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Karl-Otto Sattler
Moderner Ablasshandel
Stichwort: Emissionshandel
Der Emissionshandel ist ein Geschäft mit
Verschmutzungsrechten. Auf den ersten Blick mutet dieses Prinzip
wie der mittelalterliche Ablass an: Wer ein "Sünderzertifikat"
erwirbt, kann sich vom bösen Tun freikaufen. Abwegig ist
dieser Vergleich keineswegs. Indes zielt die heutige Lizenz zum
Ausstoß von Kohlendioxid-Tonnen nicht auf die Erlösung
vom Fegefeuer im Jenseits, sondern auf die Läuterung der
Missetäter im Diesseits. Wer viele Schadstoffe produzieren
will, muss für dieses Recht tief in die Tasche greifen, wird
mit Geldentzug "bestraft" - und wer wenig Dreck in die Luft
schleudert, wird mit einem Bonus "belohnt", der obendrein noch von
den Übeltätern zu berappen ist. So sollen Anreize
geschaffen werden, in umweltfreundliche Techniken zu investieren
und Resourcen wie Kohle, Öl oder Erdgas möglichst sparsam
zu verbrauchen: eine Rechnung, die jedenfalls dann aufgeht, wenn
die Kosten für die Erneuerung der Produktionsmethoden
niedriger sind als die Ausgaben für den Kauf von
Zertifikaten.
Stunde Null am 1. Januar 2005
Läuft alles nach Plan, markiert der 1. Januar 2005 mit dem
Start des Emissionshandels eine historische Stunde Null. Zu diesem
Zeitpunkt verfügen betroffene Kraftwerke und
Industrieunternehmen jeweils über eine bestimmte Zahl von
ihnen zugeteilten Verschmutzungslizenzen: Diese Dokumente legen
fest, wieviel Tonnen Kohlendioxid ein Betrieb in die Umwelt abgeben
darf. Emittiert eine Firma fürderhin weniger Schadstoffe
dieser Art, so darf sie die "überflüssigen" Zertifikate
gewinnbringend an Unternehmen veräußern, die mehr
Kohlendioxid ausstoßen als vorgegeben. Geschieht Letzteres
ohne zuvor erworbene Lizenz, so werden Strafzahlungen fällig -
in den ersten drei Jahren 40 Euro, danach 100 Euro je Tonne. Kauf
und Verkauf von Emissionszertifikaten laufen wie an der Börse
nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage ab, jede Tonne
Kohlendioxid hat also ihren Preis.
Als "Börsenaufsicht" oder als "Zentralbank" soll in der
Bundesrepublik die beim Umweltbundesamt angesiedelte Deutsche
Emissionshandelsstelle fungieren. Diese Einrichtung soll die
Ausgabe der überwiegend kostenlosen Erstlizenzen für die
Stunde Null vornehmen und ansonsten den Überblick wahren und
alles unter Kontrolle halten: Wo zirkulieren die Zertifikate, wie
sehen die Salden der Firmen- und Branchenkonten aus, bei wem werden
Bußgelder fällig?
Den Erfindern des Emissionshandels gilt dieses Modell als
geniale Methode, um mit marktwirtschaftlichen Mitteln zu geringen
Kosten den Klimaschutz voranzutreiben - Ökonomie und
Ökologie sozusagen Hand in Hand. Bei näherem Hinsehen
entpuppt sich diese Idee freilich als Kombination von staatlicher
Plan- und sich selbst regulierender Marktwirtschaft. Der Staat -
die EU und deren Mitgliedsländer - nämlich legt das
Gesamtvolumen der Lizenzen und damit den erlaubten
Kohlendioxidausstoß fest. Diese Schadstoffabgabe soll im
Interesse der Umwelt stetig sinken, weswegen sich auch die Zahl der
Verschmutzungszertifikate mit der Zeit reduziert - die mithin
teurer werden. Der marktwirtschaftliche Effekt: Das Recht zur
Umweltbelastung durch Kohlendioxid mutiert zum immer knapper
werdenden Gut mit steigendem Preis.
Kyoto-Protokoll
Seinen Ursprung hat der Emissionshandel im Kyoto-Protokoll der
UNO von 1997 - als eine Strategie unter anderen beim Kampf gegen
die Klimazerstörung. Als Klimakiller wurden Kohlendioxid,
Methan, FCKW und Lachgas identifiziert. Zu dem künstlich
verursachten Treibhauseffekt steuert das Kohlendioxid fast zwei
Drittel bei. Diese von Natur aus in der Atmosphäre vorhandene
Substanz absorbiert die von der Erde abstrahlende Wärme und
hält sie zurück. Die Kohlendioxid-Emissionen durch die
heutige Industrie rund um den Globus haben den Anteil des Gases nun
derart hochschnellen lassen, dass immer mehr Wärme in den
unteren Schichten der Atmosphäre verbleibt - mit der Folge
ansteigender Temperaturen, eben der Klimakatastrophe. Von 2008 an
können die EU-Staaten auch andere Treibhausgase in den
Emissionshandel einbeziehen.
Politisch handelt es sich beim anlaufenden Emissionshandel um
die Umsetzung eines eigentlich gar nicht existierenden
internationalen Vertrags. Bislang steht das Kyoto-Protokoll
schließlich nur auf dem Papier. Das Abkommen tritt erst in
Kraft, wenn mindestens 55 Unterzeichnerstaaten, die zusammen
für weltweit mindestens 55 Prozent des weltweiten
Kohlendioxid-Ausstoßes verantwortlich sind, diese
Übereinkunft ratifiziert haben. Dies haben zwar bereits
über 110 Nationen getan, die allerdings im globalen Rahmen nur
44 Prozent dieser Schadstofflasten verursachen. Die USA, die
immerhin rund ein Drittel beisteuern, stehen Kyoto ablehnend
gegenüber. Auch Russland mit gut 17 Prozent verweigert bisher
eine Ratifizierung des Vertrags, und es ist nicht abzusehen, ob
Moskau dies noch ins Auge fasst. Die Mitgliedsländer der EU
tun nun freiwillig den ersten Schritt, womit sie international ein
Zeichen setzen.
Der Emissionshandel als ökologisch korrektes
Ablassgeschäft sollte Umweltminister Jürgen Trittin im
Übrigen nicht zu waghalsigen historischen Analogien verleiten.
Dem grünen Politiker ist jedenfalls nicht anzuraten, als
moderner Tetzel über die Lande zu ziehen und
Erlösungszertifikate in Sachen Klimagift zu verscherbeln.
Tetzel galt im Mittelalter als Prototyp des Ablasshändlers: Er
wusste auf besonders raffinierte Weise den Leuten zwecks
Sündentilgung das Geld für Ablassbriefe aus der Tasche zu
ziehen. Dieses Gebaren ging vielen Zeitgenossen irgendwann
über die Hutschnur, und nicht zuletzt deswegen brach ein
gewisser Luther die Reformation vom Zaun. Das tat dem Ablasshandel
gar nicht gut.
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