essay
Das "Band des Bundes"
Im Schatten des Kanzleramtes
Von Christian Welzbacher
Die Berliner Parlaments- und Regierungsbauten gehen ihrer Vollendung entgegen. Der Teil des Gesamtensembles, an dem sich die Geister der Kritik am aktuellen Bauen in Deutschland scheiden, ist zweifellos das neue Kanzleramt. Schon jetzt gehen die Meinungen über den triumphalen, mit Naturstein verkleideten Bau weit auseinander, der weißglänzend und dahin gelagert den westlichen Teil des Berliner Spreebogens einnimmt. Mit den sich abzeichnenden Diskussionen um Axel Schultes' Großprojekt offenbart sich noch einmal - vielleicht zum letzten Mal für lange - das Dilemma der 1990 zu Ende gegangenen Nachkriegszeit: die Ängste vor der Entgleisung staatlicher Macht, die Unsicherheit im Schaffen von demokratischen Symbolen, die Schwierigkeit einer Abbildung demokratischer Prozesse in Architektur überhaupt.
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Tatsächlich scheint das neue Bundeskanzleramt all das zu vereinen, was man sich für die sinnstiftende Architektur des neuen, wiedervereinigten Deutschland nicht wünscht: pompöser Aufwand und große Gesten, melodramatisches Pathos und unbundesdeutsche Grandezza, einen "Ehrenhof" und andere konservative Zitate des Baukanons, an Säulen erinnernde Stelen und Stützen, kurz: Monumentalität. Dennoch aber steht Schultes' Opus Magnum ebenso fest verwurzelt auf dem schwierigen Baugrund der Hauptstadt wie auf dem Fundament der Historie staatlich-demokratischen Bauens. Zahlreiche Selbstzitate setzte Schultes am Kanzleramt ein, etwa die Sky-Lobby genannte Treppe, das inzwischen wieder verworfene Baummotiv für das so genannte "Leitungsgebäude" oder das eigenwillige Metallicgrün der Fensterrahmen, das nach eigenen Aussagen auf den Lack eines Porsche aus den sechziger Jahren zurückgeht, den der Architekt am Straßenrand parken sah. Solcherlei Privatmetaphorik verbindet der Berliner Architekt in postmoderner Manier mit zahllosen Versatzstücken der Architekturgeschichte. Vorbilder von der Antike bis in die Gegenwart, von Asien bis Europa finden sich in seinem Bau wieder. Besonders heftig flirtet das Kanzleramt mit Le Corbusiers in Sichtbeton ausgeführten Bauten von Chandigarh, der Hauptstadt der indischen Provinz Punjab, oder mit den ebenfalls in den späten fünfziger Jahren entstandenen Werken des großen amerikanischen Archaikers Louis Kahn, dem Schultes selbst bis in den Zeichenstil seiner Skizzen gefolgt ist.
Für die bundesdeutsche Architektur bedeuten die faszinierenden Formexperimente am Kanzleramt den Abschied von einer lange gehegten Metapher, der noch in Norman Fosters technoider Reichstagskuppel nachklingenden Symbolik des Materials Glas. Es galt seit Hans Schwipperts Bonner Bundeshaus dank seiner Transparenz als Ausdrucksmittel urdemokratischer Werte schlechthin. Erst der Bruch mit derlei ungeschriebenen Gestaltungskonventionen verleiht dem Kanzleramt die Aura einer "neuen" Staatsarchitektur, obgleich sie ideell in der Kontinuität der Bonner Republik steht.
Nicht zuletzt diese Eigenschaften des westlichen Auftaktbaus einer hochkomplexen städtebaulichen Anlage sind es, die das parlamentarische Gesamtensemble in den Schatten stellen: das "Band des Bundes", ebenfalls von Axel Schultes ersonnen. Die markante architektonische Achse tauchte bereits in Schultes' diabolisch ausgeleuchteten Styropormodellen auf, als 1989 an der Stelle des heutigen Kanzleramtes ein neues Deutsches Historisches Museum entstehen sollte. Mit dem Hauptstadtbeschluss bekam diese Formel einen neuen Sinn, der die Fachgremien in doppelter Hinsicht sofort überzeugen konnte: Sie bot die einmalige Möglichkeit, am Rande des historischen Zentrums nahezu sämtliche parlamentarischen Funktionen in Laufnähe zu vereinen und war gleichzeitig Ausdruck für die überwundene Teilung der Stadt.
Dem Kanzleramt direkt gegenüber sehen Stephan Braunfels' Parlamentsbauten ihrer Vollendung entgegen, die das "Band des Bundes" weiter über die Spree nach Osten führen. Braunfels' Riegel hat es wahrlich nicht leicht, gegenüber Schultes' symbolmächtigem Kanzlerbau zu bestehen; dennoch setzte sein Entwerfer mit gestalterischer Vernunft gleichsam auf architektonisches Einverständnis, statt zum barocken Gegenangriff überzugehen. Mit seinem weit auskragenden Vordach, das vier spindeldürre Stützen wundersam in der Schwebe halten, öffnet sich das Paul-Löbe-Haus zum Inneren des Spreebogens. In den Umrisslinien war Braunfels an die städtebaulichen Vorgaben des "Bandes des Bundes" gebunden. Seiner kammartigen Struktur nach - den nach außen gekehrten, aneinandergereihten Lichthöfen - folgt das Haus dem Kanzleramt. Eine neue Dimension aber gewinnt Braunfels dem lang gestreckten Baukörper ab, indem er ihn durch ein gebäudehohes Atrium der Länge nach öffnet: das lichtdurchflutete Foyer wird damit zur Verbindungs- und Blickachse gleichermaßen und die städtebauliche Klammer von Innen heraus nachvollziehbar.
Die Idee, das "Band des Bundes" in der Innenstadt zu verwurzeln und den beiden Spreesprüngen noch einen dritten in Richtung Bahnhof Friedrichstraße folgen zu lassen, ließ sich nicht realisieren. Ein wenig abrupt endet Braunfels' östliches Marie-Elisabeth-Lüders-Haus jetzt in einem Hinterhof an der Luisenstraße, direkt vor dem wahrscheinlich bekanntesten Plattenbau der Stadt. Erst die kleinteilige Struktur im Süden, das Jakob-Kaiser-Haus genannte Baukonglomerat an der Dorotheenstraße, verleiht dem monolithischen Band des Bundes einen gewissen städtebaulichen Halt. Hier geht der strenge Riegel optisch in die Blockstruktur der schachbrettartigen Friedrichstadt über. Daher erschien es sinnvoll, die fast 55.000 Quadratmeter Bürofläche in acht einzelne, unterirdisch miteinander verknüpfte Bauten mit eigenständigen Fassaden unterzubringen.
Wenn die Bauarbeiten am "Band des Bundes" in den nächsten Monaten abgeschlossen sein werden, bleibt vielleicht auch wieder Zeit, sich dem Problemkind des Gesamtensembles zu widmen, auf das Axel Schultes besonderen Wert legt: das als Herzstück der Anlage und uneingeschränkt öffentlicher Bereich konzipierte Bürgerforum. Vielleicht ist es ja bislang noch die alte Bonner Gewohnheit, die sich gegen den endgültigen Abschied von den Provisorien sträubt und alles endgültig Festgeklopfte und Irreversible skeptisch beäugt. Somit bietet auch in Zukunft nicht nur das Kanzleramt Stoff zur Debatte über den weltweit neuesten Stand der Staatsarchitektur. Mit etwas Ruhe und Abstand zu den enormen Kraftanstrengungen der letzten Jahre, die rund um den Spreebogen Gestalt angenommen haben, lässt sich der Blick schließlich auch erneut auf Grundsätzliches richten. Denn demokratische Entscheidungsprozesse sind dynamisch, Architektur aber stets statisch und damit im Idealfall das zur Baumasse geronnene Meinungsbild eines bestimmten Zeitpunkts. Die sich schon jetzt abzeichnenden Diskussionen sind daher nicht allein Ausdruck unterschiedlicher Meinungen, Präferenzen und Geschmäcker. Sie sind das entscheidende Zeichen, dass das Experiment "Demokratie als Bauherr" auch nach der Übergabe der Regierungs- und Parlamentsbauten auf dem Spreebogen weitergehen wird.
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Christian Welzbacher. |
Christian Welzbacher, Jahrgang 1970, geb. in Offenbach am Main. Zunächst Ausbildung zum chemisch-technischen Assistenten in Wiesbaden. Nach dem Zivildienst Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Geschichte in Mainz, Glasgow, Amsterdam und an der Freien Universität Berlin. Seit 1998 ist er freier Journalist. Mitarbeiter der Zeitschrift ARCHIS und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Im Jahr 2000 erhielt er den Kritiker-Förderpreis der Bundesarchitektenkammer.