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Christoph Seils
Propaganda aus der Dachstube
Rechtsextremisten nutzen das Internet im
undogmatischen Plauderton
Mit den Grenzen, die das Strafgesetzbuch der Meinungsfreiheit
setzt, kennt Axel Möller sich aus. Zweimal bereits stand er
wegen Volksverhetzung oder Leugnung des Holocausts vor Gericht.
Erst kürzlich musste er 450 Euro Strafe zahlen, weil er ein
derbes antisemitisches Gedicht aus dem vergangenen Jahrhundert
zitiert hatte. Zum Abschluss des Prozesses gab ihm die Richterin
einen rechtlichen Hinweis, den sich der 39-Jährige gemerkt
hat: Man dürfe solche Zitate nicht ohne Begleitkommentar
veröffentlichen. Also schreibt Axel Möller nun
beispielsweise, ihm falle "nicht im mindesten ein", die "perfiden
Instrumente des nationalsozialistischen Terrors zu verharmlosen",
um gleich mit einem kräftigen "aber" fortzufahren. Oder er
tarnt seine Gewaltphan-tasien als "Sommer-Gesundheitstipp zur
Zeckenbekämpfung: Am besten drauftreten und ganz schnell
wegrennen." Wohlwissend, dass linke Jugendliche in Skinhead-Kreisen
"Zecken" genannt werden.
Möllers zweideutige Texte sind unter Deutschlands
Rechtsextremisten gefragt und beliebt, auch wenn nur wenige den
Autoren kennen. Axel Möller schreibt und verbreitet diese
anonym, seine Bühne ist das World-Wide-Web. Fast täglich
füttert er die Internetseiten des so genannten
"Störtebeker-Netzes", einer der etwa 1.000 von
Rechtsextremisten betriebenen Homepages in Deutschland. Der Boom
des Internets ist auch an Rechtsextremisten und Neonazis nicht
vorbei gegangen. Zählte der Verfassungsschutz 1996 noch 30
neonazistische, ausländerfeindliche oder antisemitische
Homepages, waren es im vergangenen Jahr bereits 1.000. Von einer
"nicht zu unterschätzenden Gefahr" spricht denn auch Maren
Brandenburger vom Niedersächsischen Landesamt für
Verfassungsschutz, die Dunkelziffer sei erheblich.
Alles wird geboten; Aufrufe zur Gewalt, NS-Symbole,
antisemitische Bücher. Das Internet ist zu einer
gefährlichen Propaganda-Plattform geworden, auf der sich
Rechtsextremisten einer breiten Öffentlichkeit darstellen
können. In der Regel reicht es, in einer populären
Suchmaschine einschlägige Suchbegriffe einzugeben. Der Text
von Hitlers "Mein Kampf" findet sich in Sekundenschnelle genauso
zum Downloaden wie Musik der verbotenen Skinheadband Landser.
Populär sind auch anonyme Chatrooms, in denen munter über
volksverhetzende oder menschenverachtende Thesen debattiert wird.
Etwa 15 Prozent der rechtsextremen Homepages bieten nach
Einschätzung des Verfassungsschutzes strafbare Inhalte, der
Rest bewegt sich im Rahmen der Gesetze. Eine rechtliche Handhabe,
diese zu verbieten, gibt es nicht.
Wie im "Störtebeker-Netz". Die Homepage gehört mit
jährlich zwischen drei und vier Millionen Zugriffen aus aller
Welt derzeit zu den rechtsextremen Top-Adressen im Internet. Axel
Möller ist Mitbegründer des "Störtebeker-Netzes" und
Autor fast aller Texte. Stolz präsentiert er die Listen mit
den Zugriffszahlen. Mal sind es rund 15.000 am Tag, mal 22.000, am
16. September 2003 waren es 33.749 Zugriffe. Mitte September, als
die Polizei in München eine rechte Terrorzelle aushob und 1,7
Kilogramm Sprengstoff fand, war das Informationsbedürfnis der
Kameraden offenbar besonders groß. Diese informieren sich
nicht mehr aus der ihnen verhassten "Systempresse" sondern in
eigenen Internet-Medien. Von "angeblichen Todeslisten" im
"Störtebeker-Netz" war an diesem Tag die Rede, von Wahlkampf
und von V-Leuten. Und Axel Möller kommt in seinem Text sofort
auf die "Machenschaften" der israelischen Regierung in
Palästina zu sprechen und fügt hämisch hinzu, man
müsse sich nicht wundern, "wenn sich die Empörung
darüber, dass sich Exponenten dieses Volkes auf obskuren
Todeslisten irgendwelcher Spinner befinden, durchaus in relativen
Grenzen hält".
Was das "Störtebeker-Netz" so erfolgreich macht, ist die
Mischung. Axel Möller verbreitet Meldungen der Szene, Aufrufe
zu Demonstrationen und politische Kommentare. Anders als die
meisten seiner rechten Mitstreiter im Netz verzichtet er
völlig auf schwere Symbolik oder ideologische Pamphlete.
Stattdessen kommt Möller im undogmatischen Plauderton daher
und erreicht damit weit mehr als den harten Kern unbelehrbarer
Rechtsextremisten. Das "Störtebeker-Netz" will provozieren und
unterhalten. Und so scheut Axel Möller auch nicht davor
zurück, die eigenen Reihen zu kritisieren, über
"Möchtegern-Nationalisten ohne politischen Sachverstand"
herzuziehen, oder die allwöchentlichen Demonstrationen des so
genannten "nationalen Widerstandes" als Wanderzirkus zu
belächeln. Manchmal gibt er gar Buchtipps, würdigt
Ausstellungen oder veröffentlicht Nachrufe.
Die Bühne Internet lässt sich sehr einfach betreten.
Selbst kleine Gruppen können eine enorme Breitenwirkung
entfalten. Axel Möller kämpft mit seinem
"Störtebeker-Netz" sogar ganz allein. Keine Gruppe, keine
Organisation, keine Partei steht hinter ihm. Technisch ist das kein
Problem. Kosten entstehen kaum. Die Sperrung der Internet-Seiten
ist unmöglich, weil der Server vermutlich in den USA steht.
Wenn überhaupt von einer Redaktion die Rede sein kann, dann
befindet sich diese in einer kleinen Dachwohnung am Rande der
Stralsunder Altstadt. Zwischen einem alterslahmen Computer, einem
mit Zeitschriften und Papieren übersäten Schreibtisch und
voll gestopften Bücherregalen arbeitet Möller, findet er
seine Inspiration. Lexika, antiquarische Originalausgaben,
umfangreiche Werkausgaben sind griffbereit. Gleich neben Hitlers
"Mein Kampf" stehen im Regal Marx und Machiavelli; Edgar Julius
Jungs Kampfschrift gegen die Weimarer Republik "Die Herrschaft der
Minderwertigen" hat in seiner Bibliothek genauso ihren Platz wie
Bücher von Goethe, Ibsen oder Schopenhauer. Selbst an Heinrich
Heine findet Möller Gefallen, er begeistert sich für
dessen "pralle Sprache", nicht ohne zugleich darauf hinzuweisen,
dass dieser ein "überheblicher Gegner Deutschlands" gewesen
sei.
Natürlich gibt es Versuche, die braune Flut im Internet
einzudämmen. Längst arbeiten daran bei der Polizei und
dem Verfassungsschutz ganze Abteilungen. Viele deutsche Provider
haben rechtsextremen Organisationen in den letzten beiden Jahren
Adressen und Speicherplatz gekündigt. In den USA, wo die
Verbreitung neonazistischer Propaganda durch die Meinungsfreiheit
geschützt wird, versuchen Gruppen, wie die
Anti-Defamation-League, Internet-Provider zu einer
Selbstverpflichtung zur Bannung rassistischer Homepages zu bewegen.
All dies führt dazu, dass manche Seiten plötzlich nicht
mehr erreichbar sind, Adressen wechseln, Gruppen ihre Homepages
aufgeben. Doch der Erfolg solcher Maßnahmen ist begrenzt, der
Boom ungebrochen.
Vor allem dann, wenn in Deutschland mal wieder ein
Antisemitismusstreit tobt, ist antisemitische Propaganda im Netzt
gefragt. In solchen Zeiten läuft Axel Möller zu wahrer
Höchstform auf. Immer zweideutig, immer mit antisemitischen
Untertönen, immer am Rande der strafbewehrten Volksverhetzung.
Den CDU-Abgeordneten Martin Hohmann kürte er Ende letzten
Jahres zum "Opfer des linken Mainstreams", dessen Kritiker nennt er
"Deutschland-Hasser". Die "Zionistenlobby" stehe immer isolierter
da, schreibt er, der Zeitgeist sei "nicht länger einseitiges
Monopol einer Menschenklasse, die noch nicht mal ein Prozent der
Gesamtbevölkerung einnimmt". Hirngespinste, die ihren
Adressaten finden, denn im Internet gibt es weder Tabus noch
kollektive Empörung, keinen Widerspruch und keine
demokratische Kontrolle. Jeder kann dort Gleichgesinnte um sich
scharen, ein virtuelles Gemeinschaftsgefühl erzeugen, sei
seine Propaganda auch noch so widerlich.
Nur manchmal stockt die Ein-Mann-Propaganda-Maschine. Etwa wenn
mal wieder ein Strafbefehl eintrifft, weil Axel Möller in
einem Internet-Chat die Existenz von Gaskammern im KZ
Ravensbrück geleugnet hat, ohne auf eine ausreichende
Anonymisierung zu achten. Oder weil mal wieder die alterslahme
Technik versagt. Dann ist vorübergehend Sendepause. Zuletzt
kurz vor dem Jahreswechsel. Doch schnell fanden sich ein paar
Kameraden, die auf die Propaganda aus der Stralsunder Dachstube
nicht verzichten wollten. Sie spendierten Axel Möller einen
neuen Bildschirm.
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