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Martin Spiewak
Erbgutkreuzung im Restaurant
Fortpflanzungsmedizin - ein Wachstumsmarkt mit
faszinierenden wie gespenstischen Perspektiven
Es ist gerade einmal 25 Jahre her, da wurden
Kinder ausschließlich gezeugt, indem zwei Menschen miteinander
Sex hatten. Ob und wann die Befruchtung klappte und wie das
Resultat ausfiel, überließen sie der Zufallslotterie der
Natur. Heute sind mächtige medizinische Techniken dabei, diese
Grundgesetze der menschlichen Fortpflanzung zu verändern - was
sich in Zukunft noch intensivieren dürfte. Seit der Geburt des
ersten per künstlicher Befruchtung gezeugten Kindes 1978
können Reproduktionsmediziner den Zeitpunkt, die
Paarkonstellation und das Ergebnis der Zeugung manipulieren.
Bis vor wenigen Jahren waren in der Regel
zehn Millionen Samenzellen für eine erfolgreiche Befruchtung
nötig. Heute braucht ein Mann unter optimalen Laborbedingungen
- dank der Spermieninjektion (ICSI) - für den Nachwuchs nur
noch eine einzige Samenzelle, die ein Arzt per Operation im
Hodensack aufspüren kann.
Mittlerweile bevölkern mehr als eine
Million Menschen die Welt, die nicht im Mutterleib, sondern per
In-vitro-Fertilisation (IVF) im Labor entstanden sind. In den USA,
wo nahezu alles erlaubt ist, leben Kinder mit fünf
Elternteilen: dem Samenspender und der Eizellgeberin als den
genetischen Erzeugern, der biologischen Mutter, die das Kind
ausgetragen hat, sowie den sozialen Eltern, bei denen das Kind
aufwächst. Babymachen nach der Baukastenmethode.
Zugleich eröffnet die Medizin immer neue
Chancen, nicht nur irgendein Kind, sondern ein gesundes Kind zu
bekommen. Die Pränataldiagnostik schuf mit Ultraschall und
Fruchtwasseruntersuchung die Möglichkeit, behinderte Kinder im
Mutterleib zu erkennen und abzutreiben. Die
Präimplantationsdiagnostik (PID) verlegt den Test,
unerwünschte Krankheiten aufzuspüren und zu vermeiden,
zeitlich bereits kurz hinter die Zeugung. Auch das Geschlecht ihres
Kindes können sich Eltern dank PID mittlerweile aussuchen.
Schon ist es denkbar, werdendes Leben durch Eingriffe ins Erbgut zu
reparieren - oder gar zu veredeln.
Viele Fruchtbarkeitsmediziner weisen solche
Zukunftsszenarien als Phantastereien zurück. In der Tat
orientiert sich der Großteil der heutigen Forschung noch immer
an den traditionellen Zielen der Fortpflanzungsmedizin: die
Erfolgsraten der künstlichen Befruchtung zu erhöhen und
die Belastungen für die betroffenen Frauen zu vermindern. Denn
bislang endet eine Kinderwunschbehandlung nur in jedem fünften
Fall tatsächlich mit der Geburt eines Babys. In Deutschland,
wo strenge Gesetze die Reproduktionsmedizin regeln, liegt die
Lebendgeburtrate ("baby-take-home-rate") pro Versuch gar nur bei 15
Prozent.
Die Gründe für das Scheitern der
künstlichen Befruchtung liegen noch immer häufig im
Dunkeln. Mal sind die Embryonen geschädigt, weil die
Zellteilung falsch verläuft. Mal baut sich die
Gebärmutterschleimhaut zu schnell wieder ab. Zudem bleibt das
Wagnis der so genannten Nidation: Bis heute ist die Frage, warum
sich einige Embryonen einnisten und andere nicht, eines der
"größten verbliebenen Rätsel" der Forschung, so der
spanische Reproduktionsmediziner Carlos Simón. Die Embryonen
auf ihre Güte zu testen und die Fehler zu entdecken, die eine
Schwangerschaft verhindern, ist ein Weg der Wissenschaft, die
Erfolgsquoten zu erhöhen. Eine andere Strategie zielt darauf
ab, die Gebärmutter mit Hormonen noch besser auf die
Einnistung vorzubereiten, so dass sie die befruchtete Eizelle
annimmt.
Die geringen "Baby-take-home"-Raten bringen
zwei gravierende Probleme der In-vitro-Medizin mit sich: Sie
erhöhen das Mehrlingsrisiko und verschärfen die
seelischen und medizinischen Belastungen der künstlichen
Befruchtung. Da die Chancen auf ein Kind gering sind, setzen die
Fruchtbarkeitsärzte mindestens zwei, in der Regel jedoch drei
Embryonen in den Leib der Frau zurück - und laufen Gefahr,
Drillinge zu erzeugen. Zudem muss, wer sich auf eine
Kinderwunschbehandlung einlässt, noch immer mit einem Dutzend
Arztbesuchen, täglichen Spritzen und einem operativen Eingriff
rechnen. Die injizierten Hormone können extreme
Stimmungsschwankungen und Unterleibsschmerzen verursachen, fast
immer treiben sie zusammen mit der unnatürlichen großen
Zahl von Eizellen den Leib auf. Schonendere Medikamente bleiben
deshalb ein weiteres wichtiges Forschungsfeld der
Zukunft.
Viele dieser Probleme würden sich
lösen, hätte man Eizellen ähnlich wie Samenzellen in
großer Zahl zu Verfügung und ließen diese sich
einfrieren. Dann bräuchte eine Frau theoretisch nur noch ein
einziges Mal die Prozedur über sich ergehen lassen. Nach
diesem Eingriff würde der IVF-Mediziner ein Eizelldepot
anlegen, das ein Leben lang hält.
Die Kühltechnik funktioniert bislang
jedoch nur bei befruchteten Eizellen. Unbefruchteten weiblichen
Keimlingen schadet der Gefriervorgang dagegen erheblich. Da sie zum
großen Teil aus Wasser bestehen, bilden sich beim
Abkühlen Eiskristalle, welche die Chromosomen schädigen.
Man schätzt, dass weltweit erst rund 60 Babys aus Eizellen
entstanden sind, die nach einer Tiefkühlung befruchtet worden
waren. Gelänge der Medizin hier ein Durchbruch, könnte
das die künstliche Befruchtung radikal verändern und die
Frauen gegen den größten Feind der Fruchtbarkeit wappnen:
ihr Alter. Ab 35 Jahre sinkt die weibliche
Empfängnisfähigkeit dramatisch.
Oma-Mütter
Zwar kann die Medizin Frauen im Oma-Alter
noch zu Müttern machen. Der Altersrekord einer Gebärenden
liegt bei 67 Jahren. Alle diese Patientinnen sind auf gespendete
Eizellen von jüngeren Frauen angewiesen. Gelänge die
Frostmethode, wäre es möglich, dass junge Frauen eigene
Eizellen in frühen Jahren als Versicherung gegen
Unfruchtbarkeit einfrieren.
Nach Jahrzehnten beruflichen Wirkens
könnte dann auch die 40-Jährige noch entspannt ans
Kinderkriegen denken - mit ihren nur 20-jährigen
tiefgekühlten Eizellen. Noch kennt jedoch kein Wissenschaftler
die richtige Formel, um Eizellen beim Einfrieren und Auftauen zu
erhalten. Ebenso wenig ist es bislang möglich, Vorstufen von
Eizellen, die zu Tausenden in den Eierstöcken lagern, zur
Reifung zu bringen. Selbst aus abgetriebenen Föten versucht
die Forschung bereits Eizellen zu gewinnen: ein unbegrenztes Depot
für ehrgeizige Wissenschaftler und kinderlose
Paare.
Doch auf diese Weise verlässt die
künstliche Befruchtung den engen Bereich der "Heilung von
Unfruchtbarkeit" und wird zur Lifestyle-Medizin: Sie sucht ihre
Klientel bei Männern und Frauen, die keine Krankheit an der
Fortpflanzung hindert, sondern nur der Umstand, dass sie zu alt
oder gleichen Geschlechts sind, die keinen Partner haben oder
einfach nur Zeitpunkt und Umstände des Kinderkriegens
punktgenau und medizinisch abgesichert planen
möchten.
Wissenschaftler des "Reproductive Genetics
Institute" in Chicago versprechen lesbischen Paaren schon bald
gemeinsame biologische Nachkommen: Aus der Körperzelle der
einen Frau wird die Hälfte des Erbmaterials entnommen und "als
Ersatz für eine Samenzelle" in die Eizelle einer anderen Frau
eingepflanzt. Selbst auf die Frau könnte man in Zukunft
verzichten, sollten Pläne US-amerikanischer Wissenschaftler
wahr werden: Sie sind dabei, eine künstliche Gebärmutter
herzustellen, in der Babys ohne einen Mutterleib auskommen
können. Inzwischen konnten die Forscher einen kleinen Erfolg
verbuchen: Sechs Tage lang überlebten Embryonen in der
Muttermaschine. "Wir glauben, in einigen Jahren eine völlig
eigenständige künstliche Gebärmutter entwickelt zu
haben", sagt Hung-Ching Liu von der New Yorker
Cornell-Universität.
Natürlich versichert Hung-Ching Liu, nur
Frauen helfen zu wollen, denen eine Gebärmutter fehlt. Aber
sollte der Uterusersatz irgendwann tatsächlich existieren, was
viele Wissenschaftler freilich bezweifeln, wird es auch an anderen
Kunden nicht fehlen. Gleiches gilt für die genetische
Qualitätssicherung des Nachwuchses. Bislang dient die Methode
nur dazu, "kranke Gene" herauszufiltern. In naher Zukunft wird man
versuchen, auch ungeliebte Eigenschaften wie die Anlage zu
Fettsucht oder Depressionen aus dem genetischen Skript zu
verbannen. Zum Wunsch, positive Eigenschaften hinzuzufügen,
ist es dann nur ein kleiner Schritt. Wie in einem Restaurant,
verheißt der Biologe und Buchautor Robin Baker, werden die
Menschen in Zukunft einem Menü gleich auswählen, in
welcher Konstellation sie ihr Erbgut kreuzen wollen und welche
genetischen Eigenschaften ihr Nachwuchs tragen soll. Pech haben nur
diejenigen, die ihrem Nachwuchs aus finanziellen Gründen keine
"guten Gene" in die Wiege legen können. Bakers Kollege Lee
Silver sieht deshalb eine gespaltene Gesellschaft voraus: Eine
Aristokratie so genannter "GenReichen" herrscht über
naturbelassene Habenichtsen.
Theoretisch lassen sich die Erkenntnisse der
Genomforschung bereits jetzt für die künstliche
Befruchtung nutzen. Praktisch jedoch steht die Wissenschaft noch
vor riesigen Herausforderungen. Denn in der Regel ist nicht ein
einzelnes Gen für eine Krankheit oder Disposition
verantwortlich, zurückzuführen ist dies vielmehr auf
mehrere Gene. Dieses Problem potenziert sich, wenn man die
Grundlagen von menschlichen Merkmalen oder gar Eigenschaften im
Erbgut entdecken möchte. "Niemals werden wir herausfinden, auf
welche Weise die Gene Charaktereigenschaften wie Intelligenz oder
Phantasie steuern", sagt der Humangenetiker Eberhard Schwinger von
der Universität Lübeck. Vom Nachbauen ganz zu
schweigen
Ein "Niemals" hat es in der
reproduktionsmedizinischen Forschung jedoch schon öfter
gegeben. Als Robert Edwards und Patrick Steptoe die erste
In-vitro-Fertilisation ankündigten, wollten ihnen viele
Wissenschaftler nicht glauben. Die Geburt von Louise Brown belehrte
sie eines besseren. Die Entzifferung des Genoms hatte man
frühestens für die Jahre 2010 bis 2020 terminiert: Sie
gelang bereits 2001. Dass sich die Fortpflanzungsmedizin so rasant
wie bisher weiterentwickelt, daran besteht kaum ein Zweifel.
Dafür bürgen Hunderte ebenso ehrgeiziger wie
hochkarätiger Köpfe weltweit, die in der Biomedizin
wissenschaftlichen Ruhm anstreben. Das garantieren Pharmafirmen,
die große Profite erwarten. Kinder und Gesundheit gehören
heute in den westlichen Industrienationen zu den wichtigsten
Ersatzreligionen. Die Reproduktionsmedizin bedient beide
zugleich.
Martin Spiewak ist Wissenschaftsredakteur der
"Zeit".
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