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Christoph Oellers
Der staatliche Raubzug war lange ein Tabu
Eine Ausstellung in München
beschäftigt sich mit der Entrechtung und Enteignung der
Juden
Das Münchner Kaufhaus Uhlfelder im Rosental
war sehr beliebt. Wie Wertheim oder Tietz (später
Hertie/Kaufhof) war das Warenhaus die Gründung eines
jüdischen Geschäftsmannes in den 1870er-Jahren. In der
Weimarer Republik expandierte es, wurde 1931 ausgebaut und hielt
sich - trotz Schikanen - zunächst in der Nazizeit.
Der Pogrom vom 9. auf den 10. November 1938,
die so genannte Reichskristallnacht, bereitete dem Haus ein Ende.
Inhaber Max Uhlfelder konnte mit seiner Familie nach der KZ-Haft in
Dachau noch auswandern, seine Schwester gehörte zum ersten
Deportationszug Münchner Juden im November 1941. Sie wurde bei
der Ankunft in Litauen ermordet.
Wer die Ausstellung "München arisiert -
Entrechtung und Enteignung der Juden in der NS-Zeit" besucht,
erfährt vom Uhlfelder-Schicksal allenfalls beiläufig. Das
ist aber kein Mangel, sondern gehört zum Konzept. "Der
Besucher soll nach 45 Minuten informiert sein", sagt Angelika
Baumann vom Münchner Kulturreferat, die mit ihrem Kollegen aus
dem Stadtarchiv, Andreas Heusler, für das Projekt
verantwortlich ist. Ein Buch, das wissenschaftliche Aufsätze
zum Thema enthält, ersetzt den herkömmlichen Katalog. Da
findet der Interessierte genaueres zur jüdischen Gemeinde in
München, zu Nutznießern der Arisierung, die auch nach
1945 ein Leben in Saus und Braus führen konnten, sowie
Aufklärung über das Kaufhaus Uhlfelder. Rund 1.800
Betriebe waren 1937 in jüdischer Hand, zwei Jahre später
hatten alle den Besitzer gewechselt.
Ebenso erging es Strickwaren Marx in der
Augustenstraße. Das Fachgeschäft gründete Justin
Marx 1920. Bereits 1931 übertrug er das Geschäft seiner
Frau, die Katholikin war. Das verschonte den Laden vor den
Boykottaktionen im April 1933, und in der "Reichskristallnacht"
1938 schlug die SA keine Scheiben ein. "Mein Vater hat sich dann
bei Kommunisten in Aubing versteckt." Der 80-jährige Sohn
Richard steht in der Ausstellung, in der Straße von damals,
vor der Nummer 75 - in einer Straße aus Pappmaché. Er
erinnert sich, wie er als "Halbjude" weniger gefährdet war und
anderen zur Seite stehen konnte. "1941 kamen die jungen Familien
zur Deportation nach Milbertshofen. Wir haben dann geholfen, dass
sie was zu essen bekamen." Neben Marx gab es noch 19 jüdische
Geschäfte in der Augustenstraße. "Wir haben die
Straße wegen ihrer Durchschnittlichkeit ausgewählt", sagt
Ausstellungsmacher Heusler.
Die Vermögensverwertungsstelle in
München habe in typisch nationalsozialistischer
Administrations-Akribie jegliches Eigentum in jüdischer Hand
protokolliert und versteigert, berichtet Stadtführer Axel
Drecoll. "Jeder Socken, jedes Hemd, jede Tischlampe und jeder
Sessel" sei dabei einzeln erfasst worden, genauso wie das Guthaben
eines deportierten Kleinkindes in Höhe von weniger als zwei
Reichsmark.
Mit der Ausstellung, so unterstreicht
Kulturreferentin Lydi Hartl, werde ein Thema aufgegriffen, das
bislang im Bewusstsein der Öffentlichkeit kaum präsent
sei. "Wir betreten Neuland", sagt sie und zitiert den israelischen
Historiker Saul Friedländer, dass eine Gesellschaft ohne
Erinnerung nicht möglich sei. Hartls Aussage bezieht sich
zunächst auf den Gegenstand, auf das Thema Arisierung, das
lange Zeit wegen der vielen Nutznießer vor allem in der
Wirtschaft der bundesrepublikanischen Gesellschaft tabu war. "Der
staatliche Raubzug hat weitgehend unter den Augen der
Öffentlichkeit stattgefunden", sagte Kulturreferentin Hartl
bei der Ausstellungseröffnung. Manche seien bis heute
Nutznießer. Zudem hat die Forschung das Thema
vernachlässigt. Es gilt als letzter weißer Fleck der
NS-Geschichte, weil die Vernichtung der Juden selbst, die Shoah,
die Vorstufen in den Schatten stellte. Hartl meint mit ihrer
topographischen Metapher aber auch die Form, wie das Projekt
präsentiert wird. Es ist nicht nur auf Ausstellung und Buch
beschränkt, sondern bezieht die Nutznießer von damals
ein: Allianz, Staatsbibliothek, Kreisverwaltungsreferat etwa zeigen
selbst kleine Ausstellungen oder betreiben Aufklärung in
eigener Sache. Das Begleitprogramm umfasst Diskussionen,
Vorträge, Lesungen und einen Workshop im Lenbachhaus, bei dem
der Herkunft bestimmter Gemälde nachgegangen werden soll. In
den Kammerspielen lesen Schauspieler aus jüdischen
Erinnerungen, denen Aussagen der Profiteure gegenüber stehen.
Derjenige, der sich nach dem Besuch der Ausstellung nicht mit dem
Straßenzug aus Pappe und anderen Inszenierungen (an einem
langen Kellerregal mit Umzugskartons ist die Entrechtung der Juden
bis zur beginnenden Vernichtung dargestellt) zufrieden gibt, kann
an Rundgängen teilnehmen, die ihn an Tatorte des damaligen
Geschehens führen. Zum Beispiel zum wieder aufgebauten
Gebäude des früheren Kaufhauses Uhlfelder, in dem heute
das Stadtmuseum seine Dauerausstellung zum Nationalsozialismus
("Chiffren der Erinnerung") präsentiert. Nicht nur die Stadt
München betritt Neuland, sondern im Idealfall der Bürger
selbst, der seine Stadt, die mal "Hauptstadt der Bewegung"
hieß, nach Besuch dieses Ausstellungsprojektes mit anderen
Augen sehen wird.
Bis zum 13. Juni täglich in den
Kunstarkaden (Sparkassenstraße 3). Das Buch "München
arisiert - Entrechtung und Enteignung der Juden in der NS-Zeit" ist
bei Beck erschienen (19,90 Euro), das Begleitprogramm unter
"www.muenchen.de/rathaus/referate/kult/ansprech/stadtgeschichte/39241/index.html"
abrufbar.
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