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Stand: 15.10.2002
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Rede von Bundestagsvizepräsident Dr. Hermann Otto Solms anlässlich der Trauerfeier von Wolfgang Mischnick in Kronberg-Thalerfeld am 15.10.2002

Sehr verehrte, liebe Frau Mischnick,
liebe Familie Mischnick,
sehr geehrte Trauergemeinde,

der Deutsche Bundestag trauert um Wolfgang Mischnick.

Der Deutsche Bundestag trauert um


  • den großen Parlamentarier, der die politischen Geschicke der Bundesrepublik Deutschland über nahezu ein halbes Jahrhundert mitbestimmt hat,

  • den Deutschlandpolitiker aus Herkunft und Leidenschaft und

  • den geschätzten und verläßlichen Menschen, der
    den Kollegen Ratgeber und Vorbild war,
    den jeweiligen politischen Partnern Garant für eine faire Zusammenarbeit
    und
    dem jeweiligen Gegner ein entschlossener Widersacher, der allerdings
    die Regeln des Anstandes niemals verletzte.


Wolfgang Mischnick war 37 Jahre lang Mitglied des Deutschen Bundestages. Nur wenige haben dem Bundestag so lange angehört wie er und nur wenige haben die Arbeit des Parlaments so maßgeblich beeinflußt.

Im Herbst 1957 wurde er in den Deutschen Bundestag gewählt. Von 1959 bis 1961 war er Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestags-fraktion. Von 1961 bis 1963 gehörte er als Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte dem letzten Kabinett Adenauer an.

Geprägt hat ihn jedoch nicht das Regierungsamt mit der Möglichkeit der Weisung, sondern das Parlament mit seiner Notwendigkeit des Dialogs und der Argumentation.

Rund 23 Jahre lang, von 1968 bis 1990, leitete er mit seiner ruhigen und zuverlässigen Art die Fraktion der FDP im Bundestag. Niemand hat länger als er an der Spitze einer Bundestagsfraktion gestanden und damit in wechselvoller Zeit und verschiedenen politischen Konstellationen die wichtigsten politischen Entscheidungen der Nachkriegszeit mitbestimmt:

Nach einer kurzen Zeit in der Opposition 1968 war er 13 Jahre lang Fraktionsvorsitzender in der sozial-liberalen Koalition; anschließend, von 1982 bis 1990, in der Koalition aus CDU/CSU und FDP.

II.


Ausgehend von seinen Erfahrungen in der Hitler-Diktatur war es sein größtes politisches Ziel, den Auf- und Ausbau eines freiheitlichen und sozialen Rechtsstaates durchzusetzen.

Er war davon überzeugt, daß zwischen den demokratischen Parteien die Gemeinsamkeiten gesucht und nicht die Gegensätze herausgestellt werden sollten.

Es ist deshalb kein Zufall, daß er mit Herbert Wehner und Alfred Dregger, den beiden anderen Fraktionsvorsitzenden der jeweiligen Koalitionspartner, gut zusammenarbeitete, obwohl beide äußerst unterschiedliche Persönlichkeiten waren und teilweise völlig gegensätzliche politische Positionen einnahmen.

Wolfgang Mischnick hat den Kompromiss als wichtige Grundlage der demokratischen Willensbildung gesehen. Er war in seiner Geduld und Hartnäckigkeit bei der Suche nach verantwortbaren Kompromissen von niemandem zu übertreffen. Wenn es jedoch darauf ankam und auch die letzten Kompromissmöglichkeiten ausgeschöpft waren, dann hat er mit Entschlossenheit die Konsequenzen gezogen.

Bei der Beendigung der sozial-liberalen Koalition 1982 hat er in einer bemerkenswerten Rede vor dem Deutschen Bundestag die Notwendigkeit des Koalitionswechsels begründet und hat - trotz heftiger Anschuldigungen und Unterstellungen - die Glaubwürdigkeit seines Handelns überzeugend bewiesen. An Herbert Wehner gewandt, stellte er damals fest:

"Wir haben über 13 Jahre auch bei den schwersten Gegensätzen Lösungen gefunden und sie gemeinsam durchgesetzt. Die Kompromisse haben später auch ihre Tragfähigkeit bewiesen. Es war immer ein persönlich faires Verhalten. Ich danke Ihnen dafür. ... Daß wir jetzt getrennte Wege gehen müssen, gehört zur Demokratie."

Helmut Kohl dagegen versicherte er anschließend:

"Herr Kollege Kohl, wenn die Wahl so ausgeht, wie wir es wollen, werden Sie einen fairen Partner haben, weil ich faire Partnerschaft als einen entscheidenden Teil der Glaubwürdigkeit dieser Demokratie ansehe."

Uns damals jüngeren Parlamentariern hat sich diese Art der demokratischen Konfliktbewältigung in schwerer Stunde tief eingeprägt.

III.


Sein gesamtes politisches Leben war geprägt von seinem Glauben an die Zukunft eines vereinten Deutschland. Dies ergab sich aus seinem eigenen Erleben: Die Idee einer der Freiheit verpflichteten Partei hatte den jungen, gerade von der Ostfront heimgekehrten Wehrmachtsoffizier erfaßt. Er suchte seine politische Heimat in der LDP Sachsens. In seiner Heimatstadt Dresden wirkt, schreibt und redet er - bis zu seinem Rede- und Schreibverbot. Dieser Lebensabschnitt war gewiß nicht ohne Tapferkeit und politischen Mut.

Nachdem ihm das Studium verweigert wurde, entschließt er sich, gemeinsam mit seiner späteren Frau Christine, zur Flucht. In Hessen findet er eine neue politische Heimat: Zunächst als Stadtverordneter in Frankfurt, dann als Mitglied des Hessischen Landtages und als Landesvorsitzender der FDP.

Dennoch blieb er seiner alten Heimat verbunden. Selbst in Zeiten des kalten Krieges ließ er den Kontakt nicht abreißen. Das Ziel der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit hat er nie aus den Augen verloren.

Gemeinsam mit Hans-Dietrich Genscher und anderen vertrat er stets die FDP als Partei für Gesamtdeutschland. Die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zu erleben bedeutete für ihn die Erfüllung eines politischen und persönlichen Traums.

Am 9. November 1989, dem Tag der Maueröffnung, stellte Wolfgang Mischnick in einer kurzen, unvorbereiteten Rede, die zu Recht zu den Höhepunkten seiner langen parlamentarischen Laufbahn gezählt wird, im Namen des gesamten Parlaments fest:

"Wer die ersten, unter Besatzungs-verhältnissen durchgeführten relativ freien Wahlen im September 1946 und im Oktober 1946 miterlebt hat, wer den 17. Juni 1953 miterlebt hat, den 13. August 1961 politisch aktiv miterlebt hat, den erfüllt heute eine große Hoffnung, eine Befriedigung darüber, daß wir gemeinsam den Glauben an die gemeinsame Nation nie verloren haben."

Anschließend erhoben sich die anwesenden Abgeordneten ganz spontan und stimmten die Nationalhymne an.

Damit hatte Wolfgang Mischnick sein wichtigstes politisches Ziel erreicht. Folgerichtig legte er sein Amt als Fraktionsvorsitzender zu Beginn der nächsten Legislaturperiode nieder. Für mich war es eine große Ehre und Herausforderung ihm in diesem Amt nachfolgen zu dürfen.

Es muß für ihn eine große Befriedigung gewesen sein, daß er in der 12. Legislaturperiode von 1990 bis 1994 erstmals seine Heimatstadt Dresden als frei gewählter Abgeordneter im Deutschen Bundestag noch einmal vertreten durfte.

IV.


Der unvergessene Heinz Herbert Karry sagte über seinen engen Freund:

"Die FDP hat in ihren Reihen nur wenige wie Wolfgang Mischnick, die von Anfang an mit so klaren liberalen und demokratischen Grundsätzen an die schwierigen Aufgaben herangegangen sind, wie sie sich nach dem totalen Zusammenbruch Deutschlands gestellt haben."

Das ist eine treffende Charakterisierung. Wolfgang Mischnick war nicht der Typ des politischen Moralisten.

Gesinnungsethik war nicht seine Sache. Er hat sich immer von einer Ethik der Verantwortung leiten lassen. Das gilt auch für seinen Führungsstil.

Was mich persönlich beeindruckte, war die verhaltene Leidenschaft, mit der er - äußerlich gelassen - seine sachlichen Positionen bezog und dann engagiert vertrat. Als sein Stellvertreter 1985 in den Fraktionsvorstand gewählt, konnte ich das seitdem tagtäglich miterleben.

Er hat immer jenes Maß persönlicher Integrität bewahrt, das seine Freunde, aber auch seine politischen Gegner mit Achtung und großem Respekt erfüllte.

Er hat es verstanden, sachliche Argumente mit einfühlsamer Über-zeugung zu verbinden. Dabei war für ihn - unabhängig von allen Ämtern - das Menschliche stets Maßstab seines Handelns.

Wir, die hier Abschied nehmen, danken Wolfgang Mischnick für seine Ehrlichkeit und Offenheit, mit der er sich über Parteigrenzen hinweg für sein Vaterland eingesetzt hat.

Wir danken ihm für seine Grundsatztreue und für seinen unermüdlichen Einsatz, mit dem es ihm gelang, immer wieder auch schwierigste politische Auseinandersetzungen einer Lösung zuzuführen.

Unser herzliches Mitgefühl gilt seiner Frau Christine, seiner Tochter Gudrun und seinen Söhnen Lothar und Harald sowie allen Angehörigen.

Wir werden ihn nicht vergessen und sein Andenken in Ehren halten. Er hat einen unersetzbaren Beitrag für das Ansehen des Deutschen Bundestages geleistet. Wolfgang Mischnick hat sich um die Bundesrepublik Deutschland verdient gemacht.

8.422 Zeichen

Quelle: http://www.bundestag.de/bic/presse/2002/pz_0210152
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