Günter Baumann,

MdB seit 1998,

Ordentliches Mitglied im Innenausschuss und im Petitionsausschuss

 

 

Vier verlorene Jahre –

Die Verdichtung des Reformstaus unter Rotgrün

 

 

In die Annalen der Bundesrepublik wird die Regierung Schröder dereinst als Ära der Stagnation und der Rückschritte eingehen. Der Reformstau in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik ist von Rotgrün nicht gelöst, sondern weiter forciert und verdichtet worden. Wenn der Bundeskanzler das Gegenteil behauptet, dann handelt es sich hier um die typische Durchhalteparole einer Regierung, die die Augen vor der Realität und ihrer drohenden Abwahl verschließt.

 

 

Insolvenzen und Beschäftigungsmisere

 

Die wirtschafts- und beschäftigungspolitische Bilanz der vergangenen vier Jahre ist ein Zeugnis der Inkompetenz. Die Arbeitslosenzahlen pendeln sich oberhalb der Viermillionengrenze ein. Für Ostdeutschland prognostiziert das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle sogar eine Rekordarbeitslosigkeit von 1,3 Millionen. Das wäre der höchste Wert seit 1990.

Die Unternehmensinsolvenzen erreichen ein alarmierendes Ausmaß: nachdem schon 2001 über 32.000 kleine und mittlere Unternehmen aufgeben mussten, ist für 2002 mit 40.000 Firmenpleiten zu rechnen.

 

Die Steuerfalle gefährdet den Konsolidierungskurs

 

Nach wie vor demotiviert ein den Mittelstand diskriminierendes und kaum durchschaubares Steuersystem die Unternehmer. Die Investitionsneigung schwindet und der Wachstumspfad der Wirtschaft verläuft nach unten. Steuermindereinnahmen sind die Folge. Diese Steuerfalle hat sich die Regierung durch das Verschleppen von Reformen aber selbst gestellt.

Trotz des offiziellen Konsolidierungskurses nähert sich so unter den schlechten wirtschaftlichen Rahmendaten die Neuverschuldung jenen drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes, die Deutschland selbst einst aus guten Gründen als oberste Verschuldungsgrenze im Vertrag von Maastricht durchgesetzt hat. Um so peinlicher ist Schröders Abwehr des „Blauen Briefes“ für unser Land. Diese ganz aus der Eitelkeit des Kanzlers geborene Aktion kann eines ohnehin nicht verdecken: Deutschland steht wegen seiner arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Versäumnisse am Pranger und gibt seinen Partnern Anlass, um die Stabilität des Euro zu fürchten.

 

Wenn Deutschland heute Schlusslicht in Europa ist, dann liegt der Grund hierfür nicht in konjunkturellen Einbrüchen der Weltwirtschaft, wie die Regierung unaufhörlich behauptet. Unter der weltwirtschaftlichen Entwicklung haben die Spitzenreiter in der Euro-Liga ebenso zu leiden gehabt wie wir. Unsere Nachbarn sind aber mit der Krise nach dem 11. September weitaus besser zurechtgekommen, weil sie im Gegensatz zu uns schon vorher die strukturellen Probleme in der Wirtschaftspolitik und auf dem Arbeitsmarkt entschlossen angepackt und gelöst haben.

 

Lohnnebenkosten

 

Die Sozialversicherungsbeiträge sind im EU-Vergleich nach wie vor zu hoch, hemmen den Beschäftigungsaufbau und belasten Arbeitgeber wie Arbeitnehmer. Wenn die Bundesregierung darauf verweist, dass durch die „Öko-Steuer“ der weitere Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge vermieden werden konnte, illustriert dieses Argument die tatsächliche Bescheidenheit des rotgrünen „Reformprojekts“. Es reduziert sich bestenfalls auf Schadensbegrenzung. Bei den Krankenkassenbeiträgen ist selbst dies misslungen.

 

Es fehlt dieser Regierung der Mut, die Modernisierung unserer Sicherungssysteme entschlossen anzugehen. Der Skandal um die gefälschten Vermittlungszahlen in der Bundesanstalt für Arbeit ist der jüngste Beweis. Obwohl der Regierung die Manipulation seit längerem bekannt war, reagierte sie erst, als das Thema in den Medien war. Ob sich nach dem Austausch des Führungspersonals in der Bundesanstalt für Arbeit substantiell etwas ändert, bleibt angesichts dieser Grundneigung, die Probleme zu verschleppen, fraglich. Man lese nur den Bericht der EU-Kommission zu dreieinhalb Jahren rotgrüner Arbeitsmarktpolitik: „Bisher wurde nichts gegen die Ineffizienz der breit angelegten Programme der aktiven Arbeitsmarktpolitik unternommen“

 

Verriegelung des Arbeitsmarktes

 

Alle Schritte zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die noch die Regierung Kohl eingeleitet hatte, sind von Rotgrün zurückgenommen worden. Stattdessen schuf man mit den Gesetzen zu den 630-Mark-Jobs, zur „Scheinselbständigkeit“ und zur Teilzeitarbeit regelrechte „Job-Killer“ und steigerte durch Bürokratisierung die Kosten der Arbeit.

Wegen des geringen Abstandes zwischen Nettolöhnen und sozialen Transferzahlungen ist die Aufnahme einer Arbeit für viele Arbeitslose nach wie vor unattraktiv. Gleichzeitig erhöht sich der Anreiz von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit.

Die Kosten der Arbeit und die Überregulierungen des Arbeitsmarktes haben zur Folge, dass in Deutschland Beschäftigungseffekte erst ab einem Wachstum von 2,5 Prozent einsetzen.

 

Mittelstand und Aufbau Ost

 

Der Mittelstand ist die „Job-Maschine“ in unserem Land. Wir werden das Problem der Massenarbeitslosigkeit nur über eine Entlastung mittelständischer Unternehmen lösen können.

Diese Bedeutung des Mittelstandes scheint der rotgrünen Koalition aber völlig unbekannt zu sein. Anstatt die Mittelständler endlich von Steuern und Abgaben zu entlasten, hat man sie bei der Steuerreform gegenüber den großen Kapitalgesellschaften benachteiligt. Die Folge ist eine Strangulierung der mittelständischen Investitionstätigkeit. Hier drückt sich zweifellos die  Prioritätensetzung des Medienkanzlers aus, der sich lieber mit fünf Automobilmanagern vor laufenden Kameras trifft, als den zahllosen Kleinunternehmen Gehör zu schenken.

Damit aber nicht genug: Mit Teilzeitarbeits- und Befristungsgesetz, Sozialversicherungspflicht der geringfügig Beschäftigten, Verschärfung des Kündigungsschutzes und Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes hat die rotgrüne Koalition Maßnahmen beschlossen, die gerade im Mittelstand die Wachstumspotentiale beschneiden und den Beschäftigungsaufbau hemmen. Der nächste Schritt dieser mittelstandsfeindlichen Politik ist das geplante Tariftreuegesetz: Aufträge der öffentlichen Hand sollen nur noch an Unternehmen gegeben werden, die den Tariflohn zahlen. Das klingt arbeitnehmerfreundlich, für den „Aufbau Ost“ ist es aber Gift. Unternehmer und Angestellte werden hierfür die Zeche zahlen.

Regulierung überall – es fragt sich nur, warum Rotgrün sich weigert, ein Problem zu lösen, das tatsächlich einer Regelung bedarf: die mangelnde Zahlungsmoral im Baugewerbe, die die Existenz der kleinen Handwerksbetriebe gefährdet und manche bereits in den Ruin getrieben hat. Ihre Hilferufe sind an den dicken Mauern des Bundeskanzleramtes bislang abgeprallt.

 

 

Fazit: Schröders Rede von der „Chefsache“ hat sich als politisches Lippenbekenntnis erwiesen, dem jeglicher Wille, jegliche Leidenschaft und Aufmerksamkeit für die Probleme des Ostens abgeht. Deutschland, aber vor allem auch die ostdeutschen Länder brauchen den Regierungswechsel in Berlin. Denn je länger wir die Probleme von heute vertagen, desto enger werden die Gestaltungsräume von morgen sein.