Stellvertreterwahlrecht - verfassungsrechtlich höchst
bedenklich
Hoyerswerda,
19.11.2003 Mehr Demokratie wagen durch ein Wahlrecht von Geburt an?
Zu diesem im Deutschen Bundestag vorliegenden Gruppenantrag
erklärt Barbara Wittig, Berichterstatterin für Wahlrecht
im Innenausschuß des Bundestages:
„Ein
Wahlrecht von Geburt an durch Änderung des Artikels 38 des
Grundgesetzes und weitere gesetzliche Änderungen
einzuführen, ist verfassungspolitisch abzulehnen und
höchst fragwürdig“.
Gegen die
Zulässigkeit einer mit dem Gruppenantrag angestrebten
Verfassungsänderung spricht, dass sie mit wesentlichen
Wahlrechtsgrundsätzen kollidiert, nämlich der
allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen
Wahl.
Da sich Eltern
auch gegen den Willen ihrer schon verständigen Kinder oder
Jugendlichen an der Wahl beteiligen oder auch nicht beteiligen
können, kann man wohl kaum von einer freien Wahl
sprechen.
Der Grundsatz
der Allgemeinheit und Gleichheit verbietet es dem Gesetzgeber,
bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen,
wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von der Wahl
auszuschließen oder das Stimmgewicht dieser Gruppen
verschieden zu bewerten.
Verfassungsrechtlich ist die Stimmabgabe nur
höchstpersönlich möglich. Wenn ein solcher Grundsatz
auch nicht ausdrücklich im Grundgesetz festgeschrieben ist,
konkretisiert doch das Bundeswahlgesetz die in Artikel 38 des
Grundgesetzes festgeschriebenen Grundsätze: jeder
Wahlberechtigte kann sein Wahlrecht nur einmal und nur
persönlich ausüben. Weder Stellvertretung noch Auftrag
sind möglich. Bei einer Stellvertretung müßte
außerdem der Beauftragte vom Auftragggeber durch Vereinbarung
bevollmächtigt werden. Dass Kinder zu solchen Aufträgen
nicht fähig sind, braucht nicht weiter ausgeführt werden.
Auch erteilen die Kinder ihren Eltern keine Ermächtigung -
also sind sie nicht wie im Treuhandrecht Treugeber.
Der Schutz vor
Fremdbestimmung ist also ein wichtiger Grund, warum das Wahlrecht
höchstpersönlich bleiben muß.
Das Kinder-
oder Stellvertreterwahlrecht unterstellt zudem, dass die Kinder die
für sie getroffenen Wahlentscheidungen im nachhinein billigen.
Eben dies kann keineswegs unterstellt werden - sonst gäbe es
z. B. keine Generationenkonflikte. Dieses Pseudokinderwahlrecht
entmündigt geradezu, insbesondere die Jugendlichen.
Auch kann
weder erwartet noch kontrolliert werden, ob die über mehr als
eine Stimme verfügenden Eltern diese auch im Interesse ihrer
Kinder einsetzen.
Durch das
sogenannte Kinderwahlrecht würden außerdem Steuergelder
vergeudet werden, denn enormer bürokratischer Aufwand für
Überprüfungen, Feststellungen, Bescheinigungen, zahllose
Zweifelsfälle und, und, und wären
erforderlich.
Wem wäre
also mit diesem sogenannten Kinderwahlrecht geholfen? Den Kindern
und Jugendlichen am wenigsten, weil sie mehr Kindergärten und
Lehrer, bessere Schulen, Ausbildungsplätze, Jugendzentren und
dergleichen benötigen.
Zur
Stärkung der Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen sind
Selbstbestimmung und mehr Beteiligungsmöglichkeiten gefragt,
nicht Fremdbestimmung durch eine in vieler Hinsicht
höchstproblematische Änderung des Wahlrechts.
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