BUNDESTAG STELLT RECHTSSICHERHEIT FEST
Derzeit liegen bereits 1,8 Millionen Anträge auf Zwangsarbeiterentschädigung vor
(in) Auf inzwischen rund 1,8 Millionen hat der Vorstand der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" am 30. Mai im Innenausschus die Zahl der eingereichten Entschädigungsanträge beziffert. Am gleichen Tag stellte der Bundestag die "ausreichende Rechtssicherheit" für deutsche Unternehmen gemäß dem Gesetz zur Errichtung der Stiftung fest. Außer einigen Unionsabgeordneten folgte das Parlament damit der Forderung eines gemeinsamen Antrags aller fünf Fraktionen (14/6158). Ein PDS-Antrag auf "rasche Auszahlung" (14/6158) wurde für erledigt erklärt.
Zur Kenntnis nahm der Bundestag, dass die Stiftungsinitiative der Wirtschaft den Betrag der deutschen Unternehmen in Höhe von 5 Milliarden DM zuzüglich mindestens 100 Millionen DM an die Stiftung leisten wird. Er geht davon aus, dass diese Mittel der Stiftung "unverzüglich" überwiesen werden.
Damit wird die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" ermächtigt, den Partnerorganisationen des Gesetzes Stiftungsmittel zur Verfügung zu stellen. Im Innenausschuss war dazu erläutert worden, aus den vorliegenden 1,8 Millionen Anträgen würden sich vermutlich etwa 1,3 bis 1,5 Millionen berechtigte Ansprüche ergeben. Von den Opferorganisationen in den jeweiligen Ländern seien sehr viele bereits geprüft. Um monatelange Verzögerungen zu vermeiden, beschränke sich die Stiftung auf eine Überprüfung mittels Stichproben.
Anmeldung vereinfacht
Klärungsbedarf gibt es danach in der Frage einer Verlängerung der Antragsfristen. Einerseits wolle man noch unberücksichtigten Opfern Zeit geben, ihren Anspruch anzumelden, andererseits drängten die Organisationen auf rasche Auszahlung.
Wichtig für alle Zwangsarbeiter, die sich noch nicht gemeldet hätten, sei, dass für eine fristwahrende Anmeldung bereits der Name und die Angabe der Zeit, in denen jemand Zwangsarbeit habe leisten müssen, genüge. Wenn Antragstellern kein weiterer Nachweis möglich sei, würden im Auftrag der Stiftung die notwendigen Recherchen übernommen. Für die Erleichterung und Genugtuung, heute die Freigabe der Mittel für die Entschädigung der Zwangsarbeiter beschließen zu können, gebe es ein Wort, bekannte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zu Beginn seiner Rede im Plenum, und dies heiße: "Endlich!"
Schröder erinnerte an den Beginn der Initiative 1998, an die vielfachen Schwierigkeiten und großen juristischen Hürden bei dem Bestreben, Rechtsfrieden zu erreichen mit dem Ziel, allen noch lebenden Opfern der Zwangs.arbeit ein Zeichen der Genugtuung zu geben, denn eine wirkliche Wiedergutmachung sei kaum möglich.
Bleibende Verdienste habe sich Otto Graf Lambsdorff, der Beauftragte des Bundeskanzlers, mit kluger, beharrlicher Verhandlungsführung erworben. Respekt und Dank gälten weiter der alten und neuen US-Regierung und Stuart Eizenstat sowie den Regierungen Mittel- und Osteuropas, dem Jewish Claim, einigen Opferanwälten und allen Parteien. Anerkennung gebe es auch für 6.300 Unternehmen der Stiftungsinitiative, doch "es könnten mehr sein und müssen noch mehr werden".
Finanzieller Schlussstrich
Otto Graf Lambsdorff ging auf die Bedeutung, die Hürden und Widrigkeiten des Vorhabens ein und dankte vielen Beteiligten namentlich. Mit dem Gedenken an "Sklaven und Zwangsarbeiter", die ihrer Menschenwürde verletzt und ihrer Arbeitskraft und Jugend beraubt wurden, sei auch an jene zu denken, "für die unsere Bemühungen um Jahrzehnte zu spät gekommen sind". "Wir haben uns bemüht, einen Schlussstrich unter das dunkelste Kapitel unserer Geschichte zu ziehen – einen finanziellen Schlussstrich. Einen moralischen Schlussstrich kann und darf es nicht geben."
"Moralische Pflicht"
Peter Struck (SPD) betonte, Politik und Wirtschaft machten klar, dass sie sich auch über 50 Jahre nach dem Naziterror nicht der moralischen Plicht entziehen, die aus dem damaligen Unrecht erwachsen sei. Struck bat die Partnerorganisationen, ihrerseits nun alles zu tun, um noch unerledigte Anträge rasch zu bearbeiten.
Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) erklärte, dies sei "ein guter Tag – für viele Opfer, aber auch für uns alle". Der interfraktionelle Antrag sei zwar "schlicht formuliert, aber von großer Bedeutung". Dennoch müsse richtig gestellt werden, dass die Entschädigung für NS-Unrecht nicht erst jetzt begonnen habe, sondern seit Jahrzehnten mit weit über 100 Milliarden DM Wiedergutmachung geleistet worden sei.
Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) würdigte die deutschen Unternehmen, die sich der Verantwortung gestellt hätten, ohne damals von Zwangsarbeitern profitiert zu haben, und erinnerte andere namentlich an ihre Pflicht: "Es ist noch nicht zu spät."
Max Stadler (F.D.P.) unterstrich, es sei in diesen zwei Jahren gelungen, ein "Bekenntnis zu Schuld und historischer Verantwortung an Stelle von Vergessen und Verdrängen" ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.
Roland Claus (PDS) forderte, sich jeder Selbstzufriedenheit über einen guten, aber längst überfälligen Schritt zu enthalten, und dankte den Betroffenenverbänden für ihren Beitrag.