Thema Sterbehilfe - Debatte ohne Tabus ist im
Bundestag erforderlich
Interview mit E. Nagel, Präsident des
Evangelischen Kirchentages
Prof. Dr. Dr. Eckhard Nagel ist Mediziner und
Philosoph. Er gehört dem Nationalen Ethikrat an und ist
Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Das
Interview führte K.Rüdiger Durth.
Das Parlament
Der SPD-Abgeordnete Rolf Stöckel will
mit einem Antrag, der von einigen Abgeordneten seiner Partei, der
Grünen sowie der FDP unterstützt wird, auch in
Deutschland die aktive Sterbehilfe ermöglichen. Bahnt sich
damit ein Dammbruch in der Diskussion um dieses sensible Thema
an?
Nagel Damit bahnt sich eher eine intensive
Diskussion als ein Dammbruch an. Und diese Diskussion halte ich
persönlich für positiv, weil man wieder lernt, über
den Tod zu sprechen. Der Tod darf nicht länger ein Tabu sein.
Zum anderen ist es durchaus nachvollziehbar, dass sich auch der
Deutsche Bundestag intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Das
ist in anderen Ländern nicht anders.
Das Parlament
Erste Auswertungen der holländischen und
belgischen Erfahrungen mit der gesetzlich erlaubten Euthanasie
lassen die Befürchtung zu, dass nicht wenige schwerkranke oder
sehr alte Menschen zur Einwilligung in einen freiwilligen Tod
gedrängt werden. Treffen diese Befürchtungen aus Ihrer
Sicht zu?
Nagel Ursprünglich hatte man eine
Erlösungshoffnung für einige wenige Schwerstkranke
erwartet. Doch dies hatte die Konfrontation mit vielen anderen
Fällen zur Folge. So schieben sich Fragen der Autonomie des
Menschen und die Belastung für Schwerstkranke sowie ein
größer werdender Sozialdruck in den Vordergrund. Und von
holländischen Patienten höre ich bisweilen, dass sie
Angst haben, in ein Krankenhaus ihres Landes zu gehen, weil sie
sich nicht mehr sicher sind, ob der Arzt ihnen in schwerer Notlage
noch wirklich hilft...
Das Parlament
...ist Ihnen von deutschen Patienten zu Ohren
gekommen, dass sie im Fall verweigerter aktiver Sterbehilfe nach
Holland gehen würden?
Nagel Das ist mir im Blick auf die Schweiz
zugetragen worden. Allerdings handelt es sich dabei um einige
wenige Einzelfälle. Man kann also nicht von einem
Patiententourismus sprechen. Um auf die Angst holländischer
Patienten zurückzukommen, kann ich nur unterstreichen: Das
Arzt-Patient-Verhältnis darf nicht durch die Sorge belastet
werden, der Arzt könnte mir schaden. Das verunsichert die
Menschen. Mit Sterbegleitung hat das alles nichts zu
tun.
Das Parlament
Ist eine aktive Sterbehilfe aus Ihrer Sticht
als Medizinier und Philosoph überhaupt mit Artikel 1
Grundgesetz "Die Würde des Menschen ist unantastbar"
vereinbar?
Nagel Für mich persönlich ist die
aktive Sterbehilfe mit Artikel 1 Grundgesetz nicht vereinbar. Der
Mensch ist nicht berechtigt, einen anderen Menschen zu töten.
Vom christlichen Menschenbild her ohnehin nicht.
Das Parlament
Obwohl in Umfragen die Menschen auch in
Deutschland die aktive Sterbehilfe nicht grundsätzlich
ablehnen, setzen sich Parteien und Kirchen für eine passive
Sterbehilfe ein...
Nagel Wir haben uns im Nationalen Ethikrat
sehr intensiv mit den von Ihnen angesprochenen Umfragen
auseinandergesetzt. Dabei zeigt sich sehr deutlich, dass die
Umfragen nicht das differenziert wiedergeben, was die
Bevölkerung denkt. Ganz wichtig ist immer, wie gefragt wird.
Dass die Menschen Angst vor dem Sterben haben, ist klar. Dass man
ihnen suggeriert, mit aktiver Sterbehilfe diese Angst nehmen zu
können, ist aus der Sicht des Mediziners der völlig
falsche Weg. Im Klartext: Es gibt keine solide demoskopische
Untersuchung, die eine Mehrheit der Bevölkerung für die
aktive Sterbehilfe nachweist.
Das Parlament
Wo sehen Sie Überschneidungen von
aktiver und passiver Sterbehilfe?
Nagel Es gibt immer wieder - einige wenige -
Fälle, die in der Öffentlichkeit den Eindruck einer
aktiven Sterbehilfe durch deutsche Ärzte erwecken -
beispielsweise der Streit über die Frage, ob ein Arzt zu viele
Schmerzmittel verabreicht hat, was den Tod des Patienten zur Folge
hat. Das hat aber in der Regel nichts mit einer aktiven Tötung
zu tun. Es wird im ärztlichen Alltag immer wieder
Grenzbereiche geben, in denen so oder so entschieden werden kann.
Das aber ist keine aktive Sterbehilfe. Wichtig ist, dass es immer
eine klare Übereinstimmung, eine offene Kommunikation zwischen
Patient und Arzt gibt. Dann gibt es auch heute keine Probleme
für den Arzt mit der Justiz. Noch einmal: Nein zur aktiven, Ja
zur passiven Sterbehilfe.
Das Parlament
Hat die Emotionalität, die das Thema der
Sterbehilfe auslöst, nicht auch etwas mit seinem
unsäglichen Missbrauch im Dritten Reich zu tun?
Nagel Aus ärztlicher Sicht spielt die
Euthanasie im Dritten Reich heute keine Rolle, wohl aber aus
politischer. Denn die menschenverachtende Praxis im
Nationalsozialismus, in deren Dienst sich auch Ärzte gestellt
haben, darf nicht vergessen werden.
Das Parlament
Welche Rolle wird die Sterbehilfe
voraussichtlich auf dem 30. Deutschen Evangelischen Kirchentag im
kommenden Jahr in Hannover spielen?
Nagel "Wenn dein Kind dich morgen fragt..."
(das ist die Losung des Kirchentages 2005, Anm. d. Red.), wie
hältst du es mit dem Ende des Lebens, mit einem würdigen
Abschied und was kommt nach dem Tod, dann ist es ganz wichtig,
welche Antworten wir als evangelische Christen geben. Daraus
ersehen Sie schon, dass das Thema Sterbehilfe auch auf diesem
evangelischen Laientreffen eine ganz wichtige Rolle spielen
wird.
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