Jutta Witte
Ins schwarze Loch der schwarzen Kassen
gefallen
Hessen: Ex-Innenminister Kanther wegen Untreue
vor Gericht
Der Spendenskandal der hessischen CDU wird nun doch juristisch
aufgearbeitet. Ex-Innenminister Manfred Kanther und der
langjährige Schatzmeister der hessischen Christdemokraten,
Casimir Prinz Wittgenstein, müssen sich wegen "Untreue zum
Nachteil der CDU Hessen" vor der 6. Wirtschaftsstrafkammer des
Wiesbadener Landgerichts verantworten. Der ehemalige
CDU-Steuerberater Horst Weyrauch steht wegen Beihilfe zur Untreue
ebenfalls vor Gericht.
Nach über einjähriger Prüfung hat das Frankfurter
Oberlandesgericht (OLG) das Hauptverfahren gegen die drei
Angeklagten zugelassen und damit einen Beschluss des Wiesbadener
Landgerichts von März 2002 rückgängig gemacht, das
einen Prozess abgelehnt hatte mit der Begründung, der Fall sei
verjährt und der Partei sei durch den illegalen Transfer des
Parteivermögens in die Schweiz kein Schaden entstanden.
Stolze 20,8 Millionen Mark - nach Angaben des OLG-Frankfurts 90
Prozent des Parteivermögens - hatten die drei Ende 1983 und
Anfang 1984 vom Konto der hessischen CDU bei der Frankfurter
Metallbank heimlich abgezogen und auf einem schwarzen Konto beim
Schweizer Bankverein deponiert. Ein neues Parteiengesetz drohte und
damit die Offenlegung des Parteivermögens und seiner Herkunft,
die nach Auffassung von SPD und Grünen bis heute
ungeklärt ist. Auch das Wiesbadener Landgericht hatte in
seinem Beschluss von illegalen Geldern "in nennenswertem Umfang"
gesprochen. Mit ihrer Verschiebung ins Ausland sollten die
Millionen, die bis zur Aufdeckung des Skandals im Januar 2000 als
schwarze Kasse fungierten, "neugierigen Blicken entzogen" werden
und die "jederzeitige Kampffähigkeit der CDU sicherstellen",
wie Kanther freimütig einräumte.
Hessens Christdemokraten profitierten durchaus von dem geheimen
Schatz. Mal floss unter der Regie Wittgensteins und Weyrauchs das
Geld als vermeintliche Spende, mal als fingiertes Darlehen, mal
getarnt als jüdisches Vermächtnis nach Deutschland
zurück. Mit Hilfe des Schwarzgeldes finanzierte der
Landesverband - ohne Wissen um die Existenz der geheimen
Kriegskasse, wie bis heute beteuert wird - nicht nur eine neue
Parteizentrale und EDV-Anlagen, sondern auch den Wahlkampf von
Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth. Allein 1,4
Millionen Mark flossen schließlich 1998 als angebliches
Darlehen des "Prinzen" in den Wahlkampf, mit dem Roland Koch seine
erste Landtagswahl gewann.
Kanthers Eingeständnis der illegalen Finanzpraktiken am 14.
Januar 2000 trat eine Lawine los, die die Landespolitik in Hessen
über zwei Jahre dominieren sollte. Im Zuge der Affäre
konnte Regierungschef Roland Koch seinen Kopf nur knapp retten,
sein Staatskanzleichef Franz-Josef Jung musste jedoch
zurücktreten - als Bauernopfer, wie die Opposition
mutmaßt. Die mit Schwarzgeld gewonnene Landtagswahl von 1999
beschäftigte außerdem die juristischen Instanzen bis hin
zum Bundesverfassungsgericht.
Während Koch und andere Mitglieder aus der hessischen
CDU-Spitze vor den Untersuchungsausschüssen in Wiesbaden und
Berlin zu Protokoll gaben, von dem schwarzen Parteivermögen
nichts gewusst zu haben, räumte Kanther seine Rolle in der
Finanzaffäre stets ein.
Politisch übernehme er die Verantwortung, betonte der
64-Jährige, der im Januar 2000 sein Bundestagsmandat
zurückgab und seitdem zurückgezogen in Wiesbaden lebt. Er
habe niemanden schädigen wollen und faktisch sei seiner Partei
kein Schaden entstanden. Dies sieht die Wiesbadener
Staatsanwaltschaft, die im Mai 2001 Anklage gegen ihn, Wittgenstein
und Weyrauch erhob, allerdings anders. Immenser Schaden sei Hessens
Christdemokraten aus drei Gründen entstanden, argumentiert
sie: die Partei habe über ihr Vermögen nicht mehr frei
verfügen können, die Verwaltung der schwarzen Kasse habe
zusätzliche Kosten verursacht und nicht zuletzt sei die Partei
durch falsche Rechenschaftsberichte finanziellen Sanktionen des
Bundestagspräsidenten ausgesetzt.
Auch ein weiterer Einwand Kanthers, sein Fall sei verjährt,
ist mit der Entscheidung des OLG Frankfurt widerlegt. Wie die
Staatsanwaltschaft gehen auch die Frankfurter Richter davon aus,
dass es sich bei den Vorwürfen um eine einheitliche Tat von
der Verschiebung des Geldes 1984 bis zum letzten Geldrückfluss
1999 handelt und die fünfjährige Verjährungsfrist
außerdem mit der Anklageerhebung im Mai 2001 unterbrochen
wurde.
Während der Generalsekretär der hessischen CDU,
Michael Boddenberg, den OLG-Beschluss nur mit einer Pressenotiz
"zur Kenntnis nahm", begrüßen SPD und Grüne die
Eröffnung des Prozesses. Von dem Verfahren erhoffen sie sich
Erkenntnisse, die ihnen in den beiden Untersuchungsausschüssen
verweigert worden seien. Er gehe davon aus, dass die Zeugen vor
Gericht angesichts drohender Strafen "ergiebiger" antworten,
erklärte SPD-Fraktionschef Jürgen Walter.
"Die spannende Frage ist jetzt", sagte der Vorsitzende der
Grünenfraktion, Tarek al Wazir, "ob Manfred Kanther auch alle
Schuld auf sich nimmt, wenn ihm die Verurteilung droht." Der Beginn
des Prozesses ist nach Angaben des Wiesbadener Gerichts derzeit
noch offen.
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