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Barbara Minderjahn
Nach dem EU-Beitritt ist die Angst vor
Firmenabwanderung auf's Festland groß
Seit Jahrhunderten ist die Insel Malta mit
Europa verknüpft
Malta liegt nur rund 95 Kilometer von Sizilien
entfernt. Doch die geographische Nähe allein macht aus der
kargen Mittelmeerinsel noch keine europäische
Kulturlandschaft. Dies vermag erst die Geschichte. Der
römische Konsul Titus Sempronius Longus besetzt Malta im Jahre
218 v. Chr., um die Eroberung Karthagos vorzubereiten. Die Insel
wird erstmals zum politischen Vorposten Europas.
Nach den Römern kommen die Germanen und
Griechen. Dann wird Malta eine Zeit lang von Arabern besetzt. Doch
die Spanier verdrängen sie, genau wie von der Iberischen
Halbinsel auch von Malta. Die Kreuzritter übernehmen die
Macht, bis auch sie von der Insel vertrieben werden. Nach einem
kurzen französischen Intermezzo wird Malta unter Lord Nelsons
Truppen im Jahre 1800 englisch. 1964 entlässt
Großbritannien die Mittelmeerinsel dann endgültig in die
Selbständigkeit. Jahrhunderte lang war die Geschichte Maltas
mit der des restlichen Europa verbunden. Der Beitritt zur EU
scheint vor diesem Hintergrund also nur ein konsequenter Schritt zu
sein. Dennoch stimmten nur 53,6 Prozent der Malteser vergangenes
Jahr für den Eintritt ihres Staates in die Union. Den ersten
Aufnahmeantrag von 1991 hatten die von 1996 bis 1998 regierenden
Sozialisten direkt nach ihrer Regierungsübernahme
zurückgezogen. Beides, das Scheitern des ersten Antrags und
die Zustimmung zum Beitritt, zeigt die tief sitzende Angst der
Inselbewohner vor Veränderungen. "Die Inselmentalität
bringt es mit sich, dass die Menschen versuchen, sich neuen
Entwicklungen zu verschließen", erklärt Gejtu Vella,
Generalsekretär von Haddiema Maghqudin, der
zweitgrößten Gewerkschaft Maltas. "Viele verstehen nicht,
dass sich die Dinge verändern."
Die Bauern befürchten beispielsweise,
ihre Produkte in Zukunft nicht mehr auf den heimischen Märkten
verkaufen zu können. Denn aus Italien importierte Tomaten,
Auberginen und andere Gemüsesorten wären dann billiger
als die eigenen Produkte. Ohne Einfuhrbeschränkungen glauben
die maltesischen Landwirte unterzugehen. Allerdings muss Malta
Lebensmittel einführen, da die Bauern auf dem kargen Boden
nicht genug anbauen können, um die rund 400.000 Einwohner und
die über eine Million jährlich beherbergten Touristen zu
versorgen. Und wie alle anderen Beitrittsländer auch, hat
Malta bereits seit Jahren Handelserleichterungen mit der EU
verabredet. Das heißt, schon jetzt verkaufen die Händler
in Valetta oder Sliema das billigere Gemüse aus Sizilien. Und
trotzdem greifen die Verbraucher auch immer noch zu den Tomaten vom
Bauern nebenan. Den kennen sie und vertrauen darauf, dass sein
Gemüse besser schmeckt. Doch auch die Verbraucher haben
Ängste. Viele glauben an einen Anstieg der Preise und
verweisen auf die Entwicklung innerhalb der EU als die
Euro-Länder ihre gemeinsame Währung eingeführt
haben. Darüber hinaus würde man schon sehen, was man von
der Gemeinschaft habe, wenn man erst die ganzen Normen aus
Brüssel beachten müsse, kritisieren viele
Bürger.
Nach dem gerade vollzogenen Beitritt der zehn
Länder zur Europäischen Union wird sich in den alten und
neuen EU-Staaten vieles verändern. Das unterstreichen auch die
Befürworter der Erweiterung. Allerdings sehen sie darin nicht
automatisch etwas Negatives. Die Malteser haben in der
Vergangenheit beispielsweise den Umweltschutz vernachlässigt.
Weder Firmen noch Privatleute achten darauf, wie viel Müll sie
produzieren. Was nicht mehr gebraucht wird, fliegt weg. Recycling
ist für viele noch ein Fremdwort, genauso wie Abgasreinigung
und Energiesparen. Doch mit all dem werden sich die Malteser in
Zukunft auseinander setzen müssen. Nach einer
Übergangsfrist müssen die Beitrittsländer die
EU-Richtlinien, dazu gehören auch Umwelt- und
Verpackungsnormen, in nationales Recht übernehmen. Die
Regelungen der Gemeinschaft zwingen Malta dazu, ein höheres
Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft zu
entwickeln.
Ähnlich ist es auch in Bezug auf die
Rechte von Arbeitnehmern. Derzeit besitzen Arbeiter und Angestellte
zwar Arbeitsverträge, in denen Gehalt, Arbeitszeiten und
Urlaubstage geregelt sind. Aber sie haben nur wenige
Möglichkeiten, ihre Ansprüche durchzusetzen. Wer zu
aufmüpfig wird, kann gefeuert werden. Doch je mehr sich die
europäischen Wirtschaftsstrukturen vernetzen, desto weniger
werden die Arbeitnehmer auf die Willkür einzelner Firmenbosse
angewiesen sein, hoffen die Befürworter der EU. Qualifizierte
Angestellte könnten demnächst beispielsweise in andere
europäische Länder auswandern, wenn die
Arbeitsbedingungen dort besser sind. Das heißt, auch die
maltesischen Unternehmer kommen nicht umhin, sich an internationale
Standards anzupassen.
Die Arbeitslosenquote liegt jedoch auf Malta
mit rund fünf Prozent weit unter der in Deutschland,
Frankreich, Griechenland oder Italien. Das heißt: Ein
entlassener Arbeitnehmer findet relativ leicht einen neuen Job,
während der Firmenchef vielleicht erst lange nach einem
passenden Ersatz für ihn suchen muss. Allein das müsste
die Arbeitsbedingungen also schon verbessern helfen. Umgekehrt sind
sich die Experten nicht einig, welche Konsequenzen der Beitritt auf
die wirtschaftliche Struktur Maltas haben wird, und ob diese den
Arbeitsmarkt positiv verändern.
Der Wirtschaftsboom Maltas basiert einerseits
auf dem Erfolg des Dienstleistungssektors. Er macht rund 70 Prozent
des Bruttoinlandsproduktes aus. Besonders stark gewachsen sind in
den vergangenen Jahren die Bereiche Tourismus, Handel und Banken.
Der zweite bedeutende Pfeiler der maltesischen Wirtschaft ist die
so genannte Billiglohnproduktion im Bereich der Industrie. Genau
dort erwarten die Fachleute aber, genau wie in den anderen
Beitrittsländern, einen Einbruch. Die Löhne haben bereits
begonnen zu steigen, wodurch sich die Produktion verteuert. Die
Firmeninhaber suchen nach neuen, günstigeren Standorten.
Arbeitsplätze gehen dadurch verloren. Der Generalsekretär
der Gewerkschaft Haddiema Maghqudin Gejtu Vella sagt: "Dieser
Prozess ist unausweichlich. Aber er hängt nicht mit der
Europäischen Union zusammen, sondern vielmehr mit der
Globalisierung. Und die Globalisierung können wir nicht
aufhalten. Selbst wenn das Referendum negativ ausgegangen
wäre, wenn wir also nicht der EU beigetreten wären,
hätte die Wirtschaft Maltas diesen Umstrukturierungsprozess
durchmachen müssen. Aber wir hätten nichts, um die damit
verbundenen Schwierigkeiten abzufedern. Der Vorteil, den wir durch
den Beitritt haben, ist, dass wir bei dem Prozess jetzt Hilfe
bekommen. Mit der EU sind wir also in einer viel besseren Situation
als ohne sie."
Mit Hilfe von EU-Programmen wollen Regierung,
Gewerkschaften und Industrievertreter Maltas Wirtschaft vor allem
im Hochtechnologiebereich erfolgreich weiterentwickeln. Dass dies
gelingen kann, zeigt sich am Beispiel der Meeresforschung. Das
Operationszentrum für Physikalische Ozeanographie der
Universität Malta hat sich in den vergangenen Jahren zum
Knotenpunkt eines mittelmeerweiten Netzwerks zur Überwachung
des Meeresspiegels etabliert. "Es ist das erste System, das live
Daten über den Meeresspiegel im ganzen Mittelmeerbereich zu
Forschungs- und Prognosezwecken liefert", erklärt Aldo Drago,
Chef des Operationszentrums für Physikalische Ozeanographie
der Universität Malta.
Die Voraussetzung für derartige
Hochtechnologieprojekte sind gut ausgebildete Fachkräfte und
Studenten, und von denen hat Malta mehr als genug. Gerade im
Ausbildungsbereich ist der Blick über die Grenzen bereits
gewohnt. Aufgrund der jahrelangen Zugehörigkeit zum britischen
Commonwealth und durch die englische Besatzung, orientieren sich
Schulen und Universitäten bis heute am britischen
Ausbildungssystem. Darüber hinaus spricht nahezu jeder
Malteser perfekt englisch. Viele Studenten studieren in
Großbritannien. Genau damit verknüpft sich allerdings
auch ein Problem. Sobald auch die Menschen aus den Beitrittsstaaten
nach einer Übergangsfrist überall in der EU wohnen und
arbeiten dürfen, wollen viele junge Menschen Malta verlassen,
um im Ausland zu studieren und danach dort zu arbeiten. "Hier auf
Malta ist alles irgendwie zu eng", erzählt ein Student. "Jeder
kennt jeden. Und wenn man eine verantwortungsvolle Stelle bekommen
will, muss man aufpassen, dass man es sich nicht mit irgendwem
verscherzt". Experten befürchten das so genannte "brain
drain". Das heißt, die Intelligenz wandert ab, weil sie im
Ausland bessere Bedingungen vorfindet als zu Hause. Für die
Wirtschaft, und vor allem für die Hochtechnologiebereiche, die
erst noch im Entstehen sind, wäre eine solche Entwicklung
Gift. "Natürlich befürchten wir die Abwanderung von gut
qualifizierten jungen Leuten", gesteht der Personaldirektor der
Behörde für Tourismus John Muscat Drago. "Aber das ist
bei uns schon Tradition. Vor allem früher, als wir hier noch
eine hohe Arbeitslosigkeit hatten, sind Malteser sogar bis nach
Australien oder Kanada ausgewandert". "Doch viele kommen auch
wieder nach Malta zurück. Die Erfahrungen, die sie mitbringen,
könnten unsere kleine Nation sehr positiv beeinflussen",
fügt Gejtu Vella hinzu. Der Unterschied zwischen den
Befürwortern und Skeptikern der EU liegt wohl darin, ob sie
anstehende Veränderungen akzeptieren oder nicht.
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