Bert Schulz
Vergiftete Beziehungen
Damals...vor 15 Jahren am 18. Januar 1989:
Debatte im Bundestag über die Libyen-Affäre
Als im vergangenen Jahr der US-amerikanische Außenminister
Donald Rumsfeld die Bundesrepublik, immerhin ein langjähriger
NATO-Verbündeter, in einem Zug mit den "Schurkenstaaten" Kuba
und Libyen nannte, konnte man meinen, eine neue Phase der
internationalen Politik hätte begonnen. Aber bereits einige
Monate nach dem offiziellen Ende des Krieges im Irak verliefen die
Fronten im "alten Europa" im Wesentlichen wieder nach bekannten
Mustern. Vielleicht wäre Rumsfelds Vergleich eineinhalb
Jahrzehnte früher etwas passender gewesen: Vor 15 Jahren war
"Schurkenstaat" noch kein inflationär gebrauchtes Wort und
Europa nicht in alt und neu geteilt sondern in ost und west -
politisch war die Situation deswegen aber umso brisanter.
Etwas überraschend erklärt der damalige Präsident
der USA, Ronald Reagen, kurz vor Weihnachten 1988, die Vereinigten
Staaten und ihre Verbündeten würden über einen
Präventivschlag gegen Libyen nachdenken. Der Grund: Laut
Geheimdienstinformationen besäße das Land 60 Kilometer
südlich der Hauptstadt Tripolis eine Fabrik zur Herstellung
von Giftgas. Kurz nach Neujahr verschärfen sich die Spannungen
zwischen den USA und dem nordafrikanischen Staat nach dem Abschuss
zweier libyscher Kampfflugzeuge durch die amerikanische Luftwaffe
über dem Mittelmeer.
Zu diesem Zeitpunkt hat der Konflikt bereits eine deutsche
Dimension bekommen: Medienberichte vom Jahresanfang 1989, dass
bundesdeutsche Firmen maßgeblich am Bau der Todesfabrik
mitgewirkt hätten, werden von amerikanischer Seite
bestätigt. Dabei habe die im baden-württembergischen Lahr
ansässige Firma Imhausen-Chemie eine Schlüsselrolle
gespielt.
Erste Untersuchungen der deutschen Staatsanwaltschaft kommen
jedoch zu keinem Ergebnis. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU)
beschwert sich darauf am 9. Januar in ungewöhnlich deutlicher
Weise, dass man durch die öffentlichen Anschuldigungen "die
Deutschen auf die Anklagebank setzt, ohne dass wir die
Möglichkeit haben, die Beweismittel einzusehen". "Unter
Freunden" würde man so nicht miteinander umgehen. Ein Tag
später beschließt das Bundeskabinett schärfere
Exportkontrollen; in den folgenden Tagen berichtet die Presse
über abgehörte Telefongespräche zwischen der
libyschen Fabrikleitung und Imhausen-Chemie sowie über
Geheimdiensthinweise auf eine Baubeteiligung der Firma, die das
Kanzleramt bereits zwei Jahre vorher erhalten habe.
Am 18. Januar gibt Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble
(CDU) vor dem Bundestag eine Erklärung zu der Affäre ab,
in der er detailliert darlegt, wann der deutschen Exekutive welche
Erkenntnisse bekannt waren und wie sie darauf reagiert habe. Danach
habe der BND im August 1987 erste Hinweise auf den Bau einer
Giftgasfabrik gehabt; im Mai 1988 habe die amerikanische Botschaft
das Auswärtige Amt über den Verdacht der USA informiert,
dass drei deutsche Firmen daran beteiligt waren. Gegenwärtig,
so Schäuble, müsse man aufgrund der
"nachrichtendienstlichen Erkenntnisse davon ausgehen, dass die
Anlage zur Produktion chemischer Kampfstoffe geeignet ist". Aus
gleicher Quelle gebe es "Hinweise auf die Mitwirkung deutscher
Firmen" beim Bau der Anlage. Ob dabei allerdings gegen geltendes
Recht verstoßen wurde, müsse noch geklärt
werden.
In seiner Replik greift der SPD-Abgeordnete Norbert Gansel die
Bundesregierung scharf an: Schäubles Darlegungen hätten
gezeigt, dass sie die "politische Dimension der Affäre noch
immer nicht" erkannt habe. "Alle" müssten begreifen, dass das
deutsch-amerikanische Verhältnis "noch nie so belastet und
beschädigt war wie heute"; wichtig sei aber, dass die
Beziehungen zwischen beiden Staaten "in kritischer
Solidarität" funktionierten. Gansel warf der Regierung zudem
vor, ihre Kenntnisse immer nur in dem Maße preisgegeben zu
haben, wie sie unter dem "Druck amerikanischer Indiskretionen und
Recherchen deutscher Journalisten" dazu gezwungen wurde. Die
Grünen forderten einen Stopp sämtlicher
Rüstungsexporte.
Mit der Aussprache war die Libyen-Affäre noch nicht vom
Tisch: Am 15. Februar beschließt die Bundesregierung eine
Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes sowie der
Außenwirtschaftsordnung. Zwei Tage später gibt Wolfgang
Schäuble eine Regierungserklärung zu den Vorkommnissen um
die Chemiefabrik ab. Schließlich wird der Firmenchef der
Imhausen-Chemie im Juni 1990 zu einer Freiheitsstrafe von fünf
Jahren verurteilt: Laut dem Urteil hat er bereits 1984 davon
gewusst, dass die Fabrik, an deren Herstellung seine Firma
maßgeblich beteiligt war, allein zur Herstellung von Giftgas
geplant war.
Ende vergangenen Jahres schloss sich dann der Kreis:
Ähnlich überrascht wie über Donald Rumsfelds
Vergleich reagierte die deutsche Öffentlichkeit auf eine
Erklärung von Libyens Revolutionsführer Muammar el
Gaddafi. Sein Land verzichte auf atomare, biologische und chemische
Waffen, lies der "Schurke" verlautbaren.
Zurück zur
Übersicht
|