Hans-Georg Golz
Die verschwundene Außenpolitik
Zu den Außenbeziehungen der DDR
Zu den Desiderata bei der wissenschaftlichen Erforschung der
DDR-Geschichte zählt noch immer die Außenpolitik. Das ist
zum einen der lange vorherrschenden Meinung geschuldet, der hohe
Grad der Abhängigkeit von der Hegemonialmacht Sowjetunion habe
gar keine eigenständige Außenpolitik erlaubt, deren
Untersuchung sich lohnen würde. Außerdem standen in den
ersten 13 Jahren der wissenschaftlichen Aufarbeitung der
SED-Diktatur andere Themen im Vordergrund des (auch tagespolitisch
motivierten) Erkenntnisinteresses, vor allem die Rolle des
Repressionsapparates und der Stellenwert oppositioneller und
widerständiger Bestrebungen.
Der Mangel an einschlägigen Projekten liegt auch an der
unzureichenden Zugänglichkeit westlichen Archivmaterials, das
der 30-Jahres-Sperrfrist unterliegt. Diese Einschränkung
betrifft auch die Überlieferung des Ministeriums für
Auswärtige Angelegenheiten der DDR, während die anderen
Staats- und Parteiakten der DDR der Forschung nahezu
vollständig zur Verfügung stehen. Hermann Weber hat diese
"Asymmetrie" immer wieder beklagt und gefordert, der Wissenschaft
zumindest die Arbeit mit den Überlieferungen der alten
Bundesrepublik bis 1989/90 zu ermöglichen.
Der als "Potsdamer Textbuch" erschienene und dem Historiker
Claus Montag zugeeignete Sammelband stellt Bausteine bereit, die
von einer noch ausstehenden, quellengestützten
Gesamtdarstellung der DDR-Außenpolitik berücksichtigt
werden müssen. Es handelt sich um neu bearbeitete
Aufsätze vorwiegend ostdeutscher Autorinnen und Autoren, die
nach 1990 vornehmlich in der deutsch-polnischen Zeitschrift
"WeltTrends" erschienen sind und sich mit den Beziehungen der DDR
zu Polen, der Tschechoslowakei, China, Kuba und Lateinamerika
befassen.
Unerforschte Themen
Hinzugekommen sind Texte von Siegfried Schwarz über das
Verhältnis der DDR zur Europäischen Gemeinschaft, von
Raimund Krämer über "die ganz andere Beziehung" zu Chile
sowie von Claus Montag über die USA in der Westforschung der
DDR - alles-samt Themen, die bislang kaum im Mittelpunkt der
Forschung standen.
Im einleitenden Aufsatz geht Dieter Segert der aktuellen
Diskussion um das Erbe beziehungsweise das mediale Weiterleben der
DDR nach. Seine Klagen über die Entwertung des "sozialen
Kapitals der Ostdeutschen" sind nicht neu, der Verweis auf die
Leistungen der DDR-Bürgerinnen und Bürger im
Revolutionsherbst berechtigt. Ob der Staatssozialismus in Osteuropa
wirklich als "partiell geglückter Weg der Modernisierung" zu
kennzeichnen ist und ob im "vergessenen politischen Erbe der
späten DDR" Ressourcen für die aktuelle Reformdebatte
liegen, scheint jedoch fraglich. Gesellschaftspolitische Fragen
sind aus außenpolitischer Perspektive kaum zureichend zu
beantworten.
Erhard Crome/Jochen Franzke/Raimund Krämer (Hrsg.)
Die verschwundene Diplomatie.
Beiträge zur Außenpolitik der DDR.
Potsdamer Textbuch 6.
Berliner Debatte Wissenschaftsverlag, Potsdam 2003; 287 S., 16,-
Euro
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