Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Home  |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ
Druckversion  |       
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 2000 > Deutscher Bundestag - Blickpunkt 11/2000 >
November 11/2000
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung

Geräuschlos, aber nicht ohne Gewicht

Der Bundestag macht nicht nur, was die Kameras zeigen: reden und abstimmen. Der Bundestag ist auch ein Arbeitsparlament. Dazu hat er Ausschüsse, die tief in ihre Fachgebiete eintauchen. Bei den meisten weiß jeder, was drin ist, wenn er liest, was draußen dran steht. Verteidigungsausschuss, Gesundheitsausschuss, Sportausschuss. Da gibt es keine Zweifel. Aber ein "Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung"? Das klingt einerseits wichtig (Wahlprüfung), anderseits geheimnisvoll (Immunität) und nach Formalem (Geschäftsordnung).

Nichts ist falscher als dieser Eindruck. Denn es ist kein Zufall, dass dieser Ausschuss seine Existenz unmittelbar aus der Verfassung ableitet. Und nicht von ungefähr ist er in der offiziellen Zählung der "Erste Ausschuss". Wie wichtig schon eines seiner drei Themenfelder, die Wahlprüfung, sein kann, erfuhr die Welt jetzt bei der Auszählung der Stimmen zur amerikanischen Präsidentschaftswahl. Mehr im Verborgenen blüht das Wirken für Geschäftsordnung und Immunität. Aber ohne den Ausschuss würde vieles im parlamentarischen Getriebe knirschen und stocken.

Schon oft hat Erika Simm (SPD), die Vorsitzende des Geschäftsordnungsausschusses, dankbare Gesichter gesehen, wenn sich der Streit um die aktuelle Behandlung eines Themas im Ältestenrat festgefahren hatte und sie den Kollegen als Ausweg vorschlug, der Geschäftsordnungsausschuss könne sich doch einmal näher damit befassen. Der Erste Ausschuss ist so etwas wie ein Schiedsrichter, wenn eine Auseinandersetzung parlamentsintern hochgekocht ist. Mit dem nützlichen Unterschied freilich, dass er nicht die Pfeife zücken und vom einen Augenblick zum nächsten Tatsachenentscheidungen treffen muss. Der Ausschuss lässt sich Zeit, beguckt sich die Sachlage in Ruhe, wägt ab und macht dann Vorschläge. Zumeist einstimmig. Und deshalb werden diese dann auch stets von allen Seiten respektiert und später bei der Lösung ähnlich gelagerter Konflikte wieder herangezogen.

Britta Krägenow, Dr. Helmut Winkelmann Hermann Bachmaier, Manfred Grund, Stephan Hilsberg, Eckart von Klaeden, Heidi Wright, Jörg van Essen, Erika Simm
Die Mitglieder des Ausschusses im Plenarsaal des Bundestages (360-Grad-Foto). Linke Hälfte von links nach rechts: Britta Krägenow (Ausschuss-Sekretariat), Dr. Helmut Winkelmann (Ausschuss-Sekretär), Hermann Bachmaier, Manfred Grund, Stephan Hilsberg, Eckart von Klaeden, Heidi Wright, Jörg van Essen, Erika Simm (Vorsitzende).

Nach 50 Jahren Bundestag müsste doch fast alles schon einmal so oder ähnlich vorgekommen sein, die Arbeit des "kleinen, aber feinen" Ausschusses (so sein Vizevorsitzender Wolfgang Freiherr von Stetten von der CDU/CSU) immer weniger werden. Doch in Wirklichkeit kommen immer wieder neue Regelungsfelder hinzu.

Ein Beispiel für eine der neuen kniffligen Angelegenheiten liegt in der zunehmenden Bedeutung der Enquête-Kommissionen. Die sollen sich eigentlich weit über die Tagespolitik hinaus mithilfe von Wissenschaftlern Gedanken über langfristige Entwicklungen machen und am Ende ihre Erkenntnisse in einem Bericht niederschreiben. Tatsächlich aber herrscht auf vielen Gebieten aktueller Reformbedarf mit weitreichenden Folgen. Deshalb ist bei manchen Kommissionen schon im Einsetzungsbeschluss die Aufforderung enthalten, sich neben ihrer Hauptaufgabe, einen oft umfänglichen Bericht zu erarbeiten, auch an der laufenden Gesetzesarbeit zu beteiligen. Nur wie? Der Geschäftsordnungsausschuss entschied sich für den Weg einer so genannten gutachtlichen Stellungnahme, in der ein Beitrag zum Beispiel aus den bereits gewonnenen Erkenntnissen in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren eingespeist werden kann.

Mögen solche Verfahrensfragen eher etwas für Insider sein, so sind sie doch ganz erheblich für die politische Auseinandersetzung. Natürlich versucht die Opposition, Gesetzesvorhaben so lange wie möglich zu bremsen, wenn sie diese nicht gutheißen kann. Auch der Bundesrat kommt dabei ins Spiel, denn der muss bei allen Fragen sein Okay geben, bei denen die Länderkompetenzen berührt sind. Wenn die Mehrheit im Bundestag sich nicht sicher ist, auch die Mehrheit im Bundesrat für sich zu gewinnen, schneidet sie ein Vorhaben gern auseinander und trennt die zustimmungspflichtigen von den zustimmungsfreien Teilen einer Regelung, um wenigstens einen Teil des Ziels zu erreichen.

Prof. Dr. Frhr. Wolfgang von Stetten, Steffi Lemke, Anni Brandt-Elsweier, Dr. Heidi Knake-Werner, Andreas Schmidt, Dr. Wolfgang Bötsch, Christine Lambrecht, Hans-Joachim Hacker und Dr. Uwe Küster
Rechte Hälfte von links nach rechts: Prof. Dr. Frhr. Wolfgang von Stetten (stv. Vorsitzender), Steffi Lemke, Anni Brandt-Elsweier, Dr. Heidi Knake-Werner, Andreas Schmidt (Mülheim), Dr. Wolfgang Bötsch, Christine Lambrecht, Hans-Joachim Hacker und Dr. Uwe Küster.

Daraus entzündete sich der jüngste Streitpunkt im Zusammenhang mit der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften: Kann man dieses Gesetzespaket wieder auseinander schnüren, wenn der erste von drei Beratungsgängen schon vorüber ist, oder muss man es gleich getrennt in das Parlamentsverfahren einbringen? Die Regierungsfraktionen sehen das ganz anders als die Oppositionsfraktionen.

Andere Fragen betreffen die Voraussetzungen für die Einberufung von Sondersitzungen, die Zulassung der von der Opposition geschätzten Möglichkeit, kurzfristig in einer Aktuellen Stunde als brennend empfundene Themen zu debattieren, die Verfahrensweise bei öffentlichen Anhörungen (Hearings) sowie Probleme beim Fragerecht als klassischem Mittel der Regierungskontrolle.

Schließlich wacht der Ausschuss auch über die Immunität der Abgeordneten. Die soll sie vor ungerechtfertigter Strafverfolgung schützen und die Funktionsfähigkeit und das Ansehen des Parlaments wahren. Pauschal stimmt das Parlament zu Beginn der Wahlperiode allen Ermittlungsverfahren zu – der Ausschuss will dann aber in jedem Einzelfall informiert werden. "Wir können dann jede Immunität wieder herstellen", betont von Stetten. Und Simm verweist als Beispiel auf die Berliner Staatsanwaltschaft, die wegen uneidlicher Falschaussage gegen zwei Abgeordnete zu ermitteln begann, obwohl deren Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss noch gar nicht abgeschlossen waren. "Da haben wir sofort interveniert." Soll dagegen etwas Gravierenderes geschehen, zum Beispiel eine Durchsuchung oder eine Anklage, wird eine Einzelfallentscheidung getroffen.

Als Folge der deutschen Einheit prüft der Ausschuss schließlich auch eventuelle ehemalige Tätigkeiten für die Stasi. Das Kennzeichen der Ausschussarbeit fasst von Stetten in fünf Worten zusammen: "Geräuschlos, aber nicht ohne Gewicht."
Gregor Mayntz


Internet

Weitere Informationen über den Ausschuss im Internet:

www.bundestag.de/gremien/a1/index.html

www.bundestag.de/mdb14/bio/simm_er0.html

www.bundestag.de/mdb14/bio/stettwo0.html

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0011/0011078
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion