Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden
Dr. Uwe Jens, SPD | Dr. Egon Jüttner, CDU/CSU >> |
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Eigentlich wollte ich zum Thema »Kompromiß oder Zeitschiene« -- »Bonn oder Berlin« nicht reden. Überzeugen läßt sich jetzt von den Entscheidungsträgern keiner mehr. Die Alternative, die Entscheidung über die Hauptstadtfrage durch Volksentscheid auf eine breitere Basis zu stellen, ist durch die Ablehnung der Konservativen im Bundestag gescheitert. Meine Wortmeldung hat damit zu tun, daß einige Journalisten und viele Politiker wieder alles ganz genau wissen. Diese Sprache der absoluten Bestimmtheit ist im deutschen Sprachraum kaum auszurotten. Da wurde in einem Kommentar in den Tagesthemen vor zwei Tagen deutlich gemacht: Alle Politiker, die für Bonn stimmen, können nicht mehr glaubwürdig sein. Schließlich hätten die Politiker vierzig Jahre lang davon gesprochen, daß Berlin die Hauptstadt eines vereinten Deutschlands sein müsse. Ich will keinem das Recht auf eine eigene Meinung beschneiden. Nur die Art, Andersdenkenden auf diese Weise die Glaubwürdigkeit abzusprechen, ist völlig unakzeptabel und auch undemokratisch. Ich persönlich gehöre seit 1972 bereits dem Deutschen Bundestag an und habe vehement für die Durchsetzung der Ostverträge von Willy Brandt gekämpft. Ich war davon überzeugt: Dies war der einzige sinnvolle Weg zur Wiedervereinigung! Ich habe aber nie behauptet, daß am Ende des langen und erfolgreichen Weges Berlin Hauptstadt oder Sitz von Regierung und Parlament werden muß. Und sowenig es Schuld für eine Gruppe und für eine Generation geben kann, so wenig gibt es eine kollektive Glaubwürdigkeit. Deshalb ist das Argument der Glaubwürdigkeit falsch und beleidigend zugleich. Wer mit offenen Augen seit Mitte der siebziger Jahre durch Bonn gegangen ist, muß wissen, daß Bonn kein Provisorium mehr sein wird. Das Kanzleramt, der Lange Eugen, die Ministerien an der Gustav-Heinemann-Straße sind stille Zeugen für die Umgestaltung Bonns zum endgültigen Regierungs- und Parlamentssitz des vergrößerten Deutschlands. Helmut Schmidt hatte für den Kauf seiner »large two forms« von Henry Moore heftig gestritten, um auch Bonn ein wenig modernen kulturellen Glanz zu verleihen. Wir treffen heute im Bundestag eine Entscheidung für die Zukunft Deutschlands. Eine rationale, quantifizierbare Entscheidung ist nicht möglich. Dafür gibt es zu viele persönliche Erfahrungen, Interessen und Wertungen. Ich verstehe aber nicht, wie die Kenntnisse der Vergangenheit von vielen einfach in die Zukunft prognostiziert werden. Was einmal war, sagt nichts, aber überhaupt nichts darüber aus, wie es sein wird. Die Geschichte ist und bleibt nach vorne offen. Die Bonn-Befürworter verweisen gern darauf, daß die Demokratie in den vergangenen 40 Jahren eine gute Zeit für die Deutschen war. Das ist richtig, aber ob es so bleiben muß, hängt nicht vom zukünftigen Sitz von Parlament und Regierung ab. In Berlin wurde von 1871 bis heute -- in den 70 Jahren, in der es deutsche Hauptstadt war -- immer von Soldaten marschiert. So war es auch in den letzten 40 Jahren, als Berlin Hauptstadt der DDR war. Aber auch hieraus läßt sich nicht schließen, daß dies so bleiben muß. Ich weiß nur und werde mich energisch dafür engagieren: Es darf niemals wieder so werden! Wer etwas Logik will, muß versuchen, die Entwicklungstendenzen der Zukunft zu beachten: Da gibt es zunächst bei uns Entwicklungen, weg vom Nationalstaat und hin zu einer europäischen oder gar weltweiten Gesellschaft. Gekennzeichnet ist diese Entwicklung durch bestimmte Grundtatbestände der Wirtschaft, des Verkehrs, der Telekommunikation. Die Folge wird sein, daß die Regionen in ihrer kulturellen Eigenart gewinnen. Das föderale Element kommt verstärkt zum Tragen. London und Paris sind keine Beispiele; die Niederlande mit einer Hauptstadt Amsterdam, dem Regierungs- und Parlamentssitz in Den Haag liegen eher im Trend der Zeit. In Zukunft geht es um die Bewältigung der ökologischen Herausforderungen. Ein Umdenken ist auf vielen Politikfeldern angesagt. Die Stichworte lauten »umweltverträgliche Produktion«, »Dezentralität und Entballung«. Die Schaffung einer dominierenden Großstadt in Deutschland mit über fünf Millionen Einwohnern in Berlin ist mit dieser Idee nicht vereinbar. Schließlich -- und dieses Argument will ich nicht besonders strapazieren -- geht es für Deutschland auch um die Sicherung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Währung. Die Verschuldung des Staates hat jedoch unerträgliche Dimensionen angenommen. Heute müssen wir alles tun, um Ausgaben zu kürzen; auf keinen Fall dürfen wir neue vermeidbare Ausgaben produzieren. Den einzelnen Menschen in Berlin ist nicht damit geholfen, daß wir dort schnell und in erster Linie Wohnungen und Büros für Beamte und Politiker bauen. Es gibt zweifellos auch Argumente, die für Berlin sprechen. Ich komme jedoch zu der Überzeugung: Wer nach vorne blickt und die Aufgaben der Zukunft im Auge behält, muß dafür plädieren, daß die neuen Bundesländer über Jahre erhebliche finanzielle Mittel aus dem Westen bekommen und daß deshalb der Regierungs- und Parlamentssitz in Bonn bleiben sollte. |
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Dr. Egon Jüttner, CDU/CSU >> |