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Kathrin Lauer
Budapester Schirme und Moskauer Regen
Ungarn und der Weg mit zwei
Diktaturen
Über 60 Jahre lang war das zweistöckige Haus in der
prächtigen Andrássy-Straße ein Symbol des
Schreckens. Das Gründerzeit-Gebäude war nacheinander die
Zentrale der Geheimpolizeien zweier Terror-Regime in Ungarn: der
Nazis und der Kommunisten. Dort wurden Regimegegner verhört,
gefoltert und gefangen gehalten, und dort hatten die Chefs der
Schergen ihre Büros. Erst waren es die ungarischen
Pfeilkreuzler und danach die Kommunisten. Seit zwei Jahren gibt es
das Museum, das den Terror der beiden Diktaturen dokumentieren
soll. Es ist die umstrittenste derartige Einrichtung in Ungarn.
Die lange Liste der Kritikpunkte von Fachleuten und Politikern
beginnt bei der Entstehungsgeschichte des Museums und endet mit
Inhalt und Darstellungsweise. Das "Terrorhaus-Museum" war ein
Prestige-Projekt der 2002 abgewählten rechtskonservativen
Regierung des Ministerpräsidenten Viktor Orban. Die
Museumsdirektorin Mária Schmidt ist eine Vertraute von ihm.
Sie ist mitverantwortlich für die rechtslastige inhaltliche
Konzeption. Von 25 Ausstellungsräumen ist nur einer erkennbar
der Nazi-Diktatur gewidmet.
Dass es über den Kommunismus in Ungarn mehr zu berichten
gibt als über das Nazi-Regime, ist zwar grundsätzlich
richtig. Die von den Deutschen eingesetzten Pfeilkreuzler
herrschten offiziell lediglich vom Oktober 1944 bis Kriegsende
1945, die Kommunisten von 1945 bis 1989. Doch ist der Nazi-Terror
in Ungarn nicht auf das Pfeilkreuzler-Regime zu reduzieren. Lange
vorher schon gab es dort antisemitische Regierungen. Das erste
antijüdische Rassegesetz stammt aus dem Jahr 1920. Es
schränkte die Universitäts-Zulassung jüdischer
Studenten ein und war das erste antisemitische Gesetz in Europa
nach dem Ersten Weltkrieg. Die massivsten Juden-Deportationen nach
Auschwitz fanden vor der Machtübernahme der Pfeilkreuzler
statt, im Frühjahr und Sommer 1944. Regie führte Adolf
Eichmann, ungarische Behörden halfen. Es wird geschätzt,
dass 600.000 ungarische Juden durch den Holocaust starben. Die
ungarischen Nazis hatten sich als Beitrag zur "Endlösung" eine
weitere Mord-Methode ausgedacht: Sie ketteten mehrere Juden
aneinander und erschossen den vordersten. Der Tote riss die anderen
mit sich in den Fluss und ertränkte sie so. "In die Donau
schießen" nannte man das.
Auch der Kommunismus wird in der Ausstellung undifferenziert
dargestellt. Die Terror-Phase begann mit der Machtergreifung der
Kommunisten nach dem Krieg und endete wenige Jahre nach dem
antisowjetischen Volksaufstand von 1956. Danach begann eine lange
Phase der Entspannung, der so genannte Gulasch-Kommunismus. Die
Machtergreifung der Kommunisten 1948 ging mit brutaler Verfolgung
der Regimegegner und mit Zwangskollektivierungen einher. 1956 kam
es zu einem blutigen antikommunistischen Volksaufstand, bei dem die
Revolutionäre für wenige Tage die Macht erlangten, bevor
sowjetische Panzer die Revolte niederschlugen. Danach begann eine
langsame, aber stetige Entwicklung Ungarns zur "fröhlichsten
Baracke" im sozialistischen Lager, die zur Herausbildung einer
Gesellschaft führte, die vergleichsweise weiten Spielraum zur
freien Entfaltung bot. Es gab Privatwirtschaft in kleinem Rahmen,
Intellektuelle durften auch den Kommunismus offen kritisieren -
einzig die Ereignisse von 1956 waren tabu.
1989 kulminierte diese Entwicklung mit der spektakulären
Öffnung des Grenz-Stacheldrahts für DDR-Bürger auf
dem Weg nach Westen. Ungarns Kommunisten hatten sich schlichtweg
selbst wegreformiert .
János Kádár, der nach 1956 an die Macht kam und
bis 1988 regierte, als KP-Chef und zeitweise als
Ministerpräsident, ist die Symbolfigur dieser Entwicklung. Er
gilt als Verräter wie als Reformer. In den 50er-Jahren
lieferte er höchstpersönlich Abweichler an die
kommunistische Geheimpolizei AVO aus. 1956 wurde er Parteichef von
Moskaus Gnaden. "Jeder muss schlagen lernen", sagte er damals, wie
man im Museum erfährt. Nicht zitiert wird sein späterer
Satz: "Wir müssen in Budapest nicht jedes Mal den Regenschirm
aufspannen, wenn es in Moskau regnet."
Beide Diktaturen waren sich ähnlich, wie alle Diktaturen
dieser Welt sich ähnlich sind. Während aber der
Kommunismus in Ungarn von außen aufgezwungen war, gab es unter
den ungarischen Helfern der Nazis nicht wenige
Überzeugungstäter. Zur schwierigen Frage, ob der Terror
der beiden Regime vergleichbar war, ja, ob man Terror
überhaupt aneinander messen kann, leistet das Museum keinen
Beitrag. Die Konzeption wirft die Frage auf, ob die audiovisuellen
Mittel, die einem Museum zur Verfügung stehen, überhaupt
geeignet sind, geschichtliche Zusammenhänge darzustellen.
Suggestion bedeutet Deutung und Bevormundung .
Schon von der Straße her ist gnadenloser Gestaltungswille
sichtbar. Die Fassade wurde taubengrau getüncht, die Fenster
sind aus undurchsichtigem Milchglas. Das sieht aus wie ein Gesicht
mit toten Augen. Innen läuft der Besucher durch eine
Geisterbahn aus flimmernden Monitoren und Video-Projektionen,
begleitet von wummernder Musik, als gelte es, für einen
Gangsterfilm Stimmung zu erzeugen. Gleich im Parterre steht drohend
ein sowjetischer Panzer Baujahr 1947, als Symbol der
Unterdrückung. Für das Verständnis notwendige
Erklärungen fehlen jedoch häufig. Zwar liegen in jedem
Raum Informationszettel in mehreren Sprachen aus. Sie bieten aber
nur allgemeine Angaben über das dargestellte Thema. Im Keller
steht zum Beispiel ein Gewehr ohne Beschriftung in einer Vitrine.
Wer damit geschossen hat und wer die Opfer waren, würde man
gerne erfahren.
Kraftmeierei mit Symbolen prägt auch die Darstellung der
Kirchen-Verfolgung. In einem dämmrigen Raum hängen
Messgewänder in Vitrinen, die berühmte Geistliche aus dem
Widerstand getragen haben. Der Parkettboden ist der Länge nach
aufgerissen, im Staub liegt ein Holzkreuz. Die Kirche wurde von den
Kommunisten in den Schmutz geworfen - will uns diese Installation
sagen. Als dramatischer Höhepunkt der Ausstellung ist eine
Drehscheibe mit zwei einander gegenüberstehenden Anziehpuppen
gedacht. Eine trägt Pfeilkreuzler-Uniform, die andere eine
kommunistische. Soll heißen: Der Regime-Übergang war nur
eine Frage des Uniformwechsels.
Kurz vor dem Ausgang wird der Besucher mit einem ausnahmsweise
gelungenen visuellen Effekt entlassen: In einem Zimmer werden
Film-Originalszenen von kommunistischen Massenaufmärschen in
Lebensgröße an die weißen Wände projiziert. Wer
in der Mitte steht, glaubt, von der Menschenmasse mitgerissen zu
werden. Das kann die wichtigste Anregung des Museums sein: Dass man
sich fragt, wie man sich in einer Diktatur verhalten hätte.
Kathrin Lauer
Kathrin Lauer ist freie Journalistin in Budapest.
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