Menschen im Bundestag
Service auf der ganzen Linie
Birgit Engelke arbeitet beim Parlamentsassistenzdienst. Wenn es sie und die rund 80 anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Bereichs nicht gäbe, hätte der Bundestag wirklich ein Problem.
Erstes Bild: Donnerstag, morgens um acht, Plenarsaal, Pressetribüne. Der Saal ist fast leer. Ein Abgeordneter sitzt auf einem der blauen Sessel und liest Zeitung. Am Präsidiumstisch stehen vier Frauen und zwei Männer des Parlamentsassistenzdienstes im Kreis und reden miteinander. Zwei ihrer Kolleginnen und ein Kollege verteilen Drucksachen auf die Plätze der beiden vorderen Reihen im Plenarsaal. Auf weiße Blätter folgen grüne, dann wieder weiße und dann gelbe. Die Papierstapel wachsen in den Himmel und müssen deshalb manchmal gestaucht und wieder in Form gebracht werden. Ein Sicherheitsbeamter macht einen letzten Kontrollgang durch den Saal.
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Blick in den Plenarsaal. |
Zweites Bild: Donnerstag, morgens um neun, Plenarsaal, Pressetribüne. Der Saal ist voll, das Präsidium, die Regierungsbank, die Bundesratsbank, das Rednerpult, der Stenografentisch sind besetzt. Die Frauen und Männer des Parlamentsassistenzdienstes in ihren dunkelblauen Kostümen und Fräcken, mit den exakt gebügelten weißen Blusen und Hemden, den goldenen Jackenknöpfen, auf denen Miniaturausgaben des Bundesadlers verewigt sind, kommen und gehen. Sie bewegen sich zielsicher zwischen den Reihen der Abgeordneten. Zwei Parlamentsassistenten sitzen oben beim Präsidium, in der Mitte, auf den hinteren beiden Plätzen. Ihre Körperhaltung verrät höchste Konzentration. Sie sehen ihre Kolleginnen und Kollegen, die den Raum betreten und wieder verschwinden, als stünde draußen vor dem Saal jemand und gäbe Startsignale in einem Takt, den niemand kennt. Alles keine Geheimnisse. Höchstens verwirrend.
Die Parlamentsassistentin Birgit Engelke hat ein schönes Lachen. Das werden wahrscheinlich nur wenige Abgeordnete wissen, denn wenn Birgit Engelke den Plenarsaal betritt, guckt sie ernst. Sie bleibt einen Moment am Eingang stehen und lässt ihren Blick suchend durch die Reihen wandern. Sie hat die Abgeordneten im Blick, die Abgeordneten schauen zum Rednerpult oder in ihre Papiere. Den erwünschten Kontakt muss Birgit Engelke herstellen. Sie geht zielsicher durch die Reihen der Parlamentarier, nähert sich sacht, tippt jemandem leicht auf die Schulter, beugt sich hinab und sagt leise ein paar Worte. Sie reicht ein Blatt Papier weiter oder überbringt eine Nachricht, die per Telefon kam. Manchmal übergibt sie eine große, schwere Aktentasche – das eignete sich vielleicht als Filmsequenz, wie sie mit Tasche kommt und ohne Tasche wieder geht.
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Birgit Engelke, Mitarbeiterin beim Parlamentsassistenzdienst. |
Das dunkelblaue Kostüm passt zu Birgit Engelke. Sitzt wie angegossen und harmoniert ausgezeichnet mit ihren blauen Augen. Sieht aus, als trüge sie schon lange solcherart Dienstkleidung. Trägt sie aber nicht. Sie ist seit 1999 beim Deutschen Bundestag und im Bereich Parlamentsassistenzdienst tätig. Vorher hat sie in Bonn als medizinisch-technische Assistentin in einer Arztpraxis gearbeitet. 1999 zog sie mit ihren drei Kindern nach Berlin. Der Mann arbeitete bereits hier. Was sie in ihrer vorherigen Arbeit gelernt hat, muss jetzt nicht brachliegen: auf Leute zugehen können, eine Freundlichkeit haben, die von innen kommt, Durchhaltevermögen zeigen, auch bei hektischem "Publikumsverkehr", Gelassenheit im Umgang mit ungeduldigen, manchmal gestressten Menschen haben, ein gutes Personengedächtnis besitzen. Könnte sie all das nicht, wäre sie keine gute Saaldienerin. Dienerin? Nun ja, es hat sich eingebürgert, die Männer und Frauen des Parlamentsassistenzdienstes Saaldiener und Saaldienerinnen zu nennen.
Es ist besser, sich der Beschreibung dessen, was die Frauen und Männer vom Parlamentsassistenzdienst machen, einmal anders zu nähern. Was wäre, wenn es sie nicht gäbe?
Die beiden Meldetische vor dem Eingang Regierungsbank (rechts) und Bundesratsbank (links) wären nicht besetzt. Niemand schaute und kontrollierte, dass jede und jeder auf die richtigen Plätze kommt und eine Zugangsberechtigung hat. Keiner nähme die an den Meldetischen eingehenden Telefonanrufe für die Abgeordneten entgegen. Die Faxgeräte, strategisch günstig zwischen den beiden Meldetischen platziert, stünden umsonst da. Sie spuckten Nachrichten über Nachrichten aus, die ihre Adressaten nicht erreichten. Irgendwann wäre das Papier alle. Es wäre niemand da, der all die Fragen beantworten kann, die gestellt werden: Ist der Abgeordnete XY im Plenarsaal? Wann redet die Abgeordnete der SPD-Fraktion? Wo finde ich ...? Wie komme ich zu ...? Haben Sie heute schon Herrn ... gesehen? Können Sie bitte diese Nachricht ...? Bis wann dauert ...? Wer hat ...?
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Birgit Engelke, Mitarbeiterin beim Parlamentsassistenzdienst. |
Und warum wissen Frauen wie Birgit Engelke und ihre Kolleginnen und Kollegen auf all diese Fragen fast immer eine Antwort? Weil sie nie aufhören zu lernen. Sie lernen Abläufe kennen, sie können sagen, wo sich was im Reichstagsgebäude befindet, sie trainieren ihr Personengedächtnis. Wenn die Abgeordneten morgens kommen, schauen sie, wer ist da und somit im Plenarsaal. Sie merken sich vielleicht, was hat der oder die heute an, welche Frisur er oder sie trägt, denn es ist nicht einfach, jemanden von hinten zu erkennen. Zumal es im Plenarsaal innerhalb der Fraktionen keine feste Sitzordnung gibt. Birgit Engelke lernt das seit zweieinhalb Jahren und sie ist gut.
Es gäbe ohne den Parlamentsassistenzdienst keine Verbindung zwischen drinnen und draußen. Diejenigen, die drinnen sitzen, beraten, sich auseinander setzen und nach Kompromissen suchen, abstimmen, diskutieren würden nicht erfahren, wenn draußen jemand dringend ihrer bedürfte. Sie wüssten nicht, wenn in ihrem Büro eine Angelegenheit der sofortigen Erledigung harrt. Wenn sie Durst hätten, müssten sie rausgehen und schauen, wo sie ein Glas Wasser herbekommen. Das kostete Zeit. Am Morgen, zu Beginn der Plenarsitzung, sähe der Saal noch fast so aus, wie er am Abend verlassen wurde. Die gelesenen Zeitungen und Drucksachen lägen noch am gleichen Platz, die vergessenen Kugelschreiber, Brillen oder gar Taschen, Mappen und Jacketts ebenso.
Bei den namentlichen Abstimmungen stünde niemand an den Urnen, um aufzupassen, dass alles ordnungsgemäß abläuft, und niemand brächte die Urnen dann zum Auszählen der abgegebenen Stimmen. Säßen nicht zwei Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des Plenarassistenzdienstes hinter dem Präsidium, bliebe manche Frage unbeantwortet. Ein schneller Zwischenruf zur Rede, wer war das eben? Ein Lämpchen blinkt, also braucht ein Parlamentarier eine Auskunft oder hat eine Mitteilung für den Präsidenten.
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Birgit Engelke, Mitarbeiterin beim Parlamentsassistenzdienst. |
"Nach 60 Minuten", sagt Antonius Müller, Leiter der Parlaments- und Ausschussdienste, "muss man da oben erst mal weg und eine kurze Pause machen. Dieser Dienst ist anstrengend, weil er die ganze und ununterbrochene Aufmerksamkeit erfordert, schnelles Reagieren und viel Kenntnis. Die Leute, die das machen, müssen auf der Höhe der Zeit sein und – nur zum Beispiel – über das Haushaltsgesetz Bescheid wissen. In unserem Bereich", sagt Herr Müller, "sollten alle alles können. So wie Frau Engelke, die ich überall einsetzen kann und weiß, sie wird ihre Sache gut machen."
Und gäbe es solche wie Birgit Engelke nicht, ginge es auch oben, auf der Besucherebene, chaotisch zu. Niemand wäre da, die Besuchergruppen einzuweisen, ihnen zu sagen, wie sie sich im Plenarsaal auf der Besuchertribüne zu verhalten haben, niemand brächte sie an ihren Platz und holte sie nach einiger Zeit wieder ab, keiner beantwortete die kleinen und großen Fragen.
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Birgit Engelke, Mitarbeiterin beim Parlamentsassistenzdienst. |
Große Ausschüsse und Ältestenrat müssten,
gäbe es den Parlamentsassistenzdienst nicht, auf den
notwendigen Service verzichten. Keiner säße vor dem
Sitzungssaal, um auch hier die Verbindung zwischen drinnen und
draußen herzustellen. Niemand wäre in der sitzungsfreien
Zeit und auch sonst für die Botenmeisterei zuständig,
brächte Nachrichten, Papiere zu den einzelnen Liegenschaften
des Deutschen Bundestages. Keiner sortierte die vielen hundert
roten, blauen und weißen Stimmkarten so, dass jeder
Abgeordnete seine Stimmkarten immer am richtigen Platz findet.
Birgit Engelke macht ihre Arbeit gern. Sie hat ein gutes
Gefühl bei dem Gedanken an die kommenden Jahre. "Das wird
nicht langweilig", sagt sie, "Da bin ich mir ganz sicher. Es ist
einfach schön, mit anderen zusammenzuarbeiten und für
andere etwas zu tun." Was sie nicht beantworten kann, ist, wie
viele Kilometer sie eigentlich an einem langen Sitzungstag
zurücklegt. Betrachtet man die Angelegenheit von oben, von der
Tribüne aus, sieht man sie in einer Stunde vielleicht
fünfzehn Mal in den Plenarsaal kommen und aus dem Plenarsaal
gehen. Aber das ist ja nur ein Teil des Ganzen. Liefe man einen
ganzen Tag hinter ihr her, folgte ihr auf Schritt und Tritt,
stellte sich die Sache schon anders dar. Wäre ein gutes
Training, so ein Versuch, für den Kopf und für die Beine.
Und – man bemühte nicht mehr das Klischee von den
Saaldienern mit dem Tablett und dem Wasserglas. Bei so vielen neuen
Bildern im Kopf.
Kathrin Gerlof