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Oktober 09/1999
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Streit um die Gesundheitskosten

Reformkonzept der Regierung im Kreuzfeuer

Hand voll Tabletten

Im Mittelpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzungen im Deutschen Bundestag steht in diesem Herbst die von der Regierungskoalition geplante Gesundheitsreform. Erklärtes Ziel von SPD und Bündnisgrünen ist es, der Kostenexplosion im Gesundheitswesen entgegenzuwirken und eine Versorgung der Versicherten im Krankheitsfall auf qualitativ hohem Niveau sicherzustellen. Gleichzeitig sollen die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung stabil gehalten werden. Dies soll vor allem durch die Aufstellung eines so genannten Globalbudgets geschehen, das die Gesamtausgaben durch Gesetz begrenzt und an den Ausgaben des Jahres 1998 orientiert. Die Oppositionsfraktionen lehnen das Koalitionskonzept entschieden ab, weil es ihrer Meinung nach die Qualität der medizinischen Versorgung vor allem für die sozial Schwächeren beeinträchtigen würde. Im Forum von Blickpunkt Bundestag beziehen die Vertreter der Bundestagsfraktionen Stellung.

Gudrun Schaich-Walch, SPD
Gudrun Schaich-Walch, SPD

Der Hausarzt als Lotse des Patienten

Ziel der Gesundheitspolitik der Bundesregierung ist es, die bestehende leistungsfähige Gesundheitsversorgung für alle zu erhalten und weiter zu entwickeln. Dies geht ohne Kürzung der bisherigen Leistungen und ohne Erhöhung der Zuzahlungen und der Versicherungsbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung. Voraussetzung dafür sind allerdings notwendige strukturelle Veränderungen in unserem Gesundheitswesen.

Ärztliche Versorgung intelligenter gestalten

Die ärztliche Versorgung der Patienten muss intelligenter gestaltet werden. Dafür brauchen wir einen bestens ausgebildeten Hausarzt, der in der Lage ist, die Beschwerden seiner Patienten in der Weise zu diagnostizieren, dass er sie selbst behandeln kann oder die entsprechende Überweisung in den fachärztlich zuständigen Bereich in die Wege leitet. Wir haben dies mit dem Bild des Lotsen versehen, um deutlich zu machen, dass das Ziel ist, Patienten schnell und sicher auf den für ihre Gesundung richtigen Weg zu bringen. Die Wahl des Arztes werden wir nicht beschränken, sondern über die Stärkung der Position des Hausarztes innerhalb der ärztlichen Selbstverwaltung und seine Qualifikation diesen Weg attraktiv gestalten.

Die Abstimmung und Koordination der therapeutischen Maßnahmen soll von den Krankenkassen gefördert werden. Damit soll nicht nur die Schnelligkeit des Prozesses von der Diagnose bis hin zur Genesung gefördert werden, sondern auch unnötige doppelte Untersuchungen mit den dadurch entstehenden überflüssigen Kosten vermieden werden.

Solch eine Verzahnung der Aufgaben wollen wir auch zwischen ambulantem und stationärem Bereich, denn die strikte Trennung ist ein Hemmschuh für die optimale Behandlung der Patienten. Deshalb sollen Krankenhäuser eingeschränkt an der ambulanten Versorgung teilnehmen. Dies ist beispielsweise wichtig, um in ländlichen Regionen, in denen hochspezialisierte Fachärzte nicht vorhanden sind, auf eventuelle Kapazitäten in Krankenhäusern zurückgreifen zu können. Aber auch der umgekehrte Weg muss eröffnet werden, um den niedergelassenen Ärzten die Möglichkeit zu geben, für eine befristete Zeit ihre Patienten im stationären Bereich behandeln zu können.

Überkapazitäten müssen abgebaut werden

Überkapazitäten, die den Gesundheitsbetrieb unnötig verteuern, sollen abgebaut werden. Dies trifft für Krankenhausbetten ebenso zu wie für Großgeräte (Röntgengeräte etc.) und Arztsitze. Realität ist, dass auch im medizinischen Bereich die volkswirtschaftliche Regel zutrifft, nach der das Angebot die Nachfrage bestimmt. Daher ist es auch wichtig, konsequent die Hoheit über das vorhandene Angebot an Leistungen demjenigen zu geben, der schließlich zahlen muss, und das sind die Krankenkassen.

In einem System, das dergestalt verändert ist, wird sich die Qualität der Versorgung verbessern und eine sinnvollere Ausgabensteuerung möglich sein. Von den vielen Haushaltstöpfen wollen wir weg hin zu dem sog. Globalbudget. Es gilt für die Zukunft, dass nur ausgegeben werden kann, was von den Krankenkassen auch eingenommen wird. Die Summe aller Einkommen einer Kassenart auf Landesebene ergibt das Globalbudget. Es wächst jährlich entsprechend der Grundlohnsummensteigerung. Diese wird für das Jahr 2000 ca. zwei Prozent betragen. Bei ca. 250 Mrd. DM in 1999 ist das ein Zuwachs von ca. fünf Mrd. DM. Diese zur Verfügung stehenden Gelder werden aber nicht mehr per Gesetz beispielsweise für den Krankenhausbereich oder den Arzneimittelbereich festgeschrieben, sondern werden künftig je nach Notwendigkeit zwischen den einzelnen Versorgungsbereichen hin und her geschoben werden können.

Wolf Bauer, CDU/CSU
Wolf Bauer, CDU/CSU

Kaum Spielraum für Fortschritt in der Medizin

Der zentrale Punkt der Gesundheitsreform der Regierungskoalition ist ein Globalbudget. Erfahrungen haben allerdings gezeigt, dass ein solches Globalbudget für die Lösung der Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung unbrauchbar ist. Denn ein Globalbudget führt zwangsläufig zu einer Rationierung medizinischer Leistung. Und durch eine solche Rationierung ist der Weg in eine Zwei-Klassen-Medizin vorgegeben. Vor allem chronisch Kranke und wirtschaftlich schwache Patienten können die negativen Folgen eines Globalbudgets nicht abwehren. Die Qualität der medizinischen Versorgung muss sich aber sowohl an den Schwachen als auch an den so genannten "unattraktiven Problempatienten" messen lassen.

Ein Globalbudget ist keine adäquate Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft und auf die wachsenden Ansprüche an das System. Einerseits lässt es kaum Spielraum für medizinischen Fortschritt mit den erweiterten Möglichkeiten in Diagnose und Therapie. Und andererseits ignoriert es die demographische Entwicklung, die durch die Abnahme junger aktiver Beitragszahler und die Zunahme älterer - und damit in der Regel kränkerer - Versicherter gekennzeichnet ist. So weisen Prognosen darauf hin, dass die Zahl der über 70-jährigen Patienten im Jahr 2008 im Vergleich zu 1997 um bis zu eine Million höher liegen wird.

Globalbudget führt in die Zwei-Klassen-Medizin

Experten erwarten von einem Globalbudget keine Einsparungen in relevanter Höhe. Im Gegenteil: Durch die unvermeidbare Aufnahme weiterer Leistungen wird eine Einhaltung des Budgets als äußerst unwahrscheinlich eingeschätzt. Unrealistisch, da praktisch nicht umsetzbar, ist zudem, dass das Globalbudget die Kassen verpflichtet, Überschreitungen in den nächsten zwei Jahren zurückzuholen.

Mit Recht weisen die Gewerkschaften darauf hin, dass die Einführung eines Globalbudgets einen Eingriff in die Tarifautonomie bedeutet. Wie soll z.B. das Problem gelöst werden, wenn die Tarifabschlüsse der ÖTV im Krankenhausbereich höher liegen als die normale Grundlohnentwicklung? In den neuen Bundesländern liegt die Grundlohnentwicklung in diesem Jahr bei minus 0,48 Prozent, was zur Folge hätte, dass man dort im kommenden Jahr mit weniger Geld auskommen müsste, unabhängig vom gestiegenen Versorgungsbedarf der Bevölkerung.

Ein Globalbudget ist verfassungsrechtlich bedenklich. Und das nicht zuletzt deshalb, weil eine Kollektivhaftung der Ärzte nicht hinnehmbar ist. Auch führt die strikte Bindung an eine zu gewährleistende Beitragsstabilität zu einem verfassungswidrigen Systembruch, weil den Versicherten die notwendigen Leistungen durch das 5. Sozialgesetzbuch zugesichert worden sind, die Leistungserbringer diese aber nicht gewährleiseten können.

Koalition auf dem Weg in eine Sackgasse

Die Globalbudget-Regelung räumt dem Wachstumsmarkt Gesundheit nicht den nötigen Entwicklungsspielraum ein, der diesem Markt in seiner Bedeutung gegenüber anderen Wirtschaftssektoren zukommt. Das Gesundheitswesen ist ein wichtiger Standortfaktor in der deutschen Volkswirtschaft. Die Dynamik des Wachstumsmarktes Gesundheit wirkt sich auch auf der Einnahmenseite der GKV und damit auf ihre Leistungsfähigkeit im Hinblick auf eine dem Wohlstand angemessene Gesundheitsversorgung der Versicherten aus. Rigide Strukturen wie ein Globalbudget führen das System der GKV in eine Sackgasse.

Die Vorgabe eines Globalbudgets ist also reine Kostendämpfung und keine Strukturreform und führt daher nicht zum erforderlichen zukunftsorientierten Umbau unserer GKV. Der bessere Weg ist - so wie von der CDU/CSU bevorzugt - eine intelligente Steuerung der Ausgaben in Form von Richtgrößen und Regelleistungsvolumina. Dass dieser Weg der richtige ist, zeigen die Erfolge der letzten Jahre, in denen eine von CDU/CSU und F.D.P. geführte Bundesregierung den Abbau eines Sechs-Milliarden-Defizits der GKV in 1996 erreicht hat. In 1997 und 1998 wurde sogar ein Überschuss von jeweils 1,1 Milliarden DM erwirtschaftet.

Katrin Göring-Eckardt, B'90/Die Grünen
Katrin Göring-Eckardt, B90/Die Grünen

Gesundheit solidarisch finanzieren

Wenn am 31. Dezember das Jahr 1999 zu Ende geht, wird dies nicht nur mit dem Wechsel in ein neues Jahrtausend, sondern auch dem Beginn einer neuen Ära in der Gesundheitspolitik einhergehen. Gesundheitsreform 2000: Hagelte es in den vergangenen Wochen und Monaten auch harsche Kritik zu diesem Thema, konnte diese doch mittlerweile auf vielen Ebenen in eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Beteiligten umgewandelt werden, wenn auch beileibe längst noch nicht alle Vorwürfe, mit der 2000er Reform begebe man sich auf einen "gesundheitspolitischen Holzweg", ausgemerzt werden konnten. Was soll sie nun bringen, die Gesundheitsreform 2000? Wohl selten bei einem politischen Thema lagen in jüngerer Zeit Erwartungen und Befürchtungen so dicht beieinander.

Für ein kreatives Dreiecksverhältnis

Mit dem Gesetzentwurf tragen wir dem Reformbedarf im Gesundheitssystem Rechnung. Erklärtes Ziel ist das Bestehen eines solidarisch finanzierten Systems auf lange Frist. Erst, wenn es gelingt, ein System zu gestalten, in dem nicht Leistungserbringer auf der einen und Kassen auf der anderen Seite miteinander aushandeln, womit Versicherte und Patienten am Ende klarkommen müssen, kann man tatsächlich von Solidarität reden. Was in einer Liebesbeziehung meist nicht funktioniert, hier ist es das Ziel: ein kreatives Dreiecksverhältnis, in dem Leistungserbringer, Kassen und PatientInnen gleichberechtigt sind. Letztere in den Mittelpunkt zu stellen und die Beitragszahlungen nicht über Gebühr zu strapazieren ist eines der Hauptanliegen der Reform. Dabei geht es nicht darum, einen Poker um mögliche Konsequenzen für die im Gesundheitswesen Beschäftigten zu initiieren, sondern den Wettbewerb um Qualität innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu fördern, der am Ende allen Beteiligten zugute kommt.

Insbesondere von Seite der Krankenhausträger wurden Vorwürfe laut, Einsparungen würden dann automatisch mit Kündigungen, zuvorderst im Pflegebereich, einhergehen. Dass diese Vorwürfe nicht haltbar sind, beweisen Gespräche mit Pflegekräften selbst: Oft entstehen gerade hier Gedanken, wie sinnvolle Ressourcen im Krankenhausbetrieb erschlossen werden können. Darüber hinaus wächst der Gesundheitsbereich wie kaum eine andere Branche, denn immer mehr Menschen, und nicht nur die Besserverdienenden, investieren in ihre Gesundheit.

Behandlung zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Das von den Regierungsfraktionen vorgeschlagene Globalbudget wird in jedem Jahr entsprechend der Grundlohnsummensteigerung anwachsen - in Ost und West gleichermaßen. Neue Versorgungsformen auf den Weg bringen, die notwendigen Leistungen erbringen und Reserven erschließen, das ist der Weg, der beschritten werden soll. Dafür bietet die globale Budgetierung neue Chancen: Endlich legt die Politik nicht mehr fest, wie viel Geld in welchem Bereich ausgegeben wird. PatientInnen werden zur richtigen Zeit am richtigen Ort behandelt, weil das Geld der Leistung folgt, auch zwischen den Sektoren. Auch wird es für PatientInnen wieder attraktiver werden, die Praxis des Hausarztes aufzusuchen.

Zum Schluss noch einige Worte zur Positivliste: Nicht Einsparungen an falscher Stelle, sondern die Schaffung von Transparenz und die Sicherung von Qualität sind das Ziel. Das gilt für die Mittel der besonderen Therapierichtungen ebenso wie für die anderen Arzneimittel. Beide Gruppen werden nach je unterschiedlichen Kriterien bewertet - entscheiden wird auf jeden Fall ein Expertengremium, unabhängig von den Politikern.

Dieter Thomae, F.D.P.
Dieter Thomae, F.D.P.

Bevormundung, Reglementierung, Budgetierung

Immer mehr Menschen werden immer älter. Immer mehr Krankheiten können immer besser behandelt werden. Doch jetzt setzt die rotgrüne Bundesregierung alles daran, mit staatsdirigistischen Maßnahmen im Gesundheitswesen einzugreifen und damit die medizinische Versorgung auf Kosten der Lebensqualität jedes kranken Menschen zu senken.

Ärzte werden zu Mangelverwaltern

Staatliche Bevormundung, Reglementierung und Budgetierung, die SPD und Grüne mit dem Vorschaltgesetz zum 1. Januar dieses Jahres eingeführt haben und mit der Gesundheitsreform 2000 nahtlos fortsetzen werden, führen in die Sackgasse. Starre Budgets machen die Ärztinnen und Ärzte zu Mangelverwaltern auf dem Rücken ihrer Patienten. Damit muss Schluss sein! Insbesondere auch deshalb, weil im rot-grünen Gesetzentwurf an anderer Stelle Maßnahmen vorgesehen sind, die ohne bedeutende Mehrkosten nicht umzusetzen sind, so zum Beispiel die Ausweitung der Kontrollen, der Datensammlung und -aufbereitung.

Nur ein freiheitliches, transparentes und unbürokratisches Gesundheitswesen mit Wahlfreiheiten für Patienten und Versicherte, mit Therapiefreiheit und freiberuflicher Unabhängigkeit der Ärzte sichert den hohen Standard im Gesundheitswesen. Zugleich droht die Gefahr, dass einer der wenigen Wachstumsmärkte, die wir noch haben, gnadenlos abgewürgt wird, und das, obwohl durchaus ein Großteil der Menschen bereit wäre, mehr Geld dafür auszugeben, im Krankheitsfall optimal abgesichert zu sein.

Gegen Monopolstellung der Krankenkassen

Wir setzen uns dafür ein, dass in Zukunft die Kassen in den Gremien keine Monopolstellung haben. Die Liberalen wollen feste Preise für ärztliche Leistungen - Ärztinnen und Ärzte müssen im Voraus wissen, was sie für eine Behandlung erhalten. Wir wollen mehr Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, damit diese gezwungen sind, ihren zum Teil unsinnigen Verwaltungsaufwand zugunsten der medizinischen Versorgung zu reduzieren. Medizinische Leistungen sind wichtiger als bürokratischer Luxus. Die Freie Demokratische Partei will die Freiberuflichkeit als konstitutives Element unseres Gesundheitswesens erhalten - nur sie garantiert patientenorientiertes Handeln.

Rotgrün will den Krankenhäusern mit einer Fehlbelegungsabgabe und durch Reduzierung des Budgets erhebliche Mittel entziehen. Wir Liberalen wollen aber eine Krankenhausstruktur, die sich an den Bedürfnissen der Bürger und der Qualität der Versorgung orientiert.

Die so genannte Gesundheitsreform verdient ihren Namen nicht. Sie stoppt weder den Kostenanstieg im Gesundheitswesen, noch sichert sie eine ausreichende Versorgung der Patientinnen und Patienten. Ärztinnen und Ärzte zwingt sie zur Rationierung von Gesundheitsleistungen. Diese unsinnige Politik muss gestoppt werden. Die F.D.P. wird alles daransetzen, im Bundesrat zu verhindern, dass unser Gesundheitssystem in Dirigismus abgleitet.

Ruth Fuchs, PDS
Ruth Fuchs, PDS

Keine passende Antwort auf die Herausforderung

Die wichtigste Aufgabe einer Gesundheitsreform besteht nach unserer Überzeugung in der Verteidigung und Erneuerung einer sozial gerechten und humanen Gesundheitsversorgung auch unter veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Wir befürworten deshalb, dass an den Grundsätzen einer solidarischen Absicherung des Krankheitsrisikos festgehalten werden soll. Auch das Ziel, Unwirtschaftlichkeiten durch Strukturreformen zu beseitigen, die mehr Kooperation und Effektivität im Gesundheitswesen ermöglichen sollen, halten wir für richtig.

Mangelnde Einnahmen werden immer mehr zum Problem

Die Regierungskoalition knüpft an die vorgesehenen Strukturveränderungen allerdings die Erwartung, sofort mit geringst möglichen Finanzzuwächsen auszukommen. Damit geht sie nicht von realistischen Voraussetzungen aus. Während Rationalisierungsreserven bestenfalls schrittweise erschließbar sind, besitzt das Gesundheitswesen nicht nur Überkapazitäten und Unwirtschaftlichkeiten, sondern auch große Felder mit Unterversorgung und Nachholbedarf. Deshalb ist es ein Trugschluss, Beitragsstabilität mit einem Globalbudget erreichen zu wollen, welches lediglich an die jährlichen Steigerungsraten der Grundlohnsumme gebunden ist. Die GKV hat bekanntlich nicht nur ein Ausgaben-, sondern vor allem ein zunehmendes Einnahmenproblem. Das Gesundheitswesen wiederum ist ein Wachstumssektor, für den die finanziellen Aufwendungen weiter zunehmen müssen. Wer hier Reformen mit harten Budgetierungen einleitet, verkennt die ökonomische Stellung dieses Bereiches im Gesamtgefüge der Wirtschaft als ein klassischer personenbezogener Dienstleistungssektor.

Schon im laufenden Jahr sind vor allem in Ostdeutschland Ärzte, Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen im Ergebnis grundlohnorientierter Budgetierungen mit ernsten Finanzproblemen konfrontiert. Androhung von Personalabbau und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen sowie von Abstrichen bei der medizinischen Leistungsfähigkeit sind die Folge. Hier zeigt sich, dass auch die gegenwärtige Gesundheitsreform keine adäquate Antwort auf die gesundheitspolitischen Herausforderungen darstellt.

Versicherungspflichtgrenze muss angehoben werden

Das Gesundheitswesen braucht u. E. nicht nur Strukturreformen, um Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen, sondern auch eine Erweiterung seiner Finanzierungsbasis. Zugleich muss sich die Bundesregierung endlich den besonderen Finanzierungsproblemen in Ostdeutschland stellen und die Ungleichbehandlung der Beschäftigten in den Gesundheitseinrichtungen in Ostdeutschland beenden.

Beitragsstabilität kann gewährleistet werden, wenn die Solidargemeinschaft der Versicherten finanziell gestärkt wird. Diesem Ziel dienen eine Anhebung der Versicherungspflichtgrenze, die Einbeziehung aller Bevölkerungsschichten im Sinne einer allgemeinen Versicherungspflicht und weiteres mehr. Zugleich wird es notwendig sein, gesundheitliche Leistungen schrittweise stärker auch aus Steuermitteln mitzufinanzieren. Dies ist allerdings das Gegenteil von dem, was die Koalition jetzt beim Übergang zur monistischen Krankenhausfinanzierung vorhat, wo das Gemeinwesen auf Kosten der GKV weiter aus seiner finanziellen Verantwortung entlassen werden soll. Im Übrigen gilt für die GKV ebenso wie für die anderen Sozialsysteme: Wer ihren solidarischen Charakter bewahren will, muss die Einnahmen von ihrer alleinigen Lohnbezogenheit lösen, Arbeitslosigkeit wirksam bekämpfen und den gesellschaftlichen Reichtum gerechter verteilen.

Die Gesundheitsreform 2000 aber ist nahtlos in die zunehmend wirtschaftsliberale Gesamtpolitik der rotgrünen Regierung eingeordnet. Einer humanen Gesundheitsversorgung kann dies nicht dienlich sein.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9909/9909057
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