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Februar 02/2001
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menschen im bundestag

Nicht wunschlos glücklich sein

Elke Breitenbach ist Referentin bei der PDS-Bundestagsfraktion. Ihr Aufgabengebiet: Soziale Sicherungssysteme. Das klingt sehr theoretisch – in Wirklichkeit aber hat es mit dem Leben zu tun.

Details vom Schreibtisch von Elke Breitenbach.
Details vom Schreibtisch von Elke Breitenbach.

In dem Bürohaus in der Jägerstraße, das Abgeordnete der PDS beherbergt, findet die Neugierige Orte, die ihr Herz erfreuen. Vom Treppenhaus aus kann der Blick ungehindert über den Innenhof in die gegenüber liegenden Büros der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wandern. Sie bergen alle ein Geheimnis. Ein größeres noch als die Räume der Abgeordneten. Abgeordnete kann man im Fernsehen anschauen, im Plenarsaal beobachten, ihre Reden sind nachlesbar, ihre Arbeit ist dokumentiert. Mit Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern ist das anders, eine Annäherung nicht so einfach möglich.

Elke Breitenbach macht den Raum, der vom Treppenhaus aus einer von vielen war, erst einmal überflüssig. Sie erzwingt noch vor dem ersten Satz Zuwendung. Vielleicht weil sie groß ist und gut aussieht. Vielleicht weil das Schwarz ihres Pullovers ausgezeichnet mit den kurzen blonden Haaren korrespondiert und der Silberschmuck Fragen auslöst. Ist er extra für sie gemacht oder hat sie geduldig gewartet, bis sie ihn in einem Laden entdeckte? Vielleicht aber liegt es auch einfach an ihrer Art, den Beginn eines Gesprächs zu gestalten. Nicht kühl, aber zurückhaltend. So als zöge sie vorerst einen kleinen unsichtbaren Kreis um sich. Sie wird selbst bestimmen, ob und wann man ihn überschreiten kann.

Blick ins Büro von Elke Breitenbach.
Blick ins Büro von Elke Breitenbach.

In einem Berufequiz hätte sie beste Aussichten, unerkannt davonzukommen. Was bitte mag das sein – eine Referentin "Soziale Sicherungssysteme"? Gäbe sie den Leuten, die da raten müssten, eine Chance, sagte sie vielleicht: "Ich befasse mich mit allem, was mit Sozialhilfe, Arbeitslosigkeit, Arbeitsförderung und Niedriglohn zu tun hat. Ich beschäftige mich mit Menschen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen und trotzdem nicht davon leben können. Ich untersuche und beschreibe die Zusammenhänge von Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik. Ich tue das für die kleinste Fraktion im Bundestag, die als Opposition agiert. Ich stelle mir in meiner Arbeit die Frage, wie man in einem gesellschaftlichen Klima, das von der Forderung geprägt ist, alle müssten den Gürtel enger schnallen, neue Formen der Umverteilung entwickeln kann." Das klingt, als rollten die Steine, die die Frau bewegen will, ziemlich oft nach unten.

"In einer kleinen Fraktion sind die Arbeitsbereiche meist sehr umfangreich. Man will schließlich alle wichtigen politischen Bereiche abdecken und das mit möglichst fundierter Arbeit." Der Kreis ist noch immer geschlossen – man sollte vielleicht herausbekommen, welcher Weg hinter der Frau liegt.

Die knallgrüne Kaffeekanne ist das Angebot für eine gute Überleitung. Man kann über Farben sprechen: Tragen Sie gern schwarz? Ist es Zufall, dass diese Kaffeekanne die gleiche Farbe hat, wie Ihre Winterjacke da? Was haben Sie als Kind für Farben gemocht? Wie sind Sie aufgewachsen? Gut. Es klappt mit der Überleitung. Man steht schon näher am Kreis.

Näher, weil jetzt Geschichten kommen: Elke Breitenbach ist in einem kleinen Ort in Hessen aufgewachsen. Ein Ort, in dem jeder jeden kannte und die kleine Breitenbach als Tochter einer CDU-Kommunalpolitikerin mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht wurde. Sie ist zur Schule gegangen und an vielen Nachmittagen geritten. Das hat sie geliebt, und es gab eine Zeit, da wollte sie Jockey werden. Dafür aber wuchs sie viel zu schnell. "Ich komme aus einem Haus, wo Sport wirklich als ernsthaftes Unternehmen betrachtet wurde. Meine Eltern hatten einen kleinen Betrieb, in dem sich mein Vater fast zu Tode schuftete. Mit Mitte 30 war er schon am Rande eines Zusammenbruchs. Dann hat er mit Sport angefangen. Unser erstes Pferd stand bei einer Tante in der Garage. Wenn ich heute nach Hause fahre", und dabei lehnt sie sich ein wenig im Stuhl zurück und schaut für einen Moment aus dem Fenster, "dann fahre ich an den Ort meiner Kindheit. Auch wenn ich damals aus dem Mief raus wollte." Es klingt aber nicht wie Mief, wendet man ein und ist für einen Moment einen halben Fußbreit im Kreis. Elke Breitenbach lächelt. Nein, sie grinst in diesem Augenblick: "Meine Mutter war CDU-Kommunalpolitikerin, und ich habe gemeinsam mit anderen im Ort das Jugendfreizeitzentrum besetzt." Ein Konflikt wie aus dem Bilderbuch.

Elke Breitenbach.
Elke Breitenbach.

Nach dem Abitur geht Elke Breitenbach Anfang der Achtziger zum Studium der Politologie nach Berlin – ein Abenteuer. Die junge Frau erobert sich die Stadt, die geradezu den Kontrapunkt zu ihrem bisherigen Lebensort darstellt. Das Otto-Suhr-Institut hatte den Ruf einer roten Kaderschmiede, es war die Zeit der Hausbesetzungen, es war noch die Zeit, in der Frauengruppen gegründet wurden, die dritte Generation der Feministinnen geradezu.

Elke Breitenbach macht Frauenpolitik und Hochschulpolitik, schließt sich einer politischen Gruppe an, die ihren Arbeitsschwerpunkt in die Betriebe legen wollte. "Ich war aber nicht in einem Betrieb", lacht sie, "ich war an der Uni." Sie wird Mitglied der Alternativen Liste, schließt nach ihrem Studium noch ein Forschungsprojekt an der Technischen Universität an, wo sie wissenschaftliche Mitarbeiterin wird. Sie geht nach Abschluss des Studiums zur IG Metall und macht Jugendbildungsarbeit, später zur Gewerkschaft HBV, wo sie Jugend- und Frauensekretärin wird. Da ließe sich vermuten, dass das immer so weiter hätte gehen können bei der Gewerkschaft – als politischer Mensch ist man dort vielleicht gut aufgehoben.

Elke Breitenbach.
Elke Breitenbach.

"Als ich Mitte 30 war, habe ich aufgehört. Ich wollte keine Berufsjugendliche werden. Und ich wollte auch nicht weg aus Berlin. Also war ich erst einmal arbeitslos. Nach anderthalb Jahren bekam ich eine ABM-Stelle in der Gedenkstätte Sachsenhausen, im September 1998 war das. Dieser Winter – das war keine so gute Zeit. Unsere Büros waren direkt in den Krankenbauten des einstigen Konzentrationslagers untergebracht. Es war belastend. Wir versuchten, eine Ausstellung vorzubereiten, aber diese Arbeit gestaltete sich schwierig, denn der Abbau von Stellen war absehbar. Uns rannte die Zeit davon."

Nach drei Monaten hört sie auf mit dieser Arbeit und bewirbt sich bei der PDS. Sie wird genommen und beginnt im Januar 1999 mit der Arbeit als Referentin, pendelt zwischen Bonn und Berlin, wo sie inzwischen in Neukölln sesshaft geworden war.

Bei der PDS ist sie inzwischen auch Betriebsrätin für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktion, so steht es auf ihrem Türschild. Sie ist angekommen, um manche Hoffnung reicher und einige Illusionen ärmer. "Ich hätte nie gedacht, dass man so viel am Computer sitzt", sagt sie. "Mir fehlen die Besuche in den Betrieben, für die ich zu wenig Zeit habe." Und: "Man muss wissen, dass die Gefahr besteht, sich vom konkreten Leben zu entfernen. Aber wenn ich mich mit dem Thema existenzsichernde und bedarfsorientierte Grundsicherung beschäftige, etwas entwickeln will, was Hand und Fuß hat, muss ich die Realität gut kennen. Das macht man nicht nur vom Schreibtisch aus."

Elke Breitenbach.
Elke Breitenbach.

Auf dem Bildschirm ihres Monitors liegt ein erstochener Gartenzwerg, der manchmal ins Blickfeld rutscht, wenn Elke Breitenbach mit ihrem Stuhl eine Bewegung nach links macht. Man könnte ihm ganz viel Symbolik andichten, aber er ist nur ein Geschenk, das sie witzig fand. Symbolischer vielleicht und näher am Kreis die CD, die sie während einer Zigarettenpause vorspielt: Rio Reiser im Konzert in der Werner-Seelenbinder-Halle in Ostberlin. 1988 war das und Reiser sang "Der Traum ist aus", mitten in der DDR.

Wenn ihr die Träume auszugehen drohen, kann sie sich zurückziehen und Luft holen. Sie hat einen Garten auf einer kleinen Insel. Die Arbeit dort macht den Kopf frei – "weil ich mich auch schnell in Sachen verbeißen kann". Sie gibt Zeit zum Überlegen und Analysieren – "weil ich manchmal etwas poltrig bin und dazu neige, Sachen übers Knie zu brechen." Aber wenn es gut läuft, ist es einfach nur große Hartnäckigkeit und der Wunsch, Dinge zu einem sinnvollen Ende zu bringen.

Da ist die Geschichte mit dem Motorrad: "Ich hatte mit Mitte zwanzig mein erstes Motorrad, eine alte Yamaha, für die ich alles verkauft habe, was zu verkaufen ging. Die habe ich irgendwann in alle Einzelteile zerlegt und wieder zusammengebaut. Das waren schwere Stunden. Ich habe zwischendurch aus Wut über eine abgebrochene Schraube einen ganzen Zylinderkopf zerbohrt. Aber am Ende fuhr das Teil wieder. Bitte."

Es ist nicht abzusehen, dass die Arbeit, die sie jetzt macht, so endgültig und erfolgreich abgeschlossen werden kann. Zu langfristig die Projekte und zu viele Steine, die den Berg wieder runter rollen. "Das geht", sagt Elke Breitenbach, "wenn man den Sinn findet und sich festbeißen kann." Sie traut sich, auf die Frage nach ihrem Traumziel in dieser Arbeit, nach dem Wunschprojekt, zu sagen: "Soziale Gerechtigkeit herstellen, Armut aufheben." Es ist nicht unbedingt die Zeit, wo das Wünschen wieder hilft. Elke Breitenbach weiß das wohl. Aber ohne Wünsche, das weiß sie auch, ist gute Arbeit nicht zu machen. Vielleicht ist der Kreis keine Grenze, sondern eher der Rahmen, in dem Wünsche gedeihen können.

Kathrin Gerlof

Infos

Bei der Fraktion der PDS sind zurzeit 75 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Die Fraktion ist in sechs Arbeitsgruppen – Arbeit und Soziales, Haushalt und Finanzen, Innen- und Rechtspolitik, Internationale Politik, Kultus, Wirtschaft, Bau und Umwelt – und drei Arbeitskreise – Feministische Politik, Europa, Zukunft – gegliedert. Für diese leisten ca. 25 Referentinnen und Referenten themenspezifische Zuarbeiten, arbeiten in Projektgruppen und unterstützen die Abgeordneten bei ihrer Arbeit in den Ausschüssen und Enquetekommissionen desBundestages. Dem Fraktionsvorstand steht eine Beratungsgruppe zur Seite. Weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in den Bereichen Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, Information und Dokumentation, EDV, in der Fraktionsgeschäftsführung, der Parlamentarischen Geschäftsführung und in Regionalbüros beschäftigt. Alle gemeinsam bilden sie das "Rückgrat" der Fraktion.

Informationen zur PDS-Bundestagsfraktion:

Internet: www.pds-im-bundestag.de.

e-mail: fraktion@pds-im-bundestag.de.

Telefon: 030-22757002

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0102/0102065
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