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Norbert Mappes-Niediek
Großzügige Ställe am Rande von
Pinienhainen
Die Geschichte des Lipizzaner-Gestüts in
Slowenien
Komm", sagt der Mann im grünem Overall zur kleinen Sonja
aus der Steiermark, wirft Ancka, dem scheckigen Pony, das Zaumzeug
um und einen Sattel über und nimmt sich den Papa vor. "Da
festhalten", sagt er und packt gleich neben dem Maul in die Trense.
"Kurz!" Hier leben keine Freunde vieler Worte. Dafür
führt Sonjas Ritt auf dem Pony geradewegs durch das
Pferdeparadies. Hufe scharren, Nüstern blasen, der Wind
wirbelt weiße Mähnen auf. Überall starke Rösser
mit sanftem Auge und kühn geschwungenem, breitem Rücken -
Koppel für Koppel ein neuer Himmel. Hier leben die
Lipizzaner.
Lipizzaner kommen, wie der Name sagt, aus Lipizza. Den Ort gibt
es wirklich. Er liegt ein paar Kilometer von Triest, wird heute
Lipica geschrieben, aber immer noch Lipizza gesprochen und ist, wie
man erwarten darf, voller weißer Pferde. Auf einer Hochebene,
von der man die Alpen und das Meer sehen kann, stehen auf kargem
Grund Linden, Eichen und Pinien lose in lichtem Abstand, durchzogen
von schmalen Wegen und hundertjährigen Alleen, über die
kräftige, etwas gedrungene Schimmel galoppieren. Lipica ist
trotz seines großen Namens im Norden wenig bekannt,
gehört aber mit der Camargue zu den klassischen
Pferdeparadiesen Europas - eine Landschaft wie gepflanzt, die
Bäume so sorgfältig verteilt wie die venezianisch
anmutenden Karstbrunnen, über die dauernd der kräftige
Bura weht, der Wind der Adria. Am Rande eines Pinienhains liegen
großzügig angeordnet die Ställe. Sogar die beiden
Hotels haben sich den stolzen, alles beherrschenden Bäumen
untergeordnet. Obwohl viel besucht, ist Lipica doch etwas für
Entdecker. Es liegt in einem vergessenen Winkel des alten
Mitteleuropa. Nicht weit von hier sind Rilkes "Duineser Elegien"
entstanden. Sie sind unter Freunden der Poesie so beliebt wie die
Lipizzaner unter den Pferdekennern. Aber von Duino weiß man in
Deutschland so wenig wie von Lipica.
Lipica ist nicht nur das älteste Lipizzanergestüt,
sondern wahrscheinlich die älteste Pferdezuchtstätte der
Welt. Als es im Jahre 1580 gegründet wurde, lag es in
"Innerösterreich". Im Karst lebten damals noch Wildpferde, und
zwar besonders starke, schnelle und ausdauernde. Der Erzherzog Karl
brauchte starke Rösser für die Ställe seiner Grazer
Residenz. Er ließ hoch gezüchtete Pferde aus Spanien
heranschaffen und sie mit den Ur-Lipizzanern kreuzen. Vom 18.
Jahrhundert an belieferte Lipizza die Spanische Hofreitschule zu
Wien. Von dort ging der Ruhm seiner Pferde über die ganze
Erde. Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, als die Welt der
europäischen Fürsten in Turbulenzen geriet, begann
für das Gut eine wechselvolle Geschichte: In den
napoleonischen Kriegen mussten die Pferde dreimal umziehen - das
erste Mal nach Stuhlweißenburg, dann nach Djakovo in Kroatien,
schließlich ins südungarische Mezöhegyes.
Die Reisewege geben eine Vorstellung von der damals ganz anders
aufgeteilten Landkarte in diesem Teil des Kontinents. Wo wir heute
Nationalstaaten sehen, war alles in einem Reich vereint. Ein
bisschen etwas von dieser Einheit hat sich erhalten. Die Lipizzaner
gehören dazu. Alle ihre Gestüte sind in einer
Weltföderation vereinigt. Die Ortsnamen der prominentesten
Mitglieder stecken noch heute die Grenzen der alten
k.u.k.-Monarchie ab: Piber in der Steiermark, Karadjordjevo in der
heute serbischen Wojwodina, Janow beim polnischen Tschenstochau,
Kladruby in Böhmen - alle sind sie wie die Filiationen eines
Ordens mit dem "Mutterhaus" in Verbindung. Zu Turnieren kommen
sogar Clubs aus Rumänien. Das Netz der Lipizzanergestüte
ist ein wichtiges Element eines kaum bekannten
österreichisch-ungarischen Commonwealth, der die
Ost-West-Konfrontation überdauert hat. Politisch organisiert
ist er in der Central European Initiative, deren Mitglieder ihre
Staatschefs zu jährlichen Treffen schicken.
Wenn Wien immer die Hauptstadt des Balkans blieb, war Lipica
sein Marstall. Dabei unterstand der Ort, der heute nur noch aus
Gebäuden des Gestüts besteht, allein in diesem
Jahrhundert fünf Souveränen: Bis 1918 gehörte es zu
Österreich, dann zu Italien, nach dem Zweiten Weltkrieg bis
1947 zum "autonomen" Triest, dann zu Jugoslawien, seit 1991 zu
Slowenien - die Besetzung durch deutsche und später durch
englisch-amerikanische Truppen noch gar nicht mitgerechnet. Bei
allen Wechselfällen wurde die Zuchttradition nie unterbrochen.
Die Zuchthengste und
-stuten tragen noch immer die großen Namen ihrer Vorfahren:
Maestoso, Conversano, Neapolitano oder Betalka, Slavina und
Dubovina.
Früher wurde in Lipizza nur gezüchtet, und auch als
das Gestüt nach Jugoslawien kam, gab es dort für die
geborenen Dressurpferde noch keine Schule. Erst viel später
machte Lipica selber eine auf, denn die Zuchtpferde ließen
sich mit Leistungsprüfung in der "klassischen Reitkunst" viel
besser verkaufen. Inzwischen stellt das Gestüt
weltberühmte Trainer und Dressurreiter wie Stojan Moderc,
Olympia-Pferde wie den schönen Hengst Maestoso Allegra,
richtet Weltcupturniere und Europameisterschaften aus und hatte
außer natürlich Tito schon den Schah und den Prinzen
Sihanouk zu Gast. Das Paradies für Pferde wurde auch eines
für Reiter: Heute kann man hier auf 30 echten Lipizzanern
Reitstunden nehmen, vom ersten Mal im Sattel bis zur schwersten
Dressurprüfung. Die Reitergäste aus Deutschland,
Österreich, Holland oder der Schweiz wohnen in zwei Hotels,
dem Maestoso, einem Bauwerk der Jugo-Moderne aus den 70er-Jahren,
oder dem moderneren Klub-Hotel. Lipica liegt ein paar 100 Meter von
der italienischen Grenze. Ein Abstecher nach Lipica lohnt sich auch
für Badeurlauber. Man kann einen Hengststall aus dem Jahre
1703 besichtigen, die Kinder auf Ponys reiten lassen, sich mit
Kutschen durch die Parklandschaft fahren lassen, die Galerie des
Malers Avgust Cernigoj anschauen oder einfach 200 Pferde bestaunen:
Ein besonders schöner Anblick sind im Frühjahr die
rabenschwarzen Fohlen, die wie wild neben ihren schneeweißen
Müttern herrennen. Lipizzaner werden schwarz geboren und im
Alter von drei bis sechs Jahren erst grau und dann zu echten
Schimmeln.
In Lipica gibt es 40 Zuchtstuten. Noch heute übrigens
besteigt der stolze Hengst in wilder Leidenschaft seine edle Stute,
unter den kritischen Blicken erfahrenen Züchterpersonals -
künstliche Besamung gibt es nicht. Lipizzaner sind wie andere
so genannte Barockrassen zur Zeit modern und gefragt. Sie leben
lange, gelten als robust und leicht zu pflegen und werden als
ideale Familienpferde angepriesen, ein Tier bringt im Verkauf
mindestens 5.000 Euro. Eines trägt rechts an der "Genasche",
der Wange, das Brandzeichen "L" - eine umkämpfte Marke, auf
die das Gestüt Lipica den Alleinvertretungsanspruch
erhebt.
Auch ohne Brandzeichen und Züchter-Rassismus kennzeichnet
Stolz die Tiere, die sich vom Karstboden, den vielen Herren und den
Touristen nicht haben beugen lassen. Wenn dem Pony Ancka die
Reitbahn zu öd wird, beknabbert es zur Freude der kleinen
Reiterin die Hecke. Lipizza ist unser, mag es denken, wenn Sonjas
Vater verzweifelt an der Trense zerrt. Der Name verpflichtet.
Norbert Mappes-Niediek
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