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O. Ulrich Weidner
Der Adel ist ausgezogen - geblieben ist die edle
Lobby
Im einstigen Preußischen Herrenhaus tagt
heute der Bundesrat
Zu Beginn ein kleines Rätsel: Was verbindet Felix
Mendelssohn-Bartholdy, seine Schwester Fanny, die königliche
Porzellanmanufaktur, den preußischen Adel, Hermann
Göring, die Staatliche Plankommission der DDR und den
Bundesrat? Eine ziemlich krude Mischung, werden Sie sagen - und
doch hatten sie alle eine bekannte Berliner Adresse: Leipziger
Straße 3-4. Die angesagte "Location" ist besser bekannt als
preußisches Herrenhaus, das auch heute noch so genannt wird,
obwohl seit einigen Jahren der Bundesrat dort seinen Sitz hat.
Der jetzige Hausherr, Bundesratspräsident Dieter Althaus
(CDU), zugleich Ministerpräsident von Thüringen, hatte
jedenfalls keine historischen Berührungsängste, als er
für den 26. Januar einlud zu einem "Festakt am historischen
Ort", dem 100-jährigen Bestehen des preußischen
Herrenhauses - einer Institution, die es seit 1918 natürlich
nicht mehr gibt. Aber das Gebäude steht noch und dazu im neuen
Glanze, mit etwas weniger als 200 Millionen Mark auf den heutigen
Stand gebracht.
Die wechselvolle Geschichte des Ortes mit vielen Facetten und
Anekdoten zeichnete der ehemalige Präsident der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz, Professor Werner Knopp, nach.
Ursprünglich, also im 18. Jahrhundert, war das
Grundstück, das vor den Toren der damaligen Residenzstadt
Berlin lag, zweigeteilt. Die Familie Mendelssohn bewohnte eine
Villa mit großem Garten. Auf dem Nachbargrundstück
fabrizierte ein gewisser Herr Gotzkowsky Porzellan, in der
Vorgängerfabrik der späteren königlichen Manufaktur.
Gebaut hatten die Gebäude ein preußischer Major sowie ein
Leutnant auf königliches Drängen. Schließlich sollte
die Residenz umgeben werden von prächtigen Stadtsitzen. Beide
verhoben sich mit den Bauten und gingen Pleite - kein gutes Omen.
Dann also Felix und Fanny in der einen, Porzellanarbeiter auf der
anderen Seite.
100.000 Taler für die erste Kammer
1851 kaufte der preußische Staat das Mendelssohn-Palais
für 100.000 Taler für die erste Kammer des
Preußischen Parlaments, das Herrenhaus. Der in ihm sitzende,
handverlesene Adel - bis zur Auflösung 1918 stets konservativ
dominiert - musste allen Gesetzen zustimmen. Ab 1871 fand der
Reichstag in der ehemaligen Porzellanmanufaktur, die weiter nach
Charlottenburg gezogen war, seinen provisorischen Sitz. Die
Leipziger Straße war damit zum politischen Mittelpunkt des
jungen Kaiserreiches geworden. Nach Fertigstellung des
Reichstagsgebäudes zog der Reichstag weiter. 1899 wurden dann
beide Gebäude abgerissen und für das Herrenhaus von dem
Architekten Friedrich Schulze-Colbitz eine dreiflügelige
Palastanlage im Stil des Neobarock gebaut, die 1904 bezogen werden
konnte.
Die preußischen Herren hatten bekanntlich nicht lange
Freude an dem auch innen prächtig ausgeschmückten Bau:
Das Ende der Monarchie brachte auch das Ende des Adelsparlaments.
Das Palais wurde folgerichtig Sitz des Zentralrats der Arbeiter-
und Bauernräte, 1920 zogen der Preußische Staatsrat - der
immerhin noch etliche Mitberatungsrechte im Gesetzgebungsverfahren
hatte und dem zwölf Jahre der damalige Kölner
Oberbürgermeister Konrad Adenauer vorsaß - und das
Ministerium für Wohlfahrtspflege ein.
Dann brach die finsterste Geschichte über den Bau herein.
Es wurde 1933 Dienstsitz des Ministerpräsidenten von
Preußen, Hermann Göring. Der baute gleich nebenan sein
monströses "Reichsluftfahrtsministerium" und
überließ das Herrenhaus mehreren NSDAP-Dienststellen. Im
Zweiten Weltkrieg stark demoliert, aber nicht völlig ruiniert,
wurde der Bau nach 1945 teilweise instandgesetzt. Er wurde Sitz der
Staatlichen Plankommission der DDR und von der Akademie der
Wissenschaften genutzt. Dass die "Location" nach 1989 wieder
demokratisiert werden konnte, war nicht automatisch. Bekanntlich
tat sich der Bundesrat mit seiner Entscheidung, von Bonn nach
Berlin zu gehen, nicht gerade leicht. Etliche Länder wollten
lieber am Rhein im so genannten Bundesratsflügel des
Bundeshauses bleiben, während der Bundestag seinen
Umzugsbeschluss viel früher gefasst hatte. Erst im März
1997 wurde mit dem Umbau des Herrenhauses begonnen, das lange Jahre
in unmittelbarer Nachbarschaft der Berliner Mauer ein
Dornröschen-Dasein gefristet hatte. Aber am 14. Juli 2000 fand
die letzte Bundesratssitzung in Bonn statt, nachdem in Berlin
bereits der Büroflügel bezogen war. Seitdem wandeln
Demokraten in der noch immer von adliger Haltung geprägten
Lobby des Herrenhauses in der Leipziger Straße.
Präsident Dieter Althaus machte in seiner
Begrüßungsansprache zum 100-jährigen Bestehen des
würdigen Baus auch auf die Unterschiede der jeweiligen
Bewohner deutlich. Am 16. Januar 1904 "um exakt 2 Uhr 15 Minuten"
am Nachmittag begann die erste Sitzung des Herrenhauses - ohne
Fanfaren oder sonstige Musik, sondern ganz schlicht mit zwei
Begrüßungsreden.
Nach einem lebhaften "Bravo" auf Preußen und Deutschland
begann das Alltagsgeschäft. Die Herren mußten zum Antritt
der Sitzungsperiode 1904/05 nämlich hinüber zum
Stadtschloss seiner Majestät, damit auch rein
äußerlich hervortrat, wer denn das Sagen im damaligen
Staate hatte. Nicht der Kaiser zum Parlament, sondern das Parlament
zum Kaiser - das waren noch Zeiten! Althaus: "Das Preußische
Herrenhaus war weder föderalistisch, noch war es demokratisch
legitimiert. Von seiner Gründung durch die preußische
Verfassung, von 1850 bis zu seiner Auflösung 1918 blieb es im
Kern eine konservative Adelskammer - in der Mehrheit fundamental
antidemokratisch. Beide Institutionen - Herrenhaus und Bundesrat -
trennt mehr, als sie verbindet. Doch auch das Trennende kann eine
wertvolle Essenz aus der Geschichte sein." Der verantwortliche
Umgang mit der Vergangenheit helfe, die Verpflichtungen zu tragen,
die daraus erwachsen: die Freiheit zu wahren, das Recht und die
Menschenwürde zu verteidigen.
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