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Tilmann P. Gangloff
Wer die Medien macht, macht die Meinung
Demoskopen geben Journalisten Schuld an der
Politikverdrossenheit
Nie war Politik so komplex wie heute; und nie
war es so einfach, sich mit Hilfe von Fernsehen, Zeitungen,
Zeitschriften und Internet eingehend über Politik zu
informieren. Tatsächlich geben viel mehr Menschen als etwa vor
40 Jahren an, sie interessierten sich für Politik; in
Wirklichkeit aber können nur die wenigsten den Unterschied
zwischen Bundestag und Bundesrat erklären.
Andererseits hatten Politiker selten ein
derart schlechtes Image wie derzeit. Experten führen das nicht
zuletzt auf die Amerikanisierung auch der deutschen Politik
zurück: Inhalte werden zugunsten von Köpfen immer
unwichtiger, Umfrageergebnissen kommt in der politischen Praxis
immer mehr Bedeutung zu. Wahlkämpfe beschränken sich mehr
und mehr darauf, auf die Nachteile des politischen Gegners
hinzuweisen, anstatt eigene Vorzüge anzupreisen ("negative
campaigning"). Die Medien schließlich reduzieren den Wettlauf
um ein Amt in der Tat auf ein sportives Spektakel, bei dem
bloß noch zählt, wer gerade vorne liegt ("horse
racing").
Natürlich sind Politiker als Vermittler
ihrer Politik auf die Massenmedien angewiesen, und selbstredend
versuchen sie, Zeitungen und Fernsehen zu ihrem eigenen Nutzen zu
instrumentalisieren. Kein Wunder, dass die Menschen im Land den
Eindruck bekommen müssen, Politiker seien machtbesessen und
nur auf den eigenen Vorteil aus. Und wer ist Schuld? Die Medien
natürlich.
Behauptet jedenfalls Thomas Petersen,
Projektleiter beim Allensbacher Institut für Demoskopie; wenn
auch aus ganz anderen Gründen. Der Sozialwissenschaftler
entschuldigt sich zwar, er wolle keine Journalistenschelte
betreiben, doch darauf läuft es hinaus. Und es geht keineswegs
allein um das Ansehen von Politikern, sondern um das politische
Urvertrauen insgesamt und damit um die Stabilität der
Demokratie.
Ausgerechnet die Medien, die sich doch gern
als Garanten und Fundament der demokratischen Ordnung betrachten,
tragen nach Petersens Meinung entschieden zur Gefährdung
dieses Fundamentes bei: weil die Berichterstattung seit Jahrzehnten
nachweislich immer negativer werde. Einen Zeitpunkt für den
Urknall hat er auch ausgemacht: das Jahr 1974, als Richard M. Nixon
als erster US-Präsident sein Amt niederlegen musste. Doch
nicht etwa Nixons bis heute als "Watergate-Affäre" bekannte
Untaten haben die Entwicklung ausgelöst, sondern ihre
Aufdeckung durch zwei Reporter der angesehenen Zeitung "Washington
Post", Bob Woodward und Carl Bernstein. Hollywood hat ihnen mit dem
Film "Die Unbestechlichen" ("All the President's Men", mit Robert
Redford und Dustin Hoffman) 1978 ein Denkmal gesetzt.
Fortan wurde investigativer Journalismus
für ganze Generationen von Nachwuchsreportern zum alles
beherrschenden Berufsmotiv; und wenn man schon keine großen
Skandale aufdecken konnte, dann wenigstens kleine. Da kaum eine
Berufsausbildung so selbstreferenziell ist wie die des
Journalisten, der sich von Anfang an Kollegen oder Idolen
orientiert, wurde das Ideal immer weiter gegeben.
Es lässt sich nachweisen, dass die
Berichterstattung in Fernsehen und Zeitungen seit Mitte der
70er-Jahre immer negativer geworden ist, ganz gleich, ob es sich um
Parteien, Kirche, Gerichte oder Gesetze handelt. Thomas Petersen
hat prompt die entsprechenden Zahlen für die 90er zur Hand.
Sie belegen, dass das Vertrauen der Menschen in Institutionen wie
den Bundestag, das Erziehungswesen, die Gewerkschaften oder
große Wirtschaftsunternehmen teilweise drastisch abgenommen
hat. Petersen spricht von einem "dramatisch erodierenden Vertrauen
in alles, was in diesem Land Amt und Würden hat".
Ironischerweise hat sich ausgerechnet beim Vertrauen in die
Zeitungen nichts geändert.
Ironisch ist das deshalb, weil die Medien aus
Sicht der Allensbacher Demoskopen die Wurzel des Übels sind.
Gemeinhin geht man davon aus, dass Medien so etwas wie ein Spiegel
der Gesellschaft sind; ein Zerrspiegel mitunter, aber ein Spiegel.
Petersen sieht das anders: "Es gibt eine ganze Reihe von sehr
deutlichen Hinweisen darauf, dass die Bevölkerung in ihrer
Meinungsbildung in Bezug auf politische Fragen in sehr vielen
Fällen dem Tenor der Berichterstattung nachfolgt." Das
bedeutet: Medien geben Meinungen nicht wieder, sie machen
sie.
Auch dies, betont Petersen, lasse sich
nachweisen, schließlich ließen sich Medieninhalte
codieren, also nach objektiven Kriterien verschlüsseln.
Kombiniere man die Resultate solcher Inhaltsanalysen
anschließend mit den Ergebnissen von Meinungsumfragen, zeige
sich, "dass die Bildung der Bevölkerungsmeinung in ihrer
Tendenz sehr eng den Inhalten der Massenmedien nachfolgt - und
nicht etwa umgekehrt". Die publizistische Forschung könne
keinen einzigen Fall nennen, bei dem sich erst die Meinung der
Bevölkerung verändert habe und dann die
Medieninhalte.
Als Wissenschaftler drückt sich Petersen
zwar etwas vor der nahe liegenden Schlussfolgerung, doch sie liegt
auf der Hand: Wer die Medien macht, macht Meinung. Am Beispiel der
Politik hieße das: Wenn die Medien nur lange genug
erzählen, Politiker seien unfähig und korrupt, glauben
die Menschen das irgendwann. Tatsächlich ist beispielsweise
jeder deutsche Bundeskanzler von den Wählern bislang
schlechter beurteilt worden als sein Vorgänger. Selbst wenn
dieses Urteil eine realistische Grundlage hätte, selbst wenn
es an Politikern und Politik zu Recht eine Menge auszusetzen gebe,
so bezweifelt Petersen doch, "dass alle Ämter, alle Parteien,
alle Politiker in den letzen Jahrzehnten so dramatisch viel
schlechter geworden sind".
Fest steht zumindest: Die Wahrnehmung von
Politik hat sich verändert. Das könne, fürchtet
Petersen, weit reichende Folgen haben: "Ein Fundament der
Demokratie wird unterhöhlt." Vertrauen sei schließlich
die Voraussetzung für das Funktionieren einer
repräsentativen Demokratie, "und wenn das wegbricht, hat das
Folgen für die Stabilität des politischen
Systems".
Tatsächlich sind die Parallelen zu den
letzten Tagen der Weimarer Republik nicht zu übersehen. Auch
damals hat eine konsequent negative Berichterstattung dazu
geführt, dass die Deutschen Politik nur noch als schmutziges
Geschäft mit unfähigen Protagonisten betrachteten.
Petersen betont zwar, die Situation heute sei eine völlig
andere, weil keine Wirtschaftskatastrophe drohe und es auch keine
extremistische Partei gebe, die sich diese Stimmung zunutze machen
könne; doch er appelliert an die Journalisten, sich ihrer
Macht stärker bewusst zu sein. Selbst wenn eine absolute
Objektivität ein unerreichbares Ideal bleibe, so müsse
man sich doch zumindest "um eine maßstabsgerechte
Berichterstattung bemühen" und den Menschen vermitteln:
"Natürlich gibt es auch korrupte Politiker, doch die Mehrheit
versucht einfach, ihren Job so gut wie möglich zu
erledigen."
Immerhin halten 90 Prozent der Menschen die
Demokratie nach wie vor für die beste aller Staatsformen. Und
zur Ehrenrettung zumindest der Zeitungen sei noch erwähnt,
dass es laut Umfragen vor allem die politische Information im
Fernsehen ist, die zur Verdrossenheit an Politik führen kann.
Die Medien selbst sind sich übrigens keiner Schuld bewusst.
Sie konstatieren zwar gern eine Krise der Parteiendemokratie, doch
wenn Politiker wie etwa Bundespräsident Johannes Rau den Ball
zurückspielen, reagieren sie empfindlich. Als Rau vor vier
Jahren, auf dem Höhepunkt der CDU-Spendenaffäre, auf eine
Gefährdung der demokratischen Kultur angesprochen wurde,
kritisierte er die Rolle der Massenmedien. Prompt wurde ihm
vorgeworfen, er wolle ja nur ablenken. "Verhöhnen statt
Spalten", variierte die FAZ gehässig ein früheres
Wahlkampfmotto Raus. Die Hassliebe zwischen Politikern und Medien
scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen.
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