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März 03/2001
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Der Sonderausschuss Maßstäbegesetz/Finanzausgleichsgesetz

Nagelprobe für den Föderalismus

Das ist kein Job für Langschläfer. Wenn sich die 21 Mitglieder des Bundestagsausschusses Maßstäbegesetz/Finanzausgleichsgesetz an jedem Freitag einer Sitzungswoche schon um 7.30 Uhr versammeln, ist es sonst noch überwiegend ruhig im Berliner Hauptstadtgetriebe. Die Plenarsitzung des Parlaments beginnt ja auch erst eineinhalb Stunden später. Natürlich sind der Ausschussvorsitzende Volker Kröning (SPD) und seine Kollegen nicht glücklich über diesen Termin. Aber ein anderer war nicht frei im Routinekalender des Bundestages, schließlich gehören die Abgeordneten allesamt mindestens einem weiteren ständigen Ausschuss an, meist dem Haushalts- oder Finanzausschuss, und deshalb kam der Mittwoch für den Sonderausschuss erst gar nicht in Frage. Also nehmen die Experten für die komplizierten Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern notgedrungen ihre Frühschicht am Freitag in Kauf.

Die Mitglieder des Bundestagsausschusses Maßstäbegesetz/Finanzausgleichsgesetz.
Die Mitglieder des Bundestagsausschusses Maßstäbegesetz/Finanzausgleichsgesetz.

Irgendwie passt diese Unbequemlichkeit auch zu ihrer Spezial-Mission. Zu verdanken hat der Gesetzgeber diesen Auftrag dem Bundesverfassungsgericht. Das nämlich entschied am 11. November 1999, dass die beachtlichen Geldströme zwischen Bund und Ländern - immerhin eine Gesamtsumme von rund 60 Milliarden Mark pro Haushaltsjahr - auf eine neue, transparentere Grundlage gehören. Sollte das entsprechende Gesetzeswerk nicht pünktlich zum 1. Januar 2003 in Kraft treten, werde der geltende Finanzausgleich am selben Tage "verfassungswidrig und nichtig". Ein Donnerhall aus Karlsruhe!

Ziemlich detailliert legte das Urteil fest, in welcher Reihenfolge die Politik zu verfahren habe. Zunächst müssten in einem "Maßstäbegesetz" verständliche und nachvollziehbare Kriterien definiert werden, welche die unbestimmten Rechtsbegriffe der Grundgesetzartikel 106 ("Verteilung des Finanzaufkommens") und 107 ("Finanzausgleich zwischen den Ländern") konkretisieren. Erst in einem zweiten Schritt, dem "Finanzausgleichsgesetz", dürfe dann über die eigentlichen Verteilungsregeln bzw. Ausgleichsbeträge entschieden werden (bis 31. Dezember 2004). Dabei sah die Wirklichkeit in den öffentlichen Finanzbeziehungen bisher genau umgekehrt aus, wie der Ulmer CDU-Experte Heinz Seiffert weiß: Die Länder rechnen von hinten her: Was bringt's, was kostet's uns?"

Die Mitglieder des Bundestagsausschusses Maßstäbegesetz/Finanzausgleichsgesetz.
Die Mitglieder des Bundestagsausschusses Maßstäbegesetz/Finanzausgleichsgesetz.

Ein schwieriges Stück Arbeit also für den Sonderausschuss, der im Oktober vergangenen Jahres vom Bundestag eingesetzt wurde. Umsatzsteuerverteilung, horizontaler Finanzausgleich, Bundesergänzungszuweisungen - Themen, die den Fachmann im Parlamentarier herausfordern. Zuweilen wird in diesem Zusammenhang sogar von einer "Geheimwissenschaft" gesprochen. Das Ausschusssekretariat hat bereits 60 Drucksachen zu einzelnen Sachfragen an die Abgeordneten verteilt: Grundsatzurteile, Fachliteratur, Gesetzestexte. Über 400 Titel umfasst die eigene Literaturdatenbank, und das ist nur die "Erstausstattung". Wenn es demnächst um so knifflige Details wie das Stadtstaaten-Privileg, die Einbeziehung der Gemeindeeinnahmen oder die durchschnittliche Finanzkraft der Länder geht, wird die Liste noch einmal anschwellen.

Bislang nämlich arbeitet der Sonderausschuss noch eher am Grundsätzlichen, noch nicht an einzelnen "Stellschrauben". Der Regierungsentwurf für ein Maßstäbegesetz liegt einstweilen im Bundesrat, und erst wenn die Länderkammer ihre Stellungnahme dazu abgegeben hat (bis Anfang Mai), können Kröning und Co. so richtig loslegen. Ob sich die 16 Bundesländer gar auf einen ausgefeilten Gegenentwurf verständigen, ist eher unwahrscheinlich - angesichts der doch sehr widerstreitenden Interessen zwischen armen und reichen Ländern, Gebern und Nehmern, Ost und West, "Wettbewerbsföderalisten" und "kooperativen Föderalisten".

Natürlich haben die Länder ein vitales Interesse an den Beratungen des Sonderausschusses. So nutzten etwa die beiden ostdeutschen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel (Thüringen) und Reinhard Höppner (Sachsen-Anhalt) als geladene Gäste schon die Chance, ihre Sicht der Finanzbeziehungen zu präsentieren. Schließlich stehen nicht nur die Entscheidungen über ein Maßstäbegesetz und ein Finanzausgleichsgesetz auf der Ausschuss-Agenda, sondern zugleich die Grundlagen des "Solidarpakts II", der ab dem Jahr 2005 den bislang geltenden Solidarpakt zu Gunsten der neuen Länder ablösen soll. Ehrgeiziges Ziel der gesamten Operation: die Schere zwischen Starken und Schwachen muss sich weiter schließen"(Volker Kröning).

Es ist müßig, darüber zu streiten, ob der Sonderausschuss die am Besten geeignete Plattform für die Neuausrichtung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ist. Eine Weile wurde erwogen, die Aufgabe entweder einem gemischten Ausschuss aus Vertretern von Bundestag und Bundesrat zu übertragen (ähnlich der Gemeinsamen Verfassungskommission nach der Wiedervereinigung) oder einem Unterausschuss des Finanzausschusses.

Inzwischen haben sich alle Beteiligten mit dem Sonderausschuss arrangiert, und der Vorsitzende Volker Kröning gilt als gleichermaßen kompetent wie durchsetzungsfähig, um das Projekt im vorgegebenen Zeitrahmen zum Erfolg zu führen. "Wir werden uns Stück für Stück vorarbeiten", gibt sich auch der CDU/CSU-Abgeordnete Seiffert zuversichtlich. Selbst die bekannten "Knackpunkte" erscheinen nicht als unüberwindbare Hindernisse. Das grundgesetzlich verankerte Ziel, durch den Finanzausgleich "die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet" zu garantieren, gibt dem Sonderausschuss nicht nur die Richtung vor, sondern wirkt auch konsensbildend. So betrachtet erscheint das Ringen von Bund und Ländern um die Neuregelung ihrer Finanzbeziehungen als Nagelprobe für die bundesstaatliche Ordnung der Bundesrepublik.

Gunther Hartwig


Die Ausschussmitglieder stellten sich für das 360-Grad-Foto ans Goethe-Denkmal im Berliner Tiergarten. Ihre Begründung: Der Dichter hatte im "Faust" ihre Probleme vorweggenommen:

"Wer jetzt will seinem Nachbarn helfen?
Ein jeder hat für sich zu tun.
Die Goldespforten sind verrammelt,
Ein jeder kratzt und scharrt und sammelt,
Und unsre Kassen bleiben leer."

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0103/0103070
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