menschen im bundestag
Elke Schwalbach ist Fotografin im Bundestag und somit Chronistin einer öffentlichen Welt
Momentaufnahme vor dem Südeingang
Aus welchem Grund auch immer – man verabredet sich fast nie am Südeingang des Reichstages. Nordeingang ja, da kann man gleich sehen, ob sie mit dem Bauen weitergekommen sind. Westeingang, wenn sich so ein kleines erhabenes Gefühl einstellen soll, Osteingang am Morgen und bei Hochdruckwetter. Aber Südeingang? Der ist irgendwie unspektakulär. Denkt man und ist da verabredet. Um drei, als Beobachterin eines Fototermins.
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"Zwei Gruppen habe ich um drei", hatte die Fotografin des Bundestages am Telefon gesagt. "Vor dem Südeingang. Da werden Sie mich dann schon finden. Ich bin klein, habe blonde Haare und ..." Dann lachte sie ein kleines Lachen. "Ich habe einen Fotoapparat dabei."
Da steht man dann also um drei und stellt fest, dass eine Fotografin natürlich zuerst an Licht denken muss. Deshalb also Südeingang und nicht Baufortschritt am Löbe-Haus. Auf der Balustrade sitzen Gerhard Schröder und Bill Clinton und baumeln mit den Beinen. "Oh ja", schreit eine junge Frau, "haltet die Masken noch mal kurz vors Gesicht, ich muss unbedingt ein Foto machen." Die beiden jungen Männer folgen aufs Wort.
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Fotografin Elke Schwalbach. |
Dann kommt eine Gruppe – eine große Gruppe – und postiert sich auf den Stufen. Großes Gewusel – wer steht vorn, wer muss nach hinten, soll es ein Halbkreis sein, sitzen die Kleider und Jacken richtig, was macht der Wind mit den Haaren, da fehlt doch noch jemand. "Dietmar, Dietmar", skandiert die Gruppe.
Der kommt gerannt, ihr Abgeordneter, ihr Gastgeber, und soll sich ganz vorn hinstellen. In die Mitte also, schließlich sind sie seinetwegen hier. Den ganzen Tag schon. Es ist immer noch laut, und alle zappeln ein bisschen rum.
Dann ruft eine kleine, blonde Frau "Jetzt" und "Lächeln Sie bitte in die Kamera", und für einen ganz kurzen Moment steht die Zeit endlich still. Alle schauen, keiner zappelt. Dies ist ein wichtiges Bild. Ein Dokument, ein Beweis. Das wird später in ein Album geklebt, oder vielleicht hängt es in einem Versammlungsraum. Auf jeden Fall kommt es in die Lokalpresse. An dem Tag, werden die darauf Abgebildeten sagen, waren wir in Berlin, im Reichstagsgebäude. War ganz schön windig, aber man konnte weit gucken von der Kuppel aus. Ganz klares Wetter. Und hier stehen wir vor dem Südeingang. Da in der Mitte, das ist unser Abgeordneter, unser Dietmar.
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Elke Schwalbach fotografiert seit 20 Jahren Politiker: zum Beispiel Helmut Kohl |
Elke Schwalbach verabschiedet sich von der Gruppe. Morgen hat sie die nächsten Fototermine. Einen vor dem Südeingang und einen in der Bayerischen Landesvertretung. Zurzeit läuft alles ruhiger. Sitzungsfreie Woche – Ministergespräche, ausländische Parlamentsdelegationen, Jugendprojekte des Bundestages, Ausschusssitzungen oder neue Abgeordnete müssen in diesen Tagen nicht fotografiert werden. Zeit zum Reden also, in einem der ruhigen hellen Räume im Reichstagsgebäude.
"Hier sitze ich gern", sagt Elke Schwalbach. "Ich habe in meiner Zeit in Bonn jedes Jahr eine Woche lang den Reichstag fotografiert, den Umbau und die Veränderungen. In Bonn auch, als dort der Schürmann-Bau entstand und als das alte Plenargebäude abgerissen und ein neues gebaut wurde. Das ist etwas ganz Spannendes – Architekturfotografie. Ich liebe es, und wir hatten immer eine wunderbare Kamera dafür, die Sinar. Ein 50 Kilogramm schweres Ding, das man nur auf einer Sackkarre bewegen kann. Aber schöne Bilder werden das. Diese Art des Fotografierens verlangt einem viel ab. Man ist abhängig von den Lichtverhältnissen, der Tages- und Jahreszeit, dem Sonnenstand. Man muss Geduld haben und manchmal eine mühsam aufgebaute Kamera wieder abbauen, weil es nun doch regnet."
Wie sie da sitzt, Elke Schwalbach, klein und fragil in ihrem schmal geschnittenen grauen Anzug, ein weinrotes Seidentuch um den Hals, ist man versucht, das Bild im Kopf einzufangen. Sie mit dieser großen Kamera vor der gewaltigen Architektur, wie sie da schaut und den Bildausschnitt bestimmt. Kann man die Bilder sehen? "Das Archiv ist noch in Bonn", sagt Elke Schwalbach und sieht ein wenig traurig aus. "Und ein Labor haben wir auch noch nicht. Erst im nächsten Jahr, wenn die Räume fertig sind. Ich vermisse das Labor. Es ist so wichtig, die Bilder selbst entwickeln zu können, den Ausschnitt zu bestimmen. Eine sehr wichtige Arbeit, wirklich", vergewissert sie sich noch mal ihres Anspruchs.
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Willy Brandt |
Dann ist man also in der Geschichte. Wie wird man eine Fotografin des Bundestages oder Bundestagsfotografin?
Fangen wir mit der Praktika an. Die allererste Kamera, die sie geschenkt bekam. Da war sie 14. Und die allerersten Bilder waren Bilder von ihrer Jugendweihe in Fürstenwalde. Das war 1955. Ein Jahr später ging Elke Schwalbach mit ihren Eltern ins Rheinland. Ihr Vater arbeitete als Holzbildhauer – die wunderschönen Schnitzereien am Rathaus in Wernigerode sind von ihm. Sein Anteil an ihrer Lust auf einen kreativen Beruf war groß, denn etwas zu gestalten, das hatte sie bei ihm gelernt und gesehen, wie wunderbar es ist.
Nach der Schule kam die Ausbildung zur Fotografin in einem Ansichtskartenverlag. Da hat sie gelernt, Architektur zu fotografieren, und da entdeckte sie, dass sie ein Faible dafür hat. Mit zwanzig Jahren Heirat und später die Geburt ihrer beiden Kinder. Dann Bundestag?
"Nein, noch lange nicht", sagt sie. "Ich war zwanzig Jahre lang Hausfrau und bin erst mit vierzig in den Beruf eingestiegen. Ich hatte eine Dunkelkammer zu Hause, eine schöne Rolleiflex und meinen erlernten Beruf, den ich vorerst mit viel Liebe und großem Zeitaufwand nur als Hobby betrieb, und wirklich", lacht sie, "manchmal war meine Familie es leid, dass ich sie so viel fotografiert habe. Es gibt Bilder, da sehen die Kinder sehr unwillig aus. Es gab viele Anlässe, die ich fotografierte – Hochzeiten, Kommunionsfeiern und auch schon mal Sportveranstaltungen für die Lokalpresse."
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Gerhard Schröder (mit Philip Rosenthal) |
Mit vierzig also. Mit vierzig Jahren bewarb sich Elke Schwalbach auf die Stelle einer Fotografin im Bundestag und wurde genommen. "Für mich war das eine große Herausforderung, so spät in den Beruf einzusteigen ohne Erfahrung und Routine, mit großer handwerklicher Sicherheit zwar, aber dann eben gleich in die Politik, in den Journalismus – beides Bereiche, die neu für mich waren, in denen ich noch viel lernen musste ..."
Sie lässt die Stimme oben, als gelte es, noch was hinterherzuschicken zu diesem neuen Lebensabschnitt, der vor zwanzig Jahren begann. Also kann man sich das einen Moment lang vorstellen, wie sie 1980 ihre Arbeit begann und wann sie vielleicht das erste Porträt eines Abgeordneten gemacht hat. Nein, das wisse sie nicht mehr, wer das war und wann das war, aber diese Porträts, die mache sie gerne.
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Michail Gorbatschow |
Ausleuchten, den richtigen Moment abwarten, das kleine, satte Geräusch des Kameraverschlusses und die Frage, wie will er oder sie sich wiederfinden auf dem Bild? Ist es angebracht, noch ein wenig zu schminken? Reden oder schweigen? Es erfordert große Sensibilität, wenn jemand verspannt ist, die Situation aufzulockern, dafür zu sorgen, dass der Stress für einen Augenblick vor der Tür bleibt.
In diesem Moment gibt sich jede und jeder ein wenig preis, wenn man so ganz ungeschützt einer Kamera gegenübersitzt. Kleine Eitelkeiten gibt es, große Gelassenheit oder manchmal – ganz selten – beim Betrachten der Kontaktbögen später den Satz des Porträtierten: Da hatte ich wohl keinen guten Tag, das machen wir noch mal. "Beide müssen einen guten Tag haben", sagt Elke Schwalbach. "Der vor der Kamera und ich hinter der Kamera. Viele sind, obwohl das vielleicht seltsam klingt, die Kamera nicht gewöhnt. Und manchmal ist es eine große Kunst, sie zum Lächeln zu bringen."
Aber zurzeit befindet sich die Studioausrüstung noch in den Umzugskisten, in denen sie von Bonn nach Berlin gebracht wurde. Wenn das Paul-Löbe-Haus fertig ist, gibt es endlich die lang ersehnten Räume. Dann wird sich Elke Schwalbach wieder komplett fühlen, mit allem, was sie braucht zum Arbeiten. Auch dem Raum, in dem sie in Ruhe Licht setzen kann, bevor die Abgeordneten kommen, weil sie vielleicht ein Foto für den Wahlkreis oder das Abgeordnetenhandbuch, für ein Plakat oder eine Publikation brauchen.
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Elke Schwalbach bei der Arbeit: Eine Besuchergruppe im Lichthof der Berliner Bayern-Vertretung. |
"Mir haben fast alle Abgeordneten gegenübergesessen", sagt Elke Schwalbach und schaut dabei selbst ein wenig ungläubig. Welch eine Ausstellung wäre das, denkt man in diesem Moment und fragt: Wie würde denn eine Ausstellung aussehen mit Ihren Fotos, Frau Schwalbach?
Da nimmt sie mit den Augen die Maße des Raums, in dem man sitzt, und sagt: "Ich würde einen Querschnitt nehmen. Ja, vielleicht sogar das eine oder andere Urlaubsbild, das ich gemacht habe, Fotos vom Reichstagsgebäude, dokumentarische Aufnahmen von den Plenarbauten, Porträts von Politikerinnen und Politikern. Die Bilder von Gorbatschow würde ich nehmen und die von den Clintons. Ich versuche, die Gestensprache dieser Menschen festzuhalten. Viele reden ja auch mit den Händen. Das beeindruckt mich immer. Vielleicht, weil mir alles Manuelle so wichtig ist."
Und da erfährt man dann noch etwas über ihre Lust, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen – Fliesen zu verlegen, Wände zu tapezieren, Möbel zu restaurieren -, und denkt, wie die das wohl macht, so zerbrechlich, wie sie aussieht. Aber solch ein Schein trügt ja immer.
Und Bilder von den Besuchergruppen vor dem Südeingang, würde sie die auch in die Ausstellung nehmen? Ja, einige. Vielleicht auch welche, wo sie oben auf dem Dach stehen. "Jeder Abgeordnete führt seine Gruppe aufs Dach", sagt sie und lacht dann ein bisschen verlegen, weil der Satz so komisch klingt und weil man in diesem Moment eine Vorstellung hat von einer Ausstellung mit Hunderten Bildern, auf denen Besuchergruppen zu sehen sind, wie sie vor dem Südeingang stehen und auf dem Dach. Hunderte besondere Momente, deren Abbildung überall im Land in Fotoalben oder Versammlungsräumen oder Lokalzeitungen zu finden sind und die eines miteinander verbindet: Alle Menschen auf diesen Bildern waren einmal am gleichen Ort. In Berlin vor dem Südeingang des Reichstagsgebäudes. Und haben auf Elke Schwalbach geguckt und in ihre Kamera und vielleicht gedacht: Schönes Licht hier, aber der Wind, da hätte ich mich gar nicht vorher zu kämmen brauchen. Katrin Gerlof