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Dezember 05/1998
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Vom Provisorium zum Denkmal

Langer Eugen

Morgens fallen die Busse ins Regierungsviertel ein, um die Bürger so nah wie möglich an das Macht- und Schaltzentrum der Bundesrepublik heranzubringen: "Rechts sehen sie das Bundeskanzleramt, links den neuen Bundestag, erbaut ..." Doch meist sehen die Besucher nur einen kleinen Ausschnitt von der Macht am Rhein, die zum Beispiel in der Tagesschau über den heimischen Bildschirm flimmert. Das Kanzleramt zum Beispiel scheint hinter seiner durchbruchsicheren Sperre unerreichbar, im Plenarsaal eine Ruhe, die man aus dem Fernsehen nicht kennt. Und vom Gedränge der Journalisten, wenn die Fraktionschefs Peter Struck und Wolfgang Schäuble eine Tür öffnen, keine Spur.
"Um 13 Uhr nehmen wir unser Mittagessen im 'Langen Eugen' ein", werden die Besucher aufgeklärt. Hinauf in den 29. Stock, zum höchsten Restaurant der ehemaligen Bundeshauptstadt. Hier, wo deutsche Küche in der Luft liegt und die Romantik des Mittelrheins dem Betrachter zu Füßen fließt, sind die Besucher aus den Wahlkreisen der Macht am nächsten. In den 28 Etagen darunter stellen 1.500 Menschen die Weichen für das Wohl und Wehe der deutschen Republik. In den 20 Sitzungssälen werden Kompromisse gesucht und nicht immer gefunden, über die Landesverteidigung wird im abhörsicheren Saal des Verteidigungsausschusses diskutiert, und in den Abgeordnetenbüros arbeiten zwei Drittel der Mitglieder des Bundestages. Im "Langen Eugen" wird Politik gemacht. In einem Denkmal.

Internationaler Stil

"Der 'Lange Eugen' ist die deutliche Abkehr von der monumentalen Staatsarchitektur", beschreibt die Kölner Denkmalschützerin Regine Schlungbaum den Einschnitt in die Vorstellungen staatlichen Bauens, den der damalige Star-Architekt Egon Eiermann durch den Verzicht auf Pathos und bauliche Hierarchie bewerkstelligte. Sein 112,5 Meter hohes Werk steht in der Tradition des seit den 20er Jahren maßgeblich von Mies van der Rohe und Le Corbusier entwickelten Internationalen Stils ? und darf sich seit Januar 1998 ganz offiziell mit dem nordrhein-westfälischen Schildchen "Baudenkmal" samt Landeswappen schmücken. Ein Beispiel für schlichte, demokratische Baukultur, die schon vor 30 Jahren mit einer Fassade aus Stahl und Glas auf Transparenz setzte, als dies noch nicht Mode war und in deutschen Städten gleich reihenweise massige Betonklötze entstanden.
Daß sich der Kölner Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes und seine für den Denkmalschutz von Landes- und Bundesbauten zuständige Expertin Regine Schlungbaum für den Bau interessierten, hat jedoch nichts mit dem Umzug nach Berlin zu tun, der bald Möbelpacker ins Haus bringen und eine unheimliche Stille in den Sitzungssälen und Abgeordnetenbüros verbreiten wird. Die Planungen für ein zweites Hochhaus, das die Deutsche Post AG als Konzernzentrale neben dem "Langen Eugen" plazieren will, rief die Kölner Aufseher auf den Plan. "Ein zweites Hochhaus kann die herausragende städtebauliche Bedeutung und architektonische Wirkung des Abgeordnetenhauses beeinträchtigen", fürchtet Regine Schlungbaum, deren Abteilung gerade die Bauwerke der 50er Jahre abgearbeitet hat und sich jetzt erst den schützenswerten Bauwerken der 60er widmet. Der "Lange Eugen" ist ein 69er und hätte eigentlich noch warten müssen. Doch die Zeit drängt. Umzug und Deutsche Post schaffen vollendete Tatsachen. Im Regierungspräsidium ließ man verlauten, man rechne im Zuge der Bürgerbeteiligung mit Einsprüchen aus der Bevölkerung. Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes war jedoch zu keiner öffentlichen Stellungnahme zu diesem Thema bereit.

Schwierige Geburtsstunde

Schon die Geburtsstunde des "Langen Eugen" war schwierig. Denn das Provisorium Bonn sollte im Nachkriegsdeutschland keinesfalls durch Bauwerke zur endgültigen Hauptstadt ausgebaut werden. Andererseits ließen die räumlichen Verhältnisse zu wünschen übrig. Der damalige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier sprach von einer "qualvollen Enge", Bundeskanzler Konrad Adenauer sagte Ende 1964 in einem Interview, auch eine provisorische Hauptstadt müsse "voll funktionsfähig sein, weil sie sonst ihren Dienst am deutschen Volk einfach nicht erfüllen kann".
1961 begann der Bundestag mit der Aufstellung eines Bauprogramms für Bundesbauten, in dessen Zusammenhang 1962 auch die Entscheidung für ein neues Abgeordnetenhaus fiel. Dennoch war die Sache wegen ihrer symbolischen Bedeutung offenbar so heikel, daß der Bundestag auf einen öffentlichen Wettbewerb verzichtete und sofort die renommierten Architekten Egon Eiermann, Paul Baumgarten und Sep Ruf beauftragte.

Bewusster Verzicht auf Hierarchie

Umstritten war allerdings, ob man sich für ein platzsparendes Hochhaus oder einen flächigen Baukörper entscheiden sollte. Während Eiermann einen Flachbau präferierte, machte sich Eugen Gerstenmaier für ein Hochhaus stark ? und setzte sich durch. Daß sich ausgerechnet Gerstenmaier mit einer Körpergröße von 1,68 Meter für ein Hochhaus einsetzte, ließ selbstredend den rheinischen Volksmund nicht ruhen und machte aus Gerstenmaiers Kind den "Langen Eugen". Den Anspruch des Bundestages nach einer gebauten Rücksichtnahme und einem gewollten Bruch mit der Monumentalarchitektur der 30er und 40er Jahre löste Eiermann nicht nur durch die Verwendung von Stahl und Glas, sondern durch bewußten Verzicht auf jede hierarchische Gliederung seines Hochhauses. Aus der räumlichen Ureinheit des Gebäudes, dem Abgeordnetenzimmer, entwickelte er seine sich auch in der Fassade widerspiegelnde, völlig unhierarchische Organisation des Hauses, das damit zu einem "anschaulichen Beispiel für das Verständnis demokratischen Bauens der jungen Bundesrepublik geworden ist", so Schlungbaum. "Durch ihre filigrane Ausführung gewinnt die Fassade eine spielerische Leichtigkeit und gleicht einem luftigen Vorhang mit Licht- und Schattenspiel. Horizontale Blenden und vertikale Tragstangen verleihen dem Bau Lebendigkeit und Organik."

Neues Wahrzeichen Bonns

Dabei hatte Eiermann nicht einmal viel Zeit für sein Meisterwerk. Im März 1965 erhielt er den Auftrag für die Erstellung des Entwurfes und die künstlerische Leitung, der Grundstein wurde am 29. August 1966 gelegt. Das Richtfest folgte schon am 10. Mai 1968, die Abgeordneten bezogen das neue Wahrzeichen Bonns von Februar bis November 1969. In dieser kurzen Zeit schuf Eiermann nicht nur den Baukörper, sondern auch die gesamte Innenausstattung.
Dabei mußte Eiermann ausdrücklich den "provisorischen Charakter" des Gebäudes berücksichtigen, das später auch für andere Zwecke nutzbar sein sollte. Im Oktober 1965 sagte der Architekt im "Bonner General-Anzeiger": "Wenn ich eine Universität zu planen hätte, würde ich sie ungefähr so bauen wie das vorliegende Projekt ... Die geplanten Sitzungssäle sind herrliche Hörsäle, die Abgeordnetenräume können als Instituts- und Seminarräume genutzt werden, ein Plenarsaal schließlich ist ein herrliches Auditorium Maximum." Das Präsidium des Bundestages schlug vor, im Fall eines Umzuges nach Berlin das Gebäude internationalen Organisationen anzubieten oder als Militärakademie der NATO zu nutzen. Pläne, die auch heute als Ausgleich für die Bonner Region im Gespräch sind. Nur daß damals kaum jemand glaubte, daß solche Vorschläge einmal eine Rolle spielen würden...

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9805/9805073
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