Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden
Dr. Christian Neuling, CDU/CSU | Johannes Nitsch, CDU/CSU >> |
---|---|
Zu Recht hat der Bundeskanzler -- in diesem Falle, wie er es ausgedrückt hat, als Abgeordneter Dr. Kohl -- von der Stunde des Parlaments gesprochen. Für mich gibt es keinen Zweifel, daß in einer parlamentarischen Demokratie das Parlament als Vertretung des Volkes eine herausragende Stellung in unserer freiheitlichen Gesellschaft hat -- dies sage ich bei aller Wertschätzung für die anderen Verfassungsorgane. So haben wir heute auch in erster Linie darüber zu entscheiden, wo das deutsche Parlament zukünftig tagen soll -- in Bonn oder in Berlin. Wir alle kennen den Reichstag. In regelmäßigen Abständen haben dort die Fraktionen getagt und dabei nie vergessen, jedenfalls bis vor kurzem, ihr Bekenntnis zum freien Teil Berlins abzulegen. Sie haben dabei den festen Willen zum Ausdruck gebracht, daß Berlin wieder Hauptstadt mit und Parlaments- und Regierungssitz eines geeinten Deutschlands werden soll. Ich selbst habe eine ganz persönliche Beziehung zu diesem Ort. Der Reichstag liegt in »meinem« Wahlkreis, den ich am 2. Dezember 1990 für die CDU Berlin direkt gewinnen konnte. Wir als Union haben diese Wahl am 2. Dezember in ganz Deutschland auch deshalb erfolgreich bestanden, weil wir die politische Kraft in unserem Lande waren, die mit Kontinuität und Glaubwürdigkeit das Ziel, die Einheit Deutschlands herzustellen, standfest und mit Überzeugung gerade auch in den schwierigsten Zeiten hindurch verfolgt haben. Es ist heute schon viel von historischen Bezügen und auch Vergleichen aus anderen Ländern gesprochen worden. Wenn man als Berliner sich für Berlin als Sitz des Parlaments einsetzt, ist das sicherlich nicht überraschend. Für mich gibt es zwei wesentliche, auch sehr persönliche Gründe: Berlin war in den vergangenen 40 Jahren weltweit das Symbol für Freiheit. Nicht umsonst heißt die Glocke im Schöneberger Rathaus »Freiheitsglocke«. Angefangen mit der Blockade haben weitere historische Ereignisse hierzu beigetragen: der Volksaufstand am 17. Juni 1953; das Chruschtschow-Ultimatum mit der unmittelbaren Bedrohung für die Stadt und die Menschen; die unmenschliche Trennung der Stadt am 13. August 1961 -- ich selbst stand nur wenige Wochen später selbst auf den amerikanischen Panzern und forderte zusammen mit anderen jungen Berlinern die Amerikaner auf, den vor uns liegenden Stacheldrahtverhau zu zerreißen --; dazu gehört auch der 9. November 1989, der Tag, an dem wir zum erstenmal erahnten, daß unser Ziel, die Einheit Deutschlands zu vollenden, erreichbar sein könnte. Heute haben wir die -- ich füge hinzu: äußere -- Einheit Deutschlands vollendet. Ich bin fest davon überzeugt, daß ohne den Durchhaltewillen des freien Berlins unser Vaterland im Jahre 1990 nicht geeint worden wäre. Dieser Durchhaltewillen war erfolgreich, weil die Berliner unbeirrt an die nationale Einheit geglaubt haben, aber auch, weil Berlin und seine Bevölkerung großzügig und freundschaftlich von allen Regionen des freien Teils Deutschlands und den Alliierten Unterstützung erhalten haben. Diese historischen Ereignisse werden von den Bonn-Befürwortern als nicht bindend für die heutige Entscheidung, die in die Zukunft reichen soll, bezeichnet. Diese historischen Ereignisse und unsere damaligen Bekenntnisse zu Berlin als Hauptstadt sind aber mit Sicherheit ein Gradmesser für unsere eigene politische Glaubwürdigkeit. Soweit die Vergangenheit. Nun zur Zukunft: Ich bin fest davon überzeugt, daß wir für den Prozeß der inneren Einheit Berlin als Sitz für das Parlament brauchen. Ohne dieses politische Signal insbesondere für unsere Landsleute in den neuen Bundesländern besteht die akute Gefahr, daß aus dem Prozeß der inneren Einheit der funktionale Prozeß eines Beitritts wird. Zweites wichtiges Kriterium ist für mich Europa. Aus dem Europa der ehemaligen Sechs ist inzwischen ein Europa der Zwölf geworden. Schweden wird sich ebenfalls offiziell um die Mitgliedschaft in der EG bewerben. So wie die Grenze quer durch Berlin ist auch die Grenze quer durch Europa beseitigt worden -- mit friedlichen Mitteln, durch die Menschen selbst. So ist damit zu rechnen, daß auch Länder wie Polen und die CSFR -- zunächst über wirtschaftliche Maßnahmen und Verträge -- zunehmend in den gemeinsamen europäischen Markt integriert werden, der sich seinerseits mit rasanten Schritten zu einer politischen Union entwickelt. Berlin wird somit innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre -- politisch gesehen -- im Herzen von Europa liegen. Eine Entscheidung für Berlin heute würde diesen Prozeß sicherlich beschleunigen -- zum Wohle der Menschen in ganz Europa. Die -- sicherlich sinnvollerweise -- begrenzte Redezeit für uns alle läßt es nicht zu, auf weitere Argumente wie z. B. das Kriterium des Föderalismus einzugehen. Wenn aber zehn Länderparlamente sich für Berlin als Sitz von Parlament und Regierung ausgesprochen haben, so ist das sicherlich ein weiteres Argument zugunsten von Berlin. Ich hatte eingangs gesagt, dies ist heute die Stunde des Parlaments. Nutzen wir sie, indem wir insbesondere die persönliche Entscheidung eines jeden einzelnen voll akzeptieren und daran denken, daß auch das politische Leben nach dem 20. Juni weitergeht. |
|
Johannes Nitsch, CDU/CSU >> |