Lucian Haas
Mit "Precision Farming" und "Goldenem Reis" gegen
den Hunger
Die Wissenschaft plant die Ernährung
für eine wachsende Weltbevölkerung
In Westafrika begann vor fünf Jahren eine leise Revolution.
Bauern in Guinea säten erstmals Reis der neuen Sorte "Nerica".
Der Name steht als Kürzel für eine hoffnungsvolle Formel:
"New Rice for Africa" nennt das internationale Forschungszentrum
"West African Rice Development Association" seine Neuzüchtung,
bei der es erstmals gelang, asiatische Hochleistungssorten mit
robusten afrikanischen Reispflanzen zu kreuzen. Mit beeindruckendem
Ergebnis: "Wir erzielen Ertragssteigerungen bis zu 250 Prozent",
sagt Forschungsleiter Monty Jones. Und das selbst ohne teure
Pflanzenschutzmittel, Kunstdünger oder
Bewässerungssysteme, die sich Kleinbauern meist nicht leisten
können.
Nerica ist ein hoffnungsvolles Beispiel. Von solchen Erfolgen
hat die internationale Agrarforschung dieser Tage nicht viele zu
bieten. Obwohl Fortschritte dringend nötig wären.
Angesichts einer Weltbevölkerung, die laut UN-Prognosen von
heute sechs Milliarden auf neun Milliarden im Jahr 2050 wachsen
wird, gibt es auf eine bange Frage noch keine schlüssige
Antwort: Wie können so viele Menschen überhaupt
ernährt werden? Und vor allem: Wie kann das gelingen, ohne
dafür Raubbau an der Umwelt zu betreiben?
Die Möglichkeiten, mit noch mehr Dünger und
Bewässerung die Erträge zu verbessern, gelten als
weitgehend ausgeschöpft. Wasser wird in vielen Regionen der
Welt immer knapper. Zugleich nimmt die Agrarfläche im
Vergleich zur Weltbevölkerung stetig ab: Statt heute 0,26
Hektar werden in 50 Jahren nur noch 0,15 Hektar pro Kopf zur
Verfügung stehen.
"Ohne eine neue grüne Revolution, die sich auf das heute
schon landwirtschaftlich genutzte Land beschränkt, werden
natürliche Habitate und die Artenvielfalt in einer
Geschwindigkeit zerstört, dass selbst die Existenz der
Menschheit gefährdet ist", warnt Antony Trewavas. Der
Pflanzenzüchtungsexperte an der Universität Edinburgh
gehört zu einem wachsenden Kreis international renommierter
Wissenschaftler, die eine verstärkte
Hochertrags-Landwirtschaft als einzig gangbaren Weg ansehen, um
Welternährung und Umweltschutz in Einklang zu bringen.
Um Ernten größer und sicherer zu machen, propagiert
die Agrarforschung heute ein Bündel verschiedener Techniken.
Beim so genannten "Intercropping" werden auf einem Feld mehrere
Getreidearten zugleich angebaut, was nachweislich den Befall mit
Schädlingen reduziert. Sparsame Tröpfchenbewässerung
liefert den Pflanzen immer nur die Wassermenge, die sie brauchen.
Der Verzicht auf das Pflügen erhält die Feuchtigkeit und
die Fruchtbarkeit der Böden. Der Anbau von Feldfrüchten
im Schatten angepflanzter Bäume (Agro-Forstwirtschaft) bringt
den Bauern einen doppelten Nutzen: Nahrung und Brennstoff.
Als besonders zukunftsträchtig gilt der Einsatz der
Gentechnik in der Landwirtschaft. Die Biotechnologie macht die
Pflanzenzüchtung effektiver. Über entsprechende Gene, die
gezielt in das Erbgut der Pflanzen eingebaut werden, bekommen
Nahrungspflanzen neue Eigenschaften. Beispielsweise können
Pflanzen durch Gentransfer gegenüber schädlichen Insekten
resistent werden. Das senkt den Bedarf an Pestiziden.
Gesteigerter Nährwert
Andere Gene wiederum verleihen Kulturpflanzen die
Fähigkeit, auch in Böden mit hohem Salzgehalt und wenig
Wasser zu gedeihen. Das erlaubt einen Anbau selbst in Trockenzonen.
Durch Gentransfer lässt sich zudem der Nähr- und
Gesundheitswert der Nahrungspflanzen steigern.
Ein herausragendes Beispiel ist der vom Schweizer Züchter
Ingo Potrykus entwickelte "Goldene Reis". Dieser genetisch
veränderte Reis bildet in seinen Körnern gelbes
Beta-Carotin. Mit goldenem Reis als Grundnahrungsmittel könnte
eines Tages die chronische Unterversorgung großer
Bevölkerungsteile Asiens mit Vitamin A überwunden werden,
in deren Folge laut Schätzungen bislang jährlich zwei
Millionen Menschen sterben und mehrere hunderttausend Kinder
erblinden. Angesichts der Mangelernährung sieht FAO-Direktor
Jacques Diouf in diesem Reis "den möglicherweise bedeutsamsten
Durchbruch in der Gentechnik".
Schon heute wachsen transgene Pflanzen weltweit auf 60 Millionen
Hektar - eine Fläche so groß wie Frankreich. 50 Prozent
der Weltsojaernte ist transgen, ebenso rund zehn Prozent der Mais-
und Rapsernte. Künftig wird der Einsatz von gentechnisch
veränderten Pflanzen in der Landwirtschaft nach
Einschätzung vieler Fachleute überall dort weiter
zunehmen, wo die Biotechnologie den Bauern deutliche
ökologische und ökonomische Vorteile bringt.
Das trifft vor allem auf Entwicklungsländer zu. Gerade
für arme Landwirte, denen das Wissen und das Geld fehlen, um
Kunstdünger, Bewässerungssysteme oder Pestizide
einzusetzen, sind genetisch optimierte Pflanzen, die auf den
Einsatz solcher Mittel erst gar nicht angewiesen sind, ein
großer Gewinn. "Agro-Biotechnologie wird für Afrika eine
zentrale Rolle spielen. Schon allein aus einem einfachen Grund:
Unsere Leute haben nicht genug zu essen", sagt Florence
Wambugu.
Die kenianische Wissenschaftlerin entwickelte bereits eine
transgene Süßkartoffel, die gegen ein Virus immun ist,
das bislang jährlich 20 Prozent der
Süßkartoffelernte in Kenia vernichtet. Matin Qaim,
Biotechnologie-Experte am Zentrum für Entwicklungsforschung in
Bonn, sieht das größte Potenzial der grünen
Gentechnik darin, "dass sie lokale Einkommen im ländlichen
Raum steigert - also in jenem Sektor, aus dem die meisten Armen
maßgeblich ihren Unterhalt beziehen".
Trotz solcher Perspektiven hat die "Grüne Gentechnik"
weltweit viele Kritiker auf den Plan gerufen. In Europa hat die
Gegenbewegung im französischen Rebellen José Bové
eine prominente Symbolfigur gefunden. Die Skeptiker
befürchten, dass die Manipulationen am Erbgut der Pflanzen zu
unvorhersehbaren Schäden in der Natur führen
könnten. Zudem glauben die Kritiker, dass arme Kleinbauern
schon allein deswegen nicht von der Biotechnologie profitieren
werden, weil sie für große internationale
Saatgut-Konzerne wie Monsanto und Syngenta, die am meisten in die
Genforschung investieren, als Kunden nicht interessant genug
sind.
Tatsächlich kümmern sich die Agro-Multis bislang kaum
um die Verbesserung lokal wichtiger Kulturpflanzen wie Cassava,
Linsen, Süßkartoffeln, Kochbananen oder Sorghum. "Auf
private Firmen allein sollten wir uns nicht verlassen", sagt Qaim,
der für gezielte öffentliche Forschungsinvestitionen in
diese Züchtungsarbeit plädiert.
In der Praxis gibt es dafür schon erste Ansätze. Eine
herausragende Rolle spielen dabei die internationalen
Forschungszentren der "Consultative Group on International
Agricultural Research". Deren Einrichtungen setzen zunehmend auf
die Biotechnologie - mit Blick auf die Bedürfnisse der
Kleinbauern. Auch einzelne Staaten wie Kenia, Südafrika,
Indien, China oder Thailand haben nationale
Biotech-Förderprogramme gestartet. Diese Beispiele
könnten Schule machen.
Für die bereits sehr hoch entwickelte Landwirtschaft in
Industrieländern hingegen verspricht die Gentechnik weniger
Produktivitätsgewinn. Besonders in Europa wird die grüne
Biotechnologie in Zukunft wohl nur schleppend Einzug halten, weil
auf dem hiesigen Kontinent die Verbraucher transgene Pflanzen
mehrheitlich ablehnen.
Für die Zukunft der industrialisierten Landwirtschaft in
Europa prognostizieren Agrarforscher noch andere Entwicklungen. Ein
Trend heißt "Precision Farming". Bei der
Präzisionslandwirtschaft werden Felder mit Hilfe von
Satelliten kartiert und analysiert. Anhand der Fernerkundungsdaten
berechnen Computer, welche Nährstoffe und Spritzmittel an
welcher Stelle eines Ackers benötigt werden. Per
Satellitennavigation gesteuert, bringen "intelligente"
Landmaschinen die Stoffe punktgenau aus. Das spart bis zu 40
Prozent an Dünger und Pestiziden.
In einem weiteren Schritt könnte die Landwirtschaft sogar
von der freien Natur entkoppelt werden. Forscher der
holländischen Universität Wageningen werkeln bereits an
Konzepten für mehrstöckige industrielle Agrarparks, in
denen unter einem Dach Pflanzen wachsen und Tiere gehalten werden.
Solche Agrarfabriken könnten inmitten von Wohnsiedlungen
stehen und würden als Produktionseinheiten je 10.000 Menschen
mit Nahrungsmitteln, aber auch mit Wärme und Energie in Form
von Biogas versorgen. Ganz in diesem Sinn sagt der
Ernährungswissenschaftler Udo Pollmer voraus: "In Zukunft wird
man die Lebensmittel nicht mehr, wie das heute der Fall ist, in
freier Wildbahn produzieren, sondern in abgeschlossenen Einheiten,
in Treibhäusern. Auch die Tierhaltung wird ähnlich
stattfinden, weil wir aus Umweltgründen keine andere Wahl
haben, als mit geschlossenen Einheiten zu arbeiten".
Der Autor arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist in
Bonn.
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