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Tanja Volz
Weg ins medizinische Wunderland?
Tissue Engineering, Gentherapie und
Stammzellforschung: Hoffnungsträger für die
Patienten
Es zuckt unter dem Mikroskop. Wenn man ganz
genau hinschaut, ist sogar deutlich zu erkennen, dass die schmale,
lanzettförmige Zelle sehr regelmäßig und rhythmisch
schlägt - wie das so üblich ist für eine Herzzelle.
Die grün leuchtenden Herzzellen, die in einer Kulturschale so
rhythmisch schlagen, sind ein kleines Wunder. Und über dieses
kleine Wunder können sich die Mitarbeiter am Kölner
Institut für Neurophysiologie immer wieder aufs Neue freuen.
Denn diese Zellen haben sich nicht in einem Körper entwickelt,
sondern ganz spontan im Labor, in einer Kulturschale aus einem
Klümpchen embryonaler Stammzellen.
Die Kölner Wissenschaftler möchten
mit Hilfe dieser Zellen herausfinden, wie es dazu kommt, dass sich
eine Zelle ganz spontan rhythmisch zu bewegen beginnt, und woher
eine spätere Herzzelle weiß, wie sie richtig zu schlagen
hat. Denn auch nach jahrzehntelanger Forschung hat man es nicht
verstanden, warum schon nach wenigen Tagen in einem Embryo die
winzigen Herzzellen kontrahieren. Jürgen Hescheler, Leiter des
Kölner Instituts, möchte mit seinen Arbeiten Licht ins
Dunkel der Embryonalentwicklung bringen.
Welche Signalmoleküle sind in
verschiedenen Entwicklungskaskaden beteiligt? Welche Gene werden in
verschiedenen Entwicklungsstadien an- oder abgeschaltet? Erst wenn
man weiß, warum aus einer befruchteten Eizelle ein Embryo mit
verschiedenen Organen und schließlich ein Mensch mit Haut und
Haaren wird, könnte dies die Medizin
revolutionieren.
Mit Experimenten bei embryonalen Stammzellen
waren Hescheler und seine Mitarbeiter bereits erfolgreich: In einer
Studie an mehr als 150 Mäusen konnten die Kölner
Wissenschaftler nachweisen, dass sich die Überlebenschance der
Tiere nach einem Herzinfarkt durch die Transplantation von
embryonalen Stammzellen deutlich erhöht. Nun wollen die
Forscher herausfinden, ob die Ergebnisse aus den Tierversuchen auch
auf den Menschen übertragbar sind: Vor wenigen Tagen haben die
Versuchsreihen mit menschlichen embryonalen Stammzellen
begonnen.
Heschelers Arbeitsgruppe gehört zu einem
der fünf Teams, die in Deutschland menschliche embryonale
Stammzellen erforschen dürfen. Nachdem die zuständige
Ethikkommission die Arbeiten vor einigen Monaten genehmigt hat,
sind die humanen Zellen aus dem US-amerikanischen Wisconsin in
Köln eingetroffen und weitergezüchtet worden. Jetzt sind
sie soweit, dass man versuchen kann, sie zum Schlagen zu bringen.
Sollte dies gelingen, könnte man, so die Hoffnung der
Wissenschaftler, Herzzellen herstellen, die im geschädigten
Herzen eines Infarktpatienten die Funktion zu verbessern
vermögen.
Therapien der Zukunft zu entwickeln, das ist
die Hoffnung aller Stammzellforscher. Es geht vor allem darum,
künftig Krankheiten heilen zu können, die bisher kaum
therapierbar sind. Neue Nervenzellen für Alzheimerpatienten
oder Parkinsonkranke, Zellersatz für Schlaganfall-Opfer,
Hautzellen für Schwerstverletzte, Insulin bildende Zellen
für Diabetiker: Das alles wollen Wissenschaftler im Labor
züchten und damit schwer kranken Menschen helfen.
Die Waghalsigen unter den Forschern halten
sogar noch viel mehr für möglich: ganze Ersatzorgane,
individuell auf jeden Menschen abgestimmt, so dass sie bei einer
Transplantation nicht abgestoßen werden können. Doch bis
es tatsächlich soweit ist, werden noch Jahrzehnte vergehen, da
sind sich die Experten einig. Erfahrungen aus der Vergangenheit
zeigen, dass Ergebnisse aus Tierversuchen nicht so einfach auf den
Menschen zu übertragen sind: Vieles läuft zwar gleich in
der Entwicklung von Mensch und Tier, vieles jedoch auch
unterschiedlich.
Vor zu großer Euphorie warnt auch immer
wieder der wohl inzwischen bekannteste deutsche Stammzellforscher
Oliver Brüstle: "Es dauert noch mindestens fünf bis zehn
Jahre, bis abgeschätzt werden kann, ob die Ergebnisse auf den
Menschen übertragen werden können." Auch der Bonner
Neuropathologe möchte mit menschlichen embryonalen Stammzellen
nachvollziehen, was ihm im Tierversuchen bereits gelungen ist und
was weltweit Aufsehen erregt hat: defekte Nervenzellen im Gehirn zu
reparieren oder zu ersetzen.
Die meisten Stammzellforscher bleiben
bescheiden, wenn es um Zukunftsprognosen geht. Bei ihrer Arbeit
werden sie vermutlich eine Menge Rückschläge hinnehmen
müssen, wie schon die Arbeiten auf einem lukrativen und
zukunftsträchtigen Feld der modernen Genetik, der Gentherapie,
gezeigt haben. Heilung durch Gene: Mit diesem Versprechen glaubten
Mediziner noch vor wenigen Jahren alle Erbkrankheiten in den Griff
zu bekommen. Das Konzept klang einfach und überzeugend: Man
nehme ein passendes Gen und schleuse es in die kranken Zellen
ein.
Die mit dem Gen von außen
eingeschmuggelte Bauanleitung kann der Körper des Patienten
nutzen, um ein Protein herzustellen, das eine Krankheit heilt oder
sie zumindest lindert. Der US-Amerikaner French Andersen, einer der
Gründer der Gentherapie, prophezeite in den Neunzigern, bis
zur Jahrtausendwende würden Millionen von Menschen durch die
Gentherapie geheilt werden können.
Schwere Nebenwirkungen
Doch weit gefehlt. Es zeigte sich recht
schnell, dass es bei der Gentherapie offenbar häufiger schwere
Nebenwirkungen gibt. Denn die Tücken liegen im Detail, in den
Genfähren. Um Gene effektiv in die Zellen einzuschleusen,
werden als Taxi meist Viren benutzt. Doch diese Viren können
für den Menschen gefährlich werden, auch wenn sie dem
Patienten nur in abgeschwächter Form injiziert werden. Und
dann starb am 17. September 1999 der 18-jährige Jesse
Gelsinger an den Folgen seiner Gentherapie.
Der Körper des jungen Amerikaners konnte
mit den Billionen von Viren, die seine Organe überschwemmten,
nicht umgehen. Er starb an Multiorganversagen. Nach seinem Tod
wurden gentherapeutische Studien von der
US-Arzneimittelbehörde kritischer begutachtet, seither ist ein
Großteil der Studien gestoppt.
Erst vor wenigen Wochen mussten die
Gentherapeuten erneut einen schweren Rückschlag hinnehmen. Der
Arzt und Forscher Alain Fischer vom Kinderkrankenhaus Necker in
Paris hatte in den vergangenen Jahren ein knappes Dutzend Kinder,
die an einer lebensbedrohlichen angeborenen Immunschwäche
litten, mit Hilfe eingeschleuster Gene behandelt. Die Therapie
schien auch zunächst erfolgreich zu sein. Das Abwehrsystem der
Kinder konnte sich gegen Krankheitserreger durchsetzen. Allerdings
erkrankten nun zwei der elf Kinder an Leukämie - worauf das
Leukämierisiko bei dieser gentherapeutischen Behandlung
beruht, ist noch nicht geklärt.
Bis heute befindet sich die Gentherapie im
Experimentierstadium; die Jubelarien der ersten Jahre sind
verklungen. Doch trotz aller Fehlschläge setzen viele
Wissenschaftler nach wie vor Hoffnungen in diese Methode.
Inzwischen sei, so meinen sie, der glamouröse Aspekt
außen vor. Die Gentherapie sei inzwischen ein seriöses,
ernsthaftes Handwerk, schillernde Lobeshymnen seien fehl am
Platz.
Auch das so genannte Tissue Engineering, die
Erzeugung menschlicher Gewebe im Labor, ist nach der Euphorie der
Pionierzeit in eine ruhigere Phase übergegangen. Die
großen Visionen von der Hand aus dem Labor oder vom Herzen aus
der Retorte der Gewebezüchter sind realistischen Vorstellungen
gewichen. Es geht nicht mehr um die Züchtung ganzer Organe.
Vielmehr wollen die Forscher erreichen, dass der Körper eines
Patienten sich besser regeneriert und etwa bei der Verpflanzung von
Gewebe dieses annimmt. Bei der Herstellung von einzelnen Geweben
gibt es große Fortschritte: Die "Haut aus der Tube" wird
inzwischen routinemäßig eingesetzt, und auch der Ersatz
von Gelenken und Knorpel hat sich in der Kilinik bereits
bewährt.
Zu den weltweit führenden Zentren beim
Tissue Engineering zählt die Abteilung für plastische
Chirurgie an der Universitätsklinik in Freiburg. Den
größten Erfolg erzielten die Breisgauer Wissenschaftler
bisher bei der Haut. Man kann inzwischen Zellen aus der Haut eines
Patienten entnehmen und diese im Labor weiterzüchten. Mit
geeignetem Trägermaterial und zusätzlich gesteuert durch
Wachstumsfaktoren vermag man Keratinocyten, das sind
Oberhautzellen, zu erzeugen. Verbrennungsopfer und vor allem
Patienten mit offenen Wunden profitieren von dieser "Haut aus der
Tube". Dies sei nicht etwa echte Haut, sagt Björn Stark,
Ärztlicher Direktor an der chirurgischen Uniklinik Freiburg:
Es handele sich vielmehr um körpereigene Hautzellen in einem
Fibrin-Kleber, die dann im Patienten selbst neue Haut
aufbauen.
Nach demselben Prinzip werden auch Knochen-
und Knorpelzellen gezüchtet, die bei der Rekonstruktion von
Gelenken verpflanzt werden können. Auch Nervenfasern haben die
südbadischen Forscher im Visier. Bei Operationen von
Hirntumoren wird nicht selten der Gesichtsnerv verletzt. Dieser
Nerv verzweigt sich stark und steuert die zahlreichen Muskeln im
Gesicht, welche die Mimik ausmachen. Defekte dieses Nervs
entstellen und verzerren das Mienenspiel der Betroffenen teilweise
so erheblich, dass das soziale Leben wesentlich beeinträchtigt
wird. Man müsse, so die Hoffnung der Freiburger
Wissenschaftler, den Körper anregen, selbst Nervenzellen zu
bilden - ähnlich wie dies bei den Zellen der Haut gelungen
sei.
Nach den ersten Erfolgen der
Grundlagenforschung sind die Hoffnungen auf Linderung bisher
unheilbarer Krankheiten oft groß. Doch es hat sich immer
wieder gezeigt, dass der Weg vom ersten Versuch im Labor bis zum
Einsatz in der Klinik weit ist.
Tanja Volz ist Wissenschaftsredakteurin bei
der "Stuttgarter Zeitung".
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