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Detlev Lücke
Historischer Tag für Europa
Deutscher Bundestag würdigt die Chancen der
EU-Osterweiterung
Mit einhelliger Zustimmung hat der Deutsche
Bundestag in seiner Sitzung vom 30. April 2004 den Beitritt der
zehn neuen Mitgliedsländer zur Europäischen Union am 1.
Mai begrüßt. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD)
wertete in Anwesenheit der Botschafter dieser Staaten bei der
Parlamentssitzung die Erweiterung als Erfüllung einer
"historischen Mission". Bundestagspräsident Wolfgang Thierse
(SPD) hob zu Sitzungsbeginn hervor, damit ende die schmerzliche
Teilung Europas. Oppositionschefin Angela Merkel (CDU/CSU-Fraktion)
sprach von "einem Tag der Freude".
Die knapp dreistündige Debatte machte
allerdings bei aller Genugtuung über den Beitritt auch die
Unterschiede von Koalition und Opposition in der Bewertung
deutlich. Sie zeigten sich in der Frage eines künftigen
Beitritts der Türkei in die Europäische Union ebenso wie
in den Differenzen um niedrige Löhne und Steuern als
Wettbewerbsaspekt innerhalb der EU.
Bundeskanzler Schröder warnte davor, die
EU-Erweiterung als Motiv für Steuer- und Lohnsenkungen in
Deutschland zu nehmen. "Die Zukunft unseres Landes kann nicht darin
liegen, in eine gnadenlose Konkurrenz um niedrige Löhne und
Steuersätze einzutreten", betonte der Kanzler. Er warnte vor
Panikmache angesichts der erweiterten Europäischen Union. Es
gehe trotz berechtigter Ängste um Arbeitsplätze und
Furcht vor wachsender Kriminalität darum, die großen
wirtschaftlichen Chancen und die gestiegenen Möglichkeiten der
engeren Zusammenarbeit der EU-Länder zu sehen. "Wir werden
darauf achten, dass es keinen einseitigen Steuerwettbewerb zu
Lasten der Nettozahler der Europäischen Union gibt", warnte
der Bundeskanzler. Er sprach sich dafür aus, den Beitritt der
Türkei in die Union nachdrücklich zu unterstützen,
falls die EU-Kommission im Herbst 2004 entsprechende Verhandlungen
mit dem Land empfehle. Der Türkei 40 Jahre lang den Weg nach
Europa zu versprechen, um dann zu sagen, das gehe jetzt nicht, sei
"blanker Populismus".
CDU-Chefin Angela Merkel sprach sich dagegen
erneut gegen eine Aufnahme der Türkei in die Europäische
Union aus. Sie wolle dem Land keine Versprechungen machen, die am
Ende nicht zu halten seien. In Bezug auf die künftige
EU-Verfassung forderte sie einen klaren Gottesbezug auf das
christlich-jüdische, aufklärerische Erbe
Europas.
Bundesaußenminister Joseph Fischer
(Bündnis 90/ Die Grünen) kritisierte Angela Merkels
Haltung zur Aufnahme der Türkei in die EU als falsch. Wenn der
islamistische Terrorismus die schwerste Bedrohung für die
europäische Sicherheit sei, dann sei es von zentraler
Bedeutung, darauf hin zu weisen, dass die Grundwerte der
europäischen Aufklärung mit einem modernen Islam
vereinbar seien. Vor einem solchen Hintergrund habe die Ablehnung
der Türkei als Beitrittskandidat eine fatale Wirkung,
unterstrich Fischer. Er gab seiner Genugtuung Ausdruck, dass seit
dem 1. Mai 2004 Deutschland erstmals in seiner Geschichte
auschließlich von befreundeten Ländern umgeben
ist.
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle betonte
in diesem Zusammenhang, dass es nicht nur um politische
Beziehungen, sondern eine "wirkliche Freundschaft der Völker"
in Osteuropa gehe, so wie sie sich in der Nachkriegszeit zu den
westlichen Nachbarn entwickelt habe. Er forderte eine
Volksabstimmung in Deutschland zur angestrebten
EU-Verfassung.
Der bayerische Ministerpräsident Edmund
Soiber (CSU) verband seine Zufriedenheit über die
EU-Erweiterung mit scharfen Attacken auf die Koalitionsregierung.
Sie habe die aus dem Beitritt der zehn neuen Länder
entstandenen Sorgen der deutschen Bevölkerung um ihre
Arbeitsplätze nicht ernst genommen. Die Reformunfähigkeit
von Rot-Grün habe zu einer ernsthaften Arbeitsmarkt- und
Haushaltskrise geführt, so dass es Deutschland nicht
ausreichend gelinge, die durch die EU-Erweiterung eröffneten
Möglichkeiten zu nutzen. Das betreffe vor allem die
Grenzregionen von Greifswald bis nach Passau. Gerd Weisskirchen
(SPD) warf Stoiber Polemik vor. Es gehe darum, vorhandene
Ängste wahrzunehmen und nicht zu schüren. Die
fraktionslose Abgeordnete Gesine Lötzsch verwies darauf, dass
viele Menschen in Ost und West die Erweiterung auch mit gemischten
Gefühlen sähen. Sie verlangte eine europäische
Sozialunion.
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