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Alexander Weinlein
Die neueste Spielart des Totalitarismus
Durch Terror zur Gottesherrschaft
"Man soll nicht Äpfel mit Birnen
vergleichen", warnt ein altes Sprichwort. Während Vergleiche
im Obstgarten sich harmlos ausnehmen, gilt es - vor allem in
Deutschland -, Vergleiche jedweder Art mit der Zeit des
nationalsozialistischen Terrors und seiner Protagonisten peinlichst
zu vermeiden. Zuwiderhandlungen gegen dieses Gebot können, und
diese Erfahrung hat in den vergangen Jahren der ein oder die andere
Politiker(in) machen müssen - zu einem plötzlichen
Karriereende führen.
Die Versuchung, auf diese Vergleiche
zurückzugreifen, ist jedoch ungebrochen groß. Zuletzt
konnte Josef Joffe, Chefredakteur der "Zeit", ihr nicht widerstehen
und schrieb in der Ausgabe vom 18. März der Wochenzeitung nach
dem Terroranschlag von Madrid: "Nennen wir's nicht 'Islamismus'
oder 'Dschihadismus', sondern 'Faschismus' ohne Duce oder
Führer." Und weiter: "Den Europäern fällt es schwer,
in den Spiegel des Islamo-Faschismus zu bli-
cken und darin die Fratze der eigenen
Geschichte auszumachen." Auf eine erzürnte Reaktion musste er
nicht lange warten. In der Ausgabe der Wochenzeitung "Freitag" vom
26. März entgegnete ihm der Politikwissenschaftler Mohssen
Massarrat: "Eine perfidere Verharmlosung von Faschismus und
Holocaust hinter der liberalistischen Maske ist kaum Vorstellbar.
Es gehört ein gehöriges Maß an Geschichtsblindheit
und anti-islamischer Hysterie dazu, um die systematische Ausrottung
von sechs Millionen Juden mit den Verbrechen des
Al-Qaida-Netzwerkes gleichzusetzen."
Die Argumentationen klingen in ihren
Grundzügen merkwürdig vertraut. In den Diskussionen
über die Totalitarimustheorie - spätestens seit Hanna
Arendts grundlegendem Werk "Elemente und Ursprünge totaler
Herrschaft" von 1955 -, die das Dritte Reich und die Sowjetunion
als Regime des gleichen Typus beschrieb, sind sie ähnlicher
Form schon zu hören gewesen. Mit dem Ende des Kalten Krieges
und dem Zerfall der kommunistischen Regimes in Osteuropa schien
sich schließlich jede weitere Diskussion über die
Totalitarismustheorien erübrigt zu haben. Nun legt Bassam
Tibi, Professor für Internationale Beziehungen in
Göttingen und für Islamologie in St. Gallen sowie Autor
zahlreicher Bücher zum Islam, sein neuestes Werk vor, mit der
er die Debatte neu belebt. Er ordnet den islamistischen Terrorismus
nach dem "Stalin'schen Komunismus und dem Hitler'schen Faschismus"
als "neueste Spielart des Totalitarismus" ein.
Tibi weiß um die Kontroverse um die
Totalitarismustheorie, erachtet sie jedoch für irrelevant:
"Ich lasse mich auf diese Debatte nicht ein, weil ich, den
Totalitarismus-Theoretikern folgend, die Ähnlichkeit zwischen
Gulag und den NS-Lagern nicht übersehe. Den Opfern des
Totalitarismus war es gleich, ob ihre Peiniger Faschisten oder
Stalinisten hießen."
Tibi stützt sich in seiner Analyse
ausdrücklich auf Arendt. So hält er dem Argument, dass
die islamistischen Terroristen vorwiegend aus dem Untergrund
agieren, also als nichtstaatlicher Akteur, entgegen, dass Arendt
den Begriff Totalitarismus nicht nur im Sinne von "Herrschaft",
sondern auch von "Bewegung" verwendete. Und der Terror sei für
die Bewegung der Islamisten ein Mittel, um die angestrebte
"Gottesherrschaft" zu errichten.
Ob man diesem Ansatz folgen will oder nicht,
er ermöglicht eine Schlussfolgerung, der man sich in jedem
Fall anschließen kann: So wie die zweite und dritte Welle der
Demokratisierung auf die Totalitarismen von NS-Faschismus und
Stalinismus folgten, muss die "Antwort auf den totalitären
Islamismus" in einer "Demokratisierung der Welt des Islam"
bestehen. Mit militärischen Regimewechseln ist es nicht
getan.
Neu ist die Forderung nach einer
Demokratisierung des islamischen Welt nicht - Tibi selbst hat sie
in seinen Büchern immer wieder erhoben. Nun unterfüttert
er sie durch eine - als zu unrecht veraltet angesehene - Theorie
aus den politischen Wissenschaften.
Bassam Tibi
Der neue Totalitarismus.
Heiliger Krieg und westliche
Sicherheit.
Primus-Verlag, Darmstadt 2004; 243 S.; 19,90
Euro
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