Karlheinz Lau
Sind die alten Gegensätze heute wirklich
überwunden?
Deutschland und seine slawischen
Nachbarn
Der Autor, Jahrgang 1929, stammt aus der Lausitz, wo die
slawische Minderheit der Sorben lebt. Er war in der DDR im
Hörfunk und Fernsehen tätig und berichtete als
Auslandskorrespondent aus Moskau, Prag und Wien. Seit 1990 arbeitet
er als freier Journalist in Berlin. Diese biographischen Daten sind
wichtig für das Verständnis seines Buches. Hemmo
möchte ein politisches Sachbuch zur Osterweiterung der EU
vorlegen. Als Beispiele wählt er Polen, Tschechien und die
Sorben in ihren jeweiligen Verhältnissen zu den deutschen
Nachbarn.
Seinem Ansatz ist zuzustimmen, dass die immer noch aktuellen
Konflikte zwischen Polen, Tschechen und Deutschen aus den Jahren
1939 bis1989 in ihren Ursachen viel weiter in die Vergangenheit
zurückreichen und nicht erst mit Versailles beginnen.
Folgerichtig ist Hemmo bemüht, zurückliegende Ursachen
der - wie er es nennt - slawisch-deutschen Konfliktgemeinschaft
aufzuzeigen.
Das geschieht in drei Hauptkapiteln - Polen, Tschechen - Sorben
und endet mit einer Bilanz. Unklar bleibt allerdings, warum das
Kapitel Polen mit der staatlichen Wiedergeburt nach Versailles
endet, der Teil Tschechien mit der NS-Besatzungszeit und die
Geschichte der Sorben mit der Wiedervereinigung Deutschlands und
dem Wiedererstehen der Länder Sachsen und Brandenburg, die
sich die Lausitz territorial teilen. Auch vermisst man mehr
Informationen über den normalen Alltag und das oft
jahrhundertelange Zusammenleben von Deutschen, Tschechen und Sorben
in den strittigen Regionen. Dort haben sich doch oft lange und
intensive Bindungen entwickelt.
Manche Gewichtungen erinnern an die Sichtweise der
DDR-Geschichtsschreibung. Zweifellos bestimmt die
Auseinandersetzung mit dem Deutschen Orden das Geschichtsbild
vieler Polen bis heute - man denke nur an die starke Symbolkraft
der siegreichen Schlacht von Grunwald 1410. Das kann aber nicht
bedeuten, dass der überwiegend friedliche Prozess der
deutschen Ostsiedlung - Hemmo spricht von "Ostkolonisation" - in
seiner zivilisatorisch-kulturellen Bedeutung, die auch die
polnische Geschichtsschreibung jetzt anerkennt,
stiefmütterlich behandelt wird.
Auch sollte man vorsichtig sein, die nationale Dimension auf das
Mittelalter zu übertragen. Die entscheidenden Ereignisse
für das offene Ausbrechen deutsch-polnischer und
tschechisch-deutscher Konflikte lagen im 19. und 20. Jahrhundert,
beginnend mit den polnischen Teilungen und dem Entstehen eines
panslawistischen Nationalismus. Der Autor beschreibt sehr deutlich,
dass die Wurzeln deutsch-tschechischer Konflikte in Böhmen und
Mähren bis in die Zeit der Hussiten zurückreichen.
Diese Tatsache findet in der aktuellen Diskussion zum Thema
Sudetendeutsche kaum Berücksichtigung. Hier bietet das Buch
Nachhilfeunterricht in Geschichte an. Das gilt auch für das
Kapitel über die Sorben mit zahlreichen interessanten Fakten;
so die Bestrebungen sorbischer Politiker, nach Kriegsende 1945 die
Lausitz an die damalige CSSR anzugliedern.
Die Schlussbilanz klingt optimistisch: "Die Konfliktgemeinschaft
der Deutschen und ihrer slawischen Nachbarn gibt es nicht mehr."
Die Perspektive für die kommenden Jahre ist die EU mit ihrer
Chance des "Sich-näher-Kommens" der Menschen.
Ausdrücklich lobt Hemmo in diesem Zusammenhang die Vertrauens-
und Aufbauarbeit der ehemaligen deutschen Bewohner der
Vertreibungsgebiete, die zusammen mit Polen und Tschechen geleistet
wird.
Diese Aussage ist für einen deutschen Autor, der nicht
vertrieben wurde, bemerkenswert. Allerdings trennt er diese
Vertriebenen - er nennt sie DDR-offiziell "Ausgesiedelte" -
deutlich vom Bund der Vertriebenen (BdV) und den Landsmannschaften.
Seine polemische Auseinandersetzung mit dem BdV und dem Projekt
"Zentrum gegen Vertreibungen" erscheint überspitzt und
parteilich; warum nennt er nur Kritiker des Projekts mit ihren
Argumenten, aber nicht dessen Befürworter wie Peter Glotz oder
Ralph Giordano?
Angemerkt werden müssen handwerkliche Defizite wie die
unklare Zitiertechnik und die nicht einheitliche Bezeichnung der
Ortsnamen. Auch wären mehr Karten nützlich gewesen, und
die Ausdrucksweise ist manchmal etwas locker. Dass er als gelernter
DDR-Bürger Begriffe und Sichtweisen aus damaliger Perspektive
einbringt, muss kein Nachteil sein. Als politisches Sachbuch kann
das Buch unter Berücksichtigung der genannten Punkte
akzeptiert werden.
Karlheinz Lau
Klaus Hemmo
Der weite Weg nach Europa.
Die Deutschen und ihre slawischen Nachbarn.
Patmos Verlag / Artemis & Winkler, München 2004;
233 S.,19,90 Euro
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