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November 04/1998
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Zwischen Erfahrung und Neuanfang

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Blickpunkt-Gespräch mit einem der dienstältesten Parlamentarier, Rudolf Seiters (CDU/CSU), und dem jüngsten Abgeordneten des Deutschen Bundestages Carsten Schneider (SPD) Herr Seiters, können Sie sich an Ihre ersten Tage als Parlamentarier gut erinnern?
Seiters: Ich kam 1969 als einer der jüngsten Abgeordneten nach Bonn. Die Parlamentarische Arbeit war mir als Landesvorsitzender der Jungen Union Niedersachsens und des Bundesvorstandes nicht fremd. Dennoch war vieles neu. Der ganze technische Ablauf, die Einrichtung eines Büros, die Entscheidung über eine Sekretärin, der Kampf um Ausschußsitze. Ich wurde - darauf war ich ganz stolz - sogleich Mitglied des Finanzausschusses. Vor allem aber: Ich kam in eine Umbruchsituation, mit der Situation der neuen Kollegen heute durchaus vergleichbar. Nach 20 Jahren Regierungsverantwortung mußte die Union in die Opposition, mit der wir Jüngeren uns allerdings schneller abfanden als die "Regierungsgewohnten", die das Wahlergebnis von 1969 lediglich als einen schnell zu reparierenden Betriebsunfall betrachteten.
Herr Schneider, schildern Sie Ihre Eindrücke, als Sie das erste Mal nach der Wahl nach Bonn gekommen sind und Regierungsviertel, den Bundestag und Ihre Fraktion gesehen haben?
Es war schon ein erhebender Moment, im Zentrum der Macht zu sein. Vor allem zu sehen, daß der lange Weg meiner Kandidatur zum Erfolg geführt hat. In der Fraktion traf ich teilweise auch auf Skepsis, auch wegen des Medienrummels. Ich werde versuchen, durch meine Arbeit im Bundestag zu überzeugen, so wie ich auch im Wahlkreis überzeugt habe.
Was war das einprägsamste Erlebnis der ersten Tage?
Ein sofortiges Treffen mit Rudolf Scharping und die sehr herzliche Aufnahme in der Fraktion.
Herr Seiters, was war Ihr einprägsamstes Erlebnis?
Seiters: In meiner ersten Legislaturperiode die - jedenfalls sprachlich - beeindruckende Regierungserklärung von Willy Brandt "Mehr Demokratie wagen", der Kampf um die Ostverträge und das konstruktive Mißtrauensvotum 1972, dessen Begleitumstände ich hautnah als gerade frisch berufener jüngster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion miterleben konnte.
Welche Ratschläge kann der erfahrene Parlamentarier einem MdB-Youngster geben?
Ohne Fleiß, konsequente Arbeit, ohne die Bereitschaft zu lernen funktioniert die parlamentarische Demokratie auf Dauer nicht. Im übrigen sollen sich die neuen Kollegen und Kolleginnen auf eine lebendige parlamentarische Arbeit freuen. Der Beruf des Abgeordneten ist einer der schönsten, vielseitigsten und anspruchsvollsten, den es gibt.
Und welche Erwartungen hat der MdB-Youngster an den Parlamentsbetrieb?
Daß man als Palamentsneuling die Möglichkeit hat, seine Ideen, Vorschläge und Meinungen einzubringen und daß man gehört wird. Es muß für neue Abgeordnete die Möglichkeit geben, in den Parlamentsbetrieb frischen Wind zu bringen und für Transparenz zu sorgen.
Ist die Parlamentsarbeit heute noch attraktiv?
Ich habe in jeder Legislaturperiode Entscheidungen mitbeeinflussen können. Jedes Gesetz hat Auswirkungen auf Menschen, ihre persönliche Lebenssituation, und dadurch, daß Rahmenbedingungen verändert wurden. Das ist nach wie vor eine lohnenswerte Aufgabe. Und die parlamentarische Debatte, die Macht des Wortes, kann Meinungen beeinflussen, Mehrheiten schaffen, Stimmungen verändern und zum Rechts. Und Wertebewußtsein beitragen. Parlamentsarbeit ist auch heute attraktiv.
Im Parlament gibt es die Möglichkeit der Gestaltung der Gesellschaftspolitik und die Mitwirkung bei Reformprozessen. Das ist für mich durchaus attraktiv.
Wo sehen Sie Reformnotwendigkeiten im Parlaments-alltag?
Bei der Repräsentation von parlamentarischen Minder-heiten und der parlamentarischen Abgeordneten-hierarchie.
Ziel muß sein, die parlamentarischen Debatten auf die großen Fragen der Nation, auf die für den Wähler entscheidende Alternative zwischen den demokratischen Parteien zu konzentrieren - und dies in einer möglichst lebendigen Form. Der Fernsehkanal "Phoenix" hat in den letzten Monaten verschiedentlich geradezu faszinierende Parlamentsdebatten wiederholt. Ganz wichtig auch: das Ringen um Gewissensentscheidungen in bestimmten Politikbereichen, in denen fraktionsübergreifend abgestimmt wird.
Was bedeutet das konkret?
Seiters: Ständiges Ziel muß bleiben, das Parlament von sogenannten Ausschußberatungen zu entlasten und bei allem notwendigen parlamentarischen Reglement - einschließlich der Festlegung von konkreten Redezeiten - den interessanten parlamentarischen Schlagabtausch zu erleichtern.
Können Sie sich vorstellen, gegen die Fraktionssolidarität abzustimmen?
Wenn es um originäre Interessen meines Wahlkreises oder der Menschen in den neuen Ländern geht, kann ich mir auch vorstellen, gegen die Fraktionsmehrheit abzustimmen. Aber ich denke, daß insbesondere die Probleme der neuen Bundesländer in der SPD-Fraktion gut aufgehoben sind.
Im Spannungsfeld der Artikel 21 und 38 des Grundgestzes muß der Abgeordnete natürlich seinem Gewissen folgen. Keine Fraktion wird ihn daran hindern dürfen. Aber in allen anderen Bereichen muß er sich begreifen als Teil seiner Fraktion, von der der Wähler erwartet, daß sie schlagkräftig und am Ende eines Diskussionsprozesses einheitlich auftritt.
Welche Note geben Sie der Arbeit des Bundestages?
Der Bundestag hat großen Anteil daran, daß unser demokratischer Rechtsstaat sich in den vergangenen 50 Jahren beispielhaft entwickelt und gefestigt hat. Das demokratische Wechselspiel von Macht und Verantwortung funktioniert völlig normal und ohne Erschütterungen. Die hohe Beteiligung an den Wahlen, zuletzt über 80 Prozent am 27. September, zeigt zusätzlich gelebte Demokratie. Und: Der Bundestag kann stolz sein auf eine Fülle von herausragenden Parlamentariern aus allen demokratischen Lagern.
Schneider: Ich bin neu in Bonn und kann mir eine Beurteilung noch nicht erlauben.
Darf Politik zum Beruf werden?
Seiters: Es wäre wünschenswert, wenn sich eine politische Tätigkeit auch mit anderen Aufgaben verbinden ließe. Das ist aber auf Bundesebene schon aus Zeitgründen nicht immer möglich. Wichtig ist, daß der Politiker aufbauen kann auf eine gute Berufsausbildung und daß er die Unabhängigkeit hat, jederzeit in seinen Beruf zurückzukehren.
Herr Schneider, Sie haben das letzte Wort.
Schneider: Politik ist Berufung.
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9804/9804036
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