Silke Kettig
Vajpayee setzt auf die Wirtschaft
Indien wählt in mehreren Etappen
Rund 640 Millionen Inder werden in den kommenden Wochen in vier
Phasen zu den Wahlurnen gebeten, um für die größte
Demokratie der Welt, die insgesamt mehr als eine Milliarde Menschen
zählt, eine neue Regierung zu wählen. Der amtierende
Premierminister Vajpayee von der hindunationatlistischen
Bharatiya-Janata Partei (BJP) tritt gegen die Witwe des ermordeten
Ex-Premiers Rajiv Gandhi, die Italienerin Sonia Gandhi von der
Kongress Partei an. Mehr als 40 weitere Parteien stellen sich zur
Wahl, so dass eine Koalition wieder wahrscheinlich erscheint. In
der vergangenen Legislaturperiode regierte eine Koalition aus 22
Parteien.
Beide Parteien, die in großen Roadshows durch die einzelnen
Bundesstaaten während des heißen Wahlkampfes gezogen
waren, setzen auf wirtschaftspolitische Themen. Der Premier
möchte den begonnenen Kurs der Liberalisierung und
Privatisierung fortsetzen und versucht mit seinen eigenen Kampagnen
vom glänzenden Indien ("India shining") und der Psychologie
des Wohlfühlfaktors ("Feel-Good-Factor") neue Stimmen gerade
bei dem wachsenden indischen Mittelstand zu gewinnen. Er setzt auf
die positiven Wirtschaftsdaten - das Wirtschaftswachstum liegt
konstant zwischen sechs und acht Prozent - und hofft so die
indischen Wählerinnen und Wähler für die BJP
gewinnen zu können.
In ganzseitigen Anzeigen verweist die Regierung schon seit
Monaten auf die Erfolge zum Beispiel im Bereich der
Währungsreserven, die inzwischen auf mehr als 110 Milliarden
US Dollar angewachsen sind. Indien hat sich vom Entwicklungsland
zum Global Player entwickelt und will nun auch in der
internationalen Politik eine größere Rolle spielen, so
die Absicht der Regierung in ihrer neuen Kampagne "India
Superpower". Wirtschafltich stehen die Zeichen auf Grün, folgt
man einer Goldmann-Sachs-Studie, die den Subkontinent neben den
USA, Brasilien und China zu den führenden Wirtschaftsregionen
der Welt in circa 15 Jahren zählt.
Auch geopolitisch hat die indische Regierung mit dem
Annäherungsprozess zum Erzfeind Pakistan eine Wende
eingeleitet, die endlich zu einem Ende des Kaschmir-Konfliktes
führen könnte, wenn im Mai 2004 die ersten Gespräche
zwischen den verfeindeten Nachbarstaaten aufgenommen werden.
Viele rechnen es dem derzeitigen 79-jährigen Premier hoch
an, dass seine Avancen zu einer friedlichen Lösung des
Konfliktes beigetragen haben könnten. Mehr Stabilitäat
und Sicherheit und ein Ende des Terrors versprechen sich viele
Inder durch diesen erneut in Gang gesetzten Friedensprozess, so
dass Indien sich endlich auf andere Themen in der Außenpolitik
konzentrieren kann.
Doch die Wahlen in Indien werden auf dem flachen Lande
entschieden, denn der Subkontinent ist immer noch zu 65 Prozent
agrarische strukturiert und die Bauern auf dem Land, die jedes Jahr
einen guten und ausreichenden Monsunregen brauchen, um
überleben zu können, sind aus naheliegenden Gründen
weniger erpicht auf politische Kampagnen und verheißungsvolle
Wohlfühlprogramme. Ob der Premier auch diese
Wählerschicht erreichen konnte, werden die Wahlanalysen im Mai
zeigen. Silke Kettig
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