Forum: Auslandseinsätze und Wehrpflicht
Marschbefehle für die Bundeswehr
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Bundeswehrsoldaten vor dem Abflug. |
Die sicherheitspolitische Lage in der Welt hat sich grundlegend verändert. UN-Friedensmissionen und der weltweite Kampf gegen den Terrorismus stellen die deutsche Sicherheitspolitik vor neue Aufgaben und erfordern eine Diskussion über die Rolle der Bundeswehr zwischen Landesverteidigung und internationaler Krisenbewältigung. Blickpunkt Bundestag hat die Fraktionen gefragt, welche Konsequenzen sich aus der veränderten Aufgabenstellung und dem neuen Einsatzspektrum für eine Bundeswehrreform und für die Wehrpflicht ergeben.
Unumstritten ist, dass Deutschlands Bedeutung und Verantwortung für die europäische Sicherheit und den Weltfrieden spätestens seit dem Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 weiter gewachsen sind. Deutschlands eigene Interessen und internationale Verpflichtungen haben dazu geführt, dass Anzahl, Intensität, Umfang und Dauer der Auslandseinsätze der Bundeswehr stetig zugenommen haben. Allein seit 1998 waren insgesamt mehr als 100.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zusammen mit Streitkräften von Verbündeten und Partnern im Ausland eingesetzt. Derzeit ist die Bundeswehr mit rund 9.000 Soldaten in Krisengebieten engagiert.
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Karte: Auslandseinsätze der Bundeswehr. |
Angefangen hatte alles schleichend. Nach dem Fall der Mauer und der wiedergewonnenen Souveränität konnte sich Deutschland nicht mehr auf die Sonderrolle berufen. Im ersten Golfkrieg 1991 gelang es noch unter Berufung auf verfassungsmäßige Einschränkungen, von einer militärischen Teilnahme Abstand zu halten. Die finanzielle Unterstützung kostete Deutschland rund 16 Milliarden Mark. Danach aber musste Deutschland Farbe bekennen. 1992 schickte der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe Sanitätssoldaten nach Kambodscha, ein Jahr später schon 1.700 Soldaten nach Somalia. Von „Kriseneinsätzen“ war noch nicht die Rede, man sprach lieber von „humanitären Aktionen“. Sechs Jahre später stellte sich Deutschland endgültig der harten Realität einer unfriedlichen und kriegerischen Welt und schickte Kampfjets in das Kosovo. Bald darauf rückten Kampftruppen in Mazedonien und Afghanistan ein, wurden ABC-Abwehrtruppen nach Kuwait und Kriegsschiffe an das Horn von Afrika geschickt.
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Dauer des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes. |
Bundeswehr weltweit – das ist heute keine Fiktion mehr. Verteidigungsminister Peter Struck sagt es so: „In der heutigen Welt gibt es keine nationalen Friedensoasen mehr. Die Einsätze der Bundeswehr lassen sich weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen.“ Tatsächlich gehen der Welt die Konflikte nicht aus – und damit auch der Bundeswehr nicht die Einsatzorte. Schon in nächster Zeit könnten weitere Missionen auf sie zukommen: Bei NATO und UN sind Stabilisierungsaktionen für den Irak und für den Dauerkonflikt zwischen Israel und Palästina im Gespräch. Keine Tabus mehr also für Einsätze der Bundeswehr im Ausland?
Darüber entbrennt derzeit eine engagierte Diskussion in Parlament und Öffentlichkeit. Die Fragen lauten: Inwieweit dürfen Soldaten Instrument der Politik sein? Was sind unsere nationalen Interessen? Kommt über immer mehr Auslandseinsätze die Landesverteidigung zu kurz? Und: Welche Auswirkungen hat die neue Einsatzrealität auf Ausbildung und Ausstattung der Bundeswehr, vor allem aber auf die Wehrpflicht?
Auslandseinsätze der Bundeswehr
Bosnien: Seit Ende 1996 stellen
die Deutschen mit etwa 1.800 Soldaten eines der größten
Kontingente der SFOR-Mission (Stabilization Force).
Kosovo: Seit Juni 1999 sorgt die
Friedenstruppe KFOR (Kosovo Force) unter NATO-Kommando für
Stabilität. Das heute 3.500 Mann starke deutsche Kontingent
ist für den Süden zuständig.
Mazedonien: Etwa 500 Deutsche sind im
Spätsommer 2001 an der NATO-Operation „Essential
Harvest“ (Bedeutende Ernte) beteiligt, die die albanische UCK
(Nationale Befreiungsarmee) entwaffnet. Für „Amber
Fox“ (Bernsteinfarbener Fuchs), die Nachfolgemission zum
Schutz von Beobachtern der EU und der Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE), stellt die Bundeswehr 600
Soldaten. Diese Zahl wird später im Rahmen der
EU-geführten Operation „Concordia“ (Eintracht) auf
50 reduziert.
Mittelost: An der Operation
„Enduring Freedom“ (Dauerhafte Freiheit) im
internationalen Antiterrorkampf sind bis zu 900 deutsche Soldaten
beteiligt. Einsatzgebiete sind die arabische Halbinsel, Mittel- und
Zentralasien, Nordostafrika sowie die angrenzenden
Seegebiete.
Afghanistan: Mit zunächst 1.200
und später 2.500 Soldaten beteiligt sich die Bundeswehr an der
ISAF-Truppe der UN (International Security Assistance Force). Seit
Februar führt das Deutsch-Niederländische Korps die
Schutztruppe.
Kongo: Die Bundeswehr
unterstützt mit 350 Soldaten eine Friedensmission der EU.
Eingesetzt werden die Soldaten in der Stadt Bunia.
Für den Verteidigungsminister sind die Prioritäten klar: „Die internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung, einschließlich des Kampfs gegen den internationalen Terrorismus, ist an die erste Stelle des Aufgabenspektrums gerückt. Diese Aufgabe prägt maßgeblich die Fähigkeiten, das Führungssystem, die Verfügbarkeit und die Ausrüstung der Bundeswehr. Demgegenüber hat die herkömmliche Landesverteidigung gegen einen Angriff mit konventionellen Streitkräften deutlich an Bedeutung verloren.“ Weil Deutschland von Freunden umgeben ist und uns keine östlichen Panzerarmeen mehr bedrohen, kann und muss die Bundeswehr zu einer Krisen- und Interventionsarmee umgebaut werden.
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Bundeswehrrekruten beim Gelöbnis. | ||||||||||
Strucks Analyse baut auf der Erkenntnis auf, dass „die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands an leistungsfähige Streitkräfte gebunden“ sei. Deshalb müsse die Bundeswehr als eine Armee definiert werden, die „weltweit und mit geringem zeitlichen Vorlauf“ in der Lage sein müsse, das gesamte Einsatzspektrum bis hin zu Operationen mit hoher Intensität abzudecken. Hierfür benötige die Bundeswehr „differenzierte Streitkräfte“, die rasch verfügbar und durchhaltefähig seien.
Die konventionelle Landesverteidigung wird in den Richtlinien durch den allgemeineren Begriff des „Schutzes Deutschlands und seiner Bürger“ ersetzt, zu dem Struck auch den Schutz gegen terroristische Bedrohungen sowie die Überwachung des deutschen Luft- und Seeraums zählt.
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Abbildung: Wehrdienstleistende von 1990 bis 2002. |
Wie aber ist die Bundeswehr auf die veränderte Lage vorbereitet? Ist sie materiell, finanziell und personell für die Doppelrolle des Global Players und einer Heimatarmee gerüstet? Darüber geben die „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ nur bedingt Auskunft. Und auch trotz der Formulierung, dass „die Allgemeine Wehrpflicht in angepasster Form unabdingbar bleibt“, darüber, ob die Bundeswehr angesichts der veränderten Aufgaben eine Wehrpflichtarmee bleiben kann oder in Berufsstreitkräfte umgewandelt werden muss. Die Frontlinie hierzu ist im Bundestag unübersichtlich: Während die CDU/CSU-Fraktion und die Mehrheit der SPD-Fraktion für eine Beibehaltung einer möglichst neunmonatigen Wehrpflicht sind, plädieren die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, FDP und eine sozialdemokratische Minderheit für eine Aufgabe dieser bislang konstitutiven Basis der Bundeswehr. Ihre Argumentation: Veränderte Weltlage, neues Einsatzkonzept und das Gebot der Wehrgerechtigkeit verlangen eine Spezialistenarmee, die sich auf länger dienende Berufssoldaten stützen kann. Für kurzfristige dienende Wehrpflichtige sei in der Bundeswehr der Zukunft kein Platz mehr.
Sönke Petersen
Sagen Sie den Bundestagsabgeordneten oder der Redaktion Ihre Meinung zum Thema Bundeswehrreform:
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Rainer Arnold. | ||||||||||
Kontinuierlicher
Prozess
Rainer Arnold, SPD
rainer.arnold@bundestag.de
www.rainer-arnold.de
Leistungsfähige Streitkräfte sind ein wichtiges und unverzichtbares Instrument für die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit unseres Landes. Umfassende und wirksame Friedenspolitik können wir nur gemeinsam mit unseren Verbündeten und Partnern in multinationaler Zusammenarbeit gestalten. Deshalb wird Deutschland im Rahmen der Europäischen Union, der NATO, der OSZE und der Vereinten Nationen seinen Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit leisten. Unsere Streitkräfte werden zur völkerrechtlich legitimierten Risikovorsorge und Krisenbewältigung, aber auch zur Landes- und Bündnisverteidigung an den Außengrenzen des NATO-Bündnisgebietes gebraucht. Heute leisten etwa 9.000 Soldaten zusammen mit den Streitkräften unserer Verbündeten und Partner einen wesentlichen Beitrag für Sicherheit und Frieden. Sie werden nur im Rahmen der vorhandenen Fähigkeiten und der verfügbaren Mittel und auf der Basis völkerrechtlicher Verpflichtungen eingesetzt. Dabei hat ihr persönlicher Schutz hohe Priorität.
Die Neuausrichtung der Bundeswehr hat die Streitkräfte qualitativ verbessert. Die laufende Reform ist ein kontinuierlicher Prozess, der einer ständigen Weiterentwicklung bedarf. Nun gilt es, die Vorgaben der Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) umzusetzen und die Streitkräfte noch stärker an dem wahrscheinlichsten Einsatzspektrum auszurichten. Dies wird Auswirkungen auf die Organisation, Struktur und materielle Ausrüstung haben.
Unsere Fähigkeiten zur Risikovorsorge und Krisenbewältigung sind überwiegend auch unsere Fähigkeiten zur Bündnis- und Landesverteidigung. Deshalb ist die Beibehaltung der Wehrpflicht für die Wahrung unserer Sicherheitsinteressen, die Qualität der Bundeswehr, ihr inneres Gefüge und für unsere gesamte Gesellschaft die richtige Entscheidung.
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Christian Schmidt. | ||||||||||
Sicherheitsvorsorge
ernst nehmen
Christian Schmidt, CDU/CSU
christian.schmidt@bundestag.de
www.christian-schmidt.de
Bei der Frage, ob sich die Bundeswehr an einem Auslandseinsatz beteiligen soll, müssen zwei Kriterien berücksichtigt werden: die Interessen unseres Landes und die Fähigkeiten der Bundeswehr. Auch wenn sich die Bedrohungsszenarien verändert haben, bleibt Verteidigung weiterhin Verteidigung unseres Landes und des Bündnisses. Richtig ist allerdings auch, dass Krisenprävention und Konfliktmanagement im Ausland als neue Aufgaben auf die Bundeswehr hinzugekommen sind. Entscheidungen über einen Auslandseinsatz sollten aber auch nationale Sicherheitsinteressen berücksichtigen. Bisher fehlt allerdings eine Debatte über Bedrohungen, Risiken und die Interessen Deutschlands. Die Bundesregierung scheut sich, beispielsweise Sicherheit des westlichen Lebensentwurfs, Freiheit der Handelswege oder Zugang zu Rohstoffen als Fragen nationalen Interesses zu definieren. Dabei ist unstrittig, dass die Bundeswehr als Instrument der Landesverteidigung und der Außenpolitik benötigt wird.
Die Bundeswehr muss den neuen Herausforderungen gerecht werden, ohne die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung zu vernachlässigen. Dazu bedarf es einer gut ausgerüsteten Bundeswehr und eines Gesamtverteidigungskonzeptes, in das die Kräfte und Mittel der inneren und äußeren Sicherheit eingebunden sind. Die Wehrpflicht ist auch unter den geänderten sicherheitspolitischen Bedingungen ein Erfolgsmodell. Gerade die Mischung aus Zeit- und Berufssoldaten sowie Wehrpflichtigen macht den Professionalismus der Bundeswehr aus.
Eine auf Haushaltsdiät gesetzte Bundeswehr wird die Aufgaben der Zukunft aber nicht schultern können. Bereits heute ist sie nur bedingt einsatz- und bündnisfähig. Sicherheitspolitik muss deshalb Eingang in den politischen Prioritätenkatalog finden. Sicherheitspolitik nach Kassenlage dagegen verbietet sich, wenn man Sicherheitsvorsorge für die Bürger ernst nimmt!
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Winfried Nachtwei. | ||||||||||
Verantwortliche
Gestaltung
Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen
winfried.nachtwei@bundestag.de
www.nachtwei.de
Wenn die Bundeswehr inzwischen auf drei Kontinenten eingesetzt ist, dann scheint es für Auslandseinsätze keine Grenzen mehr zu geben. Die Wirklichkeit, aber auch die Zielsetzung deutscher Sicherheitspolitik sieht anders aus.
Begrenzt ist die Aufgabenstellung der Bundeswehr: Sie soll zu multilateraler Krisenbewältigung im Dienste kollektiver Sicherheit beitragen. Gebunden ist die Bundeswehr dabei an das Völkerrecht, die Zustimmung des Bundestages und die Akzeptanz der Bevölkerung. Ausgeschlossen ist damit eine „grenzenlose“ Aufgabenstellung, wo Militär und Krieg „normale“ Mittel zur Durchsetzung nationaler Machtinteressen sind. Es geht im Gegenteil um Kriegsverhütung und internationale Sicherheit im multilateralen Verbund.
Anlässe für Militäreinsätze zu humanitären und stabilisierenden Zwecken gibt es weltweit reichlich. Die eigenen begrenzten Fähigkeiten und prioritären Interessen der Bundesrepublik setzen der Beteiligung der Bundeswehr daran deutliche Grenzen.
Grenzen der Leistungsfähigkeit ergeben sich schließlich aus der Komplexität der Gewaltkonflikte, die niemals mit schnellen Interventionen eingedämmt werden können, sondern der geduldigen Arbeit von militärischen, zivilen und polizeilichen Kräften bedürfen, um tatsächlich Friedensprozesse zu bewirken.
Mit der Aufgabenverschiebung hin zur Krisenbewältigung hat die Wehrpflicht ihre zentrale sicherheitspolitische Begründung verloren. Ohne diese ist aber der massive Eingriff in die Grundrechte junger Männer nicht zu rechtfertigen. Notwendig ist eine rundum professionelle und flexible Armee und eine effektivere Verwendung der begrenzten Haushaltsmittel. Die Wehrpflicht steht dem entgegen, sie blockiert eine finanzierbare Bundeswehrreform.
Die Umstellung von der Wehrpflicht auf die Freiwilligenarmee braucht Zeit und Sorgfalt. Statt krampfhaft an der Wehrpflicht festzuhalten, kommt es darauf an, diesen Prozess verantwortlich zu gestalten.
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Günther Nolting. | ||||||||||
Von der Wehrpflicht
trennen
Günther Nolting, FDP
guenther.nolting@bundestag.de
www.guenthernolting.de
Die Bundeswehr ist mit rund 8.500 Soldaten in verschiedenen Friedensmissionen tagtäglich im Einsatz. Die Bundeswehr ist personell und materiell an ihre Grenzen gelangt. Durch das Festhalten an der allgemeinen Wehrpflicht ist sie nicht auf die Art und Größe der seit Jahren wichtiger werdenden Auslandseinsätze ausgerichtet. Die Soldaten, die in die Auslandseinsätze entsendet werden, leiden unter extremen, zu langen Einsatzbelastungen und unter zu kurzen Zeiträumen zwischen den Einsätzen. Es fehlt die Zeit, um sich zu regenerieren und ein lebenswertes Familienleben zu führen. Das Material ist größtenteils nur für die Landesverteidigung ausgelegt und mittlerweile veraltet.
Die Nachjustierung der Bundeswehrreform des Verteidigungsministers ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber bei weitem nicht konsequent genug, um die Bundeswehr auf die neuen Anforderungen auszurichten. Die sicherheitspolitischen Anforderungen, wie auch in den durch Verteidigungsminister Peter Struck herausgegebenen Verteidigungspolitischen Richtlinien aufgeführt, schließen eine Landesverteidigung aus und konzentrieren sich auf die Bekämpfung von asymmetrischen, terroristischen Bedrohungen und auf friedenserhaltende und friedensschaffende Einsätze im Rahmen von Bündnissen.
Für Aufgaben dieser Art brauchen wir Streitkräfte, die gut ausgebildet, modern ausgerüstet, voll einsatzbereit und schnell verlegbar sind. Dafür benötigt die Bundeswehr keine Grundwehrdienstleistenden! Deren Einsatz in diesem Auftragsspektrum ist nicht nur vom Parlament untersagt worden; auf Grund der kurzen Wehrdienstdauer wäre er auch unverantwortlich. Je schneller sich die Bundeswehr von der Wehrpflicht trennt, desto besser ist sie in der Lage, neue Aufgaben zu bewältigen.