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Ulrike Gropp
Neugierige Nachbarn
Das Verhältnis von Polen und
Deutschland
Ein bisschen wie ein Wolf im Schafspelz kommt
dieses Buch daher. Nach außen: (Kunst-) Ledereinband, die
beiden Wappenadler in einträchtiger Nachbarschaft, und dann
auch noch der Hinweis auf die Schirmherrschaft des polnischen
Präsidenten und die liebenswürdigen Sponsoren - fast
hätte die Rezensentin (sie gibt es beschämt zu) diesen
Band wieder aus der Hand gelegt. Auch aufgrund der reichlich in den
durchgängig zweisprachigen Text eingestreuten Fotos.
Diese Bildauswahl beweist, zumindest in der
hier auftretenden Häufung tagesaktueller Aufnahmen, einmal
mehr die Motivarmut und Langeweile politischer Ikonografie:
Regierungschefs und Minister beim Händeschütteln,
Kranzniederlegen, bei der Ordensverleihung, und - brav ins Bild
gesetzt - ein bisschen "echtes" Volk beim
Sich-miteinander-Verständigen, und dann noch ins richtige
Licht gesetzt: die Projekte und Produkte der Sponsoren. Doch die
Sache hat ein Gutes: Da die Bilder anscheinend ohne Kenntnis der in
einigen Fällen recht kritischen Texte ausgewählt wurden,
verleihen sie dem Gesamtkunstwerk in manchen Passagen eine - sicher
unbeabsichtigt - subversive und komische Note.
Dass der bevorstehende EU-Beitritt Polens
eine Zäsur in den deutsch-polnischen Beziehungen markie-ren
wird, stand schon im Mai 2001 fest, als der Deutschlandkenner
Mieczyslaw Tomala vom polni-schen Staatspräsident Aleksander
Kwasniewski den Auftrag erhielt, einen Band zum derzeitigen Stand
der deutsch-polnischen Beziehungen zu publizieren und dabei
gleichzeitig "einen Blick in die Zukunft zu wagen". Die Chance
musste genutzt werden und so nahmen sich die zehn Autoren aus
beiden Ländern dann auch nicht weniger vor, als die nach der
Wende von 1989/90 beinahe zum Symbol der Überwindung der
Gewalterfahrungen des 20. Jahrhunderts hochstilisier-te
Interessengemeinschaft zwischen Deutschen und Polen auf den
Prüfstand zu stellen, "um neue Trenn-gräben zu
verhindern". Dass sich diese dann bereits aufgetan hatten
(Stichworte: Irak-Krise, Streit um das "Zentrum gegen
Vertreibungen", EU-Verfassung), als die Druckfarbe des Buches noch
nicht getrocknet war, macht ein Risiko, aber auch den Reiz dieses
publizistischen Unterfangens aus.
Dass im Schreiben und Denken über die
deutsch-polnischen Beziehungen in letzter Zeit ein
(Stimmungs-)Umschwung eingesetzt hat, wird auch in diesem Band
deutlich. Herausgeber Tomala gibt die Tonart der neuen Offenheit in
seinem lesenswerten Vorwort an. Er benennt das bisher Erreichte als
das, was es war: als "Elitenprojekt" - und fordert, dass sich dies
ändern müsse. Denn gar zu weit entfernt von der harten
Realität an der Basis seien viele der heute Tätigen. Und
deshalb dränge sich - so Tomala - die Frage auf, ob nach
Polens EU-Beitritt, "wenn beide Gesellschaften am intensivsten
miteinander auf Tuchfühlung gehen, die bislang gehegten
Animositäten Oberhand gewinnen oder aber allmählich
verschwinden werden". In solchen Sätzen eines Mannes, der sein
Leben seit den späten 40er-Jahren den deutsch-polnischen
Beziehungen gewidmet hat, wird die tiefe Besorgnis genau dieser
"Eliten" spürbar, ob nach dem Mai 2004 auch "alles gut" gehen
wird - ein Gedanke, den Politiker und Experten normalerweise
bislang öffentlich nicht äußern
(dürfen).
Die "Neudeutschen"
Die Autoren haben sich mehrheitlich
bemüht, die Schwachstellen des deutsch-polnischen
Verhältnisses klar zu benennen. Sowohl die Bilanz der
kulturellen Zusammenarbeit (tapfer, aber resigniert: Andrzej
Tomaszewski), als auch der alarmierende Bericht des Soziologen
Leszek Goldyka, der neue sozialwissenschaftliche Befunde über
die gesellschaftlichen Realitäten in den Grenzregionen, vor
allem bei Jugendlichen zusammenfasst, lassen Hinweise auf die
zukünftigen Notwendigkeiten der bilateralen Politik zu. Mit
Marek A. Cichocki ergreift ein Vertreter der jüngeren
Generation das Wort. Lesenswert, wenn auch nicht gerade
vergnüglich sind die Gedankenspiele um die Fragen, die den
"Charakter der deutsch-polnischen Beziehungen in der erweiterten EU
prägen könnten". Hinter manch technokratischer
Formulierung schaut da ein origineller, diplomatisch denkender Kopf
hervor.
Ein Höhepunkt des Bandes ist der Essay
des Schriftstellers Stefan Chwin ("Wir und die 'Neudeutschen'"),
der mit der Nüchternheit des ernstzunehmenden Propheten einige
unbequeme Fragen stellt. Wie wird sich - so fragt Chwin - der
bevorstehende demographische Wandel in Europa auf die
deutsch-polnischen Beziehungen auswirken? Er nennt dieses in den
Metropolen bereits erlebbare Europa "Postimmigrationseuropa" - und
meint damit eine Staatengemeinschaft, deren Gesellschaften sich
durch Zuwanderung und Überalterung der ursprünglichen
Bevölkerung grundlegend verändert haben werden. Was wird
- fragt er weiter - einst geschehen, wenn die deutsch-polnischen
Beziehungen statt von den heutigen "Versöhnungsprofis" mit
ihrem meist noch persönlich motivierten und vor dem
Hintergrund der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gewachsenen
Interesse und Engagement irgendwann einmal, in 30 oder 50 Jahren,
von Deutschen mit türkischer, arabischer, serbischer oder
asiatischer Herkunft gestaltet werden? Wird die Besonderheit dieser
Nachbarschaft dann noch eine Rolle spielen - oder werden Bürde
und Verpflichtung der Geschichte dann in der Globalisierung
aufgehen?
Wenig vorbereitet auf diese und andere Fragen
seien - so Chwins Befund - die gegenwärtig den Ton angebenden
deutschen und polnischen Eliten, die sich mithilfe der
existierenden "Kanäle für ein reibungsloses Zu- und
Miteinander" in "künstlichen Welten" und "sicheren
Aussöhnungsorbits" träfen. Und die sich dort inzwischen -
so darf man optimistisch anfügen - als Gastgeschenk zumindest
solch interessante und kritische Bücher überreichen wie
den vorliegenden Band.
Mieczyslaw Tomala (Hrsg.)
Polska Niemcy - dzis i jutro/ Polen und
Deutschland - heute und morgen.
Pagina Verlag, Warschau; 300 S., 25,-
Euro
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