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Fülep
Kommt Zeit, kommt Geld?
Die Probleme und Vorteile der ungarischen
Kommunalreform / Von Zsófia Fülep
Es soll alles getan werden, damit die
Gemeindeverwaltungen fähig sind, Gelder von der
Europäischen Union zu bekommen", erklärte die ungarische
Innenministerin im Februar 2004 in Budapest. "Wenn der
Systemwechsel in Ungarn vollendet werden soll, dann darf die
Kommunal- und Haushaltsreform nicht länger aufgeschoben
werden", betonte die ungarische Parlamentspräsidentin
ebenfalls im selben Monat in einer ungarischen Provinzstadt.
Die Äußerungen von Monika Lamperth
und Katalin Szili - beide einflussreiche Persönlichkeiten der
regierenden Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) - beweisen:
Die führenden ungarischen Politiker haben erkannt, dass der
Diskussion um die Kommunalreform ein Ende gesetzt werden muss, weil
Ungarn ohne eine im Gesetz verankerte Reform im Wettlauf um
EU-Gelder eine schlechtere Position einnimmt als die neuen wie
alten Mitgliedsstaaten.
Seit der Wende 1989 ist es in Ungarn noch
nicht gelungen, ein Gesetz über die Kommunalreform zu
verabschieden. Es steht zwar als wichtiges Ziel auch im Programm
der jetzigen Regierung, es ist aber nicht dazu gekommen, dass das
Innenministerium dem Parlament einen kompletten Gesetzentwurf zur
Verabschiedung unterbreitet hat. Der Hauptgrund war und ist, dass
die klare Abgrenzung der Entscheidungsebenen nicht im Interesse der
politische Elite liegt. Es gibt in Ungarn seit dem 13. Jahrhundert
Komitate - heute leben die zehn Millionen Einwohner des Landes in
19 dieser regionalen Bezirke. Dieses historische Gebilde, eine
mittlere Verwaltungsebene, entspricht den deutschen Ländern.
Die Verwaltungen in Ungarn wurden zu sozialistischen Zeiten nach
sowjetischem Vorbild in so genannte Räte
umgewandelt.
Das Jahr 1989 hat für die Verwaltungen
viele Veränderungen gebracht: nach dem staatlichen
Paternalismus gab ihnen 1990 ein Gesetz die größte
Selbständigkeit, die sie je erlebt hatten. Der Unterschied
zwischen der damaligen und der jetzigen Situation liegt aber darin,
dass die Verwaltungen vor 15 Jahren für die ihnen zugeteilten,
beziehungweise selbständig auf sich genommenen Aufgaben -
Grundschulunterricht, ärzliche und soziale Versorgung der
Bevölkerung, Schaffung und Betrieb kommunaler Werke für
Wasser, Abwasser, Elektrizität, Bau und Pflege von
Straßen sowie Friedhofsverwaltung - viel mehr staatliche
Subventionen erhielten als heute. Die Gemeinden konnten die
Hälfte der von der Bevölkerung und den Firmen geleisteten
Steuern behalten und sie verfügten über genügend
Immobilien, die sie notfalls verkaufen konnten.
Heute gibt es erheblich weniger staatliche
Subventionen und kaum etwas zu verkaufen. Nur die Aufgaben sind
geblieben. Die Gemeinden wollen sie behalten, damit ihre Einwohner
sich im Heimatort gut versorgt fühlen und nicht abwandern. Die
Komitate nehmen aus freiem Willen wie aus Pflicht Aufgaben auf
sich, die die einzelnen Gemeinden nicht lösen können oder
bei denen es zweckmäßig ist, Dienstleistungen für
die gesamte Region zu bieten. Es geht um Schulen der mittleren
Ebene und um Fachausbildung. Gesetzlich vorgegebene Pflichtaufgaben
sind außerdem qualifizierte Dienstleistungen im
Gesundheitswesen - Komitatskrankenhäuser, Spezialkliniken - ,
oder Kinder- und Jugendschutz, Erhaltung musealer Werte, Bildung
und Kultur, Bibliotheken, Umweltschutz, Erarbeitung von
Regionalplänen, Beschäftigungspolitik auf Komitatsebene
und der Fremdenverkehr.
Nur noch sieben Regionen
Die Komitatsversammlung - eine Art
Landesparlament - bestimmt die Aufgaben, fasst die entsprechenden
Beschlüsse, verteilt das Geld für die Institutionen,
bestimmt, wer welche wichtigen Ämter bekleidet beziehungsweise
seinen Posten verliert. Sollte durch die Kommunalreform die Ebene
der Komitate beseitigt werden und würde Ungarn statt wie
bisher in 19 Komitate nur noch in sieben Regionen geteilt - wie
dies ab 2007 das Gesetz über Raumentwicklung und -ordnung von
1996 sowie der Parlamentsbeschluss über die
Entwicklungskonzeption Ungarns von 1998 vorsieht -, würden
viele Kommunalpolitiker ihre Positionen verlieren. Die Komitate
sind seit der Wende ein Spielfeld aller Parlamentsparteien: Egal
welche gerade an der Macht ist, sieht sie in den Komitaten eine
hervorragende Möglichkeit, den Interessen der Partei Dienende
mit Positionen zu belohnen. So gesehen ist es verständlich,
dass die Parteien gegen eine rasche Verwirklichung der
Kommunalreform sind und die örtlichen Machthaber ihre
Positionen gefährdet sehen.
Vor Ort ist es nämlich sehr schwer
einzusehen, warum die Komitate ihre Machtpositionen verlieren
sollen, warum meistens drei "wildfremde" Komitate per Gesetz nun
eine einheitliche Region bilden müssen. Es gibt in Ungarn
natürlich keinen Politiker, der eingestehen würde, dass
das oben Skizzierte der Wahrheit entspricht und dass dies der wahre
Grund für die Verzögerung der Reform ist. Vieles deutet
darauf hin, dass Machtinteressen, Rivalitäten innerhalb der
Regierung, der Parteien - wie wahrscheinlich überall in der
Welt - auch in Ungarn die besten Absichten blockieren.
Die Erklärung der Innenministerin vom
28. April 2003 klang deshalb für diese "Machiavellis"
wahrscheinlich bedrohlich. Monika Lamperth kündigte
nämlich an, das Innenministerium habe einen Entwurf über
die Projekte des Modernisierungsprogrammes der kommunalen
Dienstleistungen fertiggestellt. Das Ziel der Reform sei, die
kommunalen Dienstleistungen den Kriterien der Europäischen
Union anzupassen. Der Ministerin zufolge ist es vorgesehen, dass
bis 2007 in Ungarn auch im EU-Vergleich wettbewerbsfähige
Regionen entstehen. Nach ihren Worten beruht das Programm der
Erneuerung der Verwaltungen auf der Stärkung regionaler
Ebenen, all dies gehe mit dem Abbau der Komitatsebene
beziehungsweise mit der Übergabe von Kompetenzen an kleinere
Verwaltungsstrukturen einher. Wahrscheinlich auch aufgrund dieser
Ankündigung wurde die Unterbreitung des Gesetzes über die
Kommunalreform im Parlament mehrmals verschoben. Nach der neuesten
Ankündigung sollen der Entwurf im Mai 2004 verabschiedet
werden und die Kommunalreform am 1. Januar 2005 in Kraft
treten.
Für Ungarn ist es lebenswichtig, dass
das Land von der EU alle zur Verfügung stehenden
Förderungsgelder bekommt und alle europäischen
Förderprogramme ausnutzt. Dieser Tatbestand ist ein Garant
dafür, dass letztendlich alle ungarischen Parteien über
die Kommunalreform Konsens erzielen. Ungarn ist nach Beschluss der
EU zwischen 2004 und 2006 berechtigt, aus dem Strukturfonds 1.752
und aus dem Kohäsionsfonds 994 Millionen Euro in Anspuch zu
nehmen.
Es muss aber auch gesagt werden, dass in der
Europäischen Union die Meinungen geteilt sind, wie das
Regionalsystem aussehen sollte. Bis 2007 wird Ungarn als eine
einzige Region betrachtet, werden dem Land aufgrund dieses Systems
Gelder zugeteilt. Im Mai 2004 Jahres sollen in Brüssel die
Verhandlungen soweit gediehen sein, dass auch für Ungarn
festgelegt wird, wieviele Regionen es im Land geben sollte,
beziehungsweise nach welchem System in der neuen
EU-Haushaltsperiode bis 2013 Gelder aus den verschiedenen Fonds
abgerufen werden können.
Nach Meinung von Experten sollten in Ungarn
statt sieben maximal zehn Regionen entstehen; aber so, dass ihre
Grenzen nicht willkürlich gezogen werden und ihre Zentren dem
Wunsch der Einwohner entsprechend und nicht von oben - wie jetzt
beabsichtigt - bestimmt werden.
Der Zeitpunkt des EU-Beitritts Ungarns ist zu
nah, als dass das Land es sich leisten könnte, von
Brüssel eine Rüge dafür einzuholen, die
Kommunalreform nicht voran gebracht zu haben. Es wurde schon
einiges in die Wege geleitet: Zur Stärkung der sieben Regionen
wurden so genannte Räte und Agenturen für regionale
Entwicklung ins Leben gerufen. Diese sind befähigt,
Entwicklungsprojekte zu erarbeiten, die Finanzen dafür zu
beschaffen, das Geld effektiv zu nutzen sowie die Verwendung der
Mittel zu kontrollieren.
In Ungarn findet seit Jahren eine Diskussion
über die Rolle der Kommunalverwaltungen statt. Es gibt im
Lande über 3.000 Ortschaften und sie alle verfügen
über eine eigene Verwaltung. In 1.709 Ortschaften beträgt
die Einwohnerzahl weniger als 1.000, in 998 weniger als
500.
Nach Meinung der Fachleute ist es für
die Entwick-lung der Gemeinden unabdingbar, dass sie ihre
Kräfte zusammenführen. Nach längerem Hin und Her
kamen in Ungarn vor kurzem per Regierungserlass 168 so genannte
Kleinregionen zustande, für deren Verwaltungsmodernisierung
dieses Jahr sieben Milliarden Forint (etwa 28 Millionen Euro)
vorgesehen sind - davon sollen 16 Millionen Euro für die
Umorganisation des Unterrichtswesens und der sozialen Leistungen
verwendet werden.
Die Gemeinden sind jedoch skeptisch. Sie
haben in den vergangenen 50 Jahren einiges erlebt, als unter dem
Vorwand der Modernisierung Dorfschulen und Dorfkindergärten
zugemacht wurden, der Dorfarzt in eine andere Ortschaft zog, um
dort die Patienten aus mehreren Gemeinden zu versorgen. Jedes Dorf,
jede Ortschaft möchte ihre eigenen Institutionen - Verwaltung,
Schule, Kinderkrippe, Ambulanz, Kulturhaus, um nur einige zu nennen
- behalten oder Kleinregionszentrum werden, damit die Einwohner
alle Dienstleistungen vor Ort in Anspruch nehmen können.
Eltern wollen sich nicht von ihren Kindern trennen oder ihnen
täglich eine lange Fahrt in die Schule zumuten, die Einwohner
der Gemeinden erwarten von der Verwaltungsreform, dass sie den
Kriterien der EU entspricht, eine bürgernahe Verwaltung
gewährleistet, in der Ortschaft ein bequemeres Leben als
bisher sichert. Die Bewohner der Kleingemeinden - die meistens
unter schweren Bedingungen, sogar in Armut leben - fühlen sich
durch die kleinregionalen Konzentrierungspläne bedroht und
glauben nicht, dass sie auf lange Sicht von den
Modernisierungsplänen profitieren werden.
Ministerpräsident Péter Medgyessy
dagegen glaubt an die Kommunalreform, er widersprach in einem
Zeitungsinterview der Behauptung, dass die Reform "zu Staub und
Asche" verfallen sei. Er sprach von einer "virulenten" Reform, die
bereits in Erscheinung getreten sei. Der Premier sieht das "Problem
mit den Kleinregionen darin, dass die Kommunalverwaltungen in jedem
Fall ihre Institutionen um jeden Preis behalten wollen, auch wenn
ihnen die Finanzen fehlen".
Péter Medgyessy sprach ein weiteres
Problem an: Die politischen Kräfte haben nach der Wende ein
System parlamentarischer Beschlussfassung erarbeitet, das auf der
Zwei-Drittel-Mehrheit der Stimmen beruht. Es blockiert aber zum
Beispiel jedwede Modifizierung des Gesetzes über die
Kommunalverwaltungen. Der Ministerpräsident schlägt
deshalb vor, dass die Kommunen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit des
Parlaments zur kleinregionalen Zusammenarbeit gezwungen werden
sollten.
"Wenn dies nicht gelingt, werden wir das
Funktionieren der Institutionen und die kleinregionale
Zusammenarbeit mit finanziellen Mitteln unterstützen oder
sogar erzwingen", betonte er im genannten Interview. Die
Innenministerin unterbreitete am 20. März 2004 dem Parlament
den Gesetzentwurf über die Errichtung von Kleinregionen.
Dieser Vorschlag wird von den Oppositionsparteien nicht
unterstützt: sie befürchten mit Recht die Kürzung
der Selbständigkeit der Gemeindeverwaltungen, die per Gesetz
zur Zusammenarbeit gezwungen werden sollen. Es wird aber vom
Parlament verabschiedet werden, weil es zwar dem Gesetz über
die Verwaltungen durch die Beschränkung ihrer
Selbständigkeit widerspricht, doch zu seiner Verabschiedung
nur die einfache Mehrheit der Stimmen benötigt, die die
Abgeordneten der Regierungsparteien - die Sozialisten, und die
liberalen freien Demokraten - zahlenmäßig sichern
können.
Die Verwaltungen können jedoch nur dann
erfolgreich an den Ausschreibungen der EU teilnehmen, wenn sie auch
über eigene finanziellen Quellen zur Verwirklichung ihrer
Pläne verfügen. Um somit auch den armen Gemeinden Chancen
zu geben, notwendige Finanzmittel aus Brüssel zu erhalten,
errichtete die ungarische Regierung einen Fonds für die
Vorbereitung von EU-Ausschreibungen und einen weiteren für die
Bereitstellung von Eigenmitteln. Ersterer beträgt 24 Millionen
Euro, letzterer 17,6 Millionen Euro; wenn notwendig, kann die zur
Ergänzung der Eigenmittel bereitgestellte Summe relativ rasch
aus dem ungarischen Staatsbudget in unbegrenzter Höhe
bereitgestellt werden.
Der ungarische Regierungschef betont in
diesem Zusammenhang übrigens immer öfter und
ungeduldiger, er werde es auf keinen Fall zulassen, dass Ungarn aus
irgendeinem Grund auch nur einen Pfennig an EU-Unterstützung
verliert. Kritiker befürchten deshalb, dass die
verspätete Einführung der Kommunalreform in Ungarn zu
einer Verzögerung der Modernisierung insgesamt führen
könnte. Peter Medgyessi will deshalb ein zum Erwerb und zur
Nutzung der EU-Gelder notwendiges Verwaltungs- und
Institutionssnetz ins Leben rufen. Er verweist darauf, dass die
Europäische Union im Frühjahr 2005 auch darüber
entscheiden wird, "welche Entwicklungsstrategie Ungarn in den
Jahren zwischen 2007 und 2013 befolgt". Es sei deshalb
überhaupt nicht egal, "ob wir von der EU vier oder nur drei
Milliarden Euro bekommen", fügte er hinzu. Seiner Meinung nach
geht es in den kommenden Monaten um die Zukunft Ungarns. "Der
Beitritt zur Europäischen Union bedeutet einen politischen
Wendepunkt."
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