|
|
Oliver Heilwagen
"Deutsche drehen den Polen den Rücken
zu"
Konferenz über das Verhältnis zum
neuen EU-Mitglied
Die Polen würden ihr Negativ-Image in Deutschland als
"notorische Diebe" nicht los, klagte Adam Krzeminski, Redakteur der
polnischen Wochenzeitung "Polityka", auf einer Konferenz über
die deutsch-polnischen Beziehungen im brandenburgischen Schloss
Neuhardenberg: "Vor 60 Jahren haben sie Schlesien geklaut und vor
zehn Jahren Autos; heute klauen sie Jobs."
Dass Polen seit dem Ende des real existierenden Sozialismus
beispiellose Reformen bewältigt hat und einen beeindruckenden
Wirtschaftsboom vorweisen kann, werde von vielen Deutschen
ignoriert.
"Deutsche und Polen blicken nach Westen. Die Polen blicken dabei
auf die Deutschen, die ihnen den Rücken zukehren und eifrig
die Franzosen suchen", beschrieb der Publizist Peter Bender
plastisch das Missverhältnis in der wechselseitigen
Aufmerksamkeit: "Wenn ein Deutscher den Städtenamen Bordeaux
falsch ausspricht, lachen seine Landsleute; wenn er Lódz
korrekt ausspricht, nämlich ‚Wuhdsch', verstehen sie ihn
nicht."
Umgekehrt nähren die Stiftung für ein "Zentrum gegen
Vertreibungen" der Vertriebenen-Verbandschefin Erika Steinbach und
die Aktivitäten der vor vier Jahren gegründeten
"Preußischen Treuhand", die nach eigenem Bekunden Immobilien
Vertriebener "in den preußischen Provinzen jenseits von Oder
und Neiße" einklagen oder zurückkaufen will, in Polen die
Furcht vor einem Wiederaufleben revanchistischen Gedankenguts in
Deutschland. Davon zeugen ein Aufsehen erregendes Titelbild des
Magazins "Wprost", das Steinbach in SS-Uniform rittlings auf
Bundeskanzler Gerhard Schröder zeigte, ebenso wie die
öffentliche Debatte darüber, ob der polnische
Regierungschef Leszek Miller im Luftwaffen-Jet des Kanzlers zum
EU-Beitrittsgipfel am 1. Mai nach Brüssel mitfliegen
dürfe.
Nun räche sich, dass im deutsch-polnischen Vertrag von 1991
Besitzansprüche ausgeklammert wurden, bemerkte Anna
Wolff-Poweska, Direktorin des West-Instituts in Posen: Die Frage,
wem nach dem Zweiten Weltkrieg enteignetes Eigentum
rechtmäßig gehöre, rücke wieder in den
Vordergrund. Dabei drohe mit einer gegenseitigen Aufrechnung von
Schuld ein Rückschritt auf den "geistigen Stand von 1943",
warnte Adam Michnik, Chefredakteur der größten polnischen
Tageszeitung "Gazeta Wyborcza". Und der Historiker Wlodzimierz
Borodziej ergänzte, in Polen gewinne man langsam den Eindruck,
dass für die Deutschen "zwischen dem Holocaust-Mahnmal und dem
Zentrum gegen Vertreibungen die polnischen Kriegsopfer keine Rolle
mehr spielen".
"Deutschlands moralische Verpflichtung gegenüber Polen
läuft aus und wird durch kein anderes Motiv ersetzt; da tut
sich eine Leere auf", bedauerte auch Janusz Reiter, ehemaliger
polnischer Botschafter in der Bundesrepublik. Offenkundig stecken
die deutsch-polnischen Beziehungen nach 15 Jahren gedeihlicher
Zusammenarbeit zum EU-Beitritt Polens in einer Krise. Wie sie
überwunden werden könne, war Thema der Tagung unter dem
Titel "Ungeklärte Verhältnisse".
Bislang war das Verhältnis vor allem durch die Betonung
einer gemeinsamen Zukunft geprägt: Seit 1989 verfolgten alle
Regierungen in Warschau das außenpolitische Ziel einer
Integration Polens in die westlichen Bündnisstrukturen von EU
und NATO. Dabei wurden sie vom wieder vereinigten Deutschland
tatkräftig unterstützt. Jetzt sei dieses Ziel erreicht,
stellte Krzeminski fest: Es fehle an einer neuen strategischen
Aufgabe für die Zukunft. Er erinnerte an die Gründung der
Montanunion, als nach dem Krieg Bonn und Paris Teile ihrer
Souveränität an eine supranationale Einrichtung abtraten,
um die Aussöhnung voranzutreiben. Nach diesem Vorbild sollten
Berlin und Warschau eine "neue Montanunion" zum Umgang mit der
belasteten Vergangenheit bilden, empfahl Krzeminski: Eine
deutsch-polnische Institution könne die Gräuel der
Kriegs- und Nachkriegszeit unparteiisch aufarbeiten, um einen
Rückfall in kleingeistige Nationalismen zu vermeiden.
Entsprechende Vorhaben seien bisher erfolglos geblieben,
räumte der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel ein. Der
Vorsitzende der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe machte
geltend, dass der Bundestag bereits 2002 die Einrichtung eines
europäischen Zentrums zur Dokumentation von Vertreibungen
beschlossen hatte. Aufgrund des deutschen Wahlkampfs sei dieser
Ansatz aber in der Folgezeit vernachlässigt worden und zudem
in Polen und Tschechien auf wenig Gegenliebe gestoßen.
Dafür machte Wolff-Poweska einen Generationswechsel
verantwortlich: Politiker, die noch den Krieg erlebt hatten und
daher bereit waren, zugunsten der europäischen Einigung
handfeste Zugeständnisse zu machen, träten von der
Bühne ab; ihre Nachfolger betrieben eher kurzsichtige
Interessen- und Klientelpolitik. Dabei seien "gewisse populistische
und demagogische Gesten" nicht zu überhören, urteilte die
Politologin.
Dies gelte für beide Seiten, konstatierte der
christdemokratische Sejm-Abgeordnete Janusz Lewandowski:
Deutschland fühle sich nicht mehr als starke Wirtschaftsmacht
und wolle deswegen die EU-Ausgaben für die Neumitglieder
begrenzen; in Polen mache sich nach Kräfte zehrenden
Reformanstrengungen und zahlreichen Korruptionsskandalen
Ernüchterung breit. Dennoch sei die Verflechtung beider Seiten
so eng wie nie zuvor, gab er zu bedenken: Deutschland ist als
Empfänger eines Drittels aller Exporte Polens wichtigster
Handelspartner.
Wirtschaftsaustausch und politische Freundschaftsbezeugungen
allein reichten aber nicht aus, um die sich fremden Gesellschaften
einander anzunähern, mahnte Gesine Schwan. Mit ihren
Erfahrungen als Präsidentin der Viadrina-Universität in
Frankfurt/Oder empfahl sie, mehr binationale Initiativen auf die
Beine zu stellen: "Nichts stiftet mehr Gemeinsamkeit zwischen
Deutschen und Polen als die Identifikation mit gemeinsamen
Projekten." Nötig sei eine "Geschichtspolitik", die durch
"symbolisch-ästhetische Formen" das Bewusstsein für
Verbindendes im beidseitigen "kulturellen Gedächtnis"
verankere.
Am Zusammengehörigkeitsgefühl mangele es nicht nur
Polen und Deutschen, sondern auch allen anderen Völkern
Europas, hielten die Teilnehmer eines Diskussionsforums im
Wissenschaftszentrum Berlin zur EU-Osterweiterung fest. Sie sei
wirtschaftlich zwar zu bewältigen, doch die Union verliere
allmählich ihre politische Orientierung, monierte der
Politologe Volker Rittberger von der Universität
Tübingen: "Es wird immer unklarer, was die EU eigentlich
will." Ohne Verfassung, die praktikable Verfahren zur
Entscheidungsfindung festlege, drohe die EU mit 25 Mitgliedern zu
einem "losen Verbund von Nationalstaaten" zu degenerieren, folgerte
der Jurist Gunnar Folke Schuppert von der Berliner
Humboldt-Universität.
Daher müsse das zehn Jahre lang gültige Prinzip,
zugleich die Erweiterung und Vertiefung der EU voranzutreiben,
abgeschafft werden, forderte der ehemalige
SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz: "Jetzt ist der
Punkt erreicht, von dem an eine weitere Ausdehnung der EU zu ihrer
Überdehnung führen würde." Anstatt Länder wie
die Türkei oder Israel, die formal alle Beitrittskriterien
erfüllen könnten, in die EU aufzunehmen, solle
Brüssel eher ihre Integration zu einer "demokratischen
Levante" fördern. Andernfalls werde die Union in verschiedene
"Verdichtungszonen" von Mitgliedern zerfallen, die enger
miteinander kooperierten, warnte Schuppert: Eine derart
"balkanisierte EU" wäre nicht mehr steuerbar. Oliver
Heilwagen
Zurück zur
Übersicht
|