheit hat der UN-Generalsekretär kürzlich formuliert:

"Allzu oft versagt die internationale Gemeinschaft, wenn sie gebraucht wird. Sie versagte, als sie den Völkermord in Ruanda nicht verhindern konnte. Sie zögerte zu lange und reagierte zu schwach angesichts der grauenvollen 'ethnischen Säuberung' im ehemaligen Jugoslawien. In Ost-Timor handelte sie zu spät, um viele hundert Menschenleben zu retten..."

Diese Wahrheiten sind schmerzlich - für Kofi Annan wie für uns alle. Aber der Schmerz über das, was in Jugoslawien, in Ruanda, in Ost-Timor und anderen Krisengebieten der Welt geschehen ist, kann die internationale Völkergemeinschaft aufrütteln, soll sie zum gemeinsamen Handeln im Rahmen der UN bewegen.

Die Vorschläge zur Reform der UN-Friedenstruppen, die Kofi Annan kürzlich gemacht hat, sollen die UN in die Lage versetzen, ihre Friedensmissionen wirksamer durchführen zu können. Als entschiedener Verfechter des weltpolitischen Subsidiaritätsprinzips plädiert er dafür, die Lösung regionaler Konflikte zunächst den Organisationen der Region zu überlassen. Aber natürlich werden in einer Welt, in der alles mit allem immer stärker verknüpft ist, in vielen Fällen ohne die Vereinten Nationen auf Dauer keine tragfähigen Lösungen gefunden werden können. Deshalb ist eine Stärkung der UN unumgänglich. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer starken UN wächst in vielen Ländern der Welt - und damit Schritt für Schritt auch die Handlungsmöglichkeiten der Vereinten Nationen gegen jene, die bislang glaubten, Recht brechen, Frieden zerstören, Menschenrechte mit Füssen treten zu können. Die Auslieferung des früheren serbischen Präsidenten Milosevic an das UN-Tribunal in Den Haag ist vor allem anderen ein Sieg der Gerechtigkeit. Zugleich bedeutet er ein Fanal für alle Kriegsverbrecher und Diktatoren dieser Welt. Sie können nicht länger ungestraft über Leichen gehen, nicht ungesühnt Massenvergewaltigungen und Massenvertreibungen als Kriegsmittel einsetzen. Der 28.6. 2001, der Tag der Überstellung von Slobodan Milosevic an das Den Haager Kriegsverbrechergericht, war deshalb auch ein großer Tag für die UN. Und ich hoffe sehr, dass sich schon bald auch die Kriegstreiber Mladic und Karadzic auf der Anklagebank wiederfinden.

Es ist das erklärtes Ziel der zweiten Amtsperiode von Kofi Annan, die Handlungsmöglichkeiten der UN in diesem und anderen Bereichen internationaler Politik weiter zu stärken. Dafür wünschen wir Ihnen viel Erfolg. Die Bundesrepublik Deutschland wird Sie in Ihren Bemühungen nachdrücklich unterstützen.

Als UN-Generalsekretär verkörpert Kofi Annan durch seine Orientierung an den universellen Werten der Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit, die Hoffnungen von Millionen von Menschen in allen Teilen der Welt - Hoffnung auf eine gerechtere Weltordnung, auf die Erhaltung des Friedens und die Einhaltung der Menschenrechte, auf die Ausbreitung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit in allen Teilen unseres Globus. Für die großen Leistungen, die Sie hierfür erbracht haben, zeichnet die "Freie Universität Berlin" Sie, sehr verehrter Herr Annan, heute mit der Ehrendoktorwürde aus. Im Namen des Deutschen Bundestages gratuliere ich Ihnen von Herzen.

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Quelle: http://www.bundestag.de/bic/presse/2001/pz_010713
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