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Debatte
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Wortlaut der Reden

Dr. Hans-Jochen Vogel, SPD Anke Fuchs (Köln), SPD >>

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Gerade weil ich für Berlin als Sitz des Parlaments und der Bundesregierung eintrete, beginne ich mit einem Dank an Bonn. Seit 1972 arbeite ich in dieser Stadt; seit 1984 lebe ich hier. Deshalb sage ich aus eigener Erfahrung: Bonn hat dem Parlament und der Bundesregierung in all diesen Jahrzehnten gute Arbeitsbedingungen und eine gute Heimstatt geboten. Und Bonn war in all den Jahren bis zur Wende Berlin gegenüber fair. Bonn hat sich stets als Stellvertreterin Berlins, als Stellvertreterin der eigentlichen Hauptstadt, bezeichnet und seine Verbundenheit mit Berlin immer aufs neue bekundet.

Darum und wegen der strukturellen Probleme, die sich aus der Rückkehr des Parlaments und der Regierung nach Berlin für Bonn und seine Region ergeben, hat Bonn Anspruch auf umfassende Hilfe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Dieser Anspruch rechtfertigt vieles. Er rechtfertigt jedoch in meinen Augen eines nicht, nämlich -- ich wähle einen milden Ausdruck -- die Zurücknahme der Zusagen und Versprechungen, die in den letzten Jahrzehnten und bis in die Tage der Wende hinein Berlin aus allen politischen Lagern für den Fall der deutschen Einheit wieder und wieder gemacht worden sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit sind hohe Güter. Wer sie, wenn auch unwillentlich, beschädigt, wer Berlin mit einem Titel versieht, dem kein Inhalt entspricht, der schlägt Wunden über den Tag hinaus; ich fürchte: Wunden, die lange nicht heilen werden. Wie sehr hier die Glaubwürdigkeit in ihrem Kern berührt ist, zeigt schon eine Überlegung, die Überlegung nämlich, daß bis zur Wende, noch im Sommer 1989, kein Gremium in der damaligen Bundesrepublik, auch nicht der Stadtrat von Bonn, im Traum daran gedacht hätte, auch nur als Resolution den Antrag zu beschließen, der uns heute auch zur Abstimmung vorliegt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP sowie vereinzelt bei der CDU/CSU)

Darf es denn wahr sein, daß ein Versprechen deshalb als gegenstandslos und erledigt angesehen wird, weil die Bedingung, unter der es stand, nämlich die deutsche Einigung, eingetreten ist?

(Lebhafter Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Daß die Erfüllung dieses Versprechens auch Geld kosten würde -- wahrscheinlich sogar erhebliche Beträge --, das sollte doch gar nicht bestritten werden. Aber das wußten wir alle. Ich kann doch nicht davon ausgehen, daß diejenigen, die diese Zusagen gemacht haben, sich solche Zusammenhänge nicht vor Augen geführt haben.

Ein zweites spricht nach meiner Meinung für die Rückkehr des Parlaments und der Regierung nach Berlin: Das ist der Prozeß der deutschen Einigung, der Prozeß des Zusammenwachsens. Die Diskussion über die Hauptstadtfrage war doch auch deshalb so intensiv und so leidenschaftlich, weil es hier im Zuge der Einigung erstmals zu einer Debatte über den Charakter dieses Prozesses gekommen ist. Zu einer Debatte, die im Sommer und im Herbst 1990 -- da mache ich keinen Vorwurf -- wegen des Tempos der Ereignisse überhaupt nicht möglich war.

Heute geht es nämlich im Kern auch darum, ob wir die endgültigen Strukturen unseres größer gewordenen Gemeinwesens gemeinsam schaffen oder ob wir so tun, als ob unsere Landsleute in den neuen Bundesländern eben doch nur zu etwas ganz und gar Fertigem und zu etwas Unveränderlichem hinzugetreten seien.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Deshalb frage ich: Wollen wir wirklich beschließen, daß unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger in den neuen Bundesländern die Änderung nahezu aller Lebensverhältnisse bewältigen müssen, während wir in den alten Bundesländern noch nicht einmal die Rückverlegung des Parlaments und der Regierung in die Hauptstadt hinnehmen?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Haben wir, Bonn-Befürworter genauso wie Berlin-Befürworter, nicht oft gesagt, wir müßten in den alten und in den neuen Bundesländern aufeinander zugehen? Und jetzt wollen wir noch nicht einmal die lang versprochene Wegstrecke bis nach Berlin zurücklegen, um aufeinander zuzugehen?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Ist uns wirklich klar, wie diese Weigerung auf unsere östlichen Nachbarn und darüber hinaus auf unsere Nachbarn insgesamt wirken würde? Was die östlichen Nachbarn und den östlichen Teil Europas angeht, stimme ich ausdrücklich dem zu, was der Bundeskanzler als Abgeordneter hier gesagt hat.

Meine Damen und Herren, weil der Föderalismus eine solche Rolle spielt: Ich bitte gerade auch die Bonn-Befürworter, zur Kenntnis zu nehmen: Die Mehrheit der Landtage will, daß wir nach Berlin

gehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

10 von 16 Landtagen

(Jochen Feilcke [CDU/CSU]: 12!)

-- Entschuldigung, Sie kennen meine Neigung zur Pendanterie; ich erläutere es gleich, weil ich völlig korrekt sein möchte --, nämlich die Landtage von Baden-Württemberg, von Brandenburg, von Bremen, von Hamburg, von Mecklenburg-Vorpommern, von Sachsen, von Sachsen-Anhalt, von Schleswig-Holstein und von Thüringen und selbstverständlich das Abgeordnetenhaus von Berlin, haben entsprechende Beschlüsse gefaßt. Für Niedersachsen und für Hessen haben sich nicht die Landtage, aber die Landesregierungen beschlußmäßig für Berlin ausgesprochen. Von 16 Ländern haben sich 12 für Berlin ausgesprochen. Das relativiert, Herr Kollege Glotz, ein bißchen die Sorge, daß hier der Föderalismus zerstört wird.

(Lebhafter Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Manche erfüllt der Gedanke, Berlin könnte das verweigert werden, was über den Titel hinaus die Hauptstadt ausmacht, mit Zorn. Ich kann das verstehen. Mich erfüllt der Gedanke, es könnte so beschlossen werden, mit Trauer; mit Trauer darüber, daß wir uns als verzagt erweisen könnten, wo wir in umfassenden Perspektiven denken und handeln müssen.

Das ist kein Wort gegen die Menschen in Bonn. Wir haben die selbstverständliche Verpflichtung, ihnen genauso zu helfen wie den Werftstandorten und den Montanstandorten, wo wir viele Milliarden aufgewendet haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Der erwähnte Gedanke erfüllt mich mit Trauer auch darüber, daß wir Gefahr laufen könnten zu spalten, wo wir versöhnen und die Vereinigung voranbringen sollten, auch daß wir Gefahr laufen könnten -- das sage ich leiser; ich will niemandem zu nahe treten und würdige die Bemühungen um Konsense --, daß taktische Überlegungen dominieren könnten, wo unser Volk nach meiner Überzeugung auf eine klare Entscheidung über klare Alternativen einen Anspruch hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Ich bin nicht in Berlin aufgewachsen -- meine Mundart macht es deutlich --, aber ich habe vor zehn Jahren innerhalb weniger Tage mein Leben von Grund auf verändert, weil ich Berlin helfen, weil ich so handeln wollte, wie ich es vorher oft, ohne diese Möglichkeit vorauszusehen, gesagt habe. Das will ich heute wieder tun.

Damit wende ich mich nicht gegen Bonn. Bonn soll erhalten, was die Stadt und ihre Bürgerschaft zu Recht erwarten können und was Bonn als redliche Platzhalterin, als redliche Stellvertreterin weiß Gott beanspruchen kann.

Aber ich spreche für Berlin, weil ich mich als Person -- dabei spreche ich nur für mich -- sonst vor denen schämen würde, die in dieser Stadt die Blockade überwunden, der Teilung widerstanden, der Mauer getrotzt und in einer friedlichen Revolution ihre Freiheit errungen haben. Natürlich hat Leipzig eine wichtige Rolle gespielt, aber eben auch Berlin. Ohne den 4. November auf dem Alexanderplatz kann man sich diese friedliche Revolution wohl auch nicht denken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Ich müßte mich vor der Stadt schämen, die wie keine andere die deutsche Geschichte in ihren dunklen, aber auch in ihren hellen Abschnitten repräsentiert und ohne die es -- dem stimme ich ausdrücklich zu -- die deutsche Einheit wohl nicht gegeben hätte. Ich möchte, daß Parlament und Regierung dort ihren Sitz haben, wo wir nicht nur an einen guten und besonnten Abschnitt der deutschen Geschichte, sondern an unsere ganze Geschichte mit all ihren Höhen und Tiefen erinnert werden.

Ich danke Ihnen.

(Lebhafter Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und des Bündnisses 90/GRÜNE)

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort hat die Abgeordnete Frau Anke Fuchs.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_017
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