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Johannes L. Kuppe
Friede als Forschungsgegenstand und
Zukunftshoffnung
Was bringt die Friedens- und Konfliktforschung
und was sollte sie betreiben?
Die Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen von
Wissenschaft ist eigentlich unzulässig, denn Wissenschaft ist
eine der kulturellen Grundtätigkeiten des Menschen, also Teil
seines Humanums, die keiner Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden
dürfte. Wer will eigentlich nach dem Nutzen von Tschaikowskis
Schwanensee-Ballett oder einem Liebesgedicht Gottfried Benns
fragen? Da aber Wissenschaft, außer für ihre Produzenten,
erhebliche Folgen für ihre Konsumenten zeitigen kann, ist das
Interesse daran, was die Gesellschaft mit Forschungsergebnissen
anstellen kann und soll, allemal berechtigt.
Dies gilt insbesondere für die
Friedens-und Konfliktforschung (FuK), die sich ausdrücklich
als Element der Steuerung gegen eine nicht mehr kalkulierbare,
undurchschaubare Kriegsforschung etabliert hat.
Eine Gesellschaft, die sich Wissenschaft und
Forschung nicht in einem hinreichenden und notwendigen Maße
leistet, amputiert sich selbst. Der immer wieder zu hörende
Hinweis auf riesige Haushaltslöcher, die es jetzt erst mal zu
stopfen gelte, auch von Wissenschaft, Lehre und Forschung, hat nur
Desorientierung der Öffentlichkeit zur Folge. Niemand
käme auf die Idee, wegen finanzieller Defizite in den Budgets
den täglichen Wasserverbrauch administrativ zu
drosseln.
Es muss einfach allen Beteiligten klar
gemacht werden, dass die Lebensqualität einer hoch
entwickelten Gesellschaft mittel- und langfristig von der
Qualität ihrer Forschungsleistungen abhängt - genauso wie
von ihrem Wasserverbrauch. Man mag darüber streiten, ob das in
gleichem Maß für die Numismatik oder die Theologie gilt.
Unstrittig ist jedoch, dass jene Wissenschaften, die sich der
Errichtung einer humanen Weltordnung in pragmatischer Absicht
widmen, keinen gravierenden finanziellen Einschränkungen
unterworfen werden dürfen - um unserer Zukunft
willen.
Dies gilt insbesondere für die FuK. Ihre
Lage ist insofern noch erschwert, weil es sich überwiegend um
außeruniversitäre Forschung handelt, deren jährliche
Mittel in keinem Universitätshaushalt eingebettet sind und die
von Zuwendungen aus den Landeshaushalten und immer wieder neu zu
bewilligenden Bundesmitteln abhängen (hauptsächlich als
Sonderforschungsmittel im Etat der Deutschen
Forschungsgemeinschaft). Ein Teil muss durch Drittmittel, also
durch Spenden, Gutachtertätigkeit und zeitlich begrenzte
Projektförderung über andere Institutionen und
Unternehmen hereingeholt werden. Das wiederum erschwert
langfristige Programmarbeit, erhöht personelle
Diskontinuität und bedeutet, jedenfalls teilweise, Forschung
je nach jährlicher Kassenlage.
Angesichts der ständig wachsenden Themen
und Arbeitsfelder der FuK, die alle nur in längerfristigen
Zeiträumen zu bewältigen sind, stellt eine nachhaltige
staatliche Förderung der FuK fast schon eine conditio sine qua
non ihrer Leistungsfähigkeit dar. Ist diese Einsicht auf
politischer Seite vorhanden? Man kann das leider nicht mit einem
eindeutigen Ja beantworten. In der Phase trügerischer Euphorie
am Ende des Kalten Krieges 1989/90, in der aller Orten vom
"Ein-fahren der Friedensdividende" und vom Beginn einer friedlichen
Periode auf dem Globus die Rede war, schien auch eine
Neukonzeptualisierung der FuK unvermeidlich. Waren im Kalten Krieg
Rüstungskontrolle, Abrüstung und Entspannung die
Hauptarbeitsgebiete der FuK, so weiteten sich die
Arbeitsschwerpunkte danach erheblich aus, weil neue Konfliktfelder
aufbrachen, die zuvor von der Blockkonfrontation und den
Bemühungen zur Abwendung eines Nuklearkrieges zugedeckt
wurden.
Jetzt musste es verstärkt um Regional-
und Territori-alkriege (Balkan, Nah-Ost, Afghanistan), um den neu
aufbrechenden Nationalismus, die mit Sprengstoff aller Art
angereicherten Transformationsprozesse in Osteuropa, die
Erweiterung der EU, um die Weiterverbreitung der ABC-Waffen, um
neue Konflikte in einer global zu vernetzenden Umweltpolitik, um
die zunehmende Verelendung der Dritten Welt und nicht zuletzt um
den international agierenden Terrorismus gehen.
Mehr denn je geht es heute zudem der FuK
darum, prognostisch strukturierte Modelle einer präventiven
Konfliktregelung zu entwickeln, die es ermöglichen, die
Ursachen von Konflikten zu kalmieren und ihrem Ausbruch
vorzubeugen, ihre gewaltsame Austragung zu verhindern oder
wenigstens zu minimieren. Diese Aufgaben erzwingen sowohl eine
hohes Maß an Interdisziplinarität der FuK, nicht nur
zwischen den Human-, sondern auch zwischen diesen und den
naturwissenschaftlichen und Technik-Disziplinen, als auch
internationale Kooperation.
Als Antwort auf eine kleine Anfrage der SPD
im April 1992 im Deutschen Bundestag erklärte die Regierung
Kohl zwar die FuK weiterhin für "unverzichtbar" und versprach
ihre weitere Förderung. Doch insgesamt klang die Aussage mehr
nach weiterer Abwicklung denn nach unveränderter
Wertschätzung. Die mittelfristige Finanzplanung sah
gleichbleibende Mittel für die Militärforschung, aber
eine Schrumpfung der FuK-Fördergelder bis 1995 gegen Null vor.
Schon 1983 musste die auf Initiative Gustav Heinemanns
gegründete "Deutsche Gesellschaft für Friedens- und
Konfliktforschung" (DGFK) ihre Arbeit einstellen, weil ihr
Bundesregierung und CDU-geführte Länder die finanziellen
Grundlagen entzogen hatten.
In einem vor mehr als zwölf Jahren von
der Bonner Informationsstelle Wissenschaft und Frieden verbreiteten
Memorandum des Hamburger Instituts für Friedens- und
Sicherheitspolitik, und seitdem in vielen ähnlichen Papieren
immer wieder, wird gefordert, die FuK aus der aufgezwungenen
Nischenexistenz wieder herauszuführen und ihr neue staatliche
"Denkaufträge" zu erteilen, die auf die systematische Analyse
der Zusammenhänge von "Frieden, Sicherheit, Politik,
Völkerrecht, Militär, Technologie, Ökonomie,
Ökologie, Kultur und Gesellschaft" zielen.
Anfang 2000 hat der Bund für seinen Teil
eine Revitalisierung der FuK in Angriff genommen. Der Deutsche
Bundestag stimmte einem Antrag der Koalitionsfraktionen zur
weiteren Förderung der FuK zu. Gegen die Stimmen der
Opposition wurde die Gründung einer "Deutschen Stiftung
Friedensforschung", ausgestattet mit einem Stiftungsvermögen
von 50 Millionen Mark, beschlossen. Sie soll nicht selbst forschen,
sondern Forschungsprojekte finanzieren, Tagungen organisieren und
Aufbaustudiengänge an den Hochschulen helfen einzurichten. Der
FuK sollte ermöglicht werden, "weitgehend unabhängig von
politischen Interessen" ihre Aufgaben wahrzunehmen. Diese Stiftung
arbeitet inzwischen erfolgreich. Darüber hinaus hat der Bund
seit 1998 die Zuweisungen an die Deutsche Forschungsgemeinschaft,
die für die finanzielle Förderung der FuK durch den Bund
zuständig ist, trotz der allgemein schwierigen Haushaltslage
sogar leicht erhöht. Einer Konzentration der hochschulfreien
FuK dient jedenfalls auch die inzwischen abgeschlossene
Zusammenlegung der Ebenhausener Stiftung Wissenschaft und Politik
mit dem Kölner Institut für ostwissenschaftliche und
internationale Studien und deren Umzug nach Berlin.
In jeder Wissenschaft gibt es Leerlauf,
fehlgeschlagene, fehlgeleitete und abgebrochene Projekte, damit
Geldverschwendung, Reibungsverluste durch Doppelforschung und genug
kontroverse Forschungsergebnisse, die Streit auslösen,
Geheimniskrämerei fördern und unfruchtbares
Konkurrenzdenken gedeihen lassen. So auch in der FuK. Doch dieser
Querschnitts-Forschungszweig hat heute schon, allein durch seine
hohe internationale Verflechtung, eine Transparenz und damit
öffentliche Wahrnehmung und Kontrolle erreicht, die anderen
Disziplinen zu wünschen wäre.
Neben der partiellen Konzentration ist
allerdings auch Innovationsbereitschaft mit Blick auf strukturelle
Fragen erforderlich. Neben den tradierten Formen internationaler
Kooperation der FuK (Kongresse, zeitlich begrenzte Einzelprojekte
mit Personal aus verschiedenen Ländern, gemeinsame
Publikationen) geht es jetzt auch um institutionalisierte,
längerfristige Kooperationen angesichts neuer globaler
Herausforderungen. Als im November 2003 der Berliner Informatiker
Thomas Risse, Leiter des Centers "Transatlantische Außen- und
Sicherheitspolitik" am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, den mit
125.000 Euro dotierten Max-Planck-Forschungspreis erhielt, ging es
nicht nur um die Würdigung von Spitzenforschung eines
herausragenden Wissenschaftlers. Mit Geld soll eine - von Risse
angeregte - Kooperation mit dem kalifornischen "Center on
Democracy, Development, and the Rule of Law" der Stanford
University ermöglicht werden.
Das Forschungsthema dieses Großprojektes
besitzt alle nur denkbare, grenzüberschreitende Brisanz: Es
wird um "Formen und Möglichkeiten des Regierens in Räumen
begrenzter Staatlichkeit" gehen. Das sind Länder, in denen es
heute keinen oder jedenfalls in großen Landesteilen keinen
Staat mehr gibt, zum Beispiel Somalia, Liberia, Irak, die
Philippinen, Afghanistan. Untersucht werden sollen die
Kooperationsmöglichkeiten von Staaten, internationalen
staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, um die Lösung
politischer Probleme zu ermöglichen und das Abgleiten in eine
Warlord-Herrschaft zu verhindern.
Eine strukturelle Innovation bedeutet auch
die Tatsache, dass die Otto-von-Guericke Universität Magdeburg
und die Freie Universität Berlin Ende 2003 einen Studiengang
für FuK eingerichtet haben, womit eine stärkere
akademische Anbindung der zumeist außeruniversitär
organisierten FuK erreicht werden soll.
Ein letzter Hinweis gilt beispielhaft einem
großen Projekt der Hessischen Stiftung Friedens- und
Konfliktforschung, das in zweifacher Hinsicht verdeutlicht, warum
eine nur noch interdisziplinär zu betreibende Wissenschaft vom
Frieden und seinen Voraussetzungen heute noch wichtiger als im
Kalten Krieg geworden ist, und warum das nicht dem vielfach
erstarrten, überlasteten Universitätsbetrieb
überlassen werden kann. Das Forschungsprojekt beschäftigt
sich in acht Fallstudien mit den "Kriegen demokratischer Staaten
seit 1990", um "in den öffentlichen Diskursen vor einem
potenziellen Militäreinsatz bestimmte Argumentationsfiguren
aufzuspüren (...), die erklären, warum die Bürger
dieser Staaten von der Notwendigkeit eines Militäreinsatzes
überzeugt werden konnten."
Meldungen über drastische Kürzungen
der Mittel für das Institut für Friedensforschung und
Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) durch den
Senat um 66 Prozent im Haushalt 2005, die Hessische Landesregierung
für die Hessische Stiftung für Friedens- und
Konfliktforschung um 20 Prozent und die Regierung in NRW für
die Landesarbeitsgemeinschaft Friedenswissenschaft in
Nordrhein-Westfalen (LAG NRW) um 33 Prozent geben zu Sorge
Anlass.
Friedenswissenschaftliche Forschung ist kein
Luxus in guten Zeiten. Sie besitzt gerade in der spannungsgeladenen
Gegenwart unmittelbare Produktivkraft. Daran müssen
Entscheidungsträger erinnert werden.
Johannes L. Kuppe war bis Ende 2000 Leitender
Redakteur dieser Zeitung und lebt als freier Autor in Bad
Honnef.
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