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Igal Avidan
Friedensinitiative von unten
Israelisch-palästinensischer
Appell
Die Sheinkin-Straße im Zentrum Tel-Avivs an einem sonnigen
Dienstagvormittag. Ofry Levi und Judi Duanis, zwei junge Frauen,
stehen neben dem Stand der neuen Friedensinitiative "Der Nationale
Appell". Hinter ihnen liegt ein kleiner Garten, links neben ihnen
ist der größere Dauerstand der staatlichen Lotterie,
"Mif'al Hapaiss", vor ihnen frühstücken junge Leute
entspannt in den zahlreichen Straßencafes dieser unter
Jugendlichen sehr populären Straße.
Levi ist eine zierliche, dunkelhäutige 27-Jährige mit
einem silbernen Davidstern am Hals und die Haare im Afrolook
gekämmt. Sie trägt eine riesige Sonnenbrille,
Sportschuhe, Jeans und einem schwarzen Ledermantel. Dass sie sich
für den Frieden engagiert habe auch mit ihren politischen
Ansichten zu tun, sagt die Schauspielerin und Sängerin, aber
vor allem sei es ein Job. "Die wirtschaftliche Lage hier ist
katastrophal und mit meinem Beruf kann ich mich nur teilweise
finanzieren. Ich arbeite hier aber auch, weil ich an die Idee der
friedlichen Koexistenz glaube. Ich tue es wirklich gern, auch wenn
die Passanten manchmal sehr unangenehm reagieren. Ich werde oft
beschimpft. Zu physischer Gewalt ist es bisher nicht gekommen, weil
man in Israel nicht so schnell eine Frau schlagen würde."
Nach einem dreijährigen Winterschlaf, in dem die
Friedensbewegung die allgemeine Losung, wonach es keinen
palästinensischen Partner gibt, nicht zu hinterfragen wagte,
konkurrieren zur Zeit mehrere Friedensinitiativen miteinander.
Besonders umstritten ist die Genfer Initiative des ehemaligen
Justizministers Yossi Beilin und des palästinensischen
Informationsministers Jassir Abed Rabbo, die im Gegensatz zum
Nationalen Appell als links gilt. Ofry Levi und Judi Duanis
arbeiten wie Dutzende anderer Hilfskräfte für eine andere
Friedensinitiative von unten, den Nationalen Appell.
Ungewöhnlich ist diese Initiative in vieler Hinsicht, nicht
zuletzt, weil sie unparteiisch ist und dennoch starken
Rückhalt in der Bevölkerung genießt. Tausende stehen
auf der Aktivistenliste, Hunderte arbeiten ehrenamtlich.
Anfang Juli lancierten der ehemalige Geheimdienstchef Ami Ayalon
und der Präsident der palästinensischen
Al-Quds-Universität in Ost-Jerusalem Sari Nusseibeh eine neue,
bisher einmalige Friedensinitiative. "Der Nationale Appell soll die
Road Map korrigieren und den fehlenden Baustein hinzufügen,
nämlich das Ziel der Road Map", so Ayalon.
Dieses Ziel umfasst sechs Grundsätze: Die Gründung
eines Palästinenserstaates und die Anerkennung Israels als
jüdischer Staat. Auf der Grundlage der Grenzen von 1967 werden
beide Seiten Gebiete im Verhältnis 1:1 austauschen, um zu
verhindern, dass Siedler in Palästina bleiben; Jerusalem wird
die Hauptstadt beider Staaten, wobei arabische Stadtteile unter
palästinensisch, jüdische Stadtteile unter israelisch und
die Heiligen Stätten neutral verwaltet werden.
Palästinensische Flüchtlinge dürfen nur nach
Palästina zurückkehren, nicht nach Israel. Diejenigen,
die nicht zurückkehren wollen, werden von der internationalen
Gemeinschaft entschädigt. Außerdem wird der Staat
Palästina entmilitarisiert. Beide Seiten werden nach
Erfüllung dieser Prinzipien das Ende des
israelisch-palästinensischen Konfliktes erklären.
Von Politikern halten sich die Initiatoren fern. Ayalon
verabscheut die "konstruktive Zweideutigkeit" der
Oslo-Verträge. Als dekorierter Kriegsheld einer Eliteeinheit,
Befehlshaber der Marine und schließlich Geheimdienstchef gilt
er als unangreifbarer "Mr. Sicherheit". Da er keine politische
Ambitionen hegt und penibel darauf pocht, ein Mann der Mitte und
kein Linker zu sein, bietet er keine Angriffsfläche.
Bisher hat Ayalon lediglich 133.000 Unterschriften gesammelt,
was im Vergleich zu Nusseibehs 70.000 enttäuschend niedrig
ist. Das hat Ofry Levi gleich erkannt. Anfangs wartete sie darauf,
dass die israelischen Passanten auf sie zugehen würden, aber
es wurden nur ein paar Rentner aufmerksam. Inzwischen konfrontiert
sie die politikverdrossenen Israelis direkt: "Meine Dame, das ist
eine zivile Initiative, die vom Volk kommt", wendet sie sich an
eine Frau. Nach jüngsten Umfragen befürworten zwei
Drittel der Israelis die Gründung eines
Palästinenserstaates und 60 Prozent stimmen der Räumung
der meisten jüdischen Siedlungen zu. Aber nur ein Viertel
glaubt, dass ein Frieden mit den Palästinensern in den
kommenden fünf Jahren möglich sei. Die Palästinenser
haben aber seit kurzem eine neue und bemerkenswerte
Friedensbewegung, "Die Volkskampagne für Frieden und
Demokratie" unter Nusseibehs Führung. Sein Sprecher Dimitri
Diliani berichtet über 1.200 Freiwillige, zumeist lokale
Fatah-Führer, die viel Anerkennung in der Bevölkerung
genießen und "von Dschenin bis Gaza" Unterschriften sammeln.
So wie die Israelis sind auch viele Palästinenser von der
Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit Ayalons überzeugt. Ansonsten
kooperieren beide Initiativen nicht miteinander.
Zurück nach Tel-Aviv: Levi stößt bei drei
Bevölkerungsgruppen auf totalen Widerstand: bei Einwanderern
aus der ehemaligen Sowjetunion, Ultraorthodoxen und
palästinensischen Israelis. Die Ultraorthodoxen leben in ihrer
eigenen geschlossenen Welt und wollen weder mit dem Staat Israel
noch mit Levi als Frau zu tun haben. Im Gegensatz dazu zeigen sich
manche Nationalreligiöse kompromissbereit und unterschreiben.
Als sie Unterschriften an Universitäten gesammelt habe,
begegnete sie arabischen Israelis, die sich gegen diese Initiative
stellten, weil sie das Rückkehrrecht der Flüchtlinge nach
Israel ausschließt.
133.000 Israelis und 85.000 Palästinenser haben bisher die
Grundsätze des Nationalen Appells unterschrieben. Aber,
weiß Ayalon: "Nur wenige Israelis sind bereit, meine
Erläuterungen anzuhören. Die meisten leben in den Tag
hinein. Und letztendlich sind ohne Hunderttausende Unterschriften
all meine Reden Quatsch." Er zeigt auf ein großes Werbeplakat
mit dem Slogan: "Wollt ihr, dass Maccabi Haifa seine Heimspiele im
Europapokal in Israel spielt? Dann unterschreibt dieses
Abkommen!"
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