Jenny Holzer im Reichstagsgebäude
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Die amerikanische Künstlerin Jenny Holzer lässt in der
Nordeingangshalle auf einer Stele digitale Leuchtschriftbänder
mit Reden von Reichstags- und Bundestagsabgeordneten aus der Zeit
von 1871 bis 1992 von unten nach oben ablaufen. Parlamentarische
Zwischenrufe werden durch wiederholtes Aufblinken kenntlich
gemacht. Die Reden wurden von der Künstlerin ausgewählt
und zu Themenblöcken zusammengestellt. Die Zusammenstellung
soll noch um weitere Reden bis zum April 1999, dem Zeitpunkt der
Eröffnung des Reichstagsgebäudes, ergänzt werden.
Bisher hat die Künstlerin 442 Reden aneinandergereiht, so dass
die Reden etwa 20 Tage lang ununterbrochen ohne Wiederholung
ablaufen können.
Die auf der Stele zur Deckenmitte hin aufsteigenden
Parlamentsreden bilden symbolisch einen tragenden Pfeiler des
Parlamentes als des Hauses der politischen Rede (von lat. "parlare"
= reden). Besonders beeindruckend wirkt die Leuchtstele abends,
wenn ihre Außenbegrenzung durch die Dunkelheit nicht mehr
sichtbar ist und daher nur noch die aufleuchtenden Worte der Reden
das Gewölbe zu tragen scheinen. Gleichzeitig spiegeln sie sich
vielfach gebrochen in den Glaswänden der Nordeingangshalle. So
reflektiert Jenny Holzer im wörtlichen und im
übertragenen Sinne bildkräftig mit den ihr eigenen
künstlerischen Ausdrucksmitteln Wesen und Geschichte des
Parlamentarismus in Deutschland.
Die Künstlerin
Jenny Holzer, geboren 1950 in Gallipolis, Ohio, lebt und
arbeitet in Hoosick Falls, New York, Installation für das
Reichstagsgebäude, 1999, Stahlstele mit elektronisch
gesteuerter Schriftabfolge.
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Die amerikanische Installationskünstlerin begann ihre
künstlerische Laufbahn mit Texten und Essays. Ab 1977 zeigte
sie auf Plakaten, Häuserwänden oder mit Neonreklamen sog.
"Truisms" (Binsenwahrheiten wie z. B. "Any surplus is immoral",
"Politik dient Privatinteressen"). Deren lapidare Mitteilungen
bewirken in einer von Werbetexten und anderen optischen Signalen
dominierten Umwelt ein Innehalten und Nachdenken. Diese Botschaften
steigerte sie, beispielsweise im amerikanischen Pavillon der
Biennale Venedig 1990, in einer "visuell-verbalen
Gesamtinszenierung" zu einer komplexen Sprachinstallation. Auch mit
der Leuchtstele und den Schriftbändern im
Reichstagsgebäude greift Jenny Holzer bewusst auf ein
Kommunikationsmittel zurück, das den Menschen von heute aus
ihrer täglichen Umgebung, von Bahnhöfen, von den
Börsennachrichten, aus Zügen und Bussen oder von der
Werbung her vertraut ist. Jenny Holzers Arbeit ist daher auf der
einen Seite durchaus medienkritisch, indem sie auffordert, die
täglichen Werbebotschaften nicht unreflektiert auf sich
einwirken zu lassen. Auf der anderen Seite wirbt sie gleichzeitig
für die Anerkennung neuer Kommunikationsformen, die sie als
Künstlerin nutzt, um ihre eigenen Botschaften möglichst
effektiv zu übermitteln.
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Für die Neue Nationalgalerie hat Jenny Holzer ein ganz
besonderes und einmaliges Projekt entwickelt, in dem die
inhaltliche Botschaft und ästhetische Rigorosität
gleichermaßen präsent sind. Über die ganze
Länge der Kassettendecke der Oberen Halle laufen Texte der
Künstlerin in gelb leuchtender Schrift. Diese stellen ein
Kompendium ihrer bisherigen Arbeit dar. Zudem kommen neue Texte zum
Einsatz, die auf Erfahrungen ihres Berlinaufenthaltes
zurückgehen.
Text: Andreas Kaernbach, Kurator der
Kunstsammlung des Deutschen Bundestages